Studien zum bildhauerischen Werk von Über den „zwingenden Rhythmus der im Block geschlossenen Form“ bei Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner

Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Brsg.

vorgelegt von

Oliver Kornhoff aus Porz am Rhein

SS 2003

Erstgutachter: Prof. Dr. Andreas Prater Zweitgutachter: Prof. Dr. Gerhard Hiesel Drittgutachterin. Prof. Dr. Angeli Janhsen

Vorsitzende des Promotionsausschusses der Gemeinsamen Kommission der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät: Prof. Dr. Elisabeth Cheauré

Datum der letzten Fachprüfung im Rigorosum: 11. Juli 2003

Band 1

Textteil

Die Dissertation ist online auf dem Freiburger Dokumentenserver FreiDok erschienen. Unter www.freidok.uni-freiburg.de finden Sie eine komplette Textversion sowie einen Abbildungsband in Farbe.

Heckel. Der Holzschnitzer: Bildnis E.L. Kirchner, 1948

„Gedichte und Romane braucht man nicht zu lesen, Dramen nicht aufzuführen, Bilder in ihrer zweidimensionalen Bescheidenheit lassen sich ohne weiteres in den Keller stellen oder mit anderen Dingen bedecken [...] Skulpturen aber haben ’was infam Körperhaftes. Man kann sie nicht übersehen. Man muß sogar um sie herumgehen, sie stellen sich anspruchsvoll und herausfordernd in den Weg.“ (Max Osborn, 1905) 3

Inhalt

I. Einleitung 6

II. Schlüsselbegriffe des Expressionismus und des -Programms und ihr formaler Niederschlag in den Skulpturen Heckels und Kirchners 16

A. Das -Programm als schöpferisches Bekenntnis 16

B. „Arm- und Lebensfreiheit“ 22 1. Die Bedeutung Friedrich Nietzsches 22 2. Kunst und Leben und die Frage des Sockels 26

C. „Jugend, die die Zukunft trägt“ – Material, Form und Farbe 32 1. „Im Block geschlossene Form“: Holz als Werkstoff 36 1.1. Holz als Material der Bildhauerei 36 1.2. Freilegung der im Material verborgenen Form 41 2. „Rhythmus der Form“: Form und Farbe 50 2.1. Form 50 2.1.1. Heckel 51 2.1.2. Kirchner 55 2.2. Farbe 59 2.2.1 Heckel 61 2.2.2. Kirchner 63 3. „Geschlossenheit der Form“ 67 3.1. Kirchners Steuerung der eigenen Rezeptionsgeschichte 69 3.2. Kirchners Badende 72

D. „Unmittelbar und unverfälscht“ 78 1. „Unmittelbar“ – und die Einfühlungsästhetik 78 2. „Unverfälscht“ – Primitivismus, Primitivismen und die Bedeutung Gauguins 87 2.1. Das Ideal eines natürlichen Lebens 89 2.2. Der Mythos vom verlorenen Paradies 94 2.3. Primitivismus als Quelle moderner Kunst 98 2.3.1. Inspiration Afrika 105 Exkurs: Die Bedeutung des Tanzes 113

E. Sexualität 120 1. Die Frau mit Katze als Repräsentationsfigur des sexuellen Menschen 123 1.1. Das Motiv in der Malerei – Pechstein 123 1.2. Das Motiv in der Graphik – Heckel 124 1.3. Das Motiv in der Malerei – Kirchner 126 1.4. Das Motiv in der Bildhauerei 127 4

2. Körperliche und ‘plastische’ Lust Die Gleichsetzung von schöpferischem und sexuellem Akt 133 3. Die Inszenierung von Sexualität in der Gurlitt-Ausstellung 1912 139

III. Stellenwert des bildhauerischen Œuvres im Selbstverständnis der -Künstler 145 1. Von der privaten zur öffentlichen Bestimmung 1.1. Übertragung gruppeninterner Kommunikationsstrategien auf die Öffentlichkeit 147 1.2. Vom Mobiliar zur autonomen Skulptur 156 1.2.1. Skulptur im Atelier: 1906–1910 158 1.2.2. Die Skulptur wird öffentlich 171 1.2.2.1. Die Ausstellung in der Galerie Arnold 1910 171 1.2.2.2. Katalog und Plakat 174

IV. Vom Atelier an den Strand Das Eindringen der autonomen Skulptur in die Malerei, Zeichnung und Druckgraphik 180 1. Im Atelier 1.1. Skulptur als malerisches Sujet 181 1.1.1. Das Motiv in den Zeichnungen Heckels 188 1.1.2. Das Motiv in den Zeichnungen Kirchners 192 1.1.3. Das Motiv in der Malerei Kirchners 200 2. In der Natur 205 2.1. Szene am Meer (Badende) von Heckel 206 2.2. Die Holzschnitte Heckels und Kirchners 208 2.3. Die Skulpturen Kirchners und Heckels 210 2.3.1. Kirchner 211 2.3.2. Heckel 214

V. Ausblick 219

VI. Bibliographie 223 5

Abkürzungshinweise

Die Nennung der Werke erfolgt unter Verwendung der im folgenden genannten Abkürzungen der jeweiligen Werkverzeichnisse und der darin vorgenommenen Zählweise:

G für das Werkverzeichnis der Gemälde Kirchners nach: Gordon, 1968.

Vogt für das Werkverzeichnis der Gemälde und Skulpturen Heckels nach: Vogt, 1965.

Dube H (Holzschnitt) Dube L (Lithographie) Dube R (Radierung) für das Werkverzeichnis der Graphik Kirchners und Heckels nach: Dube, 1980 und Dube, 1991.

Umstellungen werden im Zitat durch runde Klammern gekennzeichnet, Hinzufügungen Auslassungen und Anmerkungen, die der inhaltlichen Verdeutlichung innerhalb des Zitats dienen, durch eckige Klammern kenntlich gemacht. 6

I. Einleitung

Das skulpturale Werk der -Künstler Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner kann als letzter Entwicklungsschritt der Bildhauerei gesehen werden vor der Ausbreitung einer gegenstandslosen Plastik im zweiten Jahrzehnt des vorigen Säkulums. Ihre Werke stellen ein Bindeglied zwischen der langen abbildenden Tradition der europäischen Kunstgeschichte und einem neuen Verständnis dar, welches sich durch die Autonomie der künstlerischen Mittel von Form und Farbe definiert. Heckels und Kirchners dreidimensionales Werk hat maßgeblich zur Ausbildung eines neuen bildhauerischen Kunstbegriffes und zur Erneuerung der dreidimensionalen Techniken beigetragen. Beide gehören zur Gruppe jener Bildhauer, die primär Maler sind. Doch diese sogenannten „Malerbildhauer“ spielen für die Entwicklung der modernen Skulptur eine entscheidende Rolle.1 Im Unterschied zu den eigentlichen Bildhauern gehen sie sehr viel unbedarfter mit der Tradition der Gattung um und können so neue Wege beschreiten. Neben den Bildhauern des Expressionismus, dessen bekannteste Vertreter Wilhelm Lehmbruck und Ernst Barlach sind, leisteten jene expressionistischen Maler, die gleichzeitig als Bildhauer arbeiteten – wie Heckel, Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Emil Nolde, Hermann Max Pechstein und Franz Marc – in den Jahren nach 1906 einen eigenständigen Beitrag zur expressionistischen Skulptur und damit zur Geschichte der Bildhauerei. Hier ist vor allem die Aufwertung des Materials Holz und dessen innovative Verwendung zu nennen. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts stellten Werke aus Bronze oder anderen Metallen sowie Stein- und seltene Holzbildwerke noch immer die hauptsächlichen Ausdrucksformen bildnerischen Arbeitens dar. Doch mit der gleichzeitigen Erprobung neuer bildnerischer Gestaltungsmittel im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert setzt sich ein veränderter bildhauerischer Kunstbegriff durch. Durch diesen verlieren die klassischen Methoden des Formens, Gießens oder Hauens ihre Vormachtstellung, und es erschien zunehmend zweifelhaft, ob eine prinzipielle Unterscheidung zwischen additiven oder substraktiven Verfahren noch zum Verständnis der Werke vonnöten war. Die inhaltlichen und terminologischen Grenzen zwischen Plastik und Skulptur, die seit der italienischen Renaissance und den theoretischen Überlegungen Albertis die Kunstgeschichte bestimmten, werden endgültig

1 Vgl. Franzke, 1982. 7 aufgehoben. Wortschöpfungen wie „Sandsteinplastik“2 oder „Holzplastik“3 zeigen dies anschaulich. Die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen Skulptur und Plastik wurde auch von den Künstlern nicht mehr als zwingend angesehen. Demzufolge bezeichnen auch Heckel und Kirchner ihre Werke geradezu willkürlich als „Figuren“4 oder „Plastiken“5. Und dies, obwohl sie in ihrer substrahierenden Arbeitsweise bei der Bearbeitung des Holzes der Tradition folgten. Daher soll im folgenden die Verwendung der Begriffe Skulptur und Plastik unterschiedlich erfolgen. Die Notwendigkeit einer Bezeichnung als Plastik oder Skulptur liegt darin, daß die terminologische Kennzeichnung als additives oder substraktives Verfahren einen ersten Hinweis auf die Einordnung des bildnerischen Schaffens von Kirchner und Heckel gibt, da für sie diese Begriffskategorien sehr wohl noch Gültigkeit besitzen. Entscheidend für das Material-, Werk- und Schaffensverständnis der Künstler ist die Extraktion des Werkstoffes, das heißt die Präferenz eines substraktiven Verfahrens. Bei aller Innovation und Revolutionierung, die sie für die Bildhauerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeuten und die im weiteren Verlauf meiner Ausführungen dargestellt werden soll, entsprechen ihre Werke damit gleichzeitig überlieferten Kategorien, welche die Kontinuität eines bildhauerischen Verständnisses veranschaulichen, das von der Antike bis zur Gegenwart der Künstler reicht. Bereits 1912 zeigt sich, daß ‘Bildhauerei’ im deutschen Sprachgebrauch unabhängig vom bearbeiteten Material die dreidimensionale bildnerische Arbeit schlechthin bezeichnet.6 Entsprechend ist auch ‘Bildhauer’ eine eher subsumierende Bezeichnung.7 Eingedenk der vorangegangenen Ausführungen erscheint sie als die geeignetste und wird daher in der vorliegenden Arbeit Verwendung finden. Auch die Konzentration auf die menschliche Figur als Hauptthema der Kunst Heckels und Kirchners demonstriert ein Fortschreiben von bildhauerischer

2 Grohmann, 1926, S. 56, der Kirchners Hockende Frau von 1910 so bezeichnet. 3 Als „Holzplastik“ unter der Katalognummer 51 findet beispielsweise eine Holzfigur von Kirchner Aufnahme in die am 12. März 1912 eröffnete Ausstellung des Blauen Reiters im Sturm in . Vgl. Kandinsky/Marc, 1983, S. 101 und Bollinger, 1995, B 23. 4 Bspw. Heckel in einer Notiz an Ada Nolde. Vgl. Henze, 2001, S. 88. Außerdem in einem Brief Kirchners an Schiefler vom 27. Juni 1911. Zit. nach: Kirchner/Schiefler, 1990, S. 42. 5 Bspw. Heckel in einer Karte an Rosa Schapire vom 1. Dezember 1910, wo er ihr mit „3 Holzpl. von mir, 1 Zinnguss v. E.-L. Kirchner“ die Zusendung einiger Werke ankündigt. Zit. nach: an Schapire, S. 24. 6 Vgl. Ausdrucksplastik, 1912, S. 1 und Skulptur im 20. Jahrhundert, 1986, S. 7. 7 Vgl. auch Skulptur und Plastik, 1989. Dieser Katalog bezeichnet bei sorgfältiger Unterscheidung zwischen Plastik und Malerei die ausführenden Künstler summarisch als „Bildhauer“. Kirchner bezeichnet sich in einem Brief vom 10. Februar 1928 an Max Sauerlandt, seit 1919 Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, selbst als Bildhauer: „Ich bin Maler und Bildhauer.“ Zit. nach: Brief in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Signatur: NSa 13:4. 8

