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03/2000, 1. Jahrgang 5. Mai 2000 UNABHÄNGIGES MAGAZIN DM 5,-- • $4 • ÖS 40,-- • SFR 5,-- Foto: Joseph Schmidt-Archiv, Rüti/CH Joseph Schmidt-Archiv, Foto:

www.FIZ-Magazin.com Titelthema Joseph Schmidt Der kleine Sänger mit der großen Stimme Portrait von Werner Kömpf

Brütende Hitze liegt an die- erhielten schon Stars wie Git- freute sich das Ehepaar Wolf sem Junitag des Jahres 1932 ta Alpar, Edith Lorand, Marcel und Sara Schmidt über den über dem ausverkauften Saal Wittrisch und der allseits ge- ersten Schrei des gerade gebo- des Berliner Rundfunks. Die liebte Richard Tauber. renen Sohnes. Das Geburts- brodelnde Spannung der An- Heute wird die Ehrung ei- haus, ein kleiner gepachteter wesenden steigt mit jeder Mi- nem Sänger zuteil, der wahr- Bauernhof, steht in der Bu- nute. Zwischen den Promi- lich auf dem Höhepunkt sei- kowina, genauer, in Davideny, nenten sitzt unbeachtet eine ner Karriere angelangt ist, und südwestlich der Hauptstadt einfach gekleidete Frau um die der sich in die Herzen der Ber- Czernowitz. Ein Gebiet, das fünfzig. Wer sie genau beob- liner gesungen hat: dem , zum Staatenbund der Donau- achtet, bemerkt, wie sie sich Joseph Schmidt. Kein geringe- monarchie gehört. mit einem Taschentuch hin rer als der Direktor der Rund- und wieder den Schweiß von funkanstalt kündigt den be- den Handflächen wischt. - gnadeten Sänger an. Bedäch- Aber wer beachtet schon eine tig betritt der Geehrte die Büh- Unbekannte, wo sich doch die ne. Die einfache Frau in der Mehrzahl der Kulturgrößen ersten Reihe springt auf und versammelt hat. Die klatscht wie eine Besessene Orchestermusiker nehmen Beifall, der aber im tosenden ihre Plätze ein, nervöse Auf- Applaus der Menge untergeht. geregtheit macht sich breit. Denn der Held des Tages ist „Jossale“, ihr vergötterter Sohn! liegt Joseph Schmidt zu Füßen. Das begeisterte Au- ditorium will ihn singen hö- ren. Und er singt, Lied um Lied, Arie um Arie, - die Be- geisterung steigert sich zur Das Elternpaar des kleinen Hysterie. Joseph könnte unterschiedli- Schließlich gelingt es doch, cher nicht sein. Vater Wolf, ein ihm die begehrte Auszeich- strenggläubiger Jude chassi- nung zu überreichen. Als „äu- discher Prägung, verwendet ßeres Zeichen seiner Beliebt- die meiste Zeit auf das Studi- heit, erhält er neben einer Ur- um der Thora. Ein verschlos- kunde eine goldene Taschen- sener Mensch, der kaum Kon- uhr mit der Inschrift: „Herrn takt zu seiner Umwelt findet. Joseph Schmidt, für die beste Ganz anders dagegen Sara Es ist die Veranstaltung, der Monatsgesamtleistung im Schmidt. Sie strömt über vor die Berliner Rundfunkhörer Funktoto des 8-Uhr-Abend- Herzensgüte, und mit ihrer seit Tagen entgegen fiebern. blattes. Berlin, Mai 1932“. Da- freudigen Hilfsbereitschaft ge- Heute soll der beliebteste mit hat er seinen Platz im winnt sie leicht die Herzen der Künstler des Monats geehrt Sängerolymp erklommen! Mitbewohner des kleinen Or- werden. Diese Auszeichnung, Vorauszusehen war dieser tes. auf Initiative des „Berliner 8- Erfolg am 4. März 1904 sicher Im Gegensatz zu anderen Uhr-Abendblatts“ geschaffen, nicht, denn an diesem Tag Kindern, zeigt sich bei Joseph Titelthema

6 FIZ 02-2000 die unter der Leitung von Elieser Steinberg weit über die Grenzen der Stadt hinaus bei jung und alt einen hohen Stel- lenwert besitzt. So gern Joseph singt, sein Ziel ist es, Schauspieler zu werden und Steinberg gibt ihm eine erste Chance. Am 8. April 1922 debütiert Joseph Schmidt in Steinbergs Stück „Der Verkauf Josephs“. Gleich in zwei Rollen tritt er auf: als Bruder Levi und als Pharao von Ägypten. Die Lokalpresse ist zwar angetan von der Kon- zeption und der Ausführung, bemerkt allerdings kritisch, daß Joseph Schmidt das „Nachtlied“ Levis nicht aus- wendig vorgetragen hat. Als Kommentar dazu stellt der früh eine Besonderheit. Seine weis des Lehrers, ist es für sie Berichterstatter fest: „Der Art der Kommunikation ist das doch die Bestätigung, daß ihr Träumer von einer großen Singen. Wo Kinder üblicher- „Jossale“ das Zeug zum Musi- künstlerischen Karriere, des- weise lachen, weinen oder ker hat. - Vielleicht reicht es sen Gedächtnis voll von Ari- einfach ihre Gefühle durch die ja sogar zum Sänger? en der italienischen Opern- Sprache ausdrücken, singt der 1914. Bedingt durch die literatur ist, hat nicht die Ge- kleine Joseph seine Befind- Umwälzungen des ersten duld, Lieder eines jiddischen lichkeiten