CDU/CSU – 05. WP Fraktionssitzung: 10. 10. 1967

33.

10. Oktober 1967: Fraktionssitzung

ACDP, 08-001-1015/1.

Zeit: 15.00 Uhr – 18.43 Uhr. Vorsitz: Barzel.

[1. Bericht des Fraktionsvorsitzenden] Barzel: Wir haben leider wieder einen Todesfall in der Fraktion zu beklagen. Wie beim Ableben unseres Kollegen Mengelkamp1 haben wir wieder einen jüngeren Kollegen verloren, der in der Blüte seiner Jahre stand. Hermann Alexander Reinholz2 war erst am 24. Juli als Nachfolger unseres Kollegen Holkenbrink3 gekommen. Wie Mengelkamp wurde er nur 43 Jahre alt, und wie er hinterläßt er vier kleine Kinder. Es ist eine zusätz- liche Tragik, daß seine Frau seit einem Jahr gelähmt ist. Unser verstorbener Kollege war ab 1950 Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion des Landes Rheinland-Pfalz, er wurde dann Rechtsanwalt und später neun Jahre lang Landrat des Kreises Saarburg. Er hat seine Kraft für den Wiederaufbau dieses hart getroffenen Grenzkreises eingesetzt, und er hat mit seiner ganzen Kraft, seiner Dynamik und seinem Ideenreichtum dort gewirkt. Wer je in den letzten Jahren in diesen Bezirken war, ist ihm dort begegnet und hat eine außergewöhnliche politische Leidenschaft und eine hohe Begabung dort festge- stellt. Wir haben uns hier viel von ihm versprochen, zumal es ihm gelungen war, mit jungen Menschen im Gespräch zu bleiben. Seine Kraft ist zu früh verzehrt worden. Wir danken ihm und bleiben seiner Familie verpflichtet. Ich danke Ihnen! Der Herr Bundeskanzler ist im Augenblick aus gelandet, wo er heute bei der DAG war.4 Er wird um 17.00 Uhr zu uns kommen und dann Bericht erstatten. Ich hoffe, daß er eine volle Fraktion vorfinden wird. Als Nachfolger für unseren Kollegen Seebohm5, dessen wir kürzlich gedacht haben, begrüße ich unseren alten Freund Dr. Lindenberg. Herr Lindenberg, Sie sind uns aus früherer Zusammenarbeit in angenehmer Erinnerung als ein besonders liebenswerter sachkundiger Kollege. Wir wünschen Ihnen für den Wiederbeginn Ihrer Arbeit hier alles Gute! Meine Damen und Herren, ich habe Sie über eine Reihe von Punkten zu unterrichten, sowohl aus einem Koalitionsgespräch wie über den Vorstand dieser Woche wie auch über die Beschlüsse des Fraktionsvorstandes zu den Anregungen vom Dienstagabend der vergangenen Woche. Die Koalition hat am vergangenen Mittwoch ein über zweistündiges Gespräch gehabt. Die Sozialdemokraten waren vertreten durch Herrn Schmidt, Herrn Möller und Herrn Schellenberg und Herrn Frehsee, die CDU/CSU durch den Vorsitzenden, Herrn Stück- len, Herrn Blank und Herrn Rasner. Der erste Punkt war die außenpolitische Debatte in dieser Woche. Es gab hier eine Idee bei dem Partner, nur zu debattieren über Europa

1 Der Abgeordnete Theodor Mengelkamp war am 21. Juli 1967 verstorben. 2 Der Abgeordnete Hermann Alexander Reinholz war am 7. Oktober 1967 verstorben. 3 Der Abgeordnete Heinrich Holkenbrink legte am 17. Juli 1967 sein Bundestagsmandat nieder, um Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft und Verkehr des Landes Rheinland-Pfalz zu werden. 4 In Berlin fand vom 9. bis 13. Oktober 1967 der 9. Bundeskongreß der Deutschen Angestellten- Gewerkschaft statt. 5 Der Abgeordnete Hans-Christoph Seebohm war am 17. September 1967 verstorben. Copyright © 2017 KGParl Berlin 1 CDU/CSU – 05. WP Fraktionssitzung: 10. 10. 1967

– Stichwort Monnet-Komitee6 – und über Griechenland. Unser Wunsch war es, über alle Fragen zu debattieren, einschließlich der Ostpolitik. Es war ja der Sinn dieser be- schleunigten außenpolitischen Debatte, alsbald Klarheit über die Sprache der Koalition zu erzielen. Zum zweiten Punkt: Bei der mittelfristigen Finanzplanung ist der Koalitionspartner in einer ähnlichen Verfassung wie die CDU/CSU. Er habe beklagt, daß für das Finanzän- derungsgesetz nur drei Wochen zur Verfügung stünden. Er erklärte, daß er keinerlei Zusicherung geben könne, daß diese Gesetze unter Zeitdruck termingerecht zustande kämen. Wir haben den Koalitionspartner darauf aufmerksam gemacht, daß die CDU/CSU die gleichen Schwierigkeiten gehabt habe, aber, um dem zu entgehen, eben fraktionsinterne Beratungen vor der 1. Lesung anberaumt und auch zweitägige Frakti- onssitzungen in Berlin durchgeführt habe. Am Schluß habe sich dann der Koalitions- partner der Terminplanung angeschlossen. Wir werden also nächste Woche in Berlin zwei Koalitionsgespräche haben, eines vor der Fraktionssitzung, um aufgrund der Vor- standsberatungen in beiden Fraktionen ungefähr die neuralgischen Punkte zu erahnen, und ein zweites am Schluß der zweitägigen Fraktionssitzung, um eben, wie dies hier gewünscht war, mit einer Koalitionsmeinung in die 1. Lesung der Woche darauf zu gehen. Der Koalitionspartner habe wissen lassen, daß sein Widerstand gegen den Kran- kenversicherungsbeitrag der Rentner und gegen die Änderung der knappschaftlichen Rentenversicherung sich versteift habe und man auch nicht mit einer Beteiligung von 2 Prozent rechnen könne. Der Koalitionspartner halte es für richtig, einen anderen Weg zu gehen. Wir weigerten uns, mit dem Koalitionspartner hierüber in der vergangenen Wo- che Expertengespräche aufzunehmen, weil wir dem Kanzler Gelegenheit geben wollten, diese und andere Fragen zum Gegenstand eines Koalitionsgesprächs auf sehr hoher Ebene zu machen. Wir konnten auf keinen Fall den Eindruck aufkommen lassen, die Regierungsvorlage sei gestorben und man sei frei, bessere Vorschläge zu machen. Es sei interessant, daß der Koalitionspartner in diesem Zusammenhang auch gefragt hat, welche Vorschläge auf familienpolitischem Gebiet von uns zu erwarten seien. Er habe gehört, was bei der CDU/CSU los sei und gehe davon aus, daß die CDU/CSU auf diesem Gebiet wie die SPD auf dem Gebiet der »Nichtbeiträge« für die Rentner zur Krankenversicherung tätig werden wird. Ergebnis: Heute hätte ein Expertengespräch unter Vorsitz von Herrn Stücklen sein sollen, das aber wegen der Abwesenheit des Bundesarbeitsministers7 in Berlin verschoben werden mußte. Es soll nun heute abend stattfinden. Vielleicht wäre es gut, wenn die Damen und Herren, die dahin gehen, Gele- genheit nähmen, noch einmal mit der Fraktionsführung zusammenzukommen, denn das, was hier passiert, ist ein hohes Politikum. Es bedeute eine Veränderung an einer entscheidenden Stelle der ausgabewirksamen Gesetze. Es sei nur gut, daß man bei der einnahmewirksamen Seite noch etwas in der Hand behalten habe. Er wolle an dieser Stelle wie an anderen gleichwohl empfehlen, die vielen Handgranaten, die hier sichtbar werden, nicht zu bündeln, sondern jede für sich zu entschärfen, weil man sonst nicht wissen könne, in welchem Gelände man sich übermorgen befinden werde. Er hoffe, er sei damit verstanden worden. Dann geht Dr. Barzel auf das dritte Koalitionsgespräch über die Altersversorgung der Abgeordneten ein und führt aus:

6 Gemeint ist das im Mai 1955 von Jean Monnet gegründete »Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa«. 7 Hans Katzer. Copyright © 2017 KGParl Berlin 2

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Wir haben am Dienstag abend den Vortrag von Herrn Rasner und die Konzeption gehört, die in der Nähe des Bundestagsvorstandes entwickelt worden ist. Sie erinnern sich aus früheren Sitzungen an das Wort der Fraktionsführung, dies müsse in dieser Periode noch in Ordnung kommen. Hier stehen sich aber die Konzeptionen noch fun- damental gegenüber. Ich bitte das, was ich jetzt sage – wie den ganzen Bericht – vertrau- lich zu behandeln. Herr Kollege, was im »Spiegel« steht8, ist ganz interessant, nur meist stimmt es nicht ganz oder höchstens zur Hälfte. Das, was ich vortrage, hat den Vorzug, wenigstens wiederzugeben, was gewesen ist. Bei den Vorstellungen aus der Nähe des Bundestags- vorstandes spielt eine größere Beteiligung der Kollegen eine Hauptrolle, um dann eine Rente zu erwirtschaften. Es ist kein Geheimnis, daß mancher dachte, die sympathischs- te Art dieser Selbstbeteiligung ist natürlich eine Erhöhung der allgemeinen Diäten. Es waren die meisten von uns bereit, notfalls ohne eine Diätenerhöhung einen Beitrag für diese Alterssicherung zu leisten. Der Koalitionspartner aber scheint mehr dahin zu tendieren, eine Pension – also unabhängig von eigenen Beiträgen eine Alterssicherung – herzustellen. Wir sind übereingekommen, Gespräche miteinander zu führen. Für diese Gespräche haben wir den Kollegen Brand mit ein paar anderen als Vorsitzenden angeboten. Das ist auch akzeptiert worden. Wir haben die Absicht, wenn wir uns einigen können, die Sache im Januar einzubringen, um dann mit der Verabschiedung des Haushaltes 1968 die entscheidenden Entschlüsse zu fassen. Sie sehen, die Sache ist in der Mache. Aber vielleicht behalten wir es ein bißchen für uns, denn an sich ist dies keine Landschaft für solche Gespräche. 4. Betriebsverfassungsgesetz – Minderheitenschutz Sie erinnern sich an die Beschlußfassung vor der Sommerpause und das Hin und Her, ob Gruppenantrag oder Fraktionsinitiative.9 Die Sache endete damit: Fraktionsinitiati- ve, falls alles herausgenommen wird, was nicht zum Thema Minderheitenschutz gehört. Wir waren dann gehalten, das mit dem Partner im ersten Koalitionsgespräch nach Be- ginn der Herbstarbeit zu erörtern. Dies ist planmäßig geschehen. Wir haben vorgetra- gen, daß das, was hier in dem Entwurf stünde, der ein Entwurf der Fraktion sei, nichts mit dem allgemeinen Thema Mitbestimmung zu tun habe, sondern ein Thema sei, das allein den Minderheitenschutz betreffe. Die Sozialdemokraten haben erklärt, sie könn- ten hierzu frühestens in der ersten Novemberwoche votieren, weil ihre zuständigen Gremien während des Oktobers mit anderen Fragen strapaziert seien. Wir haben dann gefragt, ob wir nicht folgendes Verständnis wecken könnten, daß man im Hinblick auf die Verabredung in der Koalition eine Veränderung der Mitbestim- mung jetzt nicht vorsehen soll, sondern darüber erst diskutieren will nach Vorlage des Berichts der Sachverständigen, der ja in der Koalition verabredet sei. Und ob man nicht im Hinblick darauf und auch, weil hier ja nur Minderheitenschutz gemeint sei, diese Vorlage ruhig passieren lassen könnte, und was denn die Sozialdemokraten machen würden, falls wir allein dies jetzt einbrächten? Antwort: Ein Nichtwarten bis Novem- ber wäre besonders unfreundlich, gegebenenfalls würden die Sozialdemokraten dann einen Entwurf einbringen, der das ganze Thema zum Inhalt habe. Ich will an dieser Stelle meinen Bericht unterbrechen, um hier gleich aus Rationalisie- rungsgründen mitzuteilen, was der Fraktionsvorstand gestern als Empfehlung auf Vor- schlag des Vorsitzenden beschlossen hat. Ich habe folgendes angeregt: Solange wir da-

8 Vgl. »Manch schöner Gewinn«, in: »« vom 9. Oktober 1967. 9 Vgl. hierzu die Protokolle der Fraktionssitzungen vom 30. Juni und 7. Juli 1967. Copyright © 2017 KGParl Berlin 3

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mit rechnen müssen – in diesem , wie er ist –, daß für den Fall, daß eine Aus- weitungsproblematik des Mitbestimmungsgesetzes hier im Hause gelesen wird, eine potentiell sozialdemokratische Initiative durch eine Gruppe von uns eine Mehrheit im Hause findet, sei diese Fraktion in den Fragen, die uns in dieser Periode wirklich am Herzen liegen, wie zum Beispiel Minderheitenschutz, einfach nicht handlungsfähig. Der Fraktionsvorsitzende hat deshalb empfohlen, und der Vorstand ist dem gefolgt – ich nenne mich selbst, damit Sie den Prügelknaben haben und nicht den Vorstand insge- samt beschimpfen –, im Hinblick auf die Koalitionsabrede, im Hinblick auf die Tatsa- che, daß der Ausschuß, den Herr Katzer und die Regierung eingesetzt haben, frühestens 1969 Ergebnisse haben wird, sollte diese Fraktion sich selbst den Gefallen tun, einen möglichst einmütigen Beschluß zu fassen, nämlich keine Ausweitung der Mitbestim- mung in dieser Periode! Das müßte man dann auch durchhalten für den Fall, daß andere Anträge stellen. Wenn wir diese Beschlußfassung hier verbindlich gefaßt haben, wird es möglich sein, die Anliegen, die berechtigt sind und die wir alle unterstützen, wie zum Beispiel den verstärkten Minderheitenschutz, wirklich in diesem Hause zur Sprache zu bringen. Das ist gestern im Fraktionsvorstand gebilligt worden. Ich werde es nachher im Zusammen- hang aufrufen und wäre sehr glücklich, wenn wir so eine Entscheidung treffen könnten. Sie würde uns sicher in diesem Hause mobil machen, insgesamt mobil machen, denn es ist keine Frage, daß der Minderheitenschutz auch bei dem früheren Koalitionspartner eine interessante Frage ist und deshalb beim jetzigen Koalitionspartner höchst schwierig abzulehnen ist, wenn Sie an den heutigen Tag der DAG denken.10 Ich kehre zurück zum Bericht über die Koalitionsgespräche. In Fragen von Personalien haben wir uns erneut verständigt, daß dies nicht die Sache von uns ist, sondern Sache der Regierung. Die hier für uns wichtige Personalie der Stiftung für Entwicklungshilfe haben wir nicht lösen können. Es war nicht möglich, Einvernehmen zu erzielen. Die betroffenen und zuständigen Kollegen sind im einzelnen unterrichtet. Die strittige Fra- ge, wer der 1. Vizepräsident des Hauses sein solle – Sie erinnern sich, daß hier eine sehr starke Verstimmung beim Koalitionspartner war, weil der Präsident des Hauses Herrn Dehler damals aufgrund der Anciennität als seinen ersten Vertreter und nicht Herrn Schoettle als den Vertreter der stärksten Fraktion benannt hatte –, ist im Augenblick nicht mehr Gegenstand von erregten Gesprächen, weil der Kollege Gerstenmaier so freundlich war, für die nächste Abwesenheit von Bonn, den Kollegen Schoettle als sei- nen Vertreter zu benennen, so daß wir hier eine grundsätzliche Entscheidung nicht haben, aber einen praktikablen Weg. Meinem Nachbarn zur Linken gebührt Dank für ein deutliches Gespräch in der richtigen Richtung. Letzter Punkt des Koalitionsgesprächs: Notstand! Die Sozialdemokraten leugnen nicht, daß das für sie in dieser Legislaturperiode eine besonders schwierige Gesetzgebung wird. Wir wären blind, wenn wir nicht sähen, wie sich der Widerstand dort versteift, und wir wären töricht, wenn wir nicht an unserer Vorlage festhielten. Zugleich ist hier zu sehen, daß der Entwurf der FDP11 weniger zu tun hat mit der Regelung dieser Frage

10 Der SPD-Vorsitzende Brandt erklärte auf dem DAG-Kongress, dass die SPD die Position der DAG in der Mitbestimmungsfrage unterstütze. Für den Wortlaut der wesentlichen Auszüge aus der Rede Brandts beim 9. DAG-Kongress am 9. Oktober 1967 in Berlin vgl. »Pressemitteilungen und Informa- tionen der SPD«, Nr. 479 vom 9. Oktober 1967. 11 Vgl. Antrag der Abgeordneten Dorn, Busse (Herford), Diemer-Nicolaus, Mischnick und der Frakti- on der FDP vom 2. Oktober 1967 betreffend ein Gesetz zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall (BT-Drucksache V/2130). Copyright © 2017 KGParl Berlin 4

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als mit der Anbahnung eines Verhältnisses mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Und hier ist eine erste Geschichte gestern passiert, die Anlaß sein muß, in einem Ge- spräch auf sehr hoher Ebene erörtert zu werden. Gestern hat unser Kollege aus dem offiziellen Papier seiner Parteifreunde eine Erklärung abgegeben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird an die bevorstehenden Beratungen über eine Gesetzgebung über den Notstand aus der gleichen Haltung herangehen, wie sie sie in der Opposition vertreten hat. Das schließt das Bestreben ein, zu einer Lösung zu kommen. Daher müssen auch die, wenn auch reichlich spät, vorgelegten Vorschläge der FDP einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden. Hier haben Sie wieder so eine Handgranate. Nehmen wir jede für sich im Augenblick, weil dies nicht die Landschaft für gebündelte Explosionen ist. Ich glaube, wir müssen erst die finanziellen Dinge in diesem Jahr in Ordnung bringen. Beim Notstand ist sowieso in diesem Jahr Hearing, und etwas spannender wird es dann im nächsten Jahr, wenn es an die Entscheidungen geht. Ich wollte es nur im Zusammenhang vortragen. Nächster Punkt: Arbeitsweise der Fraktion. Wir haben am vergangenen Dienstagabend eine Sitzung gehabt, die, glaube ich, gut und nützlich war. Wir hatten zugesagt, daß der Fraktionsvorstand so bald wie möglich dazu votieren würde. Er hat dies gestern getan. Und ich bin jetzt imstande, Ihnen für den Vorstand das Votum zu den einzelnen Vor- schlägen vorzutragen. Wir hatten ein Papier anfertigen lassen, in dem es natürlich Über- schneidungen gibt, weil es alle Vorschläge enthält, auch die kontroversen hier – darf ich mich an dieses Papier halten und Ihnen mitteilen, welche Empfehlungen wir machen? 1. Vorschlag: Paragraph 33 der Geschäftsordnung [des Bundestages] ändern.12 Herr Wörner hat es, glaube ich, vorgetragen – Überweisung an den Arbeitskreis I. 2. Vorschlag: Rededauer, 10-Minuten-Reden usw. – Überweisung an den Arbeitskreis I. 3. Vorschlag: Intensivere Tätigkeit des Integrationsältestenrates – Vorschlag: Gespräch Illerhaus, Rasner, Wagner – Illerhaus, unser Fraktionsvorsitzender in Europa. 4. Vorschlag: Fraktionsteam für bessere Ausnutzung der Fragestunde – Empfehlung für solche Fragestunden, die den interessanten Charakter nehmen, von dem wir gesprochen haben. Es möchten bitte die Herren Arbeitskreisvorsitzenden die Verantwortung der Zusammenstellung übernehmen. 5. Vorschlag: Fraktionssitzungen einmal im Monat außerordentlich zu besonderem Thema mit allgemeiner politischer Aussprache – Empfehlung: Ja. 6. Vorschlag: Tagesordnung für jede Fraktionssitzung – Antwort: ist schon vorhanden in dem blauen Papier, das Ihnen zugeht. 7. Vorschlag: Bericht des Kanzlers, des Fraktionsvorsitzenden oder anderer zur allge- meinen Lage erst 18.00 Uhr – Empfehlung: Von Fall zu Fall entscheiden. Man kann das nicht fest einplanen. Wir machen es heute 17.00 Uhr, denn wir haben auf den Presse- schluß Rücksicht zu nehmen. Und manchmal ist eine Entscheidung für eine Woche nur zu treffen nach einem Blick auf die Lage insgesamt. Und ich bitte hier an einen Zusammenhang noch zu denken. Wenn diese Fraktion, wie wir es gemacht haben, Wert darauf legt, nicht Dienstagmorgen in der Zeitung zu lesen, was Montag der Vorstand beschlossen hat. Irgendwann müssen wir pressemäßig so arbeiten, daß wir überhaupt noch abgedruckt werden können. Wenn wir es Montag schon nicht tun, dann wenigstens von Dienstag auf Mittwoch!

12 Der Paragraph 33 in der seinerzeit gültigen Fassung der Geschäftsordnung des Bundestages regelte die Reihenfolge der Redner im Plenum des Bundestages sowie in den Parlamentsausschüssen. Copyright © 2017 KGParl Berlin 5

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8. Vorschlag: Beginn der Arbeitskreissitzungen zu unterschiedlich terminierten Zeit- punkten, also der eine um 9.00 Uhr, der andere um 11.00 Uhr – Antwort: Nein, dies ist praktisch nicht zu machen. 9. Vorschlag: Für jede Fraktionsinitiative einen Berichterstatter benennen – Antwort: Ja, durch die Arbeitskreise. 10. Vorschlag: In jedem Arbeitskreis einen Kollegen beauftragen für die Pressebetreu- ung – Antwort: Ja. 11. Vorschlag: Stellung eines Sprechers der Fraktion für die nicht durch die CDU/CSU besetzten Ressorts – Antwort: Nein, jedenfalls nicht, solange wir in der Regierung sind. Das gäbe noch dazu ein halbes Schattenkabinett, außerdem kommen wir dann in Schwierigkeiten mit unserer Gliederung der Arbeitskreise, der Ausschußvorsitzenden und der Kollegen, wo ein Ministerium mehrere Ausschüsse hat. 12. Vorschlag: Präsenz der Fraktion und in Arbeitskreisen: Disziplinarmaßnahmen, Meldung an Landesparteien usw. – Antwort: Nein! Aber Umbesetzung von Ausschüs- sen vorzunehmen, wenn der Drang zu Beginn einer Periode dem Arbeitseifer nicht voll entsprechen sollte. 13. Vorschlag: Stärkere Koordinierung der Arbeit zwischen EWG-Parlament und der Fraktion – Antwort: Aus anderem Anlaß im Gespräch. Illerhaus, Rasner, Wagner tech- nisch erörtern – grundsätzlich vernünftig. 14. Vorschlag: Einrichtung einer Zentralstelle der Fraktion für Auslandskontakte – Ant- wort: Der Arbeitskreis V, der eine freie Assistentenstelle hat, ist vollbeschäftigt, alsbald einen Assistenten einzustellen, um diese Arbeit zu fördern. 15. Vorschlag: Fraktionsinitiativen am Schwarzen Brett aushängen – Antwort: Nein, weil es besser ist, daß das in der bisherigen Weise geschieht. 16. Vorschlag: Arbeitsrhythmus, Einführung 14-Tage-Rhythmus – Antwort: Wird versucht für das erste Halbjahr 1968, liegt aber nicht allein an uns. 17. Vorschlag: Geteilte Präsenzpflicht – Antwort: Aufgrund dessen, was der Präsident hier gesagt hat. 18. Vorschlag: Technische und wissenschaftliche Hilfe für die Abgeordneten. Hier ist von der Fraktionsführung nichts zu veranlassen, denn das ist Sache der Kollegen selbst. 19. Vorschlag: Unterbringung der Bibliothek in räumlicher Nähe zum Neubau – Ant- wort: Den Mitgliedern des Bundestagsvorstandes mit auf den Weg geben für die Bau- pläne. 20. Vorschlag: Mehr Hilfskräfte für die Fraktion – Antwort: Wiedervorlage nach Neubau. 21. Vorschlag: Anbringung von Briefkästen an den Arbeitszimmern beziehungsweise Post- und Drucksachenverteilung auf die Zimmer – Antwort: Ja, Rasner soll mit Troß- mann sprechen. 22. Vorschlag: Verstärkung des Dolmetscherbüros – Antwort: Ja, Rasner soll mit Troßmann sprechen. 23. Vorschlag: Ausbau des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages – Antwort: Wiedervorlage nach Neubau. 24. Vorschlag: Referendare für Abgeordnete – Antwort: Brief des Fraktionsvorsitzen- den an den Bundesjustizminister13 mit der Bitte, das in der nächsten Konferenz mit den Landesjustizministern zu erörtern.