Tradition. Dies gilt ebenfalls für den Topos von der im Material verborgenen Form, die der Bildhauer nur freizulegen brauche. 1911 erklärt Kirchner: „In jedem Stamm steckt eine Figur, man braucht sie nur herauszuschälen“.8 Trotz des Zurückgreifens auf die großen Erblinien der Skulptur, gelingt es Heckel und Kirchner bereits im formalen Bereich durch Deformation, Proportionsverschiebungen und neuartige Oberflächenbehandlung, die Chronik des bildnerischen Arbeitens im 20. Jahrhundert um ein entscheidendes Kapitel zu erweitern. Auch der Blickwinkel, unter dem sie die Priorität des Menschenbildes behandelten, war eine bewußte Abwendung von der Bildhauerei des 19. Jahrhunderts. Dem von Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) propagierten Schönheitsideal, dessen ästhetische Direktive die größtmögliche Annäherung an die Vorbilder der griechischen Antike war, wurde noch auf der Weltausstellung von 1878 gehuldigt, auf der all diejenigen Bildhauer Würdigung erfuhren, deren Exponate sich am klassischen Vorbild orientierten. Der Naturalismus dieser Kunst schlug sich in der Massenproduktion von monumentalen, künstlerisch zumeist belanglosen Denkmälern nieder.9 In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts regte sich erstmals Widerstand gegen diese Dominanz der ‘Akademiker’, die weiterhin am klassischen Schönheitsideal als Maßstab ihrer Kunst festhielten. „Unsere Denkmäler! – Männer, Weiber, Greise und Kinder packt ein Grauen, wenn das Wort ertönt. Eine Volksplage sind sie geworden, die Gott im Zorn uns sandte, wie einst die Heuschrecken den Aegyptern. Unser schönes deutsches Land ist verwüstet und geschändet von unzähligen Merksäulen unserer Barbarei. Warte nur, über ein Kleines wird es vollbracht sein und man wird neue Städte gründen müssen, um die Gier nach Standbildern zu sättigen.“10

Gegen solche Monumentalität machte eine „neue Generation der Schaffenden“11 den menschlichen Maßstab zum Primat und stellte den Menschen ohne die gewohnte repräsentative, religiöse, literarische, mythologische oder allegorische ‘Maskerade’ ins Zentrum ihres Schaffens. „Nicht die Neue Kunst, die Neue Dichtung, der Neue Geist, sondern der Neue Mensch!“12 war die Devise. Dieser war ein Verständnis inhärent, nach dem die Grenzen zwischen Kunstanschauung und Weltanschauung fließend waren. Das expressionistische Ziel, Leben und Kunst in Harmonie zu vereinen, führte daher zu Skulpturen,

8 Brief Kirchners an Schiefler vom 27. Juni 1911. Zit. nach: Kirchner/Schiefler, 1990, S. 42. Vgl. Kapitel II.C.11. 9 Nationaldenkmal für Wilhelm I. in Berlin (1892–97) von der Hand Reinhold Begas oder die unter seiner Leitung geschaffene Siegesallee (1898–1901) mit zweiunddreißig Standbildern aus Marmor. 10 Osborn, 1905, S. 20f. 11 Zitat -Programm. 12 Otten, 1918, S. 123. 9 die das Lebensgefühl Kirchners und Heckels reflektieren und im wörtlichen und übertragenen Sinn die Funktion der Innendekoration des - Environments einnehmen. Durch ein verändertes Geschichtsbewußtsein – Aufwertung der Gegenwart und ihre künstlerisch gleichrangige Bewertung gegenüber der Antike – erschien ihnen ihre eigene Welt durchaus darstellungswürdig: „Aber es wächst die Zahl der Bildhauer, die sich der Konvention bewußt entgegenstellen und neue Errungenschaften kultivieren. […] (Alle) schöpfen unmittelbar aus dem Leben, suchen den Ausdruck des heutigen Lebens und verwenden zur Wiedergabe das rechte Mittel: die reine Form.“13

Form, Ausdruck, Empfindung und Leben sind die Schlüsselwörter des bildhauerischen Diskurses um 1900 und können als Ziele der damals innovativen Bildhauerei ausgemacht werden. Die gleichen Hauptbegriffe finden sich in der einen oder anderen Form auch im -Programm. Von Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn an wird bei den -Künstlern das Bemühen erkennbar, sich in den verschiedenen bildnerischen Medien bzw. künstlerischen Techniken auszudrücken. Dem plastischen Werk wird eine zentrale Bedeutung beigemessen. Kirchner empfindet das Arbeiten in verschiedenen Medien als künstlerisch sehr fruchtbar, führe es doch zu einer formalen Klärung: „Auch Plastiken sind fertig geworden. Diese Zusammenarbeit mit der Plastik wird mir immer wertvoller, sie erleichtert mir die Übersetzung der räumlichen Vorstellung in die Fläche“14. In zahlreichen Tagebucheintragungen, Briefen und Postkarten finden sich Ausführungen über das Schnitzen sowie Schilderungen und sogar Darstellungen von Skulpturen. Seit spätestens 1910 beschickte ihre Ausstellungen auch mit Skulpturen. Auf der wichtigsten Ausstellung des Jahres 1912, der Sonderbund- Ausstellung in Köln, hoffte Heckel mit der gesamten Bandbreite der - Kunst und selbstverständlich auch mit Skulpturen Aufnahme zu finden: „Lieber Herr Marc, ich hatte vor einiger Zeit dem Sonderbund (Osthaus) vorgeschlagen, einen Raum mit Spannstoffen, Graphik, Holzfiguren auszugestalten, mit den Bildern von zusammen. Nun scheint ja keine Ausstellung von Gruppen stattzufinden, so daß dies hinfällig wird.“15

Im darauffolgenden Brief schreibt er von der wohl verworfenen Idee, die Ausmalung der Kapelle, die Kirchner und er im Rahmen der Ausstellung gestalteten, um Skulpturen zu ergänzen: „Kirchner und ich fahren diese Woche nach Köln, um die Kapelle farbig auszugestalten. Für Skulpturen ists leider zu

13 Osborn, 1905, S. 20f. 14 Brief Kirchners an Schiefler vom 28. Dezember 1914. Zit. nach: Henze I, 1997, S. 132. 15 Brief Heckels an Marc o. D. vermutlich 1912/13. Zit. nach: Heckel, 1983/84, S. 109. 10 spät.“16 Die Ausstellungsbeschickungen haben ihren Höhepunkt in den Jahren 1912 und 1913.17 Kirchner und Heckel beteiligen sich 1912 mit Skulpturen an mehreren Ausstellungen. Im April veranstaltet die Galerie Fritz Gurlitt eine große -Schau mit dem Titel Ausstellung KG Brücke, auf der Heckel mit fünf und Kirchner mit sechs „Plastiken in Holz“ vertreten waren.18 Kirchner und Heckel beschicken im September/November 1912 die 2. Ausstellung der Gruppe Bildender Künstler im Prager Gemeindehaus mit Gemälden und Skulpturen.19 Betrachtet man ihre Preisvorstellungen für das eigene plastische Œuvre wird der hohe Stellenwert deutlich, welche die Künstler diesem beimaßen. Auf der ersten Seite seines die Jahre 1912–1917 umfassenden Skizzenbuches führt Kirchner Buch über die Prager Ausstellungsbeschickung.20 Dort werden die Skulpturen summarisch als „II Plastiken 600 + 300 M.“ bezeichnet. Kirchner setzt damit für seine Holzskulpturen die gleichen Preise an wie für die nach Prag gesandten Gemälde.21 Im Januar 1913 zeigt Der Neue Kunstsalon von Paul Ferdinand Schmidt und Max Dietzel eine Brücke Ausstellung mit „Gemälde[n], Zeichnungen, Graphik, Plastik und Kunstgewerbe von Heckel, Kirchner, Mueller und Schmidt-Rottluff“22. Kirchner stellt in dieser Münchner Werkschau fünf „Plastiken“ aus, für die er Preise zwischen „200 M“ und „600 M“ veranschlagt23. Hier beginnt eine Entwicklung, die in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren dahin führt, daß Kirchner für seine Skulpturen Preise forderte, die höher lagen als seine teuersten Gemälde. Vom 21. Februar bis 1. April 1917 veranstaltet der Kunstverein Jena eine große monographische Ausstellung mit Gemälden, Grafiken und Skulpturen Kirchners. Das „Verzeichnis der Ausstellung im Kunstverein Jena“ umfaßt unter der Rubrik „Plastiken“ zwei Einträge.24 Bei den zwei ausgestellten Skulpturen handelt es sich möglicherweise um Tänzerin von 1912 zum Preis von „1000,- M.“ und Tänzerin mit gehobenem Bein von 1913 zum Preis von „700,- M.“25 In der gleichen Werkschau verlangt Kirchner für ein

16 Ebd. 17 Nachdem 1910 und 1911 die Galerie Macht in München ebenfalls -Skulpturen ausgestellt hatte (vgl. Reinhardt 1978/79, S. 195). 18 Die leicht veränderte Auswahl war danach im August/September noch im Kunstsalon Commeter in Hamburg zu sehen (vgl. Bollinger, 1995, B 27). 19 Vgl. Wiese, 1991. 20 Vgl. Presler, 1996, Skb 29/28. 21 Vgl. Presler, 1996, S. 223, Skb 29. 22 Bolliger, 1995, B 30. 23 Im Kirchner Museum Davos hat sich ein Großteil der Skizzenbücher Kirchners erhalten. In der Numerierung von Presler, 1996, hier zit. nach: Skb, 29/23. Vgl. Presler, 1996, S. 223, Skb 29. 24 Eintrag in einem Skizzenbuch Kirchners. Nach Presler, Skb 29/6. Vgl. Presler, 1996, S. 223, Skb 29. Das Ausstellungsverzeichnis ist mit fast gleichem Wortlaut abgedruckt in: Kirchner, 1993/94, S. 115ff. 25 Ebd., S. 119, wo die Bestimmung der Skulpturen vorgenommen wird. Kirchners Liste enthält den Nachtrag, „nach der Ausstellung alles zu Gräf wieder“ (ebd., S. 120). Unter dem Sockel der 11 großformatiges „Straßenbild mit zwei Damen in Orange und Blau/großes Format 1000,- M.“26 und erklärt es so zum wertvollsten Bild dieser Ausstellung. Damit wird sein Holzbildwerk einer Tänzerin ebenfalls zum teuersten Exponat und beweist Kirchners hohe Bewertung seines skulpturalen Œuvres.27 Trotz der kontinuierlichen bildnerischen Arbeit und deren Wertschätzung durch die Künstler sucht man in der kunsthistorischen Forschung vergebens nach einer ausführlichen Beschäftigung damit. Neben Malerei und Holzschnitt, spricht man von einer ‘Skulptur des Expressionismus’ eigentlich erst seit der gleichnamigen Ausstellung unter der Leitung Stephanie Barrons.28 Diese erste kunsthistorische Würdigung und bisher umfassendste Überblicksdarstellung hat jedoch wenig Veränderung bewirkt. Noch 1994 erschien mit Expressionismus. Eine deutsche Kunstrevolution29 eine abbildungsreiche Publikation, die nicht eine einzige Skulptur enthielt. Vielfach gilt also immer noch: „Die Skulptur des Expressionismus nimmt innerhalb der Geschichte der modernen Kunst einen hervorragenden Rang ein. Dennoch sind diese Werke aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, mit Ausnahme Wilhelm Lehmbrucks und Ernst Barlachs, weitestgehend unbekannt geblieben.“30

Insbesondere bezüglich der Bildwerke Erich Heckels und Ernst Ludwig Kirchners kann mit Max Sauerlandt ergänzt werden: „Und doch waren diese Jahre auch für die Plastik von grundlegender Bedeutung in den ersten Bildwerken der gleichen Künstler, die die neue Epoche in der Malerei heraufgeführt haben. Aber diese ersten Bildwerke des neuen Stils blieben damals und sind bis heute noch ungesehen in den

Tänzerin befindet sich ein Zettel mit der Aufschrift „E. L. Kirchner Jena bei Herrn Professor B. Graef, Preis 1000 M“ (zit. nach: Kirchner 1979/80, S. 172), der sich als Befolgung der obigen Anweisung verstehen ließe und die Figur damit eindeutig identifizieren würde. Allerdings ist zu fragen, ob die schwarzgefärbten Haarpartien tatsächlich auf die Tänzerin hinweisen, da sie als diejenige Figur Kirchners gilt, die „als einzige niemals bemalt worden (ist)“ (Kirchner, 1979/80 S. 172). Grundsätzlich wäre zwar denkbar, daß Kirchner, wie bei so vielen anderen Beispielen, auch diese Figur nachträglich überarbeitet und die Bemalung dabei entfernt hat, aber erstens wurde die Bemalung dabei in der Regel nie ganz getilgt und zweitens sind auf den erhaltenen Photographien keine schwarzen Farbreste zu erkennen. 26 Kirchner, 1993/94, S. 115. 27 Noch deutlicher wird diese Wertschätzung, betrachtet man die Geschichte um das ursprünglich nur 100,- Mark günstiger veranschlagte Gemälde Der Absinthtrinker von 1915 (vgl. Kirchner, 1993/94, S. 115 und Abb. S. 135). Der expressionistische Dichter Karl Theodor Bluth kaufte das Bild in der Jenaer Ausstellung. Als er es 1921 der Münchner Staatsgalerie zur Leihgabe machen wollte, protestierte Kirchner und machte von seinem Rückkaufsrecht Gebrauch. Sein zentrales Bild der Kriegszeit wollte er erworben und nicht verliehen sehen, zumal es „durchaus kein für die Allgemeinheit verständliches und förderliches Bild“ sei. Zit. nach: Kirchner, 1993/94, S. 223. Lieber verkaufte er es erneut, 1923 an den späteren Direktor des Bauhauses Hannes Meyer. 28 Skulptur des Expressionismus, 1984. 29 Elger, 1994. 30 Skulptur des Expressionismus, 1984, S. 11. 12

