Fußball

Und ich weiß, wie das geht. In Bezug auf Know-how habe ich keine Defizite. SPIEGEL: Beschreiben Sie uns doch mal das Anforderungsprofil eines Teamchefs. „Die Liebe ist erloschen“ Heynckes: Er muss Autorität besitzen, Fach- kompetenz und die Fähigkeit, das Produkt Der Fußballtrainer über die Gründe mit einer gewissen Eleganz nach draußen zu verkaufen. Nach den Erfahrungen der für das Scheitern der Deutschen, den Abstand zu Europas vergangenen Zeit sollte der neue Bundes- Spitze und die Suche nach einem neuen Teamchef trainer jemand sein, der eine ganz klare Philosophie vom Fußball hat SPIEGEL: Herr Heynckes, vor und sie entsprechend vermitteln zwei Jahren wollten Sie nicht kann. Nachfolger von SPIEGEL: Wenn die anderen Län- werden, jetzt auch nicht von der schon besser Fußball spielen . Was haben können, warum soll dann nicht Sie eigentlich gegen den Job gleich ein Ausländer die deut- des Bundestrainers? sche Nationalelf trainieren? Heynckes: Gar nichts. Mich Heynckes: Wenn sich partout würde die Aufgabe sogar rei- kein geeigneter Deutscher fin- zen. Ich habe nur einen Ver- den lässt, dann würde ich Louis trag bei Benfica Lissabon, und der läuft van Gaal für eine gute Wahl hal- noch ein Jahr. ten. Der ist vielleicht manchmal SPIEGEL: Wir wollen Sie ja nicht zum Ver- ein bisschen halsstarrig und wür- tragsbruch ermuntern, aber vielleicht kann de gelegentlich auch mit den Me- man mit dem Präsidenten von Benfica Lis- dien zusammenstoßen. Aber das sabon mal über eine Auflösung des Ver- wäre bei mir ja nicht anders. trags reden. SPIEGEL: Die Vorstellung, wie die- Heynckes: Ich habe hier gerade mit dem ser kantige Holländer die sub-

Präsidenten ein neues Konzept entworfen. BAADER alterne DFB-Riege aufmischt, er- Wir haben uns von 14 Spielern getrennt Trainer Heynckes*: „Van Gaal wäre eine gute Wahl“ scheint auch uns sehr reizvoll. und 40 Millionen Mark in die neue Saison Dagegen ist wahrscheinlich selbst investiert. Was glauben Sie, was der mir übernehmen. Aber nur, wenn er bei Bay- der Italiener mehr- sagt, wenn ich jetzt gehen wollte? Der wür- er Leverkusen aufgehört hätte. heitsfähig – wobei dieser Vorschlag Franz de mich wahrscheinlich verklagen, und das SPIEGEL: Daum galt als Favorit des desi- Beckenbauers auch von Harald Schmidt zu Recht. Es ist für mich eine verdammte gnierten DFB-Chefs Mayer-Vorfelder so- stammen könnte. Als Bayern-Trainer lie- Pflicht, dieses Projekt durchzuziehen. wie eines Großteils der Medien. Erscheint ferte Trapattoni für dessen Late-Night- SPIEGEL: Ihr Kollege ist er als Idealbesetzung, weil er sich – im Ge- Show stets erstklassigen Stoff. offenbar phantasievoller. Er konnte sich, gensatz zu Ihnen – so gut wie nie der Spaß- Heynckes: Trapattoni ist ein wunderbarer bevor er am Donnerstag schließlich ab- gesellschaft verweigert? Mensch, aber er hat die italienische Philo- sagte, sogar vorstellen, die Nationalelf Heynckes: Das ist in der Tat ein Punkt, der sophie des Fußballs. Und die ist nun mal und Bayer Leverkusen gleichzeitig zu gegen mich spricht. Ich fühle mich nämlich destruktiv. Allein schon deshalb kann das trainieren. nicht als Entertainer des Fußballs, sondern nicht die richtige Lösung sein. Außerdem Heynckes: Ich hätte den Christoph Daum immer noch als Fußball-Lehrer. Das Beru- ist Trapattoni inzwischen 61 Jahre alt. Und schon für geeignet gehalten, in den nächs- higende daran ist für mich: In Deutschland ich meine, der neue Bundestrainer sollte ten Jahren die Nationalmannschaft zu rätseln jetzt alle über Nachwuchspflege. vier bis sechs Jahre im Amt bleiben, um et- was Dauerhaftes aufbauen zu können. Wir Rekordnationalspieler Matthäus, siegreiche Portugiesen: Resignation aus Ratlosigkeit sprechen nämlich über den wichtigsten Moment des deutschen Fußballs. SPIEGEL: Offensichtlich befindet sich der DFB jetzt in derselben Lage wie vor zwei Jahren, als ein Nachfolger für Berti Vogts gesucht wurde. Dass hinter dem Rücken eines amtierenden Trainers keine Ge- spräche mit Kandidaten geführt werden, mag ehrbar sein. Ist es auch professionell? Heynckes: Man hätte ja auch einen profes- sionellen Weg finden können, der ehrbar ist. Etwa, indem man sich mit dem Bundes- trainer vor dem Turnier intern darüber ver- ständigt, ob man weiter zusammenarbeiten will oder nicht. Wenn man zu dem Schluss kommt, dass man das besser nicht tun soll- te, dann würde auch nichts dagegen spre- chen, sich frühzeitig möglichst diskret um einen Nachfolger zu bemühen. Die Trai-