heraus. Weltkrieges, siedeln die Stücks auswendig zu lernen“. Er entwickelt sich zum Schmidts nach Czernowitz - Dieser Schuß vor den Bug hat Träumer. Glücklich ist er beim über. Dank seiner glasklaren Joseph Schmidts Arbeitsstil Titelthema durchstreifen der Wiesen und Stimme wird Joseph sofort in geprägt. Später sollte er dafür Wälder oder wenn er den ge- den Chor der großen Synago- bekannt werden, immer be- liebten Katzen beim Spiel zu- ge aufgenommen. Unter dem sonders gut vorbereitet zu sieht. Stundenlang still in der bekannten Komponisten und sein. Schule sitzen, trockene Re- Chorleiter Josef Towstein, darf Meist spielt Joseph jetzt chenaufgaben lösen oder gar er nun nach Herzenslust sin- Hauptrollen. Um mit seiner Grammatik lernen, ist seine gen. Towstein, von der außer- beeindruckenden Stimme Sache nicht. gewöhnlichen Stimme seines noch mehr Besucher in seine Auch der strenge Lehrer im Schützlings beeindruckt, bil- Vorstellungen zu locken, er- Ceder, der Synagogenschule, det ihn zum Tempelsänger gänzt Steinberg jeweils sehr ist von dem Tagträumer nicht aus. Er ist fest davon über- geschickt die Handlung um gerade angetan. Doch schon zeugt, mit Joseph Schmidt ei- einige eigens für Schmidt ge- bald stellt er fest, daß Joseph nen der großen Kantore her- schriebene Lieder. über eine reiche musikalische vorzubringen, der nahtlos an Außer seiner beeindruk- Begabung verfügt. Er berichtet die reiche Tradition der besten kenden Stimme, ist es die un- den Eltern von seiner Wahr- ihres Fachs anknüpfen wird. komplizierte Art, die Mitspie- nehmung, was Mutter Sara, Mit dem Gesang wächst bei ler und Truppe hinter der Büh- gegen den ausdrücklichen Joseph Schmidt auch die Lie- ne an dem Jungschauspieler Willen ihres Mannes, veran- be zum Schauspiel. Besonders schätzen. Die Texte immer pa- laßt, Joseph Violin- und Kla- angetan ist er von dem rat, stets einen Scherz auf den vierunterricht geben zu lassen. Czernowitzer Kindertheater. Lippen, wird „der singende Sie ist dankbar für diesen Hin- Eine bedeutende Institution, Joschi“, wie sie ihn inzwi-

FIZ 02-2000 7 me festigen. seinen Gunsten, daß eine Joseph Schmidt singt wäh- Kantorenstelle in Czernowitz rend seiner Ausbildung in öf- frei wird. Er bewirbt sich. Wie fentlichen Konzerten und den er glaubt, nur eine Formsache. zahlreichen Synagogen der Aber er hat nicht mit dem Vor- Stadt. Die Auftritte bringen behalt des Gemeindevorste- ihm nicht nur Ruhm, sondern hers gerechnet. Der kann sich auch ein ordentliches Zubrot einfach nicht vorstellen, daß ein. Zu materiellen Dingen, „der kleingewachsene Joseph insbesondere Geld, hat Joseph Schmidt, nun als erster Kan- allerdings keinen Zugang, ja, tor ganz vorne stehen soll“. - er wird ihn niemals haben. So Sein Antrag wird abgelehnt! liefert er seine unterschiedlich Erst der angesehene Kantor hohen Einnahmen immer Moshe Steinberg setzt sich freudestrahlend bei Mutter vehement für ihn ein, so daß Sara ab. Für sie stets eine will- er die Stelle doch noch be- Im Kostüm des Bajazzo kommene Aufbesserung der kommt. schen nennen, der Liebling ohnehin knappen Familien- Da er aber nicht nur in der des Theaters und dessen Pu- kasse. Synagoge singt, sondern nach blikum. Die Ausbildung ist abge- wie vor öffentliche Konzerte Aber, - bei allen Erfolgen schlossen, und es fügt sich zu gibt, wird ihm vom Rabbinat gibt es ein Problem, das ihn sein Leben lang begleiten wird und letztlich seine Bühnen- karriere unterbindet: Seine Körpergröße! - Bei Ein-Meter- Vierundfünfzig endet für ihn die Meßlatte! Trotz seiner Kleinwüch- sigkeit, kann man bei Joseph Schmidt jedoch nicht von Zwergwuchs reden. Trotz sei- ner geringen Größe ist er wohl proportioniert. Aber wer wird ihm den jugendlichen Liebha- ber abnehmen? Wer die Hel- den der Opernliteratur? Da helfen auch keine hohen Ab- sätze oder Schuheinlagen! Mit diesem Schicksal wird er sein Leben lang hadern, denn, nicht nur die Bühne bleibt ihn versperrt, wegen seiner gerin- gen Körpergröße wird auch jede Liebes- zur Leidensge- schichte werden. Als Josef Towstein feststellt, daß er seinem Schützling nichts mehr beibringen kann, gibt er ihn in die Hände einer Czernowitzer Musikpädago- gin. Sie soll in den nächsten zwei Jahren den Unterbau die- ser außergewöhnlichen Stim- Im Kreis von Verehrerinnen Titelthema