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25. Vorschlag: Pressedienst jeden Donnerstagabend für alle Mitglieder der Fraktion – Antwort: Ja. 26. Vorschlag: Aufstellung einer Liste für die Fraktionsmitglieder mit Namen der Fach- kollegen zwecks Auskunftserteilung – Antwort: Nicht mehr nötig, da alle inzwischen hinlänglich untereinander bekannt sind. 27. Vorschlag: Bessere technische Ausstattung für den Gesamtbereich Gesamtdeutsche Fragen – Antwort: Einstellung eines Assistenten im Arbeitskreis V. 28. Vorschlag: Ausbau des wissenschaftlichen Hilfsdienstes der Fraktion – Antwort: Nach Neubau prüfen. 29. Vorschlag: Unterbringung der Abgeordneten. Ziel: Jeder Abgeordnete ein Zimmer, je 2 ein gemeinsames Vorzimmer – Antwort: Den Kollegen im Vorstand mit auf die Reise geben, und zwar schnell, weil der Bau schon hoch wächst. 30. Vorschlag: Gesellschaftliche Veranstaltung und Errichtung eines Clubheims usw. – Antwort: Nichts weiter, nachdem wir jetzt alle vier Wochen einmal am Abend zusam- menkommen. 31. Sonstiges a) Kurzberichte am Schluß der Fraktion über politisches Ergebnis der Auslandsreisen von Fraktionsmitgliedern – Antwort: Ja, aber bitte vorher anmelden, damit wir das vorher mitteilen können, wenn wir Übersicht über die Fraktionssitzung geben. b) Besuch der mit der publizistischen Arbeit betrauten Mitglieder bei den Redaktionen – Antwort: Ja, Herr Rasner wird noch einmal mit dem Kreis der Kollegen, die da schon tätig geworden sind, zusammentreffen. c) Zutritt jedes Mitglieds eines geschlossenen Ausschusses zu den anderen geschlosse- nen Ausschüssen – Antwort: Nein, aus den praktischen Gründen, die wir schon vorigen Dienstagabend erörtert haben. d) Gleichzeitige Mitgliedschaft in verwandten Ausschüssen – Antwort: Wir müssen bei den Beschlüssen bleiben, die wir hier zur Konstituierung gefaßt haben, sehen aber eini- ge Sonderfälle, die wir abstellen müssen. e) Lasse ich weg, weil dazu hier nichts zu sagen ist. f) Interfraktionelle Absprache über Teilnahme von Abgeordneten an Veranstaltungen außerhalb von Bonn am Freitag. Herr Rasner wird das mit seinen Kollegen der Parla- mentarischen Geschäftsführung vorbesprechen. g) Verbesserung Schreibbüro Bundestag – Unseren Kollegen im Vorstand des Bundes- tages nahe bringen. h) Besetzung von wichtigen Positionen auf der Ebene der Exekutive durch SPD – Ant- wort: Einmal die Arbeit von Frau Brauksiepe, zweitens Personalpolitik insgesamt in diesem Bereich ist Sache des Generalsekretärs der CDU14 – damit wir nicht durchei- nanderkommen. Das gilt natürlich nicht für unsere Parlamentspersonalien. i) Verbesserte Betreuung der Besuchergruppen. Finanzierung von Essen und Getränken bei kleineren Gruppen. – Antwort: Zuständig Herr Rasner, meine Damen und Herren, da er sehr hart ist, heißt es, es gibt in den seltensten Fällen 2,50 DM. Anders geht es nicht. j) Verteilung einer kleinen Broschüre über die Arbeit der Fraktion – Antwort: In Vor- bereitung.

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k) Planung des Rednereinsatzes bei Verbänden usw. – Antwort: Geschieht bereits, zu- ständig Herr Rösing. Meine Damen und Herren! Der Fraktionsvorstand hat schnell gearbeitet. Das sind seine Empfehlungen. Die andern Fragen aus dem Vorstand brauche ich jetzt nicht zu erörtern, bleibt nachher zu erörtern die Frage der Führung der außenpolitischen Debatte. Das möchte ich ma- chen, wenn wir den Punkt aufrufen. Ich habe eines versäumt, und das tut mir aufrichtig leid, lieber Freund Vogt, Sie herzlich zu begrüßen nach Ihrer langen, schweren Krank- heit. Wir freuen uns, daß Sie wieder da sind, und heute abend geht es gleich ins Ge- schirr, in die Koalitionsgespräche über die Familienpolitik. Darf ich noch ein Wort sagen. Ich bitte für Berlin um die Liebenswürdigkeit einer gro- ßen Präsenz, einer zügigen, aber sehr präzisen und kurzen Beteiligung, denn wir haben nur eineinhalb Tage für diese vielen Gesetzesänderungen. Ich bitte auch, sich ein biß- chen einzurichten, daß wir nicht die Theater schon um 18.00 Uhr beginnen haben. Ich glaube, daß sie in der Regel etwas später beginnen, und wir müssen diese Arbeit wirk- lich leisten, denn der Vorwurf »ist nicht ausdiskutiert!« stimmt nicht mehr, wenn wir diese Stunden dort nicht nutzen. Darf ich zunächst diesen Bericht zur Debatte stellen? [2. Aussprache zum Bericht des Fraktionsvorsitzenden] Schwörer: Könnte man diese Berlinwochen nicht etwas langfristiger und weiträumiger planen? Jetzt ist das große Theater wieder bei der Reisestelle, daß man nicht vernünftige Hotelzimmer hat. Man wohnt außerhalb am Funkturm usw. Frau Richter be- klagt sich darüber, daß wir immer so kurzfristig disponieren. Andere Verbände, jeder Handwerksverband, und wer da in Berlin tagt, hat langfristig seine Zimmer reserviert, so daß wir vernünftige Hotels nicht mehr bekommen und nur ganz kleine Kontingente haben. Könnte man nicht hier darauf einwirken? Diese Sitzungen liegen doch meistens schon für das ganze Jahr fest, so daß man rechtzeitig die Kontingente in den Hotels bestellen kann. Rasner: Herr Kollege Schwörer, wir haben diesmal mehr als einen Monat vorher den Termin der Sitzung mitgeteilt. Und nun will ich Ihnen folgendes sagen: Mitteilungen über drei, vier, fünf Monate im voraus sind deswegen bedenklich, weil die Absage einer Berlinsitzung, die öffentlich angekündigt worden war, in Berlin politisch ganz andere Folgen hat als die Unbequemlichkeiten, die man durch eine Disposition von vier, fünf Wochen auf sich nehmen muß. In der gegenwärtigen Situation, eine langfristig ange- kündigte Berliner Sitzung absagen zu müssen, wäre politisch einfach unmöglich. Barzel: Darf ich dann zwei Fragen stellen? Einmal, ob der Bericht, den ich gegeben habe über die Meinungsbildung im Fraktionsvorstand zu den zahlreichen Anregungen zur Fraktionsarbeit, so gebilligt wird? Wörner: Ich bedanke mich sehr für das Entgegenkommen und das Verständnis, das die Anregungen im Vorstand gefunden haben. Nur eine Anregung scheint mir noch verges- sen zu sein beziehungsweise nicht ausdrücklich erwähnt worden zu sein, das ist die, an der eine Gruppe von Leuten hier festhalten will, nämlich jedem Abgeordneten auf Nachweis die Kosten für eine Hilfskraft, einer Sekretärin oder eines wissenschaftlichen Mitarbeiters zu erstatten. Man kann uns hier nicht entgegenhalten, daß im Augenblick dafür kein Raum verfügbar sei. Das mag sein, daß uns der Bundestag keinen Raum zur Verfügung stellt. Aber ich persönlich würde es vorziehen, mir irgendwo ein Zimmer zu besorgen, dafür 80 oder 100 Mark zu zahlen und dafür die Kosten für die Sekretärin zu erhalten als nichts zu haben, weder einen Raum noch eine Sekretärin. Also, ich möchte Copyright © 2017 KGParl Berlin 8

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dringend bitten, daß der Fraktionsvorstand sich diese Anregung noch einmal überlegt. Sonst sind wir gezwungen, Unterschriften für einen Antrag zu sammeln, der dann wie- der niedergebügelt wird. Barzel: Herr Kollege Wörner, ich sehe in der Tat, daß ich unter der Überschrift »Diä- tenreform« nur die Altersversorgung vorgetragen habe. Dieser Punkt ist selbstverständ- lich Gegenstand unserer Gespräche, war auch Bestandteil des Gesprächs mit dem Koali- tionspartner. Das kann aber erst realisiert werden – weil hier im Haushalt Mittel einge- stellt werden müssen – im Zusammenhang mit der Gesamtfrage der Diäten. Es ist also nicht untergegangen, ich habe nur vergessen, es vorzutragen. Lenz (Bergstraße): Wir haben mit großem Interesse gehört, was der Fraktionsvorstand zu den Anregungen von letzter Woche beschlossen hat. Es war mir allerdings nicht möglich – vielleicht lag das an mir – aus der Einladung für heute zu entnehmen, daß dieser Punkt heute besprochen würde. Und das war der Punkt, den ich verstanden habe unter »Tagesordnung«, daß man da nämlich lesen kann, was kommt. Das Zweite wäre: Ich persönlich wäre sehr dankbar – ich weiß nicht, wie viele Kollegen dieses Gefühl teilen –, das, was Sie eben vorgetragen haben, schriftlich zu bekommen, damit wir eine Übersicht über den Stand der Dinge haben. Barzel: Wir können natürlich nur nach einer Satzung arbeiten, die wir haben. Nach dieser Satzung ist die Tagesordnung so übermittelt, wie wir die Nuancen haben auf dem blauen Papier, und das steht alles zur Debatte, was überhaupt im Raume ist. Hätten wir nun also jetzt gewartet auf die nächste Woche in Berlin, hätten wir keine Zeit gehabt. Hätten wir es die vierte Woche gemacht, wäre es falsch gewesen. Machen wir es heute, ist es auch falsch. Nehmen wir es doch einfach hin, wie es ist. Es ist von uns der gute Wille, die von vielen als berechtigt empfundenen Punkte möglichst bald in die Arbeit zu bringen. Und, Herr Kollege Lenz, es ist nicht möglich, eine Tagesordnung hier aufzustellen in dem Sinne, daß alles, was in der Fraktion vorgebracht werden könnte, zur Debatte steht; daß man sich also darauf einrichten kann: Da gehst du hin, da gehst du nicht hin. Das habe ich so oft gesagt, und ich glaube, es ist so offenkundig, daß ich das nicht noch einmal vortra- gen möchte. Burgbacher: Ich habe eine kleine Anregung. Wir begrüßen alle die eventuelle Möglich- keit, daß Referendare zeitweise hier bei uns sozusagen politische Assistenz machen. Ich möchte aber vorschlagen, daß wir noch einfügen, Referendare oder andere junge Aka- demiker, die zu den gleichen Bedingungen wie die Referendare bereit sind, zu arbeiten. Sonst bilden sich die Juristen noch mehr ein wie bisher, daß sie alle Politik in Erbpacht hätten. Barzel: Vielleicht können wir erst mit dem anfangen, was möglicherweise leicht reali- sierbar ist. Sonst sehe ich keine Wortmeldungen mehr dazu. Dann darf ich zunächst einmal feststellen, daß dieser Bericht akzeptiert wird. Diese Fragen werden uns ja im Laufe der Monate weiter beschäftigen. [3.] Minderheitsschutzproblem und Mitbestimmung Winkelheide: Kollege Ziegler aus dem Arbeitskreis IV hat heute morgen berichtet. Wir haben uns damit beschäftigt. Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Dr. Barzel, wenn Sie noch einmal ganz präzise diese Frage Mitbestimmung formulieren würden, wenn Sie das noch einmal ganz klar interpretieren würden. Das ist eine ganz schwierige Frage. Barzel: Man kann sich hier natürlich hinter einer Formel verstecken. Das tut Herr Win- kelheide nicht. Reden wir ganz klaren Text. Das kann, glaube ich, jeder verstehen. Das ist eine Willensäußerung. Wir können es natürlich auch zusammen formulieren, Herr Copyright © 2017 KGParl Berlin 9

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Winkelheide, wenn das etwas erleichtert, da ich sowieso noch nicht ganz übersehe, ob wir trotzdem da im November noch Rücksicht nehmen müssen. Das kann ich nicht übersehen. Da müßte Theo Blank was sagen. Wir wünschen keine Ausweitung der Mitbestimmung in dieser Legislaturperiode. Wir können natürlich das auf die nächste Sitzung nehmen und zwischendurch versuchen, eine Formel zu erarbeiten. Ziegler: Ich kann wohl unterstellen, daß das Problem als solches hier hinreichend be- kannt ist, obwohl wir uns heute morgen im Arbeitskreis fast zwei Stunden sehr ausgie- big noch einmal damit befaßt haben, setze ich voraus, daß alle Damen und Herren der Fraktion wissen, worum es dabei geht. Vielleicht darf ich ganz kurz noch darauf hinweisen, daß der jetzt vorliegende Entwurf, der ja nach sehr eingehenden Beratungen am Schluß von einer Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Kollegen Müller-Hermann erarbeitet wurde, daß das nicht allein und aus- schließlich sich auf die Verbesserung des Minderheitsschutzrechtes beschränkt und daß alles, was darüber hinausgeht, herausgenommen worden ist. Die Initiatoren, die diesen Entwurf ausgearbeitet haben – es ist ja ein uraltes Anliegen unserer christlich-sozialen Kollegen in den Betrieben, es ist ja auch ein uraltes Anliegen der Deutschen Angestell- tengewerkschaft, das hier angesprochen wird –, haben sich hier sehr stark beschränkt und haben sich bereit erklärt, daß hier nichts aufgegriffen wird, was über die reine Ver- besserung des Minderheitenrechtes hinausgeht. Ich glaube, ich kann die Vorgeschichte als solche beenden. Es hat keinen Sinn, hier auf die ganze leidvolle Entwicklung einzugehen. Der Entwurf, wie er jetzt vorliegt, bringt eine Verbesserung in 35 Ziffern des Rechtes der soziologischen Gruppen. Es ist mit diesem Entwurf sichergestellt, daß die Minderheit, die jeweils gegeben ist – das sind in der Regel Angestellte, es können auch Arbeiter sein –, auf jeden Fall bei der Besetzung der Gremien, die in den Betrieben zu bilden sind, in aller Form berücksichtigt werden. Er bringt eine Verbesserung der Möglichkeiten, freie Belegschaftslisten einzureichen, indem die notwendige Unterschriftenzahl für Wahlvorgänge, die bisher ein Zehntel betragen hat, auf ein Zwanzigstel gesenkt wird. Diese Verbesserung kommt auch den gewerkschaftlichen Gruppen zugute. Damit sind auch die christlichen Gewerkschaften, christliche Gruppen innerhalb der DGB-Gewerk- schaften eingeschlossen. Auch diese haben die Möglichkeit, diese leichtere Unterschrif- tensammlung auszunutzen. Die ursprünglichen Vorstellungen der Initiatoren liefen darauf hinaus, die Gewerkschaften an sich besser zu stellen, aber wegen der Problema- tik, und um hier in der Fraktion ein einheitliches Votum zu erreichen, haben wir diese Dinge zurückgestellt und nicht mitaufgenommen. Der Entwurf bringt außerdem eine Gleichstellung der Jugendvertretung mit den übri- gen Betriebsmitgliedern, und der Entwurf hat ganz wenige Änderungen hinsichtlich der Betriebsversammlung, indem in Zukunft nicht nur Gesamtbetriebsversammlung, son- dern auch Teilversammlung, Gruppenversammlung möglich ist. Das ist alles, was hier der Entwurf bringt. Der Entwurf ist nur eine Verbesserung des Minderheitenrechtes. Er kann nicht zum Anlaß genommen werden, hier die ganze Frage der wirtschaftlichen Mitbestimmung aufzurollen. Wir haben uns heute morgen im Arbeitskreis noch einmal mit dieser Prob- lematik beschäftigt. Wir haben dabei klargestellt, daß wir mit diesem Entwurf nur die Verbesserung des Minderheitenrechtes und nur das Betriebsverfassungsgesetz ange- sprochen haben. Daß die Ausweitung der Mitbestimmung nach dem Modell der Mont- anmitbestimmung hier in keiner Weise tangiert wird.

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Wir haben im Arbeitskreis auch die Argumente der SPD behandelt. Der Arbeitskreis war der Meinung, daß die SPD in dieser Frage mindestens in genau der gleichen schwie- rigen Lage ist wie die Fraktion, daß zumindest die Spitzen der SPD nicht daran interes- siert sein können, weil es zu schwierig ist für sie und allerhand Sprengstoff enthält, daß in dieser Periode die Frage der wirtschaftlichen Mitbestimmung ausgetragen werden könnte. Vor allen Dingen kann sie das nicht, solange ihr dieses Gutachten der dafür eingesetzten Kommission noch nicht vorliegt. Wir haben dann heute morgen im Arbeitskreis auch noch einmal die Frage aufgeworfen und behandelt, ob wir durch diesen Entwurf den extremen links- und rechtsradikalen Gruppen in den Betrieben bessere Chancen gäben als bisher. Wir waren uns darüber im klaren, daß es nicht unsere Absicht sein kann, diesen extremen Gruppen bessere Möglichkeiten einzuräumen. Selbstverständlich kön- nen sie von diesen Vergünstigungen, die hier drin sind, auch Gebrauch machen. Wir wissen aber um die Praxis in den Betrieben, daß heute schon vielfach diese extremen Gruppen innerhalb der Mehrheitsgewerkschaft tätig werden, daß sie dort sogar sehr aktiv sind. Wir glauben, daß gerade dieser Entwurf, der es ermöglichen soll, daß die demokratischen Kräfte in den Betrieben, die wirklich demokratischen Kräfte besser zur Geltung kommen, daß diese Gruppierungen nun auf keinen Fall günstiger gestellt wer- den. Je mehr es uns gelingt, in den Betrieben wirklich echte demokratische Verhältnisse zu schaffen, desto eher wird es möglich sein, diese links- und rechtsextremen Gruppen in den Betrieben auszuschalten. Das ist auch das Interesse der Initiatoren. Sie haben heute morgen im Arbeitskreis eindeutig erklärt, daß sie von sich aus niemals die Absicht hat- ten, das Problem der wirtschaftlichen Mitbestimmung anhand dieses Entwurfes aufzu- greifen, daß sie auch bereit seien, sich Tendenzen und Anträgen, die von anderer Seite in dieser Richtung gestellt werden sollten, entgegenzustellen. Das ist genau im Sinne des Votums, das der Fraktionsvorstand an die Fraktion gerichtet hat. Der Arbeitskreis hat nach eingehender Debatte mit Mehrheit – es waren ganz wenige Gegenstimmen – beschlossen, der Fraktion zu empfehlen, den Entwurf so, wie er vor- liegt, als Fraktionsentwurf einzubringen. Brück (Köln): Ich möchte in dem Zusammenhang auf folgendes hinweisen. Der erste Bundestag hat das Betriebsverfassungsgesetz15 verabschiedet. Der zweite Bundestag das Personalvertretungsgesetz.16 Wenn dieses Betriebsverfassungsgesetz jetzt hinsichtlich des Minderheitenschutzes geändert wird, werden wir also recht bald auch mit der Frage des Minderheitenschutzes des Personalvertretungsgesetzes beschäftigt werden. Ich bitte Sie, dies bei Ihren weiteren Gesprächen mit in die Überlegungen einzubeziehen. Budde: Darf ich die Frage stellen, ob gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen gegen eine weitere Aushöhlung der Mitbestimmung in der Montanindustrie auch unter diese Formel fallen, also keine weitere Ausweitung der Mitbestimmung in dieser Legislatur- periode? Barzel: Ich habe keinen Fall im Auge. Das kann man nur konkret beantworten, Herr Budde. Das ist nicht abstrakt zu beantworten. Wir haben eine klare Linie. Wir wün- schen keinerlei Ausweitung der Mitbestimmung. Es gibt, wenn ich mich recht erinnere, Einlassungen auf dem Parteitag, diese berühmte Absprache zweier Gruppen, die Herr

15 Vgl. »Betriebsverfassungsgesetz« vom 11. Oktober 1952, BGBl. 1952 I S. 681.

16 Vgl. »Personalvertretungsgesetz« vom 5. August 1955, BGBl. 1955 I S. 477. Copyright © 2017 KGParl Berlin 11

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Katzer dann vorgetragen hat, daß natürlich Aushöhlung verhindert werden soll.17 Kei- ne Ausweitung heißt natürlich nicht, daß die Aushöhlung nicht verhindert werden soll. Wenn ich mich recht erinnere, begegnet das Gesetz, das wir da gemacht haben, rechtli- chen Bedenken und ist vor irgendeinem Gericht angefochten worden. Ist das richtig? Das macht dann den Tatbestand in seiner Komplexität eben deutlich. Wenn wir es poli- tisch sagen wollen: bis zur Vorlage des Berichtes der Bundesregierung keine Auswei- tung, unabhängig davon, wer sie beantragt und ob sie sympathisch oder unsympa- thisch ist. Das ist die Frage. Wenn wir so einen Beschluß fassen, sind wir frei, in der Minderheitenschutzgeschichte uns leichter zu bewegen. Das ist der Anlaß, weiter gar nichts. Stücklen: Ich bekenne mich zur Verbesserung des Minderheitenschutzes in dem heuti- gen Betriebsverfassungsgesetz. Ich glaube auch, daß die Landesgruppe der CSU ohne jede Einschränkung aus Überzeugung diese Bestrebungen unterstützt. Es ergibt sich allein das Problem, daß mit dieser Vorlage entweder einer Gruppe der Fraktion oder der Gesamtfraktion das bisherige Stop bei den Sozialdemokraten fällt und die SPD einen Antrag einbringen wird auf Ausweitung des Mitbestimmungsrechtes. Das hat die SPD unmißverständlich, und zwar nicht durch Hinz und Kunz, sondern durch den Fraktionsvorsitzenden der SPD18 und den Sozialexperten der SPD, Schellenberg, bei der letzten Koalitionsbesprechung offengelegt. Nun frage ich die Kollegen, die in der Arbeitnehmerschaft wirksam sind und dort ihre politische Aufgabe erfüllen, ob sie in der Lage sind, wenn von den Sozialdemokraten ein solches Gesetz auf Ausweitung des Mitbestimmungsrechts vorgelegt wird, einer solchen Vorlage entgegenzutreten und dagegen zu stimmen, oder bedeutet ein solches Verhalten nicht gerade eine sehr große Einbuße im Ansehen dieser Kollegen bei der Arbeitnehmerschaft? Auf diese Frage würde ich gerne eine Antwort haben. Stark (Stuttgart): Der Beschluß lautet, glaube ich, jetzt keine Ausweitung der Mitbe- stimmung in dieser Legislaturperiode. Ich möchte die Anregung geben, ob wir uns in der Fraktion nicht darüber hinaus darauf einigen könnten, daß wir auch in dieser Zeit dann keine Diskussionen und Forderungen in dieser Richtung anstellen. Wir stellen doch im Augenblick fest, daß unser Koalitionspartner, die SPD, sich in dieser Frage

