Plenarprotokoll 18/170

Deutscher

Stenografischer Bericht

170. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2016

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) neten Dr. h. c. ...... 16689 A (Erklärung nach § 30 GO)...... 16702 D Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung ...... 16689 B Tagesordnungspunkt 4: Absetzung der Tagesordnungspunkte 5, 18 c a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und und 24 a...... 16690 A SPD: Fluchtursachen bekämpfen – Auf- Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 16690 A nahmestaaten um Syrien sowie Libyen entwicklungspolitisch stärken Begrüßung des Präsidenten der Staatsver- Drucksache 18/8393...... 16703 B sammlung der Republik Slowenien, Herrn ­Milan Brglez ...... 16700 D b) Antrag der Abgeordneten , , Tom Koenigs, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Tagesordnungspunkt 3: GRÜNEN: 25 Jahre Waffenstillstands- abkommen in der Westsahara – UN-Re- Erste Beratung des von der Bundesregierung solution 690 umsetzen, Referendum eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur durchführen Erleichterung des Ausbaus digitaler Hoch- Drucksache 18/8247...... 16703 B geschwindigkeitsnetze (DigiNetzG) Drucksache 18/8332...... 16690 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und hu- , Bundesminister manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- BMVI ...... 16690 D ordneten Dr . , Claudia (DIE LINKE)...... 16692 A Roth (Augsburg), , weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Martin Dörmann (SPD)...... 16693 C NIS 90/DIE GRÜNEN: Interministerielle Zusammenarbeit bei der Bewältigung Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ der Fluchtkrise in Drittstaaten verbes- DIE GRÜNEN)...... 16694 C sern (CDU/CSU) ...... 16696 C Drucksachen 18/6772, 18/8430...... 16703 C (SPD) ...... 16698 A Dr . Gerd Müller, Bundesminister BMZ. . . . . 16703 C (CDU/CSU)...... 16699 B Heike Hänsel (DIE LINKE)...... 16705 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ Axel Schäfer (Bochum) (SPD)...... 16707 B DIE GRÜNEN)...... 16700 B (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 16701 A DIE GRÜNEN)...... 16708 A Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 16701 D Dagmar G . Wöhrl (CDU/CSU)...... 16709 B II Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Katja Keul (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 23: DIE GRÜNEN)...... 16710 D a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (SPD)...... 16711 D rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 29. Juni Heike Hänsel (DIE LINKE)...... 16712 C 2015 zwischen der Regierung der Bun- Dr . (CDU/CSU)...... 16714 A desrepublik Deutschland und der Regie- rung der Republik Kosovo über die jus- Michelle Müntefering (SPD) ...... 16715 B tizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (CDU/CSU)...... 16716 B Drucksache 18/8211...... 16733 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Zusatztagesordnungspunkt 2: zes zu dem Abkommen vom 24. Septem- Erste Beratung des von den Abgeordneten ber 2014 zwischen der Regierung der Hans-Christian Ströbele, Renate Künast, Bundesrepublik Deutschland und der Dr ., weiteren Abgeordne- Regierung der Republik Ruanda über ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Luftverkehr NEN eingebrachten Entwurfs eines ... Geset- Drucksache 18/8296...... 16733 A zes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Streichung des Majestätsbeleidigungspara- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- grafen (§ 103 StGB) rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Tierische Neben- Drucksache 18/8123...... 16717 C produkte-Beseitigungsgesetzes und zur Änderung des BVL-Gesetzes Drucksache 18/8335...... in Verbindung mit 16733 B

Zusatztagesordnungspunkt 3: Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Abgeordneten a) Antrag der Abgeordneten Dr . Harald Terpe, (Havelland), Frank Tempel, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz- Dr .André Hahn, weiteren Abgeordneten und Asche, weiterer Abgeordneter und der der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: wurfs eines . .Gesetzes . zur Änderung des Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Ver- Strafgesetzbuches – Neuordnung der Belei- sicherten sorgsam umgehen – Mehr digungsdelikte Transparenz und bessere Aufsicht über Drucksache 18/8272...... 16717 D die Selbstverwaltung im Gesundheits- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ wesen DIE GRÜNEN)...... 16717 D Drucksache 18/8394...... 16733 B Dr .V olker Ullrich (CDU/CSU)...... 16719 C b) Antrag der Abgeordneten Dr .V alerie Wilms, , Stephan Kühn Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ (Dresden), weiterer Abgeordneter und der DIE GRÜNEN)...... 16721 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE). . . . 16721 C Pkw-Maut zurückziehen und Konflikt mit der EU-Kommission beenden Dr . Eva Högl (SPD) ...... 16723 A Drucksache 18/8397...... 16733 C (CDU/CSU) ...... 16724 A

Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 24: DIE GRÜNEN)...... 16726 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Christian Flisek (SPD) ...... 16727 C Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (CDU/CSU)...... 16728 D eines Gesetzes zur Aktualisierung der Strukturreform des Gebührenrechts des Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ Bundes DIE GRÜNEN)...... 16729 A Drucksachen 18/7988, 18/8431...... 16733 C Dr . (DIE LINKE) ...... 16730 C c) Zweite und dritte Beratung des von der Thorsten Frei (CDU/CSU)...... 16730 D Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die weitere Dr . (SPD)...... 16731 B Bereinigung von Bundesrecht Alexander Hoffmann (CDU/CSU)...... 16732 B Drucksachen 18/7989, 18/8423...... 16733 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 III

d) Zweite und dritte Beratung des von der – zu dem Antrag der Abgeordneten Ka- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs trin Werner, Sigrid Hupach, Matthias eines Gesetzes zu dem Protokoll vom W . Birkwald, weiterer Abgeordneter 11. Januar 2016 zur Änderung des Ab- und der Fraktion DIE LINKE: Eine kommens vom 12. April 2012 zwischen halb barrierefreie Gesellschaft reicht der Bundesrepublik Deutschland und nicht aus – Privatwirtschaft zu Bar- dem Königreich der Niederlande zur rierefreiheit verpflichten Vermeidung der Doppelbesteuerung – zu dem Antrag der Abgeordneten Co- und zur Verhinderung der Steuerver- rinna Rüffer, , Britta kürzung auf dem Gebiet der Steuern Haßelmann, weiterer Abgeordneter und vom Einkommen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksachen 18/8208, 18/8400...... 16734 A NEN: Behindertengleichstellungs- recht mutig weiterentwickeln e) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksachen 18/7874, 18/7877, 18/8428. . . 16748 B schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Streitverfahren vor dem Bun- , Bundesministerin BMAS . . . . 16748 C desverfassungsgericht 2 BvR 2453/15 (DIE LINKE) ...... 16749 D Drucksache 18/8410...... 16734 B (CDU/CSU)...... 16751 B f)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Matthias W . Birkwald (DIE LINKE). . . . . 16752 A Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 309, 310, 311 und 312 zu Petitionen Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 18/8253, 18/8254, 18/8255, DIE GRÜNEN)...... 16753 C 18/8256...... 16734 C (SPD)...... 16754 D Dr . (CDU/CSU) ...... 16756 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 16756 C Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Aktuelle Entwicklungen beim EU-Türkei-Abkommen Namentliche Abstimmungen. . . . . 16758 A, 16761 C (DIE LINKE)...... 16735 A (Altötting) (CDU/CSU). . . . . 16736 B Ergebnisse...... 16758 C, 16765 C Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 16737 C Tagesordnungspunkt 8: Uli Grötsch (SPD)...... 16738 C a) Antrag der Abgeordneten , (CDU/CSU) ...... 16739 B , , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 16740 B Drohende Streckenstilllegungen verhin- Dr . (SPD)...... 16741 C dern – Keine Kürzung bei Regionalisie- rungsmitteln in Ostdeutschland (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/8392...... 16762 A DIE GRÜNEN)...... 16743 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU) ...... 16744 B Ausschusses für Verkehr und digitale Infra- Dr . Dorothee Schlegel (SPD)...... 16745 C struktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Caren Lay, (CDU/CSU)...... 16746 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Drohende Streckenstillle- Dr . (CDU/CSU)...... 16747 B gungen verhindern – Regionalisierungs- mittel erhöhen Drucksachen 18/8074, 18/8362...... 16762 A Tagesordnungspunkt 6: Caren Lay (DIE LINKE) ...... 16762 B a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (CDU/CSU)...... 16763 C eines Gesetzes zur Weiterentwicklung Sabine Leidig (DIE LINKE)...... 16764 D des Behindertengleichstellungsrechts Drucksachen 18/7824, 18/8428...... 16748 B Michael Donth (CDU/CSU)...... 16765 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ Ausschusses für Arbeit und Soziales DIE GRÜNEN)...... 16768 A IV Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Michael Groschek, Minister der Hebammen und Entbindungspfleger (Nordrhein-Westfalen) ...... 16769 B sichern – Finanzielle Sicherheit und ein neues Berufsbild schaffen (CDU/CSU) ...... 16770 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth (SPD)...... 16771 B Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, , weiterer Abgeordneter und der (CDU/CSU)...... 16772 B Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geburtshilfe heute und in Zukunft si- Namentliche Abstimmung ...... 16773 B chern – Haftpflichtproblematik bei Heb- ammen und anderen Gesundheitsberu- fen entschlossen anpacken Ergebnis ...... 16775 C Drucksachen 18/1483, 18/850, 18/8426. . . . . 16790 D Dr . Roy Kühne (CDU/CSU)...... 16791 A Tagesordnungspunkt 7: Cornelia Möhring (DIE LINKE) ...... 16792 A – Zweite und dritte Beratung des von der Dr . Roy Kühne (CDU/CSU)...... 16792 D Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Bettina Müller (SPD) ...... 16793 C Besteuerungsverfahrens Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 18/7457, 18/8434...... 16773 C DIE GRÜNEN)...... 16796 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß (CDU/CSU) ...... 16797 B § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8435...... 16773 C Birgit Wöllert (DIE LINKE)...... 16798 C Dr . h . c . (CDU/CSU). . . . . 16773 D (CDU/CSU)...... 16799 B Dr . (DIE LINKE) ...... 16777 D (SPD)...... 16779 A Tagesordnungspunkt 11: Dr .Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- DIE GRÜNEN)...... 16780 B wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Margaret Horb (CDU/CSU)...... 16781 B Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräf- Dr . Jens Zimmermann (SPD)...... 16783 A te an der Militärmission der Europäi- schen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) Tagesordnungspunkt 9: auf Grundlage des Ersuchens der Regie- rung von Mali an die EU sowie der Be- Erste Beratung des von der Bundesregierung schlüsse des Rates der EU 2013/87/GASP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur vom 18. Februar 2013, zuletzt geändert Änderung soldatenbeteiligungs- und perso- mit dem Beschluss des Rates der EU nalvertretungsrechtlicher Vorschriften 2016/446/GASP vom 23. März 2016 in Drucksache 18/8298...... 16783 D Verbindung mit den Resolutionen des Dr . , Bundesministerin Sicherheitsrates der Vereinten Nationen BMVg...... 16784 A 2071 (2012) vom 12. Oktober 2012 und folgender Resolutionen, zuletzt 2227 (DIE LINKE) ...... 16784 D (2015) vom 29. Juni 2015 (SPD) ...... 16785 D Drucksachen 18/8090, 18/8284...... 16800 C Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß DIE GRÜNEN)...... 16787 C § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8285...... 16800 C Ingo Gädechens (CDU/CSU)...... 16788 C Christoph Strässer (SPD) ...... 16800 C (CDU/CSU) ...... 16789 C Christine Buchholz (DIE LINKE) ...... 16801 C (CDU/CSU)...... 16802 C Tagesordnungspunkt 10: Dr . Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- DIE GRÜNEN)...... 16804 B schusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia (SPD)...... 16805 A Möhring, Birgit Wöllert, Sabine Zimmer- Dagmar G . Wöhrl (CDU/CSU)...... 16806 A mann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zukunft Michael Vietz (CDU/CSU)...... 16807 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 V

Namentliche Abstimmung ...... 16808 C Matthias Ilgen (SPD) ...... 16819 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 16820 B Ergebnis ...... 16810 C Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 16821 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 12: DIE GRÜNEN)...... 16822 B Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (CDU/CSU)...... 16823 B schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, , Sabine Zimmermann Namentliche Abstimmung ...... 16823 D (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Ergebnis ...... 16826 D Markus Kurth, Corinna Rüffer, Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: DDR-Altübersiedlerinnen und -Altüber- Tagesordnungspunkt 14: siedler sowie DDR-Flüchtlinge vor Renten- Antrag der Abgeordneten , Ni- minderungen schützen – Gesetzliche Rege- cole Maisch, , weiterer lung im SGB VI verankern Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Drucksachen 18/7699, 18/8429 ...... 16808 D DIE GRÜNEN: Vorsorgeprinzip ernst neh- (SPD) ...... 16809 A men – Keine erneute Genehmigung für Gly- phosat Matthias W . Birkwald (DIE LINKE)...... 16813 A Drucksache 18/8395...... 16824 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU). . . . 16814 B Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 16824 C DIE GRÜNEN)...... 16815 D Hermann Färber (CDU/CSU)...... 16825 B Dr . (SPD)...... 16816 D Dr . (DIE LINKE)...... 16829 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Rita Hagl-Kehl (SPD)...... 16830 D DIE GRÜNEN)...... 16817 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU)...... 16817 C DIE GRÜNEN)...... 16831 C (CDU/CSU)...... 16832 A Tagesordnungspunkt 13: Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- DIE GRÜNEN)...... 16833 C wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ingrid Pahlmann (CDU/CSU)...... 16834 A Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräf- Elvira Drobinski-Weiß (SPD)...... 16834 B te an der durch die Europäische Uni- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ on geführten Operation EU NAVFOR DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung). . . 16835 B Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage (SPD) (zur Geschäfts- des Seerechtsübereinkommens der Ver- ordnung)...... 16836 A einten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai Tagesordnungspunkt 15: 2008 und weiterer Resolutionen, zuletzt 2246 (2015) vom 10. November 2015 und a) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- nachfolgender Resolutionen des Sicher- Schröter, Birgit Wöllert, , heitsrates der VN in Verbindung mit der weiterer Abgeordneter und der Fraktion Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP DIE LINKE: Kohleausstieg einleiten – des Rates der Europäischen Union (EU) Strukturwandel sozial absichern vom 10. November 2008, dem Beschluss Drucksache 18/8131...... 16837 A 2009/907/GASP des Rates der EU vom b) Antrag der Abgeordneten Eva Bul- 8. Dezember 2009 und weiterer Beschlüs- ling-Schröter, Birgit Wöllert, Caren Lay, se, zuletzt dem Beschluss 2014/827/GASP weiterer Abgeordneter und der Fraktion vom 21. November 2014 DIE LINKE: Fortsetzung der Braun- Drucksachen 18/8091, 18/8286...... 16819 A kohlesanierung in den Ländern Bran- – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß denburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und § 96 der Geschäftsordnung Thüringen nach dem Jahr 2017 Drucksache 18/8287...... 16819 A Drucksache 18/8112...... 16837 A VI Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 in Verbindung mit mann, , , Dr .Hans-Joachim Schabedoth, Dr .Dorothee Schlegel, , , Zusatztagesordnungspunkt 6: , Kerstin Tack und Waltraud Antrag der Abgeordneten Annalena Baer- Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zu den Ab- bock, Stephan Kühn (Dresden), Oliver Kri- stimmungen über den von der Bundesregie- scher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Braunkoh- zur Weiterentwicklung des Behindertengleich- lesanierung durch die Lausitzer und Mittel- stellungsrechts deutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (Tagesordnungspunkt 6 a)...... 16853 C mbH fortsetzen Drucksache 18/8396...... 16837 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE)...... 16837 B Anlage 3 Dr . Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU)...... 16838 C Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstim- mungen über den von der Bundesregierung Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE). . . . . 16838 D eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur (BÜNDNIS 90/ Weiterentwicklung des Behindertengleichstel- DIE GRÜNEN)...... 16839 D lungsrechts (SPD)...... 16841 A (Tagesordnungspunkt 6 a)...... 16854 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 16854 C DIE GRÜNEN)...... 16842 B Dr . (SPD)...... 16855 B Thomas Jurk (SPD)...... 16842 C Marco Bülow (SPD)...... 16855 D (CDU/CSU)...... 16843 A (SPD)...... 16844 D Anlage 4

Tagesordnungspunkt 16: Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hubert Hüppe (CDU/CSU) zu den Abstim- Antrag der Abgeordneten , Inge mungen über Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeord- – den von der Bundesregierung eingebrach- neter und der Fraktion DIE LINKE: Willy- ten Entwurf eines Gesetzes zur Weiterent- Brandt-Korps für eine solidarische huma- wicklung des Behindertengleichstellungs- nitäre Hilfe rechts und Drucksache 18/8390...... 16846 A – die Beschlussempfehlung des Ausschus- Inge Höger (DIE LINKE)...... 16846 B ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Kerstin (Chemnitz) (CDU/CSU). . . . 16847 A Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Ab- Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 16849 A DIE GRÜNEN: Behindertengleichstel- lungsrecht mutig weiterentwickeln Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) ...... 16849 D (Tagesordnungspunkt 6 a und b)...... 16856 C

Nächste Sitzung ...... 16851 C Anlage 5 Anlage 1 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Dr ., Ulrich Freese, Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . 16853 A , Steffen-Claudio Lemme, Dr . Simone Raatz, Matthias Schmidt (Berlin), (Spandau), und Anlage 2 (alle SPD) zu der namentlichen Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Abstimmung über die Beschlussempfehlung , Elvira Drobinski-Weiß, Micha- des Ausschusses für Verkehr und digitale In- ela Engelmeier, Karin Evers-Meyer, Ulrich frastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Freese, , Gabriele Groneberg, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Caren Lay, Michael Groß, Gabriele Hiller-Ohm, Christina weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Jantz-Herrmann, Cansel Kiziltepe, Hiltrud LINKE: Drohende Streckenstilllegungen ver- Lotze, , Bettina Müller, Ulli hindern – Regionalisierungsmittel erhöhen Nissen, (Minden), Stefan Reb- (Tagesordnungspunkt 8 b)...... 16856 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 VII

Anlage 6 , , Dr .T obias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Kordula chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- Schulz-Asche, , Doris Wagner lung des Ausschusses für Verkehr und digitale und Dr .V alerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung ten Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Caren Lay, über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- LINKE: Drohende Streckenstilllegungen ver- rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter hindern – Regionalisierungsmittel erhöhen deutscher Streitkräfte an der durch die Europä- (Tagesordnungspunkt 8 b)...... 16857 C ische Union geführten Operation EU NAVFOR Frank Junge (SPD)...... 16857 C Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechts- Thomas Jurk (SPD)...... 16858 B übereinkommens der Vereinten Nationen (VN) Detlef Müller (Chemnitz) (SPD)...... 16858 D von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15 .Mai 2008 und weiterer Resolutionen, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD)...... 16859 B zuletzt 2246 (2015) vom 10 .November 2015 und nachfolgender Resolutionen des Sicher- (SPD)...... 16859 D heitsrates der VN in Verbindung mit der Ge- meinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10 . No- Anlage 7 vember 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- des Rates der EU vom 8 . Dezember 2009 und ten Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Beschlüsse, zuletzt dem Beschluss (Bremen), Dr .Franziska 2014/827/GASP vom 21 . November 2014 Brantner, Ekin Deligöz, Dr .Thomas Gambke, (Tagesordnungspunkt 13)...... 16860 C

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16689

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170. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2016

Beginn: 9 .01 Uhr

Präsident Dr. : Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Innenausschuss Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- herzlich zu unserer Plenarsitzung . fahren Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem (Ergänzung zu TOP 23) Kollegen Gernot Erler zu seinem 72 .Geburtstag gra- tulieren, den er in der vergangenen Woche begangen hat . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Herzliche Glückwünsche und alles Gute für das neue Le- Dr . Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kor- bensjahr! dula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall) Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Versicher- (B) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages- ten sorgsam umgehen – Mehr Transparenz (D) ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten und bessere Aufsicht über die Selbstverwal- Punkte zu erweitern: tung im Gesundheitswesen ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Drucksache 18/8394 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Haltung der Bundesregierung zu TTIP b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr .V a- (siehe 169 . Sitzung) lerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordne- (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Frak- ten Hans-Christian Ströbele, Renate Künast, tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr .Konstantin von Notz, weiteren Abgeordneten Pkw-Maut zurückziehen und Konflikt mit der und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-Kommission beenden eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Strei- Drucksache 18/8397 chung des Majestätsbeleidigungsparagrafen Überweisungsvorschlag: (§ 103 StGB) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/8123 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Aktuelle Entwicklungen beim EU-Türkei-Ab- Auswärtiger Ausschuss kommen Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Anna- lena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Oliver ZP 3 Erste Beratung des von den Abgeordneten Harald Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Petzold (Havelland), Frank Tempel, Dr .André BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Ge- Braunkohlesanierung durch die Lausitzer setzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsge- Neuordnung der Beleidigungsdelikte sellschaft mbH fortsetzen Drucksache 18/8272 Drucksache 18/8396 16690 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Überweisungsvorschlag: Die am 28 . April 2016 gemäß § 80 Absatz 3 der Ge- (C) Haushaltsausschuss (f) schäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrich- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ sicherheit tung soll zusätzlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19 .Ausschuss) zur Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- Mitberatung überwiesen werden: weit erforderlich, abgewichen werden . Unterrichtung durch die Bundesregierung Des Weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 7 und 8 Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis ihre Plätze tauschen . Der Tagesordnungspunkt 5 – erste B und C und anderen sexuell übertragbaren Beratung des Entwurfs eines Bundespolizeibeauftrag- Infektionen tengesetzes – wird abgesetzt . Stattdessen sollen die Ge- setzentwürfe auf den Drucksachen 18/8123 und 18/8272 BIS 2030 – Bedarfsorientiert, Integriert, Sek- aufgerufen werden . Hier geht es um Änderungen des torübergreifend Strafgesetzbuches . Drucksache 18/8058 Darüber hinaus sollen auch der Tagesordnungs- Überweisungsvorschlag: punkt 18 c – Beratung der Beschlussempfehlung zum Ausschuss für Gesundheit (f) Antrag mit dem Titel „Dem CETA-Abkommen so nicht Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zustimmen“ – und der Tagesordnungspunkt 24 a – Ent- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Agrarmarktstruk- wicklung turgesetzes – abgesetzt werden . Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Änderungen einver- Schließlich mache ich noch auf mehrere nachträgli- standen sind . – Das ist offensichtlich der Fall . Damit ist che Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz- das so beschlossen . punkteliste aufmerksam: Dann rufe ich unseren Tagesordnungspunkt 3 auf: Der am 14 . April 2016 (164 . Sitzung) überwiese- Erste Beratung des von der Bundesregierung ne nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend leichterung des Ausbaus digitaler Hochge- (13 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: schwindigkeitsnetze (DigiNetzG) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Drucksache 18/8332 gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Überweisungsvorschlag: Änderung arzneimittelrechtlicher und ande- (B) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) (D) rer Vorschriften Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/8034 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ Überweisungsvorschlag: sicherheit Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Aussprache dazu soll nach einer Vereinbarung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ zwischen den Fraktionen 60 Minuten dauern .– Auch sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ dazu stelle ich Einvernehmen fest . Dann verfahren wir abschätzung so . Der am 14 . April 2016 (164 . Sitzung) überwiesene Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesmi- nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus- nister Dobrindt das Wort . schuss für Kultur und Medien (22 .Ausschuss) zur Mit- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und beratung überwiesen werden: der SPD) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr Stärkung der beruflichen Weiterbildung und und digitale Infrastruktur: des Versicherungsschutzes in der Arbeitslo- Werter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! senversicherung (Arbeitslosenversicherungs- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute einge- schutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz – brachten Entwurf des sogenannten DigiNetz-Gesetzes ­AWStG) stellen wir die drei Is in den Vordergrund unserer Digital- Drucksache 18/8042 strategie: Investition, Innovation und Infrastruktur . Das ist ein Meilenstein in der Gigabitstrategie der Bundes- Überweisungsvorschlag: regierung mit dem klaren Prinzip: Jede Baustelle schafft Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Bandbreite . Das heißt, zukünftig gibt es eine Investiti- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie onskombination . Überall, wo der Bund in seine Netze Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ investiert, wird automatisch Breitband mitverlegt . abschätzung Ausschuss für Kultur und Medien (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16691

Bundesminister Alexander Dobrindt (A) Das ist in einer Situation, die wir gern als Substanzre- Damit haben wir uns im Wirtschafts-Digitalindex auf (C) volution von Wirtschaft und Gesellschaft beschreiben, Platz vier vorgeschoben . Die Länge der verlegten Glas- die notwendige Maßnahme, um den dynamischen Inno- faserkabel hat sich seit dem Beginn der Legislaturperiode vationsphasen Rechnung zu tragen und den Ausbau der mehr als verdoppelt . Glasfaser massiv voranzutreiben . Das zweite Element ist die Förderung der Regionen . Wir werden einen sprunghaften Anstieg beim Daten- Wir haben im November des vergangenen Jahres das volumen in den nächsten Jahren erleben . Bis 2020 wird Bundesprogramm für superschnelles Breitband gestartet sich das weltweite Datenvolumen verzehnfachen . Da- mit einem Volumen von insgesamt 2,7 Milliarden Euro ran sieht man, wie dynamisch sich das Wachstum wei- für unterversorgte Kommunen und Landkreise . Das klare ter abbilden wird . Wir erleben nach der Vernetzung der Prinzip lautet hier: Vorfahrt für Glasfaser . Wir haben seit- Menschen durch Communitys, soziale Netzwerke und dem bereits 340 Planungs- und Beratungsprojekte unter- Kommunikationsdienste wie Skype oder WhatsApp den zeichnen können . Wir haben im April dieses Jahres, also nächsten Schritt dieser Revolution, nämlich die Vernet- im letzten Monat, die ersten Bescheide zur Förderung zung der Dinge, das Internet of Everything mit Industrie der konkreten Ausbauprojekte übergeben . Damit bewe- 4 0,. Smart Home sowie dem automatisierten und ver- gen wir in einem allerersten Schritt 420 Millionen Euro netzten Fahren . Dieser Schritt ist so bedeutsam für uns, Bundesmittel und tätigen damit eine Gesamtinvestition weil die Digitalisierung an dieser Stelle unsere Stärken in Höhe von 1,2 Milliarden Euro in die Netze . erreicht . Als führende Industrienation, Weltmarktführer Das heißt konkret: Wir bringen auf einen Schlag bei Maschinen und Autos sowie als Maßstab bei Infra- 55 Landkreise und Kommunen, mehr als 500 000 Haus- struktur und Bau sind wir schlichtweg das Land der Din- halte und Gewerbebetriebe, an das superschnelle Breit- ge . Wenn es nun um die Vernetzung der Dinge geht, ist bandnetz, wobei der ganz überwiegende Teil davon Zu- genau das der Punkt, an dem die Stärken der Eigentümer gang zum Glasfasernetz erhält . Insgesamt werden 26 000 der Maschinen die Nutzung der Daten mit voranbringen Kilometer Glasfaser alleine mit diesem ersten Zuschlag können . Das wird durch eine Reihe von Studien so be- mit Förderbeträgen ausgebaut . Das ist ein erheblicher legt . Vor zwei Tagen gab es eine neue Studie der GfK . Beitrag zum Ausbau der Glasfaser in Deutschland . Deutschland ist inzwischen in Europa das am meisten vernetzte Land und weltweit unter den Top Fünf . Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) werden einen wesentlichen Teil der 50 Milliarden Dinge, Heute gehen wir mit dem DigiNetz-Gesetz das dritte die in den nächsten Jahren online verbunden werden, in Element der Gigabitstrategie an, um eine weitere Dyna- Deutschland erleben . Allein 15 Milliarden davon wer- misierung des Glasfaserausbaus in Deutschland zu errei- den – so die Prognosen – in Deutschland vernetzt . chen . Wir öffnen damit zum allerersten Mal klassische (B) Infrastrukturen dem Glasfaserausbau, heißt: Wo geeigne- (D) Jetzt geht es darum, dass wir diese Stärken auch stra- te klassische Infrastrukturen wie beispielsweise Energie-, tegisch einsetzen . Die Voraussetzung dafür ist eine leis- Schienen- oder Straßennetze mit freien Kapazitäten zur tungsfähige digitale Infrastruktur . Wir stehen bei dieser Verfügung stehen, können Digitalunternehmen zukünftig Digitalisierung, dieser Substanzrevolution, nicht nur in die Glasfaserinfrastruktur gleich mitinstallieren . einem Wettbewerb der Unternehmen, wie es gerne im- mer wieder beschrieben wird, sondern in Wahrheit auch Das schafft natürlich erhebliche Synergien, sorgt da- in einem Wettbewerb der Regionen der Welt . Diesen für, dass die Kosten gesenkt werden, und sorgt übrigens Wettbewerb gilt es weiterhin maßgeblich zu beeinflus- noch für etwas anderes: Viele unserer Bürger irritiert seit sen . Das kann nur mit Bandbreite funktionieren . Der kla- langer Zeit, dass bei dem Neubau einer Straße nach kur- re Grundsatz lautet: Wer die Netze hat, erzielt die Wert- zer Zeit die Straße wieder in Teilen aufgerissen wird, um schöpfung . Wer nicht komplett digitalisiert, verliert im Kabel zu verlegen, um das Breitbandnetz auszubauen . internationalen Wettbewerb . Anschließend wird die Straße wieder zugeteert . Das hat zukünftig ein Ende . Überall da, wo der Bund investiert, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) überall da, wo klassische Infrastruktur neu entsteht, wird zukünftig automatisch in die Glasfaserinfrastruktur mit­ Die Aufgabe ist deswegen klar . Wir brauchen das stärkste investiert . Highspeednetz der Welt . Dafür haben wir in der Koaliti- on zu Beginn der Legislaturperiode eine Gigabitstrategie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gestartet mit drei Grundsäulen . ordneten der SPD) Das gilt übrigens auch für Neubaugebiete im Wohn- Die erste war die Aktivierung des Marktes . Wir haben und im Gewerbebereich . Das Phänomen, dass man Neu- die Netzallianz Digitales Deutschland gegründet und alle baugebiete erschließt und eine alte Kupferinfrastruktur investitions- und innovationswilligen Unternehmen für verlegt, hat jetzt ein Ende . Es wird in Zukunft im Neu- eine gemeinsame Initiative an einen Tisch gebracht . Die baubereich nichts anderes mehr als Glasfaser geben . Das Unternehmen in der Netzallianz Digitales Deutschland sind die notwendigen, innovativen Schritte, um die Zu- haben für das Jahr 2016 zugesagt, 8 Milliarden Euro in kunftsfähigkeit der Breitbandnetze zu erhalten . den Ausbau der superschnellen Breitbandnetze zu inves- tieren . Dieses Ziel wird auch erreicht werden . Ich darf ein Beispiel dafür bringen, was dies an Kosten­einsparung mit sich bringt . Jede Verlegung von (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 1 Meter Glasfaser kostet durchschnittlich rund 80 Euro . NEN]: Wer es glaubt, wird selig!) Wenn wir die Glasfaser gleich mitverlegen, wenn wir 16692 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Bundesminister Alexander Dobrindt (A) ohnehin in unsere Infrastruktur investieren, dann sinken Die EU-Richtlinie wird vom Bundesverband Breit- (C) die Kosten auf 17,50 Euro . Das heißt, wir haben rund bandkommunikation kritisiert . Es wird insbesondere 80 Prozent Kosteneinsparung, die wir wiederum nutzen darauf hingewiesen: Das, was an Einsparvolumen ange- können, um zusätzlich zu investieren . Das ist der richtige kündigt worden ist, ist überhaupt nicht realisierbar, weil Weg, den wir jetzt gemeinsam gehen . es voraussetzt, dass bis zu 80 Milliarden Euro investiert werden müssen . Von diesen Summen sind wir weit ent- Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen fernt . Das heißt, das angekündigte Einsparvolumen wird der Koalition im Verkehrsausschuss, die es möglich ge- es überhaupt nicht geben . macht haben, dass wir diese weitreichenden Entschei- dungen hin zur Gigabitgesellschaft jetzt treffen können . Wir haben es mit einem Gesetzentwurf zu tun, mit Das DigiNetz-Gesetz schafft mehr Bandbreite, es schafft dem man sich im Wesentlichen um die Umsetzung einer weniger Bürokratie, es schafft Einsparungen in Milliar- EU-Richtlinie kümmert . Diese Richtlinie ist seit 2014 denhöhe und es stärkt das Highspeednetz der Welt . in Kraft . Eigentlich sollte sie schon zum 1 .Januar 2016 in nationales Recht umgesetzt sein und die Zukunft des Das ist meine Gigabitstrategie, das ist die Gigabitstra- Breitbandausbaus regeln . Geregelt sein sollte auch, ob tegie der Bundesregierung für den Ausbau der digita- zukünftig vorhandene Infrastruktur, seien es Ver- und len Netze in Deutschland . Wir bewegen uns mit großen Entsorgungsleitungen der Kommunen oder auch ande- Sprüngen auf die Gigabitgesellschaft und Bandbreite für re Leitungen, intensiver genutzt werden sollte, weil es alle zu . günstiger zu sein scheint . Auch der Zugang zu bereits Danke schön . verlegten Kabeln und Leerrohren soll geregelt werden . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aber so flott geht es nun doch nicht mit dem schnellen Internet aus dem Hause Dobrindt . Man könnte ja geneigt Präsident Dr. Norbert Lammert: sein, zu glauben, dass besonders gründlich gearbeitet Herbert Behrens ist der nächste Redner für die Frak- wird, wenn alles ein bisschen länger dauert, zu glauben, tion Die Linke . dass die Vorschläge und Anregungen der betroffenen Länder und Kommunen einbezogen werden oder dass die (Beifall bei der LINKEN) Verbände, die kommunalen Verbände und auch die pri- vaten Wirtschaftsverbände, gefragt werden, was in die- Herbert Behrens (DIE LINKE): sem Gesetz geregelt werden muss, um den Sprung in die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Gigabitgesellschaft wirklich zu vollziehen . Das scheint Erläuterung für die Zuhörer auf den Tribünen: Auch wenn nicht passiert zu sein . Die Kritik ist, wie gesagt, vernich- (B) im Titel, etwas verkürzt, vom Ausbau digitaler Hochge- tend, insbesondere in Bezug auf das Einsparvolumen von (D) schwindigkeitsnetze die Rede ist, gilt, dass wir gerade 20 Milliarden Euro . darüber heute nicht reden . Wir reden vielmehr über die Der Verband kommunaler Unternehmen, VKU – in- Umsetzung einer Richtlinie der EU, in der es darum geht, zwischen trägt dort eine ehemalige Staatssekretärin Ver- diese Netze erleichtert auszubauen . Leider sind wir beim antwortung –, spricht von einem inkonsistenten Gesetz, Ausbau noch weit hinter dem zurück, was nötig ist . von überhöhten Erwartungen und davon, dass die kon- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ventionelle Verlegung oft kostengünstiger sei als die jetzt neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hier angedachte . Das bestätigte auch mir ein Netzbetrei- ber, und er nannte mir auch Zahlen . Er sagte: 1 Meter Das lässt sich auch nicht hinter wortgewaltigen Dar- Tiefbau im klassischen Sinne kostet zwischen 20 und stellungen verbergen, wie sie vom Verkehrsminister 30 Euro . Die komplizierte, technisch sehr aufwendig kommen . Er spricht, geradezu bombastisch, vom Sprung umzusetzende Idee, die Ver- und Entsorgungsinfrastruk- in die Gigabitgesellschaft, etwa indem er sagt: Wir ma- tur oder sogar das Gasnetz zu nutzen, kostet 80 Euro . chen Deutschland fit für die Gigabitgesellschaft. Jede Das heißt, wer hier von Infrastrukturkosteneinsparungen Baustelle bringe Bandbreite, wurde eben noch einmal spricht, der hat irgendetwas nicht mitbekommen . gesagt . Im Gesetzentwurf steht, „ohne die Umsetzung der Maßnahmen der Kostensenkungsrichtlinie“ werde (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- „auf die Chance verzichtet, auf allen Stufen des Ausbaus neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze Kosten zu senken Der Verband der Anbieter von Telekommunikations- oder zu vermeiden“ . und Mehrwertdiensten schreibt in seiner Stellungnahme, 20 Milliarden Euro sollen in den nächsten drei Jahren die Kostenreduzierung sei extrem hoch angesetzt . Auch eingespart werden, wenn der Glasfaserausbau vorange- private Kabelanbieter wie beispielsweise Unitymedia sa- trieben wird . Dass dies gelingt, wird doch nur vom Ver- gen, die Zahlen seien sehr hoch gegriffen und in keiner kehrsminister, nur von Herrn Dobrindt, behauptet . Wenn Weise belegt . Auch das ist ein Hinweis, den wir auf jeden ich mir einmal die Stellungnahmen der Verbände ganz Fall wahrnehmen müssen . genau anschaue – ich meine damit nicht nur die uns na- Was ist statt dieser vollmundigen Ankündigungen not- hestehenden Verbände, sondern alle –, dann komme ich wendig? zu dem Ergebnis: Es muss wahrgenommen werden, dass es intensive, fundierte Kritik der Verbände an diesem Erstens . Die bereits vorhandene Infrastruktur beim Gesetzentwurf gibt . Einige der Kritikpunkte möchte ich Netzausbau muss konsequent genutzt werden . Wir brau- nennen . chen da nichts Neues zu erfinden. Schließlich sind Ver- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16693

Herbert Behrens (A) und Entsorgungsleitungen schon heute nutzbar, aber sie gien – die haben wir wirklich in Hülle und Fülle –, son- (C) werden nicht genutzt . Ich habe die Gründe dafür eben dern wir brauchen eine konsequente, eine einheitliche, genannt . Es ist einfach teurer, diese vorhandene Infra- eine abgesprochene, koordinierte Strategie der zuständi- struktur zu nutzen . gen Ministerien . Daran fehlt es bisher für die Zukunft . Ich fürchte, dass wir an dieser Stelle auch mit dem Di- Das alles fordert beispielsweise auch der Bundesrat; er giNetz-Gesetz überhaupt keinen Schritt weiterkommen . fordert, dort offensiver heranzugehen . Dazu gehört bei- spielsweise, dass man Einsicht in den Infrastrukturatlas Vielen Dank . bekommt . Heute ist es nur möglich, diesen Atlas, in dem alle Ver- und Entsorgungsleitungen verzeichnet sind, ein- (Beifall bei der LINKEN) zusehen, wenn man ein konkretes Projekt vor sich hat . Das ist zu wenig, um wirklich eine wegweisende Strate- Präsident Dr. Norbert Lammert: gie zu entwickeln, die im Vordergrund sieht, dass wir un- Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Martin versorgte Gebiete mit Glasfaserkabel versorgen müssen . Dörmann das Wort . Also an dieser Stelle muss der Gesetzentwurf umgeän- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dert werden . Er sieht hier lediglich vor, dass Investoren – der CDU/CSU) private oder öffentliche – in diese Liste hineinschauen können sollen . Insofern muss dieser Atlas „geöffnet“ werden . Martin Dörmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zweitens . Wir brauchen verlässliche und realisierbare „Schnelles Internet für alle“, das ist das erklärte Ziel der Investitionen in den Netzausbau . Ankündigungen brin- Koalition . Bis 2018 soll jeder Haushalt in Deutschland gen keinen Euro . Es reicht nicht aus, ausschließlich an über eine Versorgung mit mindestens 50 Megabit pro den Rahmenbedingungen herumzudoktern, um die In- Sekunde verfügen . 2014 haben wir hier im Bundestag vestoren einmal so weit zu bringen, dass sie nun doch einen Antrag verabschiedet, der ein Maßnahmenpaket ihr Geld in dieses Feld investieren . Der Breitbandausbau beschrieben hat, um dieses sehr ambitionierte Ziel auch mit Glasfaser ist eine öffentliche Aufgabe . Dazu gehören tatsächlich zu erreichen . Denn es sei daran erinnert: Zu Investitionen aus dem Bundeshaushalt . Andere Staaten Beginn der Wahlperiode lag die Versorgungsquote bei haben es vorgemacht . Da sind wir heute im Industrieland gerade einmal 60 Prozent . Jetzt liegen wir immerhin Deutschland noch weit hinten dran . Das sagen uns die schon bei über 70 Prozent . Aber wir alle wissen, genau Zahlen . die letzten 30 Prozent sind die, die am schwersten zu er- Drittens . Bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zur schließen sind . (B) Kostenreduzierung gehört auch dazu, dass parallele Net- (D) ze verhindert werden, dass der sogenannte Überbau ver- Das liegt an den bestehenden Wirtschaftlichkeitslü- hindert wird . Wenn das nicht geschieht, werden Investiti- cken insbesondere aufgrund der Kosten für Tiefbauar- onen von privaten, aber auch von öffentlichen Investoren beiten, namentlich für die Verlegung von Glasfaserlei- entwertet . Das bedeutet einen massiven volkswirtschaft- tungen . Gerade hier setzt der von der Bundesregierung lichen Schaden, und das ist eindeutig das Gegenteil von vorgelegte Entwurf für ein DigiNetz-Gesetz an . Vorgese- Kosteneinsparung . hen sind darin beispielsweise eine verbesserte Nutzung bestehender Infrastrukturen, eine verpflichtende Mit- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) verlegung von Leerrohren und Glasfaserleitungen oder Die Linke hat immer wieder die fehlenden öffentli- auch ein transparenteres Informationssystem . Das alles chen Investitionen im Glasfaserausbau kritisiert . Ange- zusammen wird die Kosten signifikant senken und einen sichts dieses Gesetzentwurfs wird sich das nicht ändern . wesentlichen Beitrag zu einem günstigeren und damit Wir haben gefordert, dass die Telekom AG als marktbe- schnelleren Breitbandausbau leisten . herrschendes Unternehmen, an dem der Bund ja zumin- Wir werden im parlamentarischen Verfahren selbst- dest immer noch beteiligt ist, eine besondere Rolle spie- verständlich genau prüfen, lieber Kollege Behrens, wo len muss . Doch die Telekom wird nicht mit Forderungen noch Nachbesserungen am Gesetzentwurf nötig sind, da- konfrontiert, sondern im Gegenteil, sie wird geschützt, mit dieser eine optimale Wirkung erzielen kann . Ich bin wenn es darum geht, dass andere Anbieter ihre Infra- ganz zuversichtlich, dass uns das gelingen wird . struktur – gegen Gebühr selbstverständlich – mit nutzen wollen . Die Telekom soll die Infrastruktur ja nicht ein- (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Okay!) fach altruistisch kostenlos zur Verfügung stellen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich die Interessant ist dabei auch, dass von der Telekom an Gelegenheit nutzen, noch einmal darauf hinzuweisen, diesem Gesetz keine laute Kritik kommt . Nur dort, wo was wir in den letzten beiden Jahren bereits auf den Weg das Recht auf Zugang zu ihrer Infrastruktur aufgerufen gebracht haben, und das war viel: wird, wird sie mit einem Mal rührig und meldet sich zu Im letzten Jahr haben wir in einem nationalen Konsens Wort . mit den Ländern zusätzliche Funkfrequenzen für mobiles Die Bundesregierung ist aufgefordert, Unternehmen Breitband freigemacht. Durch hohe Versorgungsauflagen nicht ständig zu pampern, um sie zu Investitionen zu werden bis 2018 mindestens 98 Prozent der Haushalte in bringen, wenn sich die renditeorientierten Unternehmen Deutschland auch mobil mit schnellem Internet versorgt nicht bewegen . Wir brauchen auch keine weiteren Strate- werden . Damit ist Deutschland europaweit führend . 16694 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Martin Dörmann (A) Mit den Einnahmen aus der Versteigerung der Digi- Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich des- (C) talen Dividende II sowie zusätzlichen Mitteln im Bun- halb zum Schluss zusammenfassen: Wir haben in der Ko- deshaushalt werden insgesamt 2,7 Milliarden Euro für alition in den vergangenen zwei Jahren den Grundstein Breitbandförderprogramme zur Verfügung gestellt . dafür gelegt, schnelles Internet für alle auch tatsächlich zu verwirklichen . In den Reden der Opposition zu Be- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ginn der Legislaturperiode wurden große Zweifel daran NEN]: Das ist aber ganz wenig!) geäußert . Wir haben einfach Fakten sprechen lassen . Es Allein das Bundesförderprogramm hat ein Gesamtvolu- ist klar: Die Programme sind erst seit November bewil- men von 2 Milliarden Euro, erstmals überhaupt in dieser ligt . In diesem Jahr werden noch die restlichen bewilligt . Größenordnung . Es läuft seit November letzten Jahres, Dann wird ausgebaut, und dann werden wir diesem Ziel und zwar äußerst erfolgreich; denn voraussichtlich schon sehr nahe sein . Da, wo es noch Lücken gibt, müssen wir bis Ende dieses Jahres werden die kompletten 2 Milliar- nachjustieren . Dann haben wir eine gute Grundlage . Da- den Euro Bundesmittel vergeben sein . Wir sollten des- rauf aufsetzend gehen wir in die Gigabitgesellschaft; halb schon die Beratungen zum Bundeshaushalt 2017 denn uns allen ist klar: Schnelles Internet ist nicht nur nutzen, um zu überlegen, ob wir dieses sehr erfolgreiche eine Sache von 2018; schnelles Internet ist die Voraus- Programm nicht noch weiter finanzieren können, um ge- setzung dafür, dass unsere Industrienation Deutschland, gebenenfalls noch bestehende Lücken zu schließen . dass wir alle eine gute wirtschaftliche Zukunft haben, und daran arbeiten wir . Besonders erfreulich ist dabei Folgendes: Es zeigt sich, dass 70 Prozent der Gelder in sogenannte reine Vielen Dank . FTTB-Projekte gehen, also in Projekte, die den direkten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Glasfaseranschluss bis ans Haus mit sich bringen . Und: Der Hebeleffekt beträgt 1 : 2 . Das heißt, für jeden Euro öffentlicher Förderung werden zusätzlich private Inves- Präsident Dr. Norbert Lammert: titionen in Höhe von 2 Euro ausgelöst . Wenn man das Tabea Rößner erhält nun das Wort für die Fraktion einmal bezogen auf die genannte Gesamtsumme von Bündnis 90/Die Grünen . 2,7 Milliarden Euro zusammenrechnet, kommt man auf ein Volumen von über 8 Milliarden Euro für den Breit- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bandausbau; das haben wir durch unsere Entscheidung angeschoben . Ich glaube, das kann sich sehen lassen . Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie- ber Kollege Dörmann! „Deutschland hat kein schnelles (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Internet“ – das sagt nicht irgendwer, sondern der Bun- (B) deswirtschaftsminister und noch amtierende Parteivorsit- (D) Gut ist auch, dass sich die Koalition gerade in dieser zende der SPD, , Woche darauf verständigt hat, durch eine Änderung des Telemediengesetzes die WLAN-Störerhaftung aus der (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Welt zu schaffen und damit die Nutzung öffentlichen NEN – Lachen bei der CDU/CSU – Wider- WLANs nachhaltig zu stärken . spruch bei der SPD – [CDU/ CSU]: Die Erfahrung haben wir schon immer Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir sind gemacht: Totgesagte leben länger!) auf einem konsequenten Weg, um das ehrgeizige Ziel ei- ner flächendeckenden Versorgung mit Hochleistungsnet- und zwar in seiner „Digitalen Strategie 2025“ . Ich tei- zen bis 2018 zu erreichen und damit allen die Teilhabe le diese Beobachtung . Die Aussage ist äußerst bemer- an der digitalen Gesellschaft zu ermöglichen . Ich glaube, kenswert; denn sie kommt von einem Mitglied der man kann sogar sagen: 2016 wird somit zum bislang bes- Bundesregierung, die sich ja eine flächendeckende Breit- ten Jahr für schnelles Internet werden . bandversorgung mit 50 Mbit/s bis 2018 auf die Fahnen geschrieben hat . Wenn also Bundeswirtschaftsminister Schon heute ist aber absehbar, dass die Bandbreitenbe- Gabriel das so sagt, dann gesteht er das Versagen der ei- darfe weiter wachsen werden . Gerade eine Industrienati- genen Regierung ein. Das finde ich schon sehr -bemer on wie Deutschland muss sich darauf einstellen und soll- kenswert . te vorwegschreiten . Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat deshalb beim letzten IT-Gipfel festgestellt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unser Ziel sollte sein, im Jahr 2025 die modernste digi- Widerspruch bei der SPD) tale Infrastruktur der Welt zu haben .– Denn: Die digitale Welt wird immer datenintensiver . Die Netze der Zukunft Armer Minister Dobrindt! Das war nicht nett vom brauchen stetig höhere Kapazitäten für höheren Down- Kollegen . Es war ehrlich, aber es war ganz und gar nicht und Upload sowie bessere Latenzzeiten . Die Hersteller nett . stehen bereit, neue Dienstleistungen und Industrieverfah- ( [SPD]: Alles zitieren!) ren massentauglich zu machen . Industrie 4 .0, das Internet der Dinge, oder Virtual Reality sind in aller Munde . Der Und dann macht der Wirtschaftsminister auch noch im- Weg in die Gigabit-Gesellschaft erfordert neue Konzep- mer weiter . te und einen konsequenten Netzausbau, vor allem den (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) weiteren Ausbau von Glasfaserleitungen . Auch hierfür ist das vorliegende DigiNetz-Gesetz eine wichtige und – Ja . – Er fordert massiven Glasfaserausbau, Investitio- notwendige Weichenstellung . nen in Milliardenhöhe . Da frage ich mich: Wie sieht ei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16695

Tabea Rößner (A) gentlich die Aufgabenverteilung bei Ihnen im Kabinett 50 Mbit/s versorgt . Wie bitte schön sollen denn bis 2018 (C) aus? die restlichen 30 Prozent geschafft werden? (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Das geschieht (Martin Dörmann [SPD]: Habe ich doch vor- alles!) hin erklärt!) Im Prinzip hat er ja recht, der Herr Gabriel . Schade, dass Das vorliegende Gesetz wird hier – so viel können wir er heute nicht da ist; denn so etwas hört er ja nicht allzu mit Sicherheit sagen – nur ein Tropfen auf den heißen oft in diesen Tagen . Stein sein . Es wird jedenfalls nicht dafür sorgen, dass Deutschland über Nacht zum Gigabitland wird . Dafür (Sören Bartol [SPD]: Das ist wirklich unterste braucht es dann tatsächlich Investitionen in Milliarden- Schublade! – Gustav Herzog [SPD]: Gabriel höhe . hat immer recht!) (Martin Dörmann [SPD]: Machen wir!) Die Analyse stimmt, die Handlungsoptionen auch . Wir brauchen einen massiven Ausbau mit Glasfaser in Und auch hier: too late . Das DigiNetz-Gesetz ist die Um- Deutschland . setzung der EU-Kostensenkungsrichtlinie . Nur: Die ist ja schon zwei Jahre alt, und sie hätte bis zum 1 .Januar (Kirsten Lühmann [SPD]: Das haben wir 2016, also vor über fünf Monaten, umgesetzt sein müs- gerade eben gesagt! Das tun wir ja auch!) sen . Droht da etwa ein Vertragsverletzungsverfahren? Und es sieht nicht so aus, als ob dieses Gesetz problem- Nur: Wenn er das wirklich so meint, dann hätte der Wirt- los durch den Bundesrat ginge . Wer sich die Stellung- schaftsminister ganz sicher nicht den Vectoring-Antrag nahme des Bundesrates und die Entgegnung der Bundes- der Telekom so massiv pushen müssen . regierung anschaut, merkt ganz schnell: Da gibt es noch (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- einige ungeklärte Differenzen . Alles in allem: Kein guter SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Start für dieses Gesetz . Martin Dörmann [SPD]: Stimmt doch gar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nicht!) Martin Dörmann [SPD]: Ja, alles parlamenta- Nun musste es kommen, wie es kam: Die Bundesre- risch!) gierung hat sich ordentlich blamiert . Vorgestern teilte die Die Umsetzung der Kostensenkungsrichtlinie soll – EU-Kommission, übrigens durch den deutschen Kom- wenig überraschend – Kosten senken . Bis zu 80 Prozent missar Oettinger, mit, dass sie den Vectoring-Beschluss der Breitbandausbaukosten entfallen auf den Tiefbau . einer vertieften Prüfung unterziehen werde . Und das ist Die Bundesregierung glaubt, dass durch Mitverlegung (B) auch richtig so . Der Beschluss der Bundesnetzagentur ist von Rohren der Ausbau bis zu 25 Prozent weniger kos- (D) nämlich kontraproduktiv, und er verzögert den Ausbau ten würde . Wir haben heute schon gehört: Angesichts der von hochleistungsfähigem Internet in Deutschland . Gesamtkosten für einen flächendeckenden Netzausbau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von geschätzten 80 Milliarden Euro sollen das bis zu sowie bei Abgeordneten der LINKEN – 20 Milliarden Euro sein, so der Gesetzentwurf . [SPD]: Unsinn!) Aber mal ehrlich: Jedem Controller würde bei dieser Es braucht eben mehr und nicht weniger Wettbewerb . Milchmädchenrechnung ganz schön schwindelig wer- Stattdessen werden die Konkurrenten künstlich ausge- den . Ihre Rechnung funktioniert nämlich nur, wenn man bremst und das Monopol der Telekom wiederbelebt . davon ausgeht, dass ein flächendeckender Glasfaseraus- bau auch zu 100 Prozent durch Mitverlegung realisiert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden würde . Tatsächlich wird hier eine Datenlücke kaschiert . Es gibt keine Aussage dazu, in welchem Aus- Deshalb wäre es gut und wichtig, wenn dieser Beschluss maß die bisher nicht mit mindestens 50 Mbit/s versorgten noch einmal überdacht werden würde . Gebiete durch Mitverlegung erschlossen werden können . Aber zu den Ministern Gabriel und Dobrindt . Es Nur auf diesen Anteil wäre das Einsparpotenzial auch zu braucht noch nicht einmal die interkoalitionäre Oppositi- berechnen . on, um festzustellen: Die Breitbandpolitik der vergange- Einfacher gesagt: Es ist schön und gut, eine EU-Richt- nen Jahre hat uns überhaupt nicht vorangebracht: linie zur Kostensenkung umzusetzen, sie kann aber ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesamtkonzept zum Breitbandausbau nicht ersetzen . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) too little, too late . Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass bei mit öffentlichen (Kirsten Lühmann [SPD]: Da hätten Sie dem Mitteln finanzierten Bauarbeiten im Verkehrsbereich Kollegen Dörmann zuhören müssen! Dann oder bei der Erschließung von Neubaugebieten nicht nur wüssten Sie, dass das nicht stimmt!) Leerrohre, sondern auch Glasfaserkabel mitverlegt wer- den sollen, auch wenn es für das Netz noch gar keinen Erst bekam Bundesminister Dobrindt jahrelang kein Betreiber gibt . Leerrohre verstehe ich . Aber warum soll Geld, und jetzt dürfte es für die Breitbandziele der Bun- die öffentliche Hand Glasfaserkabel verlegen, wenn es desregierung deutlich zu spät sein . Laut Breitbandatlas keinen Betreiber gibt? Das erscheint nur auf den ersten waren Ende 2015 erst 70,1 Prozent der Haushalte mit Blick sinnvoll, auf den zweiten drohen Fehlinvestitionen; 16696 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Tabea Rößner (A) denn Versorgungsunternehmen sind nicht zwangsläu- höchste Zeit, dass das Ministerium auch einmal seine Ar- (C) fig Experten für Telekommunikationsnetze. Sie können beitsgeschwindigkeit erhöht . nicht beurteilen, welche Technik zu welchem Zeitpunkt verbaut werden muss, welcher Typ von Glasfaser ver- Vielen Dank . wendet werden soll oder wo beispielsweise ein Tech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nik-Shelter benötigt wird . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ohne ein überregionales Ausbaukonzept und eine konkrete Netzplanung nützt auch das Verlegen von Ka- Präsident Dr. Norbert Lammert: beln nichts. Darum finde ich es weitaus sinnvoller, wenn Thomas Jarzombek ist der nächste Redner für die erst einmal nur Leerrohre verlegt werden, die die Be- CDU/CSU-Fraktion . treiber später nutzen können . Das spart den Kommunen Geld, und trotzdem werden die Kosten für die Tiefbauar- (Beifall bei der CDU/CSU) beiten gesenkt . Damit schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe . Thomas Jarzombek (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Rößner, Sie haben hier gerade ein Bild skizziert – da Für mich ist auch nicht nachvollziehbar, warum es den kommen einem ja fast die Tränen . Anspruch auf Anschluss eines Gebäudes an ein Hochge- schwindigkeitsnetz gibt, aber keine Vorgaben für die ge- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bäudeinterne Infrastruktur . Es wäre doch sinnvoll, wenn NEN]: Ja, die sollen einem auch kommen!) vor allem größere Gebäude wie Bürogebäude oder große Ich weiß nicht, ob es eine kluge Strategie der Opposition Mietshäuser vom Keller bis zu den Wohnungen von An- ist, wenn man das Land immer schlechtredet . Das bringt fang an mit Infrastruktur für Hochgeschwindigkeitsnet- Sie nicht nach vorne . ze ausgestattet wären . In Spanien gibt es entsprechende Regelungen . Da frage ich mich: Warum nicht auch hier? (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Einfach mal nach Höxter fahren, nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) immer nur nach Düsseldorf! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Realitäts- Die Bundesregierung geht offenbar davon aus, dass es fern! – Zurufe von der SPD) reicht, wenn Inhouseklingeldraht verlegt wird, womög- lich gar direkt auf den Beton getackert, statt Leerrohre, – Wenn sich dem schon Leute aus der SPD anschließen, (B) die man später auch für Glasfaser nutzen könnte . Das ist finde ich das gefährlich für die SPD und ihre Perspektive (D) so von gestern, das kann man kaum glauben . in der nächsten Legislaturperiode . Ich frage mich auch: Warum nutzen Sie nicht die Ge- Meine Damen und Herren, wenn wir über die Fra- legenheit zu einer umfassenden Open-Access-Verpflich- ge reden, ob Deutschland ein schnelles Internet hat tung? Wenn Unternehmen dadurch Geld sparen, dass sie oder nicht, dann schauen wir doch mal auf Zahlen, die Leerrohre mitbenutzen können oder sich die Kosten für ­BITKOM im Jahr 2014 veröffentlicht hat . Die Frage war, Bauarbeiten sparen, entsteht ihnen doch sozusagen ein wie hoch eigentlich die tatsächliche Nutzung von Inter- geldwerter Vorteil . Der sei ihnen ja gegönnt, aber im Ge- netanschlüssen ist . Dieser Punkt ist doch viel entschei- genzug wäre es doch nur konsequent, wenn diese Unter- dender als die Frage, was theoretisch möglich ist . Und nehmen dann auch andere Anbieter auf ihre Leitungen sieh an: Deutschland liegt deutlich über dem EU-Durch- lassen würden . Schließlich wollen wir mit dem Gesetz schnitt, auf Platz 5; denn 85 Prozent der Haushalte nut- nicht die Entstehung neuer Monopole fördern, sondern zen Breitbandanschlüsse . Auf Platz 1 liegt Finnland mit wir wollen einen funktionierenden Infrastrukturwettbe- 88 Prozent . Das heißt, wir sind hier in der absoluten Spit- werb ermöglichen. Ich finde, darüber könnten Sie ruhig zengruppe . einmal nachdenken . Bei der Diskussion über Gigabit und Glasfaser und Sehr geehrte Damen und Herren, „Deutschland hat alle möglichen anderen Technologien, die wir hier im- kein schnelles Internet“, und bis 2018 – so viel deutet mer wieder führen, vergessen wir manchmal einen ganz sich an – werden wir auch keins haben . entscheidenden Punkt: Es kommt nicht nur auf die Ge- schwindigkeit des Internets an, sondern auch darauf, dass Menschen es sich leisten können. Das, finde ich, Präsident Dr. Norbert Lammert: ist ein ziemlich wichtiges Argument . In den 20 Jahren, Frau Kollegin . die mittlerweile seit der Liberalisierung des Telekom- munikationsmarktes vergangen sind, sind die Preise he- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): runtergegangen . Im Gegensatz zu manchem, der das als Problem beschreibt, empfinde ich das überhaupt nicht als Ich komme zum Schluss . – Denn Deutschland hat Problem . Ich glaube, es ist gut, dass sich auch Menschen auch keine schnelle Bundesregierung . Dieser Gesetzent- ohne ein hohes Einkommen in Deutschland einen Breit- wurf setzt zwar größtenteils eine EU-Richtlinie sinnvoll bandinternetanschluss leisten können . um, nur kommt diese Umsetzung reichlich spät . Wenn Minister Dobrindt sagt: „Bandbreite für alle“, dann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hoffentlich auch für sein Ministerium . Es wird nämlich ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16697

Thomas Jarzombek (A) Das ist der Grund, warum die Nutzung in Deutschland Da war vier Monate lang eine irre Baustelle . (C) möglicherweise höher ist als in anderen Ländern . (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ziehen wir den Vergleich mit den USA . Da gibt es NEN]: In Berlin sind nur Baustellen!) eine ganz andere Situation: Die Versorgung ist dort ge- rade in den ländlichen Räumen extrem schlecht . Da kann Der ganze Verkehr stand still, die ganze Straße wurde man in der Regel bei AT&T wählen, ob man einen An- aufgerissen . Irgendjemand hat mir gesagt, dass da neue schluss mit 3 oder 6 Mbit haben will . Und dann ist man Leitungen und Kanäle verlegt werden . Da habe ich mich noch verdammt gut im Rennen . In vielen Bereichen sieht jeden Morgen, als ich da vorbeigefahren bin: Warum legt es noch deutlich schlechter aus . da keiner ein Glasfaserkabel rein? Jetzt ist alles wieder zubetoniert, und es sind keine Kabel da . (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Deutschland ist da nicht besser! Was wir künftig brauchen, sind Glasfaserkabel in den Deutschland ist im Ranking ganz schlecht!) Straßen, an denen Laternen stehen . Unser Ziel ist doch die fünfte Mobilfunkgeneration, und dafür brauchen wir Schauen wir auf die Glasfasernetze in Städten der alle 200 Meter Sender . Wo sollen die denn hin? Das kann USA. Da findet man Angebote für 150 Dollar im Mo- ja nur an Straßenlaternen und an ähnlichen Infrastruktu- nat . So, wie man es vielleicht von amerikanischen Un- ren passieren . Wenn doch sowieso schon Leitungen und ternehmen fast erwarten würde, wird das Nutzerverhal- Kanäle verlegt werden, dann sollten wir das reine, unbe- ten manchmal auch noch vom Netzbetreiber analysiert, schaltete Kabel, das sogenannte Dark Fiber, dort verle- damit den Nutzern bessere Werbung zugeschickt werden gen . Damit ist noch keine technologische Entscheidung kann . Wenn man das nicht will, muss man noch einmal getroffen . Das ist einfach nur ein dumpfes Stück passiver mehr bezahlen . Ich möchte nicht, dass Deutschland ein Infrastruktur, das erst dann aktiv wird, wenn es beleuch- Land ist, in dem man 150 Euro im Monat zahlen muss, tet wird . Das wird dann die Entscheidung von Betreibern um an das Internet angeschlossen zu werden . sein . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ordneten der SPD) der SPD) Deshalb ist das, was die Regierung macht, gut, und sie ist hier auch flott unterwegs. Ich möchte der Bundesregierung ein Kompliment ma- chen: Wir haben in dieser Wahlperiode vieles erreicht . Frau Kollegin Rößner, Sie haben vorhin gesagt, wir hätten hier irgendwelche Schwierigkeiten, eine Kosten- Das Erste ist: Wir haben die Frequenz im Bereich senkungsrichtlinie der EU umzusetzen . Die Wahrheit ist, 700 Megahertz bereitgestellt . Ab dem nächsten Jahr gibt (B) dass wir schon im Jahre 2012 eine Novelle des Telekom- es doppelt so schnelles Breitbandinternet . Auch hier sind (D) munikationsgesetzes verabschiedet haben und wir viele wir Vorreiter in Europa . Wir verhandeln gerade, dass das der Dinge, die später in der Richtlinie standen, hier im ab 2020 europaweiter Standard wird . Wir bekommen im Deutschen Bundestag schon vor vier Jahren implemen- nächsten Jahr auch noch Full HD über Antennenfernse- tiert haben . hen – ein sehr positiver Nebeneffekt für die Medienpoli- tiker, weil es so wieder attraktiv wird . (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Und wie viel hat’s gebracht?) Zweitens . Wir haben zum ersten Mal ein richtiges Breitbandförderprogramm in Deutschland mit einem Wir legen jetzt auch an bestimmten Stellen nach . Um Volumen von 2,7 Milliarden Euro aufgelegt . Das läuft die konkreten Punkte zu benennen: Nachdem wir die jetzt im ländlichen Raum an . Die Regierung arbeitet echt TKG-Novelle 2012 verabschiedet haben, ging es darum, schnell und hat schon viele Förderbescheide erteilt . dass Kabelschächte mitgenutzt werden können . Das ers- te Unternehmen, das dies beantragt hat, war eine däni- Drittens . Wir bringen ein DigiNetz-Gesetz auf den sche Firma, die Kabel zur Insel Sylt verlegen wollte . Sie Weg, damit Neubaugebiete an das Glasfasernetz ange- wollte in den wunderbaren Schächten, die die Deutsche bunden werden, damit überall, wo die Straße aufgemacht Bahn dort dank des Hindenburgdamms hat, über den man wird, Kabel verlegt werden . So werden wir auch in die- schön mit dem Zug nach Sylt fahren kann, Kabel verle- sem Bereich besser . gen . Dann gab es jahrelangen Streit, jahrelanges Thea- Viertens . Wir haben endlich die Störerhaftung beim ter, aber am Ende hat man sich durchgesetzt . Die Kabel WLAN beseitigt . Das ist ein großer Schritt; denn irgend- wurden verlegt, und das ist auch richtig . Ich weiß: Tech- was muss man mit den Gigabitanschlüssen doch anfan- niker hassen nichts mehr, als wenn andere Techniker in gen können . ihrer Infrastruktur herumfummeln . Das ist so; das kann ich auch absolut nachvollziehen . Aber: Wir müssen eben (Heiterkeit des Abg . Herbert Behrens [DIE diese passiven Infrastrukturen nutzen . LINKE]) Sie haben vorhin etwas über Glasfaserkabel gesagt, Insofern: Teilen ist doch eine gute Sache an dieser Stelle . die jetzt beim Bau von Straßen verlegt werden sollen . Ich fahre morgens gerne schon mal mit dem Fahrrad über die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Karl-Liebknecht-Straße – so gerne fahre ich da eigentlich ordneten der SPD) auch nicht . Fünftens . Wir sorgen für Netzneutralität auf europä- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) ischer Ebene . Sie liegen ganz schön schief, wenn Sie 16698 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Thomas Jarzombek (A) wieder einen nationalen Alleingang machen wollen . Das Wenn ich mit Unternehmen rede, muss ich feststellen, (C) führt nur zu einem Flickenteppich . dass Unternehmen abwandern, leider auch bei mir im Wahlkreis, wenn sie keinen Zugang zu schnellem Inter- Sechstens . Wir wollen Netze der fünften Generation net haben . Es geht hier wirklich um die Gleichwertigkeit schaffen . Dafür schafft das DigiNetz-Gesetz exzellente der Lebensverhältnisse . Wir sehen an diesen Entwicklun- Grundlagen für Datenleitungen . gen auch, dass digitale Infrastruktur die Zukunftsvoraus- Ich freue mich auf die Beratung der unzähligen De- setzung Nummer eins ist . tails . Wir werden in den nächsten Wochen sicherlich Liebe Kollegin Rößner, ich will hier deutlich sagen: noch einiges zu tun haben . Ich glaube aber, mit diesen Man kann sich immer mehr wünschen, und Sie wissen, sechs Maßnahmen werden wir den Breitbandausbau in dass auch wir in der SPD Druck machen, damit mehr Deutschland substanziell nach vorne bringen . passiert . Aber der Vorwurf an diese Regierung, hier wäre Vielen Dank . nichts passiert, ist schlichtweg falsch . Es ist viel passiert in dieser Koalition, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ Präsident Dr. Norbert Lammert: DIE GRÜNEN]: Ich habe gesagt: Zu lang- Lars Klingbeil ist der nächste Redner für die sam!) SPD-Fraktion . und wir haben schon vieles auf den Weg gebracht, um (Beifall bei der SPD) digitale Infrastruktur zu sichern . Wir setzen heute die Kostenreduzierungsrichtlinie der Lars Klingbeil (SPD): EU um . Das mag angesichts der einzelnen darin enthal- tenen Schritte recht banal klingen . Auf einmal redet man Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darüber, ob wir Leerrohre mitnutzen können, ob wir bei will ausdrücklich sagen, dass der Zugang zum schnellen der Erschließung von neuen Wohngebieten auch auto- Internet Grundlage für Wohlstand, für Wachstum, aber matisch Glasfaser verlegen . Das mag erst einmal banal auch für Teilhabe in dieser Zeit ist und wir als Parlament klingen, aber es ist notwendig, dass wir das heute auf den aufgefordert sind, sicherzustellen, dass dieser Zugang Weg bringen . Außerdem ordnet sich das in ein Gesamt- zum schnellen Internet überall in Deutschland stattfinden konzept ein, das wir als Große Koalition seit zweieinhalb kann . Jahren verfolgen . (B) Zugang schafft Zukunft . Wir reden hier im Parlament Ich will an die Punkte anschließen, die Kollege (D) in unterschiedlichsten Arbeitsgruppen und in Parlaments- Jarzombek aufgeführt hat – auch Martin Dörmann hat debatten sehr viel und immer wieder über neue technolo- darauf hingewiesen –: Wir haben im Koalitionsvertrag gische Entwicklungen, über Industrie 4 .0, über die Verän- das Ziel formuliert, mindestens 50 Mbit/s bis 2018 flä- derung der Arbeitswelt in Form von Arbeit 4 0;. über das chendeckend zur Verfügung zu stellen . Wir arbeiten sehr Internet der Dinge ist heute Morgen auch schon geredet hart an diesem Ziel . Ich bin mir recht sicher: Wir wer- worden . Ich sage Ihnen: Wir als Parlament müssen darauf den dieses Ziel erreichen . Damit schaffen wir eine gute achten, dass diese technologischen Entwicklungen, diese Grundlage in Deutschland . Zukunftsentwicklungen überall in Deutschland stattfin- den können und dass das nicht nur ein Thema ist, das Wir haben gestern den Durchbruch beim Thema „offe- in den Großstädten eine Rolle spielt . Die Sicherung der nes WLAN“ erreicht . Zukunftschancen und das Bemühen um Gleichwertigkeit (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Lebensverhältnisse, das ist unsere Aufgabe, die wir NEN]: Wir warten auf den Gesetzentwurf!) als Parlament haben . Ich möchte, dass auch der ländliche Raum von einem Zugang zum schnellen Internet profi- Es ist ein ganz wichtiger Punkt für die digitale Infrastruk- tiert, liebe Kolleginnen und Kollegen . tur, dass wir jetzt überall in Deutschland flächendeckend offene WLAN-Netze bekommen werden . Ein großer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dank an den Koalitionspartner, dass wir gestern den der CDU/CSU) Durchbruch hinbekommen haben . Das ist ein ganz wich- Wenn ich in meinem Wahlkreis in der Lüneburger tiges Signal für die digitale Infrastruktur in Deutschland . Heide unterwegs bin und dort auf Bürgermeister treffe, Wir werden bald Innenstädte mit offenen WLAN-Netzen dann ist der Zugang zum schnellen Internet häufig das haben, die aus diesem Grund aufblühen . Dafür ein großes Thema Nummer eins . Über Zugang zum schnellen In- Dankeschön . ternet entscheidet sich heutzutage die Perspektive einer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kommune im ländlichen Raum . Wenn man mit Neubür- der CDU/CSU) gern redet, dann stellt man fest, dass Entscheidungen, wo man hinzieht, auch anhand der Frage getroffen werden: Nachdem wir die Grundlagen für eine Grundversor- Bekomme ich dort Zugang zu schnellem Internet? gung mit 50 Mbit/s und für offene WLAN-Netze ge- schaffen haben, geht es jetzt darum, darüber zu reden, (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wie wir endlich eine Glasfaserstrategie in Deutschland NEN]: Aber das wissen wir doch schon lan- umsetzen können . Wir müssen doch selbstkritisch fest- ge!) stellen, dass wir diesbezüglich bei weitem noch nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16699

Lars Klingbeil (A) so weit sind, wie wir eigentlich sein müssten . In Sachen bandinfrastruktur ist Teil der modernen Daseinsvorsor- (C) Glasfaserausbau liegen wir sogar hinter Rumänien; das ge. Ohne flächendeckende Breitbandversorgung wird streitet hier keiner ab . Wir haben aber bereits einiges Deutschland insgesamt nicht zukunftsfähig, nicht wett- gemacht, und wir wollen jetzt als Große Koalition noch bewerbsfähig sein: Wir hätten keine flächendeckende eins draufsetzen . Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Teilhabe an diesem Medium, die Konkurrenzfähigkeit Kostenreduzierungsrichtlinie, den wir heute in erster Le- der deutschen Wirtschaft würde leiden, und auch gleich- sung beraten, ist dabei ein weiterer wichtiger Schritt: Wir wertige Lebensverhältnisse in Deutschland wären ohne wollen Synergien nutzen, wir wollen Informationen zur flächendeckende Breitbandversorgung nicht gewährleis- Verfügung stellen, und wir wollen schauen, was wir bei tet . Deshalb ist es ein wichtiges Ziel – dies haben wir uns Neubauten verbessern und wie wir Neubaugebiete besser ja gesetzt –, bis 2018 eine flächendeckende Versorgung anschließen können . Wir werden den Bürokratieabbau mit einer Mindestbandbreite von 50 Mbit/s zu verwirk- vorantreiben . Wir machen Tempo beim Glasfaseraus- lichen . bau . Es wird eine neue Dynamik entstehen . Ich will den (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Skeptikern entgegenhalten: Lassen Sie sich überzeugen, NEN]: Das ist aber nur ein Zwischenschritt!) dass dieses Gesetz, das wir hier verabschieden werden, am Ende zu mehr Glasfaser in Deutschland führen wird . – Das ist in der Tat ein Zwischenschritt, ein Zwischen- ziel, weil wir wissen, dass der heutige Maßstab morgen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schon nicht mehr ausreichen wird . Wir führen aktuell auch eine Debatte über Vectoring . Diese Bundesregierung hat in den letzten Jahren enor- Das Vectoring wird jetzt erst einmal durch die Europäi- me Anstrengungen unternommen, um dieses Ziel, dieses sche Kommission vertieft geprüft . Ich hoffe, wir erhalten Zwischenziel zu erreichen, und die Weichen gestellt, mit Blick auf die Förderung von Vectoring schnell Klar- um die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Infra- heit. Es wurden auch hier im Parlament schon häufig De- struktur in Deutschland zu schaffen . Dazu zählt nicht nur batten darüber geführt, ob Vectoring die richtige Strate- das Breitbandförderprogramm, das der Bund aufgelegt gie ist oder nicht . Wir brauchen jetzt aber Klarheit, wie es hat – schon nach den ersten Förderbescheiden können mit Vectoring weitergeht . Herr Dobrindt, ich hoffe, dass wir feststellen, dass es einen enormen Anschub gibt –, diese Debatte über Vectoring nicht zu einer erheblichen sondern auch die Abschaffung der Störerhaftung, die Verzögerung des von Ihnen geplanten Breitbandausbaus wir gestern auf den Weg gebracht haben, wodurch eine führt . Wir brauchen eine schnelle Klärung . flächendeckende WLAN-Versorgung möglich wird. Mit Wir als Parlament müssen uns aber auch bewusst dem Entwurf eines DigiNetz-Gesetzes, das wir heute in machen, dass Vectoring nur eine Brückentechnologie erster Lesung beraten, unternehmen wir einen weiteren (B) ist . Wir müssen auf Glasfaser setzen . Daran müssen wir wichtigen Schritt . Das muss man zusammen als Strate- (D) arbeiten . Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat vorge- gie betrachten . Zwar sind all diese Punkte auch für sich schlagen, im Rahmen der „Digitalen Strategie 2025“ eine genommen wichtig, aber eine Maßnahme alleine wird Glasfaserstrategie auf den Weg zu bringen . Ich wünsche keinen Fortschritt bringen . Deshalb kann ich nur sagen: mir, dass wir als Parlament gemeinsam daran arbeiten, Das, was wir bisher auf den Weg gebracht haben, und die dass wir in Deutschland mehr Glasfaser bekommen . Möglichkeiten, die wir mit dem DigiNetz-Gesetz schaf- fen wollen, werden dem Breitbandausbau in Deutschland Das, was heute vorliegt, ist ein guter Auftakt . Das weiteren Schub geben . wird aber nicht ausreichen . Wir müssen als Bundesregie- rung und Bundestag diesbezüglich noch mehr tun . Aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und auf alle Fälle ist es ein guter Auftakt . Im Rahmen des Ge- der SPD) setzgebungsverfahrens werden wir natürlich schauen – Ich will den Blick nicht nur auf die Wettbewerbsfä- Martin Dörmann hat es vorhin gesagt –, wo wir diesen higkeit der deutschen Wirtschaft im internationalen Ver- Gesetzentwurf noch verbessern können . Das ist aber ein gleich richten, sondern ich möchte den Blick auch auf die weiterer richtiger Schritt, um die digitale Infrastruktur in Regionen in Deutschland legen . Wir haben dort noch ein Deutschland auszubauen und zu verbessern und damit Ungleichgewicht . Gerade in ländlichen Regionen haben für die Zukunftsfähigkeit des Landes zu sorgen . wir viele weiße Flecken . Deshalb ist es wichtig, dass wir Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . den Blick auch auf diese ländlichen Regionen richten . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Liebe Frau Kollegin Rößner, Sie sagen, dass wir kein der CDU/CSU) schnelles Internet haben . (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Präsident Dr. Norbert Lammert: NEN]: Das sagt Gabriel! Nicht ich!) Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Schnieder für Aber Sie und auch wir beide wissen, dass das so nicht die CDU/CSU-Fraktion . stimmt . (Beifall bei der CDU/CSU) (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Doch!) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Wir haben viele Regionen, in denen wir noch nicht aus- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie- reichend schnelles Internet haben . Wir wissen aber auch – be Kolleginnen und Kollegen! Leistungsfähige Breit- wir beide zumal, die wir aus Rheinland-Pfalz kommen –, 16700 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Patrick Schnieder (A) dass gerade dieses Bundesland, in dem Ihre Partei mitre- Patrick Schnieder (CDU/CSU): (C) giert hat und weiter mitregiert, nach der TÜV-Studie und Liebe Frau Kollegin Rößner, ich bin für diese Fra- auch nach anderen Studien im letzten Drittel der Bun- ge sehr dankbar . Bevor wir jetzt einmal herausrechnen, desländer beim Breitbandausbau liegt . Sie können doch was über die Versteigerung hinaus zusätzlich verausgabt froh sein, dass der Bund nicht nur so viele Mittel in die wird, muss man zunächst einmal feststellen, dass das Hand nimmt, sondern auch mit Gesetzesinitiativen wie Land Rheinland-Pfalz in den letzten vier Jahren in sum- der vorliegenden die Weichen stellt, dass wir gerade in ma 28 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat . Nach ländlichen Räumen, in unterversorgten Räumen endlich Adam Riese und Eva Zwerg sind das 7 Millionen Euro einen ordentlichen Schritt nach vorne kommen . pro Haushaltsjahr . (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der NEN]: Ich habe nach der Bundesregierung Bund nimmt doch gar kein Geld in die Hand!) gefragt!) Da wir schnell vorankommen wollen, da wir den Schauen Sie einmal, was die Bayern machen: In vier Jah- Ausbau nachhaltig gestalten wollen, das heißt mit einer ren bis 2018 1,5 Milliarden Euro! zukunftsfähigen Technologie, also mit dem ganz schnel- len Internet, da wir angesichts der hohen Investitionen (Beifall bei der CDU/CSU) kostengünstig bauen wollen, ist das DigiNetz-Gesetz ein wichtiger Meilenstein bei der Umsetzung der Breit- Allein das zeigt, wo das Land Rheinland-Pfalz, in dem bandstrategie . 80 Prozent der Kosten, die anfallen, sind Ihre Partei an der Regierung beteiligt ist, steht . Deshalb Grabungskosten . Deshalb ist es ein wichtiger Schritt, sollten wir alle froh sein, dass der Bund endlich die Ini- dass wir die Mitbenutzung von vorhandener Infrastruk- tiative ergreift, damit wir flächendeckend eine vernünf- tur regeln und die Verlegung von Glasfaser bei größeren tige Versorgung mit schnellem Internet in Deutschland öffentlichen Baumaßnahmen zur Pflicht machen. Außer- bekommen dem schaffen wir Informationsmöglichkeiten . Ich will (Zuruf des Abg . Gustav Herzog [SPD]) hier nicht beckmesserisch über den letzten Euro reden . Aber wer infrage stellt, dass wir damit wesentlich Kosten und dass auch die Länder, die das bisher nicht so prioritär einsparen, der geht an der Wirklichkeit vorbei . gesehen haben, endlich einen ordentlichen Anschub vom Bund bekommen, dort mehr zu tun . Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner (B) Herr Kollege Schnieder, darf die Kollegin Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was (D) eine Zwischenfrage stellen? gibt der Bund? – Zuruf des Abg . Sören Bartol [SPD]) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle- Aber bitte sehr . ginnen und Kollegen, das DigiNetz-Gesetz ist das Ergeb- nis guter Arbeit . Wo noch nachgebessert werden muss, werden wir das auch tun . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollege Schnieder, vielen Dank, dass ich diese Zwi- NEN]: Ich habe keine Antwort bekommen!) schenfrage stellen darf . Sie wissen – wir kommen beide aus Rheinland-Pfalz –: Die Landesregierung hat erstmals Eines steht fest: Noch nie wurde in einer Legislatur so in der letzten Wahlperiode Geld in die Hand genommen . viel für den Breitbandausbau bewegt . Das DigiNetz-Ge- Deshalb frage ich Sie: Wie viel Geld hat denn die Bun- setz ist der nächste wichtige Baustein, mit dem wir den desregierung für den Breitband- und insbesondere auch Abstand auf die führenden Breitbandnationen weiter ver- Glasfaserausbau in den vergangenen Jahren in die Hand kürzen . Deshalb spreche ich ein großes Lob und große genommen, um tatsächlich nach vorne zu kommen? Anerkennung an die Bundesregierung, an unseren Minis- ter und an die Kolleginnen und Kollegen, die das mit auf (Martin Dörmann [SPD]: 2 Milliarden Euro!) den Weg gebracht haben, aus . Wie viel Geld wird in der Zukunft tatsächlich eingespeist? (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws Ich meine jetzt nicht das Geld, das über die Frequenzver- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie steigerung eingenommen wurde; denn die Frequenzen sind eine Antwort schuldig geblieben! – Tabea fallen zum Teil in die Länderkompetenz . Insofern ist es Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich nicht originär Geld, das der Bund aus seinem Haushalt habe keine Antwort bekommen!) zur Verfügung stellt .

(Martin Dörmann [SPD]: Natürlich! Doch!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Also, was zahlt die Bundesregierung darüber hinaus tat- Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribü- sächlich für den Breitbandausbau? ne haben der Präsident der Staatsversammlung der Republik Slowenien, Milan Brglez, und seine Delega- (Martin Dörmann [SPD]: 2 Milliarden Euro!) tion Platz genommen, die ich im Namen aller Kollegin- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16701

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) nen und Kollegen des Bundestages herzlich hier bei uns Rückgrat unserer Industrie, unserer Wirtschaft und unse- (C) begrüßen möchte . res täglichen Lebens . Der Wirtschaftsstandort Deutsch- land hängt in hohem Maße von leistungsfähiger Logistik (Beifall) und diese wiederum von leistungsfähiger Infrastruktur Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir ab, meine Damen und Herren . freuen uns über die gute und immer engere Zusammenar- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten beit zwischen unseren Ländern, insbesondere auch zwi- der CDU/CSU) schen unseren Parlamenten, und ganz besonders über die auch gestern in den Gesprächen noch einmal bekräftigte Hochgeschwindigkeitsnetze brauchen wir nicht für ein Absicht zur Zusammenarbeit bei notwendigen gemeinsa- Navi oder für zuverlässige Stauwarnungen; das bekom- men europäischen Lösungen für die großen Herausforde- men wir heute schon hin . Es geht um gewaltige Daten- rungen, vor denen wir stehen . Alles Gute für Ihr weiteres mengen, die versandt, ausgewertet und nutzbar gemacht parlamentarisches Wirken! werden müssen . Diese Datenmengen vertausendfachen sich alle zehn Jahre . Beim sicheren Datenaustausch geht Nächster Redner ist der Kollege Udo Schiefner für die es auch um Big Data . „Big Data“ bedeutet, maximale Da- SPD-Fraktion . tenmengen zu erfassen und auszuwerten . Aus der Masse (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Daten können Muster herausgefiltert und im besten der CDU/CSU) Falle intelligente Schlüsse gezogen werden . Meine Damen und Herren, der Verkehrsfluss kann Udo Schiefner (SPD): dauernd ausgewertet, Gefahren und Behinderungen kön- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- nen in Echtzeit erkannt werden . Möglich ist das alles nur ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um mit modernster Infrastruktur . Dafür setzen wir uns in die- einen wichtigen Schritt hin zu einer leistungsfähigen di- ser Koalition ein, und wir setzen auch Signale . „Modern“ gitalen Infrastruktur . Ich möchte betonen: Der Bund und bedeutet, dass jeder Ort in Deutschland digital in Hoch- die Koalition müssen sich hier nicht verstecken . Wir tun geschwindigkeit erreichbar werden muss . Indem wir das in diesem Bereich Erhebliches, und wir stellen auch er- sicherstellen, stellen wir auch die Leistungs- und Wett- hebliche Mittel zur Verfügung . bewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sicher . Ich kann nur dazu auffordern, dieses Thema sachlich anzugehen und (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- uns zu unterstützen, statt immer nur zu kritisieren . NEN]: Welche denn? Vielleicht können Sie es ja beantworten!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . (B) Dies ist eine wichtige und richtige Entscheidung dieser (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (D) Regierungskoalition . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Präsident Dr. Norbert Lammert: der CDU/CSU) Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion . Wir wissen, dass für Hochgeschwindigkeitsnetze erhebliche Investitionen erforderlich sind . Dabei geht (Beifall bei der CDU/CSU) es nicht darum, ob in Millisekunden Bilder von uns im Wahlkreis ankommen . Ulrich Lange (CDU/CSU): (Gustav Herzog [SPD]: Doch, auch!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Breitbandausbau ist ein absoluter Kernbereich und ein Dabei geht es auch nicht nur darum, dass Bilder auf absolutes Kernthema der Infrastruktur . Nicht umsonst Facebook schnell verschickt werden können . Es geht um heißt das Ministerium inzwischen Bundesministerium wesentlich mehr; das wissen auch wir im – wie es der für Verkehr und digitale Infrastruktur . Liebe Kollegin Minister immer sagt – „Ausschuss für Mobilität und Mo- Rößner, auch dieser Bereich kann in den letzten Wochen dernität“ . und Monaten eine hervorragende Leistungsbilanz vorle- Ich möchte heute Morgen nur ein Thema, das in die- gen . sem Ausschuss eine Rolle spielt, beleuchten, nämlich das (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Thema „Transport und Logistik“; denn gerade in diesem NEN]: Na ja!) Bereich ist Digitalisierung viel mehr als ein knackiges Schlagwort oder eine schöne Zukunftsfantasie . Für die Lieber Bundesminister, dafür ein herzliches Dankeschön . Unternehmen der Logistikbranche ist modernste Daten- (Beifall bei der CDU/CSU) infrastruktur bereits heute wettbewerbsentscheidend . Wir wissen, wo wir angefangen haben und wo wir heu- Wo Industrieproduktion und Logistik perfekt mit- te stehen . Da brauchen Sie nicht mit dem Daumen nach einander verbunden sind, können Synergien genutzt unten zu zeigen, Frau Kollegin Rößner . Ich werde Ihnen werden . Produktionsabläufe können beschleunigt, Lie- jetzt noch zwei Ihrer Fragen beantworten, damit es rich- ferfristen verkürzt und Prozesse standardisiert werden . tig peinlich für Sie wird . Wir erwarten von den Transporteuren im Kleinen und im Großen, dass sie schnell, effizient, kostengünstig und (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zuverlässig liefern . Transport und Logistik bilden das NEN]: Peinlich ist es für den Bundesminister!) 16702 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Ulrich Lange (A) Wir haben als erstes Land in Europa die Rundfunkfre- Sie können sich aber ruhig noch ein paar Mal melden .– (C) quenzen versteigert . Der Kollege Jarzombek hat es schon gesagt: Hier wird eine Idee der letzten Bundesregierung aufgenommen und (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- durch die Europäische Kommission weiterentwickelt . NEN]: Das stimmt!) (Zuruf der Abg . Tabea Rößner [BÜND- – Das stimmt, danke sehr . – Dieses Geld haben wir kon- NIS 90/DIE GRÜNEN]) sequent auch in den Ausbau der digitalen Infrastruktur gesteckt . Bund und Länder haben dies gemeinsam getan . – Ja, Frau Kollegin, wir können das nachher auf den Plät- (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!) zen klären . Sie können sich schon einmal hinten anmel- den . – Das stimmt auch . Wir haben hier also eine Idee aufgegriffen und weiter- Zu Ihrer Frage, wie viel Geld der Bund gibt: Der Bund entwickelt: konsequente Öffnung alternativer Netzinfra- gibt über das Zukunftsinvestitionsprogramm noch ein- struktur, mehr Transparenz und – auch das ist wichtig – mal über 1 Milliarde Euro aus den zusätzlichen 10 Milli- schnelle Entscheidungen durch die Bundesnetzagentur . arden Euro . Stimmt das? Und eines ist klar: Wird eine Straße aufgegraben, dann (Zurufe von der CDU/CSU: Das stimmt sollte und muss dort Glasfaser verlegt werden . auch!) All das sind wichtige Entscheidungen . Es sind wich- – Ja, das stimmt auch .– Liebe Frau Kollegin Rößner, ins- tige Dinge, die wir mit diesem Gesetz auf den Weg brin- gesamt sind das 2,7 Milliarden Euro von der Bundesseite gen . Wir von der Koalition setzen damit auch das um, für den Breitbandausbau . Ich glaube, da geht es jetzt in was wir mit unserem Antrag im Sommer 2014 schon mit erster Linie darum, dass dieses Geld auch tatsächlich ab- auf den Weg gebracht und definiert haben. Wir haben hier gerufen, eingesetzt und verbaut wird, und darum, dass also gemeinsam konsequent gehandelt . wir wirklich das schnelle Internet bekommen . Im parlamentarischen Verfahren werden wir sicher an (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der einen oder anderen Stelle noch einmal genauer hin- ordneten der SPD) schauen müssen, zum Beispiel, wenn es um das Thema „Glasfaserleitungen zu den Häusern“ und um die Frage Die Anzahl der Förderbescheide, die in den letzten geht, wie wir in den Häusern konkret damit umgehen . Wochen von unserem Ministerium herausgegeben wer- Dazu werden wir im Rahmen eines guten parlamenta- den konnten, zeigt auch: Es ist etwas in Bewegung ge- rischen Verfahrens Expertenanhörungen im Ausschuss kommen in dieser Republik dadurch, dass wir das ange- durchführen . (B) packt haben . (D) Ich bin mir sicher: Am Ende werden wir ein sehr gutes (Beifall bei der CDU/CSU) Gesetz erreichen, durch das alle Regionen Deutschlands Es ist dadurch deutlich mehr in Bewegung gekommen, mit schnellem Internet versorgt sein werden . als in den letzten Monaten und Jahren in den Ländern – Danke schön . mit Ausnahme Bayerns, dort waren es 1,5 Milliarden Euro; auch das stimmt – in Bewegung gekommen war . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Insofern ist Ihre Kritik nicht nur unberechtigt, sie ist ge- ordneten der SPD) radezu falsch . Packen Sie selbst an in den Ländern, in denen Sie mitregieren – und es sind ja nicht wenige –, Präsident Dr. Norbert Lammert: und nehmen Sie sich an Bayern ein Beispiel! Ich schließe die Aussprache . (Beifall bei der CDU/CSU – Abg . Tabea Bevor wir nun über die Überweisung des vorliegen- Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] mel- den Gesetzentwurfes entscheiden, bekommt die Kollegin det sich zu einer Zwischenfrage) Rößner Gelegenheit zu einer Erklärung zur Aussprache – Nein, Sie waren schon dran . nach § 30 unserer Geschäftsordnung . (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Feige!) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident .– Ich hätte gerne noch Jetzt zum DigiNetz-Gesetz: Es ist ein weiterer echter eine Frage an den Kollegen Lange gestellt, der mich ja Hebel, den wir auf den Weg bringen . Es ist, wie es vorhin angesprochen hat, und zwar, inwieweit die Koalition zur schon angesprochen wurde, ein Hebel, der auf einer Idee Kenntnis nehmen möchte und was sie dazu zu sagen hat, der letzten Bundesregierung basiert . dass wir im internationalen Ranking nicht besonders gut (Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE dastehen . Vielleicht sind Ihnen die Zahlen nicht bekannt, GRÜNEN] meldet sich erneut zu einer Zwi- aber beim Glasfaserausbau steht Deutschland im europä- schenfrage) ischen Ranking auf Platz 28 und weltweit auf Platz 51 . – Ich habe gesagt: Nein . Daran ändert sich auch nichts . ( [CDU/CSU]: Dank Rhein- land-Pfalz!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Das ist für eine führende Industrienation nicht besonders GRÜNEN]: Wovor haben Sie Angst?) gut . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16703

Tabea Rößner (A) Ich hätte gerne noch einmal eine Antwort auf die Fra- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (C) ge bekommen, wie die Koalition dazu steht, dass die GRÜNEN Bundesregierung da in den vergangenen Jahren wirklich nicht die richtigen Weichen gestellt und das Land nicht Interministerielle Zusammenarbeit bei der vorangebracht hat . Bewältigung der Fluchtkrise in Drittstaaten verbessern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg . Ulrich Lange [CDU/CSU] erhebt sich zu Drucksachen 18/6772, 18/8430 einer Erwiderung) Auch diese Aussprache soll nach einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen 60 Minuten dauern .– Dazu Präsident Dr. Norbert Lammert: stelle ich wiederum Einvernehmen fest . Also können wir Nein, auf Erklärungen zur Aussprache gibt es keine so verfahren . Möglichkeit der Erwiderung . Sie sollen ja nur der Klar- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesmi- stellung eigener Äußerungen dienen . nister Gerd Müller das Wort . (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Sie hat mich (Beifall bei der CDU/CSU) etwas gefragt!)

Wir entscheiden nun über die interfraktionell empfoh- Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche lene Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Druck- Zusammenarbeit und Entwicklung: sache 18/8332 an die in der Tagesordnung aufgeführten Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Ausschüsse . Ich darf fragen, ob dagegen Widerspruch Herren! Als ich das letzte Mal ein Projekt in Neu-Delhi erhoben wird .– Das ist nicht der Fall . Dann ist die Über- besucht habe, fragte mich ein kleiner Junge mit funkeln- weisung so beschlossen . den, treuen Augen, ob er mit nach Deutschland kommen Wir kommen damit zu den Tagesordnungspunkten 4 a darf. Wir finanzieren dort ein Projekt für Kinder, die bis 4 c: Müll sammeln, um überleben zu können . 200 Millionen Kinder in Indien leben in Not und Elend . Ich konnte den a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Jungen nicht mitnehmen, aber ich habe ihm gesagt: Wir CSU und SPD helfen dir vor Ort . Fluchtursachen bekämpfen – Aufnahmestaa- Dies ist eine entscheidende Botschaft: Wir müssen ten um Syrien sowie Libyen entwicklungspo- mehr vor Ort tun . Wir können die Probleme nicht da- (B) litisch stärken durch lösen, dass wir alle Menschen hierher holen . Das (D) heißt aber, wir müssen mehr vor Ort tun . Drucksache 18/8393 Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- ordneten der SPD) lung (f) Auswärtiger Ausschuss Ich danke den Koalitionsfraktionen, dass wir dieses dra- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe matische Thema, diese Herausforderungen heute einmal Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union grundsätzlich diskutieren können . Haushaltsausschuss Der Antrag der Koalitionsfraktionen zeigt auf, dass b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja die Migrations- und Fluchtbewegungen unserer Zeit vie- Keul, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, weiterer Ab- le Ursachen haben, die weit über das hinausgehen, was geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE wir tagesaktuell diskutieren . Dies ist eine Generationen- GRÜNEN aufgabe und fordert von der Weltgemeinschaft eine ganz 25 Jahre Waffenstillstandsabkommen in der neue Dimension von globaler Zusammenarbeit und Ver- Westsahara – UN-Resolution 690 umsetzen, antwortung . Referendum durchführen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Drucksache 18/8247 der SPD) Überweisungsvorschlag: Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht . Auswärtiger Ausschuss (f) Die Ursachen dafür sind im Antrag sehr präzise beschrie- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie ben; ich empfehle wirklich, ihn zu lesen . Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ lung DIE GRÜNEN]: Na ja!) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Das sind Naturkatastrophen, Stichwort „El Niño“ . c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- 10 Millionen Menschen sind auf der Flucht, weil eine richts des Ausschusses für Menschenrechte und Dürrekatastrophe sie um ihr Leben fürchten lässt . Andere humanitäre Hilfe (17 .Ausschuss) zu dem Antrag Ursachen sind natürlich Kriege, nicht nur in Syrien und der Abgeordneten Dr .Frithjof Schmidt, Claudia im Irak . Wir denken auch an den Jemen und viele andere Roth (Augsburg), Omid Nouripour, weiterer Ab- Krisenherde . 16704 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) Aber grundsätzlich geht es um eine Entwicklung, mit die verfolgten und geschändeten Frauen der Jesiden in (C) der wir uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten be- der Sindschar-Region, dann muss über all unserem Tun schäftigen müssen: eine dynamisch wachsende Weltbe- stehen: Die Würde des Menschen ist unantastbar und völkerung . Am heutigen Tag wächst die Weltbevölkerung universell gültig . Jeder Mensch hat ein Recht auf Lebens- um 250 000 Menschen . 80 Millionen Menschen kommen würde, auch der Junge in Neu-Delhi . jedes Jahr neu auf unseren Planeten . Diese Menschen wollen essen und trinken . Sie brauchen Arbeit, sie brau- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- chen Zukunft . ordneten der SPD und der Abg . Dr . [DIE LINKE]) Es geht um das Thema Ernährungssicherung und um die Bekämpfung des Hungers . Wir stehen vor der großen Daraus ergibt sich international, dass die Vereinten Na- Herausforderung des Klimawandels . Wissenschaftler sa- tionen in die Lage versetzt werden, humanitäres Völker- gen uns: Sollten wir durch gemeinsame Anstrengungen recht zu wahren und durchzusetzen . Meine Damen und das 2-Grad-Ziel nicht erreichen, so werden sich 100 oder Herren, das Bombardieren von Krankenhäusern in Alep- 200 Millionen Menschen in den nächsten Jahren und po, die Vergewaltigungslager in der Sindschar-Region Jahrzehnten auf den Weg in Richtung Norden machen, und der Völkermord an den Jesiden sind Kriegsverbre- also auch in Richtung Europa. Auch Verteilungskonflikte chen und dürfen nicht ohne Folgen bleiben . und eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Fluchtursachen . ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Pro- DIE GRÜNEN) bleme werden in den kommenden Jahren eher zu- als Wir müssen die Vereinten Nationen stärken . Wir brau- abnehmen . Was viele übersehen, auch in der Diskussi- chen ebenso einen globalen Rahmen verbindlicher Nor- on in Deutschland, ist, dass 90 Prozent der derzeitigen men zur Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele, Flüchtlinge Aufnahme in Entwicklungs- und Schwel- die wir beschlossen haben . Wenn heute 20 Prozent der lenländern finden. Nicht wir in den reichen Industrielän- Menschen 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen – das dern – in Deutschland, in den europäischen Staaten und sind wir in den Industrieländern mit unserer Lebens- in den USA – sind die Hauptbetroffenen . Zwei Drittel weise – und 10 Prozent der Menschheit 90 Prozent des der Flüchtlinge sind Binnenvertriebene im eigenen Land . Vermögens besitzen, dann haben wir ein globales Ge- Die Reaktion der reichen Industriestaaten wie der USA rechtigkeitsproblem, das auch Auslöser für Flucht und und Staaten der EU darf nicht auf Abwehr und Zurück- Migration ist . weisung beschränkt sein . (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Zurufe der Abg . [BÜND- (D) ordneten der SPD und der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es muss uns allen weltweit klar sein, dass wir heute in NEN]) einem globalen Dorf, in einer Welt leben und dass auch wir durch unseren Lebens-, Konsum- und Wirtschaftsstil Deshalb brauchen wir auch Ihre Unterstützung, um welt- für die Ursachen der Krisen mitverantwortlich sind . weite Standards für einen fairen globalen Handel durch- zusetzen . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Stop- Wegducken vor der Verantwortung und Abschottung pen Sie doch die EPAs!) wird ebenso wenig die Lösung sein wie die Aufnahme aller potenziellen Flüchtlinge in Deutschland und den Wir müssen Überlebens-, Zukunfts- und Bleibeper­ anderen Ländern Europas . Es bedarf vielmehr einer neu- spektiven für die Menschen in Krisen-, Konflikt- und en globalen Verantwortungsethik weltweiten Handels, Entwicklungsländern vor Ort schaffen . Dafür bedanke das heißt einer neuen Partnerschaft zwischen Industrie-, ich mich bei allen Abgeordneten im Bundestag und bei Schwellen- und Entwicklungsländern . den Kollegen in der Regierung . Lösen wir die Probleme nicht vor Ort, so kommen die Menschen zu uns . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Deutschland und die Kanzlerin gehen voran . Allein unser Ministerium hat die Mittel zur Bewältigung der Dazu brauchen wir Handlungskonzepte auf internatio- Syrien-Krise in den letzten zwei Jahren verdreifacht . Wir naler, europäischer und nationaler Ebene, die über die reden nicht nur, sondern mit unserer Beschäftigungsof- aktuellen Antworten weit hinausgehen . Im Antrag der fensive „Cash for work“ schaffen wir bereits jetzt Ar- Koalitionsfraktionen sind dazu ganz wichtige Vorgaben beitsplätze für Flüchtlinge vor Ort im Nordirak, in Jor- gemacht . danien und im Libanon . (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU DIE GRÜNEN]: Na ja!) sowie der Abg . Michelle Müntefering [SPD]) Ich möchte einige Punkte aufgreifen . 300 000 Kinder können mit unserer Unterstützung, mit Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich an deutschen Steuergeldern, zur Schule gehen . Wir haben den Jungen in Indien denke, die Kinder in Aleppo oder ein Infrastrukturprogramm aufgelegt . Wir bauen zerstör- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16705

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) te Dörfer wieder auf, führen die Menschen zurück, und Staatssekretär Fuchtel aus meinem Haus, hat dazu wich- (C) wir helfen vor Ort . tige Vorarbeiten geliefert . Ich sage an dieser Stelle den deutschen Finanzpoliti- Wir brauchen auch – das muss klar sein, meine Damen kern in Bund, Ländern und Kommunen: Jeder Euro in und Herren – eine faire Handelspartnerschaft zwischen Dohuk hat die 50-fache Wirkung eines Euros in Trier Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern . oder München . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) der SPD) Mit 300 Euro schaffen wir für einen Menschen vor Ort Bleibe und Verpflegung für ein ganzes Jahr. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister . Die Menschen, die ich in Dohuk, Erbil oder in an- deren Regionen getroffen habe, haben mir gesagt: Wir wollen vor Ort bleiben . Sobald es Sicherheit gibt, wollen Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche wir wieder in unsere Dörfer, in unsere Heimatregionen Zusammenarbeit und Entwicklung: zurückgeführt werden . Aber wenn ihr uns vor Ort nicht Herr Präsident, mein letzter Satz .– Zeiten der Krise helft, dann bleibt uns nur die Chance, uns nach Deutsch- bieten uns auch die Chance für einen neuen Aufbruch . land oder Europa aufzumachen .– Deshalb drehen wir Nutzen wir diese Chance! den Spieß um und geben den Menschen in ihren Regio- nen eine Bleibeperspektive . Herzlichen Dank . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) ordneten der SPD) Dazu muss auch Europa seinen Beitrag leisten . Wir müssen Europa neu gestalten und wieder handlungsfä- Präsident Dr. Norbert Lammert: hig machen . Ich könnte dazu eine eigene Rede halten . Europa braucht ein neues Nachbarschaftskonzept für die Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Heike osteuropäischen Freunde und Partner, aber auch für den Hänsel das Wort . Mittelmeerraum, für Nordafrika und Ägypten . Europa braucht einen Flüchtlingskommissar statt vier Kommis- (Beifall bei der LINKEN) sare, die sich gegenseitig behindern . (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Heike Hänsel (DIE LINKE): ordneten der SPD) Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Herr Minister Müller, Sie haben Ihre Rede mit dem Europa braucht eine neue Haushaltsstruktur, die den Hinweis auf einen Jungen in Neu-Delhi begonnen, den neuen Herausforderungen gerecht wird, und zwar einen Sie getroffen haben und der durch die deutsche Entwick- Flüchtlingsfonds von jährlich 10 Milliarden Euro und ei- lungszusammenarbeit unterstützt wird . Ich frage Sie aber: nen Marshallplan für den Wiederaufbau . Was ist mit all den Flüchtlingskindern, die seit Monaten Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zusa- in Idomeni im Morast und unter menschenunwürdigen gen im Zusammenhang mit der Unterfinanzierung der Bedingungen dahinvegetieren müssen, den Kindern, die UN-Hilfsprogramme müssen eingehalten werden . Ich nun von den griechischen Inseln in die Türkei und dann erwarte in Istanbul, dass die Geberländer genau angeben, von der Türkei weiter nach Syrien zurückgeschickt wer- was sie seit der Londoner Konferenz eingezahlt haben . den? Es ist fraglich, ob sie es überhaupt überleben; denn türkische Grenzsoldaten schießen auf Flüchtlinge, auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- auf Frauen und Kinder . Was ist mit all diesen Kindern? ordneten der SPD) Das ist die Schande Europas . Selbst der Papst hat diese Die Bundeskanzlerin hat Zeichen gesetzt . Deutschland Politik, für die Sie Verantwortung tragen, scharf kritisiert . finanziert inzwischen die Hälfte der Beiträge zum Welt- ernährungsprogramm . Wir bilden aus . Wir bauen auf . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Wir gliedern ein, und wir legen ein Rückkehrprogramm NIS 90/DIE GRÜNEN) auf . Es gibt nun mehr Geld, Bildungsangebote und Ar- Lassen Sie mich zum Schluss zusammenfassend sa- beitsmöglichkeiten für die Flüchtlinge, die seit Jahren in gen: Wir müssen Entwicklungspolitik weltweit in einer den Nachbarländern der Kriegsregionen Syrien und Irak ganz neuen Dimension sehen und gestalten . Dafür brau- ausharren müssen . Das ist bitter nötig . Aber auch hier chen wir unter anderem eine Verdoppelung der weltwei- sehen wir die Folgen der verfehlten Politik der Bundes- ten Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und eine regierung . Sie hat viel zu lange, über Jahre hinweg, trotz Vervielfältigung privater Investitionen in Entwicklungs- zahlreicher Appelle von Hilfsorganisationen die Beiträge ländern mit neuen Instrumenten auch in Deutschland . sehr gering gehalten und wollte noch 2014 die Beiträge Wir brauchen private Investitionen in nachhaltige Ent- für das Welternährungsprogramm sogar kürzen, und das wicklung . Die ADB-Jahrestagung in Frankfurt hat dazu trotz der großen Anzahl an Flüchtlingen . Wir haben das entsprechende Standards vorgegeben . Ihr Gouverneur, in jeder Haushaltsdebatte kritisiert und deutliche Erhö- 16706 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Heike Hänsel (A) hungen gefordert . Seit Jahren ist hier eine Verfehlung der Euro sind mehr als die weltweiten Entwicklungsausga- (C) Bundesregierung festzustellen . ben eines gesamten Jahres . Wir wollen nicht, dass dieses Geld für noch mehr Kriegseinsätze, für noch mehr Tod (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und Zerstörung verwendet wird, was immer wieder neue neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Flüchtlinge hervorbringt, sondern wir wollen, dass dieses Wir sind konfrontiert mit einem Höchststand bei den Geld endlich in die soziale Entwicklung in den Ländern Flüchtlingszahlen weltweit . Herr Müller, Sie haben ge- des Südens und auch in eine soziale Offensive hier in den sagt, es gehe um die Fluchtursachen . Aber in dem, was Kommunen investiert wird . im Antrag von CDU/CSU und SPD niedergeschrieben (Beifall bei der LINKEN) ist, reden Sie nicht von den eigentlichen Ursachen, wa- rum Millionen Menschen auf der Flucht sind . Wer Flüchtlinge schützen und Fluchtursachen be- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- kämpfen will, muss auch ganz deutlich und scharf Nein neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu diesem schmutzigen Flüchtlingsdeal mit dem türki- schen Despoten und Merkel-Freund Erdogan sagen; Sie fliehen aus den Kriegsregionen Syrien, Irak, Libyen und Jemen . All diese Länder werden seit Jahren durch (Beifall bei der LINKEN) eine Kriegspolitik des Westens destabilisiert . Diese Po- denn dieser Deal ist menschenverachtend . Flüchtlinge litik hat zu einem Chaos in diesen Ländern beigetragen . werden von der Türkei sogar in Kriegsgebiete zurück- Unter Führung der USA wurden diese Länder im Namen geschickt . Gleichzeitig wird Erdogan dafür von der Bun- des sogenannten Krieges gegen den Terror massiv desta- desregierung und der EU mit 6 Milliarden Euro Steuer- bilisiert und zerstört . Den dort lebenden Menschen wur- geldern belohnt . Das muss man sich einmal vorstellen: de jegliche Lebensperspektive genommen . Das zwingt 6 Milliarden Euro für diese verbrecherische Politik von die Menschen zur Flucht . Wir haben von Anfang an Erdogan, der eine Kriegspolitik gegen die eigene Bevöl- diesen Krieg gegen den Terror, der selbst Terror für die kerung betreibt, der Massaker an Zivilisten in den kurdi- Menschen in der Region bedeutet, verurteilt und hier als schen Städten Diyarbakir und Cizre begangen hat, der die einzige Fraktion abgelehnt . Enteignung von christlich-armenischen Kirchen durch- (Beifall bei der LINKEN) geführt hat und die Vertreibung von Kurden und Aleviten im Südosten der Türkei vorantreibt . Was sagen Sie denn Deutschland beteiligt sich doch an all diesen Militär­ eigentlich zu dieser Politik? Hier hört man auch von Ih- einsätzen . 15 Jahre Krieg in Afghanistan! Die Situation nen, Herr Müller, herzlich wenig . Sie machen sich mitt- ist fatal . Das ist eine Katastrophe für die Menschen in der lerweile zum Komplizen dieser verbrecherischen Politik . Region . Deutschland unterstützt logistisch US-Drohnen- (B) angriffe in Pakistan oder im Jemen . Deutschland hat sich (Beifall bei der LINKEN) (D) zum Beispiel an der Umsturzpolitik in Syrien beteiligt . In Aber Erdogan ist nicht der einzige Despot, mit dem die all diesen Regionen wird auch mit deutschen Waffen ge- EU nun beste Beziehungen pflegt. Das MagazinMonitor mordet . Deswegen: Wer von der Bekämpfung der Flucht- hat vor kurzem interne Berichte der EU-Kommission ursachen spricht, darf zu dieser Kriegspolitik, dieser Um- veröffentlicht, die neue Kooperationen mit afrikanischen sturzpolitik und den Waffenexporten nicht schweigen . Machthabern aufdecken, unter anderem im Sudan, in Eri- (Beifall bei der LINKEN) trea, Äthiopien und Somalia . Dabei ging es darum, dass unter keinen Umständen dies an die Öffentlichkeit gelan- Die deutsche Außenpolitik muss sich grundsätzlich gen dürfte . Herr Müller, weswegen eigentlich nicht? Was ändern, wenn wir zur Überwindung der Fluchtursachen haben Sie denn zu verschweigen? ernsthaft beitragen wollen . Wir wollen eine aktive Frie- denspolitik, die sich nicht an NATO-Militärinterventi- (Beifall bei der LINKEN) onen beteiligt, die die Rüstungsexporte weltweit stoppt Warum war es denn so wichtig für die EU-Kommissi- und die auch sämtliche Drohnenangriffe von deutschem on, dass das nicht an die Öffentlichkeit kommt? Es zeigt Boden aus sofort unterbindet . nämlich, dass die EU mittlerweile vor nichts mehr zu- (Beifall bei der LINKEN) rückschreckt, wenn es um die Flüchtlingsabwehr geht . Äthiopien zum Beispiel, eine brutale Militärdiktatur, soll Aber das genaue Gegenteil ist der Fall . Frau von der mit mehr Entwicklungsgeld belohnt werden, wenn es Leyen rüstet sich jetzt für neue Kriegseinsätze . Sie will Flüchtlinge zurücknimmt . die Bundeswehr erstmalig wieder aufstocken und damit die Ära der Abrüstung beenden . Ich frage Sie, Herr Ent- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Pfui!) wicklungsminister Müller: Was sagen Sie denn zu dieser Afrikanische Staaten jetzt mit mehr Entwicklungshil- Politik der neuen Aufrüstung und des neuen Wettrüstens? fe ködern zu wollen, damit sie ihre Grenzen zur Flücht- Das ist doch ein Wahnsinn . Was sagen denn die SPD und lingsabwehr hochrüsten und Rücknahmeabkommen ab- Außenminister Steinmeier dazu? Treten wir jetzt in eine schließen, ist eine perfide Strategie. Je mehr Flüchtlinge neue Ära des Wettrüstens ein? Wo ist Ihre Friedenspoli- zurückgenommen werden, desto mehr Entwicklungshil- tik? fe – das ist ein Missbrauch von Entwicklungsgeldern und (Beifall bei der LINKEN) menschenverachtend . Frau von der Leyen fordert 130 Milliarden Euro in den (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- kommenden Jahren für die Bundeswehr . 130 Milliarden neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16707

Heike Hänsel (A) Statt diese Politik mit Afrika zu betreiben, brauchen Das hat natürlich auch Konsequenzen . Wir werden (C) wir endlich gerechte Handelsbeziehungen, die eine wirt- das in der Haushaltsdebatte im September noch sehen . schaftliche und soziale Entwicklung in den afrikanischen Heute ist weder Zeit noch Ort, das Ganze noch einmal Ländern ermöglichen . Seit Jahren kämpfen wir dafür, auszuführen . Wir werden in der Haushaltsdebatte anhand Herr Müller, dass deswegen die Freihandelsabkommen von Millionen und Milliarden Euro noch einmal darle- mit Afrika, die sogenannten EPAs, eben nicht abge- gen, was verändert und was verbessert worden ist . Genau schlossen werden, sondern gerechte Handelsstrukturen darum wird es gehen . aufgebaut werden . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie doch (Beifall bei der LINKEN) etwas zu den 130 Milliarden Euro von Frau von der Leyen! Aufrüstung der Bundeswehr!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dass bei der Urkatastrophe des 21 . Jahrhunderts, im Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen . Irakkrieg, Deutschland gesagt hat: „Wir beteiligen uns nicht an dem, was von der Bush-Administration völker- Heike Hänsel (DIE LINKE): rechtswidrig gemacht wird“, ist die Grundlage für alle Wer Fluchtursachen und nicht Flüchtlinge bekämp- Gespräche, die Minister Müller, Minister Steinmeier und fen will, muss ein solidarisches und soziales Europa, ein andere heute führen können; das Vertrauen in Deutsch- friedliches Europa entwickeln . Die Linke wird weiter da- land als wichtige Friedensmacht in Europa ist vorhanden . für kämpfen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN – Katja Keul der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allein! – Es wird entscheidend darauf ankommen, dass wir uns Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE innerhalb der EU – die EU ist nun einmal, was die Fi- GRÜNEN]: Na ja!) nanzen anbelangt, der wichtigste Player – für eine Poli- tik einsetzen, die tatsächlich mehr Mittel zur Verfügung Präsident Dr. Norbert Lammert: stellt, um Fluchtursachen zu bekämpfen . Dieser Einsatz Axel Schäfer ist der nächste Redner für die SPD-Frak- innerhalb der Europäischen Union wird für uns wichtig tion . sein . Diesen Einsatz werden wir leisten, und dabei müs- sen wir, bitte schön, ehrlich vorgehen . (Beifall bei der SPD) Es kann ja nicht sein, dass wir im Jahre 2013 auch aus Deutschland hören: „Wir müssen eigentlich den EU-Etat (B) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): kürzen“, dass wir aber im Jahr 2016 sagen: Wir brauchen (D) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! aus dem EU-Etat mehr Geld für die Fluchtursachenbe- Wenn man viel in anderen europäischen Ländern un- kämpfung .– Entweder das eine oder das andere . Die terwegs ist und dort mit Abgeordneten, Vertretern der SPD ist für mehr Geld für Fluchtursachenbekämpfung, Regierungen und der Zivilgesellschaft redet oder wenn auch über den EU-Etat . man außenpolitisch mit Partnern, auch in Kriegsgebie- ten, zu tun hat, wird man immer wieder eines feststellen: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die deutsche Bundesregierung, unser Land insgesamt, der CDU/CSU) ist durch vielfältige Initiativen und aufgrund von Organi- Noch etwas müssen wir hier kritisch beleuchten: Ich sationen, aber vor allem wegen ihrer Verlässlichkeit ein bin dagegen, dass auf die ODA-Quote die nationalen wichtiger Ansprechpartner . Wir sind ein Garant dafür, Mittel angerechnet werden, die wir für Flüchtlinge aus- dass wir in dieser Welt für den Frieden und für mehr Ge- geben . rechtigkeit eintreten . Unser Land ist das Gegenteil von dem, was meine Vorrednerin eben ausgeführt hat . (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – NEN) Heike Hänsel [DIE LINKE]: Beteiligen Sie sich nicht an den Kriegen?) Das würde dem widersprechen, was unsere auf Nachhal- tigkeit angelegte Politik – Sie wissen, es gilt, mindestens Glauben Sie mir: Ich war schon an vielen Orten unter- 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwick- wegs . Es ist völlig klar: Von Deutschland geht Vertrauen lungshilfe aufzuwenden – eigentlich sein soll, die aber in aus . Das ist auch dem persönlichen Wirken der beiden der Praxis noch nicht immer umgesetzt worden ist . Minister zu verdanken, die für die Bereiche, über die wir heute diskutieren – Entwicklungszusammenarbeit und Ich erlaube mir, zum Schluss mit der Genehmigung Außenpolitik –, verantwortlich sind . Entscheidend ist des Herrn Präsidenten ein Zitat vorzutragen: das ständige Bemühen um Lösungen und nicht um krie- Auf dem Wege zu einer neuen internationalen Ord- gerische Aktionen oder sonstige Aktivitäten . Genau das nung dürfen wir eine der tragischsten Konsequen- Gegenteil von dem, was Sie, Frau Hänsel, gesagt haben, zen andauernder Konflikte und Spannungen nicht ist der Fall . übersehen: nämlich die Millionen von Flüchtlingen, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – deren Leben entwurzelt wurde und die oft verzwei- Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wo leben Sie feltem Elend ausgesetzt sind . . . Die gesamte inter- denn?) nationale Staatengemeinschaft muß Verantwortung 16708 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Axel Schäfer (Bochum) (A) übernehmen für die Existenzbedingungen jener tragen, dass über 60 Millionen Menschen ihre bisherige (C) Mitmenschen, die Opfer von Intoleranz und Bru- Heimat, ihr bisheriges Leben hinter sich lassen mussten . talität werden . Die Last jener Länder, die in enger Nachbarschaft zu einem Regime leben, das einen Fluchtursachenbekämpfung bedeutet dann zum Bei- Exodus von Flüchtlingen verursacht, sollte im Geis- spiel, die diplomatischen, die politischen Anstrengungen te der Solidarität mitgetragen werden von denen, die zur Beilegung aktueller Krisen und Kriege stärker zu ver- es besser haben . vielfachen und Deutschland wirklich zu einem Vorreiter in der zivilen Krisenprävention zu machen . Das sagte Willy Brandt 1979 in seiner Einleitung zum Bericht der Nord-Süd-Kommission . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Davon ist die SPD leider weit entfernt!) Das muss doch unser Anspruch sein . Das muss doch der Sie sehen, vor welchen Problemen wir stehen . Sie se- Anspruch der deutschen Bundesregierung sein . hen aber auch genau an diesem Zitat, dass die Herausfor- Fluchtursachenbekämpfung bedeutet auch, lieber derungen von heute viel mit Fehlern der Vergangenheit Gerd Müller, Jemen nicht nur in einem Nebensatz zu er- zu tun haben . Wir müssen dazu stehen und müssen auch wähnen, sondern dann auch die milliardenschweren Rüs- die Konsequenzen ziehen . Wir sind mit der Politik dieser tungsexporte in die Krisengebiete endlich einzustellen . Bundesregierung dabei, die richtigen Konsequenzen zu ziehen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Fluchtursachenbekämpfung heißt, für eine wirklich faire Handelspolitik einzutreten, die eben nicht eine Präsident Dr. Norbert Lammert: rücksichtslose maximale Marktöffnung für unsere Unter- Das Wort erhält nun die Kollegin Claudia Roth für die nehmen zum Ziel hat, sondern sie beim Umweltschutz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . bei den Arbeitnehmerrechten, beim Menschenrechts- schutz systematisch in die Pflicht nimmt. Und da haben wir erhebliche Zweifel, dass TTIP das leistet . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr verehrter, lieber Herr Präsident! Liebe Kolle- ginnen und Kollegen! Eigentlich dürfte ich hier heute Fluchtursachenbekämpfung bedeutet schließlich, die (B) gar nicht stehen . Warum? Als wir Grünen veranlassen wachsende globale Ungerechtigkeit ebenso konsequent (D) wollten, dass unser eigener Antrag zur Fluchtursachen- anzugehen wie den fortschreitenden Klimawandel; das bekämpfung mit aufgesetzt wird, hieß es aus den Koa- heißt, die Beschlüsse von Paris und New York nicht nur litionsfraktionen, das sei leider nicht möglich, denn der abzudrucken, sondern sie wirklich umzusetzen und damit Grünenantrag sei einfach zu breit angelegt . jetzt anzufangen . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, sehr viel deutlicher hätten Sie, liebe Kolle- Weiter heißt das, die ärmsten Staaten der Welt umfas- ginnen und Kollegen von Union und SPD, Ihr mangeln- send zu unterstützen und – ja, Axel Schäfer – nicht die des Verständnis dafür, was wirksame Fluchtursachenbe- ODA-Quote nun durch die Anrechnung innerdeutscher kämpfung tatsächlich bedeutet, gar nicht zum Ausdruck Ausgaben für die Flüchtlingsversorgung oder durch die bringen können . Vermischung mit Geldern für den Klimaschutz künstlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schönzurechnen . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wer nämlich Fluchtursachen bekämpfen will, der sowie der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) kann seine Politik gar nicht breit genug anlegen . Insofern gebe ich Ihnen recht, liebe Kolleginnen und (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kollegen von der SPD und von der Union: Unser grüner Genau!) Ansatz ist viel breiter angelegt als Ihr heutiger Antrag, Bei der Bekämpfung von Fluchtursachen geht es doch der sich letztlich doch kaum mit der im Titel benannten gerade um eine möglichst allumfassende Politik, die kein Bekämpfung von Fluchtursachen beschäftigt, sondern Ressort, die kein Ministerium außer Acht lässt und eben viel mehr mit der Unterstützung der Nachbarstaaten Sy- nicht nur den Minister für das gute Gewissen hier spre- riens . chen lässt, (Stefan Rebmann [SPD]: Und wie geht es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weiter?) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Verstehen Sie uns bitte nicht falsch: Selbstverständ- die konsequent der Frage nachgeht, inwieweit das poli- lich sind Länder wie der Libanon, wie Jordanien, der Irak tische Handeln und Nichthandeln in unseren Partnerlän- oder die Türkei, die für die Flüchtlinge aus der Hölle von dern, aber eben auch bei uns in Deutschland dazu bei- Syrien die ersten Rückzugsorte sind, heillos überfordert . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16709

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Selbstverständlich liegt das auch daran, dass wir diese die Probleme dort zu lösen, werden die Probleme zu uns (C) Länder viel zu lange alleingelassen haben . kommen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU – [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kon- Selbstverständlich ist es allerhöchste Zeit, sie zu unter- kret!) stützen . Die wichtigste Ursache für Flucht und Vertreibung ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach wie vor der Syrien-Konflikt. Ich habe es erwähnt: sowie der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) Inzwischen gibt es fast 8 Millionen Binnenvertriebene . Aber damit bekämpfen wir doch keine Fluchtursachen in Über 13,5 Millionen Menschen in Syrien, davon über die den Herkunftsländern! Hälfte Kinder, sind hilfsbedürftig . Trotz aller politischen Bemühungen gibt es leider noch keinen Erfolg in diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bereich . Es ist noch nicht zu einem Frieden gekommen – sowie der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) zu vielfältig, zu gegenläufig sind die Interessen. Die Ter- rorgruppen gehen weiterhin brutal vor . Assad versucht Wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen, dass we- mit allen Mitteln, auch mithilfe brutalster Gewalt, an sei- niger Menschen fliehen, und nicht nur erreichen wollen, ner Macht festzuhalten . dass weniger Menschen bei uns ankommen, dann müs- sen wir unsere Politik in vielen Feldern ganz grundle- Trotz brüchiger Feuerpause sieht man aber doch gend umgestalten . manchmal einen kleinen Hoffnungsschimmer . Wir ha- ben es jetzt das erste Mal geschafft, mit Hilfskonvois mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lebensmitteln und Gesundheitsversorgungsinstrumen- sowie der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) ten in besetzte Gebiete zu kommen, in Gebiete, die von Und dann kann der Ansatz eben nicht breit genug sein, Terrororganisationen oder von Assads Soldaten besetzt sondern dann muss er überall, in allen Bereichen, anfan- sind . Den Menschen dort konnten wir nach monatelan- gen – und das besser heute als morgen, liebe Kolleginnen gem Hunger und vielen Entbehrungen endlich wieder und Kollegen . Nahrungsmittel geben . Wir erreichen leider nicht alle Gebiete, weil wir nicht überall hindürfen und jedes Mal (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Erlaubnis brauchen . Aber für einige Hunderttausend sowie der Abg . Michaela Engelmeier [SPD]) Menschen gibt es in diesem Bereich zumindest diesen Hoffnungsschimmer .

Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) Das Wort erhält nun die Kollegin Dagmar Wöhrl für (D) die CDU/CSU-Fraktion . Wir sehen ebenfalls, dass Menschen wieder in ihre Gebiete zurückkehren können – zwar nicht in alle, aber (Beifall bei der CDU/CSU) wenigstens in einige – und versuchen, ihre zerstörten Häuser wieder aufzubauen . Wir versuchen hier, unter- Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): stützend tätig zu sein . Wir versuchen auch, vorbereitet Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! zu sein, um mit weiteren Maßnahmen beginnen zu kön- Auch wenn die Zahl der ankommenden Flüchtlinge bei nen, wenn nach erfolgreichen Friedensverhandlungen – uns sinkt, heißt das noch lange nicht, dass die Fluchtur- darauf hoffen wir alle – der Frieden eintritt . Wir wollen sachen verschwunden sind, heißt das noch lange nicht, mit Infrastrukturmaßnahmen und vielem anderen helfen, dass wir aufhören können, die Fluchtursachen vor Ort damit die Menschen dort wieder ein lebenswertes Leben zu bekämpfen . Im Gegenteil – ich glaube, dies ist auch haben . durch meine Vorredner und Vorrednerinnen deutlich ge- 4,8 Millionen syrische Flüchtlinge sind in Nachbar- worden –: Wir müssen noch intensiver an deren Bekämp- länder geflüchtet und haben dort großzügig Aufnahme fung arbeiten . gefunden . Aber diese Länder sind am Ende ihrer Kapa- Fakt ist: Der Konflikt in Syrien ist nicht beseitigt, im zität . Sie stehen vor immens großen Herausforderungen . Gegenteil . Wir haben gestern neue Zahlen bekommen, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Europa ist nicht nach denen allein im letzten Jahr 1,3 Millionen neue Bin- am Ende seiner Kapazität!) nenflüchtlinge dazugekommen sind – zusätzlich zu den bereits vorhandenen 6,6 Millionen . Wir wissen, dass die Es sind Länder wie Jordanien, der Libanon und der Irak, Situation in den Nachbarländern weiterhin sehr ange- die auch vorher schon Probleme hatten, die auch vorher spannt ist . Wir wissen auch, dass immer mehr Menschen schon eine hohe Arbeitslosigkeit hatten, die auch vorher aus der Subsahara in Libyen ankommen, um sich auf den schon – wie Jordanien – Wasserprobleme hatten . Diese Weg nach Europa zu machen . Probleme werden jetzt durch die syrischen Flüchtlinge verstärkt . Im Libanon sind die Wohnungskosten um über Das heißt: Der Schlüssel für die Lösung ist, die 200 Prozent gestiegen . Viele syrische Flüchtlinge gehen Fluchtursachen sowohl in den Herkunftsländern als auch in die Schwarzarbeit, weil sie keine Arbeitsgenehmigung in den Nachbarländern so zu bekämpfen, dass die Men- haben. Ihre finanziellen Möglichkeiten sind erschöpft. schen in diesen Ländern eine Zukunftsperspektive haben . Das bisschen Geld, das sie am Anfang hatten, ist auf- Wir müssen helfen, die Probleme vor Ort zu lösen; denn, gebraucht . Sie nehmen der einheimischen Bevölkerung wie der Minister gesagt hat, wenn wir es nicht schaffen, so aber die Arbeitsplätze weg . In manchen Ländern, in 16710 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dagmar G. Wöhrl (A) Jordanien etwa, kommen die Lastwägen mit Wasser nur die Leidtragenden in diesem Bereich . 11 000 Kinder sind (C) noch alle zwei Monate in die Dörfer, weil wegen der inzwischen durch den syrischen Konflikt gestorben, nicht syrischen Flüchtlinge sehr viel mehr Wasser gebraucht nur durch Heckenschützen oder Fassbomben, sondern wird . Man sieht, dass die Aufnahmewilligkeit dort an oft auch durch Mangelernährung, durch Krankheiten, die ihre Grenzen gekommen ist . man hätte heilen können, wenn eine entsprechende Ge- sundheitsversorgung vorhanden gewesen wäre . Deswegen müssen wir schauen, dass wir unterstützen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Grundbedürfnis- se . Unsere Aussage muss immer sein: Bleibt da, wo ihr Präsident Dr. Norbert Lammert: seid! Wir versuchen, zu helfen, wo wir helfen können, ob Frau Kollegin . das beim Aufbau der Dörfer, der Schulen oder in vielen anderen Bereichen ist .– Wir müssen schauen, dass die Spannungen, die es zwischen der Bevölkerung und den Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Flüchtlingen teilweise gibt, nicht immer mehr anwach- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident .– So hoffen sen, damit es nicht zum Eklat kommt . wir natürlich, dass wir mit unserer Hilfe vor Ort etwas Wir fördern Bildung und Beschäftigung im Libanon . ändern können . Wir können natürlich nicht die ganze Wir bauen die Infrastruktur und das Gesundheitswesen Welt retten; das ist klar . im Irak auf . Wir helfen bei der Wasserversorgung in Jor- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: danien . Wir versuchen, junge syrische Flüchtlinge oder Oh Mann!) überhaupt syrische Flüchtlinge mit einem Programm zu erreichen, das der Minister aufgelegt hat, nämlich „Cash Aber wir können im Rahmen unserer Möglichkeiten ver- for Work“ . Sie sollen sich handwerkliche Fähigkeiten, suchen, diesen Menschen vor Ort eine Chance zu geben, etwa als Klempner oder als Schreiner, aneignen, damit eine Zukunft zu geben, Perspektiven zu geben . Das wird sie beim Aufbau helfen können, damit sie die Möglich- nicht nur eine Aufgabe für uns und für heute sein, son- keit haben, Geld zu verdienen, sodass sie ihre Familie dern es wird eine Aufgabe für die zukünftigen Generatio- ernähren können . Wir versuchen auch, die Gemeinden zu nen sein . Aber wir müssen dafür schon den Weg bereiten . unterstützen, die Flüchtlinge aufgenommen haben, und wir werben sehr stark für Städtepartnerschaften – ich Vielen Dank . finde, das ist ein ganz wichtiger Punkt – zwischen deut- schen Städten und Gemeinden in den Herkunftsländern . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (B) sowie des Abg . Stefan Rebmann [SPD]) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Londoner Konferenz, an der 70 Staaten teilge- Katja Keul ist die nächste Rednerin für die Fraktion nommen haben, hat 9,3 Milliarden Euro eingebracht . Wir Bündnis 90/Die Grünen . hoffen natürlich, dass das nicht nur Zusagen waren wie in der Vergangenheit, sondern dass das Geld diesmal auch wirklich fließt. Deutschland wird sich mit 2,3 Milliarden Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Euro daran beteiligen . Davon gehen allein 570 Millionen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Euro an das World Food Programme; denn es darf nicht Kollegen! Sehr geehrter Minister Müller, gegen mehr mehr vorkommen, dass –wie im letzten Jahr geschehen – Geld für Flüchtlingslager hat sicher niemand etwas . Aber die Lebensmittelrationen gekürzt werden müssen und Fluchtursachen werden Sie mit Geld alleine nicht be- pro Person nur noch 13 Euro im Monat zur Verfügung kämpfen . stehen . Das bietet keine Lebensmöglichkeit . Wenn die Mütter sehen, dass ihre Kinder keine Nahrung mehr ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben, wenn die Mütter sehen, dass die Kinder auch keine sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ausbildung mehr bekommen, wenn die Mütter bzw . Fa- milien so verzweifelt sind, dass sie ihre jungen Mädchen Die allermeisten Menschen sind bereit, viel Armut zu mit 10, 11 oder 12 Jahren an reiche Araber verkaufen ertragen, um in ihrer Heimat zu bleiben. Die häufigste müssen, damit sie zukünftig ihre Familien ernähren kön- Ursache für Fluchtbewegungen sind und bleiben aber nen, wenn Väter sehen, dass sie nicht die Möglichkeit bewaffnete Auseinandersetzungen . Deswegen ist es so haben, ihrer Familie durch Arbeit eine gewisse Existenz- wichtig, rechtzeitig Krisenprävention zu betreiben und basis zu verschaffen, dann werden diese Menschen nicht nicht tatenlos zuzusehen, wenn die Eskalation abseh- in diesen Ländern bleiben, dann werden sie sich auf den bar ist . In Ihrem Antrag nennen Sie als Beispiel Libyen . Weg machen . Nach dem Sturz Gaddafis in 2011 waren zwei Dinge ab- sehbar: erstens, dass Libyen ohne Hilfe nicht in der Lage Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in einem La- sein würde, die Kriegsverbrechen aufzuarbeiten und das ger liegt heute bei 17 Jahren – mit steigender Tendenz . Volk zu versöhnen, und zweitens, dass das Nachbarland Wer schon einmal in solch einem Lager gewesen ist, Mali eine Destabilisierung durch die Rückkehr hochbe- kennt die Hoffnung, die am Anfang noch da war, die waffneter Tuareg-Kämpfer nicht überstehen würde . Bei- Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr . Diese Hoffnung des haben wir ignoriert . Konsequenz: Heute verlängern ist einer physisch greifbaren Hoffnungslosigkeit gewi- wir zum dritten Mal den Bundeswehreinsatz in Mali, und chen . Unsere größte Sorge gilt den Kindern . Kinder sind Libyen ist zu einem Failed State geworden, in dem uns Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16711

Katja Keul (A) auch für Flüchtlingsfragen keine Ansprechpartner mehr ropäer sie nicht beachten, wenn sie nicht zu den Waffen (C) zur Verfügung stehen . greifen und selbst die UNO keine Unterstützung mehr bekommt . Wenn sie die Hoffnung verlieren, werden sie (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die Grünen sich nicht einfach zum Sterben in die Wüste legen; da waren doch auch dafür!) können wir sicher sein . Wenn sich die Europäer gegen- Mit unserem Antrag wollen wir Grünen Ihr Augen- seitig zuflüstern, dass eine Unabhängigkeit der West- merk auf die nächste drohende Eskalation vor unserer sahara unrealistisch sei, dann sage ich Ihnen, was unre- Haustür richten . Vor 40 Jahren marschierte Marokko völ- alistisch ist: Unrealistisch ist es, zu glauben, man könne kerrechtswidrig in die Westsahara ein und besiedelte das einen Konflikt einfach aussitzen und ignorieren, bis er Land mit eigenen Staatsangehörigen, nachdem die Kolo- sich in Luft auflöst. nialmacht Spanien sich zurückgezogen hatte . Die Saha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rauis nahmen daraufhin den Kampf auf und riefen ihren sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]) eigenen Staat aus, die Demokratische Arabische Repu- blik Sahara . 1991, also vor 25 Jahren, konnte die UNO Der Konflikt wird sich nicht auflösen, und die Men- einen Waffenstillstand vermitteln . Grundlage dieses Waf- schen, die davon betroffen sind, auch nicht . Übrigens fenstillstandes war ein Referendum, das bis heute nicht haben Oxfam und das Welternährungsprogramm ihre durchgeführt wurde . Entgegen der Vereinbarung weigert Unterstützung für die Flüchtlingslager der Polisario re- sich Marokko bis heute, die Option einer Unabhängig- duzieren müssen . keit mit in das Referendum aufzunehmen . Dabei sind die Wer eine weitere Fluchtursache verhindern will, muss technischen Voraussetzungen zur Bestimmung der Wahl- sich endlich ernsthaft um eine Lösung dieses Konfliktes berechtigten laut UNO längst geklärt . Der UN-Sonder- bemühen, zum Wohle der Menschen in der Westsahara, beauftragte Christopher Ross durfte in den letzten Jahren des gesamten Maghreb und letztlich auch der EU . nicht einmal mehr in die besetzten Gebiete einreisen . Wer sich in der Westsahara zum Selbstbestimmungsrecht der Vielen Dank . Saharauis äußert oder womöglich das Wort „Besatzung“ benutzt, wird strafrechtlich verfolgt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Als im März der Generalsekretär Ban Ki-moon die Flüchtlingslager der Polisario auf algerischem Territori- Präsident Dr. Norbert Lammert: um besuchte und ebenfalls von Besatzung sprach, ver- wies Marokko aus Protest die Mitarbeiter der UN-Mis- Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Gabriela sion MINURSO des Landes . Wissen Sie, was das für Heinrich das Wort . (B) ein Eklat für die UNO ist? Die Europäer und der Sicher- (Beifall bei der SPD) (D) heitsrat jedoch haben das einfach so hingenommen und den Generalsekretär im Regen stehen lassen . Dieser un- Gabriela Heinrich (SPD): geheuerliche Vorgang ist eine Bedrohung für sämtliche Peacekeeping-Missionen der Vereinten Nationen . Wo Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- kommen wir da hin? ren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Frau Roth, Sie haben völlig recht: Wir müssen eine unheimlich breite (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Debatte führen . Das haben viele Beiträge gezeigt . Wer sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Fluchtursachenbekämpfung – blödes Wort; Vermeidung Abg . Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) trifft es eher – betreiben will, muss sehr viel breiter dis- kutieren . Wir müssen diese Debatte führen . Aber gestat- Was macht die Bundesregierung? Statt die Vereinten ten Sie mir, dass ich heute zu unserem Antrag rede . Nationen zu stärken, fährt de Maizière nach Marokko, um dem König anzukündigen, dass man sein Land jetzt (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Im Titel steht: als sicheren Herkunftsstaat anerkennen will, wenn er „Fluchtursachen bekämpfen“!) dafür die abgelehnten Asylbewerber zurücknimmt . Und nicht nur das: Erst im Dezember hat der EuGH in erster Dieser hat den Zusatz „Aufnahmestaaten um Syrien Instanz das Handelsabkommen der EU mit Marokko für sowie Libyen entwicklungspolitisch stärken“ . Deshalb rechtswidrig erklärt, weil es die Westsahara behandelt, werde ich mich darauf beziehen . als sei sie marokkanisches Staatsgebiet . Was macht der Über 250 000 Tote, über 1 Million Verletzte und mehr deutsche Innenminister? Er verspricht dem marokka- als die Hälfte der Bevölkerung auf der Flucht: Das ist nischen König, dass sich Deutschland für einen Erfolg die aktuelle Situation in Syrien . Nicht erst, nachdem es der Berufung einsetzen wird . Ja was ist denn das für ein einem Teil der Flüchtlinge gelungen ist, nach Europa, Rechtsstaatsbewusstsein? Seit wann nimmt die Exekuti- nach Deutschland zu kommen, geht uns dies etwas an . ve Einfluss auf den Ausgang eines gerichtlichen Verfah- Wenn wir über Fluchtursachen reden, dann reden wir rens? über Krieg, Hass und Gewalt und über Perspektivlosig- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keit . Wir reden über Menschen, die die Hoffnung verlo- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ren haben, bald in ihre Heimat zurückkehren zu können, weil die Kämpfe immer weitergehen und der Frieden fast Das alles ist an Kurzsichtigkeit nicht mehr zu überbie- undenkbar scheint . Das geht uns etwas an . Deshalb bin ten . Die junge Generation der Saharauis hat längst genug ich den Ehrenamtlichen dankbar, die hier bei uns den von 25 Jahren Waffenstillstand . Sie sehen, dass die Eu- Flüchtlingen helfen . Ich bin froh über das Engagement 16712 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Gabriela Heinrich (A) der Bundesregierung und insbesondere das Engagement Heike Hänsel (DIE LINKE): (C) unseres Außenministers Frank-Walter Steinmeier . Liebe Kollegin Heinrich, ich muss schon sagen: Wie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie hier Ursache und Wirkung verdrehen, ist wirklich der CDU/CSU) schändlich . Ich war letztes Jahr in so vielen Regionen, in denen Flüchtlinge ankommen: auf den griechischen In- Er setzt sich für einen möglichen Frieden in Syrien und seln, in den Balkanstaaten usw . Wenn es die freiwilligen auch in Libyen ein . Ich glaube, das können auch Sie nicht internationalen Helfer nicht gegeben hätte, wären viele bestreiten . Flüchtlinge verhungert . Es gab fast keine Unterstützung Die Menschen kommen aus vielen Ländern zu uns . von der internationalen Staatengemeinschaft . Auf Les- Sie suchen in Europa Sicherheit vor Bomben und Ge- bos, auf Chios haben ausschließlich Freiwillige die Ver- walt . Wir alle wissen, wie viele Menschen auf dem Weg sorgung der Flüchtlinge übernommen . Es war niemand zu einem sicheren Leben eben dieses Leben verloren ha- zu sehen, weder Vertreter der UN noch sonstiger großer ben . In Idomeni konnte ich letztens als Begleitung der Organisationen . Jetzt wollen Sie den Freiwilligen vor- Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung mit werfen, sie seien verantwortlich dafür, dass die Flücht- einigen Syrern reden . Ja, sie harren dort unter unsägli- linge dort in einer schlechten Situation leben? Das ist ja chen Bedingungen aus, in der Hoffnung, dass sich die wirklich zynisch . Grenze wieder öffnet . Was Bodo Ramelow angeht: Es war doch – genau (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dann können umgekehrt – ein gutes Beispiel, mit dem er vorausgehen sie doch jetzt gehen! Wege gibt es genügend!) wollte . Er wollte zeigen: Wir nehmen Flüchtlinge aus Sie haben alles verkauft, was sie noch hatten, um die Idomeni auf .– Wenn sich alle Bundesländer angeschlos- Flucht nach Griechenland zu finanzieren, obwohl sie in sen hätten, Idomeni vermeintlich schon in Sicherheit waren . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Frau Hänsel, ich sage Ihnen: Zu dem Zeitpunkt, als neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ich in Idomeni war, ging dort das Gerücht herum, ein Ministerpräsident – ich glaube, aus Thüringen – habe an- dann hätten alle hierherkommen können . gekündigt, man könne doch 2 000 der Flüchtlinge dort übernehmen . Was glauben Sie, was in einem Camp – es Es kann doch nicht sein, dass 12 000 Menschen für ein ist kein richtiges Camp, es gibt dort keine Rechtssicher- Land mit 80 Millionen Einwohnern plötzlich die riesen- heit – mit 12 000 Menschen passiert, wenn 2 000 Men- große Gefahr sind . Wieso kann man keine menschliche schen denken, sie könnten den Weg antreten? Politik betreiben und die Leute hierherholen? Die Fami- (B) lien sind jetzt zerrissen . Das, was dort passiert, ist ein (D) ( [DIE LINKE]: Die anderen großes Drama, ein Trauerspiel . Insofern war es genau die Länder hätten doch auch welche übernehmen richtige Antwort von Bodo Ramelow . können! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die Länder hätten doch auch alle aufnehmen kön- (Beifall bei der LINKEN) nen! So ein Quatsch! – Dr .Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie haben mehr Ministerpräsidenten als wir!) Gabriela Heinrich (SPD): Ich sage, es ist auch schäbig, wenn Aktivisten dafür sor- Kollegin Hänsel, ich halte diese Antwort von Bodo gen, dass die Menschen dort verharren . Ramelow trotzdem für falsch . Ich versuche, Ihnen zu erklären, warum . Wenn man in einer solchen Situation (Beifall bei Abgeordneten der SPD) verhindert, dass die Menschen sich registrieren lassen, Es ist schäbig von ihnen, die Menschen dort zu halten, (Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das muss jetzt indem sie ihnen Hoffnung machen, dass die Grenze wie- nicht an der Registrierung scheitern!) der aufgeht . Darüber, dass wir hier eine europäische Lösung brau- in die umliegenden Camps gehen, die es ja gibt – die Vo- chen, bin ich mit Ihnen völlig einig . Aber es kann nicht raussetzungen sind dort deutlich besser; ich habe sie mir angehen, dass Sie sich hierhinstellen und sagen: Nehmt angeschaut –, und versuchen, im Rahmen der Familien- sie halt alle auf, und dann sind die Sorgen erledigt . zusammenführung nach Deutschland zu kommen, dann sorgt man nicht dafür, dass es vorangeht . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr .Petra Sitte [DIE LINKE]: Natürlich können Sie sich hinstellen und sagen: Neh- Das ist lächerlich!) men wir mal die 12 000 Flüchtlinge und demnächst 15 000 Flüchtlinge auf! – Vizepräsidentin : Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was heißt hier legin Hänsel zu? „Nehmen wir mal …“? Die Leute sitzen dort fest seit einem halben Jahr!)

Gabriela Heinrich (SPD): Ich glaube aber, Deutschland und der Bundesregierung Bitte . vorzuwerfen, dass im letzten Jahr nicht genug Menschen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16713

Gabriela Heinrich (A) aufgenommen wurden, ist wirklich ein bisschen übertrie- sicherstellen, dass keine verlorene Generation entsteht . (C) ben . Das sind wir den Kindern schuldig .

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU – Dr .Petra Sitte [DIE LINKE]: der CDU/CSU) Das war doch nicht der Vorwurf!) Die Frage ist halt, inwieweit wir sagen sollten, dass es Wenn wir nachhaltig Fluchtursachen beseitigen wol- immer so weitergeht . len, dann müssen wir den Blick noch weiter richten . Wir wollen den Zivilen Friedensdienst weiter stärken mit Ich würde jetzt gerne zu meiner Rede zurückkommen . Projekten zur Krisenprävention, Gewaltminderung und (Beifall des Abg . Stefan Rebmann [SPD]) langfristigen Friedenssicherung, auch und gerade unter Beteiligung der Frauen . Dazu gehören auch die psycho- Sie haben Idomeni ins Spiel gebracht . An dieser Stelle soziale Unterstützung und die Arbeit mit traumatisierten mache ich jetzt weiter .– Manche der Menschen in Ido- Menschen . Wenn Syrien eine Zukunft haben soll, dann meni waren bereits drei Jahre in der Türkei . Sie haben werden dort Menschen zusammenleben müssen, die sich fast ihr ganzes Geld verbraucht und sehen keinerlei Per- derzeit noch mit Waffen gegenüberstehen . Natürlich spektiven, in ihrem Erstaufnahmeland Fuß zu fassen – hoffen wir auf einen Frieden in Syrien, aber er wird nur nicht für sich, schon gar nicht für ihre Kinder . Der Rest nachhaltig sein, wenn es gelingt, einen Wiederaufbau in- des Geldes ist jetzt für Schlepper draufgegangen . Manch- ternational zu organisieren und zu finanzieren. mal reichte er nur für ein Familienmitglied, das dann na- türlich so schnell wie möglich seine Familie nachholen Wenn wir über den Nahen Osten reden, dann müssen möchte. Sie fliehen erneut, weil sie wissen, dass es viele wir auch über Libyen reden . Dort trägt der Präsidialrat Jahre dauern kann, bis sie vielleicht jemals in die Heimat noch nicht wie erhofft zur Stabilisierung des Landes bei, zurückkehren können . aber eine Stabilisierung ist die Voraussetzung dafür, in Libyen entwicklungspolitisch tätig zu werden . Auch hier 4,8 Millionen syrische Flüchtlinge haben bisher in geht es darum, ein Land zu unterstützen, aus dem viele den Nachbarstaaten Syriens Aufnahme gefunden: in der Menschen aufgrund von Gewalt in die Nachbarländer ge- Türkei, im Libanon, in Jordanien, im Irak . Die wenigsten flüchtet sind, zum Beispiel nach Tunesien. Es geht aber können arbeiten, unendlich viele Kinder können nicht in auch um Libyen als Transitland . Niemand kann ein In- die Schule gehen, und die medizinische Versorgung ist teresse daran haben, dass sich Hunderttausende Flücht- mangelhaft . Mit unserem vorliegenden Antrag zielen wir linge in Libyen skrupellosen Schleppern ausliefern und darauf ab, neue Perspektiven zu schaffen . Dieser Aufga- die gefährliche Überfahrt nach Europa wagen . Die Stär- be müssen wir uns, muss sich Europa stellen, und zwar kung der staatlichen Strukturen, der Frieden und irgend- (B) unabhängig vom EU-Türkei-Abkommen . Das ist mir an (D) wann auch der Wiederaufbau sind entscheidend, um den dieser Stelle wirklich wichtig . Schleppern und den Terroristen in Libyen das Handwerk (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zu legen . CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir brauchen die Diplomatie, aber wir brauchen zual- CDU/CSU) lererst humanitäre Hilfe, um Menschen in akuter Not auf der Flucht zu versorgen . Bei aller Kritik: Deutschland ist der drittgrößte bilaterale Geber im Bereich humanitäre Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Hilfe . Wir haben durchaus verstanden, dass die inter- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss . nationalen Hilfsorganisationen viel mehr Unterstützung brauchen, weil die Zahl der Flüchtlinge immer weiter ansteigt, und dies der erste Weg ist, um den Menschen Gabriela Heinrich (SPD): direkt zu helfen . Aus Sicht der SPD ist das, was im vorliegenden An- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten trag steht, auch ein Teil des richtigen Weges, den wir in der CDU/CSU) Zukunft fortsetzen wollen und müssen, auch dann, wenn nicht mehr so viele Flüchtlinge nach Deutschland kom- Wenn wir die Entwicklungspolitik heranziehen, um men und vielleicht wieder verstärkt die Frage im Raum Fluchtursachen zu vermeiden, dann geht es um länger- stehen wird: Was geht uns das an? fristige Perspektiven für die Flüchtlinge, aber auch für die Aufnahmeländer, weil Integration eben kein vorüber- Vielen Dank . gehendes Phänomen ist . Wenn wir in Deutschland ein In- tegrationskonzept auflegen, dann doch auch, weil es eben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht vorübergehend sein wird . Deswegen unterstützen der CDU/CSU) wir mit der Beschäftigungsinitiative „Cash for Work“, mit der bis zum Ende des Jahres mindestens 50 000 Jobs in Jordanien, im Irak und in der Türkei entstehen sollen, Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: eben nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Aufnah- Vielen Dank .– Als nächster Redner spricht Dr .Johann meländer. Deswegen setzen wir uns für die flächende- Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion . ckende Absicherung des Schulunterrichts für alle Kinder in den Aufnahmestaaten ein . Wir müssen und wollen (Beifall bei der CDU/CSU) 16714 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Grunde überhaupt nicht einlassungsfähig . Sie sagten, wir (C) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und würden nur schmutzige Deals mit der Türkei machen, Herren! Es ist die natürliche Aufgabe der Opposition, zu (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach so! Das kritisieren, Mängel aufzudecken und diese Regierung zu können Sie in jeder Zeitung lesen, Herr noch besserer Arbeit anzuregen, zu motivieren . Wadephul!) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wir würden nur tatenlos zusehen – das sagten auch Sie, Machen wir gerne!) Frau Kollegin Keul – und die UN nicht unterstützen . Dabei verkennen Sie natürlich, was wir machen; es ist Dennoch habe ich mich heute über einige Beiträge der vorhin schon darauf hingewiesen worden . Außenminis- geschätzten Kolleginnen wirklich sehr gewundert . ter Steinmeier kann sich der Anfragen, im Rahmen der Außenpolitik als ehrlicher Makler aufzutreten, überhaupt Jetzt haben wir einen Minister in dieser Regierung, nicht mehr erwehren . Natürlich wird Außenminister der für wirtschaftliche Zusammenarbeit steht und der von Steinmeier bereit sein, sich auch noch des Westsaha- vornherein genau das sagt, was Sie einfordern . ra-Problems anzunehmen . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagt! Aber das (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kabinett macht etwas anderes!) Das wäre schön!) Es besteht doch große Einigkeit darüber, dass wir einen Überall werden wir gefordert . Überall wird Minister allumfassenden Ansatz brauchen, um die Fluchtursachen Steinmeier gefordert . zu bekämpfen . Der Minister sagt: Natürlich ist es nicht (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das stimmt! damit getan – Frau Keul, Sie haben es angesprochen –, Aber er kann sich äußern!) dass man Geld gibt, aber wir leisten einen großen Bei- trag, einen der größten Beiträge, die überhaupt geleistet Im klassischen Nahostkonflikt zwischen Palästinen- werden, und darauf darf man doch stolz sein, man darf sern und Israelis werden Anfragen an ihn gestellt . Und doch zufrieden sein, und man darf doch hier im Deut- wer ist bei der Lösung des Syrien-Konflikts treibende schen Bundestag den Steuerzahlerinnen und Steuerzah- Kraft neben Außenminister Kerry? Das ist Frank-Walter lern danken, dass sie das Geld dafür zur Verfügung stel- Steinmeier . len und diese Maßnahmen ermöglichen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Ich sage: Wir sind stolz darauf, dass das die deutsche Au- (B) ßenpolitik ist . (D) Wir haben einen Minister – es mag Sie ja etwas be- schämen, dass er dieser Regierung angehört und es nicht Sie haben die UN erwähnt . Wer unterstützt denn schon in früheren Regierungszeiten mehr Engagement ­Staffan de Mistura? Wer entsendet mit Martin Kobler ei- gab; es darf Sie auch verwundern, dass er ein Christso- nen hochrangigen Diplomaten nach Libyen, um dieses zialer ist; schwierige Problem zu lösen? Das ist die deutsche Di­ plomatie . Ich möchte einmal allen Angehörigen des Aus- (Tobias Zech [CDU/CSU]: Warum?) wärtigen Dienstes der Bundesrepublik Deutschland sehr herzlich danken . Sie leisten einen großen Beitrag und es gibt auch manchen bei uns, der sich darüber wun- bringen uns insgesamt nach vorne . dert –, der sagt: Wir brauchen einen umfassenden Ansatz, wir brauchen Klimaschutz, wir brauchen die Hilfe vor (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ort, wir brauchen den Ansatz „Work for Life“, also Pro- Wir haben hier so manche Türkei-Debatte geführt . gramme vor Ort . Wahrscheinlich wird man in diesem Hause niemanden finden, der die innenpolitischen Maßnahmen und man- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dann hören Sie ches außenpolitische Agieren des derzeitigen Präsiden- mal auf den Papst! Der redet Ihnen ins Gewis- ten der Türkei gutheißt; das ist doch völlig unstreitig . sen!) Aber wir sollten anerkennen und sehen, was die Türkei Das sind doch Dinge, die Sie immer gefordert haben . alles leistet – schließlich besteht Einigkeit, dass wir den Menschen nur vor Ort helfen können –: 2,5 Millionen (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sehr richtig!) Flüchtlinge befinden sich ständig in der Türkei. Und wir als Deutsche wissen doch, welche Probleme es ma- Ich möchte Minister Müller an dieser Stelle einmal ganz chen kann, das der eigenen Bevölkerung zu vermitteln . herzlich danken . Für diesen Paradigmenwechsel steht er Die wirtschaftliche Lage der Türkei ist nicht besonders mit seiner Person, und darauf sind wir stolz . einfach . Trotzdem erlaubt die Türkei den Flüchtlingen aufgrund dieses Abkommens, das übrigens nicht wir mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Türkei geschlossen haben, sondern die Europäische ordneten der SPD) Union, zu arbeiten . Sie haben sich auch zur deutschen Außenpolitik ge- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach so? Es weiß äußert . Auch dazu möchte ich etwas sagen . Frau Kolle- doch jeder, dass es im Bundeskanzleramt ge- gin Hänsel, wesentliche Aussagen Ihrerseits sind ja im schrieben wurde!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16715

Dr. Johann Wadephul (A) Wir wissen doch, wie schwer das war, als die mittel- und er stand in der letzten Reihe – und fragte: Warum tun Sie (C) osteuropäischen Staaten der Europäischen Union beige- das für uns? Was haben Sie davon? Ich fand, dass das treten sind . Rumänen, Polen, Bulgaren etc . pp . haben wir eine kluge Frage war . Neben Dankbarkeit und wahrem doch auch nicht sofort auf den deutschen Arbeitsmarkt Interesse schwang bei der Frage auch ein Misstrauen mit, gelassen . Die Türken machen das . Das sind doch Schrit- das sich durch die Kolonialgeschichte und den Protek- te, die man anerkennen muss . Das kann man doch nicht tionismus der Wirtschaftsmächte in Europa tief in das alles diskreditieren . Das ist doch gut . Gedächtnis einiger Länder in der Welt eingegraben hat . Das zu verstehen, muss Teil dieser Debatte sein, in der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wir über die Bekämpfung von Fluchtursachen sprechen . der SPD) (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sibylle Insofern ist das doch ein sinnvolles Abkommen . Pfeiffer [CDU/CSU]) Ich möchte mich hier den Ausführungen der Kolle- gen von der sozialdemokratischen Fraktion anschließen . Dieser Protektionismus, der andere durch Zoll- und Han- Auch Frau Wöhrl hat die Maßnahmen, die wir vor Ort er- delspolitik strukturell benachteiligt, ist natürlich darauf greifen, sehr eingehend geschildert . Das können wir nur angelegt, dass wir schneller und noch stärker wachsen . im europäischen Rahmen erledigen . Abschließend möch- Das ist nichts anderes als globalisierter Eigennutz . te ich daher sagen, dass all das, was wir machen – das ist Libyen ist nicht erst seit heute, sondern schon seit auch für die Bundeskanzlerin der wesentliche Anlass –, Gaddafi das Haupttransitland auf der zentralen Route von immer nur mit und durch Europa erreicht werden kann . Nordafrika über das Mittelmeer nach Italien . Seit 2014 Es lohnt sich, dafür zu kämpfen . Europa muss von den gelangten über 300 000 Flüchtlinge von dort aus nach Zuschauerbänken herunter . Europa muss mit aufs Spiel- Europa . Im Jahr 2015 haben 4 000 Menschen die Boots- feld, und wir Deutsche müssen jeden Einsatz erbringen, flucht durch das Mittelmeer nicht überlebt. Seit dem damit Europa in dieser Art und Weise agiert . Sturz Gaddafis wird offensichtlich, was den afrikanischen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kontinent schon sehr lange bewegt und inzwischen auch unseren . Der Gipfel in Valletta sollte die Lösung bringen: Es ist gut, dass wir mit diesen Maßnahmen vorange- Geld für afrikanische Staaten, damit die Fluchtursachen hen . Der vorliegende Antrag fasst das zusammen . Sie vor Ort bekämpft werden können . Aber es stellt sich die sollten ihm zustimmen . Frage – vielleicht heute mehr denn je –, ob ein Hilfsfonds allein wirklich die Lösung sein kann, solange Märkte mit Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . subventionierten Waren überschwemmt werden . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (B) (Beifall bei der SPD) (D) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Das ist ein Grund für die massenhafte Migration von Vielen Dank .– Michelle Müntefering hat für die Menschen aus Afrika Richtung Norden . Faires Handeln SPD-Fraktion als nächste Rednerin das Wort . ist ein Gebot der Menschenrechte, das ökonomisch auch noch Sinn macht . Deswegen lautete die Antwort, die ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dem jungen Mann gegeben habe: Wir brauchen keine schwachen Partner in der Welt, wir brauchen starke Part- Michelle Müntefering (SPD): ner . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Kollege Wadephul, ich bin bzw . wir als sozialdemo- der CDU/CSU) kratische Fraktion sind so viel Lob von Ihnen gar nicht gewohnt . Dem Lob für unseren Minister, für die deutsche Es wird uns dauerhaft nur gut gehen, wenn es auch an- Außenpolitik, für die gemeinsame Außenpolitik und für deren gut geht . Für unsere Außenpolitik heißt das, weg- die Entwicklungszusammenarbeit können wir uns nur zukommen von einer Außenpolitik der Staaten hin zu anschließen . Denn es ist vollkommen richtig, dass wir einer Außenpolitik der Zivilgesellschaften . Denn eine für eine Friedenspolitik stehen und diese vorantreiben . Außenpolitik, die Zivilgesellschaften stärkt, ist auch eine Außenpolitik, die Fluchtursachen bekämpft . (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt?) (Beifall bei der SPD) Erlauben Sie mir eine Geschichte vorab, bevor ich Als Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion zu der Frage der Fluchtursachen und Fluchtursachen- für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik habe bekämpfung komme, über die heute reichlich diskutiert ich mich sehr gefreut, dass diese in dem Beschluss der wird . Im letzten Jahr habe ich vor ungefähr 600 auslän- Fraktionsvorsitzenden unserer Koalition jetzt endlich als dischen Studierenden gesprochen, die auf Einladung des wirksames Mittel bei der Bekämpfung von Fluchtursa- DAAD mit einem Stipendium bei uns in Deutschland chen mit genannt wird . studieren . Auf der Bühne der Humboldt-Universität wur- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der de darüber gesprochen, wie wir sie ins Land holen und CDU/CSU) ausbilden . Es ist erstaunlich, wie viele von ihnen später in ihr Land zurückgehen und dort für Wohlstand und Das Auswärtige Amt hat da in den letzten zwei Jahren Wachstum sorgen . Einer der Studenten meldete sich bei Außerordentliches geleistet . Ich will nicht noch einmal der Diskussion zu Wort – es war ein Student aus Afrika; wiederholen, was Kollege Wadephul gesagt hat, aber ei- 16716 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Michelle Müntefering (A) nes ist, glaube ich, klar: Auf dem Weltparkett und auch Sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank! Sie haben Gro- (C) hier in Berlin sucht unser Außenminister mit unerschüt- ßes geleistet, und wir sind auf dem Weg, noch mehr zu terlicher Ruhe, die nur ein Ostwestfale mitbringen kann, leisten . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ganz (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- vorsichtig! Da gibt es noch andere!) ordneten der SPD) nach diplomatischen Lösungen für den Frieden . Ich möchte mich, wie es auch der Kollege Wadephul (Beifall bei Abgeordneten der SPD) getan hat – Herr Staatsminister Roth, ich bitte, das aus- zurichten –, aber auch bei den deutschen Diplomaten und Wir brauchen diese Diplomatie dringend, damit ein den deutschen BMZ-Mitarbeitern vor Ort bedanken . Ich Boden für die Verständigung geebnet wird . Versöhnen bin oft im Libanon und in der dortigen Botschaft . Die statt spalten – auf dem Boden wirkt auch die dritte Säule Diplomaten vor Ort, die die Bundesrepublik – uns alle unserer Außenpolitik, die Auswärtige Kultur- und Bil- hier – vertreten, leisten Großes . Wir können auf diese dungspolitik . Mitarbeiter stolz sein, und wir können stolz auf das sein, was sie tun . Sie verschaffen der Bundesrepublik nicht nur Humanitäre Hilfe ist mehr als ein Brot, ein Bett, ein ein hervorragendes Antlitz, sondern sie vertreten auch Zelt . Es geht darum, Zukunftsperspektiven zu schaffen, unsere Interessen, und sie sind ein großer Beitrag zu un- Heimat zu stabilisieren und wieder aufzurichten . Lassen serem Erfolg . Ich bitte, diesen Dank weiterzugeben . Sie mich sagen: Das Cash-for-Work-Programm ist gut . Aber vielleicht könnten wir noch etwas draufsetzen . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) „Education for Work“, das wäre eine Initiative, über die ich mich freuen würde . In diesem Sinne sollten wir das Kommen wir zur Türkei . Ich weiß, es ist momentan weiterentwickeln . sehr einfach, auf die Türkei zu schimpfen . Ich habe, wie auch viele von Ihnen, Nizip und Kilis besucht . Wenn man Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen . dort in einem Lager mit 25 000 Menschen steht und sieht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten welche Anstrengungen die Türkei unternommen hat, der CDU/CSU) dann muss man – unabhängig davon, wie die Regierung momentan agiert – auch den dort Verantwortlichen, etwa der Bürgermeisterin von Gaziantep, den NGOs vor Ort Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: und den türkischen Beamten danken, die sich schon seit Vielen Dank .– Als letzter Redner in dieser Debatte Jahren um diese Menschen kümmern . Auch das gehört hat Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . zur Wahrheit . (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Tobias Zech (CDU/CSU): Wir haben in der Türkei zumindest eine, ob sie uns Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- gefällt oder nicht, stabile Regierung – noch . Es gibt aber ben viel über die Fragen gehört: Wie können wir Flucht- andere Länder um Syrien herum – Sie erlauben mir, dass ursachen vor Ort bekämpfen? Wie können wir den Men- ich den Blick jetzt etwas stärker auf den Libanon len- schen vor Ort helfen? Lassen Sie mich einen Blick auf ke –, die keine stabile Regierung haben . Im Libanon zum die Frage werfen: Wie können wir den Ländern, die um Beispiel gibt es seit 2014 keinen Staatspräsidenten mehr . die Katastrophengebiete herum liegen, helfen? Wir ha- Der Libanon, meine Damen und Herren, ist das einzige ben über die Türkei gesprochen, wir haben über Jordani- Land im Orient, in dem ein früherer Staatspräsident noch en gesprochen, und wir haben über den Irak gesprochen . lebt . Der Libanon könnte eine Modellregion sein . Das alles sind Länder, in denen momentan Flüchtlin- ge aufgenommen werden . Meine Damen und Herren, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ 90 Prozent der Flüchtlinge aus dem Syrienkrieg fliehen DIE GRÜNEN]: Der im Irak lebt auch noch!) nicht nach Europa, sondern in diese Länder . – Das ist vielleicht nicht im Orient, Kollegin Roth; aber (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau! Das darüber können wir ja noch streiten . Dann sage ich: Der stimmt! Deshalb können wir auch welche auf- Libanon ist eines der wenigen Länder, in denen das der nehmen!) Fall ist . Kollegin Roth, können wir uns darauf einigen? Europa hat jahrelang dabei zugesehen, wie diese Län- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ der mit dieser Katastrophe umgehen . Jetzt ist es Zeit, zu DIE GRÜNEN]: Na gut!) handeln; wir haben auch das richtige Team . Ich möchte gleich zu Beginn Minister Müller dafür danken, dass er – Gut .– Aber ich glaube, wir sind uns einig, dass wir den dies sofort nach seiner Amtsübernahme erkannt und die- Libanon als eine Modellregion betrachten können, als se Länder massiv unterstützt hat, und das unter Ausrei- eine Modellregion, in der verschiedene Religionen und zung aller Ermessensspielräume, die der Bundeshaushalt verschiedene soziokulturelle Gruppen in einer Demokra- hergibt . tie friedlich miteinander gelebt haben . Ihnen müssen wir helfen . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na ja! Bei 130 Milliarden Euro für die Bundeswehr gibt (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ es schon noch Spielraum!) DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16717

Tobias Zech (A) Ich habe Kommunen in der Bekaa-Ebene und in Akkar Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (C) besucht . In diesen ärmsten Provinzen leben 5 000 Ein- Vielen Dank . – Ich schließe diese Aussprache . wohner und 5 000 Flüchtlinge . Hier funktioniert nichts mehr, weder bei der Wasserversorgung noch bei der Was- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf serentsorgung . Jeder von Ihnen, der auch Kommunalpo- den Drucksachen 18/8393 und 18/8247 an die in der litiker ist – ich bin es seit 14 Jahren –, weiß, dass eine Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Kommune so etwas nicht stemmen kann . Diesen Men- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann schen müssen wir vor Ort helfen . Nicht nur mit Geld, sind die Überweisungen so beschlossen . sondern auch politisch müssen wir dem Libanon helfen, Ich komme zu Tagesordnungspunkt 4 c, zur Be- diesen „governmental freeze“ zu überwinden und das zu schlussfassung des Ausschusses für Menschenrechte werden, was das Land sein kann: eine Modellregion in und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bünd- diesem eskalierenden Konflikt. nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Interministerielle Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Fluchtkrise (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- in Drittstaaten verbessern“. Der Ausschuss empfiehlt in ordneten der SPD) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8430, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Lassen Sie mich noch erwähnen, warum es wichtig Drucksache 18/6772 abzulehnen . Wer stimmt für diese ist, dass wir auch mit Geld helfen . Ich selbst bin gelernter Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Einzelhandelskaufmann . Ich will damit sagen: Ich kann enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit gut einkaufen . Alle Stereotypen, die man in diesem Zu- den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op- sammenhang äußern könnte, treffen auf mich nicht zu, position angenommen worden . weil ich während meiner Ausbildung zwei Jahre lang Tomaten nach Größe und Joghurts nach Datum sortiert Ich rufe die Zusatzpunkte 2 und 3 auf: habe . Ich habe versucht, für 21 Dollar im Libanon einzu- ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans- kaufen, und ich weiß, wie man Lebensmittel einkauft . Ich Christian Ströbele, Renate Künast, Dr .Konstantin weiß, wo ich zugreifen muss, damit ich für wenig Geld von Notz, weiteren Abgeordneten und der Frak- viele Proteine bekomme . Ich habe es nicht geschafft . tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Deutschland hat als größter bilateraler Geber in Lon- Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des don einen sehr großen Beitrag geleistet, was richtig ist . Strafgesetzbuches zur Streichung des Majes- Darüber hinaus ist es unsere Verpflichtung, alle anderen tätsbeleidigungsparagrafen (§ 103 StGB) Länder in Europa, aber auch in der Welt weiter dazu an- Drucksache 18/8123 (B) zuspornen, sich auch zu beteiligen . Wenn ich nach Frank- (D) Überweisungsvorschlag: reich mit 70 Millionen Einwohnern und nach Italien mit Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) 43 Millionen Einwohnern sehe, dann stelle ich fest, dass Auswärtiger Ausschuss es in der Frage, wie man vor Ort helfen kann, noch Raum Innenausschuss für Verbesserungen gibt . Ausschuss für Kultur und Medien ZP 3 Erste Beratung des von den Abgeordneten Harald Ich kann es niemandem verdenken, dass er sich dann, Petzold (Havelland), Frank Tempel, Dr .André wenn er seine Familie nicht ernähren kann, auf den Weg Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion über das Meer macht . Der Minister hat es ausgeführt, und DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Ge- die Kollegin Wöhrl hat es ebenso sehr klar zum Ausdruck setzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – gebracht: Die humanitäre Hilfe, die wir leisten, geschieht Neuordnung der Beleidigungsdelikte nicht hier bei uns, sie geschieht vor Ort . Hier müssen wir mit Geld unterstützen . Wir müssen aber auch politisch Drucksache 18/8272 unterstützen . Frau Kollegin Hänsel, deswegen sind Sie Überweisungsvorschlag: mit Ihren Ausführungen oft über das Ziel hinausgeschos- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) sen . Natürlich gehört die Sicherheitspolitik auch dazu . Innenausschuss Ohne Sicherheit können Sie ein Land nicht entwickeln . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der CDU/CSU) die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Deshalb lassen Sie mich zum Schluss noch eines sa- Ich eröffne die Debatte . Als erster Redner in der De- gen: Ich war acht Jahre lang Soldat, und ich bin dank- batte hat Hans-Christian Ströbele von der Fraktion Bünd- bar für die Entscheidung der Bundesministerin, dass wir nis 90/Die Grünen das Wort . nicht nur die Truppen verstärken, sondern auch deren Equipment verbessern . Wir können stolz sein auf unsere Soldaten . Sie sind teilweise unsere besten Entwicklungs- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- helfer . Lassen Sie uns so weitermachen . NEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir haben einen Ge- setzentwurf eingebracht, mit dem wir die Streichung des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- § 103 Strafgesetzbuch erreichen wollen, und zwar nicht ordneten der SPD) erst in der nächsten Legislaturperiode, sondern jetzt, und 16718 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Hans-Christian Ströbele (A) zwar sofort mit der Veröffentlichung im Bundesgesetz- Problem ist die Kanzlerin, die versucht, diesem Herrn (C) blatt . Erdogan, dieser Majestät, alles recht zu machen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lä- und bei der LINKEN) cherlich!) Wir brauchen in Deutschland keinen Strafrechtsschutz Daraus ist das Problem entstanden, mit dem wir uns heu- gegen Majestätsbeleidigung . te hier zu beschäftigen haben . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sowie bei Abgeordneten der LINKEN) LINKEN) Die Kanzlerin hat am 15 .April 2016 im Fernsehen Der Majestätsbeleidigungsparagraf passt nicht mehr in eine Erklärung abgegeben, in der sie erklärt hat – das unsere Gesellschaft . Er ist auch nach Auffassung der ist, glaube ich, einmalig in der Geschichte –, dass sie die Kanzlerin entbehrlich . Ich sage: Er ist nicht nur entbehr- Staatsanwaltschaft ermächtigt, auf den Strafantrag des lich, sondern er ist auch gefährlich, weil die Kommen- Herrn Erdogan hin ein Ermittlungs- und Strafverfahren tatoren immer wieder zu diesem Paragrafen geschrieben gegen Herrn Böhmermann zu eröffnen . haben: Er verführt dazu, dass Despoten mithilfe dieses Paragrafen versuchen, zu verhindern, Kritik an ihren (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie Fehlhandlungen öffentlich werden zu lassen . Das war wollen das Recht wegen eines Einzelfalls schon immer eine Gefahr, und dieser wollen wir vorbeu- ändern! Sehr interessant! Einzelfallgesetzge- gen . bung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gleichzeitig, im gleichen Atemzug – zwei Sätze spä- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ter –, sagt sie: Aber diese Vorschrift wollen wir abschaf- fen . – Wir brauchen einen solchen Schutz auch nicht; denn auch Majestäten sind Menschen, und alle Menschen (Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Be- sind durch § 185 Strafgesetzbuch vor Beleidigungen wusst falsch dargestellt!) geschützt . Wir müssen hier also keine Unterschiede ma- Das soll allerdings erst im Jahr 2018 in Kraft treten, also chen, schon gar nicht in einer demokratischen Gesell- in der nächsten Legislaturperiode . Ich glaube, einen sol- schaft, in der es ja eigentlich gar keine Majestäten mehr chen Vorgang hat es noch nicht gegeben . Ich habe einen geben soll . solchen jedenfalls noch nicht miterlebt . (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt kommt das Nächste: Die Kanzlerin sagt: Wir ma- sowie bei Abgeordneten der SPD und der chen das ja nur, weil wir uns in die Justiz nicht einmi- LINKEN) schen wollen . Die Justiz soll natürlich darüber entschei- den, ob hier ein Straftatbestand gegeben ist und ob man Wenn man die Zeitungen liest und die Kanzlerin im bestrafen soll . Fernsehen erlebt, dann weiß man, dass eigentlich alle da- für sind, diese Vorschrift abzuschaffen . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das nennt sich Gewaltenteilung!) (Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nein, ich nicht!) Das ist ja richtig . Nur, darum geht es überhaupt nicht . Man fragt sich: Wo ist eigentlich das Problem? Die Justiz wird sich mit diesem Fall ohnehin beschäfti- gen und klären, ob das, was Herr Böhmermann gemacht Ich habe heute Morgen im Fernsehen gesehen, dass hat, eine Beleidigung war oder ob es dafür Rechtferti- Sie noch ein Problem haben und das Außenministerium gungsgründe – Pressefreiheit, Kunstfreiheit, Meinungs- einbeziehen wollen . Aber die Kanzlerin hat schon ange- freiheit – gibt . kündigt, dass von der Bundesregierung ein entsprechen- der Gesetzentwurf vorgelegt wird . Ich nehme an, das hat (Zuruf von der SPD: Genau!) sie mit Ihnen abgesprochen . Der Bundesjustizminister Das wird die Justiz ohnehin prüfen . Hier ging es um eine hat auch schon einen Entwurf fertiggestellt . Er liegt also politische Entscheidung der Kanzlerin: Gibt sie die Er- vor . Da sich hier alle einig sind, frage ich: Woran liegt es, mächtigung? Es ist nur in ganz wenigen Vorschriften des dass das nicht ganz schnell verabschiedet werden kann? Strafgesetzbuches vorgesehen, dass die Bundesregierung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Ermächtigung geben muss . Dabei wird sie sich na- sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des türlich nach politischen Überlegungen richten . Abg . Christian Flisek [SPD]) Das Schlimmste daran ist aber, dass die Kanzlerin nicht sagt, worum es eigentlich geht . Die Verlogenheit Ich sage: Das Problem ist die Majestät Erdogan, dieser Politik führt zu Unzufriedenheit überall in der Ge- (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sellschaft . Sie sagt nicht, dass es darum geht, dass sie NEN]: Jawohl!) Herrn Erdogan besuchen und das Klima und die Stim- mung dafür vorbereiten wollte und dass sie ihm recht die ein nachhaltig gestörtes Verhältnis zur Pressefreiheit, gibt und sagt: Das wird jetzt hier in Deutschland verfolgt; zur Meinungsfreiheit und zur Kunstfreiheit hat, und das ich haben die Ermächtigung erteilt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16719

Hans-Christian Ströbele (A) Dieser Kotau vor der Stimmungslage von Herrn Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): (C) Erdogan, dieser Majestät oder dieses Sultans, ist der ei- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und gentliche Grund . Das darf deutsche Politik nicht bestim- Herren! Wir debattieren heute zwei Gesetzentwürfe zur men . Neuregelung des § 103 Strafgesetzbuch . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Christian Flisek [SPD]: Zur Abschaffung, Es darf auch nicht bestimmen, ob ein Strafverfahren nicht zur Neuregelung!) durchgeführt werden muss . Das sind keine politischen Ich möchte vorausschicken, dass wir nicht den Fehler Überlegungen . Die Kanzlerin weigert sich, hier im Deut- begehen sollten, ein Einzelfallgesetz zu debattieren . Es schen Bundestag und in der Öffentlichkeit die eigentli- geht um die Regelung von Straftaten gegen Vertreter aus- chen Gründe zur Diskussion zu stellen . ländischer Staaten . (Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie Vorausgeschickt sei auch, dass in der Frage von Mei- kennen sie, oder was?) nungs- und Pressefreiheit eines festgestellt wird: Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut . Sie ist schlichtweg Man kann ja darüber diskutieren: Was tun wir alles konstituierend für eine freiheitlich-demokratische Ge- für ein gutes Verhältnis zur Türkei? Was tun wir nicht? sellschaft . Sie ist sehr weitgehend . Diejenigen, die im Wo ist da die Grenze? – Aber sie kann nicht drumherum öffentlichen Leben stehen, müssen viel ertragen . Aber reden . Wir verlangen von ihr, dass sie sagt, warum sie so die Meinungsfreiheit ist auch nicht grenzen- und schran- entschieden hat, und dass sie diese ihre Auffassung hier kenlos, sondern sie findet ihre Grenzen im Recht und in zur Diskussion stellt . der Würde des anderen . Es ist ein Grundrecht in der Ab- Der langen Rede kurzer Sinn: wägung und keines ohne Grenzen . (Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Lange (Beifall bei der CDU/CSU) Rede, wenig Sinn!) Über den § 103 Strafgesetzbuch lässt sich sehr treff- Da alle dafür sind, laden wir Sie ein, für unseren Gesetz- lich streiten . Wenn man sich die Debatten der letzten Wo- entwurf zu stimmen . chen so ansieht, ist es erstaunlich, wer sich alles zu § 103 Strafgesetzbuch geäußert hat und wer dessen sofortige Streichung verlangte . Teilweise wird der Eindruck er-

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: weckt, dass manche die Vorschrift sofort streichen woll- Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen . ten, ohne überhaupt zu wissen, dass sie jemals existiert hat . Offenbar plant auch Justizminister Maas, den § 103 (B) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sofort abzuschaffen . Aber wenn es ein solches Bedürfnis (D) NEN): gäbe, sofort zu handeln: Warum hat er es denn nicht vor- Sie können auch – wir sind da ganz flexibel – eigene her getan? Warum jetzt erst einzelfallbezogen? Zusätze vorlegen . Dagegen haben wir gar nichts . (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zu Komische Logik!) lange Rede, kurzer Sinn!) Meine Damen und Herren, von einem Parlament wird Wir wollen nur, dass das Inkrafttreten dieser Streichung nicht erwartet – das sollte nicht unser Leitbild sein –, zu nicht erst in die nächste Legislaturperiode verschoben schnell und zu hektisch zu handeln und Gesetzgebungs- wird – wer weiß, was dann ist –, sondern wir wollen sie verfahren am derzeitigen Erregungsgrad sozialer Medien vom Fall Böhmermann abtrennen . festzumachen . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: richtig! – Dr . Eva Högl [SPD]: Es war die Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss . Kanzlerin!) Gesetzgebung braucht klare Orientierung, Nachdenken, Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verlässlichkeit und Sorgfalt . Wir brauchen eine ernstzu- NEN): nehmende Verantwortung und keine Schnellschüsse . Dann sind Sie auch die ganzen Probleme mit Herrn (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring- Erdogan los, weil in dem Augenblick das Verfahren ge- Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gen Herrn Böhmermann nicht mehr durchgeführt werden ist doch kein Schnellschuss! Sie wollen es kann . doch auch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das gilt insbesondere für das Strafrecht . Der Straf- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) anspruch des Staates ist die einschneidendste Form, wie der Verfassungsstaat seinen Bürgern gegenübertritt . Das Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Strafrecht ist das schärfste Schwert des Staates . Deswe- Als nächster Redner hat Volker Ullrich von der CDU/ gen hat der Gesetzgeber besondere Sorgfaltspflichten, CSU-Fraktion das Wort . wenn er über strafrechtliche Normen debattiert . Diese Sorgfaltspflicht, meine Damen und Herren, lassen die Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) setzentwürfe der Grünen und der Linken stark vermissen . 16720 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. Volker Ullrich (A) Man könnte den Eindruck gewinnen, es ginge Ihnen Nun zum Gesetzentwurf der Linken . Kern Ihres Ge- (C) gar nicht um Strafgesetzgebung, sondern darum, auf der setzentwurfs ist die Streichung der Verunglimpfung des Welle der ansonsten berechtigten Kritik gegen Erdogan Bundespräsidenten . Aus unserer Sicht muss die Verung- zu surfen und damit taktisches Handeln zu produzieren, limpfung des Bundespräsidenten bleiben, statt sorgfältiger Gesetzgebung . Das ist mit uns nicht zu machen . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie glauben doch selber nicht, was Sie da sa- (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu gen!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blödsinn! – nicht deswegen, weil der Bundespräsident als Person Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: So mehr Ehrenschutz verdient hätte als ein normaler Staats- ein Unsinn! Die Kanzlerin selber hat die Strei- bürger – insofern befindet sich auch der erste Bürger die- chung gefordert!) ses Landes auf der gleichen Ebene –, sondern weil wir, Sie sprechen zunächst vom „Majestätsbeleidungspa- indem wir den Bundespräsidenten schützen, auch unser ragrafen“ . Den Begriff des Majestätsbeleidigungspara- eigenes Verfassungssystem schützen . Wir schützen den grafen hat in letzter Zeit vornehmlich die Boulevardpres- Respekt vor dem gewählten Staatsoberhaupt und die se gebraucht . Selbstachtung der freiheitlich-demokratischen Grund- ordnung . Daran werden wir nichts ändern . (Christian Flisek [SPD]: Der findet sich sogar in juristischen Kommentaren!) (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Flisek [SPD]: § 103 gilt für jeden Diktator dieser Das mag zur Vereinfachung eines Sachverhaltes zutref- Welt! – Zuruf der Abg . fend sein . Er ist aber fehl am Platz, wenn es um konkrete [DIE LINKE]) Rechtsfragen geht . Ich sage Ihnen: Unsere Fraktion ist nicht bereit, im Strafrecht eine Boulevardisierung der Trotzdem werden wir die Straftaten gegen ausländi- Begriffe und der Politik zu akzeptieren . Wir arbeiten hier sche Staaten einer konkreten, aber auch verantwortlichen sorgfältig . und klug abgewägten Reform zuführen . (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Flisek (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Wie Sie es [SPD]: Man kann aber sorgfältig arbeiten und bei Böhmermann gemacht haben!) schnell zu Ergebnissen kommen!) Wir müssen darüber diskutieren, ob die Strafrahmen zu- Die Majestätsbeleidigung ist zunächst einmal die Be- einanderpassen, ob es sein kann, dass die Strafrahmen leidigung des eigenen Staatsoberhauptes, sofern er ein bei Beleidigungsdelikten höher oder tiefer liegen als im (B) Monarch ist . Aber der § 103 Strafgesetzbuch schützt in Bereich der §§ 102, 103, 104 a Strafgesetzbuch . (D) erster Linie gar nicht die Ehre . Geschützt werden die Wir müssen darüber reden, ob wir die Verfolgungser- auswärtigen Beziehungen des Bundes, die Integrität von mächtigung durch die Bundesregierung beibehalten, die auswärtigen Delegationen und Diplomaten, also der Res­ übrigens in der Strafantragsbefugnis ihre Entsprechung pekt zwischen den Völkern und das Funktionieren des hat, wenn jemand einzelbeleidigt wird . Wir müssen darü- Völkerrechts . Das ist das Schutzgut . Das bitte ich Sie zur ber reden, ob sie beibehalten wird oder ob wir es als Auf- Kenntnis zu nehmen . gabe des Rechtsstaats und der unabhängigen Gerichte ansehen, nachzuprüfen, ob eine Beleidigung vorlag oder (Beifall bei der CDU/CSU) nicht . Wir müssen uns fragen, wie wir Hoheitszeichen § 103 Strafgesetzbuch steht nicht allein . Er ist in ein und Flaggen ausländischer Delegationen schützen, wenn System von weiteren Normen eingebettet; dazu gehört sie sich in offizieller Mission in Deutschland befinden beispielsweise auch der Schutz ausländischer Flaggen und auch den Respekt dieses Landes verdient haben . und Hoheitszeichen . Das sind Fragen, für deren Lösung wir uns die nötige (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist Zeit nehmen sollten . doch kein Gesslerhut!) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn man § 103 Strafgesetzbuch isoliert streichen wür- NEN]: Zwei Jahre oder was? Das ist ja un- de, dann hätte das zur Folge: Wenn Sie einen Diplomaten glaublich!) oder Regierungschef eines anderen Landes anspucken Nur kurzfristig zu sagen: „Es gibt eine gewisse Empö- und sein Gesicht treffen, werden Sie nach Ihrer Rechts- rung in diesem Lande, und daraufhin ändern wir das art weniger hart bestraft, als wenn Sie die Flagge treffen, Strafgesetzbuch“, ist unsorgfältig . Gegen ein solches die am Auto angebracht ist . Ein solcher Wertungswider- kurzfristiges Handeln der Politik wenden sich die Men- spruch kann nicht sein . Deshalb sollte man die gesamten schen zu Recht . Paragrafen lesen . Man sollte den Paragrafen lesen, der § 103 vorausgeht, und den, der danach folgt . (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Eva Högl [SPD]: Das war die Bundeskanzlerin, nicht (Dr . Eva Högl [SPD]: Das können wir alles irgendwer! – Katrin Göring-Eckardt [BÜND- streichen!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das sagt doch Das lernt man im ersten Semester Strafrecht . Frau Merkel! Das war doch Frau Merkel, die das gesagt hat! – Christian Flisek [SPD]: Mir (Beifall bei der CDU/CSU) sagen die Menschen ganz was anderes!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16721

Dr. Volker Ullrich (A) Ja, wir sind auch empört Wir haben in diesem Hohen Hause die Verpflichtung, (C) gerade im Bereich des Strafrechts sehr besonnen, klug (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE und verlässlich zu agieren . Das werden wir machen . Wir GRÜNEN]: Über Frau Merkel!) werden diese Aufgabe wahrnehmen, aber nicht, indem darüber, dass in vielen Teilen der Welt Presse- und Mei- wir heute einem untauglichen, inhaltlich nicht abge- nungsfreiheit nicht in dem Maße gewährleistet werden, stimmten und auch nicht sehr guten Vorschlag Ihrerseits wie sie gewährleistet werden müssten . Wir sind empört zustimmen . darüber, dass auch ausländische Politiker den Rechtsstaat Herzlichen Dank . in Deutschland in Anspruch nehmen dürfen, obwohl sie selbst diesen Rechtsstaat in ihrem eigenen Land nicht im (Beifall bei der CDU/CSU) gleichen Maße gewährleisten . Auch das muss man sagen . Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Harald Petzold von der Frak- Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? tion Die Linke das Wort . (Beifall bei der LINKEN) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Bitte . Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Besuchertri- NEN): bünen! Jetzt haben wir es also amtlich von der Unions- Herr Kollege, ich höre Ihnen mit großem Interesse zu fraktion bekommen, dass die Kanzlerin offensichtlich und frage mich, mit wem Sie das alles abgestimmt haben . den Vorschlag für ein verfassungswidriges Gesetz ge- Ich lese Ihnen nur einen kurzen Satz der Kanzlerin vor . macht hat . Einen so starken Tobak hat noch nie ein Uni- In ihrer bekannten Rede vom 15 .April 2016, die immer onsvertreter hier am Rednerpult abgelassen . wieder gesendet worden ist, heißt es abschließend: (Beifall bei der LINKEN) Wir werden deshalb einen Gesetzentwurf zu seiner Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen: Aufhebung „Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch, Herr Präsident!“ – gemeint ist § 103 – (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (B) vorlegen . (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dieser Satz wurde in diesem Haus einmal gesprochen . und bei der LINKEN – Christian Flisek [SPD]: Der Urheber dieses inzwischen historischen Zitatjuwels Nicht zu einer Reform! Aufhebung! – Harald aus der deutschen Parlamentsgeschichte kam damals Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Nicht zu glimpflich davon. Das lag vielleicht auch daran, dass einer Reform! Genau!) Richard Stücklen, der seinerzeit als Vizepräsident der da- maligen Sitzung so tituliert wurde, über einen gewissen Die Frage ist doch geklärt . Oder sollen wir der Kanzlerin Restposten an Humor verfügte . Ich habe mir mittlerweile nicht mehr glauben? sagen lassen, dass das A-Wort in Stücklens bayerischer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Heimat manchmal sogar eine Art Belobigung sein soll . sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Der – ich zitiere wieder – nervenkranke Despot vom Christian Flisek [SPD]: Das weiß man bei der Bosporus ist dagegen ein eher missmutiger Zeitgenosse . Union nicht so genau!) Das wissen die am besten, die unter ihm zu leiden haben . Er gehört mit Sicherheit zum Kreis derjenigen, die diese Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Art bayerischer Belobigung allemal verdient hätten . Herr Kollege Ströbele, in diesem Lande werden die (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Gesetze durch das Parlament gemacht, nicht durch die Bundesregierung . Ich frage: Sind noch ein paar Namen mehr gefällig? Assad in Syrien, Kim Jong-un in Nordkorea, Umar (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der al-Baschir im Sudan, jeder Einzelne aus der Reihe dieser SPD: Oh! Oh!) Blutrünstigen steht unter dem Schutz des § 103 unseres Strafgesetzbuches . Aus Staatsräson darf ich keinen die- Das sollten Sie wissen . Die Bundesregierung kann gerne ser mordlüsternen Spießgesellen so kritisieren, wie das einen Vorschlag machen . Wir werden darüber in Ruhe eigentlich nötig wäre, weil ich dann Gefahr laufe, ihn zu debattieren und eine Anhörung dazu durchführen . Wir beleidigen . werden aber nicht dem süßen Gift erliegen, ein Einzel- fallgesetz zu machen, das verfassungswidrig wäre und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das das nur einer temporären Empörung entsprechen würde . stimmt nicht! Das ist falsch!) (Christian Flisek [SPD]: Das stimmt doch gar Im Übrigen ist der Kollege Orban in Ungarn auch keiner, nicht! Da empfehle ich mal das Studium! Das dem die Presse- und Meinungsfreiheit besonders am Her- ist ein Einzelfallgesetz! § 2 Strafgesetzbuch!) zen liegt . Oder was ist mit dem Kollegen Kaczynski in 16722 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Harald Petzold (Havelland) (A) Polen oder dem Kollegen Putin in Russland? Von Donald derparagrafen fordert . Es ist einfach inkonsequent, den (C) Trump erhoffe ich mir, dass er nie in die Gesellschaft der- besonderen Schutz ausländischer Staatsoberhäupter ab- jenigen vorrückt, die die Privilegien des § 103 genießen . schaffen zu wollen, aber den des eigenen beizubehalten . Dieser Paragraf muss fallen . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen sagen wir: Wer auf halber Strecke stehen Herr Kollege Ullrich, wenn ich Sie richtig verstanden bleibt, indem er es bei der Streichung nur des § 103 des habe, wollen Sie eigentlich gar nicht, dass dieser Para- Strafgesetzbuchs belässt, der offenbart entweder, dass es graf gestrichen wird . ihm oder ihr nicht um die Sache geht, sondern nur darum, einer aktuellen Stimmung hinterherzulaufen, (Dr .V olker Ullrich [CDU/CSU]: Wir wollen klug nachdenken! Wir denken nach, bevor wir (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt handeln!) nähert sich die Argumentation an!)

Warum will die Bundeskanzlerin die Streichung erst oder dass sie oder er ein seltsames Verständnis unseres 2018? Was spricht gegen eine sofortige Streichung, wie Grundgesetzes hat . sie die anderen Fraktionen einfordern? Hierfür kann es aus unserer Sicht nur eine Erklärung geben: Hier soll Hinzu kommt, dass an verschiedenen Stellen des der Öffentlichkeit wieder einmal eine der berühmten Strafgesetzbuches die Strafverfolgung von einer soge- ­Merkel’schen Beruhigungspillen verpasst werden, damit nannten Verfolgungsermächtigung abhängig gemacht man ein Problem aussitzen kann . wird . Ohne eine solche Verfolgungsermächtigung kann (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die im Einzelnen genannten Straftaten nicht tätig werden, so auch im Fal- Denn erst mit ihrer verhängnisvollen Kommentierung des le Böhmermann­ . So wurde die Kanzlerin zur De-facto-­ sogenannten Schmähgedichts von Herrn ­Böhmermann Anklägerin . Das erinnert eher an Feudalabsolutismus . hat die Staatsaffäre Böhmermann begonnen . Jetzt wol- Auf jeden Fall widerspricht es der Gewaltenteilung in len Sie einfach Gras über die Sache wachsen lassen und unserem Land; denn ob eine Strafverfolgung stattfindet, dann so weitermachen wie bisher . Das macht die Linke obliegt einzig und allein der Judikative . nicht mit . (Beifall bei der LINKEN) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So hat die Kanzlerin auch entschieden! – Weitere Zu- (B) Das Strafgesetzbuch regelt Beleidigungsdelikte rufe von der CDU/CSU: Genau!) (D) grundsätzlich in den §§ 185 ff . Die Beleidigungsdelikte umfassen neben der Beleidigung die üble Nachrede und Linke, SPD und Grüne haben zu Recht die Verfol- die Verleumdung . Dennoch enthält das deutsche Straf- gungsermächtigung durch die Bundesregierung im Fal- recht seit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs ei- le Böhmermann kritisiert . Die drei SPD-Minister haben nen Anachronismus, der nicht nur seinesgleichen sucht, sogar im Kabinett ihre ewige Oppositionsrolle wieder sondern auch die Gleichheit aller vor dem Gesetz aushe- heldenhaft gespielt . Aber auch hier ist die Linke wieder belt, die sogenannten Sonderbeleidigungsdelikte . einmal die einzige im Bundestag vertretene politische Kraft, die durch eine Streichung dieser Verfolgungser- Das sind die Regelungen über die Beleidigung von mächtigung im Strafgesetzbuch eine strikte Gewaltentei- Organen und Vertretern ausländischer Staaten, also der lung einfordert . Liebe Besucherinnen und Besucher, Sie § 103, die Verunglimpfung des Bundespräsidenten, der können damit sehen: Die Linke bleibt nicht auf halbem § 90, sowie die üble Nachrede und Verleumdung von Wege stehen . Wir denken die Sache mit unserem Gesetz- Personen des politischen Lebens, der § 188 . Diese Son- entwurf konsequent zu Ende . derregelungen verstoßen gegen unser freiheitlich-de- mokratisches Grundverständnis; denn im Artikel 3 des An die Kolleginnen und Kollegen der SPD möch- Grundgesetzes steht: „Alle Menschen sind vor dem Ge- te ich abschließend folgende Worte richten: Sollten Sie setz gleich .“ wirklich ein ernsthaftes Interesse an der Umsetzung Ihrer (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ankündigung oder der Ankündigung von Justizminister neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) haben, so nutzen Sie die vorhandene parla- mentarische Mehrheit hier im Deutschen Bundestag und Weder der türkische Präsident noch der Bundespräsi- stimmen unserem oder wenigstens dem Gesetzentwurf dent oder Personen des politischen Lebens sind gleicher, der Grünen zu . Wenn Sie mir jetzt wieder sagen wollen, und niemand kann die Frage beantworten, warum wir das sei mit Ihrem Koalitionspartner, das sei mit der Union Politikerinnen und Politiker gleicher als unsere Wähle- nicht zu machen, dann frage ich Sie allen Ernstes mit den rinnen und Wähler sein sollen . Worten Ihres Neumitglieds, der Putzfrau Susanne „Susi“ (Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Darum Neumann: Warum bleibt ihr dann bei den Schwatten? geht es doch gar nicht!) Vielen Dank . Die Linke ist die einzige im Bundestag vertretene Kraft, die neben der Abschaffung des § 103 Strafgesetz- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- buch auch die Abschaffung dieser eben genannten Son- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16723

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: zogenen Ehrenschutz, wie ich es eben schon dargelegt (C) Als nächste Rednerin hat Dr . Eva Högl für die habe, führen auch die Voraussetzungen der Strafverfol- SPD-Fraktion das Wort . gung zu Verwicklungen und zu Schwierigkeiten, nämlich beim § 104 a . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das vorgesehene Strafverlangen der türkischen Re- gierung hat zu Recht bei uns Befremden ausgelöst – ich Dr. Eva Högl (SPD): glaube, das gilt für viele hier im Haus –; denn gerade die Türkei hat kein besonders gutes Verhältnis zu Pres- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und se- und Meinungsfreiheit . Das konnten wir nicht nur in liebe Kollegen! Die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, den letzten Tagen und Wochen beobachten . Präsident auch die Kunstfreiheit sind höchste Schutzgüter unseres Erdogan hat seit seinem Amtsantritt rund 2 000 Strafver- Grundgesetzes . Sie stehen in Artikel 5 an prominenter fahren wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung ein- Stelle und werden dort garantiert, und sie sind nicht ver- leiten lassen . Auch das gehört in unsere Diskussion . Vor handelbar – die erste Vorbemerkung . diesem Hintergrund und wegen des hohen Stellenwertes (Beifall bei der SPD) der Meinungsfreiheit ist die Ermächtigung der Bundes- regierung zur Strafverfolgung in der Öffentlichkeit nicht Die zweite Vorbemerkung . Alle Menschen genießen vermittelbar; auch diese Ermächtigung ist absolut unzeit- gleichermaßen das Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß . und auf Achtung ihrer Würde, alle Menschen, egal ob sie arm oder reich, groß oder klein, dick oder dünn sind, ob (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sie Ausländer oder Inländer, ob sie Politiker oder dies nicht sind . Die Ehre eines jeden Bürgers und einer jeden Denn damit wird das Verhalten von Privatpersonen wie Bürgerin ist gleich viel wert . im Fall Böhmermann zu einer Staatsaffäre . Deswegen ist § 104 a zu streichen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Was ich besonders problematisch finde, ist, dass es Deshalb soll das Strafrecht alle Menschen ohne Ansehen sich im Fall Böhmermann gar nicht um eine normale der Person vor tätlichen Angriffen und auch vor Beleidi- Beleidigung handelt, dass seine Äußerungen vielmehr gungen und Verleumdungen schützen . Das ist ein ganz im Kontext einer Satiresendung geäußert wurden . Auch wichtiges Prinzip . deswegen ist sehr kritisch zu beleuchten, dass nicht nur Der Fall Böhmermann hat uns vor Augen geführt, dass § 104 a grundsätzlich falsch ist und zum Gegenteil führt, wir im Strafrecht einige Sondertatbestände haben, die sondern dass wir es auch gar nicht zulassen dürfen, dass (B) einige vielleicht schon gekannt haben, einige vielleicht ausländische Regierungen diese Vorschriften des Straf- (D) aber auch nicht – ich schaue jetzt einfach einmal in die gesetzbuches zu ihren politischen Zwecken missbrau- Runde –, und die uns zu der Überlegung geführt haben, chen . Das ist eine ganz wichtige Frage, die wir hier mit- diese Sondertatbestände zu streichen. Ich finde es absolut einander erörtern müssen . in Ordnung, dass wir darüber anlässlich eines Einzelfalls Die jetzige Rechtslage führt dazu, dass letztendlich nachdenken; das ist absolut in Ordnung . Das heißt nicht, die Bundesregierung durch die Entscheidung darüber, ob dass wir immer auf einen Einzelfall reagieren . Aber es sie eine Ermächtigung erteilt, in eine politische Zwangs- heißt, dass wir einen Einzelfall zum Ausgangspunkt neh- lage kommt, in der man eigentlich nur falsch handeln men, um zu erkennen, dass bestimmte Dinge vielleicht kann, in der es fast kein Richtig gibt . Das hat sich ja auch nicht so sind, wie sie sein sollen . Wir als SPD-Bundes- dadurch gezeigt, dass die Bundesregierung bei dieser tagsfraktion stimmen absolut mit der Bundeskanzlerin Entscheidung erstens nicht einer Meinung war und dass überein, dass § 103 StGB gestrichen werden soll . sie es sich zweitens zu Recht sehr schwer gemacht hat, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ob diese Ermächtigung erteilt werden soll . Wenn es zu der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ diplomatischen Störungen kommt, dann führt diese Er- DIE GRÜNEN) mächtigung der Bundesregierung in § 104 a gerade zu dem Gegenteil dessen, was sie eigentlich bewirken soll, Das hat unser Fraktionsvorsitzender und damit wir als nämlich die diplomatischen Beziehungen zu schützen . erste Bundestagsfraktion – darauf lege ich hier schon ein bisschen Wert – schon am 12 .April dieses Jahres öffent- (Beifall bei der SPD) lich gefordert . Dabei bleiben wir auch . Ja, § 103 stammt Deswegen sagen wir ganz deutlich, dass es schwierig aus einer vordemokratischen Zeit: Als er entstand, ging war, dass die Bundesregierung die Ermächtigung erteilt es um Majestätsbeleidigung . Ich glaube, wir sind uns hat; ich habe es eben schon gesagt . Der Vorgang ist unter- alle hier in diesem Haus einig, dass dieser Paragraf nicht schiedlich bewertet worden . Ich persönlich, viele andere mehr in unsere Zeit passt . in der Bundestagsfraktion und auch die SPD-Minister Die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter haben die Entscheidung der Bundeskanzlerin für einen wird schärfer sanktioniert als die normale Beleidigung . Fehler gehalten . Wir müssen auch schauen, dass kein po- Der Fall Böhmermann hat gezeigt, dass genau diese an litischer Schaden entsteht; denn allein dadurch, dass der sich gutgemeinte Regelung, die nämlich die diplomati- Eindruck entsteht, man habe sich von Erdogan in die eine schen Beziehungen schützen soll, das gerade nicht tut, oder andere Richtung lenken lassen, ist schon politischer sondern sogar zum Gegenteil führt, nämlich zu diploma- Schaden entstanden . Es ist absolut richtig, dass die Bun- tischen Verwicklungen . Denn neben dem ohnehin über- deskanzlerin direkt bei der Erklärung, dass die Ermäch- 16724 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. Eva Högl (A) tigung erteilt wird, gesagt hat: Es ist Zeit, § 103 aus dem sie führt zu einer Strafverschärfung . Aber es ist unwahr, (C) StGB zu streichen, weil er nicht in unsere Zeit passt . wenn man sagt, das Verfahren wäre dann beendet . Nein, es wird ein Verfahren durchgeführt, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen: § 103 muss weg . Da sind wir uns hoffent- lich alle einig . Die SPD-Bundestagsfraktion sagt: Auch und zwar von der Justiz . § 104 a muss weg . Das sagen die Grünen leider nicht . Da (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: enthält ihr Vorschlag eine Lücke, wie ich finde. Die Lin- Von wem sonst?) ken gehen leider nicht weit genug mit ihrem Vorschlag, weil sie es bei § 104 a belassen und nur die Ermächti- – Ja, von wem sonst? gung der Bundesregierung herausstreichen wollen; die Regelung zum Verlangen des Staates auf Strafverfolgung Meine Damen und Herren, eines ist doch klar: Pres- wollen sie leider nicht streichen . Deswegen sind beide se- und Meinungsfreiheit sind ein hohes Gut . Satire ist vorliegenden Gesetzentwürfe nicht geeignet, hier be- zulässig, ganz klar . schlossen zu werden . Die SPD-Bundestagsfraktion sagt: (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Beides weg, § 103 und § 104 a! Außerdem, liebe Kol- Ach! – Dr . [BÜNDNIS 90/ leginnen und Kollegen von der Unionsfraktion: Sofort DIE GRÜNEN]: Echt? Da haben wir ja Glück streichen und nicht erst 2018! Dann würden wir hier die gehabt!) richtige Entscheidung treffen . Aber, Herr Petzold, zu behaupten, dass man, wenn § 103 Herzlichen Dank . des Strafgesetzbuches bestehen bleibt, in seiner Mei- (Beifall bei der SPD) nungsfreiheit, in der Pressefreiheit beeinträchtigt ist, ist nicht richtig . Ich stelle immer wieder fest – insbesondere in der Bevölkerung, aber auch bei den Medien, teilweise Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: auch bei Kollegen –, dass nicht allgemein bekannt ist, Vielen Dank .– Als nächster Redner hat Detlef Seif was Böhmermann in seinem angeblichen Schmähgedicht von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . gesagt hat . Da werden nur Fetzen herausgerissen . Ich wollte es eigentlich nicht; aber ich lese Ihnen das einmal (Beifall bei der CDU/CSU) vor, damit man weiß, was hier überhaupt gesagt worden ist: (CDU/CSU): Detlef Seif (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: (B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt wird’s lustig!) (D) Meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich eine rechtspolitische Rede halten und mich im Wesentlichen Sackdoof, feige und verklemmt, nur an den Rechtsvorschriften entlang bewegen . Aber ei- ist Erdogan, der Präsident . niges, was die Kollegen Ströbele und Petzold gesagt ha- Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner, ben, kann so nicht stehen bleiben, weil es nicht richtig ist . selbst ein Schweinefurz riecht schöner . Kollege Ströbele hat eingeleitet mit den Worten: Wenn (Christian Flisek [SPD]: Jetzt passen Sie aber § 103 des Strafgesetzbuches abgeschafft wird, ist das auf, dass Sie keine Anzeige bekommen! Das Strafverfahren gegen Böhmermann beendet . geht nämlich ganz schnell!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Er ist der Mann, der Mädchen schlägt GRÜNEN]: Ja!) und dabei Gummimasken trägt . Am liebsten mag er Ziegen ficken Meine Damen und Herren, das ist rechtlich falsch . und Minderheiten unterdrücken, Kurden treten, Christen hauen (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: und dabei Kinderpornos schauen . Nein, das ist richtig! – Weitere Zurufe von der Und selbst abends heißt’s statt schlafen, LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fellatio mit hundert Schafen . NEN) Ja, Erdogan ist voll und ganz Erdogan hat einen Strafantrag nach § 185 des Strafge- ein Präsident mit kleinem Schwanz . setzbuches gestellt . Jeden Türken hört man flöten, (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: die dumme Sau hat Schrumpelklöten . Den hat er zusätzlich gestellt!) Von Ankara bis Istanbul weiß jeder, dieser Mann ist schwul, Allein deshalb wird ein Strafverfahren durchgeführt . § 103 des Strafgesetzbuches ist eine Spezialvorschrift; (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE pervers, verlaust und zoophil – GRÜNEN]: Das hat Herr Ströbele aber auch Recep Fritzl Priklopil . betont! Sie haben offensichtlich nicht einmal Sein Kopf so leer wie seine Eier, zugehört!) der Star auf jeder Gangbang-Feier . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16725

Detlef Seif (A) Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt, durfte, weil es keine Außenpolitik mehr machen durf- (C) das ist Recep Erdogan, der türkische Präsident . te . Deshalb war der Zweck der Vorschrift, nämlich der Schutz der außenpolitischen Beziehungen, entfallen . (Christian Flisek [SPD]: Das hätte jetzt nicht sein müssen!) Insoweit ist die Rechtsvorschrift erst 1953 eingeführt worden, in etwas modifizierter Form. Es ist also keine Meine Damen und Herren, darüber brauche ich Vorschrift, die in dieser Form seit etlichen Hundert Jahren nicht lange nachzudenken: Hier werden Ressentiments bestanden hätte . Wörtlich heißt es in der Begründung – bedient . Hier wird eine Person in ihrer Ehre ganz klar der Kollege Ullrich hat es schon allgemein ausgeführt –: angesprochen . Die Justiz hat zu entscheiden, ob diese Ausdrucksweise in dieser Form noch gedeckt ist von der Solche Handlungen können geeignet sein, das fried- Meinungs- und Pressefreiheit, und zwar unabhängig von liche Zusammenleben Deutschlands mit anderen § 103 des Strafgesetzbuches . Völkern zu beeinträchtigen, und sind daher im In- teresse der Völkergemeinschaft unter Strafe zu stel- (Christian Flisek [SPD]: Jetzt haben Sie das len . … Gedicht auch aus dem Kontext gerissen!) Die besondere Strafwürdigkeit der Tat ergibt sich Aber lassen Sie das einmal in Gänze auf sich wirken, daraus, daß sich in dem Angegriffenen die auslän- ohne Ansehen der Person . dische Staatshoheit verkörpert . Es handelt sich um (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: den Schutz der zwischenstaatlichen Beziehungen Das war jetzt aus dem Zusammenhang geris- und nicht um den besonderen Schutz der Ehre einer sen, Herr Kollege! Unglaublich!) Einzelperson . Versetzen Sie sich in Erdogan, und überlegen Sie, wie So schon der Gesetzgeber in der Begründung aus dem Sie dazu stehen würden . Jahr 1953 . Es ist somit erkennbar falsch, wenn man sich hier auf den Gleichheitsgrundsatz bezieht . Schutzgut (Beifall bei der CDU/CSU) sind die internationalen Beziehungen . Jetzt kommen wir zur Rechtsdogmatik . Richtig ist, Man muss daher wohl überlegen, wenn man an dieser dass § 103 des Strafgesetzbuches eine Spezialvorschrift Vorschrift Änderungen vornimmt, dass sie in einem Sys- im Verhältnis zu den allgemeinen Beleidigungsvor- tem des Schutzes der internationalen Rechtsbeziehungen schriften nach § 185 ff . vorsieht . Voraussetzung ist die im Strafgesetzbuch steht . Die Kanzlerin hat zu Recht da- Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts – der rauf hingewiesen, dass man hier genau hingucken muss, Kollege Ullrich hat das auch vorgetragen –, eines aus- ehe man Änderungen vollzieht . ländischen Regierungsmitglieds, das sich in Deutschland (B) (D) aufhält, oder des Leiters einer diplomatischen Vertre- (Zuruf des Abg . Hans-Christian Ströbele tung, also insbesondere eines Botschafters . Die Tathand- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) lung muss in der Tat zunächst einmal den allgemeinen Auch die Vorschriften „Verunglimpfung des Bundesprä- Beleidigungsvorschriften entsprechen, also allgemeine sidenten“ oder „Üble Nachrede und Verleumdung gegen Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung, und das Personen des politischen Lebens“ verfolgen letztlich legt dann den Schluss nahe: Aha, es handelt sich um ein nicht den Ehrschutz . Die eine Vorschrift verfolgt den typisches spezielles Beleidigungsdelikt .– Das Argument Schutz des Amtes des Bundespräsidenten . Personen, die von den Grünen und den Linken ist: Die Würde des Men- in der Öffentlichkeit eine politische Tätigkeit ausüben, schen ist gleich, die Ehre ist gleich, und deshalb dürfe sind geschützt vor öffentlich ausgesprochener übler hier keine Ungleichbehandlung erfolgen . Nachrede oder Verleumdung, vor Tatsachenbehauptun- Meine Damen und Herren, die Strafverfolgung fin- gen, die sich auf das Amt beziehen, weil sie sonst Gefahr det nur statt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu laufen, in ihrer Amtsführung beeinträchtigt zu werden . dem Staat, dessen Staatspräsident beleidigt worden ist, Was ist daran falsch, jemanden, der eine Straftat begeht, diplomatische Beziehungen unterhält . Die Gegenseitig- nämlich sich ganz klar einer üblen Nachrede oder Ver- keit muss verbürgt sein, zum Zeitpunkt der Tatbegehung leumdung schuldig macht und damit die politische Exis- und zum Zeitpunkt der Prozessführung . Es muss ein tenz einer Person, die ein Amt ausübt, gefährdet, einer Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegen . gewissen Strafverschärfung zu unterstellen? Man muss Dieses zusätzliche Strafverlangen der türkischen Re- hier ganz genau hingucken . gierung über die Botschaft – neben dem Strafantrag von Der letzte Punkt . Mit dem Entwurf der Grünen ist es Erdogan – ist auch erfolgt . Die Bundesregierung – das schwierig; er besteht nur aus drei Sätzen . Da ist bei den heißt in dem Fall insbesondere der Außenminister, auch Linken schon mehr Differenzierung vorhanden . wenn die Kanzlerin das erklärt hat – muss die Ermächti- gung zur Strafverfolgung erteilt haben . (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten es Ihnen einfach machen!) Es ist richtig, dass die Vorschrift auf die Historie zu- rückgeht: Preußisches Allgemeines Landrecht, 1794 . Et- Bei dem Streichen der Strafverfolgungsermächtigung liche Länder des Deutschen Bundes haben die Vorschrift muss man unterscheiden; das ist schon gesagt worden . übernommen . Sie wurde auch ins Reichsstrafgesetzbuch Einmal ist das an das Antragsdelikt anzulehnen; ich aufgenommen . Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs glaube, Kollege Ullrich hat das auch gesagt . Wenn zum wurde sie zunächst gestrichen . Warum? Weil Deutsch- Beispiel eine Körperschaft beleidigt wird, muss die Kör- land keine außenpolitischen Beziehungen unterhalten perschaft der Verfolgung zustimmen . Wenn der Bundes- 16726 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Detlef Seif (A) präsident verunglimpft wird, muss er ihr zustimmen . Das lich war er nur neidisch auf extra 3 und dachte: Da setze (C) ist quasi wie beim Antragsdelikt . Darüber hinaus gibt es ich was drauf . – Aber es war eingebettet in eine Gesamt- aber auch noch andere Strafverfolgungsermächtigun- konstruktion Satire . Ich meine, wir dürfen uns durch ei- gen – ich komme dann auch gleich zum Ende; die Zeit ist nen Ausländer nicht vorschreiben lassen, was bei uns im fast abgelaufen –, und zwar im Bereich der Vorbereitung Land Satire ist, wo immer er herkommt . einer schweren staatsgefährdenden Straftat . Bei der Auf- nahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN staatsgefährdenden Straftat und der Terrorismusfinan- sowie bei Abgeordneten der SPD und der zierung, nämlich in den Fällen, in denen zumindest ein LINKEN) Teil der Tatbegehung außerhalb der Europäischen Union Das entscheiden wir selbst . Das legen bei uns die Ge- stattgefunden hat, soll der als außenpolitisch sinnvoll er- richte aus . Deshalb wird die Frage, ob Herr Böhmermann achteten Handhabung dieser Rechtsvorschrift Rechnung mit seinem Vorspann und seinen Ziegenfantasien – kru- getragen werden . Das ist der Grund, warum der Justiz- de; das sagt ja auch etwas über ihn aus – Satire ist oder minister hier letztlich die Ermächtigung erteilen muss . sein kann, ein Gericht oder die Staatsanwaltschaft ent- Auch bei dieser Vorschrift macht es Sinn, sie in dieser scheiden . Ich glaube nicht, dass darin wirklich außenpo- oder zumindest ähnlicher Form beizubehalten . litischer Schaden liegt . Aber, ehrlich gesagt, war ich sehr Was Sie heute vorgelegt haben, ist ein Schnellschuss . peinlich berührt für dieses Haus, als Sie als Mitglied des Diese Vorschriften dürfen angesichts der Systematik des Deutschen Bundestages diesen Text hier verlesen haben . Gesetzes und der Wichtigkeit des Themas nicht einzel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fallbezogen, sondern müssen ohne Ansehen der Person sowie bei Abgeordneten der SPD und der angegangen werden . LINKEN) Zu Herrn Ullrich, der meinte, der Maßstab für Geset- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: ze sei nicht der momentane Erregungszustand einzelner Herr Kollege, es wäre schön, wenn Sie Ihren Worten MdBs . Ich sage Ihnen einmal ehrlich: Erregt sind ja zwei, Taten folgen lassen . Herr Erdogan und danach Frau Merkel, die sich im Te- (Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] lefongespräch gleich distanzierte und, und, und . Herr [DIE LINKE]) Ullrich, Sie kommen hier mit der Sorgfaltseinrede . Ich sage Ihnen: Gerne beraten wir sorgfältig . Ich bin aller- dings der festen Überzeugung, dass wir vor dem 1 .Ja - Detlef Seif (CDU/CSU): nuar 2018 in der Lage sein werden – so viel Kompetenz Jetzt kommt meine Tat . (B) ist hier vorhanden; auch durch potenzielle Sachverstän- (D) dige –, sorgfältig über dieses Gesetz zu beraten und zu Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: entscheiden . Sie müssen zum Schluss kommen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Detlef Seif (CDU/CSU): Das könnten wir innerhalb einiger Monate hinkriegen . Deshalb: Heute keine Änderung, erst darüber nach- denken, beraten, Sachverständigenanhörung, und dann Das ist doch fast eine Debatte aus Absurdistan . Die sehen wir weiter . Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende der CDU – nach- dem sie erst einmal eine ordentliche Wende vollzogen hat Vielen Dank . in ihrer Auffassung – sagt, diese Regelung müsse man (Beifall bei der CDU/CSU) streichen, der Bundesjustizminister sagt es, alle Frakti- onen im Haus sagen es, Sie haben als GroKo sogar eine 80-prozentige Mehrheit; aber es soll dann lieber nicht Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: entschieden werden . Das riecht schon fast nach Arbeits- Als nächste Rednerin hat Renate Künast von der Frak- verweigerung . Ich sage Ihnen: Was nach Auffassung al- tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . ler Fraktionen, aller Abgeordneter in diesem Hause – wir sind der Gesetzgeber, die Gesetzgeberin – 2018 falsch Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist, kann auch heute nicht richtig sein . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und speziell Herr Seif! Die Indemnität schützt Sie ja; bei der SPD und der LINKEN) aber vielleicht können Sie uns nachher einmal verraten, was Sie eigentlich geritten hat, das Gedicht hier zum Vor- Warum sollen wir das Ganze eigentlich zu den Staats- trag zu bringen . anwälten und Gerichten schieben? Sie wissen: Alle sind der Meinung, dass dieser Paragraf falsch ist und dass er (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, abgeschafft werden soll . Insofern ist es keine normale bei der SPD und der LINKEN) Gesetzesberatung, bei der man ein Problem berät, von Niemand hat das getan . Ich muss ehrlich sagen: Ich fand dem man nicht weiß, ob oder wie man es löst und ob das Gedicht von Böhmermann nicht besonders klug, man am Ende bei der alten Rechtslage bleibt . Nein, hier nicht besonders intelligent; hohe Kunst war es auch wissen wir schon, und zwar alle: Diesen Paragrafen soll nicht . Seine Redenschreiber sind schlecht . Wahrschein- es nicht mehr geben . Und wir nehmen diese heiße Kar- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16727

Renate Künast (A) toffel und werfen sie den Staatsanwälten und Gerichten Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (C) zu, weil die erste Gewalt, die Gesetze machen muss, zu Als nächster Redner spricht Christian Flisek von der feige ist, sich dürfen zu trauen zum jetzigen Zeitpunkt? SPD-Fraktion . Was glauben Sie eigentlich, was passiert? Gehen Sie (Beifall bei der SPD) einmal zu den Kriminalgerichten in die Besenkammern, in die Hinterzimmer . Da stehen die Aktenwagen, die die Staatsanwälte da reinschieben . Anschließend werfen sie Christian Flisek (SPD): den Schlüssel weg, weil sie sich sagen: Wir sind ja nicht Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle- blöd, heute ein Verfahren mit aufwendiger Beweisauf- ginnen und Kollegen! Herr Kollege Seif, ich schließe nahme durchzuführen . – Das Gedicht, das Sie zitiert ha- mich den Vorbemerkungen von Frau Künast vollends an . ben, würde dann auch noch von Anwälten in die Beweis- Ich sage auch: Sie hätten sich das Zitat schlichtweg spa- aufnahme gezogen; wahrscheinlich würden noch Ziegen ren können, vor Gericht vorgeführt, meine Damen und Herren . (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) insbesondere deswegen, weil Sie den Anspruch hatten, Eine gruselige Vorstellung! Das werden die doch nicht eine rechtspolitische Rede zu halten . Für eine rechtliche durchziehen . Die werden diese Aktenwagen irgendwo Beurteilung ist der Gesamtkontext entscheidend . Sie ha- verlustig gehen lassen . ben das Zitat aber aus dem Kontext herausgerissen . Ich finde, das ist dem Ganzen auch nicht würdig. Es (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ist nicht würdig, dass andere sagen, was bei uns Satire BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist . Es ist aber auch nicht würdig, dass sich dieses Haus systematisch und kollektiv der Arbeit verweigert, was Meine Damen und Herren, die Entrümpelung des ma- dann dazu führt, dass Staatsanwälte und Gerichte dies teriellen Strafrechts bedarf manchmal äußerer Anlässe, am Ende auch machen, Anlässe, die man sich vielleicht nicht wünscht, die aber wiederum zeigen, wie sehr aus der Zeit gefallen mancher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Straftatbestand unseres geltenden Rechts ist . Die Straf- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten vorschriften der §§ 103 und 104 a StGB, über deren Ab- der SPD) schaffung wir heute beraten, sind solche Vorschriften, die weil ihnen gar nichts anderes übrig bleibt und sie mit ih- aus der Zeit gefallen sind . Aus Anlass der sogenannten ren knappen Personalkapazitäten anderes zu tun haben, Affäre Böhmermann, die eigentlich eine Affäre Erdogan (B) meine Damen und Herren . ist, wurde uns dies drastisch vor Augen geführt . (D) Tragisch ist, dass jetzt ein Gesamtkunstwerk, also der (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr .Petra Vorspann und das Gedicht, entstanden ist, bei dem sich Sitte [DIE LINKE] und Dr .Anton Hofreiter Erdogan Merkel zur Teilhaberin gemacht hat – und Herrn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Seif jetzt auch noch . Ob das für Ihre Karriere förderlich Die Regelungen des § 103 StGB, so wie wir sie heute ist, werden wir sehen . kennen, gibt es schon seit den 1950er-Jahren . Aber erst in (Detlef Seif [CDU/CSU]: Sie gehören aber den 1960er-Jahren wurden sie massenhaft angewendet . auch dazu, Frau Künast! Sie sind die Spitze Sie erlangten ihren heute noch gebräuchlichen Spitzna- des Kunstwerks!) men, als der damalige Schah von Persien in jeder Kritik an seiner Person eine Beleidigung seiner selbst sah und Meine Damen und Herren, ich meine, wir müssen an eine Strafverfolgung dieser Majestätsbeleidigung durch dieser Stelle die Kunstfreiheit schützen . Lassen Sie uns den deutschen Staat verlangte . Den Schah von Persien diesmal ein wirklich zügiges Verfahren durchführen! gibt es heute nicht mehr; geblieben aber ist der Schah-Pa- Lassen Sie uns diese Situation nutzen, um auf etwas an- ragraf . Geblieben sind auch ausländische Staatsober- deres hinzuweisen, nämlich dass in der Türkei 33 Journa- häupter, die sich ziemlich schnell beleidigt fühlen . listen im Gefängnis sitzen, So konnte sich die Geschichte in der Vergangenheit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, auch wiederholen . Was 1964 die Redakteure des Kölner bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- Stadt-Anzeigers waren, die sich mit einer Fotomonta- geordneten der CDU/CSU – Zuruf von der ge über den Schah lustig machten, das war 1987 Rudi LINKEN: Genau!) ­Carrell, der das iranische Staatsoberhaupt ­Ayatollah 7 000 Journalisten auf Weisung von Erdogan ihren Job ­Chomeini verspottete, das war 2001 Jan Weiler, der verloren haben . Lassen Sie uns als Vorbild zeigen, was das japanische Kaiserpaar auf die Schippe nahm, das Freiheit ist und dass wir uns in dieser schizophrenen Si- sind heute die Redakteure von extra 3, das sind Jan tuation nicht erpressen lassen . Dazu gehört nicht nur ein ­Böhmermann und Mathias Döpfner . Wer diese Liste be- gewisses Standing, sondern auch, dass wir den Paragra- trachtet, muss feststellen: Manchmal sagt die Einleitung fen abschaffen, den andere zu unserer Erpressung benut- eines Strafverfahrens mehr über den Anzeigenerstatter zen wollen . als über den Beschuldigten aus . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem bei der SPD und der LINKEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 16728 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Christian Flisek (A) Zur Analyse gehört auch, dass das Skandalisierungs- zurollen, ist nicht nur widersprüchlich, sondern auch in (C) potenzial im materiellen Recht dieser Vorschriften be- höchstem Maße politisch unklug . reits angelegt ist; denn zur Staatsaffäre konnten sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einige dieser Fälle nur deswegen entwickeln, weil das der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Strafgesetzbuch die Bundesregierung derart einbezieht, GRÜNEN) dass sie zur Strafverfolgung wegen Beleidigung von Or- ganen und Vertretern ausländischer Staaten ermächtigen Deswegen wäre die Bundeskanzlerin auch gut beraten, muss . Was eine Privataffäre ist und eigentlich auch eine hier auf die SPD zu hören und eine unverzügliche Strei- Privataffäre bleiben sollte, wird damit qua Gesetz zur chung dieses Paragrafen zu unterstützen . Staatsaffäre gemacht . Diese Rechtslage ist unnötig und anachronistisch . Gerichte werden in Deutschland klären, inwieweit das, was Sie, Herr Kollege Seif, aus dem Kontext heraus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gerissen zitiert haben, strafrechtliche Relevanz hat oder der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE nicht . Meine Fraktion wird sich aber für die sofortige GRÜNEN) Streichung der beiden genannten Paragrafen einsetzen . Wir werden hierfür in Kürze einen eigenen Gesetzent- Sie ist unnötig, weil auch bei Abschaffung der Sonder- wurf vorlegen . Weil die Gesetzentwürfe der Opposition vorschrift des § 103 StGB das ausländische Staatsober- nun einmal einige handwerkliche Mängel haben, können haupt – darauf ist hingewiesen worden – nicht schutzlos wir ihnen nicht zustimmen . Aber wir laden Sie alle, mei- gestellt wird . Jede Person kann – wie jeder Bürger dieses ne Damen und Herren, herzlich ein, dann den Entwurf Landes auch – nach den allgemeinen Beleidigungspara- meiner Fraktion zu unterstützen . Das wäre ein wesent- grafen vorgehen . Die Bundesregierung ist dann außen licher Schritt hin zu einer sofortigen Streichung dieser vor . Paragrafen . Anachronistisch ist diese Rechtslage, weil es im Herzlichen Dank . 21 . Jahrhundert völlig unangemessen ist, ein Sonderstraf- recht für bestimmte Personengruppen festzuschreiben, (Beifall bei der SPD) die in besonderer Weise Gegenstand einer kritischen Be- richterstattung oder auch einer künstlerisch-satirischen Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Auseinandersetzung sind . Die präventive Funktion des Vielen Dank .– Als nächster Redner spricht für die Strafrechts soll zur Rechtstreue anhalten; sie darf nicht CDU/CSU-Fraktion Thorsten Frei . zur Selbstzensur führen . (Beifall bei der CDU/CSU) (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Thorsten Frei (CDU/CSU): GRÜNEN) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Der Anachronismus tritt dann besonders deutlich zu- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutie- tage, wenn das ausländische Staatsoberhaupt selbst nicht ren – das hat die bisherige Debatte schon gezeigt – eine gerade durch Liebe zum Rechtsstaat, zur Freiheitlichkeit, spannende rechtspolitische Frage, die jede Menge juris- zur Demokratie auf sich aufmerksam gemacht hat . tische Problemstellungen aufwirft und darüber hinaus natürlich auch außenpolitische Implikationen hat, die das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ganze umso komplexer machen . der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist schon bemerkenswert, dass es einem Komiker und Satiriker mit einer förmlichen Guerillaaktion ein § 103 macht hier leider keinen Unterschied . Er schützt weiteres Mal gelungen ist, eine gesellschafts- und auch jedes ausländische Staatsoberhaupt, den demokratisch staatspolitische Debatte bei uns im Land anzustoßen . Es gewählten Präsidenten genauso wie den pseudodemokra- war letztes Jahr das „Varoufake“-Video, es ist jetzt das tisch gewählten Präsidenten und auch den gewaltsamen Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Erdogan . Despoten . Das kann nicht richtig sein . Natürlich ist dieses Gedicht – das will ich an dieser Stel- le sagen; das hat auch diese Debatte gezeigt – zutiefst (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verletzend und ehrabschneidend . Es ist im Hinblick auf der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Form, Inhalt, Art und Weise absolut inakzeptabel, auch in GRÜNEN) dem Zusammenhang, in dem es vorgetragen worden ist . Wenn man eine so unnötige und aus der Zeit gefalle- Trotz allem ist es so – – ne Vorschrift des materiellen Strafrechts entdeckt, dann muss man sofort die notwendigen Konsequenzen ziehen . Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Thorsten Frei (CDU/CSU): So früh schon? Ich habe ja noch gar nichts gesagt . Zu fordern, diese Vorschrift abzuschaffen, gleichzeitig aber Herrn Erdogan im konkreten Fall den roten Teppich (Heiterkeit bei der SPD – Christian Flisek für ein Strafverfahren gegen Herrn Böhmermann aus- [SPD]: Das ist die Vorahnung!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16729