8 FIZ 02-2000 vorgeworfen, „weltliche Lie- strebenden Künstler“ in seiner endet. Aber anstelle eines der“ zu singen. Da er darauf Wohnung aufnimmt. Sängerlebens in Berlin, ruft nicht verzichten will, führt Zu einer großen Karriere das ferne Rumänien! Er wird das unausweichlich zum gehören, außer einem beson- zum Wehrdienst eingezogen. Bruch zwischen ihm und der ders ausgeprägtem Talent, Der Abschied fällt schwer, Gemeindeführung. Schmidt noch viele unterschiedliche aber Schünemann tröstet ihn quittiert es mit den Worten: Komponenten. Eine ist dabei damit, sich „auch später“ für „Nun meine Herren, dann immer wichtig: Beziehungen! ihn einzusetzen. eben nicht. Aber eines kann Noch kann Joseph Schmidt Sollten die tröstenden Wor- ich Ihnen versprechen, Sie nicht darauf zurückgreifen, te damit zu tun haben, daß hören noch von mir!“ aber Dank eines Empfehlungs- Schünemann inzwischen Lei- Frühjahr 1925, der schreibens des einflußreichen ter der Rundfunkversuchs- Schmidtsche Familienrat tagt! Politikers aus Czernowitz, stelle in Berlin ist? Nach dem Verlust der Kanto- Mayer-Ebner, kommt es zu ei- Das Ende des Jahres 1928 renstelle hat man begriffen, nem Termin an der Staatlichen naht: zwanzig Monate Militär Czernowitz mit seinen knapp Akademischen Hochschule sind überstanden! Die Zeit hunderttausend Seelen zu für Musik und Gesang. wurde ihm dort nicht allzu klein für diese große Stimme. schwer gemacht, denn Dank Deutsch ist die Umgangs- seiner musikalischen Bega- sprache der Familie Schmidt, bung fand er nach der Grund- was liegt demnach näher, als ausbildung als Mitglied einer ihn nach Deutschland zu Militärkapelle Verwendung. - schicken. - Hört man doch Nun ist er wieder am mütter- auch hier von den ungeahnten lichen Herd angekommen, an Möglichkeiten die ein Sänger dem er sich so wohl fühlt. - dort haben soll. Kaum zurück, erreicht ihn Im Dritter-Klasse-Abteil des eine Offerte des Gemeindera- überfüllten Zuges nach Berlin, tes der großen Synagoge. Er fährt Joseph Schmidt einer soll die Gebete an den hohen ungewissen Zukunft entgegen. Feiertagen singen. Der Ge- Außer einem Empfehlungs- meindevorstand erwartet Au- schreiben und ein paar Mark ßergewöhnliches von ihm, das Titelthema hat er nichts in der Tasche. Ein ist ihm sofort klar, denn astro- naiver Plan; geboren in den Professor Hermann Wei- nomische 60.000 Lei zahlt Hinterhöfen von Czernowitz - ßenborn hört sich den jungen man nicht für einen „norma- ohne jeglichen Realitätsbezug! Sänger an und ist begeistert! - len“ Kantor. Der würde schon Vor allem aber in Unkenntnis Aber er macht ihm auch klar, für weniger als ein Zehntel des des alles verschlingenden Mo- daß seine Stimme noch nicht Honorars zu haben sein. lochs Berlin. Wie soll er sich ausreichend geschult ist, um Die Gemeindeführung ist zurechtfinden in einer Stadt damit bestehen zu können. nach seinen Auftritten mehr mit über vierzig Theatern, Als er dann von der prekären als zufrieden, wollte man den zwanzig Konzertsälen und finanziellen Lage Schmidts ausländischen Gästen aus Bel- drei Opernhäusern der Spit- erfährt, bietet ihm Weißen- gien doch zeigen, daß zenklasse? born einen Freiplatz in seiner Czernowitz kein kleines Pro- Trotzdem ist Berlin mit Be- bereits arbeitenden Meister- vinznest ist, sondern zu Recht dacht gewählt, denn hier le- klasse an. als eine jüdische Metropole ben zwei Brüder von Mutter Joseph Schmidt zeigt des Ostens bezeichnet wird, Sara, die es zudem als selb- schnell Fortschritte, was ihm und das ist dank Joseph ständige Kaufleute zu beschei- die Aufmerksamkeit des Di- Schmidt gelungen. denem Wohlstand gebracht rektors der Hochschule, Georg Die Gäste sind so beein- haben. Was also liegt näher, als Schünemann, sichert. druckt, daß sie Joseph ihn bei einem der beiden un- Ein Jahr in Berlin ist ver- Schmidt zu einem Konzert terzubringen? - So ist es sein gangen. Joseph Schmidt hat nach Antwerpen einladen. So Onkel Leo Engel, der den „auf- sein Studium erfolgreich be- steht er im Januar 1929 zum