17 Gemeint ist offensichtlich der Düsseldorfer CDU-Bundesparteitag von 1965. Vgl. CDU, 13. BUN- DESPARTEITAG. Einen förmlichen Beschluss zur Mitbestimmungsfrage fasste der Bundesparteitag nicht. In seinem Bericht über die Sitzung des Arbeitskreises II (Soziale Sicherheit – stabile Wirtschaft) konnte Hans Katzer lediglich feststellen, dass Übereinstimmung darüber bestanden habe, »daß eine Aushöhlung der bewährten Mitbestimmung in allen Formen nicht im Einklang steht mit den Grund- vorstellungen der Christlich Demokratischen Union« und »für eine weitere Gestaltung der Mitbe- stimmung im Rahmen veränderter wirtschaftlicher Entwicklungen, nicht zuletzt auch im Blick auf stärkere Konzentration im Rahmen der europäischen Wirtschaft, neue Überlegungen angestellt wer- den müssen für die Zukunft«. Für den Wortlaut vgl. ebd., S. 642. Vorausgegangen war eine lebhafte Debatte über dieses Thema in der Sitzung des Arbeitskreises. Vertreter der CDU-Sozialausschüsse hatten geklagt, die Mitbestimmung leide an Auszehrung, weshalb es die Pflicht der CDU sei, hier einzugreifen. In der fünften Legislaturperiode müsse geprüft werden, ob die im Montanbereich prak- tizierte Mitbestimmung nicht auf diejenigen Wirtschaftsbereiche, für die nur das Betriebsverfassungs- gesetz gelte, ausgedehnt werden müsse, die eine starke Konzentrationstendenz aufweisen. Nach jah- relangen Versprechungen müßten endlich Taten folgen, sonst werde die CDU unglaubwürdig. Von Unternehmerseite war dagegen im Arbeitskreis eingewandt worden, die im Montanbereich prakti- zierte Mitbestimmung dürfe auf keinen Fall ausgeweitet werden, bevor nicht das Betriebsverfas- sungsgesetz voll ausgeschöpft sei. Je mehr Marktwirtschaft und Wettbewerb es im übrigen gebe, um so weniger Mitbestimmung sei nötig. Im schwieriger werdenden internationalen Wettbewerb müsse sich die Unternehmerinitiative verantwortlich entfalten können. Auch sei zu bedenken, dass die Konkurrenten der deutschen Wirtschaft keine Mitbestimmung kennen. Vgl. ebd., S. 306–320. 18 Helmut Schmidt. Copyright © 2017 KGParl Berlin 12

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relativ zurückhält und nur durch Aktionen am Rande den Eindruck vermittelt, daß sie so quasi für die Mitbestimmung sei, aber offiziell halten sich der Wirtschaftsminister19 und alle maßgeblichen Kreise sehr zurück. Und es entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, als ob wir hier die treibende Kraft wären. Ganz gleich, wie man dazu steht, aber es ist eine Frage, die erst behandelt werden kann, wenn sie hier ausdiskutiert ist in der Fraktion. Ich würde anregen, daß wir uns für diese Legislaturperiode auf ein Still- halteabkommen in der gesamten Frage einigen. Es schadet uns draußen kolossal und bringt uns auf der anderen Seite gar nichts ein. Müller (Remscheid): Eine Frage, glaube ich, müßte vorab geklärt werden, und zwar ob es stimmt, daß bei den Koalitionsverhandlungen die Frage der Mitbestimmung durch diese Kommission, die von der Bundesregierung berufen wird, sowohl die Frage der sogenannten qualifizierten Mitbestimmung betrifft als auch die Frage der Mitbestim- mung nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Soll also durch die Kommission der gesamte Komplex der Mitbestimmung vorab geklärt werden?20 Von der Beantwortung dieser Frage sind alle anderen Fragen abhängig. Nicht zustimmen kann ich dem Vorschlag, das Problem der Mitbestimmung aus der Diskussion zu nehmen. Wir beraten heute um 16.30 Uhr die Endfassung der Benda-Kommission von der Partei über die Mitbestimmung.21 Die Partei wird dann insgesamt über das Aktionsprogramm und darüber auch über die Mitbestimmung diskutieren. Man kann sich also keinen Maulkorb vorbinden lassen, um über das Problem der Mitbestimmung hier zu reden. Ich möchte noch etwas in aller Klarheit sagen: Es könnte sein, daß in der Frage der Aushöhlung der Mitbestimmung gesetzliche Initiativen notwendig wären. Ich möchte mir durch eine Zustimmung zu diesem Gesetz oder Duldung dieser Novelle nicht nachher vorwerfen lassen, wenn ich dann in dieser Frage der Aushöhlung der Mitbe- stimmung aktiv werde, daß ich dann nicht etwa in der Solidarität geblieben wäre. Sie wissen, Herr Vorsitzender, daß meine Vorstellungen von der Novellierung des Be- triebsverfassungsgesetzes weitergehen und daß ich mich aus dieser Frage in der letzten Zeit vollkommen herausgehalten habe und es auch weiter tun werde, daß ich aber meine Bedenken anmelden muß, wenn mir damit hinsichtlich der Gestaltung des Betriebsver- fassungsgesetzes in personellen Fragen, in sozialen Fragen Hemmnisse auferlegt werden sollten.

19 . 20 In seiner Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 kündigte Bundeskanzler Kiesinger die Beru- fung einer Sachverständigenkommission zur Auswertung der bis dahin gesammelten Erfahrungen bei der Mitbestimmung an. Vgl. BT STEN. BER., 5. Wahlperiode, 80. Sitzung am 13. Dezember 1966, S. 3661. Die Bildung dieser Mitbestimmungskommission wurde in der Kabinettssitzung am 8. No- vember 1967 beschlossen. Den Vorsitz des Gremiums übernahm der Rektor der Ruhr-Universität Bochum, Professor Dr. Kurt Hans Biedenkopf. Vgl. BULLETIN, Nr. 142 vom 6. Dezember 1967, S. 1202. Am 24. Januar 1968 empfing der Bundeskanzler in Anwesenheit von Bundesarbeitsminister Katzer die Mitglieder der Mitbestimmungskommission. Dabei unterstrich er die Unabhängigkeit der Kommission und bezeichnete es als ihre Aufgabe, objektive Grundlagen für politische Entscheidun- gen zu schaffen. Nach dem Empfang trat die Kommission zu ihrer konstituierenden Sitzung zusam- men. Vgl. ebd., Nr. 11 vom 26. Januar 1968, S. 85. 21 Zu Beginn des Jahres 1967 wurden von der Parteiführung der CDU 24 Kommissionen zur Ausarbei- tung eines Entwurfs für ein Aktionsprogramm eingesetzt, das die Grundlage für die Politik der CDU in den 1970er Jahren bilden sollte. Zum Vorsitzenden der Kommission »Mitbestimmung« wurde der Bundestagsabgeordnete berufen. Von der CDU/CSU-Fraktion gehörten dieser Kom- mission die Abgeordneten Heiner Geißler, Alphons Horten, Adolf Müller (Remscheid), Günter Rin- sche, Hermann-Josef Russe und Josef Stingl an. Zur Übersicht dieser Kommissionen mit den Namen der Vorsitzenden und der einzelnen Kommissionsmitglieder vgl. ACDP, 01-539-074/1. Copyright © 2017 KGParl Berlin 13

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Blank: Ein paar kurze Bemerkungen. Nicht der Fraktionsvorsitzende, sondern der Kollege Schellenberg hat, als ich auftragsgemäß bei den Koalitionsgesprächen auf diesen unseren Gesetzentwurf hingewiesen habe, den wir dem Partner mitzuteilen verpflichtet wären, nicht um dessen Zustimmung einzuholen, versucht, uns damit zu erschrecken, als er sagte: Dann kommen wir mit einem Entwurf, der legt die ganze Mitbestimmung auf den Tisch. Das hat der Fraktionsvorsitzende gar nicht unterstützt. Wir haben das gleich zurückgewiesen. Wir wissen ganz genau, daß das in der SPD zur Zeit überhaupt nicht möglich ist. Zweitens, wir wissen aber ebenso genau, und das müssen wir auch ganz klar ausspre- chen – ich sage das nicht im Sinne eines Vorwurfes, sondern einer Feststellung –, daß der DGB dieses Minderheitengesetz, wie wir es jetzt hier hinlegen, nicht will. Gut, ich bin bereit, sogar dafür Verständnis aufzubringen. Er sieht seine Monopolstellung be- droht. Aber es hat doch schließlich Herr Brandt dem DAG-Kongreß erklärt, daß die SPD die Position der DAG unterstützt.22 Die SPD ist also in dieser Frage in derselben Situation wie wir. So wie wir im Wort stehen, steht sie neuerdings auch wieder durch Brandt im Wort gegenüber der DAG. Und nun möchte ich mich mal energisch gegen den Versuch wehren, immerzu erneute Interpretationen dessen zu suchen, was der Fraktionsvorsitzende gesagt hat. Ich habe das heute morgen auch im Arbeitskreis so vorgetragen. Das ist ausgiebig dis- kutiert worden und hat ja dann erst zu diesem Beschluß geführt. Und die Frage ist die: Wir werden dieses Gesetz, wenn wir es durchziehen wollen, auf unsere Hörner nehmen müssen, und wir werden dabei die Tatsache erleben – ob uns die nun erwünscht oder nicht erwünscht ist, spielt gar keine Rolle –, daß wegen des Wortes gegenüber der DAG wahrscheinlich fast die ganze FDP dem zustimmen wird. Und es werden dies vielleicht auch einige aus der SPD tun müssen. Und nun lautet das Wort des Vorsitzenden: Wir werden uns mit der ganzen Fraktion, ob der eine oder andere glaubt, nicht mitmachen zu können, das ist eine andere Frage, hinter dieses Gesetz stellen, wenn Sie die Befürch- tung ausräumen, daß dann etwa die Mitbestimmungsfrage, die zu behandeln uns ge- genwärtig nicht opportun zu sein scheint, auf die Tagesordnung kommt. Dazu sage ich: Wenn die SPD mit solchen Anträgen kommt, würde ich nicht die min- desten Hemmungen haben, mich auf die Rednertribüne zu stellen und zu sagen, hier und heute haben wir die Regelung des Minderheitenschutzes im Auge. Die wollen wir vollziehen. Was die Frage der Mitbestimmung ist, da können Sie hier Anträge bringen, soviel Sie wollen, ich werde denen nicht zustimmen. Ich stimme dagegen, denn wir sind im Wort, denn die Regierung – das weiß ich von den Koalitionsverhandlungen – will die berühmte Royal Commission einberufen, und bevor nicht deren Ergebnis vorliegt, solange da nicht ein Ergebnis vorliegt, kann ich in der Frage der Mitbestimmung, wie auch immer das formuliert werden mag, in diesem Parlament überhaupt nicht wirksam werden, es sei denn, ich müßte die Koalition aufkündigen. Ich bitte, meine Freunde, wirklich, schon diese Interpretationsversuche ständig zu un- terlassen. Sollte etwas geschehen auf dem Wege einer – wie sagt man – Einengung gel- tenden Rechtes, dann wäre das eine völlig andere Frage. Diese Aussage »keine Auswei- tung« kann doch nur ganz klar lauten, am gegenwärtigen Rechtszustand nichts ändern zu wollen. Das ist die nur einzig mögliche Interpretation, um die es sich nur handeln kann, und zu einem solchen Wort meines Fraktionsvorsitzenden und des ganzen Vor- standes habe ich ein unerschütterliches Vertrauen.

22 Siehe hierzu Anm. 10. Copyright © 2017 KGParl Berlin 14

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Müller (Berlin): Zunächst möchte ich dem Kollegen Brück antworten. Die Initiatoren haben selbstverständlich daran gedacht, daß analog zur Änderung des Minderheiten- rechts im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes auch das Personalvertretungsgesetz geändert werden muß. Zum zweiten möchte ich mich, nachdem Blank hier ausführlich und eindeutig Stellung genommen hat, nur noch einmal bestätigen, daß ich an sich nach meinen Erfahrungen den Eindruck habe, daß bei der SPD keine einheitliche Meinung herrscht, aber der Vor- sitzende Brandt gestern auf dem DAG-Tag eindeutig erklärt hat, daß die SPD-Fraktion in absehbarer Zeit einen Entwurf zum Betriebsverfassungsgesetz einbringen wird, der den Wünschen der DAG entspricht. Nun, meine Damen und Herren, wer die Wünsche der DAG kennt, weiß, daß sie an einigen Punkten über den Schutz beziehungsweise das Recht der Minderheit hinausgeht, etwa in dem Sinne, wie wir es ursprünglich zum Teil in unserem Entwurf enthalten hatten. Wir haben uns in unserer Fraktion in einer klei- nen Kommission nun verständigt, daß dann die ganze Fraktion dahintersteht und wir diese Dinge herausstreichen. Das haben wir getan und wollen auch zu unserem Wort stehen. Ich bin also der Meinung, wir sollten, wenn wir mobil bleiben wollen, den An- trag so, wie er jetzt lautet, einbringen mit der Verpflichtung, dazu zu stehen und keine Ausweitung vorzunehmen. Orgaß: Da in der Kommission soeben gesagt worden ist, wir sollten mit diesem Be- schluß zugleich verbinden, daß in dieser Legislaturperiode über das Problem Mitbe- stimmung als solches überhaupt nicht mehr diskutiert wird, melde ich mich jetzt hier zu Wort, damit nicht ein anderes Wort, das Sie, Herr Vorsitzender, uns auch einmal gesagt haben, zum Tragen kommen könnte: Es wird das zum Beschluß erhoben, wogegen kein Widerspruch mehr erhoben wird. Ich möchte meinen, daß wir ein anstehendes Problem von solcher Bedeutung nicht dadurch lösen können, daß wir es zum Tabu erklären. Und es zeigt sich, daß nicht nur wir durch den Generalsekretär unserer Partei innerhalb der Partei zu einer ausgiebigen Diskussion um das Problem der Mitbestimmung ermun- tert wurden, sondern auch andere gesellschaftspolitisch relevante Gruppen und Kräfte in unserer Zeit jetzt über das Problem der Mitbestimmung nachhaltig diskutieren be- ziehungsweise zu diskutieren beginnen. Ich nenne namentlich auch die Kirchen. Dann wäre es also völlig unmöglich, wenn wir uns unsererseits einer solchen Diskussion stel- len und uns auch die Freiheit der persönlichen Meinung irgendwie beschneiden lassen. Und zum zweiten möchte ich für den Bereich der Aushöhlung der Mitbestimmung für meine Person das gleiche Recht in Anspruch nehmen, das Kollege Müller-Remscheid soeben für sich selbst auch in Anspruch genommen hat. Stark (Stuttgart): Ich wollte nur kurz klarstellen: Ich habe nicht im Geringsten daran gedacht, daß über die Frage nicht mehr gesprochen werden kann. So naiv bin ich nicht. Ich wollte nur, daß wir nicht in der Fraktion mit dem einen oder anderen Antrag kom- men, der in diese Richtung geht, obwohl wir uns darüber einig sind, daß die Frage hier nicht zur Entscheidung steht, bevor der Bericht der Kommission der Regierung nicht vorliegt. Daß Sie draußen, wenn Sie gefragt werden, und in Ihren Organisationen dazu Stellung nehmen müssen, das versteht sich meines Erachtens von selbst. Barzel: Ich möchte noch einmal so deutlich, wie das mein Freund Stücklen getan hat, die Frage stellen. Was wird diese Fraktion tun? Wieweit wird ihre Geschlossenheit langen für den Fall, daß unter dem Vorwand dieses von uns allen gewünschten Ent- wurfs zur Verbesserung des Minderheitenschutzes der Koalitionspartner oder wer im- mer in diesem Hause aktiv wird, um die Mitbestimmung auszuweiten? Hält dann unse- re Mehrheit ein Nein geschlossen aus? Das ist die Frage an diese Fraktion in dieser

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Periode. Wenn sie das aushält, das Nein, um in dieser Periode den Minderheitenschutz, wenn er gewünscht wird, durchzusetzen, kann diese Fraktion das tun. Das hindert, Herr Orgaß und Herr Müller, nichts von den Absichten des Aktionspro- gramms der Union, denn die Frage der Mitbestimmung ist eine Frage, auf die eine Par- tei unseres Ranges eine Antwort geben muß, gültig für die nächste Periode, wo wir allein die Mehrheit haben wollen und können, wenn wir es richtig machen. Das ist eine andere Frage. Aber in dieser Periode passiert sowieso nichts, weil die Koalition so eine Abrede hat und die Kommission schon ihre Zeit brauchen wird. Die Frage ist, ob wir uns jetzt in dieser konjunkturpolitischen Landschaft ein Stück Ungewißheit über unse- re Auffassung wegdrücken, um gleich einen Wunsch von Minderheiten der Arbeitneh- merschaft erfüllen zu können. Allein das ist die Frage, so wie ich es sehe. Anders kann ich sie nicht sehen. An dem beißt die Maus keinen Faden ab. Wir haben das Wort gegeben: die Sache wird einge- bracht. Sie wissen alle, daß es darauf ankommt, mit welchem Nachdruck eine große Mehrheit hinter einer Sache steht, und es ist doch ganz offenkundig, daß bei allen Ent- scheidungen in dieser Frage – die ich auch nicht in Frage stelle, die ich auch nicht rück- gängig machen werde – der Impetus dieser Gesamtfraktion doch ein Stück gebremster Schaum ist, weil doch alle befürchten, wenn wir sehr voranmachen, kommt die andere Geschichte auf den Tisch. Ich will aber gerne den Impetus der Fraktion dahinter stellen, weil ich nämlich nichts dagegen habe, daß sich im nächsten halben Jahr auch gesell- schaftspolitisch hier und dort für diesen Bundestag eine Nuance ergibt. Das können wir aber nur, wenn wir uns der Einmütigkeit vorher bewußt sind. Und wir wissen, wie sieht der zweite Schritt aus, wenn wir heute einen ersten Schritt tun. Ich will nicht drängen. Der Wunsch besteht, das nicht heute zu Ende zu bringen. Ich will nicht drängen, sondern in 14 Tagen. Aber ich denke, ich habe das Problem und die Formulie- rung wirklich klar genug auf den Tisch gelegt. Wenigstens meine Eloquenz reicht nicht weiter. Stücklen hat die Frage klar gestellt, viele andere auch, Müller-Hermann hat den Kompromiß zustande gebracht. Wir täten uns wohl, einen Sprengstoff aus der Fraktion – eine Fraktion ist eine Gemeinschaft für vier Jahre – herauszunehmen, um handlungs- fähig zu werden. Nehmen Sie die nächste Frage, die nachher kommt. Da kommt das wieder mit der Klei- nen Anfrage: Fraktion grünes Licht oder nicht hinsichtlich der unglaublichen Stel- lungnahme des Deutschen Industrie- und Handelstages.23 Meine Damen und Herren, und da kommen noch wer weiß wie viele Fragen in dieser Periode. Wir sind nicht hand- lungsfähig, weil wir hier wissen, hier bröselt es. Und das soll nicht sichtbar werden, also tun wir gar nichts. Das bekommt uns nicht gut, wenn wir ins Ziel 1969 kommen wol- len. Und wir haben die Halbzeit hinter uns. Es ist erlaubt, an die Wahlen zu denken. Häussler: Ich glaube, daß die Frage jetzt so klar gestellt ist, daß wir heute über die Sa- che abstimmen sollten. Und darüber hinaus erlaube ich mir, wiederholt daran zu erin- nern, daß die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes eilbedürftig ist, denn die Betriebsratswahlen rücken in wenigen Wochen heran, also muß das Gesetz behandelt und verabschiedet werden. Weimer: Bei dieser Debatte zwingt die Redlichkeit dazu, auf eine ganz glasklar und glashart gestellte Frage sowohl des Vorsitzenden als auch des Kollegen Stücklen eine ebenso klare Antwort zu geben, und daher glaube ich, sagen zu müssen, darauf auf- merksam machen zu müssen, daß es nicht ausgeschlossen ist, daß anläßlich der Einbrin- gung dieser Initiative nicht aus dieser Fraktion, sondern beim Koalitionspartner Dinge

23 Vgl. hierzu Protokoll der Fraktionssitzung vom 3. Oktober 1967, TOP 5. Copyright © 2017 KGParl Berlin 16

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hochgespielt werden in einer Weise in der Mitbestimmungsfrage, von denen ich meine, daß ein nicht unbeachtlicher Teil dieser Fraktion das dann ohne aktive Beteiligung an dieser Frage nicht durchsteht. Barzel: Ich bin Herrn Weimer dankbar, jede redliche Auskunft ist besser, als darüber hinwegzureden. Ohne die Initiative Minderheitenschutz passiert in dieser Periode nichts. Mit der Initiative Minderheitenschutz entsteht die Gefahr, nicht die Gewißheit, eines weitergehenden, die Mitbestimmung ausweitenden Antrages der SPD. Frage: Halten wir das durch, das notfalls abzulehnen? Uns interessiert am Schluß die Mehrheit im Hause, meine Damen und Herren. Müller-Hermann: Ich möchte zwei Feststellungen treffen, zunächst in Ergänzung zu dem, was Kollege Häussler gesagt hat. Wir sollten unter allen Umständen das Thema heute abschließen. Die Vorlage ist eilbedürftig, wenn sie dem Sinn entsprechen soll, den viele Kollegen in diese Vorlage hineinbringen wollen. Herr Kollege Weimer hat sicher- lich die einzig richtige Frage gestellt, auf die wir heute eine Antwort geben müssen. Daß die SPD möglicherweise eine Initiative starten könnte, darüber sind wir uns im klaren. Und wir müssen meines Erachtens hier heute die Gewißheit haben, daß eine solche Initiative aus den Reihen der SPD aus unserer Fraktion heraus keine Unterstützung im Parlament findet, daß in der Frage der Ausweitung der Mitbestimmung im Laufe dieser Legislaturperiode nicht durch unsere Unterstützung eine Entscheidung in irgendeiner Form getroffen wird. Ich glaube, hierauf sollten wir jetzt Antwort geben. Burgbacher: Ich möchte an alle unsere Arbeitnehmerfreunde den herzlichen Appell richten, dem Antrag unseres Vorsitzenden zuzustimmen. Ich teile voll und ganz die Bedenken unseres Freundes Stücklen. Wem es auf Erweiterung der Mitbestimmung ankommt von unseren Arbeitnehmerfreunden, der muß aber doch seine Vorstellung einbeziehen in die politische Wirklichkeit. Und wenn jetzt in dieser Legislaturperiode etwas geschehen würde, könnte das zur Koalitionsfrage werden, und es würde mehr Porzellan zerschlagen und auf der Strecke bleiben, als an politischem Vorteil vor allem für uns in der CDU herauskäme. Und deshalb meine ich, wir sollten zustimmen, daß wir – und das ist schon ein Risiko – die berechtigte Minderheitenschutzvorlage einbrin- gen, daß wir im übrigen aber so eine Art Rütlischwur schwören. Wenn dann vom Koa- litionspartner Erweiterungsanträge kommen, daß wir dann entsprechend unserem Be- schluß, den wir hoffentlich fassen werden, sagen, entsprechend der Abrede bei Beginn der Koalition müssen wir bitten, in dieser Legislaturperiode über dieses Thema nicht weiter zu sprechen. Wir gehen das Risiko ein, daß unser Koalitionspartner dann sagt, mit der Vorlage zum Minderheitenschutz habt ihr die Koalitionsabrede bei der Grün- dung der Koalition, in dem Thema nichts zu tun, euerseits verletzt, also sind auch wir frei. Das ist auch drin. Aber entscheidend ist, daß wir jetzt zu einer politischen Willens- kundgebung kommen, die keiner Stellungnahme zur Sache für die Zukunft vorgreift. Barzel: Ich weiß im Augenblick nicht recht, wie ich weiter verfahre. Das passiert nicht allzu häufig. Die Mehrheitsentscheidung nutzt hier wenig, deshalb weiß ich so schwer, wie man hier am besten verfährt. Ich würde zunächst einmal uns gerne damit helfen und mir auch hier erlauben, die kühne Frage zu stellen, ob wir noch mehr Kollegen haben, die hier einen Vorbehalt anzumelden wünschen aus Gründen des Umgangs miteinan- der, wie Herr Weimer das getan hat. Das, glaube ich, sollte man noch ein bißchen fest- stellen. Russe (Bochum): Ich fühle mich verpflichtet, eine weitere Überlegung in die Diskussi- on zu werfen: Die Christlich Demokratische Union ist auf die Wähler, die aus der Ar- beitnehmerschaft kommen, angewiesen. (Zwischenruf: Mindestens 30 Prozent!) Herr Kollege Stücklen, ich will keine Prozentzahl sagen, das ist im Augenblick nicht interes- Copyright © 2017 KGParl Berlin 17

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sant. Wenn diese Vorlage eingebracht wird, veranlaßt sie den Koalitionspartner, eine andere Vorlage einzubringen, die die Ausweitung der Mitbestimmung zum Inhalt hat – verzeihen Sie –, die die Ausweitung der Mitbestimmung zum Ziele hat. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, weil sich dann für die Christlich Demokratische Union und für diese Fraktion die politische Frage stellt, wie sie diese Vorlage der SPD beant- wortet. Wie kann man sagen, wir haben einen Fraktionsbeschluß, wenn er erst heute zustande kommt? Was das für den politischen Gegner im Wahlkampf und für die dahinterste- henden Gewerkschaften bedeutet, ich glaube, das dürfte jedem klar sein. Ich warne also davor, in einem solchen Junktim jetzt hier einen Beschluß zu fassen, der uns nachher in einer notwendigen politischen Entscheidung um der Wahl willen bindet, was unter Umständen mehr als gefährlich werden könnte. Dabei darf ich ergänzend vorschlagen, daß ich mit den Rednern vor mir der Auffassung bin, und auch mit Ihnen, Herr Vorsit- zender, aufgrund der Koalitionsgespräche bei Beginn der Koalition und aufgrund der Situation in unserer Partei in dieser Legislaturperiode die Ausweitung der Mitbestim- mung nicht mehr in irgendeiner Form anzugehen. Trotzdem bleibt für mich das Bedenken: Kommen Sie zu einem solchen Beschluß, be- deutet das unter Umständen ein Politikum, von dem wir nicht mehr herunterkommen und das uns größere Schwierigkeiten macht, als wenn dies, was jetzt ist, passieren darf. Darüber mag die Fraktion entscheiden. Ich darf um Verständnis bitten, daß ich diesen Vorbehalt anmelden muß. Für mich ist das eine wesentliche politische Frage, und ich kann unter diesen Aspekten weder der Vorlage zustimmen noch dem Junktim meine Zustimmung geben. Ich müßte mich der Stimme enthalten, um nicht irgendwelche anderen Überlegungen in der Fraktion zu torpedieren. Ich bedanke mich. Exner: Ich möchte eigentlich sagen, daß wir den ganzen Fragekomplex doch sehr ein- gehend heute nachmittag erörtert haben. Und ich muß hinzufügen, daß ich meinen Kollegen Russe in seinem Standpunkt, den er hier eben vertreten hat, ganz und gar nicht verstehen kann. Ich bin nicht der Auffassung, daß wir mit der Entscheidung, die der Herr Fraktionsvorsitzende, sein Stellvertreter und Kollege Blank und einige anderen Kollegen hier an uns gestellt haben oder von uns erwarten, daß diese Entscheidung durchaus ein solch hohes Politikum ist, wie es hier dargestellt ist. Sicherlich ist das eine sehr wichtige Frage. Aber ich bin der Auffassung, daß wir, wenn wir dieser Entschei- dung unsere Zustimmung geben werden, dann nicht für immer und alle Zeiten etwa unsere Auffassung über die Mitbestimmung kundgetan haben, sondern wir bringen nur zum Ausdruck, daß wir zu diesem Zeitpunkt uns an die Absprache halten und uns gebunden fühlen, die bei der Bildung dieser Großen Koalition zwischen den Koaliti- onsparteien getroffen worden ist. Ich möchte deshalb für meine Person wenigstens zum Ausdruck bringen, daß ich es für die richtige Lösung halte, wenn wir dem Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden zustim- men und zu dieser Vereinbarung kommen, wie sie hier vorgeschlagen ist. Porten: Wer aus Anlaß des 15jährigen Inkraftseins des Betriebsverfassungsgesetzes die Pressekommentare verfolgt hat, wird feststellen müssen, daß – gerade von den beiden Sozialpartnern her betrachtet – sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten wurden. Kein geringerer als der stellvertretende DGB-Vorsitzende Beermann hat noch in den letzten Tagen in sieben Punkten24 – ich glaube, in allen maßgebenden Blättern ist es abgedruckt – die Forderungen des DGB herausgestellt.

