Repositorium für die Medienwissenschaft

Andreas Jahn-Sudmann How German Is It? – Die TV-Serie EIN HERZ UND EINE SEELE aus transnationaler Perspektive 2010 https://doi.org/10.25969/mediarep/14559

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Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Jahn-Sudmann, Andreas: How German Is It? – Die TV-Serie EIN HERZ UND EINE SEELE aus transnationaler Perspektive. In: Stephanie Großmann, Peter Klimczak (Hg.): Medien – Texte – Kontexte. Marburg: Schüren 2010 (Film- und Fernsehwissenschaftliches Kolloquium 22), S. 413–422. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/14559.

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How German Is It? – Die TV-Serie Ein Herz und eine Seele aus transnationaler Perspektive

Zusammenfassung: So selbstverständlich in Deutschland heutzutage der Import und die Adaption ausländischer Unterhaltungsformate (insbesondere aus den USA und Großbritannien) erscheint, darf man doch davon ausgehen, dass viele Zuschauer überrascht sind, wenn sie erfahren, dass es sich bei Ein Herz und eine Seele um kein genuin deutsches Erzeugnis handelt, sondern um die Adap- tion der britischen Serie . Hier soll in erster Linie einer- seits erläutert werden, weshalb Ein Herz und eine Seele als spezifisch deutsche Serie wahrgenommen wurde bzw. wahrgenommen werden konnte, zugleich aber die zentralen Parallelen sowohl zur Originalserie als auch zur amerikanischen Version herausgearbeitet werden, die insbesondere aus einer ideologiekritischen Perspektive noch vor den Differenzen von Bedeutung sind.

Als Ein Herz und eine Seele 1973 zum ersten Mal von WDR III ausgestrahlt wurde und bald darauf zum veritablen TV-Hit avancierte, lief die Originalserie bereits seit Jahren in Großbritannien. Und, , Erfinder und Autor von Till Death Us Do Part, hatte das Konzept der Show angeblich jahrelang vor der Erstausstrahlung entwickelt, konnte es aber erst verwirklichen, als Frank Muir 1, die Comedy-Abteilung der BBC übernahm und grünes Licht für das Pro- jekt gab, das zunächst als Comedy Playhouse-Pilotfolge startete. Das grundlegende Schema der Serie sowie die zentralen Charaktere waren denkbar einfach und wurden weitestgehend auch für die amerikanische und deutsche Version übernommen: Till Death Us Do Part handelt von den Gar- netts, einer im East End lebenden Familie zwischen Arbeiterklasse und petty bourgeoisie. Im Zentrum steht , ein autoritärer, bigotter Patriarch, der permanent auf unflätigste Weise über Sozialisten, Schwarze und sowieso alle An- dersdenkenden herzieht und im Übrigen die meiste Zeit damit beschäftigt ist,

 Frank Muir ist vor allem ab den 1970er Jahren durch seine Rolle in der TV-Show Call My Bluff (1965) bekannt geworden. 414 Andreas Jahn-Sudmann entweder seine naiv anmutende Frau Else (Dandy Nichols), ihre Tochter Rita (Una Stubbs) und / oder deren Ehemann Mike Rawlins (Antony Booth) zu belei- digen oder seine Familie herumzukommandieren. Till Death Us Do Part kam in kürzester Zeit so gut beim Publikum an, dass die Serie bereits nach fünf Wochen die direkte Konkurrenzsendung Coronation Street im Kampf um die Einschaltquoten übertrumpfen konnte. 2 Die Populari- tät sollte anhalten. Die Serie lief von 1965 bis 1968, zunächst als S / W-Programm auf BBC 1, dann nach einer Unterbrechung erneut von 1972 bis 1975 und umfasste insgesamt 53 Episoden à 30 Minuten. Zwischenzeitlich war sie Großbritanniens beliebteste Fernsehshow. Warren Mitchell, der die Rolle des Alf Garnett spielte, wurde durch Till Death Us Do Part zum Star. Außerdem lief von 1985 bis 1992 ein erfolgreiches Sequel mit dem Titel In Sickness and in Health. Zuvor hatte das ITV-Unternehmen ATV 1981 mit der Show Till Death… den Versuch ge- macht, an den ursprünglichen Erfolg der BBC-Originalserie anzuknüpfen, schei- terte damit aber nach nur sechs Episoden. Noch heute ist die Original-Serie vor allem für Alf Garnetts drastische rassi- stische Sprüche berühmt-berüchtigt sowie überhaupt für den Verdienst, sich im Kontext der (komischen) Fernsehunterhaltung auf das Thema Rassismus einzu- lassen. Ähnliches kann man sicherlich von der amerikanischen Adaption All in the Family behaupten. Im Januar 1971 wurde die Serie erstmalig von CBS ausge- strahlt, nachdem die Produzenten Norman Lear und Alan Yorkin sie ursprüng- lich bei der ABC unterbringen wollten, der Sender aber nach zwei Pilotfolgen von diesem Unternehmen wieder Abstand nahm. Offenbar ein Fehler, wie sich herausstellte, denn All in the Family sollte bald zu einer der populärsten Shows im amerikanischen Fernsehen avancieren. Trotz des großen Erfolges von Till Death Us Do Part und All in the Fa- mily in Großbritannien und in den USA war der Autor der deutschen Version Wolfgang Menge anfangs eher skeptisch, was das populäre Potenzial von Ein Herz und eine Seele in Deutschland anging. Menge hielt es für durchaus denk- bar, dass »das Ekel [Alfred – AJS] wirklich als Ekel empfunden wird« und »die Reihe mit einer solchen unsympathischen Leitfigur keine langeL ebensdauer« ha- ben würde. 3 Die Sorge sollte sich letztlich auch in diesem Fall als unbegründet erweisen. Als am 29. Oktober 1973 die Tetzlaffs »Erntedankfest« feierten, waren