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: will? Warum greift man einen Sondertatbestand heraus, (C) ohne die Beleidigungstatbestände insgesamt zu prüfen? Darüber entscheide ich nicht, wie Sie wissen . – Bitte . (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Brauchen Sie zwei Jahre dafür?) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege Frei, dass Sie die Zwi- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: schenfrage zulassen .– ich bin etwas verwundert darü- Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol- ber, dass Sie gerade „Varoufake“ und das Schmähgedicht legen Dehm zu? in einem Zuge genannt haben . Ist Ihnen bekannt, dass ­Böhmermann für „Varoufake“ den Grimme-Preis be- kommen hat? Thorsten Frei (CDU/CSU): Ich würde sagen, dass ich jetzt weiterrede . Wenn der (Beifall der Abg . [SPD] und Wunsch nach einer Zwischenfrage später immer noch Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) vorhanden ist, dann besteht die Möglichkeit einer Kurz- intervention . Thorsten Frei (CDU/CSU): Ich glaube, dass diese Entscheidung der Bundesregie- rung richtig war . Man muss in der Tat klarstellen, dass Ich habe insbesondere darauf Bezug genommen, Frau Recht Recht ist und Außenpolitik Außenpolitik . Genau Kollegin, dass es natürlich in gewisser Hinsicht proble- diese Unterscheidung hat die Bundesregierung getrof- matisch ist, wenn man letztlich die Konfrontation und fen, und diese Entscheidung war korrekt und richtig . Ich Auseinandersetzung mit ausländischen Staats- und Re- glaube auch, dass dies ein gutes Beispiel ist, um denen, gierungsvertretern zum Gegenstand solcher Satirewerke die nicht glauben, dass Gewaltenteilung ein konstitutives macht . Unabhängig davon, ob es dafür einen Preis gab Element einer freiheitlich-demokratischen Grundord- oder nicht, entzieht es sich nicht einer politischen Be- nung ist, deutlich zu machen, was die Gewaltenteilung wertung . Deshalb habe ich diesen Zusammenhang herge- bedeutet . stellt . Ich halte ihn, auch wenn es unterschiedliche Sach- verhalte sind, durchaus für richtig . Es ist richtig, an dieser Stelle über Sinn und Unsinn des § 103 des Strafgesetzbuches insgesamt, losgelöst Ich hatte es angesprochen: Man kann über Inhalt und vom Fall Böhmermann, nachzudenken . Ich gebe Ihnen in Form unterschiedlicher Meinung sein und trotzdem zu weiten Teilen recht: Das ist eine Vorschrift, die ein Stück einem klaren Ergebnis kommen . Jedenfalls ist klar, dass weit aus der Zeit gefallen ist . Was 1871 oder auch schon (B) es Grenzen gibt, auch bei den Grundfreiheiten unserer davor in früheren Landesstrafgesetzbüchern richtig war, (D) Verfassung . Es gibt eben nicht nur die Kunstfreiheit, es muss heute keineswegs mehr richtig sein . Während die gibt nicht nur die Meinungsfreiheit . Diese Freiheiten ha- Beleidigung eines Staatsoberhauptes früher mit der Be- ben letztlich dort ihre Grenzen, wo andere Werte mit Ver- leidigung eines Staates gleichzusetzen war, was dadurch fassungsrang tangiert werden, und das ist nicht zuletzt zum Ausbruch eines Krieges mit hohem Blutzoll führen das Persönlichkeitsrecht . konnte, ist es heute eben nicht mehr so . Auf so etwas würde sich in Deutschland kein Mensch berufen . Es ist nicht entscheidend, ob die Frage der Strafbarkeit links oder rechts zu verorten ist; denn das hat in Deutsch- Deshalb – auch das ist bereits gesagt worden – spricht land Gott sei Dank weder die Exekutive noch die Legis- es eher gegen denjenigen, der sich auf eine solche Re- lative, sondern das zuständige Gericht zu entscheiden . gelung beruft, als gegen denjenigen, der sich mit einer Deshalb halte ich die Entscheidung der Bundesregierung entsprechenden Anklage konfrontiert sieht . Nur als Maß- für zutreffend und richtig, erstens nach § 104 Strafge- stab: Wenn jemand eine solche Vorschrift für sich in An- setzbuch die entsprechende Ermächtigung zu erteilen spruch nimmt, dann zeugt das davon, dass er nicht über und zweitens nicht in einem Schnellschuss – meine Kol- die notwendige Souveränität verfügt und offensichtlich legen haben das rechtspolitisch ausführlich dargelegt – eine relativ schwache Stellung hat . Unsere Bundeskanz- über die Abschaffung eines alten Straftatbestandes zu lerin hat in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, was entscheiden, sondern dies zum Gegenstand umfassender der Maßstab für einen Staats- oder Regierungschef ist . Überlegungen zu machen . Es ist richtig, was gesagt wor- Im vergangenen Sommer hat sie angesichts der inakzep- den ist: Keine Strafvorschrift steht am Ende des Tages für tablen Schmähungen aus Athen gezeigt, wie souverän sich alleine, sondern sie ist in einen Gesamtzusammen- man mit solchen absolut deplatzierten Anschuldigungen, hang zu rücken . Insbesondere mein Kollege Ullrich hat Anwürfen und Schmähungen umzugehen hat . Das ist si- ausführlich darauf hingewiesen, dass es durchaus Ände- cherlich die richtige Herangehensweise . rungsmöglichkeiten und Änderungsbedarf gibt . Aber es (Beifall bei der CDU/CSU) muss möglich sein, das in einer ausführlichen Debatte zu klären . Ein Weiteres: Ich glaube, dass das Schutzgut des § 103 Strafgesetzbuch in einer globalen Informations- Ich will Ihre Fragen mit einer Gegenfrage beantwor- gesellschaft durch solche Regelungen nur noch einge- ten: Was ist der Grund dafür, dass man jetzt eine uralte schränkt berücksichtigt werden kann . Man muss, glaube Regelung, über deren Richtigkeit man unterschiedlicher ich, auch im Blick haben, dass in einer Zeit, in der Infor- Meinung sein kann – ich bin von der Ihrigen übrigens mationen weltweit zeitgleich zur Verfügung stehen, diese nicht weit entfernt –, in einem Schnellschuss beseitigen Informationen in unterschiedlichen Gesellschaften sehr 16730 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Thorsten Frei (A) unterschiedlich gehandhabt und betrachtet werden . Da- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . (C) rüber muss man genauso nachdenken wie über die Frage, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- inwieweit es zu gesellschaftlichen Veränderungen mit ordneten der SPD) Auswirkungen auf die Rechtsprechung in unserem Land selbst gekommen ist . Wenn man sich die wenigen Fälle anschaut, in denen nach § 103 geurteilt wurde, stellt man Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: fest, dass die Dinge ganz unterschiedlich entschieden Vielen Dank .– Jetzt hat der Kollege Dehm das Wort worden sind: In den 60er-Jahren, als es um den Schah zu einer Intervention . ging, und in den 70er-Jahren, als es um die chilenische Militärdiktatur ging, wurden andere Entscheidungen Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): getroffen als 2006, als es um Papst Benedikt ging . Des- Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie den politischen Zu- halb, glaube ich, muss man berücksichtigen, dass gesell- sammenhang erwähnt haben, dass Sie gesagt haben, all schaftliche Veränderungen immer auch Auswirkungen diese Dinge gehören eingebettet in den politischen Zu- auf die Rechtsprechung haben und deshalb gleiche oder sammenhang . Ich erinnere nur daran, dass, bevor sich die vergleichbare Fälle heute anders betrachtet werden als in Gegnerschaft mit der NATO zuspitzte, in unserer Bou- früheren Jahren . levardpresse fast jeder, auf den sich das bezog, als „Hit- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glau- ler“ bezeichnet wurde . Ob Milosevic, Putin oder Saddam be, man muss an dieser Stelle auch die außenpolitischen Hussein – sie waren immer „Hitler“ . Drunter ging es ja Wirkungen berücksichtigen . Man muss sehen, dass es in offensichtlich nicht. Im Vergleich damit ist „Ziegen fi- diesem Fall so war, dass die Vorstellungswelten auslän- cken“ ja nicht gerade der Superlativ an Schmähungen, discher Staats- und Regierungschefs in unsere nationale Beleidigungen oder auch Rufmord, den man jemandem Debatte überschwappen konnten . Das wird sich am Ende angedeihen lassen kann . sicherlich nicht in der Rechtsprechung niederschlagen – (Zuruf von der CDU/CSU: Ansichtssache!) davon bin ich absolut überzeugt –; aber dass wir uns mit Debatten beschäftigen, die in andere Länder gehören, Ich finde das, was vorgetragen wurde, auch nicht dra- halte ich am Ende auch nicht für angemessen . matisch . Das ist ja so absurd . Eigentlich geht es dabei nur um die Freiheit für etwas völlig Absurdes . Kein Mensch Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass sich auf dieser Welt, egal ob er Erdogan liebt oder hasst, wird hier jemand auf § 103 beruft, der andererseits in seinem davon ausgehen, dass er Ziegen fickt. Deswegen ist das Land sehr differenziert mit der Frage umgeht, was jetzt völlig absurd . Das ist auch im Zusammenhang der Sen- eine Beleidigung ist und was nicht, dung als absurd gezeigt worden . Das ist eher eine dadais- (B) tische Form . Ich denke, das sollte im Zweifelsfall unter (D) (Christian Flisek [SPD]: So kann man das die Freiheit fallen . formulieren!) Was mich geärgert hat, war – das war auch ein biss- der einerseits seit 2014 etwa 2 000 Strafverfahren auf- chen die Tendenz von Frau Künast –, „Ziegen ficken“ grund dieser Beleidigungstatbestände angestrengt hat, auf „Minderheiten unterdrücken“ zu reimen, weil Letz- aber andererseits den Oppositionsführer im Parlament als teres mit Intelektuellen und Kurden auch tatsächlich ge- politischen Perversling bezeichnet . Das sind Dinge, die schieht . Wenn jetzt Erdogan auch noch die anklagen will, letztlich nicht zusammenpassen . Deshalb ist es richtig, die Böhmermann unterstützt haben, also Hallervorden zu sagen – ich glaube, das ist insgesamt deutlich gewor- und viele andere, dann zeigt das auch, welche Dimension den –, dass das auf denjenigen zurückfällt, der so etwas diese Staatsaffäre hat . tatsächlich anstrengt . Ich wollte Sie aber fragen, Herr Kollege, ob Sie glau- ben – in der Öffentlichkeit wird allgemein über diesen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) möglichen politischen Zusammenhang diskutiert –, dass Wenn man all diese Dinge berücksichtigt, dann wird, die Ermächtigung für ein Strafverfahren durch Frau glaube ich, eines vollkommen deutlich: Es gibt viele gute Merkel tatsächlich auch so stattgefunden hätte, hätte es Gründe – darauf hat die Bundeskanzlerin hingewiesen –, diesen schmutzigen Deal mit der Türkei, was die Flücht- diesen § 103 zu ändern bzw . abzuschaffen . linge anbetrifft, nicht gegeben . Der Eindruck bei vielen ist, dass bei einigen Fünfe gerade gelassen sein werden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian aber dieser Fall des Deals wegen in dieser Art und Weise Flisek [SPD]: Ändern oder abschaffen?) behandelt wurde . Dabei müssen aber viele Überlegungen berücksichtigt (Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE werden . In dieser Debatte ist nicht ein plausibler Grund GRÜNEN]: Unerträglich, der Typ!) benannt worden, warum das jetzt sofort geschehen muss Thorsten Frei (CDU/CSU): ( [SPD]: Worauf wollen Sie Herr Kollege Dehm, ich möchte Ihnen gerne in drei noch warten?) Punkten auf Ihre Frage antworten . und nicht nach intensiven Überlegungen und einer aus- Erstens . Den von Ihnen insinuierten Zusammenhang giebigen parlamentarischen Debatte . Vielleicht kann mir gibt es nicht . Ich bin davon überzeugt, dass die Bundes- Herr Dr . Fechner das erklären . regierung auch in jedem anderen Falle so entschieden Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16731

Thorsten Frei (A) hätte; denn es entspricht der aktuellen Rechtslage . Es ist in denen Herrscher und Regenten ihre Macht durch sol- (C) auch kein einziger außenpolitischer Grund sichtbar, wa- che Straftatbestände absichern konnten, sind vorbei . Wir rum die Bundesregierung, warum die Bundeskanzlerin in müssen deshalb diesen Tatbestand der Majestätsbeleidi- diesem Falle ihre Ermächtigung hätte versagen müssen . gung sofort abschaffen . Zweitens . Ihre Wortmeldung spricht ein gutes Stück (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weit für sich selbst, für Ihre Haltung und Ihre Sichtweise . DIE GRÜNEN) Ich möchte mir diese in keiner Weise zu eigen machen . Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, weshalb der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) normale Bürger, die normale Bürgerin strafrechtlich Drittens . Sie haben in Ihrer Wortmeldung eines getan, anders behandelt werden sollte als ein ausländischer wovon ich in meiner Rede sehr deutlich gesagt habe, dass Staatschef . Das gilt umso mehr, wenn es sich bei dem es uns als Legislative nicht zusteht . Die Entscheidung, ob Staatschef um eine Person mit zweifelhaftem Demokra- das jetzt noch zulässige Meinungsfreiheit ist, ob das ein tieverständnis handelt, der die Pressefreiheit mit Füßen Kunstwerk ist oder eben nicht, ob es gegen die Persön- tritt und den Rechtsstaat demontiert . Auch deshalb müs- lichkeitsrechte eines anderen verstößt, ist nicht Aufgabe sen wir diese Sonderbehandlung in § 103 des Strafge- eines Parlaments . Das entscheiden am Ende Gerichte . setzbuches streichen . Dahin gehört es . Deshalb werde ich eine solche Bewer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tung auch nicht vornehmen . Dadurch entstehen auch keine Strafbarkeitslücken . Vielen Dank . Wir haben den Straftatbestand der Beleidigung oder der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) üblen Nachrede . Es gibt genügend Straftatbestände, um die Ehrverletzungen von Personen zu ahnden, und zwar unabhängig von ihrem politischen oder beruflichen Sta- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: tus . Deshalb: Lassen Sie uns diesen alten Zopf der Ma- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an das an- jestätsbeleidigung abschaffen! knüpfen . Die Entscheidung, wie dieser Text zu bewerten ist, wird von Gerichten getroffen werden . Ich bitte die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kolleginnen und Kollegen, trotzdem zu berücksichtigen, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass wir im deutschen Parlament sind . Man sollte dies Ob das Gedicht von Jan Böhmermann nun künstleri- auch bei Zitaten nicht völlig vergessen . sche Satire war oder aber eine Straftat darstellt, müssen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wir als Gesetzgeber nicht beurteilen; denn nach der Ge- (B) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der waltenteilung ist das mit guten Gründen Sache der Justiz . (D) CDU/CSU) Ehrlich gesagt habe ich auch keine Lust, mich hier im Hohen Haus mit Ziegenfantasien oder Ähnlichem zu be- Ich denke, dieser Hinweis ist meines Erachtens wirklich schäftigen . Auch ich fand es beschämend, wie die Wort- notwendig . Auch wenn es mir nicht zusteht, Reden zu wahl teilweise ausfiel. bewerten, bitte ich trotzdem darum, dass sich jeder dieser Verantwortung auch bewusst ist, die er hier im Deutschen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundestag hat . des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Unabhängigkeit der Justiz ist ein hohes Gut, das der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ sich bewährt hat und das wir eher noch ausbauen soll- DIE GRÜNEN) ten . Deshalb macht es keinen Sinn, der Exekutive, also der Bundesregierung, die entscheidende Rolle dabei zu- Dr . Johannes Fechner von der SPD hat das Wort . zumessen, ob es wegen dieses zweifelhaften Straftatbe- (Beifall bei der SPD) standes zu einem Strafverfahren kommt oder eben nicht . Diese Ermächtigung des § 104 a des Strafgesetzbuches brauchen wir nicht . Wir haben eine bewährte Gewalten- Dr. Johannes Fechner (SPD): teilung, sodass allein die Justiz entscheiden sollte, ob ein Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Strafverfahren durchgeführt wird oder nicht . Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Die heute hier zur Debatte stehende Majestätsbeleidigung – Der Fall Böhmermann hat ja gerade gezeigt, dass eine sie ist in § 103 des Strafgesetzbuches geregelt – sorg- Entscheidung der Bundesregierung in der Öffentlichkeit te in den vergangenen Jahrzehnten für nur sehr wenige wie eine Vorverurteilung aufgefasst werden kann . Es war Verfahren und Verurteilungen . Wurde August Bebel richtig, dass die Kanzlerin ihr erstes Statement klarge- noch für harmlose Kritik am Kaiser zu neun Monaten stellt hat . Sonst hätte ich die Sorge, dass der Eindruck Haft verurteilt und wurden 1894 rund 300 Personen entsteht, die Bundesregierung würde vor zweifelhaften wegen Majestätsbeleidigung verurteilt, darunter viele Diktatoren kuschen und das außenpolitische Wohlwollen Sozialdemokraten, so gab es in den letzten Jahren kaum von Diktatoren im Zweifel höher bewerten als den Schutz noch Verurteilungen . Der Straftatbestand der Majestäts- der eigenen Bürger vor längst überkommenen Strafvor- beleidigung war ein Herrschaftsmittel, um Proteste und schriften wie der Majestätsbeleidigung . Vor allem dür- Kritik zu unterdrücken und kritische Bürgerinnen und fen wir nicht zulassen, dass ausländische Staatschefs Bürger einzuschüchtern . Dafür gibt es in einem moder- diese Vorschrift ausnutzen, um Künstler oder Satiriker nen Rechtsstaat keine Rechtfertigung mehr . Die Zeiten, in Deutschland einzuschüchtern . Liebe Kolleginnen und 16732 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. Johannes Fechner (A) Kollegen, auch deswegen sollten wir die Ermächtigung die Entscheidung des Bundesjustizministers und die Stel- (C) in § 104 a des Strafgesetzbuches streichen . lungnahme des Außenministers Frank-Walter Steinmeier für richtig halten . Ich habe mich zu dieser Zwischenfra- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ge veranlasst gefühlt, weil Sie das im Ausschuss schon des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einmal gesagt haben . Ich habe dann im Ausschuss den Ich will kein Geheimnis daraus machen, dass ich die Staatssekretär und auch Sie gefragt, wie denn die materi- Entscheidung der Kanzlerin, das Strafverfahren gegen ell-rechtliche Begründung für diese Einschätzung lautet . Böhmermann zuzulassen, für falsch halte . Es gibt keinen Wir leben ja in einem Rechtsstaat . Dort gibt es gesetzli- Grund, auf Erdogan Rücksicht zu nehmen und ihm so die che Regelungen . Solange sie gelten, sind sie anzuwen- Möglichkeit zu geben, über den überkommenen Straf- den . Ich war damals verwundert, weil weder der Staats- tatbestand der Majestätsbeleidigung Druck auf Satiriker sekretär noch Sie eine materiell-rechtliche Begründung und Künstler hier in Deutschland auszuüben . für diese Einschätzung haben liefern können . Deswegen möchte ich Sie fragen, ob Sie jetzt, bei dieser Gelegen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heit, die Chance nutzen wollen, mir diese Begründung der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE zu geben . GRÜNEN) Gerade wer – wie er – im eigenen Land die Pressefrei- Vielen Dank . heit mit Füßen tritt, Journalisten verhaften und verfolgen lässt, der hat keinen besonderen Schutz seiner Ehre ver- Dr. Johannes Fechner (SPD): dient, meine sehr geehrten Damen und Herren . Vielen Dank für die Frage . Selbstverständlich hole ich Ich bin Außenminister Frank-Walter Steinmeier und das gerne nach . Ich bitte, das Versäumnis zu entschuldi- Justizminister Heiko Maas sehr dankbar, dass sie eindeu- gen, wenn ich Ihre Frage überhört haben sollte . tig und klar gesagt haben, dass das Strafverfahren nach Der Punkt ist einfach der, dass es hier um eine po- § 103 des Strafgesetzbuches nicht hätte zugelassen wer- litische Ermessensentscheidung geht: Lasse ich das den sollen . Denn – Herr Frei, das ist die Antwort – wie Strafverfahren als Bundesregierung zu, ja oder nein? können wir ein Strafverfahren zulassen, wenn wir uns Es handelt sich hier um einen Herrn mit zweifelhaftem alle weitgehend einig sind, dass wir diese Norm nicht Demokratieverständnis . Wenn wir uns einig sind, dass mehr brauchen, dass sie überholt ist und dass wir sie ab- es um eine Norm geht, die überholt ist, da sie aus der schaffen sollten? Kaiserzeit stammt, die kaum einen Anwendungsbereich (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem hat und die nur der Einschüchterung dienen kann, dann sollten wir diese Norm sofort streichen . Das ist die mate- (B) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) riell-rechtliche Erklärung . Dann müssen wir auch so konsequent sein, kein Straf- verfahren zuzulassen . Auch hieran sieht man, warum wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten diese Norm abschaffen sollten . des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit bin ich schon beim entscheidenden Mangel des Auch zu den Linken möchte ich einen Satz sagen, weil Gesetzentwurfs der Grünen . Sie wollen offensichtlich ich natürlich auch euren Gesetzentwurf intensiv gelesen nach wie vor die Bundesregierung und damit die Exe- habe. Ich finde es widersprüchlich, dass ihr einerseits die kutive darüber entscheiden lassen, ob ein Strafverfahren Verunglimpfung des Bundespräsidenten straflos stellen, durchgeführt wird . Sie wollen die Möglichkeit für die andererseits aber Verfassungsrichter, Regierungsmitglie- Bundesregierung in § 104 a des Strafgesetzbuches belas- der und Abgeordnete strafrechtlich weiterhin besonders sen . Ich meine, dass dies ein Fehler ist . Wir sollten allei- schützen wollt. Ich finde, das ist ein Widerspruch. ne die Justiz entscheiden lassen, ob es zu einem Strafver- fahren kommt, gerade in solch heiklen Fällen . Deswegen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kann man Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen . Daher kann man eurem Gesetzentwurf wegen dieser Un- stimmigkeit nicht zustimmen . Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Fechner, es gibt noch den Wunsch nach Zum Zeitpunkt der Abschaffung: In der Tat ist es in einer Zwischenfrage . der Koalition offen, wann wir die Norm abschaffen wol- len bzw . wann die Abschaffung in Kraft treten soll . Aus meiner Sicht wäre es völlig widersprüchlich und falsch, Dr. Johannes Fechner (SPD): dieses Gesetz noch jahrzehntelang oder jahrelang – bis Ja, klar . 2018 oder darüber hinaus – anzuwenden . Die Norm ist überholt . Sie ist unnötig, und sie kann dazu dienen, dass Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Diktatoren in Deutschland Künstler und Satiriker ein- Okay, bitte . schüchtern . Deshalb sind wir der Meinung, dass diese Vorschrift schnell, sofort, abgeschafft werden sollte . Das Zeitalter der Majestätsbeleidigung ist vorbei, meine Da- (CDU/CSU): Alexander Hoffmann men und Herren . Danke, Herr Kollege Fechner, für das Zulassen der Zwischenfrage; danke, Frau Präsidentin . – Kollege (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Fechner, Sie haben gerade ausdrücklich betont, dass Sie DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16733

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und (C) Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache . der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent- Pkw-Maut zurückziehen und Konflikt mit würfe auf den Drucksachen 18/8123 und 18/8272 an die der EU-Kommission beenden in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Drucksache 18/8397 schlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann sind die Überweisungen so be- Überweisungsvorschlag: schlossen . Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 c sowie Es handelt sich dabei um Überweisungen im verein- die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf . fachten Verfahren ohne Debatte. 23 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu dem Abkommen vom 29. Juni 2015 zwi- überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der schen der Regierung der Bundesrepublik Fall, dann sind die Überweisungen so beschlossen . Deutschland und der Regierung der Repu- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 b bis 24 i auf . Es blik Kosovo über die justizielle Zusammen- handelt sich ebenfalls um die Beschlussfassung zu Vor- arbeit in Strafsachen lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . Drucksache 18/8211 Tagesordnungspunkt 24 b: Überweisungsvorschlag: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Aktualisierung der Strukturreform b) Erste Beratung des von der Bundesregierung des Gebührenrechts des Bundes eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. September 2014 Drucksache 18/7988 zwischen der Regierung der Bundesrepu- Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- blik Deutschland und der Regierung der schusses (4 .Ausschuss) Republik Ruanda über den Luftverkehr Drucksache 18/8431 Drucksache 18/8296 (B) Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- (D) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) empfehlung auf Drucksache 18/8431, den Gesetzentwurf Auswärtiger Ausschuss der Bundesregierung auf Drucksache 18/7988 in der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die Ausschuss für Tourismus dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen c) Erste Beratung des von der Bundesregierung wollen, um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zwei- Änderung des Tierische Nebenprodukte-­ ter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei keiner Beseitigungsgesetzes und zur Änderung des Gegenstimme und bei Enthaltung der Opposition ange- BVL-Gesetzes nommen worden . Drucksache 18/8335 Wir kommen zur Überweisungsvorschlag: dritten Beratung Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Dr .Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Ent- Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordne- haltung der Opposition angenommen worden . ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 24 c: Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Versi- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- cherten sorgsam umgehen – Mehr Transpa- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten renz und bessere Aufsicht über die Selbst- Gesetzes über die weitere Bereinigung von verwaltung im Gesundheitswesen Bundesrecht Drucksache 18/8394 Drucksache 18/7989 Überweisungsvorschlag: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ausschuss für Gesundheit ses für Recht und Verbraucherschutz (6 .Aus - schuss) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr .V alerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Drucksache 18/8423 16734 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- me abzugeben und den Präsidenten zu bitten, einen Pro- (C) fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache zessbevollmächtigten zu bestellen . Wer stimmt für diese 18/8423, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Drucksache 18/7989 in der Ausschussfassung anzuneh- enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op- Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- position angenommen worden . chen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da- Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 24 f mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den bis 24 i, bei denen es sich um Beschlussempfehlungen Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition des Petitionsausschusses handelt . angenommen worden . Wir kommen zur Tagesordnungspunkt 24 f: dritten Beratung Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2 . Ausschuss) und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer Sammelübersicht 309 zu Petitionen stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge- Drucksache 18/8253 setzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koali- tion bei Enthaltung der Opposition angenommen worden . Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Gibt es je- manden, der dagegenstimmt? – Gibt es jemanden, der Ich komme zum Tagesordnungspunkt 24 d: sich enthält? – Die Sammelübersicht 309 ist damit ein- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- stimmig angenommen worden . desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Tagesordnungspunkt 24 g: setzes zu dem Protokoll vom 11. Januar 2016 zur Änderung des Abkommens vom 12. April Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- onsausschusses (2 . Ausschuss) land und dem Königreich der Niederlande zur Sammelübersicht 310 zu Petitionen Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Drucksache 18/8254 Gebiet der Steuern vom Einkommen Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent- Drucksache 18/8208 hält sich jemand? – Damit ist auch diese Sammelüber- sicht einstimmig angenommen worden . (B) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- (D) ausschusses (7 .Ausschuss) Tagesordnungspunkt 24 h: Drucksache 18/8400 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2 . Ausschuss) Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 18/8400, den Gesetzentwurf Sammelübersicht 311 zu Petitionen der Bundesregierung auf Drucksache 18/8208 anzuneh- men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- Drucksache 18/8255 men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Enthaltung der Opposition angenommen worden . Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange- Wir kommen zur nommen worden . dritten Beratung Tagesordnungspunkt 24 i: und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer onsausschusses (2 . Ausschuss) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge- Sammelübersicht 312 zu Petitionen setzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen der Koa- lition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden . Drucksache 18/8256 Tagesordnungspunkt 24 e: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi- richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- on angenommen worden . cherschutz (6 .Ausschuss) Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver- fassungsgericht 2 BvR 2453/15 Aktuelle Stunde Drucksache 18/8410 auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- Aktuelle Entwicklungen beim EU-Türkei-Ab- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung, eine Stellungnah- kommen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16735

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze Was wir kritisieren, und zwar zu Recht, ist, dass man (C) einzunehmen, damit ich gleich die Aussprache eröffnen die Visafreiheit, den Wert von Reisefreiheit zu einem kann . Teil dieses schmutzigen Deals und damit zur Verhand- lungsmasse in diesem Poker macht – auf dem Rücken Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der der Flüchtlinge . Das geht nicht, liebe Kolleginnen und Aussprache hat Jan Korte von der Fraktion Die Linke das Kollegen . Wort . (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . (Beifall bei der LINKEN) Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Jan Korte (DIE LINKE): Ich will ganz aktuell Amnesty International zitieren: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Männer, Frauen und Kinder wurden in Gruppen von Ich habe die Bundesregierung einmal gefragt, wie sie bis zu 100 nach Syrien abgeschoben . Fast täglich ist es eigentlich mit den Werten in der Europäischen Uni- es seit Mitte Januar zu solchen rechtswidrigen Mas- on hält . Sie hat mir freundlicherweise geantwortet – ich senabschiebungen gekommen . zitiere –: Die EU ist eine Werteunion . Artikel 2 EU-Ver- trag definiert die Werte der Achtung der Menschenwür- Das ist Ihnen offensichtlich völlig schnurzpiepegal . Der de, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit Linken ist das nicht egal . Dieser Deal kann so nicht blei- und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der ben, liebe Kolleginnen und Kollegen . Rechte der Personen, die Minderheiten angehören, als (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gemeinsames, universell gültiges Fundament der Mit- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gliedstaaten . Damit bilden diese Werte einen Wesenskern der EU, der unabhängig von aktuellen politischen Ereig- Welche wirklich irren Züge das Ganze annimmt, ist nissen besteht . der Fakt, dass mittlerweile der türkische Staatspräsident Ich denke, Ihnen fällt etwas auf; ich hoffe das zu- so viel Einfluss und so ein großes Erpressungspotenzial mindest . Zur gleichen Zeit, in der uns mit Hinweis auf gegenüber der Bundesregierung hat, dass davon mitt- diese Werte geantwortet wird, machen diese EU und lerweile in Teilen sogar die Innenpolitik bestimmt wird . diese Bundesregierung einen dreckigen Deal mit der Wir haben vorhin einen Tagesordnungspunkt zum Fall ­Erdogan-Regierung, die gegen jeden einzelnen dieser ­Böhmermann gehabt . Dazu ist vonseiten der Opposition Grundwerte verstößt . Das ist inakzeptabel . alles Richtige gesagt worden . Aber wie weit wir gekom- men sind, kann man zum Beispiel daran erkennen, dass (B) (Beifall bei der LINKEN) sich ausgerechnet der Springer-Chef Döpfner mit dem (D) Satiriker Böhmermann solidarisieren muss, was eigent- Zur Lage in der Türkei – man kann es jeden Tag le- lich Aufgabe der Bundesregierung gewesen wäre . So sen –: Zurzeit sind über drei Dutzend Journalisten und weit sind wir schon gekommen . Es ist grotesk, was in Blogger in Haft . Seit 2014 gibt es über 2 000 Verfahren diesem Land innenpolitisch abgeht . wegen Verunglimpfung des Staatspräsidenten . Der Krieg gegen die kurdische Bevölkerung brutalisiert sich immer (Beifall bei der LINKEN) mehr. Mindestens 500 000 Menschen fliehen bereits vor diesem Krieg .– Daher ist Ihr Verbündeter Erdogan nicht Statt sich mit Herrn Böhmermann zu solidarisieren, Teil der Lösung in der Flüchtlingsdebatte, sondern Teil was die Aufgabe der Bundeskanzlerin wäre, betätigt sie des Problems . sich – damit ist sie vorher noch nicht aufgefallen – als Satiresachverständige im Sinne des türkischen Staatsprä- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sidenten . Das ist so unwürdig und daneben, dass es nicht neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu akzeptieren ist, liebe Kolleginnen und Kollegen . Er ist selber eine Fluchtursache . (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun ist ganz interessant, was mittlerweile in den Rei- hen der Union so alles diskutiert wird . Sie sind ja bis dato Ich will kurz daran erinnern, mit wem Sie eigentlich noch nicht als die großen Freunde der Visafreiheit oder dealen . Ein enger Berater von Erdogan – das haben Sie der Beförderung der Reisefreiheit aufgefallen . Seitdem sicherlich gelesen – erklärte gestern, was passiert, wenn man mit Erdogan paktiert, ist das bei Ihnen eine ganz das EU-Parlament nicht das macht, was die Türkei will . neue Debatte und zeigt – was übrigens in der gesamten Er hat sich wie folgt zitieren lassen – ich lese es Ihnen Debatte ein Kennzeichen der Bundesregierung ist –, dass vor –: Sie frei von Überzeugungen sind . Wenn es die falsche Entscheidung trifft, (Beifall bei der LINKEN) – also das Europäische Parlament –, Ich will es deutlich sagen: Die Linke war, ist und wird immer gegen jede Beschränkung von Reisefreiheit sein . schicken wir die Flüchtlinge los . Deswegen ist sie ganz grundsätzlich für Visafreiheit, und zwar für jedermann . Was sind das bitte für Partner, mit denen Sie hier Ge- schäfte machen! Das kann nicht sein . Das Europäische (Beifall bei der LINKEN) Parlament entscheidet selber, wann es was berät . Das 16736 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Jan Korte (A) sollte vonseiten der Bundesregierung unterstützt und ver- treter der Nachfolgepartei der SED sich jetzt als großer (C) teidigt werden – ohne Wenn und Aber . Vorkämpfer der Reisefreiheit geriert .

(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist sehr origi- Jetzt werden Sie natürlich sagen: Alles richtig, was nell!) Korte und die Linke sagt, (Lachen bei der CDU/CSU – Stephan Mayer Aber zum Thema, meine sehr verehrten Damen und [Altötting] [CDU/CSU]: Eben nicht!) Herren: Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei vom 18 .März ist aus meiner Sicht deutlich besser, als es aber was sollen wir tun? Natürlich brauchen wir zum in der Öffentlichkeit dargestellt wird . Es ist deutlich bes- einen eine europäische Lösung . Zum anderen bräuch- ser als sein Ruf . Ich möchte es nicht überhöhen, aber aus ten wir aufseiten der Bundesregierung ein paar Über- meiner Sicht ist dieses Abkommen ein wichtiger Bau- zeugungen und eine klare Haltung im Sinne der Men- stein in dem gesamten Instrumentenkasten zur Bekämp- schenrechte und Demokratie sowie Engagement für die fung und Bewältigung, der jetzt in der Flüchtlingskrise in Haft sitzenden Journalisten . Das ist das Mindeste, was zur Anwendung kommt . man verlangen kann, wenn man sich auf die Werte der Europäischen Union bezieht . Die Meinungsfreiheit, die Die Übertrittszahlen sind in den letzten Wochen bitter erkämpft wurde, was im Übrigen insbesondere das deutlich zurückgegangen . Während Mitte Februar noch Lächerlichmachen der Herrschenden einschließt, ist zu 19 000 Flüchtlinge die griechischen Inseln erreicht ha- verteidigen und nicht im Geschacher um irgendwelche ben, sind es heute nur noch wenige Hundert . Deals zu verhandeln, um das klar zu sagen . Ich gestehe durchaus zu, dass Präsident Erdogan kein Deswegen abschließend: Beenden Sie diesen unwür- einfacher Verhandlungspartner ist . Er ist auch kein einfa- digen Deal! Schließen Sie besser einen Deal mit der in cher Zeitgenosse, und es gibt viele Vorkommnisse in der Bedrängnis und von Verfolgung bedrohten Zivilgesell- Türkei, die in höchstem Maße kritikwürdig sind . schaft in der Türkei . Machen Sie einen Deal für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, wie es in Artikel 2 des (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Mörder!) EU-Vertrages beschrieben ist! Dafür hätten Sie unsere Die Bundesregierung hält hier mit ihrer Kritik nicht zu- Unterstützung . rück – um das klar zu sagen . Vielen Dank . (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ (B) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . DIE GRÜNEN]: Na ja!) (D) Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Wenn es um Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit oder den Umgang mit Minderheiten – insbesondere mit der kurdischen Minderheit – geht, dann muss natürlich in Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: aller Deutlichkeit gesagt werden, dass die türkische Re- Als nächster Redner hat Stephan Mayer von der CDU/ gierung in fundamentaler Weise elementare Menschen- CSU-Fraktion das Wort . rechte verletzt . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sagt Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): das Frau Merkel nicht?) Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- Aber – auch das gehört zur Wahrheit – für mich ist das ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Zunächst einmal, Herr noch kein Grund, nicht mit der Türkei zu verhandeln . Wir Kollege Korte, muss ich Ihre Erwartung leider enttäu- müssen uns auch mit der Türkei und mit anderen Län- schen . Ich kann Ihnen leider nicht zugestehen, dass wir dern, die nicht westlichen Demokratien entsprechen, wie sagen: Es ist alles richtig, was der Herr Korte und die wir sie in Deutschland oder in Europa haben, auseinan- anderen von der Linksfraktion gesagt haben . dersetzen und möglicherweise in dem einen oder anderen Fall Vereinbarungen treffen . (Jan Korte [DIE LINKE]: Wäre aber besser!) Leider ist das Gegenteil der Fall . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, aber welche? Das (Beifall des Abg . [CDU/ ist die Frage! Welche?) CSU]) Deshalb bin ich der Überzeugung, dass dieses Abkom- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich men durchaus tragfähig ist und dass beide Seiten ein In- möchte mich vor allem mit aller Deutlichkeit gegen Ihren teresse daran haben, dass dieses Abkommen erfolgreich Vorwurf verwahren, dass das Abkommen zwischen der umgesetzt wird . Es müsste jedem schon im Vorfeld des EU und der Türkei ein schmutziger und dreckiger Deal Abschlusses klar sein, dass auch die europäische Seite wäre . Das trifft so nicht zu . Es ist bemerkenswert – mir Zugeständnisse machen muss . Es ist bei jedem Abkom- würden noch andere Begriffe einfallen –, wenn ein Ver- men so, dass man sich letztlich auf einen Kompromiss ei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16737

Stephan Mayer (Altötting) (A) nigt und dass auch wir als Europäer gewisse Zugeständ- gramms übernommen . Wir werden in der kommenden (C) nisse machen müssen . Woche weitere 110 syrische Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen . Ich würde mich freuen, wenn man sich nicht (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nur auf die Türkei einschießen würde, wenn es darum NEN]: Aber nicht die Grundwerte aufgeben!) geht, Kritik zu üben, sondern durchaus öfter auch an die Ich bin aber der festen Überzeugung, dass es auch Solidarität der EU appellieren und vor allem immer wie- insbesondere im Interesse der Türkei ist, dass dieses Ab- der brandmarken würde, dass sich viele EU-Länder, was kommen erfolgreich umgesetzt wird . Die Türkei hat in die Durchführung dieses Abkommens angeht, leider nach den letzten Jahren außenpolitisch viel Porzellan zerschla- wie vor vornehm in die Büsche schlagen . gen . Das Verhältnis zu Israel ist auf dem Gefrierpunkt . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Das Verhältnis zu Russland ist auf dem Nullpunkt ange- langt . Das Verhältnis zu den USA ist deutlich angespannt . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich bin der festen Überzeugung, dass insbesondere Präsident Erdogan ein elementares Interesse daran haben Vizepräsidentin : muss, dass die Verbindungen zur Europäischen Union Vielen Dank . – Als Nächste erhält nun die Kollegin weiterhin einigermaßen akzeptabel und vertretbar sind . Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . Deshalb habe ich die nachdrückliche Hoffnung, dass die- ses Abkommen von beiden Seiten konstruktiv weiterver- Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- folgt wird . Ich sage aber auch in aller Deutlichkeit dazu: NEN): Natürlich darf es keinen Rabatt geben . Es darf keine Liebe Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! politischen Zugeständnisse geben, wenn es darum geht, Über den EU-Türkei-Vertrag, besser bekannt als Deal, dass die Türkei ihre Verpflichtungen erfüllt, um eines der wird im Moment eigentlich nur unter einem Aspekt dis- Ziele, nämlich die Visafreiheit, zu erreichen . kutiert: der möglichen Visafreiheit für türkische Bürge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rinnen und Bürger in der EU . Ich glaube aber, dass man ordneten der SPD) viel grundsätzlicher fragen muss, ob dieser Deal wirklich vernünftig, ob er wirklich verantwortlich und ob er wirk- Ich sage das auch deshalb ganz deutlich, weil die lich glaubwürdig ist . Europäische Union sich nicht nur mit der Türkei in Ver- handlungen zur Ausreichung der Visafreiheit befindet, Zuerst zur Visafreiheit . Sie ist längst überfällig . sondern beispielsweise auch mit der Ukraine und mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Georgien . Welche Signale würden denn jetzt gesetzt, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (B) wenn wir der Türkei Rabatt gewähren und sie aus der (D) Verpflichtung entlassen, lückenlos alle 72 Voraussetzun- Seit der Einführung der Visapflicht 1980 kämpfen viele gen zu erfüllen, und andere Länder wie die Ukraine oder für das Fallen dieser Barriere – und zwar immer wieder Georgien hier schon wesentlich weiter sind als die Tür- mit Erfolg – vor europäischen Gerichten . Dafür gibt es kei? sehr gute Gründe . Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass es wich- Erstens . Ganz selbstverständlich reisen wir Deutsche tig ist, die nächsten Wochen und Monate intensiv dazu zu seit Jahrzehnten in die Türkei, genießen dort unseren Ur- nutzen, der Türkei klarzumachen, dass sie die Restanten, laub, machen Geschäfte und treffen Freunde und Ange- die offenkundig noch im Raum stehen, angehen und die hörige . Den Menschen aus der Türkei verwehren wir im vorhandenen Defizite beseitigen muss. Ich möchte nicht Gegenzug aber dieses Recht seit 36 Jahren . Das ist kein verhehlen, dass ich der Überzeugung bin, das wird der fairer und partnerschaftlicher Umgang auf Augenhöhe . Türkei nicht leichtfallen, zumindest wenn der Zeitrah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men bis Mitte des Jahres eingehalten werden soll, wobei sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ich sehr interessiert zur Kenntnis genommen habe, dass selbst Präsident Erdogan gestern schon avisiert hat, dass Zweitens. Unter der Visapflicht leiden zuallererst die er sich die Visafreiheit auch erst im Oktober vorstellen Menschen, die selbst oder deren Vorfahren längst vom kann . Gastarbeiter zum Bürger unseres Landes geworden sind, Menschen, die auch der Grund dafür sind, dass Deutsch- Ich glaube, es gibt hierzu gute und konstruktive Ge- land und die Türkei ein ganz besonderes Verhältnis ver- spräche zwischen der Europäischen Union und der Tür- bindet . Ihren Verwandten weiterhin die Visafreiheit zu kei . Ich bin der festen Überzeugung, dass es wichtig ist, verwehren, bedeutet nichts anderes, als sie in Geiselhaft auch andere Maßnahmen weiterhin intensiv voranzutrei- für eine entfesselte Politik Erdogans zu nehmen . ben, beispielsweise die Forderung des Bundesinnenmi- nisters auf Einführung eines Einreise-Ausreise-Systems Drittens . Mit der Reisefreiheit würden wir zudem an der EU-Außengrenze . Wir müssen lückenlos wissen, diejenigen in der Türkei unterstützen, die ihr Land nicht wer nach Europa einreist . Auch das ist ein wichtiger Be- dem Autoritarismus eines Erdogan überlassen wollen, standteil . sondern für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie für eine europäische Türkei kämpfen und damit Brücken- Ich möchte zum Schluss eines deutlich machen, weil bauer in unserem Verhältnis zur Türkei sind . immer wieder auf die Menschenrechte hingewiesen wird: Deutschland hat bislang schon 54 syrische Flücht- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN linge aus der Türkei im Rahmen des Resettlement-Pro- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 16738 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Wie Sie sehen, haben all diese Argumente gar nichts Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) mit der Flüchtlingsfrage zu tun . Die Visaliberalisierung Vielen Dank .– Als Nächstes erhält der Kollege Uli als eine Belohnung für Erdogan dafür feilzubieten, dass Grötsch, SPD-Fraktion, das Wort . er uns die Flüchtlinge fernhält, ist eine unzulässige Ver- mischung . (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Uli Grötsch (SPD): LINKEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber auch die Verweigerung der Visafreiheit mit Verweis Das Verhalten des türkischen Staatspräsidenten Erdogan auf das türkische Antiterrorgesetz, das in Wirklichkeit irritiert und entsetzt uns alle doch sicherlich gleicher- ein Antifreiheitsgesetz ist, ist höchst unglaubwürdig . maßen . Mit einer aus der Türkei lange nicht gekannten Denn steckt hinter der Ablehnung der Visafreiheit nicht autokratischen Art reagiert der türkische Staatspräsident vielleicht ein Ressentiment, das den gleichberechtigten auf – wenn auch möglicherweise überzogen heftige – Sa- Umgang mit den Menschen in und aus der Türkei ver- tire geradezu majestätsbeleidigt . weigert, weil es in ihnen immer nur die Fremden, die Nichteuropäer und die Muslime sieht? Verlässlichkeit und der grundsätzliche Wille zum Mit- einander sind gerade in diesen Wochen und Monaten Natürlich darf es keinen Rabatt gegenüber Erdogan aber unbedingte Voraussetzung, um gemeinsam gesteck- bei den Menschenrechten geben . Das braucht man uns te Ziele erreichen zu können . EU-Parlamentspräsident wirklich nicht zu sagen . Aber wo ist denn die Kritik, hat das, wie ich finde, trefflich formuliert, wenn es um den Krieg gegen die Zivilbevölkerung in als er sagte, dass sich das Europäische Parlament nicht den Kurdengebieten geht, wenn es um die Abschaffung mit einem Abkommen befassen kann, dem schlichtweg der Presse- und Meinungsfreiheit geht, wenn es um die die Basis fehlt . Wenn der türkische Staatspräsident jetzt Missachtung der Minderheitenrechte geht, zum Beispiel lauthals kundtut, dass die Türkei ihre sogenannten Anti- der Rechte der Christen in der Türkei? Wo hatten Sie terrorgesetze nicht wie vereinbart ändern wird, dann fehlt denn Ihre Menschenrechtsrhetorik geparkt, als es um dem Abkommen eben schlicht die Basis . Dann sehe ich die Zustimmung zu diesem EU-Türkei-Deal ging? War den eben erwähnten Willen zum Miteinander, den Willen es nicht das eigentliche Ziel, aus innenpolitischem Ab- zur Einigung ganz und gar nicht . schottungsinteresse die Türkei zum sicheren Drittstaat umzudefinieren? Der Staatspräsident aber ist nicht die ganze Türkei . Die Türkei, das sind mehr als 75 Millionen Menschen, (B) Lassen Sie uns einmal über diesen Deal reden . Ich und dazu zähle ich auch die mehr als 3 Millionen Men- (D) möchte fragen, ob mit der türkischen Regierung auch da- schen in Deutschland mit türkischem Migrationshinter- rüber verhandelt worden ist, wie im Umgang mit Flücht- grund, die inzwischen ein Teil unseres Landes geworden lingen internationales Recht, also die Genfer Flüchtlings- sind . Um all diese Menschen, auch mit Blick auf Eu- konvention, eingehalten wird . Das wird sie in der Türkei ropa, geht es doch letztendlich bei diesem Abkommen . nämlich nicht . Oder haben Sie mit der türkischen Regie- Die Visafreiheit der türkischen Staatsbürger ist deshalb rung darüber gesprochen, dass Erdogan Flüchtlinge nach aus meiner Sicht nicht ein Zugeständnis an die türkische Syrien und in den Irak abschieben lässt, dass er auf syri- Regierung, sie ist vielmehr ein Signal an die Türkei als sche Flüchtlinge, auch auf Kinder, schießen lässt? Haben Ganzes, ein Signal dafür, dass das freie Reisen in beide Sie darüber verhandelt, dass an der Grenze zu Syrien die Richtungen möglich sein soll und dass man sich auf Au- Menschen mit einer Mauer an der Flucht aus der Hölle genhöhe begegnet . Aleppos gehindert werden, was doch mit Flüchtlings- schutz und Schutzverantwortung überhaupt nichts mehr Ich finde, dass wir uns in der Türkei-Politik auch ehr- zu tun hat? lich machen müssen . Deutschland und die Türkei ver- bindet doch seit vielen Jahrzehnten viel mehr als nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Visafreiheit oder das EU-Türkei-Abkommen . Unse- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) re beiden Länder verbinden eine Freundschaft und eine Was bedeutet es, wenn wir gestern im Auswärtigen Partnerschaft, die bis auf Ernst Reuter und andere zu- Ausschuss von der Bundesregierung zu hören bekom- rückgeht . Ja, die Türkei ist auch ein wichtiger Handels­ men, dass über die Abschiebungen nach Syrien und über partner für Deutschland und die EU . Aber auch auf den die Schüsse auf Flüchtlinge keine Kenntnisse vorlägen? wirtschaftlichen Aspekt beschränkt sich das starke Band Bedeutet das etwa, dass Sie Berichte von Amnesty In- zwischen unseren Ländern ganz bestimmt nicht . Auch ternational und Human Rights Watch nicht mehr zur der Kampf gegen den Terror von Daesh ist ein Aspekt Kenntnis nehmen, oder bedeutet es vielleicht, dass Sie der Zusammenarbeit unserer Länder, aber auch darauf diese Kenntnisse gar nicht so sehr interessieren, weil der beschränkt sich das Band ganz bestimmt nicht . Zweck bei diesem Deal die Mittel heiligt? Wenn das so ist, dann frage ich Sie als Letztes: Wer verdealt hier ei- Ich sage: Das Band zwischen der Türkei und Deutsch- gentlich gerade die Menschenrechte und die völkerrecht- land ist so fest und stark, dass es keine Regierung gibt, lichen Verpflichtungen? die das zerschneiden kann, egal wie scharf die Klingen deren politischer Schere auch sein mögen . Keine Schere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist so groß, dass sie das deutsch-türkische Band durch­ sowie bei Abgeordneten der LINKEN) trennen könnte . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16739

Uli Grötsch (A) Selbstverständlich muss die Türkei – das wurde schon Entscheidend für den Zeitpunkt des Inkrafttretens ist (C) ausreichend gesagt – alle im EU-Türkei-Abkommen ver- dabei einzig, wann die Bedingungen vollständig erfüllt einbarten Kriterien erfüllen, also auch die Änderung der sind . Hier darf es schon aus sicherheitspolitischen Ge- umstrittenen sogenannten Antiterrorgesetzgebung . Ich sichtspunkten keine Kompromisse geben . Darin sind begrüße deshalb die klare Haltung des EU-Parlaments­ sich meine Fraktion und auch der Bundesinnenminister präsidenten, Martin Schulz, sehr und sehe es auch als ein mit der EU-Kommission und auch dem Europäischen sehr starkes Signal des Europäischen Parlaments, dass es Parlament einig . Vergangene Woche hat die Kommissi- sich hinter seinen Präsidenten stellt . on festgestellt, dass die Türkei 65 der 72 Bedingungen für die EU-Visafreiheit erfüllt hat . Es besteht also noch (Beifall bei der SPD) Nachholbedarf . Dieses Verantwortungsgefühl wünsche ich mir im Üb- rigen auch hier im Hohen Haus, liebe Kolleginnen und Meine Damen und Herren, ungeachtet der diesbezüg- Kollegen . Sie wissen: Wenn man ein Haar in der Suppe lichen Meinungsverschiedenheiten gilt es doch, festzu- sucht, dann findet man auch eines. stellen: Die Türkei ist der Nachbar der EU . Sie ist seit 1952 Mitglied der NATO und seit dem Beitritt der Bun- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- desrepublik 1955 unser Verbündeter . Sie ist unser strate- NEN]: Nein!) gischer Partner, und bisher hat sie sich auch an die Abma- Aber hier geht es vor allem um die Suppe, also schon chungen des aktuellen EU-Türkei-Abkommens gehalten . um das große Ganze und nicht um das einzelne Haar . Es Über das gefährliche Mittelmeer kommen heute fast stimmt schon: Auch das EU-Türkei-Abkommen ist be- keine Flüchtlinge mehr illegal aus der Türkei nach Euro- stimmt keine besonders schmackhafte Suppe – um bei pa . Insbesondere an der Küste gehen die türkischen Be- diesem Bild zu bleiben –; aber ich glaube, dass es eine hörden hart gegen die kriminellen Schlepper und Men- Suppe ist, die jetzt einfach notwendigerweise ausgelöf- schenhändler vor . Zudem verlaufen die Rückführungen felt werden muss . in die Türkei weitgehend reibungslos . Auch die Situation Ich komme zum Schluss . Ich bin überzeugt: Die Vi- der Flüchtlinge in der Türkei hat sich durch das Abkom- safreiheit ist das richtige Signal an die Türkei, dass wir men und die damit einhergehenden Maßnahmen deutlich unsere Versprechen halten und dass sich die Menschen verbessert . Zu nennen sind zum Beispiel die Gewährung in der Türkei nicht von der EU abwenden, sondern dass des Arbeitsmarktzugangs für Flüchtlinge oder der Aus- sie die Annäherung der Türkei an die Europäische Uni- bau der Infrastruktur in den Lagern . All das sind gute on wieder betreiben . Das baut das in vielen Jahren ver- Meldungen . Gleichzeitig stellt die EU bis 2018 6 Mil- lorengegangene Vertrauen wieder auf, damit – auch das liarden Euro Hilfsmittel für die Türkei bereit, die nur für (B) sage ich ganz deutlich – nächste Schritte folgen können . die Flüchtlingshilfe verwendet werden dürfen . (D) Ich lade Sie alle dazu ein, diesen ersten Schritt auch als Auch in Griechenland hat das Abkommen ausschließ- Chance für die krisengebeutelte Europäische Union zu lich positive Auswirkungen . Wir unterstützen die Grie- begreifen . chen nun personell mit Entscheidern aus dem BAMF . Vielen Dank . Die griechische Regierung wurde durch das Abkommen dazu veranlasst, endlich die Politik des Durchwinkens (Beifall bei der SPD) der Flüchtlinge zu beenden und im Land die notwendi- gen Strukturen zu schaffen, um konstruktiv an einer Lö- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sung mitarbeiten zu können . Vielen Dank .– Als Nächstes hat für die Fraktion der CDU/CSU Nina Warken das Wort . (Beifall des Abg . Klaus-Peter Willsch [CDU/ CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU) Vor Ort – davon konnte ich mich kürzlich selbst über- zeugen – schreitet der Aufbau der Hotspots gut voran . (CDU/CSU): Nina Warken Natürlich gibt es noch viel zu tun, und wir werden die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entwicklung weiter im Auge behalten . Nunmehr wird Lassen Sie mich vorab eines feststellen: Die Bundesre- jedoch jeder Flüchtling registriert, und jedem Flüchtling gierung und auch die EU sind nicht erpressbar und wer- wird hier ein faires und individuelles Verfahren zuteil . den auch nicht erpressbar sein. Das wird ihnen häufig Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Fazit ist festzustel- vorgeworfen . Wir haben ein klares und eindeutiges Ab- len: Europa hat durch das EU-Türkei-Abkommen die kommen mit der Türkei . Es gilt für uns die Regel: Pacta Flüchtlingsfrage in geregelte Bahnen lenken können . sunt servanda . Gleiches erwarten wir auch von unseren Vertragspartnern, unabhängig von den handelnden Per- Nicht zu leugnen ist allerdings auch, dass die innen- sonen . politischen Entwicklungen in der Türkei durchaus Anlass zur Sorge geben . Vieles läuft hier nicht so, wie wir Eu- Das EU-Türkei-Abkommen beinhaltet auch die viel- ropäer es uns wünschen . Ich warne jedoch davor, jede diskutierte Frage nach der Visaliberalisierung . Unse- innenpolitische Rhetorik mit außenpolitischem Handeln re Haltung hier ist eindeutig: Nur wenn die Türkei alle gleichzusetzen . In der Türkei tobte ein innenpolitischer Punkte der EU-Visa-Verordnung erfüllt, wird es zu dieser Machtkampf, in dem sich Erdogan nun durchgesetzt hat . Liberalisierung kommen . Der türkische Präsident muss auch ein großes Interesse (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) am EU-Türkei-Abkommen haben . Seinen Landsleuten 16740 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Nina Warken (A) versprach er zuletzt immer wieder, auf die Visafreiheit Es ist beschämend, dass die Bundesregierung hierzu (C) hinzuarbeiten . schweigt und nicht Tacheles redet . Wer wissen möchte, wie sehr sich die Bundesregierung durch den schäbigen Meine Damen und Herren, so bedauerlich es ist: Wir EU-Türkei-Deal erpressbar gemacht hat, der muss nicht können uns die Länder dieser Welt und deren Staatsober- nur an Herrn Jan Böhmermann denken, wo die Bundes- häupter nicht backen, wie wir sie gerade brauchen . Wir kanzlerin das sehr deutlich veranschaulicht hat, der kann müssen uns an den tatsächlichen Gegebenheiten orien- auch dem engen Erdogan-Vertrauten Burhan Kuzu zuhö- tieren . Fakt ist: Zwei Drittel der Welt teilen nicht unsere ren, der via Twitter in der Frage der Visaliberalisierung Auffassung von Rechtsstaatlichkeit . Das gilt sicherlich der EU wie folgt drohte: für Herrn Erdogan, seinen Umgang mit der Opposition, mit Medien, mit Frauenrechten, für seine Kurdenpolitik . Sollten sie eine falsche Entscheidung treffen, schi- All das ist in aller Deutlichkeit zu kritisieren, und das tun cken wir die Flüchtlinge los . wir nicht zuletzt mit den an die Türkei gestellten Forde- Ich sage Ihnen: Als Demokrat verhandelt man nicht rungen . mit solchen Leuten, sondern man kämpft gegen solche Das Gleiche gilt aber nicht minder für oder für Leute an, Herrn Putin, der sich erst unlängst einen halben Staat (Beifall bei der LINKEN) handstreichartig einverleibt hat, jedoch nach wie vor von weiten Teilen unserer Linken hofiert wird. und man schweigt schon gar nicht zu deren Verbrechen . Die Visafrage und auch die Flüchtlingsfrage dürfen (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE schon gar keine Angelegenheiten sein, für die im Gegen- LINKE]: Langweilig!) zug ein Schweigen gegenüber den massiven Verletzun- Dennoch müssen wir als für unser Land in Verantwor- gen der Pressefreiheit und den Massakern an Kurden in tung Stehende auch mit denjenigen Staatsoberhäuptern der Türkei ausgehandelt wird . Das wäre äußerst prinzi- reden, diskutieren und verhandeln, die nicht unsere Wer- pienlos und auch unmoralisch, meine Damen und Herren . te teilen . Tun wir dies nicht, sitzen wir bald mit hehren (Beifall bei der LINKEN) Prinzipien, aber sonst allein an den Verhandlungstischen der Welt . Politik ist und bleibt die Kunst des Machbaren . Genau das passiert aber durch die deutsche Bundesregie- Das EU-Türkei-Abkommen zeigt, dass Europa mit sei- rung . Die Visafrage ist Teil dieses schmutzigen EU-Tür- nen Partnern handlungsfähig ist und große Herausforde- kei-Deals, den wir zutiefst ablehnen . rungen bewältigen kann . (Beifall bei der LINKEN) (B) Lassen Sie uns Bedenken seriös prüfen und Fehler und Wir wollen keine Visaliberalisierung, für die der Preis (D) Mängel offen ansprechen . Es bleibt aber unser Interesse, das Schweigen zu den Verbrechen Erdogans an der Zivil- weiter an der Umsetzung des Abkommens zu arbeiten . bevölkerung in der Türkei ist . Darauf sollten wir uns konzentrieren . Hier bitte ich auch die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin, sich mit (Beifall bei der LINKEN – Dr . aller Kraft einzusetzen . [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas zu Putin!) Vielen Dank . Ich sage das gerade im Hinblick auf die Massaker (Beifall bei der CDU/CSU) ­Erdogans an der Zivilbevölkerung . Wir müssen hier im Bundestag das Schweigen über Vizepräsidentin Ulla Schmidt: die Verbrechen an den Kurden brechen . Infolge des Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Sevim Dağdelen, Kriegs von Erdogan gegen die Kurden sind bereits Hun- Fraktion Die Linke . derte Zivilisten von türkischen Sicherheitskräften ermor- det worden . Ganze Stadtteile liegen in Schutt und Asche . (Beifall bei der LINKEN) Berichten von Hilfsorganisationen zufolge gibt es mitt- lerweile über 500 000 Binnenvertriebene in der Türkei . Die Vereinten Nationen wollen jetzt den Fall von über Sevim Dağdelen (DIE LINKE): 100 bei lebendigem Leib verbrannten Kurden in Cizre Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und untersuchen . Türkische Soldaten schießen an der syri- Kollegen! Wer es heute in Deutschland wagt, den türki- schen Grenze auf Frauen und Kinder, die Flüchtlinge und schen Staatspräsidenten zu kritisieren, wird von seinen auf der Suche nach Schutz sind . Was macht die Bundes- Fans auch hierzulande bedroht, mit antisemitischen Be- regierung? Ich frage Sie: Warum schweigt die Bundesre- schimpfungen eingedeckt, als alevitischer Ungläubiger gierung hier dazu? Ist dies Teil Ihrer Abmachung, Frau verunglimpft oder auch im Jargon der Völkermörder von Bundeskanzlerin Merkel? Das frage ich diese Bundesre- 1915 als Freund armenischer oder kurdischer Terroristen gierung . beschimpft . (Beifall bei der LINKEN) Ich finde diese Welle des Hasses durch türkische Fa- schisten und Islamisten in Deutschland, die den Despo- Ich habe es gestern mit meinen Kolleginnen und Kolle- ten Erdogan unterstützen, unerträglich . gen im Innenausschuss selbst erfahren – der Parlamenta- rische Staatssekretär Schröder beim Bundesinnenminis- (Beifall bei der LINKEN) terium hat es gesagt –: Wir haben bis April dieses Jahres Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16741

Sevim Dağdelen (A) exorbitant gestiegene Zahlen von Asylantragstellerinnen innert . Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass in diesem (C) und Asylantragstellern aus der Türkei . 90 Prozent davon deutschen Parlament weder eine Frau noch ein Mann sind Kurdinnen und Kurden . sitzt, der oder die Beihilfe zum Mord leistet . Ich bitte Sie, das in Ihren Reden auch nicht zu verwenden . Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Wenn die Bundesregierung ihre perfide Politik der Unterstützung (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU, der der AKP-Regierung nicht ändert, werden Hunderttausen- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) de Kurden gezwungen sein, hier in Deutschland Schutz zu suchen . Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Dr . Lars Castellucci . Was macht die Bundesregierung? Sie schicken Erdogan weiter Waffen . Den Sicherheitskräften werden (Beifall bei der SPD – Sevim Dağdelen [DIE zum Beispiel Scharfschützengewehre zur Verfügung ge- LINKE]: Was glauben Sie denn, was mit den stellt, die Sie sozusagen mitliefern . Die Kurden in der Waffen in der Türkei passiert? Die Bundes- Türkei werden von den türkischen Sicherheitskräften mit regierung hat selbst geantwortet, dass diese diesen deutschen Scharfschützengewehren ermordet . Scharfschützengewehre geliefert werden! – Gegenruf des Abg . [CDU/ (Zuruf von der LINKEN: Sauerei!) CSU]: Jetzt seien Sie doch mal ruhig da hin- Das, was Sie mit Ihren Waffenlieferungen machen, mei- ten! Es war schlimm genug, was Sie da erzählt ne Damen und Herren, ist Beihilfe zum Mord an den haben! – Gegenruf der Abg. Sevim Dağdelen Kurden . [DIE LINKE]: Sie wollen die Wahrheit nicht anerkennen!) (Beifall bei der LINKEN – Dr .Andreas Nick [CDU/CSU]: Hoi!) Dr. Lars Castellucci (SPD): – Ja, Sie hören richtig, und da müssen Sie hier auch gar Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nicht so verzweifelt dazwischenrufen . Sie müssen end- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Korte lich aufhören mit Ihrer Politik des Exports von Waffen an und insbesondere Frau Dağdelen, zu dem, was Sie hier eine Regierung, die Krieg gegen einen Teil der eigenen am Schluss gesagt haben: Sie müssen aufpassen, dass Sie Bevölkerung im Südosten des Landes führt . mit Ihrer Kritik nicht überziehen . (Beifall bei der LINKEN) (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sagen Sie Ihr Partner steuert auf ein Präsidialsystem in der Tür- das den Kurden!) (B) kei zu . Dazu wird jetzt in faschistischer Manier die Op- (D) positionspartei HDP durch die Gefolgsleute Erdogans Aus all dem, was Sie an Anklagen hier erheben, wird zerstört . Abgeordnete werden verhaftet . Die gesamte noch kein Konzept . Fraktion wird kriminalisiert und soll ihrer Mandate be- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) raubt werden . Das ist aber das Entscheidende . Man merkt Ihnen mit Ein letzter Satz . jeder Faser an, Ihnen beiden, dass Sie noch nie in der Verantwortung waren . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber wirklich der letzte . Sie sagen, wir sollten einen Pakt mit der Bevölkerung in der Türkei schließen . Jetzt frage ich Sie: Wie soll das gehen? Sie rufen uns dazu auf, gegen Erdogan zu kämp- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): fen. Das sind doch hohle Phrasen, Frau Dağdelen. Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind hier im Reichstag . Wer möchte, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) kann sich das Gedenkbuch der vom NS-Regime verfolg- ten kommunistischen, sozialdemokratischen und auch Mit solchen Beiträgen kommen wir hier sicher nicht wei- konservativen Abgeordneten anschauen. Ich finde, in ter . diesem Reichstag mit dieser Tradition wäre es mehr als (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ihr Konzept geboten, sich an die Seite der verfolgten HDP-Abgeord- heißt Abschottung!) neten in der Türkei zu stellen und sich mit ihnen zu so- lidarisieren . Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist das Erste, was wir zu leisten haben? Das Erste, was wir zu Vielen Dank . leisten haben, ist Sicherheit . Der Herr Erdogan ist sicher- (Beifall bei der LINKEN – Gunther Krichbaum lich auch nicht mein Freund – ich weiß nicht, ob er jetzt [CDU/CSU]: Das mit NS in Verbindung zu mich als Nächsten verklagt –, aber ich sage Ihnen: Ich bringen, ist schon – –! – Bernhard Kaster bin froh, dass wir mit ihm im Gespräch sind und mit ihm [CDU/CSU]: Es wird immer schlimmer!) am Verhandlungstisch sitzen, weil wir so wenigstens an diesem Punkt Einfluss nehmen können und mitbekom- men, was dort passiert . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Dağdelen, Sie haben zum Schluss an (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Leistungen der Abgeordneten hier im Reichstag er- der CDU/CSU) 16742 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. Lars Castellucci (A) Einfluss zu nehmen, ist doch besser, als beiseitezuste- haben . Das ist ein wichtiger und guter Teil dieser Verein- (C) hen und recht haben zu wollen . barung mit der Türkei . (Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen Sicherheit organisieren . Wir haben eine All- gemeine Erklärung der Menschenrechte . Ein weiterer Punkt, den man auch unserer eigenen Be- völkerung sagen muss: Warum soll es denn gut sein, dass (Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LIN- in der Türkei 3 Millionen Flüchtlinge sind, in Deutsch- KE]) land aber nur 1 Million und in ganz Europa gar nur 2 Mil- In der ist festgelegt, dass jeder Mensch das Recht hat, lionen? sein Land zu verlassen . Leider fehlt das Gegenstück . Es (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ hat nicht jeder Mensch auch das Recht, von einem ande- DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) ren Land aufgenommen zu werden . Ja, wir hatten mit 1 Million Flüchtlinge jetzt erst einmal (Zuruf des Abg . Dr .Diether Dehm [DIE LIN- zu kämpfen, gar keine Frage . Aber wenn wir bedenken, KE]) dass in der Türkei 3 Millionen Flüchtlinge sind, in Jor- Deswegen haben wir dieses ganze Chaos, und deswegen danien 10 Prozent der Bevölkerung Flüchtlinge sind und gibt es Schleuser, die Geld damit verdienen und die Ge- im Libanon jeder Vierte ein Flüchtling ist, dann wird winne wieder in die Konflikte reinstecken, die das ganze doch klar, dass wir mit einer solchen Art von Politik die Leid erst verursachen . Regionen immer weiter destabilisieren, denen es ohnehin schon nicht gut geht . (Inge Höger [DIE LINKE]: Festung Europa!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es ist unsere Aufgabe, hier für Sicherheit zu sorgen, ohne des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und den kriminellen Machenschaften weiter Futter zu geben . des Abg . Gunther Krichbaum [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Der Kern der der CDU/CSU) Vereinbarung mit der Türkei – das halte ich darin für den wichtigsten Punkt – ist die Umsiedlung, dass wir endlich An dieser Stelle ist natürlich entscheidend, dass die so weit sind, dass wir gesagt haben: Es werden Kontin- Menschen, die vor dem Krieg fliehen, weiterhin über die gente vereinbart, damit die Menschen auf legalen, siche- (B) Grenzen kommen – in Sicherheit . Das ist natürlich nur ren Wegen zu uns kommen können, und dann werden sie (D) der erste Schritt . Insofern ist Grenzen schützen auch et- in Europa umverteilt . Das ist ein großer Schritt, der in der was anderes als Grenzen schließen, wie Sie das immer Realität noch lächerlich ist aufgrund der kleinen Zahlen . behaupten . Wenn Human Rights Watch uns sagt: „Da ist Aber daran werden wir weiter arbeiten . an der Grenze geschossen worden“, dann ist doch für uns alle in diesem Haus ganz klar – egal, was Frau von Storch (Beifall bei der SPD) oder Herr Erdogan sagen –: An den Grenzen darf nicht auf Flüchtlinge geschossen werden . Das ist nicht unsere Das Wichtigste ist natürlich, die Ursachen zu betrach- Politik . ten, die dazu führen, dass die ganze Fluchtbewegung überhaupt stattfindet. Uns ist dieser Tage vom Auswär- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tigen Amt noch einmal eine Zusammenstellung zur Ver- fügung gestellt worden über das Engagement Deutsch- Wenn die Menschen in Sicherheit sind, ist der nächste lands, was den Syrien-Konflikt angeht. Ich muss Ihnen Schritt, dafür zu sorgen, dass sie dort, wo sie hinkom- sagen: Ob es jetzt unser Beitrag als Geberland bei der men – ob sie nun in zentralen Lagern oder irgendwo Konferenz ist, wo es um Gelder für Syrien ging – da ha- sonst im Land sind –, einigermaßen anständig überleben ben wir den Hauptbeitrag geleistet –, oder unser Beitrag, können . Auch diesbezüglich gibt es Lücken im internati- die Menschen an einen Tisch zu holen und zu Friedens- onalen Recht . Es ist doch absurd, dass das UNHCR oder verhandlungen einzuladen – ich weiß nicht, was mehr ge- das World Food Programme ihre Mittel von der Welt- tan werden kann als das, was von der Bundesregierung, gemeinschaft zusammenkratzen müssen, statt dass wir namentlich Frank-Walter Steinmeier, hier geleistet wird . diese Organisationen ordentlich ausfinanzieren, damit Wir leisten ja als ein kleines Land in Europa wirklich sie rechtzeitig, wenn irgendwo Leid aufkommt, agieren große Beiträge . Das hat auch einmal die Unterstützung, können . die Würdigung der Opposition verdient . (Beifall bei der SPD) Vielen Dank . Aber solange wir das noch nicht realisiert haben, sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir gefordert, direkt zu helfen . Die 6 Milliarden Euro, der CDU/CSU) von denen gesprochen wurde, sind ein starker Beitrag der Europäischen Union, der ja nicht an Herrn Erdogan geht, sondern mit dem konkret vor Ort in der Türkei geholfen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: werden soll, damit Flüchtlinge Unterkunft, Essen, Trin- Vielen Dank . – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- ken, ein Dach über dem Kopf und Bildungseinrichtungen nen spricht jetzt die Kollegin Luise Amtsberg . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16743

(A) Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kann . Wenn nicht, stellt sich die Frage, ob der EU-Tür- (C) kei-Deal weiterhin Bestand hat . Das ist doch ganz klar . Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist doch vollkommen unbestritten, dass die Türkei Teil der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Lösung bei der Aufnahme und bei der Versorgung von SES 90/DIE GRÜNEN) Flüchtlingen ist . Von meiner Fraktion hat das nie jemand Insofern müssen Sie, wenn man einmal nach Deutsch- bestritten . Im Gegenteil: Während sich die Bundesregie- land schaut, sich unter anderem auch die Situation unse- rung in den vergangenen zwei Jahren immer nur mit den rer eigenen Flüchtlingspolitik ansehen . Wir haben viele europäischen Nachbarländern verglichen hat im Hinblick Erstaufnahmeeinrichtungen, die leer stehen . Viele In- auf die großen Herausforderungen, die unser Land zwei- nenminister stellen sich jetzt die Fragen: Müssen wir die felsohne zu leisten hat und hatte, waren in Jordanien, wa- dichtmachen? Sollen wir die auflassen? Müssen wir wei- ren im Libanon, waren in der Türkei bereits Millionen ter Geld investieren? Sie halten sich alle an die Prognose von Flüchtlingen angekommen . der Bundesregierung, dass diese Vereinbarung mit der Türkei hält, bauen Unterkünfte und Strukturen zurück, Schon damals haben wir hier im Bundestag deutlich obwohl wir wissen, dass eine Verlagerung der Fluchtrou- eingefordert, dass die Nachbarländer Syriens besser un- ten stattfinden wird und dass dieser Deal möglicherwei- terstützt werden müssen, und zwar nicht nur finanziell, se nicht hält und wir vielleicht in Deutschland am Ende sondern vor allem auch durch die gezielte und sichere dieses Jahres wieder vor derselben Situation stehen wie Aufnahme von Flüchtlingen aus diesen Ländern . im vergangenen Jahr . Das kann wirklich keiner wollen, verehrte Kolleginnen und Kollegen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Unfähigkeit europäischer Regierungen, diesen Weg Ihnen sollte klar sein: Wenn man einen Deal macht, konsequent zu verfolgen, hat dazu geführt, dass Flücht- wenn man Verantwortung verlagert, dann bedeutet das linge in den Nachbarländern Syriens wegen Hungers, gleichzeitig auch, dass die Verantwortung nicht an den fehlender Unterkünfte und fehlender Perspektiven ein eigenen Landesgrenzen haltmacht . Wenn man einen Deal zweites Mal flüchten mussten, nämlich nach Europa. mit der Türkei macht, dann ist das, was in der Türkei pas- Und das ist auch nachvollziehbar, liebe Kolleginnen und siert, auch unsere Angelegenheit und fällt in unsere Ver- Kollegen . antwortung . Dann kann uns nicht egal sein, was vor Ort passiert . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Jan Korte [DIE LINKE]) Da geht es um Themen, die hier mehrfach schon an- (B) gesprochen wurden . Es gibt glaubhafte Berichte von (D) Also ja, europäische Lösungen für die Herausforde- Menschenrechtsorganisationen, die von Abschiebungen rungen in der Flüchtlingspolitik waren nie und zu keiner von Frauen und Kindern in Kriegsgebiete sprechen, Zeit denkbar ohne die Türkei . Die EU – das ist sozusagen mittlerweile sogar von Schüssen auf Flüchtlinge . Diese die Analyse dessen, was jetzt passiert ist – hat sich mit Auskünfte können wir nicht widerlegen . Während die der nun geschlossenen Vereinbarung, wie wir finden, in Kanzlerin sich schöngemachte Flüchtlingslager in der eine inakzeptable Abhängigkeit von der Türkei begeben; Türkei ansieht, leben aber Hunderttausende von Men- denn die gleiche Türkei, der Europa jetzt das Schicksal schen in prekären Verhältnissen, viele syrische Kinder von Millionen von Flüchtlingen in die Hand legt, produ- dort sind ohne Zugang zu Bildung, Menschen sind ohne ziert mit ihrer Innenpolitik und ihrem Umgang mit den Perspektive und Zugang zu Arbeit . Auch die Situation in Kurden täglich neue Flucht . Darüber darf hier, meine Griechenland hängt damit im Übrigen unmittelbar zu- sehr verehrten Damen und Herren, nicht geschwiegen sammen . werden . Wie können wir von einer Lösung sprechen, wenn in Idomeni noch Tausende von Menschen an der Grenze (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ausharren, weil sie wissen, dass jeder Weg ins griechi- sche Asylsystem in eine Sackgasse mündet? 54 000 Men- Nicht nur deswegen ist diese Vereinbarung schlecht; schen in Griechenland warten noch auf die Bearbeitung sie entspricht nicht dem, was wir als unsere europäischen von Asylanträgen . Die griechische Asylbehörde verfügt Werte definiert haben. Da muss man die Bundesregie- derzeit über 260 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und rung kritisieren: Bei Abschluss dieser Vereinbarung, die- kann nur eine winzig kleine Zahl von Anträgen bearbei- ses Deals, wurde die Aufnahme von Flüchtlingen eben ten . Und der KOM, der Kommission, fällt nichts Besse- nicht eng verknüpft mit der Forderung, dass die Türkei res ein, als sich wieder an das Dublin-System zu ketten, die Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt, dass sie für statt alles daranzusetzen und alles zu unternehmen, um Menschen im eigenen Land Perspektiven schafft . Des- wieder zurück zu den Plänen einer gemeinsamen Vertei- halb, glaube ich, ist es naiv, zu glauben, dass diese Ver- lung zu kommen . einbarung hält . Sie ist nicht auf Dauer angelegt . Das zeigt unter anderem auch die Haltung der Bundesregierung zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Visaliberalisierung . Die 72 Bestimmungen umzusetzen, sowie des Abg . Jan Korte [DIE LINKE]) ist ein ziemlich harter Schritt, der so schnell nicht zu leis- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind die Nicht- ten sein wird . Das heißt, es wird sich noch in diesem Jahr regierungsorganisationen, die dafür Sorge tragen, dass die Frage stellen, ob die Türkei alle Forderungen erfüllen schutzsuchende Kinder in Griechenland geimpft wer- 16744 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Luise Amtsberg (A) den, medizinisch versorgt werden, weil der griechische Zentral für das Abkommen mit der Türkei ist die Zusa- (C) Staat dies derzeit nicht leistet . Der UNHCR schätzt, dass ge der Türkei, Flüchtlinge, die irregulär nach Griechen- 2 000 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge derzeit in land reisen, zurückzunehmen . Im Gegenzug nimmt die Griechenland sind . Es gibt aber nur 500 Plätze für diese Europäische Union Flüchtlinge aus der Türkei auf und Kinder in regulären Einrichtungen . Die restlichen Kinder unterstützt die Flüchtlingshilfe in der Türkei mit 6 Milli- werden notdürftig in Polizeistationen in Gewahrsam ge- arden Euro . Für Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen soll nommen, also inhaftiert . die Visumpflicht für Türken aufgehoben werden.

In den provisorischen Lagern am Athener Flughafen Auch wir wissen, dass das Abkommen Stärken und ist die Lage so prekär, dass Flüchtlinge aus lauter Ver- Schwächen hat . Es hat ein starkes Signal gesendet . Die zweiflung in den Hungerstreik treten. Auf Lesbos werden Flüchtlingszahlen sind zurückgegangen . Die Zahl der ohne Rechtsgrundlage Menschen, darunter auch Frauen, Überfahrten von Personen nach Griechenland ist bei- Kinder und Kranke, über einen unzulässig langen Zeit- spielsweise in den letzten vier Wochen, also nach Ab- raum inhaftiert . Um dem zu entgehen – das haben wir schluss des Abkommens, auf 7 800 zurückgegangen, gestern lesen können –, sind Menschen sogar so ver- während es noch im Oktober letzten Jahres 214 000 Men- zweifelt, dass sie versuchen, in die Türkei zurückzu- schen waren, die nach Griechenland übergesetzt sind . Das schwimmen . Die NGOs ziehen sich aus diesen Haftla- zeigt also, dass wir mit diesem Mittel auch die Schleuser- gern zurück, weil die Arbeit dort nicht mehr mit ihren kriminalität eindämmen können . Grundsätzen zu vereinbaren ist . Tausende von Menschen hängen noch auf der Balkanroute fest . Und wir sprechen Das Abkommen enthält aber auch Risiken, vor allem hier von einer Lösung? Meine sehr verehrten Damen und bei der Visafreiheit . In meinem Wahlkreis, in Aschaffen- Herren, das kann einfach nicht sein . burg, lieferten sich am Ostersonntag Hunderte nationa- listische Türken und Kurden über Stunden hinweg ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN walttätige Ausschreitungen . Polizisten wurden verletzt sowie des Abg . Jan Korte [DIE LINKE]) und Häuser bis in die Nacht hinein besetzt . Dieser Vorfall zeigt mir ganz deutlich, dass die freie Einreise von Kur- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: den und Türken nach Deutschland unter den aktuellen Umständen sehr wohl riskant ist . Vielen Dank . – Als Nächste erhält nun die Kollegin Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

(Beifall bei der CDU/CSU) Herr Erdogan darf seinen Konflikt mit den Kurden nicht (B) nach Europa verschieben . (D) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Damit das Türkei-Abkommen dauerhaft Erfolg hat, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten sind drei Punkte entscheidend . Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben in den vergangenen Monaten erlebt und Erstens . Bei der Visaliberalisierung darf es keinen Ra- gesehen, dass das bisherige europäische Asylsystem un- batt geben . Tempo darf nicht vor Gründlichkeit gehen . ter diesen Flüchtlingsströmen schlicht nicht funktioniert Wir müssen uns wirklich darauf verständigen, dass alle hat . Das Dublin-System, EU-Standards, der Grenzschutz, 72 Kriterien, die bereits im Dezember 2013 – und nicht die Verteilung von Flüchtlingen – all das wurde nicht ide- erst aktuell – vereinbart wurden, eingehalten werden . al umgesetzt und ist auch an der einen oder anderen Stel- Das gilt auch für die Passsicherheit und für die Men- le nicht praktikabel . schenrechte .

In Deutschland, aber auch in anderen Ländern werden Frau Kollegin Roth, ich schätze Sie wirklich sehr, die Rufe nach nationalen Maßnahmen lauter, obwohl sie auch wenn wir oft unterschiedlicher Ansicht sind . Aber in einem vereinten Europa nur Notlösungen und keine Ihre Unterstellung, dass es irgendeinem Mitglied des echten Lösungen sein können . Die Reform des Asylsys- Hauses oder auch der Bundesregierung egal ist, wenn tems, an der aktuell gearbeitet wird, ist insofern auch für an der Grenze auf Kinder geschossen wird, und dass die die Wirksamkeit des Abkommens mit der Türkei ent- Bundesregierung diesen Vorwürfen bzw . Behauptungen scheidend . Die Kommission hat aktuell vorgeschlagen, nicht nachgehen will, hat mich – das muss ich ehrlich das Dublin-System mit einem Notfallmechanismus aus- sagen – entsetzt, zustatten, um Ländern, die an ihre Grenzen stoßen – wie es zum Beispiel bei Italien der Fall war –, zu helfen, indem (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ die Schutzbedürftigen dann auf die anderen Mitgliedstaa- DIE GRÜNEN]: So habe ich es auch nicht ge- ten verteilt werden . Endlich erfolgt die Androhung, dass sagt! Zuhören!) Staaten, die sich nachhaltig weigern, Flüchtlinge aufzu- nehmen, eine Geldstrafe zahlen sollen . Das Europäische zumal unser Parlamentarischer Staatssekretär Ole Unterstützungsbüro für Asylfragen, EASO, soll massiv Schröder gestern im Innenausschuss ganz deutlich gesagt ausgebaut werden, damit es notfalls viel wirkungsvoller hat, dass man all diesen Berichten nachgehen wird, es und schneller eingreifen kann . Das ist der richtige Weg in aber noch keine aktuelleren Erkenntnisse gibt und dass Europa; denn Europa muss sich als Wertegemeinschaft die entsprechenden Verbindungsleute bereits kontaktiert zeigen und nicht als Selbstbedienungsladen . wurden . Es handelte sich um eine Meldung, die zwei Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16745

Andrea Lindholz (A) Tage alt war! Nicht alles, was in der Zeitung steht, ist Dr. Dorothee Schlegel (SPD): (C) von Haus aus richtig . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Werte Gäste! Wir debattieren heute in dieser Aktuel- DIE GRÜNEN]: Seit Dezember gibt es diese len Stunde das Thema „Aktuelle Entwicklungen beim Meldungen!) EU-Türkei-Abkommen“ . Dieses Abkommen wurde ge- meinsam ausgehandelt, im November 2015 in Kraft ge- – Ich gehe nur auf den Vorwurf ein, dass an der Grenze setzt, und im März 2016 wurde eine weitere Phase einge- auf Kinder geschossen worden ist .– An solche Unterstel- leitet . Beide Seiten wussten, auf was sie sich einlassen . lungen hier im Parlament kann ich mich nicht gewöhnen . Beide Seiten kennen die Konditionen . Und beide Seiten Ich finde das einfach auch nicht in Ordnung. wollten dieses Abkommen, wenn auch aus unterschiedli- chen Motiven . Die beiden Vertragspartner sind die Tür- (Beifall bei der CDU/CSU) kei zum einen und die EU mit ihren 28 Mitgliedstaaten zum anderen . Was geben wir denn für ein Bild nach außen ab – auf den anderen Vorwurf möchte ich gar nicht eingehen –, Aktuellstes Thema dieses Abkommens ist die Be- wenn die Menschen hören, dass wir so über Parlamen- schleunigung der Visaliberalisierung . 72 Kriterien müs- tarier anderer Parteien sprechen? Ich muss sagen: Daran sen ja dafür erfüllt werden . So liegt es übrigens seit 2013 will und werde ich mich auch nach drei Jahren nicht ge- als Roadmap klar auf den Tischen beider Seiten, also wöhnen. Ich finde das ungeheuerlich. noch bevor es zu oben genanntem Abkommen kam und auch nicht erst jetzt „plötzlich“, wie Präsident Erdogan (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – vor wenigen Minuten behauptet hat . Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Tragen Sie Verantwortung, oder tragen Sie keine?) Weit über 60 Kriterien erfüllt die Türkei, aber eben noch nicht alle . Der Datenschutz ist ebenso eine harte Zweitens . Wir müssen die Visafreiheit schnell aus- Nuss wie die Anpassung der sehr weit gefassten Antiter- setzen können . Ich bin sehr froh, dass die Kommission rorgesetze an die EU-Standards . Erdogan hat gesagt, dass plant, dass die bisherigen Verfahren massiv vereinfacht die Änderung, die in diesem Punkt eingefordert worden und beschleunigt werden sollen, damit dann, wenn es – ist, ein „Desaster“ wäre; ich sehe das anders . Für mich das ist unsere Befürchtung – massenhafte Überziehungen sind umgekehrt die Eingriffe der Türkei in ihre eigenen der Bleibefrist gibt oder unbegründete Asylanträge kom- Grundrechte das tatsächliche Desaster . men oder sich eine mangelnde Rücknahmebereitschaft durch die Türkei abzeichnen sollte, die Visumpflicht au- Vor zwei Wochen habe ich in der letzten Aktuellen (B) tomatisch wieder in Kraft treten kann . Stunde über die Türkei gesagt: Die Einschränkung von (D) Grundrechten und die Rechtsunsicherheiten durch die- Drittens müssen wir – da möchte ich Ihnen, Herr ses Antiterrorgesetz gehen in der Türkei Hand in Hand Castellucci, vollumfänglich zustimmen – noch mehr Mit- mit dem Verlust von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, tel für die Hilfe vor Ort bereitstellen, damit wir schneller Pressefreiheit, Säkularismus und Religionsfreiheit . Ich helfen können . Es darf auch nicht nur um die 3 Millionen unterstreiche hier gerne noch einmal: Wir dürfen die Tür- Flüchtlinge in der Türkei gehen, die dort seit 2011 auf- kei und die dortigen demokratischen Kräfte nicht alleine genommen worden sind, sondern es muss auch um die lassen . Daher ist eine Fortsetzung eines sachlichen, kla- Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien gehen . ren und kritischen Dialogs mit Regierung und Parlament unabdingbar . Zum Schluss: Europa darf sich bei den Verhandlungen nicht kleiner machen, als es ist . Wir bekommen so oft ge- Ich begrüße – es wurde schon erwähnt – die klare sagt: Die Türkei erpresst uns . – Nein, die Türkei braucht Entscheidung des Europäischen Parlaments, sich erst Europa auch . Sie braucht Europa im Kampf gegen den dann mit der Visafreiheit zu befassen, wenn alle Krite- Terror und als Wirtschaftspartner . Das müssen wir An- rien erfüllt sind . Was ich allerdings nicht begrüße, sind kara auch deutlich zeigen; denn dort hält man eben nicht die vielen Vorbehalte gegenüber einer visafreien Einreise alle Trümpfe in der Hand . Mir ist wichtig – das wäre mei- von türkischen Staatsbürgern; denn wir werden auch bei ne Schlusssatz –: Wir dürfen uns nicht kleiner machen Visafreiheit kontrollieren, wer aus der Türkei in die EU und müssen darauf bestehen, dass alle 72 Punkte erfüllt einreist . werden . Einreise ohne Visum bedeutet zudem keine unkontrol- Danke schön . lierte Einreise; denn sie wird mit einem Pass mit biomet- rischen Daten erfolgen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Visafreiheit bedeutet auch nicht, einfach nur über die Grenze zu spazieren . Alle, die schon einmal visafrei in die USA eingereist sind, wissen das sehr wohl . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das war nun ein sehr langer Schluss .– Als Nächstes Zudem – Kollegin Lindholz hat es gerade angespro- spricht die Kollegin Dr .Dorothee Schlegel, SPD-Frak- chen – wird es auch einen Schutzmechanismus geben, tion . der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, Umstände zu melden, die zu einer Aussetzung der Visafreiheit führen (Beifall bei der SPD) können . 16746 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. Dorothee Schlegel (A) Meine Damen und Herren, Visaliberalisierung stärkt anbieten wollen . Dieses Geld geht nicht in das Säckel (C) die Reisefreiheit . Sie fördert den interkulturellen und von Herrn Erdogan, den zivilgesellschaftlichen Dialog . Sie erleichtert darü- ber hinaus die wissenschaftliche und wirtschaftliche Zu- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Dann zahlen sammenarbeit, den Schüler- und Studentenaustausch und Sie es doch direkt an die Hilfsorganisationen!) Verwandtschaftsbesuche . sondern es kommt den Hilfsorganisationen zugute, Ein Letztes: Präsident Erdogan ist nicht die Türkei . (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Haben Er ist von der Mehrheit der türkischen Bevölkerung Sie das schon geprüft? – Sevim Dağdelen gewählt, und seine Partei stellt die Regierung . Aber es [DIE LINKE]: Das werden wir sehen!) gibt eben auch eine Opposition . Die CHP und weitere proeuropäische Kräfte stehen mir mit ihren Positionen perspektivisch auch unserer GIZ, die dort eine wichtige politisch deutlich näher als Herr Erdogan . Wie wichtig und herausragende Arbeit leistet; und dafür danke ich al- uns eine parlamentarische Zusammenarbeit ist, können len sehr . und müssen wir durch den engen Austausch mit unseren türkischen Kolleginnen und Kollegen intensiver denn je (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zeigen . Ich treffe mich nachher mit dem Fraktionsvorsit- ordneten der SPD) zenden der CHP, Kemal Kilicdaroglu, und werde diesen Wir haben heute Morgen über den weiteren Kontext, Dialog fortsetzen . nämlich die Bekämpfung der Fluchtursachen, gespro- chen . Das ist von großer Bedeutung . Auch Kollegin Roth Schließen möchte ich mit Worten des großen SPD-Au- hat einen wichtigen Beitrag zu dieser Debatte geleistet . ßenpolitikers Egon Bahr, die auch auf unsere momentane Ich denke, wenn wir nicht in der Lage sind, in guter Ko- Situation zutreffen – Zitat –: operation mit der Türkei die Situation dort zu stabilisie- Wandel durch Annäherung . Ich bin fest davon über- ren, und uns dies nicht auch in Nordafrika gelingt, dann zeugt, daß wir Selbstbewußtsein genug haben kön- haben wir gar keine Chance, die dahinterliegenden Ursa- nen, um eine solche Politik ohne Illusionen zu ver- chen wirksam zu bekämpfen . Insofern ist diese Koope- folgen . . denn sonst müßten wir auf Wunder warten, ration, die der Stabilisierung der Situation in der Türkei und das ist keine Politik . dient, von ganz großer Bedeutung . So Egon Bahr . Wenn wir auf die aktuelle Entwicklung schauen, muss uns natürlich beunruhigen, dass Ministerpräsident Herzlichen Dank . Davutoglu zurückgetreten ist und damit jemand, der (B) Europa näher gestanden hat . Auch der bevorstehende (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten AKP-Parteitag muss uns beunruhigen . Besonders be- der CDU/CSU) unruhigen muss uns – das ist bisher nicht angesprochen worden; deshalb will ich kurz darauf eingehen – die Situ- ation im türkischen Parlament, und zwar im Hinblick auf Vizepräsidentin Ulla Schmidt: das Risiko einer Immunitätsaufhebung . Vielen Dank .– Als Nächstes spricht Matern von Marschall, CDU/CSU-Fraktion . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben möglicherweise diese sehr unschönen Sze- nen in der Verfassungskommission im türkischen Parla- Matern von Marschall (CDU/CSU): ment live gesehen . Es ging dabei um einen Antrag der Verehrte Frau Präsidentin, vielen Dank . Vielen Dank AKP auf Verfassungsänderung, der angenommen wor- auch dafür, dass Sie die Kollegin Dağdelen ausdrücklich den ist . Die AKP betreibt damit durchsichtige taktische gerügt haben für diese unsägliche Vorhaltung gegenüber Manöver . Ziel ist dabei letzten Endes die Entfernung ei- der Bundesregierung . ner ganzen Fraktion, nämlich der HDP, aus dem Parla- ment . Die AKP alleine verfügt nicht über die notwendige (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- verfassungsändernde Mehrheit im Parlament, doch leider ordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN: machen da auch noch die CHP und die MHP mit . Oh!) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Wenn die Linke im Zusammenhang mit der Vereinba- DIE GRÜNEN]: Genau!) rung mit der Türkei mit Begrifflichkeiten – Herr Korte Ich würde mir sehr wünschen, Kollegin Schlegel – Sie und Frau Dağdelen, Sie beide kann ich da zitieren – wie haben ja gerade den Dialog, den Sie diesbezüglich füh- „schmutzig“, „dreckig“ und „schäbig“ hantiert – diese ren wollen, angesprochen –, dass Sie auf die Kollegen im Vereinbarung bezeichnen Sie ja auch als „Deal“ –, dann türkischen Parlament, mit denen Sie ein gutes Einverneh- frage ich mich, was Sie davon halten, dass wir der Türkei men haben, einwirken, dass sie dieser Verfassungsände- für ihre gute und wichtige Arbeit, die sie in ihrem Land rung nicht zustimmen . gegenüber den Flüchtlingen aus Syrien leistet, 3 Milli- arden Euro und sukzessive bis zu 6 Milliarden Euro als (Beifall der Abg . Claudia Roth [Augsburg] Unterstützung bei dieser wichtigen humanitären Aufgabe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16747

Matern von Marschall (A) Ich glaube, das ist auch für das türkische Parlament Ich will deshalb in Erinnerung rufen, worum es in dem (C) selbst von großer Bedeutung . Jede Fraktion im türki- gemeinsamen EU-Türkei-Aktionsplan im Kern geht . Die schen Parlament, die dem zustimmen will, scheint ih- Türkei hat seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges fast ren Eigennutz daraus ziehen zu wollen . Aber es ist eine 3 Millionen Flüchtlinge aufgenommen . Über 1 Million außerordentlich riskante Entscheidung, die die anderen Menschen haben sich im vergangenen Jahr auf den ge- Fraktionen, also nicht nur die AKP, da treffen; denn es fährlichen Weg in die Mitte Europas gemacht . Meine würde sukzessive zu einer Beschneidung der Stärke die- Damen und Herren, es ist keine faire und humanitäre ses Parlaments führen . Lösung, dass Menschen ihr Leben und das Leben ihrer Kinder riskieren, sich Schleppern und Schiebern anver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und trauen, um in unsicheren Booten die Ägäis zu überque- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren und sich auf den langen und beschwerlichen Weg der Daher sollten wir auf sie einwirken und hier im Parla- Balkanroute zu machen . Dieser Zustand muss beendet ment nicht weiter eine Eskalation betreiben, sondern in werden, vor allem aus humanitären Gründen . Deshalb guter Kooperation das Gespräch mit denjenigen dort, die stehen von Anfang an drei Ziele gleichwertig im Mittel- wir als moderate und gute parlamentarische Kräfte anse- punkt des gemeinsamen Aktionsplans, nämlich die Si- hen, suchen . cherung der Außengrenze der EU, die Verbesserung der Lebenssituation der Flüchtlinge in der Türkei und die Er- Ich glaube, dass wir als Europäische Union immer den öffnung legaler Zugangsmöglichkeiten in die EU durch Weg der Kooperation und nicht den der Konfrontation entsprechende Kontingente . gehen sollten . Insofern sollten wir auch sorgsam darauf achten, mit unserem eigenen parlamentarischen Gebaren Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei nicht etwa die nationalistischen Kräfte in der Türkei – sie wirkt . Seit dem Stichtag am 20 .März ist die Zahl der befinden sich in vielen Fraktionen des Parlamentes – Flüchtlinge, die auf den griechischen Inseln ankommen, weiter zu stärken; denn sie würden sich im Zweifelsfall stark gesunken . Im Januar und Februar waren es jeden hinter Erdogan scharen . Das würde dann wahrscheinlich Tag 2 000, im April nur noch 115 Personen, im laufenden zu einer weiteren Verfassungsänderung, die das Präsidi- Monat waren es bisher 60 . Viel wichtiger ist: Während alsystem stärken könnte, führen . Das ist bestimmt kein im Januar noch 272 Menschen in der Ägäis ertranken, kluger und richtiger Weg . Insofern würde ich mir wün- waren es im April noch 10 . Jedes verlorene Menschenle- schen, dass wir alle bereit sind, mäßigend und im guten ben ist immer noch eines zu viel . Aber ich frage schon in Sinne vermittelnd an der Kooperation mit der Türkei zu aller Deutlichkeit: Wie viel Zynismus und Menschenver- arbeiten . Ich hoffe, dass wir diesbezüglich unsere guten achtung muss man eigentlich mitbringen, um angesichts Kontakte ins türkische Parlament nutzen . der Rettung von Hunderten Menschenleben hier fortdau- (B) ernd von einem „schmutzigen“ Deal zu reden? (D) Danke schön . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Liebe Kollegen, die Visumspflicht für türkische Staatsbürger wurde erst 1980, zu Zeiten der Militärre- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gierung, wieder eingeführt . Bereits seit 2013 wird erneut Vielen Dank . – Letzter Redner in der Aktuellen Stunde über eine Visaliberalisierung für die Türkei verhandelt . ist der Kollege Dr .Andreas Nick, CDU/CSU-Fraktion . Reisefreiheit ist ein wichtiges Instrument zur Förderung des zwischengesellschaftlichen Dialogs und zur Stär- (Beifall bei der CDU/CSU) kung der Zivilgesellschaft in dem betroffenen Land . Sie ist auch keine Belohnung für den Präsidenten oder die Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Regierung, sondern – Frau Kollegin Roth hat es vorhin angesprochen – eine wichtige Geste der Gegenseitigkeit Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und der Anerkennung für die Menschen in der Türkei . Inzwischen beschäftigen uns die beiden Oppositions- fraktionen in diesem Hause abwechselnd fast im Wo- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) chenrhythmus mit Aktuellen Stunden zur Türkei . Es ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn wir uns Als Teil der EU-Türkei-Vereinbarung haben wir eine intensiv mit der Türkei befassen, ganz im Gegenteil . Die Beschleunigung des Verfahrens zur Visaliberalisierung Türkei ist ein vielfältiges und spannendes Land . Sie ist verabredet. 65 der 72 von der EU definierten Vorausset- und bleibt für uns ein wichtiger Partner, nicht zuletzt auf- zungen wurden von der Türkei bereits vollständig umge- grund ihrer geostrategischen Lage . Angesichts von mehr setzt; über biometrische Pässe ist schon gesprochen wor- als 3 Millionen Menschen türkischer Herkunft, die in un- den . Ich will noch auf einen Punkt hinweisen: Die Türkei serem Land zu Hause sind, ist die Türkei auch immer ein gewährt zukünftig allen EU-Mitgliedstaaten Visumsfrei- wichtiger Teil deutscher Innenpolitik . heit; das betrifft auch Zypern . Das ist ein gewaltiger und, wie ich finde, viel zu wenig beachteter Fortschritt. Bei aller berechtigten kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Entwicklungen in der Türkei Natürlich – Kollege von Marschall hat es angespro- sollten wir dies stets mit der notwendigen Ernsthaftig- chen – sind der aktuelle Wechsel im Amt des Minister- keit tun, jedenfalls nicht um der vordergründigen Effekt- präsidenten und seine politischen Umstände alles andere hascherei willen oder gar zur Bedienung antitürkischer als hilfreich . Ich rate uns allen in der momentanen Debat- Ressentiments . te aber zu mehr Gelassenheit . Wir sollten nicht auf jede 16748 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. Andreas Nick (A) rhetorische Provokation aus Ankara geradezu reflexartig Ich begrüße zu diesem Diskussionspunkt ausdrück- (C) reagieren . lich die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, die dieser Diskussion hier folgen Einer der letzten politisch strittigen Punkte ist – neben möchte . dem Datenschutz – die Anpassung der sogenannten Anti- terrorgesetze der Türkei an europäische Standards . Insbe- (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) sondere geht es hier um eine klarere Eingrenzung der De- finition des Begriffes „Terrorismus“. Man kann, wie der Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein frühere schwedische Außenminister Carl Bildt, durchaus Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fragen, ob die Agenda zur Visaliberalisierung damit nicht sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke überfrachtet ist und ob diese wichtige Frage nicht besser vor . Über den Änderungsantrag und über den Entschlie- als Teil des Beitrittsprozesses behandelt werden sollte . ßungsantrag werden wir später namentlich abstimmen . Denn im Zuge der vereinbarten Öffnung der Kapitel 23 und 24 – das sollten wir nicht vergessen – werden diese Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für und andere Fragen von Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- und Sicherheit eine ganz zentrale Rolle spielen . Hier kann nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . und wird die EU die Türkei umfassend fordern . In der Sache selbst sollten wir als Europäer weiter- Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Bundes- hin klar und eindeutig Position beziehen . Wir sollten ministerin Andrea Nahles . uns aber hier wie dort nicht von denen leiten lassen, die diese Fragen nur kurzfristig instrumentalisieren wollen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten um den Prozess der Visaliberalisierung zu hintertreiben der CDU/CSU) oder gar eine erneute Zuspitzung der Flüchtlingskrise in Deutschland herbeizuführen . Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So- Vielen Dank . ziales: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ordneten der SPD) Kollegen! Inklusion ist nicht abstrakt; sie umfasst eine Fülle von konkreten Schritten zur Verbesserung der Lage von Menschen mit Behinderungen . Mit diesen Worten Vizepräsidentin Ulla Schmidt: kann man am besten beschreiben, worum es in dem Ge- Vielen Dank . – Die Aktuelle Stunde ist beendet . setzentwurf, den wir heute vorlegen, geht . Wir wollen die (B) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: Lage für Menschen mit Behinderungen Schritt für Schritt (D) barrierefreier gestalten und zu mehr Inklusion kommen . a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Dabei ist es wichtig, dass wir in Bewegung sind und die regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- richtige Richtung eingeschlagen wird . Ich bin froh, sagen zes zur Weiterentwicklung des Behinderten- zu können: Ja, mit diesem Gesetz gehen wir voran . – Es gleichstellungsrechts wird nicht das einzige Gesetz bleiben, das die Inklusion Drucksache 18/7824 in diesem Land voranbringt, schon bald werden weitere Schritte folgen . Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Arbeit und Soziales (11 .Ausschuss) Sicher, manchem geht es nicht schnell genug; das Drucksache 18/8428 mag sein . Aber wenn man sich einmal anschaut, was wir bereits geschafft haben, dann merkt man auch, dass die b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- regelmäßigen Reformschritte nach vorn dieses Land be- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales reits gewaltig verändert haben . Ich gebe dazu ein kon- (11 . Ausschuss) kretes Beispiel: Am Rande der Trauerfeier anlässlich des – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Todes von Hans-Dietrich Genscher war ich im Haus der Werner, Sigrid Hupach, Matthias W . Birkwald, Geschichte in Bonn . Ich kann mich gut daran erinnern, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE wie Museen früher aussahen: Es gab Treppen und jede LINKE Menge Barrieren . Hier ist alles mit Rollstühlen erreich- bar, es gibt Fahrstühle und barrierefreie Toiletten . Bei der Eine halb barrierefreie Gesellschaft reicht Ausstellung wurde auch an Menschen mit Behinderung nicht aus – Privatwirtschaft zu Barriere- gedacht . Für Blinde gab es zum Ertasten von Objekten freiheit verpflichten Handschuhe, die man sich ausleihen konnte . – zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, Auch sonst: Kinder mit und ohne Behinderung besu- weiterer Abgeordneter und der Fraktion chen dieselbe Kita und Schule . Nicht überall läuft das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reibungslos, aber das ist mittlerweile das unbestrittene Ziel . Sie treffen sich in Vereinen . Es gibt viele Broschü- Behindertengleichstellungsrecht mutig wei- ren in leichter Sprache, Gebärdendolmetscher bei Ver- terentwickeln anstaltungen und die nötige Assistenz im Job . Das alles Drucksachen 18/7874, 18/7877, 18/8428 leider noch nicht überall – aber es ist viel selbstverständ- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16749

Bundesministerin Andrea Nahles (A) licher geworden, und es ist unser Ziel, das alles überall Aber es wird beim nächsten Mal gelingen . (C) anbieten zu können . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt setze ich darauf, dass das neue BGG die priva- te Wirtschaft zum Mitmachen und Nachahmen anregt . Ich sage dies deshalb, weil wir viel bewegt haben in Hier sind die Bundesbehörden Vorbild . Darum dürfen den letzten Jahrzehnten . Trotzdem muss man sich klar- wir nicht gering schätzen, was wir jetzt hier erreichen . machen: Inklusion ist ein Prozess . Wir müssen dranblei- Von der Arbeitsagentur bis zum Zoll gibt es eine große ben und immer wieder fragen: Wo kann, wo muss es Anzahl an Bundesbehörden, die ab jetzt mit gutem Bei- weitergehen? Seit der UN-Behindertenrechtskonvention spiel vorangehen werden und Vorbilder und Treiber sind . betrifft dies alle Lebensfelder und alle politischen Berei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn zum Beispiel die che . In der Tat wurde hier vorher zu eng gedacht . Wir BA bei der Barrierefreiheit vorangeht, dann kann ich mir gehen mit dem Nationalen Aktionsplan, der jetzt in der kaum vorstellen, dass die kommunalen Jobcenter nicht Ressortabstimmung ist, den nächsten Schritt, und mit folgen werden . dem Teilhabegesetz gehen wir einen weiteren . (Beifall bei der SPD) Auch das Behindertengleichstellungsgesetz, das BGG, das wir heute beraten, symbolisiert einen echten Die Ressortabstimmung, die wir hatten, war gerade Fortschritt . Seit 2002 regeln wir über das BGG die Barri- deswegen so schwierig und langwierig, weil so viele erefreiheit in den Bereichen Bau, Verkehr und Infrastruk- Behörden betroffen waren und weil wir diese baulichen tur bringen die Verwendung der Gebärdensprache und Verbesserungen nicht nur für Neubauten, sondern auch der leichten Sprache voran . Auch hier geht es ganz kon- für den Bestand erreichen konnten . Ich möchte allen Kol- kret weiter . Mit der vorliegenden BGG-Änderung wollen leginnen und Kollegen hier im Haus danken, die sich in wir immer noch bestehende bauliche Barrieren in allen den letzten Wochen und Monaten engagiert und einge- Bundesgebäuden endlich abbauen . setzt haben . Im Verfahren hier im Parlament ist es uns gelungen, wichtige Klarstellungen und Verbesserungen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zu erreichen, die über den Gesetzentwurf hinausgehen . CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Das gilt auch für Barrieren innerhalb der Verwaltung . Mir selbst ist die Dimension erst in vielen Gesprächen Heute kann ich also sagen: Ich bin mit dem zufrieden, klar geworden, nämlich dass interne Verwaltungsabläufe, was erreicht worden ist – nicht, weil wir alle Wünsche zum Beispiel die Bearbeitung von elektronischen Akten, und Erwartungen schon maximal umgesetzt haben, aber (B) barrierefrei gestaltet werden müssen, damit wirklich alle deswegen, weil es voran geht . Das ist aber nun einmal (D) daran mitarbeiten können . Dies ist Bestandteil dieser ein Stück weit Demokratie; das sage ich hier an dieser BGG-Novelle . Stelle auch . Eine weitere wichtige Neuerung ist eine Schlichtungs- Das ist für mich aber kein Grund zum Ausruhen; es stelle bei der Behindertenbeauftragten Verena ­Bentele . ist keine Zeit für eine Pause . Das kommt nicht infrage . Diese Schlichtungsstelle soll künftig bei Problemen Wir müssen dranbleiben und den Prozess der Inklusion rasch pragmatische Lösungen finden, wenn zum Beispiel vorantreiben . Das Jahr 2016 wird uns ein gutes Stück eine Gebärdendolmetscherin oder eine Rampe abgelehnt weiterbringen – im Privaten, im Alltag und bei der Ar- werden . Es ist auch ein Schritt in die richtige Richtung, beit . Deshalb möchte ich Sie bitten, der Novellierung des wenn wir Verbände von Menschen mit Behinderung stär- Behindertengleichstellungsgesetzes heute hier in diesem ker fördern: 2016 mit einer halben Millionen Euro, da- Hause zuzustimmen . nach mit 1 Million Euro jedes Jahr . Vielen Dank . Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2016 wird ein Jahr wesentlicher und wichtiger Fortschritte auf dem Weg zur (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Inklusion: Weniger behindern, mehr möglich machen – das ist das Ziel . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank .– Als Nächste spricht die Kollegin der CDU/CSU) Katrin Werner, Fraktion Die Linke . Weil das so ist, ärgert mich die Fundamentalkritik nach (Beifall bei der LINKEN) dem Motto: Weil wir nicht alles erreicht haben, ist alles Mist . Katrin Werner (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Was das vorliegende Gesetz angeht, sage ich ganz offen: und Herren! Eigentlich müssten wir diese Debatte nach Ja, auch mir fehlt im BGG der private Sektor . Den hätte draußen verlegen . Gestern haben sich Aktivisten aus ich gern mit in das Gesetz einbezogen . Das ist nicht ge- Protest gegen den hier vorgelegten Gesetzentwurf am lungen . Reichstagsufer angekettet . Sie haben die ganze Nacht dort verbracht und protestieren mittlerweile seit über (Katrin Werner [DIE LINKE]: Warum?) 30 Stunden ohne Schlaf . 16750 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Katrin Werner (A) Da wir aber nicht nach draußen gehen können, möchte Ich habe meiner Tochter das Lied nicht vorgesungen; da- (C) ich jetzt stellvertretend zwei Vertreterinnen auf der Besu- her werde ich es jetzt auch nicht vorsingen . Sie haben chertribüne begrüßen, nämlich Nadine und Carola . Eine der Regierung damals nach einer längeren Passage des von ihnen ist Rollstuhlfahrerin, die andere ist eine gehör- Selbstlobes gesagt, wir müssten den Menschen mehr hel- lose Frau, die die Debatte leider nicht verfolgen kann, fen, und Sie haben ihr singenderweise vorgeworfen – Zi- weil es an einer Gebärdendolmetschung fehlt . tat aus Pippi Langstrumpf –, sie mache sich die Welt, wie sie ihr gefällt . Genau so kommt es mir hier teilweise auch (Zurufe von der CDU/CSU: Das stimmt doch wieder vor . Sie halten einfach schöne Sonntagsreden, gar nicht! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/ aber die Verbesserungen durch diesen Gesetzentwurf CSU]: Da ist doch eine Gebärdendolmetsche- betreffen nur ungefähr 10 Prozent der Lebensrealität der rin!) Menschen, weil sich das Leben der Menschen nun ein- – Gut, dann ist sie da . – Um kurz darauf einzugehen: Es mal nicht in den Bundesbehörden und den Bundesämtern gab – – abspielt, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden immer barrierefreier, Frau Kollegin sondern in den Arztpraxen, in den Läden, in den Thea- Werner – Schritt für Schritt . tern, in den Kinos und in ihren Wohnungen . Genau die (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ein Barrierefreiheit dort regeln Sie nicht . Ganz ehrlich: Das Vorwurf schon einmal ausgeräumt! – Corinna ist ein Skandal . Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- hat sie mitgebracht!) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schon wieder!) Katrin Werner (DIE LINKE): Frau Nahles und Frau Lösekrug-Möller, beantworten Frau Präsidentin, ich wollte mich gerade korrigieren Sie mir die Frage, warum Sie die Abstimmung darüber und brauchte deshalb diesen Hinweis nicht . Ich habe sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben . Warum jetzt gesehen, weiß aber, dass der Vorsitzende des Allge- können Sie das nicht heute und hier regeln? Wenn Sie meinen Behindertenverbandes schon Anfragen gestellt, die Barrierefreiheit in dieser Art nicht umsetzen können: bis heute aber keine Antwort bekommen hat . Ihm wurde Viele Selbstvertretungsorganisationen haben Ihnen Vor- nicht mitgeteilt, dass dort oben eine Gebärdendolmet- schläge gemacht, darunter einen Schritt, der nicht Milli- schung stattfindet. Diesen Vorwurf nehme ich jetzt also onen kostet, nämlich ganz einfach: angemessene Vorkeh- (B) zurück . Ich gestehe ja auch ein, dass Sie in Ihrem Gesetz- (D) rungen . Um angemessene Vorkehrungen geht es in dem entwurf ein paar gute Dinge geregelt haben, aber 90 Pro- Antrag der Linken und auch in dem Antrag der Grünen . zent regeln Sie eben nicht . Gehen Sie doch diesen Schritt und stimmen Sie mit Ja . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ich möchte gleichzeitig die Aktivisten vor Ort grüßen, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die die Debatte hier jetzt per Live-Übertragung mitver- Für diejenigen, die es nicht wissen: Der Begriff „an- folgen . gemessene Vorkehrung“ hört sich zwar sehr juristisch (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- an, aber es sind ganz einfach Maßnahmen, die geeignet neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und erforderlich sind, damit Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit allen anderen Menschen am Leben Sehr geehrte Damen und Herren, die Menschen sind teilhaben und ihre Grundfreiheiten und Menschenrechte wütend, und ich finde, aus gutem Grund. Vor gut einer wahrnehmen können . Für diejenigen, die Angst haben, Woche, am 4 .Mai 2016, sind in Berlin Tausende Men- dass diese Maßnahmen teuer sein könnten, sage ich: Bei schen auf die Straße gegangen und haben gegen Ausgren- den angemessenen Vorkehrungen wird vorgeschrieben, zung und Diskriminierung demonstriert . Im Anschluss dass Maßnahmen keine unverhältnismäßige oder unan- daran haben sie das Bundesministerium für Arbeit und gemessene Belastung darstellen dürfen, also keine Milli- Soziales blockiert . Einer der Gründe für ihre Entrüstung ardenbeträge kosten dürfen . und ihre Wut ist die Novellierung des Behindertengleich- stellungsgesetzes, über die wir gerade diskutieren und Vielleicht ein einfaches Beispiel: eine Einkaufsstraße nachher abstimmen werden . Menschen mit Behinderun- mit mehreren Läden mit Stufen . Wenn die Einzelhändler gen werden durch den vorliegenden Gesetzentwurf wei- sich zusammenschließen und darauf verständigen wür- ter diskriminiert . Er geht – sorry, Frau Nahles – vollkom- den, eine mobile Rampe oder Schiene zu kaufen – men an der Lebensrealität der Menschen vorbei . (Volker Kauder [CDU/CSU]: Kollektiv!) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – das können Sie auch so nennen –, dann könnten Roll- NEN]) stuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer diese Läden errei- chen . Das betrifft ja nicht nur die Rollstuhlfahrerinnen Ganz ehrlich: Ich wollte es nicht ansprechen, aber als und Rollstuhlfahrer . Das betrifft ältere Menschen mit ich Sie vorhin gehört habe, musste ich mich an Septem- Rollator . Das betrifft die Mutter oder den Vater mit dem ber 2013 erinnern . Damals waren Sie in der Opposition . Kinderwagen . Wenn sich die Einzelhändler zusammen- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16751