24 Zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes erklärte der stellvertretende Vorsitzende des Deut- schen Gewerkschaftsbundes, Hermann Beermann, in einem Interview mit dem Sozialpolitischen Copyright © 2017 KGParl Berlin 18

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Wenn ich die Diskussion im Arbeitskreis IV heute morgen auf mich wirken lasse, dann ist in einigen Anmerkungen der Kollegen aus der Arbeitnehmerschaft in der Fraktion, in der Gruppe der Arbeitnehmer, um deren Anliegen es geht, im Augenblick keine einheitliche Meinung erkennbar. Das muß ich einmal feststellen. Das war heute morgen sehr deutlich. Ich bin den Kollegen dankbar, daß die Auffassung in dieser Klarheit und Deutlichkeit heute morgen vertreten war. Darum habe ich Sorge, selbst wenn es hier zu einer Mehrheitsentscheidung kommt, daß die Kollegen, die ihre Bedenken angemeldet haben, in der entscheidenden Stunde im Plenum, wenn die SPD antritt – sie wird antre- ten, davon bin ich überzeugt –, das durchhalten, was sie wünschen. Ich mahne also zur Vorsicht. Parlamentarischer Staatssekretär [...]:25 Ich erinnere mich an Situationen vor sechs Jah- ren, als zwar über ein anderes Thema ähnliche Diskussionen hier in der Fraktion ge- führt worden sind, die dann leider nicht durch eine Entscheidung abgeschlossen wur- den. Wenn man damals den Mut gehabt hätte, durch eine Abstimmung zu entscheiden, hätten wir vielleicht heute ein ganz schweres Problem nicht. Wenn ich nun betrachte, was hier gesagt worden ist und wie offen alles dargelegt worden ist, daß auch dem let- zen erkennbar geworden sein muß, über was er jetzt entscheidet, dann glaube ich, bleibt gar nichts anderes übrig, als nun wirklich abzustimmen und festzustellen – denn nur dadurch können wir feststellen, wie groß oder wie wenig groß die Mehrheit oder die Minderheit in dieser Frage ist. Mick: Ich habe bei dieser Novelle nie einen Hehl aus meiner Meinung gemacht, daß nur der erste Schritt frei ist, nämlich der Schritt, daß wir eine Novelle einbringen. Was da- nach passiert – so habe ich gesagt –, haben wir nicht in der Hand. Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich nicht bereit sein kann, nach bestem Wissen und Gewissen, hier einen Preis für eine Sache zu zahlen, die ich noch gar nicht kenne. Dichgans: Es sind hier zwei Vorbehalte gemacht worden. Der erste Vorbehalt betrifft die sogenannte Aushöhlung der Mitbestimmung, also den Fall, daß sich Tatbestände ereignen, bei denen nach dem gegenwärtigen Gesetz die qualifizierte Mitbestimmung in eine Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz umgewandelt werden müßte. Wenn Sie hier Vorbehalte haben, so ist das juristisch auch eine Ausdehnung der Mitbe- stimmung, weil sie eine Änderung des Gesetzes erfordert. Aber ich wäre bereit, das Risiko einzugehen und würde Herrn Barzel darin folgen, daß wir uns die Fälle einzeln ansehen. Ich glaube, daß wir hier Lösungen finden. Aber, Herr Russe, was Sie darüber hinaus gesagt haben, hat mich doch sehr erschreckt. Sie haben nämlich gesagt: Wenn von anderer Seite eine Ausdehnung der Mitbestim- mung vorgeschlagen wird, das heißt der qualifizierten Mitbestimmung, werde ich, Rus-

Nachrichtendienst der Deutschen Presse-Agentur: »Einige der wichtigsten und dringendsten Punkte, die bei einer Novellierung zu berücksichtigen wären, sind folgende: 1. Stärkung der Stellung des Be- triebsrats und der Gewerkschaften in der Betriebsverfassung. 2. Ausdehnung der Mitbestimmungs- rechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten auf Tatbestände, die bisher der einseitigen Rege- lungsbefugnis des Arbeitgebers unterliegen. 3. Einräumung eines echten Mitbestimmungsrechts bei Entscheidungen in personellen Angelegenheiten. 4. Verbesserung der Beteiligungsmöglichkeiten des Betriebsrats insbesondere bei unternehmerischen Maßnahmen, die zu Nachteilen für die Arbeitneh- mer führen können. In diesem Zusammenhang sollte auch der Wirtschaftsausschuß eine stärkere Stel- lung erhalten. 5. Erweiterung der Rechte der Jugendvertretung. 6. Einführung eines Kündigungs- schutzes für Jugendvertreter, für Betriebsratskandidaten und für Mitglieder des Wahlvorstands. 7. Erleichterung der Bildung von Betriebsräten durch Neuregelung der Wahlvorschriften.« Für den Wortlaut vgl. »Arbeitnehmerinteressen im Betriebsverfassungsgesetz nicht genügend berücksichtigt«, in: »DGB-Informationsdienst (ID)«, Nr. 13 vom 3. Oktober 1967. 25 Nicht zu ermitteln, welcher Parlamentarische Staatssekretär hier das Wort nahm. Copyright © 2017 KGParl Berlin 19

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se, wohl dafür stimmen müssen. Sie haben vorher darauf hingewiesen, daß dies für die Arbeiter eine so große Bedeutung hat. Und ich würde sagen: In einer Welt der Tatsa- chen müssen Sie damit rechnen, daß das so gedeutet wird, ob mit Recht oder mit Un- recht, wenn Sie das hier nicht ganz klarstellen. Ich möchte doch etwas an die Erfahrung beim Zahnarzt erinnern. Diese Mitbestim- mung ist ein schmerzender Zahn, und wir gehen also dauernd daran und drücken an diesem Zahn. Das vermehrt nur die Schmerzen, ohne daß dabei etwas herauskommt. Deshalb würde ich doch vorschlagen, daß wir es uns noch einmal überlegen – unter Umständen um den Preis einer Vertagung hier in unserer Fraktion –, was die politi- schen Initiativen angeht, auch dann, wenn Initiativen von der anderen Seite kommen. Wenn das nicht möglich ist, Herr Russe, würde es mir sehr schwer fallen, hier jetzt einem Gesetz zum Minderheitenschutz zuzustimmen, das ich persönlich für sehr nütz- lich halte und dem ich gern zustimmen möchte, wenn Sie mir hier nicht die Sorge ge- ben, daß das zu den Konsequenzen führt, die Sie eben angedeutet haben. Und, Herr Russe, ich möchte Sie noch einmal bitten, auch die Konsequenzen zu überle- gen, die von Herrn Stücklen angeschnitten worden sind für die Beruhigung der Wirt- schaft. Ich bin überzeugt, daß die Frage der Mitbestimmung auf beiden Seiten weit überspielt wird. Sie ist ein Element zur Beunruhigung auch im Wirtschaftlichen, und ich glaube, Sie leisten uns politisch einen Dienst, wenn Sie mit daran arbeiten, daß wir darüber im Jahre 1969 wieder reden. Varelmann: Mit dieser Gesetzesvorlage dienen wir nicht allein unseren Freunden. Wir haben gleichzeitig mitzubedenken, daß wir links- und rechtsextremen Gruppen das Eindringen in die Betriebsräte wesentlich leichter machen. Das halte ich in der heutigen Zeit für eine so schwerwiegende Sache, die wir auf alle Fälle zu beachten haben. Und ich habe deshalb gewisse Bedenken. Kalinke: Ich wollte mich zuerst bei Herrn Dr. Barzel bedanken, daß wir hier zum ers- ten Mal – im Arbeitskreis haben wir das öfter gemacht – über ein verhältnismäßig hei- ßes Eisen eine so freimütige Aussprache haben. Ich bin gar nicht entsetzt, sondern ei- gentlich erfreut darüber, daß einige Kollegen ganz freimütig gesagt haben, wie das so ist. Aber ich meine, da ich weder dem DGB noch der DAG angehöre, kann ich von dieser Sache als CDU-Mitglied sprechen. Wir stehen doch jetzt in der Großen Koalition in der prekären Situation, daß wir uns viel schwieriger, als das früher war, bewegen müs- sen. Wenn früher – was wir oft erlebt haben – eine Gruppe bei uns sagte, wenn ihr dies nicht tut, dann kommen die anderen und bringen den Antrag initiativ ein, kam die Schwierigkeit, daß wir ein Bild der Nichtgeschlossenheit abgaben. Es gibt viele Proble- me, wo das gar nicht schlimm ist, wenn ein halbes Dutzend eine andere Meinung hat. Aber es gibt einige Probleme, die sind geradezu allergisch für die deutsche Öffentlich- keit, dazu zählt auch das Problem der Mitbestimmung, der Ausweitung der Mitbe- stimmung. Und es ist auch gar kein Zweifel, daß die Öffentlichkeit, die Presse und das Fernsehen und das Ausland fragen werden, wie wird sich hier die Christlich Demokra- tische Union verhalten? Und darum meine ich, ist es einfach dringend notwendig, daß der Fraktionsvorsitzende oder der Vorstand wissen muß, wie wird diese Fraktion sich bei der Abstimmung ver- halten. Nun gibt es bei der Abstimmung Möglichkeiten, dabei zu sein oder nicht dabei zu sein. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, daß zwischendurch Gespräche hin- und hergehen. Und da gibt es doch bei einem solch heißen Eisen nur dies: Haben wir als Fraktion wirklich die Kraft, diese Sache herunterzunehmen von der Ebene der Ausei- nandersetzung der verschiedenen Gewerkschaften untereinander? Und da glaube ich, es Copyright © 2017 KGParl Berlin 20

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wäre erreichbar. Und ich habe es heute morgen auch im Arbeitskreis gesagt, ich würde es sehr begrüßen, wenn Kollegen wie Kollege Stücklen und Mittelständler und andere diesen Minderheitenschutzantrag auch unterschreiben würden, wenn das nicht nur eine Arbeitnehmersache ist, sondern eine Sache, die von der demokratischen Grundsatzfrage her von einer breiten Schicht hier vertreten wird, hier in der Fraktion. Wenn wir das auch nicht diskutieren als ein Versprechen des Bundestagsmitglieds Brandt oder des SPD-Vorstandes an die DAG oder unserer Fraktion an die DAG oder die Christlichen Gewerkschaften oder Arbeitnehmergruppen, sondern dies ist eine Kernfrage, die wir eigentlich schon vor zehn Jahren hätten lösen müssen, wie es mit dem Recht der Min- derheiten und dem Minderheitenschutz in der Demokratie bestellt ist. Ich bekenne mich auch zu diesem Recht der Minderheit und zum Minderheitenschutz. Ich meine aber, daß wir es fertigbringen sollten, nun in diesem Punkte eine CDU- Meinung zu haben. Und ich bitte die Kollegen, deren Schwierigkeiten ich durchaus verstehe, speziell den Kollegen Russe, doch hier zu überlegen, ob dies nicht eine großar- tige Sache wäre, wenn wir in dieser so heißen Situation dieser Gewerkschaft einmal sagen würden: Hier geht es nicht um diesen Streit, hier geht es um die Christlich De- mokratische Union, die der Großen Koalition einmal deutlich machen muß, daß sie auch geschlossen Nein sagen kann, selbst wenn das zutrifft, was uns hier als Androhung aus der SPD bekanntgegeben wird. Ich bin mit dem Kollegen Blank der Meinung, daß die Sozialdemokraten genau wie wir eine Mehrheit haben wollen. Auch die werden sich sehr überlegen müssen, ob sie in dieser allergischen Frage es sich erlauben können, den gesamten Mittelstand und die gesamte Wirtschaft, die ja doch hier empfindlich reagiert, gegen sich zu bekommen. Und deshalb glaube ich, genau wie Kollege Blank, daß die Erklärung des Herrn Schel- lenberg nicht so heiß gegessen wird, wie er sie uns vorträgt. Ich würde Sie herzlich bit- ten, zu überlegen, ob es nicht gut ist, wenn wir dieses Thema heute beenden. Natürlich kann jeder in der Evangelischen oder Katholischen Akademie dazu sagen, was er will. Das ist selbstverständlich, daß wir uns dort auseinandersetzen müssen. Aber es wäre natürlich gut, wenn wir uns in der Sprachregelung auch darüber einig werden könnten, in diesen Akademien zu sagen: Für unsere Fraktion stehen wir dazu, daß in dieser Le- gislaturperiode von einer Ausweitung der Mitbestimmung nicht die Rede sein soll. Das hat uns auch die SPD zugesagt. Ich würde das ganz freimütig überall den Arbeitneh- mern sagen. Müller-Hermann: Ich möchte noch einmal ein ganz kurzes Wort an unsere Kollegen aus der Arbeitnehmerschaft richten. Im Grunde stehen wir vor dem Risiko, daß von anderer Seite zwei Themen miteinander gekoppelt werden, die im Grunde nichts mitei- nander zu tun haben, außer dem Aufhänger Betriebsverfassungsgesetz. Das ist der Min- derheitenschutz und das andere Thema die Ausweitung der Mitbestimmung. Über die Ausweitung der Mitbestimmung müssen wir uns parteiintern zunächst einmal verständigen, und wir müssen dem Risiko vorbeugen, daß jetzt mit unserer Unterstüt- zung dieses andere Thema, das auch unter dem Dach Betriebsverfassungsgesetz steht, mit in die Diskussion und mit zur Entscheidung gebracht wird. Ich glaube, hier können wir wirklich auch von Ihrer Seite um Verständnis bitten, daß wir dieses Risiko ausräu- men. Ich glaube, Herr Vorsitzender, wir müssen jetzt eine Entscheidung in der Fraktion treffen. Wir müssen notfalls in Kauf nehmen, daß eine kleine Minderheit sich diesem Ersuchen nicht anschließen kann. Russe (Bochum): Ich bin vom Kollegen Dichgans angesprochen worden und möchte darauf antworten. Herr Kollege Dichgans, Sie haben mich völlig mißverstanden. Ich habe in meiner Ausführung vorhin mit keinem Wort zum Ausdruck gebracht, daß ich Copyright © 2017 KGParl Berlin 21

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für die Ausweitung der Mitbestimmung wäre. Ich darf das wiederholen, was ich gesagt habe: Es bleibt dabei, daß bei der Begründung dieser Koalition eine Koalitionsabspra- che getroffen worden ist, die Frage im Zuge der Royal Commission zu klären. Und es bleibt dabei – ich darf Sie erinnern an das Rheinstahl-Gesetz26, wie es jetzt kommen- tiert wird, daß damals die Erklärung abgegeben worden ist, in dieser Legislaturperiode diesbezüglich keine Weiterung, keine Ergänzung.27 Ich war an der Fassung des Textes beteiligt, also können Sie mir jetzt nicht unterstellen, daß ich eine andere Meinung hät- te. Ich habe keine andere Meinung. Das Zweite: Die Frage der Lösung der Meinungsgruppen, nicht der Minderheitengrup- pen, ist im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes eine uralte Sache, die in meiner ehemaligen Stellung als Hauptgeschäftsführer der Sozialausschüsse von mir angepackt worden ist. Durch die Unterstützung des Kollegen Blank ist am 2. 2. 1962 die Wahlord- nung geändert worden, um die Meinungsgruppen und damit auch die Minderheits- gruppen in eine gewisse bessere demokratische Ausgangslage zu bringen.28 Wir haben damals schon gesagt, das Gesetz muß geändert werden. Das Gesetz muß das, was jetzt als Ermächtigungsgrundlage für die Wahlordnung ausreicht, in Form einer Änderung aufnehmen. Eine klare Basis. Und nun kommt das, was ich maßgeblich für mich persönlich zum Ausdruck gebracht habe: Ich frage Sie, wenn dieses Gesetz nun eingebracht wird, und es kommt von einer anderen Seite – woher auch immer – ein Antrag auf die parlamentarische Bühne dieses Hauses, die Mitbestimmung auszuweiten, kommt dann nicht für die Union der Christ- lichen Demokraten und für die Fraktion die politische Frage unter Berücksichtigung der Wählerschaft der Arbeitnehmer des deutschen Volkes, ob man dann bei einem sol- chen Druck, gestützt von gewissen anderen Gruppen in unserer Gesellschaft, bei die- sem Beschluß, den Sie als Junktim gefaßt haben wollen, verbleiben kann. Das ist meine Sorge, ob Sie dann aus politischen Gründen heraus weiterhin Nein sagen können, ob Sie dann um der politischen Optik, Psychologie und der Wahl, der bevorstehenden Bun-

26 Gemeint ist das »Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbe- stimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie« vom 27. April 1967, BGBl. 1967 I S. 505. Dadurch wurde das erweiterte Mitbestimmungsrecht in allen Betrieben, in denen es am 1. Januar 1966 bestan- den hatte, aufrechterhalten. Nach geltendem Recht hätte in einigen Konzernen – der bekannteste Fall war die »Rheinische Stahlwerke AG« – das erweiterte Montan-Mitbestimmungsgesetz dem normalen Mitbestimmungsrecht nach dem Betriebsverfassungsgesetz weichen müssen, weil diese Konzerne durch Änderung der Produktionsprogramme und durch Fusionen mit anderen Unternehmen nicht mehr die Voraussetzung erfüllten, dass mehr als 50 Prozent der Produktion auf Kohle, Eisen oder Stahl entfielen. 27 Gemeint ist die Erklärung des Abgeordneten Müller (Remscheid) im Deutschen Bundestag am 15. März 1967, in der es u. a. hieß: »Die Frage der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft ist in den letzten Jahren zunehmend und mit unterschiedlicher Argumentation diskutiert worden. Auf Grund dieser Situation hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 13. Dezember 1966 gesagt, daß die Bundesregierung eine Kommission unabhängiger Sachverständiger berufen wird, um sie mit der Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung als Grundlage weite- rer Überlegungen zu beauftragen. Erstens. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD geben ihrer Überzeugung Ausdruck, daß nach Abschluß der Beratungen dieser Kommission das gesamte Prob- lem der wirtschaftlichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer sachverständig vorgeklärt ist, damit im Anschluß daran politische Entscheidungen getroffen werden können. Zweitens. Aus diesem Grunde vertreten die Koalitionsfraktionen den Standpunkt, daß bis zum Abschluß dieser Arbeiten am Status quo der Mitbestimmung nichts geändert werden soll.« Für den Wortlaut vgl. BT STEN. BER., 5. Wahlperiode, 98. Sitzung am 15. März 1967, S. 4519. 28 Gemeint ist die »Bekanntmachung der Neufassung der Wahlordnung für die Sozialversicherung« vom 23. Februar 1962, BGBl. 1962 I S. 104. Copyright © 2017 KGParl Berlin 22

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destagswahl 1969 willen diesen Beschluß aufrechterhalten können. Da habe ich ernst- hafte Sorgen. Und das bewegt mich, diesem Junktim nicht zuzustimmen. Exner: Ich darf zunächst noch einmal sagen, daß ich also dagegen bin, daß wir diese Frage erneut vertagen. Wir haben die Sache sehr gründlich erörtert und haben sie heute noch einmal von allen Seiten beleuchtet, und ich meine, es sei wirklich nicht mehr zu erwarten, daß noch wesentlich neue Gesichtspunkte dabei herauskommen könnten. Zum anderen möchte ich auf folgendes hinweisen. Ich glaube, daß der Beschluß, der heute von uns gefordert wird, im Grunde genommen nur eine Bekräftigung des glei- chen Beschlusses ist, den die Fraktion in der gleichen Angelegenheit in der letzten Sit- zung vor den Parlamentsferien bereits gefaßt hat. Wir haben uns damals mit überwälti- gender Mehrheit hinter den Beschluß gestellt, daß in der Vorlage die Frage der Mitbe- stimmung ausgeklammert sein soll. Und heute wird ja im Prinzip nichts anderes gefor- dert. Es ist nur ergänzend hierzu darauf hingewiesen worden, welch weitere Konse- quenzen sich daraus ergeben könnten. Ich für meine Person kann Ihnen noch einmal sagen, als ich dem Kompromißvorschlag zugestimmt habe, in dem die Mitbestimmungsfrage ausgeklammert wurde, bin ich mir völlig klar darüber gewesen, daß dies selbstverständlich im Extremfall auch heißen muß, daß ich mich inhaltlich voll hinter diesen Beschluß stellen muß, das heißt, wenn eine solche Alternative auftaucht, wie sie hier und heute mehrfach aufgezeigt wurde, werde ich mich nicht scheuen, unten im Plenum ebenfalls mit ganzer Deutlichkeit hervorzu- heben, daß es für mich zweierlei Dinge sind. Sie sind beide wichtig. Aber ich habe mich bei der damaligen Verabschiedung, bei dem damaligen Beschluß, diesen Kompromiß- vorschlag als Vorlage zu verabschieden, inhaltlich voll dahintergestellt. Und für mich kann es keine Frage sein, daß ich das auch bei der Alternative, die hier mehrfach aufge- zeigt worden ist, unten im Plenum so sehen würde und so vertreten würde. Und ich füge noch einmal hinzu, und ich würde sogar Wert darauf legen, daß bei der Debatte um diese Dinge das von unseren Sprechern unten ebenfalls sehr deutlich her- vorgehoben werden muß, daß für uns damit die Frage der Mitbestimmung nicht end- gültig gelöst ist, sondern daß wir nur zum Ausdruck bringen, sie soll hier in diesem Zusammenhang gemäß der Absprache zwischen den Koalitionsparteien eben nicht zur Sprache kommen. Deswegen würde ich vorschlagen, Herr Vorsitzender, daß wir heute hier zu einer Entscheidung kommen. Müller (Berlin): Ich glaube, es ist noch nicht vielen klar, daß es sich bei diesem Entwurf eigentlich nur um die Bildung der Organe und Verfahrensfragen im Rahmen des Be- triebsverfassungsgesetzes handelt, also gar keine Fragen der Mitbestimmung berührt werden. Ich habe heute schon zweimal an verschiedenen Orten darauf hingewiesen, wir sollten uns endlich so verständigen, daß wir auch das gleiche darunter verstehen. Ich habe ein gewisses Verständnis für meine Kollegen aus dem DGB und darf ihnen deshalb auch versichern, daß ich ohne weiteres mit ihnen übereinstimme, daß die Frage des Mitbestimmungsrechtes oder auch die weitere Entwicklung der Mitbestimmung im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes erneut diskutiert werden kann, wenn es eine Koalitionsabsprache gibt. Doch noch gilt die Koalitionsabsprache, wonach die Frage der Mitbestimmung erst dann aufgegriffen werden kann, wenn eine Gutachterkommis- sion ein entsprechendes Gutachten vorgelegt hat. Daher verstehe ich nicht, wenn ich erwarten darf, daß das in den nächsten zwei Jahren nicht geschieht oder höchstens Ende des Jahres 1969 oder der Legislaturperiode, warum man das Minderheitenrecht nicht unabhängig davon ausbauen soll im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes. Ich möchte ein Zweites sagen. Wer von uns in unserer Fraktion ist eigentlich nicht der grundsätzlichen Auffassung, daß eine wirkliche Demokratie nur unter Wahrung der Copyright © 2017 KGParl Berlin 23