Ateliers oder, nur ganz wenigen zugänglich, in den Räumen einzelner Nächstvertrauter geblieben.“31

Da diese Feststellung aus dem Jahr 1930 dreiundsiebzig Jahre später nicht viel von ihrer Aktualität verloren hat, soll mit der vorliegenden Arbeit diese Forschungslücke geschlossen werden.32

Kunstwissenschaftliche Wertschätzung erfuhren die Künstler als Bildhauer in zahlreichen Veröffentlichungen der zehner, zwanziger, und dreißiger Jahre.33 Seinen Höhepunkt musealer Würdigung erfuhr das bildnerische Werk von Heckel und Kirchner durch Max Sauerlandt (1880–1934). Seit 1919 Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg, begann sogleich mit dem systematischen Ankauf von bildhauerischen Exponaten von .34 Bereits 1926 war er daher in der Lage, eine umfassende Ausstellung des bildhauerischen Œuvres von zu planen.35 Dieser sollten außerdem „Schmuck und Gebrauchsgegenstände der -Maler“ eingegliedert werden, was jedoch zunächst am Widerstand Kirchners scheiterte.36 Im ersten Jahrgang der Zeitschrift Museum der Gegenwart, deren Mitherausgeber Sauerlandt war, erschien dann 1930/31 eine der wichtigsten zeitgenössischen Würdigungen des plastischen Werkes der Künstler. Sie erschien anläßlich der Neugestaltung der Moderne-Bestände in Sauerlandts Museum. Unter dem Titel Holzbildwerke

31 Sauerlandt, 1930/31, S. 106. 32 Bezeichnend für die heutige Quellenlage ist die Tatsache, daß die Forschungsergebnisse auf anderem Gebiet (bspw. Woesthoff, 1996) fundamentale Wissenserweiterungen über beispielsweise Datierungen und Umfang beizusteuern in der Lage sind. Dem geringen Bekanntheitsgrad der Kirchnerschen Skulpturen wird das lang erwartete Werkverzeichnis des plastischen Werkes Kirchners von Wolfgang Henze Abhilfe schaffen, das soeben erschienen ist und daher für die vorliegende Untersuchung nicht mehr nutzbar gemacht werden konnte. Begleitend zur Publikation ist seit Ende Dezember 2002 eine groß angelegte Ausstellung im Kirchner Museum Davos zu sehen, die ab April 2003 auch in Stuttgart gezeigt werden wird. 33 Vgl. Friedberger, 1913; Osborn, 1922; Grohmann, 1926; Sauerlandt, 1930/31. Allerdings finden sich auch in den zeitgenössischen Publikationen Auslassungen. In Alfred Kuhns Die neuere Plastik vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, erschienen 1921, geht der Autor zwar schwerpunktmäßig auf die damalige Gegenwart ein; was ehemalige -Künstler angeht, beschränkt er sich aber auf Schmidt-Rottluff. Bereits Rosa Schapire, die besonders Schmidt- Rottluff schätzte und förderte, bemerkte dazu: „Er [Kuhn] ist gut unterrichtet, aber Heckels und Kirchners Plastik ist ihm seltsamerweise entgangen. Kirchners Holzfiguren, voll sinnlichen Zaubers, sind, wie sich Albiker einmal ausdrückt, ganz ‘in die Materie eingefangen, das ist materialisierte Bewegung’ geworden.“ Zit. nach: Schapire, 1921, S. 347. 34Bezeichnenderweise hinterlegt eine 1957 anläßlich der Würdigung von Sauerlandts Lebenswerk veröffentlichte Radierung das Bildnis Max Sauerlandt mit Kirchners Skulptur der Badenden (vgl. Rolf Nesch. Bildnis Max Sauerlandt, o.J., Farbige Radierung. Abb. aus: Heise, 1957, S. 333) 35 Vgl. Wietek I, 1984, S. 89. 36„Ihre Brückepublikation werden Sie also ohne mich machen müssen ebenso Ihre Ausstellung von Brückekunstgewerbe. Ich habe sowieso nie angewandte Arbeiten für den Verkauf gemacht. Ich bin Maler und Bildhauer und habe soviel zu tun daß mich meine Tätigkeit völlig ausfüllt.“ Brief Kirchners vom 10. Februar 1928 an Sauerlandt. Zit. nach der freundlicherweise von der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, zur Verfügung gestellten Kopie. Signatur: NSa: 13:4. 13 von Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff im Hamburgischen Museum für Kunst und Gewerbe stellt Sauerlandt insgesamt fünf Skulpturen vor37. Im umgestalteten Treppenhaus fanden diese Werke in Hamburg ihre erste museal- öffentliche Präsentation.38 Außerdem gehörte Sauerlandt auch privat zu den frühen Förderern der -Skulptur. Er besaß seit 1920 die Badende mit Tuch von Heckel.39 Wie sehr sich allerdings die Rezeption von Heckels und Kirchners bildhauerischem Werk veränderte, zeigt deutlich der Umstand, daß in der eigenen Monographie das skulpturale Schaffen keine Nennung mehr erfuhr. Will Grohmanns Das Werk Ernst Ludwig Kirchners, erstmals 1926 noch mit zwölf abgebildeten Skulpturen erschienen, zeigt in der zweiten Auflage von 1958 keine einzige Skulptur mehr40. Dafür daß das bildhauerische Werk von Heckel und Kirchner in der Auseinandersetzung mit dem Deutschen Expressionismus und insbesondere in der ansonsten regen Bearbeitung von 41 nur sehr wenig Niederschlag gefunden hat, scheinen drei Umstände hauptverantwortlich gewesen zu sein. Zunächst der immense materielle Verlust, den ihr plastisches Œuvre durch die Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges erfuhr.42 Des weiteren gingen viele Werke durch die Beschlagnahmung durch die

37 Sauerlandt, 1930/31. 38 Heckels dort ausgestellte Große Stehende von 1912 wurde 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Ausstellung Entartete Kunst, München, 19. Juli–30. November 1937 zur Schau gestellt. Der Ausstellungsführer proklamiert anhand Heckels Große Stehende für den Künstler das „geistige Ideal“ des „Idiot[en]“ und „Kretin[s]“ und für das Werk „(mehr Ähnlichkeit) mit Gorillas als mit Menschen“. Zit. nach: Entartete Kunst, 1937, S. 19. 39 Vgl. Wietek I, 1984, S. 89. 40 Vgl. Grohmann, 1926 und Grohmann, 1958. Für einige der 1926 noch aufgenommenen Bildwerke wie die Holzskulptur No. 29 Liebespaar und die Zinnplastik No. 39 Stehendes Mädchen sollte dies auf Jahre die letzte Veröffentlichung sein. 41 Vgl. zuletzt ausführlich: , 2001. 42 Es läßt sich nicht ausschließen, daß Verluste vergleichbar denen der Malerei und Graphik, die bezüglich Heckels Frühwerk bis 1919 auf immens hohe über 50% beziffert werden, für die Skulptur ebenfalls möglich sind. Ein erheblicher Teil des Heckelschen Werkes fiel im Januar 1944 einem Bombenangriff zum Opfer, sein Atelier in Berlin, Emserstraße 21, brannte völlig aus (vgl. Vogt, 1965, S. 87). Die über 200 Werke Heckels, die 1942 in das Salzbergwerk Neustassfurt bei Magdeburg ausgelagert worden waren, sind zwar von den Bomben verschont geblieben, im Mai 1945 jedoch einem dortigen Brand zum Opfer gefallen. So ist sein Frühwerk bis auf wenige Stücke völlig zerstört (vgl. Ketterer, Dialoge, S. 23 und 63). Auch die Ateliers und ausgelagerten Bestände von Schmidt-Rottluff und Pechstein sind den Bomben und Flammen des Krieges zum Opfer gefallen, so daß uns wahrscheinlich weite Teile ihres bildhauerischen Schaffens ebenfalls verloren gegangen sind. Zum Verlust seiner Bilder, die er nach Schlesien ausgelagert hatte, berichtet Karl Schmidt-Rottluff bildhaft: „Der größte und beste Teil meiner Bilder ging noch in Schlesien verloren, so daß ich mir selber schon als Legende vorkomme.“ (zit. nach: Schmidt- Rottluff, 1989, S. 99f.). Was Kirchner betrifft, so wurden viele der plastischen Werke von der Hand des Künstlers selbst zerstört. Transportgründe, Geldmangel, das Gefühl künstlerischen Ungenügens und die Angst vor nationalsozialistischer Verfolgung ließen Kirchner viele seiner Skulpturen vernichten. Ein letztes großes Konglomerat seiner Bildwerke verbrannte er unmittelbar vor seinem Freitod (vgl. Kornfeld, 1979, S. 321f.). Eine Kenntnis der Kirchnerschen Skulpturen wird zusätzlich durch den Umstand erschwert, daß sich der Großteil seiner plastischen Kunstwerke in Privatbesitz befindet. 14

Nationalsozialisten generell und durch die Ausstellung „Entartete Kunst“ im besonderen verloren.43 Und schließlich läßt sich die vielfach ausbleibende Würdigung expressionistischer Skulptur allgemein und derjenigen Heckels und Kirchners im speziellen mit einem Interessensschwerpunkt bei der Abstrakten Kunst in den fünfziger Jahren erklären.44 Um so schwieriger gestalteten sich die Neuansätze zur Erforschung der historischen Entwicklung expressionistischer Skulptur in ihrer ursprünglichen Dimension. Dies hatte zur Folge, daß plastischen Arbeiten Kirchners und Heckels bis in die 60er Jahre45 ein weitgehend unbekannter Aspekt von waren und die Historiographie der Skulptur des Expressionismus erst knapp zwanzig Jahre alt ist46. Roters war es, der bereits 1985 auf das Desiderat der Aufarbeitung des bildhauerischen Werkes von hinwies47; eine umfassende Untersuchung oder vergleichende Betrachtung ist bis dato jedoch nicht durchgeführt worden.48 Die vorliegende Arbeit stellt deshalb einen ersten Versuch dar, das bildhauerische Werk von Heckel und Kirchner anhand vergleichender Untersuchungen einiger charakteristischer Stücke vorzustellen und einen Überblick über ihr plastisches Œuvre bis etwa 1914 zu geben. Im Mai 1913 wurden die Passivmitglieder von offiziell über die Auflösung der Künstlergemeinschaft informiert. Trotz äußerer Anlässe führte letztlich die individuelle Verschiedenheit der beteiligten Künstlerpersönlichkeiten und die individuelle Etablierung am Kunstmarkt zu diesem Bruch. Das Gros der bisherigen Veröffentlichungen ist einem Künstler gewidmet oder behandelt einzelne Werke, bei denen die Auswahlkriterien hauptsächlich äußerer Natur sind.49 Zumeist wird dabei das skulpturale Schaffen Kirchners in den Vordergrund gestellt. Dies resultiert zum einen aus der schlechten

