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Fußball ERICH UND DIE INDIANER Als Bayer Leverkusen einen Nachfolger für den clownesken Dragoslav Stepanovic suchte, kam es den Konzernherren mehr auf die korrekte Grammatik denn auf die richtige Taktik an. Sie fanden in Erich Ribbeck den umstrittensten Fußballehrer der . Der neue Trainer hat alle Mühe, seine Fehlgriffe schönzureden.

ußballtennis heißt die Übung, die Erich Ribbeck so richtig ans Herz Fgewachsen ist. Wenn das Leder nach Tennisregeln über ein Netz gekickt wird, spielt der Trainer von Bayer Le- verkusen – immer um Basisnähe und ei- gene Fitneß bemüht – gern selber mit. Doch diesmal will sich der Spaß nicht so recht einstellen. Auf der anderen Sei- te steht Bernd Schuster, eine der letzten Kreativgestalten des deutschen Fuß- balls. Schuster hat Aufschlag und macht Punkt um Punkt. Immer wieder zirkelt der Bayer-Profi den Ball auf seinen Übungsleiter, der die Schlenzer und Aufsetzer auch mit den angestrengte- sten Verrenkungen nicht zu retournie- ren vermag. Ribbecks Verzweiflung läßt den Kik- ker kalt. „Trainer“, erklärt Schuster la- pidar seine erfolgreiche Taktik, „wir wollen gewinnen – also spiele ich immer

auf den schwächsten Mann.“ L. BAADER Was wie ein harmloser Flachs am Ar- Bayer-Profi Schuster: „Als Libero viel zu langsam“ beitsplatz wirkt, ist die Rache eines Ge- kränkten. Die streng hierarchische Fuß- Schuster, zuvor beim 1. FC Köln wie Daß Ribbeck dennoch bei seiner ballgesellschaft läßt den Profis kein beim FC Barcelona und bei Real Ma- Entscheidung blieb, hat nur einen Recht auf Widerspruch. Wer offen op- drid als Mittelfeldstratege zu Weltruhm Grund: Er hält sich selbst für einen poniert, wird vom Trainer schnell aus- gelangt, ist von Ribbeck in Leverkusen Erfolgstrainer. Daß ihm der Deutsche sortiert. Also bleibt den Kickern nur der auf den Liberoposten abgeschoben wor- Fußball-Bund 1984 bei der Ablösung rechtsfreie Raum des Spotts – und da den. Als der angejahrte Abwehrchef Jupp Derwalls nicht das Amt des Bun- kennt sich Bernd Schuster, 35, ebenso beim 0:3 gegen den AC Parma seinen destrainers, sondern die Betreuung der gut aus wie im Strafraum des Gegners. schnellen Gegenspielern nicht mehr fol- U16-Auswahl antrug, erscheint ihm Wieder einmal erlebt die Bundesliga, gen konnte, spottete Ribbeck noch süf- noch heute, als habe man „den Direk- wie ein neuer Trainer sich Autorität zu fisant: „Er ist ja nicht 17mal überlaufen tor zum Pförtner machen“ wollen. Und verschaffen sucht, indem er einen Gro- worden, er hat nur 3 Fehler gemacht.“ sein Scheitern beim FC Bayern Mün- ßen der Mannschaft kleinmacht. Doch Inzwischen muß sich der Leverkuse- chen ist für ihn nur „das Ergebnis ei- diesmal ist der Ausgang des Duells un- ner Chefdenker aber selber heftigster nes Intrigenspiels“. Dabei war sich das gewiß: Schuster, der seinen Status als Angriffe erwehren. Der ehemalige Köl- Bayern-Präsidium intern so einig wie Weltstar beschädigt sieht, hat schon vie- ner Nationalspieler Wolfgang Overath, nie gewesen: „Ribbeck ist der schlech- le solcher Kämpfe gewonnen. Und Rib- der am Ende seiner Karriere mit Trai- teste Trainer, der je bei uns war.“ beck, der erst vor wenigen Wochen als ner ähnliche Pro- Die sportliche Vita des Verkannten Cheftrainer in Leverkusen antrat, ist bleme hatte, meldete sich ebenso zu ist trotz einer mehr als vorsichtigen längst nicht so unantastbar, wie es die Wort („Was Schuster im Mittelfeld Auswahl seiner Vertragspartner eher vielen Lobeshymnen zu seinem Dienst- kann, kann kein anderer in Deutsch- arm an Triumphen. Ob bei Eintracht beginn glauben machten. land“) wie Ribbecks Vorgänger in Le- Frankfurt, dem 1. FC Kaiserslautern, Schon wird der Trainer von einem verkusen, Dragoslav Stepanovic oder als Manager Verdacht eingeholt, den er in seiner („Schuster ist der geborene Regis- des Hamburger SV, stets suchte und Laufbahn nie ganz abschütteln konnte: seur“). Und selbst , erklär- fand Ribbeck („Ich bin nicht sehr flei- Ribbeck, 57, in der Branche auch „der ter Freund Ribbecks, fand kein Ver- ßig“) einen Klub, der kaum noch tiefer schöne Erich“ genannt, vermöge zwar ständnis für Schusters Versetzung: „Er rutschen konnte. Den Gewinn des Ue- eloquent über Fußball zu sprechen, ver- kann nicht Libero spielen, dazu ist er fa-Cups 1988 mit Leverkusen, Rib- stehe aber in der Praxis nicht viel davon. viel zu langsam.“ becks einziger Erfolg, nennt selbst