FIZ 02-2000 9 Ersten Mal auf einer interna- überträgt. Obwohl ihm in Ber- me Schmidts überwältigt, bit- tionalen Bühne. Sein Reper- lin so ziemlich alle großen tet er ihn, noch die Arie des toire ist beachtlich gewachsen Stimmen zur Verfügung ste- Idomeneo aus Mozarts gleich- und reicht mittlerweile von hen, hat er bei der Planung namiger Oper vorzutragen. Operettenliedern über die ita- seiner Opernsendungen im- Schmidt hat diese Partie nie lienische Kanzone bis zu der mer wieder das gleiche Pro- studiert, er bittet darum, vom schwierigen Arie des „Postil- blem, nämlich einen Tenor zu Blatt singen zu dürfen. lion von Lonjumeau“. Er kann finden der allen Partien ge- Eine so schwierige Kolo- mit seinem zwar Auftritt das recht wird. Nun, Schünemann raturarie vom Blatt singen? So Publikum hinreißen, in der weiß Rat, er schlägt Joseph etwas hat noch kein Tenor ge- lokalen Presse findet der Auf- Schmidt vor. wagt und dieses kleine Männ- tritt keine Resonanz. Bronsgeest ist tief ent- chen soll das schaffen(?) - geht Auch in Berlin ist die Zeit täuscht, als er den kleinen es Bronsgeest durch den Kopf. nicht stehengeblieben. Aus Mann sieht. Ungehalten fragt Joseph Schmidt ist aber nicht zu beirren, fast fehlerfrei per- len die Koloraturen, er läßt seine Stimme in allen Farben erklingen. Mit dieser Probe seines Könnens beginnt für Joseph Schmidt ein unaufhaltsamer, kometenhafter Aufstieg. In der schwierigen Rolle des in Meyerbeers „Afri- kanerin“, feiert er am 18 April 1929 sein glanzvolles Debüt beim Berliner Rundfunk. Das Echo der Hörer und der Berli- ner Presse auf diesen Auftritt ist so überschwenglich, daß man ihn sofort für weitere fünf Klavierprobe 1931 (von links) Vera Schwarz, Cornelius Bronsgeest, Opernproduktionen verpflich- Joseph Schmidt, Michael Bohnen und Leo Blech am Flügel tet. der Rundfunkversuchsstation er: „Was wollen Sie singen Man wird neugierig, will ist unter Hans Bredow, dem Herr Schmidt? - „Was Sie wol- mehr über den neuen Stern Gründer des deutschen Rund- len“ antwortet er selbstbe- am Opernhimmel wissen. - funks, der erste Berliner Sen- wußt. Unvermittelt schlägt der Wer steckt hinter der strahlen- der entstanden. Das neue Me- Pianist die Stretta aus Verdis den Stimme, warum tritt Jo- dium erfreut sich bereits all- Troubadour an und meint zu seph Schmidt nicht in der Öf- gemeiner Beliebtheit und brei- Schmidt: gewandt „In Origi- fentlichkeit auf? Die wildesten tet sich in einer Geschwindig- nal C-Dur, wenn ich bitten Gerüchte ranken sich um sei- keit aus, wie es selbst die größ- darf“. Und Schmidt singt! ne Person. Ist seine Stimme ten Optimisten nicht voraus- Bronsgeest will seinen Ohren etwa nur eine technische Ma- gesehen haben. nicht trauen. Ganz nah geht er nipulation begabter Tonmei- Der musikalische Leiter an den Sänger heran, bringt ster? Ist er etwa entstellt? - dieser Sendeanstalt ist Corne- sein Ohr an Schmidts Mund. Dabei ist die Erklärung ganz lius Bronsgeest, ein ehemals Tatsächlich, die Töne kommen einfach, Joseph Schmidt liegt hoch geschätzter Bariton auf aus seiner Kehle, es ist keine kein Angebot für einen öffent- den großen Opernbühnen Eu- versteckt aufgelegte Schall- lichen Auftritt vor. Doch das ropas. Kein Wunder, daß er platte von Enrico Caruso, die- wird sich schnell ändern. ganze Opern für den Rund- ser kleine Kerl singt selbst. „Es (Fotos: Joseph Schmidt- funk arrangiert und der stän- ist unfaßbar - und dieses hohe Archiv, Rüti/CH) dig zunehmenden Hörerschaft C, - einfach herrlich“. direkt in die Wohnstuben Von der strahlenden Stim- 2. Teil ab 2. Juni 2000 Titelthema

10 FIZ 02-2000 Musik Joseph Schmidt Der kleine Sänger mit der großen Stimme Portrait von Werner Kömpf • 2. Teil

Im Großen Schauspielhaus Recht behalten. Seine Platten Gottesdienst keinen eigenen läuft seit Wochen erfolgreich verkaufen sich mit ungeahn- Kantor leisten können? War- eine Ralph-Benatzki-Revue tem Erfolg und machen den um nicht auch hier die Schall- „Die drei Musketiere“. Nicht kleinen Tenor zum meist ge- platte einsetzen? Und wer zuletzt Gastbesetzungen mit hörten Sänger seiner Zeit. kann die liturgischen Gesän- hochrangigen Künstlern si- Die Schallplatte trägt dazu ge besser vortragen, als der chern den Erfolg des Stückes. bei, daß er mehr Konzertan- dafür ausgebildete Joseph - So kann es nicht ausbleiben, gebote erhält als er wahrneh- Schmidt?“ Nach kurzem Kon- daß auch Joseph Schmidt eine men kann. Die dadurch auch takt wird man sich einig. Die Offerte erhält, die er gerne an- größer werdende geschäftliche gesamte Liturgie der jüdischen nimmt. - Speziell für ihn Seite seines Berufes wächst Reformgemeinden wird auf schreibt man das Zwischen- ihm schnell über den Kopf. über hundert Platten einge- spiel „Bei den Zigeunern“, und Ein Umstand, der seinen On- spielt und auf dem ganzen baut es geschickt in die Hand- kel Leo, bei dem er noch im- Erdball vertrieben. Mehr als lung ein. Ja, man nimmt sogar mer wohnt, veranlaßt, sich die Hälfte mit dem Gesang von Rücksicht auf seine kleine Sta- hauptberuflich als sein Mana- Joseph Schmidt. tur und ändert die Bühnenaus- ger zu betätigen. Die Rundfunk- und