 Vgl. Ross, Karen: »Till Death Us Do Part. British Situation Comedy«. In: mbc. The Museum of Broad- cast Communications. (http://www.museum.tv/archives/etv/T/htmlT/tilldeathus/tilldeathus.htm [13.07.2008]).  Menge, Wolfgang zit. n. o.V.: »Meckert für Deutschland«. In: Der Spiegel 12 / 1974, S. 54. How German Is It? – Die TV-Serie Ein Herz und eine Seele … 415

35 Prozent aller Geräte im Sendegebiet des WDR eingeschaltet, was als absolu- ter Rekord gelten konnte. 4 Aufgrund des enormen Zuspruchs wurde Ein Herz und eine Seele bald in der bundesweit empfangbaren ARD platziert und lieft dort jeweils an zehn Montagen − und auch hier mit wachsendem Erfolg, wo- bei der Auftakt noch am Silvesterabend 1973 mit der inzwischen als Klassiker geltenden Folge »Silvesterpunsch« gemacht wurde. »Der Programmwechsel ist so ungewöhnlich wie die ganze Serie«, kommentierte der Spiegel in einem aus- führlichen Artikel vom 31. Dezember 1973 und lobte die Sendung für den Bruch mit bisherigen Konventionen des »Fernseh-Frohsinns«. 5 Dabei war der Produk- tionsaufwand – auch für damalige Verhältnisse – mit lediglich 60 000 Mark pro 45minütiger Folge recht gering. 6 Eine Besonderheit der Serie war zweifelsohne, dass Menge noch am Tag vor der Sendung, die wiederum ein paar Stunden vor der Ausstrahlung mit Publi- kum aufgezeichnet wurde, aktuelle Spitzen ins Drehbuch schreiben konnte. 7 Das Spektrum reichte dabei von Ereignissen wie dem skandalumwitterten Sturz des Oppositionsführers Rainer Barzel über die Fußball-WM bis hin zur Ölkrise. Derartige Bezüge auf das aktuelle Nachrichtengeschehen, die unmittelbar an die kollektiven Erfahrungen der deutschen Zuschauer anschlossen, haben sicher- lich die Wahrnehmung von Ein Herz und eine Seele als sowohl realistische wie vor allem auch als spezifisch deutsche Serie forciert, wobei hier insbesondere die Rolle Alfred Tetzlaffs als Prototyp des deutschen Spießbürgers wie generell die vielfältigen Bezüge auf nationale Gegebenheiten (etwa die DDR-BRD-Bezie- hungen, das permanente ›Kanzler-Bashing‹) in Rechnung zu stellen sind. So ungewöhnlich sich Ein Herz und eine Seele in der Fernsehlandschaft der 1970er angesichts der bisherigen Fernsehformen ausnahm, ließ doch in ästhe- tischer Hinsicht nichts die Vorbildserien in England oder Amerika erahnen. Angeblich hatte Wolfgang Menge von der US-Version »höchstens mal zehn Minuten gesehen« und vom britischen Original gar nichts. 8 Der Blick in die Drehbücher der Vorläuferserien reichte jedoch für seine vorurteilsbeladene und typisch deutsche Diagnose aus, dass die Engländer »mit ihrer reinen Klassen- gesellschaft und dem Könighaus«, sowie die Amerikaner »mit dem ungeheuren Vorteil ihrer Neger« sich leichter täten. »Bei uns vertragen sich alle viel zu gut.« 9