43 Vgl. Entartete Kunst, 1937 und Lüttichau, 1998. 44 Erstmals wieder in der -Monographie Lothar Günther Buchheims, der den Begriff Plastik sogar in den Untertitel seiner Publikation aufnimmt. Für ihn waren die bildhauerischen Bemühungen von mehr als Marginalien. „Das plastische Schaffen war auch für die Brückemaler mehr als Atelierexperiment. In der Technik des Holzschnitts waren sie Meister geworden, was lag näher, als vom Holzschnitt, der ja als eine Art Flachrelief angesehen werden kann, eines Tages zum vollplastischen Schnitzen vorzudringen“ (zit. nach: Buchheim, 1956, S. 77f.). In der gesamten Korrespondenz hat sich bis 1956 lediglich die Anfrage eines Kunsthistorikers, des Macke-Biographen Gustav Vriesen, zum skulpturalen Werk von Heckel erhalten (vgl. ebd., S. 67). 45 Vgl. Plastik und Kunsthandwerk, 1960. 46 Vgl. Skulptur des Expressionismus, 1984. 47 Vgl. Roters, 1985. 48 Henze hat das bildhauerische Werk der Künstler in einigen Publikationen thematisiert, hauptsächlich mit dem Augenmerk auf Kirchner (Henze, 1984; 1992; Henze I, 1997; 1997/98; 2001). 49 In Auswahl: Monographische Ausstellungen unter Einbeziehung der Skulpturen: Kirchner, 1979/80; Kirchner, 1997/98; Potsdamer Platz, 2001. Aufsätze über das plastische Werk des jeweiligen Künstlers: Für Heckel vgl.: Wietek I, 1984; Froning, 1997. Für Kirchner vgl.: Henze, 1984; Henze, 1997. Ankäufe: Spielmann, 1967; Protzmann, 1995. Museumskataloge: Reidemeister, 1984; Kirchner Museum Davos, 1992. 15

Überlieferungssituation des plastischen Werkes Heckels, zum anderen aus Kirchners viel umfangreicherem bildhauerischen Œuvre50 und in nicht unerheblichen Maße auch aus Kirchners vermehrten Selbstzeugnissen.51 Auch wenn die Skulptur im Vergleich zur Malerei und Graphik am Werk Heckels einen zahlenmäßig deutlich geringeren Anteil hat, so ist sie doch ein integraler Bestandteil und von erheblicher Signalfunktion für Kirchner. Es wird sich zeigen, daß die expressionistische Skulptur von durch Heckel ab 1906 zunächst allein erarbeitet wurde. Dies ergibt auch für die bisherige Rezeption der -Skulptur Konsequenzen. Kirchners plastisches Werk während der ersten Jahre der Künstlergruppe in Dresden ist nicht mehr als singulär und dominant zu beurteilen, sondern fand seine Ergänzung in den zu Beginn ebenso zahlreichen Skulpturen Heckels. Die vorliegende Arbeit will diesen frühen Skulpturen Heckels wie sein plastisches Schaffen überhaupt erstmals ausführlich darstellen und damit der Rolle dieses Künstlers das nötige Gewicht verleihen.

50 Für Heckel lassen sich etwa zwanzig vor dem Ersten Weltkrieg entstandene Stücke rekonstruieren (vgl. Wietek I, S. 87), für Kirchner dagegen etwa das Dreifache (Henze, 1984 und Henze, 2001). 51 Das vielfältige Quellenmaterial, das bei Kirchner zur Verfügung steht, prägt wesentlich den Umgang mit diesem Künstler. Da ansonsten nur sehr wenige kunsttheoretische Äußerungen hinterlassen hat, ist man allzuleicht versucht, dem reichen Angebot Kirchners an Brief- oder Tagebuchzitaten nachzugeben. Bei der interpretatorischen Verwendung dieser Quellen findet sich in der Literatur oftmals der paradoxe Umstand, daß Kirchner zwar spätestens mit der -Chronik 1913 Selbststilisierung und übertriebene Abgrenzung attestiert wird, gleichzeitig dieser Umstand sich nicht in selektiver Verwendung des Quellenmaterials niederschlägt. Allzu verführerisch scheint das reiche Reservoir an Äußerungen zu allen Phasen des künstlerischen Lebens selbiges chronologisch und inhaltlich lückenlos zu erläutern. Problematisch ist dabei jedoch, daß diese Zeugnisse wie im Fall des Tagebuchs erst nach Kirchners Umzug in die Schweiz und den damit verbundenen Veränderungen menschlicher, gesundheitlicher und künstlerischer Natur entstanden sind. Die vorliegende Arbeit bemüht sich um einen vorsichtigeren Umgang mit besonders den Kirchnerschen Selbstzeugnissen. Sie sollen die jeweilige autonome Werkaussage nicht ersetzen, sondern dieser je nachdem zur Seite oder aber gegenübergestellt werden. Selbstzeugnisse sind selbst interpretationswürdig und Gegenstand von Interpretationen. Nicht das Werk sollte in das Gerüst der Selbstzeugnisse eingeordnet werden, sondern gerade umgekehrt; denn wie sagte Erich Heckel (über sich?, über Kirchner?): „Jeder Künstler (liebt) die Verbindung nach rückwärts, so selbstverständlich sie nach Jahren erscheinen mag, immer von neuem zu zerstören, um ein Kommender vor Kommendem zu bleiben“ (Heckel 1931. Zit. nach: Heckel, 1973, S. 5.). 16

II. Schlüsselbegriffe des Expressionismus und des - Programms und ihr formaler Niederschlag in den Skulpturen Heckels und Kirchners

A. Das -Programm als schöpferisches Bekenntnis

„Schon um deswillen sind sie es [Revolutionäre] nicht, weil sie nicht von einer Theorie ausgehen. Nur daß sie mit unverbildetem Auge und naiv in die Welt um sich blicken gibt ihnen das Aussehen umstürzlerischer Neuerer“52

Zwischen „Bilde Künstler, Rede nicht“53 (Goethe) und der gerade gegensätzlichen Ansicht“Gewiß das Beste, Inhaltsreichste und Aufklärendste, was über Kunst gesagt wurde, ist von Künstlern selbst gesagt worden. Das Beste, was Künstler über Kunst gesagt haben, das haben sie über ihre eigene Kunst gesagt“ 54 (Hugo von Tschudi) spannt sich der Bogen der Positionen zum theoretischen Künstlerdiskurs. Keine andere Epoche hat so viele Selbstäußerungen, Erklärungen, Bekenntnisse, Theorien und programmatische Manifeste von bildenden Künstlern hervorgebracht wie das 20. Jahrhundert Auch zeigt mit ihrem 1906 in Holz geschnittenen „Programm“ das Wissen um Künstleraussagen als erkenntnisfördernde Quelle.55 Als Beitrag zum besseren Verständnis ihrer Werke sah ihre Veröffentlichung jedoch nicht, und zumindest Heckel geht noch einen Schritt weiter, wenn er betont, daß „die Formulierung eines Programmes Sache der Akademiker und besser noch der Nachkommen [sei], die theoretisch und wissenschaftlich, nicht schaffend, arbeiten“56. Trotzdem aber hielt es für notwendig, einen mit „Programm“ betitelten Text zu publizieren. Wieso dies? „Unser Programm. Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir alle Jugend zusammen. Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren

52 Gustav Schiefler über . Schiefler, Gustav. Die Inkunabeln der neuen deutschen Graphik. In: Das graphische Jahrbuch. Darmstadt 1919, S. 16. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 262. 53 Zit. nach: Evers, Bernd (Hrsg.). Die Lesbarkeit der Kunst. Bücher-Manifeste-Dokumente. Ausst. Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Berlin 1999. S. 8. 54 Ebd. 55 Zum -Programm siehe bspw. Reinhardt, 1977/78 und Zweite, 1996. 56 Antwort Heckels auf eine Umfrage der Zeitschrift Kunst und Künstler mit dem Titel „Das neue Programm – über die Malerei unserer Tage und etwas über das neue Kunstprogramm“, Jahrgang XII, 1914, Berlin, S. 299–314. 17

Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“57

Im Jahr nach ihrer Gründung veröffentlichte die Künstlergruppe 1906 „Unser Programm“ als denjenigen Text, mit dem sie sich einer nicht nur eingeweihten Öffentlichkeit vorstellen wollte. „Unser Programm“ sollte der einzige Text bleiben, der das zugrundeliegende gemeinsame Kunstverständnis offiziell und in öffentlichem Rahmen darlegte. Kunsttheoretische Begründungen oder gar eine theoretische Untermauerung ihrer Kunst verweigert ansonsten während ihres gesamten Bestehens.58 Nur gelegentlich in den Jahresberichten, in Briefen und schließlich in der 1913 von Kirchner verfaßten Chronik der Gruppe finden sich Äußerungen zum Kunstverständnis. Gerade aber die Diskussion über letztgenanntes Zeugnis hat zur endgültigen Trennung der beteiligten Mitglieder beigetragen. Heckel schildert als auslösenden Faktor nicht etwa persönliche Beweggründe bezüglich Kirchner, der sich in der Chronik in den künstlerischen und menschlichen Vordergrund stilisiert hatte, sondern für die Nichtveröffentlichung gibt er seine und Schmidt-Rottluffs „das Programmatische ablehnende Auffassung“ an59. Mit dieser Auffassung stehen die -Künstler nicht allein: „Nicht die schöpferische Stärke […] verwischt nach außen das Gesicht der Bewegung ins Irritierende und Modegeile. Es ist vielmehr das bewußt durchgeführte Programm. Geistige Bewegung ist kein Rezept. Sie gehorcht lediglich gestaltendem Gefühl.“60

Am 1. September 1906 trägt Erich Heckel dem Schweizer Cuno Amiet brieflich die Mitgliedschaft bei an und attestiert ihm, er habe „die gleichen künstlerischen Ziele“61wie die Gruppe. Amiet hatte die Kunst von bis dahin gar nicht kennengelernt, und auch die jungen Künstler kannten Amiet nur durch eine Ausstellung in Dresden.62 Deshalb ist es um so bemerkenswerter, daß

57 Zit. nach: , 2001, S. 13. 58 Erst nach Auflösung von geben Heckel und Schmidt-Rottluff in einer Kunstzeitschrift ein Statement ab, in dem sie gerade durch die Verweigerung einer ausführlichen theoretischen Reflexion quasi im Umkehrschluß eine kunsttheoretische Äußerung treffen: „Ich kenne kein ‘neues Kunstprogramm’. Ich weiß auch absolut nicht, was das sein könnte.“ Schmidt-Rottluff in: Kunst und Künstler, 1914, S. 309. Vgl. auch ein Briefzitat Kirchners an Carl Hagemann vom 9. Januar 1916: „Theorien sind ja geistig equilibristisch sehr nützlich aber doch grau und schattenhaft gegenüber Schaffen und Leben.“ Zit. nach: Röske, 1999, S. 78. 59 Brief Heckels vom 25. Juni 1953 anläßlich der Ausstellung der Jahresmappen von . In: Jahresmappen, 1989/90, S. 52. 60 Edschmid, 1919 (verfaßt 1917). Zit. nach: Anz, 1982, S. 51. 61 Zit. nach: Reinhardt, 1977/78, S. 44. 62 Die Ausstellung des zu diesem Zeitpunkt bereits international bekannten Amiet fand im Sommer 1906 in der Galerie Ernst Arnold statt. Amiet lernte dagegen die Werke von erst im Oktober 1907 während deren Ausstellung in Solothurn kennen. Vgl. Reinhardt, 1977/78, S. 164, Anm. 154. Persönlich trafen sich die Künstler sogar erst Jahre später. Dieses einzige 18 die einzige weitere inhaltlich-künstlerische Erläuterung, die unmittelbar auf obige Feststellung folgt, sich auf den Satz beschränkt: „Wir wollen in Ausstellungen zeigen wie und was wir fühlen.“63 Durch die Knappheit in ihrer Aussagekraft immens gesteigert, schien für Heckel die kurze Erklärung, daß die Exponate reines Gefühl zeigten, Kunst folglich mit Gefühl geradezu gleichzusetzen sei, völlig auszureichen, um Amiet die Essenz der - Kunst darzulegen und ihn so für die Künstlergruppe und einen Beitritt zu begeistern.64 Fritz Bleyl – Gründungsmitglied von – erinnert sich: „Mit von Selbstvertrauen getragener Begeisterung wurde die Einrichtung der neuen Künstlervereinigung beraten und in Angriff genommen, mit großem Mut und jugendlicher Rücksichtslosigkeit und Keckheit der zunächst fast aussichtslos erscheinende Kampf wider die gegnerischen Kräfte begonnen.“65

Die Proklamation der Veränderung bestehender Zustände ist Teil sowohl der Erinnerung Bleyls als auch des „Programm“-Textes selber. Das Motiv der Tat ist eines der Grundmotive in der Literatur um 190066 und schien den metaphorischen Kampf gegen die summarisch als „gegnerisch“67 oder „wohlangesessen, älter“68 apostrophierten Kräfte bestmöglich auszudrücken. „Mit uns die Jugend, mit uns die Kraft, mit uns Krieg und Sieg. Das ist unser Geheimnis, das Geheimnis aller Lebendigen und Zukünftigen“69. Ein solches allgemeines Selbstverständnis als „Zukünftiger“ bedingt sich zum großen Teil aus selbstempfundenem Voranschreiten, aus eigenem Avantgarde-Gefühl. Nicht zufällig gewann um 1900 der aus der Militärsprache stammende Terminus Avantgarde im Sinne des Vorauseilens einer kleinen Elite an Gewicht.70 Und so wurde das Künstlermanifest seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem zentralen