Katrin Werner (A) schließen, dann kostet die Anschaffung keine Tausende Gestern waren Vertreter des Gehörlosenbundes bei (C) von Euro . Kleine Empfehlung: Bei Google kann man die mir . Sie haben mit mir über viele Themen gesprochen, Preise finden. auch über Gebärdensprache . Sie waren sich bewusst – das wissen sie und haben mir das auch gesagt –, dass Wenn man das so machen kann, dann nehmen Sie die- das, was wir miteinander auf der Bundesebene verein- se Regelung doch verpflichtend auf. baren, auf die Länderebene, beispielsweise in Berlin, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz, übertragen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) werden muss . An dieser Stelle müssen Sie sich von der Linkspartei mit dem Föderalismus arrangieren . Wir ha- Ganz ehrlich, Herr Schummer: An die Kraft der Über- ben eben keine zentralistische Republik mit einer Steue- zeugung können Sie 14 Jahre nach Inkrafttreten des Be- rung aus Berlin, sondern wir sind föderal aufgebaut: über hindertengleichstellungsgesetzes und 7 Jahre nach der die kommunale, die Landes- und Bundesebene sowie Unterschrift unter die UN-Behindertenrechtskonvention auch die private Ebene . doch nicht allen Ernstes glauben . Das macht keiner frei- willig. Machen Sie es daher verpflichtend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine Bitte an die folgenden Rednerinnen und Red- Wenn wir diese miteinander verzahnen, dann haben wir ner – ich weiß, meine Zeit ist abgelaufen –: die Wechselwirkung, die Gesinnungs- und Zuständere- ( [CDU/CSU]: Nein, nur die form, die wir miteinander wollen und erreichen werden . Redezeit!) (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Dann Vielleicht gehen Sie in den nachfolgenden Reden nicht macht doch mal!) nur auf die 10 Prozent an schönen Dingen in Ihrem Ge- Das ist eben nicht allein ein Thema des Bundes, son- setzentwurf ein, sondern erklären den Menschen, warum dern auch ein Thema der Bundesländer, der Kommunen Sie nicht bereit sind, diesen kleinen Schritt zu gehen . und der Privaten . Wichtig ist aber, dass wir eines nicht (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: 90 Pro- tun, Kollegin Werner, nämlich die Bundesbehörden ab- zent sind ein kleiner Schritt! Aha!) zuwerten und so zu tun, als seien sie nicht wichtig . Vielen Dank . (Katrin Werner [DIE LINKE]: Ich habe sie doch gar nicht abgewertet! Zuhören!) (Beifall bei der LINKEN) Ist die Agentur für Arbeit für Arbeitsuchende nicht wich- (B) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: tig? Ist die Krankenkasse für jemanden, der Gesundheits- (D) Vielen Dank . – Als Nächster erhält der Kollege Uwe versorgung sucht, nicht wichtig? Schummer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . (Katrin Werner [DIE LINKE]: Aber wie oft (Beifall bei der CDU/CSU – ist er denn da?) [CDU/CSU]: Jetzt kommt mal Sachverstand in die Debatte!) Ist die Bundespolizei mit ihren Einrichtungen nicht wich- tig? Ist die Rentenversicherung mit der Alterssicherung für die Menschen nicht wichtig? Uwe Schummer (CDU/CSU): Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die Es ist deshalb so wichtig, auf die positiven Wirkungen Rentenversicherung ist sehr wichtig! – Corinna der jetzigen Novellierung zu verweisen, weil eben viele Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Etwas Menschen auch sagen: Nein, das wollen wir nicht .– Das anderes hat doch niemand behauptet!) könnte dazu führen, dass das, was zum Besseren verän- dert werden könnte, nicht gemacht wird . Es sind also wichtige Schritte, die jetzt in den Bundes- behörden gegangen werden, damit Barrierefreiheit in der Wir sind dafür da, Bewegung zu erzeugen . Dass wir Kommunikation und auch baulich erreicht werden kann . aber die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention nicht alleine mit Rampen lösen werden, ist offenkundig . (Beifall bei der CDU/CSU) Dass man eine Gesinnungs- und Zuständereform mitei- nander verbinden muss, dass man dafür die Vorausset- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: zungen und Kompetenzen zu schaffen hat, ist klar und findet sich in dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung Herr Kollege . des Behindertengleichstellungsrechts wieder . Allein schon die neue Definition auf der Grundlage Uwe Schummer (CDU/CSU): der UN-Behindertenrechtskonvention, nämlich Behin- Damit macht der Bund genau das, was in der moder- derung als langfristige Beeinträchtigung zu sehen, die nen Pädagogik richtig ist . Uns geht es nicht um die Kraft in Wechselwirkung mit Barrieren in den Köpfen und in des Zwangs oder der Peitsche bzw . um Gebote und Ver- der Umwelt Menschen an der gleichberechtigten gesell- bote, sondern wir wollen überzeugen . Aber wir können schaftlichen Teilhabe hindert, hat eine Strahlkraft, die auch von den Privaten erst dann etwas verlangen, wenn über das jetzige Gesetz hinausgeht . der Bund mit seinen Einrichtungen vorangeht . 16752 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: jahr im Plenum beraten . Dazu hat sich die Behinderten- (C) Jetzt müssten Sie eine kleine Pause machen, Herr Kol- beauftragte geäußert . Das können Sie gerne nachlesen . lege Schummer . Ich muss Sie nämlich fragen, ob Sie eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Zwischenfrage des Kollegen Birkwald zulassen, bevor es der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LIN- um eine ganz andere Thematik geht . KE]: Das war inhaltlich dasselbe!) (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Genau! Wichtig ist, dass die Kompetenzen für Barrierefrei- Danke!) heit gestärkt werden und dass das Behindertengleichstel- lungsgesetz kein Inselgesetz ist . Wie Frau Bundesminis- Uwe Schummer (CDU/CSU): terin eben dargestellt hat, haben wir bereits Vorleistungen erbracht, beispielsweise die Sonderförderung für Inte­ Und nichts ist überzeugender als das gute Vorbild des grationsunternehmen . Wir haben beispielsweise für Bundes . – Aber ich höre gerne Ihre Zwischenfrage . altersgerechtes und behindertengerechtes Bauen auch KfW-Programme mit einem Volumen von weit über Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): 1 Milliarde Euro aufgelegt, um Barrierefreiheit finanziell Vielen Dank, Frau Präsidentin . Vielen Dank, Herr zu unterstützen . Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . – Herr Wir haben barrierefreie Innenstädte . Für die Städte- Kollege Schummer, Sie waren gestern Abend, wie ich se- bauförderung werden jedes Jahr 700 Millionen Euro hen konnte – Sie saßen zwei Reihen vor mir –, beim Jah- mobilisiert . Wir haben das Konjunkturprogramm für resempfang der Bundesbeauftragten für die Belange be- Kommunen mit 3,5 Milliarden Euro aufgelegt, mit denen hinderter Menschen, Frau Bentele . Dort haben Sie auch Barrierefreiheit finanziert werden kann. die Rede von Ulrike Mascher gehört . Ulrike Mascher ist Sprecherratsvorsitzende des Deutschen Behindertenrates Wichtig ist aber, dass wir auch die Kompetenzen in und Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland . Bezug auf die Barrierefreiheit stärken . Wir haben – auch Sie hat sieben Punkte genannt, in denen der VdK und der das ist wichtig – eine Berichterstattung über die Bun- Behindertenrat mit dem Behindertengleichstellungsge- deseinrichtungen zur Barrierefreiheit auch in der Kom- setz überhaupt nicht einverstanden sind . munikation miteinander vereinbart und entsprechende Zielvereinbarungen getroffen . Dies werden wir auch von ( [SPD]: Es ging um ein anderes den Privaten erwarten und fordern, wenn der Bund seine Gesetz! – Andrea Nahles, Bundesministerin: Hausaufgaben erledigt hat . Es ging um ein anderes Gesetz!) Es hat sich gezeigt, dass Zielvereinbarungen wirken . (B) – Nein, es ging um die Inhalte . Ich habe Medienanstalten des öffentlich-rechtlichen (D) Ich zitiere jetzt wörtlich, Frau Kollegin Griese, damit Rundfunks angeschrieben, mit denen 2011eine Zielver- Sie nicht fälschlicherweise behaupten, es gehe um etwas einbarung mit den Behindertenverbänden zur kommuni- anderes: kativen Barrierefreiheit getroffen worden ist . Mir wurde mitgeteilt, dass aufgrund dieser Zielvereinbarung mittler- Es ist zwar richtig, dass der Bund seine eigenen In- weile bei der ARD 95 Prozent und beim ZDF 71 Prozent stitutionen und die Sozialleistungsträger zur Barri- der Sendungen entsprechend untertitelt sind und dass es erefreiheit verpflichtet, aber die Menschen nutzen auch eine akustische Bildbeschreibung gibt, und zwar je- nun einmal im Alltag private Geschäfte, Gaststätten, weils bei 42 bzw . 44 Prozent der Sendungen . Kinos und Arztpraxen viel häufiger als Bundesmi- Aber es ist ein Fehler – deshalb habe ich heute das nisterien und -behörden . Bundestagspräsidium angeschrieben –, dass das Bun- Ich glaube, Frau Mascher hat recht . Die meisten Men- destagsfernsehen nicht barrierefrei sendet . Wir brauchen schen gehen im Alltag viel häufiger in Restaurants oder eine generelle Regelung, die vorsieht, dass auch Debat- zur Arbeitsstätte statt zur Rentenversicherung, zur Agen- ten nach der Kernzeit um 13 Uhr barrierefrei zu über- tur für Arbeit etc . etc . Verbesserungen auf Behörden­ tragen sind . Das erwarte ich vom Deutschen Bundestag . ebene können ein Anfang sein . Sie tun aber so, als ob das Nichts ist überzeugender als das gute Beispiel . die Lösung wäre . Das ist es aber nicht . Deswegen fordern (Beifall im ganzen Hause) wir Sie auf: Tun Sie etwas für alle 7,5 Millionen Men- schen mit schweren Behinderungen mit Blick auf ihren Wir müssen eine Bundesfachstelle für Barrierefreiheit Alltag und nicht nur mit Blick auf die Bundesbehörden! einrichten, damit sich Kommunen und Private informie- ren können, wenn sie ihre Zuwege barrierefrei ausbauen Danke schön . wollen . Diese Kompetenzstelle, die wir nun schaffen, (Beifall bei der LINKEN) wird es ermöglichen, europäische Konzepte und Modelle zu transportieren, aufgrund derer wir unsere Kommunen und Privatunternehmen beraten können . Wir wollen mit Uwe Schummer (CDU/CSU): einem weiteren Gesetz die Schwerbehindertenvertretun- Ich möchte zum Kern Ihrer Frage zurückkehren . Ich gen im innerbetrieblichen und privaten Raum stärken . habe natürlich die Rede und die sieben Punkte sehr auf- Sie sollen mehr Zeit und Freistellungen bekommen, da- merksam verfolgt . Diese sieben Punkte betrafen erstens mit sie die Barrierefreiheit in Unternehmen organisieren die Inklusion und zweitens das Bundesteilhabegesetz . können . Die arbeitsteilige Organisation der Unternehmen Das Bundesteilhabegesetz werden wir im zweiten Halb- ist ein weiterer Aspekt, den wir vorantreiben werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16753

Uwe Schummer (A) Angesichts der Tatsache, dass 80 000 Menschen auf einem kleinen Bereich, also während der Hauptdebatten- (C) Gebärdensprache angewiesen sind und dass es nur rund zeiten, teilhaben lassen . 700 Gebärdendolmetscher gibt, brauchen wir die Zusam- menarbeit mit den Ländern . Beispielsweise muss Gebär- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) densprache als freiwilliges Wahlfach an Schulen, Hoch- Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die schulen und Volkshochschulen angeboten werden, damit Grünen ist die Kollegin Corinna Rüffer . das Interesse an dieser Grundsprache zunimmt . Aber nicht nur an den Schulen, sondern auch in den Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Betrieben müssen wir Kompetenzstellen schaffen . Wir Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- wollen zudem komplizierte Bescheide der Bundesbehör- nen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Schummer, Sie sa- den in leichter Sprache erläutern . Das ist ein wichtiger gen immer so viele richtige und wichtige Sachen . Ansatz, und zwar nicht nur für lernbehinderte Menschen und Menschen mit seelischer und psychischer Beein- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) trächtigung . Vielmehr geht es in der Perspektive darum, Aber ich frage mich, warum Sie es nicht tun . Sie haben die Behörden so kompetent zu machen, dass sie für alle hier im Bundestag rund 80 Prozent der Mandate hinter Bürger, die eine Anfrage haben, da sein können . Wir dür- sich . Dann machen Sie doch etwas, damit wir sehen, dass fen nicht vergessen, dass es in Deutschland auch 7,5 Mil- Sie nicht nur Sonntagsreden halten, sondern Ihren Wor- lionen strukturelle Analphabeten gibt, die jahrzehntelan- ten auch Taten folgen lassen . ge nicht gelesen haben und für die Bescheide in leichter Sprache hilfreich sind . Aber die entsprechende Kompe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tenz muss erst aufgebaut werden . und bei der LINKEN) Ich selber bin Landesvorsitzender der Lebenshilfe in Seit einer Woche protestieren Menschen mit Behinde- Nordrhein-Westfalen . Wir erhalten regelmäßig Anfra- rung zu Tausenden überall in Berlin: vor dem Kanzler- gen, ob wir mit unserem Potenzial die leichte Sprache amt, vor dem Brandenburger Tor, vor dem Ministerium auf Kreisebene und kommunaler Ebene stärker unterstüt- für Arbeit und Soziales sowie vor den Parteizentralen der zen können . Wir haben aber die entsprechenden Kom- Union und der SPD . petenzzentren nicht . Wir müssen sie erst schaffen . Wenn wir sie aufgebaut haben, dann muss der nächste Schritt Seit gestern verharren ganz viele Menschen teilwei- sein, die entsprechenden Kompetenzen verstärkt in den se angekettet draußen vor den Grundgesetztafeln am privaten und den wirtschaftlichen Raum zu transportie- Reichstagsufer . Dazu kann man sagen, dass dieser Ort nicht zufällig ausgewählt wurde; vielmehr hat dieser Ort (B) ren . Aber wir müssen die Kompetenzen mit der heutigen (D) Verabschiedung des Gesetzentwurfs erst aufbauen, um Symbolkraft . Vor 22 Jahren wurde der Satz „Niemand den nächsten Schritt gehen zu können . darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden “. in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen . Die Auf- Das Merkzeichen für Taubblinde, das endlich zwi- nahme des Benachteiligungsverbotes musste damals hart schen Bund und Ländern vereinbart wurde, ist ebenfalls erstritten werden und gilt bis heute als größter Erfolg der ein wichtiger Punkt, den wir nun umsetzen werden . deutschen Behindertenbewegung . Das war wirklich ein großer Erfolg . Wir setzen Anreize durch Gelder und eine verbesserte Kompetenz in der Barrierefreiheit . Wer das alles ablehnt, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) lehnt Verbesserungen für die betroffenen Menschen ab . Deshalb plädiere ich dafür, diesen Verbesserungen zuzu- Gestern hörte ich von Sigmar Gabriel beim Jahres- stimmen und den nächsten Schritt zu gehen . empfang von Verena Bentele folgende Worte . Sinngemäß sagte er zu Menschen mit Behinderung: Willkommen in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Realität . Ihr seid jetzt genauso im Verteilungskampf der SPD) wie alle anderen . – Herzlichen Glückwunsch, wenn das als Erfolg bezeichnet wird . Herr Gabriel macht eines Bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonventi- deutlich: Er macht deutlich, dass er leider keine Ahnung on kann man nicht einfach einen Kippschalter umlegen, vom Thema hat; denn Menschen mit Behinderung haben und dann ist alles schön . Vielmehr handelt es sich um noch nie irgendetwas in diesem Land geschenkt bekom- einen Prozess, der zwar Jahre dauert, aber in die richtige men, sondern sie haben sich alle Rechte, die sie heute Richtung geht . haben, hart erstritten, in harten Auseinandersetzungen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) errungen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Ulla Schmidt: und bei der LINKEN) Vielen Dank .– Herr Kollege Schummer, das Präsidi- Das hat sich leider auch nach der Ratifizierung der um des Bundestages hat selbstverständlich entschieden, UN-Behindertenrechtskonvention – 2009 war das; seit- dass wir generell barrierefrei werden . Wir haben schon dem ist das auch geltendes Recht in Deutschland – über- begonnen . Aber bei dem, was Sie angesprochen haben, haupt nicht verändert . Das BGG, das Sie, die Große Ko- gibt es nach den europäischen Richtlinien ein großes alition, heute verabschieden wollen, Ausschreibungsverfahren . So lange wollten wir aber nicht warten . Wir wollten die Menschen zumindest in (Volker Kauder [CDU/CSU]: Werden!) 16754 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Corinna Rüffer (A) gilt unter Menschen mit Behinderung als Lackmustest das hierzulande nicht möglich sein, was in den USA oder (C) für ein noch größeres und vielleicht wichtigeres Vorha- in Österreich schon lange gang und gäbe ist? ben, nämlich das Bundesteilhabegesetz . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Versprechen steht nach wie vor im Raum, dass die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sogenannte Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem Das ist in den USA seit 1973 der Fall . Wenn man mit herausgelöst und in ein echtes, modernes Teilhaberecht Leuten aus den USA spricht, dann lachen die sich tot . Wir transformiert werden soll . Der Referentenentwurf liegt sind so rückständig, Jahrzehnte hinterher . mittlerweile vor, aber wir vermuten leider alle nichts Gu- tes. Wir werden in den nächsten Monaten noch häufiger Dabei haben wir doch alle ein Interesse daran, dass darauf zu sprechen kommen . die Infrastruktur das Leben erleichtert für Alte, Gehör- lose, Kinderwagen Schiebende, Rolli Fahrende, schwere (Dr . Martin Rosemann [SPD]: Sie haben ihn Tüten Schleppende, Liebhaber leichter Sprache, Fahrrad nicht verstanden!) Fahrende und auch Blinde .

Als das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Men- In einer Gesellschaft, in der die Menschen immer älter schen im Jahr 2002 geschaffen wurde, setzte es Maßstäbe werden, wird das natürlich auch immer wichtiger . Wir, bei der Umsetzung des Benachteiligungsverbots im öf- die Linke und auch wir Grüne, machen einen realistischen fentlich-rechtlichen Bereich . Viele Gebäude staatlicher Vorschlag, wie man zukünftig auch private Anbieter zu Einrichtungen sind in den letzten Jahren barrierefrei mehr Barrierefreiheit verpflichten kann. Barrierefreiheit gebaut oder umgebaut worden . Die Bundesministerien würde sehr vielen Menschen mehr Teilhabe ermöglichen, und Behörden bemühen sich auch um Barrierefreiheit ih- und zugleich – auch das sollte man sagen – wollen wir rer Internetseiten . Das gilt auch für die Internetseite des natürlich auch kleine und mittlere Unternehmen nicht un- Bundestages . Die deutsche Gebärdensprache wird nach ter Druck setzen; aber das ist auch problemlos möglich . ihrer staatlichen Anerkennung endlich zunehmend als selbstverständliche Form der Kommunikation wahrge- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: nommen . Ich wollte das noch einmal deutlich machen . Frau Kollegin Rüffer, denken Sie an die Zeit .

Aber wir haben jetzt 14 Jahre später . Sie hätten jetzt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Möglichkeit, einen neuen Meilenstein zu setzen, und Corinna Rüffer Sie müssten das auch tun . Stattdessen legen Sie ein Ge- Ich komme zum Schluss . setz vor, das absolut mutlos ist und von den Fachverbän- Bitte geben Sie sich alle zusammen einen Ruck, und (B) den – ich wiederhole das – wie folgt beurteilt wird . Sie machen Sie diesen Tag zu einem historischen für sehr (D) stellen fest – ich zitiere –: viele Menschen . Überraschen Sie uns . Das wäre eine gute Nachricht . … dass durch den Einbau vieler Finanzierungsvor- behalte und unbestimmter Rechtsbegriffe, Soll-Vor- Vielen Dank . schriften und Einschränkungen das Gesetz eher eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Absichtserklärung geworden ist als ein Gesetz, das sowie bei Abgeordneten der LINKEN) aus Sicht der Menschen mit Behinderung konkrete Ansprüche samt Rechtsfolgen schafft . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das ist peinlich . Daran ändern übrigens auch die Klei- Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Tack, nigkeiten nichts, die Sie uns seit unserem letzten Zusam- SPD-Fraktion . mentreffen hier vorgelegt haben . Schon die Mutlosigkeit im Bereich der öffentlichen Gewalt ist ziemlich ärger- (Beifall bei der SPD) lich, muss man sagen . Aber das größere Ärgernis, das Hauptärgernis, der Elefant im Raum, der dicke Hund, Kerstin Tack (SPD): besteht weiterhin darin, dass Sie sich scheuen, die Privat- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und wirtschaft in die Pflicht zu nehmen. Barrierefreiheit ist Herren! Ich finde, heute ist ein guter Tag für die Men- doch tatsächlich kein Thema, das ernsthaft auf Einrich- schen mit Behinderung, die genau von dem profitieren, tungen des Bundes beschränkt werden darf . was wir heute für den Bereich des öffentlichen Rechts, also den Bereich in Zuständigkeit der Bundesbehörden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Landesbehörden, die Bundesgesetz umsetzen, und bei der LINKEN) verabschieden . Die Leute verbringen eben nicht den größten Teil ihres (Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜND- Lebens auf den Homepages irgendeines Bundesministe- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal etwas riums oder der Bundesagentur für Arbeit; sie wollen wie zu Herrn Gabriel!) jeder andere auch ganz normale Dinge tun, die man halt Mitnichten ist das etwas für 10 Prozent der Menschen so macht: von A nach B gelangen, ohne immer wieder vor mit Behinderung . kaputten Aufzügen in irgendwelchen U- oder S-Bahnhö- fen zu stehen, sie wollen online shoppen gehen, danach (Katrin Werner [DIE LINKE]: Das habe ich wollen sie ins Kino oder was auch immer . Warum sollte nicht gesagt!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16755

Kerstin Tack (A) Ich weiß nicht, auf welches schmale Brett Sie da gekom- Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (C) men sind . Ein Blick ins Gesetz würde Ihnen zeigen, dass stärken können; denn wir finden das richtig und wichtig. wir die angemessenen Vorkehrungen neu in das Behin- dertengleichstellungsgesetz aufgenommen haben und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten damit die UN-Behindertenrechtskonvention in deutsches der CDU/CSU) Recht umsetzen . Schlussendlich werden wir auch mit der Frage der (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Förderung der Partizipation für die Selbsthilfeorganisa- Abg . Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]) tion – – Natürlich trifft das für den Bereich zu, für den dieses Ge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Leichte Spra- setz gilt: für die Bundesbehörden und für die Landesbe- che! „Partizipation“?) hörden, die Bundesgesetz umsetzen . Das ist auch selbst- verständlich . – „Partizipation“ ist leichte Sprache . „Partizipation“ ist auch in Kreisen der leichten Sprache durchaus nachvoll- (Katrin Werner [DIE LINKE]: Wo halten sich ziehbar . die Menschen denn am meisten auf?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Jetzt legen Sie hier einen Antrag vor, in dem gefor- Kauder [CDU/CSU]: Nein! – Matthias W . dert wird: Jetzt, wo wir es mit diesem Gesetzesvorhaben Birkwald [DIE LINKE]: „Beteiligung“ ist zu tun haben, sollen auch in anderen Gesetzen Neurege- noch leichter als „Partizipation“!) lungen getroffen werden . – Wir möchten das Behinder- tengleichstellungsgesetz verändern, und zwar deutlich – Genau . Die Beteiligung auch an politischen Prozessen vorteilhaft . wird für ganz viele ein echter Fortschritt sein, weil sie endlich auch finanziell unterstützt werden, auch in der Das, was wir in diesen Gesetzentwurf hineingeschrie- Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen . ben haben, ist ein echter Fortschritt . Dass beispielsweise Erläuterungen von Bescheiden endlich in leichter Spra- Zu den Privaten will ich sagen – auch die SPD und die che verfasst werden und entsprechend zugänglich sind, Ministerin haben es gesagt –: Natürlich wollen wir nicht ist ein Riesenschritt . nur Appelle an die Privaten richten, sie mögen sich doch bitte schön endlich barrierefreier aufstellen . Natürlich ist (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe das nicht unsere Position, und natürlich sind wir der Mei- Schummer [CDU/CSU]) nung, dass man nach sehr langer Zeit der Vorstellungen, der Eigenverpflichtungen auch stärkere Klarheiten brin- Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, warum man sa- (B) gen muss . Deswegen – das haben wir auch in jeder un- (D) gen kann: Wir lehnen einen Gesetzentwurf ab, in dem serer Stellungnahmen immer wieder gesagt – halten wir steht, dass leichte Sprache für alle zugänglich wird .– Ich das Instrument des AGGs, in das das soll – das ist ja auch weiß nicht, warum man das ablehnt . Ich weiß auch nicht, Forderung des Antrags, der heute vorliegt –, für hilfreich warum man sagt: Angemessene Vorkehrungen finden wir und finden es wichtig, dies im Rahmen der Novellierung blöd; das lehnen wir ab . des AGGs mit in den Mittelpunkt zu stellen . (Widerspruch des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]) (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann beantragen Sie das doch!) – Nein, ihr lehnt das nicht ab, aber die anderen . Ihr sagt: Wir haben dazu gar keine Meinung . Wir enthalten uns .– Aber wir sind heute nicht beim AGG . Das AGG ist in Das ist ja auch eine tolle Meinung . der Evaluation . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: „Evaluation“ ist CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ keine leichte Sprache! – Matthias W . Birkwald DIE GRÜNEN]: Sagen Sie etwas zu Herrn [DIE LINKE]: Was heißt denn „AGG“?) Gabriel!) Wir werden im Sommer dazu die Evaluationsergebnis- Mit der ebenfalls neu eingeführten Schlichtungsstelle se haben, und dann beginnt der Prozess . Dort gehört das schaffen wir es, dass diejenigen, die sich benachteiligt hinein . und diskriminiert fühlen, nicht sofort den Gang zum Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) richt antreten müssen, was ja für viele eine echte Hürde ist . Vielmehr bauen wir Barrieren ab, indem wir sagen: Ich will sehr deutlich sagen: Wir haben schon die Er- Die Schlichtungsstelle ist ein echter Gewinn für jeden, wartungshaltung, dass wir im Zusammenhang mit die- der der Meinung ist, dass er in den Bundesbehörden noch sem Gesetz auch mit dem Koalitionspartner über genau stärkere Unterstützung braucht und dass er seine ver- diese Frage reden können . Denn wir glauben, dass wir brieften Rechte nicht hat durchsetzen können . über einen Zeitplan reden müssen, wann wir auch in der (Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig! Haupt- Wirtschaft über Barrierefreiheit verfügen . Da brauchen gewinn!) wir in Deutschland, denke ich, dringend eine Regelung, die das auch vorsieht . Da sind wir gern dabei, wenn wir Das ist gut so, und das ist richtig so . Wir freuen uns, über das Gesetz reden, in das wir das gern hineinverhan- dass wir damit auch die Funktion der Beauftragten der deln möchten . 16756 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Kerstin Tack (A) Herzlichen Dank . ebenerdig in ein Gebäude komme, es bedeutet auch, dass (C) sich sehbehinderte, gehörlose, geistig und seelisch be- (Beifall bei der SPD – Unruhe) hinderte Menschen sämtliche Anlagen, Verkehrsmittel, Medien ohne fremde Hilfe erschließen können . Das Ideal Vizepräsidentin Ulla Schmidt: der Barrierefreiheit ist ausgesprochen weitreichend . Vielen Dank .– Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin Kerstin Tack hat ja eine sehr kräftige Stimme . So ist es denn auch kein Wunder, dass es in Bayern Aber denken Sie alle einmal daran, wie es ist, wenn Sie gerade einmal zwei Arztpraxen gibt, die als barrierefrei der letzte Redner oder die letzte Rednerin vor einer na- gelten . Das kann man kaum glauben, aber es stimmt . mentlichen Abstimmung sind: Alle müssen sich bewe- Denn in einer völlig barrierefreien Arztpraxis würden gen, weil sie ihre Stimmkarten holen müssen . Dann wird schon die Arzthelferinnen und nicht nur der Arzt die es im Saal halt etwas laut . Bitte versuchen Sie, das so ge- leichte Sprache beherrschen, da würde die Klingel an der räuschlos wie möglich zu machen, sodass auch die Kolle- Eingangstür sprechen können, es würde auf die Befind- gin Dr .Astrid Freudenstein von der CDU/CSU-Fraktion lichkeit psychisch Behinderter schon bei der Begrüßung jetzt noch Ihre volle Aufmerksamkeit genießen kann . Rücksicht genommen werden, es würde die Umgebung in kontrastreichen Farben gestaltet sein, und es würde Danke schön . Hebevorrichtungen geben, damit der körperlich Behin- (Beifall bei der CDU/CSU) derte auf die Liege kommt und wieder zurück . Das wäre barrierefrei . Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin, für den freundlichen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Appell .– Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wissen Frau Kollegin Freudenstein, gestatten Sie eine Zwi- Sie, Frau Rüffer, Frau Werner, hier beharrlich so zu tun, schenfrage des Kollegen Kurth? als würde sich der Deutsche Bundestag aufteilen in jene, die etwas für Menschen mit Behinderung tun wollen, und jene, die nichts für Menschen mit Behinderung tun wol- Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): len, ist nicht in Ordnung . Ja, bitte . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das hat keiner gesagt! Zu wenig! – Corinna Rüffer Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann bewei- Danke, Frau Präsidentin, und vor allem Frau (B) sen Sie das doch!) Freudenstein, dass Sie die Zwischenfrage zulassen .– Sie (D) haben gerade eindrucksvoll geschildert, dass in Bayern Wir alle, die wir hier sitzen, haben ein gemeinsames nur zwei Arztpraxen barrierefrei sind . In anderen Bun- Ziel, desländern dürfte das nicht besser sein . Da frage ich (Unruhe) mich allerdings: Warum stimmen Sie dann unseren Än- derungsanträgen nicht zu? nämlich, dass unsere Gesellschaft barrierefreier und ir- gendwann vielleicht barrierefrei wird . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Glocke der Präsidentin) Vor allen Dingen: Inwiefern ist Ihres Erachtens die Si- – Oh, das wirkt aber klasse . tuation hier denn anders als in den USA? In den USA ist (Heiterkeit) es seit den 70er-Jahren für die Privatwirtschaft verbind- lich, angemessene Vorkehrungen für Zugänglichkeit und – Eine Barriere für mich tatsächlich weniger, wenn es Barrierefreiheit zu schaffen . Dort ist die Wirtschaft nicht hier ruhiger ist . zugrunde gegangen; im Gegenteil .

Die Weiterentwicklung des Behindertengleichstel- Wissen Sie, warum in den USA Barrierefreiheit und lungsrechts, die wir heute verabschieden werden, ist ein Zugänglichkeit so wichtig sind? Weil in den USA argu- guter, ein großer und ein wichtiger Schritt vorwärts – das mentiert wird: Auch für Menschen mit Beeinträchtigun- haben auch meine Vorrednerinnen und Vorredner schon gen muss der Marktzugang, der Zugang zu allen Rechts- beschrieben –, weil wir als Bund mit gutem Beispiel vo- geschäften, zu allen öffentlichen Geschäften, möglich rangehen . Das hat auch die Anhörung so gezeigt . sein .– Das ist die Argumentation in den USA, und dort Wir wissen auch, dass viele Fachverbände noch nicht wird die Wirtschaft nicht überfordert . ganz zufrieden sind . Die Forderungen, die manche von ihnen aufstellen, sind Barrierefreiheit für alle, Barriere- Ich frage Sie gerade angesichts dieses drastischen freiheit sofort und Barrierefreiheit für jeden . Wenn sie Beispiels aus der Gesundheitswirtschaft, die nicht bar- dazu eine Umfrage starten würden, dann hätten sie ver- rierefrei ist: Warum nutzen Sie gleich mutmaßlich nicht mutlich eine Zustimmung von 90 Prozent . die Gelegenheit, hier an einer Stelle den Knoten durchzu- schlagen und unseren Anträgen zuzustimmen? Ich sage Ihnen aber auch, dass vermutlich 90 Pro- zent nicht genau wüssten, was Barrierefreiheit so richtig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bedeutet . Es bedeutet nämlich eben nicht nur, dass ich sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16757

(A) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): KE]: Bei dem Tempo brauchen Sie aber noch (C) Herr Kollege Kurth, vielen Dank für Ihre Frage .– Sie 100 Jahre!) haben ein bisschen Pech . Ich kenne die USA auch ganz Der Bund wird mit gutem Beispiel vorangehen . Er gut . wird zeigen, wie es geht . Wir werden so nach und nach Wenn Sie meinen, dass die Barrierefreiheit in den die überzeugen, die nicht verpflichtet sind. USA daher rührt, dass es dort schon früh ein Bewusstsein Ich weiß, dass es auch Kritiker auf den Plan ruft . Vom für Inklusion gegeben hat, das es so bei uns nicht gibt, Forum behinderter Juristinnen und Juristen heißt es zum muss ich Ihnen sagen: Das ist nicht der Fall . Beispiel – ich zitiere wörtlich –: (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- …immer treffen sie NEN]: Wissenschaftlich nachgewiesen!) – gemeint sind behinderte Menschen – Die Barrierefreiheit in den USA rührt maßgeblich daher, dass man sich dort sehr stark um Kriegsveteranen küm- auf Barrieren, die von den Eigentümern oder Be- mert, und zwar seit Jahrzehnten, und sie ausgesprochen treibern der Einrichtungen geschaffen wurden, für fürsorglich behandelt – aus einer gewissen Verehrung die sie häufig aber rechtlich nicht verantwortlich ge- von Militär und Kriegern in den USA heraus . macht werden können . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Juristen mag man diese Formulierung verzeihen . Ich sage Ihnen aber auch, dass eine solche Argumentation Ich weiß nicht, ob das für die Herangehensweise ganz eine sachliche Diskussion schwierig macht . Sie glauben grundsätzlich ist, aber es gibt in den USA keine mittelal- doch nicht wirklich, dass irgendwo in Deutschland Men- terlichen Städte, und es war schon immer genug Platz da . schen sitzen, die nichts anderes im Kopf haben, als vor Ich kann Ihnen eines sagen: Bauliche Barrierefreiheit Cafés und Friseurläden Barrieren aufzubauen oder sich den lieben langen Tag zu überlegen, wie sie Menschen (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- mit Behinderungen drangsalieren . Das Gegenteil ist der NIS 90/DIE GRÜNEN]: Angemessene!) Fall . führt zumindest in den USA nicht dazu, dass auch die Wenn ein Metzger sein Geschäft so umbaut, dass man Inklusion in den Köpfen weitergeht . In den USA sind ebenerdig hineinkommt, aber die Tür sich immer noch deutlich mehr Menschen mit Behinderung erwerbslos als nicht automatisch öffnet, dann ist das trotzdem ein Fort- in Deutschland . schritt . Wenn im Museum eine Führung in leichter Spra- Es ist zweitens so, dass die USA zumindest beweisen, che angeboten wird, dann ist das ein Fortschritt, auch (B) dass man die UN-Behindertenrechtskonvention, die man wenn das Museum in einem mittelalterlichen Gebäude (D) hier für alles und jedes um die Ohren gehauen bekommt, ist und ein Gehbehinderter sich schwertut . nicht braucht, um die Inklusion voranzutreiben . Die USA (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- haben die UN-Behindertenrechtskonvention bis heute ordneten der SPD) nicht ratifiziert. – Danke schön. Ich meine, dass wir dahin kommen müssen, die Fort- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schritte zu sehen und anzuerkennen, dass die Menschen neten der SPD – Dr .W olfgang Strengmann- sich durchaus bemühen, statt beharrlich die Defizite zu Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist betonen . doch alles kein Argument!) Ich lehne eine Verpflichtung zur Barrierefreiheit für die Behinderung ist nicht gleich Behinderung . Das macht Privatwirtschaft ausdrücklich ab, weil sie nicht greifbar das Thema der Barrierefreiheit so schwierig . Wo ein ist, nicht machbar ist, eben nicht realitätsnah ist . Ich will Rollstuhlfahrer vielleicht einen leichten Zugang hat, tut auch keine Strafen und keine rechtliche Verantwortung sich ein Sehbehinderter schwer . Wo ein Gehörloser ganz für den Bäcker, der seinen Laden in der Altstadt betreibt, gut zurechtkommt, ist es vielleicht für einen psychisch obwohl der Zugang zum Gebäude nicht barrierefrei ist, Behinderten mühsam . Die Barrierefreiheit, so wie sie in (Unruhe – Glocke der Präsidentin) Fachkreisen definiert wird, ist fast schon ein Ideal, das wohl kaum in greifbarer Nähe ist . und ich sehe auch keinen Anlass, einen Hauseigentümer zu belangen, weil er seine Klingelanlage nicht mit einem Aus dieser Einsicht kann man zwei Schlüsse ziehen . Sprachmodus ausgestattet hat . Entweder beklagt man den miserablen Zustand in un- serem Land, geißelt sich selbst und beklagt beharrlich, (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft allgemein untä- NEN]: Das ist doch gar nicht der Punkt!) tig und offenbar nicht willens sind, etwas für Menschen Ich glaube, dass wir heute einen großen Schritt voran- mit Behinderungen zu tun, oder man nähert sich, wie es gehen . Ich glaube, dass dieses Gesetz vielen Menschen von der Frau Ministerin schon beschrieben wurde, die- helfen wird . Deswegen ist es, glaube ich, ein gutes Ge- sem Ideal Schritt für Schritt an . Das tun wir heute mit setz, dem wir zustimmen sollten . der Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungs- gesetzes . Ich danke Ihnen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD – Katrin Werner [DIE LIN- ordneten der SPD) 16758 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- (C) Vielen Dank .– Wir sind damit am Ende der Ausspra- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- che . nen . Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentli- chen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung . Ich rufe jetzt die Abstimmungen zu Tagesordnungs- punkt 6 a auf . Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt eine (Unterbrechung von 14 .55 bis 15 .01 Uhr) ganze Reihe persönlicher Erklärungen nach § 31 unserer 1) Geschäftsordnung vor . Vizepräsidentin : Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet . desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Wei- terentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts . Bevor ich jetzt das von den Schriftführerinnen und Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Abstimmung bekannt gebe, mache ich Sie darauf auf- che 18/8428, den Gesetzentwurf der Bundesregierung merksam, dass wir vor der nächsten namentlichen Ab- auf Drucksache 18/7824 in der Ausschussfassung anzu- stimmung über den Gesetzentwurf abstimmen . Nach nehmen . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion ständiger Übung tun wir das zumindest bei der dritten Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8432 vor, Lesung, indem wir uns entsprechend unserem Votum über den wir zuerst abstimmen . erheben. Bei der derzeitigen Anordnung hier bezweifle ich, dass das Präsidium nachher das Abstimmungsver- Wir stimmen nun über den Änderungsantrag auf Ver- halten zum Gesetzentwurf zweifelsfrei feststellen kann . langen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich Ich bitte Sie also, sich in die Reihen Ihrer Fraktionen zu ab . Eine weitere namentliche Abstimmung folgt dann begeben . – Ich bitte die Fraktionen, diese Botschaft zu einige Minuten später nach einer kurzen Unterbrechung übermitteln . Wir werden über den Gesetzentwurf nur und dann zwei einfache Abstimmungen . Ich bitte jetzt dann abstimmen können, wenn das Präsidium das Ergeb- die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze ein- nis der Abstimmung über den Gesetzentwurf in dritter zunehmen .– Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das Lesung zweifelsfrei feststellen kann . ist der Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung über den Änderungsantrag . In der Zwischenzeit gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine nis der ersten namentlichen Abstimmung bekannt: ab- Stimmkarte noch nicht abgeben hat? – Dann bitte ich, die gegebene Stimmen 573 . Mit Ja haben 121 Kolleginnen Stimmkarte schnell abzugeben . und Kollegen gestimmt, mit Nein stimmten 451 Kolle- (B) ginnen und Kollegen, und 1 Kollege oder 1 Kollegin hat (D) 1) Anlagen 2 bis 4 sich enthalten . Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt .

Endgültiges Ergebnis Annette Groth Dr . Alexander S . Neu BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Abgegebene Stimmen: 573; Dr . André Hahn davon Heike Hänsel Petra Pau Luise Amtsberg ja: 121 Dr . Harald Petzold (Havelland) Kerstin Andreae nein: 451 Inge Höger Richard Pitterle Annalena Baerbock enthalten: 1 Marieluise Beck (Bremen) Sigrid Hupach Dr . Petra Sitte (Köln) Ja Susanna Karawanskij Dr . Kirsten Tackmann Ekin Deligöz DIE LINKE Katja Dörner Azize Tank Jan Korte Katharina Dröge Jan van Aken Frank Tempel Dr . Harald Ebner Dr . Axel Troost Herbert Behrens Katrin Kunert Dr . Thomas Gambke Caren Lay Matthias Gastel Matthias W . Birkwald Sabine Leidig Kai Gehring Halina Wawzyniak Ralph Lenkert Katrin Göring-Eckardt Christine Buchholz Anja Hajduk Eva Bulling-Schröter Katrin Werner Britta Haßelmann Roland Claus Dr . Gesine Lötzsch Birgit Wöllert Dr . Anton Hofreiter Sevim Dağdelen Jörn Wunderlich Bärbel Höhn Dr . Diether Dehm Birgit Menz Hubertus Zdebel Dieter Janecek Cornelia Möhring Uwe Kekeritz Wolfgang Gehrcke Sabine Zimmermann Katja Keul Norbert Müller (Potsdam) (Zwickau) Sven-Christian Kindler Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16759

(A) Maria Klein-Schmeink Dr . Dr . Dr . Roy Kühne (C) Tom Koenigs Ute Bertram Fritz Güntzler Günter Lach Sylvia Kotting-Uhl Uwe Lagosky Dr . Karl A . Lamers Stephan Kühn (Dresden) Florian Hahn Dr . Norbert Lammert Christian Kühn (Tübingen) Dr . Renate Künast Dr . Maria Böhmer Jürgen Hardt Ulrich Lange Markus Kurth Norbert Brackmann Barbara Lanzinger Monika Lazar Klaus Brähmig Dr . Michael Brand Dr . Stefan Heck Paul Lehrieder Dr . Dr . Dr . Dr . Peter Meiwald Dr . Dr . Dr . Beate Müller-Gemmeke Frank Heinrich (Chemnitz) Dr . Ursula von der Leyen Özcan Mutlu Mark Helfrich Dr . Konstantin von Notz Cajus Caesar Uda Heller Omid Nouripour Jörg Hellmuth Matthias Lietz Friedrich Ostendorff Alexandra Dinges-Dierig Andrea Lindholz Cem Özdemir Alexander Dobrindt Dr . Michael Donth Brigitte Pothmer Thomas Dörflinger Dr . Wilfried Lorenz Tabea Rößner Marie-Luise Dött Dr . Claudia Lücking-Michel Claudia Roth (Augsburg) Hansjörg Durz Alexander Hoffmann Dr . Jan-Marco Luczak Corinna Rüffer Iris Eberl Jutta Eckenbach (Dortmund) Elisabeth Scharfenberg Dr . Karl Holmeier Thomas Mahlberg Ulle Schauws Hermann Färber Franz-Josef Holzenkamp Dr . Thomas de Maizière Dr . Dr . (B) Dr . Frithjof Schmidt Dr . Thomas Feist Margaret Horb Matern von Marschall (D) Kordula Schulz-Asche Anette Hübinger Hans-Georg von der Marwitz Dr . Wolfgang Strengmann- Ingrid Fischbach Kuhn Axel E . Fischer Thomas Jarzombek Stephan Mayer (Altötting) Hans-Christian Ströbele (Karlsruhe-Land) Sylvia Jörrißen Reiner Meier Dr . Harald Terpe Klaus-Peter Flosbach Dr . Dr . Markus Tressel Thorsten Frei Jürgen Trittin Dr . Astrid Freudenstein Dr . Dr . Hans-Peter Friedrich Dr . Egon Jüttner Dr . h .c . Hans Michelbach Doris Wagner (Hof) Bartholomäus Kalb Dr . Beate Walter-Rosenheimer Hans-Werner Kammer Dr . Valerie Wilms Dr . Michael Fuchs Steffen Kampeter Karsten Möring Hans-Joachim Fuchtel Steffen Kanitz Nein Ingo Gädechens Volker Mosblech Dr . CDU/CSU Bernhard Kaster Dr . Gerd Müller Volker Kauder Carsten Müller Dr . Stefan Kaufmann (Braunschweig) Josef Göppel Dr . Stefan Müller (Erlangen) Dorothee Bär Ursula Groden-Kranich Dr . Thomas Bareiß Hermann Gröhe Jürgen Klimke Dr . Andreas Nick Klaus-Dieter Gröhler Günter Baumann Michael Grosse-Brömer Helmut Nowak Astrid Grotelüschen Dr . Georg Nüßlein (Börde) Markus Grübel Michael Kretschmer Julia Obermeier Manfred Grund Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Florian Oßner Dr . André Berghegger Monika Grütters Dr . 16760 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Henning Otte Gustav Herzog (C) Ingrid Pahlmann Christian Frhr . von Stetten Heike Baehrens Gabriele Hiller-Ohm Ulrike Bahr (Essen) Rita Stockhofe Heinz-Joachim Barchmann Thomas Hitschler Dr . Martin Pätzold Dr . Dr . Eva Högl Ulrich Petzold Matthias Ilgen Dr . Christina Jantz-Herrmann Sibylle Pfeiffer Matthäus Strebl Dr . Matthias Bartke Frank Junge Sören Bartol Lena Strothmann Thomas Jurk Michael Stübgen (Heidelberg) Dr . Sabine Sütterlin-Waack Johannes Kahrs Alois Rainer Dr . Astrid Timmermann-Fechter Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . Hans-Peter Uhl Marco Bülow Dr . Volker Ullrich Marina Kermer Arnold Vaatz Dr . Lars Castellucci Cansel Kiziltepe Dr . Petra Crone Johannes Röring Lars Klingbeil Dr . Norbert Röttgen Michael Vietz Dr . Dr. Bärbel Kofler Erwin Rüddel (Kleinsaara) Dr . Karamba Diaby Daniela Kolbe Sven Volmering Birgit Kömpel Anita Schäfer (Saalstadt) Christel Voßbeck-Kayser Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Dr . Hans-Ulrich Krüger Karl Schiewerling Dr . Johann Wadephul Dr . h .c . Gernot Erler Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Jana Schimke Petra Ernstberger Christian Lange (Backnang) Norbert Schindler Nina Warken Dr . Karin Evers-Meyer Steffen-Claudio Lemme (B) Heiko Schmelzle (Hamburg) Dr . Johannes Fechner (D) Dr . Christian Schmidt (Fürth) Dr . Dr . Ute Finckh-Krämer Gabriele Lösekrug-Möller Gabriele Schmidt (Ühlingen) Peter Weiß (Emmendingen) Christian Flisek Hiltrud Lotze Ronja Schmitt Sabine Weiss (Wesel I) Kirsten Lühmann Patrick Schnieder Dr . Dr . Birgit Malecha-Nissen Dr . Ole Schröder Karl-Georg Wellmann Ulrich Freese Dr . Kristina Schröder (Wiesbaden) Waldemar Westermayer Bernhard Schulte-Drüggelte Martin Gerster Hilde Mattheis Dr . Klaus-Peter Schulze Iris Gleicke Dr . Peter Wichtel Uwe Schummer Angelika Glöckner Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) (Weil am Rhein) Kerstin Griese Bettina Müller Klaus-Peter Willsch Christina Schwarzer Gabriele Groneberg Detlef Müller (Chemnitz) Elisabeth Winkelmeier- Detlef Seif Michael Groß Michelle Müntefering Becker Uli Grötsch Dr . Rolf Mützenich Wolfgang Gunkel Andrea Nahles Dagmar G . Wöhrl Dr . Barbara Woltmann Bernd Siebert Rita Hagl-Kehl Ulli Nissen Tobias Zech Thomas Oppermann Heinrich Zertik Ulrich Hampel Mahmut Özdemir (Duisburg) Emmi Zeulner Sebastian Hartmann Aydan Özoğuz Dr . Carola Stauche Michael Hartmann Gudrun Zollner Dr . (Wackernheim) Dr. SPD Joachim Poß Ingrid Arndt-Brauer Heidtrud Henn Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16761

(A) Achim Post (Minden) Bernd Rützel Ewald Schurer (C) Dr . Wilhelm Priesmeier Dirk Vöpel Annette Sawade Stefan Schwartze Gabi Weber Dr . Dr . Hans-Joachim Schabe- doth Rita Schwarzelühr-Sutter Waltraud Wolff Axel Schäfer (Bochum) Stefan Rebmann (Wolmirstedt) Dr . Gerold Reichenbach Norbert Spinrath Gülistan Yüksel Dr . Carola Reimann Svenja Stadler Dagmar Ziegler Udo Schiefner Andreas Rimkus Martina Stamm-Fibich Stefan Zierke Dr . Dorothee Schlegel Dr . Jens Zimmermann Sönke Rix Ulla Schmidt (Aachen) Sonja Steffen Petra Rode-Bosse Matthias Schmidt (Berlin) Peer Steinbrück Manfred Zöllmer (Wetzlar) Christoph Strässer Dr . Martin Rosemann (Erfurt) Kerstin Tack Enthalten Dr . Elfi Scho-Antwerpes CDU/CSU Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Swen Schulz (Spandau) Carsten Träger Hubert Hüppe

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der tionen anders verhalten haben . Aber die Mehrheiten sind Bundesregierung auf Drucksache 18/7824 in der Aus- im Präsidium unstrittig . schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Damit kommen wir zur Abstimmung über den Ent- Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen sache 18/8433 . Die Fraktion Die Linke verlangt na- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der mentliche Abstimmung . Ich bitte die Schriftführerinnen Fraktion Die Linke angenommen . und Schriftführer, die Plätze einzunehmen .– Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am Platz? – Das ist Dritte Beratung der Fall . Ich eröffne die Abstimmung über den Entschlie- und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem ßungsantrag . (B) (D) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- Wer stimmt dagegen? me noch nicht abgeben konnte? – Ich schließe die Ab- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ein stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis ganz großer Block bei der CDU/CSU, Frau 1) Präsidentin!) der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben . – Ja, wir haben dieses Phänomen quer durch alle Frakti- Ich bitte Sie, zügig Ihre Plätze einzunehmen . Wir fah- onen . Es haben auch Mitglieder der Fraktion Die Linke ren nämlich gleich mit weiteren Abstimmungen zu die- gerade dem Gesetzentwurf durch Stehen zugestimmt . sem Tagesordnungspunkt fort . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- der SPD) lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Druck- sache 18/8428 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch- Also werden wir hier gleich ein sehr differenziertes stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Abstimmungsergebnis feststellen . Das gilt auch für die Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7874 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . mit dem Titel „Eine halb barrierefreie Gesellschaft reicht Um hier keine Verwirrung aufkommen zu lassen, bitte nicht aus – Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit verpflich- ich Sie, Platz zu nehmen . Ich will nicht dafür verantwort- ten“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer lich sein, dass es Sondersitzungen in allen Fraktionen des stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- Hauses gibt . empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Ich wiederhole die Abstimmung und bitte diejenigen, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu er- heben . – Jetzt bitte ich diejenigen, die in dritter Lesung Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die- Ab gegen den Gesetzentwurf stimmen wollen, sich zu erhe- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- ben . – Nun bitte ich diejenigen, die sich enthalten wol- nen auf Drucksache 18/7877 mit dem Titel „Behinder- len, sich zu erheben . – Der Gesetzentwurf ist mit den tengleichstellungsrecht mutig weiterentwickeln“ . Wer Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen, wo- lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und bei wir hier im Präsidium festgestellt haben, dass sich zu jedem dieser Voten einzelne Abgeordnete aus den Frak- 1) Ergebnis Seite 16765 C 16762 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Vizepräsidentin Petra Pau (A) der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Kunst ausgebaut werden, und zwar zweigleisig, elektri- (C) Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- fiziert und mit komplettem Lärmschutz, aber nur für den nommen . Güterverkehr . Dem Personenverkehr auf der gleichen Strecke droht das Aus . Da fassen sich die Leute in mei- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf: nem Wahlkreis an den Kopf, und das zu Recht . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine (Beifall bei der LINKEN) Leidig, Ralph Lenkert, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE Selbst in den ostdeutschen Metropolregionen sind Strecken nicht mehr sicher . In Dresden beispielsweise Drohende Streckenstilllegungen verhindern – wird befürchtet, dass der langjährig geplante 15-Minu- Keine Kürzung bei Regionalisierungsmitteln ten-Takt für die S-Bahn in Gefahr ist . Das ist unsinnig in Ostdeutschland und inakzeptabel . Eine weitere Ausdünnung des Schie- Drucksache 18/8392 nennetzes darf es nicht geben . Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der LINKEN) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ein gutes Schienennetz ist nicht nur wichtig für die Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ Fahrgäste und für die Umwelt, sondern auch für die ge- sicherheit samte Region . Wenn eine Strecke nicht mehr befahren Haushaltsausschuss wird, wissen die Leute nicht mehr, wie sie zur Arbeit, b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- zum Einkaufen oder zu den Ämtern kommen . Aber auch richts des Ausschusses für Verkehr und digitale viele, die die Bahn nicht regelmäßig nutzen, sind sehr Infrastruktur (15 .Ausschuss) zu dem Antrag der erzürnt über diese Pläne; denn sie haben das Gefühl: Abgeordneten Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Wenn die Bahn nicht mehr fährt, dann wird meine Re- Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- gion komplett abgehängt . Das ist die Befürchtung vieler tion DIE LINKE Menschen . Leider haben sie recht . Deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Das Schienennetz gehört zur öffent- Drohende Streckenstilllegungen verhindern – lichen Infrastruktur und zur sozialen Daseinsfürsorge . Regionalisierungsmittel erhöhen Strukturschwache Regionen dürfen nicht noch weiter Drucksachen 18/8074, 18/8362 abgehängt werden . Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für (Beifall bei der LINKEN) Verkehr und digitale Infrastruktur werden wir später na- Am Ende ist es doch ein Teufelskreis: Weniger Bahn- mentlich abstimmen . (B) strecken machen eine Region noch weniger attraktiv . (D) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Das Bahnfahren wird weniger attraktiv . Mehr Menschen die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- steigen auf das Auto um . Am Ende gibt es dann weni- nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . ger Fahrgäste, und das wird dann wieder als Argument genommen, um eine Strecke auszudünnen oder stillzu- Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin legen . Diesen absurden Teufelskreis müssen wir endlich Caren Lay für die Fraktion Die Linke . durchbrechen . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Caren Lay (DIE LINKE): Der Grund für alle diese Befürchtungen ist die Ver- einbarung zur Neuverteilung der sogenannten Regiona- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und lisierungsmittel, durch die der Bund den Nahverkehr auf Herren! In vielen ostdeutschen Ländern sind die Men- den Schienen mitfinanziert. Pikant und interessant sind schen beunruhigt . Sie fürchten die Stilllegung, die Ab- die Umstände dieser Vereinbarung . Verhandelt wurde sie bestellung ihrer Bahnstrecken oder zumindest die Aus- nämlich außerhalb der Tagesordnung am Rande des so- dünnung des Bahnverkehrs; denn angesichts zu wenig genannten Flüchtlingsgipfels im September . Die Länder in Aussicht gestellter Fördergelder, insbesondere für brauchten dringend finanzielle Hilfen. Da überrumpelte die ostdeutschen Länder, warnt zum Beispiel der Ver- die Bundesregierung die Landesvertreter und machte kehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien vor einem mit wenigen Ministerpräsidenten im Hinterzimmer noch Streckenkahlschlag in Sachsen . Allein dort sind fünf ein paar Nebenabsprachen . Insgesamt sollten die Länder wichtige Strecken von der Stilllegung bedroht: von Dö- dann nicht die 8,5 Milliarden Euro bekommen, die sie beln nach Meißen, von Pirna nach Sebnitz, von Chemnitz gefordert hatten, sondern nur 8 Milliarden Euro, und – nach Elsterwerda usw . usf . Auch in anderen ostdeutschen das ist das Entscheidende – es soll eine Neuverteilung Ländern gibt es diese Befürchtung . In Mecklenburg-Vor- der Gelder geben, die am Ende zulasten der ostdeutschen pommern beispielsweise ist die Strecke von Güstrow Länder geht, also zulasten der Länder, die die geringste nach Pasewalk zwischen Malchow und Waren im Ge- Finanzkraft haben . Das kann nun wirklich nicht sein . spräch . (Beifall bei der LINKEN) An mancher Stelle wird es dann regelrecht absurd . Die Strecke von Cottbus über Hoyerswerda nach Görlitz – Der Bund überrumpelt die Länder . Jetzt sagt er: Die Experten als Niederschlesische Magistrale bekannt – soll Länder sollen sich untereinander einigen. Wir finden, laut Bundesverkehrswegeplan nach allen Regeln der dass wir nicht zulassen dürfen, dass hier die Länder mit Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16763

Caren Lay (A) all ihren berechtigten Interessen gegeneinander ausge- nicht in anderen Ländern und strukturschwachen Regio- (C) spielt werden . nen . Bitte stimmen Sie für unseren Antrag . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ich bin übrigens froh, dass ein Bundesland diesem ge- samten Paket, weder dem Asylpaket noch den damit ver- Vizepräsidentin Petra Pau: bundenen Finanzfragen, nicht zugestimmt hat . Das war Das Wort hat der Kollege Michael Donth für die Frak- Thüringen mit Bodo Ramelow . Es macht wirklich einen tion der CDU/CSU . Unterschied, wenn die Linke regiert . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Allerdings! – Lachen bei Abge- (CDU/CSU): ordneten der CDU/CSU) Michael Donth Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und – Im besten Sinne .– Ihre Ministerpräsidenten – Geläch- Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe mir die ter von der CDU/CSU –, auch die aus den ostdeutschen Protokolle und Verläufe der Sitzungen, die mit den heu- Ländern, haben zugestimmt . Sie haben heute nicht nur tigen Anträgen der Linken im Zusammenhang stehen, im die Möglichkeit, sondern auch die Verantwortung, diesen Vorfeld angeschaut . Da kann man sich nur wundern . Fehler Ihrer Parteifreunde an dieser Stelle zu korrigie- ren. Der Fehler ist korrigierbar. Ich finde, das müssen wir (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ach ja? Wa- heute tun . rum?) (Beifall bei der LINKEN) Es gab im vergangenen Herbst eine Einigung zwi- schen dem Bund und den Ländern, in welcher Höhe und Mehr Geld für die Schiene, ja, das ist teuer . Wir reden mit welcher jährlichen Dynamisierungsrate die Regio- hier über 500 Millionen Euro mehr. Ich finde, an diesem nalisierungsmittel ab dem Jahr 2016 fortgeführt werden Geld kann und darf es am Ende nicht scheitern . Wir ha- sollen . Zur Verteilung der Mittel auf die Länder gab es al- ben erhebliche Steuermehreinnahmen . An dieser Stelle lerdings unterschiedliche Ansichten; diese sollte in einer wären die Gelder gut und sinnvoll eingesetzt . gesonderten Verordnung des Bundes mit Zustimmung (Beifall bei der LINKEN) der Länder geregelt werden . Dann: Stille . Meine Fraktion hat dies übrigens schon in den Haus- Jetzt, ein halbes Jahr später, taucht die Linke mit die- haltsverhandlungen gefordert . Damals ist es an Ihrer sem Antrag und vor allem mit einer Art Legendenbildung auf; wir haben es gerade nochmals gehört . Nach Ihrer (B) Zustimmung gescheitert . Hätten Sie damals dem Antrag (D) der Linken zugestimmt, dann hätten Sie dafür gesorgt, Erzählung sollen die Ministerpräsidenten am Abend dass jetzt nicht so viele Menschen und Verkehrsverbünde des 24 .September 2015 am Rande der Beratungen zum beunruhigt sind . Sie hätten sich auch jede Menge Ärger Asylpaket von der Bundesregierung mit dem Kompro- erspart . Das war wirklich ein großer Fehler Ihrerseits . missvorschlag zu den Regionalisierungsmitteln, wie Sie schreiben und auch gesagt haben, überrumpelt worden (Beifall bei der LINKEN) sein . Meine Damen und Herren, zu guter Letzt: Wenn wir (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – den Weg, den wir heute vorschlagen, nicht gehen – es Caren Lay [DIE LINKE]: So war es auch!) wäre allerdings am einfachsten und elegantesten, die Mittel so zu erhöhen, dass die ostdeutschen Länder Bei diesem vermeintlichen Coup sollen nur vier Mi- nicht weniger bekommen, aber beispielsweise Nord- nisterpräsidenten anwesend gewesen sein, die dann – rhein-Westfalen und andere westdeutsche Länder den ge- völlig überrascht – auch noch zugestimmt hätten . Oder in planten Ausbau finanzieren können –, dann müssten wir Ihrer Lesart – ich sage es einmal so –: Die Ministerpräsi- uns darauf einigen – das wäre die zweitbeste Lösung –, denten wussten nicht, was sie tun . dass die Länder zumindest nicht weniger bekommen als bisher . Das würde dann aber tatsächlich bedeuten, dass es (Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau!) beispielsweise mit dem in NRW geplanten Ausbau von Ich war nicht dabei; Frau Lay, ich nehme an, Sie auch Strecken nicht so schnell wie geplant vorangehen kann . nicht . Deshalb ist das alles ein Stück weit Spekulation . Das wäre sehr schade . Insofern erhoffe ich mir heute nicht nur von den ostdeutschen Abgeordneten, sondern (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch von den westdeutschen Abgeordneten Zustimmung Protokolliert ist dieser behauptete Hergang der Einigung zu unserem Antrag . jedenfalls so nicht . Protokolliert ist aber, dass sich am 16 . Oktober 2015, drei Wochen später, der Bundesrat der Vizepräsidentin Petra Pau: Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses an- Kollegin Lay, achten Sie bitte auf die Zeit . geschlossen hat, der gleichlautend mit besagter Einigung vom 24 . September 2015 war . Caren Lay (DIE LINKE): Das werde ich tun, Frau Präsidentin .– Wir müssen al- Vizepräsidentin Petra Pau: les daransetzen, dass keine weiteren Strecken stillgelegt Kollege Donth, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- oder ausgedünnt werden, nicht in Ostdeutschland und kung der Kollegin Leidig? 16764 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Michael Donth (CDU/CSU): ten Antrag unterstellen Sie den Ministerpräsidenten, sie (C) Nein, jetzt nicht; danke . wüssten nicht, was sie beschließen . Im zweiten Antrag unterstellen Sie, die Länder seien unfähig, die Situation (Zuruf der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE]) zu lösen und zu einer Einigung über die Verteilung zu Warum? Haben die etwa schon wieder nicht aufge- kommen . Deshalb soll nach Ihrem Antrag der Bund den passt? Nein, die wussten genau, was sie taten. Ich finde, Ländern noch einmal sagen, wo es langgeht . Sehen so ein Kompromiss in Höhe von 8 Milliarden Euro bei einer Föderalismus und Subsidiarität aus? In meinen Augen Forderung von 8,5 Milliarden Euro seitens der Länder nicht . und einem Status quo von 7,3 Milliarden Euro seitens des Man braucht auch nicht im Kaffeesatz zu lesen, um Bundes war ein großer Verhandlungserfolg der Länder, im Voraus zu ahnen, dass die Länder keinem Bundesvor- ebenso die Erhöhung der jährlichen Dynamisierungsrate schlag zustimmen werden, auf den sie sich seither selbst auf 1,8 Prozent bei einer Forderung von 2 Prozent und schon nicht geeinigt haben . Aber dann stünde natürlich einem Status quo von 1,5 Prozent . Denn bei einem Kom- politisch betrachtet ganz klar fest, wer daran schuld ist, promiss geht normalerweise keine Seite mit 100 Prozent dass es zu keiner Einigung kommt, nämlich der Bund . Erfolg als Sieger aus den Verhandlungen hervor . Das Und diesen schwarzen Peter lassen wir uns nicht zuschie- weiß jede schwäbische Hausfrau, und das wird Ihnen ben . auch jeder Gewerkschaftsfunktionär aus seiner Erfah- rung bestätigen . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir in der CDU/CSU-Fraktion halten die Länder für fähig – selbst die mit einer Regierungsbeteiligung der Darum haben wir Ihren ersten Antrag, der heute als Linken –, eine Einigung zum Verteilmechanismus her- TOP 8 b ansteht und in dem eine Aufkündigung des beizuführen . Kompromisses gefordert wird, bereits im Verkehrsaus- Zusammengefasst: Erstens . Wir wollen den ÖPNV schuss abgelehnt . Offensichtlich sind Sie als Fraktion weiter stärken und ausbauen . Deshalb gibt der Bund Die Linke von unseren Argumenten überzeugt worden . auch in Zukunft fast eine Dreiviertelmilliarde Euro im Deshalb haben Sie einen zweiten Antrag nachgereicht – Jahr mehr für diesen Zweck an die Länder . Zweitens . Tagesordnungspunkt 8 a –, der besagt, dass jetzt nur noch Wir fordern die Länder auf, im Interesse der Nutzer von der Verteilschlüssel angegriffen oder neu geregelt wer- Bussen und Bahnen bald zu einer Einigung zu kommen . den soll . Und drittens halten wir auch diesen erneuten Antrag der (Caren Lay [DIE LINKE]: Was wollen Sie Linken für überflüssigen Heckmeck. denn jetzt?) (B) Vielen Dank . (D) Die Verteilung der Regionalisierungsmittel soll in ei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ner Verordnung des Bundes mit Zustimmung der Länder ordneten der SPD) geregelt werden . Das haben wir hier im Gesetz übrigens ohne Gegenstimmen und bei Enthaltung der Linken so beschlossen . Daher macht es nur Sinn, dass sich die Län- Vizepräsidentin Petra Pau: der auch untereinander auf einen Verteilmechanismus ei- Bevor ich das von den Schriftführerinnen und Schrift- nigen, dem sie auch zustimmen können, bevor man ihn in führern ermittelte Ergebnis der zweiten namentlichen einen Verordnungsentwurf gießt . Ebenso haben sie den Abstimmung bekannt gebe, gebe ich der Kollegin Sabine eigentlich sehr praktikablen Kieler Schlüssel ganz ohne Leidig das Wort zu einer Kurzintervention . Mitarbeit des Bundes entwickelt . Nur leider können sich die Länder seit einem halben Jahr offensichtlich nicht da- Sabine Leidig (DIE LINKE): rauf einigen . Ich sehe mich aus drei Gründen zu dieser Kurzinter- Dieser einstimmig beschlossene Kieler Schlüssel hat vention veranlasst . nämlich die geniale Struktur, dass die Länder, die nach Erstens möchte ich feststellen: Die Länder haben sich dem alten Schlüssel unbestritten viel zu geringe Mittel geeinigt, und zwar darauf, dass mit 8,5 Milliarden Euro erhalten haben, deutlich mehr bekommen, die Länder, und ihrer sinnvollen Verteilung der regionale Schienen- die bislang überproportional bedient wurden, aber nicht verkehr für alle Bürgerinnen und Bürger vernünftig orga- weniger . Diese Rechnung geht allerdings nur auf, wenn nisiert werden kann . Das ist eine gute und richtige Positi- die Länder dem Bund kräftig in die Tasche greifen und on, die wir teilen und die wir auch mit eigenen Anträgen die Mittel auf mindestens 8,5 Milliarden Euro pro Jahr unterstützt haben . erhöht werden . Zweitens . Es ist zynisch, wenn Sie behaupten, dass Nachdem sich nun aber Bund und Länder auf 8 Milli- die Länder sich mit diesem Deal sozusagen einverstan- arden Euro geeinigt haben, liegt nach meiner Auffassung den erklärt hätten . Das möchte ich Ihnen jetzt vorwerfen . der Ball eindeutig im Feld der Länder . Wir haben in der Ausschusssitzung gehört, dass der Par- (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ lamentarische Staatssekretär Ferlemann in einer ande- DIE GRÜNEN]: Nein!) ren Angelegenheit, nämlich im Zusammenhang mit der Bundesfernstraßengesellschaft, gesagt hat: Die Länder, Die Linke hält dazu allerdings die Bundesländer und die eine gemeinsame Position gegen diese Bundesfern- ihre Regierungen offenbar nicht für fähig . In einem ers- straßengesellschaft erarbeitet haben, werden schon um- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16765

Sabine Leidig (A) fallen; denn der Bund wird in den nächsten Bund-Län- Michael Donth (CDU/CSU): (C) der-Verhandlungen ein entsprechendes Druckmittel in Frau Leidig, ich möchte auf zwei Punkte eingehen . der Hand haben . Da geht es nämlich wieder darum, dass mehr Geld für die Integration von Flüchtlingen gebraucht Erstens . Natürlich haben sich die Länder auf den Kie- wird . ler Schlüssel geeinigt . Sie haben gesagt: Wenn der Bund Ich übersetze das einmal: Die Länder können sagen, 1,2 Milliarden Euro mehr gibt, dann funktioniert auch was sie wollen, es mag noch so vernünftig sein: Letztlich die Verteilung . Aber – ich habe es Ihnen ja vorhin ge- hat der Bund die Daumenschraube, sie zum Umfallen sagt – es war ein Kompromiss, den Bund und Länder in zu zwingen . Sich dann hinzustellen und zu sagen: „Die diesen Verhandlungen miteinander erreicht haben . Wenn Länder waren einverstanden“, ist an Zynismus wirklich die Länder das vorher miteinander hinbekommen haben, kaum zu überbieten . dann sollten sie das auch jetzt hinbekommen .

(Beifall bei der LINKEN) Zweitens . Herr Albig steht ja nicht unbedingt im Drittens . Sie reden davon, dass die Länder dem Bund Verdacht, der CDU zu nahezustehen . Er hat im Bundes- in die Tasche greifen . Ich bitte Sie! Es geht hier um Steu- rat klar gesagt und noch einmal bestätigt, dass sich die ergeld, das von der Gesellschaft aufgebracht wird . Die- Regierungschefinnen und -chefs der Länder zusammen ses Steuergeld muss so eingesetzt werden, dass es der mit der Bundeskanzlerin am 24 . September 2015 darauf Gesellschaft zugutekommt . Dabei ist es letztlich völlig geeinigt haben . Ich kann also darin nicht den Zynismus, wurscht, ob der Bund den öffentlichen Nahverkehr be- den Sie jetzt unterstellt haben, erkennen . zahlt oder die Länder . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Lachen bei der CDU/CSU)

Wichtig ist, dass der öffentliche Nahverkehr finanziert Vizepräsidentin Petra Pau: wird und für die Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung steht – auf der Schiene und überall dort, wo es notwendig Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen ist . das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er- mittelte Ergebnis der zweiten namentlichen Abstim- (Beifall bei der LINKEN) mung bekannt: abgegebene Stimmen 568 . Mit Ja haben 120 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 448, Vizepräsidentin Petra Pau: Enthaltungen gab es keine . Der Entschließungsantrag ist Möchten Sie erwidern? – Bitte, Kollege Donth . damit abgelehnt . (B) (D) Endgültiges Ergebnis Heike Hänsel Martina Renner Agnieszka Brugger Abgegebene Stimmen: 568; Dr . Rosemarie Hein Dr . Petra Sitte Ekin Deligöz davon Inge Höger Kersten Steinke Katja Dörner ja: 120 Andrej Hunko Dr . Kirsten Tackmann Katharina Dröge nein: 448 Sigrid Hupach Azize Tank Harald Ebner enthalten: 0 Ulla Jelpke Frank Tempel Dr . Thomas Gambke Susanna Karawanskij Dr . Axel Troost Matthias Gastel Ja Kerstin Kassner Alexander Ulrich Kai Gehring Jan Korte Kathrin Vogler Katrin Göring-Eckardt DIE LINKE Jutta Krellmann Halina Wawzyniak Anja Hajduk Jan van Aken Katrin Kunert Harald Weinberg Britta Haßelmann Dr . Dietmar Bartsch Caren Lay Katrin Werner Dr . Anton Hofreiter Herbert Behrens Sabine Leidig Birgit Wöllert Bärbel Höhn Karin Binder Ralph Lenkert Jörn Wunderlich Dieter Janecek Matthias W . Birkwald Michael Leutert Hubertus Zdebel Uwe Kekeritz Heidrun Bluhm Stefan Liebich Pia Zimmermann Katja Keul Christine Buchholz Dr . Gesine Lötzsch Sabine Zimmermann Sven-Christian Kindler Eva Bulling-Schröter Thomas Lutze (Zwickau) Maria Klein-Schmeink Roland Claus Birgit Menz Tom Koenigs Sevim Dağdelen Cornelia Möhring BÜNDNIS 90/ Sylvia Kotting-Uhl DIE GRÜNEN Dr . Diether Dehm Niema Movassat Oliver Krischer Klaus Ernst Norbert Müller (Potsdam) Luise Amtsberg Stephan Kühn (Dresden) Wolfgang Gehrcke Dr . Alexander S . Neu Kerstin Andreae Christian Kühn (Tübingen) Nicole Gohlke Thomas Nord Annalena Baerbock Renate Künast Annette Groth Petra Pau Marieluise Beck (Bremen) Markus Kurth Dr . André Hahn Harald Petzold (Havelland) Volker Beck (Köln) Monika Lazar 16766 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Steffi Lemke Michael Brand Helmut Heiderich Dr . Philipp Lengsfeld (C) Dr . Tobias Lindner Dr . Reinhard Brandl Mechthild Heil Dr . Andreas Lenz Peter Meiwald Helmut Brandt Frank Heinrich (Chemnitz) Dr . Ursula von der Leyen Irene Mihalic Dr . Ralf Brauksiepe Mark Helfrich Antje Lezius Beate Müller-Gemmeke Heike Brehmer Uda Heller Ingbert Liebing Özcan Mutlu Ralph Brinkhaus Jörg Hellmuth Matthias Lietz Dr . Konstantin von Notz Cajus Caesar Rudolf Henke Andrea Lindholz Omid Nouripour Gitta Connemann Michael Hennrich Dr . Carsten Linnemann Friedrich Ostendorff Alexandra Dinges-Dierig Ansgar Heveling Patricia Lips Cem Özdemir Alexander Dobrindt Dr . Heribert Hirte Wilfried Lorenz Lisa Paus Michael Donth Christian Hirte Dr . Claudia Lücking-Michel Brigitte Pothmer Thomas Dörflinger Alexander Hoffmann Dr . Jan-Marco Luczak Tabea Rößner Marie-Luise Dött Thorsten Hoffmann Karin Maag Claudia Roth (Augsburg) Hansjörg Durz (Dortmund) Yvonne Magwas Corinna Rüffer Iris Eberl Karl Holmeier Thomas Mahlberg Manuel Sarrazin Jutta Eckenbach Franz-Josef Holzenkamp Dr . Thomas de Maizière Elisabeth Scharfenberg Dr . Bernd Fabritius Dr . Hendrik Hoppenstedt Gisela Manderla Ulle Schauws Hermann Färber Margaret Horb Matern von Marschall Dr . Gerhard Schick Uwe Feiler Anette Hübinger Hans-Georg von der Marwitz Dr . Frithjof Schmidt Dr . Thomas Feist Hubert Hüppe Andreas Mattfeldt Kordula Schulz-Asche Enak Ferlemann Erich Irlstorfer Reiner Meier Dr . Wolfgang Strengmann- Ingrid Fischbach Thomas Jarzombek Dr . Michael Meister Kuhn Axel E . Fischer Sylvia Jörrißen Jan Metzler Hans-Christian Ströbele (Karlsruhe-Land) Dr . Franz Josef Jung Maria Michalk Dr . Harald Terpe Klaus-Peter Flosbach Andreas Jung Dr . h .c . Hans Michelbach Markus Tressel Thorsten Frei Xaver Jung Dr . Mathias Middelberg Jürgen Trittin Dr . Astrid Freudenstein Bartholomäus Kalb Dietrich Monstadt Dr . Julia Verlinden Michael Frieser Hans-Werner Kammer Karsten Möring (B) Doris Wagner Dr . Michael Fuchs Steffen Kampeter Marlene Mortler (D) Beate Walter-Rosenheimer Hans-Joachim Fuchtel Steffen Kanitz Volker Mosblech Dr . Valerie Wilms Ingo Gädechens Alois Karl Elisabeth Motschmann Dr . Thomas Gebhart Anja Karliczek Dr . Gerd Müller Nein Alois Gerig Bernhard Kaster Carsten Müller (Braun- Eberhard Gienger Volker Kauder schweig) CDU/CSU Cemile Giousouf Dr . Stefan Kaufmann Stefan Müller (Erlangen) Stephan Albani Josef Göppel Dr . Georg Kippels Dr . Philipp Murmann Katrin Albsteiger Ursula Groden-Kranich Volkmar Klein Dr . Andreas Nick Artur Auernhammer Hermann Gröhe Jürgen Klimke Michaela Noll Dorothee Bär Klaus-Dieter Gröhler Jens Koeppen Helmut Nowak Thomas Bareiß Michael Grosse-Brömer Markus Koob Dr . Georg Nüßlein Norbert Barthle Astrid Grotelüschen Kordula Kovac Julia Obermeier Günter Baumann Markus Grübel Michael Kretschmer Wilfried Oellers Maik Beermann Manfred Grund Gunther Krichbaum Florian Oßner Manfred Behrens (Börde) Oliver Grundmann Rüdiger Kruse Dr . Tim Ostermann Veronika Bellmann Monika Grütters Bettina Kudla Henning Otte Sybille Benning Dr . Herlind Gundelach Dr . Roy Kühne Ingrid Pahlmann Dr . André Berghegger Fritz Güntzler Günter Lach Sylvia Pantel Dr . Christoph Bergner Olav Gutting Uwe Lagosky Martin Patzelt Ute Bertram Christian Haase Dr . Karl A . Lamers Dr . Martin Pätzold Peter Beyer Florian Hahn Dr . Norbert Lammert Ulrich Petzold Steffen Bilger Dr . Stephan Harbarth Katharina Landgraf Dr . Joachim Pfeiffer Clemens Binninger Jürgen Hardt Ulrich Lange Sibylle Pfeiffer Peter Bleser Matthias Hauer Barbara Lanzinger Eckhard Pols Dr . Maria Böhmer Mark Hauptmann Dr . Silke Launert Thomas Rachel Norbert Brackmann Dr . Stefan Heck Paul Lehrieder Kerstin Radomski Klaus Brähmig Dr . Matthias Heider Dr . Katja Leikert Alexander Radwan Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16767

(A) Alois Rainer Astrid Timmermann-Fechter Willi Brase Marina Kermer (C) Dr . Peter Ramsauer Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Karl-Heinz Brunner Cansel Kiziltepe Eckhardt Rehberg Dr . Volker Ullrich Marco Bülow Arno Klare Lothar Riebsamen Arnold Vaatz Martin Burkert Lars Klingbeil Josef Rief Oswin Veith Dr . Lars Castellucci Dr. Bärbel Kofler Dr . Heinz Riesenhuber Thomas Viesehon Petra Crone Daniela Kolbe Johannes Röring Michael Vietz Bernhard Daldrup Birgit Kömpel Dr . Norbert Röttgen Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr . Daniela De Ridder Anette Kramme Erwin Rüddel Sven Volmering Dr . Karamba Diaby Dr . Hans-Ulrich Krüger Albert Rupprecht Christel Voßbeck-Kayser Sabine Dittmar Helga Kühn-Mengel Anita Schäfer (Saalstadt) Kees de Vries Elvira Drobinski-Weiß Christine Lambrecht Andreas Scheuer Dr . Johann Wadephul Michaela Engelmeier Christian Lange (Backnang) Karl Schiewerling Marco Wanderwitz Dr . h .c . Gernot Erler Dr . Karl Lauterbach Jana Schimke Nina Warken Petra Ernstberger Steffen-Claudio Lemme Norbert Schindler Saskia Esken Burkhard Lischka Tankred Schipanski Albert Weiler Karin Evers-Meyer Gabriele Lösekrug-Möller Heiko Schmelzle Marcus Weinberg (Hamburg) Dr . Johannes Fechner Hiltrud Lotze Christian Schmidt (Fürth) Dr . Anja Weisgerber Dr . Fritz Felgentreu Kirsten Lühmann Gabriele Schmidt (Ühlingen) Peter Weiß (Emmendingen) Dr . Ute Finckh-Krämer Dr . Birgit Malecha-Nissen Ronja Schmitt Sabine Weiss (Wesel I) Christian Flisek Caren Marks Patrick Schnieder Ingo Wellenreuther Gabriele Fograscher Katja Mast Dr . Ole Schröder Karl-Georg Wellmann Dr . Edgar Franke Hilde Mattheis Dr . Kristina Schröder Marian Wendt Ulrich Freese Dr . Matthias Miersch (Wiesbaden) Waldemar Westermayer Michael Gerdes Klaus Mindrup Bernhard Schulte-Drüggelte Kai Whittaker Martin Gerster Susanne Mittag Dr . Klaus-Peter Schulze Iris Gleicke Bettina Müller Peter Wichtel Uwe Schummer Angelika Glöckner Detlef Müller (Chemnitz) Annette Widmann-Mauz Armin Schuster Ulrike Gottschalck Michelle Müntefering Heinz Wiese (Ehingen) (Weil am Rhein) Kerstin Griese Dr . Rolf Mützenich (B) Klaus-Peter Willsch (D) Christina Schwarzer Gabriele Groneberg Andrea Nahles Elisabeth Winkelmeier- Detlef Seif Becker Michael Groß Dietmar Nietan Johannes Selle Oliver Wittke Uli Grötsch Ulli Nissen Reinhold Sendker Dagmar G . Wöhrl Wolfgang Gunkel Thomas Oppermann Dr . Patrick Sensburg Barbara Woltmann Rita Hagl-Kehl Mahmut Özdemir (Duisburg) Bernd Siebert Metin Hakverdi Aydan Özoğuz Tobias Zech Johannes Singhammer Ulrich Hampel Markus Paschke Heinrich Zertik Tino Sorge Sebastian Hartmann Christian Petry Emmi Zeulner Jens Spahn Dirk Heidenblut Detlev Pilger Dr . Matthias Zimmer Carola Stauche Marcus Held Sabine Poschmann Gudrun Zollner Dr . Frank Steffel Wolfgang Hellmich Joachim Poß Dr. Wolfgang Stefinger Heidtrud Henn Florian Post SPD Albert Stegemann Gustav Herzog Achim Post (Minden) Peter Stein Niels Annen Gabriele Hiller-Ohm Dr . Wilhelm Priesmeier Sebastian Steineke Ingrid Arndt-Brauer Petra Hinz (Essen) Florian Pronold Christian Frhr . von Stetten Rainer Arnold Thomas Hitschler Dr . Sascha Raabe Dieter Stier Heike Baehrens Dr . Eva Högl Martin Rabanus Rita Stockhofe Ulrike Bahr Matthias Ilgen Stefan Rebmann Gero Storjohann Heinz-Joachim Barchmann Christina Jantz-Herrmann Gerold Reichenbach Stephan Stracke Dr . Katarina Barley Frank Junge Dr . Carola Reimann Max Straubinger Doris Barnett Josip Juratovic Andreas Rimkus Matthäus Strebl Klaus Barthel Thomas Jurk Sönke Rix Karin Strenz Dr . Matthias Bartke Oliver Kaczmarek Petra Rode-Bosse Lena Strothmann Sören Bartol Johannes Kahrs Dennis Rohde Michael Stübgen Uwe Beckmeyer Ralf Kapschack Dr . Martin Rosemann Dr . Sabine Sütterlin-Waack Lothar Binding (Heidelberg) Gabriele Katzmarek Dr . Ernst Dieter Rossmann Antje Tillmann Burkhard Blienert Ulrich Kelber Michael Roth (Heringen) 16768 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Susann Rüthrich Ulla Schmidt (Aachen) Rita Schwarzelühr-Sutter Carsten Träger (C) Bernd Rützel Matthias Schmidt (Berlin) Rainer Spiering Ute Vogt Sarah Ryglewski Dagmar Schmidt (Wetzlar) Norbert Spinrath Dirk Vöpel Johann Saathoff Carsten Schneider (Erfurt) Svenja Stadler Gabi Weber Annette Sawade Dirk Wiese Elfi Scho-Antwerpes Martina Stamm-Fibich Dr . Hans-Joachim Schabe- Waltraud Wolff Ursula Schulte Sonja Steffen doth (Wolmirstedt) Axel Schäfer (Bochum) Swen Schulz (Spandau) Peer Steinbrück Gülistan Yüksel Dr . Nina Scheer Ewald Schurer Christoph Strässer Dagmar Ziegler Marianne Schieder Frank Schwabe Kerstin Tack Stefan Zierke Udo Schiefner Stefan Schwartze Claudia Tausend Dr . Jens Zimmermann Dr . Dorothee Schlegel Andreas Schwarz Michael Thews Manfred Zöllmer

Wir fahren in der Debatte fort . Das Wort hat der Kol- blieben . So wird nun vorgerechnet, dass der Osten pro lege Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Kopf mehr Geld für den Nahverkehr erhält . Dabei wird nen . geflissentlich übersehen, dass der finanzielle Aufwand natürlich geringer ist, wenn man den Nahverkehr in ei- Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nem dicht besiedelten Ballungsraum organisiert, als NEN): wenn man dies in einem dünn besiedelten Land tut . Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Egal wie der Abend des 24 . September Es wird behauptet, dass durch sinkende Bevölke- 2015 verlaufen ist: Ich finde, es ist schon bezeichnend, rungszahlen auch die Nachfrage zurückgeht . Das ist dass auf einem Flüchtlingsgipfel unter dem Punkt „Ver- falsch . Die Fahrgastzahlen belegen: Trotz eines Bevölke- schiedenes“ kurz vor Mitternacht über eine so wichtige rungsrückgangs steigt die Nachfrage erfreulicherweise . Frage wie die Nahverkehrsfinanzierung gesprochen wird. Gern wird auch vergessen, dass im Osten der Republik Es ist auch schwer verständlich, warum einerseits den ein massiver Rückzug des Fernverkehrs in der Fläche Bundesländern in den nächsten 15 Jahren rund 12 Mil- stattgefunden hat . Die Stadt Chemnitz mit 250 000 Ein- liarden Euro zusätzlich für den Nahverkehr zur Verfü- wohnern und die Region Südwestsachsen mit über 1 Mil- (B) gung stehen werden, während den ostdeutschen Bun- lion Einwohnern sind vom Fernverkehr komplett abge- (D) desländern andererseits eine Abwärtsspirale droht . Ein hängt . Es gibt keine andere Region in Deutschland, in attraktiver Nahverkehr leistet einen elementaren Beitrag der die Situation so ist . Heute verkehren durchgehende zur Daseinsvorsorge in allen Regionen, in der gesamten Nahverkehrszüge – in Anführungszeichen – zwischen Republik . Der Nahverkehr braucht deshalb eine solide der Ostseeküste und der sächsischen Landesgrenze oder Finanzierung, und zwar in Nord und Süd, aber genauso zwischen Magdeburg und Frankfurt/Oder . Das Problem in West und Ost . ist, dass aus Geldern für den Nahverkehr flächendeckend (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fernverkehrsersatz in Ostdeutschland finanziert wird. und bei der LINKEN) Ich möchte an dieser Stelle an die rechtliche Definiti- Darüber waren sich die Verkehrsminister der Län- on von Nahverkehr erinnern . Dort heißt es nämlich: Nah- der auch einig . Sie haben sich auf einen neuen Vertei- verkehr sind Verkehre bis zu 50 Kilometern Entfernung lerschlüssel für die Regionalisierungsmittel verständigt . und Verkehre von maximal einer Stunde Fahrzeit . Länder wie Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Ba- den-Württemberg, deren Nahverkehrszüge im Berufs- Der schwelende Streit über die Verteilung der Regio- verkehr zunehmend Sardinenbüchsen ähneln, sollten zu- nalisierungsmittel zwischen den Ländern sorgt vor allen künftig einen höheren Mittelanteil erhalten . Dingen jetzt für fehlende Planungssicherheit . So können (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die einen keine neuen Züge bestellen und Verkehre auf NEN]: Richtig!) die Schiene bringen, andere müssen Streichpläne entwer- fen . Das kann aber auch nicht im Interesse des Bundes Gleichzeitig aber bestand unter den Verkehrsministern sein . Es wäre eine Verschwendung von Steuergeldern, auch der Konsens, dass es keine Einschnitte in Bestands- meine Damen und Herren, wenn erst in die Infrastruktur verkehre, also keine Kürzungen im Nahverkehrsange- investiert würde, dann aber gar kein Geld da wäre, für bot, geben darf . Eine sogenannte Sperrklinke in Form diese Infrastruktur Verkehr zu bestellen . einer jährlichen Mindestdynamisierung der Mittel von 1,25 Prozent hat darum Eingang in die Beschlüsse der Das Beispiel mit der S-Bahn in Dresden ist genannt Verkehrsministerkonferenz gefunden . worden . Im Dresdner Elbtal wurde sehr viel öffentliches Nachdem nun die Verständigung über die Höhe der Geld investiert, um zusätzliche Gleise zu bauen, damit Regionalisierungsmittel im Vermittlungsausschuss von Fern- und Nahverkehr getrennt sind, damit dann die Bundestag und Bundesrat stattgefunden hat, ist von der S-Bahn im 15-Minuten-Takt fahren kann . Jetzt aber ist Einigkeit in dieser Frage allerdings nur wenig übrig ge- kein Geld da, um den entsprechenden Verkehr zu bestel- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16769

Stephan Kühn (Dresden) (A) len . Es ist doch ökologisch und ökonomisch völliger Un- Herr Kühn hat recht: Das eigentliche Defizit liegt (C) sinn, so zu investieren, meine Damen und Herren . woanders . Nicht das, was hier von anderen beschworen wurde, ist defizitär, sondern das, was Sie, Herr Kühn, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr genau beschrieben haben: Das erste Defizit liegt da- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) rin, dass viele Bundesländer gezwungen sind, angesichts Jetzt an die Adresse des Bundesministers . Statt weiter einer völlig unzureichenden Fernverkehrserschließung interessiert zuzuschauen, wie sich die Länder unterei- diese Verkehre, mit zweckentfremdeten Regionalisie- nander fetzen, muss sich der Bund als Moderator aktiv rungsmitteln, zu kaufen . Dieser Zukauf muss proble- um eine einvernehmliche Lösung kümmern . Verkehrsmi- matisiert werden, weil er als strukturelles Problem die nister Dobrindt steht hier klar in der Verantwortung . Die Diskussion um die Regionalisierungsmittel belastet . Zeit drängt: Die Hängepartie geht auf Kosten der Fahr- Nicht die Regionalisierungsmittel sind ungleich verteilt, gäste und auch auf Kosten der Wirtschaft . sondern das Problem der Verteilung besteht darin, dass das Fernverkehrsnetz der DB national ungleich verteilt Im Vermittlungsausschuss – das muss ich hier in Er- ist und die einen auskömmlich strukturiert sind, während innerung rufen – hat Verkehrsminister Dobrindt den die anderen mit Mitteln zukaufen müssen, die dafür nicht Auftrag bekommen, eine Rechtsverordnung vorzulegen, vorgesehen sind . welche die Verteilung der Mittel unter den Ländern ab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schließend regelt . Doch passiert ist seit einem halben Jahr des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nichts . Herr Dobrindt, legen Sie endlich eine Verordnung vor, mit der sichergestellt wird, dass die Erfolgsgeschich- Deshalb muss das Problem dort gelöst werden, wo es ur- te des Nahverkehrs fortgeschrieben werden kann, und sächlich vorhanden ist, statt dort, wo es am besten zur zwar im ganzen Land . politischen Semantik passt . Danke . Dann sind wir bei der Frage: Wo bleibt denn die Ver- ordnung? Denn ein Teil des Kompromisses aller Länder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bzw . der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten war sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die Absprache: Statt auf eine lange Reise zu gehen und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu schielen, lasst uns Vizepräsidentin Petra Pau: schnell Nägel mit Köpfen machen . Wir brauchen Pla- nungssicherheit in allen Bundesländern, und wir brau- Das Wort hat der Minister für Bauen, Wohnen, Stadt- chen schnelle Entscheidungen . entwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfa- len, Michael Groschek . Deshalb ist es gut, dass das Bundesverkehrsministe- (B) rium eine Entscheidung getroffen hat . Schlecht ist, dass (D) (Beifall bei der SPD) diese Entscheidung offensichtlich nicht tragfähig genug ist, um das Kanzleramt zu passieren . Deshalb ist der Michael Groschek, Minister (Nordrhein-Westfalen): Bundestag aufgefordert, die Bundesregierung zu fragen, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und wann die Bundesregierung als Kollektivorgan dazu in Herren Abgeordnete! Ich will mit einer Vorbemerkung der Lage ist, eine schon längst durchdeklinierte Verord- starten: Wir sollten uns davor hüten, eine Diskussion zu nung endlich in Kraft zu setzen . Das Problem ist keine den Regionalisierungsmitteln zu einem Ost-West-Kon- Ost-West-Konstruktion, sondern ein Vollzugsdefizit. flikt zu machen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Michael Donth [CDU/CSU]) Dieses Vollzugsdefizit müssen wir beklagen, und das tun wir . Deshalb hoffe ich sehr, dass diese Diskussion dazu Wer das Problem der Regionalisierungsmittel zu ei- beiträgt, beschleunigt voranzukommen und eine Ent- nem Ost-West-Gegensatz konstruiert, will mit dieser scheidung zu treffen . Konstruktion nicht Probleme lösen, sondern er will sie für andere politische Zwecke instrumentalisieren . Das Jetzt noch einmal zum Thema Solidarität . Wir müs- dient niemandem, weder den Menschen in Ost und West sen niemandem Vorhaltungen machen . Das Prinzip „Öl- noch den Verkehren, über die wir heute reden . sardine in Bimmelbahn“ hatten Sie angesprochen, Herr Kühn . In der Tat: Kommen Sie nach Nordrhein-Westfa- (Beifall bei der SPD) len . Sie werden erleben, dass in der größten westeuro- päischen Großstadt, in der Region zwischen Köln und Deshalb bringt es nichts, vergossene Milch noch ein- Dortmund, Berufspendler tausendfach jeden Morgen mal zu präsentieren . Natürlich waren sich die Länder da- und jeden Abend gezwungen sind, wie Ölsardinen in der rüber einig: 8,5 Milliarden Euro an Regionalisierungs- Bimmelbahn zu fahren, sofern der völlig überfüllte Zug mitteln und keinen Euro weniger . Natürlich waren auch überhaupt noch an jedem Bahnhof hält . Dort ist tagtäg- andere Randbedingungen bei den Ländern selbstver- lich eine Bedarfssituation zu besichtigen . ständlich, und es war darüber sofort Einvernehmen zu erzielen: Es galt, gegenüber Bahn und Bund eine Ver- Eine vergleichbar schwierige Situation tritt in weiten handlungsposition aufzubauen und sich mit berechtigten Bereichen östlicher Bundesländer ein, weil es die Fern- Interessen möglichst durchzusetzen . Die 8 Milliarden verkehrslücke gibt und weil Eurocity-Verkehre und In- Euro waren in der Tat ein belastbarer Kompromiss . tercity-Verkehre – auch im internationalen Maßstab von 16770 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Minister Michael Groschek (Nordrhein-Westfalen) (A) Stralsund über Berlin nach Prag oder weiter – im Grun- Karl Holmeier (CDU/CSU): (C) de S-Bahn-gleich an jeder Station halten . Offenbar wird Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen damit, dass Fernverkehre nicht auskömmlich finanziert und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! sind . Bei diesem Finanzierungsproblem müssen wir an- Sehr verehrter Herr Minister, die verkehrspolitischen setzen . Themen liegen – Sie haben die Probleme angesprochen – bei unserer Bundesregierung und insbesondere bei unse- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) rem Bundesminister in den besten Händen . Was müssen wir machen? Wir müssen jetzt die eine (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen beim Kuh vom Eis kriegen: Wir müssen endlich die Regio- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nalisierungsmittel im Rahmen der Verordnung sichern . Dann müssen wir überlegen, wie noch vorhandene struk- Ich darf nur den Finanzhochlauf von 10,4 Milliarden auf turelle Defizite beseitigt werden können. Es gibt doch 14,4 Milliarden Euro ansprechen . Unser Verkehrsminis- spannende, sehr konstruktive Vorschläge der DB . Es gibt terium leistet also beste Arbeit . Überlegungen zu einem neuen Fernverkehrsnetz . Es gibt (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Überlegungen, wie wir mit der politischen Lebenslüge NEN]: Der hält es noch nicht mal für nötig, der Verkehrspolitik aufräumen, endlich mehr Güter von zu kommen!) der Straße auf die Schiene zu bringen . Wenn in den Ländern Defizite bestehen, kann man sie Warum haben wir nicht gemeinsam, Bund-Län- nicht dem Bundesminister bzw . der Bundesregierung an- der-übergreifend, den Mut, die verkehrspolitischen Pro- lasten . bleme der Republik endlich da zu lösen, wo sie zu lösen sind, nämlich an der Wurzel statt in der politischen Se- (Sören Bartol [SPD]: Das hat er doch nicht! mantik? Er hat nur gesagt: Die Verordnung hängt fest! Das ist ein Fakt!) (Beifall bei der SPD) Der Schienenpersonennahverkehr hat sich seit der Kalendersprüche können noch so sehr aufgeblasen wer- Bahnreform in Deutschland eigentlich positiv entwi- den: Es wird kein politisches Konzept daraus, wenn es ckelt; darüber sind wir uns alle im Grunde einig . Einig nicht problemadäquat angepackt wird . sind wir uns nicht; das zeigt der wiederholt gestellte An- trag der Linken Deshalb freue ich mich sehr, dass ich Gelegenheit habe, für die Länder hier zu sprechen und deutlich zu (Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Mit verschie- (B) machen, dass wir uns nicht in ein Gegeneinander und denem Inhalt!) (D) nicht einmal in ein Nebeneinander hetzen lassen . Viel- auf Erhöhung der Regionalisierungsmittel . Der erste An- mehr stehen wir gemeinsam und erinnern den Bund an trag der Linken wurde kürzlich bereits abgelehnt . Nur seine grundgesetzliche Alimentations- und Unterhalts- weil ein Antrag zweimal gestellt wird, wird er nicht bes- pflicht, der er über Jahre nicht nachgekommen ist. Das ser . Wir bleiben bei unserer Ablehnung . belegen viele Gutachten von Verfassungsrechtlern . Diese liegen vor, weil vor dem Vermittlungsergebnis juristische Ein gut ausgebauter öffentlicher Personennahverkehr Auseinandersetzungen vorbereitet worden waren . Das ist eine der Grundlagen für eine hohe Lebensqualität in zeigt, dass die grundgesetzliche Verpflichtung des Bun- den Städten und auch im ländlichen Raum . Der Nahver- des nicht beliebig zu interpretieren ist . Darüber kann man kehr ist in Deutschland so gut ausgebaut wie in keinem sich zwar amüsieren, aber letztendlich ist diese Grund- anderen Land . Jeden Tag nutzen 30 Millionen Menschen gesetzgegenwart in einer Rechtsverordnung abzubilden . den ÖPNV, und die Fahrgastzahlen sind in den vergange- nen Jahren stetig angestiegen . Deswegen gilt es natürlich Lange Rede, kurzer Sinn: Die Länder in Ost und West auch in Zukunft, die gute Qualität des ÖPNV und des wie in Nord und Süd warten darauf, dass die Verordnung Schienenpersonennahverkehrs zu halten bzw . mögli- endlich in Kraft gesetzt wird . Eine anstehende Landtags- cherweise noch zu steigern . Die Regionalisierungsmittel wahl kann kein hinreichendes Argument dafür sein, im spielen hier eine zentrale Rolle, die auch vom Bund un- regionalen Schienenverkehr nicht verkehrspolitische terstützt wird . Deshalb hat sich der Bund mit den Län- Vernunft walten zu lassen . Darum bitte ich herzlich, und dern – das wurde schon angesprochen – am 24 . Septem- ich bitte um Unterstützung des gesamten Hohen Hauses ber letzten Jahres auf eine Erhöhung und Dynamisierung dabei, der Regierung ein bisschen Beine zu machen . der Mittel verständigt . Sie als Linke tun jetzt so, als wür- Vielen Dank . de der Bund den Nahverkehr links liegen lassen . (Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Rechts!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist schlichtweg falsch . Der Beschluss vom vergangenen Jahr zeigt doch Vizepräsidentin Petra Pau: ganz klar: Die Mittel des Bundes werden erhöht . Der Der Kollege Karl Holmeier hat für die CDU/ Nahverkehr wird gestärkt . Die Regionalisierungsmittel CSU-Fraktion das Wort . wurden 2016 von 7,4 Milliarden auf 8 Milliarden Euro erhöht . Das ist ein Plus von 600 Millionen Euro . Zudem (Beifall bei der CDU/CSU) sollen die Mittel bis einschließlich 2031 jedes Jahr um Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16771

Karl Holmeier (A) 1,8 Prozent steigen . Das ist im nächsten Jahr ein Plus von tigsten anfangen: Wir werden bei der Diskussion über die (C) 144 Millionen Euro . Finanzierung des Nahverkehrs – eine Erfolgsgeschichte in unserem Land – keine Spaltung des Landes in Ost und (Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die Kos- West zulassen, auch wenn Sie von den Linken versuchen, ten steigen ja auch!) einen Gegensatz zu konstruieren . Das ist eine deutliche Steigerung und zeigt die Wert- schätzung für den Nahverkehr . Diesem Ausbau der För- (Beifall bei der SPD – Gustav Herzog [SPD]: derung haben alle zugestimmt: die Regierungschefinnen Sehr richtig, Kollege Hartmann, sehr richtig!) und Regierungschefs der Länder, der Deutsche Bundes- tag und der Bundesrat . Ich möchte besonders betonen: Das Thema des Nahverkehrs ist viel zu wichtig und zu Die Länder haben sowohl bei der Besprechung mit der zentral für einen funktionierenden Industriestaat, als dass Bundeskanzlerin im September 2015 als auch am 16 . Ok- man ihn zu einer Heckmeckgeschichte machen könnte, tober 2015 im Bundesrat dem Kompromiss als Emp- um sich kurzfristig zu profilieren. Sie haben vorher den fehlung des Vermittlungsausschusses zugestimmt . Das Vorschlägen zugestimmt, und wir haben gemeinsam das beinhaltet sowohl die Erhöhung um 600 Millionen auf Ergebnis des Vermittlungsausschusses bestätigt . Das ist 8 Milliarden Euro und die Dynamisierung der Mittel als die Ausgangslage . Nichts anderes ist der Fall . auch die Verteilung der Mittel nach dem Kieler Schlüssel . Es kann daher nicht sein, dass Sie jetzt daherkommen, Darüber hinaus: Die SPD-Fraktion kann sich auf das sich hierhinstellen und den Kompromiss kurz nach der berufen, was sie getan hat . Wir haben 2013 einen Koali- Zustimmung wieder infrage stellen und kippen wollen . tionsvertrag mit unseren Partnerinnen und Partnern von Wenn die Linke jetzt mehr Mittel fordert, wird sie der Sa- der CDU/CSU ausgehandelt und gesagt, dass wir 2014 che nicht gerecht . Ich erwarte ganz klar, dass die Länder die Revision der Regionalisierungsmittel vornehmen und nun zügig zu einer einvernehmlichen Einigung kommen, sie im Rahmen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen auf deren Basis die Mittel durch eine Rechtsverordnung neu ordnen wollen . Als das nicht zustande kam, sind wir verteilt werden können . Der vorliegende Kompromiss ist weitergegangen und haben gesagt: Wir brauchen eine ein wichtiger Schritt hin zur Stärkung des Nahverkehrs . zügige Revision der Regionalisierungsmittel, um schnell An einem weiteren Schritt arbeiten wir zurzeit . Mor- Planungssicherheit für alle Teile unseres Landes herzu- gen diskutieren wir im Plenum in erster Lesung über den stellen – Nord, Süd, Ost und West . Wir wollen kein Ge- Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs geneinander . im Eisenbahnbereich; denn neben der Erhöhung der Regionalisierungsmittel müssen wir vor allem für mehr Danach haben wir das beschlossen . Wir haben ge- (B) Wettbewerb und Effizienz im Eisenbahnsektor sorgen. wusst, dass dann, wenn ein Beschluss über 7,7 Milliar- (D) Dazu gehören unter anderem der diskriminierungsfreie den Euro aufseiten des Bundes und ein Beschluss über Zugang zur Eisenbahninfrastruktur für alle Eisenbahn- 8,5 Milliarden Euro aufseiten der Länder vorliegt, man verkehrsunternehmen und die Neugestaltung der Entre- sich irgendwo verständigen muss . Wir sind froh, dass gulierung für die Nutzung der Schienenwege . So können wir ein deutliches Signal setzen konnten . Deswegen darf Infrastrukturkosten und Trassenentgelte gesenkt werden . man aus der Erfolgsgeschichte des Nahverkehrs keinen Zusammen sorgen diese Regelungen dafür, dass unser Misserfolg machen . Nahverkehr auch langfristig hervorragend ausgebaut wird und qualitativ hochwertig bleibt . Das ist eine Steigerung um 10 Prozent, aber man muss auch die Probleme, die benannt worden sind, zur Kennt- Ihre Anträge, sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- nis nehmen . Wenn wir die Ausweitung des Nahverkehrs gen von den Linken, greifen dagegen viel zu kurz . Ihre wollen, um die Mehrbedarfe abzubilden, dann darf es an Forderungen tragen schlichtweg nicht allen Aspekten des anderer Stelle in unseren Bundesländern nicht zu Kür- Sachverhalts Rechnung . Deshalb schließen wir uns der zungen oder Streckenstilllegungen kommen . Deswegen Empfehlung des Verkehrsausschusses an und lehnen Ih- ist auch der Titel Ihres Antrages vollkommen irrefüh- ren Antrag ab . rend; denn erst wenn es zu einer negativen Verteilung Danke schön . kommen würde, würde es überhaupt zu Abbestellungen und Streckenstilllegungen kommen . Um das zu vermei- (Beifall bei der CDU/CSU) den, können wir als Bundestag und als Koalition ein kla- res Signal setzen . Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Sebastian Hartmann für die Ja, der Verkehrsminister hat einen Verordnungsvor- SPD-Fraktion . schlag gemacht, der von den Ländern verlangt worden ist, aber dieser ist angehalten worden, und zwar im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kanzleramt . Deswegen müssen wir als Verantwortungs- der CDU/CSU) träger aufseiten des Bundes gemeinsam den Schritt ge- hen, dass jetzt ein Vorschlag gemacht wird, der beides Sebastian Hartmann (SPD): erreicht: die Mehrbedarfe in den Ländern, wo sie auf- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und grund von Gutachten nachgewiesen sind, abzubilden Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie und zu vermeiden, dass die Mittel unter das absinken, mich namens der SPD-Fraktion zunächst mit dem Wich- was man in den vorherigen Haushaltsjahren in den Bun- 16772 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Sebastian Hartmann (A) desländern geschafft hat . Das ist verantwortliche Politik nicht zu einer Einigung über deren Verteilung kommen . (C) für alle Teile des Landes . Wir reden über zusätzliche Mittel in Höhe von 700 Milli- onen Euro . Wenn die Länder meinen: „Wir kommen mit (Beifall bei der SPD – Gustav Herzog [SPD]: dem Geld nicht aus“, dann ist das nichts anderes als ein Das machen wir auch, Kollege Hartmann! Das Vertrag zulasten Dritter, mit dem man seine eigenen Ziel- machen wir!) vorstellungen formuliert und gesagt hat: Andere sollen es Dann wird sich die Geschichte des schienengebunde- bezahlen .– Das macht der Bund jetzt nicht . Die Länder nen Nahverkehrs in diesem Land auch weiterhin als Er- werden sich nicht einig darüber, wie die 700 Millionen folgsgeschichte erweisen; denn wir wollen nicht weniger Euro mehr aufgeteilt werden sollen . Verkehr, sondern wir wollen mehr Verkehr von der Stra- Jetzt meldet sich ein Teil der Länder im Kanzleramt ße auf die Schiene verlagern . Das ist die einzige Antwort, und sagt: Wir sind nicht verstanden worden . Wir können die wir in den Metropolräumen unseres Landes brau- den Kompromiss nicht mitmachen .– Es war ganz prak- chen, aber auch in den weniger gut strukturierten Räu- tisch, den Bund zu beauftragen, eine Rechtsverordnung men; denn es gehört zur Teilhabe an Mobilität, dass man zu erlassen . Aber der Bund kann eine solche Rechtsver- auch im ländlich strukturierten Raum mobil sein kann . ordnung nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das hat man sicherheitshalber so geregelt –, und diese der CDU/CSU) Zustimmung erhalten wir nicht . Deswegen ist es wohl- feil, dem Bund und hier dem Bundesverkehrsminister die Alle Mitglieder dieses Hohen Hauses haben eine ge- Schuld zuzuschieben; denn der ist – fast hätte ich gesagt: meinsame Verantwortung . Wir haben uns mit den Län- Tag und Nacht – dern 1994 und 1996 verständigt, diese Aufgabe zu regio- nalisieren . Wir haben uns gleichzeitig immer wieder auf (Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Aber nur die Schulter geklopft und gesagt, dass von allen drei Ver- fast!) kehrssparten – Güterverkehr, Fernverkehr und Nahver- bemüht, eine solche Vereinbarung der Länder zustande kehr – der Nahverkehr die erfolgreichste Verkehrssparte zu bringen . Auch der Bund schafft es nicht . Das Problem seit der Regionalisierung der Aufgabe ist . Deswegen will sind die Länder, die sich nicht einigen können . ich an dieser Stelle sagen: Die Länder haben ihre Aufga- be verantwortungsvoll wahrgenommen . (Beifall bei der CDU/CSU) Wir aber stehen in der Pflicht, für eine auskömm- Wo liegt eigentlich das inhaltliche Problem? Ich höre liche Finanzierung zu sorgen . Das ist im Grundgesetz hier Debattenbeiträge über Streckenstilllegungen . eindeutig geregelt . Diese Finanzierung endet nicht an (Sabine Leidig [DIE LINKE]: So sieht es aus, (B) Bundesländergrenzen . Wir gehen davon aus, dass das weil das Geld fehlt!) (D) Kanzleramt zügig eine Regelung entlang der von mir für die SPD-Fraktion skizzierten Punkte findet, die deutlich – So sieht es aus . Dafür mag es unterschiedliche Gründe macht: keine Streckenstilllegungen, keine Abbestellun- geben . gen, nichts weniger als das, was zugesagt ist, damit mehr Wenn man diesen Gründen nachgehen und sich fragen Bedarfe abgebildet werden und keine Verkehre im ländli- will: „Warum könnte das Geld überhaupt knapp sein?“, chen Raum verschwinden . Dafür stehen wir ein . dann kann man ja einmal in ein völlig unverdächtiges (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Werk schauen, nämlich in das Gutachten, das die Län- der CDU/CSU) der in Auftrag gegeben haben zur, wie Herr Groschek so schön sagte, Begründung der Anhebung der Mittel für sie Vizepräsidentin Petra Pau: auf 8,5 Milliarden Euro . Auf Seite 39 dieses Gutachtens kann man nachlesen, dass Hessen und Baden-Württem- Das Wort hat der Kollege Norbert Brackmann für die berg mittlerweile die einzigen Länder sind, die ihre Re- CDU/CSU-Fraktion . gionalisierungsmittel ausschließlich für den Betrieb des (Beifall bei der CDU/CSU) Schienenpersonennahverkehrs ausgeben . Kein anderes Land, auch Nordrhein-Westfalen nicht, Herr Groschek, Norbert Brackmann (CDU/CSU): tut dies . Die Mittel, die für den Betrieb des Schienen- personennahverkehrs vorgesehen sind, werden von fast Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! allen Ländern dafür nicht genutzt . Dies ist ein Mangel . Manchmal ist es ganz hilfreich, zunächst einmal die Ver- antwortlichkeiten klarzustellen . Der Bund gibt nach dem (Beifall bei der CDU/CSU) Regionalisierungsgesetz finanzielle Mittel an die Länder, Dass wir das nicht einmal kontrollieren können, finden die diese dann inhaltlich umsetzen . Es ist von dem Kol- wir schlimm . Wir müssen uns auch noch vorwerfen las- legen Donth schon darauf hingewiesen worden, dass der sen, dass die Länder die Mittel zweckentfremdet verwen- Bund hier zu seinen Zusagen gestanden hat und dass für den . Wofür verwenden die Länder die Mittel? Wie auch die Länder über 700 Millionen Euro mehr, die im Haus- in diesem Gutachten nachzulesen ist – die entsprechen- halt fest verankert sind, zur Verfügung stehen . Das ist im den Länder sind dort alle namentlich benannt –, werden Haushaltsgesetz festgelegt . damit Bahnhöfe verschönert, werden Busse bestellt, weil Nur ist es schlichtweg nicht zur Anwendung gekom- sich der Schienenverkehr nicht mehr rechnet, wird da- men . Für den Bereich Schienenpersonennahverkehr kön- mit die Infrastruktur ausgebaut, obwohl die Länder dafür nen diese Mittel nicht genutzt werden, weil die Länder vom Bund ebenfalls Geld bekommen: Über das GVFG Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16773

Norbert Brackmann (A) und über die Entflechtungsmittel wird diese Infrastruktur Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- (C) noch einmal bezahlt . Nur werden die Mittel dafür nicht me noch nicht abgeben konnte? – Ein kleiner Hinweis: zweckentsprechend eingesetzt . Deswegen machen die Hier vorne sind die Zugänge zur Urne völlig frei . Länder sich das Leben selber schwer . Ich frage noch einmal: Ist ein Mitglied des Hauses an- Dann zu kommen und zu sagen: „Weil wir unsere wesend, das seine Stimme noch nicht abgeben konnte? – Mittel nicht zweckentsprechend verwendet haben, musst Das ist nicht der Fall . Ich schließe die Abstimmung und du, Bund, zahlen, und zwar noch mehr als bisher“, das bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der ist eine unlautere Politik . Das hat mit der Wahrheit über- Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der namentlichen haupt nichts mehr zu tun . Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben 2). (Beifall bei der CDU/CSU) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: So ist es ja auch inhaltlich . Es gibt einige Länder – – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- ich kann das politisch verstehen –, die ihren Schienen- desregierung eingebrachten Entwurfs eines personennahverkehr noch attraktiver machen wollen . Gesetzes zur Modernisierung des Besteue- Der schleswig-holsteinische Verkehrsminister bedauert rungsverfahrens öffentlich, dass es noch keine Einigung über die Höhe gibt, weil auch der Kompromiss der Ministerpräsiden- Drucksache 18/7457 ten – egal ob man diesen gut oder schlecht findet – dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- führt, dass das Land Schleswig-Holstein Schienenstre- ausschusses (7 . Ausschuss) cken wiederbeleben und in den öffentlichen Personen- nahverkehr integrieren könnte . Das heißt, die Mittel sind Drucksache 18/8434 schon so gestrickt, dass damit auch für die Zukunft öf- fentlicher Personennahverkehr auf der Schiene finanziert – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - werden kann . Lassen Sie uns hier also keine Nebelkerzen schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung werfen. Der Bund hat seine Pflicht übererfüllt. Die Län- Drucksache 18/8435 der sollten jetzt keine Kesselflickerei betreiben und alles schlechtreden, sondern die Züge auf den Schienen fahren Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion lassen . Das wäre ein gutes Werk . Bündnis 90/Die Grünen vor . Danke schön . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der CDU/CSU – Sören Bartol die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- (B) [SPD]: Viel Spaß bei den Diskussionen mit nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . (D) der Kanzlerin!) Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Dr . Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion . Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Drucksache 18/8392 an die in der Tagesordnung aufge- legen! Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formu- führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- lare .– Dieser Spottreim wird dank des nun im Entwurf verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung vorliegenden Gesetzes bald weniger zutreffen; denn mit so beschlossen . dem heutigen Durchgang schließt der Deutsche Bundes- tag die Beratung des Entwurfs eines Gesetzes der Bun- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- desregierung zur Modernisierung des Besteuerungsver- ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag fahrens nach ausführlicher Diskussion ab . Der Titel des der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Drohende Stre- Gesetzes ist sicher ein sehr hoher Anspruch – das will ckenstilllegungen verhindern – Regionalisierungsmittel ich gern zugeben –, und doch macht dieses Gesetz den erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Weg für ein ganzes Bündel von Maßnahmen frei, die empfehlung auf Drucksache 18/8362, den Antrag der Steuerbürger, aber auch Unternehmen und Finanzver- Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8074 abzulehnen . waltung in vielfältiger Hinsicht entlasten werden, nicht Mir liegen zahlreiche Erklärungen nach § 31 unserer Ge- was die Höhe der Steuern anbetrifft – das wäre auch zu schäftsordnung vor . Entsprechend unseren Regeln neh- schön –, wohl aber was den Aufwand, die Administra- 1) men wir diese zu Protokoll . tion, anbetrifft . Der Erfüllungsaufwand für die Bürger Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf sinkt um 2,1 Millionen Stunden . Die Bürokratiekosten Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab . Ich bit- für die Wirtschaft verringern sich um jährlich 28 Millio- te die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgese- nen Euro, so festgestellt . henen Plätze einzunehmen .– Sind die Schriftführerinnen Mit dem Gesetz werden drei Schwerpunkte gesetzt: und Schriftführer an ihrem Platz? – Ich werte die Zeichen so, dass die Schriftführerinnen und Schriftführer an ih- Erstens werden die Wirtschaftlichkeit und die Effizi- rem Platz sind . Ich eröffne die Abstimmung . enz des Besteuerungsverfahrens durch einen verstärkten

1) Anlagen 5 und 6 2) Ergebnis Seite 16775 C 16774 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) Automatisationseinsatz sichtbar erhöht, zum Beispiel der Behinderung müssen durch die Steuerpflichtigen nur (C) durch den Ausbau von Risikomanagementsystemen in noch vorgehalten und nicht mehr als Einzelbelege über- der Finanzverwaltung . sandt werden .