4 laut Infratest-Analyse zit. n. o.V.: »Fernsehen: Erfolg eines Fieslings«. In: Der Spiegel 53 / 1973, S. 74.  Ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 75.  Ebd.  Ebd. 416 Andreas Jahn-Sudmann

Dieser Eindruck einer harmonischen BRD passte im Jahr 1973 allerdings weit besser zur Realität innerhalb als außerhalb des Fernsehens. Noch Anfang der 1960er Jahren sahen die Richtlinien des ZDF für die Darstellung des Familienle- bens im Fernsehen Folgendes vor:

Die Ehe und Familie dürfen als Institution nicht in Frage gestellt, herabgewürdigt werden. In diesem Rahmen sind analytische und kritische Auseinandersetzungen mit Ehe- und Familienproblemen dann erlaubt, wenn sie nicht im Übermaß gesendet werden; künst- lerisch dramatische Behandlungen, wenn die Zerrüttung von Ehe und Familie nicht als Normalfall erscheint. 10

Und tatsächlich haben sich die deutschen Familienserien bis Ende der 1960er Jahre weitestgehend an diese Maxime gehalten. Laut Joan Kristin Bleicher »waren die Familienserien der 50er Jahre der föderalen Medienlandschaft entsprechend unterschiedlichen Regionen zugeordnet: den norddeutschen Schölermanns folgte 1954 bis 1955 die bayrische Variante ›Vater Seidl und sein Sohn‹ und ab dem 22.1.1960 die hessische Alltagschronik der hauptsächlichen Nebensächlichkeiten der Firma und Familie Hesselbach.« 11 Wie Bleicher weiter betont, »hatten [die ersten Familienserien – AJS] ihre Vorbilder in bereits erfolgreichen Rundfunkfa- milien, die für ihre Stammhörer Ratgeberfunktionen erfüllten. Die Familienserie war schon im Hörfunk ›Schaubühne für die Lebensführung‹, dieses Prinzip der alltagsnahen Präsentation mit moralischem Impetus setzte sich im Fernsehen fort.« 12 Die sozialen Veränderungen der Zeit um 1968 wirkten sich zunächst nicht sichtbar auf die Darstellung der Familie im Fernsehen und in Fernsehserien aus. Tatsächlich hatten viele stereotype Rollenmuster in Familienserien noch über die 1960er Jahre hinaus Bestand:

der Vater als autoritäres Familienoberhaupt, der durch den Beruf Bedeutung erhält, die Mutter als Hausfrau und die in Liebesge- schichten verwickelten Kinder. Persönliche Probleme löst die Mut-

10 ZDF: »Richtlinien für die Sendungen des ZDF«. In: ZDF-Jahrbuch 1, 1962 / 64, S. 40. 11 Bleicher, Joan Kristin: »Von der Musterfamilie zur Mietshausbesatzung. Zur Geschichte deutscher Familienserien von 1950 bis 1990«. In: Irmela Schneider, Bernhard Zimmermann (Hg.): Wege zu Fernsehgeschichten. Ein Interview mit Rolf Hädrich, Einblicke in Seriengeschichten und Ergebnisse einer Umfrage zu Serien. Siegen: 1992, S. 25–37, hier S. 26. 12 Ebd. How German Is It? – Die TV-Serie Ein Herz und eine Seele … 417

ter, für die restlichen Belange ist der Vater zuständig. Diese Rollen­ muster erleichtern die ohnehin schon starke Identifikation des Zu- schauers mit seinen Seriengestalten. 13