Schall- stattung. Er wird auf einen er- plattenerfolge Schmidts rufen höhten Steg gestellt, um ihn auch den jungen Tonfilm auf größer erscheinen zu lassen. den Plan. Die Greenbaum- Zudem umringt ihn ein Chor. Filmgesellschaft produziert in - Alles ist äußerst pfiffig arran- Berlin und Venedig den Film giert, den Zuschauern bleibt „Liebesexpreß“. Eine venezia- so der kleine Trick verborgen. nische Liebesgeschichte, in Über Wochen feiert er Erfol- dem für Joseph Schmidt eine ge mit dieser Einlage. Zwi- Nebenrolle als Sänger einge- schendurch ist er aber nicht baut wird. Als Hauptdarsteller untätig und macht seine ersten wirken Dina Gralla und Georg Schallplattenaufnahmen. Er Alexander mit, beide sind er- singt Arien aus Oper und Ope- ste Wahl im neuen Tonfilm. rette für die neugegründete Für das traute Glück der bei- Ultraphon, die sich als Kon- den singt er einige schmach- kurrenz zur bereits erfolgrei- tende Kanzonen. chen „Odeon-Schallplatten- Sind seine Auftritte auch Kultur Gesellschaft“ etabliert hat. Die Der Siegeszug der Schwar- recht zusammenhanglos in die „Odeon“ hat neben anderen zen Scheibe ist nicht mehr Handlung eingebaut, so feiert Künstlern auch den schon zu aufzuhalten. Aber warum ih- er doch in Deutschland, Öster- Lebzeiten legendären Richard ren Einsatz auf den „profanen reich und den fernen Vereinig- Tauber unter Vertrag, was ihr Gebrauch“ beschränken? Ge- ten Staaten von Amerika gro- allein den wirtschaftlichen leitet von diesem Gedanken ße Erfolge. Weitere Filme fol- Erfolg sichert. So erhoffen sich wird ein cleverer Geschäfts- gen: „Goethe lebt“ und „Ge- die Direktoren der Ultraphon führer der Lindström AG. Sei- hetzte Menschen“ bieten ihm mit Joseph Schmidts strahlen- ne zündende Idee: - „Gibt es ebenfalls nur Nebenrollen, sei- der Stimme auf ihren frisch nicht tausende von Synago- nen Gesang aber tragen sie in gepreßten Tonträgern den glei- gengemeinden in Europa und die Welt hinaus. chen Aufschwung. Sie sollen Übersee, die sich für ihren Januar 1933. Die Dreharbei-

FIZ 02-2000 31 ten zu dem Film „Der Sänger zur Premiere des Film „Ein wünscht. des Volkes“ sind in vollem Lied geht um die Welt“ ange- Da erreicht ihn ein verlok- Gange, als sich die seit ein sagt. Natürlich erfährt auch kendes Angebot des Senders paar Jahren bereits dunkler Schmidt davon, der sich kur- NBC aus den USA. Wird er in werdenden politischen Wol- zerhand entschließt, der der neuen Welt seinen Auf- ken zu einer Gewitterfront zu- Premiere fernzubleiben. - stieg fortsetzen können? Ist sammenziehen. Hitler wird Schlichte Angst vor Goebbels dies gar der Beginn einer Welt- Kanzler des Deutschen Rei- und eventuellen Repressalien karriere? - Wir werden es nie ches. veranlaßt ihn zu diesem Ver- erfahren, denn aus unbekann- Der Film ist bereits in we- halten. ten Gründen schlägt Joseph sentlichen Teilen abgedreht, Schmidt die Offerte aus und als die Zensurbehörde des siedelt nach Wien über, das sich etablierenden NS-Staates ihm in den letzten Monaten eingreift. Mit der Begründung schon zur zweiten Heimat ge- „Ein Jude kann niemals ein worden ist. Sänger des deutschen Volkes Es läßt sich nicht schlecht sein“, wird die Produktion kur- an, in der Donaumetropole. zerhand gestoppt. Richard Richard Oswald, der ebenfalls Oswald, der Regisseur, muß nach Wien emigriert ist, be- sich etwas einfallen lassen, ginnt einen neuen Joseph- will er die Produktion been- Schmidt-Film. „Wenn du jung den. bist, gehört die Welt“ hat im Josef Schmidt, der nach wie Januar 1934 Premiere. Kon- vor dem mosaischen Glauben zertanfragen aus Warschau, verbunden ist, darf deshalb Paris, Brüssel, Zürich und nicht sein, was er längst ist: Amsterdam treffen ein, die der „Der Sänger des Volkes“. Es rührige Leo Engel fast alle un- gelingt Oswald schließlich die ter einen Hut zu zaubern ver- Zensurbehörde damit ruhig zu Autogrammkarte steht. Joseph Schmidt beginnt stellen, indem er den Filmtitel Der Streifen ist vorgeführt, ein singendes Zigeunerleben, in „Ein Lied geht um die Welt“, der Ufa-Palast kocht. Nun will das ihm nur wenige Aufent- ändert. man Josef Schmidt, will ihn halte in Wien erlaubt. Vielleicht hat das rasche sehen und hören! Das Premie- Europa feiert ihn, erliegt Nachgeben der Zensoren aber renpublikum steigert sich zur dem Schmelz seiner Stimme, auch damit zu tun, daß Hysterie. Dem Produzenten durch die, selbst bei heiteren Goebbels, seine Zeichens blieb keine andere Wahl, als Stücken, tiefe Traurigkeit