Zweitens wird die Handhabbarkeit des Besteuerungs- Aber auch für die Wirtschaft ist manches einfacher verfahrens nachhaltig vereinfacht . Dies wird zum Bei- geworden . Für die Unternehmen sinken die Bürokratie- spiel durch die Verlängerung der Abgabefristen und den kosten . Das handelsrechtliche Aktivierungswahlrecht für Wegfall von Belegvorlagepflichten erreicht. Kosten der allgemeinen Verwaltung sowie für Aufwen- dungen für soziale Einrichtungen des Betriebs gilt künf- (Beifall des Abg . Lothar Binding [Heidel- tig auch für die Steuerbilanz . Das ist ein wesentlicher berg] [SPD]) Vorteil . Die Doppelerfassungen in Handels- und Steu- erbilanz entfallen, und das ist ein echter Vorteil für die Drittens erfolgt eine Neugestaltung der rechtlichen Unternehmensbilanz . Grundlagen, insbesondere bei der Abgabenordnung, etwa (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) durch die Anpassung des Amtsermittlungsgrundsatzes oder durch Veränderungen beim Verspätungszuschlag . Ein Vorteil für die mittelständische Wirtschaft ist auch Dabei bleibt das „One in, one out“-Prinzip der Bundes- die bessere Planbarkeit der Steuerforderungen, weil wir regierung erhalten, sodass es zu keinem Aufwuchs der das Instrument der verbindlichen Auskunft stärken . So Bürokratie kommen wird . erhalten Steuerpflichtige schneller Rechtssicherheit bei der steuerlichen Beurteilung komplexer Einzelfälle . Die Meine Damen und Herren, das ist heute ein guter Tag . Finanzämter sollen zukünftig über einen Antrag auf ver- Es ist ein gutes Gesetz für Steuerbürger und Finanzver- bindliche Auskunft grundsätzlich innerhalb von sechs waltung . Monaten entscheiden . Damit ist eine gewisse Sicherheit für den Steuerbürger, für das Unternehmen gegeben; ins- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) besondere ist eine Planbarkeit der Liquidität in den Un- ternehmen besser möglich . Auch das ist ein großer Vor- Wer kennt sie nicht, die Klage des normalen Steuer- teil unseres Gesetzes . bürgers, wenn es darum geht, die Steuererklärung fer- tigzustellen? Auch die steuerberatenden Berufe klagen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und immer wieder darüber, dass unterschiedliche Fristen zu der SPD) beachten sind . Natürlich haben wir in der Vergangenheit schon manches vereinfacht . Vieles in diesem Bereich der Eines möchte ich noch anfügen: In der Öffentlichkeit Steuerpolitik ist aber noch zu vereinfachen . hat es heftige Debatten um den im Gesetz verankerten (B) Verspätungszuschlag gegeben, der erhoben wird, wenn (D) Ich will an dieser Stelle die elektronische Steuerer- die Abgabefrist für eine Steuererklärung überschritten klärung nennen, die von manchen anfangs skeptisch be- wird . Meine Damen und Herren, ein Verspätungszu- äugt wurde und inzwischen längst ein Renner ist . Aber schlag ist nichts Neues . Es gibt ihn schon lange . Er wird wir müssen selbstkritisch einräumen, dass das Besteue- aber bislang durch die Bearbeiter im Finanzamt nach rungsverfahren nicht mit der rasanten Entwicklung der individuellem Ermessen festgesetzt . Das erscheint mir Möglichkeiten im IT-Zeitalter Schritt gehalten hat . Das weder ein gerechtes noch ein vom Aufwand her zu recht- ist weder gut für die Bürger noch gut für die Unterneh- fertigendes Verfahren zu sein . Deshalb wird der Verspä- men oder die Finanzverwaltung . Deshalb war es an der tungszuschlag künftig im automatisierten Verfahren er- Zeit, den Modernisierungsrückstand aufzuholen und den hoben . Außerdem wird er von 50 auf 25 Euro gesenkt . Blick nach vorne zu richten . Das tun wir heute mit die- Auch das ist ein wesentlicher Vorteil . sem Gesetz . Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Eine Gerechtig- keitslücke für unsere Steuerzahler bleibt leider noch zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schließen . ordneten der SPD) (Frank Junge [SPD]: Noch zu hoch!) Den Blick nach vorne zu richten, heißt vor allem auch, den Einsatz medienbruchfreier automatisierter Verfahren Angesichts der Niedrigzinsphase hätte ich mir ge- in der Steuerverwaltung zu verstärken . Das macht die wünscht, dass wir bei der Vollverzinsung eine Senkung Berechnungsverfahren schneller und verhilft den Steuer- vornehmen . Doch leider kam es aufgrund fehlender bürgern rascher zu ihrem Geld, wenn sie Anspruch auf Wirtschaftsfreundlichkeit zu keiner befristeten Absen- Steuerrückzahlungen haben . kung des Zinssatzes von 0,5 auf 0,4 Prozent für Steuer- erstattungen und Steuernachzahlungen . Wir müssen uns, Die Gesetzesänderung bringt für die Bürger eine auch um die Glaubwürdigkeit des Staates als Fiskus zu ganze Reihe von Vorteilen: Zum Ersten werden sie von verbessern, dafür einsetzen, solche Gerechtigkeitslücken unnötigem Bürokratieaufwand entlastet, zum Zweiten nicht zuzulassen . verlängert sich die Abgabefrist für die Steuererklärung (Beifall der Abg . Margaret Horb [CDU/ um immerhin zwei Monate, und zum Dritten müssen sie CSU]) zukünftig weniger Belege an das Finanzamt übersenden . Zuwendungsbescheinigungen, Bescheinigungen über Es kann nicht sein, dass wir eine Niedrigzinssituation Kapitalertragsteuer oder die Feststellung über den Grad haben und sich der Staat mit großem Profit bei den Steu- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16775

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) erzahlern in diesem Bereich schadlos hält, meine Damen Vizepräsidentin Petra Pau: (C) und Herren . Deswegen müssen wir darauf bestehen, dass Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das mit einer nächsten Gesetzesänderung angegangen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit- wird . Dies ist ein gutes Gesetz; aber wir sind noch nicht telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: am Ende der Fahnenstange . abgegebene Stimmen 575 . Mit Ja haben 457 Kolleginnen Vielen Dank . und Kollegen gestimmt, mit Nein 116; 2 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten . Die Beschlussemp- (Beifall bei der CDU/CSU) fehlung ist damit angenommen .

Endgültiges Ergebnis Dr . Thomas Feist Ansgar Heveling Paul Lehrieder Abgegebene Stimmen: 572; Enak Ferlemann Dr . Heribert Hirte Dr . Katja Leikert davon Ingrid Fischbach Christian Hirte Dr . Philipp Lengsfeld ja: 453 Axel E . Fischer (Karlsru- Alexander Hoffmann Dr . Andreas Lenz he-Land) nein: 117 Thorsten Hoffmann Dr . Ursula von der Leyen Klaus-Peter Flosbach (Dortmund) enthalten: 2 Antje Lezius Thorsten Frei Karl Holmeier Ingbert Liebing Dr . Astrid Freudenstein Franz-Josef Holzenkamp Matthias Lietz Ja Dr . Hans-Peter Friedrich Dr . Hendrik Hoppenstedt Andrea Lindholz CDU/CSU (Hof) Margaret Horb Dr . Carsten Linnemann Michael Frieser Anette Hübinger Patricia Lips Katrin Albsteiger Dr . Michael Fuchs Hubert Hüppe Wilfried Lorenz Artur Auernhammer Hans-Joachim Fuchtel Erich Irlstorfer Thomas Bareiß Dr . Claudia Lücking-Michel Ingo Gädechens Thomas Jarzombek Norbert Barthle Dr . Jan-Marco Luczak Dr . Thomas Gebhart Sylvia Jörrißen Günter Baumann Karin Maag Alois Gerig Dr . Franz Josef Jung Maik Beermann Yvonne Magwas Eberhard Gienger Andreas Jung Manfred Behrens (Börde) Thomas Mahlberg Cemile Giousouf Xaver Jung Veronika Bellmann Dr . Thomas de Maizière Josef Göppel Dr . Egon Jüttner Sybille Benning Gisela Manderla Ursula Groden-Kranich Bartholomäus Kalb (B) Dr . André Berghegger Matern von Marschall (D) Hermann Gröhe Dr . Christoph Bergner Hans-Werner Kammer Hans-Georg von der Marwitz Klaus-Dieter Gröhler Ute Bertram Steffen Kampeter Andreas Mattfeldt Michael Grosse-Brömer Peter Beyer Steffen Kanitz Stephan Mayer (Altötting) Astrid Grotelüschen Steffen Bilger Alois Karl Reiner Meier Markus Grübel Clemens Binninger Anja Karliczek Dr . Michael Meister Peter Bleser Manfred Grund Bernhard Kaster Jan Metzler Norbert Brackmann Oliver Grundmann Volker Kauder Maria Michalk Klaus Brähmig Monika Grütters Dr . Stefan Kaufmann Dr . h .c . Hans Michelbach Michael Brand Dr . Herlind Gundelach Dr . Georg Kippels Dr . Mathias Middelberg Dr . Reinhard Brandl Fritz Güntzler Volkmar Klein Dietrich Monstadt Helmut Brandt Olav Gutting Jürgen Klimke Karsten Möring Dr . Ralf Brauksiepe Christian Haase Jens Koeppen Marlene Mortler Dr . Florian Hahn Markus Koob Volker Mosblech Ralph Brinkhaus Dr . Stephan Harbarth Kordula Kovac Elisabeth Motschmann Cajus Caesar Jürgen Hardt Michael Kretschmer Dr . Gerd Müller Gitta Connemann Matthias Hauer Gunther Krichbaum Carsten Müller (Braun- Alexandra Dinges-Dierig Mark Hauptmann Rüdiger Kruse schweig) Alexander Dobrindt Dr . Stefan Heck Bettina Kudla Stefan Müller (Erlangen) Michael Donth Dr . Matthias Heider Dr . Roy Kühne Dr . Philipp Murmann Thomas Dörflinger Helmut Heiderich Günter Lach Michaela Noll Marie-Luise Dött Mechthild Heil Uwe Lagosky Helmut Nowak Hansjörg Durz Frank Heinrich (Chemnitz) Dr . Karl A . Lamers Dr . Georg Nüßlein Iris Eberl Mark Helfrich Dr . Norbert Lammert Julia Obermeier Jutta Eckenbach Uda Heller Katharina Landgraf Wilfried Oellers Dr . Bernd Fabritius Jörg Hellmuth Ulrich Lange Florian Oßner Hermann Färber Rudolf Henke Barbara Lanzinger Dr . Tim Ostermann Uwe Feiler Michael Hennrich Dr . Silke Launert Henning Otte 16776 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Ingrid Pahlmann Dieter Stier Heike Baehrens Marcus Held (C) Sylvia Pantel Rita Stockhofe Ulrike Bahr Wolfgang Hellmich Martin Patzelt Gero Storjohann Heinz-Joachim Barchmann Heidtrud Henn Dr . Martin Pätzold Stephan Stracke Dr . Katarina Barley Gustav Herzog Ulrich Petzold Max Straubinger Doris Barnett Gabriele Hiller-Ohm Dr . Joachim Pfeiffer Matthäus Strebl Klaus Barthel Petra Hinz (Essen) Sibylle Pfeiffer Karin Strenz Dr . Matthias Bartke Thomas Hitschler Eckhard Pols Lena Strothmann Sören Bartol Dr . Eva Högl Thomas Rachel Michael Stübgen Uwe Beckmeyer Matthias Ilgen Kerstin Radomski Dr . Sabine Sütterlin-Waack Lothar Binding (Heidelberg) Christina Jantz-Herrmann Alexander Radwan Dr . Burkhard Blienert Frank Junge Alois Rainer Antje Tillmann Willi Brase Oliver Kaczmarek Dr . Peter Ramsauer Astrid Timmermann-Fechter Dr . Karl-Heinz Brunner Johannes Kahrs Eckhardt Rehberg Dr . Hans-Peter Uhl Edelgard Bulmahn Ralf Kapschack Lothar Riebsamen Dr . Volker Ullrich Marco Bülow Gabriele Katzmarek Josef Rief Arnold Vaatz Martin Burkert Ulrich Kelber Dr . Heinz Riesenhuber Oswin Veith Dr . Lars Castellucci Marina Kermer Johannes Röring Thomas Viesehon Petra Crone Cansel Kiziltepe Dr . Norbert Röttgen Michael Vietz Bernhard Daldrup Arno Klare Erwin Rüddel Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr . Daniela De Ridder Lars Klingbeil Albert Rupprecht Sven Volmering Dr . Karamba Diaby Dr. Bärbel Kofler Anita Schäfer (Saalstadt) Christel Voßbeck-Kayser Sabine Dittmar Daniela Kolbe Andreas Scheuer Kees de Vries Martin Dörmann Birgit Kömpel Karl Schiewerling Dr . Johann Wadephul Elvira Drobinski-Weiß Anette Kramme Jana Schimke Marco Wanderwitz Michaela Engelmeier Dr . Hans-Ulrich Krüger Norbert Schindler Nina Warken Dr . h .c . Gernot Erler Helga Kühn-Mengel Tankred Schipanski Kai Wegner Petra Ernstberger Christine Lambrecht Heiko Schmelzle Albert Weiler Saskia Esken Christian Lange (Backnang) (B) Christian Schmidt (Fürth) Marcus Weinberg (Hamburg) Karin Evers-Meyer Dr . Karl Lauterbach (D) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Dr . Anja Weisgerber Dr . Johannes Fechner Steffen-Claudio Lemme Ronja Schmitt Peter Weiß (Emmendingen) Dr . Fritz Felgentreu Burkhard Lischka Patrick Schnieder Sabine Weiss (Wesel I) Elke Ferner Gabriele Lösekrug-Möller Dr . Ole Schröder Ingo Wellenreuther Dr . Ute Finckh-Krämer Hiltrud Lotze Dr . Kristina Schröder (Wies- Karl-Georg Wellmann Christian Flisek Kirsten Lühmann baden) Marian Wendt Gabriele Fograscher Dr . Birgit Malecha-Nissen Bernhard Schulte-Drüggelte Waldemar Westermayer Dr . Edgar Franke Caren Marks Dr . Klaus-Peter Schulze Kai Whittaker Ulrich Freese Katja Mast Uwe Schummer Peter Wichtel Michael Gerdes Hilde Mattheis Armin Schuster (Weil am Annette Widmann-Mauz Martin Gerster Dr . Matthias Miersch Rhein) Heinz Wiese (Ehingen) Iris Gleicke Klaus Mindrup Christina Schwarzer Klaus-Peter Willsch Angelika Glöckner Susanne Mittag Detlef Seif Elisabeth Winkelmeier- Ulrike Gottschalck Bettina Müller Becker Johannes Selle Kerstin Griese Michelle Müntefering Oliver Wittke Reinhold Sendker Gabriele Groneberg Dr . Rolf Mützenich Dagmar G . Wöhrl Dr . Patrick Sensburg Michael Groß Andrea Nahles Barbara Woltmann Bernd Siebert Uli Grötsch Dietmar Nietan Tobias Zech Johannes Singhammer Wolfgang Gunkel Ulli Nissen Heinrich Zertik Tino Sorge Bettina Hagedorn Thomas Oppermann Emmi Zeulner Jens Spahn Rita Hagl-Kehl Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr . Matthias Zimmer Carola Stauche Metin Hakverdi Aydan Özoğuz Gudrun Zollner Dr . Frank Steffel Ulrich Hampel Markus Paschke Albert Stegemann Sebastian Hartmann Christian Petry SPD Peter Stein Michael Hartmann (Wa- Detlev Pilger Erika Steinbach Niels Annen ckernheim) Sabine Poschmann Sebastian Steineke Ingrid Arndt-Brauer Dirk Heidenblut Joachim Poß Christian Frhr . von Stetten Rainer Arnold (Peine) Florian Post Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16777

(A) Achim Post (Minden) Michael Thews Stefan Liebich Dr . Anton Hofreiter (C) Dr . Wilhelm Priesmeier Carsten Träger Dr . Gesine Lötzsch Bärbel Höhn Florian Pronold Ute Vogt Thomas Lutze Dieter Janecek Dr . Sascha Raabe Dirk Vöpel Birgit Menz Uwe Kekeritz Dr . Simone Raatz Gabi Weber Cornelia Möhring Katja Keul Martin Rabanus Niema Movassat Sven-Christian Kindler Stefan Rebmann Dirk Wiese Norbert Müller (Potsdam) Maria Klein-Schmeink Gerold Reichenbach Waltraud Wolff (Wol- Dr . Alexander S . Neu Sylvia Kotting-Uhl Dr . Carola Reimann mirstedt) Thomas Nord Oliver Krischer Gülistan Yüksel Andreas Rimkus Petra Pau Stephan Kühn (Dresden) Dagmar Ziegler Sönke Rix Harald Petzold (Havelland) Christian Kühn (Tübingen) Stefan Zierke Petra Rode-Bosse Richard Pitterle Renate Künast Dr . Jens Zimmermann Dennis Rohde Martina Renner Markus Kurth Manfred Zöllmer Dr . Martin Rosemann Dr . Petra Sitte Monika Lazar Dr . Ernst Dieter Rossmann Kersten Steinke Steffi Lemke Michael Roth (Heringen) Nein Dr . Kirsten Tackmann Dr . Tobias Lindner Susann Rüthrich Peter Meiwald DIE LINKE Frank Tempel Bernd Rützel Dr . Axel Troost Irene Mihalic Jan van Aken Beate Müller-Gemmeke Sarah Ryglewski Alexander Ulrich Dr . Dietmar Bartsch Özcan Mutlu Johann Saathoff Kathrin Vogler Herbert Behrens Dr . Konstantin von Notz Annette Sawade Halina Wawzyniak Dr . Hans-Joachim Schabe- Karin Binder Omid Nouripour Harald Weinberg doth Matthias W . Birkwald Friedrich Ostendorff Katrin Werner Axel Schäfer (Bochum) Heidrun Bluhm Cem Özdemir Birgit Wöllert Dr . Nina Scheer Christine Buchholz Brigitte Pothmer Jörn Wunderlich Marianne Schieder Eva Bulling-Schröter Tabea Rößner Hubertus Zdebel Udo Schiefner Roland Claus Claudia Roth (Augsburg) Pia Zimmermann Dr . Dorothee Schlegel Sevim Dağdelen Corinna Rüffer Sabine Zimmermann (B) Ulla Schmidt (Aachen) Dr . Diether Dehm Elisabeth Scharfenberg (D) (Zwickau) Matthias Schmidt (Berlin) Klaus Ernst Ulle Schauws Dagmar Schmidt (Wetzlar) Wolfgang Gehrcke Dr . Gerhard Schick BÜNDNIS 90/ Carsten Schneider (Erfurt) Nicole Gohlke DIE GRÜNEN Dr . Frithjof Schmidt Elfi Scho-Antwerpes Annette Groth Kordula Schulz-Asche Ursula Schulte Dr . André Hahn Luise Amtsberg Dr . Wolfgang Streng- Swen Schulz (Spandau) Heike Hänsel Kerstin Andreae mann-Kuhn Ewald Schurer Dr . Rosemarie Hein Annalena Baerbock Hans-Christian Ströbele Frank Schwabe Inge Höger Marieluise Beck (Bremen) Dr . Harald Terpe Stefan Schwartze Andrej Hunko Volker Beck (Köln) Markus Tressel Andreas Schwarz Sigrid Hupach Agnieszka Brugger Jürgen Trittin Rita Schwarzelühr-Sutter Ulla Jelpke Ekin Deligöz Dr . Julia Verlinden Rainer Spiering Susanna Karawanskij Katja Dörner Doris Wagner Norbert Spinrath Kerstin Kassner Katharina Dröge Beate Walter-Rosenheimer Svenja Stadler Jan Korte Harald Ebner Dr . Valerie Wilms Martina Stamm-Fibich Jutta Krellmann Dr . Thomas Gambke Sonja Steffen Katrin Kunert Matthias Gastel Enthalten Peer Steinbrück Caren Lay Kai Gehring Christoph Strässer Sabine Leidig Katrin Göring-Eckardt SPD Kerstin Tack Ralph Lenkert Anja Hajduk Thomas Jurk Claudia Tausend Michael Leutert Britta Haßelmann Detlef Müller (Chemnitz)

Wir fahren in der Debatte zum Entwurf eines Geset- Dr. Axel Troost (DIE LINKE): zes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens fort . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wort hat der Kollege Dr .Axel Troost für die Fraktion Die Linke . Seit Jahren wissen wir von massiven Defiziten im Steu- ervollzug . In der Finanzverwaltung fehlen laut den Be- (Beifall bei der LINKEN) darfsberechnungen der Länder bis zu 16 000 Beschäftig- 16778 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. Axel Troost (A) te . Durch Personalmangel und schlechte Ausstattung wird Das bisher geltende Prinzip der Gleichmäßigkeit der (C) vielerorts nur schlecht oder zeitweise gar nicht geprüft . Besteuerung wird nun ergänzt um die Prinzipien der Vor allem Gutverdiener und gewinnstarke kleinere und Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit . mittlere Unternehmen haben dadurch gute Chancen, bei ihren Steuererklärungen zu tricksen und durch schlechte (Margaret Horb [CDU/CSU]: Das ist auch Kontrollen zu wenig Steuern zu zahlen . gut so!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!) Dadurch wird der Vollzug der Steuergesetze noch stärker abhängig vom vorhandenen Personalbestand: Habe ich Anscheinend nehmen gerade die reichen Bundesländer zu wenig Personal, kann ich nicht mehr eine Gleichmä- dies gerne in Kauf, um im Steuerwettbewerb mit anderen ßigkeit der Besteuerung durchsetzen . Unter Wirtschaft- Bundesländern besonders attraktiv für Reiche und Unter- lichkeits- und Zweckmäßigkeitsaspekten nehme ich jetzt nehmen dazustehen . mehr Computer, habe aber keinerlei Gelegenheit mehr, (Margaret Horb [CDU/CSU]: Eine Unterstel- das mit Personal entsprechend zu begleiten . lung!) (Margaret Horb [CDU/CSU]: Das ist falsch!) Das ist nicht nur unfair gegenüber denjenigen, die ehr- lich ihre Steuern zahlen, sondern auch schlecht für das Die Linke hält den Grundansatz des Gesetzentwurfes Gemeinwesen, weil Geld fehlt und die Steuermoral un- für verfehlt . Ein gleichmäßiger und gesetzmäßiger Steu- tergraben wird . ervollzug ist nur durch den verstärkten Einsatz von Com- putertechnologie und durch mehr Personal zu erreichen . (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] und (Beifall bei der LINKEN) Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben heute also keinen guten, sondern einen schlechten Tag, weil mit diesem Gesetz nur der verstärk- Ich weiß natürlich, dass in erster Linie die Länder für te Computereinsatz und die Unterausstattung des Perso- den Steuervollzug zuständig sind und nicht der Bund . nals in der Steuerverwaltung zementiert werden sollen . Deswegen lassen sich die genannten Probleme auch nicht durch ein Bundesgesetz beheben . (Beifall bei der LINKEN) (Margaret Horb [CDU/CSU]: Richtig!) Zu kurz kommt auch die Kontrolle . Die Risikopara- Wir müssen sie aber trotzdem zu einem zentralen Aspekt meter, die hier eingeführt werden, sind nicht einsehbar, (B) der Verhandlungen bei den Bund-Länder-Finanzbezie- sind sozusagen geheim . Wir als Gesetzgeber und die (D) hungen machen . Öffentlichkeit können nicht beurteilen, wie gut und wie schnell Steuerfälle wirklich bearbeitet werden . Selbst bei Eine gute Lösung – dabei bleiben wir – wäre eine Bun- der Festlegung von Mindeststandards bleibt der Bundes- dessteuerverwaltung; ein guter erster Schritt wären aber tag außen vor . Deswegen glauben wir, dass ein Großteil schon einheitliche Standards bei der Personalausstattung . des automatisch vollzogenen Steuervollzugs zu einer (Beifall bei der LINKEN) Blackbox wird, und das ist ein unhaltbarer Zustand . Wenn die Bundesregierung in den Verhandlungen statt (Beifall bei der LINKEN) auf einen einheitlichen und gerechten Steuervollzug aber lieber auf mehr Kompetenzen beim Bau von Autobahnen Aus unserer Sicht ein weiterer Grund, den Gesetz- setzt, dann zeigt das, was ihr wichtig und was ihr nicht entwurf abzulehnen: Zukünftig soll bei verspätet abge- so wichtig ist . gebenen Steuererklärungen ein verpflichtender Zuschlag erhoben werden; Herr Michelbach hat das angesprochen . (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist auch Zum Glück hat es eine Absenkung um die Hälfte gege- gut!) ben . Aber mit 25 Euro pro Monat ist der Säumniszu- schlag immer noch viel zu hoch, da er vor allen Dingen Die Bundesregierung verfolgt mit diesem Gesetz das Steuerpflichtige mit niedrigen und mittleren Einkommen Ziel, die unzureichende Personalausstattung durch den treffen wird . verstärkten Einsatz von Computerprogrammen zu kom- pensieren . Aus diesen Gründen werden wir den Gesetzentwurf – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Haben Sie noch wir haben uns das lange überlegt – komplett ablehnen . nie etwas von der Modernisierung der Welt Es gibt sicherlich auch positive Aspekte, beispielsweise, gehört? Mannomann!) dass sich der Bund stärker in die Modellierung der Steu- ererhebung einbringen kann . Aber letztlich ist der zu- – Wir kommen schon noch dazu . nehmende Computereinsatz ohne Personaleinsatz nicht (Zuruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]) zielführend und wird dazu führen, dass es um die Steuer- gerechtigkeit in unserem Land noch schlechter steht und – Hören die doch einmal zu! Sie verstehen doch gar der Steuervollzug nicht verbessert wird . nichts davon . Danke schön . (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind ein Rüpel!) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16779

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: keit“ und „Zweckmäßigkeit“ nach Ansicht meiner Frak- (C) tion nur nachgeordnete Bedeutung haben dürfen Das Wort hat der Kollege Frank Junge für die SPD-Fraktion . (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Das steht da aber nicht drin!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Margaret Horb [CDU/CSU]) und sich nur auf die Verifikation der Angaben des Steuer- pflichtigen beziehen können. Die Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit darf nicht dazu Frank Junge (SPD): führen, dass die Ermittlung von steuerlich relevanten Sachverhalten vernachlässigt wird Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist aber Dr .T roost, Sie werden verstehen, dass ich das natürlich eben nicht gewährleistet!) an vielen Stellen ganz anders sehe . Für mich ist das Steu- ermodernisierungsgesetz, das wir heute zu beschließen oder auf die Überprüfung der Einhaltung von steuer- haben, eine Möglichkeit, den Umgang mit dem Besteu- rechtlichen Vorschriften verzichtet wird . erungsverfahren endlich im 21 .Jahrhundert ankommen (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des zu lassen . Abg . Dr .Axel Troost [DIE LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Herr Dr .T roost, vor diesem Hintergrund sind wir nach CDU/CSU) der ziemlich kontroversen Debatte in der Expertenanhö- rung in unserer Fraktion zu der Auffassung gekommen, Das sollten wir erst einmal zur Kenntnis nehmen . dass der vorliegende Gesetzentwurf trotz der stärkeren Beachtung der Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte keine Um nicht mehr oder weniger geht es bei dem Gesetz, Abstriche an den rechtsstaatlichen Prinzipien nach sich über das wir heute zu entscheiden haben . Wir schaffen zieht . Wir sehen uns in unserer Auffassung dadurch be- damit die rechtliche Grundlage, die Voraussetzungen stärkt, dass das Bundesministerium der Justiz und für für das vollelektronische Massenverfahren neben der Verbraucherschutz und das Bundesministerium des In- herkömmlichen Bearbeitung der Steuererklärung in Pa- nern die gleiche Ansicht vertreten . pierform . Wir bereiten den Weg dafür, dass durch ziel- gerichteten und umfassenden IT-Einsatz – das kam hier (Beifall des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] schon zur Sprache – die Automatisierungsquote von ak- [SPD] – Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Ja, aber nicht schriftlich!) (B) tuell 3 Prozent auf circa 50 Prozent innerhalb von fünf (D) Jahren angehoben werden kann . Auf der einen Seite wer- Mit diesem Gesetz räumen wir den Finanzämtern der den davon die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler profi- Länder weitreichende Kompetenzen ein; dessen sind tieren, die bald weniger Aufwand haben, ihren steuerli- wir uns in der Fraktion bewusst . Meine Fraktion ist sich chen Pflichten nachzukommen, und ihren Steuerbescheid aber auch im Klaren darüber, dass die Finanzverwaltung zukünftig viel schneller in der Hand halten werden . Auf diese Handlungsspielräume braucht, um zukunftsfähig der anderen Seite entlasten wir die Finanzverwaltungen zu sein und ein serviceorientierter Partner für die Bür- von Routineaufgaben . Das, Herr Dr .T roost, wird dazu gerinnen und Bürger zu sein, die hohe Ansprüche an die führen, dass die gewonnene Kapazität in den Finanzäm- Finanzverwaltung stellen . In diesem Verhältnis hat die tern dafür genutzt werden kann, sich um komplexere und SPD-Fraktion im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens schwierigere Fälle zu kümmern . Das halte ich für einen insbesondere dafür gesorgt, dass auch die Belange der Zugewinn . Steuerpflichtigen nicht zu kurz kommen. So wurde auf unser Betreiben die Frist zur Abgabe der Steuererklärung (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der für alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verlängert . CDU/CSU – Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Ab 2017 werden – das war unser Bestreben – nicht nur Die einfachen werden durchgewunken!) die beratenen Steuerpflichtigen, sondern ausnahmslos alle Bürgerinnen und Bürger zwei Monate mehr Zeit für Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit das gelingt, ist ihre Steuererklärung haben . ein automationsgestütztes Risikomanagement erforder- lich; das wurde hier schon angesprochen . Aber es ist auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nötig, dass die automationsgestützten Risikomanage- der CDU/CSU) mentsysteme um eine automatische Bearbeitung ergänzt Von dieser Fristverlängerung wird die Personengruppe, werden . Dazu passen wir die Amtsermittlungsgrundsätze die ihre Steuererklärung selbst erstellt – sie umfasst circa an, die bisher aus Gleichmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit 11 Millionen Menschen –, profitieren. und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung bestehen . Wir er- gänzen sie um die sekundären Aspekte der Wirtschaft- Bei einem weiteren Punkt konnte sich meine Frak- lichkeit und Zweckmäßigkeit . Aus dem Zusammenspiel tion durchsetzen . Der nun im Gesetz verankerte auto- dieser Grundsätze wird am Ende die Effizienzsteigerung matische Verspätungszuschlag wird abgesenkt – Herr erwachsen, von der wir uns viel versprechen . Dr . Michelbach hatte darauf hingewiesen –; denn ich habe schon in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs Allerdings muss ich anführen, dass die neu einzufüh- hier angemerkt, dass uns der Betrag von 50 Euro pro Mo- renden unbestimmten Rechtsbegriffe „Wirtschaftlich- nat unverhältnismäßig hoch erscheint . Wir sind deshalb 16780 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Frank Junge (A) froh, dass wir uns darauf einigen konnten, den Betrag um die softwaregestützte Auswertung von Daten sind heute (C) die Hälfte abzusenken und auf 25 Euro festzusetzen . unabdingbar (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Margaret (Beifall der Abg . Margaret Horb [CDU/ Horb [CDU/CSU]) CSU] – Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Ja!) Lassen Sie mich noch einige Sätze zum Verspätungs- und dürfen nicht ausgespielt werden gegen die mangeln- zuschlag sagen; ich beziehe mich da auf die derzeitige de Personalausstattung, die Sie zu Recht kritisiert haben, öffentliche Berichterstattung . Es ist in der Tat so, dass der und die fehlende Bundessteuerverwaltung . Wir brauchen Verspätungszuschlag zukünftig zwingend für diejenigen zunehmend automatisierte Verfahren, weil wir sonst die fällig wird, die sich von einem Steuerberater oder einem Menge an Daten, die auf uns zukommt, gar nicht bear- Lohnsteuerhilfeverein beraten lassen . Wenn jedoch keine beiten können . Steuer festgesetzt wird oder wenn der Steuerpflichtige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Erstattung zu erwarten hat, dann muss bei verspä- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) teter Abgabe auch zukünftig kein Verspätungszuschlag erhoben werden . Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf hatte – Sie haben es gesagt – einen langen Vorlauf . Das merkt (Margaret Horb [CDU/CSU]: Falsch!) man dem Gesetzentwurf an . Er enthält in der Tat eine Reihe von guten Regelungen, auch Nachsteuerungen . Somit gibt es für die meisten Arbeitnehmerinnen und Ja, es ist wirklich überfällig, dass Steuerverwaltung und Arbeitnehmer keinen Pflichtverspätungszuschlag. Glei- Steuererklärung im digitalen Zeitalter ankommen . ches gilt für die Menschen, die nicht wussten, dass sie eine Steuererklärung hätten abgeben müssen . Hier habe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich insbesondere die Rentner vor Augen, die durch eine sowie der Abg . Margaret Horb [CDU/CSU]) Rentenanpassung nach oben möglicherweise in die Steu- Dass mit diesem Gesetzentwurf auch die Vernetzung von erpflicht rutschen. 16 Landessteuerverwaltungen möglich wird, begrüßen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir ausdrücklich . Lassen Sie es mich also deutlich sagen: Dies ist ein wirklich wichtiger Schritt in Richtung Büro- Mit Blick auf die ziemlich verkürzte und stellenweise kratievereinfachung durch digitale Technologien . Wenn falsche öffentliche Berichterstattung wollte ich auf diese Sie das Gutachten des Normenkontrollrats vom letzten Punkte noch einmal hinweisen . November noch im Kopf haben, erinnern Sie sich, dass er ausgeführt hat, dass der bürokratische Aufwand der Zum Schluss will ich dir, liebe Margaret, und den Mit- (B) Bürgerinnen und Bürger und der Verwaltungen im digi- (D) arbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesfinanzminis- talen Zeitalter um ein Drittel verringert werden kann, und teriums herzlich für die gute Zusammenarbeit danken . angesichts dessen muss man sagen: Dies ist nur ein erster Sie war sehr konstruktiv . Am Ende sind aufgrund dieser Schritt, aber ein wichtiger . Zusammenarbeit insgesamt 24 Umdrucke mit Bereini- gungen, Vereinfachungen, Präzisierungen und Verbes- Ich habe gerade auf die Chancen der digitalen Techno- serungen entstanden, die in den Entwurf geflossen sind. logien hingewiesen . In diesem Zusammenhang muss ich auch klar sagen, dass wir dabei verantwortungsbewusst (Beifall des Abg . Dr . h . c . Hans Michelbach vorgehen müssen . An dieser Stelle, Herr Junge, müssen [CDU/CSU]) wir scharfe Kritik üben: Wieder einmal wurden bezüglich eines Gesetzentwurfs erhebliche verfassungsrechtliche Sie machen den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zu ei- Bedenken vorgetragen . Diese führen uns dazu, dass wir nem ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interes- diesem Gesetzentwurf so nicht zustimmen können . Ich sen der Bürgerinnen und Bürger, der Finanzverwaltung, will das ausführen: Herr Junge, Sie hatten gestern ebenso der Wirtschaft und der Branche der steuerberatenden Be- wie ich und einige andere Kollegen die Gelegenheit, die rufe . Aus diesem Grund bitte ich Sie um Zustimmung . Diskussion im Finanzausschuss zu verfolgen . Man war (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sich dort unsicher, wie sich der Bundesjustizminister und das Verbraucherministerium wirklich verbindlich geäu- ßert haben . Diese verbindliche Äußerung konnte in der Vizepräsidentin Petra Pau: Sitzung nicht festgestellt werden . Angesichts dessen ver- Das Wort hat der Kollege Dr .Thomas Gambke für die stehe ich nicht, wie Sie einem Gesetzentwurf zustimmen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . können, gegen den vorher doch erhebliche verfassungs- rechtliche Bedenken artikuliert wurden .

Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN): Worum geht es? Mit diesem Gesetzentwurf ergänzen Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Sie in § 88 der Abgabenordnung die bisher einzuhalten- und Kollegen! Liebe Zuhörer auf den Rängen und mög- den Grundsätze – Gesetzmäßigkeit, Gleichmäßigkeit und licherweise – bei einem solchen Thema vielleicht nicht Verhältnismäßigkeit des Steuervollzugs – um die Begrif- allzu viele – draußen an den Fernsehschirmen! Herr Kol- fe „Wirtschaftlichkeit“ und „Zweckmäßigkeit“ . Ich habe lege Troost, Sie haben es vielleicht nicht so gemeint, aber das heute noch einmal nachgelesen – ich habe mich erst es kam so rüber: Die Automatisierung von Verfahren und heute wieder mit diesem Thema befasst, weil eigentlich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16781

Dr. Thomas Gambke (A) Lisa Paus hier hätte stehen sollen, was ihr aus privaten als Christdemokratin gibt es drei wichtige Bücher: das (C) Gründen aber nicht möglich ist –: Der BFH-Richter Pro- Grundgesetz, die Bibel und den Koalitionsvertrag, fessor Brandt hat festgestellt, dass diese wenig präzisen Begriffe zu einem relativ großen Spielraum für die Exe- (Heiterkeit bei der SPD, der LINKEN und kutive führen und die Verfassungsfestigkeit des Gesetzes dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deshalb möglicherweise nicht gegeben sein wird . Sein und zwar in dieser Reihenfolge . Die ersten beiden ent- Kollege Schmittberg vom Bund Deutscher Finanzrich- halten für uns Finanzpolitiker leider wenig Konkretes, terinnen und Finanzrichter warnte vor der Gefahr einer anders hingegen der Koalitionsvertrag . Dort heißt es: verfassungswidrigen Verlagerung von Aufgaben des Ge- setzgebers auf die Verwaltung als Exekutive . Unisono Steuervereinfachung ist eine Daueraufgabe . Es ist unterstrichen die Experten, wie hochproblematisch die ein wichtiges politisches Ziel, hier Schritt für Schritt Einführung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ist, und voranzukommen und dabei insbesondere auch die empfehlen schlicht die Streichung . technischen Möglichkeiten der modernen Datenver- arbeitung zu nutzen . Wenn mit diesen Begriffen das Selbstverständliche Genau das setzen wir heute um . gemeint ist – Verwaltungen sollen effizient arbeiten –, dann brauchen Sie das nicht explizit ins Gesetz zu Dieser Satz lenkt die Aufmerksamkeit genau auf einen schreiben . Wenn damit aber etwas anderes gemeint ist, Aspekt, der häufig vernachlässigt wird: Vereinfachung dann muss das konkretisiert werden; denn sonst öffnen fängt beim Verfahren an . Es sind vor allem bürokratische diese Begriffe die Tür für eine willkürliche und kreative und langwierige Verwaltungsabläufe, die für die Bürger Auslegung durch die Exekutive . Bestenfalls würde die und für die Unternehmen ein Problem darstellen . Wir Konkretisierung in den kommenden Jahren mühsam per Steuerpolitiker wissen das und gehen genau dieses Pro- Einzelentscheidungen durch die Gerichte vorgenommen blem heute an . Vereinfachung heißt nicht Vereinfachung werden . Die Konkretisierung ist aber die Aufgabe des nur für die Verwaltung, sondern Vereinfachung für alle . Gesetzgebers . Das ist unsere Aufgabe . Steuervereinfachung für alle – das heißt zunächst ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mal Vereinfachung für den ganz normalen Bürger . Sie er- sowie des Abg . Dr .Axel Troost [DIE LIN- halten nun zwei Monate länger Zeit, ihre Steuererklärung KE]) abzugeben . Bisher sah der Gesetzentwurf dies nur für die steuerberatenden Berufe vor . Wir haben dies erweitert . Deshalb müssen wir das konkretisieren oder streichen . Künftig haben zum Beispiel Ehepaare mit den Lohnsteu- Sie bestehen darauf . Vermutlich liegt das an Ihrem man- erklassen III und V nicht nur bis zum 31 . Mai Zeit, ihre (B) gelnden Zutrauen in die Qualität der Risikomanagement- Steuererklärung abzugeben, sondern bis zum 31 . Juli . (D) systeme . Wir regeln auch ganz klar, dass jeder Steuerpflichtige Leider ist meine Redezeit fast abgelaufen, aber ich weiterhin die Möglichkeit hat, seine Steuererklärung von möchte doch noch sagen: Gerade die Punkte Software einem Finanzbeamten prüfen zu lassen . Wenn ein Steu- und Kontrolle der Software – wir haben das im Aus- erpflichtiger also keine automatische Bearbeitung will, schuss thematisiert – werden nach unserer Auffassung dann kann er auch weiterhin auf eine personelle Prüfung nur unzureichend abgebildet . Wir können das nicht der bestehen . Exekutive überlassen . Ich denke, dass wir an dieser Stel- Einen automatischen Verspätungszuschlag wird es nur le einen Mangel haben, der uns im digitalen Zeitalter unter sehr engen Voraussetzungen geben . Nur für denje- weiter beschäftigen wird . Wir müssen uns das, was auto- nigen, der zwingend eine Steuererklärung abgeben muss, matisiert abläuft, sehr genau anschauen und notwendige zugleich länger als 14 Monate zur Erstellung seiner Steu- Festlegungen vornehmen . Als Parlamentarier dürfen wir ererklärung braucht, zugleich keine Fristverlängerung uns nicht zurückziehen und sagen: Das macht jetzt die beantragt hat und zugleich Steuern nachzahlen muss, Exekutive . – Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab . gibt es den automatischen Verspätungszuschlag . Für die- jenigen, die Steuern erstattet bekommen, bleibt es bei Vielen Dank, meine Damen und Herren, fürs Zuhören . der bisherigen Rechtslage . Für Rentner, die nicht wissen, dass sie abgabepflichtig sind, haben wir eine Billigkeits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) regelung eingeführt . Vereinfachung für alle – das heißt auch Vereinfachung Vizepräsidentin Petra Pau: für die steuerberatenden Berufe . Denn ohne diese würde Das Wort hat die Kollegin Margaret Horb für die Frak- unser Steuersystem nicht funktionieren . Die Abgabefrist tion der CDU/CSU . für vorab angeforderte Steuererklärungen haben wir da- her im Verfahren von drei auf vier Monate verlängert . Die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Freizeichnung von Steuererklärungen haben wir deutlich ordneten der SPD) entbürokratisiert . Die steuerberatenden Berufe erhalten ein Wahlrecht, ob sie ihren Mandaten die Daten vor oder nach Übermittlung zum Finanzamt zur Verfügung stel- (CDU/CSU): Margaret Horb len . Zukünftig können Lohnsteuerhilfevereine und land- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen wirtschaftliche Buchstellen nicht mehr vom Finanzamt und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich zurückgewiesen werden . Bisher galt diese Ausnahmere- 16782 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Margaret Horb (A) gelung nur für die Steuerberater . Wir erkennen hiermit len fiskalischen Ertrag zu erzielen, ist rechtlich unzuläs- (C) ganz besonders auch die wertvolle und wichtige Arbeit sig . Das bleibt auch weiterhin so . der Lohnsteuerhilfevereine und der landwirtschaftlichen Buchstellen an . Selbstverständlich können die Grundzüge des Ri- sikomanagementsystems veröffentlicht werden, wenn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dadurch das Besteuerungsverfahren nicht beeinträchtigt ordneten der SPD) wird . Die technische Prüfung von Steuererklärungen untergräbt nicht die gleichmäßige und gesetzmäßige Vereinfachung für alle heißt natürlich auch Verein- Besteuerung . Das Gegenteil ist der Fall: Risikomanage- fachung für die Unternehmen . Wir geben ein klares mentsysteme zeigen dem Bearbeiter, auch dem Finanzbe- Bekenntnis zur verbindlichen Auskunft ab . Wir wollen, amten, genau, wo er prüfen muss und wo es Ungereimt- dass die Unternehmen dieses Instrument effektiv nutzen heiten gibt . Sie sind deshalb eine wichtige Unterstützung können, um vom Finanzamt schneller Rechtssicherheit im Hinblick auf ein gerechtes und gleichmäßiges Steuer- und Planungssicherheit zu bekommen . In Zukunft gilt: system in ganz Deutschland . Sie dienen nicht dem Perso- Verbindliche Auskünfte sollen innerhalb von sechs Mo- nalabbau; sie unterstützen das Personal . naten bearbeitet werden . Ist die Finanzverwaltung nicht dazu in der Lage, müssen Gründe vorgelegt werden . All das kann man wissen, wenn man mit Praktikern spricht . Ich habe in den letzten Monaten zahlreiche Ge- Weiterhin haben wir eine unbürokratische Ermittlung spräche geführt: mit Steuerberatern, Lohnsteuerhilfever- von Herstellungskosten eingeführt . Diese verankern wir einen, landwirtschaftlichen Buchstellen, Unternehmen rechtssicher in der Abgabenordnung . und auch mit Finanzbeamten . Zum Schluss war ich in den Die Grenze für die Kleinbetragsrechnungen erhöhen Finanzämtern Karlsruhe-Durlach, Heilbronn und Mann- wir von 150 auf 200 Euro . Wir als CDU/CSU-Fraktion heim . Alle sind sich einig, dass ein verstärkter IT-Einsatz hatten 400 Euro im Blick, aber leider – das haben mir im Besteuerungsverfahren sinnvoll und notwendig ist . die Kollegen der SPD wirklich glaubhaft versichert – Der Gesetzentwurf geht also in die richtige Richtung . liegt die Schmerzgrenze unseres Koalitionspartners bei Ich möchte mich ausdrücklich bei unserem Koali- 200 Euro . tionspartner bedanken, ganz besonders bei dir, lieber Weitere Erleichterungen gibt es bei den verschiedenar- Frank Junge . Zig Gespräche haben wir geführt, wir ha- tigen Bezügen, bei der Anzeigepflicht nach dem Grund­ ben es wirklich durchgeboxt, und es drang nichts nach erwerbsteuergesetz, bei dem Versand von Kapitalertrag- außen . Das ist wirklich eine Besonderheit . Dafür ganz steuerbescheinigungen, bei den Bekanntgabefristen von herzlichen Dank! Steuerverwaltungsakten und bei der Rechtsbereinigung Mein Dank geht auch an das Bundesfinanzministeri- (B) im Einkommensteuergesetz . Nicht einigen konnten wir (D) um, das uns in unzähligen Sitzungen und Einschätzun- uns mit der SPD leider auf die Absenkung der steuerli- gen mit seinem großen Sachverstand zur Seite gestanden chen Vollverzinsung . Damit müssen wir leben . Aber ich hat . Herr Staatssekretär Spahn, ich möchte Sie bitten, die sage es einmal so: Herr Draghi macht auf mich nicht den herzlichsten Grüße und mein Dankeschön an Dr . Meister Eindruck, als wolle er die Niedrigzinsphase alsbald be- und das ganze Haus zu übermitteln . enden . Ich respektiere natürlich die Unabhängigkeit der EZB . Aber ich will nicht verhehlen, dass ich dies für Schlussendlich möchte ich auch meinen Mitarbeitern brandgefährlich erachte . Auf jeden Fall stellt es uns po- und den wissenschaftlichen Mitarbeitern insgesamt dan- litisch vor enorme Herausforderungen . Im Handelsrecht, ken, stellvertretend Herrn Sebastian Wüste und Herrn im Steuerrecht, im Bereich der Altersvorsorge, überall Stephan Rochow . holen uns die niedrigen Zinsen ein . Wenn der Marktzins bei null liegt und die steuerliche Verzinsung, unter ande- Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Ge- rem auch die Vollverzinsung, bei 6 Prozent liegt, dann setzentwurf ist die größte Reform des Steuerverfahrens kann das auf Dauer nicht funktionieren . Ich sage uns vo- seit 40 Jahren . Wir haben zusätzlich spürbare Vereinfa- raus: Wir werden uns mit dieser Thematik beschäftigen chungen für Bürger, Unternehmen und Berater durchge- müssen, ob wir wollen oder nicht . setzt. Dieses Gesetz macht unser Steuerverfahren effizi- enter, schneller und serviceorientierter, und zwar für alle . Jetzt noch ein paar Klarstellungen zur Verfassungsmä- Kurz vor Beginn der Fußballeuropameisterschaft sage ßigkeit. Das federführende Bundesfinanzministerium hat ich es einmal so: Wir haben den Ländern eine wunderba- den Gesetzentwurf juristisch geprüft . Das Bundesjustiz- re Vorlage geliefert; sie müssen den Ball im Steuervoll- ministerium hat den Gesetzentwurf verfassungsrechtlich zug jetzt nur noch ins Tor schießen . geprüft . Wir in der Koalition haben uns in einem Bericht- erstattergespräch nur mit dieser Frage beschäftigt, übri- Herzlichen Dank . gens unter intensiver Beteiligung von Steuerrechtlern . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Ergebnis ist: Es gibt keinen Zweifel an der Ver- fassungskonformität des vorliegenden Gesetzentwurfes . Vizepräsidentin Petra Pau: Wir übernehmen zwei Begriffe – „Wirtschaftlichkeit“ Das Wort hat der Kollege Dr . Jens Zimmermann für und „Zweckmäßigkeit“ – in die Abgabenordnung . Diese die SPD-Fraktion . Begriffe sind in juristischen Kommentaren und anderen Gesetzen bereits vollkommen üblich und etabliert . Der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Versuch, mit minimalem Verwaltungsaufwand maxima- der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16783

(A) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Zum Abschluss will ich feststellen: Es ist einfach (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- wichtig, dass wir im Verwaltungsbereich und auch im ren! Ich glaube, an der Rede von Frau Kollegin Horb und Steuerbereich im 21 . Jahrhundert ankommen . Es ist auch an der von meinem Kollegen Frank Junge hat man einfach nicht verständlich, dass heutzutage jemand, der gesehen, dass wirklich viel Arbeit und viel Herzblut in beispielsweise seine Steuererklärung seit vielen Jahren diesem Gesetz stecken, auch wenn man dies, wenn man am Computer, zum Beispiel mit Elster, macht, noch al- vom Steuermodernisierungsgesetz hört, erst einmal nicht les ausdrucken und unterschreiben muss . Dann müssen glauben mag . Vielen, vielen Dank . Ich glaube, wir vom noch alle Belege zusammengesucht werden . Hier sind Finanzausschuss wissen alle, dass wir häufig mit sperri- wir auf dem richtigen Weg, dass all dies endgültig elek- gen und technischen Gesetzesnamen umgehen müssen; tronisch ablaufen kann . Ich glaube, das ist wirklich eine aber – das ist in den vorangegangenen Reden schon deut- gute Nachricht . Deswegen ist das auch ein gutes Gesetz . lich geworden – wir reden hier über ein Gesetz, das fast Vielen Dank . jeden in unserem Land betrifft, denn es geht zu einem großen Teil um die Steuererklärungen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will eines sagen: Selbst bei mir zu Hause war die- Vizepräsidentin Petra Pau: ses Gesetz am Wochenende am Frühstückstisch Thema, und ich habe es nicht angesprochen . Es wurden Befürch- Ich schließe die Aussprache . tungen laut: Oje, ich muss mich mit meiner Steuererklä- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- rung beeilen, sonst muss ich 50 Euro Säumniszuschlag desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur zahlen . Daraufhin habe ich gesagt: Nein, die SPD hat Modernisierung des Besteuerungsverfahrens . Der Fi- durchgesetzt, dass es nur 25 Euro sein müssen . nanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8434, den Gesetzentwurf der Bundes- (Lachen bei der LINKEN sowie bei Abgeord- regierung auf Drucksache 18/7457 in der Ausschussfas- neten der CDU/CSU) sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Da habe ich am Wochenende schon einmal gute Karten entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um zu Hause gehabt . Das hat aber nicht lange geholfen . Ich das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält konnte dann aber noch nachlegen und sagen: Außerdem sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gibt es noch eine Verlängerung um zwei Monate . mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen . Aber Spaß beiseite . Wir haben es in der Debatte schon Dritte Beratung (B) deutlich gemacht: Das betrifft einen kleinen Teil der (D) Menschen, und es sorgt für mehr Klarheit . Bisher war in und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem vielen Fällen nicht sicher, ob ein Säumniszuschlag ge- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– zahlt werden muss . Die Antwort auf die Frage, ob ja oder Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- nein, lag in der Macht des Finanzamtes . Jetzt haben wir entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und eine klare und transparente Regelung, die für alle glei- der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die chermaßen gilt . Ich glaube, hier haben wir eine vernünf- Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- tige Regelung gefunden . nommen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- der CDU/CSU) ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8436 . Wer stimmt für diesen Entschlie- Da wir uns im Ausschuss Digitale Agenda kürzlich mit ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält dem Vorsitzenden des Normenkontrollrates getroffen ha- sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen ben, will ich hier noch einmal Folgendes feststellen . Der der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Normenkontrollrat hat sich intensiv mit dem Gesetzent- Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die wurf beschäftigt und kommt zu folgender Einschätzung: Grünen abgelehnt . Der Normenkontrollrat begrüßt den Abbau rechtlicher Hindernisse für elektronische Verfahren und die Verbes- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: serung einer medienbruchfreien elektronischen Kommu- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- nikation . Durch den Abbau von Schriftformerfordernis- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- sen im Verwaltungsverfahren wird beispielsweise die rung soldatenbeteiligungs- und personalver- medienbruchfreie Abwicklung von Verwaltungsprozes- tretungsrechtlicher Vorschriften sen unterstützt, und der Einsatz von E-Government wird attraktiver . Drucksache 18/8298 Ich finde, das ist an dieser Stelle hervorzuheben; denn Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) auch der Normenkontrollrat setzt sich immer sehr kri- Innenausschuss tisch mit den Gesetzesvorhaben auseinander . Deswegen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ist dieses Lob aus diesem Munde wirklich etwas, das wir uns auf die Fahne schreiben können . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- (Beifall bei der SPD) nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . 16784 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Bundes- Uns war bei der Bearbeitung des Gesetzentwurfes, der (C) ministerin der Verteidigung, Dr . Ursula von der Leyen . Mitbestimmung als Kern hat, natürlich die Beteiligung der Akteure enorm wichtig . Deshalb waren in der zustän- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- digen Arbeitsgruppe Angehörige aller Personalvertretun- ordneten der SPD) gen im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums selbstverständlich mit vertreten . Uns war es vor allem Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der wichtig, die Erfahrungen, aber auch die Erwartungen der Verteidigung: Vertrauenspersonen – das ist etwas ganz Besonderes in Vielen Dank .– Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle- der Bundeswehr – mit in den Gesetzentwurf einfließen ginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung zu lassen . Denn das sorgt für die nötige Praxisnähe . Die den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung soldatenbetei- Vertrauenspersonen haben gewissermaßen permanent ih- ligungs- und personalvertretungsrechtlicher Vorschriften . ren Finger am Puls der Truppe . Wir alle wissen, dass die Bundeswehr, wie alle Armeen, Was sind die zentralen und wichtigsten Punkte des auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam basiert . Aber Gesetzentwurfes? Wir stärken die Position der Vertrau- unsere Soldatinnen und Soldaten sind selbstverständ- enspersonen . Wir verlängern ihre Amtszeit von zwei auf lich nicht nur einfache, gehorsame Befehlsempfänger, vier Jahre . Das fördert die Kontinuität . Wir verbessern sondern durch das Prinzip der Inneren Führung werden die Ausstattung. Ich finde, wenn man gute Arbeit leisten unsere Soldatinnen und Soldaten zugleich auch zu Teil- möchte, dann muss auch das Material, mit dem man seine habern und Akteuren in den demokratischen Prozessen Arbeit verrichtet, gut sein . Wir führen eine Aufwandsent- innerhalb der Bundeswehr gemacht, und uns ist sehr da- schädigung für freigestellte Mitglieder der Vertrauens- ran gelegen, die Soldatinnen und Soldaten als Staatsbür- personenausschüsse und Sprecher der Versammlungen ger in Uniform auch dazu anzuregen, den Truppenalltag neu ein . Der Versetzungsschutz wird weiterentwickelt . ganz aktiv mitzubestimmen . Es gibt auch die Möglichkeit, neben Sprechstunden in Heute geht es um den gesetzlichen Rahmen der Mit- Zukunft auch Versammlungen abzuhalten und – das finde bestimmung. Ich finde, es lohnt sich immer wieder, sich ich enorm wichtig – sich weiterzubilden . Die Vertrauens- für einen Moment noch einmal vor Augen zu führen, was personen sind genau die Scharniere zwischen Truppe und für ein zentraler Baustein unseres Landes die Mitbestim- Dienstherr und müssen dementsprechend immer à jour mung ist . Sie ist der prägende Baustein für die Erfolgs- sein . geschichte der Bundesrepublik Deutschland, nämlich prägend für die soziale Marktwirtschaft. Ich finde, man Ein weiterer großer Punkt: Wir erweitern und schaf- merkt, dass die soziale Marktwirtschaft insbesondere fen eine Vielzahl von Beteiligungstatbeständen . Künftig (B) durch die Mitbestimmung ihre besondere Nuance oder besteht ein Recht auf Mitbestimmung bei der Festlegung (D) Farbe bekommen hat; denn dadurch ist es in unserem der regelmäßigen Arbeitszeit, bei Maßnahmen, die der Land möglich, unterhalb des dann doch relativ groben Förderung von Dienst und Familie dienen, und bei Maß- Keils der Gesetzgebung eine filigrane, verfeinerte Ab- nahmen der Berufsförderung . Es wird darüber hinaus ein stimmung bis herunter auf die Betriebsebene zu ermög- Recht auf Anhörung geben, etwa bei der Gestaltung der lichen, wodurch beide Interessen in Ausgleich gebracht dienstlichen Unterkünfte oder bei Themen wie der Ge- werden können, weshalb man meistens einen sehr viel nehmigung von Telearbeit . Ich kenne aus dem Alltag die besseren Konsens erreicht, der sehr viel näher an den Sperrigkeit von Verwaltung und weiß, wie wichtig solche Menschen dran ist, als das jemals durch ein Gesetz mög- Rechte der Anhörung sind, um Bewegung und Flexibili- lich wäre . tät in den Alltag zu bekommen . Hier bei uns geht es heute deshalb darum, die Mitbe- Meine Damen und Herren, ein modernes Beteili- stimmung gesetzlich neu zu fassen . Gerade bei Organisa- gungsrecht, das wir Ihnen heute zur Beratung vorlegen, tionen wie der Bundeswehr, die sich innerhalb der letzten kennzeichnet nicht zuletzt den Dienstherrn als modernen 25 Jahre enorm verändert hat und von deren Angehörigen und attraktiven Arbeitgeber . Insofern bitten wir um wohl- ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Flexibilität wollende Beratung . verlangt wird, ist es für uns wichtig, die Rahmenbedin- Vielen Dank . gungen für ein solches Mitbestimmungsgesetz modern zu halten . Deshalb ist im Koalitionsvertrag verankert, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dass das Soldatenbeteiligungsgesetz – immerhin von 1991, zuletzt 1997 novelliert – grundlegend neu gefasst und an die Realitäten des 21 .Jahrhunderts angepasst Vizepräsidentin Petra Pau: werden soll . Das Wort hat die Kollegin Christine Buchholz für die Fraktion Die Linke . Sie kennen die Themen, die enorme Veränderungs- prozesse mit sich gebracht haben: das Aussetzen der (Beifall bei der LINKEN) Wehrpflicht – wir haben heute eine Armee von Freiwilli- gen –, die Selbstverständlichkeit, mit der wir inzwischen Auslandseinsätze diskutieren, und natürlich die vielen Christine Buchholz (DIE LINKE): Reformen der Bundeswehr . Das alles hat dazu geführt, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau von dass wir die rechtlichen Strukturen der Beteiligung und der Leyen, es ist mir wichtig, ganz zu Beginn zu sagen: Mitbestimmung jetzt dringend renovieren müssen . Hier geht es nicht um die Agenda Attraktivität, sondern Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16785

Christine Buchholz (A) hier geht es um die Rechte der Soldatinnen und Soldaten . In diesem Sinne teilen wir die Anforderungen von (C) Diese müssen gestärkt werden . Verdi an das Gesetz . Verdi mahnt, sich bei den Vertrau- enspersonen an den Beteiligungsrechten, wie sie auch in (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn den Personalräten gelten, zu orientieren . Diese Rechte [CDU/CSU]: Aber attraktive Rechte!) sind nämlich weiter gehend . Der Bundesrat hat den Entwurf einer Neufassung Verdi fordert ein, die Beteiligungsrechte von Soldaten des Soldatenbeteiligungsgesetzes an den Bundestag zur zu verbessern, ohne dabei direkt oder indirekt die Rech- Beratung weitergeleitet . Worum geht es? Das Soldaten- te der zivilen Beschäftigten zu beschneiden, und Verdi beteiligungsgesetz, das die Mitbestimmung der Bundes- mahnt an, dass bei der Größe und Zusammensetzung der wehr seit 1991 regelt, erfüllt die Anforderungen nicht Gremien die Zahl der Soldaten auf die Zahl der stärksten mehr, weil die Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz zivilen Gruppe gedeckelt wird . umgebaut wurde und weil die Einsätze selbst neue An- forderungen geschaffen haben . Wir Linke lehnen diese Lassen Sie mich zum Schluss noch eine grundsätz- Ausrichtung der Bundeswehr auf Auslandseinsätze ab . liche Frage stellen . Karsten Mauersberger, der Referent im Führungsstab der Streitkräfte, Referat „Innere und (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens soziale Lage der Streitkräfte“, ist, schreibt, dass die Be- [CDU/CSU]: Das wissen wir doch!) teiligungsrechte auch bisher nicht immer vorbehaltlos angewendet wurden und Partizipation von einigen als – Es ist gut, dass Sie sich das gemerkt haben .– Dass Sol- unmilitärisch abgetan wurde . Die Frage ist also, wie ein datinnen und Soldaten als Beschäftigte eine Interessen- Klima zu schaffen ist, in dem diese Rechte unmissver- vertretung brauchen, haben wir als Linke hingegen im- ständlich wahrgenommen werden können . mer unterstützt und werden wir auch weiter unterstützen . Die zweite Frage ist: Wie wollen Sie verhindern, dass (Beifall bei der LINKEN) die dazugewonnenen Rechte im Einsatz mit dem Verweis auf den Vorrang der Auftragserfüllung abgewimmelt Wir unterstützen es beispielsweise, wenn sich der oder werden? In § 53 des Gesetzentwurfs heißt es: die Einzelne gegen die Willkür von Vorgesetzten zur Wehr setzt, genauso wie wir die Möglichkeiten der Be- Die Ausübung von Beteiligungsrechten in besonde- fehlsverweigerung aus Gewissensgründen der einzelnen ren Verwendungen im Ausland erfolgt unter Beach- Soldatinnen und Soldaten immer unterstützen . tung des Vorrangs der Auftragserfüllung der Streit- kräfte und … der Sicherheit der Soldatinnen und Zahlreiche Fälle, gerade aus den beweglichen Ein- Soldaten nach Maßgabe dieses Gesetzes . heiten der Bundeswehr, führen uns immer wieder vor (B) Augen, wie sehr die Struktur der Personalvertretung in Wir befürchten, dass dieser Paragraf im Ernstfall ein (D) der Bundeswehr für den oder die Einzelne bitter nötig Blankoscheck für die Aushebelung von Beteiligungs- ist . Fälle von Missbrauch der Befehlsgewalt durch Vor- rechten werden kann . gesetzte, Mobbing – man muss nur den Jahresbericht des (Henning Otte [CDU/CSU]: Frau Buchholz, Wehrbeauftragten lesen – sind viel zu oft gang und gäbe . das glauben Sie doch nicht wirklich!) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie setzen Wir sind der Meinung, dass die Rechte der Beschäf- das aber schon in ein vernünftiges Verhältnis, tigten gestärkt werden müssen . Wir werden uns an dem oder?) Prozess der weiteren Ausarbeitung selbstverständlich be- teiligen . Wir werden auch weitere Betroffene nach ihrer Uns selbst sind Fälle bekannt, in denen Vertrauens- Meinung fragen, und wir werden auch sicherstellen, dass personen eingeschaltet wurden und auch erfolgreich dieses Gesetz tatsächlich die Rechte der Beschäftigten waren, beispielsweise um berechtigte Urlaubsansprüche wahrnimmt, statt im Rahmen der Rekrutierungsoffen- durchzusetzen . Aber es gibt auch Bereiche, in denen die siven für die Bundeswehr instrumentalisiert zu werden . Vertrauenspersonen, zum Beispiel im Konflikt um Beur- Die lehnen wir nämlich ab . teilungen, die dann die Grundlage für die Eingruppierung und auch die Beförderung sind, nicht erfolgreich interve- Vielen Dank, meine Damen und Herren . nieren konnten . Das heißt, die Frage ist: Wie weit wer- (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn den die Rechte der Vertrauenspersonen im Konfliktfall [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben Sie das gehen? auch noch reingebracht!) Wir sind, wie gesagt, für die Verbesserung der Mitbe- stimmung . Die gesetzliche Verankerung der Vertrauens- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: personenausschüsse scheint hierfür ein richtiger Schritt Vielen Dank .– Als nächste Rednerin hat Gabi Weber zu sein, ebenso die nunmehr garantierte Anwesenheit von der SPD-Fraktion das Wort . von Gewerkschaftsvertretern in einer Dienststelle . Aber wir sind mit der jetzt gegebenen Möglichkeit nicht ein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verstanden, dass Vertrauenspersonen unter Umständen der CDU/CSU) versetzt werden können . Denn dadurch bekäme der Vor- gesetzte wieder ein Druckmittel in die Hand, was dem Gabi Weber (SPD): auch im Gesetzentwurf niedergelegten Schutz der Ver- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und trauensperson widerspricht . Kollegen! Sehr geehrte Frau Verteidigungsministerin, als 16786 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Gabi Weber (A) Sie eben Ihre Rede begonnen haben, habe ich gedacht: wenig wie möglich durch die Zwänge einer militärischen (C) Willkommen bei uns in der SPD! Denn so wie Sie die Organisation einzuschränken, regelt das Soldatengesetz Errungenschaften der Mitbestimmung für die soziale die Rechtsstellung der Soldaten und Soldatinnen und be- Marktwirtschaft geschildert haben, können wir nur un- stimmt die Rechte und Pflichten. § 35 dieses Gesetzes terschreiben, was das für einen Stellenwert hat . bestimmt, dass Soldaten und Soldatinnen schon jetzt bei Dienstentscheidungen zu beteiligen sind . Konkret wurde Ich wollte meine Rede eigentlich damit beginnen, das aber tatsächlich erst umgesetzt mit dem ersten Solda- dass beinahe jeder im Saal bereits mit dem Betriebs- tenbeteiligungsgesetz 1991 . Es ist spannend, nachzuvoll- verfassungsgesetz oder dem Personalvertretungsgesetz ziehen, was passiert ist, als sich damals der Bundestag Kontakt hatte, weil diese Gesetze selbstverständlicher damit befasst hat . Es lohnt sich manchmal, zurückzubli- Bestandteil unseres Wirtschaftslebens und unseres Ar- cken . beitslebens geworden sind (Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist doch Dem Bundestag war klar, dass die Soldatinnen und Unionsthema!) Soldaten „die gesellschaftliche Werteordnung, die sie zu verteidigen haben, auch im täglichen Dienst erleben“ sol- und von daher auch für uns als Arbeitnehmerinnen und len . Weiter heißt es: Arbeitnehmer – auch ich war früher eine ganz normale Arbeitnehmerin –, wie wir uns auch mit unserem jeweili- Dazu gehört die Möglichkeit, Beteiligungsrechte gen Arbeitgeber auseinandergesetzt haben . wahrzunehmen . Diese entsprechen in den Streit- kräften gegenwärtig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – also am Ende der Blockkonfrontation – Angesichts der Tatsache, dass mit diesen Gesetzen das nicht mehr dem allgemeinen Stand der Entwicklung Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Gesellschaft . mit ganz bestimmten Möglichkeiten versehen wird und Bis zu diesem Zeitpunkt war eine Vertretung und Mit- dass es möglich ist, konkrete Mitbestimmungstatbestän- sprache der Soldaten durch gewählte Vertrauenspersonen de in Form von Betriebsvereinbarungen festzulegen und unmöglich . Das ist für mich als Gewerkschafterin, die Vorschläge aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- selbst über 30 Jahre für stärkere Beteiligungsrechte von nehmer zu machen, die zu Verbesserungen im Arbeitspro- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gekämpft hat, zess führen, war es überfällig, dass wir das Soldatenbe- kaum nachvollziehbar . Immerhin zählen die Prinzipien teiligungsgesetz endlich an die Möglichkeiten anpassen, der Inneren Führung und des Bürgers in Uniform zu den die die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und in der Grundlagen der Bundeswehr seit ihrer Gründung 1956 . (B) privaten Wirtschaft bereits haben . Das war überfällig . Da ist es gut und selbstverständlich, allen Bürgern und (D) (Beifall bei der SPD – Florian Hahn [CDU/ Bürgerinnen – ob in Uniform oder ohne Uniform – die CSU]: Wir haben es angepackt!) Wahrnehmung ihrer Rechte zu ermöglichen . Gestatten Sie mir noch einen Hinweis . Die Krise 2008 Mit der Neufassung von April 1997 wurden – die Mi- im Wirtschaftsleben dieser Republik ist zum großen Teil nisterin hat vorhin darauf hingewiesen, dass es schon deshalb glimpflich und ohne Arbeitsplatzverluste im zwei Schritte gegeben hat – die Stellung der Vertrau- größeren Stil verlaufen, weil es das Vorschlagsrecht der enspersonen sowie ihre qualitativen und quantitativen Betriebsräte gab, die als Komanager daran mitgearbeitet Beteiligungsmöglichkeiten besonders in Personalangele- haben, dass wir heute in dieser Republik wirtschaftlich genheiten gestärkt . Wichtig war damals zudem, dass die so gut dastehen . Vertreter der Soldaten und Soldatinnen in den Personalrä- ten mit den Vertretern der zivilen Beschäftigten gleichge- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das war aber stellt wurden und damit ihre Mitwirkungsmöglichkeiten auch die Kanzlerin!) in diese demokratischen Gremien hineingetragen wur- – Das wurde aber auch von den Menschen erreicht, die in den . Die Ausgewogenheit zwischen den Anforderungen den Betrieben ganz stark um ihre Arbeitsplätze gekämpft des militärischen Dienstes und der Verwirklichung der haben . Grundsätze der Inneren Führung wurde damit gewähr- leistet . (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Alle gemein- sam!) Mit dem nun eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur erneuten Anpassung des Soldatenbeteiligungsgeset- Jetzt sollen die Soldatinnen und Soldaten ebenfalls zes werden wir ein Vorhaben unseres Koalitionsvertra- starke neue Mitwirkungsrechte bekommen . ges erfüllen . Seit der letzten Novellierung – darauf haben Wenn wir uns die Verhältnisse in der Bundeswehr schon zwei Redner hingewiesen – haben sich die Struk- genau anschauen und zurückblicken, dann stellen wir turen der Bundeswehr und ihre Aufgaben deutlich verän- fest: Im militärischen Dienstverhältnis stehen die de- dert. Die Wehrpflicht wurde mittlerweile ausgesetzt, und mokratisch verbrieften staatsbürgerlichen Rechte jedes die Aufgaben der Bundeswehr wurden vielfältiger . Mili- Einzelnen dem generellen Prinzip von Befehl und Ge- tärisches und ziviles Personal arbeiten enger zusammen horsam gegenüber; das darf man nicht vergessen . Hier denn je . Das macht an manchen Stellen neue Regelungen schlagen sich die Weisungen und Vorgaben des Arbeit- notwendig . Der Einsatzbezug hat sich deutlich verstärkt . gebers noch deutlich stärker nieder . Um die richtige Ba- Besonders aber durch die Auslagerung von Aufgaben lance zu gewährleisten, also die individuellen Rechte so und damit auch von Personal in die Kommandos der mi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16787

Gabi Weber (A) litärischen Organisationsbereiche hat sich ein deutlicher zesform gegossen . Den vorliegenden Entwurf werden (C) Bedarf an erneuter Gesetzesanpassung ergeben . wir gern in die Ausschüsse mitnehmen . Für die gute Vorbereitung durch das Verteidigungsministerium und Nun ein paar Beispiele, die deutlich machen, was sich die beteiligten Ressorts sowie die konstruktive Zusam- durch dieses Gesetz verändern wird . Es gibt nun einen menarbeit im Vorfeld bedanke ich mich . Ich bin trotzdem Abschnitt – das ist ab § 19 –, der die Mitbestimmung sicher, dass dieses Gesetz auch nach unserer Beratung regelt . Diese Regelungen orientieren sich stark am Be- noch an einigen Stellen verändert werden wird – wie, das triebsverfassungsgesetz und am Bundespersonalvertre- werden wir dann gemeinsam erarbeiten . tungsgesetz . Das wird zum Beispiel dadurch deutlich, dass die Vertrauensperson „zur verantwortungsvollen Lassen Sie uns deshalb im Ausschuss kollegial und Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten und Untergebe- konstruktiv an der Verbesserung des Soldatinnen- und nen sowie zur Festigung des kameradschaftlichen Ver- Soldatenbeteiligungsgesetzes arbeiten – im Sinne unserer trauens“ und zu einer vernünftigen Arbeitsorganisation Soldaten und Soldatinnen, aber auch mit Rücksicht auf beitragen soll . Weiter heißt es: ihre zivilen Kolleginnen und Kollegen; denn mittlerweile haben wir beispielsweise allein im Verteidigungsministe- Vertrauensperson und Disziplinarvorgesetzte oder rium ein Verhältnis von etwa 560 Soldaten zu 516 zivilen Disziplinarvorgesetzter arbeiten im Interesse der Beschäftigten . Da ist Sorgfalt und Fingerspitzengefühl Soldatinnen und Soldaten des Wahlbereiches und im Umgang mit dem Personal absolut notwendig . Dieses zur Erfüllung des Auftrages der Streitkräfte mit dem Gesetz kann dazu einen Beitrag leisten . Ziel der Verständigung eng zusammen . Danke . Dann kommt das, was mir besonders am Herzen liegt: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Vertrauensperson hat folgende allgemeine Auf- gaben: Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: 1 .Maßnahmen zu beantragen, die der Dienststelle Als nächste Rednerin hat Doris Wagner von der Frak- und ihren Soldatinnen und Soldaten dienen, tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . 2 . darüber zu wachen, dass die zugunsten der Sol- datinnen und Soldaten geltenden Gesetzes, Verord- Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nungen und Vorschriften durchgeführt werden . . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi- – dieser Punkt ist mir besonders wichtig – nisterin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es wird oft behauptet, die Opposition kritisiere nur um des Kritisie- (B) 4 .sich dafür einzusetzen, dass die Vereinbarkeit von rens willen . (D) Familie und Dienst gefördert wird und (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! – Agnieszka 5 . auf die Verwirklichung der Ziele des Soldatinnen- Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu und Soldatengleichbehandlungsgesetzes sowie des Recht kritisiert die Opposition!) Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes hinzuwirken . Ich kann Ihnen versichern: Das ist nicht der Fall . Gesetze, die dazu beitragen, unsere Gesellschaft demokratischer, Frau Buchholz, ich glaube schon, dass sich die Attrakti- gerechter und moderner zu machen, finden immer unse- vitätsagenda der Bundeswehr auch in diesem Gesetz und re Zustimmung . So ist auch die vorgeschlagene Neufas- in solchen Formulierungen niederschlägt . sung des Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetzes (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) grundsätzlich sehr zu begrüßen . Ich glaube durchaus, dass mit solchen Möglichkeiten Wie jeder andere Arbeitgeber profitiert auch die Bun- ein Meilenstein auch für Frauen in der Bundeswehr ge- deswehr davon, wenn das Personal mitbestimmen darf . setzt worden ist; denn in dem Moment, in dem man ge- Aus der Organisationsforschung wissen wir: Wenn Mit- zwungen ist, darauf wirklich stärker zu achten, und man arbeiterinnen und Mitarbeiter an einer Entscheidung mit- auch die gesetzliche Vorgabe hat, haben diejenigen, die wirken, kommt meist ein besseres Ergebnis zustande, als Vertrauenspersonen sind, eine andere Handhabe . wenn der Chef den Alleinherrscher gibt . Für die Bundes- wehr hat die Beteiligung der Soldatinnen und Soldaten (Beifall bei der SPD) noch eine weitere, ganz besondere Bedeutung . Sie macht nämlich das Prinzip der Inneren Führung im Dienstalltag Das Gleiche gilt für den Punkt, in dem die Mitspra- ganz konkret erlebbar . cherechte bei Versetzungen wesentlich gestärkt werden . Auch das ist ein Beitrag zur Erhöhung der Attraktivität (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Bundeswehr . Ich denke, dass ein Arbeitgeber, der sowie bei Abgeordneten der SPD) seinen Angestellten, auch den militärischen, eine ent- Die Soldatinnen und Soldaten sollen eben keine reinen scheidende Mitsprache über grundsätzliche persönliche Befehlsempfänger sein, sie sollen ihren Verstand nicht Lebensentscheidungen einräumt, sicher als attraktiver am Kasernentor abgeben . Sich als Vertrauensperson für Arbeitgeber wahrgenommen wird . die Belange der Kolleginnen und Kollegen einzusetzen, Der vorliegende Entwurf ist von der Aufteilung her ist eine wichtige Möglichkeit, der Bundeswehr einen kri- klarer gefasst als vorher . So werden nun bereits zuvor tischen Spiegel vorzuhalten . Deshalb ist es richtig, dass untergesetzlich vorgenommene Änderungen in Geset- die Stellung, die Aufgaben und die Rechte der Vertrau- 16788 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Doris Wagner (A) enspersonen in dem neuen Gesetz deutlich gestärkt wer- selbst hat uns erst im Herbst ein Beispiel dafür geliefert, (C) den . wie die Beteiligungsrechte der Soldatinnen und Solda- ten missachtet werden . Erst vor kurzem sagte mir eine Zwei dieser gesetzlichen Neuerungen halte ich für be- Vertrauensperson, ob die Mitbestimmung in der Praxis sonders wichtig . wirklich gut funktioniere, hänge völlig von der oder dem Zum ersten Mal seit Gründung der Bundeswehr sollen jeweiligen Vorgesetzten ab . Deshalb müssen Sie, Frau die Vertrauenspersonen ausdrücklich die aktive Wach- Ministerin, in meinen Augen dafür sorgen, dass künftig und Kontrollfunktion einnehmen . Wir hätten damit dem alle Disziplinarvorgesetzten eine intensive Schulung zur Vorgesetzten gegenüber endlich einen umfassenden An- Soldatinnen- und Soldatenbeteiligung am Zentrum Inne- spruch auf Information und Unterrichtung . Das ist ein re Führung absolvieren . wirklicher Fortschritt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Zweiten: Die Regelungen, denen die Vertrauens- Machen Sie diesen Kurs in Soldatinnen- und Soldatenbe- personen zustimmen müssen, bevor sie in Kraft treten, teiligung doch einfach zum Pflichttor. Damit zeigen Sie werden deutlich ausgeweitet, beispielsweise Regelungen allen Angehörigen der Bundeswehr, dass Innere Führung zur Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage oder für Sie mehr als nur eine wohlklingende Floskel ist . auch zur Berufsförderung . So kann die Vertrauensperson wirksam dafür sorgen, dass die Interessen der Soldatin- Herzlichen Dank . nen und Soldaten angemessen berücksichtigt werden . Dadurch wird die Bundeswehr demokratischer und ge- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: rechter, und das ist auch gut so . Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Ingo Doch den Mut zu einer weitergehenden Soldatinnen- Gädechens von der CDU/CSU-Fraktion . und Soldatenbeteiligung hat die Bundesregierung dann offenbar leider nicht mehr gehabt . Stattdessen verle- (Beifall bei der CDU/CSU) gen Sie sich in Ihrem Gesetzentwurf dann noch auf ein paar Halbheiten . Frau Ministerin, ich teile Ihre Meinung Ingo Gädechens (CDU/CSU): nicht, dass die Verlängerung der Amtszeit der Vertrau- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ensperson von zwei auf vier Jahre ein guter Vorschlag Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man ist . Solch eine lange Amtszeit widerspricht doch völlig die Diskussion hier so verfolgt, dann bekommen die In- den Realitäten des Dienstes, der ja geprägt ist von kurzen sider den Eindruck, dass das Soldatenbeteiligungsgesetz Standzeiten und ständigen Versetzungen . der Kernpunkt unserer Diskussion im Verteidigungsaus- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schuss in den vergangenen Wochen und Monaten war . (D) Die Wahrheit ist, dass die Schlagzeilen anders geprägt Unverständlich ist mir auch, warum der Vertrauens- waren . Ich habe keine Schlagzeile wie „Wir wollen ein personenausschuss beim Kommando Heer von bisher 17 neues Soldatenbeteiligungsgesetz“ gelesen . Vielmehr auf nun 11 Mitglieder verkleinert werden soll . Auf der war die Rede davon, dass wir eine Trendwende herbei- anderen Seite werden die neuen Ausschüsse auf Ebene geführt haben, dass die Bundesverteidigungsministerin der Großverbände personell unnötig aufgeblasen . Wes- die Bundeswehr aufstocken will . Ich darf sagen, dass die halb soll die Vertrauensperson künftig erst dann in ein CDU/CSU-Fraktion das nicht nur für richtig, sondern Schadensersatzverfahren gegen eine Soldatin oder einen auch für ausgesprochen wichtig hält . Angesichts der Ein- Soldaten einbezogen werden, wenn der Schaden einen satzszenarien der Bundeswehr und der Sicherheitssitua- Wert von 500 Euro übersteigt? Für einen einfachen Ma- tion, in der sich die Welt befindet, ist das eine zwingend trosen oder Panzergrenadier sind schon 150 Euro ein notwendige Maßnahme . Streitwert, bei dem die Unterstützung der Vertrauensper- son hochwillkommen ist . Offenbar haben die gutbezahl- (Beifall bei der CDU/CSU) ten Herren und Damen im Verteidigungsministerium hier Aber es geht nicht nur darum, neue Menschen dafür schon etwas den Bezug zur Realität verloren . zu begeistern, ihren Dienst in der Bundeswehr zu leis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ten, sondern es geht auch darum, dass wir uns um die Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, na, na! – Menschen kümmern, die bereits heute ihren Dienst in der Florian Hahn [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie Bundeswehr und damit ganz automatisch einen Dienst sich aber einen Kritikpunkt herausgepickt!) für unsere Demokratie leisten . Es geht um Wertschät- zung, und es geht darum, dass wir die in der Bundeswehr Da werden wir im Ausschuss noch einiges zu klären ha- dienstleistenden Soldatinnen und Soldaten ernst nehmen . ben, Herr Kollege Gädechens . Mitbestimmung ist gerade in einer soldatischen Welt Abschließend, werte Kolleginnen und Kollegen, ist manchmal mühsam . Glauben Sie mir, ich weiß als einer, mir noch eines ganz besonders wichtig: Das beste Ge- der lange in dieser Bundeswehr gedient hat, wovon ich setz bringt nichts, wenn es nicht umgesetzt wird . Diese rede . Mitbestimmung ist aber keine Schwäche, sondern Erkenntnis ist wahrlich nicht neu; aber leider steht zu sie kann, richtig angewandt, zu einer besonderen Stärke befürchten, dass zu einer echten Stärkung der Soldatin- werden . Dies gilt umso mehr, da die Bundeswehr nicht nen- und Soldatenbeteiligung mehr nötig wird als nur nur eine Armee von Befehl und Gehorsam ist; vielmehr ein Papier mit neuen Paragrafen, siehe die Soldaten- genießt das Prinzip der Inneren Führung eine heraus- arbeitszeitverordnung . Das Verteidigungsministerium ragende Bedeutung . Unsere Soldatinnen und Soldaten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16789

Ingo Gädechens (A) schützen unsere äußere Sicherheit und damit wie selbst- Ich danke nicht nur dem Staatssekretär in Ihrem Hau- (C) verständlich unsere Interessen und das freie Leben in die- se, Frau Ministerin, sondern bedanke mich auch bei allen sem Staat . Als solches haben sie ein verbrieftes Anrecht Gewerkschaften und Verbänden, insbesondere einmal auf eine moderne Vertretung ihrer eigenen Interessen mehr beim Deutschen Bundeswehrverband, der auch in durch ein faires und einheitliches Verfahren der Mitbe- diesem Prozess aktiv mitgearbeitet hat . Ich freue mich stimmung . auf die weitergehenden Beratungen und dann auf die Be- schlussfassung über dieses neue Soldatenbeteiligungsge- Seit 1956 gibt es in der Bundeswehr Personalräte und setz . Vertrauenspersonen . Richtig – das hörten wir bereits –, die damaligen Strukturen waren auf eine Wehrpflichti- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . genarmee ausgerichtet, die es heute – das wissen wir – so (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nicht mehr gibt .

Auch das hörten wir: Seit 1991 gibt es das Soldaten- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: beteiligungsgesetz, das in seiner jetzigen Form ebenfalls Vielen Dank . – Als letzter Redner in der Debatte hat den Anforderungen einer veränderten Bundeswehr und Florian Hahn, ebenfalls von der CDU/CSU-Fraktion, das eines veränderten Aufgabenspektrums der Streitkräf- Wort . te nicht mehr gerecht wird . So ist es heute nicht mehr begründbar, warum die personellen, dienstlichen oder (Beifall bei der CDU/CSU) sozialen Belange der Soldaten weniger wert sein sol- len als die von Beamten oder Arbeitnehmern an ein und Florian Hahn (CDU/CSU): demselben Dienstort, in einer gemeinsamen Dienststelle . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Es ist deshalb richtig und wichtig, dass wir die Beteili- Kollegen! Das Thema „Soldatenbeteiligung und Perso- gungsrechte der Soldatinnen und Soldaten in dem hier nalvertretung in der Bundeswehr“ erscheint auf den ers- vorgelegten Gesetz von Grund auf neu aufgesetzt haben . ten Blick vielleicht ein bisschen trocken, technisch und Im Sinne eines gemeinsamen Selbstverständnisses ist hoch speziell . Da hat es auf den ersten Blick vielleicht es deshalb sehr wichtig, dass sich die Angehörigen der auch mehr Attraktivität, an der fraktionsoffenen Sitzung Bundeswehr gleichberechtigt in den Vertretungsgremien „Effektive Einsätze gegen Fluchtursachen“, die parallel mit einheitlichen Beteiligungsverfahren wiederfinden. gerade stattfindet, teilzunehmen. Das ist übrigens der Grund, warum unsere Fraktion nicht ganz so dicht wie (Beifall bei der CDU/CSU) sonst besetzt ist; die sind alle dort . (B) Es ist darüber hinaus sinnvoll, dass klare Regeln die Mit- (Lachen des Abg . Rainer Arnold [SPD]) (D) bestimmung im Einsatz sicherstellen und für alle gelten, ohne dass es zu einer Beeinträchtigung der militärischen Aber der zweite Blick lässt erkennen – die Kollegen Auftragserfüllung kommt . haben natürlich zu Recht schon darauf hingewiesen –, dass Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens zwar eine Ich bin davon überzeugt, dass mit dem hier vorge- spezielle Materie ist, dass sich darin aber ganz Funda- legten Soldatenbeteiligungsgesetz die demokratischen mentales verbirgt . Es geht um Demokratie, es geht um Grundrechte des Staatsbürgers in Uniform nicht nur ge- Teilhabe, es geht um Offenheit, und es geht um Moder- wahrt, sondern auch im Kern gestärkt werden . Das SBG nität . präzisiert die Interessenwahrnehmung zwischen Ver- trauenspersonen und Personalräten . Details haben meine Die Soldatenbeteiligung ist der deutsche Versuch, all Vorredner schon ausgeführt . dies in einem Bereich zu verwirklichen, der lange Zeit eher durch strikten Befehl und Gehorsam, durch Abge- Die bei den Kommandos der militärischen Organisati- schlossenheit und Tradition geprägt war . Die Schwie- onsbereiche eingerichteten Vertrauenspersonenausschüs- rigkeit einer Soldatenbeteiligung liegt nun gerade darin, se werden gesetzlich verankert . Durch die Erweiterung dass vor allem Befehl und Gehorsam ein notwendiges der Beteiligungstatbestände wird die Rolle der Vertrau- Prinzip des Militärs bleiben und eine klassische Mit- enspersonen deutlich gestärkt . Ich denke, der hier vor- bestimmung nicht vollumfänglich zu verwirklichen ist . liegende Gesetzentwurf wird dem formulierten Ziel, eine Trotzdem glauben wir an die wichtige Rolle demokra- effiziente, funktionale und vernetzte soldatische Interes- tischer Elemente auch in den Streitkräften . Die Solda- senvertretung auf allen Ebenen zu gewährleisten, mehr tenbeteiligung ermöglicht die Wahrnehmung demokra- als gerecht . tischer Rechte, ohne die militärische Hierarchie infrage zu stellen . Auch im Truppenalltag muss das demokrati- Frau Ministerin, natürlich gilt der Dank immer der sche Prinzip für Soldatinnen und Soldaten erfahrbar sein; Spitze des Hauses . Aber in diesem besonderen Fall schließlich müssen sie für die Demokratie unter Umstän- möchte ich dem Staatssekretär Hoofe danken . Es ist ja den bewaffnet eintreten und die Demokratie mit ihrem auch nicht üblich in diesem Haus, dass einem beamte- Leben verteidigen . ten Staatssekretär einmal Lob ausgesprochen wird . Er hat mit der Gründung der Arbeitsgruppe seit 2014 hier Beteiligung ist zugleich aber auch ein militärischer eine wirkliche Kärrnerarbeit im Team mit allen Beteilig- Führungsgrundsatz . Die Vorredner haben schon auf das ten geleistet, und er hat hier einen Entwurf vorgelegt, der Konzept der Inneren Führung Bezug genommen . Es be- unserer Zielrichtung, der auch den langen Diskussionen ruht auf einem Leitbild, das vor allem zur Rechtfertigung im Verteidigungsausschuss gerecht wird . der Wehrpflicht immer prominent zitiert wurde, das aber 16790 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Florian Hahn (A) auch in Zeiten einer Freiwilligenarmee richtig bleibt: Der Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, eine Solda- (C) Staatsbürger in Uniform, die Soldatin/der Soldat, bleibt tenbeteiligung, die Elemente der Offenheit, der Diskus- Bürger, auch wenn er in den Streitkräften dient . – Dabei sionskultur und der Mitverantwortlichkeit für das Ganze beinhaltet dieses Leitbild des Bürgers, das gerade heute in die Organisation der Bundeswehr einbringt, kann ver- von erstaunlicher Aktualität ist, die Elemente der Frei- hindern, dass das System Bundeswehr mit den notwendi- heit, der Mündigkeit und der Aktivität . gen Pfeilern von Befehl und Gehorsam und militärischer Hierarchie zu starr und unflexibel wird. Sie hilft, eine Was haben wir bisher schon erreicht? Wie wird die moderne Organisation zu schaffen, die damit zugleich ef- Soldatenbeteiligung bisher umgesetzt? Der Titel des Ge- fektiver und schlagkräftiger ihren Auftrag erfüllen kann . setzentwurfs weist schon auf die zweigleisige Interessen- Der Gesetzentwurf ist in diesem Sinne aus meiner Sicht wahrnehmung hin . In sogenannten personalratsfähigen ein guter erster Aufschlag . Dienststellen wählen Soldatinnen und Soldaten einen Personalrat mit; in beweglichen Einheiten – vereinfacht: Herzlichen Dank . alles, was kämpft, fliegt oder schwimmt – wählen sie Vertrauenspersonen . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Was ist Aufgabe der Vertrauenspersonen? Sie sollen zur verantwortungsvollen Zusammenarbeit zwischen Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vorgesetzten und Untergebenen sowie zur Festigung Vielen Dank . – Ich schließe die Debatte . des kameradschaftlichen Vertrauens innerhalb des Be- reichs beitragen, für den sie gewählt sind . Das Ziel der Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Soldatenbeteiligung allgemein bleibt die wirkungsvolle wurfs auf Drucksache 18/8298 an die in der Tagesord- Dienstgestaltung und die fürsorgliche Berücksichtigung nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es der Belange der Soldatinnen und Soldaten . In diesem dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Sinne sollen Vertrauenspersonen Maßnahmen beantra- Dann ist die Überweisung so beschlossen . gen, die den Soldatinnen und Soldaten dienen, darüber wachen, dass zugunsten der Soldaten geltende Gesetze Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: und Vorschriften durchgeführt und eingehalten werden, und sie sollen Anregungen und Beanstandungen von Sol- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- daten entgegennehmen und sie gegebenenfalls mit dem richts des Ausschusses für Gesundheit (14 .Aus - Vorgesetzten erörtern . – Dies war auch meine Aufgabe, schuss) als ich 1995 während meiner Wehrpflichtigenzeit Ver- (B) trauensperson für die Mannschaften war . – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia (D) Möhring, Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann Heute soll auch die Vereinbarkeit von Familie und (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Dienst gefördert werden und die Verwirklichung von Fraktion DIE LINKE Gleichstellung und Gleichbehandlung von Soldatinnen und Soldaten unterstützt werden . Zukunft der Hebammen und Entbindungs- pfleger sichern – Finanzielle Sicherheit und Die Vertrauensperson hat umfangreiche Anhörungs-, ein neues Berufsbild schaffen Vorschlags- und Mitbestimmungsrechte in Personalan- gelegenheiten, bei der Gestaltung des Dienstbetriebs, bei – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Beschwerden, auf die ich jetzt im Einzelnen nicht mehr Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Ulle eingehen möchte . Schauws, weiterer Abgeordneter und der Was bringt das Gesetz Neues? Das neue Gesetz ist Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Beleg dafür, wie die Soldatenbeteiligung hilft, die Geburtshilfe heute und in Zukunft si- Bundeswehr flexibel, offen und modern zu halten. Drei chern – Haftpflichtproblematik bei Heb- dringende Anpassungen sind aktuell zu leisten: Durch ammen und anderen Gesundheitsberufen die Neuausrichtung und die damit verbundene Neuor- entschlossen anpacken ganisation entstandene Beteiligungslücken müssen ge- schlossen werden . Die Soldatenbeteiligung muss auch Drucksachen 18/1483, 18/850, 18/8426 in den zahlreichen Auslandseinsätzen der Bundeswehr funktionieren . Aufgaben und Befugnisse der Vertrauens- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für person müssen an die Ziele der Bundeswehr als moderne die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu Freiwilligenarmee angepasst werden . keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sind wir auf ei- Ich eröffne die Aussprache . Als Erstes in dieser Debat- nem guten Weg zu einer Modernisierung der Soldaten- te hat keine Rednerin, sondern Herr Dr .Kühne von der beteiligung . Wir stärken die Stellung der Vertrauensper- CDU/CSU-Fraktion das Wort . sonen durch erstens eine Verlängerung der Amtszeit von zwei Jahren auf vier Jahre, zweitens die Erweiterung und (Beifall bei der CDU/CSU) Fortentwicklung der Beteiligungstatbestände und Mitbe- stimmungsrechte und drittens die Verbesserung auch der Ich wollte Sie jetzt nicht überraschen oder überrum- entsprechenden Ausstattung der Vertrauenspersonen . peln . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16791

(A) Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): cherungsprämien bei den Vergütungsverhandlungen be- (C) Das war jetzt ein bisschen überraschend . rücksichtigen müssen . Dies hat zu einer ersten spürbaren Vergütungserhöhung geführt . (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Hau rein! – Ute Bertram [CDU/CSU]: Du bist unser Quo- Damit die Prämiensteigerungen noch schneller ausge- tenmann!) glichen werden konnten, mussten die Krankenkassen seit dem 1 .Juli 2014 weiteres Geld bereitstellen . Mit dem – Quotenmann? Na ja . Sicherstellungszuschlag haben wir erreicht, dass selbst Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Hebammen mit nur wenigen Geburten, nämlich einer pro Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Heb- Quartal, also vier Geburten im Jahr, nicht finanziell über- ammen und Entbindungspfleger in Deutschland leisten lastet werden . Das ist ein wichtiger Aspekt . Je nach Höhe mit ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit einen immen- der Prämie trägt die GKV somit aktuell Kosten von 4 000 sen gesellschaftlichen Beitrag . Ihre Zuwendung und ihre bis über 6 500 Euro pro Hebamme . Leistungen in der Vorsorge und in der Wochenbettbetreu- ung sind für Schwangere und junge Eltern von besonde- Als Voraussetzung für diese Zahlung wurden Quali- rer Bedeutung . Das Betreuungsangebot der Hebammen tätsanforderungen für Hausgeburten – ich betone ganz trägt also in erheblichem Maße zu einem positiven Ver- bewusst: für Hausgeburten – analog zu den Geburtshäu- lauf der Schwangerschaft bei . Das kann ich als zweifa- sern definiert. In einem Schiedsverfahren wurden diese cher Vater nur betonen und darf mich auch heute noch Qualitätskriterien festgelegt, meine Damen und Herren; einmal ausdrücklich bei den Hebammen dafür bedanken . und das ist wichtig . Die Qualitätsanforderungen für Ge- burtshäuser haben wir übrigens bereits 2008 definiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das war also ein längst überfälliger Schritt . Für uns ist ordneten der SPD und der LINKEN – Florian dies ein besonders wichtiger Aspekt; denn die Qualität Hahn [CDU/CSU]: Ich bin auch zweifacher der Versorgung hat im Gesundheitswesen höchste Prio- Vater!) rität, und diese müssen wir logischerweise in allen Be- reichen einfordern. Qualität zu sichern heißt Definition Dieses habe ich vor ungefähr zwei Jahren auch an die- transparenter Kriterien, um Sicherheit zu gewährleisten, ser Stelle zur Situation der Hebammen gesagt und damit Sicherheit und auch Vertrauen der Patientinnen und Pati- die Position der CDU/CSU deutlich gemacht . Sowohl an enten in unsere Politik, Sicherheit in einer Phase, wo so dem Inhalt meiner damaligen Ausführungen als auch an viel entschieden wird . Es geht um das Kind, es geht um der Position meiner Partei und der Koalition hat sich seit- die Gesellschaft, es geht um die Eltern . Das sind keine her nichts verändert . Fragen, die wir einfach so beantworten sollten . Vielmehr (B) (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Eben! Das ist sollten wir Merkmale definieren und festlegen, was wir (D) das Problem!) eigentlich wollen . Wir setzen uns für eine Verbesserung der Situation der Bei aller Diskussion, meine Damen und Herren: Ich Hebammen und Entbindungspfleger in Deutschland ein. denke, dass werdende Väter und Mütter ein Recht darauf Was sich allerdings in den letzten zwei Jahren verändert haben, zu wissen, was während dieser wichtigen Phase hat, sind die Rahmenbedingungen – das wissen auch Sie, passiert . Wie ist was geregelt? Wann kann und sollte et- Frau Kollegin – für die Geburtshilfe in Deutschland, und was sein, und was darf nicht sein? Das dürfen wir bei der zwar zum Positiven . Das wurde mir auch mehrmals in ganzen Diskussion nicht aus den Augen verlieren . Gesprächen mit Hebammen gespiegelt . Das gilt sicher nicht für alle; das wissen wir . Aber dafür gibt es ja Grün- Mit dem Sicherstellungszuschlag können wir also de; auch das wissen wir . Dafür danke ich dem Minister – jetzt die Hebammen dauerhaft entlasten und somit auch heute nicht anwesend –, aber zumindest seinem Haus und eine flächendeckende Versorgung anregen. der Koalition . Natürlich wollen wir auch den Anstieg der Haft- (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Welche Proble- pflichtprämie begrenzen. Mit dem Regressverzicht der me sind denn heute anders als vor zwei Jah- Krankenkassen und Pflegekassen haben wir auch diesen ren?) Prozess eingeleitet . Jetzt müssen wir abwarten, wie sich dieser Prozess langfristig auf den Anstieg der Prämien Dadurch, dass wir Entscheidungen getroffen haben und auswirkt . Hier kann ich nur sagen: Politik ist ein ler- entsprechende Regelungen erlassen haben, haben wir re- nender Prozess . Wir werden es beobachten und werden agiert . Wir haben notwendige Schritte eingeleitet, um die reagieren . Gleichzeitig stellen wir aber sicher, dass Fa- Situation der Geburtshilfe in Deutschland zu verbessern . milien nach Behandlungsfehlern nach wie vor eine an- Wir alle waren und sind uns darüber einig, dass die Si- gemessene Hilfe, eine gute Unterstützung und Betreuung tuation angegangen werden musste . Darüber gab es auch erhalten . Keiner wird alleingelassen; das ist das oberste gar keine Diskussion . Kriterium . Ich stelle deshalb an dieser Stelle gerne noch einmal Die Große Koalition hat gezeigt, dass sie die Situation fest, welche Maßnahmen wir für die Geburtshilfe schon der Hebammen in Deutschland ernst nimmt, die Sache während der schwarz-gelben Koalition eingeleitet und anpackt, wichtige Anpassungen zuwege bringt und es jetzt in der aktuellen Koalition weiter ausgebaut haben . schafft, Maßnahmen zu ergreifen, die sich positiv aus- Bereits 2012 haben wir im GKV-VSG geregelt, dass wirken, die Vertrauen schaffen . Deshalb lehnen wir heute die gesetzlichen Krankenkassen die steigenden Versi- die Anträge der Linken und der Grünen ab . 16792 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. Roy Kühne (A) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . In den Kliniken sieht es auch nicht wirklich gut aus . (C) Die in den Krankenhäusern beschäftigten Hebammen ar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- beiten mittlerweile zu über 70 Prozent in Teilzeit . Es gibt ordneten der SPD) viel zu wenig Personal . Oft müssen gleichzeitig mehrere Geburten zur selben Zeit betreut werden . Das ist unge- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: heuer stressig, und das Risiko für Mutter und Kind steigt Vielen Dank .– Als nächste Rednerin hat Cornelia natürlich . Berufsethisch ist es auch schwierig, weil die Möhring von der Fraktion Die Linke das Wort . Hebammen einen ganz anderen Anspruch an ihren wich- tigen Beruf haben . Auch deswegen hängen mittlerweile (Beifall bei der LINKEN) viele Hebammen ihren Beruf an den Nagel . Mittlerweile werden immer mehr Geburtsstationen in den Kranken- Cornelia Möhring (DIE LINKE): häusern dichtgemacht . Die Wege für die Schwangeren Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Liebe Kolleginnen werden länger, und im ländlichen Raum ist eine wohn- und Kollegen! Herr Kühne, ich habe den Eindruck, Sie ortnahe Versorgung überhaupt nicht mehr möglich . leben in irgendeinem Paralleluniversum, aber es kann Als Schleswig-Holsteinerin erlauben Sie mir, auch mit der Realität in der Geburtshilfe wahrlich nicht viel etwas zur Situation auf den Inseln zu sagen . Gebürtige zu tun haben . Helgoländerinnen, Amrumer, Sylterinnen sind mittler- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- weile Vergangenheit . Inselgeburten gibt es nicht mehr . NIS 90/DIE GRÜNEN) Eine Schwangere, die auf den Inseln lebt, muss min- destens zwei Wochen vor der Geburt in ein sogenanntes Um die Geburtshilfe in unserem Land ist es nämlich Boarding-House auf dem Festland . Das ist alles andere wahrlich sehr schlecht bestellt, und das seit Jahren . als ein entspanntes Warten auf die Geburt . Es bedeutet Trennung von den anderen Kindern, vom Partner, von (Dr . Roy Kühne [CDU/CSU]: Welcher Ver- der gewohnten Umgebung und von der Hebamme, mit gleich?) der sich die Frau auf die Geburt vorbereitet hatte . Hin- Der Hebammenberuf ist in großer Gefahr . Ihre Bundes- zu kommt die Unsicherheit, ob der Partner es überhaupt regierung hat mitnichten irgendetwas angeschoben, was rechtzeitig schafft, bei der Geburt beizustehen . So, liebe diese Situation wirklich nachhaltig verbessert . Kolleginnen und Kollegen, wünscht sich wirklich keine Frau die sogenannte Niederkunft . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE (B) (D) Ich denke, die Tausenden von Petitionen, die mittler- GRÜNEN]) weile beim Bundestag eingehen, wo sich die Bevölke- rung aufmacht und Gegenwehr gegen diese Politik des

Aussitzens zeigt, machen deutlich, wie sehr dieses The- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: ma die Bürgerinnen und Bürger bewegt . Wir haben rund Frau Möhring, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol- 21 000 Hebammen in Deutschland, und nur noch 2 500 legen Kühne zu? von ihnen bieten freiberufliche Geburtshilfe an. Freibe- rufliche Hebammen müssen sich faktisch auf dieGe- Cornelia Möhring (DIE LINKE): burtsvorbereitung und die Wochenbettpflege beschrän- Selbstverständlich . ken . Ein wesentliches Kernstück, die Geburtshilfe, fällt fast völlig heraus, weil sich die Hebammen die hohen Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Haftpflichtprämien schlicht nicht mehr leisten können. Das waren Zahlen vom Hebammenverband, falls Sie da- Sehr geehrte Kollegin, Sie zitieren Zahlen, und wir nach suchen . alle wissen, dass Statistiken häufig problematisch zu sehen sind . Ich habe eine ganz konkrete Frage: Können (Dr . Roy Kühne [CDU/CSU]: Welcher Heb- Sie mir Zahlen nennen, wie viele Hebammen weniger es ammenverband? Welche Zahlen?) momentan in Deutschland gibt, wie viele Geburtshäuser seitdem geschlossen haben, wie viele Geburtshäuser seit- Wir reden tatsächlich nicht über Peanuts, wenn wir dem eröffnet wurden und welche Anzahl an Mangelge- über Haftpflichtprämien reden. Die Versicherungsbei- bieten im Hinblick auf die geburtstechnische Versorgung träge sind extrem gestiegen . Sie lagen 1998 noch bei wir derzeit in Deutschland haben? 394 Euro . Jetzt, ab Juli 2016, werden sie trotz Ihrer Man- gel-Maßnahmen auf 6 843 Euro ansteigen . Ich meine, so stark sind die Vergütungen nicht gestiegen, dass eine Cornelia Möhring (DIE LINKE): Hebamme bei vier Geburten im Jahr dann tatsächlich Genau darüber rede ich ja . überlebensfähig ist . Den hohen Versicherungsbeiträgen (Dr .Roy Kühne [CDU/CSU]: Zahlen!) steht nämlich ein sehr geringes Einkommen gegenüber . Der durchschnittliche Jahresumsatz einer freiberuflichen Die Hebammenzahlen sind zurückgegangen . Zumindest Hebamme liegt bei rund 24 000 Euro brutto . Der durch- ist die Zahl der freiberuflichen Hebammen, die noch Ge- schnittliche Stundenlohn, wenn man es einmal herunter- burtshilfe leisten, stark gesunken: Es waren vor zwei Jah- rechnet, liegt für den gesamten Aufwand gerade einmal ren noch weit über 3 000; es sind jetzt nach Angaben des zwischen 7,50 Euro und 8,50 Euro . Hebammenverbandes 2 500 . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16793

Cornelia Möhring (A) Ich habe ja gerade von Schleswig-Holstein gespro- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (C) chen . Die Inselversorgung ist nicht mehr gesichert . Im Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Bettina ländlichen Raum sieht es ähnlich aus . Krankenhäuser le- Müller von der SPD-Fraktion das Wort . gen ganze Geburtsstationen still, weil diese einfach nicht mehr wirtschaftlich sind . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In Notfällen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird es dann vollständig gruselig . Neulich musste zum Beispiel Bettina Müller (SPD): eine junge Frau aus Amrum, deren Baby zu früh kam, mit Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dem Seenotrettungskreuzer von Amrum nach Dagebüll, Liebe Gäste auf der Galerie! Am letzten Donnerstag, am von Dagebüll weiter mit dem Krankenwagen nach Flens- 5 .Mai, war der Internationale Hebammentag – ein Tag, burg; Letzteres – das dauerte eine gute Stunde – ohne an dem uns vor Augen geführt wurde, dass die Geburts- Hebammenunterstützung . Das ist doch wirklich irre . hilfe in vielen Ländern der Erde immer noch im Argen liegt und es dort noch sehr große Gefahren für Mutter Falls jetzt jemand von Ihnen denkt: „Na ja, selber und Kind gibt . Das sollten wir uns stets vor Augen halten, schuld . Wenn man auf einer Insel wohnt, hat man es halt wenn wir über die Situation der Geburtshilfe in Deutsch- nicht besser“, dem entgegne ich: Nein, für alle Frauen, land reden, wo die Versorgung auf einem qualitativ hohen egal ob sie auf einer Nordseeinsel, in einer Großstadt Niveau stattfindet, und zwar flächendeckend. Ich möchte oder auf dem Dorf wohnen, gilt das Recht auf Selbst- das zu Beginn ausdrücklich betonen; denn wenn man die bestimmung . Dazu gehört, dass Frauen selber über sich Anträge der Opposition liest, könnte man durchaus einen und ihren Körper bestimmen . Dazu gehört auch die freie gegenteiligen Eindruck bekommen . Entscheidung darüber, wo Frauen ihre Kinder zur Welt bringen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Beide Anträge, liebe Kolleginnen und Kollegen, stam- NIS 90/DIE GRÜNEN) men aus dem Frühjahr 2014, als die steigenden Beiträge zur Berufshaftpflicht der freiberuflich tätigen Hebammen Bei den Frauen auf Helgoland, Amrum oder anderen In- wieder neue Höchststände erreichten und die letzten Ver- seln wird dieses Recht bereits mit Füßen getreten . Sollte sicherer drohten, den Markt zu verlassen . Aber – es ist keine Lösung gefunden werden, ist das Selbstbestim- schon angeklungen – der Gesetzgeber ist nicht untätig mungsrecht von Frauen im ganzen Land in Gefahr . Bei- geblieben: Schon seit 2012 werden ja die Aufwendungen des dürfen wir nicht zulassen . der Hebammen für ihre Berufshaftpflicht gemäß § 134 a SGB V in den Verhandlungen über die Vergütungen be- (B) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sonders berücksichtigt . 2013 hatten wir dann eine in- (D) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) terministerielle Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema beschäftigt hat, im Übrigen im Dialog mit den Hebam- Es muss jetzt aus unserer Sicht schnell gehandelt wer- menverbänden, die an den Diskussionen beteiligt waren . den; denn die Situation ist wirklich kritisch genug . Mei- Dort sind Handlungsempfehlungen erarbeitet worden . ne Fraktion fordert anstatt der Abhängigkeit von privaten Versicherungen mit hohen Versicherungsbeiträgen, die Mit dem GKV-FQWG wurde 2014 ein Sicherstel- arm machen, einen Fonds zur Haftung bei Behandlungs- lungszuschlag für den Ausgleich der Haftpflichtprämi- fehlern, in den alle Leistungserbringer einzahlen . Wir en beschlossen, der insbesondere den Hebammen mit meinen, die Versorgung mit Hebammenleistungen gehört wenigen Geburten – wir haben das Problem durchaus zur Grundversorgung der Bevölkerung . Sie muss wohn- auch gesehen – zugutekommen soll . Bis dieser neue Si- ortnah erfolgen, zum Beispiel über Versorgungszentren, cherstellungszuschlag den langen Weg durch die Müh- Hebammenstützpunkte, Kooperationen . Wir wollen den len der Selbstverwaltung geschafft hatte, wurde für eine Hebammenberuf nicht nur erhalten, sondern aufwerten . Übergangszeit bis 2015 ein pauschaler Zuschlag für die Hebammen sollen, wie in den Niederlanden, erste und Hebammen – das waren circa 130 Euro pro Geburt – ein- wichtigste Ansprechpartnerinnen für Schwangere sein . geführt . Mit dem 2015 verabschiedeten GKV-Versorgungs- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- stärkungsgesetz haben wir dann auch noch den Regress- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) verzicht installiert . Den gesetzlichen Krankenkassen Die Bedingungen sollen eine Eins-zu-eins-Betreuung in oder besser gesagt den Beitragszahlern wird seitdem die der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett Übernahme der Folgekosten von Geburtsschäden aufer- gewährleisten . Die Vergütung der Hebammen muss sich legt . Meine Damen und Herren, die Koalition hat also selbstverständlich daran orientieren, also höher sein . durchaus geliefert und die Forderungen der Opposition, wie ich meine, weitgehend abgeräumt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist alles mach- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) bar, wenn der politische Wille da ist . Den Weg, um diesen politischen Willen umzusetzen, zeigen wir in unserem Ich will hier aus Sicht der SPD-Fraktion deutlich ma- Antrag auf . Stimmen Sie dem Antrag einfach zu . chen, dass wir damit den Hebammen bei der Lösung der Haftpflichtproblematik wirklich sehr weit entgegenge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- kommen sind; denn insbesondere mit dem Regressver- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zicht haben wir unter größten Bauchschmerzen, liebe 16794 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Bettina Müller (A) Kolleginnen und Kollegen, einem Systembruch zuge- hier liegt unsere eigentliche Aufgabe: Wir müssen eine (C) stimmt; dadurch wird nämlich den Mitgliedern der ge- Rechtsform finden, die das ermöglicht. setzlichen Krankenkassen eine Übernahme der Kosten (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Reiner zugemutet . Meier [CDU/CSU]) Folgekosten von Behandlungsfehlern sind eigent- Mit dem Sicherstellungszuschlag liegt nunmehr jeden- lich Sache der Berufshaftpflicht, dafür ist sie da. Oder falls ein Ausgleichsmechanismus vor, der die Hebammen man muss sich überlegen, ob man eine gesamtstaatliche fast vollständig entlastet . Er wird seit Beginn 2016 rück- Aufgabe daraus macht . Oder man muss sich andere Mo- wirkend ausgezahlt . Er ist viel zielgenauer als die alte Lö- dalitäten überlegen; ich werde noch darauf zu sprechen sung, die in nicht wenigen Fällen ja sogar zu Überkom- kommen . Innerhalb des GKV-Systems sind solche Haf- pensationen geführt hat . Die Regelung sieht vor, dass die tungsübernahmen jedenfalls völlig versicherungsfremd . Hebammen statt am Jahresende mehrmals im Jahr den (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Ausgleich beantragen können – das ist für die Hebam- CDU/CSU) men günstig im Sinne einer zeitnahen Bezahlung –, und die gezahlte Haftpflichtprämie wird dabei fast vollstän- Aber: Im Sinne einer schnellen Lösung und um sicher- dig erstattet . Lediglich der Anteil für Privatversicherte, zustellen, dass zum Juli 2016 überhaupt ein Anschluss- die sachfremden Bestandteile wie beispielsweise eine vertrag vorliegt, hat die SPD diesem Systembruch zu- Hundehaftpflichtversicherung, die Privathaftpflicht und gestimmt . Das hat dazu beigetragen, dass, entgegen der der Prämienanteil für nichtgeburtliche Leistungen wer- Schwarzmalerei der Opposition, eine Lösung geschaffen den abgezogen . Außerdem gibt es eine Art Eigenanteil in worden ist . Höhe von 1 000 Euro, der in etwa dem Stand der Prämie von 2010 entspricht . Sie wissen: Fast alle Selbstständi- Fakt ist nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es gen sind auf eine Haftpflichtversicherung angewiesen, gibt einen neuen Versicherungsvertrag . Die Prämienstei- und ein Eigenanteil ist hier, denke ich, auch vertretbar . gerung fällt mit 10 Prozent jährlich erheblich moderater aus als in den letzten Jahren; da waren es immer 20 Pro- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage zent . Der Vertrag läuft über zwei Jahre . Ich denke, da- ganz deutlich: Es wäre schön gewesen, wenn wir diese durch besteht ein hohes Maß an Planungssicherheit für sinnvolle Neuregelung nicht erst durch einen Schieds- die Beteiligten . spruch hätten bestätigen lassen müssen . Es wurde eine praktikable und transparente Regelung geschaffen, die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) für die freiberuflichen Hebammen eine echte Entlastung darstellt . Darum hat zum Beispiel – das hat der Kolle- (B) Wir müssen uns aber selbstverständlich Gedanken ge Kühne ja schon angesprochen – der Bund der frei- (D) darüber machen, wie wir diese ewige Preisspirale nach beruflichen Hebammen Deutschlands, BfHD, diese Re- oben und das Abhängigkeitsverhältnis von einem Mono- gelung ausdrücklich begrüßt . Der BfHD hat zu diesem polversicherer beenden können . Ob die vorgeschlagenen Punkt nicht die Schiedsstelle angerufen, hat auch nicht Lösungen, wie auf die gesetzliche Unfallversicherung vor dem Landessozialgericht Berlin gegen den Schieds- auszuweichen oder einen Haftungsfonds aufzulegen – spruch geklagt . Meine Damen und Herren, wenn schon darüber will ich ganz sachlich diskutieren, liebe Kol- ein Verband, der die freiberuflichen Hebammen origi- leginnen und Kollegen von der Opposition –, tragfähig när vertritt – im BfHD sind ja gerade die freiberuflichen sind, ist ja bereits in der genannten interministeriellen Hebammen organisiert –, mit der ausgehandelten Rege- Arbeitsgruppe zusammen mit den Hebammen untersucht lung einverstanden ist, dann kann sie so falsch nicht ge- worden . Das entsprechende Rechtsgutachten kennen Sie wesen sein . sicher auch . Es haben sich sehr viele versicherungsrecht- liche und verfassungsrechtliche Probleme aufgetan . Es (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wurde eigentlich keine große Hoffnung gemacht, dass Für mich ist es daher unverständlich, warum der Deut- das eine Lösung sein kann . sche Hebammenverband weiter dagegen klagt. Ich finde, das schürt nur die Verunsicherung bei den Hebammen Wir müssen aber nach bezahlbaren Lösungen suchen; und blockiert auch jede politische Aktivität . Dem DHV das sehe ich auch so . Ich will Ihnen ein paar Zahlen nen- muss doch klar sein: Solange das Landessozialgericht nen . Wir haben etwa 3 000 Versicherungsverträge mit bzw . das Bundessozialgericht, wenn eine weitere Instanz einer Jahresprämie von circa 7 000 Euro . Das ergibt ein in Anspruch genommen wird, noch keine Entscheidung Gesamtvolumen von ungefähr 21 Millionen Euro . Die gefällt hat, ist der gesetzgeberische Handlungsspielraum werden aber zur eigentlichen Schadensregulierung gar nicht besonders groß . nicht gebraucht. 4 Millionen Euro fließen als Versiche- rungsteuer an den Bundesfinanzminister, weitere 5 Mil- Fakt ist auch, dass sich die Versorgungslage – das ist lionen Euro bleiben als Provisionen und Gewinnanteil auch schon angeklungen – nicht wesentlich verschlech- beim Versicherungsmakler, beim Hebammenverband tert hat . Das kann man auch objektiv mit Zahlen belegen . und bei einem Versicherungskonsortium hängen . In die Zum einen liegt uns ein Bericht des übrigens von einer eigentliche Regulierung der Geburtsschäden fließen net- Linken geführten Sozialministeriums Thüringen vor, aus to deswegen nur 12 Millionen Euro jährlich . Das ist ei- dem hervorgeht, dass sich die Versorgungslage nicht ver- gentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein überschau- schlechtert hat . Auch aus den aktuellen GKV-Zahlen, die barer Betrag, den die Hebammen, die GKV, der Bund ich mir habe vorlegen lassen, geht das hervor . Es ist eben und die Länder durchaus aufbringen können . Ich denke, nicht so, dass die Hebammen scharenweise aus dem Be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16795