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Doch die Fassade brök- kelt. Zwar habe, so erkann- te Freund Lattek, „der Erich geschickt die Stim- mung in der Mannschaft ausgelotet und herausge- funden, daß Schuster iso- liert ist“. Die gewünschte Souveränität hat ihm das je- doch nicht eingebracht. Ribbecks vorsorglicher Versuch, die Mannschaft auf Linientreue einzu- schwören („Wir machen es wie die Indianer: Intern pa- lavern wir, und nach außen reden wir mit einer Zun- ge“), scheiterte schon nach der Europapokalpleite. Heiko Scholz, in der näch- sten Saison für Werder Bre- men tätiger Bayer-Mittel- feldspieler, machte sich während des Trainings laut- stark über die Taktik lustig: „Künftig spielen wir mit dem berühmten Doppelli- bero, einem Libero und ei- nem Absicherungslibero.“ So ist der Trainer auch in Leverkusen wieder in Be- drängnis wie überall, nur daß die Halbwertzeit der Ribbeckschen Ausstrahlung gegen Null tendiert. In Dortmund blieb noch weit- gehend geheim, daß sich im Kampf um den Klassener- halt eine Handvoll Profis

FIRO unter Leitung des altgedien- Bayer-Trainer Ribbeck: „Schuster hat doch nur drei Fehler gemacht“ ten Rolf Rüßmann zusam- mensetzte und die Taktik Bayer-Manager Reiner Calmund eine Stil ist Ribbecks Programm. Als des Trainers korrigierte, „weil wir „Glückssache“. Charmeur der Gilde zieht er durch die sonst abgestiegen wären“. In München Besonders den Münchnern war Rib- Liga, graumeliert, distinguiert – selbst schoß erst mit dem becks fußballerischer Sachverstand als der Trainingsanzug sitzt akkurat. „Sir Ball auf den dilettierenden Strategen, potemkinsches Gebilde erschienen. Der Erich“ nennen ihn die Boulevardblätter, ehe der sonst so stille Wouters dem sonst so wortgewaltige Trainer geriet ins weil er wie kein anderer den Small talk staunenden Ribbeck im Namen aller Stottern, als er der Mannschaft vor dem zur Konversation erheben kann. Kollegen während einer Mannschafts- Auswärtsspiel in Bremen mit Hilfe von Und weil er sich bei aller Noblesse sitzung erklärte: „Trainer, Sie sind der Milchdöschen und Kaffeetassen jenes noch erdnah gibt, jovial mit betrunke- einzige hier im Verein, der von Fuß- ominöse Abwehrgebilde namens Vie- ball nichts versteht.“ rerkette erklären wollte. Schließlich Schon einen Monat nach seiner griff Jan Wouters, damals Profi bei den „Der Trainerberuf Rückkehr aus dem Retiro in Teneriffa Bayern und 70maliger niederländischer ist für mich ist Ribbecks Freude über das neue En- Nationalspieler, ein und ordnete die gagement einer großen Gereiztheit ge- Tassen neu: „Trainer, Sie haben die Ab- Erziehungsauftrag“ wichen. Beim Training zuschauende sicherung nach hinten vergessen.