Zusammentreffen fand im Sommer 1912 im Rahmen der internationalen Sonderbund- Ausstellung in Köln statt. Vgl. Reinhardt, 1977/78, S. 176, Anm. 450. 63 Zit. nach: Reinhardt, 1977/78, S. 44. 64 Dies war ihm offensichtlich gelungen, denn in einem Brief vom 12. September 1906 bestätigt Heckel Amiet den vollzogenen Beitritt. Für die angesprochene, nur auf das Nötigste beschränkte Eigencharakterisierung seitens ist es bezeichnend, daß Heckel Amiet erst in diesem Brief, d.h. nach seinem Beitritt, die Namen der anderen aktiven Mitglieder offiziell mitteilt. Vgl. Reinhardt, 1977/78, S. 44. 65 Bleyl 1948, S. 215. 66 Vgl. Martens, 1971, S. 82f. 67 Ebd. 68 Vgl. Programm der . 69 Conrad, 1895, S. 1. 70 Die Übertragung dieses Begriffes in die Kunstterminologie geht auf Charles Baudelaire zurück. Als Avantgarde, einem in der französischen Revolution ausgebildeten Begriff für die mutige Vorhut einer militärischen Truppe, bezeichnet er die modernen Künstler, die sich dadurch auszeichnen, daß sie den seiner Ansicht nach überkommenen Verhältnissen konträr gegenüberstehen. Vgl. Drost, W., Kriterien der Kunstkritik Baudelaires. Versuch einer Analyse. In: Beiträge zur Theorie der Künste im 19. Jahrhundert. Bd. 1, Frankfurt 1971, S. 261. 19

Sprachrohr, um den avantgardistischen Anspruch zu vermitteln. In einer kurzen Zeitspanne von etwa 15 Jahren entfalten die künstlerischen Manifeste ihr Typenspektrum und ihre Wirksamkeit. „Das Künstlermanifest entwickelt sich in rasantem Tempo zu einem der beliebtesten Mittel zur Intervention in der ästhetischen Debatte auf internationalem Niveau, d. h. zwischen Moskau, Prag, Mailand, , und Berlin.“71 Dabei spielt die Frage, ob all das, was das Manifest fordert, auch eingelöst worden ist oder überhaupt eingelöst werden kann, nicht die entscheidende Rolle. Das Manifestieren selbst gilt als avantgardistischer Akt: „Sie wollen nur noch vorwärts um jeden Preis, wie ein Strom, der alles Mögliche und Unmögliche mit sich führt, im Vertrauen auf seine reinigende Kraft.“72 Der in ungelenk-ungebändigter Kraft geschnittene Holzschnitt schien für die dabei die ureigene Form des schriftlichen künstlerischen Bekenntnisses zu sein. Er ist geradezu ein Flugblatt, ein Pamphlet der künstlerischen -Revolution. Bevor diese aber ihre schriftliche Form fand, galt Gleiches für die in unterschiedlicher Gestaltungen existierenden Signets der Künstlergruppe, die in ihrer graphischen Darstellung allesamt den Namen der Vereinigung thematisierten. Die Interpretationsversuche des Gruppennamens sind vielfältig. Sie reichen von einer „Verbindung deutscher und französischer Kunst“73 über „Brücke sollte [den] Weg der anderen zu ihnen bedeuten“74 bis zu „Weg der Jugend von einem Ufer zum anderen“75. Daß diese Ambiguität bis heute so geblieben ist, zeigt, daß die Komplexität des Begriffes noch immer funktioniert und die Künstler ihr Ziel erreicht haben, mit ein „vielschichtiges Wort“76 zu etablieren, das „kein Programm bedeuten, aber gewissermaßen von einem Ufer zum anderen führen“77 würde. Der Begriff Brücke ist für die Künstler nicht intentional und bedeutet – äquivalent zu seiner architektonischen Entsprechung – lediglich den Weg von einem Ufer zum anderen. Der Fokus liegt dabei auf dem transitorischen Aspekt. „Wenn man nicht an einem Fluß wohnt und nicht ständig mit einer Brücke in Berührung kommt, kann man das Wort kaum so naheliegend finden, wie wir es empfunden haben. Zugleich bezeichnete es eine Verbindung zwischen dem nun einmal vorhandenen und einem

71 Zit. nach: Malsch, Friedrich Wilhelm. Künstlermanifeste. Studien zu einem Aspekt moderner Kunst am Beispiel des italienischen Futurismus. 1997, S. 15. 72 Franz Marc. Die Wilden Deutschlands. In: Der Blaue Reiter. Hrsg. von Franz Marc und Wassily Kandinsky, München 1912, S. 4–7. 73 Zit. nach: Költzsch, 1980, S. 232. Dort werden noch weitere Interpretationen des Namens vorgestellt. 74 Ebd. 75 Ebd. 76 Heckel. In: Kunstwerk, 1958, S. 24. 77 Ebd. 20

vielleicht erst zukünftigen, jenseits des jeweiligen Zeitstroms liegenden Malgut.“78

Diesen Gedanken spiegeln auch die frühen Signets der Gemeinschaft wider. Sie schildern, wenn auch stilistisch sehr heterogen, übereinstimmend das transitorisch-verbindende Moment einer [Abb. 1]. Als Beispiele seien hier nur die zwei frühesten bildlichen Darstellungen angeführt. Kirchners Holzschnitt schildert eine bildliche Manifestation des ‘Sich-im-Übergang- Befindlichen’. Geradezu exklamatorisch steht auf dem Scheitelpunkt der Brücke eine nackte weibliche Gestalt, die die Arme zum Himmel erhoben hat. Vom diesseitigen Ufer wird sie von zwei männlichen Rückenfiguren beobachtet, während das gegenüberliegende Ufer als „[…] erst zukünftiges, jenseits des jeweiligen Zeitstroms liegendes […]“79 verborgen bleibt. Das andere, noch ganz dem Jugendstil verpflichtete Signet [Abb. 2] ist eine ebenfalls von Kirchner angefertigte Tuschezeichnung, die im Stile einer Gründungsurkunde Zeugnis ablegt vom offiziellen Gründungsdatum der Künstlergemeinschaft am 7. Juni 1905. Hier wird der Namenszug von zwei Brückenbögen gerahmt und selber für diese zum verbindenden Element. „Die […] steht für den reinen, ohne Zwecksetzung und Funktionsbestimmung des Weges vollzogenen Aufbruch des Menschen, der ihn von der überkommenen Welt löst“80. Ein ausgereiftes oder gar für die Gruppe alleinverbindliches Signet scheint auch später nicht existiert zu haben. Wichtig war allein eine wiedererkennbare, einprägsame und assoziationsreiche Darstellung und damit ein bildlicher Vorläufer der verschriftlichten Form ihres künstlerischen Anliegens. Mit dem -Programm folgt dann im folgenden Jahr die Transposition in dieses schriftliche Äquivalent [Abb. 2a]. Der absichtsvoll kurze Text bleibt der bildlichen Fassung des -Symbols nahe, indem er mit einer Reihung von assoziationsreichen Wortmetaphern arbeitet. Kristallisationskerne sind „Jugend, die die Zukunft trägt“, „Arm- und Lebensfreiheit“, „unmittelbar“ und „unverfälscht“. Jeder dieser Begriffe stellt Schlüsselworte dar, die vom gebildeten Publikum als dem gemeinsamen Diskurs um 1900 angehörend angenommen und verstanden wurden. Daher stellt das Programm trotz seiner primär gestischen Grundanlage eine erste systematische Äußerung der jungen Künstler dar. Gleich hölzernen Grenzpfählen stecken diese in Holz geschnittenen Schlüsselbegriffe die implizite theoretische Grundlage ab. An der unspezifischen Formulierung des „Programms“ wird deutlich, wie umfassend diese Basis zwar gedacht, wie wenig inhaltlich konkret

78 Heckel, Interview, S. 42. 79 Ebd. 80 Müller-Hofstede, Justus. Ernst Ludwig Kirchner. Nietzsche und die . In: Ernst Ludwig Kirchner. Ausstkat. Galerie Maier-Preusker, Bonn 1982, S. 9. 21 sie aber war. Die darin auftauchenden Begriffe gründen zum großen Teil in Nietzsches lebensphilosophischer Gedankenwelt. Unter dem Gesichtspunkt der „Arm- und Lebensfreiheit“ soll diese daher im folgenden nähere Betrachtung finden. Daran anschließend sollen auch die übrigen der oben erwähnten Schlüsselbegriffe ihre Ausdeutung erfahren, um die inhärenten theoretischen Grundlagen der Künstlergruppe herauszuarbeiten und ihren jeweiligen formalen und inhaltlichen Niederschlag in den Skulpturen Kirchners und Heckels vorzustellen.

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B. „Arm- und Lebensfreiheit“

1. Die Bedeutung Friedrich Nietzsches

„Eigentlich hat alles, was meine Generation diskutierte, innerlich sich auseinanderdachte, man kann sagen: erlitt […] sich bereits bei Nietzsche aus- gesprochen und erschöpft, definitive Formulierung gefunden. Seine gefährliche stürmische blitzende Art, seine ruhelose Diktion, sein Sichversagen jeden Idylls und jeden allgemeinen Grundes […].“81

„Der Elan vital konnte zum Kennwort des Lebens nur in einer Zeit erhoben und akzeptiert werden, die ihn als Sehnsucht fühlt.“82

„Wenn man keinen guten Vater hat, so soll man sich einen anschaffen“, rät seinen Lesern. Fast scheint es, als hätte ihn nicht nur im übertragenen Sinn beim Wort genommen. Während die Bandbreite derjenigen Protagonisten der Philosophie, aber auch der Psychologie schildert, die die Geisteswelt zwischen 1905 und 1912 beherrschten – „In der Luft lag vor allem van Gogh, Nietzsche, auch Freud, Wedekind.“83–, präzisiert Thomas Mann jenes „in der Luft liegen“ bezüglich des Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900). Er war für sie „ein Prophet, den man nicht sehr genau kennt, den man kaum gelesen zu haben braucht und dessen gereinigte Resultate man doch instinktweise in sich hat“84. Nietzsches Popularität um 1900 erklärt sich dadurch, daß er als Protestautor verstanden wurde, dessen Lehren sich in striktem Gegensatz zu den Vorstellungen der älteren Generation in Deutschland befanden, so daß die Expressionisten – Dichter, Schriftsteller und bildende Künstler – ihn als einen ihrer geistigen Väter betrachteten. Manns Äußerung zeigt, daß die Schriften des Philosophen dabei in den allermeisten Fällen eher in die eigene Vorstellungswelt quasi ‘hineindiffundierten’, als daß die Künstler sie aktiv studierten. Welch

81 Benn, Nietzsche, S. 1046. 82 Dr. Bruno Altmann. Die leblose Gegenwart. In: Der neue Merkur 1, 1914, Bd. 1, S. 441. Zit. nach: Anz, 1982, S. 196. Der Begriff des Élan vital geht auf Henri Bergson zurück, der ihn 1907 mit seiner Schrift ‘L’évolution créatrice’ etablierte. Er bezeichnet die schöpferische Lebenskraft oder Urkraft, die die biologischen Prozesse steuern und sich als Formungswille manifestieren soll. 83 Ernst Blass (1890–1939), Mitbegründer des Neuen Clubs und Herausgeber der Zeitschrift Die Argonauten über die Atmosphäre im Berliner Café des Westens. Zit. nach: Reinhardt, 1977/78, S. 28. 84 Zit. nach: Hillebrand, Bruno. Nietzsche. Wie ihn die Dichter sahen. Göttingen 2000, S. 86. 23 zentralen Platz Nietzsche in dieser Vorstellungswelt dann einnehmen konnte, schildert Gottfried Benn: „Immerhin war Nietzsche um 1900 schon mausoleumsreif. Ein bekannter Architekt und Städtegestalter [Henry Van de Velde] druckt in seiner Lebensbeschreibung das Bild eines Nietzsche-Mausoleums ab, das er 1898 entworfen hatte. […] Auf uns wirkt es wie ein monströses Marmorkonglomerat etwa aus dem Film ‘Das indische Grabmal’ […]. Aber es ist interessant, sich dadurch zu vergegenwärtigen, wie Nietzsche um die Jahrhundertwende empfunden wurde.“85