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Rechte auch der Minderheiten verstanden werden kann. Das ist eigentlich eine verfas- sungsrechtliche Frage. Oder wie es unser Freund Stingl gestern bei der DAG gesagt hat: Unser Entwurf, der von der Fraktion verabschiedet worden ist, bedeutet nichts als eine weitere und bessere Demokratisierung innerhalb des Betriebes, hat also – das füge ich jetzt hinzu – mit der Mitbestimmungsfrage an sich nichts zu tun. Ich bitte deshalb, heute zu entscheiden, damit endlich Klarheit herrscht über den weiteren Verlauf der Dinge. Hofmann (Mainz): Ich glaube, wenn wir heute gefragt worden sind, ob diese Mitbe- stimmung beziehungsweise die Entscheidung, die vor uns liegt, nicht ein großes Politi- kum darstellt, so wissen wir, daß dem so ist. Ich habe nur eine Frage an diese Fraktion und in diesem Raum: Gibt es eigentlich bei politischen Fragen bei uns das Gefühl der Solidarität? Es müßte doch möglich sein, bei den Sorgen, die wir in den nächsten zwei Jahren haben, ein weniger wichtiges Problem einmal zurückzustellen, damit die Frakti- onsführung auch politisch führen kann. Man muß doch wissen, wie viele Leute auch mal im Interesse der Gesamtfraktion ein Thema eineinhalb Jahre zurückstellen können oder nicht. Ich glaube, das sollte doch noch in dieser Fraktion möglich sein. Barzel: Ich glaube, jetzt wird es kompliziert. Aber ich glaube, daß das ein guter Vorge- schmack war für die vielen schweren innenpolitischen Entscheidungen, die wir im nächsten halben Jahr zu treffen haben, und ich glaube, die Art, in der wir das debattie- ren, völlig offen und unmißverständlich ist. Es ist die einzige Methode, in der wir hier miteinander weiterkommen können. Es hat keinen Zweck, hier etwas zu kitten. Es gibt Meinungsunterschiede in dieser Frage. Damit stellt sich die Frage, wie wir verfahren. Ich würde raten, das in 14 Tagen zu entscheiden. Ob es dann besser wird oder schlechter, ist eine Frage. An einem wiederum kommen wir nicht vorbei. Es haben ein paar Kollegen hier von großem Rang draußen mit Argu- menten, die wir alle gehört haben, ihre Bedenken angemeldet. Es sind auch Bedenken in der Sache des Minderheitenschutzes vorgetragen worden. Auf der einen Seite sollte man nicht so darüber hinweggehen, auf der anderen Seite sind wir natürlich nur handlungs- fähig, wenn wir auch nach Debatten zu Entscheidungen kommen. Nun frage ich mich im Vorfeld dessen, was wir gleich machen, folgendes – und da bitte ich Theo Blank um seine Beratung. Die Sozialdemokraten haben uns gebeten, bis zur ersten Novemberwoche zu warten, weil sie erst dann votieren können. Dem würde ich an sich gerne entsprechen. Das braucht natürlich nicht zu heißen, daß wir heute nicht entscheiden könnten. Das ist wieder eine andere Frage. Es würde natürlich manches dafür sprechen, in einer solchen Frage unsere Freunde aus der Arbeitnehmergruppe unter dem Vorsitz von Herrn Winkelheide zu bitten, nochmals zusammenzukommen. Ich weiß nicht, ob es da etwas sich zu versprechen gibt. Ich glaube, die Sache ist wirk- lich kontrovers. Und für jeden Standpunkt spricht eine Menge. Müller-Hermann ohne Mikrophon, ist nicht zu verstehen. Rasner: Wir sind im Augenblick nur bei einer Verfahrensfrage. Ich warne in diesem Augenblick davor, zu entscheiden. Ich möchte nicht morgen in der Zeitung lesen, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion entschied mit überwältigender Mehrheit gegen die Warnung ihrer Kollegen aus dem DGB. Ich plädiere dafür, daß die Interessierten noch einmal den Versuch machen, eine Lösung zu finden, die ja unter Umständen auch hei- ßen kann, Zurückhaltung dieses Antrags. Auch dafür sind Stimmen hier gewesen. Und wenn dieser Antrag zurückgestellt wird, kommt von der SPD überhaupt nichts. Ich plädiere dafür, es nochmals zu versuchen. Diese Schlagzeile, also CDU majorisiert mit überwältigender Mehrheit ihre Kollegen im DGB, möchte ich auch morgen nicht ha- ben. Copyright © 2017 KGParl Berlin 24

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Barzel: Sagen kann man hier alles, solange es nicht gerügt werden muß. Und ich glaube, auch der Parlamentarische Geschäftsführer hat das Recht seiner Meinung. Er will auch nicht immer hier nur vortragen aus dem Ältestenrat, sondern sich gelegentlich als Ab- geordneter betätigen. Das ist sein gutes Recht. Stark (Stuttgart): Herr Vorsitzender, ich muß Sie nun persönlich ansprechen. Ich ver- stehe nicht ganz, wie diese Frage hier von Ihnen so ganz eindeutig und klar vorgelegt wurde, wie über sie eine Stunde diskutiert wurde, wirklich offen und ehrlich diskutiert wurde, und nun von vorne, von der Fraktionsführung der Versuch gemacht wird, jetzt wieder nicht zu entscheiden. Wir können bei dem Drang der Arbeit, die vor uns liegt, nicht einfach Probleme anreißen, zwei Stunden diskutieren und dann nicht entscheiden und auf 14 Tage vertagen. Zum Zweiten, wir beschließen nichts anderes – und deshalb, Herr Rasner, vor der Schlagzeile brauchen Sie gar keine Angst zu haben –, wir stehen zu nichts anderem, als was von der Regierung in der Regierungserklärung ganz eindeu- tig und klar gesagt worden ist. Blank: Ich möchte dem Vorschlag von Herrn Rasner widersprechen. Es ist ganz klar: Seit Juni diskutieren wir hier diese Frage. Wollen wir uns draußen eigentlich immer mehr in den Ruf bringen, daß wir nicht in der Lage seien, unsere Probleme zu entschei- den? Gibt es nicht einen wesentlichen Bestandteil der Demokratie, daß durch Abstim- mungen schließlich entschieden wird und daß es dabei eine Gruppe gibt, die ihre Mei- nung behält, das ist doch deren gutes Recht. Wir können gar nicht die Hoffnung haben, daß durch weitere Gespräche die Kollegen, die eben ihre abweichende Meinung dargetan haben, ihre Auffassung etwa änderten. Die Kollegen werden es mir verargen, wenn ich sage, deren Argument ist doch im Grunde genommen eigentlich, daß wir bei dem Kompromiß mit Müller-Hermann aus dem Gesetz eben das entfernt haben, was einer Ausweitung der Mitbestimmung nach Meinung vieler Leute in dieser Frage bedeutete. Das ist doch die Situation. Die muß man doch ganz klar und nüchtern sehen. Was ich nicht erleben möchte, daß nun die SPD den Minderheitenschutz auf den Tisch legt, denn ich will hier nicht preisgeben, was in der Koalitionsbesprechung zu hören war. Aber eine sehr starke Sympathie für die DAG ist unstreitig in der SPD. Und die Ab- stimmung wird uns darüber belehren, wie viele Kollegen nicht zuzustimmen bereit sind. Ich wage jetzt schon, zu sagen, wie groß die Zahl ist, weil doch die Kollegen dan- kenswerterweise immer diese ihre Meinung hatten. Ich bin maßlos erstaunt, daß auf einmal die Flügelbildung in die Diskussion geworfen wird, die möglich ist. Ich bin ein alter Gewerkschaftler, und ich weiß, wie die Dinge im Betriebsrat, in den Ausschüssen und damit hinsichtlich der Wirkmöglichkeiten der Gruppen gemacht werden. Und wenn wir diesen Minderheitenschutz nicht bekommen, dann bekommen wir für unsere christlich-sozialen Kollegen eben nicht die Möglichkeit, im Betrieb in ganz anderer Weise als bisher sich auch den Arbeitnehmern gegenüber zu präsentieren als die Männer, die etwas zur Änderung ihres betrieblichen Schicksals tun können. Und deshalb, meine Freunde, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Man kann eine Frage nicht durch Ausweichen lösen. Man kann eine Frage, wenn sie ausdiskutiert ist, nur durch Abstimmung lösen. Und sollten die Herren von der SPD in der Tat ihrerseits Anträge einbringen, die einer Ausweitung des Mitbestimmungsrechtes zum Ziele hätten, dann könnte ich darauf nur sagen, befindet sich die SPD in der Rolle dessen, der jetzt die Koalitionsvereinbarungen nicht einhält. Und damit werden wir leicht fertig.

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Barzel: Ich begrüße sehr herzlich den Herrn Bundeskanzler, der gleich zu uns sprechen wird. Aber wir wollen diese Sache vorher zu Ende bringen. Darf ich versuchen, die Sache wie folgt hier voranzubringen: 1. Wir bekräftigen die Abrede der Koalition, daß in dieser Periode zunächst der Bericht der gemeinsam eingesetzten Regierungskommission zu diesen Fragen abgewartet wer- den soll. 2. Wir bringen den Minderheitenschutzgesetzentwurf29 ein, der nach unserer Auffas- sung mit den allgemeinen Fragen der Mitbestimmung nichts zu tun hat. 3. Sollte die sozialdemokratische Fraktion das unsachlicherweise zum Anlaß nehmen, ihrerseits einen Gesetzentwurf zur Ausweitung der Mitbestimmung dem Hause vorzu- legen, wird diese Fraktion sich dem nicht anschließen. Das, glaube ich, ist die Formel, die nach dieser Debatte sich ganz genau ergibt. Darf ich das zur Abstimmung stellen? – Die erste Ziffer? Ich nehme getrennte Abstimmung vor. Bekräftigung der Koalitionsabrede. Wer dafür ist, bitte ich um ein Zeichen – Ziffer 1: einstimmig, Ziffer 2: gegen 9 Stimmen bei 3 Enthaltungen, Ziffer 3: gegen 4 Stimmen bei 3 Enthaltungen. Es wird notwendig sein, die Bekräftigung dieses Beschlusses auch dem Partner deutlich zu machen. Wir werden ihn ein bißchen bitten müssen, früher als in der ersten Novem- berwoche zu einem Gespräch zur Verfügung zu stehen. Ich bitte, meine Damen und Herrn, um Verständnis dafür, wenn ich sage, der Bundes- kanzler kommt heute eben aus Berlin hierher. Er ist heute morgen hingeflogen und kommt jetzt zurück, um bei uns zu sein. Wir wollen unseren Dank für diese Bereit- schaft vielleicht auch durch besondere Ruhe hier im Hause, in dem Saal zum Ausdruck bringen. [4. Bericht des Bundeskanzlers] Bundeskanzler Kiesinger: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Ich komme eben von einer Rede, die ich vor dem Kongreß der Deutschen Angestellten Gewerk- schaft gehalten habe, wo ich einen Überblick über unsere Politik, vor allem unsere Deutschland- und Außenpolitik – und zwar im Sinne meiner gestrigen Ausführungen in den Parteigremien, Sie haben das ja in den Zeitungen gelesen30 – gegeben habe31, und ich hatte einen ungewöhnlich starken Beifall der dort Versammelten. Für mich ist das wichtig, auch einmal bei einer solchen Gelegenheit festzustellen, wie die Dinge liegen in unserem Volk. Wir müssen ja immer wissen, ob wir auch soweit mit dem Willen unse- rer Bevölkerung übereinstimmen. Wir haben einen schwierigen Sommer hinter uns, alle wissen es. Der Lärm um die mit- telfristige Finanzplanung ist allmählich abgeebbt. Man sieht vielerorts besser, was diese mittelfristige Finanzplanung soll und was sie nicht kann und auch nicht sollte. Und man sieht, daß das Ziel, das wichtigste Ziel, das sie hat, daß wir die öffentlichen Finanzen der kommenden vier Jahre unter Kontrolle bringen, durch sie erreicht werden wird. Darum bin ich fest überzeugt, daß sie die Aufgabe erfüllt – zwar keine hundertprozentig per- fekte Lösung, das wissen wir alle, denn es war ein Kompromiß, aber zu solchen Kom-

29 Vgl. Antrag der Fraktion der CDU/CSU vom 2. November 1967 betreffend ein Gesetz zur Ände- rung des Betriebsverfassungsgesetzes (BT-Drucksache V/2234). 30 Zu Kiesingers Lagebericht vor dem CDU-Bundesvorstand am 9. Oktober 1967 vgl. CDU-BUNDES- VORSTANDSPROTOKOLLE 1965–1969, S. 659–680. 31 Für den Wortlaut der Rede Kiesingers vor dem DAG-Bundeskongress vgl. BULLETIN, Nr. 111 vom 13. Oktober 1967, S. 949–952. Copyright © 2017 KGParl Berlin 26

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promissen muß man sich eben im politischen Leben immer wieder entschließen, damit nur der Hauptzweck erreicht wird. Wir werden zweitens sicher hoffen können, daß die Wirtschaftsflaute überwunden werden wird. Wir wollen uns zwar nicht unter die alleroptimistischsten Propheten mischen, aber es besteht guter Grund dazu. Wir können von exakten Feststellungen, Fakten in der Gegenwart ausgehen. Ich will mich heute nicht lange bei innenpolitischen Problemen aufhalten. Wir stehen in dieser Woche vor einer außenpolitischen Aussprache im Bundestag, auf die ich aller- größten Wert lege. Ich habe heute früh eine erste Aussprache mit dem Außenminister32 darüber gehabt, bevor ich nach Berlin flog, und werde am Donnerstag mit ihm ausführ- lich sprechen. Ich erwarte mir von dieser Aussprache vor allem eine absolute Klarstel- lung über die Einigkeit der Koalition in den Fragen der Deutschlandpolitik und der Außenpolitik. Ich habe im Parteivorstand und Parteiausschuß dargelegt, daß es eine merkwürdige Lage bei uns gibt, daß zwar hier im Bundestag weithin Einigkeit über die Ziele und Methoden dieser Deutschland- und Außenpolitik bestehen. Eine lange Dis- kussion im Auswärtigen Ausschuß hat mir dies vor kurzem bestätigt.33 Natürlich gibt es Nuancen, Schattierungen, und es gibt auch einige Außenseiter. Aber im ganzen, und vor allem unter den Koalitionspartnern, besteht hier im Hause Einigkeit. Aber diese Einigkeit wird immer wieder zu zerreden versucht, und zwar von solchen Kräften, die eine andere Politik wollen. Ich habe, um einen Arbeitstitel zu haben, darauf hingewiesen, daß diese Kräfte vor allem in der deutschen Publizistik weit vertreten sind, in den Zeitungen, in den Zeit- schriften, im Rundfunk, im Fernsehen. Ich stelle dies ohne jede Wertung fest. Ich muß auf diesen paradoxen Tatbestand hinweisen. Hier in diesem Hause, dem höchsten ge- wählten Willensorgan des deutschen Volkes, ist man sich vor allem in den Regierungs- parteien über diese Politik einig. In dieser weitverbreiteten und machtvollen Publizistik dagegen wird eine klar andere Politik verfolgt. Dort rät man uns und dem deutschen Volke dazu, entweder sofort oder Stufe für Stufe die Existenz eines anderen deutschen Staates anzuerkennen. Meine Damen und Herren, das muß man einmal klar sagen, und zwar deswegen, weil ja der einzelne Deutsche das im ganzen gar nicht verfolgen kann. Er liest ja nur einmal die eine oder andere Zeitung, er hört nur den einen oder anderen Kommentar. Mir liegt es ferne, hier deswegen irgend jemand abzuwerten. Aber da ich diese Politik für absolut lebensgefährlich für unser Volk halte, werde ich mich, solange ich Kanzler bin, gegen eine solche Politik mit allen Kräften wehren (Beifall). Ich habe das heute auch in Berlin gesagt. Ich will keinen Krach, ich will nicht, daß man sich gegenseitig beschimpft und anbellt, wir hier und die anderen drüben. Deswegen habe ich auch in dem letzten Brief gesagt, ich will keine Polemik, die zu nichts führt34; ich will einfach, solange sich die

32 . 33 Gemeint ist die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses vom 7. September 1967, in der Kiesinger einen umfassenden Bericht über die Außenpolitik der Bundesregierung seit Bildung der Großen Koalition gab. In der sich unmittelbar anschließenden Aussprache über den Bericht des Bundeskanzlers stand Kiesinger für Fragen der Ausschussmitglieder zur Verfügung. Für den Wortlaut der Ausschusssit- zung vgl. AUSWÄRTIGER AUSSCHUSS 1965–1969, Nr. 41. 34 Der Vorsitzende des Ministerrats der DDR, Willi Stoph, richtete am 10. Mai 1967 ein Schreiben an Bundeskanzler , das am 11. Mai 1967 im Bundeskanzleramt übergeben wurde. Eingang und Inhalt des Schreibens wurden am gleichen Tag durch die Bundesregierung bekanntge- geben. Stoph schlug direkte Verhandlungen über die »Aufnahme normaler Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten« vor. Er lud Kiesinger zu solchen Verhandlungen nach Ost-Berlin ein und erklärte seine Bereitschaft, sich mit Kiesinger in Bonn zu treffen. Für den Wortlaut des Schreibens Copyright © 2017 KGParl Berlin 27

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deutsche Frage nicht lösen läßt, das tun, was unsere Landsleute drüben mit Recht von uns fordern. Ich will mich dafür einsetzen, daß, solange sie nicht selbst sagen können, was sie wollen und wohin sie wollen, sie wenigstens bekommen, was vernünftigerweise und menschlicherweise in der Zeit der Not der Spaltung getan werden könnte (Beifall). Das ist das, was wir in der Regierungserklärung35 gesagt haben. Und wir haben in der Regierungserklärung ebenso deutlich – lesen Sie es bitte nach – gesagt, daß das keine Anerkennung bedeutet. Ja, wir haben sogar vorsorglich gesagt, wenn zur Erreichung dieser vernünftigen, praktischen, menschlichen Ziele Kontakte mit Behörden des ande- ren Teils Deutschlands nötig seien, dann werden wir um dieser Ziele willen diese Kon- takte aufnehmen, werden sie aber von Fall zu Fall so handhaben, daß daraus keine fal- schen Schlüsse gezogen werden dürfen, als würden wir auf dem Weg zur Anerkennung sein. Das ist die Lage. Wir wissen ganz genau, auch wir können nicht mit dem Kopf durch die Wand. Deswegen wollen wir auch in den Methoden dieser Politik so vorgehen, daß wir uns nicht der Lebensinteressen nur unseres eigenen Volkes bewußt sind, sondern daß wir uns bewußt bleiben unserer Verantwortung für den Frieden in Europa und in

vgl. DOKUMENTE ZUR DEUTSCHLANDPOLITIK V/1 (1966/67), S. 1115–1117. In seinem Antwort- schreiben vom 13. Juni 1967 erklärte Kiesinger, solange die Lösung der deutschen Frage nicht mög- lich sei, müsse im Interesse des Friedens und der Entspannung in Europa nach innerdeutschen Rege- lungen gesucht werden, welche die Beziehungen zwischen den Deutschen in Ost und West förderten. Kiesinger schlug vor, dass Beauftragte beider Seiten ohne politische Vorbedingungen Gespräche über praktische Fragen des Zusammenlebens der Deutschen aufnehmen sollten. Der Brief des Bundes- kanzlers wurde in der DDR nicht veröffentlicht. Für den Wortlaut des Schreibens vgl. ebd., S. 1277– 1279. Stoph beantwortete den Brief Kiesingers am 18. September 1967. Er übte scharfe Kritik an der »Alleinvertretungsanmaßung« der Bundesregierung, forderte erneut Verhandlungen zwischen den beiden Regierungschefs und übersandte den »Entwurf eines Vertrages über die Herstellung und Pfle- ge normaler Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepub- lik Deutschland«, durch den die gegenseitige völkerrechtliche Anerkennung ausgesprochen werden sollte. Für den Wortlaut des Schreibens nebst Vertragsentwurf vgl. ebd., S. 1668–1671. In einer Erläu- terung seines Schreibens, die er am 20. September 1967 vor der Volkskammer gab, erhob Stoph den Vorwurf, die Bundesregierung wolle die DDR der Bundesrepublik »einverleiben«. Wer menschliche Erleichterungen wolle, müsse zuerst »die menschlichste aller Fragen«, die Sicherung des Friedens, lö- sen. Für den Wortlaut der Rede vgl. ebd., S. 1690–1702. Kiesinger stellte sich in seiner Antwort vom 28. September 1967 auf den Standpunkt, dass gegenseitige Polemik nicht weiterführe. Er hielt an sei- nen Vorschlägen für innerdeutsche Regelungen fest und erklärte, dass zu Verhandlungen darüber der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes zur Verfügung stehe. Für den Wortlaut des Schreibens vgl. ebd., S. 1733. In einer Fernsehansprache am folgenden Tage bezeichnete der Bundeskanzler den Ost- Berliner Vertragsentwurf als »Teilungsvertrag«; das sei eine politische Vorbedingung, auf die die Bundesregierung nicht eingehen könne. Für den Wortlaut der Fernsehansprache vgl. ebd., S. 1737 f. In einem Interview für den Deutschlandfunk vom gleichen Tage wies Kiesinger darauf hin, dass im Rahmen des von ihm vorgeschlagenen Verhandlungsprogramms auch »alle möglichen neuen Vor- schläge« erörtert werden könnten. Für den Wortlaut des Rundfunkinterviews vgl. ebd., S. 1738–1740. Auch dieser Brief Kiesingers wurde in der DDR nicht veröffentlicht. Das Presseamt des Ministerrats der DDR veröffentlichte am 29. September 1967 eine Stellungnahme, in der es hieß, Kiesinger sei mit keinem Wort auf die »konstruktiven und sachlichen Vorschläge« der DDR eingegangen. Diese Vor- schläge würden aufrechterhalten, und die Regierung der DDR hoffe, »daß Herr Kiesinger noch zu der Erkenntnis kommen wird, daß solche Verhandlungen unvermeidlich sind«. Für den Wortlaut dieser Erklärung vgl. ebd., S. 1745 f. 35 Gemeint ist offensichtlich die Regierungserklärung zur Deutschlandpolitik vom 12. April 1967, in der Bundeskanzler Kiesinger konkrete Maßnahmen zur Erleichterung des täglichen Lebens für die Men- schen in den beiden Teilen Deutschlands, Maßnahmen zur verstärkten wirtschaftlichen und ver- kehrspolitischen Zusammenarbeit sowie Rahmenvereinbarungen für den wissenschaftlichen, techni- schen und kulturellen Austausch vorschlug. Für den Wortlaut der Regierungserklärung vgl. BT STEN. BER., 5. Wahlperiode, 101. Sitzung am 12. April 1967, S. 4686 f. Copyright © 2017 KGParl Berlin 28

