Wie mit Parolen Politik gemacht wird EDITORIAL

Populismus. In diesem Wort steckt „populus“, Während der Recherche für dieses Magazin das Volk. Aber wer ist das Volk, wenn wir über haben unsere Gesprächspartner ungewöhn- Populismus reden? Und vor allem: Wer nicht? lich oft gefragt, ob sie vor dem Druck ihre Zitate, gar den ganzen Artikel, noch einmal Populismus ist in unserer Gesellschaft in den sehen und ändern können. Auch das zeigt, letzten Jahren aufgepoppt – dieses Gefühl wie Populismus und Radikalisierung verängs- haben wir. Etwas ist auf der Bildoberfläche tigen – und dass das Misstrauen gegenüber erschienen. Etwas, von dem viele Menschen den Medien gewachsen ist. hofften, es sei als Massenbewegung lange vorbei. Etwas, wofür unsere Nachbarländer Ein Grund mehr, uns mit Populismus offen anfälliger schienen. Ist Populismus etwas, und kritisch auseinanderzusetzen. Wir haben was ohnehin schon lange brodelte, unter der das zehn Tage lang in Sachsen getan. In keinem Oberfläche, und jetzt rauskommt? „Das wird anderen Bundesland bekam die rechts- man ja wohl noch sagen dürfen“, ist ein viel- populistische AfD bei der Bundestagswahl gehörter Satz in den vergangenen Jahren. 2017 so viele Stimmen wie hier: 27 Prozent.

POP UP: Etwas kommt auf, plötzlich, uner- Unsere Geschichten erzählen von einem Herausgeber: wartet. Geht es auch so rasch wieder weg Spitzenpolitiker, der von der CDU zur für ihn Journalisten-Akademie Gesamtleitung: Maria Grunwald (V.i.S.d.P.) oder bleibt es? Populismus gibt einfache einzigen „Alternative“ gewechselt ist; von der Konrad-Adenauer-Stiftung, e.V. Chefredaktion: Maria Grunwald und Sonja Hartwig Antworten, die man vermeintlich gerne hört. etablierten Parteien, die wieder Boden ge- Klingelhöferstraße 23, 10785 Berlin Gestaltung: Judith Uhlemann, www.uhlemann-design.com Populismus ist laut und überdeckt Diskussio- winnen wollen; von linken und rechten Filter- Telefon: 030-26996-3589 Druck: Kern GmbH, Bexbach nen mit schrillen Sprüchen. Und: Populismus blasen im Internet; von Gläubigen und www. journalisten-akademie.com verunsichert: Was tun, wenn man weder aus- denen, die jeden Glauben verloren haben; www.kas.de/journalisten-akademie Redaktion: Sebastian Beug, Kristoffer Fillies, Miguel Helm, weichen noch mitmachen will? Die Konfron- von denen, die kämpfen: gegen „das System“ www.kas.de Frederike Holewik, Wiebke Kade, Lea Königshofen, tation suchen? Aber wie? Mit welcher Spra- oder für eine weltoffene Zivilgesellschaft. Michael Kruse, Svana Kühn, Verena Löffler, Jana Luck, che, mit welchen Aktionen? © 2018 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Nora Noll, Lisa Reiff, Sebastian Scheffel. Wir wünschen eine spannende Lektüre. Alle Rechte vorbehalten. Auch Radikalisierung ist oft nicht weit ent- Das Magazin POP UP ist das Ergebnis eines fernt von Populismus. Und auch hier stellen Ihre POP UP-Redaktion ISBN: 978-3-95721-480-5 zehntägigen Workshops der Journalisten-Akademie der sich Fragen: Was ist noch „nur“ populistisch, Creative Commons Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE Konrad-Adenauer-Stiftung im Oktober 2018 in . wo liegen die Grenzen zum Extremen? INHALT

Der Krah-Keeler Wie ein Ex-CDUler in der AfD Karriere macht 06 Schwarz und Weiß Ein radikaler Fotoessay 41 Schon Rousseau war Populist 41 Der Politikwissenschaftler Faserland Lars Vogel über die Porträt einer Stadt, Attraktivität von Populismus 28 die zu zerreißen droht 09 46

Ein Landwirt ackert „Demokratie ist „Ruhe! Sie schreien mich „Töne sind besser für die CDU kein Pizzadienst“ an. Ich zittere. Mein Herz als Steine“ „Pfarrer zu sein ist heute Wie Georg-Ludwig von Diese Menschen machen sich klopft schneller.“ Ein Interview über Musik, deutlich schwieriger.“ Breitenbuch gegenüber stark gegen Rechts Was der Hass auf Facebook die demokratisch und nicht Religionssoziologe Gert Pickel der AfD wieder Boden 20 mit mir macht populistisch klingen soll erklärt, wie die AfD die Kirche Lenin im vierten gewinnen will 28 51 spaltet Regalbrett 10 55 NS-Zeitzeugen über „Mit dem Begriff Rechtsruck, AfD Populismus kann ich Von rechten Käffern und politischen Widerstand „Die Nachwendezeit nichts anfangen“ und weißen Libellen Erst die Hetze, 64 brennt den Leuten Kurt Biedenkopf über Wie zwei deutsche Studenten dann der Hass unter den Nägeln“ Pegida, AfD und die mit Migrationshintergrund Ein Bestatter im Kreuzfeuer SPD-Politikerin Petra Köpping Warnung, die Demokratie Alltagsrassismus wahrnehmen der Rechten will den Osten integrieren zu unterschätzen 32 56 14 24

Die AfD dreht am Rat „Man darf sich nicht Mal unter uns Fakten statt Parolen Wie sich die Arbeit im Leipziger 56 angeekelt abwenden“ Warum wurde unsere Populismus in Zahlen Stadtrat seit dem Einzug der Die ehemalige Justizministerin Sprache so radikal? 26 Rechtspopulisten verändert hat Herta Däubler-Gmelin über 16 36 Hass im Netz 59 Müssen Journalisten „Viele Pfarrer sind kritischer über die fehlgeleitet“. „Da kommen wir ganz Inside – Out AfD berichten als über Vier Jahre kämpfte Franziska sicher nicht überein.“ andere Parteien? Schreiber für die AfD, jetzt Kommentare: Pro und Contra Pfarrer Andreas Dohrn und hat sie die Seiten gewechselt 40 AfD-Stadtrat Jörg Kühne streiten über das Christsein 60 52

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4 5 Michael Kruse „Ich bin ein freierer Mensch, seit ich in der AfD bin. Weil ich wirklich Der KRAH-keeler Dinge äußern kann.“ Wie ein Ex-CDUler in der AfD Karriere macht

Ein sonniger Mittwochabend im Oktober auf dem Dresdener Krah gibt offen zu, dass es bei dem Austritt auch um seine Neumarkt. Maximilian Krah trinkt ein Weißbier. Drei Mitglieder politische Karriere ging. „Bei der CDU war ich nur noch in der Jungen Alternative laufen vorbei. Krah sieht sie, winkt sie einer Loose-Loose-Situation: Hätte ich es in den sofort heran. „Die Jungs wollen drei Weißbier“, hallt es zur geschafft, wäre ich Hinterbänkler geworden – mit einem Büro Kellnerin über den Tisch. „Ist das hier nicht ein schönes im Keller und ohne Ausschuss. Schließlich war ich Merkel- kleines Dorf“ – in Dresden kennt man sich. „Darf gerne auch Kritiker. Wäre ich gar nicht erst gewählt worden, wäre ich so bleiben“, schiebt der Nachwuchs hinterher. Prost! Vor zwei politisch gescheitert.“ In der AfD hingegen ist Krah in nicht ein- Jahren hätte Krah hier der Jungen Union zugeprostet. mal zwei Jahren bis in die sächsische Parteispitze vorgedrungen. Heute stößt er auf jeden CDUler an, der die Partei verlässt. 2018 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Der ehemalige CDU-Mann Krah ist Sachsens AfD-Vize und will seine Partei in den Europawahlkampf führen. Schon während seines Jura-Studiums hat Krah seine Karriere vorgeplant. 1998 kritisierte er für den Ring Christlich-Demo- Der große Knall liegt gut zwei Jahre zurück. Nach mehreren kratischer Studenten überzogene Prüfungsanforderungen: Wahlschlappen für die CDU tritt Krah im September 2016 „Die Kampagne ist mir vorgeschlagen worden und dann aus. Dabei kämpfte er zu diesem Zeitpunkt innerhalb der habe ich die Idee aufgegriffen.“ Er selbst habe jedoch nie Partei um die Direktkandidatur für die Bundestagswahl. Sein Probleme mit den Prüfungen gehabt. „Was für ein verlogener Austritt – mitten im Wahlkampf und so gar nicht leise. RCDS-Mann ich war.“ Die Geschichte schaffte es bis in die Bundesausgabe der WELT. Krah bewirbt noch am gleichen Tag seine Internetseite cdu- austritt.de. Hier können enttäuschte Ex-CDUler ihre Wunden „Ich zahl’ die Runde bis hierher.“ „32,30 bitte“, sagt die Kellnerin. lecken. Bundesweites Medienecho inklusive. Krahs damaliger Krah greift in seinen Geldbeutel und knallt einen neuen Kreisvorsitzender Christian Hartmann reagiert prompt: „Das 50-Euro-Schein auf den Tisch. „Der Rest ist Trinkgeld.“ ist ganz schlechter Stil.“ Glastüren, helle Wände, bodentiefe Fenster mit Blick auf den Heute will dieser über Krah gar nicht mehr sprechen. Hart- Dresdener Neumarkt. Das ist Krahs Rechtsanwaltskanzlei, mann ist inzwischen CDU-Fraktionsvorsitzender im Sächsi- nur wenige Schritte von der Frauenkirche entfernt. Makler schen Landtag und denkt öffentlich über eine Koalition mit würden es „1A-Lage im Herzen Dresdens“ nennen. Von der AfD nach. Dafür spricht Krah umso mehr: „Wir haben hier seinem Schreibtisch schaut er dorthin, wo Pegida jeden als AfD jetzt die kulturelle Hegemonie in Sachsen. Das sage Montag demonstriert. ich nicht ohne Stolz. Ein bisschen Revanche ist es schon. Es gab da ein paar Arschlöcher in der CDU.“ Auch Krah ist schon einige Male mitgelaufen. Obwohl die AfD gegen eine Zusammenarbeit gestimmt hat, hätte er Pegida Überhaupt lässt sich Krah ungern unterbrechen, übertönen gerne als Wahlkampf-Hilfe. „Die sind nicht extremistisch. schon gar nicht. Die drei Jungs an seinem Tisch wollten ei- Man sollte dem Bachmann (Pegida-Gründer, Anm. d.Red.) den gentlich drei Helle. Es wurden drei Weißbier, denn Krah war Koks und seine Nutten nicht vorwerfen. Dass wir die Begriffe einfach lauter. „Auch gut“, die drei zucken mit den Schultern, Islamisierung und Abendland so locker flockig verwenden trinken aus. dürfen, verdanken wir diesem Mann.“

6 7 5 NORA NOLL

das „Volk“ als homogene Masse vorstel- genden Generation weitergegeben. Nach len. Was genau dieses Gemeinsame sein der Wende fehlte dann in Ostdeutsch- soll, bleibt in deren Köpfen meist unbe- land, wie auch in anderen Oststaaten, eine © Christian Hüller stimmt und die populistische Partei kann ausgeprägte Parteienidentifikation mit dann diese Lücke ideologisch füllen. Das den demokratischen Parteien, sodass kann bis zu gruppenbezogener Men- auch noch heute die Schwelle niedriger schenfeindlichkeit gehen, wenn bestimm- liegt, eine populistische Partei zu wählen. SCHON Rousseau te Minderheiten ausgeschlossen und ab- war Populist gewertet werden, um das eigene Selbst Im europaweiten Vergleich kam in aufzuwerten. Dazu neigen Menschen, die Deutschland eine große rechtspopulis- von Statusverlustängsten geplagt werden. tische Kraft relativ spät auf, der Rassem- Lars Vogel, Politikwissen- Ängste, die durch internationale Phäno- blement National in Frankreich und die schaftler an der Universität mene wie die Finanzkrise verstärkt werden Freiheitliche Partei Österreichs haben Leipzig, forscht über Populis- und auf dem Gefühl beruhen, dass in schon sehr viel länger Erfolg. Hat das mus und Eliten. Menschen, Zukunft alles schlechter wird. mit einer historisch gewachsenen Vorsicht in Deutschland zu tun? die sich benachteiligt fühlen, Also sind vor allem die Abgehängten Es war auf jeden Fall in Deutschland lange hält er für Populismus-anfällig. anfällig für Populismus? Zeit schwierig, eine Partei rechts von der Nein, die Annahme, dass gesellschaftlich CDU/CSU zu gründen. Parteien, die es Der Begriff Populismus wird gemeinhin benachteiligte Menschen eher zu populis- vor der AfD gab, wie die NPD, waren Überhaupt benutzt Krah gern markige Worte. „Hier kräht In seinem Büro hängt kein Kreuz, obwohl der 41-jährige sehr schwammig verwendet, was ver- tischen Gedanken neigen, stimmt so nicht. durch ihre Nähe zum Rechtsextremismus der Krah“ heißt seine wöchentliche Kolumne im AfD-nahen Katholik Krah sich erzkatholisch gibt. Er geht nur in die stehen Sie darunter? Denn bei AfD-Wählern gibt es Menschen schnell diskreditiert. Die AfD hat ja eigent- Deutschlandkurier. Migration wird zur „Umvolkung“, Merkel lateinische Messe und fährt dafür extra nach Prag. „Ich habe Der goldene Gral des Populismus ist die aus allen Bevölkerungsschichten, mit un- lich als eurokritische Partei begonnen und zur „Eishexe“ und die CDU zu „Merkels links-grüner Einheits- versucht, mich in Dresden in die neue Messe zu bewegen. Es Volkssouveränität. Was erstmal enorm de- terschiedlichem Einkommen und Bil- dann erst mit der Zeit einen anderen poli- partei“. „Ich bin ein freierer Mensch, seit ich in der AfD bin. hat dazu geführt, dass ich das abbrechen musste.“ mokratisch klingt, birgt die problemati- dungsstand. Einige sind nicht wirklich be- tischen Schwerpunkt gesetzt. Weil ich wirklich Dinge äußern kann.“ sche Frage: Wer bestimmt denn, was das nachteiligt, fühlen sich aber trotzdem so. Hinter der Glaswand zu Krahs Büro winkt Freundin Kristina. Volk will? In der populistischen Vorstel- Wie schätzen sie die weitere Entwick- Diese Freiheit nutzt Krah auch fürs Dresdener AfD-Programm: Sie holt die einjährige Tochter ab, auf die Krah aufgepasst hat. lung gibt es eine einheitliche Meinung im Dieses Gefühl scheint im Osten stark lung der AfD ein? Wird sie zu einer Der russische Präsident Wladimir Putin soll Ehrenbürger der Die Kleine hat den Vormittag im Kinderwagen verschlafen. Volk, die von Volksvertretern nur ausge- zu sein – ist das die Erklärung für den Volkspartei? Stadt werden und passend dazu ein „Café Putin“ gleich selbst Krah verabschiedet sich, spricht leise, damit die Tochter nicht sprochen werden muss. Das ist übrigens Erfolg der AfD? Vorhersagen sind immer schwierig, aber eröffnen. Dazu gibt es Werbung in den Bordmagazinen der aufwacht. Er ist Vater von sechs Kindern im Alter von eins bis ein Gedanke, den wir so ähnlich schon bei Der Osten spielt sicher eine Sonderrolle. momentan macht die AfD eine Radikali- russischen Staatsairline Aeroflot. Das Denkmal Germania soll 21. Aus erster Ehe mit seiner verstorbenen Frau stammen vier Rousseau finden. Er schrieb von den „ci- Einerseits haben wir es ja tatsächlich mit sierung durch, und das könnte zu einer auf dem Altmarkt wiedererrichtet werden, Personennahver- Kinder. „Es macht einen Unterschied, ob man Kinder hat oder toyens“, die in der freien Diskussion das objektiven Unterschieden zur westdeut- Abkehr der ursprünglichen Protestwähler kehr in der Innenstadt komplett kostenlos sein, und ein Ehe- nicht. Angela Merkels Politik wäre anders, wenn sie Kinder Gemeinwohl finden. In Richtung Rechts- schen Gesellschaft zu tun, sei es in wirt- führen, denen diese Politik zu weit geht. Kredit nach DDR-Vorbild nur an Deutsche ausgezahlt werden. hätte. Wir sind die einzige Partei, die für Mama, Papa, Kind ist.“ populismus bewegen wir uns, wenn die schaftlichen Fragen wie Vermögensvertei- Wichtig ist auch, wie sich andere Parteien homogenen Interessen aus einer gemein- lung und Arbeitslosenquote oder wenn es in Zukunft positionieren werden. Einige Auf Krahs Schreibtisch in der Kanzlei stapeln sich die Prozess- Seit Krah sächsischer AfD-Spitzenkandidat für die Europa- samen ethnischen Herkunft oder, in um die Besetzung von Führungspositio- Wähler haben ihr Kreuz bei der AfD ge- akten. Im Regal direkt dahinter Gesetzestexte, die Ablage Wahl 2019 ist, hat er ein neues Ziel: Die europaweiten rechten schwächerer Variante, aus der gemein- nen geht. Das Gefühl der kollektiven Be- setzt, obwohl sie nicht hundertprozentig „Briefe privat“ und ein Buch des Rechts-Intellektuellen Thor Bewegungen in einer Fraktion vereinen. Aber erst einmal war samen kulturellen Identität heraus be- nachteiligung ist also nicht komplett von mit den Einstellungen übereinstimmen. von Waldstein. Krah vertritt immer mehr Parteianhänger. „Ich er geschockt: „Ach, so schlimm bin ich schon, dass man mich gründet werden. Der „Volkswille“ wird in der Hand zu weisen. Dazu kommen Sie sehen Probleme im bestehenden habe viele Mittelständler als Mandaten hinzugewonnen. In loswerden will... Aber tatsächlich ist es so, dass man mir sagt, populistischer Logik vom Hauptfeind, der Gründe, die noch in der DDR liegen: Zu politischen System, dass sich zum Beispiel Sachsen ist ein Bekenntnis zur AfD nicht schädlich.“ Seine du sprichst verschiedene Sprachen, du kannst Sachsen in Elite verhindert und auch von liberalen DDR-Zeiten hatten die Ostdeutschen die großen Parteien immer weiter annähern, bundesweit bekannten Fälle: Der als „Hutbürger“ bezeichnete Europa gebührend repräsentieren.“ Institutionen wie Verfassungsgerichten geringeren Kontakt zu Menschen mit Mi- und finden diese Kritik am deutlichsten ehemalige LKA-Mann, der bei einer Pegida-Demonstration oder freien Medien. grationshintergrund, auch gab es in der bei den Populisten wieder. Daneben gibt in Konflikt mit ZDF-Journalisten geriet, oder der AfD- Im gleichen Jahr wählen die Sachsen auch ihren Landtag. sozialistischen Gesellschaft tatsächlich es aber auch die Wähler, die ideologisch Bundestagsabgeordnete , auf dessen Twitter- Krah sieht seine Partei auf Erfolgskurs: „Wir haben die realis- Für wen sind diese Einstellungen mehr Gleichheit als in der westdeutschen, geleitet sind. Nicht alles kommt von Account Boris-Becker-Sohn Noah als „Halb-Neger“ be- tische Chance, in absehbarer Zeit die absolute Mehrheit zu besonders anziehend? das Gefühl einer gewissen Homogenität Protestwahl, deshalb wird die AfD nicht zeichnet wurde. erreichen.“ Und seine Stimme wird wieder ganz laut. Populismus zieht Menschen an, die sich lag also nahe und wurde auch der nachfol- komplett verschwinden.

8 9 Sebastian Beug

Gemeinde Kohren-Sahlis: Im Ortsrat begrüßen sie sich mit Handschlag

Einen Wahlkreis, der mit der Politik der ich die Kandidatur und den Wahlkampf „Wir wollen eine CDU in Berlin fremdelt und in dem die noch einmal führen möchte.“ Und ein Partei Lektionen für den Umgang mit Wechsel zur AfD aus Frustration käme bodenständige der AfD lernen kann. Sein Wahlkreis hat nicht in Frage? „Nein. Es muss Grund- Landwirt Georg-Ludwig von Breitenbuch: Die Leute erwarten eine „Befriedigungsabsicht“ CDU. Keine die Nummer 23, Leipzig Land 1, und lage sein, dass wir die schwierige Zeit reicht von seinem Hof in der Gemeinde als CDU überstehen.“ Von Breitenbuch Intrigen, gute Kohren-Sahlis bis zum Braunkohletage- kann ein Vorbild sein für die CDU – Wähler und Mitglieder Gremienarbeit.“ EIN LANDWIRT ACKERT bau vor Leipzig. konservativ und bodenständig, ohne der der Union fremdeln mit AfD nachzulaufen. Er will, dass die CDU der Politik in Berlin. Er steuert mit der linken Hand und ges- wieder die Felder vor dem eigenen Haus Ein Abgeordneter versucht, FÜR DIE CDU tikuliert mit der rechten, als er über die bestellt. Das ist seine Antwort, um der Bodenständigkeit bedeutet für von an der Basis wieder Energiewende spricht. „Aus der Atom- AfD zu begegnen. Breitenbuch, sich anzustrengen, ehrlich Im Oktober wird Brotweizen gesät, und Er hofft darauf, dann nicht nur guten kraft und nun möglicherweise aus der und realistisch zu sein. „Spricht mich je- Boden gegenüber der deshalb muss das Feld gepflügt wer- Brotweizen einzufahren, sondern auch Kohle auszusteigen, ohne ausreichend „Wir wollen eine bodenständige CDU. mand an, fahre ich hin. Entweder kann AfD wettzumachen. den. Landwirt Georg-Ludwig von Brei- gute Wahlergebnisse. Doch das Feld Grundlast bei den erneuerbaren Energien Keine Intrigen, gute und fachliche ich etwas ändern oder muss erklären, tenbuch, 47, blickt auf den Acker, die ist aus Sicht der regierenden Großen zu haben, wird nicht funktionieren.“ Gremienarbeit“, sagt von Breitenbuch. wenn man nichts mehr ändern kann.“ In Arme in die Hüften gestemmt. Das Koalition denkbar schlecht bestellt. Laut Eine unausgegorene Energiewende Seit fast 30 Jahren sitzt er abends in einer seiner Sprechstunden meldete Wort, das ihn gut beschreibt: Boden- Umfragen hat die AfD die Chance, in vorzuschreiben, das frustriere viele Bürger Ortsausschuss- und Stadtratssitzungen. sich eine ältere Dame. Sie zahlte 1.400 ständigkeit. Es ist zugleich das Wort, mehreren Wahlkreisen Direktmandate und CDU-Mitglieder. Von Breitenbuch In seinem Heimatort Kohren-Sahlis sind Euro für den Platz ihres Mannes im Pfle- über das er derzeit viel nachdenkt. Seit zu gewinnen – möglicherweise auch im sagt das so klar, wie es fast niemand in das neun Männer und Frauen der CDU, geheim. Jetzt stiegen die Kosten, sie 2009 sitzt von Breitenbuch für die CDU Landkreis Leipzig. Bei der Bundestags- Berlin macht. zwei von der SPD, zwei von der Linken müsste ihr Haus verkaufen oder ihre im Sächsischen Landtag, führt die wahl stimmte dort mehr als jeder vierte und einer der FDP. Auf einer Fraktions- Kinder um Geld bitten, um den Platz Fraktion mittlerweile als Vizechef. Er Wähler für die AfD. Sie ist der Hauptgeg- „Viele Kreuze bei der AfD sehe ich als sitzung der CDU fragte er neulich in die weiter zu finanzieren. „Wir haben Tarife versucht eine Antwort zu finden auf die ner der CDU bei der Landtagswahl 2019. Aufforderung: Korrigiert eure Entschei- Runde: Kennt ihr jemanden, der bei der verglichen, hatten aber keine Lösung. Frage, wie die CDU gegenüber der dungen oder erklärt sie uns ordentlich“ Kommunalwahl im Mai 2019 für die AfD Vielleicht ist es das Beste, sie verkauft AfD wieder Boden gewinnen kann. Im Von Breitenbuch öffnet die Tür seines sagt von Breitenbuch. Hat er gezögert, antritt? Kopfschütteln. „Das spricht dafür, ihr Haus, oder die Kinder beteiligen Mai 2019 sind Europa- und Kommunal- VW Passats und möchte dem Reporter erneut anzutreten? Eine kurze Stille im dass die AfD eine Protestpartei bleibt“, sich. So ehrlich muss man manchmal wahlen, im September Landtagswahlen. aus Berlin seinen Wahlkreis zeigen. Passat. „Ich habe mir gut überlegt, ob so hat es von Breitenbuch interpretiert. sein“, sagt von Breitenbuch.

