Deutschland

KARRIEREN Der neue Schatz Noch nie hatten Ministerinnen in Deutschland so viel Einfluss wie in Angela Merkels Kabinett. Wie gehen die Frauen mit ihrer Macht um? Von Kerstin Kullmann

eden Mittwoch betreten ein Dutzend Fotografen und JKameraleute den Kabinetts - saal in Berlin. Ein paar Minuten vor Beginn der Sitzung dürfen sie dort Bilder machen. Vom Reinkommen, Händeschütteln, Hinsetzen der Minister. Es wer - den die Bilder des Tages, oft sieht man sie abends in den Nachrichten. In diesem Saal, berichten Fo - tografen, hätten sie vor kurzem eine neue Geste entdeckt. Kurz, zart, zu überraschend, um sie zu fotografieren. Aber sie ha - ben jetzt schon einen Namen dafür. Sie nennen sie: „Mach dir keine Sorgen, Schätzchen“. Die neue Geste geht so: betritt den Raum. Meistens kommt sie nicht allein. Sie wartet draußen vor der Tür auf einen Kollegen, oft ist es jemand, mit dem sie T H C später am Tag noch zu tun ha - A H C S ben wird. An einem Morgen im G N I

November ist es FDP-Mann Da - N N E niel Bahr. Die beiden stellen sich H vor das große Gemälde an der Machtpolitikerin von der Leyen: „Ich versuche durchzusetzen, was ich für richtig halte“ Stirnseite des Saals, das Licht ist dort gut. Die Fotografen halten ihre Ka - Zugunsten der Frauen. Sechs sitzen nun hoheit in der Frauen- und Familienpoli - meras bereit. im Kabinett, die Kanzlerin und fünf Mi - tik. Es geht um die Quote und um Hartz Ursula von der Leyen liefert mehrere nisterinnen: Ursula von der Leyen (Arbeit), IV für Kinder. In Wahrheit geht es aber Gesichtsausdrücke: Lachen, Ernst-Gu - Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Jus - vor allem um den Kampf zweier Über - cken, Staunen. Plötzlich hebt sie den tiz), (Verbraucherschutz), Kris - zeugungen. Es geht darum, welche Re - Arm, senkt die Hand und lässt ihre Finger tina Schröder (Familie), geln für Frauen im Spiel um die Macht über den Unterarm ihres Gesprächspart - (Bildung). gelten. Annette Schavan führt ihr Amt ners gleiten. Die Geste sagt: „Mach dir Es ist mehr Raum, mehr Selbstver - ruhig, beinahe zurückgezogen. Sie sagt: keine Sorgen, Schätzchen“. ständlichkeit für die Politikerinnen ent - „Man wird an seinen Leistungen gemes - ist das Schätzchen des Tages. standen. Sie können jetzt zeigen, wozu sen.“ Schavan scheut das Ringen um Ein - Die Frauen haben sich das Kabinett er - sie in der Lage sind. Sie können zeigen, fluss in der Öffentlichkeit. Sie versucht obert, die Zeit des Breitbeinigen ist vor - wohin sie mit ihrer Macht gehen möchten. seit Jahren, sich den Regeln des Spiels bei. regiert das Land nicht Wie regieren die Ministerinnen? Wie zu entziehen. in kleiner Runde, bei Zigarre und Rot - sieht es aus, das Spiel der Frauen? Jede der drei Ministerinnen reklamiert wein, wie es noch ihr Vorgänger Gerhard Drei Ministerinnen fallen besonders für sich einen eigenen Stil, Politik zu ma - Schröder tat. Um sich herum hat sie Män - auf: Ursula von der Leyen, die als Ar - chen. Alle drei sind bisher damit auf ihre ner versammelt, deren Testosteron-Ge - beitsministerin kraftvoll nach oben strebt; Art erfolgreich gewesen. Welcher der drei halt sie beherrschen kann. Bezeichnet ihr Kristina Schröder, die als Familienminis - Wege aber ist auf lange Sicht erfolgreich? Kanzleramtschef das Ge - terin viel Kritik einstecken muss; und An - Welcher kann ganz nach oben führen? sicht eines Abgeordneten als „Fresse“, nette Schavan, die als Bildungsministerin Es ist der 17. Oktober 2011. An diesem hat nicht mehr der Abgeordnete ein Pro - wenig wahrnehmbar ist. Tag möchte Familienministerin Kristina blem, sondern Pofalla. Die Regeln des Von der Leyen und Kristina Schröder Schröder verkünden, dass die deutschen Spiels um die Macht haben sich verändert. ringen seit Jahren um die Deutungs- Dax-30-Unternehmen sich einverstanden