Reichspropagandaminister, Schmidt telefonisch in den durchschimmert. Ganz Euro- trotz seines ausgeprägten Ju- Ufa-Palast zu zitieren. Fast pa? - Deutschland, das Land denhasses, als ein Verehrer zum Ende der Vorstellung trifft seiner größten Triumphe, Schmidts gilt. Wollte er ihn er ein, seine Angst vor bleibt ihm verschlossen. Sei- nicht gerade erst zum „Ehren- Goebbels mühsam beherr- ne Filme und Schallplatten arier“ befördern? Hat er Joseph schend. Doch diese stellt sich werden verboten. Sogar Archi- Schmidt nicht einen Rund- als unbegründet heraus, ve hat man von jüdischen In- funkvertrag mit einer Garan- Goebbels ist begeistert und terpreten „gesäubert“. Hin und tiesumme von jährlich 80.000 bleibt noch in seiner Loge sit- wieder allerdings besucht er Reichsmark anbieten lassen, zen, als Joseph Schmidt Lied seinen zweiten Onkel in Ber- die der aus unerfindlichen um Lied aus seinem Film wie- lin, um diesen zur Auswande- Gründen ablehnte? Trotzdem: dergibt. — Es soll seine letzte rung zu bewegen, doch ohne der Film darf fertiggestellt wer- große Huldigung auf deut- Erfolg. Hermann Engel meint den. schem Boden gewesen sein! - lapidar: „Unrecht kann nicht 9. Mai 1933. Seit Wochen Der Vertrag mit dem Berliner ewig dauern“ und bleibt. ist der Ufa-Palast für diesen Sender wird nicht erneuert, Ewig hat es nicht gedauert, Tag ausverkauft. Goebbels hat Auftritte in deutschen Kon- doch für Hermann Engel zu sich ebenfalls mit seinem Stab zertsälen sind nicht mehr er- lang. Kultur

32 FIZ 02-2000 Noch haben die braunen Schmidt schafft es. Am 10. nebenbei zum bestbezahltes- Marschkolonnen Wien nicht März schreibt Ewald ten Sänger aller Zeiten, denn erreicht, noch kann man rela- Campbell in „Variety: „...Die wer hat schon für einen Drei- tiv ungehindert leben und ar- Titel, die er für sein amerika- Minuten-Auftritt zur damali- beiten. Zwischen Auslands- nisches Debüt wählte, gaben gen Zeit zehntausend US-Dol- konzerten entsteht der Film ihm optimale Möglichkeiten lar einstreichen können? „Ein Stern fällt vom Himmel“, zur Entfaltung seiner Qualitä- Joseph Schmidt ist in den ein Sänger- und wie könnte es ten und bezeugen seinen aus- Staaten zum Superstar aufge- anders sein, ein Liebesfilm. geprägten Sinn für das drama- stiegen. Aber das Heimweh Seine Partnerin ist Evi Panzer, tische und lyrische Fach. In nach Europa, seiner Mutter, eine frisch gekürte Schön- der ersten Arie wirkte Schmidt die er regelmäßig besucht, ist heitskönigin, die er nicht nur begreiflicherweise etwas ner- größer als alle verlockenden im Film erobert. vös, anschließend bewies er, Angebote. Mitte Februar 1938 An Verehrerinnen fehlt es daß er seine stimmlichen und kehrt er nach Wien zurück, um ihm wahrlich nicht, und er gestalterischen Mittel stets wenige Tage später schon wie- nutzt seine Chancen! - Stets unter Kontrolle hatte, und prä- der eine Europatournee zu bleiben es jedoch Amouren, sentierte eine Stimme von starten. Bei seiner Rückkehr denn seine „große Liebe“ glänzender Qualität“. nach Wien, wehen bereits Mary-Rose Solnik, die Frau ei- überall die Fahnen mit dem nes Industriellen, will sich Hakenkreuz. Vorboten einer partout nicht von ihrem Mann infernalischen Epoche, die scheiden lassen. Als der dann Europa überziehen wird. Jo- darauf besteht, daß seine Frau seph Schmidt erkennt die Ge- ihre Romanze mit Joseph fahr - und handelt schnell, Schmidt beendet, kommt es zieht am 7. März 1938 von endgültig zum Bruch. - und zu Wien nach Brüssel um. Hier neuen, unverbindlichen Affä- Im Kreis von Verehrerinnen glaubt er sich von den Nazis ren. unbehelligt, hofft, in Ruhe le- Amerika meldet sich wie- Es folgen weitere erfolgrei- ben zu können, eine neue der, denn die englischen Ver- che Auftritte. - Und wieder ist künstlerische Heimat gefun- sionen zweier Schmidt-Filme es der Rundfunk, der seine den zu haben. Nur fünf Tage „My Song goes round the strahlende Stimme von New später wird Österreich „ange- World“ und der 1936 in Wien York bis in die entlegensten schlossen“ - er hatte recht be- uraufgeführte „A Star fell from Hütten von New Mexico bis halten! Heaven“ werden dort vom Pu- Alaska trägt. Nach diesen Kon- Bei Onkel Leo erweist es blikum begeistert aufgenom- zerten plant sein Agent sofort sich immer deutlicher, daß er men. „The tiny Man with the eine ausgedehnte Tournee, die es auf das Geld seines weltbe- Great Voice“, wie ihn die Ame- ihn quer durch die Staaten rühmten Neffen abgesehen rikaner bezeichnen, hat sein führen