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FUSSBALL Kosmopolit im Mutterland Die Not war groß, als England im Vorjahr erstmals einen Ausländer zum Trainer der Nationalelf berief. Am Samstag gegen Deutschland steht Sven-Göran Eriksson mächtig unter Druck: Ist der Schwede doch nicht der inspirierende Stratege?

em angeblich so kühlen Schweden Freunden des englischen Fußballs ihre wird eine unerschütterliche Ge- rückwärts gewandte Sehnsucht auszutrei- Dmütsruhe nachgesagt. Selten wer- ben hat er sich abgewöhnt, wie er über- den bei Sven-Göran Eriksson, 53, irgend- haupt jedes anfänglich aufschimmernde welche Gefühlsspannungen erkennbar. Sendungsbewusstsein verlor. Aber Eriks- Trainer Eriksson bei seiner Neulich jedoch, während des Londoner son muss ja nicht gleich ständig den Geist Premiere als Teammanager Trainingslagers der von ihm betreuten eng- früherer Erfolge beschwören wie sein be- lischen Fußballauswahl, machten Beob- achter eine ungeheuerliche Entdeckung: Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Das geschah, als ihm die Reporter wie- der mal eine Falle stellen wollten. Schon bei seiner ersten Pressekonferenz in Eng- land nach seiner Berufung zum National- trainer vor neun Monaten hatten sie ihn mit Prüfungsfragen wie der nach dem Na- men des linken Verteidigers vom FC Sun- derland genervt. Jetzt sollte er aus dem Stegreif Einzelheiten von Englands glorio- sem 4:1-Sieg gegen die Niederlande bei der Europameisterschaft 1996 memorieren. Eriksson musste passen. Bei dem Hype, der um „sein gelehrtes Wesen“ gemacht werde, hätte man mehr erwartet, nörgelte anderntags der „Daily Express“ und warn-

te den Kosmopoliten auf der Bank des Fuß- PRESS / ACTION / ALLSPORT PHIL COLE ball-Mutterlandes: Für manchen National- Nationalstürmer Owen (Nummer 10)*: Den Weltmeistertitel 2006 als „Endziel“ coach seien schon „Maulwurfshügel zu Bergen“ angewachsen. dauernswerter Vorgänger . Sein Nachfolger Graham Taylor wurde als An mangelnden Geschichtskenntnissen Dem war – in Ermangelung genauerer „die Rübe“ karikiert, der sperrige Glenn wird Eriksson nicht scheitern. Selbstver- Fachkenntnisse – zuweilen nichts anderes Hoddle richtiggehend von der Bank gejagt. ständlich erinnere er sich an jenen Knüller eingefallen als die Empfehlung, seine Stür- Auch Eriksson, als Trainer mit zwei eu- von vor fünf Jahren, verriet er eine Woche mer sollten in den Strafraum „Bomben ropäischen Titeln sowie einer italienischen später am Sitz des englischen Verbandes werfen“. Meisterschaft mit Lazio Rom und drei por- FA am Londoner Soho Square. „Nur ist es Zur Einstimmung hat Eriksson, sonst ein tugiesischen Championaten mit Benfica nicht mein Job, von der Vergangenheit zu Freund psychologischer Publikationen und Lissabon dekoriert, hat wahrlich keinen träumen.“ tibetischer Dichtkunst, ein englisches Buch Bonus. Der Mann mit der randlosen Desi- Sein Job ist es, das Team mit den drei über den „zweitwichtigsten Job im Lan- gnerbrille, nach Croziers Beobachtung Löwen auf dem Shirt zur Weltmeisterschaft de“ gelesen. Für Autor Niall Edworthy, der „ein Intellektueller“, ist der erste Aus- nach Japan und Südkorea zu führen. Das in erster Linie alle Pressekampagnen gegen länder auf dem Posten. Für Traditiona- kann ohne umständliche Ausscheidungs- Englands Teammanager seit 1946 be- listen im Land der Fußball-Erfinder klang spiele nur durch einen Sieg am kommen- schreibt, ist die Position die „definitiv die Jobvergabe wie die Nachricht, ein den Samstag in der Qualifikationspartie schwierigste“. Glühwurm wolle die Sterne das Funkeln gegen Deutschland in München gelingen. So war seinerzeit der bedauernswerte lehren. Als „Endziel“ seiner Mission sähe Ver- Bobby Robson über Nacht im Amt ergraut. Derlei Nachhilfe hielt etwa das Blatt bandsgeschäftsführer Adam Crozier gern, „Daily Mail“ für eine „Erniedrigung“: So dass Eriksson England 2006 den Welt- * Beim 0:1 gegen Deutschland am 7. Oktober 2000 in habe England sein Geburtsrecht verhökert meistertitel beschafft. London. – und das an eine Nation von Skifahrern