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der Welt. Aber solange man nicht klar sagt, wofür und wogegen man ist in Deutsch- land, solange muß man es sich eben gefallen lassen, an den Platz gewiesen zu werden, an den man gehört. Und ich werde es einfach nicht mehr hinnehmen, daß man zum Bei- spiel die beiden Koalitionspartner auseinander zu reden versucht, indem man sagt, die SPD wollte an sich sehr viel weitergehen, sehr viel rascher auf diesem Weg zur Aner- kennung gehen, aber diese CDU hängt sich als ein schwerer Bremsklotz an diesen Wa- gen. Ich habe den Sommer dazu benutzt, um mit meinen Partnern in der Regierung, mit den für diese Gebiete zuständigen und verantwortlichen Partnern, die Dinge abzuklären. Denn es handelt sich um Ehrenmänner, deren Wort mir gilt, und sie haben mir feierlich versichert, daß ihre Politik die ist, die in der Regierungserklärung formuliert ist, und auch diejenige, die ich hinterher in manchen anderen Kundgebungen und Reden mit großer Sorgfalt, vor allem in meiner Rede zum 17. Juni36, formuliert habe. Dieses Wort steht und gilt. Und Sie dürfen überzeugt sein, das ist auch der Eindruck, den ich be- kommen habe, nach meiner Aussprache sowohl mit wie heute früh mit dem Außenminister, daß dies bei dieser außenpolitischen Debatte in dieser Woche klar zum Ausdruck kommen wird. Mir macht diese Sache große Sorge, denn wir alle wissen, daß diese Politik, die diese Dinge in Bewegung zu halten versucht – weil wir fürchten, wenn wir eben still sitzen und uns nur hinter juristischen Formeln verschanzen, daß dann, ohne daß wir etwas dazu tun können, unsere Bastionen, unsere Dämme, die wir errichtet haben, abbröckeln –, daß diese Politik natürlich ihre Risiken hat, da es Leute gibt, die entweder naiv – weil sie unsere Absichten nicht verstehen – oder aber bewußt und mit Willen diese falschen Interpretationen machen. Ich will eine Zeitung zitieren auch in diesem Kreise – ich glaube, ich habe es schon einmal getan –, die beispielhaft ist dafür, wie so etwas gemacht wird. Die Äußerungen unseres Außenministers in Bukarest – »die Realitäten«, »zwei politi- sche Ordnungen« – haben Kritik gefunden, gerade in den Reihen der CDU.37 Ich habe nicht einen einzigen Augenblick daran gezweifelt, daß die Formulierungen, die auch ich lieber anders gehört hätte, daß die etwa eine andere politische Substanz enthielten als das, was wir gemeinsam wollen, und auf meiner Pressekonferenz habe ich dann gesagt, wenn der Außenminister von »Realitäten« da unten gesprochen hat, dann hat er natür- lich unsere Realitäten gemeint und nicht die der Herren drüben.38

36 Für den Wortlaut der Rede vgl. DOKUMENTE ZUR DEUTSCHLANDPOLITIK V/1 (1966/67), S. 1321– 1324. 37 Vom 3. bis 7. August 1967 hielt sich Bundesaußenminister Willy Brandt zu einem offiziellen Besuch in Rumänien auf. In einer Tischrede am 4. August erklärte er, dass man »bei den Bemühungen um ei- ne europäische Friedensordnung von den gegebenen Realitäten« auszugehen habe, was auch für »die beiden politischen Ordnungen, die gegenwärtig auf deutschem Boden bestehen«, gelte. Für den Wortlaut vgl. AAPD 1967, Nr. 306, Anm. 2. 38 Gemeint ist die Pressekonferenz Kiesingers vom 21. August 1967, in der er über seine Gespräche mit Präsident Johnson am 15./16. August in Washington berichtete und dabei auch Fragen der Journalisten zur Ostpolitik der Bundesregierung beantwortete. Vgl. »Das deutsch-amerikanische Einvernehmen«, in: »Neue Zürcher Zeitung« vom 23. August 1967; »Kiesinger stellt sich hinter Brandt«, in: »Die Welt« vom 22. August 1967; »Kiesinger interpretiert Außenminister Brandt«, in: »FAZ« vom 22. August 1967; »Kiesinger äußert sich optimistisch zur Innen- und Außenpolitik«, in: »Stuttgarter Zeitung« vom 22. August 1967. Zu der Äußerung von Außenminister Brandt am 4. August in Bukarest, man müsse in Europa von den Realitäten ausgehen, erklärte Kiesinger wörtlich: »Das ist eine Frage der terminologischen Interpretation. Es ist ja überhaupt die Gefahr, wenn man über eine Politik, die nicht klar auf dem Reißbrett aufzuzeichnen ist, spricht, daß man behutsam sein muß, um nicht falschen In- terpretationen Raum zu geben. Nach meiner Meinung enthält die Äußerung des Außenministers kei- Copyright © 2017 KGParl Berlin 29

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Gut, was konnte ich als Kanzler dieser Regierung anderes und besseres als Antwort sagen? Sofort kam diese Zeitung, die jetzt wieder meine gestrigen Äußerungen als Dif- famierung bezeichnet hat, und sagte, ich beginge da einen plumpen Verfälschungsver- such, und der Außenminister müsse sich dagegen zur Wehr setzen.39 Und genau das, meine Damen und Herren, werde ich nicht mehr dulden. Ich werde, wo immer diese Verfälschungsversuche, diese Zerredungsversuche dieser Politik, die sich auf einem schmalen Grat bewegt, gemacht werden, mit äußerster Entschlossenheit ent- gegentreten (Beifall). Und ich werde das auch von unserem Koalitionspartner erwarten. Deshalb setze ich auf diese außenpolitische Aussprache, in der ich, wenn es notwendig ist, auch das Wort nehmen werde. Zunächst wird ja der Außenminister berichten. Man soll sich nicht darüber täuschen, daß diese klare Sprache, die ich hier führe, nun im Gegensatz stehe zu dem, was auch in der Regierungserklärung steht und was ich seit- dem in manchen Reden gesagt habe. Wir wollen vorwärts kommen, wir wollen diesen europäischen Antagonismus überwinden, wir wollen bessere Dinge in Europa, wir wollen eine bessere Zukunft, wir wollen Verständigung und Frieden unter den europäi- schen Völkern, aber wir wollen Verständigung auf der Grundlage der Gerechtigkeit auch für unser Volk. Dies ist und bleibt unser Ziel. Dabei geht es natürlich um ein hohes Ziel, aber auch ein fernes Ziel. Natürlich kann niemand voraussagen, welchen Weg die Geschichte nimmt. So wie wir die Dinge jetzt zu übersehen vermögen, wird es keine raschen Erfolge geben. Wir haben auch keine raschen Erfolge erwartet. Das ist eine andere Art der Kritik an unserer Politik; man will sie dadurch madig machen. Das ist ein Zerreden von einer anderen Seite her. Man will sie dadurch madig machen, daß man sagt: Was erntet ihr? Ohrfeigen statt Umarmungen! Ich glaube, daß ich kein Geheimnis verrate, wenn ich sage, ich habe nicht erwartet, daß mich Herr Stoph oder Herr Ulbricht umarmen würde. Wir wissen, daß das lang und mühselig ist. Wer weiß das nicht? Das deutsche Problem ist zu einem der verwickelts- ten und schwierigsten Probleme unserer Welt geworden, habe ich am 17. Juni gesagt. Das wissen wir doch alle seit vielen Jahren. Und weil es eben so ist, wird der Weg lang und mühselig werden. Deswegen ist es auch ein Zerreden, wenn man immer wieder so tut, als erwarteten wir morgen oder übermorgen schon die Wiedervereinigung, oder daß man unseren Vorschlägen entgegenkommt. Das ist die eine Sorge. Und ich hoffe, wenn die Aussprache dieser Woche so verläuft, wie ich es mir erhoffe und seit Monaten in vielen Gesprächen vorbereitet habe, daß dann Klarheit in unserem Volke herrscht und

nen Widerspruch zur Regierungspolitik. Wenn er sagt, man müsse von den Realitäten ausgehen, dann meint er das natürlich – man kann ihm das ja gar nicht unterstellen – nicht in demselben Sinne, wie wenn die andere Seite sagt, man müsse von den Realitäten ausgehen. Die andere Seite meint unter Re- alitäten die Existenz – wie sie sagt – eines zweiten deutschen Staates; sie meint darunter die Endgül- tigkeit der Oder-Neiße-Linie. Wenn er gesagt hat, man müsse von den Realitäten ausgehen, hat er das natürlich anders gemeint. Seine Realitäten sind nicht die Existenz eines zweiten deutschen Staates, son- dern seine Realitäten sind natürlich einfach die gegebene Lage, wie sie ist, wie wir sie vorfinden.« Für den Wortlaut vgl. DOKUMENTE ZUR DEUTSCHLANDPOLITIK V/1 (1966/67), S. 1545. 39 Gemeint ist der Kommentar zu Kiesingers Pressekonferenz im »Kölner Stadt-Anzeiger«, in dem es unter anderem hieß, die Pressekonferenz des Bundeskanzlers habe »das Einerseits-Andererseits der großen Koalition in erschreckender Weise« widergespiegelt, »am schlimmsten in den Orakelsprüchen Kiesingers zur Ostpolitik«. Zu Kiesingers Interpretation der Äußerungen Außenministers Brandt in Bukarest wurde ausgeführt: »Man kann nur hoffen – leider nach allen bisherigen Erfahrungen mit wenig Aussicht –, daß der Außenminister und Vizekanzler und SPD-Parteichef sich diese plumpe Korrektur durch den Koalitionspartner nicht gefallen läßt.« Für den Wortlaut vgl. »Einerseits«, in: »Kölner Stadt-Anzeiger« vom 22. August 1967. Copyright © 2017 KGParl Berlin 30

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daß wir dann auch die ängstlichen und besorgten Gemüter für diese unsere Politik ge- winnen werden. Ich nehme es keinem übel, wenn er uns sagt, warst du auch auf diesem Weg, da kann man auch stolpern. Natürlich kann man das. Welche Politik ist anders? Ich erinnere mich – es sind noch Freunde in diesem Saal, die sich mit mir erinnern werden – an mei- ne erste Rede im Bundestag 1949, Spätherbst beim Petersberger Abkommen40, als ich die völlig überraschende Ehre hatte, die erste außenpolitische Rede zu halten.41 Da sagte ich auch: »Ja, Vorleistungen!« Ja, damals ging es um Vorleistungen. Sie würden uns übel bekommen. Wir wurden davor gewarnt. Das war unser Risiko. »Unser Risiko ist«, sagte ich damals, »daß die Hand, die wir jetzt ausstrecken, von denen, denen wir sie entgegenstrecken, nicht ergriffen werden könnte. Das müssen wir in Kauf nehmen. Ich hoffe«, sagte ich – lesen Sie es nach –, »und ich erwarte zuversichtlich, daß man unsere Hand ergreifen wird«. Und man hat sie ergriffen. Hier im Osten ist das alles viel schwieriger. Da geht es nicht so klar wie damals am Beginn einer neuen deutschen Außenpolitik; denn dies war der Beginn einer neuen deutschen Außenpolitik damals beim Petersberger Abkommen. Trotzdem werden wir geduldig und unverdrossen dabeibleiben. Ich kann nur immer wiederholen, meine Da- men und Herren, wenn wir uns vor der Welt als Menschen mit Augenmaß zeigen, als Menschen, die die Lebensrechte ihres Volkes fest und mit Würde vertreten und zugleich in der Art, wie sie sie vertreten, unter Beweis stellen, daß sie sich ihrer Verantwortung für den Frieden in der Welt bewußt sind als Menschen, die nicht nur zurückschauen, sondern auch in die Zukunft schauen und hoffen und wollen, daß es eines Tages eine wahrhaft europäische Friedensordnung, die eine gerechte Lösung der deutschen Frage einschließt, geben wird, dann allein werden wir jene moralischen Kräfte in der Welt mobilisieren, die allein uns helfen können, die deutsche Frage zu lösen: Das ist die mo- ralische Unterstützung aller übrigen Völker dieser Welt bis tief in den östlichen Bereich hinein. Darum wird es gehen. Und deswegen muß die Christlich Demokratische Union und die Christlich Soziale Union zu dieser Politik stehen. Wir dürfen nicht den Eindruck schaffen, als ob die Hemmenden und Bremsenden wir seien. Sie dürfen sich nicht in diese Rolle hineinreden lassen. Wenn irgend etwas eine Christlich Demokratische Poli- tik ist, dann ist es die deutsche. Und sie ist von niemandem übernommen worden. Als ich dieses Amt des Kanzlers übernahm, war das meine Überzeugung. Ich kann es beweisen, denn ich habe mich beide Jahre vorher immer wieder in diesem Sinn politisch in großen Vorträgen geäußert. Es ist also eine durchaus autochthone Politik des Regie- rungschefs. Und ich bin froh, wenn mich der Regierungspartner darin trägt und unter- stützt. Ich weiß, daß diese Große Koalition vielen von uns Schwierigkeiten macht. Am meisten Schwierigkeiten macht sie mir, meine Damen und Herren. Dieses Gespann zu führen, dieses ganz andere Gespann, verglichen mit den früheren, das ist schon eine besondere

40 Mit »Petersberger Abkommen« wird das auf dem Petersberg bei Bonn zwischen den Alliierten Ho- hen Kommissaren und der Bundesregierung am 22. November 1949 getroffene Abkommen bezeich- net, welches den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland in internationale Organisationen wie die OEEC sowie die Aufnahme von Handels- und konsularischen Beziehungen ermöglichte und eine Reduzierung der Demontagen vorsah. Im Gegenzug trat die Bundesrepublik der Internationalen Ruhrbehörde bei und musste damit die von ihr als diskriminierend betrachtete internationale Kon- trolle des Ruhrgebietes akzeptieren. Vgl. hierzu MORSEY, Bundesrepublik, S. 27 f. 41 Für den Wortlaut der Rede vgl. BT STEN. BER., 1. Wahlperiode, 18. Sitzung am 24./25. November 1949, S. 491–496. Copyright © 2017 KGParl Berlin 31

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Art von Führungskunst. Und ich versuche es Tag um Tag, ich versuche das Tag um Tag, was wir nun im vergangenen Herbst begonnen haben, auch zu einem guten Ziel zu führen. Sie wissen, wie es war im letzten Herbst. Manche von uns meinten, man sollte eine Große Koalition bilden. Dies sei jetzt die rechte geschichtliche Stunde. Nur so könnten wir die großen Aufgaben bewältigen. Andere meinten, die Schwierigkeiten seien dabei zu groß, das Risiko sei dabei zu groß. Aber sie mußten schließlich selbst sehen, daß sie nur eine Wahl hatten. Da eine Koaliti- on zwischen der CDU und der FDP endgültig nicht mehr in Betracht kam, blieb nur die Wahl, entweder die CDU geht in die Opposition, oder die CDU geht mit der SPD in eine Große Koalition. Wir haben die Große Koalition gewählt, und weil wir das getan haben, müssen wir nun auch sehen, daß wir aus dieser Großen Koalition das Beste machen, was man daraus machen kann. Da helfen keine Ressentiments, da hilft kein Ärger über so vieles, was wir immer wieder erleben müssen und uns auch selbst an- schaffen. Natürlich war ich mir klar darüber, daß sich viele schwer an diesen neuen Umstand gewöhnen, und ich war mir noch mehr klar darüber, daß, um eine gemeinsame Pro- grammatik auszuarbeiten, viel Zeit notwendig sein würde für diese beiden Parteien. Darum habe ich mich schon in der Regierungserklärung so vorsichtig ausgedrückt. Deshalb habe ich dort nicht von einem gemeinsamen großen Programm gesprochen, sondern bin ausgegangen von den aktuellen Aufgaben, die vor uns standen und die wir lösen müßten, vor allen Dingen: Streichen, sparen! Dabei dürfen wir aber nicht, sagte ich, mit der Holzaxt dreinfahren. Es muß alles noch ein Gesicht haben. Das war bewußt sehr bescheiden formuliert. Ich habe gestern gesagt, und ich habe es bei verschiedenen Gelegenheiten schon früher gesagt, wir können im Jahre 1969 erneut in die Lage kommen, daß nur eine Große Koalition übrig bleibt, wenn nicht eine der bei- den großen Parteien in die Opposition gehen will. Wir wissen das nicht. Wir haben gesagt, wir wollen ein Wahlrecht schaffen, das uns aus solchen Situationen, Zwangs- situationen befreit, indem es Mehrheiten schafft, die es einer Partei ermöglicht, die Regierung zu übernehmen. Wir wollen ja aus solchen Zwängen, Kleine oder Große Koalitionen bilden zu müssen, herauskommen. Aber wenn das – denn das Wahlrecht, wenn wir es schaffen sollten, wird ja nicht für das Jahr 1969 wirken – in eine solche Situation führen sollte, würde die Frage einer gemeinsamen Programmatik allerdings eine ganz andere Bedeutung gewinnen als gegenwärtig, wo uns einfach eine ganze Reihe großer praktischer Probleme zu lösen aufgegeben ist. Es ist ein Glück, daß wir außen- politisch und auf dem Gebiet der Deutschlandpolitik uns wirklich einig sind. Sie können von mir, dem Mann, den Sie zum Kanzler berufen haben, keine andere Poli- tik erwarten. Das bedeutet nicht, daß ich von meiner Partei oder gar von meiner Frakti- on hier erwarte, daß sie einfach alles tut, was der Kanzler sich ausdenkt. Ganz sicher hat es Situationen gegeben, auch in diesem Sommer, in denen die Fraktion mit Recht murr- te und sagte: Aber so wollen wir es nicht oft erleben, wenn man in Zeitdruck kommt, wenn man sehr rasche Entscheidungen treffen muß. Ich habe das doch nicht getan, weil ich irgendeinen einsamen Entschluß durchsetzen wollte, sondern ich habe es doch nur getan, um für unsere Wirtschaft so viel Sicherheit wie möglich zu schaffen für die Zu- kunft, damit man wußte, wohin der Weg geht. Das ist die Voraussetzung dafür, daß die Wirtschaft eben wieder bereit ist, zu investie- ren und damit den wirtschaftlichen Aufschwung einzuleiten. Sicher werden die beiden Parteien, je länger es geht auf das Jahr 1969 zu, deutlicher versuchen, ihr politisches Gesicht zu zeigen. Das ist notwendig. Wir können nichts vertuschen, wir könnten nichts verheimlichen. Das wird die SPD tun, das werden wir tun. Worauf es ankommt,

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das ist eben, daß wir uns durch die Sorge um die Wahlen, den Wahlausgang nicht aus der Ruhe bringen lassen. Mein Gott, dieses dauernde Verfolgen der demoskopischen Ergebnisse! Zur Zeit sind sie wieder für die CDU sehr gut. Wir liegen bei 47 und die SPD bei 43. Schön! Also dieses dauernde Verfolgen der demoskopischen Ergebnisse gehört allmählich zum Geschäft. Aber ich erinnere mich, zu Adenauers Zeiten lag die CDU regelmäßig vor den Bundestagswahlen unter der SPD. Man soll also die Ge- schichte nicht so wichtig nehmen (Beifall). Ich kann allerdings nicht verbergen, daß es auch mir besser gefällt, wenn die CDU oben ist. Aber wir sollten nicht zu stark auf diese Dinge sehen, sondern auf unsere Aufgabe, und ich wiederhole zum hundertsten Mal, daß die Partei Erfolg haben wird, das heißt das Vertrauen der Wähler, von der die Wähler glauben, daß sie unbeirrt nur eines tut, nämlich an das Wohl des ganzen Volkes denkt. Das ist die gegenwärtige Lage. Bei all diesen kommenden Abgrenzungen heißt es auch, Takt und Stil zu bewahren. Ich ver- traue darauf, daß meine Partei, die das auch in der Vergangenheit verstanden hat, es auch in diesem Zeitabschnitt tun wird. Das, meine Damen und Herren, gehört auch zu unserer Integrationsaufgabe. Regierungen – nun meine ich Parlament und Regierung zusammen – bedeuten ja nicht nur die Lösung von Sachaufgaben, sondern Regieren bedeutet, dem Volke einen politischen Stil vorzuleben, der es stolz macht, zu einem solchen Volk und zu einem solchen Staat zu gehören (starker Beifall). [5. Aussprache zum Bericht des Bundeskanzlers] Barzel: Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, ich glaube, nach dieser Rede und diesem Beifall brauche ich nicht mehr viel zu sagen. Wir sind sehr dankbar über das, was Sie gesagt haben (Beifall), denn ich glaube, meine Freunde, nun spüren wir alle, daß wir uns hier entschlossen haben, die Führung, die uns zukommt, auch auszuüben und zu behal- ten. Das ist der Sinn der letzten Woche. Das ist der Sinn dieser Woche, das ist der Sinn der Debatte vorher. Und was die Außen- und Deutschlandpolitik betrifft, Herr Bundeskanzler, so wird, was an uns liegt, am Freitag mit der nötigen Deutlichkeit und temperamentvollen Klugheit, zu der Sie uns in der deutschen Frage ermahnt haben, wirklich deutlich wer- den, daß wir hier miteinander stehen. Ich hoffe sehr, daß auch der Bundesminister des Auswärtigen durch seine Regierungserklärung, die er eingangs abgibt, dazu beiträgt. An uns wird es nicht fehlen, Herr Bundeskanzler. Stingl: Herr Bundeskanzler, ich habe eine ganz kurze Frage: Brandt hat gestern wieder ganz nachdrücklich gesagt, die Anerkennung der Zone als »Ausland« kommt nicht in Frage. Sie können sich erinnern, daß wir mit Ihnen schon einmal mit Amrehn darüber gesprochen haben. Er hat am Freitag gesagt, die Anerkennung eines zweiten deutschen Staates als Ausland kommt nicht in Frage.42 Ich glaube, es muß geklärt werden, ob da gemeint ist, daß eine andere Anerkennung in Frage kommt? Bundeskanzler Kiesinger: Ich habe die Sache mit dem Außenminister sowohl in Kreß- bronn43 wie inzwischen heute früh wieder besprochen. Ich muß auf das Wort eines

42 Gemeint ist die Rede Brandts anläßlich einer Feierstunde zum 100. Geburtstag Walther Rathenaus in der Freien Universität Berlin am 6. Oktober 1967. Für den Wortlaut der Rede vgl. BULLETIN, Nr. 109 vom 10. Oktober 1967, S. 933–937. 43 Gemeint ist die Zusammenkunft der Koalitionsspitzen an Kiesingers Urlaubsort in Kreßbronn am Bodensee, die am 29. August 1967 stattfand. Daran nahmen neben dem Bundeskanzler und CDU- Vorsitzenden der CDU-Generalsekretär, Bundesfamilienminister Bruno Heck, der SPD-Vorsitzen- de, Bundesaußenminister Willy Brandt, und der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Bundesminis- ter für gesamtdeutsche Fragen, Herbert Wehner, teil. Vgl. GASSERT, S. 573–576; HILDEBRAND, S. 272 f. Copyright © 2017 KGParl Berlin 33