Tatsächlich gedachte der für die Gesamtplanung des Mausoleums zunächst verantwortliche Harry Graf Kessler die „Elite der Philosophen, Intellektuellen, Künstler und Kunstfreunde aller Länder“ heranzuziehen, so daß er, „dem zunächst eine Art Tempel vorschwebte, mit meiner [Van de Veldes] Mitarbeit als Architekt und mit Aristide Maillol als Bildhauer für eine Plastik“ rechnete.86. War ein tempelartiger Bau hinsichtlich des Huldigungsgrades bereits aussagekräftig genug, erweiterte Kessler seinen Entwurf sogar noch und beabsichtigte dem Tempel ein Stadion beizufügen: „Zwei entgegengesetzte architektonische Gebilde: der Tempel als geheiligter Ort der Besinnung und inneren Sammlung, das Stadion der Ort eindrucksvoller Schauspiele der Gewandtheit, der athletischen Kraft. War Nietzsche nicht der erste moderne große Denker, der die Schönheit der Kraft und die Lebensfreude predigte? Hieß es nicht, seine Gedanken zu verwirklichen, wenn wir die kühnen Spiele der Jugend einbezogen?“87

Die Planung des Nietzsche-Monuments zeigt sowohl, welche Formen auch im wörtlichen Sinn seine Verehrung annehmen konnte, als auch deutlich den Inhalt der Nietzsche-Rezeption. Denn ebenso wie für Van de Velde stand auch für bei der Beschäftigung mit Nietzsche nicht dessen Kunstverständnis im Mittelpunkt des Interesses, sondern seine Philosophie des Lebens, wie sie in Deutschland auch von Wilhelm Dilthey sowie Georg Simmel und in Frankreich von Henri Bergson vertreten wurde.88 Die Beschäftigung mit dem Philosophen

85 Benn, Nietzsche, S. 1050f. Vgl. auch Velde, Henry van de. Geschichte meines Lebens. Hrsg. von Hans Curjel. München 1962. Dort S. 349ff. sowie Abb. 110 und 111. 86 Van de Velde, 1962, S. 349f. 87 Ebenda, S. 350. 88 Daß sie damit den Gehalt nietzscheanischer Werke auf einen ihnen interessant erscheinenden Aspekt einschränken konnten, liegt in der inneren Widersprüchlichkeit von dessen Gesamtwerk begründet. „Es ist leicht, zu fast jedem Nietzsche-Zitat ein anderes zu finden, welches das Gegenteil zu beweisen scheint oder doch die ursprüngliche Aussage relativiert. Dieser Umstand sollte für die Nietzsche-Rezeption nicht ohne Folgen bleiben. Jeder konnte aus Nietzsches Schriften die ihm passenden Gedanken herauslesen […].“ Frenzel, 1986, S. 76. Der Begriff Lebensphilosophie ist eine Sammelbezeichnung für Philosophien, die gegen den Rationalismus und die Aufklärung das Leben als Erleben unter Betonung des Emotionalen und Intuitiven zum Ausgangspunkt ihres Denkens erheben. Vgl. Meyers Großes Taschenlexikon, 1983. Bd. 13, S. 38. 24 geht bei allerdings über eine passive Rezeption deutlich hinaus.89 Dies illustriert anschaulich das oft zitierte erste Zusammentreffen Kirchners mit Heckel, als dieser „zum ersten Mal zu mir [Kirchner] zum Aktzeichnen kam und die Treppe emporstieg laut aus Zarathustra deklamierend“90. Daneben finden sich weitere Hinweise auf eine intensivere Auseinandersetzung der -Künstler mit Nietzsche: Emil Nolde z.B. beschreibt in seinen Erinnerungen, daß er im Kreise von nur wenig zu sagen wußte, wenn von „Nietzsche und Kant und Größen dieser Art“91 gesprochen wurde. Aber bereits vor der Begegnung der jungen Künstler miteinander beschäftigten sich Heckel und Schmidt-Rottluff mit zeitgenössischer Dichtung und Kunst im Rahmen des bereits zu gemeinsamer Schulzeit existierenden und von Schmidt- Rottluff mitbegründeten Debattierclub mit dem bezeichnenden Namen Vulcan.92 Für die Künstlergruppe und ihre ästhetische Position war Nietzsche vor allem wegen des im Zarathustra dargelegten vitalistischen Dreischritts aus Kritik, Zerstörung und Neuanfang relevant.93 Parallel zu Nietzsches Zarathustra, der sein Eremitendasein in der Höhle verläßt, tritt auch hinaus in die Kunstwelt, um wie dieser als philosophischer Lehrer und Prophet „aufzurufen“ und „alle revolutionären und gärenden Kräfte“94 an sich zu ziehen. Der Begriff des Lebens wird zum positiven Antagonisten, welcher der bürgerlichen Gedankenwelt entgegengesetzt wird und dessen Hauptqualität die

89 Wie grundlegend Nietzsche in der aktuellen Forschung für das Verständnis des (nicht nur literarischen) Expressionismus angesehen wird, zeigt Vietta, 1990, der seinem eigenen Text einige Abhandlungen Nietzsches beigibt, die er als unverzichtbar für das Verständnis der Epoche ansieht (Hinfall der kosmologischen Werte, Der tolle Mensch, Also sprach Zarathustra). Schubert, 1982, liefert die erste Untersuchung bezüglich bildender Kunst. Zu und Nietzsche nennenswert erstmals Reinhardt, 1977/78, dann Müller-Hofstede, 1981/82, und Hofmann, 1999. Eine erste umfassende systematische Analyse der Bedeutung Nietzsches und besonders des Zarathustra für das Kunstverständnis von leistet Nierhoff, 2001, der es überzeugend gelingt, die Gedankenwelt Nietzsches als Basis für das neue Kunst- und Lebensverständnis darzulegen. 90 Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 67. 91 Nolde, Jahre der Kämpfe, S. 99. 92 Vgl. Reinhardt, 1977/78, Heckel, Interview, S. 39 sowie Moeller, 1997, S. 9f. Des weiteren fanden sich auch im bibliothekarischen Nachlaß Kirchners (aufgeführt bei Gabler, 1980, S. 353– 361) Nietzsche-Ausgaben, deren frühe Erscheinungsdaten die Vermutung zulassen, daß ihre Anschaffung in die Zeit der -Anfänge, wenn nicht früher fällt, so daß die „vorgetragenen Verse und sonstigen literarischen Werke möglicherweise der schon damals umfangreichen Bibliothek Kirchners entnommen wurden“ (Reinhardt, 1977/78, S. 22). 93 Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen. Die vollständige Form dieses Werkes erschien erstmals 1892. 94 Vgl. Programm der und Brief Schmidt-Rottluffs vom 4. Februar 1906 an Nolde, in dem er diesem die Mitgliedschaft bei anbietet. Zit. nach: Nolde, Jahre der Kämpfe, S. 92f. 25 ihm inhärente Dynamik ist, die einer von Vernunft dominierten Welt entgegengesetzt wird.95 „Der autonom gewordene Mensch, der kein transzendentes Ziel der Welt sucht, vielmehr das Ziel ins Leben legt, […] überwindet das Nichts des ‘Nihilismus’ durch die Maximierung des Lebens: er wird der höhere Mensch, der Schaffende, der Revolutionierende, der Schöpfer.“96

Durch die „Maximierung des Lebens“ wohnen dem „Schaffenden“ und dem „Revolutionierenden“, nicht nur die schöpferischen, sondern auch zerstörende Kräfte inne. Für Nietzsche ist sogar vorangehende Zerstörung als Voraussetzung jedweder Neuschöpfung unabdingbar. So zertrümmert der „Schaffende“ zuerst die „Tafeln der Werte“97, um anschließend „neue Werthe auf neue Tafeln“98 zu schreiben. „Störer ist ein privater Ehrentitel, Zerstörer ein religiöser Begriff, untrennbar heute von Schöpfer.“99 Diese kurz skizzierte Trias prägt auch das Programm von : „Glauben an Entwicklung“ (Kritik), „Arm- und Lebensfreiheit verschaffen“ (Zerstörung) und „Jugend die die Zukunft trägt“ (Neuanfang) sind die eingangs angedeuteten Grenzpfähle, mit denen die Künstlergruppe weit über ein rein ästhetisches Bekenntnis hinausgeht. Dies manifestiert sich am deutlichsten in der Tatsache, daß sich im gesamten Text nicht ein einziges Mal der Begriff Kunst findet. Auch daß sich der Aufruf der Künstler nicht explizit an die Kunstwelt wendet, zeigt, wie umfassend ihren ‘Zusammenruf’ verstanden wissen wollte und daß der zugrundeliegende Kunstbegriff vielmehr ein neuer Lebensbegriff war.100 Die im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn formsprengende Kraft dieses Lebenselans bezog sich nicht nur auf ästhetische Normen. Hinter der geforderten „Arm- und Lebensfreiheit“ stand vielmehr das Unbehagen an einer

95 „In diesem Zusammenhang ist auch der Terminus Vitalismus [und vitalistisch] zu verstehen, der eigentlich eine naturphilosophische Richtung meint, welche die Autonomie von (wissenschaftlich nicht erklärbaren) Lebensvorgängen beschreibt. Der Begriff hat sich allerdings aus diesem engen Bedeutungskontext gelöst und charakterisiert Kunst und Kultur (v. a. der Jahrhundertwende), die unter dem Einfluß lebensphilosophischer Gedanken das Leben, die Verherrlichung vitaler Kräfte und Vorgänge in den Mittelpunkt stellen.“ Zit. nach: Nierhoff, 2001, S. 13. 96 Schubert, 1982, S. 285. 97 Nietzsche. Zarathustra, KSA, Bd. 4, S. 26. Vgl. Nierhoff, 2001, S. 15. 98 Vgl. Nierhoff, 2001, S. 15. 99 Ludwig Rubiner. Der Mensch in der Mitte. Berlin 1917. Zit. nach: Pförtner, 1960, S. 73 100 Vgl. Nierhoff, 2001, S.15. Wie durchgängig sich das Primat des Lebens in der Kunst der zeigt, wird sogar in der Materialauswahl und Behandlung deutlich, bei der nicht der äußere Wert des Materials über seine ästhetische Wirkungspotenz entscheidet, sondern die Fähigkeit des Künstlers, dessen verborgene Schönheit ans Licht zu bringen, denn „an sich ist kein Material schön […]. Holz, Metall, Steine und Edelsteine verdanken ihre einzigartige Schönheit dem Leben, das die Bearbeitung, die Werkzeugspuren, die verschiedenen Arbeiten, in welchen sich die begeisterte Leidenschaft oder die Sensibilität desjenigen, der sie bearbeitet, äußert, ihm aufprägt.“ Henry van de Velde, zit. nach: Bildhauertechniken, 1981, S. 35. Vgl. Kapitel II.C.1.1. 26

Kultur, der man ihre zunehmende Tendenz zur Verwissenschaftlichung, Rationalisierung, Mechanisierung und auf künstlerischem Gebiet ‘Akademisierung’ vorwarf, die die Entfaltung der vitalen Kräften und Bedürfnissen des Individuums verhinderte. Die Werke von zeugen daher von dem Bemühen, die Kunst wieder in den elementaren Lebensprozeß rückzubinden, da diese „immer schon das Leben, statt es zu verleumden, gepriesen“101 habe.