10 11 „Die Leute haben die Freiheit und Demokratie sehr tief eingeatmet.“

Landkreis Leipzig: Geprägt von Landwirtschaft und Tagebau, hier der Hainer See Rittergut Sahlis: Förderung, damit der Eigentümer das Dach saniert

Von Breitenbuch ist ein Politiker der Das Autotelefon klingelt, Dresdner ihren fünf Kindern zwischen zwei und investiert. In Kohren-Sahlis ist die Angst Er erklärt es sich so: Mit dem Zusam- Von Breitenbuch schenkt aus einer Mitte. Hätte er es sich vorstellen können, Vorwahl. „Hallo Christian, ich rufe dich 18 Jahren leben sie auf einem Hof in groß, dass das Rittergut erneut den menbruch der DDR haben die Ostdeut- Tonkaraffe Wasser ein. Handwerk aus dass Politik in Deutschland einmal so zurück.“ Christian Hartmann ist seit Kohren-Sahlis. Eigentümer wechselt. Schlagzeile im schen bereits eine Staatspleite erlebt. dem Ort. Wie wird die CDU bei der kompromisslos werden würde, dass es September Vorsitzender der CDU- schlimmsten Fall: Nazi-Hoffmann wie- Unternehmer und Handwerker, die die Landtagswahl abschneiden? „Ich glaube, einmal eine Partei rechts der CDU geben Fraktion im Landtag und hat eine Koa- Rückfahrt nach Kohren-Sahlis, Ortsrats- der da. AfD wählen, bauten sich nach der dass wir stärkste Kraft bleiben.“ könnte? „Nein“, sagt von Breitenbuch. lition mit der AfD nicht ausgeschlos- sitzung. Von Breitenbuch begrüßt jedes Wende eine eigene Existenz auf. Diesen sen. „Eine Koalition von CDU und AfD Mitglied mit Handschlag. Der Vorsitzende, Von Breitenbuch blickt in die Runde, Leistungsanspruch, so von Breitenbuch, Das Problem: Je schwächer die CDU, Er fährt nach Kahnsdorf an den Hainer ist nicht der richtige Weg für Sachsen“, Siegmund Mohaupt, ebenfalls CDU- rechts, links. „Ich will noch einmal mit stellten sie nun auch an die Politik. desto wahrscheinlicher ist, dass sie auf See, einem renaturierten Tagebau. sagt von Breitenbuch nun. Aber: Wett- Mitglied, bezeichnet von Breitenbuch dem Denkmalschutz sprechen, ob dem eine Dreier- oder Vierer-Koalition ange- Sommerhäuser mit Bootssteg reihen bewerb tue der Demokratie gut. als „Glücksfall“ für den Ort. Mit ihm sitzt Eigentümer eine Förderung angeboten Er nennt es eine „Befriedigungsabsicht“, wiesen ist. CDU, SPD, Grüne und FDP sich an das Ufer. Als eine Stiftung den „Wir müssen zeigen, dass wir den ein Mitglied des Landtags auf der werden kann, damit er zumindest das die die Leute von der Regierung erwar- müssten in einem Block gegen die See für ein Projekt zur Resozialisierung Protest verstanden haben.“ Nach der kleinsten politischen Ebene. So einen Dach saniert,“ versichert von Breiten- teten. Vor allem jetzt, da das Land nicht Ränder Links und Rechts stehen. „Freies jugendlicher Straftäter im freien Vollzug Bundestagswahl tauschte die CDU Draht hat die AfD bisher nicht aufbauen buch dem Ortsrat. Danach ist die Dis- zur Ruhe kommt. Abgelehnte Asyl- Regieren nach vorne geht nur mit einer auswählte, schwappte eine Welle der in Sachsen den Ministerpräsidenten können. kussion beendet, nächstes Thema. bewerber, Drogenkriminalität, Innere starken CDU. Mit zu vielen Koalitions- Empörung über Kahnsdorf. Tenor: Wir aus, Michael Kretschmer folgte auf Sicherheit, zählt von Breitenbuch auf. partnern wird zu wenig entschieden.“ zahlen für ein Seegrundstück, und da Stanislaw Tillich. An der Parteispitze in Im Ortsrat sorgen sie sich um das Nach der Tour lädt von Breitenbuch drüben sitzen Kriminelle! Berlin blieb das Personal. Rittergut Sahlis, das bis 1945 von zum Gespräch in seine Küche. Über 15 In den ehemaligen „Bruderstaaten“ Er hat die Hoffnung, dass die Wahl- Breitenbuchs Vorfahren gehörte. Nach Jahre hat er das Herrenhaus mit seiner Tschechien, Ungarn und Polen haben kämpfe zur Kommunal- und Landtags- „Das war schockierend“, sagt von Breiten- Wenn von Breitenbuch darüber nach- Enteignung, Wende und mit zuneh- Frau saniert. Auf der Anrichte entsaften die Unruhe, der Leistungsanspruch und wahl anders als die Bundestagswahl buch, „Leute in Verantwortung und denkt, was die CDU von der AfD lernen mendem Verfall ersteigerte der Neonazi Quitten, zwei Quittenbäume wachsen die Enttäuschung bereits rechtspopulis- nicht von einer Stimmung gegen Berlin Wohlstand haben den sozialen Ansatz könnte, dann wäre es, eine konservati- Karl-Heinz Hoffmann das Rittergut, im Garten. Warum ist die AfD in Ost- tische Politiker an die Spitze des Staates überlagert werden. „Ich mache meine gar nicht mehr an sich herangelassen.“ vere Klientel wieder anzusprechen. Er kassierte 130.000 Euro Fördergelder deutschland eigentlich so erfolgreich? gebracht. Könnten antiliberale Kandi- Arbeit vor Ort und hoffe, dass es Die Kompromisslosigkeit habe ihn er- sieht sich in der Rolle des Konservati- und machte mit einer Wehrsportgruppe „Die Leute haben nach 1990 die Frei- daten das auch in ostdeutschen goutiert bleibt.“ schüttert, und in seiner Stimme ist zu ven, möchte dieses Feld nicht der AfD Schlagzeilen. Heute gehört das Ritter- heit und die Demokratie sehr tief einge- Bundesländern schaffen? „Es kann sich spüren, dass sie es immer noch tut, obwohl überlassen. Der Landwirt ist Protestant, gut einem Immobilieninvestor aus atmet – und sind enttäuscht, wenn es dahin entwickeln, aber wir sollten alles das Projekt seit einigen Jahren läuft. seine Frau Monika, 46, Katholikin. Mit Münster, doch auch der hat noch nicht nicht läuft.“ tun, dass es nicht so wird.“

12 13 Sebastian Beug

Frau Köpping, in allen Umfragen liegt schlechte Laune, wie mir manchmal und hingeschrieben „Angestellter“. die AfD weit vor der SPD. Was muss die vorgeworfen wird. Die Menschen ha- Das bedeutet für den Bergmann 400 SPD von den Rechtspopulisten lernen? ben sie und sagen sie mir nur. Euro weniger. Das wird er nie verges- Ich glaube, dass wir wirklich die Proble- sen. Die Leute sind wütend und sagen me, die die Bürger nennen, thematisieren Wie muss die SPD in Sachsen mir, sie wählen AfD. Deshalb haben müssen. Ich mache das ja, indem ich damit umgehen? wir in der Bundesregierung auch einen mein Buch geschrieben habe. Die Nach- Ich finde es gut, dass so viele Bürgerge- Härtefallfonds eingerichtet. Eine Renten- wendezeit brennt den Leuten unter den spräche stattfinden, wie etwa die Sach- nachzahlung über die gesamte Erwerbs- Nägeln. Die AfD benennt Probleme, sengespräche. Die Staatsregierung stellt zeit, das sage ich auch, werden wir ‚Da ist der Wolf, da müssen wir was tun.‘ sich einmal in jeder Großstadt und in nicht erreichen. Aber es ist vielleicht Was die Folge ist, sagt sie aber nicht. jedem Landkreis den Fragen der Bürger. eine Möglichkeit zu zeigen, dass wir Es ist schon schwieriger zu sagen: Das ist Es ist eine gute Zeit für so etwas, da sich das Problem erkannt haben. das Problem, das ist die Lösung. die Menschen für Politik interessieren. Und das überzeugt AfD-Wähler, Wie wandeln Sie das in eine Können Sie damit die AfD ihr Kreuz bei der SPD zu machen? Strategie um? wirklich bremsen? Ich habe Briefe bekommen, in denen Wir in Sachsen haben ja das Thema Ich weiß es nicht. Wenn es so einfach wäre, Leute mir schreiben: Ich will eigentlich Ostdeutschland sehr stark gefahren. Ich wäre es ja leicht. Die Flüchtlingskrise 2015 AfD wählen, aber ich vertraue Ihnen, Frau glaube, das ist ein Thema, das die hat zu einer großen Unzufriedenheit in Köpping, noch einmal. Es gibt auch Menschen stark umtreibt. Wie geht es ganz Deutschland geführt. Wenn Briefe von Leuten, die sagen: Ich habe so mit meiner Zukunft weiter? Wie hat man sich die Wahlergebnisse anschaut, lange gewartet, es ist für mich vorbei. Ich man meine Lebensleistung, die ich kommt im Osten nochmal eine Schippe glaube, dass wir deswegen auch gemein- in den 28 Jahren nach der Wende drauf. Und ich glaube, da spielt die Nach- sam, die Parteien der Mitte, an der Aufar- gebracht habe, gewürdigt? wendezeit eine Rolle. Deshalb kämpfe beitung der Nachwendezeit arbeiten ich dafür, dass sie ein Thema für die müssen. Ich spüre, dass die Leute dank- Machen Sie damit nicht die Wunden ganze Republik und für Berlin ist. bar sind, wenn sie über ihre Erfahrungen der Wiedervereinigung wieder auf? reden. Sie wollen, dass man anerkennt, Ich würde sie nicht aufmachen, aber die In ihrem Buch fordern Sie eine was sie geleistet haben. Die menschliche Menschen machen sie auf. Die Menschen Wahrheitskommission zur Wendezeit, Zuwendung, die Politik und die Bürger sagen mir: 28 Jahre habe ich für den Auf- eine Aufarbeitung der Treuhand, brauchen, ist in den letzten Jahren viel bau von Gesamtdeutschland gearbeitet eine Rentenanpassung. Das sind doch vergessen worden. „Die Nachwendezeit und auch Niedriglohnjobs angenommen. Themen für die Bundespolitik? Sachsen war ein Niedriglohnland. Wer 28 Ja, eindeutig. Deswegen ist die Stimme Viele AfD-Wähler sind Protestwähler. brennt den Leuten Jahre im Niedriglohnbereich gearbeitet des Ostens so wichtig. Mir sagen die Was lernt die SPD aus dem Protest? hat, bekommt nur eine Rente, bei der er Menschen: Für die Flüchtlinge machen Dass sich die SPD wieder um das soziale in Altersarmut leben muss. die da oben alles, warum nicht für uns. Gewissen der Menschen kümmern muss. unter den Nägeln“ Und da sage ich: Ich mache für alle etwas. Dass sie wirklich sagen muss, wer ein Le- Aber das Problem wächst sich doch aus? ben lang gearbeitet hat, der muss auch Nein. Umfragen wie im Sachsenmonitor Was denn? von seiner Arbeit und Rente leben kön- zeigen: Die 18- bis 27-Jährigen glauben Es gibt tatsächlich 17 Rentengruppen, nen. Die Prognosen sagen aus, dass im Die SPD muss sich wieder mehr um die Nöte der Leute kümmern, in gleicher Weise wie die Über-60-Jähri- die eine Rente zugesagt und nicht be- Osten jeder vierte in Altersarmut leben nur so könne die AfD gestoppt werden, sagt Petra Köpping. Seit gen, dass sie Menschen zweiter Klasse kommen haben. Ein Beispiel: Bei den muss. Das sollte weder SPD noch CDU sind. Das muss uns zu denken geben. Bergleuten in der Veredelung stand im ruhig schlafen lassen. Wenn wir dort nicht 2014 ist die 60-Jährige Integrations- und Gleichstellungsministerin Ich würde auch gerne alte Kamellen Sozialbuch noch vor der Wende „Berg- handeln, kann ich mir gut vorstellen, dass in Sachsen. In ihrem Buch „Integriert doch erstmal uns!“ fordert sie ruhen lassen. Mich betrifft es doch gar mann“. Und dann kam später die populistische Parteien siegen. eine bundesdeutsche Aufarbeitung der Nachwendezeit. nicht, mir geht es gut. Ich mache keine Knappschaft, hat das durchgestrichen

14 15 Kristoffer Fillies

Die Wirtin hat gerade das Glas samt Schaumkrone auf den Bierdeckel vor mir abgestellt und ich nippe daran, als sich Ulli neben mich setzt. Ein Holzho- cker zwischen uns. „Heute mal ein Wei- zen“, sagt er der Wirtin, behält seine Jeansjacke über seinem graumelierten Pullover an und lehnt die Unterarme auf den Holztresen. Ulli ist öfter hier. Ihm gefällt, das wird er später sagen, das Rustikale an dieser Kneipe. Die Bedie- nung sei nett, man kenne sich. Ich selbst bin das erste Mal hier.

„Dich habe ich noch nicht hier gesehen“, „Die Grenzen müssten sagt der Mann mit schütterem grauem geschlossen werden.“ Haar und Fünf-Tage-Bart. Er duzt mich, damit habe ich kein Problem. Ich duze ihn zurück. Ulli fragt mich, was ich hier mache. Ich sage, ich sei Journalist und Politikwissenschaftler, dass ich nicht aus Ein Abend in meinem Bandproberaum, kam Ende der 90er Jahre auf, beschäftigt Leipzig komme, aber zuhören möchte. Ich 2016. Mein damaliger Schlagzeuger, sich mit der kritischen Analyse von Sprache möchte verstehen, wie Leute über Poli- soviel wusste ich, hatte nicht viel mit in der Politik. Die Sprachwissenschaftler tik reden, in der Stadt Leipzig, in der Politik am Hut, doch die Flüchtlings- Thomas Niehr und Jana Reissen-Kosch Bundesrepublik Deutschland. Er ver- debatte hatte er verfolgt. Seine haben im Oktober 2018 ein Buch her- zieht keine Miene, hört mir einfach zu, Meinung dazu: Die Grenzen müssten ausgebracht: „Volkes Stimme? Zur Mal unter uns nickt hin und wieder leicht. Was ich ihm geschlossen werden. Warum, fragte er, Sprache des Rechtspopulismus.“ Sie „Flüchtlingswelle“, nicht sage: Dass ich wissen möchte, mit sei es falsch, wenn jemand von der AfD finden: Seitdem durch die AfD 2013 welchen Begriffen über Politik gesprochen sagt, an den deutschen Grenzen müsste und Pegida 2014 Gruppen entstanden, „Asylterrorismus“, wird. Und warum sie genutzt werden, auch auf Menschen geschossen werden? die einen großen Platz in allen journalis- „Merkel muss weg”. mit welcher Intention. Schließlich müsste „das Volk“ selbst- tischen Medien einnehmen, müsse auch Das habe ich in bestimmt bleiben. Ich war schockiert und über ihre Sprache geredet werden. den vergangenen „Flüchtlingswelle“, „Asylterrorismus“, sagte: „Es ist doch nicht dein Ernst, auf Niehr und Reissen-Kosch stellen dar, vier Jahren immer „Merkel muss weg“: das habe ich in unbewaffnete Menschen schießen zu welche Muster in der Kommunikation den vergangenen vier Jahren immer lassen?“ Darauf folgte der Spruch: Man von Rechtspopulisten typisch sind. wieder gehört. wieder gehört, nicht nur in den Medien, könnte doch nicht wissen, ob sie viel- Warum wurde auch bei Freunden. Für mich begann es leicht zur Terrororganisation IS gehören. Drei Feindbilder sehen sie bei Rechtspo- unsere Sprache mit der griechischen Staatsschuldenkri- Ich war baff, denn so undifferenzierte pulisten. Zum einen die Politiker des so radikal? se, dann kam die Flüchtlingskrise, Do- Aussagen hatte ich nicht erwartet. Doch „Berufspolitikertum“, eine politische nald Trump wurde zum US-Präsidenten dann dachte ich selbst undifferenziert: Elite von „etablierten Parteien“ – eine gewählt und sagte: „Ich könnte auf der Bei dem ist ja Hopfen und Malz verloren. pauschal korrupte Politik. Das zweite 5th Avenue stehen und jemanden er- Ich begann mich zu fragen: Wie ist das Feindbild sei das Establishment, das schießen und würde keine Wähler ver- Radikale in die Sprache gekommen? sich aus gesellschaftlichen und wirt- lieren.“ Und über Migranten meinte er: Darüber gibt es Forschung. Politolinguistik schaftlichen „Volksfeinden“ aufbaue, „Man kann gar nicht glauben, wie heißt das, und Office-Word unterstreicht die im Gegensatz zu dem „einfachen schlimm diese Menschen sind, das sind das Wort sogleich in Rot. Noch jung ist Volk“ Privilegien genießen würden. Und keine Menschen, das sind Tiere.“ dieser Zweig der Sprachwissenschaft, das dritte Feindbild seien die Medien.

16 17 Das Wort „Lügenpresse“ ist seit den und hab‘ damit kein Problem.“ Doch Wer ist denn nicht deutsch?, frage ich. nennt – Nafris. Seitdem wird der Begriff Pegida-Demonstrationen in aller Munde. seinen Nachnamen möchte er später „Für mich ist jemand deutsch, wenn er kontrovers diskutiert. „Hopfen und Malz Damit wird den Medien pauschal die nicht lesen. Man kenne ihn als „Ulli“, die sich zu unserer Kultur bekennt und sie also verloren?“ Abhängigkeit von der Politik und eine Leute werden ihn dadurch schon erken- lebt. Kopftücher brauchen wir hier Ich brauche nicht mehr viel nachzufra- selektive Berichterstattung unterstellt, nen. Und man könne ja nicht wissen, nicht.“ Da ist es, das Thema Islam, ich gen, Ulli hat Fahrt aufgenommen. „Ich die nicht glaubwürdig sei. was das nach sich ziehen würde, wenn habe es schon erwartet. Das werde sage übrigens auch, dass Merkel schuld sein ganzer Name zu lesen sei. „Ich in Deutschland ein immer größeres an der Flüchtlingskrise ist. Eine Bundes- Komplexe Themen, schreiben Niehr sage halt klar meine Meinung, die wird Problem, sagt Ulli. „Alle wollen immer kanzlerin, die ,Wir schaffen das‘ sagt Warum sollte ich Dich als Nazi darstel- ein Versuch, ihnen immer wieder die und Reissen-Kosch, haben oft einfache von den meisten aber nicht gern‘ gehört.“ Gleichberechtigung, aber den Islamis- und alle Wirtschaftsflüchtlinge mit offenen len? „Die meisten sehen einen als Nazi, Konsequenzen für die einfachen Lö- Lösungen. Plakative Sprüche wie „Kri- ten bloß nicht das Recht nehmen, Kopf- Armen aufnimmt und Fotos mit wenn man etwas gegen Flüchtlinge sungen vor Augen zu führen. minelle Ausländer raus“ oder Aussa- Wie lautet denn seine Meinung, die tücher zu tragen, und die Frauen müssen ihnen zusammen macht. Ich hab‘ ja oder das System sagt.“ gen, das existierende Parteiensystem nicht gerne gehört werde? „Es ist doch hinter den Männern hergehen und die eben gesagt, Politiker sind Verräter. Aber was hätte ich Ulli für Konsequen- abzuschaffen, seien Vorschläge, deren die Wahrheit, dass die meisten Politiker Aldi-Tüten tragen.“ Als ich das höre, Merkel wird aber bald weg sein. Das ist Bist Du gegen das demokratische Sys- zen nennen können? Ich hätte mit Tragweite für die Demokratie von den Verräter sind.“ Verräter, das Wort habe fällt mir das Wort Islamisten auf; er sagt ihre letzte Zeit an der Macht. Sie hat uns tem? „Wenn man überhaupt noch von dem Grundgesetz argumentieren kön- Sprechern nicht bedacht werde – oder ich auch bei Niehr und Reissen-Kosch nicht Muslime, er sagt Islamisten, eine genug Jahre in die Scheiße geritten. Demokratie sprechen kann. Aber eine nen. Dass die Religionsfreiheit auch eben doch bewusst ausgesprochen gelesen. Sie schreiben in ihrem Buch, Bezeichnung, die man für Terroristen Das ist ja nicht nur mit der Flüchtlings- richtige Demokratie, wie die AfD das zulässt, Kopftücher zu tragen. Oder werden. Ein weiteres Merkmal von Rechtspopulisten meinen zu wissen, was verwendet, nicht für die, die friedlich krise so.“ fordert, wo man sich zur eigenen Hei- dass auch in anderen Parteien als der Rechtspopulisten sei die Orientierung ‚das Volk‘ wolle. Und wenn Politiker ihren Glauben leben. Warum nennst du mat bekennen kann, da bin ich dabei.“ AfD Meinungen ausgetauscht werden. am Sprachgebrauch des Nationalsozia- nicht umsetzen, was Rechtspopulisten sie Islamisten, frage ich. Wer den Islam Was muss denn passieren? „Ich bin mir Oder dass man sich in unserem demo- lismus und des heutigen Rechtsextre- für den Willen des deutschen Volkes richtig leben wolle, der sei Islamist. Es sicher, dass jetzt immer mehr Leute Als ich aus der Kneipe gehe, schwirrt kratischen Rechtsstaat sehr wohl zur mismus: Sie nutzen Wörter, die belastet halten, dann würden sie zu „Volksverrä- stehe ja im Koran – für den Glauben zu aufwachen. Mit der einzigen Alternative mir einiges im Kopf herum. Viele Aussa- Heimat bekennen könne – ohne Ande- sind. „Völkisch“ etwa als positiven Begriff. tern“. Es ist ein Begriff, bekannt von den kämpfen. Gelesen hat Ulli den Koran in Deutschland haben wir endlich eine gen von Ulli habe ich schon oft gehört. re auszuschließen. Nationalsozialisten, die „Volksverrat“ nicht, sagt er. Das habe ich mir gedacht. Partei, die sich dafür einsetzt, die Wie damals im Bandproberaum. Oder Ulli, mein Kneipensitznachbar, ist Deut- unter Strafe stellten. Ein Begriff, finde Als würde ich einen Punkt abhaken auf Meinung frei zu sagen.“ als ich in einem Jugendhaus mal einem Hätte das etwas gebracht? Hätte Ulli scher, sagt er. Das stehe so im Pass und ich, wie ein Totschlag: Man beendet mit der So-denken-Rechtspopulisten-Liste. Mitglied der Jungen Alternative gegen- seine Meinung überdacht? Und was er sei in Deutschland geboren, nicht in ihm Diskussionen, bevor sie begonnen Meinungsfreiheit also nur unter der über saß. Er sprach pauschalisierend ist, wenn die Konsequenzen vom Sachsen, sondern im Westen. 1951 in haben. Wen die Politiker denn verraten Manchmal kommt es mir vor, als könnte AfD? „Mal unter uns, ich habe damals von der „Lügenpresse“, von Medien, Gegenüber akzeptiert werden? Zum Hoya an der Weser, Niedersachsen. würden, frage ich Ulli. „Na die eigenen ich ein Eins-a-Rechtspopulist sein. Ich auch die SPD gewählt“, sagt Ulli. Er ist die alle der Regierung nahestehen und Beispiel der mögliche Tod von Er wurde Maschinenbauer. Nach der Leute.“ Und wer sind die eigenen weiß ja, was kommt. Ich weiß, dass sie dann aber doch einverstanden, dass es in ihrem Auftrag schreiben würden. Menschen durch Schusswaffen. Mei- Wende zog es ihn in den Osten nach Leute? „Die Deutschen, die in ihrer wenig differenzieren: beim Frauenbild nicht nur unter uns bleibt und ich es Woher er diese Anschuldigung nimmt, nem Bandkollegen war das egal. Berlin und letztendlich nach Leipzig. Heimat leben und arbeiten.“ Ulli braucht zum Beispiel. Sie differenzieren nicht, schreibe. „Damals, da hast Du noch gar konnte er nicht genau erklären, aber „Wie es so ist, wegen der Liebe und dafür keine Zeit zum Nachdenken. Er woher ein Frauenbild kommt, welche nicht gelebt, war die Politik von denen man merke es an der Berichterstattung Niehr und Reissen-Kosch schreiben: Arbeit. Jetzt hab‘ ich beides nicht bleibt ruhig, sitzt ganz zu mir gewendet, Rolle das Patriarchat spielt beispielswei- ja auch nicht schlecht. Da wurde noch selbst: Themen wie die Vergewaltigung „Wenn die Wähler die Konsequenzen mehr“, sagt der alleinlebende Rentner, mit seinem linken Unterarm auf dem se. Sie sagen allein: Der Koran ist diskutiert. Heute nicht mehr, da ist alles deutscher Frauen durch Migranten vor Augen haben und bereit sind, sie lacht und möchte mit mir anstoßen. Ich Tresen, die Hände flach auf dem Holz schuld. So ist es auch bei Ulli. Er sagt: ein Einheitsbrei.“ Einheitsbrei? Schon würden kleingeredet. Ich dachte, das ist in Kauf zu nehmen, weil sie finden, die mache mit, stoße an, lächle zurück. und auf dem rechten Oberschenkel, die Religionen seien schuld an Krieg und damals, als Flüchtlinge Anfang der mehr ein Gefühl als ein Fakt, aber wie einfachen Lösungen führen für alle zu Füße schulterbreit auf dem Boden. Elend. „Ohne den IS hätten wir keine Neunziger aus Kriegsgebieten aus dem sollte ich damit umgehen? einer besseren Zukunft, dann ist es Ob ich mitschreiben dürfe? „Mach‘ Ich spüre, dass ich mit meinen Fragen Flüchtlinge. Das hat aber auch damit zu Balkan gekommen seien, habe Ulli sei- nur folgerichtig, einer rechtspopulisti- ruhig, ich sag‘ immer, was ich denke, bohre, möchte aber tiefer gehen. tun, dass vor allem die jungen Syrer und ne Freunde gewarnt: Es sei ein Fehler, Die Sprachwissenschaftler Niehr und schen Partei seine Stimme zu geben.“ Nafris aus Angst abhauen, weil ihnen sie nicht wieder zurück zu schicken. Reissen-Kosch geben in ihrem Sach- hier Frieden und Geld winken, anstatt „Multikulti funktioniert nicht, das sagen buch einen Ratschlag, wie mit rechtspo- Hopfen und Malz also verloren? Ich für ihr eigenes Land zu kämpfen.“ sogar die Politiker heute.“ pulistischer Sprache – den Parolen, Ar- gehe nicht davon aus, einen Rechtspo- gumenten und Vokabeln – umzugehen pulisten umstimmen zu können. Aber „Manchmal kommt es mir Den Begriff Nafri nutzt Ulli frei raus. Ich sage Ulli, ich werde jetzt gehen und möglich sei. Es sei ein wohl illusorisches ich werde ihnen weiter zuhören und Nach den Silvesternächten 2016 in Köln bezahle mein Bier bei der Wirtin. „Stell Unterfangen, das Weltbild eingefleisch- mit ihnen reden. Denn sonst würde ich vor, als könnte ich ein wurde bekannt, dass die Polizei in mich aber nicht wie ein Nazi dar.“ Ulli ter Rechtspopulisten in einer Diskussion die Diskussion abschneiden. Eins-a-Rechtspopulist sein.“ Nordrhein-Westfalen Nordafrikaner so lächelt, während er das sagt. ins Wanken zu bringen. Doch es wäre