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Mannes bauen. Seine Erklärungen waren klar; ich werde ihn fragen, was er mit dieser Formel meint. Ich hatte vor allem in seiner Rede anläßlich der Rathenau-Feier den Ein- druck, daß das bisher die klarste, sauberste Aussage von ihm zur Außenpolitik war.44 Ich kann das dabei belassen, was ich vorhin sagte. Es wird sicher in dieser Woche zu einer ganz klaren Festlegung des gemeinsamen Standpunktes, zu einer Bekräftigung des gemeinsamen Standpunktes kommen. Barzel: Ich möchte das benutzen, um ein Wort zusätzlich dazu zu sagen. In der Publi- zistik und in internen Diskussionen auch hier im Hause geistert eine Formel, nämlich die SBZ sei weder Inland noch Ausland. Ich habe die Absicht, am Freitag das zu zitie- ren und mich dagegen zu wehren, denn das würde darüber hinwegtäuschen und verges- sen machen, daß unter der Formel »weder Inland noch Ausland« zu leicht vergessen wird, daß es sich um Deutschland handelt. Ich glaube, das muß man ganz deutlich sa- gen, damit nicht hier die nächste Geschichte kommt, es ist nämlich dieselbe Richtung, und es ist schon sehr interessant zu sehen, daß auch hier in den bisherigen öffentlichen Einlassungen ein Unterschied zwischen Herrn Brandt und Herrn Wehner ist. Herr Brandt hat scheinbar die drei Punkte von Wehner, die nicht in Frage kommen, über- nommen. Nun hat er sie natürlich wieder geändert, zum Beispiel in der Frage, zu der Herr Stingl eben mit Recht die Frage gestellt hat. Häussler: Es fällt auf, daß in der letzten Zeit in der Presse, sei es in Zeitschriften oder Tageszeitungen, der Begriff der DDR zementiert wird. Es wird vom »Außenminister der DDR« gesprochen. Ich nenne als Beispiel die »Süddeutsche Zeitung« vom vergan- genen Freitag, die in zwei Artikeln immer nur von der DDR spricht.45 Meine Frage: Ist es möglich, in irgendeiner Form darauf hinzuwirken, daß solche Kennzeichnungen, die der Wirklichkeit nicht entsprechen, wenigstens von unserem Standpunkt aus, unter- bleiben? Bundeskanzler Kiesinger: Dazu kann ich nur sagen, meine Damen und Herren, wir leben in einem demokratischen Lande mit voller Meinungsfreiheit. Ich habe erwähnt, daß es in der Publizistik eine breite Meinung gibt, die praktisch schon von der Existenz dieser, wie sie es nennen, Deutschen Demokratischen Republik ausgeht. Ich will jetzt nicht die lange Reihe der Zeitungen aufzählen. Jeder, der täglich liest, die Ausschnitte liest, weiß es ja; hier hilft nur der Appell an das Verantwortungsbewußtsein und an die politische Vernunft unserer deutschen Landsleute. Ich bin der Überzeugung, daß man- che von diesen Männern und Frauen, wenn sie diese Politik empfehlen und dies natür- lich auch in ihrer Sprechweise zum Ausdruck bringen, glauben, sowohl zum Besten des deutschen Volkes wie zum Besten des Friedens in Europa zu handeln. Ihnen kann ich nur sagen, es würde ganz gewiß nicht durch eine solche Politik nach unserer Überzeugung dem Besten des deutschen Volkes gedient, aber ich bin ebenso sicher, daß mit einer solchen Politik auch nicht dem Frieden in Europa gedient würde, weil nun einmal Frieden und Gerechtigkeit eins sind und Friede nur gestiftet werden kann, wo Gerechtigkeit gestiftet wird. Das ist der Appell, den wir an sie richten kön- nen. Das ist unsere politische Aufgabe allerorten in Deutschland. Jetzt ist es so, daß – ich bin sehr froh, das feststellen zu können – die große Mehrheit des deutschen Volkes, das zeigen alle Befragungen, diesen politischen Unterredungen nicht folgt, daß zwar das deutsche Volk sagt, wir billigen eure Politik, die Politik der Verständigung, die Vertrauen schaffen will, um den Weg zu einer gerechten Lösung der

44 Siehe hierzu Anm. 42. 45 Vgl. »DDR-Außenministerium droht den Berlinern mit Konsequenzen« und »DDR-Emissär in Genf«, in: »Süddeutsche Zeitung« vom 6. Oktober 1967. Copyright © 2017 KGParl Berlin 34

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deutschen Frage zu bahnen, wir sind aber gegen eine unmittelbare oder auch phasen- weise Anerkennung. Dies sind die Leute, die vor allem auch uns, der Christlich Demokratischen Union, das Schicksal unseres Volkes anvertraut haben, indem sie uns in den Bundestag gewählt haben. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Der Preis der Freiheit ist der, daß eben jeder in einer Demokratie seine politische Meinung sagen und vertreten kann. Und weil das so ist, deswegen sind wir verpflichtet, mit aller Leidenschaft für das einzutreten, was wir für Recht halten. Kliesing: Ich möchte mir nur einen kleinen Hinweis erlauben. Es ist mir in den letzten Wochen aufgefallen, daß sich in der »Anerkennungspresse«, wie der Herr Bundeskanz- ler sie treffend nennt, und in den dazugehörigen Rundfunkkommentaren sich ein ge- wisser Trend verstärkt, der sich auf die Formel bringen läßt: Warum habt ihr eigentlich Angst vor denen in Ostberlin? Ich glaube, das ist nicht ganz ungefährlich, weil es in unbefangenen Schichten der Bevölkerung, vielleicht gerade auch bei der Jugend, eine gewisse Wirkung haben kann. Ich würde mir deshalb die Anregung erlauben, daß wir am Freitag in der Debatte darauf eingehen und klar zum Ausdruck bringen, daß, wenn man sich weigert, eine dumme und verantwortungslose Politik zu machen, das keine Frage von Mut oder Angst ist. Wrangel: Wenn man die Nichtanerkennung praktizieren will, dann werden sich, Herr Bundeskanzler, wahrscheinlich in der nächsten Zeit im Hinblick auf unsere Bezie- hungen zu osteuropäischen Staaten einige Fragen ergeben, von denen wir heute wissen, daß sie zwischen der SPD und unserer Fraktion offenbar kontrovers sind, und deswe- gen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ein Wort sagen würden zu dem Fragekomplex Belgrad. Kalinke: Ich wollte mir nur erlauben, dem Herrn Bundeskanzler als Parteivorsitzenden zu empfehlen, daß doch sehr bald alle von der CDU vorgeschlagenen, genannten und entsandten Vertreter in den Rundfunk- und Fernsehgremien einmal zusammengerufen werden, um mit ihnen einmal zu diskutieren, wie sie die Politik der Regierung zu kommentieren haben, wenn sie von der CDU noch weiter benannt werden wollen. Schlee: Herr Bundeskanzler, ich habe mir vor etwa einem Jahr in Berlin einmal den Zorn des größten Teils der Fraktion zugezogen, als ich damals die Meinung vertrat, man sollte sich überlegen, ob wir mit unserer Politik zur SBZ auf dem richtigen Wege sind. Ich stelle also mit großer Freude fest, Herr Bundeskanzler, daß Sie andere Wege eingeschlagen haben, versucht haben, und daß Sie nun auch die Unterstützung dieser Fraktion gefunden haben. Was ich jetzt besonders sagen wollte, ist dies: Ich erinnere an Ihren letzten Brief, in dem Sie geschrieben haben, daß sowohl über diese unsere Regie- rung als auch über die Stelle in Pankow die deutsche Nation noch besteht, die der Sou- verän unseres Schicksals ist. Und gleichgültig wie es ausgeht, ich könnte mir vorstellen, daß dieser Brief einmal ein historisches Dokument in der deutschen Geschichte sein wird. Ich möchte Ihnen heute meinen Dank und meine Anerkennung dafür ausspre- chen. Nun will ich zu der Frage kommen, derentwegen ich mich gemeldet habe. Es hat sich gezeigt, daß eine enge Verbindung mit der SBZ wohl nicht möglich ist. Ich glaube, es hat sich gezeigt, daß eine Anerkennung nicht in Betracht kommt. Nun, meine Frage geht dahin, hat man überhaupt auf Seiten der Regierung in Pankow noch ein Interesse an einer Anerkennung oder rechnet man damit, daß im Laufe der Jahre durch die eigene Entwicklung sich dieses Problem von selbst erledigen wird?

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Bundeskanzler Kiesinger: Was die Terminologie anbelangt, meine Damen und Herren, habe ich immer darauf geachtet, daß sich hier keine Möglichkeit der Mißdeutung ein- schlich. Sie werden mich nie auf einer terminologischen Unsauberkeit in diesen Mona- ten getroffen haben. Wir haben, und ich glaube, das war sehr gut, in unserer Terminolo- gie manches Neue gesagt. Natürlich ist der Ausdruck vom Alleinvertretungsanspruch etwa von uns nicht aufgegeben, aber wir haben es in einer Weise interpretiert, die ihm den bloß defensiven und etwas negativen und möglicherweise für manche Landsleute drüben auch etwas überheblichen Charakter nehmen könnte. Wir haben gesagt – und das ist eine sehr gute Waffe gegen das Regime drüben –, alles, was behauptet wird, wir wollten uns die sogenannte DDR einverleiben, sei barer Unsinn. Genau das Gegenteil sei der Fall. Wir wollten unsere Landsleute drüben nicht bevormunden, wir wollten ihnen nicht sagen, das und das müßt ihr tun, sondern wir wollten ihnen nur einen Weg bahnen bis zu dem Punkt, wo sie einmal selber sagen können, was sie wollen und wohin sie wollen. Ich habe soviel Vertrauen in die Lebenskraft eben der deutschen Nation, daß ich keine Furcht habe, was sie in einem solchen Falle sagen würde. Wir haben vom anderen Teil Deutschlands gesprochen immer dann, wenn wir das Ganze mit unseren Landsleuten meinen, um schon durch diese Ausdrucksweise ihnen zu sagen, wir, die wir es doch viel leichter haben, die wir einfach vom Schicksal nun einmal begünstigt worden sind, wir wollen nicht hochnäsig, arrogant über euch urteilen. Man muß also immer genau unterscheiden, ob man von unseren Landsleuten und vom Ganzen drüben redet, oder ob man vom Regime, vom politischen Regime und System redet. Und jedem Politiker sollte es leicht fallen, in seiner Sprechweise beides sorgfältig zu unterscheiden. Das ist das eine. Dazu habe ich immer wieder gemahnt. Zweitens: Die Frage nach Belgrad! Ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich in dieser Frage vorsichtig antworte. In dieser Frage besteht zwischen dem Außenminister und mir Klarheit, das heißt, ich habe dem Außenminister klar gemacht, daß diese Frage zur Zeit nicht aktuell ist. Ich habe in meinen eigenen Äußerungen gesagt: Natürlich wün- schen wir mit allen östlichen Nachbarn, auch mit Jugoslawien, normale freundschaftli- che Beziehungen. Aber jedermann weiß, daß es im Falle Jugoslawiens eine besonders schwierige Problematik gibt, die sich von den anderen Fällen unterscheidet, und das macht eben die Aufgabe besonders schwierig. Wir bauen unsere Beziehungen mit Jugo- slawien in gegenseitigem Einverständnis auf allen möglichen praktischen Gebieten, sei es die Wirtschaft, sei es die Kultur, aus. Damit möchte ich meine Antwort heute ab- schließen. Ich glaube nicht, Herr von Wrangel, daß Sie etwa sagen können, hier seien SPD und CDU kontrovers. Hier gibt es natürlich auch, wie bei anderen Fragen, einzel- ne, die so denken, und andere, die anders denken. Aber ich will nicht verheimlichen, daß auch mir persönlich an der Entwicklung guter und verständnisvoller und vertrau- ensvoller Beziehungen zu Jugoslawien sehr liegt. Aber wir müssen dann auch von Jugoslawien erwarten in der Entwicklung der Dinge, daß man in Belgrad auch unser großes Anliegen versteht und respektiert. Zu der Frage, ob man drüben in Pankow noch ein Interesse an einer formellen Anerkennung habe oder nicht, meine Damen und Herren, will ich sagen, daß das ja die Forderung ist, die aufgestellt wird. Diese Forderung muß, bevor wir über alles andere sprechen, anerkannt werden; dies war ja im letzten Brief von Herrn Stoph wieder klar formuliert. Diese Forderung wird begleitet, und zwar durch Äußerungen bei irgendwelchen Kundgebun- gen, daß, wenn es zu einer Wiedervereinigung kommen sollte, die Wiedervereinigung zur Voraussetzung habe, daß wir das östliche gesellschaftliche und politische System übernehmen oder uns dem angleichen. Die Formeln variieren. Aber dahinter steckt immer wieder eine Formel, die wir sehr häufig hören: das westliche und östliche gesell-

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schaftliche und politische System sind wie Feuer und Wasser, da gibt es nicht einfach ein Zusammengehen, sondern es gibt nur das eine oder das andere. Und das ist eine sehr bedeutsame Feststellung, die wir gerade denen, die sich Illusionen machen über den politischen Willen drüben, immer wieder sagen müssen, daß nämlich unsere Politik, die die Dinge in Bewegung gebracht hat, daß diese Politik drüben keinen Jubel ausgelöst hat, sondern daß plötzlich nicht mehr wir die Objekte einer dauernden Angriffspolitik, einer propagandistischen Angriffspolitik von drüben waren, sondern daß wir einiges in Bewegung gebracht haben und in Bewegung halten werden. Das zeigt jedenfalls, daß jenseits der Frage, wollen sie ernsthaft die Anerkennung, oder wollen sie sie nicht, zu antworten ist: Was sie wirklich wollen, ist die Verewigung ihres Regimes, ihrer Herrschaft gegen den Willen der Bevölkerung drüben. Und genau damit können wir uns im freien Teil Deutschlands, kann sich der freie Teil Deutschlands und dieser deutschen Nation nicht abfinden. Wir haben die Pflicht, für unsere Landsleute zu fordern, daß sie selbst ihr Souveränitätsrecht eines Tages ausüben werden. Unser Willen zum Frieden in Europa, zu friedlichen Methoden in Europa bezieht sich ja nicht nur auf einen Gewaltverzicht, sondern dieser Wille zu friedlichen Methoden in Europa kommt auch darin zum Ausdruck, daß wir sagen, wir wollen, weil wir wissen, daß das keinen Sinn hat, nicht mit dem Kopf durch die Wand, und deswe- gen wollen wir diese vernünftigen und menschlichen Dinge miteinander machen. Majonica: Wir haben heute morgen im außenpolitischen Arbeitskreis die außenpoliti- sche Debatte vorbereitet. Zunächst wird wohl der Fraktionsvorsitzende sprechen. Nein, erst wird Herr Brandt sprechen, der eine Regierungserklärung abgibt. Dann wird der Fraktionsvorsitzende sprechen. Dann ist Herr Dr. Birrenbach vorgesehen für die Frage des Monnet-Komitees. Herr Dr. Birrenbach, mittlerweile ist die Entscheidung gefallen, die Entschließung des Monnet-Komitees46 dem Auswärtigen Ausschuß zu überweisen mit folgendem Mantel: Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, der in der gemein- samen Erklärung des Aktionskomitees für die Vereinten Nationen von Europa vom 15. Juli 1967 enthaltenen, nachstehend wiedergegebenen Entschließung in ihrer zukünfti- gen Europapolitik Rechnung zu tragen. Das ist eine Formulierung, die uns nicht auf alle Einzelheiten des Monnet-Komitees festlegt, die aber, glaube ich, von der Fraktion durchaus getragen werden kann. Dann ist ein weiterer Punkt der außenpolitischen Aussprache der Antrag der SPD zu Griechen- land.47 Die SPD hatte einen Antrag schon seit einiger Zeit eingebracht. Einen zweiten Antrag wollte sie einbringen, wenn wir uns ihm anschließen würden. Da wir uns ihm nicht angeschlossen haben, wird dieser zweite Antrag nicht eingebracht. Es bleibt bei dem ersten Antrag der SPD zu diesem Komplex. Dazu wird Herr Dr. Kopf sprechen. Auch hier werden wir Ausschußüberweisung beantragen, so daß eine Entscheidung über diesen Griechenlandbericht nicht morgen am Freitag im Plenum fallen kann. Herr Bundeskanzler, ich habe nur die Befürchtung, daß Sie sich von der außenpoliti- schen Debatte eine ganz klare Aussage über die Außen-, vor allen Dingen über die Deutschlandpolitik erwarten, aber die Gefahr besteht, da diese außenpolitische Debatte am Freitag stattfindet, sie unter einem gewissen Zeitdruck stattfinden wird, wie das am Freitag immer der Fall ist. Hinzu kommt, daß in der außenpolitischen Debatte gleich- zeitig über die Frage des Monnet-Komitees und über Griechenland debattiert wird. Es

46 Vgl. Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vom 10. Oktober 1967 betreffend die Entschließungen des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa (BT-Drucksache V/2157). 47 Vgl. Antrag der Fraktion der SPD vom 29. Juni 1967 betreffend Griechenland (BT-Drucksache V/1989). Copyright © 2017 KGParl Berlin 37

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wird also von uns abhängen, die Gesichtspunkte der Deutschlandpolitik in unseren Diskussionsbeiträgen immer wieder in den Vordergrund zu schieben. Und das wird ja wohl zunächst eine Aufgabe unseres Fraktionsvorsitzenden nach der Erklärung des Herrn Bundesaußenministers sein. Ich selbst werde mich auch noch zur Verfügung stellen und bitte auch Herrn Dr. Gradl, in dieser Frage zur Verfügung zu stehen. Damit wir uns je nach Verlauf der Debatte zur Deutschlandpolitik mit Nachdruck im Sinne des Bundeskanzlers äußern könnten. Das ist das, was ich zur Vorbereitung sagen würde. Es spricht also der Fraktionsvorsit- zende, Herr Dr. Birrenbach zum Monnet-Komitee, Herr Dr. Kopf zur Griechenland- frage. Herr Dr. Gradl und ich halten uns bereit zur Frage der Deutschlandpolitik, und auch Herr von Eckardt hat sich bereit erklärt, in diesem Zusammenhang zur Verfügung zu stehen, obwohl ich nicht der Meinung bin, daß es wegen des Freitags mehr als drei Durchgänge geben wird. Herr Bundeskanzler, wenn in Ihrem Sinne gesprochen werden soll in dieser Debatte, wäre es sehr gut, wenn Sie persönlich eingreifen würden, damit in den Detailfragen, die uns in dieser außenpolitischen Debatte beschäftigen werden, die großen Anliegen, die Sie gerade an diese Debatte gestellt haben, nicht untergehen wer- den. Barzel: Es war nicht mein Wunsch, da zuerst zu sprechen. Sie wissen, ich halte lieber am Schluß eine Rede. Aber es war der Wunsch des Koalitionspartners, wenn der Au- ßenminister diesmal anfängt. Es gibt im Grunde vier Punkte, warum ich so sehr für diese auswärtige Debatte bin. Das ist einmal der Punkt Ostpolitik insgesamt. Hier wer- den wir auf der Linie, die der Herr Bundeskanzler eben unterstrichen hat, uns natürlich bewegen. Wir werden uns auch verwahren gegen alle Versuche, die Regierungserklä- rung zu verwässern. Hier sind wir in der ganz klaren Position. Der zweite Punkt ist die Frage der Nonproliferation, die möglicherweise eine Rolle spielt. Hier würden wir uns bewegen auf der Linie, die die Papiere des Kollegen Birren- bach auszeichnen.48 Ich glaube, das ist eine klare Auskunft. Der dritte Punkt ist die aktuelle Frage der EWG und der Erweiterung der EWG durch Großbritannien. Hierzu erinnere ich an frühere Erklärungen des Bundeskanzlers, daß wir hier unsere unveränderte Politik, die konstruktiv diesen Beitrittswünschen gegen- übersteht, mit der möglichen taktischen Klugheit und Behutsamkeit im Hinblick auf den französischen Staatspräsidenten49 betreiben. Daß wir deshalb jetzt die Linie fahren, uns dafür einzusetzen, mit den sachlichen Verhandlungen in geraumer Zeit zu begin- nen. Und niemand sollte vor der Tür Nein sagen. Wir haben das schon einmal im Bun- destag gesagt. Die Linie ist – glaube ich – klar. Der vierte Punkt betrifft die Resolution aus dem Monnet-Komitee. Wenn es gewünscht wird, können wir dazu noch mehr sagen. Der Wert dieser Resolution liegt in vielen, vielen Punkten. Dieses Komitee ist, wie Sie wissen, eine alte Einrichtung. Ich bedanke mich bei Herrn Birrenbach und anderen, die dort wirklich mithelfen. In diesem Komi- tee sitzen die demokratischen Parteien und Gewerkschaften der Sechsergemeinschaft. Wenn es dort gelingt, einheitliche Auffassungen herauszustellen, ist das für uns ganz wertvoll, weshalb wir die Regierung bitten wollen, dem Rechnung zu tragen. In dem Antrag gibt es vier Punkte. Der erste heißt im Grunde: Nehmt die Verhandlun- gen auf – unsere Linie. Der zweite Punkt heißt: Baut die Gemeinschaft aus. Es werden

48 Vgl. die Ausarbeitungen Birrenbachs vom 8. April 1967 (»Zur Problematik des Atomsperrvertrages«) und vom 27. September 1967 (»Der neue gemeinsame Entwurf der Vereinigten Staaten und der Sow- jetunion für einen Nichtverbreitungsvertrag vom 24. August 1967«), in: ACDP, 01-433-117/2. 49 Charles de Gaulle. Copyright © 2017 KGParl Berlin 38

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zwei konkrete Punkte extra bezeichnet, nämlich die Notwendigkeit, bald auch die eu- ropäische Handelsgesellschaft zu ermöglichen, und – als Forderung von uns – die tech- nologischen Dinge zu verbessern. Der dritte Punkt – in der Aussage und Form für den einen oder anderen von uns etwas ungewöhnlich, aber in der Philosophie, die darin zum Ausdruck kommt, für uns von großer Wichtigkeit – beinhaltet die Empfehlung, die Gemeinschaft möchte die Rechte, die sie jetzt schon hat, so ausnutzen, daß sie in diesem Bereich zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit nach dem Vorbild der Kennedy- Runde50 mit den USA kommt. Da können wir nichts gegen sagen. Der vierte Punkt begegnet hier und da Schwierigkeiten; das ist die Frage der Öffnung der Gemeinschaft nach Osten. Meine Damen und Herren, hier bitte ich an folgendes zu denken: Ursprünglich war hier vorgeschlagen, die EWG möchte sich mit Comecon zusammensetzen und zusammenarbeiten. Ähnliche Vorschläge hatte auch der Bun- desaußenminister in seinen sommerlichen Erklärungen über die europäische Friedens- ordnung gemacht.51 Es ist uns gelungen, das zu verhindern, denn hier stellt sich völker- rechtlich und politisch dieselbe Problematik wie früher zwischen Warschauer Pakt und NATO. Hier ist eine ganz andere Sache gefunden, sie ist soviel wert, daß wir die ande- ren Partner in Europa auf diese Linie gebracht haben. Das ist die Linie, die wir am Frei- tag früh erfahren können. Es wäre sicherlich erfreulich, wenn wir trotz des Freitags – wir mußten ihn nehmen wegen der Verhinderung der anderen Herren, wir hätten es lieber morgen gemacht – mindestens bis in die spätere Mittagsstunde hinein eine geziemende Präsenz des Hauses haben könnten. Majonica: Ich möchte gerade als Arbeitskreisvorsitzender Herrn Dr. Barzel und Dr. Birrenbach für das Ziehen der Giftzähne aus dem Bericht des Monnet-Komitees herzli- chen Dank sagen, das hat uns auch dazu geführt, zu versuchen, diese vier Punkte zu verändern. Denn hätten wir sie verändert, dann wäre die Gefahr aufgekommen, daß auch in den anderen Parlamenten die alten Probleme, die von unseren Vertretern im Monnet-Komitee herausgenommen worden sind, wieder hereingekommen wären. Da- zu gehört die Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie. Wir haben ein großes Interesse daran, daß in den fünf anderen europäischen Parlamenten diese Frage auch zur Debatte gestellt oder gar angenommen würde. Ich möchte also als Arbeitskreisvorsit- zender den beiden Herren im Monnet-Komitee meinen herzlichen Dank sagen, daß das gelungen ist. Ich darf dann noch bekannt geben im Zusammenhang mit der Frage eines Beitritts Großbritanniens zu den Europäischen Gemeinschaften, daß der Arbeitskreis heute morgen eine Kommission gebildet hat unter dem Vorsitz von Prof. Furler und den Mitgliedern Dr. Kopf, Lücker, Birrenbach, Blumenfeld, Prof. Stein, Illerhaus und Bau- knecht. Sie sehen eine sehr ausgewogene Kommission, die sich permanent mit der Frage des Beitritts Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt beschäftigen soll. Ich glaube, daß das eine sehr nützliche Sache ist. Herr Vorsitzender, Sie haben bei der Aufzählung der Punkte einen Punkt vergessen, zu dem Herr Dr. Kopf sprechen wird, nämlich die Griechenlandfrage. Ich würde vorschla- gen, daß wir hier sehr behutsam vorgehen. Uns allen gefällt das Regime in Athen sicher-