162 der spiegel 35/2001 dass ein Vereinsdirektor angesichts der hoch und weit auf die Flügel geprügelten Pässe vorschlug, die Platzmitte „zu ver- mieten“. Für Fußball werde sie ohnedies nicht genutzt. Später beim IFK Göteborg bot Jung- trainer Eriksson nach anfänglichen Miss- erfolgen den Spielern seinen Rücktritt an – für den Fall, dass sie die propagierte Ab- kehr vom Kurzpass-Spiel nicht goutierten. Die Mannschaft lehnte ab, und Eriksson führte Göteborg 1982 zum Uefa-Pokaltri- umph durch Endspielsiege gegen den Ham- burger SV. Erste Vorbilder waren die in Malmö und Halmstad arbeitenden englischen Kollegen und . Eriksson schaute später auf Bildungsreisen beim Training des FC Liverpool und bei Ipswich Town zu. Die von ihm bevorzugte Spielart nannten sie bald „Svenglish“. Als besonders innovativer Stratege gilt der stets gelassene Rotweinkenner aller- dings noch heute nicht. Bloß einmal merk- ten wegen einer Neuerung Englands Kom- mentatoren auf: nach Erikssons Ankün-

ALLSPORT / ACTION PRESS / ACTION ALLSPORT digung, er werde seinen Spielern kurz vor und nach den Partien den Genuss von Alkohol nicht gestatten. Für Englands Kicker, hieß es, müsse das „ein Kultur- schock“ sein. Eriksson ist mehr der Eklektiker unter den Trainern. Kein Zufall, dass er und sein Assistent pausenlos zu Ligaspielen fahren. Eriksson, der rund sechs Millionen Mark im Jahr verdient, sah 55 Partien allein von Januar bis Mai. Landsmann Grip ist als Scout auf der Insel so viel mit dem Auto unterwegs, dass der „Guardian“ fürchtete, er löse noch „eine Benzinkrise“ aus. Die Zeit der „Flitterwochen“, wie die Engländer liebevoll die Phase der gegen- seitigen Annäherung nannten, ist vorbei. Inzwischen, weiß der „Daily Telegraph“, hätten auch selbstzufriedene FA-Funk- tionäre erkannt, dass der neue Lehrer nicht „sofort den Alchimisten spielen“ könne. Eriksson ist weder der kreative Um- stürzler noch der „Wandtafel-Technokrat“, als den ihn die Medien vorstellten. Er ge- währt Führungsspielern wie David Beck- ham und Paul Scholes auf dem Rasen Prokura und akzeptiert deren Sonder- status. Von Kapitän Beckham ließ er sich nach seiner Einstiegspartie sogar ein Autogramm für seine 14-jährige Tochter