18 19 LEA KÖNIGSHOFEN „Demokratie ist kein pizzadienst” Ihre Haltung gegen Rechtspopulismus? Aufstehen, Haltung zeigen, Vier engagierte Menschen aus dem Umkreis von präsent sein, das ist ihre Devise. Leipzig erzählen von ihrer Motivation, sich für Auch wenn die Parolen von unsere Demokratie stark zu machen. Rechts immer lauter werden, gibt es Stimmen aus der Gesell- Die Protokolle zeigen: Es gibt gesellschaftlichen Ich möchte nicht in einer Gesellschaft schaft, die aktiv dagegen halten. Protest gegen Rechts. So sieht er aus. leben, in der es okay ist, dass Personen aufgrund ihres Berufs, ihrer Haarfarbe, ganz egal, die Menschlichkeit abge- sprochen wird. Ich bin weiß, männlich, Ich bin kein Freund von diesem „Ge- werden, weil wir der Meinung sind, dass und engagiert euch. Stellt Euch nicht ich könnte das alles ausblenden, aber gen“. Wenn wir sagen „Wir sind gegen das für Demokratie wichtig ist. nur hin, verschränkt die Arme und sagt: andere können das nicht. Es ist jetzt an Johannes Filous, 29, Rechts“, werten wir es auf. Wenn wir „Uns hat ja keiner gefragt“. Eine Demo- der Zeit, eine Haltung zu haben. Keine Medizinstudent, aber sagen „Wir sind für die Demokra- In einem unserer Projekte gehen profes- kratie ist kein Pizzadienst, bei dem man zu haben ist schwierig, finde ich. Mitbegründer von tie“, erreichen wir mehr. Denn damit sionelle Trainerinnen in Kindertages- seine Salamipizza ordert, die dann „Straßengezwitscher“ stoßen wir eine Sache an. Wir haben stätten und Grundschulen. Sie haben kommt und dazu auch noch warm sein „Straßengezwitscher“ ist 2015 aus einer Auch wenn wir neutral berichten, haben uns vor zwanzig Jahren gegründet, als drei Unterstützer dabei: Ernie und Bert, muss. So funktioniert das nicht. Man Ohnmacht heraus entstanden. Im März Also zwei Wochen nach dem Tag, an die uns auf dem Schirm. Wir kriegen die rechtsextremen Parteien immer die beiden Stoffpuppen aus der Sesam- muss auch mitmachen. Und wenn ei- 2015 haben geflüchtete Menschen an dem 150 Journalistinnen und Journalisten E-Mails mit allen möglichen Ideen, wie mehr Wählerstimmen bekommen ha- straße, und den Raben „Weiß was“. Die nem das Angebot nicht passt, muss der Semperoper ein Protestcamp auf- vor Ort waren. Niemand sonst hat am wir sterben könnten. Wir werden auch ben und sich kaum jemand öffentlich Kinder kommen dann mit diesen drei man etwas Neues gründen. gebaut. Sie demonstrierten gegen die 14. September live vom Angriff der mal auf der Straße verfolgt oder verbal eingemischt hat. Niemand hat gerufen: Stofffiguren ins Gespräch. Sie erzählen enorm lange Bearbeitung ihrer Asyl- „Revolution Chemnitz“ auf Jugendliche und physisch angegriffen. Man gewöhnt Halt mal, hier läuft was schief, wir müs- ihnen, was sie beschäftigt, wo sie sich Anträge. Dieses Camp wurde von auf der Schlossteichinsel berichtet. sich an diese Bedrohungen, aber sie ha- sen etwas tun! Deshalb haben wir ge- gerade ungerecht behandelt fühlen, wo Rechtsradikalen angegriffen. Die haben ben Konsequenzen. Ich tue alles, um sagt, wenn das niemand thematisiert, ein Konflikt besteht. Durch die Diskussi- „Weg mit dem Dreck“ gerufen. Am Um ein Gespür für die Situation zu be- private Details zu schützen. machen wir das jetzt. Wir wollen Men- on mit den Puppen finden die Kinder nächsten Tag hat das medial kaum Auf- kommen, sind wir mittendrin und twit- schen animieren, sich in unsere Gesell- individuelle Lösungen. Es ist wichtig, merksamkeit gefunden. Es kann doch tern. Wir machen Fotos, Videos oder Viele der Sachen, die man sieht, kann schaft und unsere Demokratie einzu- ihnen zu vermitteln, dass es bei Konflik- nicht sein, dass sowas keine Debatte sind an der Spitze der Demo, um zu do- man nicht einfach abschütteln. Clauß- bringen. ten immer eine Palette an Möglichkei- auslöst. Daraufhin haben wir beschlos- kumentieren, wann es los geht, wie vie- nitz war damals eine Nacht vor meiner ten gibt: Ich kann mit dem, der mir Un- sen, dass wir das abbilden wollen. Wir le mitlaufen, ob bekannte Akteure aus Chemieprüfung. Aber man fährt nicht Unser Angebot richtet sich grundsätz- recht getan hat, nicht mehr reden, zeigen diese Dinge, die unsere Grund- der rechten Szene dabei sind. Wenn es nach Claußnitz und schläft danach fried- lich an drei Gruppen: Kinder- und Ju- oder ich kann ihn mit einer Schau- festen des Zusammenlebens angreifen, sehr unübersichtlich wird, machen wir lich ein. Das arbeitet weiter im Kopf, gendliche, Führungskräfte in Politik und fel Sand bewerfen. Aber es gibt ganz nüchtern, ohne Meinungsmache. Livestreams. In Chemnitz zum Beispiel und dann bin ich natürlich grandios Verwaltung und Ehrenamtliche. Wir bie- ja noch viele andere Möglich- Und mit der Hoffnung, dass sich sind Rechtsradikale durch Polizeiketten durch die Prüfung gefallen. Deshalb ten Workshops und Weiterbildungen keiten. Menschen Antworten dazu überlegen. gebrochen, waren plötzlich hinter Was- verteilen wir auch die Arbeit auf so viele zum Thema Selbsterfahrung, Selbstwert serwerfern. Man kann mit Worten gar Menschen wie möglich. oder Zivilcourage an. Dabei zielen wir Man hört ja oft den Satz: „Wir Mittlerweile sind wir ein Team von über nicht richtig beschreiben, wie das war. darauf ab, dass Menschen zu stabilen Bürger müssen mehr gefragt werden“. 30 Leuten. Wir gehen zu allen mög- Da sind wir dann live gegangen. Mir hilft tatsächlich der journalistische und selbstbewussten Persönlichkeiten Meine Antwort darauf ist: Dann geht lichen rechten Demonstrationen. Auch Ansatz, eine neutrale Distanz aufzubau- zu unangemeldeten wie in Freital oder Grundsätzlich konzentrieren wir uns auf en, denn ich habe seit 2015 so unglaub- Heidenau. Wir nehmen die Internetmo- diese Berichterstattung – wir sind quasi lich viele rechtsradikale Demonstratio- bilisierung über Facebook sehr ernst eine Nachrichtenagentur 2.0 für dieses nen und Ausschreitungen erlebt. Ohne Kann die Gesellschaft und sind dadurch richtig früh vor Ort. Thema in dieser Region. Und wir sind professionellen Abstand hätte ich jetzt Oft sind wir auch die einzigen, die von auch dann noch da, wenn eine große keinerlei Hoffnung mehr für ein friedvol- etwas bewegen ? Sebastian Reißig, 40, Geschäftsführer den Ausschreitungen berichten, zum Medienblase, wie in Chemnitz, schnell les Zusammenleben. Man braucht viel und Mitbegründer von „Aktion Zivilcourage“ Beispiel am 14. September in Chemnitz. wieder weg ist. Liebe im Leben, wenn man sowas macht.

20 21 Ihre Botschaft an Irena Rudolph-Kokot, 45, Verwaltungs- fachwirtin bei der Stadt, Personalrätin, Rechtspopulisten ? engagiert sich bei „Leipzig nimmt Platz“.

Mittlerweile verteidigen wir nur noch die ganz nor- malen freiheitlichen Grundwerte. Es geht um Ihre Hoffnung nichts Anderes mehr und das ist traurig. Ich würde viel lieber für ein anderes Asylrecht oder bezahlba- re Mieten streiten. Stattdessen liefern wir uns stän- für die Zukunft? dig neue Abwehrkämpfe gegen Rechts.

Im Januar 2015 hat die Anti-Islam Bewegung Pegi- da aus Dresden angefangen, auch in Leipzig regel- mäßig zu demonstrieren. Das war der Start für Le- gida. Mir war sofort klar, diese Bewegung darf hier Tom Haus, 59, Fuhrparkleiter im Landratsamt, ehrenamtlicher in Leipzig nicht stattfinden. Immer wenn diese Le- Landesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) in Sachsen gida-Märsche waren, war unser Aktionsbündnis „Leipzig nimmt Platz“ zur Stelle. Wir wollten und Ich hatte relativ spät mein Coming-Out, ders christliche – Strömungen, die den Wir haben dann gesagt, Ihr könnt gerne wollen uns gegen die rechte Bewegung stark ma- erst mit 40 Jahren, was ziemlich heftig Homosexuellen sagen, Ihr seid krank, Ihr vorbeikommen und Luftballons steigen chen. Sehr schnell habe ich Demonstrationen ge- dass der konkrete Aufruf zu einer Sitz- blockade in war. Mir ist damals klar geworden, dass müsst geheilt werden. Und dagegen set- lassen, aber reden könnt Ihr nicht. Wir leitet und selbst angemeldet. Seitdem war ich bei Sachsen strafbar ist. Deshalb versuchen wir das im- es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entwe- ze ich mich ein. Als Homosexueller offen wollen Euch keine Plattform bieten. mehr als 1.000 Versammlungen in Leipzig und Um- mer ganz spontan. der ich verstecke mich weiter und gehe zu leben, ist immer noch nicht einfach, ob gebung dabei. Ich war in Halle, ich war in Bautzen daran zu Grunde. Oder ich breche aus das jetzt in Leipzig, Dresden oder sonst- Meine Motivation ist, dass andere Men- – wo wir nur mit 80 Menschen auf einer riesengro- In Leipzig hatten wir von Anfang an wesentlich und oute mich. Ich war vorher in einer wo ist. Ich sollte doch eigentlich Hand in schen nicht erleben müssen, was ich er- ßen Fläche den vielen Nazis und rechtsgerichteten mehr Leute als Legida. Bei der ersten großen evangelikalen Bewegung sehr aktiv, und Hand mit meinem Mann durch die Stadt leben musste. Dieses Versteckspiel. Der Personen gegenüberstanden – ich war in Heide- Demo standen wir 5.000 rechten Demonstranten mir war klar, wenn ich das durchziehe, gehen können. Aber machen Sie das mal. Selbstmordversuch. Die Ausgrenzung. nau, habe mir das Drama dort angeschaut. Ich war mit 35.000 Menschen gegenüber, da war die verliere ich mein ganzes Leben. Ich ha- Ich will nicht, dass das, was wir erreicht in Freital, ich war in Claußnitz. ganze Stadt voll. Auf solche Gegendemos haben be mir dann ein ganzes Päckchen Herz- Deswegen kläre ich an Schulen auf, hal- haben, die Ehe für alle beispielsweise, die keinen Bock. In Leipzig hat das funktioniert. tabletten in einem Glas Rotwein aufge- te Vorträge. Ich bin auch im Landesvor- von der AfD und der ganzen rechtspo- Die dürfen sich nicht wohl fühlen. Deshalb machen Die Leute von Pegida versuchen zwar immer mal löst und getrunken. Davon bin ich aber stand des LSVD Sachsen und dort pulistischen Bewegung wieder rückgän- wir jedes Mal irgendetwas, das den rechten De- wieder, die Märsche in Leipzig wieder aufleben zu nicht eingeschlafen, sondern wütend hauptsächlich für die Themen Coming- gig gemacht wird. monstranten den Spaß verdirbt: Wir plärren sie die lassen. Aber dann kommt auch immer schnell: geworden. Erst im Garten bin ich umgefal- Out und Rechtspopulismus zuständig. ganze Zeit mit Lautsprechern und Sprechchören an „Ach nee, in Leipzig war das nie schön, ich len. Das hat eine Nachbarin gesehen und Wir arbeiten eng mit den Gruppen zu- Ich denke manchmal, was für Kämpfe und zeigen ihnen, wie scheiße sie sind. Wir verhin- fahr lieber nach Dresden“. Das ist für die wie ein dadurch bin ich gerettet worden. Dann ist sammen, die sich gegen Rechts stellen. kämpfst du hier eigentlich. Es gibt aber dern, dass sie ihre Redner hören. Wir nerven sie Kaffeekränzchen, jeden Montag in Dresden. das passiert, was ich vorher befürchtet immer Leute, die einen wieder motivie- richtig. Und dann sind natürlich auch immer ein hatte: Ich habe meinen Job verloren, Hier in Sachsen ist zum Beispiel „Rain- ren. Mein Mann hilft mir, indem er sagt: paar Blockaden gut, damit die nicht durchkom- Mein Ziel ist, dass Menschen miteinander in durfte in der Kirche nicht mehr predigen, bow Flash“ recht groß. Das ist eine Ak- „Tom, wir machen das für eine gute Sa- men. Am besten Sitzblockaden, daher stammt ja Frieden leben, ihre Kontroversen im Diskurs aus- wurde ausgegrenzt. Alles ist wegge- tion gegen Homophobie und Transpho- che“. Deshalb bin ich nach wie vor un- auch unser Name: von Platz nehmen, den Rechten tragen und dass grundsätzlich keiner hinten runter brochen, ich habe mein Leben verloren. bie, in mittlerweile zwölf Städten. Am terwegs in Schulen oder auf Konferen- keinen Raum geben. Dazu muss man aber wissen, fällt in der Gesellschaft. Ich würde nicht sagen, Anfang hat die AfD versucht, sich einzu- zen, kämpfe für Gleichberechtigung. dass ich alleine was erreicht habe, denn meistens Deshalb engagiere ich mich seit Jahren klinken. Mir war aber sofort klar: Nein, Wir haben noch nicht alle Kämpfe ge- erreicht man Sachen gemeinsam mit anderen. für Leute, die wegen ihrer Homosexuali- das geht nicht. Das, was die da in ihrem wonnen. Wir haben zwar die Ehe für al- Wir haben Legida aus Leipzig verbannt. Das ist tät gemobbt werden. In der Neuen Programm haben, das kann man gar le, aber eine richtige Gleichstellung ha- ein ziemlich großer Erfolg. Rechten gibt es verschiedene – beson- nicht mit unseren Zielen vereinbaren. ben wir noch nicht.

22 23 Sebastian Beug und Verena Löffler sich eingerichtet: mit muslimischen Ein- für die Aufmerksamkeit unseres Staates, Nochmal, wenn die AfD zweit- oder wanderern und ihrem Glauben. Für die dass wir einen Verfassungsschutz haben, gar stärkste Kraft wird, gibt es dann Wirtschaft sind sie als Arbeitskräfte un- der solche Minderheiten aufdeckt. eine Koalition von CDU und AfD? verzichtbar. Kaum! Es gibt Leute, mit denen kann Halten Sie dann auch den man im Einzelfall auch zusammenar- Was mich irritiert, ist die Bereitschaft, erstarkten Rechtspopulismus beiten. Eine Mehrheit wird die sächsische dass wir so schnell eine Demokratiekrise in Sachsen für kein Problem? AfD in der kommenden Landtagswahl fürchten. Damit stellen wir ihre Leistungs- Rechtspopulismus ist ein dehnbarer kaum erringen. Dazu ist schon das Miss- fähigkeit in Frage, ehe wir sie getestet Begriff. Wann ist er in jeder politischen trauen zu groß, das sie mit der Absicht haben. Der Staat ist nicht die Demo- Auseinandersetzung als Populismus an- erzeugt hat, Kinder über ihre Lehrer zu kratie. Sie soll den Staat domestizieren zutreffen und wann ist er rechts? Das befragen. Mit den anderen Parteien und unsere Freiheit sichern und nicht kann ich nicht beurteilen. Deshalb kann haben wir dann eine Situation, in der zur Hilfe rufen. Nicht der Staat wird die ich mit dem Begriff Populismus als wir die AfD in erheblichem Umfang in Demokratie schützen. Die Bürgerinnen solchem nichts anfangen. ihren Handlungsräumen einschränken und Bürger, die in ihr leben, müssen sie können. Dann wird sie radikaler und schützen, für sie einstehen, auch wenn Das heißt, die AfD ist kein Problem wenn sie radikaler wird, wird sie an es schwierig ist und Opfer verlangt. Das für Sachsen? Stimmen verlieren. gilt auch für die Menschen in Sachsen. Das wird sich zeigen. Die Bedeutung Abgesehen von einer zahlenmäßig dieser Partei hängt von der Wahl ab. Ein besonders hohes Wahlergebnis « Mit dem Begriff winzigen Minderheit ist hier noch keiner Allein die Bürgerinnen und Bürger, die der CDU ist ja eher unwahrscheinlich. auf die Idee gekommen, die Demokratie sich an der Wahl beteiligen, entscheiden Was müsste die CDU konkret tun, um » in Frage zu stellen. Wir sind sehr schnell darüber. Das Ergebnis gilt. Wenn die so ein Ergebnis zu erreichen? kann ich nichts anfangen in Deutschland bei einer, ich sage mal, AfD mit 15 oder 20 Prozent in den Eine ordentliche Politik anbieten. Sie Demokratiegefährdungsangst. Wenn sie Landtag einzieht, haben alle Wähler brauchen ja nur zu fragen, was wir 1990, in Deutschland systematisch die Demo- dazu beigetragen. Ob die AfD dann 1994 und 1999 erzielt haben. In allen Kurt Biedenkopf (88) war von 1990 bis 2002 Ministerpräsident von Sachsen. kratie angreifen würden, wären sie nicht eine brauchbare Alternative für Sachsen drei Wahlen haben wir eine absolute Dabei holte er dreimal die absolute Mehrheit für die CDU. Er warnt davor, erfolgreich, auch die AfD nicht. ist, wird sich zeigen. Sicher ist sie es Mehrheit gehabt. Das ist auch in Zu- die Demokratie zu unterschätzen. nicht, wenn sie Kinder in unseren Schu- kunft, zusammen mit anderen Parteien, Im Jahr 2000 haben Sie gesagt, len veranlassen will, über ihre Lehrer durchaus möglich. Sie wohnen seit Sommer dieses vorbestraften Gründer Lutz Bachmann triert, dass Ihr Christen seid, und geht Sachsen sei immun gegen Rechts- zu berichten. Aus meiner Kindheit Jahres wieder in Dresden. Wie geht gerade den vierten Geburtstag ge- in unsere Kirchen. Solange sie leer bleiben, extremismus. weiß ich noch, dass es bei den Nazis Was bedeutet das für Michael es Ihnen hier? feiert. Stört Sie das nicht? machen auch die Demonstrationen Wir haben es damals so gesehen. Denn besonders beliebt war, die Kinder über Kretschmer und den Wahlkampf 2019? Es geht meiner Frau und mir gut. Ihre Demonstrationen stören mich nicht, keinen Sinn und Ihr seid keine Patrioten. uns war es gelungen, den Rechtsextre- die politischen Auffassungen der Eltern Kretschmer ist entschlossen, mit der CDU Wir fühlen uns wieder zu Hause. solange sie das Recht respektieren. Pegi- mismus unter Kontrolle zu bringen – und und der Lehrer zu befragen. zu kämpfen. Die Ziele, die er mit der CDU da ist keine politische Partei. Wir sind ein Einem Teil der Anhängerschaft von zwar relativ schnell. Dazu hat die Be- und weiteren Partnern erreichen will, wird Was spüren Sie, wenn Sie sich auf der freies Land, und wenn 500 Leute jeden Pegida geht es sicherlich um das völkerung wesentlich beigetragen. Seit Bei der Bundestagswahl war die AfD er vorstellen. Meine Unterstützung hat er. Straße mit Bürgern unterhalten? Montag diesem Herrn Bachmann zu- christliche Abendland, andere sind der Jahrtausendwende ließ das Enga- allerdings mit 27 Prozent der Zweit- Ich habe kein Problem mit Wahlzielen, In der Regel freuen sich die Leute und hören wollen, dann sollen sie es machen. offen rechtsextrem, zeigen den Hitler- gement der Regierung nach, und die stimmen stärkste Kraft in Sachsen. die eine Herausforderung sind. Diese wünschen uns alles Gute. Ich habe gruß. Die Frage ist, warum kommen Probleme nahmen zu. Was, wenn das auch nächstes Jahr Wahl wird eine besondere Bedeutung das immer so gesehen, dass ich nicht Aber es sind doch regelmäßig die alle nach Sachsen, zu Pegida nach bei der Landtagswahl passiert? haben. Wir müssen in Sachsen zum einen über den Leuten stehe, sondern fast 2.000 Menschen. Dresden, zu den Aufmärschen nach Aber es ist doch Fakt, dass es Wenn sie nach den Regeln der demo- erreichen, an die politischen Entwick- neben ihnen. Wenn ich über den Neu- Das ist nicht mein Eindruck. Die Veran- Chemnitz? knapp 3.000 Rechtsextremisten in kratischen Ordnung in den Landtag lungen anzuschließen, die in den letzten markt gehe und jemanden sehe, der staltung ist ruhiger geworden. Am Anfang Am Anfang war Pegida ziemlich aggres- Sachsen gibt, die vom Verfassungs- gewählt werden, haben die Wähler rund 15 Jahren an uns vorbei gegangen im Auftrag der Stadt die Fläche sauber liefen Demonstranten noch mit selbst siv, derzeit weniger. Eine Wurzel ist die schutz beobachtet werden. Das sind so entschieden. Ob die AfD im sind. Zum anderen müssen wir mit der hält, indem er Papier sammelt, gehe ich gebauten Galgen herum. Das hat sich Angst, die unstreitigen Errungenschaften in Relation zur Einwohnerzahl deutlich sächsischen Landtag ihre Politik Kraft und der Leistungsfähigkeit der zu ihm hin und bedanke mich. Wenn gelegt. Aber jetzt würde ich vielleicht seit der Wiedervereinigung könnten mehr als in anderen Bundesländern. durchsetzen kann und in welchem Sachsen und all derjenigen, die inzwi- er nicht da wäre, wäre das ein Saustall. fragen: Ihr nennt Euch Patrioten, wollt durch viele und schnelle Veränderungen Wie erklären Sie sich das? Umfang, liegt bei den anderen Parteien schen ins Land gekommen sind, die das christliche Abendland verteidigen und die bisher unbekannten Einwan- Was sind die Gründe und Vorausset- und ihren Abgeordneten. Wenn die Chancen nutzen, die uns unsere Schulen Sie schildern das jetzt alles sehr positiv, und den Islam in Deutschland verhindern. derungen erneut gefährdet werden. Im zungen für eine Überwachung? Ist es sich im Rahmen der Interessen Sach- und Universitäten, unsere Wirtschaft, gleichwohl hat die islamfeindliche Dazu gibt es eine glaubwürdige Antwort: Westen, in Köln oder im Ruhrgebiet, Hysterie oder ist sie notwendig? Es ist sens zusammenfinden, habe ich damit unsere Kultur, unsere Weltoffenheit und Bewegung Pegida mit ihrem mehrfach Beweist Eure Ernsthaftigkeit, demons- sieht man die Dinge anders und hat doch hervorragend und ein Beweis keine Probleme. unsere Religion als Lutherland bieten.

24 25 LISA REIFF AFD Fakten statt parolen 77 Prozent der Bundesbürger sind der Meinung, dass rechtsextremes Gedankengut in der AfD weit verbreitet ist. Wenn dagegen nur AfD-Anhänger befragt werden, sagen fast genauso viele das Gegenteil: 72 Prozent Bundestagswahl 2017 meinen, dass rechtsextremes Gedankengut gerade 12,6 Prozent erreichte die AfD bei der Populismus nicht in der AfD verbreitet ist. Bundestagswahl 2017. Sie zog als drittstärkste Quelle: Statistisches Bundesamt, 2018 Kraft in den Bundestag ein. Quelle: Statistisches Bundesamt, 2017 In keiner anderen Partei ist der Frauenanteil so gering wie in der AfD: 17 Prozent der Parteimitglieder sind Ende 2017 Die drei Bundesländer, in denen die AfD bei der Frauen. Die Grünen haben dagegen den höchsten Bundestagswahl 2017 am meisten Zweitstimmen Sachsen Frauenanteil (39,8 Prozent). bekommen hat, sind Sachsen (27 Prozent), Fast jeder dritte Bundesbürger (29,2 Prozent) ist nach Quelle: Statistisches Bundesamt, 2018 Thüringen (22,7 Prozent) und Brandenburg einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von September 2018 (20,2 Prozent). In den neuen Bundesländern ist populistisch eingestellt – unabhängig davon, ob die politische 80 Prozent der Bundesbürger sind der Meinung, die AfD der Anteil der Zweitstimmen für die AfD mit 21,9 Grundeinstellung eher links oder eher rechts ist. werde gewählt, um anderen Parteien einen Denkzettel Prozent rund doppelt so hoch wie in den alten. Quelle: Studie der Bertelsmann-Stiftung, September 2018 zu verpassen. 15 Prozent sind der Ansicht, es gehe Quelle: Bundeswahlleiter, 2017 AfD-Wählern um politische Forderungen der Partei. Wer das Abitur oder einen Hochschulabschluss hat, Quelle: Statistisches Bundesamt, 2018 Die Union ist die Partei, die bei der Bundestagswahl ist seltener populistisch eingestellt (14,2 Prozent). 56 Prozent der Sachsen sehen eine 2017 die meisten Wähler an die AfD verloren hat Wer maximal einen Hauptschulabschluss hat, ist dagegen „gefährliche Überfremdung“ Deutschlands durch (980.000). Gemessen an der Zahl der jeweiligen An- häufiger populistisch geprägt (38,1 Prozent). „zu viele Ausländer“. Auffällig: Der Ausländeranteil hänger einer Partei, sind auch besonders viele Stim- Quelle: Studie der Bertelsmann-Stiftung, September 2018 in Sachsen liegt mit 4,6 Prozent deutlich unter dem men von der Linken zu der AfD gewandert (400.000). Bundesdurchschnitt von 12 Prozent. Quelle: Statistisches Bundesamt, 2017 56 Prozent der Deutschen haben eher wenig bis gar Quelle: Sachsen-Monitor 2017, Statistisches kein Vertrauen in die Bundesregierung. 43 Prozent vertrauen der Landesamt Sachsen, 2017 Flüchtlinge Arbeit der Regierung. Auch bei den Medien sind die Meinungen geteilt: Wenn es um die Glaubwürdigkeit geht, 38 Prozent der Sachsen befürworten die Aussage: haben 52 Prozent der Deutschen mehr oder minder „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland starke Zweifel. 47 Prozent vertrauen der Berichterstattung untersagt werden.“ Arbeiter, Hauptschüler und in Fernsehen, Radio und Zeitungen. Menschen, die sich eher der Unterschicht zuordnen, Die Zuwanderungspolitik der Bundesregierung bleibt umstritten. Quelle: ARD-Deutschlandtrend, September 2018 stimmen dem überdurchschnittlich häufig zu. Jeder zweite Bürger kritisiert, die Regierung vernachlässige beim Thema Quelle: Sachsen-Monitor 2017 Zuwanderung die Sorgen der Bevölkerung. In Westdeutschland sind 46 Prozent dieser Meinung, in den neuen Bundesländern 66 Prozent. Vier von zehn Sachsen sind der Ansicht, Quelle: ARD-Deutschlandtrend, September 2018 Deutschland brauche „eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. Gut drei Die Flüchtlingspolitik ist das Thema, das populistische Wähler am stärksten Viertel der Sachsen sind der Meinung, man müsse „härter mobilisiert. 51 Prozent der AfD-Wähler sind dafür, „sehr viele Flüchtlinge“ gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen“. abzuschieben, während die Anhänger anderer Parteien lediglich einer Quelle: Sachsen-Monitor 2017 moderaten und kontrollierten Einwanderungspolitik zustimmen. Quelle: Bertelsmann-Stiftung, Juli 2017

142.167 Asylanträge hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2018 entgegengenommen (Stand September). Verglichen mit dem gleichen Zeitraum im Vorjahr sind das 15,5 Prozent weniger Anträge. Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, September 2018

26 27 Ruhe! LISA REIFF Mein Herz klopft schneller.