50 Gremium aus GATT und EWG-Kommission, das den Vorschlag des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy aus dem Jahr 1961 zu einer allgemeinen Zollunion zwischen 1964 und 1967 verhan- delte. Die Kennedy-Runde legte im Juni 1967 eine Entschließung vor, wonach das Zollniveau der Mitgliedsländer um etwa 35 Prozent gesenkt wurde. Vgl. AdG 1964, S. 11209 f. u. 1967, S. 13272 f. 51 Gemeint ist das Interview, das Willy Brandt am 2. Juli 1967 dem Deutschlandfunk gab. Für den Wortlaut vgl. BULLETIN, Nr. 70 vom 4. Juli 1967, S. 604–607. Copyright © 2017 KGParl Berlin 39

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lich nicht. Das ist eine sehr merkwürdige Regierung, die sich dort gebildet hat. Es gab ja zwei Gruppen beim Militär, die putschen wollten, und bedauerlicherweise ist die Gruppe der Obersten vor der Gruppe der Generale gekommen, was nicht gerade für die Intelligenz dieser neuen Regierung spricht. Aber ich meine, daß wir unten im Plenum sehr zurückhaltend zu dieser Frage Stellung nehmen sollten. Wir haben uns deshalb auch dem SPD-Entwurf nicht angeschlossen. Petersen: Mir ist nicht ganz klar, warum ausgerechnet wir, der Deutsche Bundestag, als erstes Parlament der Sechs zu dieser Monnet-Resolution Stellung nehmen müssen. Ob es nicht weiser wäre, ein paar andere vormarschieren zu lassen, gerade auch wegen des etwas schwierigen Punktes vier. Barzel: Das ist eine berechtigte Frage. Ich glaube, daß hier einfach folgende praktische Geschichte vorliegt: Wir wünschten keine besondere Debatte nur über dieses Problem. Das wäre nicht gut gewesen. Wir wünschten eine Debatte aus den Gründen, die der Bundeskanzler quam celerrime vorgetragen hat. Deshalb haben wir das am Freitag mitgenommen, aber wir werden die Sache am Freitag durch unseren Vorschlag nicht verabschieden, sondern dem Ausschuß überweisen. Ich glaube, daß wir damit hand- lungsfähig bleiben. Was man hier macht, hat Vor- und Nachteile. [6. Bericht aus dem Ältestenrat] Rasner gibt den Bericht aus dem Ältestenrat. Noch eine Bemerkung: Im Ältestenrat ist kurz über die Entlassung des nunmehr dritten leitenden Beamten beim Wehrbeauftragten gesprochen worden. Es ist beschlossen wor- den, daß der Bundestagspräsident die Fraktionsvorsitzenden und Obmänner des Ver- teidigungsausschusses zu einer Sitzung bitten sollte, bei der nicht etwa beraten werden soll, ob die Institution des Wehrbeauftragten, die im Grundgesetz steht, wieder abge- schafft werden soll. Davon ist keine Rede, sondern bei der beraten werden soll, a) was hier ohne Gesetz verbessert werden kann und b) ob etwa das Gesetz über den Wehrbe- auftragten geändert werden muß, um dessen Arbeit noch wirkungsvoller zu machen. Wir haben heute vor der Presse deutlich gemacht, daß der Kollege Hoogen für sich das Verdienst in Anspruch nehmen kann, aus einer Institution, die ursprünglich in Sorge um die Grundrechte der Soldaten und aus einem gewissen Mißtrauen in Offiziere und Unteroffiziere gebildet worden ist, etwas gemacht zu haben, was sich heute in echter Übereinstimmung beinahe zu einem Hilfsorgan für die Truppe entwickelt hat. Der Kollege Hoogen hat sich dadurch auf diesem Gebiete echte Verdienste erworben. Ich glaube, das waren wir unserem Kollegen Hoogen gerade in diesem Augenblick auch schuldig. Es bleibt bedauerlich, daß der erste Beamte des Wehrbeauftragten, Herr Engst, der zweite leitende Beamte des Wehrbeauftragten, Herr Lochbrunner, und jetzt der dritte leitende Beamte des Wehrbeauftragten, Herr Born, von ihren Arbeitsplätzen suspen- diert werden mußten. Wir werden prüfen, was auf diesem Gebiete zu geschehen hat. Kiep: Wer wird die Anfrage52 morgen begründen? Rasner: Die SPD hat gesagt, die Anregung zu dieser Großen Anfrage, die wir gemein- sam eingebracht haben, sei von ihr ausgegangen, und wir hätten uns dann angeschlos- sen. Sie bittet also darum, ohne etwa einen Anspruch anzumelden, daß er von ihr be- gründet werden kann.

52 Gemeint ist die Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 28. Juni 1967 betref- fend die Entwicklungshilfepolitik der Bundesregierung (BT-Drucksache V/1978). Copyright © 2017 KGParl Berlin 40

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Barzel: Die Frage des Wehrbeauftragten würde ich bitten, so ruhig zu behandeln, wie ich jetzt versuche, gegen mein eigenes Temperament zu sprechen. Grundgesetzfrage – wir haben das damals als Preis bezahlt für andere Sachen. Das wollen wir auch nicht rückgängig machen. Man soll das Beste daraus machen. Wir stehen zu Gesprächen zur Verfügung. [7.] Entwicklungspolitik53 Majonica: Die Arbeitskreise III und V haben das heute morgen vorbereitet. Als Redner haben sich vorbereitet Kollege Kiep, Gewandt und Frau Dr. Wolf. Barzel: Darf ich das zum Anlaß nehmen, noch etwas mitzuteilen, das ich vergessen hatte aus der vorigen Vorstandssitzung. Da haben wir, als dieser Punkt auf der Tages- ordnung stand, die Frage gehört, ob es eigentlich richtig sei, daß immer mehr Kollegen und auch Bundesminister in öffentlichen Reden sich dafür aussprechen, Entwicklungs- projekte grundsätzlich mit Ostblockländern durchzuführen. Ich bin immer aufge- schlossen und offen für alles Neue. Aber ich will überzeugt werden, warum es vernünf- tig sei. Und ich glaube, das wird in der Debatte eine Rolle spielen. Gewandt: Ich glaube, wir sollten darin übereinstimmen, daß es keine Zielsetzung der deutschen Entwicklungspolitik sein kann, gemeinsame Projekte mit Ostblockländern durchzuführen. Im übrigen muß man davon ausgehen, daß die Zielsetzung der Sowjet- union oder Chinas ganz sicher eine andere ist als die unsere. Ich habe mir erlaubt, heute morgen darauf hinzuweisen, daß nach meiner Meinung der »tourning point« im Nahen Osten die Fehlentscheidung des Westens war, den Assuanstaudamm nicht zu bauen. Das, Herr Vorsitzender, schließt nicht aus, daß es in bestimmten technischen Bereichen, besonders dort, wo es die lokale Situation geboten erscheinen läßt wie in Afghanistan, wo das Verhältnis der Entwicklungsleistung der Sowjetunion und Deutschlands etwa 10 zu 1 zugunsten der Sowjetunion ist, im technischen Bereich eine gewisse Möglichkeit der Kooperation gegeben ist. Das schließt auch nicht aus eine gewisse Kooperation mit Comecon-Ländern wie Ru- mänien und Polen, falls dort ein solches Petitum, das an uns gerichtet worden ist, auch realisierbar ist. Insgesamt gesehen muß man sagen, daß es sich hier im wesentlichen auch um einen Streit um des Kaisers Bart handelt, denn es gibt, von ganz wenigen Aus- nahmen abgesehen, keine konkreten Ansatzpunkte. Und ob es überhaupt welche geben wird, das wollen wir der Entwicklung überlassen. Aber der Kollege Kiep hat heute morgen in diesem Zusammenhang noch eine Sache erwähnt, die scheint mir doch einmal wert, auch hier erwähnt zu werden. Man sollte natürlich aus politischen Gründen immer wieder den Ostblockstaaten sagen: Wir wol- len doch gemeinsam den Frieden in der Welt und bemühen uns, Spannungen zu beseiti- gen. Bitte schön, dann helft doch mal mit. Er meint, das sei eine psychologisch-taktische Geste. Ich aber würde sagen, der reale Gehalt, der in der Sache steckt, ist minimal. Es geht hier wirklich nicht um eine Zielsetzung in der Entwicklungspolitik. Das werden wir klarlegen, sondern es geht nur darum, daß in Ausnahmefällen eine solche Koopera- tion möglich sein kann und daß man sich dagegen nicht prinzipiell sperren sollte. [8.] Jugendbericht54

53 Am 11. Oktober 1967 stand die Beantwortung zweier Großer Anfragen zur Entwicklungspolitik auf der Tagesordnung des Bundestages. Neben der Anfrage der Koalitionsfraktionen (siehe Anm. 52) war dies die Große Anfrage der Fraktion der FDP vom 5. Oktober 1967 betreffend die Entwick- lungspolitik (BT-Drucksache V/2144). 54 Gemeint ist der »Bericht der Bundesregierung über die Lage der Jugend und über die Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe« in der BT-Drucksache V/302, der in der 4. Wahlperiode als Druck- Copyright © 2017 KGParl Berlin 41

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Burger: Es hat heute morgen eine Vorbesprechung stattgefunden. Das Ergebnis wurde im Arbeitskreis IV gutgeheißen. Wir wissen, daß die SPD-Fraktion die Debatte sehr sorgfältig vorbereitet, und sie wird einige Redner ins Feld führen, die unter Umständen auch recht lange sprechen werden. Wir haben uns im Gegensatz dazu geeinigt, daß wir eine Anzahl von Kolleginnen und Kollegen zur Debatte vorgesehen haben, die aber nur kurze, präzise Stellungnahmen zu ganz bestimmten Punkten geben wollen. So ist vor- gesehen, daß als Berichterstatter Herr Horstmeier spricht, dann zum Thema allgemeine Würdigung des Berichtes meine Wenigkeit, dann Frau Stommel zur Lage der Jugend in Mitteldeutschland, Rollmann zur Situation der Jugendverbände, Horstmeier zur Land- jugend, Frau Schroeder über soziale Dienste und Mädchenbildung sowie Kühn über behinderte Kinder und Karlsruher Urteil.55 Zur besonderen Verfügung stehen Dr. Martin zur Situation der Studenten heute, Memmel zur Jugendkriminalität und Vogt zum europäischen Jugendwerk. Nur Kurzbeiträge. Die Debatte soll nicht zu lange dauern. Barzel: Ich danke dafür, daß so viele Kollegen sich bereit gefunden haben, durch Kurz- beiträge hier mitzuwirken. Der Jugendbericht ist ja schon eine alte Geschichte, aber man muß damit rechnen, daß das eine wirkungsvolle parlamentarische Debatte wird. Ich würde auch die Parlamentarische Geschäftsführung herzlich bitten, nur im äußers- ten Notfall die Debatte abzuwürgen. Wir würden nämlich für die ganze Gruppe gerne die Chance geben, möglichst ranzukommen, wenn sie kurz spricht, wenn auch ein paar Mal hintereinander welche sprechen. Es muß ja nicht immer kontrovers sein. Ich darf vielleicht Herrn Martin bitten, sich für die Debatte verantwortlich zu fühlen. [9. Berichte aus den Arbeitskreisen] Even: Der Arbeitskreis I hat sich mit der Vorbereitung der Sitzung des Rechts- und Innenausschusses befaßt. Es sind heute dazu keine Fraktionsbeschlüsse zu fassen. Es dürfte vielleicht Ihr Interesse finden, wenn ich darauf hinweise, daß der Arbeitskreis in Übereinstimmung mit einem Beschluß, den der Innenausschuß bereits gefaßt hat zur Klage der NPD gegen das Parteiengesetz, ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Bundestag sich dazu äußert. Er hat dem Rechtsausschuß empfohlen, daß der Bun- destag einen angesehenen Prozeßbevollmächtigten bestimmen sollte, wobei wir den Namen Prof. Scheuner an erster Stelle genannt haben. Es wird entsprechend verfahren. Burgemeister: Kleine Anfrage Industrie- und Handelskammer im Arbeitskreisbe- richt.56 Barzel: (teilweise nicht zu verstehen) Die eine Bitte heißt, gar nichts machen, die andere heißt, ohne die Ziffern 2, 4, 5. Winkelheide will das Ganze unverändert einbringen. Barzel: Wir haben es letzte Woche diskutiert, es hat keinen Zweck, die Sache jetzt noch einmal aufzurühren. Es gibt eine verhärtete Front. Wir nehmen das zur Kenntnis. Mehr

sache IV/3515 am 21. Juni 1965 verteilt worden war. Hierzu lag die Stellungnahme des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen vom 20. April 1967 vor (BT-Drucksache V/1720). 55 Gemeint ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1967 zum Jugendwohlfahrtsgesetz und zum Bundessozialhilfegesetz. Für den Wortlaut vgl. BVerfGE 22 (1968), Nr. 19. 56 Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Winkelheide, Mick, Orgaß, Exner, Müller (Berlin), Müller (Remscheid) und Genossen vom 11. Oktober 1967 betreffend Industrie- und Handelskammern (BT- Drucksache V/2167) in Verbindung mit der Diskussion über die Einbringung dieser Anfrage in den Fraktionssitzungen vom 5. September und 3. Oktober 1967. Copyright © 2017 KGParl Berlin 42

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kann man dazu nicht sagen. Oder wird das Wort dazu gewünscht? Das ist nicht der Fall. Burgemeister: Es ist noch eine Kleine Anfrage zu erörtern, die sich mit der Situation auf den Apfelmärkten im Bundesgebiet befaßt, in welcher die Bundesregierung gefragt wird, ob sie die katastrophale Absatzlage auf dem Apfelmarkt zum Anlaß nehmen wird, durch einen Stop der Drittländerlieferungen zu einer Marktentlastung beizutragen. Ob sie angesichts des derzeitigen Preisniveaus der Äpfel, das seit Mitte September nachhal- tig unter dem Apfelkrisenpreis der EWG-VO 1959/66 liegt, die nach dieser Verordnung möglichen und mit Mitteln des europäischen Ausrichtungsfonds und Garantiefonds für Landwirtschaft möglichen Maßnahmen zur Marktstabilisierung anwenden wird.57 Wir waren im Arbeitskreis nicht in der Lage, zu dieser Anfrage Stellung zu nehmen. Ich möchte deswegen die Bitte äußern, daß die hier noch anwesenden Kollegen dafür jetzt Stellung nehmen. Ich würde vom Arbeitskreis her empfehlen, diese Anfrage als Grup- penanfrage passieren zu lassen. Es wird entsprechend beschlossen. Bauknecht verweist eingangs auf die »europäischen Bräuche«: Wir zahlen in die euro- päische Kasse, die anderen verwenden das Geld zu ihrem Nutzen. Wir verzichten da- rauf. Als ich in meine Aufzeichnungen zurückgeschaut habe, mußte ich bis vor das Jahr 1914 zurückgehen, wenn ich einen so niedrigen Preis konstatieren wollte, wie zur Zeit die besten deutschen Qualitätsäpfel kosten. Und diese Leute haben nur das befolgt, was man ihnen gesagt hat. Sie haben Qualitätsobst angebaut, und jetzt sind sie sehr böse darüber, daß die Bundesregierung diese Möglichkeiten nicht nutzt, die sie hat, um die Lage zu verbessern. Müller (Aachen): Eine Frage: Ist dabei auch daran gedacht, daß wir Interventionsmaß- nahmen vornehmen wollen, oder daß wir die Bundesregierung zu solchen Maßnahmen auffordern wollen, wie sie in Belgien oder Frankreich ergriffen worden sind? Also Ver- nichtung von Äpfeln – wie dort Vernichtung von Gemüse betrieben worden ist. Wenn das der Fall wäre, wäre doch eine politische Diskussion notwendig. Bauknecht: Erstens handelt es sich nur um eine Kleine Anfrage, ob die Regierung diese Möglichkeiten ausschöpfen will. Entnahme aus dem Markt heißt nicht eine Vernich- tung. Man könnte beispielsweise – das wird wahrscheinlich zu Ihrer vollen Beruhigung beitragen – einen ähnlichen Weg wählen wie die Italiener, die Tomaten aufgekauft ha- ben. Sie konnten natürlich damit den europäischen Markt nicht belasten und haben sie deshalb an Drittländer weiterverkauft, also nicht vernichtet und doch eine Entlastung des Marktes erreicht. Burgemeister: Ich habe noch zwei Kleine Anfragen, die von unseren Kollegen der Landesgruppe eingebracht worden sind. Die eine behandelt die Frage Benzinpreise58 und die andere behandelt die Frage des Blutalkoholgehalts.59 Ich darf fragen, ob die Fraktion damit einverstanden ist, daß wir diese Anfragen zurückstellen bis zur nächsten Arbeitskreissitzung, oder ob Sie diese hier auch gleich annehmen wollen oder durchge- hen lassen wollen. Sie sind bis jetzt als Gruppenantrag behandelt worden.

57 Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Bauknecht, Ehnes, Stooß und Genossen vom 11. Oktober 1967 betreffend die bedrohliche Situation auf dem Apfelmarkt (BT-Drucksache V/2169). 58 Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Memmel, Wagner und Genossen vom 10. Oktober 1967 betreffend Benzinpreise (BT-Drucksache V/2161). 59 Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Besold, Stücklen, Wagner, Hauser (Sasbach) und Genossen vom 25. Oktober 1967 betreffend die Promillegrenze (BT-Drucksache V/2211). Copyright © 2017 KGParl Berlin 43

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Barzel: Zwei populäre Gruppenanträge – laufen lassen! Ist es wirklich der Wunsch, das im Arbeitskreis zu behandeln? Das ist keine Frage der Kompetenz. Ich frage nur. Darf ich mal um eine Begründung bitten, warum das im Arbeitskreis I behandelt werden soll? Köppler: Zu der Kleinen Anfrage, die von mir formuliert ist und zu der von einigen fachkundigen Kollegen keine Stellung genommen worden ist. Es gibt lediglich Gutach- ten, frühere Stellungnahmen von Sachverständigen und Hinweise auf Entscheidungen, die darauf hinzielen, daß eine Festlegung auf 0,8 Promille einfach unmöglich ist. Ich habe lediglich Fragen gestellt, die beantwortet werden sollen. Ich weiß nicht, was dazu entschieden werden soll. Die Fragen sind vollkommen sachlich und auch mit entspre- chenden Hinweisen, woher sie stammen und warum sie gestellt werden, fundiert. Ich glaube, diese Anfrage könnte doch laufen. Ich verstehe nicht, was im Arbeitskreis noch entschieden werden soll. Im übrigen habe ich gehört – ohne mein Zutun –, daß die Sache auch in der Presse bereits erschienen ist, also die Nachricht, daß dies eingereicht würde. Müller (Aachen): Vielleicht ist es für den Vorsitzenden hilfreich, wenn ich darauf hin- weise, daß wir eben ein Beispiel dafür erlebt haben, wie eine Kleine Anfrage behandelt wird, daß sie um eine Woche zurückgestellt werden mußte, weil ein Arbeitskreis sich noch nicht geäußert hatte. Jetzt wird wieder das neue Verfahren angewandt, das die Anfrage durchlaufen kann. Wir haben auch etwas Ähnliches mit dieser Agraranfrage erlebt, die auch im Arbeitskreis II nicht behandelt worden ist, obwohl sie – wohlge- merkt – allerhand Politisches enthielt. Ich meine, gleiches Recht für alle. Die soll genau- so in den Arbeitskreis, wobei ich mich weder für 0,8 noch 1,3 Promille ausspreche. Barzel: Es ist ganz klar. In dem Augenblick, wo ein Arbeitskreis sagt, ich will das noch beraten, hat dies Vorrang. Wenn der Arbeitskreis I also den Wunsch aufrechterhält, die Sache zu lesen, muß es erst in den Arbeitskreis. Das ist eine ganz normale Geschichte. Even: Ich möchte doch darum bitten, zumal die Sache an den Bundesjustizminister gerichtet ist. Barzel: Dann muß es noch an den Arbeitskreis I, was ohnehin für die Petenten nicht hinderlich ist, da ja die Presse informiert ist. Burgemeister: Anfrage über die Benzinpreise. Der Arbeitskreis hat dieses Problem nicht behandeln können. Deswegen auch die Bitte, daß die Fraktion entscheidet. Memmel: Ich muß doch einmal hinweisen auf den Sinn und Zweck des Einreichens dieser Kleinen Anfragen, von Gruppenanfragen meine ich jetzt. Wenn also eine Gruppe sich zusammentut und erarbeitet etwas, dann ist sie durch die Fraktionsgeschäftsord- nung gehalten, das vorzulegen. Das ist im Vorstand am Montag behandelt worden, und der Vorstand hat gesagt, der Arbeitskreis solle sich damit befassen. Aber warum soll sich der Arbeitskreis damit befassen? Nur dann, wenn er zu dem Votum käme, daß aus dem Gruppenantrag ein Fraktionsantrag wird. Das ist der Sinn dieses Hineingebens in den Arbeitskreis. Wenn nun eine Sache, so wie sie hier vorgetragen wird, behandelt worden ist, in der vorigen Woche bei uns in der Landesgruppe, am Montag auch im Vorstand, und der Arbeitskreis kommt nicht dazu, das zu behandeln, dann kann man diese Sache nicht noch eine weitere Woche oder 14 Tage hinausschieben. Dann ist die Sache nicht mehr aktuell. Kleine Anfragen haben es in sich, daß sie manchmal zu spät kommen oder daß sie gar von anderen Fraktionen unterlaufen werden durch einen diesbezüglichen An- trag. Ich würde also sagen, Herr Burgemeister, was soll das Hinausschieben in den Ar- beitskreis II? Es würde höchstens bedeuten, daß ein Mehr daraus wird, daß nämlich der

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Arbeitskreis sagt, das könnte die ganze Fraktion machen. Aber auf die Ehre verzichten wir, wir bitten vielmehr, das laufen zu lassen. Barzel: Jetzt sind wir Arbeitskreis und Fraktion zugleich. In der Anfrage wird gefragt, warum hat die Regierung nicht längst auf die Preise gedrückt? Ich nehme an, daß der Arbeitskreis nichts dagegen gehabt hätte, das laufen zu lassen. Ist hier jemand dagegen? Kein Widerspruch! Der Antrag kann laufen. Der Arbeitskreis III hat nichts mehr vorzutragen, der Arbeitskreis IV hat nichts vorzu- tragen, der Arbeitskreis V ist erledigt. Martin berichtet aus dem Arbeitskreis VI. Dittrich: Herr Vorsitzender, ich bin mir darüber klar, daß heute so wichtige Tagesord- nungspunkte waren, daß die Berichte aus den Arbeitskreisen an den Schluß gesetzt wurden. Aus den bisherigen Erfahrungen ist zu sagen, daß das häufig geschieht. Ich frage mich, ob diese Berichte aus den Arbeitskreisen, die ein Stück Fraktionsarbeit dar- stellen, hier nicht zu einem früheren Zeitpunkt in den Fraktionssitzungen aufgerufen werden können. Es ist ja praktisch so, daß man höchstens bei einem Arbeitskreis den Bericht und die übrigen Arbeiten in der Fraktion erfahren kann. Ich wäre dankbar, wenn solche Über- legungen angestellt werden könnten, daß diese Berichte aus den Arbeitskreisen viel- leicht schon zu einem früheren Zeitpunkt, wenn noch mehr Kollegen hier in diesem Saale sind, aufgerufen werden könnten. Barzel: Das ist eine interessante Anregung. Solange ich der Fraktion angehöre, wird so verfahren. Die Fraktion hat eine Tagesordnung, die heißt: 1. Bericht aus dem Vorstand oder zur Lage, 2. Bericht aus dem Ältestenrat, 3. Plenum der Woche, 4. Bericht aus den Arbeitskreisen. Ich bin gern bereit, Ihre Anregung aufzunehmen, weil auch ich sehr ungern am Schluß nur noch mit wenigen Kollegen zusammensitze. Wir wollen das noch einmal prüfen.

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