“ Kinder blafft er ebenso an („Setz dich Doch die Branche übersah Ribbecks nen Fans plaudert oder bei einem Nach- hin und halt die Schnauze“) wie einen Defizite nur zu gern. Im Fußball, dem wuchsspiel inmitten der nörgelnden allzu forsch fragenden Lokalreporter. um gesellschaftliche Anerkennung be- Rentner Haltung bewahrt beim Verzehr „Sie machen das vollkommen verkehrt. mühten Proletensport, ist eine stilvolle einer fettigen Bratwurst, trauen ihm die Es heißt: Guten Tag, Herr Ribbeck, Maskerade mindestens ebenso wertvoll Leverkusener Macher den Spagat zwi- haben Sie mal fünf Minuten Zeit?“ wie ein an Titeln reicher Lebenslauf. schen noblem Weltkonzern und rustika- Sein Ansehen als Fußballsachver- Vor allem in Leverkusen, wo sie nach ler Fußballszene zu. Ribbeck, möchte ständiger schwand. Darauf bedacht, als dem clownesken Stepanovic eine Art der Sportbeauftragte des Bayer-Vor- letzte moralische Instanz der Szene Aufsichtsratsvorsitzenden als Trainer standes Jürgen von Einem glauben, aufzutreten („Der Trainerberuf ist für suchten, legten sie mehr Wert auf eine „verkörpert geradezu perfekt die kon- mich Erziehungsauftrag und soziale korrekte Satzstellung denn auf die rich- zeptionelle Einbindung des Sportvereins Verantwortung“), reklamierte er stets tige Aufstellung. in die Konzerninteressen“. für sich das Höchstmaß an Loyalität

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seinen Berufskollegen gegenüber. in der Saison 1992 schon das Präsidium „wieder die Sucht spüre“ und man ihm Doch als er im April bei Bayer in einer des FC Bayern München mit einem in Leverkusen vertraue. Schon bald scheinbaren Nacht-und-Nebel-Aktion ungewöhnlichen Ansinnen: Für das be- aber wurde publik, daß die Leverkuse- die Nachfolge Stepanovics antrat, er- reits gesicherte Erreichen des Uefa- ner ihr Vertrauen mit zwei Millionen füllte er nur ein Engagement, daß der Cups verlangte er – allerdings verge- Mark Gage ausgesprochen teuer bezah- Verein mit ihm schon im Dezember bens – eine höhere Prämie als für den len müssen. beschlossen hatte. Meistertitel. Doch als der Trainer die einsetzende Auch seine vorgebliche Bescheiden- Die Diskrepanz zwischen Ribbecks Gehaltsdebatte locker konterte, sahen heit („So viel Geld, wie man in der Schein und Sein müssen nun auch die sich die Leverkusener bestätigt, einen Bundesliga verdient, kann man ja gar Chefs von Bayer Leverkusen bewälti- Fußballehrer mit Niveau verpflichtet zu nicht ausgeben“) erlebten seine Ver- gen. Offiziell beteuert Ribbeck, er sei haben. Ribbeck: „Ich arbeite doch nicht tragspartner anders. So überraschte er ins Geschäft zurückgekehrt, weil er für Pfefferminzkes.“ Y