Masseneinwanderung. Zu diesem Video spalten von Medien herumpöbeln. Die book an. Denn ich, Lisa, will verstehen: schreibt er, es sei „irgendeine beschisse- nutzen eher unverfängliche Bildmotive – Wie entsteht Hass im Netz? ne muslimische Sekte bei Marrakesch in irgendwas mit Strand, einem Cocktail Was in den News Feeds von Hannah und Sie schreien mich an. Ich zittere. Marokko“, die das „barbarische Töten vor der untergehenden Sonne und Pal- Anna auf mich einströmt, hat mit meiner eines Kamels“ feiere. Ob das stimmt, men, vielleicht Fotos vom letzten Som- echten Filterblase nichts zu tun. Ich lese, kann ich auf die Schnelle nicht nachprü- merurlaub. Das kriege ich auch hin, höre und sehe sonst täglich genau die Eine Horde Männer geht mit Äxten auf ein Kamel los. Sie jagen fen. Karim schlussfolgert aber daraus: dachte ich, ging raus in die Stadt und Medien, die von Rechtspopulisten als es eine schmale Gasse hinunter. Links und rechts drängen sich „Und dann kommt ein beschissener Rea- machte Fotos von meinen Schuhen auf „Lügenpresse“ beschimpft werden. Von Menschen und jubeln. Ich sehe in die weit aufgerissenen Augen litätsfremder Idiot und will mir sagen, al- Kopfsteinpflaster. Perfekt für die linke der Süddeutschen Zeitung über die ZEIT des Tieres, das schnürt mir die Kehle zu. Eigentlich will ich das gar le Kulturen seien gleich!!!!! Nein das sind Hannah. Auf dem Handy fand ich noch und den Spiegel bis zur FAZ ist alles da- nicht sehen. Auf Stopp klicken kann ich aber bei diesem Video sie nicht!!!!“ ein altes Bild von meinem Hund, der die bei. Auch die Öffentlich-Rechtlichen und auch nicht. Ich sitze an meinem Schreibtisch und starre wie Zähne fletschte. Passt zu der rechten Anna. englischsprachige Medien wie die BBC gelähmt auf den Bildschirm: Unsicherheit oder die New York Times habe ich auf Woher kommt dieses Video? Warum Als Hannah M. abonnierte ich die Facebook abonniert – damit lebe auch Männer schlagen erneut mit ihren Waffen auf das Kamel ein. Es reißt wird das Kamel auf offener Straße ge- Antifa, Facebookseiten von „Die Linke“ ich in einer Blase. Extreme Meinungen? sein Maul auf, aber ich höre es nicht schreien. Die jubelnden Rufe schlachtet? War das wirklich in Marokko? und alle anderen Personen und Organi- Kaum. der Menschen in dieser Gasse sind zu laut. Das Kamel bricht zusammen. Und wer sind diese Männer mit den sationen, die mir Facebook als „auch Sein zuckender Körper rutscht die Gasse hinunter. Die Männer fallen Äxten? Auf meine Fragen finde ich keine interessant“ vorschlug. Schon nach den ersten zwei, drei über das Tier her und metzeln es vollends nieder. Die Blutlache am Antwort. Das, was ich da sehe, kann ich Stunden beginnen mich die Beiträge Boden wird größer. glauben oder nicht. Das macht mich Meine rechte Echokammer baute ich von rechts und links zu stressen. Mir unsicher. Und hilflos. Ich klappe den mir als Anna L. auf: Ich begann mit wird alles zu laut. 1114 Likes Laptop zu. der AfD, abonnierte die Seiten von Ali- 141 Kommentare ce Weidel, , Beatrix In der „Herrschaft des Unrechts“ Ich, Lisa, Journalistin, 24, habe auf Face- von Storch, bis ich irgendwann durch sind nur die Gedanken frei Mein Herz klopft schneller. Ich brauche einen Moment, bis ich einen book meine Identität gewechselt. Unter die Empfehlungen von Facebook im Lybischer Krawall-Asylant tanzt klaren Gedanken fassen kann. Als ich nach meinem Tee greife, fällt den Namen Hannah M. und Anna L. Dunstkreis der Neuen Rechten landete. Sachsens Rechtsstaat auf der mir auf, dass meine Finger zittern. Facebook hatte mich gewarnt: habe ich mir erst bei Google eine Mail- Auch bei der Identitären Bewegung Nase herum „Dieses Video zeigt möglicherweise Gewaltdarstellungen oder adresse angelegt und mich dann unter und der NPD klickte ich „Gefällt mir“. explizite Inhalte. Wir haben dieses Video verdeckt, damit du ent- diesen Pseudonymen bei Facebook re- Auf einmal wurde ich stutzig: Facebook Der Staat lässt seine Bürger im Stich! scheiden kannst, ob du es sehen möchtest“, stand da. Hätte ich es gistriert. Viel Aufwand war das nicht. Erst machte mir Vorschläge für linke Seiten Unsere Heimat bewahren: nur nicht angeklickt, schießt es mir durch den Kopf. habe ich mir noch über Profil- und Titel- – dabei war ich in der rechten Filter- ISLAMISIERUNG STOPPEN bild den Kopf zerbrochen, weil ich unter blase angemeldet. Oder nicht? Was die Medien über Chemnitz Ich sehe nach, woher das Video kommt. Gepostet hat es Imad Linken und Rechten nicht auffallen wollte. Mit Hannah M. und Anna L. sah ich mir verschweigen HINWEIS: Alle Facebook-Kommentare Karim. Der gebürtige Libanese zählt zu den schärfsten Islamkritikern Doch dann fielen mir andere Trolle ein, einen Monat lang mehrere Abende pro wurden im Originalton gelassen und Recht- in Deutschland. Auf seiner Facebookseite warnt er vor einer die auf Facebook in den Kommentar- Woche die politischen Ränder auf Face- Die Beiträge schreien mich an. schreibfehler bewusst nicht korregiert. 28 29 Kampf Extrem Abgestumpft

In der linken Filterblase steht der Ham- Es geht gar nicht um die Diskussion zu Ich bin an einem Punkt, an den ich nie bacher Forst, ein Waldgebiet in Nord- verschiedenen Themen. Es geht nicht gelangen wollte. Ich stumpfe ab. rhein-Westfalen, das RWE für den darum, Kompromisse zu suchen. Wer Braunkohletagebau abholzen lassen etwas kommentiert, das nicht der herr- Immer weniger von dem, was in meinem will, über mehrere Wochen ganz oben schenden Meinung in der Filterblase News Feed herumschreit, geht mir nah. in meinem Newsfeed. Ein gut dreiminü- entspricht, wird beschimpft und verun- Ich scrolle schneller, bleibe höchstens tiges Handyvideo einer schluchzenden glimpft. Friss oder stirb. Entweder du für wenige Sekunden an Videos hängen. Aktivistin zieht mich ins Thema. machst mit und hilfst, Deutschland gegen Jeder versucht, den anderen zu übertö- die Invasion der Ausländer zu verteidigen, nen. Ich sehe immerzu Probleme, aber 3.470.611 Aufrufe oder du wirst ausgegrenzt. Ich lese: keine Lösungen – das ewige „Merkel 18.644 Likes muss weg!“ überzeugt mich nicht. 3.262 Kommentare Enes E.: Wo waren die Pflastersteine? 43.452 Mal geteilt Friedel K.: Wo ist da die Ich überfliege Kommentare, in denen Verhältnismäßigkeit? sie auf den ehemaligen Kanzler schimp- Die junge Frau steht zwischen zwei Poli- Lars W.: Berliner Polizei? Sind das nicht fen. War ja klar, denke ich, und klicke auf Angst zisten und erzählt mit bebender Stim- die Leute, die beim G20 besoffen in den Beitrag. Ein SPIEGEL-Bericht aus me: „Polizisten – leider nur männliche – der Öffentlichkeit gefickt, Wehrmachts- dem Jahr 2017: „Schröder erhält Sie machen mir Angst. Die anderen User scheinen vor allem wütend zu werden. haben unser Baumhaus kaputtgemacht lieder gesungen und mit der Dienst- 561.000 Euro für Büro aus der Staats- Einer teilt einen Post der BILD. Es geht um einen Sexualstraftäter aus Ghana, der – das Baumhaus, das wir gerade be- knarre rumgeballert haben? kasse.“ Keine aktuelle Nachricht, total nach einem Revisionsverfahren zehn statt elfeinhalb Jahre in Haft muss. wohnen. Haben dem Baum wehgetan Dennis B.: Richtig so ! Die umstehenden alt! Ich werde sauer. Vor allem auf die, Darunter: (...) haben die anderen Menschen, mit Affen sollten mal checken das man Beamte die den Artikel offensichtlich gar nicht denen wir zusammengelebt haben, mit- in Ruhe ihre Arbeit machen lässt, scheiß erst angeklickt haben, sich aber umso Babs K.: A B S C H A U M !! genommen.“ Dann bricht ihre Stimme. Gesocks! Ich bin für den Einsatz von lauter in den Kommentaren empören. Marc K.: Krank.... Ein verzweifeltes Krächzen unter Tränen: Gummigeschossen für solche Situationen ! Isolde F.: Wenn die ZENSUR !! nicht wäre ..... „Und denken wahrscheinlich, sie hätten Empörung braucht keinen Anlass. Auf- Kathrin H.: Im Namen des Volkes- unglaublich Unter dem Video mit dem Kamel und gewonnen. Aber das haben sie nicht, Wo bin ich eigentlich? regen geht immer. Und besonders groß Ramona.: Das ist so krank, alles nur noch zum den Männern mit Axt lese ich: weil sie den Wald genauso brauchen – Rechts? Links? Rechts? Links? wird der Shitstorm in den Kommentar- Marco D.: Rechtsstaat? Lachhaft. Sue E.: „Moslems sind geisteskrank, alle!“ und diese Erde. Und das einfach nicht Bin ich Hannah? spalten, wenn die geteilten Beiträge mit Peter G.: Wenn man heute gegen eine Moschee pinkelt bekommt man mehr. Christina D.: Niemals können die bei uns verstehen, dass wir nicht für uns kämpfen Bin ich Anna? Kampfbegriffen gewürzt werden: Stefan S.: Wenn 5 junge moslemische Männer an eine Kirche pinkeln und die integriert und sozialisiert werden...“ (...) und sie werden nie verstehen, wie Alles ist extrem. „Lügenpresse“, „Volksverräter“, Betreuerinnen eines anliegenden Kindergarten als ungläubige Huren be- Dion L.: „Untermenschen. Wenn das irgend- das ist, auf einem Baumhaus zu sitzen und Ich frage Carsten Reinemann: Wer „Messer-Migranten“, „Überfremdung“. schimpfen, bekommen sie nur einen Platzverweis. wann in Deutschland gemacht wird, bin ich zu fühlen, dass man auf einem lebenden schreibt sowas? Die, die sich abge- Erwin T.: Warum muß ich immer bei dem Gesicht an Affen denken? gespannt, was unsere grünen Freunde da- Wesen wohnt, das sich bewegt (...) hängt und benachteiligt fühlen? Er Hören die, die das liken, denn nicht Petra V.: Das ist kein Gesicht, sondern eine ekelhafte F....! Wenn ich mir den zu sagen werden. Das Tier verteidigen und stimmt zu und sagt: „In Filterblasen diese tiefe Menschenfeindlichkeit, die aus ansehe, finde ich, die Richter hätten strafverschärfend noch ein paar Jahre damit den Islam kritisieren? Oder den Islam Kommentare unter diesem Video: kann sich eine bestimmte Weltsicht eta- solchen Worten spricht? Es erschreckt draufgeben müssen. Ich frage mich, hatte der Kerl einen Pflichtverteidiger, kritisieren und das Tier nicht schützen? blieren. Was dort verbreitet wird, muss mich, mit welcher Selbstverständlichkeit oder hat sich jemand dafür freiwillig hergegeben? Paradox“ Marc D.: Polizisten wurden dort mit noch nicht einmal gelogen sein.“ ganze Gruppen entmenschlicht und her- Marcel R. postet ein Foto von einem Koran Scheisse, Urin, Säure etc beworfen. Ein apokalyptischer Eindruck könne abgewürdigt werden. Es ängstigt mich, Untergangsstimmung. In meinen Facebook-Filterblasen ist sie Programm. Was darunter, aus dem das Blut tropft. Darüber Stefan H.: Kein Mensch muss Polizist auch dann entstehen, wenn User nur von diesen populistischen und extremen wäre, wenn ich meinen Account nicht einfach wechseln könnte? Wenn ich Hannah steht: „Das tödlichste Buch der Menschheit.“ sein. Die dort nur ihren Job verrichten solche Seiten abonnieren, die Verbre- Beiträgen unterbewusst beeinflusst zu oder Anna wäre – würde ich dann auch an den Untergang glauben? Die Botschaften tun das als roboterhafte Erfüllungsge- chen aus ganz Deutschland sammeln werden, bis sich mein Blick auf die spielen mit meinen Gefühlen. Ich werde ängstlich, wütend, ängstlich, wütend. Ich Für mich klingt das kompromisslos. Eine hilfen von Konzernen die auf unsere und man dann auch diese Fälle mitbe- Wirklichkeit verschiebt. Ich fühle mich möchte verstehen, was mit mir passiert und rufe Carsten Reinemann an. Er ist Diskussion kommt nicht zustande. Vielmehr Umwelt und auf den Rest der Mensch- komme, von denen man zuvor nie ausgeliefert in meinen selbstgebauten Kommunikationswissenschaftler an der Ludwig-Maximilian-Universität München bestärken sich die User in den Kommentar- heit scheißen. erfahren hätte. Dazu kommt nach Echokammern. und sagt: „Das Gefühl von Benachteiligung und Bedrohung kann Angst erzeugen. spalten gegenseitig in der Meinung, Reinemanns Einschätzung, dass User Danach kommt die Wut – und damit sind auch die Schuldigen gefunden.“ Die Schul- dass sich die Deutschen vor Ausländern Auch in der linken Filterblase sind sich gerade die Meldungen massiv weiter- Das reicht. Ich will nicht mehr Hannah digen, das sind für die Populisten in der linken Filterblase „die Eliten da oben“ – der schützen müssten, dass „das deutsche Volk die User schnell einig. Fest steht: Ge- verbreiten, die ihre Weltsicht stützen. und Anna sein. Ich will zurück zu Staat, die Regierung, Wirtschaftsbosse, Banker. In der rechten Filterblase kommen unterwandert“ werde und die Regierung gen RWE, Staat und Polizei muss man Das macht soziale Medien zu Ver- meinem Lisa-News-Feed. Medien und Migranten hinzu. aus „Volksverrätern“ bestehe. Widerstand leisten. stärkern der Empörung. Kein Schreien mehr, bitte. 30 31 NORA NOLL

Von braunen Käffern Sophie lebt in Halle, aber und weiSSen Libellen eigentlich will sie in die Groß-

Treffpunkt 12 Uhr auf dem Augustinusplatz vor der Universität Leipzig. stadt. Es ist ihr wichtig, nicht „Nam“, sagt Namduy, „Sophie“, sagt Sophie, die beiden geben sich die die einzige Schwarze zu sein. Hand. Ihre Biographien sind sich ähnlich, äußerlich betrachtet: Studium an der Uni Leipzig, 22 Jahre alt, in Ostdeutschland geboren und aufgewachsen, Migrationshintergrund. Sophie kommt aus Halle, ihr Vater aus Kamerun. Namduy kommt aus Freital, seine Eltern aus Vietnam.

Wohin? Namduy meint, in irgendein Café, und es wird das „Coffee Culture“ gegenüber den Fahrradständern am Campus. Kaffee mit laktosefreier Milch für Sophie, Kaffee auf Eis für Namduy. Der Metalltisch wird noch einmal auf dem Pflaster hin und hergeschoben, bis er nicht mehr wackelt. Dann geht es los, das Gespräch über Rassismus, den Osten, Faschos und Make-up. « Ich habe das Gefühl, ich werde zum Anwalt der Geflüchteten Namduy will in Sachsen bleiben, gemacht, nur weil ich schwarz bin.» um etwas zu verändern. Gegend mit langem, schwarzem Haar „Den Indianer“. Die meinen sie bespuckt. In der Schulzeit war ich dann der einzige Ausländer Nervt es euch, über das das nicht böse, es ist eben gang und gäbe. in der Klasse und wurde gefragt, ob ich Karate kann. Ich konnte Thema Rassismus zu reden? Namduy: Die linke Szene ist natürlich auch nicht frei von erst als Erwachsener und nachdem ich von zuhause ausgezo- Sophie: Ich finde es gut, mal in einem ordentlichen Rahmen Rassismus, bloß da geht es nicht darum, dass jemand zu dir gen war, reflektieren, was ich erlebt habe. Als Kind habe ich darüber zu reden und nicht immer aus einer verteidigenden Indianer oder Fidschi sagt. Die Frage ist eher, ob es in linken oft den Fehler bei mir gesucht und versucht, mich anzupassen. Position heraus. Kreisen tatsächlich genug Menschen wie uns gibt, vor allem in Sophie: Du bist aber Deutscher? Namduy: Ja, finde ich auch. Mittlerweile ist es für mich Führungspositionen. Namduy: Ja. entspannt, über die eigenen Erfahrungen zu sprechen. Wenn Sophie: Das ist komisch, du identifizierst dich anscheinend jemand daran Interesse hat, umso besser. trotzdem mit dem Begriff „Ausländer“. Dabei sind wir Deutsche. Wann habt ihr das erste Mal Namduy: Stimmt, normalerweise nenne ich mich nie Aus-

Rassismus gespürt? länder, aber ich kann mir vorstellen, dass ich das Wort oft in Wie präsent ist Rassismus zurzeit Sophie: Meine frühste Erfahrung war beim Kindertanzen. Für der Zeitung lese und dann rutscht es mir raus. in eurem Umfeld? eine Aufführung haben drei Mädchen als Libellen getanzt. Ich Namduy: Ich wohne jetzt mittlerweile vier Jahre in Leipzig hatte den Tanz auch einstudiert und als eines der Libellenmäd- Die Tassen sind noch fast voll. Es wird vor allem geredet und und in meinem Umfeld haben die Leute schon eine andere, chen ausfiel, wollte ich einspringen. „Ne, wir wollen, dass die alle nur selten am Kaffee genippt. Namduy schaut Sophie auf- linke Brille auf, deswegen ist es entspannt. Freital bei meinen gleich aussehen“, war die Antwort. Ich hatte das erste Mal das merksam an, während sie erzählt. Wenn er selbst redet, bricht Eltern ist ein absoluter Gegensatz. Dort lebt ein anderer Gefühl, wegen meiner Hautfarbe anders behandelt zu werden. er oft mitten im Satz ab, überlegt, wählt eine andere Formu- Schlag Mensch, ich spüre immer die Blicke. Namduy: Was ich so in meiner Kindheit mitbekommen habe, lierung. Jedes Wort zählt. Sophie: Ich gehe in Halle viel mit meinem Hund spazieren war schon krass. Mein Vater ist als Vertragsarbeiter aus Vietnam und habe dadurch ein paar Hundeconnections. Ein älteres in die DDR gekommen und galt dann als Fidschi. Freital ist ein Namduy: Als Kind wollte ich auf jeden Fall dazugehören, Pärchen, auch Hundebesitzer, nennt zum Beispiel eine asiatische braunes Kaff, einmal bin ich an der Hand meiner Mutti durch das hat viel mit Identität zu tun. Vor Weihnachten, wenn es um Familie immer „Die Fidschis“ oder einen Mann aus der die Einkaufsstraße gegangen und irgendwelche Faschos haben die christliche Kultur, die Bräuche ging, habe ich manchmal in

32 33 Hat sich seit dem wachsenden Erfolg der AfD die Stimmung in eurer Umgebung nochmal verschärft? « Funktionäre, die Rassismus organisieren und Namduy: Seit 2015 ist jedenfalls die Stimmung in Freital auf- auf die Straße geladen. Meine Eltern haben ein Lotto-Zeitungs-Irgendwas- tragen, muss man ächten. » Geschäft und wenn sie Zeitungen verkaufen, kriegen sie mit, wie Rassismus wieder salonfähiger wird, wie die Bildpresse hetzt. Sie spüren die Gefahr, weil die rote Linie, die davor klar zwischen der Gesellschaft und Nazis verlief, nicht mehr klar rot ist. Sophie: Ich habe das Gefühl, ich werde zum Anwalt der Ge- Sophie spielt mit einer silbernen Kette, die sie um den Hals flüchteten gemacht. Letztens hat zum Beispiel ein Bekannter trägt, zwirbelt sie, wickelt sie um die Finger. Daran ein Ring behauptet, eine neue Zeckenart wäre über Afrika mit den und ein Kreuz. Ob sie christlich sei? Nein, wenn sie irgendwie Geflüchteten zu uns gekommen. Das hat er ganz bewusst in gläubig wäre, dann höchstens abergläubisch. Das Kreuz hat meine Richtung gesagt, in der Art: „Na, verteidige doch mal sie sich vor Jahren gekauft, als Zeichen des Glaubens an sich die Flüchtlinge“. Nur weil ich schwarz bin. selbst. Ein Glücksbringer, den sie schon ein paarmal verloren Namduy: Seit der Flüchtlingszuwanderung wird unterschieden hat, der aber immer wieder zu ihr zurückgekommen ist. zwischen den nützlichen und den unnützen Migranten. Mir ist es egal, ob jemand als syrischer Arzt kommt und hier in einem Was macht euch Hoffnung? Krankenhaus arbeitet, oder als afghanischer Flüchtling, der nur geduldet wird. Sophie: Immerhin sehe ich heute mehr Menschen in den der Schule etwas dazu gedichtet. Einfach, um nicht ständig Sophie: Das kann ich komplett unterschreiben. In der Grund- Medien und in der Werbung, die nicht typisch weiß sind. Das die Frage ertragen zu müssen: „Krass, ihr feiert nicht?“. schule war ich die einzige, die schwarz war, beim Tanzen, beim An seinem linken Handgelenk hat Namduy ein Tattoo: beste Beispiel ist Make-up: Als 12-jähriges Mädel habe ich Sophie: Dieses Bedürfnis, besonders deutsch zu sein, das Reiten, auf meinem Gymnasium. Als ich aber ein Jahr in Ein N mit Unterstrich, Schriftgröße 14, nicht größer. Ein Künst- keine Produkte für meine Hautfarbe gefunden, heute schon. kenne ich. Vor zwei Jahren habe ich angefangen, mich schicker Frankfurt lebte, war das yeahhhh! So viele Schwarze, ich ging ler hat es ihm gestochen, in Berlin, als Teil eines Kunstprojek- Bei den Models genauso: Früher waren alle weiß, jetzt wird anzuziehen. Mit Röckchen, Bluse, teurem Mantel. Ich fand mich unter in der Masse, das war ein großartiges Gefühl. tes. Buchstabe für Buchstabe soll die gesamte Menschen- es offener und das tut wirklich sehr, sehr gut. toll, richtig bildungsbürgerlich, richtig deutsch. Einmal wollte ich Namduy: Als ich das erste Mal in eine westdeutsche Stadt rechtserklärung auf einzelne Menschen „gedruckt“ werden. Namduy: Ich habe auf jeden Fall Hoffnung, aber ich glaube, im Kaufhaus ein Parfüm kaufen und schon hatte ich einen gefahren bin, dachte ich, häh, bin ich hier in einem anderen Namduys N stammt aus Artikel 15: „Jeder hat das Recht auf was du gerade erzählt hast, kann nur ein kleiner Schritt sein. schwarzen Schatten hinter mir: den Wachmann. Und das ist je- Land? Das war voll crazy, weil der Migrationsanteil viel höher eine Staatsangehörigkeit.“ Die reale Gleichberechtigung kann nur von unten kommen. des Mal passiert, wenn ich in der Parfümabteilung war. Ich hatte war. Wie du gesagt hast: Man fällt nicht auf, und die Wenn ich mir so anschaue, was in der Gesellschaft abgeht, meinen 300 Euro teuren Tommy-Hilfiger-Mantel an, aber klar, ich Stimmung ist cooler. dann haben wir Chemnitz, dann haben wir die AfD, aber wir war diejenige, die klaut. Oh, das hat mich eine ganze Weile sehr, Wie sollte man denn eurer Meinung haben auch Hamburg, wo zur Welcome United-Demo 2018

sehr wütend gemacht, weil es einfach offensichtlich war. Die beiden lachen. Als Namduy von der Solidarität mit nach mit der AfD umgehen? 40.000 Menschen auf die Straße gegangen sind. Ich glaube, „Schwester oder Bruder“ spricht, als Sophie von Frankfurt er- Namduy: Funktionäre, die Rassismus organisieren und auf es gibt ganz viele Leute hierzulande, denen die AfD Bauch- Sophie spricht leise, bedacht, mit einem leicht sächselnden zählt und bei ihrem „Yeah!“, bei dem sie die Arme hochreißt. die Straße tragen, muss man ächten, gesellschaftlich an den schmerzen macht und die das auch zum Ausdruck bringen. Klang, der sich in die Vokale einschleicht. Bei der Kaufhaus- Rand drängen. Dann gibt es normale Leute, die rassistische Daran lässt sich anknüpfen, diese Momente müssen mehr Geschichte aber hebt sie die Stimme, gestikuliert und schlägt Sachen sagen, aber kein geschlossenes Weltbild haben. Die werden und dann wird das vielleicht auch was. mit dem Finger ein paar Mal auf den Tisch. Habt ihr nie überlegt, aus der Zeitung Dinge aufnehmen, schlucken und wiedergeben. Sophie: Es muss eine Mischung aus beidem sein, der aus dem Osten wegzugehen? Wenn sich die Möglichkeit ergibt, mit denen zu sprechen, Kampf gegen Rechts und die Normalisierung von Diversi- Namduy: Nein! würde ich nicht sagen: Verpiss dich, du Rassist. tät. Ich denke, es sind zwei Bewegungen, die miteinander Wie wichtig ist es für euch, solche Sophie: Ich möchte unbedingt aus Halle raus und in eine Sophie: In solchen Situationen bin ich eher jemand, der einhergehen müssen. Erfahrungen mit Menschen zu teilen, die auch von Rassismus betroffen sind? Großstadt, definitiv. Alles unter Berlin, Frankfurt, München schweigt. Wenn ich die 60-Jährigen morgens beim Gassi-Gehen oder Pott kommt nicht in Frage, sonst kann ich auch in treffe und die mir von „den Ausländern“ erzählen, hat es Die Kaffees sind ausgetrunken, die Themen noch lange nicht Namduy: Mit meinem Umzug nach Leipzig wurde es nor- Halle bleiben. kaum Sinn, die auf der Straße zu belehren. Und was organisierte ausgeschöpft. Aber Sophie muss los, zur Einführungsvorle- maler, Leute zu treffen, die nicht weiß sind. Wenn ich jetzt Namduy: Ich würde es total verstehen, wenn sich jemand im Rechte angeht, versuche ich, die so gut es geht zu meiden. sung ihres Philosophie-Masters. Und Namduy ist eingespannt in einen Raum komme und jemand ist schwarz oder trägt Osten unwohl fühlt und wegzieht. Nur für mich wäre es nicht Um Leute, die in schwarz gekleidet sind mit den einschlägigen im Campus-Café: Während der ersten Semesterwoche bieten Kopftuch, habe ich sofort Sympathie für diese Person. Es der Grund, zu sagen, ich mach die Düse. Solange wir hier keine Marken, mache ich einen Umweg, abends treibe ich mich Studierendengruppen Kaffee und Klatsch im Innenhof der klingt bescheuert, aber deine Lebensgeschichte ist ge- 40-Prozent-AfD haben, will ich bleiben und etwas verändern. eher nicht an irgendwelchen Hauptbahnhöfen herum. Bisher Uni an, es wird über soziale Gerechtigkeit, Diversität und zeichnet von Diskriminierung, Rassismus und Gewalt und Deshalb engagiere ich mich beim Sozialistischen Demokra- ist mir gegenüber noch nie jemand handgreiflich geworden, studentisches Engagement geredet. Die Diskussion fängt ich denke mir, Schwester oder Bruder, wir sind connected. tischen Studierendenverband. aber ich habe immer Angst, dass es mal passieren könnte. also gerade erst richtig an.