Bettina Müller (A) ruf ausgestiegen sind . Laut GKV-Zahlen ist die Zahl der Hier haben wir mit Aspekten wie steigenden Kaiser- (C) freiberuflichen Hebammen 2015 im Vergleich zu 2014 schnittraten – da gibt es eine Steigerung um 30 Prozent; sogar leicht angestiegen . Hier lässt sich also überhaupt kein deutlicher Einbruch feststellen . Das gilt im Übrigen (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch für die Geburtsmodule, für die Hebammen mit Ge- NEN]: Ja, genau!) burtshilfe . damit bin ich überhaupt nicht zufrieden; das ist, denke ich, auch nicht fachgerecht –, Abbau von Standorten, Zu den unverständlichen Aspekten gehört für mich Personalbemessung, Bezahlung und Arbeitszeiten jede auch die Aussage, dass die getroffenen Regelungen die Menge Themen, denen wir uns politisch widmen müs- Wahlfreiheit der Frauen einschränken und angeblich die sen und von denen – ich sage es noch einmal – mit über Hausgeburten künftig unmöglich machen würden . Grund 98 Prozent weitaus die Mehrzahl der Frauen auch betrof- seien die sogenannten Ausschlusskriterien für Hausge­ fen ist . Für mich liegt hier der eigentliche Schlüssel für burten, die seit 2015, seit der Qualitätsvereinbarung, die die flächendeckende Versorgung mit Geburtshilfe auf ho- im Rahmen der Vergütungsvereinbarung mitverhandelt hem Qualitätsniveau . Krankenhaus heißt ja schon längst wurde, gelten . Tatsache ist jedoch, dass genau diese Aus- nicht mehr Fließbandgeburt in gekachelten Räumen . schlusskriterien für Geburtshäuser schon seit 2008 gel- Krankenhaus kann beispielsweise auch hebammengelei- ten . teter Kreißsaal bedeuten . Hier gibt es ganz neue Konzep- te . Bezüglich der Terminüberschreitungen – das ist ein immer wieder genannter Punkt –, wenn es also einen oder mehr Tage über den ausgerechneten Geburtstermin Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: hinausgeht, waren die Vorgaben für die Geburtshäuser Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen . Sie sogar noch rigider . Bei den Geburtshäusern ist quasi jede haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten . Art von Überschreitung ein Anlass, um sich mit dem Arzt rückzukoppeln . Bei den Hausgeburten gilt das ab dem dritten Tag nach dem Termin und nicht schon ab dem ers- Bettina Müller (SPD): ten Tag . Diese drei Tage – das muss man immer wieder Okay . – Wir müssen also davon wegkommen, einer- betonen – sind auch kein absolutes Ausschlusskriterium, seits die Hausgeburt zu idealisieren und andererseits die sondern nur ein relatives Ausschlusskriterium . Das heißt, stationäre Geburt zu dämonisieren . Wir müssen unseren wenn man sich mit dem Arzt rückkoppelt und der sein Fokus auch auf die Situation der Hebammen im Kran- Plazet gibt, also keine Probleme sieht, kann die Hausge- kenhaus richten . burt wie geplant stattfinden. (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir treffen dieses (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ulle Jahr noch eine Entscheidung über die regelhafte Aka- Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das demisierung . Da wird es auch darum gehen, dass wir reden Sie sich schön! Das ist doch Quatsch!) zusätzliche Ausbildungsinhalte für die Hebammen be- schließen und über die Übernahme weiterer Leistungen Diese Ausschlusskriterien stehen im Übrigen auch in den und Aufgaben durch die Hebammen reden . medizinischen Leitlinien . Liebe Kolleginnen und Kolle- gen, warum sollte eine Regelung, die für Geburtshäuser, Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: die ein umfangreiches medizinisches Back-up haben, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen . gilt, ausgerechnet bei Hausgeburten keine Gültigkeit ha- ben, obwohl das entsprechende medizinische Equipment, die entsprechende Ausstattung da gar nicht vorhanden Bettina Müller (SPD): ist? Wir sollten das zum Anlass nehmen, – Abschließend noch ein Wort zum Thema Wahlfrei- heit – das ist ein ganz wichtiger Aspekt –: Weit über Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: 98 Prozent der Frauen wählen das Krankenhaus als Ort Nein, jetzt ist gut . Jetzt ist es vorbei . der Entbindung . Das ist eine Abstimmung mit den Füßen . Die Quote der außerklinischen Geburten liegt seit Jahr- zehnten konstant bei deutlich unter 2 Prozent . Die Quote Bettina Müller (SPD): der reinen Hausgeburten liegt mit 0,5 Prozent sogar im – konstruktiv für die Hebammen zusammen etwas zu Promillebereich . erreichen

(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Daran sollten Sie auch arbeiten, dass und keine Schaufensteranträge zu stellen . Gemeinsam sich das ändert!) werden wir das bestimmt gut hinkriegen . – Das kommt auch noch . – Insofern begrüße ich es sehr, Vielen Dank . dass auch der Deutsche Hebammenverband anstelle der Hausgeburt jetzt endlich verstärkt das Thema Kranken- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haus in den Fokus rückt . der CDU/CSU) 16796 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Wir dachten, dass die Bundesregierung die Probleme (C) Als nächste Rednerin hat Elisabeth Scharfenberg von erkannt hat . 2014 wurde der Bericht der interministeri- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . ellen Arbeitsgruppe „Versorgung mit Hebammenhilfe“ vorgelegt . Gesetze wurden auf den Weg gebracht, aber, (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wie wir sehen, reicht das nicht . Da braucht es etwas mehr NEN]: Zehn, elf Minuten!) als bisher . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) NEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- Für Familien und Hebammen hat sich dadurch nichts legen! Wenn meine Kollegin von der SPD mit grundstän- Entscheidendes geändert . Der Regressverzicht sollte die dig elf Minuten Redezeit noch überzieht, dann kann ich Haftpflichtprämien senken. Unter bestimmten Bedingun- ja ganz entspannt in meine Rede gehen und muss mich gen sollten die Kranken- und Pflegekassen die Kosten gar nicht so abhetzen und beeilen . für Kinder mit Geburtsschäden tragen und eben nicht die Haftpflichtversicherer. Doch die Regelungen wurden so (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ausgestaltet, dass diese Fälle selten sind, und die Prämien SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) steigen weiter . Ich habe Ihnen gerade die Zahlen vorge- legt . Der Sicherstellungszuschlag soll es auch Hebam- Ich werde jetzt also einfach all das sagen, was ich sagen men mit wenigen Geburten ermöglichen, die hohe Haft- möchte, und ich werde mir auch die Zeit dafür nehmen . pflichtprämie zu zahlen. Aber die Hebammen bleiben Einen guten Start ins Leben, das wünschen sich doch auf Eigenanteilen sitzen, und diese liegen bei schlappen alle Eltern für ihre Kinder . Dazu gehört natürlich auch 2 000 Euro . eine gute Betreuung und Beratung vor, nach und wäh- Darüber hinaus wurde der Sicherstellungszuschlag rend der Geburt . Eltern wollen doch wissen, was das mit Ausschlusskriterien für Hausgeburten gekoppelt . Beste für ihr Kind ist . Eltern brauchen Vertrauen in sich, Künftig zahlen die Kassen eine Hausgeburt nicht mehr, brauchen Vertrauen in die Hebamme, um ganz in Ruhe wenn der errechnete Geburtstermin um drei Tage über- ihre Entscheidungen treffen zu können . Sie brauchen schritten ist . Ich frage Sie hier im Publikum – die Mütter, Vertrauen in sich für die Zeit der Schwangerschaft, für die selbst ein Kind geboren haben, und die Väter, die hier die Geburt und auch für die Zeit nach der Geburt . Die sitzen –: Wie viele Ihrer Kinder sind genau am errechne- Zeit der Schwangerschaft bringt Ängste mit sich, bringt ten Geburtstermin oder innerhalb der nächsten drei Tage Unsicherheit mit sich: Was erwartet mich denn bei der geboren worden? (B) Geburt? Was kommt an Schmerzen auf mich zu? Kriege (D) ich das alles überhaupt hin? Schaffe ich das? Und dazu (Zuruf von der CDU/CSU: Manche schon!) braucht es Vertrauen . – Das sind aber ganz wenige . – Es gilt in diesem Zusam- Vertrauen entsteht nicht in stressigen Situationen: menhang sogar als Risikogeburt, wenn der errechnete Stress, weil keine Hebamme für die Vorsorge zu finden Geburtstermin um drei Tage überschritten ist. Ich finde, ist, Stress, weil die Geburtsabteilung in der nächsten Kli- das ist absurd . nik geschlossen hat – die Anfahrtswege gerade im ländli- chen Raum werden immer länger; man stellt sich irgend- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wann die Frage, ob man die Klinik überhaupt rechtzeitig sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zur Geburt erreicht –, Stress, weil man nicht weiß, ob in der Klinik vielleicht die eigenen Wünsche gar nicht Das schränkt die Kompetenz der Hebammen und die respektiert werden, ob genug Zeit für einen da ist, Stress, Kompetenz der Eltern ein . Kein Arzt dieser Welt kann weil man von viel zu vielen Kaiserschnitten hört . den Geburtstag exakt errechnen . Diese Regelung ist also komplett widersinnig . Entscheiden sich Eltern dann auch noch dafür, dass sie das Kind in einem Geburtshaus oder zu Hause bekom- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- men wollen, dann wird es noch schwieriger. Oft finden SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) sie gar kein Geburtshaus oder eben auch keine Hausge- Wir brauchen starke Hebammen für starke Familien . burtshebamme . Warum ist das so? Wir alle wissen, dass Hebammen ihren Beruf gerne aus- Hebammen geben auf, weil ihre Haftpflichtprämien üben . Dafür sollten wir – ganz ehrlich – dankbar sein . jährlich steigen, aber ihre Gehälter nicht . Das betrifft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ganz besonders diejenigen Hebammen, die Geburtshilfe sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE]) leisten. Derzeit liegt die Haftpflichtprämie bei jährlich 6 300 Euro, im Juli wird sie auf 6 850 Euro steigen und Wir haben schon in unserem Antrag von vor gut zwei im nächsten Juli, im Jahr 2017, auf 7 640 Euro; das heißt Jahren einige Vorschläge dazu gemacht . Es ist fatal, dass innerhalb eines Jahres noch einmal plus 800 Euro . dieser Antrag immer noch topaktuell ist . Hebammen geben auf, weil sie in Krankenhäusern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN viel zu viele Geburten parallel zu betreuen haben und sowie der Abg . Cornelia Möhring [DIE LIN- eine verantwortungsvolle Betreuung dann einfach nicht KE] – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, das ist mehr möglich ist . echt ein Ding!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16797

Elisabeth Scharfenberg (A) Lösen Sie die Haftpflichtfrage endlich dauerhaft und ten die Probleme der Hebammenversorgung, die es ja (C) für alle Gesundheitsberufe! Alle, die in diesem Bereich nicht erst seit gestern gibt, lösen . tätig sind, sind von ständig steigenden Haftpflichtprämi- (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Dann sagen en betroffen . Schauen Sie sich an, in welchen Gebieten Sie doch mal, wie die Hebammen ihre Haft- Frauen keine Hebamme finden! Nehmen Sie regelmäßig pflichtversicherung bezahlen sollen!) eine Bestandsaufnahme vor! Die Frage, die der Kollege Kühne vorhin gestellt hat, war gar nicht so absurd . Wir Das haben wir versprochen, und dieses Versprechen ha- wissen im Grunde genommen gar nicht, wie die Lage im ben wir gehalten . Hinblick auf die Versorgung ist . Wo herrscht eigentlich Grundsätzlich gibt es zwei Probleme, die es zu lösen ein Mangel? Hier muss genau hingesehen werden . Dort, gilt: wo wirklich ein Mangel herrscht, müssen Anreize gesetzt werden, damit Hebammen auch in unterversorgten Regi- Erstens hatten wir ein Problem mit den Versicherern . onen tätig werden können . Bei den Ärzten geht es doch Ein Versicherungskonsortium wollte Hebammen nicht auch . mehr versichern . Es kam immer wieder zu einer Ver- längerung, und Jahr um Jahr ging es weiter . Wir haben, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch dank des Einsatzes des Gesundheitsministers und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) des Gesundheitsministeriums, zumindest für die nächs- ten zwei Jahre die Zusage bekommen, dass das Versiche- Sorgen Sie dafür, dass genug Hebammen in den rungskonsortium steht . Kreißsälen sind! Dazu muss aber erst einmal ganz genau ermittelt werden, wie viele Hebammen man für eine gute Zweitens haben wir die massiv gestiegenen Haft- Geburtsbetreuung braucht . Das Ergebnis muss dann auch pflichtprämien für Hebammen als Problem erkannt. Mit umgesetzt werden, zum Beispiel durch Anwendung ei- dem Einkommen von Hebammen ist es nicht möglich, nes verbindlichen Personalbemessungsinstruments . Nur diese Summe tatsächlich aufzubringen . Der Anstieg der wenn wir so mutig voranschreiten und all das tun, wer- Haftpflichtprämien – auch das muss man ganz deutlich den wir den Rückgang der Zahl der Hebammen stoppen . sagen – kam aber nicht deshalb zustande, weil die Heb- Das ist für uns alle und für die gesamte deutsche Gesell- ammen mehr Fehler gemacht haben . Vielmehr ist es zum schaft wichtig . Glück so, dass wir in unserem Gesundheitssystem eine gute Versorgung gewährleisten können und dass Kinder, Vielen Dank . die von einem Schaden betroffen sind, länger leben als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN früher . Das hat natürlich automatisch zur Folge, dass sowie bei Abgeordneten der LINKEN) auch mehr Geld zur Verfügung stehen muss . Es gibt also (B) mehr Möglichkeiten für betroffene Kinder und Familien; (D) damit sind allerdings automatisch auch höhere Kosten Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: verbunden. Auch deswegen sind die Haftpflichtprämien Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Emmi gestiegen . Zeulner von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . Schon in der letzten Legislaturperiode wurde ein Schritt unternommen, um eine Lösung für dieses Pro- (Beifall bei der CDU/CSU) blem zu finden. Denn wir haben bei den Gebührenpo- sitionen für eine Geburt einen Aufschlag erhoben . Das Emmi Zeulner (CDU/CSU): heißt, man hat versucht, die gestiegenen Kosten dadurch auszugleichen, dass man gesagt hat: Für eine Leistung Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und bekommt man einen Ausgleich von 100 Prozent . Jetzt Kollegen! Um eines ganz deutlich zu machen: Die Union wird noch etwas obendrauf geschlagen . Mit diesem zu- steht an der Seite der Hebammen in Deutschland . sätzlichen Geld kann man versuchen, seine Haftpflicht- (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der prämie zu bezahlen . LINKEN: Na ja! – Ach ja?) Es war natürlich so, dass dies keine Lösung für den ländlichen Raum war, in dem viele Hebammen prakti- Der Eindruck, der hier erweckt wird – er wird aber nicht zieren, die nur wenige Geburten begleiten . Es haben nur hier erweckt, sondern manchmal auch in den Medi- vielmehr vor allem die Hebammen profitiert, die viele en, in der Presse und auf Podiumsdiskussionen –, stimmt Geburten begleitet haben . Dies ist nur für eine begrenzte einfach nicht . Zeit eine gute Lösung gewesen . Deswegen haben wir in (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das Bedauerli- dieser Legislaturperiode gesagt: Wir müssen dieses Sys- che ist, dass die Hebammen davon aber nichts tem neu aufstellen . merken, Frau Kollegin!) Wir haben jetzt nach entsprechenden Verhandlungen einen Sicherstellungszuschlag im Gesetz festgeschrie- Das unionsgeführte Gesundheitsministerium hat schon ben . Das heißt: Wer als Hebamme im Jahr vier Gebur- entscheidende Regelungen auf den Weg gebracht . ten begleitet, also pro Quartal eine, der kann von der (Beifall bei der CDU/CSU) Krankenkasse einen Ausgleich einfordern . Damit ist der allergrößte Teil der Kosten für die Haftpflichtprämie ge- Wir haben im Koalitionsvertrag gemeinsam mit der deckt . Es ist nämlich so, dass es auch im Falle von Kos- SPD ein ganz klares Bekenntnis abgegeben: Wir möch- tensteigerungen bei der Haftpflichtprämie, die es in den 16798 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Emmi Zeulner (A) nächsten Jahren wohl geben wird, einen Ausgleich gibt, Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (C) der natürlich immer entsprechend angepasst wird . Her- Frau Kollegin, lassen Sie noch eine Zwischenfrage ausgerechnet wurde zum Beispiel der Fall, dass jemand zu? Ihre Redezeit ist sonst abgelaufen bzw . sogar über- privat versichert ist; auch andere Bereiche wurden aus schritten . Insofern haben Sie noch die Chance, länger zu der Gesamtsumme herausgerechnet . Aber ein Kostenaus- reden . gleich findet statt. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Nun kann man darüber streiten, aus welchem Topf das Geld genommen werden soll . Sollen die Versicher- Ja . ten dies durch ihre Beitragszahlungen leisten, oder soll dies steuerfinanziert werden? Darüber kann man natür- Birgit Wöllert (DIE LINKE): lich diskutieren . Aber es lohnt sich jetzt wieder – auch Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Zwi- für wenige Geburten, und dies betrifft auch die Hausge- schenfrage noch zulassen . – Frau Kollegin, der Deut- burten –, Geburtshilfe anzubieten . Deswegen ist dies der sche Hebammenverband mit seinen 19 000 Mitgliedern entscheidende und wichtige Punkt . und 16 Landesverbänden hat in seiner Pressemitteilung ausdrücklich auf den heutigen Tag verwiesen und ge- Es wurden schon verschiedene Statistiken bemüht . sagt: Die Anträge der Grünen und der Linken und ganz Laut GKV-Spitzenverband gibt es 18 000 freiberufliche besonders der gemeinsame Haftungsfonds für alle Ge- Hebammen . Davon machen lediglich 5 000 Geburtshil- sundheitsberufe könnten eine tragfähige Lösung für die fe . Das heißt, wir haben ein Potenzial von 13 000 Heb- Zukunft sein .– Meine Frage ist: Haben Sie das gelesen? ammen, die keine Geburtshilfe mehr anbieten . Der Grund Würden Sie das bitte auch einmal zur Kenntnis nehmen? dafür liegt bei einem großen Teil von ihnen darin, dass Uns geht es dabei gar nicht nur – und das trifft auch die Haftpflichtprämie so massiv gestiegen ist. auf den Deutschen Hebammenverband zu – um die nie- dergelassenen Hebammen . Wir wollen nicht die eine ge- (Zuruf von der LINKEN) gen die andere Gruppe ausspielen, sondern es geht uns Jetzt können wir ganz klar anbieten: Passt auf, ihr um den Berufsstand als Ganzes, dass er abgesichert wird müsst im Jahr vier Geburten begleiten . Dann bekommt und die Haftpflichtprämien in den Krankenhäusern nicht ins Unermessliche steigen . ihr einen Ausgleich für die Versicherung .– Das ist doch ein gutes Angebot . Deswegen wird unsere Aufgabe sein, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) genau hinzugucken, wie viele Hebammen sich jetzt tat- sächlich wieder bereit erklären, in die Geburtshilfe zu (B) Emmi Zeulner (CDU/CSU): (D) gehen . Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich die eine oder Natürlich nehmen wir die wertvolle Arbeit der Ver- andere Hebamme wieder dazu bereit erklärt, weil sie bände auch zur Kenntnis . Für uns war es deswegen wirk- sagt: Ich habe mehr Sicherheit, was meine Haftpflicht- lich eine Herzensangelegenheit, eine nachhaltige Lösung prämie angeht . für die freiberuflich tätigen Hebammen zu finden, indem die Mehrkosten von der Gemeinschaft getragen werden . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Fakt ist aber auch: Am Ende des Tages wird irgendje- mand zahlen müssen . Das heißt, egal wie wir herumrech- Wir wollten damit eine nachhaltige Lösung anstreben . nen oder welchen Topf wir nehmen: Am Ende des Tages Um es noch einmal deutlich zu machen: Wenn wir in den werden aufgrund des medizinischen Fortschritts die Kos- nächsten Jahren einen Anstieg der Versicherungsprämie ten auch zukünftig steigen, wenn eine Schädigung – bei zu verzeichnen haben werden, dann wird dieser abgefe- den betroffenen Kindern oder Müttern – eingetreten ist . dert; das Problem wird also nicht auf dem Rücken der (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Hebammen ausgetragen . Deswegen ist es auch so, dass GRÜNEN]: Das stellt ja niemand infrage!) Ihre Anträge absolut überholt sind . Wir schätzen also die wertvolle Arbeit . Aber in den An- Die Grünen schreiben in ihrem Antrag – wir haben trägen sind viele Punkte enthalten, die einfach schon ab- gestern schon im Ausschuss miteinander darüber ge- gearbeitet sind . sprochen –, dass immer mehr Geburtshäuser schließen (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE würden . Das ist nicht der Fall, das stimmt einfach nicht . GRÜNEN]: Nein!) Natürlich schließt das eine oder andere Geburtshaus . Dafür macht aber auch das eine oder andere wieder auf . Es ist doch eine Tatsache, dass das Problem im Mo- So ist es . Es sind konstant 130 Häuser . Da sind wir uns ment nicht nachhaltiger gelöst werden kann, als wir es doch einig . Es ist einfach falsch, was Sie in Ihrem Antrag jetzt getan haben . schreiben . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber Sie haben in folgendem Punkt recht: Die Da- Die Hebammen werden entlastet und müssen nicht mehr tengrundlage ist schwierig . Deshalb müssen wir daran- die hohen Prämien zahlen, und das war unser Ziel . gehen . Ich freue mich, wenn die Grünen sich damit ein- (Beifall bei der CDU/CSU) verstanden erklären, dass anonymisierte Daten an den GKV-Spitzenverband gegeben werden . Was wir bei der Datengrundlage natürlich – – Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16799

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: noch Kinder geboren werden, dass sich also junge Frauen (C) Ich möchte Sie einfach bitten, zum Schluss zu kom- und Männer dazu entschließen, Kinder in die Welt zu set- men, weil Ihre Redezeit vorhin schon überschritten war . zen . Das Szenario, das Sie hier aufgemalt haben, stimmt einfach nicht . (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie hat doch so wenig Redezeit!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir als Gesetzgeber, die Bundesregierung und die Emmi Zeulner (CDU/CSU): Partner im Gesundheitssystem sind in diesen zwei Jahren Gut, dann komme ich zum Schluss . – Sie sind ja auch keineswegs untätig geblieben . Schon 2012, also schon an verschiedenen Landesregierungen beteiligt . In Bay- vor vier Jahren, wurde gesetzlich klargestellt, dass die ern wurde von der Staatsministerin Huml eine Studie in Krankenkassen steigende Haftpflichtprämien bei der Auftrag gegeben . Wir werden dabei genau hingucken, Vergütung der Hebammen berücksichtigen müssen . Heb- wie es mit den Hebammenschulen, mit den Strukturen ammen, die aufgrund weniger betreuter Geburten die und mit der Verteilung der Hebammen ausschaut, weil Prämie für die Berufshaftpflichtversicherung nicht auf- unser Bekenntnis zu unseren Hebammen nicht einfach bringen können, erhalten seit dem letzten Herbst einen nur ein Lippenbekenntnis ist . Deshalb steht im Gesetz- Sicherstellungszuschlag für die Geburten . Damit wird entwurf auch, dass es zwingend notwendig ist, dass eine eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt einer flächen- Hebamme bei der Geburt dabei ist, aber nicht unbedingt deckenden Versorgung mit Hebammenhilfe erfüllt . ein Arzt . Die GKV gleicht Kostensteigerungen der Berufshaft- pflichtversicherung aus, die direkt mit der Berufsaus- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: übung der Hebammen zulasten der GKV zusammenhän- Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt muss ich doch gen . Pro Jahr übernimmt die GKV damit zwischen 4 000 eingreifen . und bis zu 6 500 Euro pro Hebamme, je nach Höhe der gezahlten Prämie . Mit der jetzigen Regelung wird nun, Emmi Zeulner (CDU/CSU): wie vom Gesetzgeber gewollt, ein individueller Haft- Danke . pflichtkostenausgleich für Geburtshebammen erreicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, ich weiß, der Vertrag über die Versorgung mit Heb- ammenhilfe musste von der Schiedsstelle entschieden werden, weil sich die Partner nicht einig geworden sind . Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ich weiß auch, dass der Deutsche Hebammenverband da- Es geht einfach nicht, dass man die Redezeit um mehr (B) gegen Klage erhoben hat, weil dieser Beschluss seiner (D) als eine Minute überschreitet . Ich bitte wirklich, auf die Auffassung nach rechtswidrig ist . Warten wir also das Redezeit zu achten . Mehrere Redner haben jetzt überzo- laufende Verfahren ab . gen . Das ist nicht akzeptabel . Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz haben wir (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Unsere Anträ- auch klargestellt, dass die Kranken- und Pflegekassen auf ge müssen wohl gesessen haben, wenn man so Regressforderungen gegenüber freiberuflichen Hebam- viele Worte macht!) men verzichten, mit Ausnahme von Vorsatz oder grober Wir müssen heute noch viele Anträge beraten, und ich Fahrlässigkeit . Damit trägt der Bund dazu bei, die Versi- bitte wirklich darum, das zu berücksichtigen . Das ist kei- cherungsprämien langfristig zu stabilisieren . Gleichzei- ne böse Intervention der Präsidentin, sondern ich habe tig bleibt sichergestellt, dass ein geschädigtes Kind und hier auch die Aufgabe, darauf zu achten, dass wir einiger- seine Familie weiterhin die erforderliche Hilfe erhalten, maßen im Zeitplan bleiben . Das gelingt nicht, wenn jeder wenn es zu einem Behandlungsfehler gekommen ist . die Redezeit nicht einigermaßen einhält . Die Anträge der Linken und der Grünen gehen darü- Frau Bertram, Sie haben jetzt das Wort . ber hinaus . So fordern die Grünen, eine Neuordnung der Berufshaftpflichtversicherung für alle Gesundheitsberufe (Beifall bei der CDU/CSU) nach dem Vorbild der Unfallversicherung zu prüfen .

Ute Bertram (CDU/CSU): (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und GRÜNEN]: Genau!) Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren oben auf den Die Linke vermeidet zwar den Begriff der Unfallversi- Tribünen! Als wir vor rund zwei Jahren mit der Situation cherung, fordert aber die Schaffung eines gemeinsamen konfrontiert wurden, dass die Haftpflichtversicherer die Haftungsfonds für Behandlungsfehler zugunsten aller Versicherungen der Hebammen gekündigt hatten, waren Leistungserbringer nach dem SGB V . wir alle in Sorge . Es ging damals vor allen Dingen darum, diesen Berufsstand für die Zukunft sicher zu machen . Vor (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – diesem zeitlichen Hintergrund müssen die jetzigen An- Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ein guter Vor- träge der Linken und der Grünen gesehen werden . schlag!) Ich muss ganz ehrlich sagen: Bei dem Szenario, das Dazu gibt es rechtliche Bedenken wie die Frage der ich von Frau Möhring und auch von Frau Scharfenberg Gleichbehandlung mit Leistungserbringern außerhalb gehört habe, wundere ich mich wirklich, dass überhaupt der GKV und die Frage der Bundeszuständigkeit bei der 16800 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Ute Bertram (A) Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtver- GASP vom 23. März 2016 in Verbindung (C) sicherung . mit den Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 2071 (2012) vom Für mich stellen sich in diesem Zusammenhang be- 12. Oktober 2012 und folgender Resolutio- sonders folgende Fragen: Was bedeutet dies für die Pa- nen, zuletzt 2227 (2015) vom 29. Juni 2015 tienten? Gibt es kein Verschulden mehr? Gibt es keine individuellen Fehler mehr, für die jemand einzustehen Drucksachen 18/8090, 18/8284 hat? Wird jeder Verstoß gegen die anerkannten Regeln – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - der Heilkunst zum Unfall oder zum Quasiunfall erklärt? schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Soll das die Patientensicherheit wirklich erhöhen? Ich fürchte, genau das Gegenteil wäre das Ergebnis . Drucksache 18/8285 Ich denke, wir tun gut daran, die Anträge der Grünen Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- und der Linken abzulehnen . mentlich abstimmen . (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Falsch ge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dacht! Völlig falsch gedacht!) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Vielen Dank . Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat (Beifall bei der CDU/CSU) Christoph Strässer für die SPD-Fraktion das Wort .

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Beifall bei der SPD) Vielen Dank . – Ich schließe die Debatte . Christoph Strässer (SPD): Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen fehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksa- und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich wieder- che 18/8426. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a hole einmal das Thema des Antrages, über den wir heute seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags abstimmen, weil auf der elektronischen Anzeigetafel nur der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1483 mit dem lapidar „Bundeswehreinsatz in Mali“ zu lesen ist . Ich Titel „Zukunft der Hebammen und Entbindungspfleger nenne es noch einmal so, wie es im Titel des Antrages sichern – Finanzielle Sicherheit und ein neues Berufsbild steht: EUTM Mali, ins Deutsche übersetzt: Ausbildungs- schaffen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – mission der Europäischen Union in Mali . Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die- (B) se Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition Ich sage das ganz bewusst zu Beginn meiner Rede, (D) bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthal- weil die Anzahl der Soldatinnen und Soldaten, die bei tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen dieser Mission eingesetzt werden, auf maximal 300 be- worden . grenzt ist . Ich wiederhole: 300 . Ich weiß, dass an dieser Stelle immer wieder über Militarisierung und die Aus- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- weitung von Mandaten und anderen Dingen gesprochen fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der wird. Ich finde, die Entsendung von 300 Soldatinnen und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/850 Soldaten nach Mali zur Ausbildung ist ein eher beschei- mit dem Titel „Geburtshilfe heute und in Zukunft si- dener Beitrag zur Stabilisierung eines Landes, das nicht chern – Haftpflichtproblematik bei Hebammen und an- nur für uns, sondern auch für die Region und ihre Men- deren Gesundheitsberufen entschlossen anpacken“ . Wer schen von absolut hoher Bedeutung ist . stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und DIE GRÜNEN) Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . Ich würde mir – wie ganz sicher alle in diesem Hohen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Hause – wünschen, dass wir über solche Mandate nicht mehr abzustimmen bräuchten . Aber wir wissen, dass die – Beratung der Beschlussempfehlung und Situation in und um Mali nicht so ist, dass man sagen des Berichts des Auswärtigen Ausschusses kann: Dort ist alles in Ordnung . (3 .Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- gierung Vor knapp einem Jahr, am 20 .Juni 2015, ist in Bama- ko mit großem Trara ein Friedensvertrag verabschiedet Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter worden, von dem einer der Beteiligten gesagt hat – ich deutscher Streitkräfte an der Militärmis- zitiere –: „Das ist ein Friedensvertrag, wie es ihn im Zu- sion der Europäischen Union als Beitrag sammenhang mit bewaffneten Konflikten in Afrika noch zur Ausbildung der malischen Streitkräfte nicht gegeben hat .“ (EUTM Mali) auf Grundlage des Ersuchens der Regierung von Mali an die EU sowie der Von Anfang an war klar, dass dieses Abkommen von Beschlüsse des Rates der EU 2013/87/GASP hoher Fragilität ist, um es vorsichtig auszudrücken . Es vom 18. Februar 2013, zuletzt geändert mit hat zu diesem Zeitpunkt viel Kritik gegeben . Aber es ist dem Beschluss des Rates der EU 2016/446/ immerhin etwas entstanden, was viele Beobachter nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16801

Christoph Strässer (A) geglaubt haben . Nach einem seit 2012 eskalierenden gerinnen und Bürgern durch . Danach sagen viele: Wir (C) Krieg insbesondere im Norden des Landes, wo eine mi- haben relativ wenig von der Friedensdividende, die in litante Tuareg-Gruppe einen eigenständigen Staat grün- den letzten Jahren verteilt wurde . Die Bürger haben aber den wollte, hat es in der Tat geklappt, dass sich die drei noch etwas Bemerkenswertes gesagt . Im Dezember 2015 großen Gruppen an einen Tisch gesetzt und gesagt ha- hat die Umfrage ergeben, dass unter all den Prozessen, ben: Wir versuchen es mit einer Verfassung und einem um die es dort geht, die Entwicklung der malischen Si- demokratischen Staat . – Das alleine verdient nicht nur cherheitskräfte positiv bewertet wird . Ich glaube, dieses Respekt, sondern auch Unterstützung . Ich glaube, EUTM Ergebnis ist auf die Arbeit von EUTM vor Ort und die Mali ist ein Teil dieses Respekts und dieser Unterstüt- wichtige Form der Entwicklungszusammenarbeit von zung, die wir den Menschen in der Region und den Ver- Europa und insbesondere von Deutschland zurückzufüh- suchen schulden, die Region zu stabilisieren . ren . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deutschland ist der viertgrößte bilaterale Geber im Be- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ reich der Entwicklungszusammenarbeit . Wir kümmern DIE GRÜNEN) uns um den Staatsaufbau, die Versorgung mit Grundnah- rungsmitteln, Wasserprojekte usw . Nicht isoliert, sondern Wir alle wissen – diese Erfahrung ist, glaube ich, nicht nur im Kontext mit anderen politischen Maßnahmen ist ganz frisch; sie ist historisch begründet –, dass alleine mit der Einsatz EUTM Mali für uns zielführend . Deshalb militärischen Mitteln Frieden, Stabilität und die Durch- werbe ich um Zustimmung . Die SPD-Bundestagsfrakti- setzung von Menschenrechten nicht gewährleistet wer- on wird jedenfalls zustimmen . den können . Aber es gibt auch Situationen – darüber ha- ben wir in diesem Hause schon oft diskutiert –, in denen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten es eben nicht ohne einen solchen Einsatz geht . Es wird der CDU/CSU) leider nicht funktionieren, wegzuschauen und nur mit zi- vilen Mitteln, mit Mitteln der humanitären Hilfe und der Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Entwicklungszusammenarbeit Unterstützung zu leisten . Vielen Dank .– Als nächste Rednerin hat Christine Das ist, glaube ich, auch eine historische Erfahrung, mit Buchholz von der Fraktion Die Linke das Wort . der wir umzugehen haben. Deshalb finde ich es nach wie vor richtig und wichtig, dass Deutschland dieses Mandat (Beifall bei der LINKEN) weiterhin unterstützt . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Christine Buchholz (DIE LINKE): CDU/CSU) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehr als (B) drei Jahre sind deutsche Truppen nun schon in Mali . Der (D) Ich glaube – das ist mir ganz wichtig –, dass wir auch Einsatz von Militärausbildern im Rahmen des EU-Man- in dieser Debatte nicht nur über den militärischen Teil der dats EUTM Mali, über das wir heute beschließen, findet, Unterstützung und der Zusammenarbeit mit Mali und der Herr Strässer, in enger Abstimmung mit der Blauhelm- Sahelregion insgesamt reden, sondern auch über die an- mission MINUSMA und der französischen Kampfope- deren Bereiche, die für alles, was intern in den Ländern ration Barkhane statt . Das alles ist nicht voneinander zu geschieht, sehr viel bedeutsamer sind . Das darf man nicht trennen . vergessen; denn der Deutsche Bundestag berät zwar ver- pflichtend über die Mandatierung von Auslandseinsätzen (Gabi Weber [SPD]: Das ist auch gut so!) der Bundeswehr – das ist natürlich gut –, aber wir disku- Seit Jahren befinden sich in diesem Land mehr aus- tieren die anderen Bereiche, die die Frage betreffen, was ländische als einheimische Soldaten . Doch ein Ende der wir ansonsten tun und was in dieser Region beispiels- Einsätze ist nicht in Sicht . Vielmehr will die Bundesre- weise im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit not- gierung das Einsatzgebiet der Militärausbilder noch aus- wendig ist, nicht regelmäßig im Bundestag. Das finde ich weiten auf Städte wie Timbuktu und Gao im gefährlichen manchmal etwas schade . Deshalb möchte ich genau die- Norden des Landes . Warum ist das so? Der Bundesregie- sen Punkt noch einmal ansprechen . rung geht es darum, Seite an Seite mit der ehemaligen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Kolonialmacht Frankreich, die schon lange in Westafrika BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) involviert ist – nicht zuletzt aus wirtschaftlichem Interes- se an den Rohstoffen –, eine deutsche militärische Dau- Im Moment wissen leider viele der betroffenen Men- erpräsenz in der Sahelzone aufzubauen . schen in Mali noch nicht so richtig, was im Friedens- vertrag steht . Die Friedensdividende ist noch nicht in (Florian Hahn [CDU/CSU]: So ein Schmar- der Region angekommen . Viele Menschen stellen sich ren!) Fragen: Wie geht es weiter? Was bringt uns eigentlich Die Linke sagt: Wir brauchen in Mali keinen Endlosein- die Verfassung? Profitieren wir als Bürgerinnen und Bür- satz wie in Afghanistan . ger des Landes Mali eigentlich davon? Bei vielen sind also die positiven Wirkungen des Friedensvertrages noch (Beifall bei der LINKEN) nicht richtig angekommen . Um den Einsatz der Bundeswehr zu rechtfertigen, Die Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet seit Jahrzehnten behaupten Außenminister Steinmeier und Verteidigungs- an der Basis in Mali und führt jedes Jahr einen sogenann- ministerin von der Leyen in einem Brief an die Fraktio- ten Mali Maître, eine Meinungsumfrage, unter den Bür- nen, Sicherheit und humanitäre Lage hätten sich in Mali 16802 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Christine Buchholz (A) „verbessert“ . Das hat mit einer realistischen Lageein- aus dem Süden mit Oumar Mariko ein bekannter Vertre- (C) schätzung nichts zu tun . Die Lage im Norden Malis ist ter der malischen Linken . Er sagte, Tuareg und andere unverändert angespannt . Gerade gestern erreichte uns die Volksgruppen dürften sich nicht gegeneinander ausspie- Nachricht, dass der stellvertretende malische Komman- len lassen . Die wahren Feinde seien jene Eliten, die mit deur des Militärbezirks Gao in einem Hinterhalt getötet den westlichen Truppen kooperierten, welche das Land wurde . nur als Sprungbrett für ihre wirtschaftlichen Interessen und für den Aufbau einer dauerhaften Militärpräsenz Aber auch die Lage im Süden des Landes, der immer benutzten . Ich sage Ihnen, auch Ihnen von den Grünen: sicherer war, hat sich im Laufe der drei Jahre verschlech- Oumar Mariko hat recht . tert . Es gab einen schrecklichen Anschlag auf ein Hotel in Bamako im letzten November . Selbst das Hauptquar- (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn tier der EU-Militärmission mit ihren 30 Bundeswehrsol- [CDU/CSU]: Sie haben nicht recht!) daten wurde im März angegriffen . Fakt ist: Weder die französische Kampfoperation noch die Bundeswehrein- Die Linke will nicht, dass die Bundeswehr Schritt für sätze haben Mali sicherer gemacht . Schritt zu einer Konfliktpartei nun auch in der Sahelzone wird . Deshalb werden wir auch dieses Mandat ablehnen . Im Rahmen der EU-Ausbildungsmission soll nun die malische Armee gestärkt werden . Doch die malische Ar- Vielen Dank . mee ist selbst Teil des Problems . Das zeigt neben vielen (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn vorherigen Vorfällen, die wir aufgezeigt haben, ihr Vor- [CDU/CSU]: Regierungsunfähig!) gehen im neuesten Krisenherd im Zentrum des Landes . Dort ist vor dem Hintergrund langjähriger sozialer Pro- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: bleme, aber auch als Reaktion auf die Präsenz ausländi- scher Truppen im Land nun auch unter dem Stamm der Als nächster Redner hat Henning Otte von der CDU/ Fulbe eine aufständische Miliz entstanden . Die malische CSU-Fraktion das Wort . Armee reagiert darauf mit brutaler Gewalt . Der Men- (Beifall bei der CDU/CSU) schenrechtsaktivist Oumar Aldjana sagte dazu im fran- zösischen Fernsehsender TV5 Monde, dass Armee und Bamako-treue Milizen keinen Unterschied zwischen Henning Otte (CDU/CSU): Kämpfern und Zivilisten machten . Alle Fulbe würden Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! verdächtigt . Im Laufe des Aprils wurden so von der Ar- Man muss sich schon sehr über die Worte meiner Vor- mee und ihren Verbündeten mehr als 15 Zivilisten getö- rednerin wundern, die mit einer Baukastenrede, die von ideologischer, rhetorischer Kampfkunst geprägt ist, be- (B) tet . Wohlgemerkt: Es handelt sich um dieselbe Armee, (D) die unter dem vorliegenden Mandat ausgebildet wird . stimmte Inhalte zu vermitteln versucht . EUTM Mali ist also kein Projekt, das zum Aufbau des (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Nein! Nur Landes beiträgt; es ist eine Mission, die die malische Ar- weil Sie es nicht schnallen, ist das keine Bau- mee selbst zur Kriegsführung befähigen soll . kastenrede!) Der Frieden wird auch nicht durch ausländische Trup- Da muss ich sagen: Wie wohltuend war doch die Rede pen ins Land kommen . Das haben die Ereignisse des ver- von Herrn Strässer, der ausgewogen und umfassend dar- gangenen Monats verdeutlicht . Am 18 .April kam es in gestellt hat, um was es geht . Dafür danke ich ihm . der von Tuareg kontrollierten Wüstenstadt Kidal zu De- monstrationen gegen willkürliche Verhaftungen, die die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie französische Armee dort durchführte . 30 Frauen besetz- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ten die Landebahn des Flugplatzes, um ihre verhafteten GRÜNEN) Männer freizubekommen . Es kam zur Konfrontation mit Viel schlimmer aber war etwas anderes, Frau den Soldaten der UN-Truppe MINUSMA – auch daran Buchholz . Wir hatten die Möglichkeit, mit einer Dele- ist Deutschland beteiligt –, Jugendliche eilten den Frau- gation des Deutschen Bundestages in Begleitung unserer en zu Hilfe . Die UN-Blauhelme eröffneten daraufhin das Verteidigungsministerin nach Mali zu fahren, um uns vor Feuer auf die Demonstranten . Mindestens zwei Tuareg Ort einen Einblick in die Lage zu verschaffen . Kurzfris- starben . Ich frage die Bundesregierung: Wo ist der Frie- tig hat die Vertreterin Ihrer Fraktion abgesagt . den, den diese Blauhelme erhalten sollen? (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Aus (Beifall bei der LINKEN – Kordula Schulz- Krankheitsgründen, wie Sie wissen!) Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wäre die Alternative?) Man merkt hier ganz genau, dass Ihre Rede nicht von Kenntnis, sondern von Ideologie geprägt ist . Die Linke ist überzeugt, dass auch in Mali Frieden nur von innen wachsen kann . Ansätze dazu gibt es . (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Ich war dort!) (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn?) Sie nehmen die Sorgen und das Leid der Menschen nicht ernst. Das ist das Verwerfliche an Ihrer Rede. Im März rief die ehemals aufständische Tuareg-Koaliti- on CMA in Kidal zu einer Versöhnungskonferenz . Die (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Regierung entsandte übrigens keine Vertreter . Dafür kam Buchholz [DIE LINKE]: Mit wem haben Sie Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16803

Henning Otte (A) denn geredet? – Jörn Wunderlich [DIE LIN- Wir haben erkannt, dass wir dort helfen müssen, wo (C) KE]: Diese ekelhafte Unterstellung!) Krisen entstehen, damit sie nicht zu wandern beginnen . Je stabiler die Region Mali ist, desto besser werden wir Die Sicherheit Malis ist auch unsere Sicherheit . Des- die Ursachen für illegale Migration beseitigen . Wenn es halb verlängern wir heute das EUTM-Mandat . Konkretes uns mit dem Frieden, der Stabilität, der Sicherheit, der Ziel ist es nämlich, die malische Armee in die Lage zu Bekämpfung von Fluchtursachen, versetzen, selbst im Land für Sicherheit zu sorgen; denn Sicherheit ist nun einmal die wichtigste Voraussetzung (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann sollten für eine zivile Entwicklung, für die Errichtung von In- wir TTIP lassen!) frastruktur und für Bildung und damit für Stabilität nach der Reduzierung von Flüchtlingsbewegungen und der innen und nach außen . Wahrung von Menschenrechten ernst ist, dann ist Mali Die Mission, die seit 2013 besteht, ist erfolgreich . der richtige Ort, um zu helfen . Acht malische Gefechtsverbände – das sind fast zwei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Drittel der malischen Landstreitkräfte – wurden ausge- der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE bildet . Sie wurden zum Bau von behelfsmäßigen Brü- GRÜNEN]: Da haben Sie sich ja etwas vor- cken ausgebildet, zum Erkennen von Sprengfallen, die genommen!) von IS-Kämpfern angebracht werden, sie wurden zur Ab- wehr von Beschussangriffen und zur Sicherstellung der Dieses Vorgehen im Rahmen der Ertüchtigungsstrategie Ersten Hilfe ausgebildet . Sie wurden in Koulikoro, in der der Bundesregierung hilft, Stabilitätsanker zu setzen, Nähe der Hauptstadt Malis, auch von der Bundeswehr ganz nach dem Motto: Gib den Menschen keine Fische, ausgebildet . Das ist der Garant für eine sicherheitspoliti- sondern lehre sie, zu angeln .– Mali ist hierfür ein Bei- sche Gesamtstrategie . Dazu leistet die Bundeswehr einen spiel; beispielgebend für die afrikanische Region, für Beitrag, und dafür danken wir ganz herzlich . Tunesien und Nigeria, für Jordanien – – (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Fragen Sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- doch erst mal, ob die Fische wollen! Das ist ordneten der SPD) zum Kotzen!) Diese Gesamtstrategie – GSVP – setzt sich aus vier – Wie bitte? wesentlichen Bausteinen zusammen, nämlich einmal der Bekämpfung terroristischer Kräfte durch französische (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich habe ge- Einheiten, aber eben auch durch eine zivile Mission, sagt: Fragen Sie doch erst mal, ob die Fische nämlich EUCAP Sahel, außerdem durch die Mandatie- wollen!) (B) rung von MINUSMA, einem Mandat der Vereinten Na- – Ich meine das, was Sie danach gesagt haben . (D) tionen, zu dem auch Deutschland einen Beitrag leistet . Hinzu kommt EUTM Mali . (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist zum Kotzen! Das wiederhole ich auch gerne! – Ich Seit 2013 sind wiederholt Gefechtsverbände ausge- nehme den Ordnungsruf an, Frau Präsidentin! bildet worden . Auch das zeigt den Nachhaltigkeitseffekt Es tut mir leid! Aber es steht im Protokoll!) dieses Auftrages . Gemeinsam leisten wir dies in der Völ- kergemeinschaft mit unseren Partnern für mehr Stabilität Ich will nur sagen: Wir lassen das Leid der Menschen und Sicherheit, und das ist richtig und notwendig . nicht aus den Augen . Wir helfen ihnen, und deswegen handeln wir entsprechend der Ertüchtigungsstrategien in Warum eigentlich Mali? Weil Mali Teil eines Ringes Afrika, im Nahen Osten, etwa in Jordanien und im Irak, ist von Syrien über Jemen, Somalia, den Sudan und den zum Beispiel, um den Menschen bei der Minenräumung Tschad, der akut vom Terror bedroht ist . Dabei dürfen oder beim taktischen Vorgehen gegen Aggressoren zu wir auch Libyen nicht aus den Augen verlieren, nämlich helfen . Wir liefern auch Ausrüstungsmaterial und leisten um zu verhindern, dass sich der IS-Terror dort weiter Ausbildungshilfe . Meine Damen und Herren, dort wo einnistet . Hier ist Mali eben ganz besonders gefährdet, Kriminalität, Terrorismus und Leid gedeihen, da gibt es unterwandert zu werden . Immer wieder ist dieses Land keine Staatlichkeit . vom IS-Terror angegriffen worden, von einem Terror, In dies immer eingebunden sein müssen Diplomatie der über Staatsgrenzen hinweg brutal mordend gegen und zivile Entwicklung . Da ist die Bundeswehr gefor- Andersgläubige vorgeht, der Mütter und Väter tötet und dert . Die Sicherheitslage hat sich – das ist nun einmal Kinder verschleppt . so – grundlegend geändert . Die Bundeswehr leistet einen (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wie in je- Einsatz in der Krisenbewältigung, in der Bündnisvertei- dem Krieg!) digung . Sie hilft bei Ebolaeinsätzen oder auch bei der Re- gistrierung von Flüchtlingen und deren Unterbringung . Ganze Regionen sind dadurch destabilisiert worden . Das Dafür braucht sie auch die notwendige personelle, finan- ist auch eine Gefahr für Europa und für Deutschland . zielle und materielle Ausrüstung . Daher nochmals: Die Sicherheit Malis ist auch die Si- cherheit Deutschlands . Deswegen ist diese Mandatierung Abschließend möchte ich auch einmal unserer Ver- notwendig . teidigungsministerin dafür Dank sagen, dass wir eine Trendwende hinbekommen haben, dass wir die Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wehr so ausstatten, dass sie diese Aufgaben auch erfüllen ordneten der SPD) kann . Ich verweise auf die aktuellen Herausforderungen 16804 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Henning Otte (A) in Mali . Ich danke den Männern und Frauen der Bundes- Wir tun das, obwohl klar ist, dass diese Mission von (C) wehr und allen anderen Beteiligten, die zu dieser Stabili- nun an auch in einem sehr gefährlichen Umfeld statt- sierung, zur Erlangung dieser Sicherheit und dieses Frie- findet, nämlich im Operationsraum der UN-Truppen im dens beitragen, damit wir hier in Deutschland in Frieden Norden . MINUSMA gilt gegenwärtig zu Recht als die und Freiheit leben können . Deswegen bitten wir um die gefährlichste UN-Mission mit über 68 toten Blauhelm- Zustimmung zu diesem Mandat . soldaten in den letzten zwei Jahren. Es ist unsere Pflicht, das hier auch ganz klar zu sagen . Herzlichen Dank . Immer wieder kommt es zu Kämpfen zwischen der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Zentralregierung und den Rebellen bzw . zwischen ver- ordneten der SPD – Christine Buchholz [DIE schiedenen Rebellengruppen, und immer wieder geraten LINKE]: Das war eine Baukastenrede!) MINUSMA-Soldaten zwischen die Fronten . Menschen flüchten vor diesen Kämpfen, und die überwiesenen Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Hilfsgelder reichen gegenwärtig wieder einmal nicht aus, um alle hilfsbedürftigen Menschen zu erreichen . Da gibt An die Adresse des Kollegen Wunderlich: Zu den par- es nichts schönzureden . lamentarischen Gepflogenheiten gehört es, dass man sich mit Argumenten auseinandersetzt . Aber trotz dieser Schwierigkeiten und Rückschläge hat es die UNO geschafft, den Friedensprozess weiter (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, wenn die voranzutreiben, zwar nur langsam – Kollege Strässer hat wenigstens korrekt und ordentlich wären!) das auch erklärt –, Schritt für Schritt, aber es bewegt sich Wenn man mit Argumenten nicht einverstanden ist, kann etwas . Die UNO und die Europäische Union brauchen man Gegenargumente äußern . Es gibt unterschiedliche und verdienen dabei auch weiterhin unsere Unterstüt- Möglichkeiten, Gegenargumente hier vorzubringen . zung . Zwischenfragen, Kurzinterventionen; das ist alles mög- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, lich. Ich bitte, die parlamentarischen Gepflogenheiten zu bei der CDU/CSU und der SPD) beachten und sich auseinanderzusetzen, aber eben argu- mentativ . Es gibt in dem neuen Mandat, das uns zur Beschluss- fassung vorliegt, eine zweite Veränderung, die wir als (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und problematisch ansehen und die Fragen aufwirft, die wir der SPD) hier wirklich gründlich diskutieren sollten . In die Aus- bildung sollen nun auch Militärs aus den sogenannten Herr Schmidt hat das Wort . G-5-Sahelstaaten einbezogen werden . Das sind neben (B) Mali Mauretanien, Niger, Tschad und Burkina Faso . (D) Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es bleibt unklar, wie die Auswahl dieser Soldaten NEN): stattfindet, wie viele es sein werden, welche Ausbil- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und dungsziele und späteren Aufgaben vorgesehen sind . Fast Kollegen! Meine Fraktion ist mit großer Mehrheit der alles scheint hier sowohl konzeptionell als auch konkret Auffassung, dass es richtig war und ist, dass die inter- weitgehend ungeklärt zu sein . Gerade eine grenzüber- nationale Gemeinschaft in Mali nach dem Zusammen- schreitende Kooperation im Sahelgebiet ist politisch bruch der malischen Armee und dem Zurückschlagen der hochsensibel . Das gilt auch für die weitgehend unklare islamistischen Angreifer durch französisches Militär in Zusammenarbeit mit der französischen Operation Bark- mehrfacher Hinsicht Verantwortung in Mali übernom- hane . Über deren Aktionen wird offensichtlich auch die men hat: Führung der Bundeswehr nur – sage ich einmal vor- sichtig – fragmentarisch informiert . Diese neuen Aus- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- bildungsmöglichkeiten für Soldaten von vier weiteren SES 90/DIE GRÜNEN) Armeen zu schaffen, ohne eine konkrete Planung dazu die UN-Blauhelme schwerpunktmäßig im Norden, um vorzulegen, das ist politisch nicht wirklich plausibel . den mühsam ausgehandelten Friedensprozess im Tua- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) reg-Gebiet jetzt abzusichern, und die Europäische Union mit ihrer Ausbildungsmission für die malische Armee im Die Informationen, die die Bundesregierung dazu Süden . 27 Länder unterstützen diese Ausbildungsmissi- gibt – auch in den Ausschussberatungen –, sind äußerst on . vage und bisher sehr unbefriedigend . Unter diesen Um- ständen ist es uns auch besonders wichtig, dass das Man- Wir begrüßen auch, dass diese beiden Missionen eng dat eine Einsatzbegleitung durch deutsche Ausbilder zusammenarbeiten – Deutschland beteiligt sich ja auch nicht vorsieht . Wir werden den Einsatz in dieser Hinsicht an beiden Missionen – und eng aufeinander abgestimmt sehr kritisch begleiten . werden . Das ist sinnvoll und richtig . Darum halten wir auch die Ausdehnung der Ausbildungsmission auf den Aber trotz dieser Bedenken wird die große Mehrheit Norden, die das neue Mandat ja jetzt vorsieht, für sinn- meiner Fraktion diesem Einsatz erneut zustimmen . voll und vertretbar . (Beifall des Abg . Henning Otte [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Denn es gilt, die Chance auf einen erfolgreichen Frie- SES 90/DIE GRÜNEN) densprozess in Mali zu nutzen . Eine erfolgreiche und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16805

Dr. Frithjof Schmidt (A) stabile Entwicklung in Mali ist entscheidend für die po- Attentate allein in diesem jungen Jahr 2016; in vielen (C) litische Zukunft der ganzen Sahelzone . Deshalb ist das Fällen mit al-Qaida oder dem IS verbunden . Engagement Deutschlands wichtig und richtig, und es ist Der Dschihadismus, Kolleginnen und Kollegen, ge- gut, wenn wir es hier in diesem Hause breit tragen . deiht überall dort, wo er sich dank fragiler oder gänz- Danke schön . lich fehlender Staatlichkeit ungehindert ausbreiten kann: Somalia, Libyen, Syrien, Nordirak oder Nordmali . Hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, rekrutiert der Dschihadismus seine Kämpfer . Besonders bei der CDU/CSU und der SPD) erfolgreich wirbt er bei jungen Menschen ohne echte Per- spektive . Die Hälfte der Bevölkerung in Mali ist jünger Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: als 15 Jahre . Die Hälfte der Bevölkerung lebt in absoluter Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Thomas Armut . Über die Hälfte der Bevölkerung kann weder le- Hitschler von der SPD-Fraktion das Wort . sen noch schreiben . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Darum mehr der CDU/CSU) Militär!) Hier schmuggelt der Dschihadismus seine Waffen . Thomas Hitschler (SPD): Mit den Waffen aus Gaddafis Arsenalen überrannten die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Rebellen 2012 den Norden Malis . Kollegen! Kennen Sie den Ausspruch: „Dann geh doch Hier zieht sich der Dschihadismus allerdings auch nach Timbuktu!“? Das hat man früher Leuten empfohlen, zurück . Al-Qaida-Gruppen nutzen Mali als Ausgangs- die man möglichst weit weg haben wollte . Um es gleich station neuer Angriffe in der gesamten Region und zum vorweg zu sagen: Das ist nicht der Grund, warum wir die Rückzug . Auch der IS hat seinen Fuß in genau dieser Tür . Bundeswehr nach Mali schicken; sonst würde am Ende vielleicht noch die Linkspartei dem Mandat zustimmen . Hier bleibt der Dschihadismus aber nicht . Seine An- griffsziele erstrecken sich über die gesamte Welt, auch Warum aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, schi- über Europa, auch über Deutschland . Europäische Si- cken wir deutsche Soldatinnen und Soldaten nach Mali? cherheit wird auch in Timbuktu verteidigt; da hat der Auch wenn wir heute nur über die EU-Trainingsmission Kollege Otte völlig recht . Ein stabiler Staat schützt uns entscheiden, muss man diese Debatte etwas weiter fas- alle, weil er weniger Nährboden für Terroristen bietet . sen . Deutschland ist nicht nur der größte Truppensteller Ein stabiler Staat Mali entspricht deshalb unserem urei- bei EUTM Mali, sondern auch mit über 70 Millionen genen sicherheitspolitischen Interesse in Deutschland . (B) Euro in der Entwicklungshilfe, im Rahmen von EUCAP (D) bei der Ausbildung der Polizei sowie in der UN-Frie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der densmission MINUSMA engagiert . Mali ist eines der CDU/CSU) gefährlichsten Einsatzgebiete der Welt, Kolleginnen und Bereits 8 000 Soldaten, Kolleginnen und Kollegen, Kollegen; auch darüber muss man kritisch diskutieren . wurden durch EUTM Mali ausgebildet – zwei Drittel der Im vergangenen Jahr fielen dort 29 Blauhelmsolda- kompletten malischen Streitkräfte . Ohne einen gut aus- ten der UN; 80 wurden verletzt . Im Dezember fanden gebildeten Sicherheitsapparat lässt sich ein stabiler Staat die letzten Raketenangriffe auf das Camp Castor statt, in kaum machen . dem auch deutsche Soldaten untergebracht sind . Im März Es gibt Fortschritte; Christoph Strässer hat es vorhin wurde ein Al-Qaida-Angriff auf das Hotel in der mali- betont . Es gibt einen Friedensvertrag und einen Waffen- schen Hauptstadt Bamako abgewehrt, in dem sich das stillstand . Es gibt aktive Versöhnungsarbeit, Reintegra- EUTM-Hauptquartier befindet. Im April fielen drei fran- tionsmaßnahmen und politische Dezentralisierung . Es zösische Soldaten durch die Explosion einer Mine . Wir gibt aber auch Hindernisse und Rückschläge; das gehört sind in Gedanken auch bei ihnen, wenn wir über diesen dazu . Frank-Walter Steinmeier hat diese Probleme bei Einsatz heute entscheiden, Kolleginnen und Kollegen . seiner Mali-Reise deutlich angesprochen . Es ist ein stei- Die Einsätze der Bundeswehr in Mali sind keine niger Weg, Kolleginnen und Kollegen, aber man kann Kampfeinsätze . Trotzdem stehen dort auch deutsche Sol- darauf laufen . datinnen und Soldaten im Fadenkreuz der Dschihadisten . Der Mali-Beauftragte der Afrikanischen Union, Pierre Mit der Ausweitung der Mission an den Niger-Bogen Buyoya, sagte vor wenigen Tagen: Die Terroristen bedro- von Timbuktu bis Gao rücken sie noch näher an die Ope- hen nicht nur Mali, sondern die gesamte Region . Nord- rationsgebiete der örtlichen Ableger von al-Qaida und mali ist zum Stützpunkt geworden, um Burkina Faso, die von dem sogenannten „Islamischen Staat“ . Gerade weil Elfenbeinküste und womöglich weitere Länder anzugrei- wir unsere Truppe einem solchen Risiko aussetzen, müs- fen . – Der Terrorismus in der Sahelzone bedroht dabei sen wir diesen Einsatz außerordentlich gut begründen . auch deutsche Sicherheitsinteressen . Das schulden wir unseren Bürgerinnen und Bürgern; das schulden wir als Parlamentarier aber auch unserer Parla- Von den Flüchtlingen, die 2016 bereits in Italien ange- mentsarmee . kommen sind, sind fast zwei Drittel aus dem Nordwesten Afrikas. Geografisch liegt Mali dort ähnlich zentral wie Bamako, Brüssel, Jakarta, Mogadischu, Kairo, Anka- Deutschland in Europa . Mali und das Nachbarland Niger ra, Stawropol, Kabul und Essen – eine jetzt schon zu lan- gelten als Drehscheibe der afrikanischen Flüchtlingsbe- ge, aber nicht einmal komplette Liste dschihadistischer wegungen . 16806 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Thomas Hitschler (A) Die massenhafte Flucht vor dem Bürgerkrieg in Sy- ist es konsequent, dass die Ausbildung auch auf die Si- (C) rien hat uns in Deutschland und Europa vor enorme He- cherheitskräfte der Nachbarländer ausgeweitet wird . Es rausforderungen gestellt . Ein weiterer Zerfall Malis wäre ist richtig, wie mein Vorredner auch erwähnt hat, dass nicht nur für die gesamte Region katastrophal . Auch in man hier hinsichtlich der Ausgestaltung bestimmt noch Deutschland würden wir die Folgen spüren . Deshalb ist das eine oder andere überdenken und in die Überlegun- Wegschauen definitiv keine Alternative, Kolleginnen und gen einbeziehen muss . Aber nichtsdestoweniger ist es Kollegen . eine richtige Entscheidung . Mali darf nicht zu einem Ter- rorcamp Afrikas werden und auch nicht zum Rückzugs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gebiet für organisierte Kriminalität . der CDU/CSU) Schon heute ist es so, dass Mali die Drehscheibe des Wir schicken die Bundeswehr nicht nach Timbuktu, globalen Drogenhandels auch mit Südamerika ist, schon weil wir sie möglichst weit weg von uns haben wollen . heute ist es so, dass in Mali Menschenhandel in erschre- Timbuktu war in früheren Zeiten vielleicht sehr weit ckendem Ausmaß stattfindet, und schon heute ist es so, weg . In heutigen Zeiten ist es sehr nah . Was dort passiert, dass hier der Kreuzungspunkt des weltweiten Waffen- betrifft auch unsere eigene Sicherheit . Deshalb schicken handels ist . wir die Bundeswehr auch nach Timbuktu, und deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für die Verlängerung des Der Terror bedroht nicht nur die Sahelregion . Der Ter- Mandats . ror bedroht auch uns . Der Terror bedroht auch Europa . Wir wissen, dass Mali ein Transitland für Migration ist . Vielen Dank . Das heißt, für uns ist es wichtig, Terrorismus zu bekämp- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fen, die Kriminalität zu bekämpfen und auch die Verar- der CDU/CSU) mung zu bekämpfen . Das ist keine einfache Aufgabe . Das ist eine schwierige Aufgabe . Aber ich glaube, wir sind schon ein gutes Stück auf diesem Weg vorangekom- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: men . Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dagmar Wöhrl das Wort . Wir müssen Mali in die Lage versetzen, dass es selbst für seine Sicherheit, für seine Stabilität und für seine ei- (Beifall bei der CDU/CSU) gene Bevölkerung sorgen kann . Wir müssen auch dafür sorgen, dass es sein Territorium selbst kontrollieren kann . Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Wir haben in der Entwicklungszusammenarbeit und bei Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! unserer humanitären Hilfe heute noch die Schwierigkeit, (B) Mali ist ein Schwerpunkt unseres sicherheitspolitischen dass wir nicht in jedes Gebiet in Mali kommen, wo die (D) und entwicklungspolitischen Engagements . Wie wir Menschen unsere Hilfe nötig haben – vielleicht dringen- auch schon von den Vorrednerinnen und Vorrednern ge- der als anderswo . Deswegen ist es wichtig, dass wir die- hört haben, ist die EUTM-Mission in Mali ohne Zweifel sen ungehinderten Zugang schaffen, dass wir alles tun, einer der anspruchsvollsten und wichtigsten Einsätze der um diesen ungehinderten Zugang in alle Regionen Malis Bundeswehr . Die Verlängerung und die Ausweitung des zu bekommen – für unsere Entwicklungszusammenar- Mandats sind richtig und wichtig, aber auch gefährlich . beit und auch für unsere humanitäre Hilfe . Ich glaube, das müssen wir erwähnen . Vorhin wurde (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . schon die Vergangenheit, wurden die Attentate, die Gei- Christoph Strässer [SPD]) selnahme im Hotel „Radisson Blu“, dem Hauptquartier von EUTM Mali, und vieles mehr angesprochen . Entwicklungszusammenarbeit ist zwingend auf Sta- bilität, auf Sicherheit und gefestigte staatliche Struktu- Bis 2012 interessierten sich in der Weltgemeinschaft ren angewiesen . Mali ist ein Paradebeispiel dafür, dass nur sehr wenige für die Wüstenregion Mali . Das hat sich es ohne Sicherheit keine Entwicklung geben kann, und dann durch den Militärputsch 2012 geändert . Inzwischen ein Paradebeispiel dafür, dass es ohne Entwicklung keine haben wir seit 2015 ein Friedensabkommen zwischen der Sicherheit gibt . malischen Regierung und den separatistischen Rebellen- organisationen . Der Waffenstillstand hält . 80 Prozent der Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt . Das wis- Bevölkerung konnten inzwischen zurück in ihre Heimat- sen wir . 13 Prozent der Bevölkerung sind mangelernährt . dörfer, aber immer noch befinden sich 130 000 Flücht- Es gibt 90 000 Binnenflüchtlinge. 227 Schulen haben linge in den Nachbarländern . Immer wieder wird von aufgrund der Sicherheitslage immer noch nicht geöffnet . islamistischen Gruppierungen versucht, diesen Versöh- Die Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit nungsprozess mit Anschlägen gegen Sicherheitskräfte liegen bei der Ernährungssicherung, Wasser, Entwässe- und auch gegen die Bevölkerung zu untergraben . Das rung, Sanitärversorgung und vielem anderen mehr . Aber heißt: Mali ist immer noch fragil, befindet sich immer ein Schlüssel – das ist ein wichtiger Punkt – ist die De- noch in einer fragilen Stabilisierungsphase . zentralisierung . Das ist einer unserer Schwerpunkte . Das wird manchmal unterschätzt, liebe Kolleginnen und Kol- Mali ist aber noch etwas anderes: Mali ist das Schlüs- legen . Wenn der Norden, der immer noch instabil ist und selland für die gesamte Sahelregion . Das heißt, Terroris- immer noch keine rechtsstaatlichen Strukturen hat, kein mus, der sich in Mali festsetzt, ist ohne Weiteres über- Vertrauen in seine Zentralregierung erlangt, werden wir tragbar auf die Sahelregion und kann verhindern, dass die in dieser Region nie Frieden bekommen . Hier müssen Sahelregion eine friedliche Entwicklung nimmt . Deshalb wir auch in Zukunft noch einen viel stärkeren Appell an Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16807

Dagmar G. Wöhrl (A) die Zentralregierung richten, die Reformfortschritte, die sen Dreiklang aus eigener Kraft zu gewährleisten . Wir, (C) sehr langsam sind und nicht ausreichend vorankommen, Deutschland, sind weiterhin bereit, Mali auf seinem Weg zu beschleunigen . hin zu Sicherheit, Stabilität und Frieden gemeinsam mit unseren Partnern zu begleiten . Wir stehen zu unserer in- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ternationalen Verantwortung, auch aus eigenem Interes- Der Norden wird immer noch vernachlässigt . Das ist se . leider so . Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wird Trotz wesentlicher Fortschritte steht die Republik dadurch nicht weniger . Die Unzufriedenheit in der Be- Mali weiterhin vor einer Herkulesaufgabe . Mit Beginn völkerung wächst . Es ist leider so, dass es inzwischen des internationalen Engagements hat sich die humanitäre wieder einen Auftrieb für die terroristischen Gruppen Situation verbessert . Sie ist noch lange nicht top, aber Ansar al-Din und al-Qaida in Mali gibt . sie ist deutlich besser als am Anfang . Ein verlässlicher Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, sagen Zugang für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusam- zu können: Wir wünschen uns alle ein friedliches Mali . menarbeit ist aber noch nicht in allen Regionen gegeben . Wir wünschen uns ein demokratisches Mali . Wir sind auf einem guten Weg . Wir sind aber noch nicht am Ende . 80 Prozent der Binnenflüchtlinge – wir haben es ge- EUTM Mali ist ein wichtiger Beitrag, damit wir dieses hört – sind bislang in ihre jeweiligen Heimatgemeinden Ziel erreichen können . zurückgekehrt . Über 130 000 Flüchtlinge harren aber im- mer noch in den Nachbarstaaten aus . Der Versöhnungs- Vielen Dank . prozess wird von Anschlägen überschattet . Islamistische Terroristen versuchen weiterhin, den Konflikt mit aller (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gewalt wieder anzufachen . Auch darum bleibt es richtig und wichtig, dass wir uns weiter engagieren . Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank .– Als letzter Redner in dieser Debatte Die Sicherheitslage ist fest verknüpft mit der schwie- hat Michael Vietz das Wort . Ich bitte die Kolleginnen und rigen Gemengelage der Region: fragile Staatlichkeit, Kollegen, ihm die Möglichkeit zu geben, seine Rede zu internationale Terrornetzwerke und organisierte Krimi- halten, ohne dass wir den Ton zu laut aufdrehen müssen . nalität . Sie destabilisieren die gesamte Region und hem- men jegliche Entwicklung . Der Schmuggel von Drogen, (Beifall bei der CDU/CSU) Waffen und Menschen ist allgegenwärtig . Mittelfristig Der Lärmpegel möge also bitte auf einem erträglichen hat dies auch erhebliche Auswirkungen auf Deutschland Niveau bleiben . und Europa . Auch darum bleibt es richtig und wichtig, dass wir Flagge zeigen . (B) (D) Michael Vietz (CDU/CSU): Machen wir uns nichts vor: Menschen streben nach Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frieden, nach Stabilität, nach Sicherheit, nach Perspekti- Im Vergleich zu der einen oder anderen Rede, die ich ven . Wir müssen unsere Partner südlich der Sahara weiter schon kurz vor einer namentlichen Abstimmung halten dabei unterstützen, Perspektiven für ihre Bevölkerung zu durfte, ist es heute geradezu still . Ich hoffe, es bleibt auch schaffen . Nur so kann der Dreiklang aus Frieden, Stabili- so . tät und Sicherheit letztendlich auch bei uns im Takt blei- ben . Auch daher bleibt der Einsatz richtig und wichtig . Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Vietz, Sie können jetzt nicht meine Bemühun- Vizepräsident Johannes Singhammer: gen, Ihnen einen guten Auftritt zu ermöglichen, wieder Herr Kollege Vietz, darf ich ganz kurz unterbre- zunichtemachen . Was ist denn das? chen? – Die Kolleginnen und Kollegen – wir kennen das ja – haben natürlich Gesprächsbedarf . Das ist durchaus in (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Ordnung . Aber ich bitte, den Gesprächsbedarf doch jetzt CDU/CSU) möglichst nicht hier im Plenum zu decken, sondern dem Kollegen Vietz zuzuhören . Er hat nämlich noch einige Michael Vietz (CDU/CSU): Minuten an Redezeit . An Herausforderungen wächst man ja bekanntlich . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Muss unsere Beteiligung an der europäischen Ausbil- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- dungsmission in Mali um ein weiteres Jahr verlängert NEN) werden? Eindeutig ja . (Dr .Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nein!) Michael Vietz (CDU/CSU): Danke, Herr Präsident . Wie die meisten meiner Vorredner ausgeführt haben, bleibt dieser Einsatz weiterhin richtig und wichtig . Konkret sprechen wir über drei wesentliche Punkte, die den Kern von EUTM Mali ausmachen: Sicherheit, Stabilität, Frieden – wir brauchen diesen Dreiklang in der Region, damit humanitäre Hilfe an- Erstens: den Ausbilder ausbilden, Weiterentwicklung kommt, damit Entwicklungszusammenarbeit gelingt von Ausbildung und Beratung der Sicherheitskräfte . Wir und eine funktionierende Zivilgesellschaft aufgebaut unterstützen den Aufbau der dezentralen Ausbildung der werden kann . Noch ist das Land nicht in der Lage, die- Streitkräfte . 16808 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Michael Vietz (A) Zweitens: die grenzübergreifende Handlungsfähig- Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) keit, im Übrigen auch die Ausbildung der Streitkräfte der Herzlichen Dank . – Damit schließe ich die Ausspra- übrigen G-5-Sahelstaaten – auch wenn man da sicherlich che . noch die eine oder andere Frage stellen kann . (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- Wo sind die Antworten?) schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Drittens: Schutz und Unterstützung im Sanitäts- Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der dienst, aber auch Unterstützung der Einsatzkräfte von Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur MINUSMA im Norden Malis . Ausbildung der malischen Streitkräfte, EUTM Mali . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Festhalten möchte ich noch einmal, dass es weiterhin lung auf Drucksache 18/8284, den Antrag auf Drucksa- keine Kampfeinsätze der Bundeswehr und keine Unter- che 18/8090 anzunehmen . Wir stimmen über diese Be- stützung der malischen Streitkräfte bei Kampfeinsätzen schlussempfehlung namentlich ab . geben wird . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Bei unserem Engagement in Mali greifen wir zu un- vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Darf ich an den terschiedlichen Instrumenten . Die bi- und multilateralen Abstimmungsurnen um ein Zeichen bitten, ob die je- Missionen sind an die Situation vor Ort genauso ange- weiligen Schriftführerinnen und Schriftführer dort auch passt wie an die Fähigkeiten der Akteure . Wichtig sind anwesend sind? – An allen Abstimmungsurnen sind die vor allem Verlässlichkeit und Kontinuität . Durch die notwendigen Schriftführerinnen und Schriftführer an- Verlängerung des Mandats senden wir ein starkes Sig- wesend . Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung nal an unsere europäischen Partner, vor allem aber an die über die Beschlussempfehlung . gesamte Region und an Afrika . Gibt es Mitglieder dieses Hauses, die ihre Stimmkarte Deutschland bleibt in dieser Mission einer der größten nicht abgegeben haben? – Ich sehe, dass das nicht der Truppensteller . Vor kurzem habe ich 38 Panzerpioniere Fall ist . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die aus meinem Wahlkreis, vom Standort Holzminden, nach Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung Mali verabschiedet . Sie verstärken dort turnusgemäß un- zu beginnen . Das Ergebnis der namentlichen Abstim- sere Kräfte . Ich bin zutiefst dankbar für den Einsatz, den mung wird Ihnen später bekannt gegeben 1). alle unsere Streitkräfte in Mali leisten . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf: (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) ordneten der SPD) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Meine besondere Anerkennung gilt auch ihren An- (11 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- gehörigen, die jeden dieser Einsätze mittragen und die ten Matthias W . Birkwald, Roland Claus, Sabine manchmal nicht weniger Belastungen zu ertragen ha- Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeord- ben . Gleiches gilt für die zivilen Einsatzkräfte und die neter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Polizisten im Rahmen von EUCAP Sahel Mali, die dort Abgeordneten Markus Kurth, Corinna Rüffer, unter anderem Nationalgarde, Gendarmerie und Polizei Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Ab- ausbilden, sowie für unsere Einsatzkräfte im Rahmen der geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE UN-Mission MINUSMA . GRÜNEN Wir verfolgen einen vernetzten Ansatz, auch mit bi- lateralen Abkommen . Projekte der zivilen Krisenpräven- DDR-Altübersiedlerinnen und -Altübersied- tion kombinieren wir mit Entwicklungszusammenarbeit . ler sowie DDR-Flüchtlinge vor Rentenminde- Wir leisten einen ausgewogenen Beitrag zur langfristigen rungen schützen – Gesetzliche Regelung im Ertüchtigung Malis . SGB VI verankern Unser Engagement in Mali ist gut abgestimmt . Ich Drucksachen 18/7699, 18/8429 bin der festen Überzeugung, dass Frieden, Stabilität und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Sicherheit nur im Zusammenspiel aller Instrumente und diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch Partner möglich sind . höre ich keinen . Dann ist das so beschlossen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, diese Ausbildungsmission ist weiterhin rich- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort als tig und wichtig . Ich bitte daher um Ihre Zustimmung . Die erstem Redner dem Kollegen Matthias Ilgen für die SPD . Union und die SPD werden zustimmen, die Grünen auch; (Zuruf von der SPD: Nein!) bei der Linken gebe ich die Hoffnung auf . Schönen Tag noch . – Dann habe ich hier wohl eine nicht ganz richtige Red- nerliste . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) 1) Ergebnis Seite 16810 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16809

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Daniela Kolbe dieses Recht auch für die DDR-Flüchtlinge und für die (C) für die SPD . Sie haben das Wort und beginnen die Aus- Übersiedlerinnen und Übersiedler, zumal zeitgleich auch sprache . das Fremdrentengesetz geändert und die entsprechende Gruppe dort gestrichen worden ist. Es finden sich auch (Beifall bei der SPD) ein paar Zitate zu diesem Vorgang in den Ausschusspro- tokollen . Man muss aber wirklich kramen und suchen . Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Es ist sehr freundlich, Es zeigt sich also erstens: Ja, das Gesetz gilt so, wie dass Sie hier keinen Redner spontan nach vorne rufen . wir hier darüber diskutieren . Ich denke, das sollte die Ich glaube, es wäre eine gewisse Überforderung, zu die- Grundlage der Debatte sein . Es zeigt sich zweitens aber sem Thema spontan und frei eine Rede halten zu müssen . auch, dass wir hier über etwas reden, was schwerlich als Glanzstunde des Parlamentarismus bezeichnet werden Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dies ist ein kann; denn hier ist eine sehr weitreichende Änderung für sehr spannendes Thema . Insofern freue ich mich über ein eine große Menschengruppe vorgenommen worden, und bisschen Aufmerksamkeit . – Es geht jetzt in zweiter Le- die betroffenen Menschen sind im Rentenüberleitungs- sung um einen Antrag, der sich mit DDR-Altübersiedlern gesetz quasi als blinde Passagiere mitgereist . Es wurde und DDR-Flüchtlingen befasst . Es reden genau die glei- nicht intensiv darüber gesprochen und diskutiert . Vielen chen Rednerinnen und Redner wie bei der ersten Lesung . Betroffenen ist erst sehr viel später bewusst geworden, Man könnte jetzt sagen, dass das alles nur ein Ritual ist, was hier passiert ist . dass das Gleiche noch einmal aufgeführt wird . Dazu muss ich ganz klar sagen: Nein, das ist nicht der Fall . (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wohl Wir von der SPD-Fraktion haben intern sehr intensiv dis- wahr!) kutiert . Wir haben mit Betroffenen gesprochen, und wir Aus meiner Sicht war das also keine Glanzstunde des haben auch gestern im Ausschuss äußerst intensiv und Parlamentarismus, und womöglich – das muss man rück- tiefgründig über dieses komplizierte Thema gesprochen . blickend sagen – ist dabei auch eine falsche Entschei- Ich finde, das war dem Anlass, dem Thema angemessen. dung getroffen worden . Ich finde es sehr gut, dass wir das so gemacht haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des CDU/CSU) Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]) Als erste Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt Wir als SPD-Fraktion haben uns damit auseinanderge- will ich versuchen, Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zu- setzt und den Antrag eingebracht, den Sie uns jetzt – copy (B) schauer, die Sie vielleicht zufällig gerade dieser Debatte and paste – wieder vorlegen . Wir haben zwischenzeitlich (D) zuhören, in wenigen Sätzen zu erklären, um was es geht: sehr intensiv darüber diskutiert und geschaut, wie man Das ist eigentlich ein Thema, das extrem viele Menschen eine solche Regelung wiedergutmachen könnte . Wir sind betrifft, nämlich diejenigen, die vor dem Fall der Mauer zu der Feststellung gekommen, dass ein Zurückdrehen die DDR als Flüchtlinge verlassen haben, die freigekauft des Rentenrechts an dieser Stelle nicht funktioniert . Wir worden sind oder geflohen sind. Denen ist in der BRD sind zu keiner Lösung gekommen, mit der wir einerseits versprochen worden: Liebe Leute, wir behandeln euch der Gruppe Genüge tun und andererseits nicht sehr viele rentenrechtlich so, als hättet ihr euer Arbeitsleben in der Ungerechtigkeiten neu aufmachen . Ich habe das hier in BRD verbracht . Das dazugehörige Recht ist das Fremd­ meiner Rede in der ersten Lesung intensiv ausgeführt . rentenrecht . Dann kam die Wiedervereinigung – wir waren froh und glücklich –, und seitdem werden diese Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der in der ers- Menschen hinsichtlich der Zeit, während der sie in der ten Lesung ein bisschen zu kurz gekommen ist . Das ist DDR gelebt haben, so behandelt wie andere ehemalige das Thema „Benachteiligung von Frauen im Fremdren- DDR-Bürgerinnen und -Bürger auch . Es wird also ge- tengesetz“ . Ich möchte ein Beispiel nennen . Viele von uns guckt: Was haben sie real einbezahlt? Das wird hoch- haben die Petition einer Frau bekommen, die vor 1937 gewertet, und dann haben sie ihre Rentenpunkte . Real geboren ist . Für diese Gruppe – es gibt im Rentenrecht ja bedeutet das, dass viele Einbußen hinnehmen mussten – unzählige Ausnahmen – gilt nun gerade noch übergangs- viele, aber nicht alle . weise das Fremdrentenrecht . Sie ist in den 80er-Jahren übergesiedelt und schreibt uns, dass sie gerade nicht nach Seit der ersten Lesung haben wir aus meiner Sicht ei- Fremdrentenrecht behandelt werden möchte – danach nige Punkte hinsichtlich dieser schwierigen Lage klären wird sie gerade behandelt –, weil sie nach dem SGB VI, können . Es war ja lange unklar – viele Betroffene sagen also dem normalem Rentenrecht, 17 Prozent mehr Rente das mittlerweile auch –, wann das Gesetz geändert wor- beziehen würde . Das macht noch einmal deutlich: Das den ist und ob die Regelung, dass DDR-Übersiedler nach Fremdrentenrecht benachteiligt Frauen im Vergleich zum SGB VI behandelt werden, überhaupt geltendes Recht SGB VI ganz deutlich, weil es unterstellt, die Menschen ist . Wir haben in die historischen Bücher geschaut und hätten ihr Erwerbsleben in der BRD verbracht . In der festgestellt: Natürlich hat das stattgefunden . Mit dem BRD haben Frauen deutlich weniger verdient als in der Rentenüberleitungsgesetz wurde 1992 der Bezug zum DDR, wo gleicher Lohn Realität war . SGB VI hergestellt . In § 256 a SGB VI – Entschuldi- gung, dass das so technisch ist – wurde beschrieben, wie Das hat auch der Ausschussdienst 2010 festgestellt . Rentenanwartschaften für Beitragszeiten im Beitritts- Ich zitiere: Bei Facharbeiterinnen und ungelernten land- gebiet, also in der DDR, zu behandeln sind . Damit galt wirtschaftlichen Hilfskräften ist das geltende Recht teil- 16810 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Daniela Kolbe (A) weise günstiger als die Anwendung des Fremdrenten- sehen darin keine gesamtgesellschaftliche Lösung des (C) rechts .– Für die Gruppe der vor 1937 Geborenen ist die Problems . Deshalb werden wir Ihren Antrag nach inten- Günstigerprüfung nicht vorgesehen – in dem Antrag steht siver und emotionaler Debatte ablehnen . das nicht so –, und die Günstigerprüfung für nach 1937 Geborene würde in allererster Linie Männer begünstigen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . Das schlagendste Argument bleibt aber die Frage der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Spätaussiedler, für die weiterhin das Fremdrentenrecht der CDU/CSU) gilt . Also für Deutsche aus der Sowjetunion oder aus Sie- benbürgen, die später gekommen sind, gilt das Fremd­ Vizepräsident Johannes Singhammer: rentenrecht weiter . Hier wurde aber mittlerweile auf 60 Prozent der Listenwerte abgesenkt . Vielen Dank, Frau Kollegin Kolbe . (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und meisten sind nach 1991 gekommen!) Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- Wenn man sich aus Sicht eines Spätaussiedlers anschaut, wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- dass DDR-Übersiedler wieder nach Fremdrentenrecht rung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher mit 100 Prozent bewertet würden, wird klar, dass sehr Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Uni- viele dieser deutschen Staatsangehörigen dies zu Recht on als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte als eine Riesenungerechtigkeit empfinden würden. Das (EUTM Mali) auf Grundlage des Ersuchens der Regie- ist einer der Hauptgründe, warum wir sagen, dass der rung von Mali an die EU sowie der Beschlüsse des Rates Antrag, wie er vorliegt, jedenfalls nicht zu gesamtgesell- der EU 2013/87/GASP vom 18 .Februar 2013, zuletzt schaftlicher Gerechtigkeit führt, geändert mit dem Beschluss des Rates der EU 2016/446/ (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Legen GASP vom 23 . März 2016 in Verbindung mit den Re- Sie etwas Besseres vor!) solutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 2071 (2012) vom 12 . Oktober 2012 und folgender Reso- sodass wir bei aller Sympathie für die Gruppe und bei lutionen, zuletzt 2227 (2015) vom 29 . Juni 2015“ auf den allem Mitempfinden für das entstandene Leid der- Per Drucksachen 18/8090 und 18/8284 bekannt: abgegebene sonen, insbesondere für diejenigen, die damals lange in Stimmen 565 . Mit Ja haben gestimmt 496, mit Nein ha- Haft waren und dann freigekauft wurden oder geflohen ben gestimmt 67, Enthaltungen 2 . Die Beschlussempfeh- sind, diesem Antrag nicht zustimmen können; denn wir lung ist damit angenommen . (B) (D) Endgültiges Ergebnis Clemens Binninger Klaus-Peter Flosbach Dr . Stephan Harbarth Abgegebene Stimmen: 565; Peter Bleser Thorsten Frei Jürgen Hardt davon Norbert Brackmann Dr . Astrid Freudenstein Matthias Hauer ja: 496 Klaus Brähmig Dr . Hans-Peter Friedrich Mark Hauptmann Michael Brand (Hof) Dr . Stefan Heck nein: 67 Dr . Reinhard Brandl Michael Frieser Helmut Heiderich enthalten: 2 Helmut Brandt Hans-Joachim Fuchtel Mechthild Heil Dr . Ralf Brauksiepe Ingo Gädechens Frank Heinrich (Chemnitz) Ja Ralph Brinkhaus Dr . Thomas Gebhart Mark Helfrich CDU/CSU Cajus Caesar Alois Gerig Uda Heller Gitta Connemann Eberhard Gienger Jörg Hellmuth Stephan Albani Alexandra Dinges-Dierig Cemile Giousouf Rudolf Henke Katrin Albsteiger Alexander Dobrindt Josef Göppel Michael Hennrich Artur Auernhammer Michael Donth Ursula Groden-Kranich Ansgar Heveling Dorothee Bär Thomas Dörflinger Hermann Gröhe Dr . Heribert Hirte Thomas Bareiß Marie-Luise Dött Klaus-Dieter Gröhler Christian Hirte Norbert Barthle Hansjörg Durz Michael Grosse-Brömer Alexander Hoffmann Günter Baumann Iris Eberl Astrid Grotelüschen Thorsten Hoffmann Maik Beermann Jutta Eckenbach Markus Grübel (Dortmund) Manfred Behrens (Börde) Dr . Bernd Fabritius Manfred Grund Karl Holmeier Veronika Bellmann Hermann Färber Oliver Grundmann Franz-Josef Holzenkamp Sybille Benning Uwe Feiler Monika Grütters Dr . Hendrik Hoppenstedt Dr . André Berghegger Dr . Thomas Feist Dr . Herlind Gundelach Margaret Horb Dr . Christoph Bergner Enak Ferlemann Fritz Güntzler Anette Hübinger Ute Bertram Ingrid Fischbach Olav Gutting Hubert Hüppe Peter Beyer Axel E . Fischer Christian Haase Erich Irlstorfer Steffen Bilger (Karlsruhe-Land) Florian Hahn Thomas Jarzombek Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16811

(A) Sylvia Jörrißen Reiner Meier Uwe Schummer Annette Widmann-Mauz (C) Dr . Franz Josef Jung Dr . Michael Meister Armin Schuster Heinz Wiese (Ehingen) Andreas Jung Jan Metzler (Weil am Rhein) Klaus-Peter Willsch Xaver Jung Maria Michalk Christina Schwarzer Elisabeth Winkelmeier- Dr . Egon Jüttner Dr . h .c . Hans Michelbach Detlef Seif Becker Bartholomäus Kalb Dr . Mathias Middelberg Johannes Selle Oliver Wittke Hans-Werner Kammer Dietrich Monstadt Reinhold Sendker Dagmar G . Wöhrl Steffen Kampeter Karsten Möring Dr . Patrick Sensburg Barbara Woltmann Steffen Kanitz Marlene Mortler Bernd Siebert Tobias Zech Alois Karl Volker Mosblech Johannes Singhammer Heinrich Zertik Anja Karliczek Elisabeth Motschmann Tino Sorge Emmi Zeulner Bernhard Kaster Dr . Gerd Müller Jens Spahn Dr . Matthias Zimmer Volker Kauder Carsten Müller Carola Stauche Gudrun Zollner Dr . Stefan Kaufmann (Braunschweig) Dr . Frank Steffel Dr . Georg Kippels Dr . Philipp Murmann Albert Stegemann SPD Volkmar Klein Dr . Andreas Nick Peter Stein Niels Annen Jürgen Klimke Michaela Noll Erika Steinbach Ingrid Arndt-Brauer Jens Koeppen Helmut Nowak Sebastian Steineke Rainer Arnold Markus Koob Julia Obermeier Christian Frhr . von Stetten Heike Baehrens Kordula Kovac Wilfried Oellers Dieter Stier Ulrike Bahr Michael Kretschmer Florian Oßner Rita Stockhofe Heinz-Joachim Barchmann Gunther Krichbaum Dr . Tim Ostermann Gero Storjohann Dr . Katarina Barley Rüdiger Kruse Henning Otte Stephan Stracke Doris Barnett Bettina Kudla Ingrid Pahlmann Max Straubinger Dr . Matthias Bartke Dr . Roy Kühne Sylvia Pantel Matthäus Strebl Sören Bartol Günter Lach Martin Patzelt Karin Strenz Uwe Beckmeyer Uwe Lagosky Dr . Martin Pätzold Lena Strothmann Lothar Binding (Heidelberg) Dr . Karl A . Lamers Ulrich Petzold Michael Stübgen Burkhard Blienert (B) Dr . Norbert Lammert Dr . Joachim Pfeiffer Dr . Sabine Sütterlin-Waack (D) Willi Brase Katharina Landgraf Sibylle Pfeiffer Antje Tillmann Dr . Karl-Heinz Brunner Ulrich Lange Eckhard Pols Astrid Timmermann-Fechter Barbara Lanzinger Thomas Rachel Dr . Hans-Peter Uhl Edelgard Bulmahn Dr . Silke Launert Kerstin Radomski Dr . Volker Ullrich Martin Burkert Paul Lehrieder Alexander Radwan Arnold Vaatz Dr . Lars Castellucci Dr . Katja Leikert Alois Rainer Oswin Veith Petra Crone Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Peter Ramsauer Thomas Viesehon Bernhard Daldrup Dr . Andreas Lenz Eckhardt Rehberg Michael Vietz Dr . Daniela De Ridder Dr . Ursula von der Leyen Lothar Riebsamen Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr . Karamba Diaby Antje Lezius Josef Rief Sven Volmering Sabine Dittmar Ingbert Liebing Dr . Heinz Riesenhuber Christel Voßbeck-Kayser Martin Dörmann Matthias Lietz Johannes Röring Kees de Vries Elvira Drobinski-Weiß Andrea Lindholz Dr . Norbert Röttgen Dr . Johann Wadephul Michaela Engelmeier Dr . Carsten Linnemann Erwin Rüddel Marco Wanderwitz Dr . h .c . Gernot Erler Patricia Lips Albert Rupprecht Nina Warken Petra Ernstberger Wilfried Lorenz Anita Schäfer (Saalstadt) Kai Wegner Saskia Esken Dr . Claudia Lücking-Michel Karl Schiewerling Albert Weiler Karin Evers-Meyer Dr . Jan-Marco Luczak Jana Schimke Marcus Weinberg (Hamburg) Dr . Johannes Fechner Karin Maag Norbert Schindler Dr . Anja Weisgerber Dr . Fritz Felgentreu Yvonne Magwas Tankred Schipanski Peter Weiß (Emmendingen) Christian Flisek Thomas Mahlberg Heiko Schmelzle Sabine Weiss (Wesel I) Gabriele Fograscher Dr . Thomas de Maizière Christian Schmidt (Fürth) Ingo Wellenreuther Dr . Edgar Franke Gisela Manderla Gabriele Schmidt (Ühlingen) Karl-Georg Wellmann Ulrich Freese Matern von Marschall Ronja Schmitt Marian Wendt Michael Gerdes Hans-Georg von der Marwitz Patrick Schnieder Waldemar Westermayer Martin Gerster Andreas Mattfeldt Bernhard Schulte-Drüggelte Kai Whittaker Iris Gleicke Stephan Mayer (Altötting) Dr . Klaus-Peter Schulze Peter Wichtel Angelika Glöckner 16812 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Ulrike Gottschalck Detlef Müller (Chemnitz) Martina Stamm-Fibich Beate Müller-Gemmeke (C) Kerstin Griese Michelle Müntefering Sonja Steffen Özcan Mutlu Gabriele Groneberg Dr . Rolf Mützenich Peer Steinbrück Dr . Konstantin von Notz Michael Groß Andrea Nahles Christoph Strässer Omid Nouripour Uli Grötsch Dietmar Nietan Kerstin Tack Friedrich Ostendorff Wolfgang Gunkel Ulli Nissen Claudia Tausend Cem Özdemir Bettina Hagedorn Thomas Oppermann Michael Thews Lisa Paus Rita Hagl-Kehl Mahmut Özdemir (Duisburg) Carsten Träger Brigitte Pothmer Metin Hakverdi Markus Paschke Ute Vogt Tabea Rößner Ulrich Hampel Christian Petry Dirk Vöpel Claudia Roth (Augsburg) Sebastian Hartmann Detlev Pilger Gabi Weber Elisabeth Scharfenberg Michael Hartmann Sabine Poschmann Bernd Westphal Ulle Schauws (Wackernheim) Joachim Poß Dirk Wiese Dr . Gerhard Schick Dirk Heidenblut Florian Post Gülistan Yüksel Dr . Frithjof Schmidt Hubertus Heil (Peine) Achim Post (Minden) Dagmar Ziegler Kordula Schulz-Asche Gabriela Heinrich Dr . Wilhelm Priesmeier Stefan Zierke Dr . Wolfgang Strengmann- Marcus Held Florian Pronold Dr . Jens Zimmermann Kuhn Wolfgang Hellmich Dr . Sascha Raabe Manfred Zöllmer Dr . Harald Terpe Heidtrud Henn Dr . Simone Raatz Markus Tressel Gabriele Hiller-Ohm Martin Rabanus BÜNDNIS 90/ Dr . Julia Verlinden Thomas Hitschler Stefan Rebmann DIE GRÜNEN Doris Wagner Dr . Eva Högl Gerold Reichenbach Luise Amtsberg Beate Walter-Rosenheimer Matthias Ilgen Dr . Carola Reimann Kerstin Andreae Dr . Valerie Wilms Christina Jantz-Herrmann Andreas Rimkus Annalena Baerbock Frank Junge Sönke Rix Marieluise Beck (Bremen) Nein Josip Juratovic Petra Rode-Bosse Volker Beck (Köln) Thomas Jurk Dennis Rohde SPD Dr . Oliver Kaczmarek Dr . Martin Rosemann Agnieszka Brugger Klaus Barthel (B) Johannes Kahrs Dr . Ernst Dieter Rossmann (D) Ekin Deligöz Dr . Ute Finckh-Krämer Ralf Kapschack Michael Roth (Heringen) Katja Dörner Cansel Kiziltepe Gabriele Katzmarek Susann Rüthrich Katharina Dröge Waltraud Wolff Ulrich Kelber Bernd Rützel Harald Ebner (Wolmirstedt) Marina Kermer Sarah Ryglewski Dr . Thomas Gambke Arno Klare Johann Saathoff Matthias Gastel DIE LINKE Lars Klingbeil Annette Sawade Kai Gehring Jan van Aken Dr. Bärbel Kofler Dr . Hans-Joachim Daniela Kolbe Schabedoth Katrin Göring-Eckardt Dr . Dietmar Bartsch Birgit Kömpel Axel Schäfer (Bochum) Anja Hajduk Herbert Behrens Dr . Hans-Ulrich Krüger Dr . Nina Scheer Britta Haßelmann Karin Binder Helga Kühn-Mengel Marianne Schieder Dr . Anton Hofreiter Matthias W . Birkwald Christine Lambrecht Dr . Dorothee Schlegel Bärbel Höhn Heidrun Bluhm Christian Lange (Backnang) Ulla Schmidt (Aachen) Dieter Janecek Christine Buchholz Dr . Karl Lauterbach Matthias Schmidt (Berlin) Uwe Kekeritz Eva Bulling-Schröter Steffen-Claudio Lemme Dagmar Schmidt (Wetzlar) Katja Keul Roland Claus Burkhard Lischka Carsten Schneider (Erfurt) Sven-Christian Kindler Sevim Dağdelen Gabriele Lösekrug-Möller Elfi Scho-Antwerpes Maria Klein-Schmeink Dr . Diether Dehm Hiltrud Lotze Ursula Schulte Tom Koenigs Klaus Ernst Kirsten Lühmann Swen Schulz (Spandau) Sylvia Kotting-Uhl Wolfgang Gehrcke Dr . Birgit Malecha-Nissen Ewald Schurer Oliver Krischer Nicole Gohlke Caren Marks Frank Schwabe Stephan Kühn (Dresden) Annette Groth Katja Mast Stefan Schwartze Christian Kühn (Tübingen) Dr . André Hahn Hilde Mattheis Andreas Schwarz Renate Künast Heike Hänsel Dr . Matthias Miersch Rita Schwarzelühr-Sutter Markus Kurth Dr . Rosemarie Hein Klaus Mindrup Rainer Spiering Steffi Lemke Inge Höger Susanne Mittag Norbert Spinrath Dr . Tobias Lindner Andrej Hunko Bettina Müller Svenja Stadler Irene Mihalic Sigrid Hupach Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16813

(A) Ulla Jelpke Thomas Lutze Frank Tempel BÜNDNIS 90/ (C) Susanna Karawanskij Birgit Menz Dr . Axel Troost DIE GRÜNEN Kerstin Kassner Cornelia Möhring Alexander Ulrich Monika Lazar Katja Kipping Niema Movassat Kathrin Vogler Peter Meiwald Jan Korte Norbert Müller (Potsdam) Halina Wawzyniak Corinna Rüffer Jutta Krellmann Dr . Alexander S . Neu Harald Weinberg Hans-Christian Ströbele Katrin Kunert Thomas Nord Katrin Werner Caren Lay Harald Petzold (Havelland) Birgit Wöllert Sabine Leidig Richard Pitterle Jörn Wunderlich Enthalten Ralph Lenkert Martina Renner Hubertus Zdebel SPD Michael Leutert Dr . Petra Sitte Pia Zimmermann Stefan Liebich Dr . Kirsten Tackmann Sabine Zimmermann Marco Bülow Dr . Gesine Lötzsch Azize Tank (Zwickau) Petra Hinz (Essen)

Wir fahren fort mit der Aussprache zum Rentenrecht . Wir diskutieren darüber, weil dieses Versprechen von Ih- Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Matthias W . nen gebrochen wurde . Birkwald für die Fraktion Die Linke . (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: (Beifall bei der LINKEN) Nein!)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Nach der Verabschiedung der Rentenüberleitungsgeset- ze von 1991 und 1993 wurden aus der DDR geflüchtete Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Menschen nämlich plötzlich nicht mehr so behandelt, als ren! Zunächst begrüße ich auf der Besuchertribüne Herrn hätten sie ihr ganzes Arbeitsleben im Westen verbracht . Dr. Holdefleiß, Herrn Dietrich und Herrn Ulrich von der Nein, sie wurden wieder so behandelt, als wären sie nie Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge Bundesbürger geworden, sondern immer DDR-Bürgerin- e .V . Meine Herren, seien Sie herzlich willkommen! nen und -Bürger geblieben . Die Deutsche Rentenversi- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- cherung bewertete die Rentenanwartschaften von vielen neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Betroffenen neu . Auf Deutsch: Die Rentenversicherung (B) GRÜNEN) hat vielen DDR-Flüchtlingen die versprochene Rente ge- (D) kürzt, zum Teil um mehrere 100 Euro . Sie streiten seit vielen Jahren gegen die Kürzung ihrer einmal versprochenen Renten . Vor dem Mauerfall wa- Frau Kollegin Kolbe von der SPD und Herr Kollege ren sich CDU/CSU und SPD ihrer besonderen Verant- Weiß von der CDU, Sie wissen das, und Sie bedauern wortung für aus der DDR geflohene und übergesiedelte das . Das habe ich gestern in der Ausschussdebatte durch- Menschen bewusst, für Menschen, die alles hinter sich aus so wahrgenommen, und ich respektiere das . Aber Sie ließen, für Menschen, deren komplette Rentenansprüche verweigern sich, daraus irgendeine Konsequenz zu zie- von der DDR gestrichen wurden, und für Menschen, de- hen . Sie verstecken sich hinter seitenweisen Ausführun- nen die Bundesregierung deswegen schwarz auf weiß ein gen von Beamtinnen und Beamten aus dem Bundesar- Versprechen gab . beitsministerium, die immer nur erklären, warum etwas nicht geht . So nicht! Probleme sind zum Lösen da . Ich habe Ihnen den Wegweiser für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR mitgebracht . Er wurde vom (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Bundesinnenminister, vom Verfassungsminister, he- NIS 90/DIE GRÜNEN) rausgegeben, und er ist mit dem Bundesadler, dem Bun- deswappen der Bundesrepublik Deutschland, versehen . Liebe Koalition, im Petitionsausschuss haben Union Er war das erste bundesdeutsche Dokument, das viele und SPD mehrere Petitionen zur Lösung dieses Pro- DDR-Flüchtlinge im Aufnahmelager in die Hand ge- blems abgelehnt, unter anderem mit der Begründung, drückt bekamen . Darin versprach der Bundesinnenmi- dass die von uns vorgeschlagene Günstigerprüfung oder nister – ich zitiere –: Vergleichsbewertung, Frau Kolbe, im Rentenrecht nicht vorgesehen sei . . . Übersiedler . . werden in der gesetzlichen Ren- tenversicherung grundsätzlich so behandelt, als ob (Daniela Kolbe [SPD]: Den Satz haben Sie sie ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik von mir aber nicht gehört!) Deutschland zurückgelegt hätten . Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Das ist schlicht falsch . Schauen Sie sich alle bitte einmal wir debattieren heute dieses Versprechen des demokrati- den § 73 SGB VI an; hier geht es um die Erwerbsminde- schen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland . rungsrente . Da steht das Wort „Vergleichsbewertung“ in der Überschrift . Nebenbei bemerkt – es ist auch schon (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und gesagt worden –: Der Antrag von uns Linken und den des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Grünen ist nahezu wortgleich mit dem SPD-Antrag aus 16814 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Matthias W. Birkwald (A) der vorigen Legislaturperiode . Da war die SPD noch in unsere Hochachtung und – ich sage es ausdrücklich – un- (C) der Opposition . sere Sympathien . (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Hört! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Sie sagen, wenn die DDR-Flüchtlinge wieder ihre Nun ist bei allen Sympathien aber nicht wegzudis- 100-prozentige Fremdrente erhielten, dann würden zum kutieren, dass ich nicht jemandem aufgrund von Sym- Beispiel Spätaussiedler aus der Sowjetunion, deren Ren- pathien eine Rente zusprechen kann und jemandem auf- ten gekürzt wurden, und politisch Verfolgte in der DDR grund von weniger sympathischem Verhalten eine Rente gegenüber den DDR-Flüchtlingen benachteiligt . Anstatt absprechen kann . Das haben wir übrigens bitterlich er- das Vertrauen der DDR-Flüchtlinge, denen vom Rechts- fahren . Nach meiner persönlichen Auffassung wäre es staat Unrecht angetan wurde, wiederherzustellen, spielen gerechtfertigt, dass denjenigen, die dem Unrechtsstaat Sie höchst unterschiedliche Personengruppen, ja sogar DDR gedient haben und auch noch auf unmenschliche Opfergruppen gegeneinander aus . Das, meine Damen Weise das Unrecht exekutiert haben, die Rente gekürzt und Herren, ist ein absolutes No-Go . wird . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr .Matthias Bartke ordneten der SPD) [SPD]: Das ist doch Unsinn! Das ist doch das Aber das lässt unser Rentenrecht nicht zu . Letzte! Sie machen das!) (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Zum Im Übrigen hatten wir im Petitionsausschuss schon Glück! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Was 2013 einen vollständigen überparteilichen Konsens . ist das für eine krude Auffassung!) Es gab das Gutachten von Professor Heinz-Dietrich ­Steinmeyer aus dem Jahr 2014; es wurde auf meine Was ist Recht? Für jeden von uns, für jeden Bürger Initiative hin im Auftrag des Petitionsausschusses für gilt, dass das zu dem Zeitpunkt, an dem er zu arbeiten das Sozialministerium erstellt . Das Fazit von Professor beginnt, geltende Rentenrecht durch den Gesetzgeber im Steinmeyer ist eindeutig – Zitat –: Es ist gezeigt worden, Laufe der Jahre und Jahrzehnte verändert werden kann . dass eine Lösung möglich ist, wenn bestimmte Rahmen- Es ist selbstverständlich, dass an dem Tag, an dem ich bedingungen beachtet werden . in Rente gehe und Rente beziehe, für mich das aktuel- le Recht gilt . Das hat Herr Birkwald offensichtlich nicht Genau das erwarte ich von Ihnen, und genau das er- kapiert . Es gilt immer das aktuelle Recht, und zwar für warte ich vom Ministerium für Arbeit und Soziales . alle Bundesbürgerinnen und Bundesbürger . Das ist ein (B) Handeln Sie, wägen Sie ab, drücken Sie sich nicht, und Rechtsstaat . (D) sorgen Sie dafür, dass Herr Dr. Holdefleiß,Herr Dietrich, Herr Ulrich und alle anderen 300 000 DDR-Flüchtlinge (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- endlich die ihnen versprochenen Renten erhalten . ordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Herr Birkwald kapiert, das Sie Vielen Dank . den Menschen etwas versprochen haben und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nicht halten! Versprochen – gebrochen!) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nachdem wir gestern all das in der Ausschusssitzung noch einmal rauf und runter besprochen haben, wundere Vizepräsident Johannes Singhammer: ich mich über die Rede von Herrn Birkwald . Offensicht- Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege lich gilt für Abgeordnete der Linken: Erörterungen im Peter Weiß . Ausschuss sind Ihnen schnurzegal . Sie wollen und Sie können nichts dazulernen . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Danke gleichfalls! – Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kommen Meine persönliche Sympathie, ich glaube, die Sympathi- zu unterschiedlichen Bewertungen!) en aller Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Bun- destagsfraktion und – Frau Kollegin Kolbe hat dies, Was ist das Problem? glaube ich, deutlich gemacht – die Sympathien aller Kol- (Zuruf von der LINKEN: Wir!) leginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion gel- ten den Menschen, die den Unrechtsstaat DDR unter vie- Als diese Damen und Herren, denen meine volle Sympa- len Entbehrungen und Gefährdungen und zum Teil nach thie galt, den Unrechtsstaat DDR verlassen haben, hätte Gefängnisaufenthalten, der Wegnahme ihres Eigentums es folgende Möglichkeit gegeben: Da sie aus der DDR und allem, was noch in diesem Unrechtsstaat gesche- ja nichts mitbringen konnten, auch keine Rentenanwart- hen ist, verlassen haben . Deswegen will ich als Erstes schaften, hätte man sie mit Sozialhilfe bedienen können . unabhängig von allen rechtlichen Regelungen festhalten: Gott sei Dank haben wir das Fremdrentengesetz geschaf- Es war der Unrechtsstaat DDR, den diese Menschen zu- fen . Es hat Folgendes beinhaltet: Man hat eine Fiktion gunsten eines demokratischen und freiheitlichen Rechts- aufgestellt und gefragt: Wie würde die Rentenbiografie staats verlassen haben . Hierfür gelten ihnen auch heute dieses Menschen mit seiner Ausbildung und seiner Tä- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16815