28 ! "  2/2012 zeigen, selbstgewählte Frauenquoten ein - gik ihres eigenen Vorankommens. Man - an die Regeln zu halten. Nur wer diese zuführen. Für Schröder soll dieser Tag che sagen, so handle ein Mann. Männer Regeln gut kennt, kann sie auch brechen. ein Erfolg werden. Er muss es. Auch, weil waren in der Vergangenheit das erfolgrei - Doch noch sieht Schröder keinen Grund das Kanzleramt wieder angerufen hat. che Geschlecht. dazu, wirklich schwer war es für sie in ih - Kanzleramtschef Ronald Pofalla bat Kristina Schröder hält sich an politische rer Karriere bislang nicht. Meistens ist sie Schröder um zwei Dinge. Erstens: Sie sol - Übereinkünfte. Seit sie von Angela Mer - das geworden, was sie werden wollte. le die FDP nicht allzu sehr vergrätzen. kel im November 2009 ins Amt berufen Ursula von der Leyen nicht. Nach einer Die Liberalen lehnen jede Art von gesetz - wurde, folgt sie der Parteilinie, dem Ko - Amtszeit als Familienministerin wollte lichem Zwang in der Quotenfrage ab. Mit alitionsbeschluss, den Wünschen Merkels. sie ins Gesundheitsressort wechseln. Mer - Schröders freiwilliger Verpflichtung aber Sie nimmt dafür in Kauf, widersprüchli - kel ließ sie nicht. Sie wollte EU-Kommis - könnten sie leben. Zweitens: Aus eben - che Positionen einzunehmen. Das Betreu - sarin werden. Merkel ließ sie nicht. Als diesem Grund solle Schröder es vermei - ungsgeld für Hausfrauen steht im direk - seinen Stuhl als Arbeits - den, an diesem Tag das Wort „Gesetz“ ten Gegensatz zu dem Ziel, Frauen minister räumen musste, bekam sie sein allzu häufig zu erwähnen. schneller zurück in den Beruf zu bringen. Ressort. Doch als Horst Köhler als Bun - despräsident aufgab, ließ von der Leyen Ambitionen erken - nen. Merkel ließ sie nicht. Von der Leyen setzte den Kita-Ausbau über ihre Ressort - grenzen, über Bund-Länder- Grenzen hinweg durch. Das hat sie berühmt gemacht. Jetzt for - dert sie ein Gesetz zur Frauen - quote und stößt damit die Fami - lienministerin, auch die Kanzle - rin vor den Kopf. Im Sommer vorigen Jahres widersprach sie Angela Merkel, als sie forderte, Rettungskredite nur noch an EU- Länder zu geben, die diese mit Goldreserven oder Staatseigen - tum absichern können. Von der Leyen sieht sich nicht mehr in der Pflicht, sich an die Regeln, die sie oben anstoßen lassen, zu halten. Die Loyalität der jungen Frauen hat sie hinter