34 35 Sebastian Scheffel Plötzlich waren sie in der Verantwortung. 2014 zog die Alternative für Deutschland zum ersten Mal in den Leipziger Stadtrat ein: 6,4 Prozent, 4 von 70 Sitzen. Was hat die Partei daraus ge- macht? Sachlich gearbeitet oder den Fokus auf rechtspopulistische Parolen gesetzt? Wir haben Ute Elisabeth Gabelmann ist für die darüber gesprochen mit Michael Weickert (CDU), Ilse Lauter (Linke), Nicole Bärwald-Wohlfarth sitzt Freibeuter-Fraktion Michael Weickert (SPD), Katharina Krefft (Grüne), Ute Elisabeth Gabelmann (Freibeuter) und Jörg Kühne (AfD). Jörg Kühne ist aus Piraten und FDP für die CDU im Stadt- einer der vier im Stadtrat. rat. Die Partei stellt die AfD-Abgeordneten, aktuell größte Fraktion. bis 2014 war er in Bärwald-Wohlfarth: Seitdem die AfD im Leipziger Stadtrat Die AfD war aber beleidigt, weil wir sie nicht gefragt haben. der CDU. sitzt, habe ich ein mulmiges Gefühl. Auch Wut über Bewusst nicht, weil das Demokratiejahr nicht zu den Narrativen polarisierende Aussagen und Sorge über die Auswirkungen. der AfD passt: Alles ist schlecht, wir werden nicht gehört, das ist Und schlichtweg Angst, wohin das führt. keine echte Demokratie, und wir werden von Politik und Medien nur hintergangen. Genau dem etwas entgegenzusetzen war ja Weickert: Die vier AfD-Leute berühren uns einfach nicht. Anliegen des Demokratiejahrs. Ob die da sind oder nicht, ist mir egal. Auszug aus dem Protokoll der Ratsversammlung, 26.10.2016 Kühne: Ich fühle mich in den Stadtratssitzungen sauwohl. Keller (AfD): Demokratie heißt ja bekanntlich Volksherrschaft. Bärwald-Wohlfarth: Im Stadtrat wurde von der AfD gesagt, Wen meinen die Grünen mit Volk? Ist es die sogenannte Zivilge- dass wir uns noch alle umschauen werden nach der nächsten sellschaft, die alle Nicht-Grünen und Nicht-Sozialisten gern aus- Wahl. Ohne Mimik und Gestik kann man die Aussage auch schließt [...]? Oder sind es alle Altparteien, die mit Fraktionsstärke sachlich bewerten. Aber im Gesamtbild steckt da eine süffi- meinen, es gäbe keine Alternative [...]? [...] Wohlklingende Worte, sante Selbstsicherheit dahinter. Und die Gewissheit, dass man Frau Krefft, sind eben noch keine Demokratie, und der Ausschluss im nächsten Stadtrat deutlich stärker vertreten sein wird. von Menschen anderer Meinung ist es erst recht nicht.

Ich fände es gruselig, wenn die AfD-Fraktion Gabelmann: Lauter: Sie beschweren sich, wenn andere Fraktionen ein größer wird. Thema miteinander behandeln und die AfD nicht fragen, ob sie mitmachen wollen. Das empfinden sie immer als Ausgrenzung Krefft: In letzter Zeit wurde von den AfD-Stadträten Die AFD DREHT AM RAt zunehmend betont, dass hier nächstes Jahr nach der und stellen sich als Märtyrer dar. Wahl alles anders sein soll. Kühne: Gemeinsame Zusammenarbeit gibt es bis heute nicht. Es gab fraktionsübergreifende Anträge, ich hätte mir da gewünscht, Kühne: Ich habe denen gesagt, dass wir dann in ein paar Monaten sehen müssen, wie die Leipziger wählen. Das dass man mit uns spricht und uns einbindet. Das findet nicht statt. Katharina Krefft ist der Punkt: Die Menschen in unserer Stadt müssen ist seit 2009 im Bärwald-Wohlfarth: Wir haben festgestellt, dass die AfD versucht, Stadtrat und entscheiden. sich als Opfer darzustellen. Der Klassiker etwa, weil ihre Anträge Fraktionsvorsitzende ist Ilse Lauter nicht angenommen wurden. Sie versuchen sich dadurch als Wolf der Grünen. stellvertretende Bärwald-Wohlfarth: Auf den Facebookseiten der AfD-Kolle- Fraktionsvorsitzende gen sieht man Bilder mit knackigen Botschaften. Man weiß im Schafspelz zu verkaufen. der Linken und seit ja, dass die eigene Klientel mit kernigen Worten sehr gut er- 2009 dabei. Antrag Nr. VI-A-01024, eingereicht von der AfD-Fraktion, 08.06.2015 reichbar ist. Aber in den Ausschüssen kommt dann nichts an. Eröffnung eines Bürger-Spendenkontos der Stadt Leipzig zur Kühne: Wir machen Änderungsanträge, wir machen Ergän- Mitfinanzierung von Unterkünften und sozialen Einrichtungen zungsanträge, wir machen Anfragen im Rahmen von dem, für Flüchtlinge und Asylbewerber in Leipzig. was eine kleine Fraktion wie wir machen kann. Das kann im- Mit einem Bürger-Spendenkonto für dem beschriebenen Zweck mer mehr sein. Man muss das auch selbstkritisch reflektieren. kann die Stadt Leipzig ein Zeichen setzen! Diesbezügliche Ich würde auch noch mehr machen wollen. Aber der Tag hat Spenden aus der Einwohnerschaft könnten die Stadt finanziell nur 24 Stunden. Morgens geht man zur Arbeit, dann sind wir unterstützen und den städtischen Haushalt somit entlasten. im Rathaus und irgendwann bricht der Arm dann ab. Kühne: Der Antrieb war, dass viele Menschen in unserer Stadt die Lauter: Sie sitzen in den Ausschüssen da, sagen nichts, tun Willkommenskultur wollten. Und wir wussten, was da für Kosten- nichts, und schreiben höchstens mit. In der Ratsversammlung explosionen mit dieser Flüchtlingskrise auf uns zukommen. Mir war kommt dann die Abrechnung. natürlich klar, dass die anderen, wenn der Antrag für ein Spenden- Nicole Bärwald-Wohlfarth Krefft: Im Oktober 2016 haben wir im Stadtrat über das konto von der AfD kommt, antworten: „Geht ja gar nicht, Ihr wollt ist seit 2014 eine von zwölf Demokratiejahr diskutiert. Das war eine Initiative von mir, die uns nur vorführen.“ Das war ein Gedanke, einfach mal zu zeigen, Stadträten der SPD. dann am Ende von mehreren Fraktionen eingebracht wurde. dass wir nicht so sind, wie die anderen immer behaupten. 36 37 Weickert: Das war durchsichtig. Sie wollten zeigen, dass sie doch Gegenwart zu schützen und für die Zukunft zu stärken, auch ungeachtet seiner unrühmlichen Rolle bei den Sozialistengeset- geblich seine Aufgaben nicht erfüllt. Das nimmt dann sehr popu- auch irgendwie für Flüchtlinge sind. Wir haben aber dafür ge- wenn dies nicht immer bequem sein sollte, stehen wir Ihnen zen. Sie haben aber einfach schlecht recherchiert. Denn es gibt listische Ausmaße an.

stimmt. Der Tenor der anderen Fraktionen war, das kann nicht gerne zur Verfügung. bereits einen Platz, der nach Bismarck benannt ist. Kühne: Die Vorwürfe gehen mir schon etwas nah. Ich probiere richtig sein, wenn die AfD etwas für Flüchtlinge tun will. Das ist Krefft: Wir haben den Weihnachtsgruß an alle Fraktionen ge- Kühne: Da ist uns einfach ein Fehler passiert. Natürlich war uns oft, an der Sache orientiert zu arbeiten. Ja, sind wir nicht alle ein ein völlig unpolitischer Ansatz. schickt, auch an die AfD. Die hat das dann als Koalitionsange- das peinlich und wir müssen auch nicht drumherum reden. Ich bisschen populär, wenn wir unseren Mund aufmachen? Der eine Krefft: Wäre der Antrag durchgegangen, hätte die Stadt bot der Grünen an die AfD betitelt. Es wurde einfach ein Satz bin auch der Letzte, der Fehler und Unsorgsamkeiten bei der mehr, der andere weniger. entschieden, wer das Geld bekommt. Die Bürger sollen aber selbst aus dem Zusammenhang gerissen. Das wurde bewusst missver- Recherche nicht zugibt. Das überlasse ich den anderen, die Weickert: Ich bin ein Freund davon, dass es in der Rats- entscheiden, wen sie unterstützen möchten. Zum anderen wären standen, die AfD-Fraktion hat eigentlich Mitarbeiter, die den unfehlbar sind. Das sind wir nicht. debatte auch deftiger zugehen kann. Man sollte dort auch nicht dann alle Namen und Adressen der Spender im Stadtrat öffentlich Umgang im Stadtrat kennen. Das war für mich wirklich dane- Krefft: Das haben sie einfach nicht kapiert. Man hätte einfach zu zart besaitet sein. gemacht worden, das ist eine Form von Abschreckung. Das war für ben, denn wenn man nicht einmal auf einer formalen höflichen nur ins Straßenverzeichnis schauen müssen. Aber ich will des- uns der Punkt, den Antrag abzulehnen. Ebene miteinander umgehen kann, dann disqualifiziert man Kühne: Wir wurden als Trolle bezeichnet und Frau Krefft nannte halb nicht den Stab über der AfD brechen, wir sind alle im Eh- sich selbst. uns braune Abluft. Wir haben nichts gesagt, wir haben nur ge- Kühne: Bis jetzt sind wir ja nur Populisten, Rassisten, Faschisten, renamt, das kann passieren. Viel entscheidender ist, warum sie schluckt, aber man steht dann erstmal da. Stellen Sie sich nur mal Punkt. Sie sagen, mit denen macht man nichts. Böse, böse, böse. Bärwald-Wohlfarth: Ihre Arbeit findet nicht im Stadtrat statt, Bismarck so prominent platzieren wollten. ansatzweise vor, ich oder einer meiner Kollegen hätte die Grünen sondern in den Medien. Sie zielen nur auf die Außenwirkung Lauter: Die Herren suchen nach Aufmerksamkeit. Lauter: Das ist Symbolpolitik, das ändert nichts am Leben der so bezeichnet. ab und sind wenig lösungsorientiert. Also größtenteils purer Bürger. Weickert: Ein AfD-Stadtrat ist mit mir im Unterausschuss Schule, Populismus. Krefft: Das ist eigentlich nicht meine Sprachwahl. Wobei, wir da gibt es einmal im Jahr eine Baustellenrundfahrt. Man kommt Antrag Nr. VI-A-05045, eingereicht von AfD-Fraktion, hatten mal ein Verkehrsthema mit Abgasen. Vielleicht habe ich Weickert: Gerade was sie in den sozialen Medien machen ist dann ins Gespräch, aber das ist auch anstrengend. Die AfD-Kolle- 15.11.2017 es doch so ähnlich gesagt. Ich finde ja durchaus klare Worte im lachhaft, weil es einfach stümperhaft ist. gen suchen dann immer Anknüpfungspunkte, um Vertraulichkeit Nutzung freier Kapazitäten von Flüchtlingsunterkünften Umgang mit der AfD. zu schaffen. Ich finde es aber auch nicht schlimm, wenn man sich Bärwald-Wohlfarth: Wir haben festgestellt, dass die vier Stadträ- für Obdachlose in den Wintermonaten 2017/2018. Weickert: Das Problem mit einigen Grünen und Linken ist, dass mal zusammensetzt. te und auch die Geschäftsstelle völlig überfordert sind. Obwohl Beschlussvorlage: Die Stadtverwaltung prüft den Bedarf sie austeilen, aber nicht einstecken können. sie eigentlich parteipolitische Erfahrung mitbringen, zum Beispiel Brief von Siegbert Droese (Vorsitzender AfD Leipzig) an die von Schlafmöglichkeiten für Obdachlose für die Wintermonate bei der Deutschen Sozialen Union oder der CDU. Sie waren mit Kühne: Das kleine Einmaleins des menschlichen Miteinanders Stadträte der CDU-Fraktion, 26.10.2015 2017/2018. Sollte ein Bedarf bestehen, so werden freie dem Umgang und mit dem Arbeiten im Haus überhaupt nicht wurde abgelegt, weil es um die AfD geht. Es wurde uns nicht mal […] Nun dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass seit April 2013 Kapazitäten von aktuell nicht mehr benötigten Flüchtlings- vertraut. Sie kannten zum Beispiel die Grundlagen des Kommu- die Hand gegeben. Ich würde gar nicht auf den Gedanken kommen, eine neue Kraft in die politische Arena getreten ist. […] Viele un- unterkünften für diesen Zeitraum den Obdachlosen zur nalrechts nicht. Sie hatten deutliche demokratische Defizite. Frau Krefft nicht zu grüßen. Ich habe wirklich schon einiges erlebt serer politischen Standpunkte ähneln den früheren Standpunkten Verfügung gestellt. in meinen 50 Jahren. Aber nicht, dass ich so ausgestoßen werde. der alten und guten CDU. […] Wenn sich also ein erheblicher Teil Antrag Nr. VI-A-01140, eingereicht von AfD-Fraktion, Krefft: Da hat die AfD mal ein inhaltlich durchaus berechtigtes Und meinen Kollegen ging das auch so. Manche haben ein dickes Ihrer Mitglieder in der eigenen Partei fremd vorkommt, liegt es 25.03.2015 Thema gesetzt. Ich erkenne an, dass sie das Problem der stei- Fell. Ich gebe aber offen zu, mein Fell ist nicht ganz so dick. wohl daran, dass sich Ihre Parteiführung von guten, bewährten 200. Geburtstag Otto von Bismarck; Würdigung des maßgebli- genden Obdachlosigkeit erkannt und einen Lösungsvorschlag und konservativen Standpunkten, noch dazu ohne Not, verab- chen Schöpfers des ersten deutschen Nationalstaates durch gemacht haben. Darüber kann man diskutieren, auch wenn ich Krefft: Aufgrund verschiedener Entwicklungen in der AfD schiedet hat. Ihre Partei hat sich geradezu „sozialdemokratisiert“. Benennung einer geeigneten Straße oder eines geeigneten den Standpunkt vertrete, dass Obdachlose direkt in eine Woh- auf Kommunal- und Bundesebene habe ich beschlossen, die AfD- Ob mit Ihrer Parteiführung, welche ja erst den Zustand verursacht Platzes in Leipzig. nung sollen und nicht in eine Flüchtlingsunterkunft. Die Verwal- Stadträte zwar zu grüßen, ihnen aber nicht die Hand zu geben. hat, Besserung in Sicht ist, darf bezweifelt werden. Wir möchten uns Das habe ich ihnen auch ganz offen gesagt. Daraufhin wurde ich Beschluss: Die Stadtverwaltung wird beauftragt, Otto von Bis- tung hat die Idee aber abgelehnt, mit Verweis auf einen größeren daher frei und unumwunden als neue politische Heimat anbieten. dann öffentlich vom Rednerpult aus angegriffen. marck in den diesbezüglichen städtischen Namensvorrat aufzu- Plan, der gerade in Arbeit ist. Weickert: Der AfD-Kreisverband hat einen Brief an unsere Stadträte nehmen und die zeitnahe Benennung, einer dem Namensge- Lauter: In letzter Zeit habe ich schon den Eindruck, dass Lauter: Die Nazis zum Beispiel, die habe ich nicht gegrüßt. Die geschrieben und ihnen darin ihre Partei als neue politische Heimat ber würdigen o.a. Örtlichkeit zu prüfen. die Herren doch mehr angekommen sind, da gibt es zum Bei- waren für mich tabu. Einem AfD-Mann aber gebe ich die Hand. angeboten. Unser Fraktionsvorsitzender hat das angesprochen und Begründung: [...] Bismarcks diplomatische Beharrlichkeit be- spiel Nachfragen zur freiwilligen Feuerwehr, wo auch Ich will ja nicht mit ihm kuscheln, aber die Regeln des normalen gefragt, was sie sich eigentlich dabei gedacht haben. Er antwortete, züglich maßvoller Interessenausgleiche in Europa machen ihn wirklich Probleme sind mit Schichten und Dienstplänen. Anstands beherzige ich bei ihnen wie bei jedem dass sie sich nichts dabei gedacht hätten. zu einem Vorbild auch für heutige Politiker in aktueller Situation. anderen auch. Weickert: Sie beantworten jede Bürgeranfrage. Und sie sind Bärwald-Wohlfarth: Die AfD hat immer wieder versucht, bei vielen Veranstaltungen dabei. Von inhaltlicher Arbeit im Rat Gabelmann: Ich kann mich über den Umgang der AfD nicht be- Weickert: Der Antrag war nicht gut geschrieben, das war Personen aus anderen Fraktionen abzuwerben, weil sie wissen, kann aber keine Rede sein. Mir fehlt da die Tiefe. schweren. Einer von ihnen fragt mich manchmal, ob er mir die Tür nationalromantisches Geblubber. In der Vergangenheit zu dass sie selbst kein kommunalpolitisch fähiges Personal haben. Sie aufhalten darf oder ob das schon gegen die Gleichberechtigung schwelgen bringt uns nicht weiter. Krefft: Die AfD will sich wieder mit bürgerlichen Vereinen zu- konzentrieren sich auf die Personen, die ihnen vermeintlich nahe ist. Man witzelt ja auch immer über die eigenen Klischees, aber sammentun, zuletzt beim Thema Naturkundemuseum. Da sind sind, oder bei denen sie Unzufriedenheit feststellen. Für mich ist der Fürst von Bismarck der erste Kanzler, das ist in Ordnung. Kühne: sie dann auch mal bei Bürgerversammlungen sehr aktiv. Sie be- der auch viel gute Sozialgesetzgebung gemacht hat. Auszug aus einem Brief der Grünen an die Fraktionen im Leipzi- spielen die Themen, bei denen Bürger unzufrieden sind und Krefft: Vor kurzem hat mir ein Fraktionsmitglied der AfD ger Stadtrat, 11.12.2014 Bärwald-Wohlfarth: Es wurde dann immer argumentiert, Bis- wollen denen eine Stimme geben. Wir machen das ja auch, eine Zigarette angeboten. Er raucht sogar die gleichen wie ich, Für sachliche und zuverlässige Politik mit dem Ziel, Leipzig in der marck sei ein großer Deutscher und habe das Land geeint – aber bei der AfD geht es dann immer gegen den Staat, der an- Öko-Zigaretten.

38 39 VERENA LÖFFLER Müssen Journalisten besonders kritisch über die AfD berichten? Schwarz und WeiSS Ja! Nein! Fotos von: Judith Uhlemann, Kristoffer Fillies, Jana Luck und Verena Löffler

Nora Noll Keine Graustufen, keine Kompromisse: Michael Kruse Das ist Radikalisierung. Ein Begriff, der Mahnmal der Schande, Kopftuchmädchen, Vogelschiss. Die Frage würde sich gar nicht stellen, wenn Journalisten die eine Form vorgibt. Aber der Inhalt? Wenn wir über die AfD sprechen, sprechen wir über eine Partei, gleichen Maßstäbe an alle anlegen würden. Das tun sie aber die regelmäßig die Grenzen des Sagbaren überschreitet. nicht. Eine vielzitierte Studie („Die Souffleure der Medienge- Unklar. Was kann alles radikal sein? Wie sollten Medien mit einer Politik umgehen, die in der sellschaft“) zur politischen Einstellung von Journalisten zeigt: Eine Annäherung in Bildern aus Leipzig „Systempresse“ ihren Erzfeind sieht? Es kann keine Anleitung Die Wahlpräferenz der deutschen Presse liegt deutlich links der geben, aber einen Grundsatz: besonders kritisch. politischen Stimmung im Land. Mehr als jeder Dritte steht den und Umgebung. Grünen nahe, jeder Vierte den Sozialdemokraten. Das spiegelt Manchmal bedeutet kritisch sein, zu verzichten: auf das hunderts- sich in der Berichterstattung über die AfD wider. te Interview mit Gauland, AfD-Fraktionsvorsitzender, oder auf die hundertste Homestory bei Kubitscheks, neurechte Verleger. Denn „Ist Gauland ein Bonsai-Hitler? AfD strebt „Machtübernahme die Ideen, die die rechten Köpfe verbreiten, kennen wir mittlerweile in Sachsen“ an. Dank solch durchschaubarer Schlagzeilen nur zu gut. Allein aus masochistischer Faszination immer wieder die konnte sich die AfD erfolgreich als Opfer einer „System- ideologischen Brandstifter zu Wort kommen zu lassen, trägt nichts Presse“ stilisieren. Gerade durch solch überkritische, schon zu einer ausgewogenen Debatte bei. Vielmehr braucht es Stimmen, fast hysterische Berichterstattung der vergangenen Jahre die weniger laut schreien und trotzdem gehört werden. ist die Partei groß geworden.

Manchmal bedeutet kritisch sein, die unangenehmen Fragen zu Hier haben gewisse Journalisten genau das Gegenteil dessen « stellen, zu nerven, zu entlarven. Ein Gebot, das auf die AfD wie erreicht, was sie sich als Ziel gesetzt haben. Selbst wenn Teile auf jede andere Partei anwendbar ist, natürlich. Aber wenn es um der AfD sich nicht vom Rechtsextremismus distanzieren oder die Verbreitung von Fake-News geht oder um rechtsextreme Ver- die Grenze des guten Geschmacks überschreiten: Seine Leser gangenheiten, ist die AfD vorne mit dabei. Eine Realität, die Ein- zu erziehen, ist kein kritischer Journalismus, sondern schlicht fluss auf journalistische Arbeit hat: Wenn Interview, dann mit un- Kampagne. erbittlichem Nachfragen, wenn Porträt, dann ohne jede Verharmlosung. Konkret: Als in Chemnitz bei einer angemeldeten AfD- Demonstration Rechtsextreme mitlaufen, war das mediale Manchmal bedeutet kritisch sein, eine provokante Äußerung zu Echo verheerend, die Demonstration ein Skandal. Anders im ignorieren. Wenn es sich nur um eine weitere verbale Entgleisung Hambacher Forst, wo selbsternannte Umweltschützer Rodun- handelt, müssen wir sie nicht in die Schlagzeile packen. Sonst gen für Braunkohleabbau stoppen wollten. Sie errichteten wird die Verrohung der Sprache zur Gewohnheit, und die geziel- rechtswidrig Baumhäuser und bewarfen die mit der Räumung ten Tabubrüche werden mit Aufmerksamkeit belohnt. Journalis- beauftragte Polizei mit Kotbeuteln. Für diese Form des „Wider- mus kann nicht neutral sein, weil Menschen nicht neutral sind. stands“ ernteten sie von der grünen Partei auch noch Applaus. Wenn ein Poggenburg, AfD-Größe in Sachsen-Anhalt, ankündigt, Vielen Medien war das nicht mehr als eine Meldung wert. die „Wucherung am deutschen Volkskörper endlich loszuwerden“, greift er uns als Menschen an, und zwar alle, die nicht zu seinem Absurd, nicht? „Volk“ gehören. Wenn ein Höcke, AfD-Chef in Thüringen, vom „vollständigen Sieg der AfD“ spricht, dann macht das Angst, Ausgewogener Journalismus würde unserem Land guttun. Dass dann sollten wir uns dagegen wehren. Für Journalisten heißt das, man dabei an alle die gleichen Maßstäbe anlegt, sollte selbst- kritischer mit der AfD umzugehen, als mit anderen Parteien. verständlich sein. Auch im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit.

40 41 42 BSG ChemiegegenFCLok. Fußball wirdpolitisch. Antifa gegenNazis. Und Hass. Glauben verboten. verboten. Glauben Nazis sindharam. Nach islamischem Nein. nebenan. Telefonzelle In einer Antisemitismus. Doch nicht. Sind dann also alle legal?