ALLSPORT / ACTION PRESS / ACTION ALLSPORT geben. Englischer Teamkapitän Beckham: Prokura auf dem Rasen So wird Eriksson, Sohn eines Lastwa- genfahrers und einer Krankenschwester und Hammerwerfern, „die ihr halbes Le- Hatte er den Debütanten Owen Hargreaves aus dem nahe der norwegischen Gren- ben in der Dunkelheit verbringen“. von Bayern München nicht auf unge- ze gelegenen Dorf Torsby, auch in Eng- Eriksson, schon fast sein halbes Le- wohnter Position ins Leere laufen lassen? land seinem Ruf als anpassungsfähi- ben lang Trainer, sollte dem mit Talenten Dass der Schwede nun die Briten mis- ger Weltbürger gerecht. Schon bald, spot- gesegneten, aber taktisch rückständigen sionieren soll, halten Erikssons Wegbe- ten skandinavische Freunde, die über sein Team auf die Sprünge helfen. Doch als fünf gleiter ohnehin für einen Witz der Fuß- aristokratisches Outfit nach 13 Jahren Ita- Siegen in Folge kürzlich mit dem 0:2 gegen ballgeschichte. Als der frühere Verteidiger lien staunten, werde er Melone tragen. Die Holland die erste Niederlage unter seiner seinen heutigen Assistenten Tord Grip als britische Teammanager-Attitüde hat er Obhut folgte, kamen schon Zweifel auf an Coach des Drittligaclubs Degerfors IF be- sich längst angeeignet: Der Chef lässt sei- seiner Eignung als Präzeptor der Nation. erbte, ließ er so auffällig englisch kicken, ne Adjutanten auf dem Trainingsplatz die

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Befehle erteilen, er selbst schaut ein- sein, als er in Rom den fach zu. stadtbekannten Richter Eriksson gehört der Generation zweck- zum Essen einlud, um ihm dienlich austauschbarer Spitzentrainer an. zu eröffnen: Leider habe er Anders als originelle Tüftler wie in den acht- ihm die Ehefrau ausge- ziger Jahren Arrigo Sacchi speisen diese di- spannt. stinguierten Herren, die an Industriemana- Fortan dominierte die ger erinnern, ihre Autorität weniger mit glamouröse Anwältin Nan- Ideen. Ihr Charisma liegt in ihrer Erfahrung cy Dell’Olio in Italien die begründet – und in ihrem Ruf, immer ir- Klatschspalten. Mittlerwei- gendwie Erfolg zu haben. Wichtig ist, dass le weiß auch Englands ihnen die umschwärmten Twens in kurzen Boulevard, warum Eriks- Hosen nicht auf der Nase herumtanzen. sons italienisch-amerika- Vom englischen Verband wurde Eriks- nische Freundin vor jedem son verpflichtet, weil er den Umgang mit Spiel ein Glas Champagner „Spielern, die viel Geld verdienen“ ge- braucht: „Es beruhigt wohnt war, wie David Dein, Mitglied der mich.“ Findungskommission, wissen ließ. Schon In der neuen Wahlhei- in seinem Buch „Über Fußball“, das Eriks- mat, vertraute der Besitzer son gemeinsam mit dem norwegischen Psy- von Häusern in Schweden,