* Nach dem Champions-League-Sieg mit Real Madrid

ONLINE SPORT ONLINE 1998.

37 Fußball nerfrage kann doch nicht allein vom Ver- dern so erfolgreich? Weil sie aus der Armut SPIEGEL: Ein Führungsspieler stünde den lauf einer EM abhängig gemacht wer- fliehen wollen, weil sie sich vom Fußball Deutschen auch nicht schlecht. den. Man muss eine Vorstellung davon ha- soziale Anerkennung versprechen. Heynckes: Weil es den nicht gab, ist bei ben, ob einem die Arbeit eines Trainers SPIEGEL: In Frankreich oder Holland sind dieser EM das Schlimmste passiert, was grundsätzlich passt oder nicht. die sozialen und ökonomischen Verhält- im Fußball überhaupt passieren kann: dass SPIEGEL: Hat Ihnen Erich Ribbecks Arbeit nisse allerdings durchaus vergleichbar mit eine Mannschaft resigniert, weil sie gepasst? den deutschen. nicht mehr weiß, wie sie sich wehren Heynckes: Ich äußere mich grundsätzlich Heynckes: Da sind aber Prozesse in Gang soll. nicht zur Arbeit von Kollegen. Nur: Die gesetzt worden, die eine neue Richtung ge- SPIEGEL: Lothar Matthäus hat seine Auto- Verantwortlichen glauben ja jetzt noch, wiesen haben. Franzosen, Spanier und rität erst ausgespielt, als es vorbei war. Er dass diese Europameisterschaft nur ein Un- Holländer haben schon lange große Fuß- beklagte sich darüber, dass „einige nach fall war. Es ist aber nicht damit getan, nur ballinternate, da sind die Schüler gleich- so einem schlimmen Turnierverlauf in der den Bundestrainer auszuwechseln. zeitig Fußball-Auszubildende. Der Ball ist Öffentlichkeit durchsaufen“. SPIEGEL: Wollen Sie den DFB gleich mit der Mittelpunkt, und damit ist der Spaßfak- Heynckes: Das war ja auch nur ein Spie- auswechseln? tor dieses Spiels garantiert. gelbild der gezeigten Leistung. SPIEGEL: In München oder SPIEGEL: Die Fans feiern Siege ihrer Mann- Leverkusen gibt es solche schaften bei dieser EM als nationale Feste. Internate inzwischen auch. Bei den Deutschen kommt so etwas gar Heynckes: Sie können auf nicht erst auf – man hat den Eindruck, den dem Papier die tollsten Pro- Spielern sei es nicht mehr wichtig, ihr Land jekte entwerfen, aber Sie zu repräsentieren. will müssen sie mit Leben füllen. gar nicht erst mitspielen und dreht lieber Das heißt: mit hoch qualifi- zynische Werbespots. zierten, engagierten Trai- Heynckes: Wenn sich so etwas ein Spieler nern. Und in diesem Bereich aus Spanien oder Portugal erlauben würde, herrscht in Deutschland of- bekäme er fortan in seinem Land kein Bein fensichtlich eine Flaute. mehr auf die Erde. Vielleicht haben wir Woran soll sich denn jetzt uns aber auch nicht bemüht, den Stefan ein Jugendlicher orientie- Effenberg zu verstehen. Es kann nicht von ren, wenn es nicht mal mehr ungefähr kommen, dass diese wunderbare Spieler gibt, die er als Vor- Europameisterschaft mit ihrem inspirier- bild verehren kann? ten Fußball ausgerechnet an den Deut-