Ach, fIck

doch die gegen dieWand. stellen Justitia Und dieBullenschweine

Polizei. Bitte vertragt euch. 43 Nicht alle. PKK. NSU. Wut auf die Extreme.

So fröhlich. So bunt. Doch wieder Hass. Wo bleibt die Liebe? Nein! Aber wir haben keine

Wir sind doch frei. Angst.

Oder nicht? 44 45 JANA LUCK Faserland

In eine Stadt am Fluss kam die Flut und die Menschen kamen ins Gespräch – Die Lange Straße im Stadtkern von Grimma Der obere Bahnhof von Grimma warum reden sie nicht miteinander? Die Buchhändlerin Marlies Uhde sitzt in ihrem Büro hinter schon dagewesen, klar, auch vor der Wende. „Aber jetzt dem Laden am Marktplatz und trinkt Kaffee mit Kaffeeweißer habe ich einen Kloß im Bauch. Spüre Angst und Beklem- aus der Dose. Ihren Buchladen, den „Bücherwurm“, würde sie mung, dass ich mal eines Tages reglementiert werde, weil ich gerne „Volksbuchhandlung“ nennen. Aber das geht heute so eine freie Einstellung habe. Und das hat besonders in den nicht mehr, denn wer an Volk denkt, denkt an die Nationalis- letzten zwei Jahren zugenommen. Vorher war das nicht. ten. Marlies Uhde denkt an alle. „Ich sehe mich als Nahversor- Ich habe gemerkt, dass auch viele, bei denen ich es nicht ger. Ich will jeden bedienen, egal, welcher Bildungsstand. gedacht hätte, ihre Einstellung geändert haben. Ich sage im- Den Begriff Volk würde ich trotzdem nicht mehr verwenden, mer: Früher stand ich auf der schwarzen Liste, heute stehe ich heute ist er ja besetzt. Als würde ich einen nationalsozialistischen auf der roten. Viele wissen, was ich für eine pluralistische, weltof- Gedanken hochhalten.“ Marlies Uhde, seit ihrer Geburt 1961 fene Einstellung habe. Ich habe Angst, wenn das so weitergeht, in Grimma, mit 18 Jahren Buchhändlerin gelernt, weiß, was dass mir mal jemand die Schaufensterscheibe einschmeißt.“ die Menschen in Grimma lesen. Sie kippt das weiße Pulver in ihre Tasse mit frisch gebrühtem Filterkaffee, rührt um. Sie erzählt * In ihrem Buchladen steht Marlies Uhde und denkt über mit der Flut zusammen, dann knüpfte sich ein Netz von den letzten drei Jahrzehnten, der Kaffeeweißer setzt sich Spinnweben nach: Klein und unsichtbar ziehen sie zwischen den Menschen. langsam oben auf der braunen Flüssigkeit ab. Eine Insel im Kurz hinter Grimma liegt der Hügel, auf dem das Schloss Döben sich durch das Tal, in der die Kreisstadt liegt, umrandet braunen Meer. Wie wurde aus Grimma eigentlich, was es ist? steht. Auf der Schlossterrasse steht Hubertus von Below und von bewaldeten Hügelhängen und weiten Feldern mit Für Alexander Lange, einen Historiker aus Leipzig, gibt blickt ins Tal hinab. Er zeigt auf ein großes Gebäude neben kleinen Parzellen. 25 Kilometer südöstlich von Leipzig. es zu wenige Zentren in Sachsen, die extremen Rechten Marlies Uhde spricht von der Wende, von all den Büchern, die einem Hügel, daneben schmiegt sich die alte Papierfabrik 28.153 Einwohner, Zweitstimmen der letzten Bundes- etwas entgegensetzen. Aber es gibt sie. Grimma. Lange sie jetzt verkaufen konnte, endlich. „Aber die wollte neben den Fluss, die Mulde. Kleine Ortschaften sprenkeln tagswahl: 31,1% AfD, 27,5% CDU, 14,7% DIE LINKE, nennt die Stadt „eine der Inseln, die dem braunen Sturm niemand lesen. In den ersten fünf, sechs Jahren nach ´89 ist die Landschaft, Felder, Baumgruppen. Hinter von Below liegt 10,8% SPD. Wir sind in Grimma. 2002 bundesweit in den standhalten.“ In Grimma, sagt er, gebe es noch so etwas der Umsatz eingebrochen, das glauben Sie nicht. Die Leute das Schloss, eher eine Burganlage, zu DDR-Zeiten enteignet. Schlagzeilen mit den Bildern von der Flut, als die Mulde wie eine funktionierende Zivilgesellschaft. Ist es das wollten keine Bücher, die wollten Konsum. Aber ich habe Nach der Wende haben er und seine Frau Dorothea sie ge- überlief, die die Häuser bis ins zweite Stockwerk im Netz, von dem Marlies Uhde spricht? gelesen und musste nicht mehr mit gespaltener Zunge spre- kauft und saniert. „Es geht um Identität“, sagt Hubertus von Schlamm und Wasser versinken ließ. Den Häusern in der chen, nicht mehr aufpassen, was ich sage. Das habe ich ge- Below. Seine Vorfahren haben hier gelebt, ein altes Adelsge- Stadt sieht man die Flut nicht mehr an, die Wände sind Schauen wir uns einmal um in Grimma. Es gibt: den nossen.“ Marlies Uhde betont diesen Satz, sie erzählt von schlecht. Die Familienhistorie sieht man im Pavillon neben frisch gestrichen, in Pastellfarben: abgetöntes Rosa, Schlossherren, die Buchhändlerin, den Taxifahrer, den diesem Genuss wie von einer Erinnerung, an die man gerne der Terrasse, von der aus man ins Tal blickt. Auf dem Burgge- Hellblau, Gelb, mildes Grün. Ex-Nazi, den Sozialarbeiter, der Pudding genannt wer- zurückdenkt. Als sei das freie Denken schon Vergangenheit, lände haben die von Belows 13 Immobilien, sanierte Gebäude, den möchte, die Schülerin, die in Sachsen die Stellung ein bisschen. Uhde durchläuft die Jahrzehnte. Die Neunziger: Neubauten. An den Fassaden steht auf Schildern: „H.v.B.“. „Wenn ihnen was kaputt geht, dann kaufen sie was halten will. Und zwei junge Männer aus Eritrea, mit de- Aufbruchstimmung. Die Zweitausender: Plötzlich waren die Neues, und das Neue ist immer schöner als das Alte“, nen niemand spricht. Wo stehen sie im Grimma-Netz? jungen Menschen weg, Zäsur durch Schröder, Liberalisierung Marlies Uhde erinnert sich an die erste Begegnung mit ihm. sagt Marlies Uhde. Glaubt man ihr, dann brachte das Welche Fäden verbinden sie? Wie stark sind sie, was der Finanzmärkte. Dann: „die neue Zeit“, so nennt sie es. „Es Eine Lesung in ihrer Buchhandlung, er kam zu spät, greift in Unglück auch Gutes, dann hängen die Spinnweben zerrt an ihnen? Wo drohen sie, zu zerreißen? ging los 2010 mit Sarrazin.“ Die Rechten, die seien immer ein Regal, ruft: „Oh, Rushdi! Die Satanischen Verse! Das kaufe

46 47 Hubertus von Below deutet auf die Papierfabrik im Tal. „Die steht jetzt still. Das Problem hier ist nämlich, dass sehr viele Industrielle und andere Unternehmer nach ihrer Enteignung nicht gezielt wieder ins Land geholt werden konnten.“ Von Below hat mit seiner Frau einen Ruderclub gegründet, eine Schule und eine Partei. „Das war leichter als im Westen. Wir sind in ein Vakuum gestoßen, das die Geschichte hier hinter- lassen hat.“

* Marco Weber, arbeitet ehrenamtlich Denny sitzt in seinem Taxi, unten im Tal am Fuß des Hügels. „Der von Below? Ach, pff, ja, von dem kriegt man nicht so viel mit. Der ist schon fernab da oben auf seinem Schloss.“ Denny fährt in Richtung „Dorf der Jugend“, eine alte Spitzenfabrik, Schlossbesitzer Hubertus von Below heute ein Jugendzentrum, auf den Wänden bunte Graffitis: „Hate Germany“, „FCK NZS“, also: Fuck Nazis. Denny ist 29 Jahre alt, er sitzt tief und weit zurückgelehnt im Fahrersitz, glat- Taxifahrer Denny te, leicht glänzende, rosa Gesichtshaut. Denny unterlegt seine legen waren Nazis. Im Großen und Ganzen ging es auch bloß Tobias Burdukat kommt aus seinem Büro in der alten Fabrik, Worte mit einem Grinsen, egal, was er sagt; es ist ein Grinsen, um Party machen. Nicht darum, welches Asylheim brennen knipst ein Foto von Marco, der versucht, seine Bierflasche un- das sagt: Tja, kann man nichts machen. Er hält nicht viel von wir an, das war jetzt nicht Alltag. Die Musik war cool, anders. ter dem T-Shirt zu verstecken, Tobias lacht, „kannst es ja ver- Herrn von Below, aber auch nicht von den Menschen im „Dorf Die „Zillertaler Türkenjäger“, die haben auf Songs von der suchen.“ Er saß im Stadtrat für die „Bürger für Grimma“, ist der Jugend“. „Blöd vollgesülzt wird man von denen, die sich Neuen Deutschen Welle getextet, das lief auch beim Au- jetzt noch Kreisrat im Landkreis Leipzig. Ist stadtbekannt, der da drin aufhalten, dummes Zeug, man versteht es auch nicht toscooter auf dem Jahrmarkt, das kann man sich heute nicht Burdukat. Hier im „Dorf der Jugend“ rufen sie ihn Pudding, so richtig. Und lärmtechnisch ist das schwierig, mit den Partys, mehr vorstellen.“ Eine Liedzeile: „Nun pass mal gut auf! Da so stellt er sich auch vor. Oben in seinem Büro sind die brü- die die machen. Das Klientel, was sich da aufhält, nicht die steht ein Sonderzug nach Mekka. / Da musst Du jetzt hin, raus chigen Außenwände mit Spanplatten abgedeckt, er sitzt vor Hellsten. Joa, ich sag mal, alles, was wir an Punks hier haben, aus unserem Berlin. / Wir wollen Euch hier nicht, niemand will einem Computer, dreht sich eine Zigarette. „Nach der nächs- das ist jetzt nicht so wirklich was Gescheites. Ich will nur nichts Euch hier mehr sehen. / Mit Eurer fremden Kultur, mit der, der ten Wahl, das sieht übel aus“, sagt er. „Mit mehr als zehn zu tun haben damit. Will mir das nicht angucken.“ stört Ihr uns nur.“ Nazis setze ich mich nicht in einen Raum. Jemand, der sich ständig über was aufregt, aber keine konstruktiven Vorschlä- Buchhändlerin Marlies Uhde * „Das hat halt damals keinen interessiert, wenn das lief. War ge bringt, den nehme ich nicht mehr ernst. Das hat die Politik halt so. Ich denke jetzt, das war ein Wendephänomen. ‚Die falsch gemacht, die hat den Leuten eine Plattform gegeben. Im Hof der alten Spitzenfabrik, wo seine Mutter damals ihre Ausländer kommen und nehmen uns die Arbeit weg.‘ Ja klar, Das hat das einfach total verschärft, dass die ihr völlig sinn- Ausbildung gemacht hat und wo jetzt das „Dorf der Jugend“ hab ich auch gedacht damals. War aber nie in der NPD, das freies Motzen in die Öffentlichkeit tragen konnten. Deren ich!“ Marlies Uhde: „Hingesetzt. So ist der von Below.“ Das ist, sitzt Marco Weber auf einem kleinen Klapphocker. Sein vertrete ich nicht. Habe schon immer trotzdem meine eigene Antwort ist immer nur: Grenzen dicht und Ausländer raus. Ehepaar von Below kam aus Kiel nach Grimma, Hubertus von Hund Finris liegt hinter ihm im Schatten und bellt, wenn je- Meinung gehabt. Scheiße haben wir gebaut, aber das ist ein Das ist doch kein konstruktiver Lösungsvorschlag.“ Burdukat Below ist geboren in Wedel bei Hamburg, hat Medizin stu- mand kommt. „Finris habe ich noch aus meiner Druffizeit“, anderes Ding, haben uns große Schlägereien mit Zecken und trägt eine Cap, einen langen Bart, die Ohrlöcher sind ge- diert, die Welt gesehen. Wollte Krankheiten kennenlernen, sagt Marco. „Hab´ ich von ´nem Kumpel. Finris war der Russen gegeben und so.“ Marcos Vater wählt heute AfD. dehnt. Er sieht nicht aus wie jemand, der im Landrat mit Poli- hautnah, Tuberkulose, Malaria, Traumata, „das kannte man ja Schwächste, den wollte keiner. Dann hab ich ihn genom- „Das versteh ich nicht“, sagt Marco, dreht die Bierflasche in tikern im Anzug diskutiert, seine Stimme bleibt meistens ru- in Deutschland gar nicht mehr.“ Von Below saß im Stadtrat men.“ Marco hält eine Flasche Bier, Sternburger, in der Hand, der Hand. „Der hatte eigentlich immer Arbeit, auch nach ´89. hig, wie er selbst. Man kennt ihn auch deshalb, weil er überall von Grimma, erst für die CDU, dann wechselte er zur AfD, eine Zigarette, ein Feuerzeug. „Wo soll ich denn anfangen Trotzdem sagt er, zu viele Ausländer auf der Straße.“ Marcos Projekte anschiebt, das „Dorf der Jugend“ hat er gegründet. koalierte mit der SPD. Jetzt engagiert er sich in der „Blauen jetzt, bei der Wende? Joa. Dann kam die Wende. Da war Nachbar war Punk. „Wir hatten gar nicht so andere Einstel- Wende“, „mit Frauke“, wie er sagt, Frau Petry. Geht es nach auch alles schön.“ Buden haben sie gebaut, im Wald, „das lungen, haben wir gemerkt.“ Der Punko-Heini, wie Marco ihn Das Netz von Grimma: Auch Burdukat glaubt, wie die Buch- ihm, braucht Sachsen Einwanderung, aber strengere Gesetze, machen die Kids ja heute nicht mehr“, sagt Marco. „Wer geht nannte, nimmt ihn mit auf WG-Partys. „Da habe ich gedacht, händlerin, dass die Hochwasser eine große Rolle gespielt „strenge Auslese wie in Amerika oder Australien.“ Er spricht denn heute noch in den Wald zum Spielen?“ Marco, 39 Jahre was hast du dein Leben lang verpasst, Marco. Da herrschte eine haben. „Vor allem 2002 waren die Menschen gezwungen, von einer „Gnade der Einwanderung“, die nicht der Flücht- alt, blickt irgendwo in die Ferne, wenn er überlegt, und er Harmonie und Freundlichkeit, das kannte ich nicht.“ Das einzige miteinander zu arbeiten, da war kein Raum für persönliche ling, sondern der Staat definiere. überlegt oft, seine Worte kommen langsam aus seinem Problem: Welche Musik hören? Nazi-Rock ging nicht mehr. Vorbehalte. Alle waren kollektiv betroffen, das bringt Mund. Nach der Wende macht er eine Lehre zum Maurer. „Dann kam ,Blumentopf‘ mit ihrem Album ,Großes Kino‘. Menschen zusammen.“ Aber nach 2002 wurden vielen die „Tja. Dann gings bei mir los. Da bin ich dann in der rechten Die haben mich gerettet.“ Versicherungen gekündigt. „Seitdem geht’s sukzessive berg- Szene gelandet. Das war der Umgang einfach. Zu der Zeit ab.“ Nach dem weiteren Hochwasser, 2013, waren viele resi- war man entweder links oder man war rechts. Alle meine Kol- * gniert, hielten nicht mehr so gut zusammen. Burdukat hatte

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„Töne sind Schülerin Charlotte Deckwerth besser als Steine”

„Gerade jetzt, wo viele rechte Stimmen so laut sind, möchte Sozialarbeiter Tobias Burdukat ich mit meiner Kunst ein Zeichen setzen“, sagt die Komponistin Susanne Hardt aus Potsdam. Die 25-Jährige schreibt vor allem Filmmusik für Orchester. Im Gespräch erklärt sie, was Kunst oft das Gefühl, gegen Windmühlen zu laufen. „Aber das habe ich gegen Populismus tun kann. mir abgewöhnt. Ich mach das, was ich machen kann, und das ma- che ich halt in meinem nahen Umfeld. Viel mehr Menschen sollten sich darauf konzentrieren: auf Arbeit, im Sportverein, im Ort halt.“ Muss ein Künstler politisch sein? „Bei dem hier aufgeführten Stück bin ich demokratisch ist, sondern es setzt sich „Ich halte es im Augenblick für wichtig, relativ wissenschaftlich herangegangen, auf seine Weise mit einem politischen * aber ich würde das nicht verallge- das mache ich häufig so: Ich habe mir Thema auseinander. Aber ich glaube Auszubildender Salih Schüler Takhlit meinern. Das muss jeder Künstler für sich die Jahreszahlen von verschiedenen EU- nicht, dass das Stück selbst politisch Draußen im Hof, auf der holzgezimmerten Bühne, sitzt ein halbes entscheiden. Aktuell gibt es viele gewalt- Ländern genommen, in denen das sein will. Es gibt mit Sicherheit Kompo- Dutzend Elftklässler auf ausrangierten Lastwagenreifen und Sofas. bereite Stimmen, da will ich mit meiner Frauenwahlrecht eingeführt worden ist. nisten, die wollen das wirklich mit ihrer Sie planen ein Video: Aufklären gegen Radikalismus. Burdukat hat Jahr älter ist. Er macht eine Ausbildung zum Fußbodenleger. „Vie- Musik zeigen, dass es auch anders, auch Am frühsten war Finnland in 1906 und Musik. Aber ich könnte jetzt nicht die Fördermittel organisiert. „Es sind Ferien, dafür sind heute viele le denken, dass wir einfach nur das Geld vom Jobcenter kassieren, friedlich geht. Und dass es bestenfalls am spätesten war Liechtenstein: 1984. sagen: Genau so klingt Demokratie, so da“, murmelt er auf dem Weg zur Bühne. Charlotte Deckwerth sitzt aber ich bezahle genau wie alle anderen Deutschen Steuern, ich auch anders wird.“ Da war ich sehr erstaunt, weil das so klingt Populismus, so klingt Diktatur.“ auf einem der Sofas und verfolgt die Diskussion mit auf die Knie arbeite acht Stunden am Tag. Die Ausbildung läuft gut, nur mit spät war. gestützten Ellenbogen, ihr Kinn liegt auf den Händen, ihr Blick dem Fachdeutsch ist es schwer: Faser, Polyester, solche Wörter.“ Was kann Kunst gegen Motivieren Sie auch andere wach. Sie ist 16 und geht in Grimma zur Schule, hellblaue Augen in Thaklit nickt zu dem, was Salih sagt. „Wir haben wenig zu tun mit Populismus tun? Und diese Jahreszahlen habe ich quasi Künstler, sich gegen Populismus ungeschminktem Gesicht, eine Bauchtasche hängt ihr quer über den Leuten von hier. Das hat auch mit Respekt zu tun. Wenn je- „In einem friedlichen Sinne kann sie ei- in Musik übersetzt. Das heißt, ich bin auszusprechen? den Oberkörper. „Es ist alles enorm angespannt. Die Leute können mand nicht mit dir redet, wie kann ich einfach hingehen? Man liest nen sehr, sehr guten Beitrag leisten: von einem Ton ausgegangen und habe „Ich finde, das muss jeder mit seinem sich nicht mehr ab, stehen sich total gegenüber. Hakenkreuze wer- ja auch die Körpersprache. Es gibt Menschen, die helfen uns. Das Stellung zu beziehen ohne jemanden ihn dann als Nummer eins definiert. Gewissen selber ausmachen, ich kann den an die Wand geschmiert, an der Tafel steht „Juden verbren- muss ich auch nicht vergessen. Ich habe eine deutsche Familie, körperlich anzugreifen oder sonst ir- Zum Beispiel bei der Jahreszahl 1918, auch all jene verstehen, die ihre Kunst nen“ und sowas. Das kommt viel von den Eltern. Und wenn einer da gehe ich am Wochenende hin, die haben den Ausbildungs- gendwie Gewalt anzutun. Ich finde die damit fing das Stück an, weil da in und ihre politische Meinung trennen anfängt, dann wird auch aus Coolness mitgezogen. Die wissen gar platz gefunden.“ Salih und Takhlit gehen weiter über die Brücke. Demokratie gut, so wie sie ist. Men- Deutschland das Frauenwahlrecht ein- wollen. Ich finde es aber gut und würde nicht, was sie da sagen. Die Lehrer gucken weg, hören weg. Seit Sie sind zwei Fasern in Grimma, nicht einmal Fäden im Netz, die schen sind verschieden und haben ver- geführt wurde. Und in vielen anderen dazu ermutigen, sich damit auseinan- drei Jahren ist das so, seit viele Flüchtlinge gekommen sind.“ Char- Menschen ziehen an ihnen vorbei. schiedene Meinungen. Und dafür EU-Ländern auch. Dann brauchte ich als derzusetzen. lotte will in Sachsen bleiben. „Nicht weglaufen, jetzt erst recht. möchte ich mit meiner Kunst eintreten. nächsten Ton eine „neun“, also habe Man muss hierbleiben und was dagegen machen.“ * Auch bei verhärteten Fronten ist ein ich vom ersten Ton an neun Töne auf- Ich hatte vor zwei Jahren eine Koope- Kunstwerk als Antwort besser, als auszu- wärts gezählt. Dabei kam eine kleine ration mit dem nach Deutschland ge- * Grimma, das Tal, in dem eine Flut ein Netz knüpfte. Es gibt Fäden, rasten oder mit Steinen zu werfen.“ None heraus. Dann wieder der flüchteten syrischen Pianisten Aeham die die Stadt verbinden, klein und unsichtbar. Fäden, die sich von Ausgangston und dann nochmal eine Ahmad. Da haben wir ein gemeinsames Salih und Takhlit gehen über die Brücke, aus der Stadt heraus. An Mensch zu Mensch spinnen. Sie sind noch da, aber das Netz hat Für das Lichtfest in Leipzig, Oktave, also die acht Töne aufwärts. So Konzert gegeben. Nun hat er mich an- ihnen vorbei ziehen Kleinfamilien mit Kinderwagen, ein altes Ehe- Lücken. Wenn die zarten Fäden reißen, erhöht es den Druck auf anlässlich der friedlichen Revolution setzt sich das Thema zusammen.“ gefragt, ein weiteres Orchesterprojekt paar. Sie werden angeguckt, bleiben selbst bei sich. Ob man sie die noch bestehenden Verbindungen, mehr Erschütterungen vom 9. Oktober 1989, hatten Sie den zu machen. Daran arbeite ich gerade. mal kurz etwas fragen dürfe? Rückfrage: „Bist du von hier?“ – standzuhalten. Erschütterungen wie: mehr Polarisierung, mehr Po- Auftrag, in Ihrer Musik die Demokratie Und wie klingt Populismus? Das schwirrt also noch herum. Ich finde, „Nein.“ – „Dachte ich mir. Gibt nicht viele hier, die so freundlich pulismus, mehr Radikalisierung. Grimma wirkt wie ein Faserland, zum Thema zu machen. Und konkreter: „Musik ist immer sehr, sehr viel Interpre- so ein gemeinsames Konzert ist in der sind.“ Sie kommen aus Eritrea, Salih ist 19 Jahre alt, Takhlit 18. „Ich unverbunden, lose. Wie stark ist das Netz, wie halten die Fäden? das Frauenwahlrecht. Wie klingt tationssache, deswegen würde ich auch heutigen Zeit ein gutes Gegenbeispiel, bin sein Vater und seine Mutter“, sagt Salih, obwohl er gerade ein Und vor allem: Wer hält sie zusammen? Demokratie in Musik übersetzt? nicht sagen, dass mein Stück besonders ein schönes Friedenszeichen!“