Peter Weiß (Emmendingen) (A) tigkeit konkret aussehen, wenn er die ganze Zeit hier im Ich würde diese Ausnahme aus Sympathie, aus dem (C) Westen gearbeitet hätte? Das ist Anwendung des Fremd­ Herzen heraus, gerne machen, rentenrechts . Gleiches gilt für die Deutschstämmigen, (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, ja!) die aus der Sowjetunion zu uns gekommen sind . aber der Deutsche Bundestag muss gegenüber seinen Nun komme ich zum Mauerfall, einem historischen Bürgerinnen und Bürgern im Sinne der Rechtsklarheit Ereignis, das Deutschland und Europa verändert hat . manchmal leider sagen: Das, wofür wir Sympathie emp- Der Eiserne Vorhang ist weg, die kommunistischen Dik- finden, können wir nicht tun, weil wir damit gegenüber taturen sind in sich zusammengefallen . Wir können in den anderen Mitbürgerinnen und Mitbürgern eine massi- Deutschland endlich wiedervereinigt leben, und wir kön- ve Ungerechtigkeit begehen würden . nen endlich jeden entsprechend seiner Rentenbiografie behandeln und müssen keine Fiktion mehr aufstellen . (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist das historische Ereignis . Rechtsklarheit! Versprochen war das!) Deswegen: Nach aller Prüfung des Für und Wider Jetzt ist durch eine Gesetzesänderung festgelegt wor- kommen wir zu dem Schluss, dass wir dem, was hier als den, dass ab 1992 die echten Rentenentgeltpunkte, die Antrag vorgelegt worden ist, leider nicht entsprechen auch der Erwerbsbiografie zugrunde liegen, angewandt können . werden und nicht mehr das Fremdrentenrecht . So weit der Vorgang . Vizepräsident Johannes Singhammer: Nun kommt der Wunsch auf, wir mögen es doch re- Herr Kollege Weiß, auch bei großzügiger Auslegung geln, dass die Betroffenen wählen können, ob sie ihre der Redezeit: Sie ist bereits abgelaufen . Rente nach dem alten Fremdrentenrecht, das vor der Wiedervereinigung galt, ausbezahlt bekommen möchten Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): oder nach dem neuen Recht . Es ist schon ein hoher An- Danke schön .– Meine sehr geehrten Damen und Her- spruch, ein Wahlrecht zu haben und sich für ein System ren, nach großzügiger Auslegung der Redezeit durch den entscheiden zu können – je nachdem, welches System Präsidenten möchte ich damit schließen: Es ist gut, dass gerade besser für einen ist . wir ein gemeinsames deutsches Rentenrecht haben . Das Das Problem ist, dass es dieses alte Fremdrentenrecht ist der eigentliche große Fortschritt, und ich bitte dieje- nicht mehr gibt . Frau Kollegin Kolbe hat ausgeführt, dass nigen, die sich betroffen fühlen, weil sie einmal über ein das Fremdrentenrecht in den 90er-Jahren zweimal durch anderes, altes Recht informiert worden sind, das zu ak- zeptieren, (B) den Deutschen Bundestag neu geregelt worden ist (D) (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Fühlen (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir sich betroffen? Die haben mehrere 100 Euro sind der Gesetzgeber! Nur, dass Sie das noch weniger Rente heute! Sie sind betroffen!) einmal merken!) so schwer es auch ist . Es muss für alle in Deutschland und dass die Werte nur noch bei 60 Prozent gegenüber das gleiche Rentenrecht gelten . Das ist das, was wir mit- früher liegen . Das möchten aber diejenigen, die aus der einander vertreten . damaligen DDR geflohen sind, auch nicht haben, son- dern sie möchten das alte Fremdrentenrecht mit 100 Pro- Vielen Dank . zent, das früher galt, angewandt wissen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- KE]: Was spricht dagegen?) Vizepräsident Johannes Singhammer: Daran sieht man: Das passt nicht zusammen . Wie sol- Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass die Re- len wir gegenüber den anderen Bürgerinnen und Bürgern, dezeiten keine Richtwerte sind, sondern zwischen den die kein Wahlrecht haben und für die selbstverständlich Fraktionen vereinbart wurden . – Jetzt erteile ich dem das aktuelle Rentenrecht angewandt wird, begründen Kollegen Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen das können, dass wir für eine bestimmte Personengruppe ein Wort . nicht mehr existierendes altes Recht anwenden? Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es keine Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich DDR-Flüchtlinge sind!) möchte Sie auf eine Zeitreise mitnehmen . Versetzen Sie sich mit mir genau 27 Jahre zurück, zum 12 . Mai 1989 . Ich will kurzum sagen: Wir kommen in Teufels Küche, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wollen wir wenn wir einzelne Ausnahmen für bestimmte Personen- eigentlich nicht!) gruppen machen . Fünf Tage zuvor, am 7 .Mai 1989, fanden in der DDR (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kommunalwahlen statt . Wenn man so will, war das auch der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LIN- die Geburtsstunde der Bürgerbewegung, die zum ers- KE]: Tosender Beifall!) ten Mal Wahlfälschung öffentlich anprangerte . Fast auf 16816 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Markus Kurth (A) den Tag genau drei Monate zuvor starb wenige Hun- ein viel, viel größeres Gewicht . Darum ist auch damals (C) dert Meter von hier Chris Gueffroy durch Schüsse von im Einigungsvertrag kein Mensch auf die Idee gekom- DDR-Grenzpolizisten beim Versuch, die Berliner Mauer men, die rentenrechtlichen Ansprüche abzuerkennen . zu überwinden . Später wird man sagen: Er war das letzte Wer dafür war – Herr Schäuble war ja Verhandlungsfüh- Maueropfer, das durch Schusswaffen gestorben ist . rer –, soll sich bitte hier nach vorne begeben und dazu Stellung beziehen. Da werden wir niemanden finden. In dieser Situation war es völlig klar und eindeutig, Meine Fraktion und ich fordern nicht mehr und nicht dass diejenigen, die aus den Gefängnissen freigekauft weniger, als dass wir zu dem, was im Einigungsvertrag worden sind, die unter Lebensgefahr die Grenze über- Geschäftsgrundlage war, zurückkehren . Ich glaube, das wunden haben oder die nach jahrelangen Schikanen, weil können wir auch . sie Ausreiseanträge gestellt hatten, schließlich ausreisen konnten, rentenrechtlich wie Bürger der Bundesrepu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN blik Deutschland behandelt wurden . Das war felsenfes- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ter Konsens . Wenn man so will, war es Bestandteil der Staatsräson, dass die DDR-Bürger, die immer als Bürger Natürlich wird dieser Antrag jetzt abgelehnt werden . im Sinne des Grundgesetzes verstanden wurden, nicht Aber wir als Deutscher Bundestag haben uns schon öf- nur nominal im Westen ihren Platz finden, sondern natür- ters für bestimmte Gruppen, denen Unrecht widerfahren lich auch sozialrechtlich und rentenrechtlich voll gleich- war oder denen gegenüber in der Vergangenheit Fehler gestellt werden . Das war quasi staatspolitische Räson gemacht wurden, zusammengerauft und gesagt: Das kor- und gegenüber der DDR auch außerordentlich wichtig . rigieren wir nachträglich .– Ich nenne als Beispiel die Contergangeschädigten . Das ist ein etwas anderer und si- Jetzt stellen Sie sich vor, in diesem Jahr 1989 hätte cherlich sehr ernster Fall . Aber da hat sich der Deutsche im damaligen Deutschen Bundestag in Bonn die Frakti- Bundestag nach Jahrzehnten gemeinsam entschlossen: on Die Grünen – Bündnis 90/Die Grünen gab es damals Wir korrigieren damalige Fehler .– Das sollte uns auch noch nicht – den Antrag gestellt, diese aus der DDR Ge- jetzt möglich sein . flüchteten nicht mehr nach dem Westrecht, sondern nach ihrer DDR-Erwerbsbiografie zu behandeln und deren Danke schön . Renten neu zu berechnen . Was meinen Sie, was da los (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewesen wäre? Sie von der CDU/CSU hätten doch so- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) fort gefordert, uns vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, hätten uns als vaterlandslose Gesellen beschimpft und vieles mehr . Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Rosemann, Sie wollten eine Zwischen- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN frage stellen . Aber die Redezeit des Kollegen Kurth ist (D) sowie der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LIN- schon abgelaufen . Sie hätten natürlich noch die Möglich- KE] – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: keit, eine Kurzintervention zu machen . Aber das muss So wäre es gewesen!) auch nicht sein . Zurück ins Heute . Genau das, was ich eben beschrie- (Michaela Noll [CDU/CSU]: Nein! – Matthias ben habe, tun Sie . Es ist quasi eine Ironie der Geschichte, W . Birkwald [DIE LINKE]: Da wird man so dass ausgerechnet wir Grünen und Abgeordnete der zu- schön vom Präsidenten aufgefordert! Das lässt mindest in Teilen Nachfolgepartei der SED, die Linke, man sich dann nicht entgehen!) die alte Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland vor 1990 hochhalten Dr. Martin Rosemann (SPD): (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident, vielen Dank .– Wir wollen ja lebendi- NEN]: So staatstreu sind wir!) ge Debatten . Deswegen nutze ich die Gelegenheit . und erklären: Diese politischen Zusagen, die den Herr Kurth, Sie haben uns auf eine Zeitreise mitge- DDR-Geflüchteten gegeben wurden, sind einzuhalten. nommen . Zeitreisen sind immer etwas Schönes . Vie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN les von dem, was Sie sagen – das hat vorhin auch Frau und bei der LINKEN) Kolbe ausgeführt –, ist gar nicht falsch . Wenn wir uns ins Jahr 1992 zurückbeamen und diese Entscheidung Das ist der politische Kern der Debatte . Alle anderen neu fällen würden, dann könnte man sie sicherlich so Punkte, Stichtagsregelung, Vergleichsgrößen zu Aussied- oder anders treffen . Aber wir sind jetzt eben nicht im lern, die eigentlich sachfremd sind, weil die Aussiedler Jahr 1992, sondern wir sind im Jahr 2016 . Wir haben jetzt keine DDR-Bürger waren, sind technische Fragen, von im Jahr 2016 zu entscheiden . denen ich sicher glaube, dass wir sie klären können und die den politischen Kern, dass dies damals Staatsräson Dabei geht es doch darum, ob Sie denn heute ernsthaft, war, nicht verstellen dürfen . im Jahr 2016, ein Recht, ein altes Recht, das FRG, das Fremdrentenrecht von damals, für eine Personengrup- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN pe wieder neu einführen wollen . Da müssen Sie – das und bei der LINKEN) haben Sie meines Erachtens im Ausschuss nicht getan, Diese politische Zusage, meine Damen und Herren, das haben Sie auch heute nicht getan – die Frage beant- wiegt schwerer als andere rentenrechtliche Zusagen zu worten, wie Sie denn damit umgehen, dass Sie auf der Ausbildungszeiten und vielem anderem mehr . Sie hatte einen Seite einer Personengruppe Fremdrentenrecht von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16817

Dr. Martin Rosemann (A) damals zu 100 Prozent gewähren wollen, während auf Der Fall liegt anders bei sogenannten Deutschstämmi- (C) der anderen Seite eine andere Personengruppe, die auch gen, die vor ein, zwei oder weiter zurückliegenden Gene- aus Ländern mit Unrechtsregimen und ohne Demokratie rationen deutsche Vorfahren hatten . stammte, also aus einer ähnlichen Situation in die Bun- desrepublik Deutschland gekommen ist, nur 60 Prozent Mein Anliegen war es nicht, innerhalb von vier Mi- der Rente bekommt . nuten Redezeit und den wenigen Sekunden, die ich im Rahmen dieser Entgegnung wahrscheinlich nur noch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) habe, mich in technischen Details zu verlieren, über die wir gerne diskutieren können und über die wir gestern Ein weiterer Punkt ist: Erklären Sie doch einmal, wie im Ausschuss über eine Stunde lang geredet haben . Mein Sie heute, im Jahr 2016, ein Recht, das 1992 bestand, Anliegen war es vielmehr, den politischen Kern heraus- wieder einführen wollen, ein Recht, in dem Frauen ge- zuarbeiten und an Sie zu appellieren, dass wir auch nach genüber Männern systematisch benachteiligt werden . einer zu erwartenden Ablehnung dieses Antrags ernsthaft Denn die FRG-Tabellenentgelte diskriminieren Frauen lösungsorientiert miteinander reden und dann hoffentlich systematisch gegenüber Männern . Das mag eine Praxis einen Weg dazu finden, was wir tun können. sein, die in den 50er- und 60er-Jahren in der alten Bun- desrepublik – Sie haben das in Ihrer Zeitreise beschrie- Danke . ben – akzeptiert worden ist . Aus heutiger Sicht ist diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Praxis auf keinen Fall akzeptabel . Erklären Sie doch ein- und bei der LINKEN) mal, wie Sie das lösen wollen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Johannes Singhammer: der CDU/CSU) Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin Jana Schimke für die CDU/CSU das Wort . Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kollege Kurth, Sie haben die Möglichkeit der Erwiderung . Jana Schimke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): leginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute nicht nur über das Fremdrentengesetz, ein Gesetz, das einst ge- Herr Rosemann, ich stelle zunächst einmal fest, dass schaffen wurde, um allen Menschen eine Altersvorsorge es schlimm genug ist, dass wir jetzt das Jahr 2016 schrei- (B) zu sichern, die in die Bundesrepublik übergesiedelt bzw . (D) ben und die damals gemachten Zusagen immer noch geflohen sind. Wir diskutieren heute vor allen Dingen nicht eingelöst werden . auch, ob die politischen Entscheidungen der Wende- und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nachwendezeit gerecht waren . und bei der LINKEN) Man sollte dabei zunächst wissen, dass unser her- kömmliches Rentenrecht einem völlig anderen Selbst- Ihre Kurzintervention war geradezu ein Paradebei- verständnis unterliegt als das Fremdrentenrecht . Wir re- spiel dafür, wie Sie mit formalistischen Argumenten bis den über zwei grundverschiedene Dinge . hin zur Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Fremdrentenrecht, was mit der Sache gar nichts zu Die gesetzliche Rente ist zunächst einmal am Lohn tun hat, versuchen, den politischen Kern zu vernebeln . orientiert, und sie wird über Beiträge finanziert. Die Ren- te ist Ausdruck dessen, wie lange und wie viel wir im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Leben gearbeitet haben, aber auch, welchen Beruf wir und bei der LINKEN – Dr .Matthias Bartke ausgeübt haben . [SPD]: Formalismus? Ich glaube, es hackt!) Beim Fremdrentengesetz ist das komplett anders . Es Diesen politischen Kern habe ich gerade dargestellt . regelt, unter welchen Voraussetzungen DDR-Übersied- ler, aber auch andere Gruppen wie Spätaussiedler und (Daniela Kolbe [SPD]: Aber wie macht man Vertriebene eine Rente für ihre im Ausland erbrachten es denn dann konkret?) Arbeitszeiten erhalten . Wir sind gerne bereit, mit Ihnen darüber zu reden, wie (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie wir das Fremdrentenrecht konkret regeln können . Aber haben doch immer gesagt, die DDR sei kein zu einem Punkt kann ich Ihnen sofort etwas sagen, näm- Ausland gewesen! Sie sollten sich mal ent- lich zu Ihrem ständigen Vergleich der deutschstämmigen scheiden!) Aussiedler aus Russland, Rumänien und anderen Län- dern mit den DDR-Flüchtlingen . Natürlich lässt sich die Deutschland war damals in zwei Staaten geteilt, und unterschiedliche Behandlung unter anderem dadurch be- die Bundesrepublik hatte keinen Zugriff auf in die Sozi- gründen, dass Menschen, die in der DDR lebten, Staats- alversicherung der DDR eingezahlte Beiträge . Einer spä- bürger im Sinne des Grundgesetzes waren . teren Rente in der BRD standen also keine Rentenbeiträ- ge aus Zeiten der DDR gegenüber . Deshalb wurde eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regelung fernab unseres lohn- und beitragsfinanzierten sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Rentensystems geschaffen – mit dem Fremdrentenge- 16818 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Jana Schimke (A) setz . Man hat – mein Kollege Peter Weiß hat es schon ein einheitliches Rentensystem wurde niemand zum (C) sehr ausführlich geschildert – fiktive Tabellenwerte ge- DDR-Bürger gemacht . schaffen und dem Ganzen sozusagen eine fiktive -Er (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das werbsbiografie zugrunde gelegt, und in der jährlichen sehen die Betroffenen anders!) Renteninformation konnten die betroffenen Personen ab- lesen, auf welchen Betrag sich ihre spätere Rente einmal Niemand wünscht sich den Unrechtsstaat DDR zurück . belaufen wird . Wir sind seit der Wiedervereinigung glücklicherweise eine Nation . (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Abschließend muss deshalb festgehalten werden, dass Nun diskutieren wir regelmäßig, welche Veränderun- wir uns in vielen Beratungen intensiv mit dieser Proble- gen der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung für matik genauso wie mit vielen anderem im Rentenrecht Ost und West mit sich brachten . Aus individueller und auseinandersetzen und auseinandergesetzt haben . Wir persönlicher Sicht – ich denke, darin sind wir uns alle und unser Koalitionspartner sehen in der bestehenden einig – sind viele Forderungen nachvollziehbar, auch bei Rechtslage die bestmögliche und gerechteste Lösung für der Rente . Man hat unter schwierigsten Bedingungen alle . Änderungen in jedweder Form würden neue Unge- sein Land verlassen. Man ist geflohen und hat vieles hin- rechtigkeiten schaffen . Aus diesem Grunde werden wir ter sich gelassen . Man hat sein Leben aufs Spiel gesetzt . diesen Antrag ablehnen . Man hat dann letztendlich viele Jahre in der Bundesre- Vielen Dank . publik gelebt und sich auch eingelebt . Man hat natürlich auch die jährliche Renteninformation erhalten, aus der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die Information hervorgeht, auf die man später setzte . ordneten der SPD) Doch es muss auch klar sein, dass die Zusammenführung zweier Staaten auch eine Einheit im Recht nach sich Vizepräsident Johannes Singhammer: zieht . Wir machen nicht Politik für besondere Gruppen Danke schön . – Damit schließe ich die Aussprache . bzw . für einzelne Personen . Wir versuchen, bestmögliche Politik für alle zu machen und das auch in der Gesetz- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- gebung abzubilden . Es war deshalb richtig, Regelungen schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und zu schaffen, nach denen das höchstmögliche Maß an Soziales zu dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Gleichbehandlung erreicht wurde . Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „DDR‑Altüber- (B) siedlerinnen und ‑Altübersiedler sowie DDR‑Flüchtlinge (D) Ich möchte hier sowohl auf den Reformbedarf bei der vor Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Rege- Rente im Allgemeinen als auch beim Fremdrentengesetz lung im SGB VI verankern“. Der Ausschuss empfiehlt im Besonderen hinweisen . Alle im Fremdrentengesetz in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8429, definierten Gruppen waren durch die Reformen, die da- den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ mals durchgeführt wurden, erfasst . Hier eine Rückkehr Die Grünen auf Drucksache 18/7699 abzulehnen . Wer zum alten Fremdrentenrecht, wie gefordert, vorzuneh- für diese Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um men, beispielsweise zu den 100 Prozent bei den Tabellen­ das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – entgelten, schafft neue Ungerechtigkeiten . (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die Aufrech- ten! – Gegenruf des Abg . Dr .Matthias Bartke (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) [SPD]: Darunter macht ihr es nicht!) Es wäre eine Besserstellung gegenüber jenen, die da- Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist an- mals als bundesdeutsche Einheimische in die gesetzliche genommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD Rentenversicherung einzahlten . Es wäre auch gegenüber gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bünd- allen im Fremdrentenrecht erfassten Personengruppen nis 90/Die Grünen . eine deutliche Bevorzugung, die heutzutage lediglich Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf: von 60 Prozent der Tabellenentgelte profitieren. Der Ge- setzgeber schuf also mit der Rentenreform der frühen – Beratung der Beschlussempfehlung und 90er-Jahre eine gute und vor allem eine einheitliche Al- des Berichts des Auswärtigen Ausschusses terssicherung für alle Menschen in Deutschland . (3 .Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- gierung Vor diesem Hintergrund sind die im diskutierten An- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter trag formulierten Punkte nicht überzeugend . So galt die deutscher Streitkräfte an der durch die Eu- jährliche Renteninformation als Information . Aus ihr er- ropäische Union geführten Operation EU wuchs kein tatsächlicher Leistungsanspruch . Geschützte NAVFOR Atalanta zur Bekämpfung der Pi- Anwartschaften entstehen nur durch Beitragszahlungen . raterie vor der Küste Somalias auf Grund- Das ist beim Fremdrentengesetz nicht der Fall . Entschei- lage des Seerechtsübereinkommens der dend und rechtlich bindend ist einzig und allein der Ren- Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der tenbescheid . Außerdem wurden die Menschen nicht, wie Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008 oft behauptet wird, zu Bürgern der DDR gemacht; durch und weiterer Resolutionen, zuletzt 2246 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16819

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) (2015) vom 10. November 2015 und nach- dass die EU die Afrikanische Union finanziell bei ihrer (C) folgender Resolutionen des Sicherheitsrates AMISOM-Mission vor Ort unterstützt . der VN in Verbindung mit der Gemeinsa- men Aktion 2008/851/GASP des Rates der Nun könnte man sagen: Wenn die Marineschiffe weg- Europäischen Union (EU) vom 10. Novem- fallen, dann kommen die Piraten wieder . Aber nicht nur ber 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP die Marineeinheiten haben einen Anteil an diesem Er- des Rates der EU vom 8. Dezember 2009 folg, sondern auch die unter den Reedern gängige Praxis, und weiterer Beschlüsse, zuletzt dem Be- bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord mitzuführen . Stand schluss 2014/827/GASP vom 21. November heute ist: Somalische Piraten haben noch kein einziges 2014 Schiff geentert, auf dem bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord gewesen sind . Drucksachen 18/8091, 18/8286 Wie entscheidend das ist, sieht man unter anderem an – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - der Küste Westafrikas, vor Nigeria . Dort ist die Anwe- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung senheit bewaffneter Sicherheitskräfte innerhalb der Ho- heitsgewässer Nigerias nicht gestattet, und die Piraterie Drucksache 18/8287 ist dort ein anhaltendes Problem . Besorgniserregend ist Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion lediglich, dass die Reedereien inzwischen begonnen ha- Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfeh- ben, aus Kostengründen die Zahl der Sicherheitsleute zu lung werden wir später namentlich abstimmen . reduzieren . Wie dem auch sei: Die Atalanta-Mission hat Wirkung gezeigt . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen .– Dagegen er- Missionen dieser Art sind auch weiterhin richtig und hebt sich kein Widerspruch . Dann ist das somit beschlos- wichtig; denn als eine der führenden Handelsnationen sen . dieser Welt ist es auch im ureigensten Interesse der Bun- desrepublik Deutschland, die Seewege sicher zu halten . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Dieses Interesse gilt es zu vertreten . Redner dem vor kurzem schon angekündigten Kollegen Generell wird man also über das Jahr 2016 hinaus da- Matthias Ilgen das Wort . mit beginnen müssen, abzuwägen, ob man den Einsatz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten noch weiter herunterfährt, als es aktuell ohnehin schon der CDU/CSU) der Fall ist, oder nicht; denn insbesondere wir, Deutsch- land, müssen uns die Frage stellen: Wie viele Einsätze können wir der Deutschen Marine eigentlich zumuten? (B) Matthias Ilgen (SPD): (D) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Als kleinste Teilstreitkraft mit gerade einmal um die ist gut, wenn man doppelt angekündigt wird . So haben 16 000 Soldaten ist die Marine diejenige, die durch die sich umso mehr Kollegen zu später Stunde hier im Hause internationalen Krisen derzeit am meisten gefordert ist . versammeln können, wie ich sehe . Man könnte sagen: Unsere Marine pfeift auf dem letzten Loch, personell wie materiell . Ich gehe sogar noch einen Seit nunmehr 2008 engagiert sich die Bundesrepublik Schritt weiter und sage: Ich glaube, dass die Grenze der Deutschland auch am Horn von Afrika . Derzeit sind vor Belastbarkeit inzwischen überschritten ist: EUNAVFOR Ort die Fregatte „Bayern“ und unsere Seeaufklärer im MED, EU NAVFOR Atalanta, SNMG 2 in der Ägäis, Einsatz . Das Ziel dieses Einsatzes ist der Begleitschutz UNIFIL vor der libanesischen Küste, Active Endea- für Schiffe des UN World Food Programme und der vour – da melden wir nur ein Schiff an, wenn es ohne- Kampf gegen die dort grassierende Piraterie . hin durch das Mittelmeer fährt –, und darüber hinaus ist unsere Präsenz im Ostseeraum zu erwähnen . Die Marine Ich sage Ihnen klar und offen: Wir stehen vor einer leistet vieles, und es ist schwierig, das so beizubehalten . Entscheidung für die Zukunft . Ist der Einsatz in dieser Form noch sinnvoll? Es gilt, für die Zukunft abzuwägen; Die Einsätze binden prozentual eine Menge Personal denn Piratenangriffe sind seit 2008 nicht nur zurückge- und Material, und wir sehen uns Einsätzen gegenüber, gangen, sondern sie sind seit nunmehr zwei Jahren prak- die wir während der Zeit der Umstrukturierung so über- tisch bei null . Der Einsatz ist also ein Erfolg, nicht nur haupt noch nicht absehen konnten . Kein Wunder, dass im Kampf gegen die Piraten an sich, sondern auch gegen da ein Marineelektroniker, Rang Obermaat, auf ungefähr den Terror der al-Schabab an Land; denn durch den Weg- 300 Arbeitstage im Jahr kommt, davon mittlerweile satte fall von Lösegeldern für Schiffe und Geiseln fehlt den 260 auf See . Da beißt sich die Katze in den Schwanz . Das Terroristen eine wichtige Einnahmequelle . Personal, das die Marine so dringend bräuchte, findet auf dem Arbeitsmarkt mittlerweile bei vergleichbarer Be- Sicherheit auf dem Wasser und Sicherheit an Land zahlung wesentlich attraktivere Arbeitsplätze . Die Nach- hängen auf diese Weise durchaus zusammen, aber man wuchsprobleme der Marine, denen wir uns gegenüberse- sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass man durch hen, sind vorprogrammiert, und deswegen begrüßen wir Atalanta dem Terror an Land nachhaltig und ausschließ- als SPD-Fraktion alle Initiativen, die an dieser Stelle in lich beikommen kann . Jeder hier weiß, dass es damit Richtung Attraktivitätssteigerung gehen . nicht getan ist . Die Piraterie ist ein Symptom . Deshalb ist es gut, dass wir durch EUTM Somalia dem Land helfen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der eigene Sicherheitsstrukturen wieder aufzubauen, und CDU/CSU) 16820 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Matthias Ilgen (A) Auch bei den Plattformen haben wir die Marine in Der Einsatz, über den wir heute hier abstimmen, zu dem (C) den letzten zehn Jahren stark verschlankt . Mit einigen die SPD hier die Frage stellt, ob er überhaupt noch sinn- Kollegen zusammen habe ich am Montag beim Besuch voll ist, des Korvettengeschwaders in Warnemünde die letzten beiden Schnellboote mit verabschiedet, die nun außer (Matthias Ilgen [SPD]: In welcher Form in Dienst gestellt werden . Die einstigen Schnellboote der Zukunft!) Gepard-Klasse sollten ursprünglich zehn K-130-Korvet- dieser Einsatz, die Marinemission im Indischen Ozean ten folgen . Am Ende waren es nur fünf . Selbst wenn man vor den Küsten Somalias und des Jemen mit dem Namen sich für ein zweites Los entschiede: Es fehlt schlicht an „Atalanta“, wird bis Juni 2017 über 53 Millionen Euro Personal, um diese Schiffe zu besetzen . kosten . Kosten von über 53 Millionen Euro pro Jahr, und Kurzum, die SPD-Bundestagsfraktion fordert mehr da fragen Sie, ob dieser Einsatz noch sinnvoll ist . Personal für die Marine . Die Ministerin hat glücklicher- (Beifall bei der LINKEN) weise angekündigt, das in Angriff nehmen zu wollen . Wir hoffen, dass den Ankündigungen Taten folgen . Wir Da sage ich: Er war weder sinnvoll, noch ist er sinnvoll . wollen auch einen Blick auf die schwimmenden Plattfor- Mit diesem Geld kann man noch viel sinnvollere Sachen men und auf die Ausstattung der bestehenden Einsätze machen . werfen . Dieses Dreiklangs an Herausforderungen gilt es (Dr .Rolf Mützenich [SPD]: Das sehen die sich in der Koalition gemeinsam anzunehmen . Vereinten Nationen aber ganz anders!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Weg, den wir mit der Atalanta-Mission beschreiten, ist der richtige . Ich Offiziell soll die Mission der Piratenbekämpfung die- möchte abschließend die Gelegenheit nutzen, allen Sol- nen . Nehmen wir einmal an, die Bundesregierung hätte datinnen und Soldaten, die an diesem Einsatz beteiligt mit dieser Behauptung recht . Dann frage ich mich aber, sind und waren, meinen und auch den Dank meiner Frak- warum bei jeder Mandatsverlängerung das Einsatzgebiet tion auszusprechen . ausgeweitet wird, sodass inzwischen der halbe Indische Ozean von diesem Einsatz betroffen ist . Ich frage mich, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der warum Sie das Einsatzgebiet dieses Mal sogar auf die CDU/CSU) Landküste Somalias ausdehnen . Sie alle leisten unserem Land damit einen wichtigen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Weil wir dort- Dienst . hin geschickt werden!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Ich frage mich, warum dieses Mal zum Beispiel eine (B) CDU/CSU) enge Verzahnung mit der EU-Ausbildungsmission für (D) Deshalb gilt für die SPD-Fraktion heute erst einmal: somalische Sicherheitskräfte, die ja für den Bürgerkrieg, Atalanta verlängern – ja . Ganz im Sinne des neuen Man- der in diesem Land tobt, fitgemacht werden sollen, vor- dats: Dann evaluieren, wie der Einsatz in Zukunft ausse- gesehen ist . All dies spricht dafür, dass die Piratenbe- hen soll . kämpfung hier nur ein Vorwand ist: Vielen Dank . (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sondern was?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie ist ein Vorwand, permanent und dynamisch die deut- der CDU/CSU) sche Kriegsmarine in der Region (Matthias Ilgen [SPD]: „Deutsche Kriegsma- Vizepräsident Johannes Singhammer: rine“!) Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen für zu geopolitischen Zwecken zu stationieren . die Fraktion Die Linke . (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Es gibt keine (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens deutsche Kriegsmarine! Es gibt eine Deutsche [CDU/CSU]: Hier kommt die Marineexper- Marine!) tin!) – Ganz ruhig . Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Ich frage mich: Was hat der deutsche Bürger davon, Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- wenn Sie jetzt auch noch Dschibuti zu einem Militär- legen! Oft wird in der Politik das Argument vorgebracht: stützpunkt der deutschen Kriegsmarine ausbauen wol- Dafür fehlt uns das Geld . Leider fehlt uns das Geld für len? die Einrichtung von Kitas, die Renovierung von Schulen oder auch insgesamt für den Bereich der sozialen Sicher- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Es gibt keine heit . deutsche Kriegsmarine!) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer ist denn Nichts hat der deutsche Bürger davon, dass Dschibuti dafür zuständig, für Kitas?) jetzt auch noch ein Militärstützpunkt sein soll . Wofür bei dieser Bundesregierung immer Geld da zu (Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Es geht um das sein scheint, sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr . Welternährungsprogramm!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16821

Sevim Dağdelen (A) Deshalb sollte dieser Einsatz beendet werden . auch zustimmen, dass das Mandat mit der Obergrenze (C) von 950 Soldaten auf 600 abgesenkt wird . Diese Absen- (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder kung der Mandatsobergrenze ist verantwortbar, weil der [CDU/CSU]: Ihr Einsatz sollte beendet wer- europäische Einsatz Atalanta eine der erfolgreichsten den!) Militärmissionen gewesen ist, die wir in den letzten Jah- Die Mission Atalanta kooperiert zudem mit der ren vollzogen haben . Der Kollege Ilgen hat darauf hinge- Kriegsflotte der saudischen Kopf-ab-Diktatur und des wiesen: Wir haben seit vier Jahren keinen erfolgreichen Golf-Kooperationsrats bei der Blockade des Jemen . Inso- Angriff mehr von Piraten auf ein Handelsschiff in diesem fern greifen Sie mit der Mission Atalanta in den jemeni- Gebiet . Seit zwei Jahren gibt es auch gar keinen Versuch tischen Bürgerkrieg ein . mehr, weil wir diese Piraterie sehr erfolgreich verhindern konnten . (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich finde das moralisch und politisch zutiefst verwerflich, meine Damen und Herren . Die wesentlichen Gründe dafür, warum das gelingen konnte, waren zum einen die gute Führung und die Ein- (Beifall bei der LINKEN – Dr . Rolf Mützenich satzbereitschaft dieses Verbandes – im Augenblick ist die [SPD]: Es geht um Lebensmittelhilfe! – Ingo deutsche Fregatte „Bayern“ das Flaggschiff dieses Ver- Gädechens [CDU/CSU]: Selten hat sich eine bandes –, zum anderen aber auch der Verbund mit den Rednerin so lächerlich gemacht wie Sie!) anderen Aktivitäten in Somalia . Wir konzentrieren uns Es ist keine zukunftsfähige Politik, jetzt auch noch dort eben nicht auf den Schutz der Seegebiete vor Somalia, einzugreifen . Die Bundesregierung unterstützt mit dieser sondern bilden auch somalische Sicherheitskräfte aus . Mission – auch noch an Land – im somalischen Bürger- Wir haben mit EUCAP NESTOR eine weitere Operati- krieg jetzt auch noch eine islamistische Administration, on der Europäischen Union in Somalia laufen, und wir die wie ihre Gegner, die Al-Schabab-Milizen, Grund- leisten auch verstärkt Mittel für die Entwicklungszusam- rechte mit Füßen tritt und Andersdenkende verfolgt; das menarbeit, um den langsamen Wiederaufbau dieses jahr- weiß Herr Kauder sehr genau . Sie werden wahrschein- zehntelang geschundenen Landes zu ermöglichen . Insge- lich sagen, dass die über 50 Millionen Euro hier sinnvoll samt ist es gelungen, ein sehr gutes Lagebild von diesem angelegt sind . Wir Linken sagen das nicht . Wir fordern Seegebiet zu entwerfen, sodass wir sicherstellen können, Sie auf, endlich die zivilen Alternativen zu diesem Bun- dass Piraterie dort erfolgreich verhindert wird . deswehreinsatz zu stärken . Der Kollege Ilgen hat etwas begonnen, was ich sinn- (B) (Beifall bei der LINKEN – Dr .Rolf Mützenich gemäß gerne fortsetzen möchte . Wesentlicher Träger der (D) [SPD]: Es geht um Nahrungsmittelhilfe!) Belastungen sind die Soldaten der Deutschen Marine und die Einheiten der Deutschen Marine . Wir haben gegen- Wir fragen uns schon: Warum wird die illegale Fi- wärtig mit der „Bayern“ und dem Seefernaufklärer P-3C scherei westlicher Fischereifabriken, die ein Grund für „Orion“, bei EUNAVFOR MED Sophia mit der Fregatte die Entstehung der Piraterie ist – durch die Zerstörung „Karlsruhe“ und dem Einsatzgruppenversorger „Frank- der somalischen Fischerei –, von Ihnen weiterhin ledig- furt am Main“ sowie mit dem Einsatzgruppenversorger lich beobachtet? Wie lange wollen Sie denn beobachten? „Bonn“ als Flaggschiff der Ägäis-NATO-Operation und Warum unternimmt die Bundesregierung keinerlei Initia- mit der Korvette „Erfurt“ bei UNIFIL sowie mit Minen- tive zur politischen Lösung der Konflikte in Somalia und such- und Minenabwehrverbänden in der Ostsee jede im Jemen? Warum kooperieren Sie auch im Indischen Menge maritime Einheiten in See stehen . Wir kommen Ozean aufs Engste mit den Golf-Diktaturen? Wir Linken da wirklich an die Grenzen . Ich kann der Bundesvertei- finden, es braucht zivile Lösungen statt einer immer aus- digungsministerin zusagen, dass die Außenpolitiker der greifenderen militärischen Geopolitik, die in der Region Union Bemühungen unterstützen werden, die insbeson- zu immer mehr Konflikten führen wird. Deshalb werden dere durch Investitionen in neue Ausrüstungen und in wir diesen Einsatz ablehnen, meine Damen und Herren . Personal geeignet sind, die Marine besser in die Lage zu (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens versetzen, die heutigen und zukünftigen Belastungen zu [CDU/CSU]: Welche Überraschung! Gott sei tragen, damit wir da vorankommen . Dank ist Ihre Redezeit zu Ende!) Ich möchte eines ganz konkret ansprechen . Wir planen gegenwärtig die Beschaffung neuer Schiffe . Weil diese Vizepräsident Johannes Singhammer: neuen Schiffe mit kleineren Besatzungsstärken auskom- Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kol- men, weil sie zwischen den jeweiligen Werftliegezeiten lege Jürgen Hardt . länger in See stehen können und weil wir diese Schif- fe nach dem Mehrbesatzungsprinzip mit wechselnden, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mit rotierenden Besatzungen fahren können, werden sie ordneten der SPD) deutlich besser geeignet sein, Operationen fernab der Heimat durchzuführen, Operationen wie Atalanta oder Jürgen Hardt (CDU/CSU): das, was im Mittelmeer stattfindet. Ich glaube, wir tun Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die der Deutschen Marine, unserer deutschen Außenpolitik CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird der Verlängerung und der deutschen Verteidigungsfähigkeit einen großen des Atalanta-Mandats heute zustimmen . Wir werden Gefallen, wenn wir darangehen, diese Projekte ganz kon- 16822 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Jürgen Hardt (A) kret voranzubringen und dafür auch die notwendigen fi- vergessen wird: Gerade im Falle von Somalia reden wir (C) nanziellen Mittel bereitzustellen . Damit wird die Marine über ein Land, das über Jahrzehnte fragmentiert wurde . auch attraktiver für die Soldatinnen und Soldaten, die an Das heißt, wir haben nur einen sehr beschränkten Ein- Bord der Schiffe Dienst tun . fluss auf viele politische Faktoren in diesem Land, und das führt dazu, dass die Symptombekämpfung umso not- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wendiger wird . der SPD) Ich teile, ehrlich gesagt, so manche Kritik, die Sie von An dieser Stelle möchte ich noch anmerken: Wir reden der Linken nicht nur in diesem Fall haben – viele Kritik- über viele Bundeswehreinsätze . Wir reden insbesondere punkte, die die Linke bei Auslandseinsätzen äußert, kann über diejenigen lange und ausgiebig, die mit Schwierig- ich sehr gut nachvollziehen –; aber die Art und Weise, in keiten verbunden sind, die auf den ersten Blick vielleicht der bei UN-Missionen, die manchmal wirklich Nothilfe nicht die Erwartungen erfüllen, bei denen Soldatinnen sind, ein grundsätzliches Nein formuliert wird, erinnert und Soldaten Schwierigkeiten zu überwinden haben . ein bisschen an folgende Situation: Jemand ertrinkt, und Wir reden zu wenig über die erfolgreichen, gelungenen einer steht dabei und sagt: Es ist aber besser, wenn du Auslandseinsätze der Bundeswehr, bei denen wir mit selbst schwimmen kannst . – Das stimmt . Es wäre besser, den Entscheidungen, die wir getroffen haben, goldrichtig wenn er selbst schwimmen könnte; aber es ist manchmal lagen. Dazu gehört, wie ich finde, der Einsatz Atalanta; so, dass man für Schwimmunterricht einfach keine Zeit dazu gehört aber auch das, was wir im Kosovo leisten, hat . und auch das, was wir in Bosnien-Herzegowina gemacht haben . Als der letzte deutsche Soldat aus dem Einsatz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dort nach Hause kommen konnte, war das den meisten bei der CDU/CSU und der SPD) Presseorganen keine Zeile wert . Ja, Sie haben völlig recht: Die Raubfischerei ist ein (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: So ist es!) Riesenproblem, wenn auch bei weitem nicht das einzige Ich glaube, dass wir deswegen auch über den Erfolg von Problem . Es gibt kriminelle Strukturen, die Geschäfts- Atalanta reden sollten und dass wir unseren Soldatinnen modelle aufgebaut haben, die weit über Raubfischerei hi- und Soldaten, die gegenwärtig dort im Einsatz sind, alles nausgehen . Und ja, es ist richtig: Wenn man die Ursachen Soldatenglück, eine gute und glückliche Heimkehr wün- bekämpfen will, dann muss und kann man das deutlich schen sollten – im Namen, so denke ich, aller Mitglieder besser machen, als es die Bundesregierung macht . Die des Deutschen Bundestages . UN sagen: Die Raubfischerei ist ein riesengroßes Pro- blem, weil viele Fischer dadurch in ihrer Existenz be- Herzlichen Dank . droht sind und für die Geschäftsmodelle der Kriminellen (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – anfällig werden. Die EU sagt: Die Raubfischerei ist ein Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht aller! Von riesengroßes Problem . Wir haben vor Wochen die Bun- denen da nicht!) desregierung gefragt, was sie denn eigentlich dagegen tun wird . Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregie- rung: Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für Ein aktives Vorgehen gegen illegale Fischereiak- Bündnis 90/Die Grünen . tivitäten ist … nicht Bestandteil des Mandats von ATALANTA und kann nur durch die somalischen Behörden selbst erfolgen . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Atalanta Die somalischen Behörden selbst werden im Übrigen in ist eine erfolgreiche Mission . Sie ist Symptombekämp- EU-Berichten als diejenigen deklariert, die durch massi- fung, nicht mehr, aber auch nicht weniger . Die Tatsache, ve Korruption einen Riesenbeitrag dazu leisten, dass es dass die Zahl der Piratenangriffe in den letzten Jahren die Raubfischerei gibt. zurückgegangen ist, hat sehr viel damit zu tun, dass die (Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche Reeder mittlerweile sehr viel Verantwortung übernom- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) men haben . Aber Fakt ist, dass die Sicherung internatio- naler Gewässer in erster Linie eine Aufgabe der internati- Das heißt, hier gibt es eine aktive Ignoranz der Bundes- onalen Staatengemeinschaft ist . Auf einer UN-Grundlage regierung ebenso wie bei der Bekämpfung der Raubfi- und im Rahmen einer internationalen Mission helfen un- scherei . sere Soldatinnen und Soldaten dabei . Dafür ein herzli- cher Dank! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und Weiter heißt es da: der SPD) Eine mögliche Ausweitung der Befugnisse der Ope- Die Linke hat in den letzten Jahren immer wieder völ- ration in diesem Bereich … steht aktuell nicht an . lig zu Recht darauf hingewiesen, dass Atalanta Symp­ Wenn man über die Symptombekämpfung hinauswill, tombekämpfung ist und dass Piraterie militärisch nicht dann muss man das ändern . zu besiegen ist . Das ist auch völlig richtig . Ich fürchte nur, dass eine Sache dabei immer wieder ein bisschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16823

Omid Nouripour (A) Es ist grundsätzlich richtig, dass es die Symptom- schützen wir auch unsere Wirtschaft, die Arbeitsplätze (C) bekämpfung gibt . Es ist gut, dass es Anpassungspläne und den Wohlstand in Deutschland . gibt, und es ist gut, dass die Mandatsobergrenze gesenkt Die Mission leistet aber auch einen wichtigen Beitrag, wird . Manche in meiner Fraktion werden diesem Einsatz um Somalia, eines der ärmsten Länder der Welt, zu sta- zustimmen, auch aufgrund des veränderten Sicherheits- bilisieren und die notleidende Bevölkerung zu versorgen . umfeldes im Jemen und der Dürre in Ostafrika . Aber die Das kann die Operation Atalanta nicht alleine leisten . große Mehrheit meiner Fraktion kann dem nicht folgen, Deshalb ist Atalanta nur ein Baustein in einem breiten, und das seit 2012, weil die Landoption für uns eine rie- vernetzten Ansatz . In Somalia müssen rechtsstaatliche sige Eskalationsgefahr birgt . Wegen dieser Landoption, Strukturen geschaffen und einsatzfähige Sicherheitskräf- die immer noch Bestandteil ist, hat die Sozialdemokratie te aufgebaut werden . Genau hierzu sind die zwei Ausbil- im Übrigen dieses Mandat in den Jahren 2012 und 2013 dungs- und Beratungsmissionen der EU weitere wichtige abgelehnt . Die Mehrheit meiner Fraktion kommt in der Bausteine . Im Rahmen von EUTM Somalia werden so- Abwägung dazu, diesem Mandat nicht zustimmen zu malische Sicherheitskräfte ausgebildet, und bei EUCAP können . NESTOR werden eigene Küstenpolizeikräfte aufgebaut . Ich bitte die Bundesregierung: Verhandeln Sie weiter! Zudem beteiligt sich Deutschland auch an der politischen Legen Sie ein besseres Mandat vor! Es ist gut und not- Mission UNSOM . wendig, gerade den Soldatinnen und Soldaten gegenüber, Die Bevölkerung braucht darüber hinaus auch huma- wenn es ein breites Votum im Deutschen Bundestag für nitäre Unterstützung . Auch hier ist Deutschland tätig . einen solchen Einsatz gibt . Sie würden viel Gutes tun, Fast 95 Millionen Euro stehen für die Entwicklungszu- wenn Sie diese Landkomponente herausnähmen . Dann sammenarbeit in Somalia bereit. Das Geld fließt in Pro- hätten Sie auch eine breitere Zustimmung für Atalanta jekte, die Trinkwasser, Nahrungsmittel und Medikamente im Hohen Hause . für die Menschen bereitstellen, aber auch in Projekte, die Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . dem Ausbau der ländlichen Infrastruktur dienen . Doch kann diese Hilfe nur ankommen, wenn es die Sicherheits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lage auch zulässt, und zwar zu Land wie zur See . Des- sowie der Abg . Heidtrud Henn [SPD]) halb werden unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten weiterhin in Somalia gebraucht . Ihr Engagement ist ein Vizepräsident Johannes Singhammer: Stabilitätsanker in der Region . An dieser Stelle möchte ich allen Bundeswehrangehörigen, die in den vergange- Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die nen acht Jahren am Horn von Afrika im Einsatz waren, Kollegin Julia Obermeier für die CDU/CSU . für ihre hervorragend geleistete Arbeit danken . (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (CDU/CSU): Julia Obermeier Als Abgeordnete der CSU schicke ich einen ganz beson- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und deren Gruß an die Besatzung der Fregatte „Bayern“, die Kollegen! Wenn man vor acht Jahren die Zeitung auf- derzeit den EU-Verbund anführt . schlug und nach Somalia suchte, fand man Meldungen über ein bitterarmes und krisengebeuteltes Land, aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- vor allem auch Berichte über Piratenangriffe, Entfüh- ordneten der SPD – Ingo Gädechens [CDU/ rungen und Lösegeldforderungen . Heute lesen wir zwar CSU]: Sehr gut!) immer noch von der Gewalt im Land, doch es wird auch Meine sehr geehrten Damen und Herren, Atalanta über erste Lichtblicke und kleine Fortschritte berichtet, leistet einen unverzichtbaren Beitrag, um einerseits die und die Meldungen über die Piraten sind verschwun- Seewege am Horn von Afrika zu sichern und anderer- den . Das Zurückdrängen der Piraterie ist der Erfolg der seits mehr Stabilität in Somalia zu schaffen, nicht zuletzt EU-Mission Atalanta, und die militärische Präsenz im durch die Absicherung der Hilfslieferungen des Welter- Seegebiet vor Somalia hat der Piraterie ein Ende bereitet . nährungsprogramms . Somalia braucht weiterhin unsere Wie der Kollege Jürgen Hardt bereits sagte: Die letzte er- Unterstützung . Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung folgreiche Entführung fand 2012 statt, und im vergange- für die Fortsetzung dieser erfolgreichen Mission . Nur nen Jahr gab es nicht einmal mehr einen Angriffsversuch . wenn wir einen langen Atem haben, werden die Zeitun- Der EU-Einsatz kann also mit Fug und Recht als Erfolgs- gen auch zukünftig nicht wieder über neue Piratenangrif- geschichte bezeichnet werden . Diese Erfolgsgeschichte fe, sondern über weitere Fortschritte am Horn von Afrika wollen wir fortsetzen . berichten können . (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank . Der Atalanta-Verband steht derzeit unter deutscher (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Führung und schützt sowohl die Schiffe des Welternäh- rungsprogramms als auch die große Zahl an Handels- Vizepräsident Johannes Singhammer: schiffen . Mit 20 000 Handelsschiffen pro Jahr sind die Danke schön . – Damit schließe ich die Aussprache . Seewege am Horn von Afrika eine wichtige Lebensader des Welthandels und somit für die Exportnation Deutsch- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- land von grundlegender Bedeutung . Mit den Seewegen schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu 16824 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und durch die Europäische Union geführten Operation EU Kollegen! Was haben wir hier in diesem Haus nicht schon NAVFOR Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der rauf und runter über Glyphosat debattiert! Es kommt Küste Somalias . Dazu liegen mir mehrere Erklärungen Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, 1) nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor . doch sicherlich schon aus den Ohren heraus . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- (Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Danke!) lung auf Drucksache 18/8286, den Antrag der Bundes- regierung auf Drucksache 18/8091 anzunehmen . Wir – Das dachte ich mir doch . – Auch viele andere Parla- stimmen über diese Beschlussempfehlung namentlich mente in der EU haben in den letzten Wochen über Gly- ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die phosat diskutiert, und das aus gutem Grund: Glyphosat vorgesehenen Plätze einzunehmen .– Sind jetzt an allen ist schon seit Jahren umstritten; vor einem Jahr wurde Abstimmungsurnen Schriftführerinnen und Schriftführer es von den WHO-Experten als „wahrscheinlich krebser- anwesend? – Das ist der Fall . Dann eröffne ich die Ab- regend“ klassifiziert. Trotzdem wollen Minister Schmidt stimmung über die Beschlussempfehlung . und die EU‑Kommission es jetzt wieder neu zulassen . Das ist unverantwortlich, werte Kolleginnen und Kolle- Ich darf mir noch den Hinweis erlauben, dass nicht nur gen . die Urne im Nordosten des Plenarsaals geeignet ist, son- dern es an anderen Abstimmungsurnen möglicherweise (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schneller geht . und bei der LINKEN) Ist noch ein Mitglied des Deutschen Bundestages an- Nächste Woche findet die finale Abstimmung in Brüs- wesend, das seine Stimme abgeben möchte, dies aber sel über die Wiederzulassung statt, und die deutsche Stim- noch nicht getan hat? Ich bitte um ein Handzeichen . – me spielt da eine Rolle . Der letzte Abstimmungsversuch Das ist nicht der Fall . Es haben also alle, die abstimmen in Brüssel ist aus Sicht der Europäischen Kommission wollten, auch abgestimmt . Dann schließe ich hiermit komplett schiefgegangen . Das war auch eine waschechte die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Klatsche für das Bundesinstitut für Risikobewertung – Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Er- und das, obwohl unsere Bundesregierung, werter Herr gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge- Minister Schmidt, immer betont hatte, dass alle Mitglied- geben 2). staaten hinter der deutschen Bewertung stünden . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- Die französische Umweltministerin Royal hat jetzt (B) schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erklärt, dass Frankreich die Wiederzulassung ablehnen (D) auf Drucksache 18/8424 . Wer für diesen Entschließungs- wird, weil Glyphosat wahrscheinlich krebserregend antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen .– Wer ist . Ich freue mich, dass nun endlich auch Ministerin stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie- Hendricks, Minister Gabriel und andere SPD-Minister ßungsantrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU das so sehen . Ich wünsche mir das auch vom federfüh- und SPD sowie der Fraktion Die Linke gegen die Stim- renden Minister Schmidt . men von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf: und bei der LINKEN sowie der Abg . Ute Vogt Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald [SPD]) Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Verhindern Sie die Zulassung dieses Pflanzenkillers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Herr Minister! Die massiven Bedenken gegen Glyphosat NIS 90/DIE GRÜNEN im Zuge der Risikobewertung werden ja nicht kleiner, Vorsorgeprinzip ernst nehmen – Keine erneu- sondern täglich größer . Inzwischen wurde sogar schon te Genehmigung für Glyphosat Strafanzeige gegen das BfR, die EFSA und die Glyphosat Task Force erstattet . Der Wissenschaftsstreit über Krebs- Drucksache 18/8395 und Umweltgefahren tobt doch weiter . Die Fragen zu den Ich darf darauf hinweisen, dass mit aller Wahrschein- offensichtlichen Fehlern bei der Auswertung der Herstel- lichkeit zum Ende dieser Debatte eine streitige Abstim- lerstudien, zum Aussortieren von unabhängigen Studi- mung stattfinden wird – keine namentliche, aber eine en, zu fehlenden statistischen Tests usw . usf . sind nicht streitige . beantwortet . Erst im nächsten Jahr wird die Europäische Chemikalienagentur, die ECHA, ihre Einschätzung vor- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für legen . Trotzdem soll jetzt eine Zulassung erfolgen? Das diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch ist unverantwortlich und aus unserer Sicht nicht tragbar . sehe und höre ich keinen . Dann ist das so beschlossen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- und bei der LINKEN) ner dem Kollegen Harald Ebner für die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen das Wort . So lange soll wohl in Kauf genommen werden, dass der Stoff weiterhin ohne nennenswerte Einschränkung 1) 7 Anlage angewandt wird und in die Umwelt gelangt . Das hat mit 2) Ergebnis Seite 16826 D Vorsorge nichts zu tun . Wer das Vorsorgeprinzip für Ge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16825

Harald Ebner (A) sundheit und Verbraucherschutz ernst nimmt, der kann Ebner gerade ausgeführt . Das Ergebnis wäre, dass ab (C) Glyphosat jetzt nicht ernsthaft neu zulassen . dem 1 . Juli dieses Jahres Glyphosat in allen europäischen Ländern verboten wäre . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE Deshalb ist es auch gut, dass die SPD-Ministerinnen und GRÜNEN]: Das wäre ja gut!) -Minister nun erklärt haben, dass sie der Wiederzulas- Was wären denn die Folgen? Das wäre nicht nur ein Pro- sung wegen der Gesundheitsbedenken nicht zustimmen blem für die Landwirtschaft . Das wäre auch ein großer können . Das war ein echter Paukenschlag, Kompliment, Nachteil für die Umwelt und die Verbraucher . Frau Hendricks! Sie ist nicht da, aber Herr Pronold ver- tritt sie . Jetzt muss sich das aber auch im Abstimmungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) verhalten Deutschlands in Brüssel niederschlagen . Das Julius-Kühn-Institut hat in seiner Studie, die in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN letzten Sitzung des Ausschusses für Ernährung und Land- und bei der LINKEN) wirtschaft vorgestellt wurde, sehr deutlich gemacht: Ein sofortiges Verbot von Glyphosat würde bedeuten, dass Es kann doch nicht sein, dass sechs Tage vor der Ab- wieder mehr gepflügt werden muss, mit allen negativen stimmung kein Mensch in diesem Haus, in diesem Land Folgen für Bodenleben und Bodenerosion . weiß, wie Deutschland sich in dieser Frage verhalten wird . Sorgen Sie für Klärung! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Außerdem würde das natürlich zu massiven Problemen und bei der LINKEN) beim Resistenzmanagement führen . Entgegen allen Hor- Ich frage mich umso mehr, warum Sie, liebe Kolleginnen rormeldungen gibt es nämlich bis heute in Deutschland und Kollegen von der SPD, heute nicht auch persönlich keine Resistenzen gegen Glyphosat . Das liegt ganz ein- Ihre Stimme gegen die Zulassung von Glyphosat abge- fach daran, dass dieser Wirkstoff ganz anders und viel ben wollen . Auch im Hinblick auf Fragen der Biodiversi- zurückhaltender eingesetzt wird, als das etwa in Nord- tät wäre das notwendig . oder Südamerika der Fall ist . Deshalb sind alle Verglei- che mit diesen Ländern, mit diesen Regionen, die als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Begründung herhalten sollen, nicht nur sachlich falsch, sondern sind ganz einfach fehl am Platz . Ich kann ja verstehen, dass bei den Glyphosat-Herstel- lern momentan die Alarmglocken schrillen . Die Umsät- (Beifall bei der CDU/CSU) (B) ze bei Monsanto sind wegen der Debatte um ein Drittel (D) eingebrochen . Ich kann aber nicht verstehen, dass das Nach unseren Anwendungsbedingungen, unter denen BMEL nach wie vor stur auf seiner Zustimmung zur Zu- der Einsatz nur zugelassen werden kann, besteht beim lassung von Glyphosat beharrt . Werte Kolleginnen und Einsatz von Glyphosat kein größeres Risiko . Es ist nicht Kollegen, heute ist die letzte Chance, als Bundestag für schädlicher als das Pflügen. Die einzige Auswirkung auf einen effektiven Gesundheits- und Umweltschutz in der die Biodiversität besteht darin, dass die Pflanze, die durch Europäischen Union zu stimmen, indem wir uns gegen Glyphosat abgetötet wird, nicht mehr als Lebensraum für eine weitere Zulassung von Glyphosat aussprechen . Un- die Mikroorganismen zur Verfügung steht . ser Antrag besteht aus einem kurzen Satz, den Sie ganz (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schnell lesen und ganz schnell verstehen können . Beken- NEN]: Das sieht Ihre Umweltministerin an- nen Sie Farbe! Sagen Sie klipp und klar Ja oder Nein; ders!) (Zurufe von der CDU/CSU: Ja! Ja!) Das ist beim Pflügen genauso, nur dass dabei hundertmal aber verstecken Sie sich nicht hinter Formalitäten . so viel Diesel verbraucht wird . Danke schön . (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: und bei der LINKEN) Das ist ja absurd!) Ein Verbot des Wirkstoffes würde auch für den Ge- Vizepräsident Johannes Singhammer: sundheitsschutz nichts bringen . Alle europäischen Be- Der Kollege Hermann Färber spricht jetzt für die wertungsbehörden haben nämlich festgestellt, dass Gly- CDU/CSU . phosat in der zugelassenen Anwendung kein Krebsrisiko darstellt . Das IARC vertritt mit seiner Einstufung in die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kategorie „wahrscheinlich krebserregend“ eine reine ordneten der SPD) Minderheitenposition . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hermann Färber (CDU/CSU): NEN]: Aber das ist mit Sicherheit die wissen- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- schaftlich fundierteste, Herr Kollege!) ren! Die Grünen wollen mit ihrem vorliegenden Antrag erreichen, dass es in der EU keine Mehrheit für eine Was das IARC hingegen als „mit Sicherheit krebserre- weitere Zulassung von Glyphosat gibt; das hat Kollege gend“ einstuft, das sind die Dieselabgase, die, wie schon 16826 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Hermann Färber (A) erwähnt, bei einem Verbot von Glyphosat hundertfach denn es geht ja hier gar nicht um Glyphosat allein . Es (C) stärker ausgestoßen würden . geht auch um den Zulassungsprozess als solchen, und da sehen wir schon eine große Gefahr . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde es schon typisch, dass sich von den Verbots- Mit Ihnen sehen wir eine große Gefahr!) befürwortern für diese Abwägung niemand auch nur im Geringsten interessiert . Wenn die Anforderungen bei Zulassungsverfahren für die antragstellenden Unternehmen in keiner Weise mehr (Beifall bei der CDU/CSU) berechenbar sind, dann laufen wir Gefahr, dass in Zu- kunft auch keine Forschung an neuen Wirkstoffen mehr Meine Damen und Herren, zugelassen wird ein Wirk- betrieben wird . stoff in der EU nur dann, wenn die Anwendung nicht zu Gesundheitsschäden führt, wenn er sich nicht im Boden (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- oder im Körper anreichert, NEN]: Entschuldigung, das entspricht der Zu- lassungsrichtlinie aus 2009!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das tut er aber, Herr Färber! Glyphosat Damit würden wir uns aber auch die Chance für noch existiert im Boden!) umweltschonendere und noch gesundheitsverträglichere Wirkstoffe nehmen . Das wäre kein Nachteil für die Un- wenn er zielgenau wirkt, wenn er nicht das Grundwasser ternehmen; nein, das wäre ein großer Nachteil für unsere gefährdet und wenn er auch nicht schädlich für Bienen Gesellschaft, für die Verbraucher und auch für die Um- ist . All das müssen die antragstellenden Unternehmen in welt . umfangreichen Studien nachweisen . In den letzten Jahren ist in Sachen umweltschonender (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und gesundheitsverträglicher Pflanzenschutz schon viel NEN]: Die sie selber bezahlen!) erreicht worden . Während vor wenigen Jahren noch mehr als 1 000 Wirkstoffe zugelassen waren, sind es heute ge- Diese Studien werden dann von den nationalen oder auch rade einmal noch rund 400 . Im Nationalen Aktionsplan den europäischen Bewertungsbehörden geprüft und be- Pflanzenschutz haben wir viele Maßnahmen festgelegt, wertet . um eine flächendeckende Minimierung zu erreichen. Das (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- reicht von der Forschungsförderung über die Förderung NEN]: Haben Sie das Handbuch des Zulas- von integriertem Pflanzenschutz bis hin zu Demonstrati- sungsverfahrens in Ihre Rede kopiert?) onsbetrieben . Das ist der richtige Weg . (B) (D) Dieses Verfahren läuft bei Glyphosat mittlerweile Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, bei ih- seit vier Jahren . Die zuständigen wissenschaftlichen Be- rer Entscheidung in Sachen Glyphosat den wissenschaft- hörden sind europaweit eindeutig und einmütig zu dem lichen Sachverstand der Bewertungsbehörden gebührend Schluss gekommen, dass der Wirkstoff zulassungsfähig zu berücksichtigen ist . (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und gemäß deren Einschätzung der Zulassungsverlänge- NEN]: Unter Ignorieren unabhängiger Studi- rung für Glyphosat zuzustimmen . en! Sie leben in einer anderen Welt!) Herr Ebner, noch ein letzter Satz . Wenn diese Bewertungsbehörden zu einem späteren Zeitpunkt zu einem anderen Ergebnis kommen, so wie Vizepräsident Johannes Singhammer: Sie das gesagt haben, wenn also beispielsweise in an- Herr Kollege Färber, Sie denken an die vereinbarte derthalb Jahren eine andere Erkenntnis vorliegen würde, Redezeit? dann kann diese Zulassung jederzeit nachträglich ein- geschränkt oder sogar aufgehoben werden . Auch das ist Teil des Zulassungsverfahrens . Hermann Färber (CDU/CSU): Herr Präsident, ich höre Ihre Worte . – Laut Ihrem An- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- trag, Herr Ebner, können Sie sich eine Zulassung für drei NEN]: So lange nehmen Sie das in Kauf!) Jahre vorstellen . Das will ich Ihnen einfach einmal lo- bend zugestehen . Ich glaube, wir liegen da gar nicht so Dieser wissenschaftsbasierte Zulassungsprozess soll weit auseinander . jetzt nach dem Willen der Grünen abgelöst werden Herzlichen Dank . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU) durch politische Willkürentscheidungen . Das ist mit uns

nicht zu machen; Vizepräsident Johannes Singhammer: Zwischenzeitlich liegt mir das von den Schriftführe- (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner rinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt mentlichen Abstimmung über die Beschlussempfeh- Vorsorgeprinzip, Herr Kollege!) lung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16827

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaff- Drucksachen 18/8091 und 18/8286, vor: abgegebene (C) neter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäi- Stimmen 563 . Mit Ja haben gestimmt 456, mit Nein ha- sche Union geführten Operation EU NAVFOR Atalanta ben gestimmt 72, Enthaltungen 35 . Die Beschlussemp- zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias“, fehlung ist damit angenommen .

Endgültiges Ergebnis Ingrid Fischbach Dr . Hendrik Hoppenstedt Dr . Claudia Lücking-Michel Abgegebene Stimmen: 563; Axel E . Fischer Margaret Horb Dr . Jan-Marco Luczak (Karlsruhe-Land) davon Anette Hübinger Karin Maag Klaus-Peter Flosbach ja: 456 Hubert Hüppe Yvonne Magwas Thorsten Frei nein: 72 Erich Irlstorfer Thomas Mahlberg Dr . Astrid Freudenstein enthalten: 35 Thomas Jarzombek Dr . Thomas de Maizière Dr . Hans-Peter Friedrich Sylvia Jörrißen Gisela Manderla (Hof) Dr . Franz Josef Jung Matern von Marschall Ja Michael Frieser Andreas Jung Hans-Georg von der Marwitz Dr . Michael Fuchs CDU/CSU Xaver Jung Andreas Mattfeldt Hans-Joachim Fuchtel Dr . Egon Jüttner Stephan Mayer (Altötting) Stephan Albani Ingo Gädechens Bartholomäus Kalb Reiner Meier Katrin Albsteiger Dr . Thomas Gebhart Hans-Werner Kammer Dr . Michael Meister Artur Auernhammer Alois Gerig Steffen Kampeter Jan Metzler Dorothee Bär Eberhard Gienger Steffen Kanitz Maria Michalk Thomas Bareiß Cemile Giousouf Alois Karl Dr . h .c . Hans Michelbach Norbert Barthle Josef Göppel Anja Karliczek Dr . Mathias Middelberg Günter Baumann Ursula Groden-Kranich Bernhard Kaster Dietrich Monstadt Maik Beermann Hermann Gröhe Volker Kauder Karsten Möring Manfred Behrens (Börde) Klaus-Dieter Gröhler Dr . Stefan Kaufmann Marlene Mortler Veronika Bellmann Michael Grosse-Brömer Dr . Georg Kippels Volker Mosblech Sybille Benning Astrid Grotelüschen Volkmar Klein Elisabeth Motschmann Dr . André Berghegger Markus Grübel Jürgen Klimke Dr . Gerd Müller (B) Dr . Christoph Bergner Manfred Grund (D) Jens Koeppen Carsten Müller (Braun- Ute Bertram Oliver Grundmann Markus Koob schweig) Peter Beyer Dr . Herlind Gundelach Kordula Kovac Dr . Philipp Murmann Steffen Bilger Fritz Güntzler Michael Kretschmer Dr . Andreas Nick Clemens Binninger Olav Gutting Gunther Krichbaum Michaela Noll Peter Bleser Christian Haase Rüdiger Kruse Helmut Nowak Norbert Brackmann Florian Hahn Bettina Kudla Dr . Georg Nüßlein Klaus Brähmig Dr . Stephan Harbarth Dr . Roy Kühne Julia Obermeier Michael Brand Jürgen Hardt Wilfried Oellers Dr . Reinhard Brandl Matthias Hauer Uwe Lagosky Florian Oßner Helmut Brandt Mark Hauptmann Dr . Karl A . Lamers Dr . Tim Ostermann Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Stefan Heck Dr . Norbert Lammert Ralph Brinkhaus Helmut Heiderich Katharina Landgraf Henning Otte Cajus Caesar Mechthild Heil Ulrich Lange Ingrid Pahlmann Gitta Connemann Frank Heinrich (Chemnitz) Barbara Lanzinger Sylvia Pantel Alexandra Dinges-Dierig Mark Helfrich Dr . Silke Launert Martin Patzelt Alexander Dobrindt Uda Heller Paul Lehrieder Dr . Martin Pätzold Michael Donth Jörg Hellmuth Dr . Katja Leikert Ulrich Petzold Thomas Dörflinger Rudolf Henke Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Joachim Pfeiffer Marie-Luise Dött Michael Hennrich Dr . Andreas Lenz Sibylle Pfeiffer Hansjörg Durz Ansgar Heveling Dr . Ursula von der Leyen Eckhard Pols Iris Eberl Dr . Heribert Hirte Antje Lezius Thomas Rachel Jutta Eckenbach Christian Hirte Ingbert Liebing Kerstin Radomski Dr . Bernd Fabritius Alexander Hoffmann Matthias Lietz Alexander Radwan Hermann Färber Thorsten Hoffmann Andrea Lindholz Alois Rainer Uwe Feiler (Dortmund) Dr . Carsten Linnemann Dr . Peter Ramsauer Dr . Thomas Feist Karl Holmeier Patricia Lips Eckhardt Rehberg Enak Ferlemann Franz-Josef Holzenkamp Wilfried Lorenz Lothar Riebsamen 16828 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Josef Rief Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sabine Dittmar Dr . Hans-Ulrich Krüger (C) Dr . Heinz Riesenhuber Sven Volmering Martin Dörmann Helga Kühn-Mengel Johannes Röring Christel Voßbeck-Kayser Elvira Drobinski-Weiß Christine Lambrecht Dr . Norbert Röttgen Kees de Vries Michaela Engelmeier Christian Lange (Backnang) Erwin Rüddel Dr . Johann Wadephul Dr . h .c . Gernot Erler Dr . Karl Lauterbach Albert Rupprecht Marco Wanderwitz Petra Ernstberger Steffen-Claudio Lemme Anita Schäfer (Saalstadt) Nina Warken Saskia Esken Burkhard Lischka Karl Schiewerling Kai Wegner Karin Evers-Meyer Gabriele Lösekrug-Möller Jana Schimke Albert Weiler Dr . Johannes Fechner Hiltrud Lotze Norbert Schindler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr . Fritz Felgentreu Kirsten Lühmann Tankred Schipanski Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Fograscher Dr . Birgit Malecha-Nissen Heiko Schmelzle Sabine Weiss (Wesel I) Dr . Edgar Franke Caren Marks Christian Schmidt (Fürth) Ingo Wellenreuther Ulrich Freese Katja Mast Gabriele Schmidt (Ühlingen) Karl-Georg Wellmann Michael Gerdes Dr . Matthias Miersch Ronja Schmitt Marian Wendt Martin Gerster Klaus Mindrup Patrick Schnieder Waldemar Westermayer Iris Gleicke Susanne Mittag Bernhard Schulte-Drüggelte Kai Whittaker Angelika Glöckner Bettina Müller Dr . Klaus-Peter Schulze Peter Wichtel Ulrike Gottschalck Detlef Müller (Chemnitz) Uwe Schummer Annette Widmann-Mauz Kerstin Griese Michelle Müntefering Armin Schuster Heinz Wiese (Ehingen) Gabriele Groneberg Dr . Rolf Mützenich (Weil am Rhein) Klaus-Peter Willsch Michael Groß Andrea Nahles Christina Schwarzer Elisabeth Winkelmeier- Uli Grötsch Dietmar Nietan Detlef Seif Becker Wolfgang Gunkel Ulli Nissen Johannes Selle Oliver Wittke Bettina Hagedorn Mahmut Özdemir (Duisburg) Reinhold Sendker Dagmar G . Wöhrl Rita Hagl-Kehl Aydan Özoğuz Dr . Patrick Sensburg Barbara Woltmann Metin Hakverdi Markus Paschke Bernd Siebert Tobias Zech Ulrich Hampel Christian Petry Heinrich Zertik Sebastian Hartmann Detlev Pilger (B) Johannes Singhammer Emmi Zeulner Michael Hartmann Sabine Poschmann (D) Tino Sorge Dr . Matthias Zimmer (Wackernheim) Joachim Poß Jens Spahn Dirk Heidenblut Gudrun Zollner Florian Post Carola Stauche Hubertus Heil (Peine) Achim Post (Minden) Dr . Frank Steffel Gabriela Heinrich SPD Dr . Wilhelm Priesmeier Albert Stegemann Marcus Held Florian Pronold Niels Annen Peter Stein Wolfgang Hellmich Dr . Sascha Raabe Ingrid Arndt-Brauer Erika Steinbach Heidtrud Henn Dr . Simone Raatz Sebastian Steineke Rainer Arnold Gustav Herzog Martin Rabanus Christian Frhr . von Stetten Heike Baehrens Gabriele Hiller-Ohm Stefan Rebmann Dieter Stier Ulrike Bahr Thomas Hitschler Gerold Reichenbach Rita Stockhofe Heinz-Joachim Barchmann Dr . Eva Högl Dr . Carola Reimann Gero Storjohann Dr . Katarina Barley Matthias Ilgen Andreas Rimkus Stephan Stracke Doris Barnett Christina Jantz-Herrmann Sönke Rix Max Straubinger Dr . Matthias Bartke Frank Junge Petra Rode-Bosse Matthäus Strebl Sören Bartol Josip Juratovic Dennis Rohde Karin Strenz Uwe Beckmeyer Thomas Jurk Dr . Martin Rosemann Lena Strothmann Lothar Binding (Heidelberg) Oliver Kaczmarek Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Stübgen Burkhard Blienert Johannes Kahrs Michael Roth (Heringen) Dr . Sabine Sütterlin-Waack Willi Brase Ralf Kapschack Susann Rüthrich Antje Tillmann Dr . Karl-Heinz Brunner Gabriele Katzmarek Bernd Rützel Astrid Timmermann-Fechter Edelgard Bulmahn Ulrich Kelber Sarah Ryglewski Dr . Hans-Peter Uhl Martin Burkert Marina Kermer Johann Saathoff Dr . Volker Ullrich Dr . Lars Castellucci Arno Klare Annette Sawade Arnold Vaatz Petra Crone Lars Klingbeil Dr . Hans-Joachim Oswin Veith Bernhard Daldrup Dr. Bärbel Kofler Schabedoth Thomas Viesehon Dr . Daniela De Ridder Daniela Kolbe Axel Schäfer (Bochum) Michael Vietz Dr . Karamba Diaby Birgit Kömpel Dr . Nina Scheer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16829

(A) Marianne Schieder Tom Koenigs Susanna Karawanskij Corinna Rüffer (C) Dr . Dorothee Schlegel Dr . Tobias Lindner Kerstin Kassner Hans-Christian Ströbele Matthias Schmidt (Berlin) Omid Nouripour Katja Kipping Dagmar Schmidt (Wetzlar) Cem Özdemir Jan Korte Enthalten Carsten Schneider (Erfurt) Brigitte Pothmer Jutta Krellmann Elfi Scho-Antwerpes Tabea Rößner Katrin Kunert SPD Ursula Schulte Kordula Schulz-Asche Caren Lay Petra Hinz (Essen) Swen Schulz (Spandau) Markus Tressel Sabine Leidig Ewald Schurer Doris Wagner Ralph Lenkert BÜNDNIS 90/ Frank Schwabe Dr . Valerie Wilms Stefan Liebich DIE GRÜNEN Dr . Gesine Lötzsch Stefan Schwartze Luise Amtsberg Thomas Lutze Andreas Schwarz Nein Volker Beck (Köln) Birgit Menz Rita Schwarzelühr-Sutter Agnieszka Brugger SPD Cornelia Möhring Rainer Spiering Katja Dörner Niema Movassat Norbert Spinrath Klaus Barthel Katharina Dröge Norbert Müller (Potsdam) Svenja Stadler Marco Bülow Harald Ebner Dr . Alexander S . Neu Martina Stamm-Fibich Dr . Ute Finckh-Krämer Matthias Gastel Thomas Nord Sonja Steffen Cansel Kiziltepe Kai Gehring Harald Petzold (Havelland) Peer Steinbrück Hilde Mattheis Richard Pitterle Katrin Göring-Eckardt Christoph Strässer Waltraud Wolff Martina Renner Britta Haßelmann Kerstin Tack (Wolmirstedt) Dr . Petra Sitte Dr . Anton Hofreiter Claudia Tausend Dr . Kirsten Tackmann Bärbel Höhn Michael Thews DIE LINKE Azize Tank Uwe Kekeritz Carsten Träger Jan van Aken Frank Tempel Katja Keul Ute Vogt Dr . Dietmar Bartsch Dr . Axel Troost Sven-Christian Kindler Dirk Vöpel Herbert Behrens Alexander Ulrich Maria Klein-Schmeink Gabi Weber Karin Binder Kathrin Vogler Oliver Krischer Bernd Westphal (B) Matthias W . Birkwald Halina Wawzyniak Stephan Kühn (Dresden) (D) Dirk Wiese Heidrun Bluhm Harald Weinberg Renate Künast Gülistan Yüksel Christine Buchholz Katrin Werner Markus Kurth Dagmar Ziegler Eva Bulling-Schröter Birgit Wöllert Steffi Lemke Stefan Zierke Roland Claus Jörn Wunderlich Irene Mihalic Dr . Jens Zimmermann Sevim Dağdelen Hubertus Zdebel Özcan Mutlu Manfred Zöllmer Dr . Diether Dehm Pia Zimmermann Dr . Konstantin von Notz Klaus Ernst Sabine Zimmermann Friedrich Ostendorff BÜNDNIS 90/ Wolfgang Gehrcke (Zwickau) Claudia Roth (Augsburg) DIE GRÜNEN Nicole Gohlke Elisabeth Scharfenberg Kerstin Andreae Annette Groth BÜNDNIS 90/ Ulle Schauws Annalena Baerbock Dr . André Hahn DIE GRÜNEN Dr . Gerhard Schick Marieluise Beck (Bremen) Heike Hänsel Sylvia Kotting-Uhl Dr . Frithjof Schmidt Dr . Franziska Brantner Dr . Rosemarie Hein Christian Kühn (Tübingen) Dr . Wolfgang Strengmann- Ekin Deligöz Inge Höger Monika Lazar Kuhn Dr . Thomas Gambke Andrej Hunko Peter Meiwald Dr . Harald Terpe Anja Hajduk Sigrid Hupach Beate Müller-Gemmeke Dr . Julia Verlinden Dieter Janecek Ulla Jelpke Lisa Paus Beate Walter-Rosenheimer

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr .Kirsten men sollen – dieses Bild gab es vorhin schon einmal in Tackmann für die Fraktion Die Linke . der Debatte –, ist absurd, erst recht, wenn man eigentlich (Beifall bei der LINKEN) nur das Wasser aus dem Pool ablassen müsste, um die Ertrinkenden zu retten . So ähnlich fühlen sich vielleicht Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): auch manchmal die Landwirtinnen und Landwirte, wenn Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- mit ihnen über die Agrarwende diskutiert wird, während be Gäste! Vorweg noch ein anderes Thema: Ertrinkende sie gegen die Übermacht von Handelskonzernen, Mol- davon zu überzeugen, dass sie Schwimmunterricht neh- kereien und Schlachthöfen um das Überleben kämpfen . 16830 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. Kirsten Tackmann (A) Deshalb sagt die Linke ganz klar: Dieser Missbrauch von Deswegen habe ich die Bundesregierung nach Studien (C) Marktmacht muss beendet werden, zur Kontakthäufigkeit, zu Risikofaktoren, zur Belastung von Lebensmitteln und Kleidung gefragt . Die ernüch- (Beifall bei der LINKEN) ternde Antwort kam vorgestern: Sie sieht keinen Hand- die spekulativen Käufe von Boden und ganzen Betrieben lungsbedarf. Ich finde, das ist fahrlässiges Wegducken. auch . Ich glaube, dass unter solch einem Schutzschirm Das ist nicht akzeptabel . manche Debatte über die Agrarwende oder andere Ände- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . rungen viel leichter wäre . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) GRÜNEN]) Das gilt zum Beispiel auch für die Debatte über Gly- Die Liste der ignorierten Wissenslücken ist ja noch phosat . Auch hier geht es doch längst nicht mehr nur um viel länger . Ein paar Beispiele: Trotz der weltweit in- einen Unkrautvernichter unter Krebsverdacht . Glypho- tensiven Nutzung gibt es nur wenige Studien über Vor- sat ist doch längst zu einem Symbol geworden, zu ei- kommen von Glyphosat in der Umwelt . Auch in unserem nem Symbol für eine Politik, die nicht handelt, zu einem Land ist die Umweltmedizin unterdessen zum Stiefkind Symbol für eine Politik, für die das Vorsorgeprinzip nicht geworden – zum Leid ganz vieler Menschen . Wirkme- mehr unumstößlich ist . Das sage nicht nur ich, sondern chanismen wie oxidativer Stress werden ausgeblendet . das sagen auch die Menschen um einen herum, wenn Epidemiologische Studien werden systematisch gering man sie fragt, was ihnen spontan zum Thema Glyphosat geschätzt . Wir wissen wenig über verstärkende Wir- einfällt . Ja, auch bei mir ist heute mit der Debatte die täg- kungen durch andere Stoffe oder andere Risiken, über lich empfohlene Dosis des Problems deutlich überschrit- chronische Wirkungen von niedrigen Dosierungen über ten . Ja, gerade als Wissenschaftlerin und Tierärztin kann längere Zeiträume oder über die Grenzwerte von Wirk- ich es nur noch schwer ertragen, wie viele Zweifel an der stoffmischungen . Unbedenklichkeitserklärung durch deutsche und europä- ische Behörden einfach weggewischt werden . Auch als Wissenschaftlerin und Abgeordnete muss ich ausdrücklich sagen: Ich maße mir kein Urteil und keine (Beifall bei der LINKEN) Entscheidung über diesen wissenschaftlichen Streit an . Die Union fordert ja immer eine wissenschaftliche Aber solange die Zweifel nicht beseitigt und die Wis- Basis für die Entscheidung, aber die Frage ist doch ei- senslücken nicht geschlossen sind, gibt es für uns Linke gentlich: Welche wissenschaftliche Position ist die nur einen einzigen Entscheidungsmaßstab: im Zweifel richtige? Die deutsche Behörde hält Glyphosat für un- für die Verbraucherinnen und Verbraucher . (B) bedenklich, auch weil Menschen in Europa kaum Kon- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . (D) takt zu diesem Wirkstoff hätten, aber die Experten der Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE WHO-Krebsforschungsagentur sehen das anders . Was ist GRÜNEN]) eigentlich, wenn die recht behalten, weil zum Beispiel doch erbgutverändernde Wirkmechanismen vorliegen? Eine Entscheidung jetzt für die nächsten 10 oder 15 Jah- Das wäre ein K -o. -Kriterium. für die Zulassung . 100 in- re ist aus unserer Sicht unverantwortlich und nutzt nur ternationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Monsanto . Da machen wir Linken nicht mit . haben in einem offenen Brief heftige Kritik sowohl am Prüfverfahren als auch an der Bewertung einiger Studien (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- vorgetragen . Sind das alles Verschwörungstheoretiker? neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE], an die CDU/ Was ist eigentlich, wenn die Studien recht haben, die CSU gewandt: Profit auf Kosten eurer Kinder viel häufigeren Kontakt mit Glyphosat voraussetzen, und Enkel!) weil sie nämlich schon in kleinen Stichproben erstaun- lich oft Glyphosat im Urin bei Menschen nachweisen? Dies war zuletzt auch im Umweltbundesamt der Fall . In Vizepräsident Johannes Singhammer: der vorläufigen Auswertung einer kleinen Studie wurde Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Rita Hagl-Kehl . in immerhin 40 bis 60 Prozent der Urinproben Glyphosat gefunden . Nachweise von Glyphosatspuren in verschie- (Beifall bei der SPD) denen Lebensmitteln würden das auch erklären . Viel- leicht summiert sich das Glyphosat ja mit dem täglich Rita Hagl-Kehl (SPD): Brot und dem täglich Bier . Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Es wird eben Kollegen! Die Bevölkerung ist verunsichert . Unter- ausgeschieden! Mein Gott!) schiedliche Meldungen kursieren . Auf der einen Seite Vielleicht gibt es ja auch noch andere unberücksichtigte sagt die Weltgesundheitsorganisation – besser gesagt: Kontaktquellen wie zum Beispiel Kleidung oder Hygie- ihre Untergruppierung, das Krebsforschungsinstitut –: neartikel aus gentechnisch veränderter Baumwolle . Das Glyphosat ist wahrscheinlich krebsergebend .– Auf der sind doch alles wichtige Fragen . anderen Seite sagen deutsche Behörden wie das BfR, also das Bundesinstitut für Risikobewertung, das sich (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ja auch damit befassen muss: Es ist unbedenklich .– Die neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) EFSA folgte diesem Urteil . Die Wissenschaft ist uneins . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16831

Rita Hagl-Kehl (A) Die SPD nimmt die Besorgnis der Bevölkerung trotzdem Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) ernst, auch wenn Uneinigkeit besteht . Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn? (Beifall bei der SPD)

Ich möchte zunächst auf die Forderungen der SPD ein- Rita Hagl-Kehl (SPD): gehen, die wir schon vor Wochen dargelegt und schrift- Wo ist sie? – Ach, da . Entschuldigung . lich verfasst haben . Wir sind eindeutig dafür, dass wir ein Verbot für private Anwender bekommen, und zwar auch für den kommunalen Bereich . Es kann nicht sein, dass Vizepräsident Johannes Singhammer: Kinderspielplätze und Schulhöfe mit Glyphosat gespritzt Und des Kollegen Ostendorff? – Wer möchte sich jetzt werden . Wir wollen auch, dass die Bahn dieses Mittel in- melden? – Die Kollegin Höhn, wenn Sie gestatten? nerorts nicht mehr verwendet . Diese Möglichkeiten – das ist das Einzige, was ich an ihm wirklich schätzen muss – (SPD): bietet der Entwurf der Kommission . Sollte sich dieser Rita Hagl-Kehl Entwurf in Europa durchsetzen, dann werden wir darauf Ja . drängen, diese Möglichkeit zu nutzen, um ein Verbot bei uns in Deutschland durchzusetzen . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der SPD – Steffi Lemke [BÜND- Frau Kollegin, Sie haben jetzt sehr viele Forderungen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ihr seid doch aufgestellt, die zum Teil auch die SPD bei Glyphosat auf- gegen den Entwurf, denke ich!) gestellt hat, so eine Einschränkung des Anwenderkreises . Wie wird sich aus Ihrer Sicht die Ministerin, die für Um- Gleichzeitig wollen wir ein stärkeres Engagement für weltpolitik zuständig ist und die heute noch einmal sehr die Biodiversität . Wir haben eine Verringerung des Ein- deutlich die Position des UBA vertreten hat, die besagt, satzes in der Landwirtschaft bis hin zum Ausstieg gefor- dass Glyphosat massiv der Artenvielfalt schadet, verhal- dert . Das Julius-Kühn-Institut wurde vorhin schon einmal ten? Wie wird sich die Ministerin in der nächsten Woche zitiert . Auch wir haben die Studie des Julius-Kühn-Insti- gegenüber dem Landwirtschaftsminister durchsetzen? tuts zur Kenntnis genommen . Wir haben darin aber auch Was bedeutet dies eigentlich für die Abstimmung der gelesen, dass die Landwirtschaft den Einsatz von Gly- Bundesregierung? phosat sehr viel deutlicher reduzieren könnte, ohne dass es zu finanziellen Einbußen kommt. Rita Hagl-Kehl (SPD): (B) (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜND- Dazu wäre ich jetzt gleich gekommen, danke, dass Sie (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) das vorwegnehmen . Die Ministerin und die SPD-Minis- ter im Allgemeinen haben sich dafür entschieden, dage- Die überflüssige Stoppelbehandlung könnte -abge genzustimmen . schafft werden . Die Bodenbearbeitung mit Geräten – ja, Herr Färber kritisiert sie; aber sie wäre eine Möglich- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten keit – würde viel Glyphosat einsparen . Am Schlimms- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten ist, dass die Sikkation, also die Vorerntebehandlung, Wenn die SPD-Minister dagegenstimmen, dann wird es durch die es ja wahrscheinlich ins Brot und ins Getreide wahrscheinlich, wenn der Landwirtschaftsminister und kommt, zumeist unnötig ist . andere Minister der Koalition nicht einlenken, zu einer Wir haben die Resolution des EU-Parlaments, die Enthaltung kommen, was eigentlich schade ist . Mir ist Genehmigung zunächst nur für sieben Jahre zu erteilen, eine Enthaltung in Brüssel immer noch lieber als eine begrüßt . Wichtig sind auch die strikten Beschränkun- Zustimmung Deutschlands . gen bei der Vorernteanwendung und die Beachtung der (Beifall bei der SPD) Artenvielfalt . Aber diese Punkte wurden von der Kom- mission nicht aufgegriffen . Der einzige Aspekt, der auf- Es wurde schon vorweggenommen: Ich wollte mich gegriffen wurde, ist das Verbot von Tallowaminen; aber gerade bei unseren Ministerinnen und Ministern, allen diese Beimischungen haben wir in Deutschland sowieso voran natürlich bei Barbara Hendricks bedanken, die hier schon verboten . wirklich hart geblieben ist, Im Kommissionsentwurf steht aber auch, dass die Zu- (Beifall bei der SPD) lassung jederzeit zurückzuziehen ist, falls wissenschaft- und ich hoffe wirklich, dass Einsicht vielleicht noch bei lich nachgewiesen wird, dass es krebserregend ist, und unserem Landwirtschaftsminister aufkommt . daran wird weiter geforscht . Ich möchte an dieser Stelle darauf verweisen, dass wir dann, wenn sich das heraus- Danke schön . stellt, sofort handeln müssen . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Harald Vizepräsident Johannes Singhammer: Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Pahlmann für die CDU/CSU . Mein Dank geht an die SPD-Ministerinnen und -Mi- nister . (Beifall bei der CDU/CSU) 16832 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Wissenschaft und eine gezielte, emotional gesteuerte (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- Verunsicherung der Bevölkerung . leginnen und Kollegen! Der Wahlkampf naht, kann ich (Beifall bei der CDU/CSU) nur sagen . Heute gibt es mal wieder eine Abstimmung über die Zulassung von Glyphosat . Ich erinnere zuerst an den Fund von Glyphosat in der Muttermilch, erreicht durch eine nicht wissenschaftlich Wenn man die Auflagen bei der Zulassung und An- belegte Untersuchung eines Labors unter Anwendung wendung von Pflanzenschutzmitteln und deren Rück- von Tests, die sich nicht für fetthaltige Flüssigkeiten eig- stände in Lebensmitteln betrachtet, so sind unsere Mess- nen . Die Überprüfung durch geeignete Methoden ergab, methoden mittlerweile so präzise geworden, dass man im dass kein Glyphosat in Muttermilch nachweisbar ist . Prinzip alles nachweisen kann . So hat zum Beispiel eine Tausende Mütter wurden aber verunsichert, und die beste Prise Estragon so viel krebserregendes Potenzial wie der Ernährungsmethode für Babys wurde unbegründet infra- Rauch einer täglich konsumierten Zigarette . Es scheint ge gestellt . Ich kann nur sagen: Das, was da passiert ist, eigentlich nur so von Giften in unseren Nahrungsmitteln ist absolut unverantwortlich . zu wimmeln . Ich muss Ihnen aber sagen: Das stimmt nicht . Unsere Nahrungsmittel sind so sicher wie nie zu- (Beifall bei der CDU/CSU) vor . Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Kollegin Pahlmann, gestatten Sie eine Zwischen- Wir müssen endlich davon wegkommen, dass wir Mess- frage des Kollegen Ebner? werte mit Gefährdung gleichsetzen . Die gesetzlichen Grenzwerte haben Vorsorgecharakter und ein Erreichen Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): keine unmittelbare toxische Wirkung . Nein, ich denke, das führt zu nichts . Ich mache weiter . Ganz oben auf der Liste der Ernährungsrisiken stehen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) nicht die Rückstände in den Nahrungsmitteln, sondern der Umgang mit ebendiesen Nahrungsmitteln . Fehlende Warum braucht die Landwirtschaft Glyphosat? Kenntnis über Zubereitungsmethoden und mangelnde (Abg . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/ Küchenhygiene sind echte Risiken für die Gesundheit: DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Möhren im Klo!) – Herr Ostendorff, auch Ihnen lasse ich sie nicht zu . (B) (D) Denken wir an Salmonellen, Mycotoxine, Krebsgefähr- dung durch übermäßig gebräuntes Grillgut, Bratkartof- Vizepräsident Johannes Singhammer: feln, die beliebten Pommes Frites und Chips . Ich darf noch einmal nachfragen: Gestatten Sie die Zwischenfrage des Kollegen Ostendoff? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Verharmlosung!) Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Unkenntnis beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Nein, die gestatte ich auch nicht . Ich mache jetzt wei- kann man hingegen den Landwirten nun wirklich nicht ter . vorwerfen . (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom (Beifall bei der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Einsatz im privaten Gartenbereich ist da deutlich Also: Warum braucht die Landwirtschaft Glyphosat? kritischer zu sehen . Landwirte handeln nach guter fach- Der gesunde Ackerboden ist das höchste Gut, das die licher Praxis, sie sind gut ausgebildet im Umgang mit Bauern haben, und die pfluglose oder reduzierte Boden- Pflanzenschutzmitteln und der dazugehörigen Technik bearbeitung ist ein wichtiger Beitrag zur nachhaltigen und unterliegen einer strengen Überwachung . Landwirtschaft . (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die Zu- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schauer flüchten schon!) NEN]: Den Landwirten wirft niemand etwas vor!) Pflügen kann die Bodenfruchtbarkeit eben auf lange Sicht reduzieren, Frau Hagl-Kehl . Nehmen Sie das zur Sie selbst unterstützen strenge Maßstäbe für Zulassung Kenntnis! und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, erwarten aber, dass diese Maßstäbe wissenschaftlich fundiert und (Beifall bei der CDU/CSU) nicht von unbegründeten Ängsten gesteuert festgelegt Bodenorganismen leben in verschiedenen Bodentiefen werden . und können durch das Umpflügen beeinträchtigt oder (Beifall bei der CDU/CSU) sogar zerstört werden . Zudem ist ein gelockerter Bo- den der Winderosion ausgesetzt und kann nach starken Was momentan am Beispiel der Zulassungsverlänge- Regenfällen abgeschwemmt werden . Gleichzeitig wird rung bei Glyphosat geschieht, ist eine Missachtung von beim Pflügen aber auch gespeicherter Kohlenstoff frei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16833

Ingrid Pahlmann (A) gesetzt, der dann als klimarelevantes Kohlendioxid die Dem augenscheinlich öffentlichen Mainstream unreflek- (C) Atmosphäre belastet . Wir sollen etwas für den Klima- tiert zu folgen, wird Ihre Umfrageergebnisse nicht in die schutz tun. Durch das pfluglose Anbauverfahren unter Höhe treiben . Auch Ihre Umweltministerin hat zeitweise Zuhilfenahme von Glyphosat lässt sich der CO2-Ausstoß zugegeben, dass es keine wissenschaftlichen Gründe für im Kulturpflanzenanbau halbieren. Auch das müssen Sie die Verweigerung gibt, und auch die deutsche Forderung zur Kenntnis nehmen . nach stärkerer Berücksichtigung der Artenvielfalt hat die EU-Kommission in den Entwurf aufgenommen . (Beifall bei der CDU/CSU) Dies alles wissen die Landwirte, und deshalb wägen Wir haben hier im Haus die Verantwortung, fachliches sie ab, wann sie pflügen und in welchen Fällen sie mit und wissenschaftliches Wissen nach vorne zu stellen und Mulchverfahren arbeiten . nicht reißerischen Schlagzeilen in der Presse hinterher- zulaufen . Neben den Vorteilen für die Bodengesundheit und den Klimaschutz würden bei einem Verzicht auf Glyphosat Ich bitte Sie um Zustimmung . auch massive Ernteausfälle durch die Konkurrenz von (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich Unkräutern drohen . Der Wirkstoff steht somit auch für [DIE LINKE]: Frau Pahlmann, Sie waren ein hohes Maß an Versorgungssicherheit und hilft, die doch im Ausschuss!) Abhängigkeit von Importen zu begrenzen .

Seien wir doch einmal ganz ehrlich: Die Anwendung Vizepräsident Johannes Singhammer: von Glyphosat in Deutschland ist gar nicht das Problem . Das Problem liegt vielmehr in der ungebremsten Anwen- Der Kollege Ebner hat jetzt die Möglichkeit zu einer dung in genveränderten Kulturen in Nord- und Südame- Kurzintervention . rika. Dort wird großflächig und zum Teil unter Einsatz von Flugzeugen gespritzt . Es werden Mengen ausge- Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bracht, die auch ich für absolut bedenklich halte . Werte Kollegin Pahlmann, Sie haben davon gespro- (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE chen, dass unsere Nahrungsmittel sicher seien und dass GRÜNEN]: Ist doch ungefährlich, oder was mit bestimmten Messmethoden alles messbar wäre . Die- jetzt? Ist das jetzt gefährlich oder ungefähr- se Debatte haben wir ganz oft . Regelmäßig bleiben uns lich? – Dr .Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: die Wissenschaftler und die Risikoprüfungs- und -bewer- TTIP, sage ich nur!) tungsbehörden die Antwort darauf schuldig, wie wir mit Mehrfachrückständen verschiedener Wirkstoffe, die in Es gibt zurzeit keine Alternative zu Glyphosat . Ande- (B) mindestens der Hälfte der Lebensmittel vorkommen, in (D) re Mittel, die alternativ eingesetzt werden könnten, sind denen überhaupt Rückstände nachgewiesen werden, um- schlechter abbaubar und belasten die Böden und Gewäs- zugehen haben . Dafür gibt es keine Risikobewertung und ser weitaus mehr als Glyphosat . keine Grenzwerte . Deshalb können Sie nicht sagen, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mit bestimmten Messmethoden alles messbar und dass alles ungefährlich wäre . Das heißt nicht, dass man nicht weiter kritisch For- schung betreiben, die Frage der begleitenden Netzmittel, Sie haben auch davon gesprochen, es würde um Wis- also Zusatzstoffe, beantworten und Alternativen entwi- senschaft versus Ideologie gehen; das hat auch der Kolle- ckeln muss . Aber bitte zurück zur Sachlich- und Fach- ge Färber so gesagt . Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, lichkeit! Keine polemische, pseudowissenschaftliche worum es eigentlich geht . Nur weil Sie und das BfR sich Diskussion, an die Herstellerwissenschaft klammern, werden die wis- senschaftlichen Bewertungen der Internationalen Agen- (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der tur für Krebsforschung mit ihren renommierten Expertin- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen und Experten nicht plötzlich nicht wissenschaftlich . die die Menschen nur beunruhigt und niemandem hilft! Das ist eine interessenungeleitete Wissenschaft . (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE Wir fordern nichts anderes als die Berücksichtigung GRÜNEN]: Nicht nur leere Versprechungen dieser wissenschaftlichen Sichtweise und die Einhaltung machen! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE wesentlicher europäischer Grundsätze . GRÜNEN]: Das hätten Sie von Anfang an ma- chen sollen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Bewertung des Wirkstoffs durch die zuständigen Behörden aller Mitgliedstaaten der EU und der EFSA er- Grundsatz Nummer eins ist die Pflanzenschutzrichtlinie gab, dass der Wiedergenehmigung von Glyphosat keine aus 2009, die nämlich eine Zulassung von Wirkstoffen, wissenschaftlichen Gründe entgegenstehen . die krebsgefährlich oder gentoxisch sind, ausschließt . Grundsatz Nummer zwei ist das Vorsorgeprinzip . Das Liebe Kollegen und Kolleginnen von der SPD, ich bitte ich Sie zu berücksichtigen . habe absolut kein Verständnis für Ihre unklare Haltung in dieser Frage . Danke schön . (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der SPD) und bei der LINKEN) 16834 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als die Meldung über Rückstände von Glyphosat im (C) Frau Kollegin Pahlmann, Sie haben die Möglichkeit, Bier Schlagzeilen machte, wurden die geäußerten Beden- darauf zu erwidern . ken gerne mit dem Hinweis vom Tisch gefegt, ein Er- wachsener müsse 1 000 Liter Bier trinken, um auf die Menge von Glyphosat zu kommen, die für seine Gesund- Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): heit schädlich sein könnte . Fakt ist aber, dass Glypho- Das werde ich gern tun .– Herr Ebner, mögen Sie sat eben nicht nur im Bier zu finden ist, sondern auch stehen bleiben? – Erst einmal müssen wir zur Kenntnis in Obst, in Gemüse, in Brot, in Mehl, in Haferflocken. nehmen, dass es durchaus Untersuchungen zu Mehrfach- Kurz gesagt: In der gesamten Lebensmittelkette finden rückständen in den Pflanzenschutzmitteln gibt. Sie haben wir Glyphosat . das BfR angesprochen . Das ist eine Behörde, die sogar auf Ihre Intervention hin eingerichtet wurde . Jetzt ziehen (Zurufe von der CDU/CSU) Sie alle Ergebnisse dieser Behörde in Zweifel . Ich will es nicht als Normalität hinnehmen, dass Gly- (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Nicht phosat im Urin von Kindern und Erwachsenen nachzu- alle!) weisen ist, jedenfalls so lange nicht, bis eindeutig geklärt ist, ob der Wirkstoff nun tatsächlich ungefährlich ist oder Das ist für mich keine wissenschaftliche Arbeit . eben doch krebserregend . Sie verteufeln Lebensmittel . (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: So ein Blöd- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sinn! Nicht zugehört!) Das Vorsorgeprinzip ist ein hohes Gut . Wir tun gut da- Sie schüren in der Bevölkerung eine Angst, die unbe- ran, an diesem Prinzip festzuhalten; denn manche Schä- gründet ist . Ich habe ein Beispiel in meiner Rede nicht den lassen sich auch mit noch so viel Geld nicht wieder erwähnt, das mit dem Bier . Morgens stand es in der Pres- gutmachen . se; komisch, dass das genau an dem Tag war, als wieder einmal über Glyphosat diskutiert wurde . Es hieß, Rück- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem stände von Glyphosat seien im Bier gefunden worden; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das sei alles ganz furchtbar und schrecklich . Was war der Der Einzelhandel sieht sich inzwischen genötigt, Fakt? Man muss 1 000 Liter Bier am Tag und ein Leben selbst die Reißleine zu ziehen . Viele Baumärkte haben lang trinken, um überhaupt etwas Messbares zu haben . Pflanzenschutzmittel mit Glyphosat aus ihrem Sortiment Da gibt es Dinge mit viel schlimmeren Auswirkungen als genommen . dieses Beispiel . (B) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) Nehmen Sie einfach einmal zur Kenntnis, dass Bewer- NEN]: Auf unsere Initiative hin, Elvira!) tungen dazu vorliegen und dass diese Aussagen belegen: Unsere Lebensmittel sind im europäischen Vergleich su- Warum? Weil die Kunden verstanden haben, worauf es persicher . Wir stehen ganz vorne .– Unsere Verbraucher ankommt . werden durch Ihre Aussagen verunsichert . Das ist das (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Schlimmste, was Sie tun können . BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr .Kirsten Gerade bei der Pflege von Gärten, öffentlichen Parkanla- Tackmann [DIE LINKE]: Das ist jetzt keine gen und Spielplätzen steht der Nutzen von Glyphosat in Ideologie, nicht?) keinem Verhältnis zum potenziellen Risiko .

Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die LINKEN) Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für die SPD . Die SPD, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat sich (Beifall bei der SPD) mit Nachdruck für ein Verbot von Glyphosat für den pri- vaten Gebrauch Elvira Drobinski-Weiß (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich und im kommunalen Bereich eingesetzt . Im Vorschlag möchte gerne zur Sachlichkeit zurückkehren . Ich glaube, der Kommission ist davon keine Rede . Deshalb freue ich das ist bitter nötig . mich sehr – auch meine Kollegin Rita Hagl-Kehl hat das (Beifall bei der SPD) schon formuliert –, dass sich heute die Bundesumwelt- ministerin Barbara Hendricks dazu entschieden hat, der Herr Färber, Sie täuschen sich: Die Verbraucherinnen erneuten Zulassung nicht bedingungslos zuzustimmen . und Verbraucher wollen eben kein Glyphosat und keine Pestizide in ihren Lebensmitteln. Ich finde es richtig, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- dass wir uns damit heute auseinandersetzen . ten der LINKEN – Gitta Connemann [CDU/ CSU]: Wieso hat sie zuerst mit Ja gesagt?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Ohne verschärfte Auflagen, wie sie auch vom Europäi- LINKEN) schen Parlament gefordert wurden, ist eine Wiederzulas- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16835

Elvira Drobinski-Weiß (A) sung unverantwortlich und widerspricht dem Vorsorge- geben wird . Wir wollen, dass dieses Parlament der Bun- (C) prinzip . desregierung deutlich macht, wie das Parlament dazu steht . Deshalb wollen wir heute ein klares Signal als Par- (Abg . Artur Auernhammer [CDU/CSU] und lament aussenden, statt diese Entscheidung dem Kabinett Abg . Ingrid Pahlmann [CDU/CSU] melden zu überlassen . Denn wir sind das Parlament, meine Da- sich zu einer Zwischenfrage) men und Herren . – Nein, Herr Kollege Auernhammer, ich habe keine Lust (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf eine Zwischenfrage . sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich kann einfach nicht verstehen, dass dieses Parla- Frau Kollegin, stopp . Es gibt zwei Wortmeldungen . ment so wenig Selbstbewusstsein hat, Wollen Sie sie zulassen oder nicht? (Beifall der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): dass Sie heute einen Vertagungsantrag stellen . Nein .– Ich hoffe nun, dass die Nutzer und Herstel- ler die Zeichen der Zeit erkennen und die Enthaltung (Ute Vogt [SPD]: Überweisungsantrag!) Deutschlands – noch besser wäre ein Nein – als deutli- Der Antrag soll an die Ausschüsse überwiesen werden, ches Signal zu verstehen ist . um ihn dort klammheimlich zu versenken, damit nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auffällt, dass es dazu keine Auffassung gibt . Wir müssen die Forschung nach Alternativen verstär- Meine Damen und Herren, haben Sie noch nicht ge- ken, um künftig auch ertragreiche Ernten ohne Glyphosat merkt, dass die Entscheidung am 18 .Mai getroffen wird? zu ermöglichen . Vorher gibt es keine Ausschusssitzung mehr . Vielen Dank . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heute ist der vorletzte Sitzungstag vor der Sitzung des Ständigen Ausschusses . Vizepräsidentin Claudia Roth: Ihr Manöver ist völlig durchschaubar: Sie wollen den Vielen Dank, Frau Kollegin .– Entschuldigen Sie, aber Antrag heute an den Ausschuss überweisen, um ihn dort (B) ich habe es wirklich akustisch nicht gehört, weil es so zu versenken und sich als Fraktionen der SPD und der (D) lebendig ist um diese Uhrzeit . CDU/CSU nicht im Bundestag zu positionieren . Das wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen . Jetzt hat das Wort zur Geschäftsordnung die Kollegin Britta Haßelmann . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Denn nach den Erklärungen, die Sie gerade abgege- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ben haben, kann sich jeder denken – wir können ja jetzt Kollegen! Die Debatte hat eindrücklich gezeigt, dass es ein bisschen würfeln –, wie die Bundesregierung am 18 . zwischen Union und SPD sowohl im Parlament als auch bzw . 19 .Mai entscheiden wird . Herr Minister Schmidt auf der Regierungsbank keine klare Haltung dazu gibt, will mit Ja stimmen . Frau Hendricks und die SPD-Minis- wie die Entscheidung am 18 /19. .Mai in Brüssel getrof- terinnen und -Minister wollen, was wir gut finden, nicht fen wird . zustimmen . Offen bleibt: Ist das eine Enthaltung oder eine Ablehnung? Egal, sie wollen nicht zustimmen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was bedeutet das denn für das Kabinett? Am 18 . Mai fährt ein Kabinettsmitglied nach Brüssel und wird seine Deshalb ist unser Vorschlag, heute eine Sofortabstim- Hand heben entweder für Ja oder für Nein oder für Ent- mung zu unserem Antrag durchzuführen . Ich lese ihn haltung . kurz vor: (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist das halt!) Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie- rung auf, aus Gründen des vorsorgenden Gesund- Wir wissen nach der heutigen Debatte nicht, wie die Bun- heits- und Umweltschutzes eine erneute Genehmi- desregierung entscheiden wird . Das weiß niemand . Das gung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat zum jetzigen bleibt im Verborgenen . Das ist nicht korrekt . Zeitpunkt abzulehnen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf und bei der LINKEN) von der CDU/CSU: Wollen Sie Demokratie oder Diktatur? Wo leben wir eigentlich?) Warum wollen wir heute sofort darüber abstimmen? Weil am 18 . bzw . 19 .Mai der Ständige Ausschuss in Zeigen Sie gefälligst Flagge! Verhalten Sie sich doch, da- Brüssel darüber entscheiden wird, ob es für Glyphosat mit man damit umgehen kann . Wir sind hier doch nicht eine Zulassungsverlängerung um sieben bis neun Jahre im Koalitionsausschuss . Sagen Sie uns heute: Wird das 16836 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Britta Haßelmann (A) Thema im Kabinett noch einmal aufgerufen und dann Das ist kein Trick, sondern es geht darum, in einer so (C) darüber mit Mehrheit entschieden, ob mit Ja, Nein oder wesentlichen Frage sachgerecht zu diskutieren, sich aus- Enthaltung gestimmt wird, oder wie läuft das nun? Ent- zutauschen und dann eine klare Ansage an die Bundesre- scheidet am Ende die Kanzlerin? gierung zu machen; denn diese muss sich verhalten und nicht das Parlament . (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist gut!) Das alles bleibt heute unklar . Wir wissen nur, dass die Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . SPD sagt: Wir wollen nicht zustimmen .– Das geht so (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜND- nicht . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lesen? Wieso haben Sie Beratungsbedarf bei und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ einem einzigen Satz?) CSU]: Es ist doch gut!) Deshalb fordern wir heute, dass sich das Parlament klar Vizepräsidentin Claudia Roth: ablehnend positioniert . Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen .– Herr Kauder, wollen Sie reden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zurufe von der LIN- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, der Zir- KEN: Bravo! – Volker Kauder [CDU/CSU]: kus hier reicht!) Sind wir auf dem Jahrmarkt, oder was?) – Herr Kauder will das Wort zur Geschäftsordnung ge- nauso wenig wie die Linke . Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Haßelmann .– Das Wort eben- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- falls zur Geschäftsordnung hat Christine Lambrecht für NEN], an den Abg . Volker Kauder [CDU/ die SPD . CSU] gewandt: Stimmt die CDU der Sofort- abstimmung zu?) (Beifall bei der SPD) Dann kommen wir zum Antrag der Fraktion Bünd- Christine Lambrecht (SPD): nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8395 . Die Frakti- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! on Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sehr geehrte Kollegin Haßelmann, meistens bekomme Sache . ich, wenn ich hier stehe, den Vorwurf zu hören, dass wir (Volker Kauder [CDU/CSU]: Und sofort!) (B) irgendetwas im Schweinsgalopp durchjagten und dass (D) wir uns nicht genug Zeit nehmen würden, um über die Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Über- Themen ausreichend zu diskutieren . weisung an den Ausschuss für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz . Wir stimmen jetzt nach (Beifall bei der SPD) ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschuss- Heute werde ich aufgefordert: Jetzt, hier und sofort, heu- überweisung ab . Deswegen frage ich: Wer stimmt für die te und ohne Wenn und Aber! beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Überweisung so beschlossen (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD bei Gegen- NEN]: Natürlich!) stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken . Diesem Vorschlag, auch wenn er noch so engagiert vor- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- getragen wird, können wir nicht folgen . Wir wollen uns NEN]: Eine Bankrotterklärung für das Par- Zeit nehmen . lament ist das! – Gegenruf des Abg . Volker Die Positionen sind klar und sind ausführlich ausge- Kauder [CDU/CSU]: Dann würde ich sofort tauscht worden . Die SPD-Ministerinnen und -Minister austreten!) können der Verlängerung so nicht zustimmen; das ist deutlich geworden . – Hören Sie einmal zu, Herr Kauder! Zuhören! Herr Kauder, ich rede mit Ihnen . Jetzt ist Ruhe, und ich sage, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wie die Abstimmung ausgegangen ist . Das ist auch richtig so, weil wir nicht wollen, dass etwas, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn er sagt, bei dem wir nicht absehen können, welche Gesundheits- das ist eine Bankrotterklärung für das Parla- risiken davon ausgehen, über Jahre hinweg verlängert ment!) wird . Das macht deutlich, dass wir Beratungsbedarf ha- ben . Deswegen wird es an den Ausschuss überwiesen; Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen dahin gehört es . So sieht es die Geschäftsordnung vor . gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen, die Linke und eine Kollegin von der CDU/CSU . Damit stimmen wir (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜND- heute über den Antrag auf Drucksache 18/8395 nicht in NIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei einem Thema, der Sache ab . das schon mehrfach rauf und runter debattiert wurde! Beratungsbedarf! Können Sie nicht le- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sen?) NEN]: Eine Glanzleistung! Wahnsinn!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16837

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b sowie Dörfer zu demonstrieren, werden auch viele Bundestags- (C) Zusatzpunkt 6 auf: abgeordnete der Linken dabei sein . 15 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva (Beifall bei der LINKEN – Annalena Baerbock Bulling-Schröter, Birgit Wöllert, Hubertus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch des Zdebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Landtags?) DIE LINKE – Ja . – Wir wollen die Menschen vor Ort unterstützen, Kohleausstieg einleiten – Strukturwandel so- die seit Jahren gegen das rücksichtslose Geschäft mit der zial absichern Kohle, gegen Abbaggerung und gegen die unvorstellbare Verwüstung großer Landschaften angehen . Drucksache 18/8131 (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Wir werden auch als parlamentarische Beobachterinnen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und Beobachter vor Ort sein . Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Wir protestieren am Wochenende in der Lausitz aber Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ nicht gegen die Beschäftigten, die von der Kohle leben; sicherheit Haushaltsausschuss (Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva wir von der Linken wollen gerade, dass es für sie und für Bulling-Schröter, Birgit Wöllert, Caren Lay, wei- die Regionen eine geregelte Zukunft gibt . terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der LINKEN) Fortsetzung der Braunkohlesanierung in den Ländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-An- Das heißt aber, den Kohleausstieg einzuleiten, und zwar halt und Thüringen nach dem Jahr 2017 jetzt und schrittweise . Drucksache 18/8112 (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Überweisungsvorschlag: 2035 muss Schluss sein . Bis dahin brauchen wir einen Haushaltsausschuss (f) festen, kalkulierbaren Fahrplan für den Ausstieg . Wir Finanzausschuss brauchen Verlässlichkeit, gerade für die Beschäftigten . Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ (Beifall bei der LINKEN) (B) sicherheit (D) Ich habe großes Verständnis für die Ängste vor Ort ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten vor den Unsicherheiten, gerade weil der Osten seit einem Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Vierteljahrhundert von Strukturwandel geplagt ist, der Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der nicht so verlaufen ist, wie wir von der Linken es uns ge- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wünscht hätten und wie es im Übrigen auch versprochen wurde . Gerade deshalb müssen wir jetzt handeln und dür- Braunkohlesanierung durch die Lausitzer fen nicht abwarten . und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsge- sellschaft mbH fortsetzen (Beifall bei der LINKEN) Drucksache 18/8396 Ich war letzte Woche in Cottbus und habe zusammen mit meiner Kollegin Birgit Wöllert eine Veranstaltung Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) zu den Schäden und Folgelasten des Braunkohleabbaus Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ auch schon aus DDR-Zeiten abgehalten . Ich sage Ihnen: sicherheit Das Erbe des Kohleabbaus ist verheerend und bedroh- lich für Generationen nach uns . Dieses Erbe bezeugt aber Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für auch, um welchen Preis hier spätestens nach der Wende die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- jahrzehntelang Profite gemacht wurden. „Nach uns die nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Sintflut“, haben die Kohlekonzerne lange gesagt. Ich bitte die Kollegen, Platz zu nehmen, damit die Der Grundwasseranstieg muss bis zum Sankt-Nim- Rednerinnen und Redner in Ruhe debattieren können . merleins-Tag bewältigt werden, genauso wie die enor- Das gilt für alle Fraktionen . men Belastungen der Spree mit Sulfat und Verockerung Ich gebe das Wort Eva Bulling-Schröter für die Linke . durch Eiseneintrag . (Beifall bei der LINKEN) (Lachen des Abg . Ulrich Freese [SPD]) – Ich finde das überhaupt nicht lächerlich, muss ich sa- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): gen . Der Bund möchte sich hier der Verantwortung ent- ziehen . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn am Wochenende viele Menschen in die Lausitz (Thomas Jurk [SPD]: Es geht um Lasten vor fahren, um gegen Braunkohle und die Abbaggerung der 1990!) 16838 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Eva Bulling-Schröter (A) Ich sage Ihnen: Das dürfen wir nicht zulassen . Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der LINKEN) Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lie- Unser Antrag hierzu soll die Zukunft der Braunkoh- be Kollegen von den Linken, ich hätte zumindest erwar- lesanierung ab 2018 sichern, und zwar so, wie es auch tet, wenn Sie hier als Erste reden dürfen und erwähnen, bislang der Fall war . Wir dürfen nicht zulassen, dass dass Sie am Wochenende in der Lausitz sind – wenn ich Schäubles schwarze Null die Existenz der Menschen in da wäre, würde ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen –, den Braunkohleregionen zum Spielball macht . dass Sie sagen, dass „Ende Gelände“ dort nicht nur fried- liche Proteste machen will, sondern am 4 .April 2016 im Wenn wir über die Folgen des Kohleabbaus sprechen, Netz aufgerufen hat, die Autos der Mitarbeiter von Vat- muss ich Ihnen sagen, dass wir den Verkauf von Vatten- tenfall abzufackeln bzw . zu ihnen nach Hause zu gehen . falls Braunkohlesparte an das tschechische Unternehmen EPH mit Skepsis beobachten . (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Nein!) – Das können Sie nachlesen . (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unser Vorschlag ist ein Stresstest für alle Braunkohleun- Ich hätte erwartet, dass Sie sich ähnlich wie Axel ternehmen . Vogel, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag Brandenburg, klar dazu bekennen, dass man so etwas (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht machen kann . Diese Aussage hätte ich auch hier NEN]: Stresstest? Ob die genug verbrennen erwartet . können?) Denn wenn jemand auf ein Scheitern der Energiewende Vizepräsidentin Claudia Roth: wettet, dann müssen wir dem schon einmal in die Bücher Herr Schulze, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwi- schauen dürfen . schenfrage von Frau Bulling-Schröter? (Beifall bei der LINKEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Ja . Anders als noch vor zehn Jahren ist heute vielen klar, dass es so mit der Kohle nicht weitergeht . Gerade für die (B) Beschäftigten und die von der Kohle Abhängigen ist es Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): (D) wichtig, sofort mit dem Ausstieg zu beginnen, damit der Sie haben hier behauptet, dass ich im Netz aufgerufen Prozess nicht chaotisch abläuft . hätte, – (Beifall bei der LINKEN) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Das sagen alle, die solche Umbrüche bereits erlebt Das habe ich nicht gesagt . haben, im Osten wie im Westen . Ich denke, wir wollen jährlich 250 Millionen Euro für einen Fonds . Das ist (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE bekannt; das kann man alles nachlesen . Wir wollen den GRÜNEN]: Ende Gelände!) Um- und Ausstieg aktiv und verlässlich gestalten . Statt blinder Haushaltssanierung brauchen wir eine intelligen- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): te Braunkohlesanierung . – Reifen zu zerstechen . Ich möchte das dementieren . Jetzt vielleicht noch ein Satz zu den Grünen: Wir wis- Ich möchte Sie wirklich fragen, woher Sie das haben, sen, dass es in den Ländern ziemlich schwierig ist . – Da (Dagmar Ziegler [SPD]: Das hat er nicht ge- brauchen Sie nicht zu lachen . In Baden-Württemberg sagt!) wurde jetzt beschlossen, den Kohleausstieg bis 2050 zu vollziehen . Ich sage Ihnen: Es ist schwierig . Wir sollten wir hätten im Netz dazu aufgerufen und ich hätte das un- gemeinsam soziale Lösungen finden, dass das Ganze we- terstützt . Ich muss Ihnen sagen: Ich halte nichts von ge- sentlich schneller geht . walttätigen Auseinandersetzungen . Natürlich distanziere ich mich gemeinsam mit meiner Fraktion davon . Danke . (Beifall bei der LINKEN) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Dann haben Sie mich falsch verstanden . Ich habe gesagt: Ich hätte erwartet, dass man sich von diesem

Vizepräsidentin Claudia Roth: Aufruf, der am 4 .April 2016 im Netz nachzulesen war, Danke, Frau Kollegin Bulling-Schröter .– Der nächste genauso distanziert, wie es Axel Vogel von den Grünen Redner: Dr .Klaus-Peter Schulze für die CDU/CSU-Frak- gemacht hat . tion . (Zuruf von der LINKEN: Es ist kein Aufruf (Beifall bei der CDU/CSU) von „Ende Gelände“!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16839

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) So habe ich das gemeint, und ich habe es nicht auf Sie als einkommen im Tourismusbereich bei 16 000 Euro und (C) Person bezogen . das in der Kohle- und Energiewirtschaft bei 45 000 Euro . (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wer hat denn Mit einem Strukturwandelfonds, wie Sie ihn dort vor- da aufgerufen? Haben Sie sich davon distan- schlagen, ohne zu sagen, wie er letztlich finanziert wer- ziert?) den soll, werden wir diesen Wandel, so denke ich, nicht – Natürlich . schaffen . (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, persön- Wir müssen auch über andere Dinge nachdenken, zum lich?) Beispiel über eine Veränderung der Struktur der EU-För- derung oder über eine Investpauschale, die in den ersten – Auch persönlich . zehn Jahren nach der politischen Wende dazu geführt hat, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wenn Sie dass der eine oder andere Industriearbeitsplatz geschaf- das nötig haben!) fen wurde . In Ihrer Vorlage geht es unter anderem darum, dass Sie Dann sind aus meiner Sicht der Netzausbau und die mit dem Kohleausstieg einen anderen fossilen Energie- Speicher ganz wichtig . Solange wir nicht ausreichend träger als Ersatz anbieten . Es sollen zusätzliche Gaskraft- Speicher haben, um die Dunkelflaute zu überbrücken, so werke gebaut werden . Das wird gefordert, ohne zu sagen, lange können wir keinen gleichzeitigen Ausstieg aus der dass ein Gaskraftwerk natürlich wesentlich höhere Kos- Kohleverstromung und aus der Atomverstromung ma- ten als ein Kohlekraftwerk hat . Gestern hat das Energie- chen . Der Atomenergieausstieg ist besiegelt, und Koh- wirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln festge- leenergie werden wir noch so lange brauchen, bis wir stellt, dass die Mehrkosten in den nächsten 25 Jahren bis ausreichend Speicherkapazitäten haben . zum Jahr 2045 etwa 72 Milliarden Euro betragen werden . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Wo kommt denn das Gas her? 90 Prozent importie- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ren wir zurzeit . Wenn wir jetzt die Kapazitäten ausbauen, müssen etwa 25 Prozent mehr Gasimporte angestrengt werden . Diese Importe kommen mit Sicherheit nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: mehr aus Holland, weil die Gasreserven dort langsam Vielen Dank, Dr . Schulze . – Die nächste Rednerin für dem Ende entgegengehen . Die Gasimporte werden aus Bündnis 90/Die Grünen: Annalena Baerbock . Westsibirien kommen, und man wird möglicherweise im Schelfgebiet in Norwegen neue Felder erschließen müs- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) sen . NEN): (D) Ich erinnere mich an Ihren Antrag von Mai 2015, in Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dem Sie schrieben: Wir wollen keine Bodenschätze mehr Deutschland kann nicht Energiewendeland sein und im Meer gewinnen . – Sie denken auch nicht an das, was Kohleland bleiben . Diese Tatsache – so schien es – hatten passiert, wenn das Gas, über 5 000 oder 6 000 Kilometer rund um die Klimakonferenz in Paris hier in Deutschland mit 28 Verdichterstationen angetrieben, hier bei uns in im Parlament alle verstanden . Der Verkauf der Kohle- Deutschland ankommt . Auch dann gibt es Emissionen . sparte von Vattenfall hat das noch einmal unterstrichen . Ich bin der Auffassung – das habe ich hier bei Gelegen- Denn lange Zeit schien es so, als gäbe es gar keinen Käu- heit, ich glaube, schon vor einem Jahr, gesagt –: Wir fer . Jetzt gibt es einen, und der kriegt auch noch Geld sollten uns darum bemühen, alle fossilen Energieträger dafür, dass er die Kohlesparte übernimmt . zu reduzieren und sie jetzt nicht nur auf einen zu subsu- (Ulrich Freese [SPD]: Nein!) mieren; denn auch die anderen Energieträger enthalten Kohlenstoff . Methan ist ein wesentlich schlimmerer Kli- – Doch, Herr Freese . makiller als CO . 2 (Ulrich Freese [SPD]: Dann haben Sie keine Aber es geht natürlich auch um die Menschen im Re- Ahnung von Unternehmen!) vier . Ich komme aus solch einem Revier, und dort sind in 25 Jahren mehr als 80 000 Industriearbeitsplätze wegge- Die Tatsache, dass Deutschland nicht Energiewende- fallen . Es sind viele Anstrengungen vom Bund, aber auch land sein und Kohleland bleiben kann, macht aber eini- vom Land unternommen worden, dort neue Arbeitsplät- gen – auch Ihnen, Herr Freese – offensichtlich so viel ze zu implementieren . Das gelang im Brandenburger Teil Angst, mit einer Papierfabrik, die 500 Arbeitsplätze bringt, und (Ulrich Freese [SPD]: Was?) mit einem Windflügelhersteller in Lauchhammer, der auch noch einmal etwa 600 Arbeitsplätze vorhält . Das dass Ihre Regierungsfraktion bzw . Ihre Regierung heute ist das, was neu an Industriearbeitsplätzen gekommen Abend nicht etwa darüber verhandelt, wie man im Lichte ist, und das muss man meiner Meinung nach alles mit von Paris den Kohleausstieg einleiten kann, sondern wie berücksichtigen . man das Energiewendeland Deutschland kaputtmachen kann . Und das ist wirklich eine Schande, sehr verehrte Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang ist: Wie Damen und Herren . ist denn die Einkommensstruktur? Es wird ja immer gesagt, wir könnten zum Beispiel im Tourismusbereich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ersatz schaffen . In Brandenburg liegt das Durchschnitts­ sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 16840 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Annalena Baerbock (A) Sie wollen den Windausbau halbieren, Sie wollen den anwachsen . Zu unserem Antrag dazu sagte Ihr Fraktions- (C) Ausbau der Erneuerbaren auf 45 Prozent deckeln . Und vorsitzender im Brandenburger Landtag, das sei nicht wann? Im Jahr 2025 . Wir erinnern uns noch einmal an nötig; man gehe nicht davon aus, dass der neue Investor die Verpflichtung von Paris. Da heißt es: Wir müssen he- irgendwann pleitegeht, und deswegen brauche man hier raus aus den Fossilen . gar nichts zu regeln . Das ist keine verantwortungsvolle Regierungspolitik . So ist es nun mal, meine sehr verehr- Was bedeutet es denn, wenn wir den Ausbau der Er- ten Damen und Herren . neuerbaren auf 45 Prozent deckeln? Das bedeutet, dass wir im Jahr 2025 55 Prozent Fossile im Netz haben . Und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das ist Ihre Antwort auf Paris? Das kann einfach nicht sein, meine sehr verehrten Damen und Herren . Ich erwähne das hier, weil dieser Punkt wahnsinnig wichtig wird, wenn wir über den zweiten Antrag reden, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nämlich den zur Tagebausanierung . Diesen Antrag un- Vielleicht ist deswegen die Bundeskanzlerin ja auch terstützen wir . Da geht es darum, dass die Altlasten der gar nicht erst nach New York gefahren, um diesen Ver- DDR-Tagebaue gesichert werden müssen . Nach 2017 trag zu unterschreiben; denn sie hätte ihn nämlich dann will das Finanzministerium kein Geld mehr bereitstel- mit einer Pinocchio-Nase unterschreiben müssen . Statt- len; das Bundesumweltministerium, so hören wir, will es dessen ist Frau Hendricks gefahren, und ich frage wirk- tun . Aber es macht doch nur Sinn, dass der Bund und lich – ich sage das, auch wenn sie jetzt nicht anwesend der Steuerzahler für Altlasten zahlen, wenn man unter- ist, aber Sie, Herr Pronold, sind hier – Sie, Herr Pronold, scheiden kann: Sind das Altlasten der DDR, oder sind das wo ist der Aufschrei Ihres Hauses am heutigen Abend, Braunkohleschäden der neuen Tagebaue? wenn der Energiewende die Beine abgehackt werden können? Das heißt, die Bedingung für eine solche Finanzierung muss sein, dass Sie sicherstellen, dass es keine neuen Ta- Es kann nicht sein, dass Ihr Haus fordert, der Koh- gebaue mehr gibt; denn sonst kommt es zu einer Vermi- leausstieg müsse kommen – das steht in Ihrem Klima- schung, wie wir sie in Briesen haben . Da sagt jetzt näm- plan –, und gleichzeitig sagen Sie am heutigen Tag nichts lich die LMBV, also die öffentliche Hand: dazu . Das geht einfach nicht . (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Antrag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lesen!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen ist der Antrag absolut richtig, den Kohleaus- Wir können hier leider keine Maßnahmen gegen die Verockerung der Spree finanzieren; das ist alles Schuld (B) stieg einzuleiten . (D) der aktiven Tagebaue von Vattenfall .– Vattenfall sagt: Aber, liebe Eva Bulling-Schröter, wenn das hier schon Das ist alles Schuld der DDR-Tagebaue .– Am Ende steht so explizit angesprochen wird, was man denn in Bran- das Wasserwerk da, das demnächst eine Warnung heraus- denburg alles macht, und dann auch noch eine Veranstal- gibt: Liebe Frankfurterinnen und Frankfurter, es tut uns tung zum Kohleausstieg in Cottbus macht, aber nichts zu leid; die Sulfatbelastung Ihres Trinkwassers ist so hoch, dem Verkauf Vattenfall an EPH sagt – – dass Sie es Säuglingen nicht mehr geben können . – Da- (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Habe her geht das nicht . ich gemacht! – Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Unser Antrag zur Finanzierung der Sanierung der Das kam danach!) Braunkohleschäden aus der DDR-Zeit beinhaltet die – Ach ja . Und die Landesregierung? Was hat die denn Forderungen: keine neuen Tagebaue und Sicherung der dazu gesagt? Warum gibt es denn dann keine Auflage, Rückstellung .– Vielleicht kommen wir in der Debatte dass der neue Käufer keine neuen Tagebaue erschließen hier noch zusammen . Das würde mich sehr freuen . kann? Warum gibt es die nicht? Bei den Verlängerungen der Betriebsgenehmigungen könnte man das machen .– Herzlichen Dank . Gut, Sie kamen mit dem Beispiel Baden-Württemberg, aber wir reden hier über Braunkohle . Man sollte das also (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vielleicht mit NRW vergleichen . Da haben sich die Grü- nen und der Minister dafür eingesetzt, dass es nicht neue Vizepräsidentin Claudia Roth: Tagebaue gibt, sondern eine Reduzierung . Lieber Herr Vaatz, machen Sie sich mal keine Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) danken . Hier wird mit der Redezeit sehr gerecht umge- gangen . Ich kann Ihnen einige Ihrer Kollegen nennen, Also, man kann auch als kleiner Koalitionspartner die deutlich überzogen haben . Keine Sorge! Wir passen etwas erreichen; aber man muss den Mund aufmachen schon auf, dass es gerecht zugeht . – So . und darf nicht agieren wie Ihr Fraktionsvorsitzender im Brandenburger Landtag auf einen Antrag von uns hin, in Nächster Redner: Thomas Jurk von der SPD . dem wir gefordert haben, die Rückstellung für die Tage- bausanierung, die wir brauchen – das haben Sie ja selber (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ gesagt –, über § 56 des Bundesberggesetzes sicherzustel- CSU) len . Wir wissen ja von den Atomrückstellungen, dass sol- che Rückstellungen nicht einfach irgendwo lagern und Vorsicht! Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16841

(A) Thomas Jurk (SPD): bereitschaft überführt werden . Das heißt, wir kommen (C) Muss ich jetzt vor Ihnen Angst haben? Frau Roth, also zum Braunkohleausstieg . wirklich! Es ist aber dennoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir gerade auch für unser Energiesystem Versorgungssi- Vizepräsidentin Claudia Roth: cherheit und Systemstabilität brauchen . Nein, Herr Jurk . (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen kappen Sie den Wind?) Thomas Jurk (SPD): Ich hielte es, Frau Kollegin Baerbock, weil Sie ja reinru- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten fen, für einen Rückgriff auf das Sankt-Florians-Prinzip, Damen und Herren! Es ist kaum drei Wochen her, dass wenn wir in den Zeiten, wo kein Wind weht und keine bekannt wurde, dass die Braunkohlesparte von Vattenfall Sonne scheint – – wahrscheinlich an den tschechischen Energiekonzern EPH – zusammen mit einem Finanzinvestor namens (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- PPF – gehen wird . Ich sage Ihnen ganz ehrlich: In der NEN]: Ah! Jetzt kommt die Nummer wieder! – Region hat damit eine Hängepartie von etwa zwei Jahren Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ein Ende gefunden . Die Menschen sind sehr unsicher . Sie Alte Leier! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ sind von der Energiepolitik sicherlich auch nicht immer DIE GRÜNEN]: Die alte Leier! – Zurufe von begeistert gewesen . Ich merke das bei Einwohnerver- der LINKEN): Och!) sammlungen . Deshalb ist es wichtig, dass man mit dem – Entschuldigung, aber es ist doch die Wahrheit . Das ist anstehenden Verkauf und mit Blick auf den Erwerber keine alte Leier . Hoffnungen, Erwartungen und auch Forderungen ver- bindet; das tue ich übrigens . Wir müssen wissen, welche (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Absichten EPH verfolgt und was auf uns zukommt . An- NEN]: Doch!) dererseits kennen wir EPH bereits aus dem mitteldeut- schen Revier, von der MIBRAG . Insofern kann man sich Wollen Sie dann Strom aus Kernkraft aus Frankreich und da schon bestimmte Vorstellungen machen . Tschechien importieren oder Kohlestrom aus Polen? Das ist doch die Realität . (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, geschlossen! – Gegenruf des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abg . Ulrich Freese [SPD]: Frau Baerbock, das der CDU/CSU – Zuruf des Abg . Christian habe ich Ihnen doch erklärt!) Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) NEN]) (D) – Ich schaue da ganz genau hin . Ich mache das schon seit zweieinhalb Jahrzehnten, Frau Kollegin . – Sie rufen rein . Danke, dass Sie das bestätigen . Genau das ist Ihre Absicht, und das finde ich eine unredliche Mit Blick auf das, was sich möglicherweise an De- Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren . monstrationen am Wochenende abspielen wird, bitte ich alle, die in die Lausitz kommen und dort nicht zu Hause (Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/ sind, ganz herzlich: Gehen Sie einmal von Gehöft zu Ge- DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi- höft . Reden Sie mit den Leuten . Sprechen Sie beispiels- schenfrage) weise mit den 230 Einwohnern des Ortsteils Mühlrose der Gemeinde Trebendorf . Ich habe die vor acht Wochen Vizepräsidentin Claudia Roth: gefragt, was ihr sehnlichstes Ziel ist . Sie wollen weg . Sie Herr Jurk, erlauben Sie eine Zwischenfrage? wollen ihren Heimatort verlassen . Das ist die Wahrheit . (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Thomas Jurk (SPD): GRÜNEN]: Weil abgebaggert werden soll!) Ich gestatte heute keine Zwischenfrage . Und: Sie wollen Planungssicherheit . Ich verbinde mit (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE der anstehenden Übertragung der Braunkohlesparte in GRÜNEN]: Ha!) der Lausitz die Hoffnung, dass die Menschen tatsächlich in die Orte umgesiedelt werden, die seit etwa zehn Jahren Vizepräsidentin Claudia Roth: angepeilt sind; es gibt nämlich Umsiedlungsstandorte . Gut . (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollen aber bleiben!) Thomas Jurk (SPD): Was die Zukunft der Braunkohle anbetrifft, so erleben Ich habe keine Angst vor der Debatte . Die kann ja im wir – das muss ich Ihnen ehrlich sagen – einen schmerz- Ausschuss geführt werden . Ich kann ja gerne mit dazu- haften Prozess, auch mit Blick auf Arbeitsplätze, natür- kommen . lich . Wir haben das 1990 und in den Folgejahren erlebt, (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ und wir nehmen heute zur Kenntnis, dass der Ausstiegs- DIE GRÜNEN]: Ist halt nicht öffentlich!) pfad geebnet zu sein scheint . Wenn man in den Entwurf des Strommarktgesetzes schaut, dann stellt man fest, – Wir können auch öffentlich diskutieren . Wissen Sie, welche Kraftwerksblöcke sukzessive in die Sicherheits- Sie können öffentlich mit den Menschen in der Region 16842 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Thomas Jurk (A) darüber reden, und dann können Sie die Meinung aus- Meine zweite Frage ist: Wenn Sie sich so sorgen, dass (C) tauschen . wir zu wenig Strom in Deutschland erzeugen, wie stehen Sie dann dazu, dass die Bundesregierung die 4 Gigawatt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zubau pro Jahr bei der Windenergie halbieren will? Wie der CDU/CSU) stehen Sie zu der Deckelung bei den erneuerbaren Ener- Ein Wort ist mir dennoch wichtig, weil Sie einen gien, wenn Ihre Sorge ist, dass wir zu wenig Strom in wichtigen Punkt angesprochen haben . Deutschland erzeugen würden? (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: – Können Sie mal zuhören? Herr Jurk, Sie haben natürlich das Wort . (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: He! Können Sie mal still sein? – Thomas Jurk (SPD): Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr verehrte Frau Kollegin, die Sache mit dem Deswegen reden wir ja dazwischen, weil wir Blackout ist ja nicht so dahergeredet . Sie sprechen da- Ihnen zuhören müssen!) von, dass wir ein Exportland sind . Das sind wir nicht zu jeder Zeit . Wir müssen auch an die Zeiten denken, in de- Es geht um die Zukunft der Braunkohlesanierung in Ost- nen wir das gerade nicht sind . deutschland . Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war teuer, aber es war dringend notwendig – nach (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundesberggesetz und seit 1992 im Verwaltungsabkom- der CDU/CSU) men zwischen Bund und Ländern geregelt . Wir haben Der zweite wichtige Punkt ist: Ich glaube, unter Rot- über 10 Milliarden Euro für dringend notwendige Zwe- Grün hat die Erfolgsgeschichte des Ausbaus der erneuer- cke eingesetzt . Mein herzlicher Wunsch ist – daran ar- baren Energien begonnen . beiten wir in der Koalition –, dass die bewährte Partner- schaft zwischen Bund, ehemals Bergbautreibenden und (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE noch aktiv Bergbautreibenden beibehalten wird, auch GRÜNEN]: Und?) hinsichtlich alter und künftiger Finanzierungsschlüssel . Wir sind mittlerweile bei einem Anteil von 33 Prozent . Die Aufgabenstellung, die die Kolleginnen von der Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass der Opposition hier benannt haben, ist völlig richtig . Wir Strompreis enorm angestiegen ist, auch ohne Berück- müssen die Verockerung und die Sulfatbelastung der sichtigung der Einspeisevergütung . Ich meine, das war ja Spree zur Kenntnis nehmen . Wir haben das Thema von auch der Sinn dieser Maßnahme (B) (D) Rutschungen und natürlich auch des Grundwasseranstie- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ges . Wir haben sinnvolle Instrumente entwickelt . Da bitte NEN]: Er ist gesunken! – Bernd Westphal ich ganz herzlich, dass wir das fortführen . Ich denke, das [SPD]: Zuhören müsst ihr schon! Dann kann sind wir den Menschen in der Region schuldig, den Men- er antworten! – Josef Göppel [CDU/CSU]: schen übrigens, die bleiben und nicht bloß zu Pfingsten Seit drei Jahren fällt er! Herr Jurk, seit drei da sein werden . Manch andere, die heute kommen, wer- Jahren fällt er!) den wieder gehen . Da bitte ich ganz einfach: Sie sollen alle mit den Menschen sprechen und erfahren, wie die – Der Rohstrompreis fällt . Situation in der Region ist . Ich wünsche Ihnen ein herzliches Glückauf! Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Jurk hat jetzt das Wort . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Jurk (SPD): Aber dank EEG-Umlage, dank staatlicher Abgaben Vizepräsidentin Claudia Roth: und Steuern steigt der Strompreis . Das müssen wir zur Vielen Dank, Kollege Jurk . – Das Wort zu einer Kurz- Kenntnis nehmen . Deshalb müssen wir die Ausstiegs- intervention hat die Kollegin Baerbock – für eine Kurz- phase so gestalten, dass das alles noch bezahlbar bleibt, intervention . dass wir alle noch wettbewerbsfähig sind . Das müssten auch Sie verstehen . Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – NEN): Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank, Herr Jurk .– Da Sie ja betont haben, wir GRÜNEN]: Und Sie subventionieren die sollen keine Ängste schüren, möchte ich auch Sie bitten, Braunkohlefolgelasten!) keine Ängste zu schüren . Jetzt kam ja wieder das Argu- ment des Blackouts . Ist Ihnen bewusst, dass Deutschland Vizepräsidentin Claudia Roth: Strom exportiert, dass wir abregeln müssen, weil wir zu Jetzt hat Michael Kretschmer für die CDU/CSU-Frak- viel Strom im Netz haben? Das heißt, die Debatte darü- tion das Wort . ber, dass es zu wenig Strom gäbe, ist definitiv vorbei. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir ein Exportland von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Strom sind? ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16843

(A) Michael Kretschmer (CDU/CSU): Auf die Frage, wie es sich auf die Menschen in der (C) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Lausitz und im mitteldeutschen Revier auswirkt, muss Herren! Es ist erschreckend, wie Linkspartei und Grüne man ganz klar sagen: Die Leute in Trebendorf, in Schlei- bei dieser Debatte volkswirtschaftliche Vernunft, Inte- fe, in Rohne wollen als allerletztes diesen Demotouris- resse der Menschen, Notwendigkeiten, die aus Technik mus, der für dieses Wochenende angekündigt worden ist . und Naturwissenschaften kommen, unterbuttern und ihre eigene Ideologie über alles stellen . (Zuruf von der LINKEN: Wir haben aber Versammlungsfreiheit!) (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Jeder, der dort hinfährt und sagt: „Wir beobachten das“, GRÜNEN) der soll ganz genau beobachten, ob diejenigen, die kom- men, sich anständig verhalten, ob sie sich an Recht und Das Erneuerbare-Energien-Gesetz verursacht derzeit Gesetz halten oder ob sie Gewalt gegen Sachen und Kosten von jährlich 24 Milliarden Euro, Menschen anwenden, so wie das häufiger bei solchen (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Demonstrationen der Fall ist . Wenn im Internet dazu auf- GRÜNEN]: Also halten Sie nichts vom Pari- gefordert wird – das kann man dort lesen –, gegen Vat- ser Klimavertrag?) tenfall-Mitarbeiter vorzugehen, auch privat, ihre Autos anzugreifen, sich zu merken, wo die Leute wohnen, dann ein Wohlstandsverbrauch, der jedes Jahr auf dem Rücken ist das nicht anständig . Wenn man sich in einem Antrag der Verbraucher und der kleinen Leute ausgetragen wird . zu dieser Demonstration bekennt und sagt: „Da fahren Jeder weiß, wenn wir jetzt aus der Braunkohle ausstei- wir hin“, dann ist es das Mindeste, dass man diesen Punkt gen, so wie es in den Anträgen steht, über die wir jetzt ganz klar und dezidiert benennt . hier beraten, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Thomas Jurk [SPD] – Zurufe von der LIN- GRÜNEN]: Wir haben ein ganz anderes Pro- KEN) gramm! Haben Sie das nicht gelesen?) wird diese Summe sofort auf 30 Milliarden Euro pro Jahr Ich sage Ihnen deutlich: Diejenigen, die zu uns in die steigen und das für mindestens 20 Jahre, meine Damen Lausitz kommen, um dort Menschen anzugreifen oder und Herren . Dinge zu beschädigen, sollen sich auf einen längeren Aufenthalt in der Oberlausitz einrichten . (Ulrich Freese [SPD]: 600 Milliarden Euro!) (B) (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (D) Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität GRÜNEN]: Das ist jetzt übertrieben!) zu Köln hat ausgerechnet: Der Ausstieg aus der Braun- kohle kostet 70 Milliarden Euro . Ich glaube, diese Zahl Die Letzten, die vor drei Wochen dort waren, sitzen noch reicht bei weitem nicht, sie wird doppelt so hoch sein . jetzt in der Justizvollzugsanstalt . (Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zwischenfrage) Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Ich finde das genau richtig. Bei uns wird mit aller Här- Vizepräsidentin Claudia Roth: te des Gesetzes gegen solche Kriminellen vorgegangen, Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage? meine Damen und Herren . (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer Michael Kretschmer (CDU/CSU): [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das? Später .– Deswegen ist es eine Frage der Vernunft und Können Sie mir erklären, was Sie hier erzäh- der Redlichkeit, wenn wir über das Thema Braunkoh- len? – Zurufe von der LINKEN) le so reden, wie es gemäß Technik und Volkswirtschaft notwendig ist . Wir brauchen diesen heimischen Energie- In einem der vorliegenden Anträge geht es auch da- träger, damit die Energiekosten nicht durch die Decke rum, die Braunkohlesanierung durch die Lausitzer und gehen . Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, also LMBV, fortzusetzen . Es geht um die Frage: Wie geht (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE man mit der zukünftigen Renaturierung und dem Struk- GRÜNEN]: Wie lange denn?) turwandel um? Hier sind zwei Sachen ganz wichtig . Und wir brauchen den Ausbau der Erneuerbaren nur in dem Maße, wie der so produzierte Strom auch vom Ver- Wer über Strukturwandel redet, dem muss die Größe braucher verbraucht werden kann . Diese Produktion auf der Aufgabe klar sein . Teufel komm raus muss endlich ein Ende haben, meine Damen und Herren . (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, jetzt auf einmal doch Strukturwan- (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom del! Eben wollten Sie noch die Kohle für im- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mer!) 16844 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Michael Kretschmer (A) Das steht in den Anträgen aber an keiner Stelle geschrie- Das, was wir heute erleben, ist ein Landschaftsverbrauch, (C) ben . der anstrengend ist . Er ist, wenn man ihn sieht, auch nicht schön, aber er wird von den Menschen in der Region ge- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE tragen, weil sie wissen, dass sie etwas für dieses Land GRÜNEN]: Ich denke, wir reden über die Ta- leisten gebausanierung!) (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- 700 Millionen Euro gibt Vattenfall jedes Jahr an Kauf- NIS 90/DIE GRÜNEN) kraft in die Lausitz . und er notwendig ist, damit es in dieser Region auch (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE wirtschaftlich weitergehen kann . GRÜNEN]: Die Gewerbesteuer fordern sie gerade zurück, und zwar für die letzten zwei Deswegen sage ich deutlich: Hören Sie auf, zu pola- Jahre komischerweise!) risieren! Stellen Sie sich den wirtschaftlichen, aber auch den ökologischen Notwendigkeiten, und betreiben Sie Damit sind nicht die Zahlungen an die Mitarbeiter ge- keine Politik im Wolkenkuckucksheim! meint, die im Kraftwerk oder in der Grube arbeiten, sondern damit sind Aufträge in die Region gemeint . Wer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Strukturwandel will, der muss einen Ersatz für 700 Mil- Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE lionen Euro Kaufkraft schaffen, GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfra- ge) (Zurufe der Abg . Birgit Wöllert [DIE LINKE] und Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Vizepräsidentin Claudia Roth: die jetzt beim Bäcker, beim Fleischer, in der Kfz-Werk- Herr Kretschmer, gestatten Sie jetzt eine Zwischen- statt und anderswo ankommt . frage?

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Michael Kretschmer (CDU/CSU): GRÜNEN]: Reden Sie einmal mit der IHK!) Vielen Dank . Wenn wir wollen, dass diese Region wirklich eine Chance hat, dann geht es um 700 Millionen Euro pro (Beifall bei der CDU/CSU) Jahr . Es ist klar, wenn man diese Zahl nennt, dass das nicht von heute auf morgen geschieht, dass es mindestens (B) Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) 30, 40 Jahre braucht, Gut, keine Zwischenfrage mehr .– Danke schön, Herr (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Kollege Kretschmer . GRÜNEN]: Ja, damit widersprechen Sie dem Letzter Redner in dieser lebendigen Debatte: Ulrich Pariser Klimavertrag! Stimmt!) Freese für die SPD . wenn diese Region nicht vor die Hunde gehen soll . Des- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wegen ist unser Ziel eine Planungssicherheit für den In- der CDU/CSU) vestor, aber vor allen Dingen für die Menschen in der Oberlausitz und in Brandenburg, Ulrich Freese (SPD): (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! GRÜNEN]: Ach, ja? Vier Jahre Planungssi- Es ist für jemanden wie mich eine doch etwas schwer cherheit für die Beschäftigten!) erträgliche Diskussion . damit sie sich auf diesen Strukturwandel einstellen kön- nen . Wir stehen dafür . Deswegen setzen wir uns dafür (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ein . Nicht nur für Sie! – Oliver Krischer [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Für uns auch!) Wir setzen uns auch für das sechste Verwaltungsab- kommen für die Braunkohlerenaturierung ein . Die Ver- Seit 26 Jahren und 25 Tagen stecke ich mittendrin im wüstung, von der hier die Rede war, meine Damen und Strukturwandel – im Strukturwandel der Bergbau- und Herren, ist in der DDR passiert, Energiewirtschaft, der Glasindustrie, der Textilindustrie und der chemischen Industrie in Ostdeutschland . Wenn (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Sie einen Strukturwandel im Bergbau anmahnen, dann GRÜNEN]: Ach Gott! Und jetzt gibt es keine vergessen Sie, dass wir seit 26 Jahren Strukturwandel ha- Tagebaue mehr?) ben . 26 Jahre Strukturwandel! und zwar in einer unmöglichen Art und Weise . Die DDR (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu- hat Raubbau an der Natur betrieben, wie es nicht schlim- rufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ mer sein könnte . DIE GRÜNEN) (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ist ja auch erst Ich kann Ihnen jeden einzelnen Tagebau nennen, der 26 Jahre her!) stillgelegt worden ist . Ich kann Ihnen jedes Kraftwerk Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16845

Ulrich Freese (A) nennen, das stillgelegt oder durch ein neues Kraftwerk Ulrich Freese (SPD): (C) ersetzt worden ist . Sie fordern, dass alle Kohlekraftwerke bis 2035 still- gelegt werden sollen . (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kann ich im Ruhrgebiet auch nennen, die (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Zechen! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Richtig!) DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg . Thomas Das heißt, 67 Standorte – 35 davon Standorte mit Jurk [SPD]: Zuhören!) Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen – mit insgesamt Ich kann Ihnen 49 Brikettfabriken nennen . Ich kann Ih- 51 000 MW elektrischer Leistung und 14 000 MW ther- nen aber auch Zehntausende Menschen nennen, die ihre mischer Leistung wollen Sie stilllegen, und Sie wissen Arbeit verloren haben, die ihre berufliche Perspektive gar nicht, wie Sie dann Versorgungssicherheit, Preissta- verloren haben und in der Region keine Zukunftsper­ bilität usw . garantieren könnten . spektive mehr finden konnten. 300 000 Bürgerinnen und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Bürger haben wegen dieses Strukturwandels, der tiefe CDU/CSU – Abg . Peter Meiwald [BÜND- Strukturbrüche hinterlassen hat, die Lausitz verlassen NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer müssen . Die Städte sind kleiner geworden, haben große Zwischenfrage) Infrastrukturen, müssen zurückgebaut werden und kön- nen heute kaum geradeaus gucken und einigermaßen or- Sie würden in erheblichem Maße dazu beitragen, dass dentlich überleben . unsere Abhängigkeit von Rohstoffimporten zunimmt. Wir sind jetzt schon in hohem Maße von Importen ab- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE hängig – Steinkohle importieren wir zu 87 Prozent, Gas GRÜNEN]: Ja, das ist in der Prignitz oder zu 90 Prozent, wir importieren Öl und Kernbrennstoffe . in der Uckermark auch so! – Oliver Krischer (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie, NEN]: Das wollen wir ja nicht mehr! Wir wol- das lässt sich aufhalten?) len Erneuerbare! Haben Sie das immer noch Wir Sozialdemokraten stehen zu unserem Koalitions- nicht begriffen?) vertrag . In diesem Koalitionsvertrag haben wir uns zu Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Umweltver- Vizepräsidentin Claudia Roth: träglichkeit bekannt . Dementsprechend haben wir auch Herr Freese, erlauben Sie eine Zwischenfrage? die Energiepfade geordnet und die Energieversorgung (B) auf vernünftige Beine gestellt . (D) Ulrich Freese (SPD): (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Krischer, Sie haben ein Problem: NEN]: Davon sehe ich aber nichts!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein, Sie! Sie haben ein Kohlepro­ Wir bekennen uns auch klar und deutlich zum Ausbau re- blem!) generativer Energien . Die Ziele sind klar: 2025 haben wir 40 bis 45 Prozent, 2035 50 bis 60 Prozent, 2050 80 Pro- Sie sind ideologisch verklemmt und wollen nicht mit zent regenerative Energien . Das heißt, dass wir nach und Menschen zusammenarbeiten, nach Kohle, Gas und Öl aus der Verstromung nehmen werden . (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die rational und vernünftig den Industriestandort in eine (Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock neue Zukunft hineinführen wollen . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann fängt denn Ihr „nach und nach“ an?) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .

Deswegen ist die Diskussion um einen Kohleausstieg, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die Sie heute hier führen wollen, eine Phantomdiskus- sion; denn wir betreiben den Strukturwandel seit 26 Jah- Vizepräsidentin Claudia Roth: ren . Herr Freese, damit lassen Sie also keine Zwischenfra- ge zu? (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Das stimmt so nicht! Sie wollen noch 100 Jahre Kohle ha- ben!) Ulrich Freese (SPD): Nein, die Redezeit ist doch abgelaufen . Ich will einmal die Dimension aufzeigen, die hinter Ihrem Antrag steckt – wenn Sie, Frau Präsidentin, mir ein Vizepräsidentin Claudia Roth: bisschen Zeit lassen . Ich hätte aber eine Zwischenfrage zugelassen, wenn Sie es gewollt hätten . Sie wollten aber nicht . Gut . Also Vizepräsidentin Claudia Roth: keine Zwischenfrage . 30 Sekunden . Damit schließe ich jetzt diese Aussprache . 16846 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Kritikerinnen und Kritiker des türkischen Regierungs- (C) den Drucksachen 18/8131, 18/8112 und 18/8396 an die kurses sind massiver Repression ausgesetzt . Ich kann in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- mich deshalb nur aus vollem Herzen dem offenen Brief schlagen .– Sie sind damit einverstanden . Dann sind die von Noam Chomsky und anderen anschließen . Sie for- Überweisungen so beschlossen . dern UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf, den Gipfel an einem anderen Austragungsort stattfinden zu lassen. Es gibt noch einen weiteren Tagesordnungspunkt, den Die Türkei ist unter den jetzigen politischen Bedingun- ich aufrufe, wenn die Kolleginnen und Kollegen, die gen ein denkbar unpassender Gastgeber . diesen Tagesordnungspunkt bestreiten, Platz genommen haben . – Gut . (Beifall bei der LINKEN) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Leider sieht es so aus, dass die Fragen von Hilfen für Menschen in Not in Istanbul nicht wirklich konsequent Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette verfolgt werden . Das jedenfalls befürchtet die Hilfsorga- Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer nisation Ärzte ohne Grenzen . Sie hat deshalb ihre Teil- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE nahme abgesagt . Sie verweisen zu Recht darauf, dass hu- Willy-Brandt-Korps für eine solidarische hu- manitäre Hilfe unparteilich und unabhängig sein muss . manitäre Hilfe Deswegen verbietet sich jegliche Instrumentalisierung . Drucksache 18/8390 (Beifall bei der LINKEN) Überweisungsvorschlag: Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Been- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) digung zivil-militärischer Zusammenarbeit zum Schutz Auswärtiger Ausschuss von Hilfe und Helfern . Deswegen schlägt die Linke vor, Innenausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und logistische Hilfe zukünftig nicht mehr durch die Bundes- ­Entwicklung wehr, sondern durch eine unabhängige Instanz zu orga- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union nisieren. Transportflugzeuge, Hubschrauber und Schiffe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sowie Logistikzentren und weitere Infrastruktur sind not- die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- wendige Voraussetzungen, um in Katastrophengebieten nen Widerspruch, sehe auch keinen . Dann ist das so be- schnell helfen zu können. Häufig stehen diese und andere schlossen . Gerätschaften nur Militärs zur Verfügung . Das wollen wir ändern, Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Redne- rin Inge Höger für die Linke das Wort . (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) (Beifall bei der LINKEN) und zwar durch die Aufstellung eines zivilen Willy- Brandt-Korps für internationale Katastrophenhilfe .

Inge Höger (DIE LINKE): Humanitäre Hilfe ist kein Almosen . Die Staaten, die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern sich in Istanbul treffen, haben internationale Konven- wurde die aktuelle Zahl der Binnenflüchtlinge veröffent- tionen unterzeichnet, die die Wahrung der Rechte von licht . Fast 41 Millionen Menschen – so viel wie noch Flüchtlingen und die Gewährung von ausreichender nie – sind innerhalb des eigenen Landes auf der Flucht . humanitärer Hilfe zur Pflicht machen. Deswegen muss Zusätzlich suchen 20 Millionen Menschen jenseits ihrer an dieser Stelle auch gesagt werden, dass die Deals zwi- Landesgrenzen Zuflucht. Die weltweite humanitäre Not- schen der EU und der Türkei zur Abschottung gegen lage ist unübersehbar. Die Menschen fliehen vor Krieg, Flüchtlinge einen Verstoß gegen universelle Menschen- Armut und Hunger . Die Kriege und Bürgerkriege im rechte und das Völkerrecht darstellen . Der absolute Man- Irak, in Syrien, im Jemen und in Afghanistan sind auch gel an Menschlichkeit, der sich in diesen Deals zeigt, ist eine Konsequenz der Interventionspolitik, der Bündnis- unerträglich . politik und der Rüstungsexporte der Industrienationen . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Auch die zahlreichen Angriffe auf Krankenhäuser und Auch der Klimawandel, das Produkt einer rücksichtslo- medizinisches Personal sind eine Verletzung fundamen- sen Industriepolitik der Wirtschaftsmächte – wir hatten taler Regeln des Völkerrechts . Im letzten Jahr wurden al- ja gerade das Thema –, zwingt immer mehr Menschen lein 75 Krankenhäuser bombardiert, die von Ärzte ohne zur Flucht vor Dürre und Fluten . Schon allein diese Tat- Grenzen betrieben oder unterstützt wurden . Ob in Afgha- sachen sollten rechtzeitige und umfassende Hilfe für die nistan, im Jemen oder in Syrien: Die Angreifer werden betroffenen Menschen zur Selbstverständlichkeit ma- nicht ernsthaft aufgeklärt . Die internationale Fact-Fin- chen . ding-Kommission, die in solchen Fällen ermitteln soll, wird nur von der Schweiz unterstützt . (Beifall bei der LINKEN) Die Fraktion Die Linke hat in ihrem Antrag eine gan- Es ist deshalb gut, dass die humanitäre Hilfe nun ze Reihe von konkreten Maßnahmen aufgelistet, die Anlass eines Weltgipfels ist . Allerdings ist der Austra- dazu beitragen können, die humanitäre Hilfe deutlich gungsort Istanbul ein Problem . An der türkisch-syrischen zu stärken. Dazu gehört eine deutlich bessere finanziel- Grenze wird auf fliehende Kinder geschossen, in den kur- le Ausstattung von internationalen Hilfsorganisationen dischen Gebieten der Türkei herrscht Bürgerkrieg, und wie dem Welternährungsprogramm ebenso wie die um- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16847

Inge Höger (A) fassende Unterstützung von lokalen Organisationen . Wir Wovon rede ich? Es entbehrt nicht einer gewissen Iro- (C) werden den Ausgang des Weltgipfels daran messen, ob nie, dass die Fraktion Die Linke im März dieses Jahres konkrete Schritte zu einer wirklichen Verbesserung der in diesem Haus gefordert hat, den 8 . Mai in der Termino- humanitären Hilfe gemacht werden . logie des verstorbenen Altbundespräsidenten Weizsäcker als „Tag der Befreiung“ zu einem gesetzlichen Gedenk- Vielen Dank . und Feiertag zu machen – das ist übrigens eine durchaus (Beifall bei der LINKEN) nachdenkenswerte Idee –, und die gleiche Fraktion nun in dem vorliegenden Antrag die Bundesregierung dazu auffordert – das steht gleich im ersten Punkt –, Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Höger .– Nächster Redner in die internationale Verantwortung Deutschlands aus- der Debatte: Frank Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion . schließlich mit zivilen Mitteln wahrzunehmen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . (Beifall bei der LINKEN – Inge Höger [DIE Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD]) LINKE]: Gute Forderung!) Lassen wir das einen Moment wirken; ein Freund von Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): mir würde sagen: auf der Festplatte zergehen lassen . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Hier wird nicht gefordert, zuerst alle diplomatischen Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie und zivilgesellschaftlichen Instrumente zu nutzen . Hier mich zu Beginn meiner Rede kurz die ersten Sätze des wird auch nicht betont, dass bundesdeutsche Institutio- Antrags der Linken vorlesen: nen, staatliche und nichtstaatliche, besser auszustatten sind . Nein, das kleine Adjektiv „ausschließlich“ besagt Der erste Humanitäre Weltgipfel . . ganz deutlich: Die internationale Verantwortung der – Sie haben gerade darauf hingewiesen, Frau Höger – Bundesrepublik soll zukünftig ohne die Bundeswehr wahrgenommen werden; jedes militärische Eingreifen im Mai 2016 in Istanbul findet vor dem Hintergrund wird ausgeschlossen . großer Herausforderungen an die internationale hu- manitäre Hilfe statt . In den Jahren 2012 bis 2015 hat (Beifall bei der LINKEN – Kathrin Vogler sich der Bedarf der humanitären Hilfe auf 20 Milli- [DIE LINKE]: Sehr gut zitiert! Schön, dass arden US-Dollar verdoppelt und auch die Anforde- Sie unseren Antrag gelesen haben!) rungen an die Ausgestaltung der humanitären Hilfe Meine sehr geehrten Kollegen, bei Widersprüchlern sind gewachsen . helfen Argumente kaum . Wir feiern am 8 . Mai einen (B) (D) Es folgen dann einige Zahlen zum Thema Flucht . militärischen Sieg der Alliierten über Nazideutschland, machen daraus möglicherweise sogar einen gesetzlichen Sie als Fraktion heben damit ein Thema auf die Tages- Feiertag und verweigern zugleich den Menschen, die ordnung, das uns in den letzten Jahren immer wichtiger Opfer bewaffneter Rebellengruppen werden, unsere Hil- geworden ist, je länger wir uns damit beschäftigt haben . fe? Wir verschließen unsere Augen vor ethnischen Säu- Unter unserem Ausschussvorsitzenden Michael Brand berungen? Wir sollen zusehen, wenn Diktatoren ihren und unter Ermutigung des Kollegen Strässer, als er noch Nachbarstaaten den Krieg erklären? Menschenrechtsbeauftragter war, und unter Mithilfe der Grünen ist die humanitäre Hilfe im Ausschuss – das (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Wollen Sie jetzt werden Sie sicher bestätigen – ein Stück weit aus ihrem in jeden Krieg mit der Bundeswehr eingrei- Schattendasein herausgetreten und zum Schwerpunkt- fen? Was soll das denn jetzt?) thema geworden . Zwei Anhörungen in dieser Legisla- Das ist meines Erachtens absurd, widersinnig und ent- turperiode mit hochrangigen Experten haben deutlich behrt jedes aufrichtigen politischen Willens, wirkliche gezeigt, dass humanitäre Hilfe auch neu gedacht werden Verantwortung menschenrechtlich und völkerrechtlich muss . Die Verantwortung der Weltgemeinschaft für die tragen zu wollen . Beseitigung von Fluchtursachen mit einer entsprechen- den finanziellen Ausstattung wurde betont. Auch wurde (Beifall der Abg . Dagmar Ziegler [SPD]) gefordert, das Ineinandergreifen unterschiedlicher In- So ist der eigentlich sehr charmante Gedanke eines hu- strumente, etwa der humanitären Hilfe auf der einen und manitären Korps hinfällig; denn Ihnen geht es hier in ers- der Entwicklungszusammenarbeit auf der anderen Seite, ter Linie offensichtlich nicht um humanitäre Hilfe . Durch zu stärken . Da haben wir noch eine Menge vor uns . die Hintertür kommt es vielmehr, was ich vollkommen In diesem Sinne wäre auch Ihr Antrag, der eine Reihe ablehne, zu einer unzulässigen Diskreditierung unserer sinnvoller einzelner Forderungen enthält, durchaus be- Bundeswehr . Dafür steht meine Fraktion nicht zur Verfü- grüßenswert – Komma –, wenn, ja wenn da nicht diese gung, auch ich selber nicht . Selbst die Namensanleihe bei Hidden Agenda wäre, wenn nicht jeder Ihrer Fäden letzt- Willy Brandt kann wohl nicht dafür sorgen, dass die SPD lich durch das gleiche Nadelöhr geführt würde . So bleibt deshalb möglicherweise Ihren Antrag mit unterzeichnet . mir und meiner Fraktion bei allem guten Willen nichts Im Gegenteil: Der Bundeswehr und ihren Soldatinnen anderes übrig, als Ihren Antrag abzulehnen . und Soldaten, die unter sehr hohen persönlichen Risiken Verantwortung für unsere Sicherheit in Deutschland und (Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Erst einmal über- die Friedenssicherung in der Welt übernehmen, gehört weisen!) höchste Anerkennung . 16848 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Wenn Sie nur einmal einen schnellen Blick – ich habe Alliierten machen deutlich: Eine militärische Option ist (C) es heute getan – in das Onlinelexikon Wikipedia werfen, als politische Ultima Ratio unabdingbar . Glauben Sie werden Sie im Zusammenhang mit dem Stichwort „Aus- mir, ich spreche jetzt nicht als einer, der konservativer landseinsätze der Bundeswehr seit 1960“ immer wieder Parteiräson unterworfen ist . Ich sage das als jemand, Begriffe wie Hilfeleistung, Erdbebenhilfe, Katastrophen- der als junger Mann zu Zeiten des Kalten Krieges den hilfe, Versorgung und medizinische Betreuung, um nur Kriegsdienst verweigert hat . Ich sage als überzeugter Pa- einige zu nennen, finden. Bundeswehrsoldaten sind bei zifist auch: Manchmal können am Ende nur die Waffen Missionen in Europa, Asien, Afrika, im Mittelmeer und den Frieden sichern oder schaffen . am Horn von Afrika im Einsatz . Das geschieht stets im Nicht von ungefähr war es die rot-grüne Bundesregie- engen Schulterschluss mit den EU-Partnern, den Verbün- rung unter Kanzler Schröder und Außenminister Fischer, deten der NATO und natürlich begründet durch Mandate die sich 1999 entschieden hat, sich erstmals in der Ge- der Vereinten Nationen . schichte der Bundesrepublik an einem Kriegseinsatz zu Gerade die Bundeswehr hat durch ihre gut ausgebil- beteiligen, und zwar im Kosovo-Krieg . dete Truppe und ihre logistischen Möglichkeiten einen (Inge Höger [DIE LINKE]: War auch völker- entscheidenden Anteil an der humanitären Hilfe, die die rechtswidrig!) Bundesrepublik international geleistet hat und immer wieder leistet, immer Hand in Hand mit Organisationen Wir konnten fünf Jahre nach Ruanda nicht erneut die Au- wie dem Technischen Hilfswerk und Partnern der Zivil- gen vor ethnischen Säuberungen – was für ein scheußli- gesellschaft . Ganz nebenbei: Auch im Inland ist unsere cher Begriff! – verschließen, noch dazu vor der eigenen Truppe mehr als aktiv . Denken wir an die mehrmalige Haustür . Hochwasserhilfe in den letzten Jahren und die logistische Ich nenne zwei weitere Beispiele für die Notwendig- Hilfe bei der Unterbringung von Flüchtlingen . keit solcher internationaler Missionen, an denen die Bun- So bitter das ist, jeder politische Realist muss letztlich deswehr beteiligt war . zugeben: Um die internationale Verantwortung wahrzu- Das erste Beispiel ist die KFOR-Mission, die sich zum nehmen, reichen zivile Mittel am Schluss alleine nicht Schutz der Bevölkerung im Kosovo und der im Land tä- aus . Natürlich muss gelten: Eine militärische Interventi- tigen NGOs durch die Resolution 1244 des UN-Sicher- on kann nur und – das sage ich auch – muss immer die heitsrates an den Kosovo-Krieg anschloss . letzte Möglichkeit sein, die sogenannte Ultima Ratio po- litischen Handelns . Zum Zweiten ist gerade der umstrittene – ja, ich nenne es so – Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu wür- (Inge Höger [DIE LINKE]: Es geht um huma- digen . 13 Jahre lang hat ISAF, die International Security (B) nitäre Hilfe, nicht logistische Unterstützung!) Assistance Force, ihren Beitrag zur Sicherheit in Afgha- (D) Jedes diplomatische Mittel muss ausgeschöpft werden, nistan geleistet . jeder Sanktionskatalog vollständig abgearbeitet sein . Erst (Inge Höger [DIE LINKE]: Da gibt es immer dann kann und – noch einmal – muss dann auch eine mi- mehr Unsicherheit! – Kathrin Vogler [DIE litärische Option erwogen werden, und zwar gemeinsam LINKE]: Geschichtsklitterung!) mit den Partnern der Weltgemeinschaft . Die militärische Option gänzlich auszuschließen, kann zu Katastrophen Zum Abschluss dazu vielleicht ein persönliches Erlebnis . führen . Die AG Menschenrechte unserer Fraktion hat im Rahmen einer Klausurtagung afghanische Vertreter aus Politik und (Zurufe von der LINKEN) Zivilgesellschaft eingeladen . Ich werde die bewegenden Die Geschichte hat uns das brutal vor Augen geführt . Worte nicht vergessen, mit denen sich der Vorsitzende einer NGO bei uns bedankt hat . Sinngemäß sagte er Fol- Denken wir an den Völkermord der Türken an den Ar- gendes: Wir mussten erleben, dass Heckenschützen der meniern 1915 . Dazu gehört auch, dass wir im Rückblick Taliban unsere Mädchen von den Fahrrädern geschossen beschämt feststellen müssen, dass wir als Deutschland haben, wenn sie auf dem Weg zur Schule oder zum Frau- zugeschaut haben . enarzt waren . Seit die deutschen Schutztruppen für Si- (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Mit Unterstüt- cherheit sorgen, können unsere Töchter ungehindert Bil- zung deutscher Offiziere!) dungsangebote und Gesundheitsvorsorge wahrnehmen . Die Berichte von Augenzeugen wurden ignoriert . Das (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, ja! Nur Massenmorden nahm seinen Lauf . dass es keine Betreiber von Krankenhäusern und Ähnliches in Afghanistan mehr gibt! Was Oder denken wir an die nähere Vergangenheit . 1994 in ist denn mit „Ärzte ohne Grenzen“?) Ruanda: je nach Schätzung zwischen 500 000 und etwas Damit komme ich zum Schluss . Lassen Sie mich zu- mehr als 1 Million Opfer infolge des Völkermordes der sammenfassen: Hutu an den Tutsi . In nur 100 Tagen vollzog sich einer der grausamsten Massenmorde der Weltgeschichte, und Erstens . Humanitäre Hilfe muss stärker in den Fokus wir, die Weltgemeinschaft, haben zugeschaut . Das darf der internationalen Politik rücken – deshalb: prima The- so nicht wieder passieren . ma! – und neu gedacht werden . Diese Erinnerungen und die uns Deutschen ureigene (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein! Thema Erfahrung der Befreiung von der Nazidiktatur durch die verfehlt!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16849

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Zweitens . Jedes Mittel der zivilen und politischen len keinerlei Peacekeeping Operations, Sie wollen die (C) Verantwortung muss genutzt werden, bevor es zu einer 100 000 Blauhelme, die vor Ort tätig sind, nicht . Sie wol- militärischen Intervention kommt . len all das ohne deutsche Beteiligung . Alle sollen abge- zogen werden . Aber durch Ihren ganzen Antrag weht ein Drittens . Dann aber, wenn die Ultima Ratio eintritt, Wind von Renationalisierung der humanitären Hilfe und ist die militärische Option eine politische Notwendig- nicht von kosmopolitischer Internationalisierung . keit . Jeder Versuch, die Bundeswehr direkt oder indirekt in Misskredit zu bringen, zeugt, wie wir finden und wie (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ich finde, von politischer Kurzsichtigkeit und Verantwor- SES 90/DIE GRÜNEN) tungslosigkeit . Ja, das richtet sich an andere Länder; aber es soll gut Danke schön . deutsch sein . „Willy Brandt“ – ganz deutsch . Da kom- men Sie nicht auf „Peace Brigades International“ oder (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- irgend so etwas, ordneten der SPD) (Zurufe von der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: sondern Sie wollen eine nationale Organisation; das sa- Vielen Dank, Kollege Heinrich .– Nächster Redner: gen Sie auch immer wieder . Tom Koenigs für Bündnis 90/Die Grünen . Bei dieser Renationalisierung treffen Sie sich ja auch mit Rechtsaußen . Ich werde Ihnen das immer wieder vor- Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): halten . Denn wenn Sie sich auf Lafontaine beziehen, sage Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ich Ihnen: Der hat solche Tendenzen auch immer wieder Herren! Der Antrag ist zutiefst unernst . Das sehen Sie gehabt . Da treffen sich ganz links und ganz rechts . zuallererst an dem Namen „Willy-Brandt-Korps“ . Lafontaine hat einmal gesagt: „Ab heute gehört er uns .“ (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Da hatte er recht!) Da werden wir immer dagegen sein . Wenn es in Anträgen auch nur den Hauch dieser Stimmung gibt, werden wir Sie wollen ihn für eine nationale Organisation der huma- immer dagegen sein . Das universalistische Konzept der nitären Hilfe reklamieren . Was hat er denn verbrochen, humanitären Hilfe muss betont werden . Das ist der Inhalt dass Sie seinen Namen nehmen wollen? der humanitären Hilfe, und daran müssen wir arbeiten . (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (B) Genau daran arbeitet auch der Kongress in Istanbul; (D) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) das ist das Thema . Übrigens werden wir am nächsten Schafft England dann das Winston-Churchill-Korps, Freitag Gelegenheit haben, wieder darüber zu diskutie- Frankreich das Charles-de-Gaulle-Korps und Spanien ren, und nach dem internationalen Kongress auch . Dann das Santiago-Carrillo-Korps? Und immer nationale Ein- können wir uns darüber austauschen . Aber tun Sie das heiten? Das ist doch das, was Ihr Antrag atmet . doch dem armen Willy Brandt nicht an, dass er dafür herhalten muss, dass Sie ein Willy-Brandt-Korps haben (Beifall des Abg . Omid Nouripour [BÜND- wollen . Da kann ich nur sagen: Willy-Brandt-Korps – die NIS 90/DIE GRÜNEN]) Augen links! Haben Sie eigentlich einmal die Familie von Willy (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Brandt gefragt? Haben Sie einmal Matthias Brandt bei sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Polizeiruf 110 angerufen? Da kriegen Sie wahrschein- der SPD) lich zu hören: „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ oder „Smoke on the Water“ . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des Vielen Dank, Tom Koenigs .– Letzte Rednerin in der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ Debatte: Dr . Ute Finckh-Krämer für die SPD . CSU und der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist doch nicht Ihr Ernst . Sie sagen, Sie wollen der CDU/CSU) eine deutsche zivile und humanitäre Dachstruktur . Eben haben Sie noch gesagt: eine unabhängige Instanz . Sie Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): wollen das nationalisieren . Haben Sie einmal mit den Hilfsorganisationen geredet – machen Sie doch mal eine Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerin- Anhörung – und sie gefragt, was sie dazu sagen, nen und Zuhörer auf der Tribüne! Liebe Präsidentin! Der Antrag der Linken vermischt das schon fünf Jahre alte (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Haben wir Projekt von , das Technische Hilfswerk schon!) neu zu erfinden, mit der aktuellen Diskussion über den weltweit dramatisch angestiegenen Bedarf an humanitä- wenn Sie plötzlich, während sich alle internationalisie- rer Hilfe . Einen solchen Missbrauch seines Namens hat ren, eine deutsche Struktur schaffen wollen? Willy Brandt nicht verdient; denn das Technische Hilfs- Es gibt einen Hintergrund: Sie wollen die Bundeswehr werk verbindet auf vorbildliche Weise das Engagement abschaffen, Sie wollen die NATO abschaffen, Sie wol- im Katastrophenschutz im Inland mit verlässlicher tech- 16850 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

Dr. Ute Finckh-Krämer (A) nischer und logistischer Unterstützung humanitärer Hilfe Ein Großteil all dieser Organisationen trifft sich min- (C) im Ausland . Die Kapazitäten dafür wurden in den letzten destens viermal im Jahr zum Koordinierungsausschuss Jahren ausgebaut . Humanitäre Hilfe, der vom Referat für Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt koordiniert wird . Der Koordinie- Das Technische Hilfswerk muss also nicht durch ein rungsausschuss arbeitet ausgesprochen effektiv, ergeb- Konversionsprogramm „Soldaten zu humanitären Hel- nisorientiert und mit hoher fachlicher Kompetenz . Die fern“ und „Rüstungsgüter zu Katastrophenschutzgütern“ Leitung teilen sich das Auswärtige Amt und ein Vertreter ersetzt werden . Bevor wir Soldaten zu humanitären Hel- aus dem NGO-Bereich . Warum er durch ein neues Ge- fern umschulen und pannenanfällige Militärtechnik in meinschaftswerk oder eine Kooperationsgesellschaft, Technik für humanitäre Hilfe umwidmen, sollten wir was immer die Antragsteller darunter verstehen, ersetzt uns ansehen, welche Strukturen die humanitäre Hilfe in Deutschland derzeit hat . werden soll, erschließt sich mir nicht . Humanitäre Hilfe – das ist zu Recht gesagt wor- Generell gilt: Hilfe von außen ist nur notwendig, wenn den – ist den vier humanitären Prinzipien verpflichtet: die eigenen Kapazitäten eines Landes zur Bewältigung Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Unab- einer Katastrophe oder zum Umgang mit einer sehr gro- hängigkeit . Das unterscheidet sie von der Entwicklungs- ßen Anzahl von Flüchtlingen oder Binnenvertriebenen zusammenarbeit, die anhand politischer oder ökonomi- nicht ausreichen . Der Aufbau eigener Fähigkeiten und scher Kriterien parteilich sein darf und es oft auch ist . die Unterstützung von Vorsorgemaßnahmen in Gebieten, Organisationen, die in beiden Bereichen tätig sind, ord- in denen zum Beispiel das Risiko schwerer Erdbeben, nen aus gutem Grund ihre Projekte möglichst eindeutig von Stürmen und Hochwasser etc . hoch ist, werden daher dem einen oder anderen Bereich zu . ein wichtiges Thema des Humanitären Weltgipfels sein .

Was haben wir also aktuell für Strukturen in der hu- In Istanbul findet jetzt im Mai ein Humanitärer Welt- manitären Hilfe in Deutschland? Wir haben die zivilge- gipfel statt, und im September findet in New York – und sellschaftlichen Organisationen, die größtenteils sowohl das wird im Antrag weder erwähnt noch diskutiert – ein im Katastrophenschutz im Inland als auch in der inter- Weltgipfel zum Thema Flüchtlinge statt . Deswegen kön- nationalen humanitären Hilfe tätig sind . Sie sind oft zu- nen und müssen wir nicht alles, was sich mit dem Thema sätzlich Wohlfahrtsorganisationen wie die Johanniter, die Flucht und Flüchtlinge befasst, in die Diskussion um den Malteser, die Diakonie Katastrophenhilfe, Caritas Inter- Humanitären Weltgipfel hineinpacken . Ein Stück weit national und der Arbeiter-Samariter-Bund . wird das Argument, dass Istanbul ein sehr schlechter Ort Wir haben die deutschen Sektionen zivilgesellschaft- ist, um über Flüchtlinge und den Umgang mit ihnen zu (B) licher Organisationen, die auf humanitäre Hilfe spe- diskutieren, auch dadurch relativiert, dass der Flücht- (D) zialisiert sind, wie Ärzte ohne Grenzen, die manchmal lingsweltgipfel in New York stattfinden wird. eine sehr eigene Sicht auf die Dinge haben, was gut und notwendig ist . Schließlich haben wir die deutschen oder Ich sehe auch keinen Grund dafür, die humanitäre Hil- internationalen Organisationen, die sowohl im Bereich fe vollständig ins BMZ zu verlagern . Die Zuständigkeit der humanitären Hilfe als auch im Bereich der Entwick- für die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen lungszusammenarbeit tätig sind . und damit auch die Federführung für Geberkonferenzen oder Veranstaltungen wie den Humanitären Weltgip- Diese drei Gruppen zusammengenommen sind größ- fel oder den Flüchtlingsgipfel liegt in jedem Fall beim tenteils Mitglieder im Verband Entwicklungspolitik und Auswärtigen Amt . Die Zusammenarbeit auf Fachebene Humanitäre Hilfe, VENRO . Dazu kommt das Deutsche zwischen den Referaten, die im BMZ für die entwick- Rote Kreuz als Teil der internationalen Rotes Kreuz/ lungsorientierte Übergangshilfe und die Entwicklungs- Roter Halbmond-Strukturen, die über das Internationale zusammenarbeit zuständig sind, und denen, die im Aus- Komitee vom Roten Kreuz koordiniert werden . Das Rote wärtigen Amt für die humanitäre Hilfe Verantwortung Kreuz hat drei weitere Prinzipien, die auch wichtig sind: tragen und die Mittel dafür verwalten, funktioniert nach Freiwilligkeit, Einheit und Universalität . Ansicht vieler Vertreterinnen und Vertreter der Hilfsorga- nisationen sehr gut . Aus gutem Grund wird von den Zu- Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk wird übri- ständigen daher von Verzahnung oder Komplementarität gens aus dem Etat des BMI finanziert, und sie erhält für ihre Auslandseinsätze Projektgelder vom Auswärtigen und nicht von einer „Zusammenlegung der Instrumente“ Amt oder aus internationalen Quellen . Das Technische gesprochen, wie es der Antrag formuliert; Hilfswerk taucht bezeichnenderweise in dem Antrag (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht auf; denn sonst würde deutlich, was da für Dopp- lungen vorkommen . des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) denn damit würde es sehr schwierig, wenn nicht unmög- lich, die humanitären Prinzipien und die entwicklungspo- Schließlich gibt es – das sage ich der Vollständigkeit litischen Ziele auseinanderzuhalten . halber – noch Firmen und Organisationen, die auf hu- manitäres Minenräumen spezialisiert sind . Auch das ist Ich möchte mit einem Zitat aus der Süddeutschen Zei- keine Aufgabe, die die Bundeswehr oder andere Militärs tung vom 7. Oktober 2011 schließen: „Als Pazifistin sehe in der Regel wahrnehmen . ich das Willy-Brandt-Korps skeptisch“ . Das habe nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16851

Dr. Ute Finckh-Krämer (A) ich gesagt, das hat Katja Kipping gesagt, und dieser Ein- führten Ausschüsse vorgeschlagen .– Sie sind damit ein- (C) schätzung schließe ich mich voll an . verstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ angelangt . DIE GRÜNEN) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Vizepräsidentin Claudia Roth: tages auf morgen, Freitag, den 13 . Mai 2016, 9 Uhr, ein . Vielen Dank, Dr . Finckh-Krämer . – Damit schließe ich die späte Aussprache . Die Sitzung ist geschlossen, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8390 an die in der Tagesordnung aufge- (Schluss: 22 .11 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16853

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Elvira Drobins- ki-Weiß, Michaela Engelmeier, Karin Evers- entschuldigt bis Meyer, Ulrich Freese, Martin Gerster, Gabriele Abgeordnete(r) einschließlich Groneberg, Michael Groß, Gabriele Hiller-Ohm, Christina ­Jantz-Herrmann, Cansel Kiziltepe, Bas, Bärbel SPD 12 .05 .2016 Hiltrud Lotze, Hilde Mattheis, Bettina Müller, Ulli Nissen, Achim Post (Minden), Stefan Rebmann, Ehrmann, Siegmund SPD 12 .05 .2016 Andreas Rimkus, Johann Saathoff, Dr. Hans-Jo- Ferner, Elke SPD 12 .05 .2016 achim Schabedoth, Dr. Dorothee Schlegel, Ewald Schurer, Stefan Schwartze, Svenja Stadler, Kerstin Freitag, Dagmar SPD 12 .05 .2016 Tack und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zu den Abstimmungen über den von der Bundes- Funk, Alexander CDU/CSU 12 .05 .2016 regierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstel- Grindel, Reinhard CDU/CSU 12 .05 .2016 lungsrechts (Tagesordnungspunkt 6 a) Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 12 .05 .2016 Angesichts der Erfahrungen aus der Praxis und der in Deutschland seit 2009 verbindlich geltenden UN‑Behin- Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 12 .05 .2016 dertenrechtskonvention ist es uns ein wichtiges Anlie- gen, das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) nach Hintze, Peter CDU/CSU 12 .05 .2016 fast 14 Jahren weiterzuentwickeln, um die gleichberech- Kiesewetter, Roderich CDU/CSU 12 .05 .2016 tigte Teilhabe der rund zehn Millionen Menschen mit Be- hinderungen in Deutschland weiter voranzubringen . Der Knoerig, Axel CDU/CSU 12 .05 .2016 Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält diesbezüg- lich zahlreiche Verbesserungen für mehr Barrierefreiheit (B) Körber, Carsten CDU/CSU 12 .05 .2016 in der Bundesverwaltung . (D) Lämmel, Andreas G . CDU/CSU 12 .05 .2016 Durch die Gesetzesreform wird klargestellt, dass Be- hinderungen nicht per se einer Person anhaften, sondern Lerchenfeld, Philipp CDU/CSU 12 .05 .2016 oft erst durch Barrieren in der Umwelt entstehen . Wir Graf begrüßen, dass das neue BGG somit vor allem darauf ab- zielt, bauliche und kommunikative Barrieren innerhalb Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 12 .05 .2016 der Bundesverwaltung zu beseitigen . DIE GRÜNEN Während bauliche Barrierefreiheit nach dem gelten- Pflugradt, Jeannine SPD 12 .05 .2016 den BGG nur bei Neubauprojekten hergestellt werden musste, sollen nun auch die Barrieren in Bestandsbau- Röspel, René SPD 12 .05 .2016 ten angegangen werden, und es müssen verbindliche und überprüfbare Maßnahmen- und Zeitpläne zum Abbau Schlecht, Michael DIE LINKE 12 .05 .2016 von Barrieren erstellt werden . Durch das neue BGG wird eine Bundesfachstelle für Barrierefreiheit neu eingerich- Silberhorn, Thomas CDU/CSU 12 .05 .2016 tet, die insbesondere die Verwaltung, aber auch die Wirt- Steinmeier, Dr . Frank- SPD 12 .05 .2016 schaft und die Zivilgesellschaft bei allen Fragen rund um Walter den Abbau von Barrieren berät und unterstützt . Ein Meilenstein für die Inklusion und Selbstbestim- Strobl (Heilbronn), CDU/CSU 12 .05 .2016 mung zahlreicher Menschen mit kognitiven Beeinträch- Thomas tigungen in Deutschland ist aus unserer Sicht, dass das Thissen, Dr . Karin SPD 12 .05 .2016 neue BGG einen eigenen Paragrafen zu „Verständlich- keit und leichter Sprache“ bekommen soll . Schriftliche Thönnes, Franz SPD 12 .05 .2016 Dokumente von Behörden werden demnach zukünftig bei Bedarf in leichter Sprache erläutert . Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 12 .05 .2016 DIE GRÜNEN Auch die besondere Situation einer Benachteiligung aus mehreren Gründen, wie beispielsweise Behinderung Veit, Rüdiger SPD 12 .05 .2016 und Geschlecht, wird durch das neue BGG anerkannt, und die Versagung angemessener Vorkehrungen wird als Wicklein, Andrea SPD 12 .05 .2016 Benachteiligungstatbestand ganz neu aufgenommen . 16854 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Schließlich soll die Wirksamkeit des BGG durch eine Anlage 3 (C) neue, bei der Behindertenbeauftragten der Bundesre- Erklärungen nach § 31 GO gierung angesiedelte Schlichtungsstelle erhöht werden . Menschen mit Behinderungen können ihre Rechte so nie- zu den Abstimmungen über den von der Bundes- derschwellig und zunächst außergerichtlich einfordern . regierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstel- Ein Instrument, das die Barrierefreiheit in der Privat- lungsrechts (Tagesordnungspunkt 6 a) wirtschaft fördern soll, sind Zielvereinbarungen nach § 5 des BGG . Damit werden anerkannte Verbände, die Heike Baehrens (SPD): Angesichts der Erfahrungen die Belange von Menschen mit Behinderungen fördern, aus der Praxis und der in Deutschland seit 2009 verbind- darin unterstützt, mit Wirtschaftsunternehmen bzw . de- lich geltenden UN‑Behindertenrechtskonvention ist es ren Verbänden privatrechtliche Vereinbarungen über die mir ein wichtiges Anliegen, das Behindertengleichstel- Herstellung von Barrierefreiheit zu treffen . Mit der an- lungsgesetz (BGG) nach fast 14 Jahren weiterzuentwi- stehenden Novellierung des BGG wird das Instrument ckeln, um die gleichberechtigte Teilhabe der rund zehn der Zielvereinbarungen weiter gestärkt, indem die neu Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland eingerichtete Bundesfachstelle für Barrierefreiheit die weiter voranzubringen . Der Gesetzentwurf der Bundes- Beteiligten in den Verhandlungen zukünftig unterstützen regierung enthält diesbezüglich zahlreiche Verbesserun- wird . gen für mehr Barrierefreiheit in der Bundesverwaltung . Über diese freiwillige Selbstverpflichtung hinausge- Durch die Gesetzesreform wird klargestellt, dass Be- hend gibt es schon jetzt in vielen Rechtsbereichen auch hinderungen nicht per se einer Person anhaften, sondern für den privaten Sektor Regelungen zu Barrierefreiheit oft erst durch Barrieren in der Umwelt entstehen . Ich und Benachteiligungsschutz, beispielsweise im Bürger- begrüße, dass das neue BGG somit vor allem darauf ab- lichen Gesetzbuch, im Verbraucherschutzrecht, im Ar- zielt, bauliche und kommunikative Barrieren innerhalb beits(schutz)recht oder auch im Verkehrsbereich mit dem der Bundesverwaltung zu beseitigen . Personenbeförderungsgesetz oder dem Luftverkehrsge- Während bauliche Barrierefreiheit nach dem gelten- setz . Eine besondere Bedeutung kommt außerdem dem den BGG nur bei Neubauprojekten hergestellt werden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu, mit musste, sollen nun auch die Barrieren in Bestandsbau- dem Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung ten angegangen werden, und es müssen verbindliche und durch privatwirtschaftliche Akteure verhindert oder be- überprüfbare Maßnahmen- und Zeitpläne zum Abbau seitigt werden sollen. Demgegenüber verpflichtet das von Barrieren erstellt werden . Durch das neue BGG wird (B) BGG in erster Linie Träger der öffentlichen Gewalt . eine Bundesfachstelle für Barrierefreiheit neu eingerich- (D) tet, die insbesondere die Verwaltung, aber auch die Wirt- Trotz dieser bestehenden Regelungen und positiver schaft und die Zivilgesellschaft bei allen Fragen rund um Beispiele für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen den Abbau von Barrieren berät und unterstützt . von Unternehmen machen die alltäglichen Erfahrungen vieler Menschen mit Behinderungen jedoch deutlich, Ein Meilenstein für die Inklusion und Selbstbestim- dass Bedarf an verbindlicheren Regelungen für angemes- mung zahlreicher Menschen mit kognitiven Beeinträch- sene Vorkehrungen und die Herstellung von Barrierefrei- tigungen in Deutschland ist aus meiner Sicht, dass das heit in der Privatwirtschaft besteht . neue BGG einen eigenen Paragrafen zu „Verständlich- keit und leichter Sprache“ bekommen soll . Schriftliche Derzeit wird das AGG im Auftrag der Antidiskrimi- Dokumente von Behörden werden demnach zukünftig nierungsstelle des Bundes evaluiert . Ziel der Evaluierung bei Bedarf in leichter Sprache erläutert . ist es, die praktische Wirksamkeit des AGG zu überprü- Auch die besondere Situation einer Benachteiligung fen und etwaige gesetzliche Umsetzungsdefizite sowie aus mehreren Gründen, wie beispielsweise Behinderung Schutz- und Regelungslücken aufzudecken. Dabei finden und Geschlecht, wird durch das neue BGG anerkannt, auch die Vorgaben der UN‑Behindertenrechtskonvention und die Versagung angemessener Vorkehrungen wird als zur barrierefreien Zugänglichkeit aller Lebensbereiche Benachteiligungstatbestand ganz neu aufgenommen . für Menschen mit Behinderungen Berücksichtigung . Die Ergebnisse der Evaluierung und entsprechende Hand- Schließlich soll die Wirksamkeit des BGG durch eine lungsempfehlungen wurden für den Sommer dieses Jah- neue, bei der Behindertenbeauftragten der Bundesre- res angekündigt . gierung angesiedelte Schlichtungsstelle erhöht werden . Menschen mit Behinderungen können ihre Rechte so nie- Vor dem Hintergrund dieses gegenwärtig laufenden derschwellig und zunächst außergerichtlich einfordern . Prozesses lehnen wir die Anträge der Grünen und der Ein Instrument, das die Barrierefreiheit in der Privat- Linken ab . Eine Weiterentwicklung des AGG zum jet- wirtschaft fördern soll, sind Zielvereinbarungen nach zigen Zeitpunkt und im Zuge der Weiterentwicklung des § 5 des BGG . Damit werden anerkannte Verbände, die BGG halten wir für wenig zielführend . Aus unserer Sicht die Belange von Menschen mit Behinderungen fördern, ist es geboten, die Ergebnisse der Evaluierung des AGG darin unterstützt, mit Wirtschaftsunternehmen bzw . de- abzuwarten und die Frage verbindlicherer Regelungen ren Verbänden privatrechtliche Vereinbarungen über die für die Privatwirtschaft in eine anschließende Weiterent- Herstellung von Barrierefreiheit zu treffen . Mit der an- wicklung des AGG einfließen zu lassen. stehenden Novellierung des BGG wird das Instrument Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16855

(A) der Zielvereinbarungen weiter gestärkt, indem die neu Zukünftig müssen auch die Barrieren in Bestandsbau- (C) eingerichtete Bundesfachstelle für Barrierefreiheit die ten angegangen werden, und es müssen verbindliche und Beteiligten in den Verhandlungen zukünftig unterstützen überprüfbare Maßnahmen- und Zeitpläne zum Abbau wird . von Barrieren erstellt werden . Durch das neue BGG wird außerdem eine Bundesfachstelle für Barrierefreiheit neu Über diese freiwillige Selbstverpflichtung hinausge- eingerichtet . Schriftliche Dokumente von Behörden wer- hend gibt es schon jetzt in vielen Rechtsbereichen auch den zukünftig bei Bedarf in leichter Sprache erläutert . für den privaten Sektor Regelungen zu Barrierefreiheit Auch die besondere Situation einer Benachteiligung aus und Benachteiligungsschutz, beispielsweise im Bürger- mehreren Gründen wird durch das neue BGG anerkannt, lichen Gesetzbuch, im Verbraucherschutzrecht, im Ar- und die Versagung angemessener Vorkehrungen wird beits(schutz)recht oder auch im Verkehrsbereich mit dem als Benachteiligungstatbestand ganz neu aufgenommen . Personenbeförderungsgesetz oder dem Luftverkehrsge- Schließlich soll die Wirksamkeit des BGG durch eine setz . Eine besondere Bedeutung kommt außerdem dem neue Schlichtungsstelle erhöht werden . Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu, mit dem Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung Mit der anstehenden Novellierung des BGG wird au- durch privatwirtschaftliche Akteure verhindert oder be- ßerdem das Instrument der Zielvereinbarungen weiter seitigt werden sollen. Demgegenüber verpflichtet das gestärkt . Damit werden anerkannte Verbände darin un- BGG in erster Linie Träger der öffentlichen Gewalt . terstützt, mit Wirtschaftsunternehmen bzw . deren Ver- bänden privatrechtliche Vereinbarungen über die Her- Trotz dieser bestehenden Regelungen und positiver stellung von Barrierefreiheit zu treffen . Beispiele für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen machen die alltäglichen Erfahrungen Über diese freiwillige Selbstverpflichtung hinausge- vieler Menschen mit Behinderungen jedoch deutlich, hend gibt es schon jetzt in vielen Rechtsbereichen auch dass Bedarf an verbindlicheren Regelungen für angemes- für den privaten Sektor Regelungen zu Barrierefreiheit sene Vorkehrungen und die Herstellung von Barrierefrei- und Benachteiligungsschutz . Eine besondere Bedeu- heit in der Privatwirtschaft besteht . tung kommt außerdem dem Allgemeinen Gleichbehand- lungsgesetz (AGG) zu, mit dem Benachteiligungen aus Derzeit wird das AGG im Auftrag der Antidiskrimi- Gründen einer Behinderung durch privatwirtschaftliche nierungsstelle des Bundes evaluiert . Ziel der Evaluierung Akteure verhindert oder beseitigt werden sollen . Demge- ist es, die praktische Wirksamkeit des AGG zu überprü- genüber verpflichtet das BGG in erster Linie Träger der fen und etwaige gesetzliche Umsetzungsdefizite sowie öffentlichen Gewalt . Schutz- und Regelungslücken aufzudecken. Dabei finden auch die Vorgaben der UN‑Behindertenrechtskonvention Trotz dieser bestehenden Regelungen und positiver (B) zur barrierefreien Zugänglichkeit aller Lebensbereiche Beispiele für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen (D) für Menschen mit Behinderungen Berücksichtigung . Die von Unternehmen machen die alltäglichen Erfahrungen Ergebnisse der Evaluierung und entsprechende Hand- vieler Menschen mit Behinderungen jedoch deutlich, lungsempfehlungen wurden für den Sommer dieses Jah- dass Bedarf an verbindlicheren Regelungen für angemes- res angekündigt . sene Vorkehrungen und die Herstellung von Barrierefrei- heit in der Privatwirtschaft besteht . Vor dem Hintergrund dieses gegenwärtig laufenden Prozesses lehne ich die Anträge der Grünen und der Lin- Derzeit wird das AGG im Auftrag der Antidiskrimi- ken ab . Aus meiner Sicht ist es geboten, die Ergebnisse nierungsstelle des Bundes evaluiert . Ziel der Evaluierung der Evaluierung des AGG abzuwarten und die Frage ver- ist es, die praktische Wirksamkeit des AGG zu überprü- bindlicherer Regelungen für die Privatwirtschaft in eine fen und etwaige gesetzliche Umsetzungsdefizite sowie anschließende Weiterentwicklung des AGG einfließen zu Schutz- und Regelungslücken aufzudecken. Dabei finden lassen . auch die Vorgaben der UN‑Behindertenrechtskonvention zur barrierefreien Zugänglichkeit aller Lebensbereiche Dr. Matthias Bartke (SPD): Angesichts der Erfah- für Menschen mit Behinderungen Berücksichtigung . Die rungen aus der Praxis und der in Deutschland seit 2009 Ergebnisse der Evaluierung und entsprechende Hand- verbindlich geltenden UN‑Behindertenrechtskonvention lungsempfehlungen wurden für den Sommer dieses Jah- ist es mir ein wichtiges Anliegen, das Behindertengleich- res angekündigt . stellungsgesetz (BGG) nach fast 14 Jahren weiterzuent- Vor dem Hintergrund dieses gegenwärtig laufenden wickeln . So bringen wir die gleichberechtigte Teilhabe Prozesses lehne ich die Anträge der Grünen und der Lin- der rund zehn Millionen Menschen mit Behinderungen ken ab . Eine Weiterentwicklung des AGG zum jetzigen in Deutschland weiter voran . Der Gesetzentwurf der Zeitpunkt und im Zuge der Weiterentwicklung des BGG Bundesregierung enthält diesbezüglich zahlreiche Ver- halte ich für wenig zielführend . Aus meiner Sicht ist es besserungen für mehr Barrierefreiheit in der Bundesver- geboten, die Ergebnisse der Evaluierung des AGG abzu- waltung . warten und die Frage verbindlicherer Regelungen für die Dazu gehört die Klarstellung, dass Behinderungen Privatwirtschaft in eine anschließende Weiterentwick- nicht per se einer Person anhaften, sondern oft erst durch lung des AGG einfließen zu lassen. Barrieren in der Umwelt entstehen . Ich begrüße, dass das neue BGG somit vor allem darauf abzielt, bauliche und Marco Bülow (SPD): Angesichts der Erfahrungen kommunikative Barrieren innerhalb der Bundesverwal- aus der Praxis und der in Deutschland seit 2009 ver- tung zu beseitigen . bindlich geltenden UN‑Behindertenrechtskonvention ist 16856 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) es wichtig, dass das Behindertengleichstellungsgesetz Anlage 4 (C) (BGG) nach fast 14 Jahren weiterentwickelt wird, um Erklärung nach § 31 GO die gleichberechtigte Teilhabe der rund zehn Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland weiter des Abgeordneten Hubert Hüppe (CDU/CSU) zu voranzubringen . Mit diesem Gesetz gibt es einige Ver- den Abstimmungen über besserungen . Leider sind aber einige Punkte auch pro- – den von der Bundesregierung eingebrachten blematisch . Insgesamt hätte ich mir ein anderes Gesetz Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung gewünscht . des Behindertengleichstellungsrechts und Es gibt gute Verbesserungen . So musste zum Beispiel – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für bauliche Barrierefreiheit nach dem geltenden BGG bis- Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abge- her nur bei Neubauprojekten hergestellt werden . Erfreu- ordneten Corinna Rüffer, Kerstin Andreae, licherweise sollen nun auch die Barrieren in Bestands- Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und bauten angegangen werden, und es müssen verbindliche der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Be- und überprüfbare Maßnahmen- und Zeitpläne zum Ab- hindertengleichstellungsrecht mutig weiterent- bau von Barrieren erstellt werden . Durch das neue BGG wickeln wird eine Bundesfachstelle für Barrierefreiheit neu ein- (Tagesordnungspunkt 6 a und b) gerichtet, die insbesondere die Verwaltung, aber auch die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft bei allen Fragen Ich werde mich sowohl bei der namentlichen Ab- rund um den Abbau von Barrieren berät und unterstützt . stimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Behindertengleichstellungsrecht mutig weiter- Eine weitere gute Veränderung ist ein eigener Para- entwickeln“ als auch bei der Gesamtabstimmung zum graf im BGG zu „Verständlichkeit und leichter Sprache“ . „Gesetz zur Weiterentwicklung des Behindertengleich- Schriftliche Dokumente von Behörden werden demnach stellungsrechts“ enthalten . zukünftig bei Bedarf in leichter Sprache erläutert . Den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen leh- Auch die besondere Situation einer Benachteiligung ne ich nicht ab, weil er trotz mancher inhaltlicher Mängel aus mehreren Gründen, wie beispielsweise Behinderung in die richtige Richtung geht und grundsätzlich umfas- sende Teilhabe für Menschen mit Behinderung fordert . und Geschlecht, wird durch das neue BGG anerkannt, und die Versagung angemessener Vorkehrungen wird als Menschen mit Behinderung und deren Interessenver- Benachteiligungstatbestand ganz neu aufgenommen . bände sind nicht zu Unrecht von dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts (B) Schließlich soll die Wirksamkeit des BGG durch eine enttäuscht . Sie hatten sich erhofft, dass zumindest An- (D) neue, bei der Behindertenbeauftragten der Bundesre- sätze festgeschrieben werden, die über die Regelungen gierung angesiedelte Schlichtungsstelle erhöht werden . für die öffentliche Verwaltung hinausführen und die Menschen mit Behinderungen können ihre Rechte so nie- Verpflichtung privater Anbieter zur Gewährleistung von derschwellig und zunächst außergerichtlich einfordern . Barrierefreiheit festschreiben . Auch ich bin der Meinung, dass der Entwurf nicht weit genug geht . Ansätze aus der Trotz der nun erreichten Verbesserungen ist aber auch letzten Wahlperiode, die bereits in Einzelgesetzen umge- klar, dass Bedarf an verbindlicheren Regelungen für an- setzt wurden, hätten aufgegriffen und fortgeführt werden gemessene Vorkehrungen und die Herstellung von Bar- können . Beispiele hierfür sind die Festschreibung von rierefreiheit in der Privatwirtschaft besteht . Im Sommer Barrierefreiheit in Fernbussen oder auch die Filmförde- wird es eine Evaluierung des Allgemeinen Gleichbe- rung, die nur noch unter der Bedingung vergeben wird, handlungsgesetzes (AGG) im Auftrag der Antidiskrimi- dass die Filme mit barrierefreien Fassungen für seh- und nierungsstelle des Bundes geben. Dort finden auch die hörbehinderte Menschen hergestellt werden . Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention zur bar- rierefreien Zugänglichkeit aller Lebensbereiche für Men- Aus diesen Gründen kann ich dem Gesetzentwurf zur schen mit Behinderungen Berücksichtigung . Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts nicht zustimmen . Da der Entwurf jedoch vorsieht, dass Ich werde mich weiterhin für Änderungen einsetzen eine Bundesfachstelle für Barrierefreiheit errichtet wird, und diese in meiner Fraktion und bei der Bundesregie- werde ich nicht dagegen stimmen . rung deutlich machen . Die SPD hat sich für weiterge- hende Punkte eingesetzt . Ich kann die Opposition in ih- rer Kritik gut verstehen . Ich werde mich deshalb weiter Anlage 5 dafür starkmachen, dass die Regierung sich in diesen kritischen Punkten bewegt und dass wir mit der Union Erklärung nach § 31 GO Nachbesserungen erreichen . Den Anträgen der Linken der Abgeordneten Dr. Karamba Diaby, Ulrich und von Bündnis 90/Die Grünen werde ich so jetzt nicht Freese, Cansel Kiziltepe, Steffen-Claudio Lemme, zustimmen . Wir sollten die Ergebnisse der Evaluierung Dr. Simone Raatz, Matthias Schmidt (Berlin), Swen des AGG abwarten und dann die Frage verbindlicherer Schulz (Spandau), Sonja Steffen und Stefan Zierke Regelungen für die Privatwirtschaft in einer anschließen- (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den Weiterentwicklung des AGG klären und im Sinne der die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ver- Menschen mit Behinderung regeln . kehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16857

(A) der Abgeordneten Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Mit einer einstimmigen Position würden die Bundes- (C) Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- länder ihre Verhandlungsposition gegenüber der Bun- tion DIE LINKE: Drohende Streckenstilllegungen desregierung stärken . Es ist letztlich die Aufgabe der verhindern – Regionalisierungsmittel erhöhen (Ta- Bundeskanzlerin, des Finanzministers und des Bundes- gesordnungspunkt 8 b) verkehrsministers, in diesem Konflikt zu vermitteln und zur Lösung beizutragen. Der bereits aus dem Bundesfi- Die Regionalisierungsmittel befähigen die Bundeslän- nanzministerium vorgelegte Kompromissvorschlag war der, ein breites Angebot im Schienenpersonennahverkehr nicht zielführend . bereitzustellen . Seit der Bahnreform ist dieses Modell eine Erfolgsgeschichte . Durch gestiegene Trassen- und Deshalb lehnen wir den Antrag der Fraktion Die Linke Stationspreise der Deutschen Bahn AG sind die finanzi- ab . ellen Anforderungen für die Bundesländer jedoch gestie- gen . Vor diesem Hintergrund begrüßen wir ausdrücklich das Einverständnis von Bund und Ländern, die Regiona- Anlage 6 lisierungsmittel zu erhöhen, zu dynamisieren und gerecht zwischen den Ländern zu verteilen . Erklärungen nach § 31 GO Die Verkehrsministerkonferenz hat bereits im Okto- zu der namentlichen Abstimmung über die Be- ber 2014 Einigkeit über einen Schlüssel erzielt, der auf schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr der Basis von Einwohnerzahlen und Zugkilometern eine und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Ab- gerechte Verteilung der Regionalisierungsmittel zwi- geordneten Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Caren schen allen Ländern gewährleistet . Zusätzlich wurde in Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE dem Beschluss eine sogenannte Sperrklinke vereinbart, LINKE: Drohende Streckenstilllegungen verhin- die jedem Land Zuwächse im Vergleich zu den zugesi- dern – Regionalisierungsmittel erhöhen (Tagesord- cherten Regionalisierungsmitteln aus dem Jahr 2014 ga- nungspunkt 8 b) rantieren sollte . Diesem Beschluss zugrunde lag die Annahme, dass Frank Junge (SPD): Die Regionalisierungsmittel be- der Bund die Regionalisierungsmittel im Jahr 2016 auf fähigen die Bundesländer, ein breites Angebot im Schie- 8,5 Milliarden Euro erhöht und ab dem Jahr 2017 eine nenpersonennahverkehr bereitzustellen . Seit der Bahn- jährliche Steigerung um 2 Prozent zusichert . reform ist dieses Modell eine Erfolgsgeschichte . Durch gestiegene Trassen- und Stationspreise der Deutschen Der Beschluss des Vermittlungsausschusses vom Ok- Bahn AG sind die finanziellen Anforderungen für die (B) tober 2015 zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Bundesländer jedoch gestiegen . Vor diesem Hintergrund (D) sieht einen deutlichen Aufwuchs der Mittel von circa 7,4 begrüße ich ausdrücklich das Einverständnis von Bund auf 8 Milliarden Euro im Jahr 2016 vor . Gleichzeitig ist und Ländern, die Regionalisierungsmittel zu erhöhen, eine jährliche Steigerung von 1,8 Prozent ab 2017 vorge- zu dynamisieren und gerecht zwischen den Ländern zu sehen . Die Mittel sollen gemäß dem vereinbarten Schlüs- verteilen . sel verteilt werden . Die Verkehrsministerkonferenz hat bereits im Okto- Bei Beibehaltung des vereinbarten Schlüssels zur ber 2014 Einigkeit über einen Schlüssel erzielt, der auf Verteilung dieser Mittel ohne die sogenannte Sperrklin- der Basis von Einwohnerzahlen und Zugkilometern eine ke drohen den fünf ostdeutschen Flächenländern bis gerechte Verteilung der Regionalisierungsmittel zwi- 2030 Mindereinnahmen von rund 3,5 Milliarden Euro, schen allen Ländern gewährleistet . Zusätzlich wurde in obwohl die Mittel auf Druck der SPD‑Bundestagsfrak- dem Beschluss eine sogenannte Sperrklinke vereinbart, tion insgesamt stark erhöht wurden . Die westdeutschen die jedem Land Zuwächse im Vergleich zu den zugesi- Länder könnten hingegen mit Mehreinnahmen von rund cherten Regionalisierungsmitteln aus dem Jahr 2014 ga- 14,4 Milliarden Euro rechnen . Dieser Zustand ist mit den rantieren sollte . Beschlüssen der Verkehrsministerkonferenz nicht zu ver- Diesem Beschluss zugrunde lag die Annahme, dass einbaren . der Bund die Regionalisierungsmittel im Jahr 2016 auf Mit ihrem Antrag würde die Fraktion Die Linke an 8,5 Milliarden Euro erhöht und ab dem Jahr 2017 eine diesem Missstand jedoch nichts ändern . Eine einseitige jährliche Steigerung um 2 Prozent zusichert . Belastung des Bundes würde die komplexen und weit Der Beschluss des Vermittlungsausschusses vom Ok- fortgeschrittenen Verhandlungen zur Neuausrichtung tober 2015 zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, deren Gegenstand sieht einen deutlichen Aufwuchs der Mittel von circa 7,4 auch die Regionalisierungsmittel sind, blockieren . Viel- auf 8 Milliarden Euro im Jahr 2016 vor . Gleichzeitig ist mehr fordern wir ein, dass es eine Einigung zwischen al- eine jährliche Steigerung von 1,8 Prozent ab 2017 vorge- len 16 Bundesländern geben muss . Es ist eine Frage der sehen . Die Mittel sollen gemäß dem vereinbarten Schlüs- Solidarität, dass die gemeinsamen Beschlüsse, die bereits sel verteilt werden . 2014 gefällt wurden, eingehalten werden . Kein Land darf weniger Regionalisierungsmittel erhalten, als nach dem Bei Beibehaltung des vereinbarten Schlüssels zur Status quo von 2014 zu erwarten wären . Mindestens Verteilung dieser Mittel ohne die sogenannte Sperrklin- müssen die errechneten Mehrbedarfe der ostdeutschen ke drohen den fünf ostdeutschen Flächenländern bis Bundesländer gedeckt werden . 2030 Mindereinnahmen von rund 3,5 Milliarden Euro, 16858 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) obwohl die Mittel auf Druck der SPD-Bundestagsfrak- Ländern geforderten 8,5 Milliarden Euro zur Verfügung (C) tion insgesamt stark erhöht wurden . Die westdeutschen stellen würde . Länder könnten hingegen mit Mehreinnahmen von rund 14,4 Milliarden Euro rechnen . Dieser Zustand ist mit den Bei der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Beschlüssen der Verkehrsministerkonferenz nicht zu ver- Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder einbaren . zur Asyl- und Flüchtlingspolitik am 24 . September 2015 wurde dagegen vereinbart, die Regionalisierungsmittel Mit ihrem Antrag würde die Fraktion Die Linke an im Jahr 2016 auf 8 Milliarden Euro zu erhöhen und mit diesem Missstand jedoch nichts ändern . Eine einseitige einer jährlichen Rate von 1,8 Prozent zu dynamisieren . Belastung des Bundes würde die komplexen und weit Zudem sollte der von der Verkehrsministerkonferenz be- fortgeschrittenen Verhandlungen zur Neuausrichtung schlossene neue Verteilungsschlüssel angewendet wer- der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, deren Gegenstand den . Die von der Verkehrsministerkonferenz als zwin- auch die Regionalisierungsmittel sind, blockieren . Viel- gende Grundlage des Verteilungsschlüssels bezeichnete mehr fordere ich ein, dass es eine Einigung zwischen al- 1,25‑prozentige Mindeststeigerung (Sperrklinke) war je- len 16 Bundesländern geben muss . Es ist eine Frage der doch nicht Teil des Beschlusses vom 24 . September 2015 . Solidarität, dass die gemeinsamen Beschlüsse, die bereits Mit der Umsetzung dieses Beschlusses würden den 2014 gefällt wurden, eingehalten werden . Kein Land darf Ländern bis 2030 gegenüber einer Fortschreibung des weniger Regionalisierungsmittel erhalten, als nach dem Status quo (das heißt 7,408 Milliarden Euro in 2015 Status quo von 2014 zu erwarten wären . Mindestens und eine jährliche Dynamisierung von 1,5 Prozent) rund müssen die errechneten Mehrbedarfe der ostdeutschen 11 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel zusätzlich Bundesländer gedeckt werden . zur Verfügung stehen . Allerdings hätten die fünf ost- Mit einer einstimmigen Position würden die Bundes- deutschen Flächenländer in diesem Zeitraum Minderein- länder ihre Verhandlungsposition gegenüber der Bun- nahmen von rund 3,5 Milliarden Euro (auf den Freistaat desregierung stärken . Es ist letztlich die Aufgabe der Sachsen entfallen dabei 893 Millionen Euro Minderein- Bundeskanzlerin, des Finanzministers und des Bundes- nahmen), während die westdeutschen Länder und Berlin verkehrsministers, in diesem Konflikt zu vermitteln und mit Mehreinnahmen von rund 14,4 Milliarden Euro rech- zur Lösung beizutragen. Der bereits aus dem Bundesfi- nen könnten . Dies hätte in den ostdeutschen Flächenlän- nanzministerium vorgelegte Kompromissvorschlag war dern massive Leistungskürzungen und Streckenstillle- nicht zielführend . gungen zur Folge . Bestehende Verkehrsverträge könnten nicht mehr erfüllt werden, und es droht der Abbau von Aus all den genannten Gründen kann ich dem Antrag mit öffentlichen Mitteln modernisierter SPNV‑Infra- der Fraktion Die Linke nicht zustimmen . struktur . (B) (D) Die von der Fraktion Die Linke vorgelegte Lösung Thomas Jurk (SPD): Die Regionalisierungsmittel geht ausschließlich zulasten des Bundes und ist deshalb ermöglichen den Bundesländern, ein bedarfsgerechtes nicht akzeptabel . Anders als in der Beschlussempfehlung Angebot an Leistungen im Schienenpersonennahver- und dem Bericht des Ausschusses für Verkehr und digita- kehr bereitzustellen . Seit der Bahnreform hat sich dieses le Infrastruktur (Bundestagsdrucksache 18/8362) darge- Modell bewährt . Unter anderem durch gestiegene Tras- legt, halte ich es im Interesse der ostdeutschen Flächen- sen- und Stationspreise der Deutschen Bahn AG sind die länder für notwendig, den Beschluss vom 24 .September finanziellen Anforderungen für die Bundesländer jedoch 2015 abzuändern . Ich fordere die Länder auf, sich umge- gestiegen . Vor diesem Hintergrund begrüße ich es aus- hend auf einen neuen Verteilschlüssel zu einigen, der es drücklich, dass der Bund die Regionalisierungsmittel von allen Ländern ermöglicht, ein bedarfsgerechtes Nahver- 7,408 Milliarden Euro auf 8 Milliarden Euro erhöht hat kehrsleistungsangebot anzubieten, beispielsweise durch und diese künftig höher als bisher – mit 1,8 Prozent jähr- die Anwendung der 1,25‑prozentigen Mindeststeigerung, lich – dynamisiert werden . wie ursprünglich vorgesehen . Bis heute nicht geklärt ist jedoch die künftige Ver- Bei der Abstimmung über die Beschlussempfehlung teilung der Regionalisierungsmittel auf die einzelnen des Ausschusses werde ich mich deshalb enthalten . Länder . Zwar hatte sich die Verkehrsministerkonferenz im Oktober 2014 auf eine neue Verteilung der Regio- Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Die Regionali- nalisierungsmittel geeinigt . Kernpunkt dieses Beschlus- sierungsmittel befähigen die Bundesländer, ein breites ses war die Erhöhung der Regionalisierungsmittel auf Angebot im Schienenpersonennahverkehr bereitzu- 8,5 Milliarden Euro, eine auskömmliche Dynamisierung stellen . Seit der Bahnreform ist dieses Modell eine Er- und ein neuer Verteilungsschlüssel, welcher auf der Basis folgsgeschichte . Durch gestiegene Trassen- und Stati- von Einwohnerzahlen und Zugkilometern eine gerechte onspreise der Deutschen Bahn AG sind die finanziellen Verteilung der Regionalisierungsmittel zwischen allen Anforderungen für die Bundesländer jedoch gestiegen . Ländern gewährleisten sollte . Zusätzlich wurde eine so- Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich das genannte Sperrklinke vereinbart, die jedem Land jährli- Einverständnis von Bund und Ländern, die Regionali- che Zuwächse in Höhe von 1,25 Prozent im Vergleich zu sierungsmittel zu erhöhen, zu dynamisieren und gerecht den Regionalisierungsmitteln des Jahres 2014 garantie- zwischen den Ländern zu verteilen . ren sollte . Dadurch sollte sichergestellt werden, dass alle (!) Länder auch dann auskömmliche Regionalisierungs- Die Verkehrsministerkonferenz hat bereits im Okto- mittel erhalten, wenn der Bund weniger als die von den ber 2014 Einigkeit über einen Schlüssel erzielt, der auf Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16859

(A) der Basis von Einwohnerzahlen und Zugkilometern eine Anforderungen für die Bundesländer jedoch gestiegen . (C) gerechte Verteilung der Regionalisierungsmittel zwi- Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich das schen allen Ländern gewährleistet . Zusätzlich wurde in Einverständnis von Bund und Ländern, die Regionali- dem Beschluss eine sogenannte Sperrklinke vereinbart, sierungsmittel zu erhöhen, zu dynamisieren und gerecht die jedem Land Zuwächse im Vergleich zu den zugesi- zwischen den Ländern zu verteilen . cherten Regionalisierungsmitteln aus dem Jahr 2014 ga- Die Verkehrsministerkonferenz hat bereits im Okto- rantieren sollte . ber 2014 Einigkeit über einen Schlüssel erzielt, der auf Diesem Beschluss zugrunde lag die Annahme, dass der Basis von Einwohnerzahlen und Zugkilometern eine der Bund die Regionalisierungsmittel im Jahr 2016 auf gerechte Verteilung der Regionalisierungsmittel zwi- 8,5 Milliarden Euro erhöht und ab dem Jahr 2017 eine schen allen Ländern gewährleistet . Zusätzlich wurde in jährliche Steigerung um 2 Prozent zusichert . dem Beschluss eine sogenannte Sperrklinke vereinbart, die jedem Land Zuwächse im Vergleich zu den zugesi- Der Beschluss des Vermittlungsausschusses vom Ok- cherten Regionalisierungsmitteln aus dem Jahr 2014 ga- tober 2015 zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes rantieren sollte . sieht einen deutlichen Aufwuchs der Mittel von circa 7,4 auf 8 Milliarden Euro im Jahr 2016 vor . Gleichzeitig ist Diesem Beschluss zugrunde lag die Annahme, dass eine jährliche Steigerung von 1,8 Prozent ab 2017 vorge- der Bund die Regionalisierungsmittel im Jahr 2016 auf sehen . Die Mittel sollen gemäß dem vereinbarten Schlüs- 8,5 Milliarden Euro erhöht und ab dem Jahr 2017 eine sel verteilt werden . jährliche Steigerung um 2 Prozent zusichert . Bei Beibehaltung des vereinbarten Schlüssels zur Der Beschluss des Vermittlungsausschusses vom Ok- Verteilung dieser Mittel ohne die sogenannte Sperrklin- tober 2015 zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes ke drohen den fünf ostdeutschen Flächenländern bis sieht einen deutlichen Aufwuchs der Mittel von circa 7,4 2030 Mindereinnahmen von rund 3,5 Milliarden Euro, auf 8 Milliarden Euro im Jahr 2016 vor . Gleichzeitig ist obwohl die Mittel auf Druck der SPD-Bundestagsfrak- eine jährliche Steigerung von 1,8 Prozent ab 2017 vorge- tion insgesamt stark erhöht wurden . Die westdeutschen sehen . Die Mittel sollen gemäß dem vereinbarten Schlüs- Länder könnten hingegen mit Mehreinnahmen von rund sel verteilt werden . 14,4 Milliarden Euro rechnen . Dieser Zustand ist mit den Bei Beibehaltung des vereinbarten Schlüssels zur Beschlüssen der Verkehrsministerkonferenz nicht zu ver- Verteilung dieser Mittel ohne die sogenannte Sperrklin- einbaren . Aufgrund der Mindereinnahmen sind in Sach- ke drohen den fünf ostdeutschen Flächenländern bis sen Abbestellungen und qualitative Einschränkungen im 2030 Mindereinnahmen von rund 3,5 Milliarden Euro, Schienenpersonennahverkehr zu erwarten . obwohl die Mittel auf Druck der SPD‑Bundestagsfrak- (B) (D) Mit ihrem Antrag weist die Fraktion Die Linke auf die- tion insgesamt stark erhöht wurden . Die westdeutschen sen Missstand hin, würde jedoch substanziell daran nichts Länder könnten hingegen mit Mehreinnahmen von rund ändern . Eine einseitige Belastung des Bundes würde die 14,4 Milliarden Euro rechnen . Dieser Zustand ist mit den komplexen und weit fortgeschrittenen Verhandlungen Beschlüssen der Verkehrsministerkonferenz nicht zu ver- zur Neuausrichtung der Bund-Länder-Finanzbeziehun- einbaren . gen, deren Gegenstand auch die Regionalisierungsmittel Mit ihrem Antrag würde die Fraktion Die Linke an sind, blockieren . Vielmehr fordere ich ein, dass es eine diesem Missstand jedoch nichts ändern . Eine einseitige Einigung zwischen allen 16 Bundesländern geben muss . Belastung des Bundes würde die komplexen und weit Es ist eine Frage der Solidarität, dass die gemeinsamen fortgeschrittenen Verhandlungen zur Neuausrichtung Beschlüsse, die bereits 2014 gefällt wurden, eingehalten der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, deren Gegenstand werden . Kein Land darf weniger Regionalisierungsmittel auch die Regionalisierungsmittel sind, blockieren . Viel- erhalten, als nach dem Status quo von 2014 zu erwarten mehr fordere ich ein, dass es eine Einigung zwischen al- wären . Mindestens müssen die errechneten Mehrbedarfe len 16 Bundesländern geben muss . Es ist eine Frage der der ostdeutschen Bundesländer gedeckt werden . Solidarität, dass die gemeinsamen Beschlüsse, die bereits Mit einer einstimmigen Position könnten die Bundes- 2014 gefällt wurden, eingehalten werden . Kein Land darf länder ihre Verhandlungsposition gegenüber der Bun- weniger Regionalisierungsmittel erhalten, als nach dem desregierung stärken . Es ist letztlich die Aufgabe der Status quo von 2014 zu erwarten wären . Mindestens Bundeskanzlerin, des Finanzministers und des Bundes- müssen die errechneten Mehrbedarfe der ostdeutschen verkehrsministers, in diesem Konflikt zu vermitteln und Bundesländer gedeckt werden . zur Lösung beizutragen . Es ist die Aufgabe der Bundeskanzlerin, des Finanz- ministers und des Bundesverkehrsministers, in diesem Deshalb habe ich mich zu dem Antrag der Fraktion Konflikt zu vermitteln und zur Lösung beizutragen. Die Linke enthalten . Wohl wissend, dass die Probleme nicht gelöst sind, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Die Regiona- lehne ich aus den oben genannten Gründen den Antrag lisierungsmittel befähigen die Bundesländer, ein breites der Linken ab . Angebot im Schienenpersonennahverkehr bereitzu- stellen . Seit der Bahnreform ist dieses Modell eine Er- Dagmar Ziegler (SPD): Die Regionalisierungsmit- folgsgeschichte . Durch gestiegene Trassen- und Stati- tel befähigen die Bundesländer, ein breites Angebot im onspreise der Deutschen Bahn AG sind die finanziellen Schienenpersonennahverkehr bereitzustellen . Seit der 16860 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016

(A) Bahnreform ist dieses Modell eine Erfolgsgeschichte . Mit dieser Erklärung stimme ich der oben genannten (C) Durch gestiegene Trassen- und Stationspreise der Deut- Beschlussempfehlung zu . schen Bahn AG sind die finanziellen Anforderungen für die Bundesländer jedoch gestiegen . Vor diesem Hinter- grund begrüße ich ausdrücklich das Einverständnis von Bund und Ländern, die Regionalisierungsmittel zu erhö- Anlage 7 hen, zu dynamisieren und gerecht zwischen den Ländern zu verteilen . Erklärung nach § 31 GO Die Verkehrsministerkonferenz hat bereits im Okto- der Abgeordneten Kerstin Andreae, Annalena ber 2014 Einigkeit über einen Schlüssel erzielt, der auf Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), der Basis von Einwohnerzahlen und Zugkilometern eine Dr. Franziska Brantner, Ekin Deligöz, Dr. Thomas gerechte Verteilung der Regionalisierungsmittel zwi- Gambke, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Dr. Tobias schen allen Ländern gewährleistet . Zusätzlich wurde in Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Brigitte dem Beschluss eine sogenannte Sperrklinke vereinbart, Pothmer, Tabea Rößner, Kordula Schulz-Asche, die jedem Land Zuwächse im Vergleich zu den zugesi- Markus Tressel, Doris Wagner und Dr. Valerie cherten Regionalisierungsmitteln aus dem Jahr 2014 ga- Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der rantieren sollte . namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Diesem Beschluss zugrunde lag die Annahme, dass Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der der Bund die Regionalisierungsmittel im Jahr 2016 auf Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an 8,5 Milliarden Euro erhöht und ab dem Jahr 2017 eine der durch die Europäische Union geführten Ope- jährliche Steigerung um 2 Prozent zusichert . ration EU NAVFOR Atalanta zur Bekämpfung der Der Beschluss des Vermittlungsausschusses vom Ok- Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage tober 2015 zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Na- sieht einen deutlichen Aufwuchs der Mittel von circa 7,4 tionen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 auf 8 Milliarden Euro im Jahr 2016 vor . Gleichzeitig ist (2008) vom 15. Mai 2008 und weiterer Resolutio- eine jährliche Steigerung von 1,8 Prozent ab 2017 vorge- nen, zuletzt 2246 (2015) vom 10. November 2015 sehen . Die Mittel sollen gemäß dem vereinbarten Schlüs- und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsra- sel verteilt werden . tes der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäi- Bei Beibehaltung des vereinbarten Schlüssels zur schen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Verteilung dieser Mittel ohne die sogenannte Sperrklin- (B) Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom (D) ke drohen den fünf ostdeutschen Flächenländern bis 8. Dezember 2009 und weiterer Beschlüsse, zuletzt 2030 Mindereinnahmen von rund 3,5 Milliarden Euro, dem Beschluss 2014/827/GASP vom 21. November obwohl die Mittel auf Druck der SPD-Bundestagsfrak- 2014 (Tagesordnungspunkt 13) tion insgesamt stark erhöht wurden . Die westdeutschen Länder könnten hingegen mit Mehreinnahmen von rund Der Deutsche Bundestag befasst sich heute mit der 14,4 Milliarden Euro rechnen . Dieser Zustand ist mit den Verlängerung des Mandats für den Bundeswehreinsatz Beschlüssen der Verkehrsministerkonferenz nicht zu ver- im Rahmen der EU‑Mission EUNAVFOR ATALANTA . einbaren . Die Grüne Fraktion hat diesen Einsatz zur Bekämpfung Mit ihrem Antrag würde die Fraktion Die Linke an des Piraterieproblems vor der Küste Somalias von An- diesem Missstand jedoch nichts ändern . Eine einseitige fang an als notwendige Symptombekämpfung unter- Belastung des Bundes würde die komplexen und weit stützt, in dem Wissen, dass sich das Problem nur durch fortgeschrittenen Verhandlungen zur Neuausrichtung eine politische Stabilisierung Somalias wird lösen lassen . der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, deren Gegenstand Vor allem für die Sicherung der humanitären Versorgung auch die Regionalisierungsmittel sind, blockieren . Viel- der somalischen Bevölkerung durch humanitäre Liefe- mehr fordere ich ein, dass es eine Einigung zwischen al- rungen mit Schiffen des Welternährungsprogramms war len 16 Bundesländern geben muss . Es ist eine Frage der und ist ATALANTA ein wichtiger Garant . Solidarität, dass die gemeinsamen Beschlüsse, die bereits Im Jahr 2012 wurde das Mandat verändert und der 2014 gefällt wurden, eingehalten werden . Kein Land darf Mission erlaubt, aus der Luft auch in einem Küstenstrei- weniger Regionalisierungsmittel erhalten, als nach dem fen zu operieren, der bis zu 2 km ins Landesinnere reicht . Status quo von 2014 zu erwarten wären . Mindestens Viele Experten, auch aus dem Militär, äußerten damals müssen die errechneten Mehrbedarfe der ostdeutschen gut begründete Skepsis gegenüber dieser Ausweitung . Bundesländer gedeckt werden . Sie sahen die Gefahr, dass dadurch der Konflikt eskaliert Mit einer einstimmigen Position würden die Bundes- und die Mission ATALANTA in somalische Konflikte länder ihre Verhandlungsposition gegenüber der Bun- an Land hineingezogen werden könnte . Die Grüne Bun- desregierung stärken . Es ist letztlich die Aufgabe der destagsfraktion hat sich daher in den letzten Jahren bei Bundeskanzlerin, des Finanzministers und des Bundes- dieser Abstimmung mit großer Mehrheit enthalten – so verkehrsministers, in diesem Konflikt zu vermitteln und auch wir . In den letzten vier Jahren gab es lediglich eine zur Lösung beizutragen. Der bereits aus dem Bundesfi- ATALANTA-Operation an Land . Gleichwohl bestünde nanzministerium vorgelegte Kompromissvorschlag war bei einem erneuten Vorgehen dieser Art weiterhin ein Es- nicht zielführend . kalationsrisiko . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 170 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 12 . Mai 2016 16861

(A) ATALANTA hat einen wichtigen Beitrag zur Eindäm- liert, rund 14 Millionen Menschen sind von humanitä- (C) mung der Pirateriegefahr geleistet . Diese Gefahr besteht ren Hilfslieferungen abhängig . Schiffe des ATALANTA­ latent aber weiterhin . Es erscheint daher schlüssig, die Verbundes haben in den vergangenen Monaten auch Operation vorerst fortzusetzen, aber an die veränderte Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms in den Bedrohungslage anzupassen . In diesem Sinne verstehen Jemen in internationalen Gewässern geschützt . und begrüßen wir die Ankündigung der Europäischen Union, den Zuschnitt von ATALANTA mit dem nächsten Wir müssen daher zwischen den schwerwiegenden europäischen Mandat Ende des Jahres zu ändern . Bedenken gegenüber den Risiken von Landoperationen und den vermehrten Herausforderungen am Horn von Gleichzeitig aber steht die Region am Horn von Afri- Afrika abwägen . Da die Landoption bislang wie oben ka vor neuen Herausforderungen . Eine massive Dürre hat beschrieben sehr zurückhaltend genutzt wurde, die Bun- die Zahl der Menschen, die in Somalia humanitärer Hilfe deswehr daran nicht beteiligt war und die humanitären bedürfen, auf fast 5 Millionen erhöht . Im Jemen, auf der Herausforderungen stark gewachsen sind, haben wir uns anderen Seite des Golfs von Aden, sind die kriegerischen entschieden, dem Mandat wieder unsere Zustimmung zu Auseinandersetzungen seit Anfang 2015 massiv eska- erteilen .

(B) (D)

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