2. Kunst und Leben und die Frage des Sockels

„Die Kunst und nichts als die Kunst! Sie ist die große Ermöglicherin des Lebens, die große Verführerin zum Leben, das große Stimulans des Lebens.“102

Im Bann der Gedanken Nietzsches bemühen sich Heckel und Kirchner, in ihren Skulpturen die Wechselwirkung von Kunst und Leben zu thematisieren. So verleihen sie der Vorstellung Gestalt, daß das Leben die Kunst und die Kunst wiederum das Leben hervorbringt, indem sie versuchen die Grenzen zwischen beiden Bereichen aufzuheben. Das Problem von Skulptur und Sockel ist in der Geschichte der modernen Bildhauerei ein zentrales Thema103, das auch für Kirchner und Heckel wichtig ist und dessen Lösung für die Umsetzung ihres Leitsatzes, das „ganz naive reine Müssen, Kunst und Leben in Harmonie“104 zu bringen, von zentraler Bedeutung ist. Analog zur Denkmalplastik, für deren ‘Befreiung vom Sockel’ Rodins Bürger von Calais eine Schlüsselrolle einnehmen, ging es auch darum, ihre Skulpturen und Plastiken mittels ihrer Sockel in die reale Umgebung zu integrieren. Die Aussage Rodins: „Ich wollte gar kein Postament für meine Gestalten. Ich hatte den Wunsch, sie sollten vor dem Rathaus der alten Stadt stehen, eingelassen in das Pflaster des Platzes, ganz als wären sie eben im Begriff, zum Feldlager der Engländer aufzubrechen. Sie hätten sich so, unsre Brüder, in das tägliche Leben der Stadt aufgenommen gesehen. Passanten, die sie

101 Schubert, 1982, S. 285. 102 Nietzsche. Nachgelassene Fragmente, KSA, Bd. 13, S. 521. Zit. nach: Meyer, 1984, S. 33. 103 Vgl. Rusche, 1989; Trier, 1999, S. 178ff. 104 Tagebucheintrag Kirchners vom 6. März 1923, unter dem er einen Aufsatz für die Zeitschrift Das Kunstblatt verfaßt und obiges Zitat als die künstlerische Maxime für die frühen - Jahre formuliert. Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 66. 27

berührten, hätten die Empfindung gehabt, wie das Geheimnis der Vergangenheit wieder auflebte in ihrer Mitte.“105 paraphrasiert Kirchner für das eigene Œuvre: „Eine Figur wie die ‘Freunde’ wäre wundervoll in einem modernen Versammlungsraum moderner Menschen sowohl durch ihre äußere Gestalt wie durch ihre geistige Bedeutung.“106 Zugunsten der angestrebten Lebensnähe verzichten auch die -Künstler auf den erhöhten und oftmals aus anderem Material bestehenden Unterbau, der die Werke auch im übertragenen Sinn auf einen Sockel hebt. Der Betrachter, selbst einer materiellen Welt angehörend, sieht im Sockel eine Funktion, die das Werk in eine ideelle Welt enthebt und explizit als Kunst definiert. Im Sinne solcher ästhetischen Abgrenzung entstanden Analogien sowohl zum Bilderrahmen als auch zur Theaterbühne.107 Diese Praxis hatte den Kunstwerkcharakter der Skulpturen und Plastiken noch unterstrichen und die Stücke dadurch deutlich von ihrem Umfeld abgegrenzt. Kirchner und Heckel suchen statt dessen eine inhaltliche und räumliche Aussöhnung von Umraum und Werk.108 Zum einen geschieht dies durch niedrige Sockel, die eher Plinthen entsprechen, da sie als flache Platte mit dem Werk in einem Stück geschaffen sind und die Figur unmittelbar auf ihrem Untergrund zu plazieren scheinen109; zum anderen durch höhere, in die Figur integrierte Sockel, die ‘stammartig’ belassen werden und so die Natur, eine andere Form vitalistischen Lebens, versinnbildlichen. Formensprache und Materialität vermeiden jedoch jeglichen penetranten Naturalismus, der einer dergestalt thematisierten Gleichsetzung von Kunst und Lebenswirklichkeit drohen könnte. „Nach der wichtigen Unterscheidung Wilhelm Schlegels ist Plastik im Gegensatz zur Malerei Sein und nicht Schein. Letzterem nähert sie sich durch Exponierung auf Basen, welche sie in die Aura der Parallelrealität transponieren, ähnlich wie der Rahmen das Bild.“110 Eine Möglichkeit zur Aufhebung dieser ästhetischen Grenze war, die Sockel eigens für das Stück zu entwerfen, wie dies beispielsweise Hans Arp tat111, und ihn damit zum Teil der Werkaussage zu erklären. Noch konsequenter lassen Kirchner und Heckel Sockel und Bildwerk eine untrennbare Einheit eingehen, indem beide aus einem Block oder Stamm

105 Auguste Rodin. Die Bürger von Calais. Einführung von Hermann Bünemann. Stuttgart ³1964, S. 27f. 106 Marsalle, 1925, S. 704. 107 Rusche, 1989, S. 9. 108 Konkrete Ausarbeitung eines Sockels, der dann eine – der Figur fest zugehörige – Umgebung andeutet, wie sie beispielsweise Edgar Degas mit seiner La petite Danseuse de quatorze ans von 1881 oder Medardo Rosso mit L’ ultimo bacio von 1882 realisieren, bei denen der Sockel den Boden des Ballettsaales bzw. den angedeuteten Erdboden darstellt (vgl. Stix-Marget, 1998, S. 66.), gibt es bei Heckel und Kirchner jedoch nicht. 109 Vgl. Rusche, 1989, S. 7. 110 Kerber, 1977, S. 27. 111 Vgl. Poley, 1978, S. 105ff. 28 miteinander verbunden bleiben. Sockel nehmen dadurch eine mediatorische Stellung zwischen jener „Parallelrealität“ und derjenigen des Betrachters ein. Das Kunstwerk ist dadurch in der Lage, Teil der autonomen Kunstwelt zu sein und sich dieser durch seine Präsentationsform gleichzeitig wieder zu entziehen. Viele der Heckelschen Bildwerke weisen eine solche Standflächengestaltung auf. Das besondere Problem von Stabilität und Labilität verlangt bei seinen schmalen Silhouetten, die zudem noch häufig auf überkreuzten Füßen stehen, nach einer Lösung, die die Standfestigkeit gewährleistet, was die Skulpturen aufgrund ihrer formalen Konzeption selbst nicht können. Die Sockel werden dabei keineswegs als Requisit, als Notlösung behandelt, sondern werden, beispielsweise in der Bemalung, sorgfältig auf die Skulpturen abgestimmt. Die geometrisch- blockhafte Eigenschaft Heckelscher Sockel fügt sich dabei der Werkaussage (Zehen, die sich in den Rand krallen, Schrittstellung, die ein Herabsteigen vom Sockel assoziiert, vgl. Frau, 1913) ein bzw. verstärkt diese wie im Fall der Stehenden mit aufgestütztem Kinn noch [Abb. 3]. Ihr Sockel ist der höchste aller heute bekannten Heckel-Skulpturen und erscheint uns als ein fester Bestandteil des Werkes. Aus seiner hohen zylindrischen Form resultiert eine Streckung der gesamten aufwärts gerichteten Bewegung, und die Torsion des Körpers wird durch den Kontrast des blockhaften Sockels noch verstärkt. Aus dieser Unauflösbarkeit beider Elemente ergibt sich jedoch ein gewisses Maß an Fixierung. Durch die Einheit von Skulptur und Sockel ist letzterer nicht bloß eine alternative Form der Aufstellung, sondern untrennbarer Teil der Werkaussage, die damit auch eine Wandelbarkeit der Figuren durch ihre Präsentation weitgehend ausschließt. Durch Formensprache und Material wird aber die Gefahr einer auratischen Isolation gebannt, in die eine Aufsockelung allzuleicht führen kann. Der hohe Sockel bleibt durch seine Größe und Auffälligkeit gleichzeitig formal weiterhin Teil der Umgebung und trägt dazu bei, die Figur nicht allzusehr in die „Parallelrealität“ entgleiten zu lassen. Er hebt die Figuren auf Augenhöhe des Betrachters, was ihnen nicht nur einen unerhörten Zuwachs an Präsenz gibt, sondern sie tatsächlich auch teilhaben läßt am Umraum und die – auf zahlreichen Zeichnungen festgehaltene –reale Gesellschaft von hölzernen und menschlichen Akten ermöglicht [Abb. 113, 115, 116]. Eine Begegnung von Angesicht zu Angesicht realisierten die Künstler sowohl in ihren Ateliers, als auch in ihren Ausstellungen. Photographien der -Ausstellung im Kunstsalon Fritz Gurlitt (April 1912) [Abb. 4] zeigen, daß nahezu lebensgroße und obendrein bemalte Skulpturen sich mit dem Betrachter denselben Handlungsraum teilten. Eine andere Möglichkeit zur Mediation von „Schein“ und „Sein“112 ist die Gestaltung von plinthen-ähnlichen flachen Sockeln, die durch ihre geringe Höhe

112 Kerber, 1977, S. 27. 29 dazu beitragen, daß zwischen Kunstwerk und Betrachter die kleinste Distanz erreicht wird. Dies schildern beispielsweise Tänzerin mit Halskette und Hockende [Abb. 5, 6], die in der Gesellschaft menschlicher Akte auf zahlreichen Zeichnungen der Künstler erkennbar sind [Abb. 115]. Eine Austauschbarkeit von hölzernem und menschlichem Modell durch den Betrachter wird dabei intendiert.113 Um die Unmittelbarkeit der Begegnung noch zu steigern, postieren Heckel und Kirchner diese Figuren aufgrund ihrer geringen Größe zuweilen auf etwa hüfthohen Holzstämmen [Abb. 7], die mit wechselnden Skulpturen bestückt wurden und lange Zeit im -Atelier standen. Ein solch direktes Miteinander suchen die Künstler auch auf ihre Ausstellungen zu übertragen. Wo die fehlende Größe eine Begegnung ‘von gleich zu gleich’ nach obigen Beispielen verhindert, werden beispielsweise die gänzlich sockellosen Zwei Frauen so hoch auf ein Galeriepostament gestellt, daß eine wirkliches Rendez-vous auch im Galerieraum ermöglicht wird.114 Nach heutiger Quellenlage muß offenbleiben, wann Heckel und Kirchner mit den verschiedenen Sockellösungen experimentierten, da die Photographien zumeist Skulpturen mit und ohne Sockel zeigen. Bei den stehenden Figuren ohne Sockel handelt es sich bei Kirchner zumeist um kleinformatigere Arbeiten wie Kleiner Adam oder Tanzende Eva.115 Eine Stehende, eine Kauernde und eine Hockende von der Hand Heckels weisen ebenfalls keinen Sockel auf [Abb. 8, 9, 10]. Ab ca. 1912 zeichnet sich jedoch ab, daß Heckel weiterhin zwischen ‘Stammsockeln’, Plinthen und Sockelverzicht variiert, während Kirchner jetzt auch in seinen größeren Werken in zunehmendem Maß auf jegliche Sockel verzichtet. Eine Trennung von Kunstwelt und Lebenswelt wird damit größtmöglich aufgehoben. Als Illustration dessen schildern die Photographien von Kirchners Ateliers Situationen, in denen vom Sockel befreite Skulpturen, dadurch gleichsam belebt, die Atelierwelt bevölkern. Auch Carl Einstein erklärt in seiner einflußreichen Schrift Negerplastik 1915 den Sockel in der afrikanischen Kunst für obsolet, da die Skulpturen „selbständige Wesen“ darstellten, die „keiner Hilfe bedürftig“116 seien. Besonders eindrücklich zeigen dies zwei Atelier-Photographien Kirchners [Abb. 11]. Einmal sieht man zwei Skulpturen– vorn die Tänzerin, dahinter die

113 Vgl. Kapitel IV.1.1.2. 114 Vgl. Kirchner Museum Davos, 1994, Kat. 13, S. 45. 115 Die frühesten nachweisbaren Holzskulpturen Kauernde, ca. 1909/10, und Bananenesserin, 1909/10, lassen allerdings vermuten, daß Kirchner von Beginn an auch Stücke ohne Sockel gefertigt hat. 116 Einstein, 1915, S. XIV. 30

Stehende.117 Die andere Photographie schildert vermutlich den nackten tanzenden Kirchner mit Freunden und Freundinnen in seinem Berliner Atelier [Abb. 12]. Im Hintergrund beider Photographien erkennt man schemenhaft die Skulptur Liebespaar. Das Vordergrund-Personal unterscheidet jedoch die beiden Aufnahmen: Einmal ist es ein menschlicher Tänzer, das andere Mal eine hölzerne Tänzerin. Es wird deutlich, daß sich Menschen und Skulpturen in ein und demselben Aktionsraum befinden, durch den sie sich – im Falle der Tänzerin geradezu gleichberechtigt – bewegen. In diesen Photographien wird Kirchners expliziter Wunsch nach einer Durchdringung von Kunst und Leben anschaulich, einem Miteinander von Mensch und Skulptur: „Ich freue mich sehr, daß Sie eine Holzfigur in Ihren Räumen aufgestellt haben, erst dadurch bekommen die Arbeiten ihren wirklichen Wert, wenn sie in den Häusern der Menschen stehen.“118 Wie eine Begegnung von Mensch und Kunstwerk sich im Idealfall gestalten konnte, zeigt ein Blick auf die Werke Kirchners in der Sammlung Fischer. Zeitgenössische Aufnahmen geben eine Vorstellung davon, daß im Idealfall dieses Miteinander über ein Nebeneinander mit Kunst weit hinausgehen konnte [Abb. 13, 14]. Die bei Fischers aufgestellten Akt, sich umdrehend und Halbakt mit Hut [Abb. 15, 16] haben überhaupt keine Sockel und sind statt dessen, zur besseren Standfestigkeit, lediglich auf Holzplatten montiert. Die Werke finden sich nicht in für Kunst eigens eingerichteten Räumen oder im sogenannten Sammlersalon, die primär der (Re-)Präsentation dienten, sondern im Speisezimmer. Dies belegt, daß mit Kunst wirklich gelebt wurde. Die Sammlung Fischer prägt dabei ihr privater Charakter, der sie bis 1924 allen Leihanfragen verschloß.119 Die Aufnahmen des Speisezimmers des Ehepaares Fischer zeigen 1923 gleichsam die wortwörtliche Realisierung des obigen Zitates. Dabei stehen Kirchners Holzskulpturen Akt, sich umdrehend und Halbakt mit Hut inmitten seiner Gemälde.120 Allein die Wände des Speisezimmers sind mit mindestens zwölf Gemälden Kirchners dicht behängt, der Durchblick in den angrenzenden Raum läßt eine ähnliche Fortsetzung vermuten. Die Skulpturen finden auf den