Die Fernsehkritik Anfang der 1970er Jahre nahm das televisuelle Erscheinungs- des Familienbildes jedoch wesentlich schärfer aufs Korn: Fernsehkritik war Ideologiekritik. So konstatierte Friedrich Knilli seinerzeit zur Unterhaltung der deutschen Fernsehfamilie: »Den Kapitalismus in Natur zu verwandeln, den My- thos der ›heilen Welt‹ und die Überlegenheit des autoritären Verhaltens immer wieder zu demonstrieren, sind die politischen Aufgaben der Unterhaltung der deutschen Fernsehfamilie.« 14 Angesichts solcher Befunde über die Fernsehwelt der ›Vor-Tetzlaff-Ära‹ muss- te Ein Herz und eine Seele tatsächlich wie die direkte Übersetzung von Ideo- logiekritik in (kulturelle) Praxis anmuten. Dem war aber keineswegs so. Manch ein Kritiker erkannte zwar die progressiven Intentionen hinter der Serie, bezwei- felten aber deren Wirksamkeit. Nicht nur bei Ein Herz und eine Seele, auch bei All in the Family sowie beim BBC-Original wurde heftig darüber debattiert, ob der sozialkritische Impetus, der mutatis mutandis zunehmend für Programm- formen des Fernsehens Ende der 1960er und in Deutschland vor allem ab den 1970er Jahren kennzeichnend war, tatsächlich fruchtete. So berichtete Der Spiegel am 18. März 1974:

Am Montagabend erscheint er zum viertenmal bundesweit auf dem Bildschirm: Alfred Tetzlaff, das Ekel der Nation, das mit seinen Schimpfkanonaden gegen alles Linke loswettert. Die Zuschauerre- sonanz ist enorm. Nicht nur Politiker müssen sich besorgt fragen, ob dieser neue deutsche Fernsehheld Reklame für rechts macht. 15

Beim Start von All in the Family am 12. Januar 1971 waren die Verantwort- lichen bei CBS offensichtlich sogar derart besorgt, inwieweit die Satire auf Archie Bunkers Bigotterie wirklich verstanden würde, dass sie sich zu einem höchst un- gewöhnlichen Schritt entschlossen und der eigentlichen Programmausstrahlung folgenden Hinweis voranstellten: »WARNING: The program you are about to see is All in the Family. It seeks to throw a humorous spotlight on our frailties, preju-

13 Ebd., S. 29. 14 Knilli, Friedrich: Die Unterhaltung der deutschen Fernsehfamilie. Ideologiekritische Kurzanalysen von Serien. München: Hanser 1971, S. 15. 15 Der Spiegel: »Meckert für Deutschland«, S. 54. 418 Andreas Jahn-Sudmann dices, and concerns. By making them a source of laughter, we hope to show – in a mature fashion – just how absurd they are.« 16 Darüber hinaus wurde für die Erst- ausstrahlung zusätzliches Personal eingestellt und Telefonleitungen eingerichtet, um des erwarteten Ansturms kritischer Zuschauerreaktionen Herr zu werden. Letztlich blieb die Aufregung aus – die erste Resonanz auf die Sendung blieb hinter den Erwartungen zurück, was aber wohl auch daran lag, dass die Serie beim Start gegen ein starkes Konkurrenzprogramm antreten musste. 17 Wenngleich die Kontroverse in den USA anfangs ausblieb, fand die Serie mit zunehmendem Er- folg gerade in den Massenmedien nicht nur Zuspruch, insofern man das Format als innovativ feierte, vielmehr wurde die Show auch immer häufiger kritisiert und als anstößig, schockierend und geschmacklos abgelehnt, wie Janet Staiger in ihrer Auswertung der Kritiken zu All in the Family konstatiert. 18 Insbesondere dem Ideologiekritiker der 1970er musste ein dezidiert sozialkri- tisch gemeintes Produkt, das zugleich offensichtlich sehr populär war, zwangs- läufig – allein schon wegen seiner Popularität – verdächtig erscheinen. Zweifel- los gab und gibt es nicht wenige, die nicht so sehr über Alf, Alfred oder Archie lachten und lachen, sondern mit ihnen. Allein die bloße Existenz einer solchen fragwürdigen Rezeptionsweise wird man jedoch kaum unmittelbar dem ›Stimu- lus‹ anlasten können. Auch dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass die Mög- lichkeit einer affirmativen Rezeption, die gleichsam die kritische Einschreibung umstandslos ausblendet, aufgrund der spezifischen Erscheinungsform des Textes mehr oder weniger auf der Hand liegt. Denn sicherlich werden Alfred & Co. ei- nerseits zwar als permanent scheiternde, groteske, lächerliche Figuren ausgestellt, was deutlich machen dürfte, dass hier Anti-Helden inszeniert werden und keine Identifikationsfiguren im Sinne von Vorbildern. Andererseits erlaubt gerade das satirische Moment der Übertreibung des Anti-Helden, die Zuspitzung all seiner schlechten Eigenschaften, seine vordeter- minierte Entzauberung, eine trotzige Sympathie mit dieser unliebenswürdigen Figur zu entwickeln. Es handelt sich gewissermaßen um ein Auflehnen gegen die Ungerechtigkeit, dass dieser Charakter qua des Gesetzes der Serie nicht besser oder widersprüchlicher sein darf, als er eigentlich ist bzw. erscheinen müsste.