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M jetzt selbst. Themenpolitikerin Schavan: „Mit dem Versuch, Klischees zu bedienen, beschäftige ich mich nicht“ In Kabinettskreisen ist be - kannt, dass Annette Schavan Auch Ursula von der Leyen ist beim Doch es ist Koalitionsbeschluss, deswegen diese Unabhängigkeit der Arbeitsminis - Treffen der Dax-30-Unternehmen dabei. verteidigt sie es. terin missbilligt. Es erzürnt sie, wenn de - Die Arbeitsministerin ist für eine gesetz - Letztes Wochenende, erzählt Kristina ren Alleingänge als mutig gelobt werden. liche Quote. Auch sie hat einen Anruf Schröder, habe sie über das Bravsein Schavan ist keine junge Frau mehr, in ih - aus dem Kanzleramt erhalten. Sie muss nachgedacht. Es ist Anfang Dezember in rer Karriere hat sie sich schon viele Male beschlossen haben, ihn zu ignorieren. Berlin, die Ministerin sitzt in ihrem Büro. durchgesetzt. Aber sie hat es anders ge - Frühmorgens steht Ursula von der Ley - In den vergangenen Wochen hagelte es macht als von der Leyen. en im Studio des ZDF. Den Blick auf die Kritik. Für das Betreuungsgeld, die Ex - Wenn man mit Annette Schavan über Moderatorin gerichtet, benutzt sie das tremismusklausel im Kampf gegen rechts. die Frauen im Kabinett redet, hält sie ihre Wort „Gesetz“ in wenigen Minuten ein Sie habe also darüber nachgedacht, was Worte vage, doch man weiß, wer gemeint Dutzend Mal. Sie sagt: „Ich bin der Über - es heiße, als zu wenig angriffslustig, als ist. „Es gibt in der Politik den Typus, der zeugung, wir brauchen ein Gesetz zur zu konform zu gelten. seine politische Geschichte vor allem mit Frauenquote.“ Und: „Ein Gesetz muss Was ist dabei herausgekommen? Themen verknüpft“, sagt Annette Scha - klare Ziele haben. Sonst braucht man „Ich glaube fest daran, dass Solidarität, van. Sie sitzt in ihrem Ministerbüro in kein Gesetz.“ Nach dem Gespräch hat dass gemeinsame Absprachen eine Berlin. Sie meint sich selbst. „Und es gibt man den Eindruck, Schröder ist das Grundvoraussetzung für gute Arbeit im den Typus, der seine politische Geschich - Dummchen, das sich von der Wirtschaft Kabinett sind.“ te stärker mit seiner Person in Verbin - verschaukeln lässt. Und von der Leyen Ursula von der Leyens Verhalten er - dung bringt.“ Sie meint Ursula von der die Ministerin, die sich durchsetzen will. scheint ihr rücksichtslos. Sie hofft, dass Leyen. „Beide Typen“, sagt die Ministe - Von der Leyen kümmert sich nicht dar - sich langfristig ihr Weg bewähren wird. rin, „werden in der Politik gebraucht.“ um, ob sie ihrer Nachfolgerin schadet. Sie Schröder ist jung, sie ist 34 Jahre alt und Seit Schavan im Amt ist, beschäftigt will Erfolge produzieren. Sie beherrscht erst seit zwei Jahren im Amt. Für jeman - sie sich mit dem Fachkräftemangel. Jetzt das Spiel um die Macht, sie folgt der Lo - den, der so neu ist, ist es notwendig, sich tritt im April ein Gesetz in Kraft, das es

! "  2/2012 29 Deutschland ausländischen Experten erleichtert, ins zu erreichen, in der einen mittelmäßige Nach innen, in der Partei, aber dürften Land zu kommen. Sie brachte vor weni - Leute nicht bevormunden können. Frauen diesem von sich nicht auf gen Monaten die Union dazu, die Haupt - Wie keine andere kämpft Ursula von den Leim gehen. In Konflikten müssten schule abzuschaffen, obwohl gerade ihr der Leyen dagegen, von der Mittelmäßig - sie mit aller Härte auftreten. Wer dort Heimatverband Baden-Württemberg viel keit überholt zu werden. Und dafür macht weiterhin auf das Weiche, Umgängliche von dieser Schulform hält. Bewirkt hat sie gern auch schmutzige Arbeit. setze, bleibe auf dem Weg nach ganz sie all das im Hintergrund, in Gesprächen Kristina Schröder erlebte bereits, wie oben hängen. „In der Top-Liga“, so Bauer- mit ihren Gegnern. Schavan ist eine er - eine lächelnde Ursula von der Leyen sich Jelinek, „zählen Geschlechterfragen nicht folgreiche Ministerin. Ihre Erfolge aber beim Fototermin vor der Kabinettssitzung mehr.“ Dort werde weder besonders sieht man kaum. neben sie presste und nicht abzuschütteln männlich noch besonders weiblich ge - Ihr Themengebiet, sagt Schavan, eigne war. Vor allem in Wochen, in denen man kämpft. „Wer oben mitspielen will, muss sich nicht für eine Inszenierung in kurzen, der Arbeitsministerin nachsagte, dass sie in die Kraftkammer. Der muss die Spiel - medientauglichen Sequenzen. Sie sagt: arg unfair gegenüber ihrer schwangeren regeln der Macht beherrschen.“ „Mit dem Versuch, Klischees zu bedienen, Kollegin handle. Die Bilder sollten diesen Für Frauen sei das Verdecken dieser beschäftige ich mich nicht mehr.“ Eindruck korrigieren. Doppelstrategie schwerer als für Männer. Von ihnen erwarte man in ei - nem viel höheren Maße Loyali - tät, Fürsorglichkeit. „Die Irrita - tion ist groß, wenn man be - merkt, dass eine Frau nicht für alle sorgt, sondern ihre eigenen Interessen verfolgt.“ Vor allem in den Augen anderer Frauen sei die Enttäuschung besonders groß. Aber Bauer-Jelinek ist sich nach 20 Jahren im Beruf sicher: „Wer es nicht schafft, sein öffent - liches Image von seiner Strate - gie in der Partei zu trennen, der kommt nie nach ganz oben.“ Kristina Schröders Loyalität wird sich auszahlen, solange die Bundeskanzlerin ihr gewogen bleibt. Doch für die Bürger, die A P D Familien und Frauen, zählt /