C. HARRY / MAGNUM / AGENTUR FOCUS / AGENTUR / MAGNUM C. HARRY SPIEGEL: Da fällt uns, im schen vorbeigegangen ist. Nachwuchsfußballer in Kamerun: „Aus der Armut fliehen“ Sinne der Fans, allenfalls SPIEGEL: Hollands „Algemeen Dagblad“ der „Anton aus Tirol“ ein. schrieb über die Deutschen: „Eine Fuß- Heynckes: Der DFB hat ja genug Aufga- Heynckes: Den hatte ich vergessen. Wir ha- ballnation stirbt“. Ist das übertrieben? ben, um die er sich sorgen muss. Aber in- ben zurzeit gerade mal noch einen einzigen Heynckes: Dass unser Fußball vom schlei- nerhalb dieses DFB muss es einen eigenen Weltklassespieler, das ist . Und chenden Tod bedroht ist, lässt sich nicht ab- Stab geben, in dem sich hoch qualifizierte der ist Torwart. Die großen Erfolge der streiten. Noch viel bezeichnender fand ich Leute ausschließlich um die National- Deutschen bei Meisterschaften sind immer aber, was die Spanier geschrieben haben: mannschaft kümmern. von großen Figuren begleitet worden, die „Fußball aus der Steinzeit.“ Dagegen gibt SPIEGEL: Kennen Sie welche? den Fußball geliebt haben. es keine Argumente. Heynckes: Der neue Bundestrainer braucht SPIEGEL: Haben Sie den Eindruck, dass die SPIEGEL: Wer hat bei dieser EM den Fußball ein Budget von circa 20 Millionen Mark, Spieler von heute den Fußball nicht mehr der Neuzeit gespielt? mit dem er ein kompetentes Team bilden lieben? Heynckes: Die Mannschaften, die Fußball kann. Dazu gehört ein Stab von Assistenz- Heynckes: Denken Sie nur mal an das EM- als Automatismus begreifen. Im Gegensatz trainern, die etwas von ihrem Beruf verste- Spiel Frankreich gegen Niederlande. Das zu den Deutschen müssen Italiener, Fran- hen. Ich spiele mal mit ein paar Namen: war eine Liebeserklärung an den moder- zosen, Holländer, Spanier oder Portugiesen Herbert Neumann, , Hermann nen Fußball. Die Liebe der Deutschen zum nicht überlegen, was sie mit dem Ball an- Gerland. Als Verantwortlichen für den ge- Fußball ist schon länger erloschen. stellen sollen. Sie wissen es. samten Nachwuchsbereich gibt es keinen SPIEGEL: Müssen wir uns darauf einrichten, SPIEGEL: Haben Sie beim 0:3 gegen Portu- Besseren als Berti Vogts. Der Job des Me- dass die Weltmeisterschaft 2002 ohne die gal so etwas wie Mitleid empfunden? dienmanagers ist mit Wolfgang Niersbach Deutschen stattfindet? Heynckes: Ich habe jedenfalls meine Wur- professionell besetzt. Aber es fehlt ein Ge- Heynckes: Keinesfalls. Ich bin davon über- zeln wieder gespürt. Ich kann mich als neralmanager, einer wie Uli Hoeneß oder zeugt, dass die Nationalelf bei entsprechen- Deutscher ja nicht herausstehlen aus dem, Michael Meier, der dem Bundestrainer alles der Arbeit auch kurzfristig Erfolge erzielen was da geboten wurde. Das hat mich zum vom Leib hält, was die Arbeit behindert, kann. Und mittelfristig werden junge Spie- einen deprimiert, zum anderen hat es mich und der den Kontakt zu den Bundes- ler dem Unternehmen eine Zukunft geben. emotional herausgefordert, etwas von mei- ligaclubs hält. Und es fehlt ein professionel- SPIEGEL: Welche Spieler denn? nen Fähigkeiten einzubringen. ler Funktionär, der ständig die Mannschaft Heynckes: Ich kann mir nun wirklich nicht SPIEGEL: Was machen Sie denn, wenn Sie begleitet. Karl-Heinz Rummenigge etwa. vorstellen, dass ein Volk von 82 Millionen demnächst zu Benfica Lissabon zurück- SPIEGEL: Die rückständigen Strukturen im Menschen keine talentierten Fußballspieler kehren, beim ersten Training über moder- DFB beantworten allerdings noch nicht die mehr hervorbringt. Ich bin auch davon nen Fußball dozieren, und die Spieler fei- Frage, warum die anderen besser Fußball überzeugt, dass es schon jetzt welche gibt. xen: Was will uns denn dieser deutsche spielen als die Deutschen. Aber so, wie beispielsweise der Michael Verlierer da eigentlich erzählen? Heynckes: Das hat auch etwas damit zu tun, Ballack bei der EM gespielt hat, muss etwas Heynckes: Ich habe die Hoffnung, dass ich dass Jugendliche bei uns schon alles ha- schief gelaufen sein. Dass der Ballack Ta- durch meine Arbeit in Spanien und Portu- ben. Warum sind denn in der lent hat, steht ja außer Frage. Das muss gal inzwischen als halber Südländer durch- die Ausländer aus sozial schwachen Län- man nur herausarbeiten. gehe. Interview: Matthias Geyer

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