16 Neuwirth, Allan: They’ll Never Put That On The Air. An Oral History of Taboo-Breaking TV Comedy. New York: Allworth Press 2006, S. 138. 17 Vgl. ebd. 18 Vgl. Staiger, Janet: Blockbuster TV. Must-See Sitcoms in the Network Era. New York, London: New York University Press 2000, S. 89. How German Is It? – Die TV-Serie Ein Herz und eine Seele … 419

Das führt nun zum eigentlichen Ansatzpunkt einer Ideologiekritik. Denn zu- gleich darf man davon ausgehen, dass Ekel Alfred und seine Pendants als Kunst- figuren in gewisser Weise dann doch besser dastehen, als die sozialen Charaktere, die sie ›repräsentieren‹. So sehr auch immer der Realismus von Ein Herz und eine Seele et al. durchaus zu Recht hervorgehoben wird – gerade mit Blick auf das wirklichkeitsferne Bild vorgängiger idealisierter Fernsehfamilien, das alle drei Serien satirisch invertieren und damit als Quasi-Authentisches erretten – hat die- ser Realismus dort seine Grenze, wo er eine bestimmte Wirklichkeit beharrlich ausklammert – etwa die Realität der physischen Gewalt in Familien, die Realität der strukturellen Gewalt, die autoritäre wie autoritätsgläubige Menschen wie Alfred Tetzlaff überhaupt mit hervorbringt, die Folgen von Gewalt gegen ›An- dersgläubige‹, ›Andersdenkende‹, ›Andersaussehende‹ usw. Aber all das würde wenig Anlass geben für jene ausgelassene Heiterkeit, die sich möglichst vom ver- meintlichen Live-Studio-Publikum auf die Zuschauer vor dem Bildschirm über- tragen soll. »In order for a sitcom to be popular, it does not have to depict how life really is, but it does have to portray a life that the audience likes«, schreibt Lori Landay zu Recht, auch wenn sie dabei primär den Sitcom-Klassiker I Love Lucy im Sinn hat. 19 Aber diese Aussage ist ohne Weiteres übertragbar: Als in zentraler Hin- sicht der Wirklichkeit enthobene Charaktere können die Tetzlaffsder Fernsehwelt durchaus und ohne schlechtes Gewissen als liebenswürdig empfunden werden. Das Leid von Opfer und Ausgegrenzten kommt in den hier zur Disposition stehenden Serienwelten nicht vor. Diejenigen Minoritäten, die quasi Objekte des Spottes und der Anfeindung werden, sind stets in der Lage sich zu wehren und führen die Tetzlaffs, Garnetts, Bunkers selbstbewusst-spielerisch vor oder sind einfach nur souverän-sympathisch. Bei Till Death Us Do Part gibt es in der 5. Staffel aus dem Jahr 1974 aller- dings eine interessante Variation dieses Darstellungsmusters, insofern die Mino- ritätenfigur rassistische Vorurteile scheinbar zu bestätigen scheint. In der Episode »Paki Paddy« (7. Episode) muss ein Mann, der sich schlussendlich den Garnetts als irisch stämmiger Pakistaner vorstellt und dabei wie ein typisch britischer Gentleman auftritt, in einer Kneipe die rassistischen Sprüche von Alf ertragen. Letztlich entpuppt er sich aber tatsächlich als Wohlfahrtsbetrüger und Hehler und will den Garnetts gleich vor Ort offensichtlich gestohlene Ware andrehen.