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H Annette Schavan ist erfolg - Nachwuchspolitikerin Schröder: „Solidarität und Absprachen sind Voraussetzung für gute Arbeit“ reich, aber sie macht Politik unterhalb der Wahrnehmungs - Morgens, wenn sie einen Kabinettskol - Das ist es, was Frauen wie Schavan so schwelle. So kann sie sich keine eigene legen in Radio oder Fernsehen darüber falsch und anbiedernd am Spiel von der Machtbasis sichern. Sie ist, wie Schröder, reden hört, was die Kanzlerin eigentlich Leyens finden: die Zweigesichtigkeit. von der Zugewandtheit der Kanzlerin ab - später am Tag sagen will, macht sie sich Christine Bauer-Jelinek berät Männer hängig. An Ursula von der Leyen aber gern darüber lustig. Sie sagt dann, da kön - und Frauen aus Wirtschaft und Politik in kommt wohl niemand mehr vorbei. Auch ne jemand wieder nicht an einem Mikro - Karrierefragen. Sie ist Psychotherapeutin Angela Merkel nicht. fon vorbeigehen. Mikrofone umgeht An - und führt ein Institut für Macht-Kompe - Im vergangenen Sommer sprach Ursula nette Schavan weiträumig. tenz in Wien. Bauer-Jelinek weiß um die von der Leyen mit dem SPIEGEL über Wie viele andere Frauen empfindet Vorbehalte, die Frauen gegenüber dem Macht. Eine Frage lautete: „Es wird Ihnen Schavan eine Abneigung gegen das Ge - Zweigesichtigen empfinden. Sie nennt es nachgesagt, Sie seien bisweilen eine recht rangel um Deutungshoheit und Einfluss. „die Doppelstrategie“. Für Bauer-Jelinek kalte Machtpolitikerin. Empfinden Sie Für Schavan ist dieser Teil des Spiels um ist diese Strategie der einzige Weg, der das als Kompliment?“ die Macht falsch, anbiedernd. Eine schmut - nach oben führt. „Ach, Machtpolitikerin“, antwortete zige Arbeit. Sie will allein um der Sache „In der Politik hat sie eine ganz beson - von der Leyen damals. „Das ist so ein willen kämpfen. Sie ist ja der Typus der dere Bedeutung“, sagt Bauer-Jelinek. Nach Klischee. Ich versuche das, was ich für Themen. außen müsse man Klischees und Rollen - richtig halte, in der Politik durchzu - Auf die Frage, wie wichtig ihr Macht bilder bedienen, um Sympathiepunkte setzen.“ sei, hat Alice Schwarzer 2006 in einem vom Wähler zu erhalten. Für Frauen hei - Was hätte Bauer-Jelinek einer Politi - Interview gesagt: „Macht an sich ist doch ße das, weich, offen, unkompliziert, char - kerin geraten, die auf ihre Machtstrategie vollkommen uninteressant!“ Wichtig sei mant zu wirken. Die Rolle der Mutter, angesprochen wird? allein, wozu man seine Macht nutze. des Kumpeltyps biete sich gut an. So sol - „Unbedingt ausweichen. Auf die eige - Doch bereits als Volontärin habe sie ge - len sich die Frauen nach außen, in der nen Ideale verweisen. Und sagen, man merkt, dass es wichtig sei, eine Position Öffentlichkeit, präsentieren. sei so, wie man ist.“

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