Bayern-Pate Edmund Stoiber sieht alles. Die Farbe Rot Gegen die Herrschaft der Schicke- ria gab es bis jetzt für den Fußballro- Nikolaus von Festenberg über den CDU-Wahlhelfer mantiker immer noch Ottos Reich hoch drobenimNorden. Nicht gerade ein Neuschwanstein des Kickertums, egrüßet seist du, Traumgott gels Freundschaft mit Hamburgs eher eine Fischhandlung mit einem Fußball. Über dir schwebt der fortschrittlichem Thalia-Intendanten Hering (Willi Lemke) als Manager GHeilige Geist als Schwalbe, und 8.-Mai-Bock Jürgen Flimm, um- und Rehhagel als Oberbutt. deine Ewigkeit währt 90 Minuten, sonst des Trainers Sylter Disputatio- Aber Werder erregte immer auch deine Wahrheit erzählen Tore. Du nen mit Walter Jens, dem Emeritus die politische Phantasie: Der Verein warst vor aller Vernunft und du wirst für Korrektorik. Der Anstreicher erschien als Zitadelle sozialdemo- noch sein, wenn der letzte Fluß ver- aus Essen zeigt allen Linken die kratischer Solidarität. Drunten die giftet ist. Balleluja. Mit Pfeife, Kopf schwarze Karte: Nix rote Soccer, ihr Mannschaft, dienichtszusagen hatte. und ganzem Herz seist du geträumt. intellektuellen Fußballfreunde, die Darüber Rehhagel, der mit lupenrei- Jetzt und möglichst immerdar. Föss unterm Stutzen sind black. ner Kleine-Leute-Herkunft, theatra- Manchmal jedoch stört häßliche Nur zu gern orientiert sich der auf- lischer Gebärdensprache und vor al- Tageskunde uns Schlafes Brüder. geklärte Kickoman am Ideal. Elf lem tugendhaftem (latent antikapita- Nicht allein, daß Otto Reh- listischem) Gerede („ehrliche hagel, der Trainer-Nibelung Arbeit“) den proletarischen vom Weserstrand, nach 14 Gesamtfußballer gab. Ein Dienstjahren das hanseati- „demokratischer Diktator“ sche Nebelheim gen Mün- (Rehhagel), den die Vereins- chen flieht. Der Mann, der führung gern beim Bild-Boy- Rilke kennt und deutsches kott unterstützte, um um so Sportsprechen um die „kon- ungestörter die stink- trollierte Offensive“ berei- normalen Geschäfte eines chert hat, wagt sich jetzt Profivereins zu betreiben. auch verwirrend deutlich – Flankiert wurde die sozial- Herr, es ist Zeit – als Wahl- demokratische Werder-Flun- helfer in die Politik vor. der schließlich von der Intel-

„Was auch immer Sie DPA lektuellen-Anbetung des Ot- brauchen, meine Stimme ha- Wahlhelfer Rehhagel, Kanzler Kohl totums, dem andächtigen ben Sie“, sprach vorletzte „Meine Stimme haben Sie“ Staunen über einen Trainer, Woche der scheidende Trai- der in Ausstellungen geht und ner generös vor laufender TV-Ka- Freunde sollt ihr sein, genial wie ein Theater selbst dann betritt, wenn mera, und der Bremer CDU-Spit- Günter Netzer aus der Tiefe des dort nicht „Cats“ gegeben wird. zenkandidat Ulrich Nölle freute sich Raumes kommend, sozialengagiert Mit der politischen Willensbekun- sichtlich über die Vorlage. Auch wie Ewald Lienen, bärtig wie Paul dung des Staatsbürgers Otto Rehha- dem Kanzler gefiel der neue Mit- Breitner, bescheiden wie Fritz Wal- gel reißt der schöne linke Schleier. spieler, und Otto-Frau Beate, viel- ter und urig wie . Fußballspieler und Trainer blicken, leicht selbst bald Münchner CSU- Aber ausgerechnet nach München wennsiewählen, wiediemeistenSpit- Stadträtin oder Nachfolgerin des geht Otto, der Held aller Proleta- zenverdiener auf die Lohnsteuerta- Generalintendanten August Ever- rier. Dort regiert die Plutokratie, belle, lautet die schnöde Botschaft. ding, lächelte wissend dazu. blecken von den Ehrenlogen herab Irgendwo klingelt jetzt ein Wecker. Nur Toren, für die der Ball rund, die perlweißen Zähne aus braun- Wir aber wollen weiter träumen. das Tor eckig und Politik dreckig ist, gebrannten Dentisten-Gesichtern, Von Günter Netzer, auch wenn der dachten Böses dabei. Ihnen bedeu- dirndeln honorable Lodenfrei-Ma- nie so wild und frei war, wieer aussah; tete Ottos schwarzes Polit-Outing tronen, quietschen, Matthäus-Com- von Paul Breitner und Mao, obwohl die Umwertung aller Werder: Ver- passion, die Lolitas. Amexco, Ar- die nie zueinanderfanden. Und von gebens erschien auf einmal Rehha- mani, Amigo – man wählt CSU. Otto, dem Linken.

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