chologen Willi Railo verfasste, erwähnte Portugal, Italien und am PRESS SNAPS / ACTION er die „Notwendigkeit, Spieler mit negati- Londoner Regent’s Park vem Einfluss auszusondern“. Landsleuten an, werde ihm aber zu viel im Wie Bayern Münchens Ottmar Hitzfeld Privatleben recherchiert. So hätten die Re- GALOPPRENNEN konserviert er seinen Leumund als Re- porter schon seine Mutter, seine Ex-Frau, spektsperson, indem er Nationalspieler kalt den in Amerika studierenden Sohn, die bei Pferde wetten, lächelnd aus seinen Ensembles heraus- und der Mutter in Florenz lebende Tochter, die wieder hineinrotiert. Dem „Daily Tele- Ex-Schwiegermutter und den früheren Ma- graph“ kam der Schwede vor wie das „Pa- thematiklehrer kontaktiert. „Ich muss mei- Pferde retten rademodell des modernen Generalobers- ne Familie verteidigen.“ ten im Fußball“. Man muss nur ein paar Für irgendwelche Attacken bietet deren Am Rande Berlins darbt eine der Mal im Laufe der Trainerkarriere ordent- Oberhaupt aber mangels deutlicher Worte lich durchgegriffen haben. oder Konturen kaum Angriffsflächen. In- ältesten Rennbahnen. Ex-„Bild“- So geschah es in der Serie A, wo sie zwischen haben die Kritiker sich daran ge- Chef Peter Boenisch versucht, Eriksson bis zum Gewinn des ersehnten wöhnt, dass ein Skandinavier den Trainer- Hoppegarten vor dem Ruin zu retten Scudetto mit Lazio Rom lange „Italiens er- stuhl Sir Alf Ramseys besetzt, Englands – das Konzept ist umstritten. folgreichsten Verlierer“ nannten. Er war einzigem Teammanager, der einen Titel ge- den Kritikern „zu nett“. Dann gab er Pub- wann. Wenn die Premier League Impulse ckhart Gröschel zieht sich seine likumsliebling Giuseppe Signori den Lauf- von Vereinstrainern aus Frankreich und Schiebermütze in die Stirn, dann pass, und als sich der divenhafte Kroate Italien erhält, kommt es auf einen Auslän- Eblickt er eine ganze Weile auf die Alen Bok∆iƒ einmal vor Spielbeginn über der mehr oder weniger auch nicht an. sandige Trainingsbahn und die Bäume am ein zu enges Trikot beschwerte, orderte Und wird nicht das Rugby-Team von ei- Horizont, und dann, endlich, preschen sei- der Trainer ein Taxi. Das fuhr den Stürmer nem Neuseeländer angewiesen, das Kricket- ne drei Galopper vorbei. Big General als umgehend heim. Team von einem Coach aus Simbabwe? Und Erster, gefolgt von Anello und Wind River. Das alles kann der passionierte Mando- wenn British Airways von einem Australier Gröschel, 60, schiebt die Mütze wieder line-Spieler mit immer gleicher Freund- geleitet werden kann, warum dann nicht hoch; er ist zufrieden – die drei laufen gut lichkeit erklären, jedem Satz folgt ein zahn- die Nationalelf von einem Schweden? „Ich an diesem Morgen. Wenigstens auf seine weißes Lächeln. So muss es auch gewesen kann Recht haben oder Unrecht“, sagt Pferde kann sich der Trainer verlassen; wo Sven-Göran Eriksson in sei- sonst schon alles den Bach runtergeht. ner unnachahmlich unver- Gröschel beginnt seine Sätze in letzter bindlichen Art, „nur die Zeit auffällig oft mit der Floskel „Zu DDR- Zukunft kann das zeigen.“ Zeiten …“. Er sagt dann: „Zu DDR-Zeiten Manchmal wünschte kamen an großen Renntagen immer 20000 sich die Öffentlichkeit ei- Menschen.“ Oder: „Zu DDR-Zeiten hatten nen etwas konkreteren wir hier fünf Trainierbahnen, und heute Standpunkt. Und so wur- benutzen wir noch zwei.“ Oder: „Zu DDR- de dem Trainer vor dem Zeiten standen in Hoppegarten noch 1000 Duell mit dem Erzrivalen Pferde, und heute sind es 200.“ Deutschland die obligato- Sobald Gröschel an die Vergangenheit rische Frage gestellt: Das denkt, verfinstert sich seine Miene, und er Wembley-Tor von 1966, schaut eher missmutig seinen Rennpferden durch das England mit Sir nach. Zwar hat er mit Pretty Fighter am Alf die WM gewann, war vorvergangenen Sonntag seinen 804. Sieg es korrekt? feiern können, doch allzu häufig frage er „Muss ich dazu eine Mei- sich, warum er damals nicht wie sein Bru- nung haben?“, fragte Eriks- der Hans-Jürgen in den Westen gegangen son erschrocken zurück. Er- sei. Der trainiert heute erfolgreich in Han-

ITALYPRESS wartungsgemäß hatte er nover und hat keine Zukunftsängste, und Eriksson, Partnerin Dell’Olio: Champagner vor dem Spiel keine. Jörg Kramer Eckhart Gröschel steht immer noch in

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