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„Viele Pfarrer sind Warum sind Sie Christ? Kühne: Ich nenne das den modernen Kühne: Das klingt ja mal interessant. Kühne: Ich wurde in eine christliche Pranger. Distanzeritis. Die Nase, die mir heute fehlgeleitet“ Familie hineingeboren und so bin ich in nicht passt, da muss ich mich distanzieren. Dohrn: Damals, als ich Pfarrer im Erzge- die Christenlehre reingeschickt worden. Das ist Westsozialisation. Andreas Dohrn birge war, gab es einen großen Konflikt Ich habe viele interessante Leute kennen- lacht laut Ich wünsche mir, dass die Leute zum Bibelverständnis von Homosexualität. gelernt – gute, konservative Christen, mit nicht die ganze Zeit erzogen werden, weil denen ich mich bis heute sehr, sehr ver- es gerade in den Zeitgeist passt. Unser Kühne schnauft und zieht seine bunden fühle. Glaube überdauert diesen Zeitgeist, den Augenbrauen zusammen. die Leute jetzt ertragen müssen. Der Herr Dohrn: Da gibt es eine interessante Par- Pfarrer, der wird das ganz anders sehen! Dohrn: Ich segne homosexuelle Paare, allele zwischen uns. Dass wir beide klas- und ich finde das voll in Ordnung. sisch christlich sozialisiert sind, mit dem Kühne zeigt mit beiden Händen auf kompletten Schwung an Volkskirchlichkeit. Dohrn Viele Pfarrer sind heute fehlge- Kühne: Das nenne ich auch wieder Das ist das, was uns verbindet. Unter- leitet. Aber die gehen auch wieder. Zeitgeist. Homosexuelle Paare können schiedlich ist, dass ich – anders als Sie in machen, was sie wollen. Homosexualität Andreas Dohrn der DDR – in meiner Jugend in Stuttgart ist aber nicht zielführend von der Schöp- nie eine Ausgrenzungserfahrung wegen Ist Herr Dohrn fehlgeleitet? fung und von der Bibel her. „Da kommen wir ganz meines Glaubens gemacht habe. Kühne: Das ist eine Unterstellung. Bis jetzt habe ich mich mit Herrn Pfarrer Dohrn: Und dann erlebe ich etliche Jörg Kühne sicher nicht überein“ Kühne faltet seine Hände über gut unterhalten. Leute bei der AfD... seinem Bauch zusammen und nickt. Dohrn: 24 Minuten lang. Kühne: Sie scheinen mehr Leute in der AfD zu kennen als ich. Entschuldigen Sie, das Beide sagen sofort zu, sie wollen miteinander reden, es zumindest versuchen. Bisher kennen sie nur Ist die AfD eine christliche Partei? Kühne: Ich habe gesagt, was ich denke. war vielleicht, ein, ähm, schlechter Einwurf. ihre Namen, wissen aber genau, wie weit entfernt sie voneinander stehen. Der eine der beiden heißt Dohrn: Es gibt die AfD in fünf bis sie- Die Westsozialisation von Herrn Pfarrer – Andreas Dohrn, ist Pfarrer in der Leipziger Peterskirche und sagt: „Wenn ich im Kirchenvorstand ein ben Varianten. Es gibt natürlich noch das ist für mich immer ein bisschen Dohrn: ... die mit der Komplexität der AfD-Mitglied hätte, dann gäbe es richtig Ärger.“ Der andere ist Jörg Kühne, AfD-Stadtrat in Leipzig Leute aus der 2013er Anti-Euro-Stim- schwierig, er hat keine Diktaturerfahrung. Postmoderne nicht zurechtkommen. Wie und Regionalsprecher der Christen in der AfD, und er sagt: „Ich lasse mir meinen Glauben von nichts mung. Und es gibt sicher auch einen Teil, Da kann man schnell von Rechtsextremis- sind Sie überhaupt zur AfD gekommen? und niemandem nehmen.“ der konservativ im klassischen Sinne ist, mus, Verfassungsschutz und blablabla und es gibt die Nationalisten. Für richtig und so weiter reden. Kühne: Seit der Wendezeit bin ich poli- Drei Stunden vor dem Gespräch sitzt Andreas Dohrn in seinem Pfarrbüro. Im Bücherregal steht ein gefährlich halte ich den Teil, der die Flan- tisch interessiert. Nachdem mich ein Buch über Trans- und Interidentitäten, an der Wand hängt ein Plakat des globalisierungskritischen ke zum Rechtsextremismus bewusst offen Was schnell auffällt: Die beiden ver- Pfarrer angesprochen hat, bin ich in die Filmfestivals, kein Kreuz. Dohrn kramt in seinem Rucksack und legt einen unsortierten Haufen Papier, hält. Die Evangelische Kirche in Deutsch- wenden zwei unterschiedliche DSU eingetreten. 1999 dann in die CDU. mehr als 50 Seiten, zum Teil mit Bleistift markiert, auf den Tisch. Sein Recherchematerial über die land hat gerade beschlossen, dass man Sprachcodes. Der eine redet aus Es wurde für mich immer schlimmer in Christen in der AfD und Jörg Kühne. „Ich werde mit hohem Druck in das Gespräch gehen“. Dresden, AfD-Politiker nicht zum Kirchentag 2019 in dem Bauch heraus; der andere im Stile dieser Partei, weil ich die Politik nicht Heidenau, Bautzen, Chemnitz – bisher sieht er sich als Verlierer gegen Rechts: „Ich habe keinen Bock, Dortmund einlädt. Die hat also den Ein- eines Lehrers. Sie scheinen aneinander mehr für christlich-konservativ hielt. Das das Spiel immer 0:5 zu verlieren.“ druck, dass sich die AfD als Partei und das abzuprallen – in der Form und im Inhalt. war nicht mehr meine Politik. Ich wollte Christsein sehr schlecht vertragen. Mitglied in einer wertkonservativen Partei Und Kühne? Anruf bei ihm, er ist in Eile. „Wollen Sie mir absagen?“, schallt es aus dem Hörer. sein. Deswegen bin ich in der AfD. „Es ist unerträglich, wie viel Häme und Hass sich derzeit wieder über der AfD ergießt.“ Wie er denn Sie nennen sich zwar beide Christen, auf das Gespräch blicke? Kurze Stille, nun etwas nachdenklicher: „Ich bedanke mich, dass Sie uns Und wie ist Ihre Meinung dazu? aber Sie stehen politisch so weit Dohrn: Ich habe mich ja auf das Gespräch zusammenbringen.“ Sowas passiere sonst nie, mit der AfD wollen die Kirchen ja nicht reden. Auf die Dohrn: Solange die AfD sich nicht auseinander, wie man nur auseinan- vorbereitet und mir die Christen in der AfD- Diskussion hat er sich nicht vorbereitet. Das brauche er nicht, er sei voll im Stoff, sagt er. klarer von Rechtsextremen entfernt, bin derstehen kann. Was trennt Sie? Mitteldeutschland angeguckt. Eine Sache ich bei der EKD-Entscheidung dabei. Dohrn: Natürlich gibt es einen Unter- hat mich gewundert: , Sprecher Um 18 Uhr stehen sich die beiden Männer im AfD-Fraktionsbüro im Leipziger Rathaus gegenüber. Bisher macht die AfD die Tür zu Rechtsex- schied bei der Deutung biblischer Grund- der Christen in der AfD-Mitteldeutsch- Kurze Begrüßung, ernste Blicke. tremismus strukturell auf. muster. land und Bundestagsabgeordneter, ...

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Jörg Kühne verschränkt die Arme Kühne: Das hat mich aber auch einen Kühne sagt immer wieder, dass er und schaut aufmerksam, als würde feuchten Staub anzugehen, wen sich sich freut, dass es zu einem Gespräch er wissen, was jetzt kommt. Ulle Oehme aussucht. Ich habe den Ulle gekommen ist – noch bevor das Oehme als guten katholischen Christen Gespräch überhaupt beendet ist. Es Dohrn: ... hat zwei Mitarbeiter mit kennengelernt. Und die Identitäre Bewe- wirkt so, als sei es nun gut, als habe er „Pfarrer zu sein Überschneidungen zum Rechtsextremis- gung ist für mich eine Antifa ohne Gewalt! alles gesagt. Bevor sie auseinander mus. Und in der Jungen Alternative sind gehen, beide fest, dass sie im selben ist heute deutlich Leute, die mit der Identitären Bewegung Dohrn: Da kommen wir ganz sicher Wahlkreis für die Stadtratswahl 2019 verbandelt sind. Wie können Sie das mit nicht überein. antreten werden. schwieriger“ ihrem konfessionellen Ticket vereinbaren? Kühne: Wissen Sie, ich bin vor 28 Jahren Dohrn: Das war dann hier eine nette Die AfD spaltet die Kirche, und deswegen haben Pfarrer Was noch auffällt: Kühne muss ständig da unten auf die Straße gegangen, immer kleine Übung. Fragen von Dohrn abwehren; er selbst wieder, ich will den Dialog mit allen, einen eine besondere Verantwortung. So sieht es Gert Pickel, stellt keine einzige. Die Identitäre Be- vernünftigen Dialog. Diese Leier kenne ich Kühne: In Demut und mit offenem Religionssoziologe an der Universität Leipzig. Er forscht wegung, um die es nun geht, gilt als von der DDR. „Der ist böse, der ist links, Visier sind wir uns begegnet. Das kann zum Verhältnis zwischen Populismus und Kirche. rechtsextreme Organisation und wird der ist rechts, der gehört zur Identitären eine Basis sein. Da hoffe ich auf Sie. vom Verfassungsschutz beobachtet. Bewegung. Du! Du! Du!“ Der Evangelische Kirchentag hat vor einen sehr konservative Gemeindemit- gegen viele politikinteressierte Men- einigen Tagen entschieden, nächstes glieder, die AfD-Positionen in Bezug auf schen. Die Position der Kirchen hat sich Jahr keine AfD-Politiker einzuladen. Gender, Feminismus und Homosexuali- dementsprechend auch verändert: Beide Sollte man die AfD von solchen Foren tät teilen – und es gibt zum anderen die Kirchen haben sich immer stärker in den ausschließen? liberalen, die zum Beispiel in der Flücht- sozialen Sektor begeben. Man sieht sich Für mich stellt sich die Frage, warum lingshilfe hoch aktiv sind. als Sprecher der Schwachen. Das erklärt man jemanden einladen sollte, der ge- auch die Widerspenstigkeit der Kirchen gen meine zentralen Werte verstößt. Es Was bedeutet das für die Pfarrer? gegen die AfD, die Menschen aufgrund Zwei Minuten später steht Andreas Dohrn im Aufzug des Leipziger Rathauses und flüstert: „Seine gibt viele Aussagen von AfD-Politikern, Pfarrer zu sein ist heute deutlich schwie- von ihrer Herkunft abwertet. Einschätzung zur Identitären Bewegung ist einfach nur naiv, zumal als Stadtrat in einer Metropole. die mit dem christlichen Weltbild nicht riger geworden. Denn der Pfarrer muss Die Nummer geht nicht!“. Ob er gewonnen hat, will er nicht sagen. „Nach einer Viertelstunde habe in Einklang stehen. Außerdem hat jeder die Leute dazu bringen, wieder mitein- Dabei behauptet , die ich gemerkt, der will gar nicht auf Augenhöhe sein, der ist in seiner DDR-Opferrolle gefangen.“ Dohrn das Recht, jemanden zu seiner Veran- ander zu reden. Die Kirche ist schließ- AfD sei die einzig christliche Partei. wirkt nachdenklich, dann lächelt er so, als sei er froh, dass es vorbei ist, und steigt in seinen VW-Bus. staltung einzuladen – oder eben nicht lich einer der wenigen Orte, an dem Was ist das Ziel von solchen Aussagen? einzuladen. Zur aktuellen Entscheidung Menschen heute noch zusammenkom- Das ist eine klassische populistische Und Kühne? „Pfarrer Dohrn hat in keinem Thema recht gehabt, wo ich eine andere Meinung hatte,“ der Kirche hat wohl geführt, dass man men. Aber leider bereiten wir die Leute Strategie: Es werden Gegner gesucht. sagt er am nächsten Tag. Solche Pfarrer kenne er viele, das sei aber gar nicht negativ gemeint. beim letzten Kirchentag in Berlin, wo hier, an der theologischen Fakultät, dar- Wir gegen die anderen. Das Christen- Über eine Sache, sagt er, musste er dann doch noch nachdenken. In der Nacht hat er die Identitäre die AfD noch eingeladen war, nicht un- auf noch zu wenig vor. tum eignet sich dafür sehr gut: Man hat Bewegung gegoogelt und festgestellt: „Das ist eine Jugendorganisation, deswegen ist das für mich bedingt positive Erfahrungen gemacht das christliche Abendland, und alles, eigentlich nicht so interessant.“ Die Identitären, das weiß er nun, seien besonders stark in Frankreich hat. Die AfD-Politiker haben auf den Die Kirchen haben bei der Friedlichen was nicht dazu gehört, wird ausgegrenzt. und hätten ihren Ursprung in Österreich, wo es einen gewissen Herrn Sellner gebe. Dieser Herr Podien Selbstdarstellung betrieben – Revolution 1989 eine zentrale Rolle Sellner, von dem er spricht, heißt Martin Sellner, ist Co-Leiter der Identitären Bewegung in Österreich und sie haben sich nicht auf einen Dis- gespielt. Wie hat sich ihre gesell- Welches Verständnis vom Christsein und kämpft für ein völkisches Europa, in dem Ausländer keinen Platz haben. Kühne folgert: „Man kurs eingelassen. schaftliche Position in den letzten liegt dem zugrunde? muss auch mit Extremisten gesprächsfähig sein.“ Jahren verändert? Es ist eine reine Zugehörigkeitsdeutung Welchen Umgang würden Sie der Während des Umbruchprozesses in der – mit dem Zweck, alle anderen Gruppen, Was hätte Dohrn dazu gesagt? Es ist zu spät, dass er ihm direkt antworten kann. Anruf bei ihm. Dohrn Kirchenleitung mit der AfD empfehlen? DDR war die Kirche einer der wenigen vor allem Muslime, auszuschließen. Das ist entsetzt, als er Kühnes Sätze zur Identitären Bewegung hört. „Ich gehe doch nicht mit den größten Es ist wichtig, eine klare Position zu be- Orte, wo man überhaupt in Opposition Christentum ist allerdings pluralistisch und gefährlichsten Deppen in einen Dialog! Die darf man doch nicht mit einem Gespräch hofieren!“ ziehen – auf der Basis von dem, was wir gehen konnte. Das hat sich nach der aufgestellt und stark mit dem Begriff als christlich verstehen. Und man muss Wende natürlich stark verändert. Mit der Nächstenliebe verbunden. Das ist in In einem, so viel steht fest, sind sich Andreas Dohrn und Jörg Kühne einig: Wenn sie beide in den darüber reden: vor Ort und in den Ge- Folgen bei den Mitgliedern: Da sind die den Aussagen von AfD-Politikern nicht Stadtrat gewählt werden, wollen sie sich wiedertreffen. meinden. Denn dort ist die Polarisie- Menschen wieder hinzugekommen, die zu erkennen. rung teilweise sogar viel stärker als im einfach nur religiös sein wollten, aber Rest der Bevölkerung. Denn es gibt zum nicht politisch. Ausgeschieden sind hin-

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einem Jahr, bevor er das Bestattungsinstitut übernommen hat, hingen hier Lamellenvorhänge, erzählt er. Doch ihm sei die Nähe zu den Anwohnern wichtig. Offenheit. Und dass das Thema Tod wieder mehr ins alltägliche Leben integriert wird. In der Nachbarschaft habe das aber nicht jedem gefallen. Einige haben gefragt: „Wann kommen die Gardinen wieder dran?“

Das Geschäft in Ottendorf-Okrilla ist nur eins von drei Filialen. Weitere Filialen stehen in Pulsnitz und Dresden, dort wo Pegi- da jeden Montag auf die Straße geht. Auch Ehepaar Wolf geht jeden Montag auf die Straße. Aber die beiden demons- trieren gegen Fremdenfeindlichkeit und für eine tolerante Gesellschaft. „Ich will das einfach nicht unkommentiert lassen und ich kann das einfach nicht unkommentiert lassen“, sagt er Im Ort sind sie leise, mit sächsischem Dialekt. Seine Stimme: gefasst. Es ist nicht im Netz sind sie laut. das erste Mal, dass er diese Geschichte erzählt. Nachdem er den Flyer entdeckt hat, informiert er Anwälte, erstattet Anzeige und schreibt eine Stellungnahme, in der es heißt: „Hiermit distanzieren wir uns ausdrücklich von dem Flyer, der in unserem Namen im Raum Pulsnitz und jetzt auch in Ottendorf-Okrilla verteilt wurde. Dies ist ein Angriff auf un- sere Privatsphäre und verletzt massiv unsere Persönlichkeits- Erst die Hetze, dann der Hass rechte.“ Er hängt die Stellungnahme in die Schaufenster sei- ner Geschäfte und postet sie auf Facebook. Er möchte schnell viele Menschen erreichen. Benjamin Wolf ist ein Macher. Ein Bestatterpaar im Einer, der nicht lange fackelt und die Dinge anpackt. von ihm komme, was sie bei sich im Briefkasten gefunden Kreuzfeuer der Rechten. haben. Dort sieht er dann auch zum ersten Mal den Flyer, von Wolfs Frau Adriana kommt ins Geschäft, setzt sich zu ihm auf dem alle reden: Oben das offizielle Firmenlogo des Bestat- die graue Couch und beginnt zu erzählen, wie sie die Hetze tungsinstituts, unten zwei Fotos von ihm und seiner Frau, erlebt hat. Sie gestikuliert viel, redet weniger sachlich als ihr ohne ihr Wissen aufgenommen, und ein kleiner Text, der sich Mann. „Als ich den Flyer gesehen habe, habe ich erst mal liest, als sei er von ihnen geschrieben: „Ihre Aufträge geben gelacht. Ich habe richtig gelacht, weil ich das so absurd fand“, Als die Hetze in das Leben von Benjamin Wolf kommt, führt er uns die materielle Basis für unseren Kampf gegen die vielen sagt sie. „Im Nachgang war das dann schon etwas anderes.“ gerade ein Trauergespräch. Er ist Bestatter, hat ein Familien- Nazis und Rassisten in Dresden und Sachsen; für den europä- unternehmen mit fünf Mitarbeitern. Das Telefon klingelt. Am ischen Einheitsstaat, der allen Geflüchteten eine Heimat und Der Flyer war der Anfang einer Hetze, die in Hass umschlug. anderen Ende: eine wütende Frau. Sie schreit. „Was erlauben Versorgung bietet; für den kompromisslosen Kampf der Ju- Es ist der Hass, gegen den Adriana und Benjamin Wolf seit- Sie sich, Ihren Flyer in meinen Briefkasten zu werfen? Das dür- gend gegen alte, weiße Männer, gegen die Polizei und den dem tagtäglich ankämpfen. Im Internet ist er laut, im Ort eher fen Sie nicht. Das werde ich anzeigen.“ Wolf ist verwirrt, ver- nach rechts abdriftenden Staat!“ Die Wolfs sind sich sicher: Da leise. Wenn Benjamin Wolf sich am Mittag etwas zu essen sucht sie zu beruhigen, doch die Anruferin lässt nicht locker. will jemand Stimmung gegen sie machen, denn rechtsorien- holt, spürt er die Blicke der Leute. Vor kurzem traf er den Er bittet sie, später noch einmal anzurufen, und legt auf. Nicht tierte Menschen fühlen sich seither provoziert. Pfarrer des Ortes, der in der Schule Religion unterrichtet. Der einmal eine Stunde später der nächste Anruf. Wieder ist es Pfarrer erzählte ihm, dass im Lehrerzimmer über ihn geredet die Frau, wieder geht es um den Flyer, diesmal sachlich: Sie Als Benjamin Wolf von diesen Tagen Anfang August erzählt, wurde. Mit Wolf persönlich spricht kaum einer. Fragt man die habe nun ihren Anwalt und die Bundesdatenschutzbehörde sitzt er aufrecht auf dem hellgrauen Sofa in seinen Geschäfts- Nachbarn in dem 10.000-Einwohner-Ort, sagen sie, sie wüss- informiert, erklärt sie. Doch Benjamin Wolf versteht immer räumen im sächsischen Ottendorf-Okrilla. Schwarze Anzug- ten nichts von einem Flyer oder hätten die Sache „ad acta“ noch nicht, worum es geht. Am Abend schreiben ihm Freunde, hose, schwarze Weste, schwarze Krawatte, weißes Hemd. gelegt. Andere sagen „ein Bestatter sollte neutral sein“ oder Bekannte und Nachbarn auf Facebook. Fragen ihn, ob das Sein Blick schweift immer wieder Richtung Fenster. Noch vor „wer ein Geschäft hat, sollte nicht demonstrieren.“

56 57 SEBASTIAN SCHEFFEL « Ich finde es sehr belastend, sich ständig überlegen zu müssen, was man sagen kann, ohne in eine Ecke gestellt zu werden. » « Man darf sich nicht Trotz all der Hetze gibt es aber auch Stimmen, die ihnen Mut zusprechen. Adriana Wolfs Gesicht hellt sich auf, wenn sie angeekelt abwenden » davon erzählt. Erst vor zwei Wochen kam eine Familie ins Geschäft. Sie hätte nicht mehr zu Hause bleiben können, als Herta Däubler-Gmelin (SPD), ehemalige Bundesjustizministerin, Im Internet klingt es aggressiver. Wolf erzählt von anonymen sie aus Medienberichten in der Sächsischen Zeitung und im hat sich bereits um die Jahrtausendwende gegen Hass im Netz engagiert. Mails, in denen steht, er solle sich doch „nach Westdeutsch- MDR von den Flyern und dem ganzen Hass erfuhr. Sie bieten Sie kritisiert vor allem die manipulativen Züge des Internets. land verpissen.“ Am schlimmsten sei aber die Konfrontation den Wolfs an zu helfen. Laden sie sogar zu sich ein, sollten sie auf offener Straße. Er erinnert sich an einen Vorfall auf einer sich zu Hause nicht mehr sicher fühlen. Ihr Haus sei groß. Demonstration: Ein Mob von über 50 Leuten steht ihm „Das ist schon Wahnsinn“, sagt Adriana Wolf, „das sind gegenüber und brüllt: „Wolf, geh dich einäschern.“ Er sucht Situationen, in denen man schon sehr gerührt ist.“ Frau Däubler-Gmelin, haben Sie schon lich. Zudem werden Individuen leichter beleidigt Hilfe bei den Einsatzkräften. Vergeblich. Man sagt ihm, er einmal Hass im Internet erlebt? und herabgewürdigt, weil die Autoren schwer solle die Leute eben nicht provozieren. Ihren Beruf und ihr politisches Engagement hat das Paar im- In den Zweitausendern, als ich Justizmi- zufinden sind, vor allem wenn sie nicht aus mer strikt voneinander getrennt. Durch den Flyer werden sie nisterin war, wurden immer wieder Deutschland oder Europa kommen. Hinzu In den ersten Tagen, nachdem der Flyer auftauchte, fahren sie nun aber gedrängt, sich auch als Firma politisch zu Listen gefunden, auf denen auch mein kommt, dass man seinen Namen ja nicht jeden Abend noch einmal alle Geschäftsfilialen ab – von Dres- positionieren. „Ich finde es sehr belastend, sich ständig über- Name zu lesen war. Die Sicherheitsbe- nennen muss. den, nach Pulsnitz, nach Ottendorf und zurück. Sie wollen sich legen zu müssen, was man sagen kann, ohne in eine Ecke hörden haben diese Listen mit Rechts- vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Sie haben Angst. gestellt zu werden“, sagt Benjamin Wolf. extremen in Verbindung gebracht, die Wie sollten Privatpersonen mit Hass Angst um sich, Angst ums Geschäft und vor allem Angst um sich im Internet getummelt haben. Aber im Netz umgehen? die Familie. „Da ist eine gewisse Wut da. Auf der anderen Wie hoch der finanzielle Schaden ist, den der Flyer und die wenn man in der Demokratie etwas errei- Viele wenden sich angeekelt ab, das ist aber Seite will man aber nur, dass wieder Ruhe einkehrt“, sagt Ben- folgende Hetzkampagne verursacht haben, kann er nicht be- chen will, darf man nicht allzu wehleidig sein. falsch. Gerade die junge, an das Internet ge- jamin Wolf. Seine Frau: „Man geht jetzt anders nach Hause. ziffern. Es ist aber schon öfter passiert, dass er auf dem Fried- wöhnte Generation, kann relativ einfach reagieren. Wer Wenn mir ein Auto zu lange hinterher fährt, werde ich unru- hofsaushang gelesen hat: in der Woche drei Trauerfeiern – Sie haben als Justizministerin Vorschläge zur beispielsweise auf Twitter Hass oder Blödsinn findet, könnte hig. Das hab ich früher nie gehabt.“ und kein Auftrag ging an ihn. Dabei gibt es nur zwei Bestatter Bekämpfung von Hass im Netz eingebracht. War dem Autor ein Gesprächsangebot machen. Das kann im Ort. Schlimmer ist aber der „emotionale Schaden“, so das ein neues Phänomen? helfen. Bei Bots bekommt man allerdings keine wirkliche formulieren sie es. Die Kraft und Zeit, die sie investieren, Es ging dabei vorrangig um die Bekämpfung von Extremis- Antwort, das ist das Schwierige im Internet. um Facebook-Kommentare zu beantworten oder zu löschen, mus. Das war allerdings nicht neu, damit haben wir uns um mit den Menschen zu sprechen, klarzustellen, dass der schon seit den Sechzigern beschäftigt. Neu war nur das In- Schürt der Hass im Internet realen Extremismus Flyer nicht von ihnen kommt, damit neues Vertrauen entsteht. strument Internet, also die Fortsetzung der Hasskampag- auf der Straße? nen mit anderen Mitteln. Das technische Instrument kann Die Aufmärsche in Chemnitz haben gezeigt, dass weniger Die Wolfs haben sich von Hass und Hetze nicht abschrecken man nicht verantwortlich machen. Wohl aber die Leute, die Einheimische dabei waren als Menschen von außerhalb. lassen. Jeden Montag gehen sie auf Demos und zeigen es für Hasskampagnen benutzen. Die Personen wurden via Internet innerhalb kürzester Zeit weiterhin Gesicht gegen Rechts. zusammengerufen. Das fördert heute extremistische Inwiefern ist das Internet eine Gefahr Demonstrationen, die wiederum das Internet beherrschen. für die Demokratie? Die Polizei hat eher Probleme, dieser Geschwindigkeit Wir alle hofften, es würde den freien Austausch von Mei- zu folgen. nungen befördern. Mittlerweile finden sich aber erhebliche manipulative Züge, vor allem in den sozialen Medien. Da Was sollten Politik und Justiz tun? finden sich ja längst nicht mehr nur Einzelmeinungen, Eine ganze Reihe Politiker durschaut das Problem schon, « Wenn mir ein Auto zu sondern massenhaft gesteuerte Beiträge. Zudem: Wer in aber sicher nicht alle. Wo die Grenze zum Strafbaren über- lange hinterher fährt, einer Gruppe bleibt, lässt nur noch Informationen an sich schritten wird, muss die Justiz eingreifen – in der realen werde ich unruhig. » dringen, die ins eigene Weltbild passen, unterbindet damit Welt wie auch im Internet. Im Bundeskriminalamt zum Bei- jede Form der Kommunikation mit Andersdenkenden. spiel gibt es hervorragende Experten, in Landeskriminal- Genau das ist aber in einer Demokratie dringend erforder- ämtern auch. Bei der Polizei ist noch viel zu tun.

58 59 FREDERIKE HOLEWIK

« Mir gefällt die Idee, dass sie sich mit mir ihren größten Gegner aufgebaut haben.»