19 landy, Lori: »I Love Lucy: Television and Gender in Postwar Domestic Ideology«. In: Mary M. Dalton, Laura R. Linder (Hg.): The Sitcom Reader. America Viewed and Scewed. New York: State University of New York Press 2005, S. 87–98, hier S. 91. 420 Andreas Jahn-Sudmann

Die besondere Pointe dieser Szene besteht indes nun darin, dass sich hinter der »Paki Paddy«-Figur offensichtlich ein angemalter weißer Darsteller verbirgt, und zwar nicht irgendein unbekannter Nebendarsteller, sondern der in Großbritan- nien damals weithin bekannte Komödiant Spike Milligan, der tatsächlich als Sohn eines irischen Offiziers der britischen Armee, allerdings in Indien geboren wurde. So sehr hier die Maskerade eines weißen Darstellers als dunkelhäutiger Pakista- ner etwa an die rassistische Blackface-Tradition in den USA erinnert, wird nicht zuletzt durch die textuell explizite Anspielung auf den biografischen Hintergrund von Milligan, der spezifisch rassistische Konstruktionscharakter dieser Figur im buchstäblichen Sinne selbstironisch ausgestellt. 20 Vergleicht man Ein Herz und eine Seele unter ideologiekritischen Gesichts- punkten mit den anderen (Vorläufer-)Serien, so sind die Gemeinsamkeiten be- deutsamer als die Unterschiede. Offensichtlich hat hier ein spezifisches Konzept, das als identisches quer durch alle Versionen erkennbar ist, auch deshalb Erfolg gehabt, weil zum Schema die flexible Anpassung an nationale (und historische) Spezifika gehörte und – im weitesten Sinne – die Identifikation mit der Serie sehr begünstigt haben dürfte. Auch der Ausnahmestatus der Deutschen nach- ih ren singulären Verbrechen in den 1930er und 40er Jahren wird eingeebnet, die Kriegserfahrungen Alfred Tetzlaffs werden mit ähnlicher Geste vorgetragen wie die Alf Garnetts und der geschichtliche Einschnitt durch den Holocaust hat hier, wie auch in der restlichen deutschen Fernsehwelt, weder verbal noch in irgendei- ner anderen Form merkbare Auswirkungen gezeitigt. Am Ende seines Romans How German Is It? (1979) stellt Walter Abish die Frage: »Is it possible for anyone in Germany, nowadays, to raise his right hand, for whatever the reason, and not be flooded by the memory of a dream to end all dreams?«. Die Ungeheuerlich- keit des Verbrechens, so die Annahme, müsse sich doch irgendwie im Alltag aller Deutschen bemerkbar machen, zumindest Sensibilitäten und Idiosynkrasien er- zeugt haben − das dem nicht so war und ist, wird in Ein Herz und eine Seele exemplarisch illustriert. Grundsätzlich ist die Frage des spezifischen Serienerfolgs selbst aus der Ex- Post-Perspektive bekanntlich äußerst schwer zu ergründen. In vielen Fällen wird die Popularität einer Serie wie überhaupt kultureller Artefakte gerne über den besonderen zeithistorischen Kontext zu erklären versucht, nicht selten über ge-

20 Zum Konzept der Maskerade im Kontext filmischer Blackface-Inszenierungen vgl. Gotto,L isa: Traum und Trauma in Schwarz-Weiß. Ethnische Grenzgänge im amerikanischen Film. Konstanz: UVK 2006, S. 239 ff. How German Is It? – Die TV-Serie Ein Herz und eine Seele … 421 sellschaftlich bedeutsame Krisenerscheinungen. So schreibt Harald Martenstein über die Besonderheit von Ein Herz und eine Seele in seinem Buch Das hat Folgen:

›Till death us do part‹ und ›All in the Family‹ spiegelten Ängste ei- ner weißen Mittelschicht, die zweifellos einen realen Hintergrund hatten. Ihre wirtschaftliche Lage verschlechterte sich, und gleich- zeitig tauchten in ihren Wohnquartieren peu à peu Familien auf, die anders lebten, anders aussahen und ärmer waren als sie. Eine Mehrheit hatte sich mit dem Status einer Minderheit abzufinden. 21

Dagegen, so der Autor, ging es den Tetzlaffs eigentlich gut, zumindest wirtschaft- lich gesehen. Aber:

Für Weltuntergänge ist nicht immer eine Wirtschaftskrise erforder- lich. Die Frauen und Kinder parierten nicht mehr, wie eine Seuche griff auf den Straßen und in den Familien Ungehorsam um sich. […] Tetzlaff war schlagfertig genug, um den deklassierten Vätern als Identifikationsfigur zu dienen. Tetzlaff gab nicht klein bei, er wehrte sich. 22