soll. Süd- und Nord- hat. Joseph Schmidt erkennt Debüt am 7. März 1937 im Dakota, Colorado, Alabama, dies zwar, kann sich aber ge- Rahmen eines „General Mo- Florida, Ohio, Pennsylvania gen seinen willensstarken tors Concert“. Zwischen Men- und Texas sind die neuen Zie- Manager nicht durchsetzen. Kultur delssohns „Hebriden-Over- le, welche es -über New York Ja, er weiß noch nicht einmal, türe“ und Tschaikowskys 4. hinaus- zu erobern gilt. wo und wie der Onkel das vie- Symphonie, begeistert er sein Während seit Monaten die le Geld angelegt hat, das er in Publikum in der ehrwürdigen Wanderausstellung „Entartete den letzten Jahren verdient Carnegie-Hall zu New York Kunst“ durch Nazi-Deutsch- hat. Noch hat er ausreichende mit Liedern und Arien von land tourt, beginnt Joseph Mittel zur Verfügung. Donizetti, Leoncavallo Verdi, Schmidt im Oktober 1937 sei- Joseph Schmidt gibt kleine- Schubert und Johann Strauss. ne neue große Gastspielreise re Konzerte in Gent und Für einen europäischen durch die USA mit vier Kon- Brügge, bestreitet Rundfunks- Künstler ist es in der neuen zerten in der Carnegie-Hall. endungen in Brüssel und Am- Welt wahrlich nicht leicht zu Die Tournee wird zu einem sterdam. Selbst sein Traum, bestehen, doch Joseph Triumphzug und macht ihn auf der Opernbühne zu ste-

FIZ 02-2000 33 hen, wird in Brüssel Wirklich- Auswahl der Aufenthaltsorte kann er jetzt nicht mehr neh- keit. Die Oper verpflichtet ihn begrenzt. Fast mittellos, abge- men und erscheint am 20. De- als Rudolfo in La Boheme. Die schnitten von Onkel Leo und zember 1941 im Hafen von Kritiken am Tag nach der Pre- damit seinem Geld, läßt er sich Nizza, um die Schiffsreise miere sind an diesem 20. Ja- in Lyon nieder. Sofort erteilt nach Kuba anzutreten. Sicher nuar 1939 geteilt. Und: anti- man ihm Auftrittsverbot und wird es nicht schwierig sein, semitische Seitenhiebe dabei so beginnt eine Zeit, die Jo- von Havanna aus Tourneen in unübersehbar. Bereits sechs seph Schmidt schon einmal die Staaten zu organisieren. Tage vorher erschien im „NS- erlebt hat: der nackte Existenz- Diese Vorfreude versetzt den Funk“ ein verzerrtes Bild Jo- kampf! kleinen Sänger mit der großen seph Schmidts in typischer Stimme in einen euphori- Stürmermanier. Darunter der schen Zustand. - Doch das Text: „Hier stellen wir Ihnen Schicksal meint es auch die- den ehemaligen Sänger beim ses mal nicht gut mit ihm. deutschen Rundfunk, Joseph Deutschland und Italien Schmidt, vor. Ein Verbrecher- haben infolge des japanischen typ, dessen Bild auf jeden Überfalls auf Pearl Harbour Steckbrief paßt.“ den Vereinigten Staaten von Schmidt will deshalb nach Amerika den Krieg erklärt. Ablauf seiner Opernver- Kuba ist ebenfalls in den Krieg pflichtungen Brüssel Richtung eingetreten und hat, 24 Stun- Frankreich verlassen. Onkel den bevor Josef Schmidt sein Leo jedoch opponiert gegen Schiff besteigen kann, den ge- diesen Plan, er drängt ihn zu samten Schiffsverkehr von weiteren Auftritten. Wieder und nach Europa eingestellt. kann sich der Künstler dem Als „gebrochener Mann“ Willen seines Onkels nicht verläßt er den Hafen. Selbst widersetzen - und bleibt. Mit , Okt. 1937 vor seinen Freunden kapselt er Carnegie Hall, NY 10. Mai 1940. Die deutsche sich ab und fällt in tiefe De- Wehrmacht überfällt die Bene- Freunde aus besseren Tagen pression. Es dauert viele Wo- luxstaaten. Im Schlepptau fol- unterstützen ihn mit kleinen chen, bis er sich gefangen hat gen SS und eine auf Repressi- Zuwendungen. Außerdem und wieder ansprechbar ist. on eingespielte Verwaltung. drückt ihn die Sorge um seine Abermals sind es ihm vertrau- Joseph Schmidt sitzt in Brüs- Familie. Die Bukowina ist mitt- te Menschen, die ihn aufneh- sel fest. Nach vielen Bemü- lerweile an das Stalinreich ge- men, ihn umsorgen, ihm ein hungen erreicht er es, ein Aus- fallen, seine Briefe kommen Gefühl der Geborgenheit ver- landsvisum zu erhalten - und als „unzustellbar“ zurück. So mitteln. Aber er weiß, daß scheitert schließlich am neu läßt er ein Visum, das ihm der Frankreich auf die Dauer zu festgelegten Ausreiseverbot! bolivianische Generalkonsul gefährlich für ihn ist. Er will Joseph Schmidt empfindet mit einer Gültigkeit von einem die freie Schweiz erreichen seine Lage im nazibesetzten Jahr ausstellt, verfallen. Er und macht sich mit 20.000 Belgien wie ein Leben im Ge- schafft es nicht, sich in Sicher- geliehenen Franc auf den Weg fängnis. Er will, nein, er muß heit zu bringen, ohne Gewiß- Richtung Genfer