Es sind noch wenige Tage bis zur Bun- Über ihre AfD-Mitgliedschaft redet Fran- destagswahl 2017, als sie das Gespräch ziska Schreiber in lockerem Plauderton, mit „Sternchen“ sucht, ihrer Mentorin. sie wirkt distanziert von der Person, „Sternchen“, so dürfen nur enge Ver- über die sie spricht, so als ginge es gar traute nennen. Franziska nicht um sie. Das mag daran liegen, Das Buch „Inside AfD“ erschien im August 2018. Es wurde direkt zum Bestseller. Schreiber will sie vor ihrem Austritt aus dass sie zurzeit ihre Geschichte fast je- der AfD warnen, denn sie ahnte, welche den Tag erzählt, manchmal gleich mehr- Reichweite das haben würde. Ab 2013 fach. Seit sie ihre Geschichte im Buch Angeschlossen hatte sie sich der AfD in war sie Vorsitzende und Pressespreche- „Inside AfD“ aufgeschrieben hat und es diesem Jahr, weil sie vom Verhalten der rin der Jungen Alternative Sachsen, ein Spiegel-Bestseller wurde, wollen FDP in der schwarz-gelben Bundesre- 2017 kam sie in den Bundesvorstand. viele Medien mit ihr sprechen: die Säch- gierung enttäuscht war. Sie bezeichnet sische Zeitung in ihrer Heimatstadt sich bis heute selbst als Liberale, doch In den vier Jahren war die Partei ihr Le- Dresden, die ZEIT, der Spiegel. Aber der FDP wollte sie nicht nochmal ben geworden. In der Anfangszeit hatte auch die New York Times und BBC. Ihre ihre Stimme geben. Da kam ihr der ruhig sie sich ein kleines Tattoo aufs Handge- 28 Jahre werden in Beiträgen über sie argumentierende, rationale Bernd Lucke lenk stechen lassen, den Pfotenabdruck häufig durch drei Kategorien geordnet: ganz recht, er imponierte ihr. Er setzte eines Honigdachses. Auf den ersten vor, während, nach der AfD. Akzente mit seinen Positionen zur Blick ist der Honigdachs ein possierli- Währungspolitik. ches Tierchen: dackelgroß, schwarzes Franziska Schreiber freut sich über die Fell mit weißem Streifen, Stupsnase. Aufmerksamkeit, dann könne sie ihre Schnell lernte sie Uwe Wurlitzer und Trotz seiner Größe ist er aber streitlustig, Message gut rüberbringen, sagt sie. Sie Frauke Petry kennen. Ein „Rockstar“, auch vor Löwen und Giftschlangen will zeigen, was der Populismus mit ihr dem sie sich beweisen wollte. Eine schreckt er nicht zurück. Passt zu mir, gemacht hat, wie schnell sie radikale Frau, die scheinbar mühelos die dachte sie. Ihre Löwen und Giftschlangen Sichtweisen übernahm, und dazu anre- männerdominierte Partei zu führen ver- hießen „Genderwahn“, „Lügenpresse“, gen, das in der Gesellschaft anzugehen. stand. „Ich war verliebt“, sagt Franziska „Elite“. Heute kämpft sie gegen einen Das Schreiben war für sie auch eine Art Schreiber. Sie wird bis zum Schluss zu neuen Gegner: die AfD. Grinsend sagt sie: Therapie, ein Zwang zur Selbstreflexion. Petry halten, will auch heute kein „Mir gefällt die Idee, dass sie sich mit mir Ein Stück weit ist das Buch auch Trauer- schlechtes Wort über sie verlieren. ihren größten Gegner aufgebaut haben.“ bewältigung. Nach nur wenigen Monaten Mitglied- schaft bekam sie 2013 die Aufgabe, die Mit beschwingtem Gang führt sie durch Zwischen ihre routinierten Erzählungen Jugendorganisation der AfD in Sachsen die Dresdner Neustadt, ihr Viertel, vor- mischt sich immer wieder auch eine zu gründen, und wurde prompt in den bei an Cafés mit zusammengewürfelten Spur Nostalgie. Vor allem die Anfangs- Vorstand gewählt. Es entwickelte sich Möbeln und Graffitis an den Wänden. zeit in der AfD sei toll gewesen: Gestal- ein Sog, den ihr Umfeld nicht verstand. Sie trägt Hard-Rock-Shirt, Lederjacke, tungsfreiraum hätte sie gehabt, sagt Franziska Schreiber ließ ihr Jura-Studium braun-blonde Haare. Große Lebensein- Franziska Schreiber. Den vermisse sie schleifen, vernachlässigte Freunde und schnitte könne man immer auch an ihren bis heute, genau wie das Anpacken: das Familie. So begeistert war sie, dass sie Haaren erkennen, sagt sie lachend. Parteiprogramm am Stammtisch mitzu- Petry auch bei der Übernahme der Nach dem Austritt aus der AfD kam die schreiben, das Gestalten der Flyer, Partei von Lucke unterstützte, den Inside-out Glatze, dann ließ sie die Haare wieder Bürgergespräche am Werbestand zu Rechtsdrift mittrug. Und mit der Zeit wachsen. Auf ihrem Buchcover trägt sie führen. Franziska Schreiber erlebte 2013 übernahm sie auch selbst immer mehr Vier Jahre kämpfte Franziska Schreiber für die AfD. einen längeren Bob mit Pony. Nun ist es eine junge Partei ohne feste Strukturen, das Weltbild, welches von Untergangs- Jetzt hat sie die Seiten gewechselt. ein Undercut. in der sie gefühlt alles machen konnte. szenarien durchsetzt ist.

60 61 « Ich habe keine Angst, aber spielt mit ihren Ringen. Sie ist bisexuell, ben festigte sich: Ich will hier raus! Zehn „Kegelclub“, sagt sie und grinst mit 2015 sagt sie Sätze wie: „Leugnen kann montags würde ich nur mit in der Partei war das nur wenigen be- Tage vor der Bundestagswahl verabre- schief gelegtem Kopf. Und „Merkel man nur ein Verbrechen, das man selbst kannt. Als die „Ehe für alle“ beschlos- det sie ein Zeitungsinterview. Am Abend muss weg“ sei der Ersatz-Gesang für all begangen hat. Wenn man behauptet, kugelsicherer Weste rausgehen.» sen wird, soll sie eine ablehnende Pres- zuvor teilt sie auf ihrer Facebook- jene, die zu „unmusikalisch für den dass es den Holocaust nie gegeben hat, semitteilung verfassen. Sie weigert sich, Seite ihre Wahlempfehlung 2017 mit: Kirchenchor sind.“ Wenn sie das sagt, dann hat man eine andere Meinung als es ist der Sommer 2017, kurz vor ihrem FDP. Bewusste Provokation, denn die wartet sie auf die Reaktion ihres Gegen- so ziemlich alle Historiker der Welt, aber Austritt. Noch heute redet Franziska AfD in Sachsen sieht die Liberalen als übers. Eine Kämpferin feilt an ihrer das sollte kein Verbrechen sein. Ich bin Schreiber ungern über ihre Sexualität, größten Feind. Taktik und Angriff scheint ihre liebste für schrankenlose Meinungsfreiheit.“ Im weicht aus und lenkt das Gespräch weg Verteidigung zu sein. Wenn Franziska Buch nennt Franziska Schreiber diesen von sich selbst hin zu einer AfD-Größe: Franziska Schreiber hat bei der AfD ge- Schreiber erzählt, dass die AfD intern Satz ihren „Sündenfall“. Damals wurde „Alice Weidel war schon immer so radikal. lernt, sich und ihre Positionen medien- beschlossen habe, nicht über ihr Buch sie aber zum Sprachrohr einer Partei, in der Da denken ja viele, das sei nicht so, weil wirksam zu inszenieren. Und dann wurde zu reden, klingt sie stolz. solche Provokationen Tagesgeschäft sind. sie lesbisch ist.“ Am Ende solcher Sätze, ihre bisher größte Inszenierung ihr Aus- die wie Zitate aus ihrem Buch klingen, tritt: Mehrere Monate hatte sie sich dar- Franziska Schreiber will frei sein. Dabei war die junge Frau keinesfalls in schürzt sie die Lippen, schaut ihr Gegen- auf vorbereitet, wollte den richtigen Zunächst schien ihr die AfD Freiheit zu allen Dingen auf Parteilinie. Dass sie gerne über durchdringlich an: Diese pointier- Moment abpassen. Mit ihrem Austritt geben: keine political correctness, alles die Toten Hosen hört, verschwieg sie. Sie ten Sätze, das kann sie, das ist geübt. hat Franziska Schreiber ihren neuen sagen können. Dann merkte sie, dass achtete darauf, dass keiner der Partei- Feind definiert, es soll wieder ein Kampf ihre Ämter ihr immer mehr radikale kollegen ihre Handyplaylist zu Gesicht „Die AfD ist eine Sekte“ ist auch einer gegen Löwen sein. Positionen abverlangten, irgendwann bekam. Auch Technopartys mochte sie dieser Sätze. Um da wieder rauszukom- gegen ihre eigenen Ansichten. Jetzt hat schon während ihrer AfD-Zeit. Einer ihrer men, sagt sie, brauche es einen Punkt, „Es war so befreiend“, sagt Franziska sie sich von der Partei befreit. Von Lieblingsclubs ist das tba in Dresden. An an dem es so krass ist, dass man es nicht Schreiber. Damals war sie frisch mit Parteipolitik hat sie erstmal die Nase der Tür stand „AfDler müssen draußen mehr mitmachen kann. Franziska Schrei- ihrem neuen Freund zusammen, der ihr voll, politisch ist sie aber trotzdem. bleiben“, Franziska Schreiber ging trotz- ber brauchte gleich drei. Vorhaben unterstützte. Er wusste von dem rein. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, ihrer AfD-Mitgliedschaft, wie wichtig Für „funk”, ein junges Angebot von wenn sie dort schwule Pärchen und Ge- Der Ton in der AfD wurde zunehmend seine Freundin in der Partei war, wurde ARD und ZDF, arbeitet sie gerade an flüchtete traf. Wenn die wüssten, dachte rauer, die Grenzüberschreitungen der ihm aber erst durch den anschließen- Aufklärungsvideos zum Umgang mit sie. Und am nächsten Morgen dachte sie: Führungsriege nahmen zu. Bereits 2015 den Medienrummel klar. Franziska Rechtspopulismus. Und sie schreibt an Wenn das die Parteikollegen wüssten! hadert Franziska Schreiber mit ihrer Schreiber kontaktierte auch Freunde einem neuen Buch, in dem es um inner- Mitgliedschaft, damals initiieren Björn aus ihrer Zeit vor der Parteikarriere und familiären Umgang mit Populismus ge- Immer wieder habe sie sich die extremen Höcke und Andre Poggenburg die soge- begann diese Beziehungen wiederauf- hen soll. Ihr wichtigster Tipp: Sich nicht Positionen schöngeredet. Sie verdreht Franziska Schreiber in der AfD war, be- kommentierten häufig ihr Äußeres. Das nannte Erfurter Resolution: Die Partei zubauen. Vorbereitung auf das Leben zu sehr auf politische Unterschiede ein- die Augen, wenn sie ihre frühere Stimme suchte sie ihre Familie immer weniger, habe sie als Kompliment verstanden, solle sich konservativer ausrichten, heißt nach der AfD, ohne Parteifreunde. Es klingt schießen. Bei ihrer eigenen diskussions- im Kopf nachäfft: „Das ist doch nicht so versuchte der Konfrontation und den sagt Franziska Schreiber und kratzt sich es. Franziska Schreiber findet das falsch, nach Happy End, und sie betont immer freudigen Familie hätte das allerdings schlimm. Das sagen doch alle. Und Vorwürfen aus dem Weg zu gehen. im Nacken. aber sie ist auch zu stolz, zu trotzig um wieder, dass sie viel gelöster und glück- nur bedingt geklappt, gesteht sie. Ab überhaupt, wenn ich das nicht mitmache, auszutreten: „Dann hätte ich ja meiner licher sei, seit sie die AfD verlassen hat. und an geht sie auch in Schulen, um ihre dann rebelliert die Basis.“ Wenn Franziska Schreiber unsicher ist, Sie wollte dort damals keinen Streit, Familie und allen Recht gegeben.“ Geschichte zu erzählen. Und sie möchte kratzt sie sich im Nacken, manchmal keinen Widerstand. Die Partei war ihr Außer montags. Da traut sie sich in eine Kampagne starten: Alle Deutschen Im Nacken hat sie ein Tattoo, das auf lacht sie auch und schaut dann wie ertappt Familienersatz geworden, weil Besuche Nach dem Terroranschlag im Dezember Dresden nicht auf die Straße – aus sollen über das Grundgesetz abstim- den ersten Blick an ein chinesisches Schrift- zur Seite. Das gibt ihr Zeit, ihre Gedan- zuhause immer häufiger im Zoff endeten. 2016 am Breitscheidplatz hätten sich Angst vor ehemaligen Weggefährten men. „Vielleicht hilft das endlich dieses zeichen erinnert, eigentlich verbergen ken zu ordnen. Etwa, wenn sie über ihre Die Partei war ihr Freundeskreis gewor- viele Mitglieder geradezu gefreut. und anderen Pegida-Anhängern. Sie ,Wir wurden nie gefragt‘ von den sich dahinter ineinander verschlungen Meinung zum Feminismus redet. Mittler- den, weil sie manche Freunde zum Bei- Sie habe sie dazu ermahnen müssen, besitzt zwar eine schusssichere Weste, Reichsbürgern zu beenden.“ die Buchstaben F, C, H und J. Sie stehen weile bezeichnet sie sich als Feministin. tritt brachte und sich die anderen von wenigstens in der Öffentlichkeit pietät- will diese aber bei den Demonstratio- für Franziska Schreiber und ihre drei Doch zu Parteizeiten war „Gender- ihr entfernten. Bei der AfD lernte sie, voll zu handeln. Erneut schluckte sie ihr nen nicht anziehen, denn das würde nur Franziska Schreiber schiebt den Ärmel Schwestern. Das Tattoo stammt aus ih- wahn“ ein beliebtes Gegenargument, dass sie gut reden kann, dass Menschen Unwohlsein hinunter. Gegendemonstranten verunsichern. Sie ihrer Lederjacke zurück und deutet auf rer Zeit vor der AfD, da standen sich die und sie ließ sich mit einem Plakat foto- sie mögen. Ein neues Gefühl. In der besteht darauf: Angst habe ich keine! das Tattoo. Sie findet, eigentlich passt vier jungen Frauen nahe. Ihre Familie grafieren, Aufschrift: „Ich bin keine Fe- Schule wurde sie gemobbt. Dann kam der Parteitag im April 2017 das kleine, kampfbereite Tier jetzt sogar sei sehr politisch und diskutiere gerne, ministin, weil mein Mann mein Fels in und damit die Abwahl von Frauke Petry. Für den Alltag sind Worte ihr Schutz noch besser. sie tendieren zur SPD und den Grünen, der Brandung ist – und nicht der Klas- Auch beim Thema sexuelle Identität Es war eine weitere Kursentscheidung geworden: Pegida sei ja schließlich eine Schwester ist bei der Antifa. Als senfeind.“ Ältere Männer in der Partei kratzt sich Franziska Schreiber im Nacken, nach rechts. Franziska Schreibers Vorha- mittlerweile auch nichts weiter als ein

62 63 Wiebke Kade

„Die Partei- „Also, ich habe wirklich Angst losungen der vor den kommenden AfD sind Landtagswahlen!“ Edith B. manchmal gar nicht so einfach zu widerlegen.“ nach dem Mund redet.“ Die Leute, das sind die Senioren, die Edith B. regelmäßig bei der Caritas im Leipziger Süden trifft, Helene Hauke und ihre zahlreichen Nichten und Neffen, mit denen sie über Politik diskutiert. „Die AfD, das ist die Unverschämtheit, die rühren nur in der vermeintlichen Flüchtlingsproblematik“, Edith B. tippt mehrmals mit ihren künstlichen Fingernägeln auf den Holztisch vor ihr. „Aber leider gibt es Menschen, die sich wenig Gedanken machen und das nicht erkennen. Die wählen aus Frust die AfD, weil sie sich von den anderen Parteien nicht verstanden fühlen.“

In den Dreißigerjahren sei Hitler ebenfalls die Alternative ge- wesen: „Der Versailler Vertrag, das war so ein Knebelvertrag, das war eine schlimme Zeit, eine Hungerzeit.“ Dabei fuchtelt Edith B. mit den Händen in der Luft herum, die Worte spru- deln nur so aus ihr heraus. „Vati hat erzählt, dass er nach der Entlohnung nach Hause rennen musste, um von dem Geld zumindest noch ein bisschen was kaufen zu können.“ Die hohe Arbeitslosigkeit habe das Problem zusätzlich verschärft. diese Gemeinschaft wieder, dabei hätten die Linken doch aus „Hitler hat jedoch durch den Autobahnbau die Arbeitslosen Lenin im vierten Regalbrett der Geschichte lernen müssen.“ von der Straße geholt. Keiner hat daran gedacht, dass das schon Kriegsvorbereitung war.“ In der schweren Zeit nach NS-Zeitzeugen über Rechtsruck, AfD und politischen Widerstand Der Einfluss der Linken habe nach der Wende stetig ab- dem Ersten Weltkrieg seien viele frustriert gewesen, plötzlich genommen. Gibt es überhaupt noch explizit linke Politik? habe es Arbeit gegeben, man habe Hitler gewählt. Und so Ihr Blick gleitet über das Zeitungspapier auf ihrem Schoß, Linke von Tür zu Tür machen, demonstrieren gegen Nazis, das Helene Hauke hebt die Hände, rhetorisch die Frage: „Eigent- einen ähnlichen Frust, dem widme sich heute die AfD. Ediths will so viele Worte erfassen wie nur möglich. Die 82-jährige geht schon länger nicht mehr. Dabei bräuchte es ihrer Ansicht lich nicht.“ Denn den Finger auf den wunden Punkt legen, das Stimme überschlägt sich fast, sie atmet schwer. „Also ich Helene Hauke verfolgt jeden Tag die Nachrichten. Lenin nach eine starke Linke, wie in den Dreißigerjahren in ihrem mache nicht mehr die Linke, sondern die AfD. Nicht, dass die habe wirklich Angst vor den kommenden Landtagswahlen!“ schaut ihr dabei über die Schulter, vom vierten Regalbrett Heimatdorf Schwarzenberg im Erzgebirge: „Unsere KPD-Fraktion, Partei die Probleme wie Wohnungsmangel, gerechte Bezah- aus. Ein treuer Begleiter aus weißem Stein, dessen Ideen die konnte was ausrichten. Die haben um den billigen Wohn- lung oder den Umgang mit Flüchtlingen wirklich lösen könn- Ihre Gesichtszüge entspannen sich, aber nur für einen kurzen Helene Hauke in den Dreißigerjahren heimlich in verbotenen raum gekämpft und dadurch die Nationalsozialisten kleinge- te: „Sie sagen ja nicht, wie Arbeitslosigkeit bekämpft werden Moment, es gibt so viel zu sagen. Die AfD sei viel rechtsge- Radiosendungen mit dem „Volksempfänger“ hörte. Und halten.“ Was im Dorfkosmos funktionierte, entsprach jedoch soll, aber da fühlt sich trotzdem der Arbeitslose angesprochen richteter, als es den Anschein habe, doch die Menschen später in der DDR verwirklicht sehen wollte. „Die Menschen nicht den deutschlandweiten Entwicklungen. Denn die Natio- und denkt, die tun etwas für mich.“ Dieses Vertrauen sei ge- würden das nicht sehen; sie klopft mit dem Zeigefinger auf waren für Lenins Ideen einfach zu egoistisch“, sagt sie. Und nalsozialisten seien deshalb groß geworden, weil sie das fährlich, denn das rechte Spektrum der Partei werde nicht ein- die Tischplatte – aufgepasst! Es sei doch schrecklich, wenn heute sei das noch genauso. Die AfD und ihre Ideen dagegen Glück gehabt hätten, im ersten Aufschwung nach der Welt- deutig ersichtlich. „Die Parteilosungen der AfD sind manchmal die Leute wieder demonstrieren würden, die Hand zum Hitler- – die seien heute eine „riesengroße Gefahr“. wirtschaftskrise politisch aktiv zu sein. „Da sind viele einfache gar nicht so einfach zu widerlegen, da müsste ich teilweise gruß erhoben. Der sei ihr als Kind eingeimpft worden. Ihr Kumpels zu den Faschisten übergelaufen, die bekamen eine lange überlegen, um dagegen argumentieren zu können.“ Lehrer kam nur in SA-Uniform zum Unterricht, dann hieß es In ihrem Wohnort Ermlitz in Sachsen gilt Helene Hauke als schicke Uniform und vor allem Arbeit“, resümiert Helene Hau- „stramm aufspringen“ und den rechten Arm in die Luft eine, die sowohl in der SED als auch heute noch politisch ke. Durch die entstandene Uneinigkeit der Arbeiter hätten Auch die 84-jährige Edith B., früher Mitarbeiterin der DDR- strecken. Selbst nach Kriegsende, als sie für ihre Mutter Stellung bezieht. Gegen Rechts. Und eigentlich auch nicht die Faschisten viel schneller die Macht übernehmen können. Botschaft in Jugoslawien, meint, dass die AfD keine Lösun- einkaufen ging, grüßte Edith B. noch mit „Heil Hitler!“. nur vom Wohnzimmer aus, sondern von der Straße. Aber da Eine wirklich starke und einheitliche Linke, die habe es nur in gen bietet: „Ich rede mir den Mund fusselig, dass die Leute Erschrocken rannte sie nach Hause, die Einkäufe völlig ver- kommt ihr nun das Alter in die Quere, Wahlwerbung für Die der DDR gegeben: „Mit dem Ende der DDR zerbrach auch nicht die AfD wählen, weil diese Partei doch auch nur allen gessend, aus Angst, sie würde für den Gruß festgenommen.

64 65 Was ist eigentlich „Würde es ohne Nazis kein Populismus? Fehlverhalten mehr geben?“ Rolf Karsten

« Ich habe tatsächlich keine Ahnung, ich habe das Wort nie nachgeschlagen. Ich weiß nicht, warum ich diese paar Zeichen nie in Google eingetippt habe. » Sophie, Studentin aus Leipzig

« Ich vergleiche das gerne mit der römischen Republik. Dort regierten, als der Senat versagt hat, die Volks- tribune. Die Stunde der Tribune in Deutschland ist gekommen. » Maximilian Krah, AfD-Vize in Sachsen

Edith lacht kurz, blickt auf ihre Hände auf der Tischplatte, für Augen fiel. „Dieses Erlebnis werde ich nie vergessen.“ einen Moment ist sie ruhig. Doch dann müssen die nächsten Er schluckt, hält für einen kurzen Moment inne. „Ja, die Nazis « R echtspopulismus ist für mich eine viel zu einfache Worte heraus. Dass die AfD das Gleiche schaffe, davor habe waren schlimm, aber wir nähern uns denen doch immer mehr Lösung auf ein viel zu komplexes Problem und damit sie Angst. Eine Nazizeit, das wolle sie nicht. Stille. Dann wird an.“ Mit der AfD habe er sich noch nicht richtig befasst, aber » die Tischplatte erneut bearbeitet, die Fingernägel klackern wenn er sich anschaue, was die oberen Zehntausend für einen unverantwortlich gegenüber der Demokratie. auf das Holz. „Ich hoffe, die CDU wird bei den nächsten Mist machen würden, dann könnte die AfD keinen größeren Johannes Filous, Mitbegründer von “Straßengezwitscher” Wahlen die absolute Mehrheit schaffen, denn mit wem soll sie Mist machen. Nazis habe es schon immer gegeben, zu jeder sonst koalieren?“ Zeit und nicht nur in Deutschland. „Doch würde es ohne Nazis « R echtspopulismus funktioniert zu einem Großteil kein Fehlverhalten mehr geben?“ Die jetzige Regierung Rolf Karsten sitzt mit leicht gebeugtem Rücken in seinem würde doch auch in Kriegsgebiete Waffen liefern. „Das auf der sprachlichen Ebene, und Rechtspopulisten Zimmer im Altenheim im Leipziger Westen. Um ihn herum machen die alles ohne Nazis.“ feiern ihre Erfolge auf dem Fundament einer seine selbst gemachten Skulpturen und Zeichnungen von sprache, die polarisiert, Sachverhalte verzerrt, Frauen in Rot, Blau, Orange und Gelb. Einfach nur braun ist Helene Hauke schaut auf Lenin im vierten Regalbrett. Der » Thomas Niehr und Jana dagegen die Mappe in seinen Händen: Es sind die Erinnerun- sozialistische Traum dahinter ist für sie ausgeträumt. „Wie Hass und Zwietracht sät. gen des 90-Jährigen an den Zweiten Weltkrieg. Er schlägt wünsche ich mir die Zukunft?“ Sie lässt die Hände nach unten reissen-Kosch, Sprachwissenschaftler in ihrem Buch “Volkes Stimme?” die erste Seite auf und liest: „Der Weg ins Gulag. Waffen-SS, sinken, die Stärke der AfD lasse sich aktuell ohnehin nicht Gefangenenlager, verurteilt zu 15 Jahren Straflager.“ Wie viele mehr schmälern. Da müsse vor allem die Jugend entschei- « Nüchtern betrachtet ist Populismus eine politische seiner Generation war er jede Woche in der Hitlerjugend, den, wie sie damit umgehe. „Nichts wäre schlimmer, als wenn trug stolz seine Uniform. Dann kamen die Werber für die SS, ich von meinem Sessel aus sagen würde, macht dieses oder Strategie, mit der eine politische Idee, die konträr wählten ihn aus. „Anzunehmen, das war ein Muss“, sagt er. jenes.“ Das habe sie schon damals als junge Frau nicht gemocht, zur aktuell bestehenden gesellschaftlichen An Weihnachten 1944 wird er mit 16 Jahren eingezogen, soll wenn Ältere ihr Ratschläge geben wollten. Bisher habe es Ordnung steht, durchgesetzt werden soll. » an der Ostfront dienen. noch jede Generation geschafft, auch die, die dem National- Adam Bednarsky, Vorsitzender der Partei Die Linke in Leipzig sozialismus auf den Leim gegangen sei und sich dann in der Mit zittrigen Händen blättert er einige Seiten des Buches um, DDR für eine neue Weltordnung eingesetzt hätte. Wichtig sei: verharrt auf einer Seite. Darauf Soldaten, ein Erschießungs- „Ob das nun Linke oder Sozialdemokraten sind, das ist egal, kommando. Sie zielen auf einen Mann, der nur noch auf einen ich würde sagen, alle Kräfte, die sich gegen diesen Rechts- Stock gestützt stehen kann. Rolf Karsten stand direkt hinter ruck stellen, müssen sich vereinen.“ Aber das werde die den Schießenden und sah, wie der Mann mit Trotz in den Jugend schon hinbekommen: „Ich habe da ein Urvertrauen.“

66 Was ist eigentlich Populismus?

« Populismus ist eine Abgrenzungs- und Mobilisierungsstrategie. Sie basiert auf einem einfachen Prinzip: Wir (das Volk) gegen die (da oben/da draußen). Nur, wer ist das Volk? » Dr. habil. Karsten Grabow, Parteienforscher Konrad-Adenauer-Stiftung

« K lassisch rechtskonservative Forderungen werden genutzt, um die eigenen Belange durchzubringen. Es ist ein Versuch, Stimmungen, Meinung und Gefühle für sich zu nutzen. » Ute Elisabeth Gabelmann, Piratenpartei im Leipziger Stadtrat

« F ür mich ist Populismus das plakative Anbringen von sogenannten Fakten. Also bewusst dieses „Sogenannte“. Wenn jemand sagt, das hätte er mal so gehört. » Benjamin Wolf, Bestatter

« R echts- und Linkspopulismus sind wie Feuer und Wasser. Während die AfD für jedes Problem Flüchtlinge und Ausländer verantwortlich macht, wollen Linkspopulisten sich, unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft, von den reichen ,1 Prozent’ abgrenzen. » Namduy, Student aus Leipzig