Derartige zeitspezifische Deutungsversuche stoßen, unabhängig von ihrer grund- sätzlich fragwürdigen Plausibilität, dort an ihre Grenzen, wo man gerade im Fall von Kultserien wie Ein Herz und eine Seele dazu aufgefordert ist, die Wieder- holbarkeit bzw. die Aktualisierung des Erfolges zu verstehen. (Andererseits haben wirtschaftliche Krisen natürlich den immensen Vorteil, dass sie eigentlich immer bestehen und sich insofern jederzeit als Bezugspunkte anbieten.) An anderer Stel- le argumentiert Martenstein zwar zu Recht, dass die Figur Alfred Tetzlaff einen statt eines Helmut Schmidt als Gegenspieler für seine Anziehungs- kraft benötigte. Doch ist der Amtswechsel in Bonn sicherlich nicht der einzige Grund, warum die zweite Staffel, trotz des Publikumslieblings Helga Feddersen und trotz des Theatergurus Jürgen Flimm, nicht mehr funktionierte. 23 Eine eben- so naheliegende Erklärung für das Scheitern wäre, dass immerhin zwei der vier

21 Martenstein, Harald: Das hat Folgen. Deutschland und seine Fernsehserien. Leipzig: Reclam 1996, S. 83. 22 Ebd. 23 Vgl. ebd., S. 80. 422 Andreas Jahn-Sudmann zentralen Seriencharaktere plötzlich von anderen Darstellern gespielt wurden, was doch einen relativ deutlichen Bruch im Serienkosmos darstellte, zumal die Serie auch konzeptionell verändert und der Klamauk gesteigert wurde. 24 Betrachtet man ausführlichere zeitgenössische Besprechungen von Ein Herz und eine Seele fällt auf, dass dort zwar sehr oft auf die Vorgänger-Serie(n) hin- gewiesen, ein nennenswerter Vergleich jedoch nicht stattfindet und wenn doch, allein die Differenzen betont werden, statt die Parallelen entsprechend ihrer Re- levanz zu benennen. Diese Rezeption ist tatsächlich wenig verwunderlich, da jede einzelne Serie auf sehr exponierte Weise nationale und lokale Themen und Bezüge akzentuiert und jegliche Thematisierung des Auslands innerhalb der Se- rie nachgerade dem Gegenteil einer kosmopolitischen Perspektive entspricht. Nicht umsonst gibt es in allen drei Serienvarianten nur sehr selten nennenswerte Anzeichen für Mobilität. Die räumliche Beschränkung auf die Häuslichkeit von Wohnzimmer und Küche entspricht der geistigen Beschränkung der Protago- nisten, allen voran der autoritären Vaterfigur. Es gehört zu den wiederkehrenden selbstreflexiven Momenten der Serien, dass die Unbeweglichkeit der Figuren im physischen und psychischen Sinne insbesondere durch die prominente Rolle des Fernsehens im Familienleben illustriert wird. 25 In Ein Herz und eine Seele gibt es darüber hinaus jedoch wenig, was als ironisch doppeldeutige Einschreibung entzifferbar wäre. Die Schauspieler bleiben in der deutschen Adaption sehr ihrer Rolle verhaftet, während beiTill Death Us Do Part hin und wieder ein Lächeln von Alf Garnett mitunter auch als ein Au- genzwinkern in Richtung Zuschauer gedeutet werden kann, dass er nicht der ist, der er zu sein scheint. Alfred Tetzlaff hingegen muss auch Figur bleiben, weil sein möglicher Blick in die Kamera, ein Blick hinter die Figur enthüllen würde, was hinter dem deutschen Maulhelden steckt, der dann eben nicht dem britischen Angeber Alf entspricht: der deutsche Kleinbürger, der nur wenige Jahre zuvor bis dahin unvorstellbare Verbrechen zu verantworten hatte. Dass wie in Abishs Roman die Straße vor dem Tetzlaffschen Reihenhaus aufbrechen könnte und die Skelette der Ermordeten an die Oberfläche geschwemmt werden, ist jedoch zu keiner Zeit zu befürchten.

24 letzteres äußert sich insbesondere in der veränderten Spielweise von Helga Feddersen gegenüber ih- rer Vorgängerin. 25 Vgl. exemplarisch: Ein Herz und eine Seele, Folge 1 »Der Fernseher«.