See. Von On- hier raus. So entschließt er heit über das Schicksal seiner kel Leo gibt es keine Spur und sich, sämtliche Brücken abzu- Familie zu haben. natürlich auch kein Geld. brechen und die Grenze nach Die Repressalien der Vichy- Die Flucht ist brandge- Frankreich illegal zu über- Regierung werden immer stär- fährlich. Greift man ihn auf, ist schreiten. Er informiert nicht ker. Erste Judendeportationen seine Deportation unaus- einmal seinen Onkel Leo. sind bekannt geworden. So weichlich. Doch die Flucht Auf verschlungenen Pfaden fügt es sich auf wunderbare gelingt! In der Nacht vom 7. erreicht er Mitte November Weise, daß seine amerikani- auf den 8. Oktober 1942 über- 1940 Frankreich. Durch die sche Konzertagentur ihm ein schreitet er illegal die retten- deutsche Besatzung und den Ausreisevisum nach Kuba ver- de Insel der Eidgenossen- Kriegseintritt Italiens ist seine schaffen kann. Rücksichten schaft. Er hat es geschafft! Kultur

34 FIZ 02-2000 Glaubt fest, hier endlich die Flüchtlingslager Girenbad an- Zürich. Man kann es nur als Ruhe und den Frieden zu fin- tritt, versetzt er bei einem Höhepunkt der Infamie be- den, den er braucht um seine Pfandleiher das Einzige ihm zeichnen, denn er teilt dem Arbeit nochmals aufnehmen verbliebene Wertstück: die „lieben Joseph“ unter anderem zu können. goldene Taschenuhr, die dem lapidar mit, „...erwarte also „beliebtesten Sänger Berlins“ nichts von Belang von meiner 1932 überreicht wurde. Hun- Seite“. dert Schweizer Franken ist die- Schmidts Zustand gibt ei- ses Zeichen der Zuneigung nem privat zugezogenem Arzt jetzt noch wert. Anlaß zu erheblicher Sorge. Girenbad. Man darf sich Trotzdem wird er am Sonntag, von dem Namen nicht blen- den 15. November ins Lager den lassen. Das Lager ist alles Girenbad zurück gebracht. andere als ein Staatsbad. 350 Montag, 16. November Flüchtlinge sind in drei unbe- 1942. Der todkranke Joseph heizten zugigen Räumen un- Schmidt hat die eiskalte Nacht tergebracht. Betten gibt es hier im Lager noch einmal über- nicht, man muß auf Stroh standen. Der Lagerarzt hält es schlafen. Das Angebot der sa- aber für unverantwortlich, nitären Einrichtungen ist fern ihm in dieser Verfassung die jeder Menschenwürde. Be- sanitären Einrichtungen zuzu- Klavierprobe wacht wird das Lager von Sol- muten. Nach Intervention Er hat nicht mit dem „tod- daten der Schweizer Armee. beim Lagerkommandanten, sicheren“ Chauvinismus der Der Lageralltag und die Ar- bringt man ihn zur nahegele- Schweizer Bürokratie gerech- beitseinsätze sind an militäri- genen Pension Waldegg. Hier net. Nicht damit, daß hier, in sche Rituale gebunden. Im gibt es für ihn eine geheizte der „Freien Schweiz“, sein übrigen ist man den schwan- Stube, warmes Wasser und die Stern in fünf Wochen endgül- kenden Launen der jeweiligen Möglichkeit sich auszuruhen. tig verlöschen soll. Lagerkommandanten ausge- Zehn-Uhr-Dreißig. Der Zu- Vier Jahre Flucht und Ent- setzt. stand Joseph Schmidts hat behrungen haben Joseph Schon kurz nach Beginn sich dramatisch verschlech- Schmidt an den Rand seiner seiner Lagerhaft klagt der ge- tert, ein Arzt wird eilig zu dem körperlichen Kräfte gebracht. sundheitlich ohnehin Ange- Sterbenden gerufen. Er ver- Ein Arzt diagnostiziert des- schlagene über Halsschmer- sucht den Todkranken zu ret- halb vorschnell „absolute kör- zen. Der Lagerarzt diagnosti- ten. perliche Erschöpfung“. Für die ziert: „akute Halsentzündung“. Es gelingt nicht mehr! Züricher Kantonalverwaltung und weist ihn in das Kantons- jedoch kein Grund, ihn nicht spital Zürich ein. in ein Auffanglager einzuwei- „Laryngitis und Tracheitis, sen. Sämtliche Interventionen als Folge schwerer Erkältung“, einflußreicher Freunde, ihm, lautet dort der Befund. Joseph dem gefeierten Gesangsstar, Schmidts Hinweise auf seine Kultur das Lager zu ersparen, ja ihn sich verstärkenden Brust- arbeiten zu lassen, werden mit schmerzen werden als norma- den fadenscheinigsten Argu- le Nervenreaktion abgetan. Er menten abgewiesen. Schließ- will sich damit jedoch nicht lich handelt es sich bei Joseph zufrieden geben und interve- Schmidt um einen der meist- niert, worauf er vom behan- gehaßten Juden des Deutschen delnden Arzt als Simulant be- Reiches, und Repressionen zeichnet wird. will man sich nicht aussetzen. Eine letzte Nachricht von Joseph Schmidt ist mittel- Leo Engel aus Brüssel erreicht los. Bevor er die Reise zum ihn noch im Kantonsspital in

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