117 Deutlich erkennbar verfügt die Stehende über keinen Sockel mehr und ist zur Stabilisierung lediglich auf einem Brett befestigt. Die Tänzerin photographiert Kirchner sehr geschickt, indem er ihren zwar sehr kleinen, aber –bei einer Figur auf Zehenspitzen – notwendigen Sockel nur anschneidet. Zur Rolle der Photographie als künstlerisches Medium bei Kirchner vgl. Grisebach in Davoser Tagebuch, 1997, S. 353. Dagegen: Kirchner Museum Davos, 1994. Kirchner Museum Davos, 1994. 118 Kirchner an Gustav Schiefler in einem Brief 1913. Zit. nach: Kirchner/Schiefler, 1990, S. 67. Gemeint ist Stehendes Mädchen von 1909/10, das das Ehepaar Schiefler von Kirchner als Geschenk zur Silberhochzeit erhalten hatte. 119 Vgl. Dube, 1990, S. 17. 120 Akt, sich umdrehend wurde von Fischers 1919 im Kunstsalon Ludwig Schames in Frankfurt erworben, der im Februar/März eine Ausstellung mit dem Titel „Bilder von E. L. K., Gemälde und Plastiken“ veranstaltete. Vgl. Skulptur des Expressionismus, 1984, Kat. 69 und Expressionismus und Exil, S. 179. 31 seitlichen Schränken prominente Aufstellung, wodurch nahezu ein ‘Auge in Auge’ mit dem Betrachter ermöglicht wird, wie es auch die Photographien des Ateliers und der Gurlitt-Ausstellung zeigten.121 Skulptur und Gemälde werden dabei in Wechselwirkung zueinander gesetzt. Akt, sich umdrehend ist so aufgestellt, daß seine Körper- und Kopfdrehung Bezug nimmt auf das nebenanhängende Bild der Frau mit erhobenem Rock. Deren gesenkte Kopfhaltung und Blickrichtung scheint wiederum auf die Holzskulptur ausgerichtet. Zusammen mit der zweiten rahmenden Holzfigur des Halbakts mit Hut, die ebenfalls dem Bild zugewandt ist, bilden die beiden Skulpturen und das Gemälde den Höhepunkt der Sammlung, der die Raum- und Blickachsen im Speisezimmer und zu den angrenzenden Zimmern bestimmt. Die Gruppe von Bild und begleitenden Skulpturen wird noch dadurch hervorgehoben, daß das Trio genau über dem leicht vorspringenden Mittelteil des Sideboards positioniert wurde.122 Räumlichkeiten, Möbel, Gemälde und Skulptur gehen eine künstlerische Allianz ein, die in dieser Zeit nichts Vergleichbares hatte.123 Dieses Environment kreierte ein Ambiente, welches das Lebensgefühl der Sammler ausdrückte und bildete. Die Kirchner dabei eingeräumte Exklusivität hätte der Künstler selber wohl nicht idealer erträumen können.124 Der Umgang mit dem Problem Sockel und seine vielfältigen Lösungen spiegeln das Bemühen von Kirchner und Heckel, Kunst und Leben auf bestmögliche Weise zu verbinden.

121 Neben den Skulpturen Kirchners lassen sich Wilhelm Lehmbrucks Kleiner Torso von 1911 und auf dem kleinen Tisch an der Wand Gerhard Marcks Skulptur Zwei Läufer von 1923 erkennen. 122 Das Gemälde und die beiden Skulpturen müssen zu dem an der gegenüberliegenden Wand befindlichen Gemälde mit ähnlich prominenter Inszenierung, Tanz zwischen den Frauen, welches einen Mann zwischen zwei Frauen zeigt, in spannungsvoller, sogar raumübergreifender Beziehung gestanden haben. 123 Seit 1962 bemüht sich Eberhard Kornfeld in den von Kirchner bewohnten Häusern „Auf dem Wildboden“ und „In den Lärchen“ in Davos-Frauenkirch um Vergleichbares. Kornfeld versucht ein ähnliches, allerdings auf Kirchners eigenes privates Lebens- und Kunstumfeld bezogenes, Ensemble zu rekonstruieren, indem er anstrebt „möglichst viele Werke Ernst Ludwig Kirchners – Ölbilder, Skulpturen, Aquarelle, Zeichnungen, Graphikblätter, Schmuckstücke und Dokumente – an den Ort ihrer Entstehung oder zumindest ihrer zeitweiligen Aufbewahrung zurückzubringen.“ Vgl. Kornfeld, 1996, S. 7. 124 Die Sammlung umfaßte etwa 70 Gemälde. Das Gros stammte von Künstlern der : 28 Gemälde Kirchners, 12 Heckels, 6 Noldes, 3 Muellers, 3 Pechsteins und 3 Schmidt-Rottluffs. Vgl. Dube, 1990, S. 17. Außerdem enthielt die Sammlung Fischer mit zwei Broschen aus Silber einige der wenigen Schmuckarbeiten Kirchners. Vgl. Expressionismus und Exil, Kat. 23 und 24. 32

C. „Jugend, die die Zukunft trägt“ – Material, Form und Farbe

„Man spürte, daß es sich um unsere Welt handelte, um den Ausdruck des Suchens und Wollens unserer Generation, und fühlte sich gerade darum nicht ganz sicher, ob das nun auch wirklich unser Ausdruck war. Schließlich waren wir alle erst fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt, und da ist das Erwachsensein noch sehr ferne und nicht ganz leicht.“125

„Jugend ist in ihnen und Frühling.“126

„Wer jung ist, soll es bis zur Katastrophe sein, und Unreife ist das triebkräftigste Ferment der Weltgeschichte.“127

Seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts beginnt eine Auseinandersetzung auch der bürgerlichen Jugend mit dem sich vollziehenden Wertewandel und mit der Entfremdung des einzelnen in der Gesellschaft. Nicht daß die Jugend sich unverstanden fühlte, war neu, sondern daß das Jugendalter nun ernst genommen wurde und als eine Lebensstufe mit eigenen, nicht nur der Vorbereitung auf das Erwachsenenalter dienenden Wertvorstellungen anerkannt wurde. Allerdings wird „Jugend“ dabei nicht notwendigerweise von Jugendlichen mit Inhalten und Zielen ausgestattet, sondern vielfach sind es die Älteren, die auf der Suche nach Trägern ihrer künstlerischen, aber auch nationalen, religiösen und gesellschaftlichen Hoffnungen Konzepte unter dem Titel „Jugend“ formulierten. So kommt es, daß für die mit Jugend konnotierten Erneuerungsversuche des Expressionismus auch Schriftsteller und Künstler tätig waren, die wie , Stefan Zweig und Wassily Kandinsky einer bereits etablierten Künstlergeneration angehörten. Zweifellos ist es Teil der Selbststilisierung der Künstler, wenn sie ihren Aufbruch mit dem der Jugend gleichsetzen. Zugleich bedeutet es aber auch, daß Jugend nicht ausschließlich als Lebensalter, sondern vielmehr als Einstellung und innere Befindlichkeit verstanden wird, die „man ja nicht nach Kalenderjahren zu zählen braucht“128. Und dennoch entdeckt sich um 1900 eine junge Generation selbst und vereinnahmt die Jugend als Lebenszeit, als Anspruch und als Utopie:

125 Paul Fechter über seine ersten Begegnungen mit . In: Fechter, 1949, S. 315. 126 Gustav Schiefler über . Schiefler, Gustav. Die Inkunabeln der neuen deutschen Graphik. In: Das graphische Jahrbuch. Darmstadt 1919, S. 16. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 263. 127 Einleitung zum ersten Heft 1913 der Zeitschrift Die neue Kunst von Hans Ammon und Heinrich Bachmair, München ab 1913. 128 Hesse, Hermann. Zum Expressionismus in der Dichtung, In: Die neue Rundschau 29, Bd. 1, 1918, S. 838–843. 33

„Die Jugend erwacht. Das ist das Zeichen der Zeit. […] Jugend leidet daran, daß man sie nur als Übergangsstadium betrachtet, das möglichst schnell überwunden werden muß. Der junge Mensch ist der Sklave seines späteren Lebens. Die besten fühlen am stärksten das Unwürdige dieses Zustandes; sie fangen an, sich auf sich selbst zu besinnen. Dann, wenn dieses Besinnen zum Gemeinschaftsgefühl einer ganzen Generation geworden ist, dann wird die Auferstehung der Jugend vollzogen sein. […] Und jetzt stehen wir am Anfang dieser Weltverjüngung.“129

Die biographische Ausgangssituation, auf die hier mit „der junge Mensch ist Sklave seines späteren Lebens“ angespielt wird, bezieht sich auf die Gymnasialzeit der Bürgersöhne, zu denen auch die -Künstler gehörten.130 Pädagogisch wie Kinder behandelt, verlangte man von ihnen mit sechs Stunden Schule und vier Stunden Hausaufgaben erwachsene Arbeitsleistung. Aus diesem Zwiespalt versuchten einige sich zu befreien, indem sie die Gepflogenheiten der Älteren in Kleidung, Frisur, Auftreten annahmen. „Die Gymnasiasten versuchten die Männer-Herrlichkeit des Corpsstudententums vorwegzunehmen, um als ‘erwachsen’ zu gelten.“131 Andere versuchten dagegen ganz aus diesen Mechanismen gesellschaftlicher Ordnung auszuscheren, so daß Jugend zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Oppositionsbegriff schlechthin wurde. Wenn die in ihrem Programm von Jugend spricht, „die die Zukunft trägt“, dann wählen sie mit Jugend einen Begriff, der ein enormes Suggestionspotential besaß. Jugend wurde zum positiven Reizwort (v)erklärt, welches vielfältigste Assoziationen und oft diffuse Vorstellungen alternativer Daseinsformen weckte und dessen gesellschaftspolitische Relevanz sich

129 Georges Barbizon. Die Auferstehung der Jugend. In: Wiecker Bote, Jg. 1, Heft 3, Oktober 1913. 130 Kirchners Vater war Professor für Papierforschung, Heckels Vater Ingenieur beim Eisenbahnbau und Schmidt-Rottluffs Vater Mühlenwerkführer. Entsprechend dem bildungs- bzw. kleinbürgerlichen Hintergrund und den zugehörigen Bildungsidealen, besuchten alle Künstler in Chemnitz das Real-Gymnasium. Dieses galt als Bildungsanstalt der Geschäftskreise, während ein humanistisches Gymnasium von den Akademikern bevorzugt wurde. Vgl. Davoser Tagebuch, 1997, S. 318. 131 Ziegler, 1990, S. 16. Vgl. auch die Erinnerungen Stefan Zweigs: „Ein achtzehnjähriger Gymnasiast wurde wie ein Kind behandelt […] ein Mann von dreißig Jahren wurde noch als unflügges Wesen betrachtet, und selbst der Vierzigjährige noch nicht für eine verantwortliche Stellung als reif erachtet. […] So geschah das heute fast Unbegreifliche, daß Jugend zur Hemmung in jeder Karriere wurde und nur Alter zum Vorzug. […] jeder, der vorwärts wollte, [mußte] alle denkbare Maskierung versuchen, um älter zu erscheinen. Die Zeitungen empfahlen Mittel, um den Bartwuchs zu beschleunigen, vierundzwanzig- oder fünfundzwanzigjährige junge Ärzte […] trugen mächtige Bärte und setzten sich, auch wenn es ihre Augen gar nicht nötig hatten, goldene Brillen auf, nur damit sie […] den Eindruck der Erfahrenheit erwecken könnten. Man legte sich lange schwarze Gehröcke zu und einen gemächlichen Gang und wenn möglich ein leichtes Embonpoint, um diese erstrebenswerte Gesetztheit zu verkörpern.“ Zweig, 1944, S. 51. 34 schließlich in den großen Jugendbewegungen niederschlug.132 Auch die -Künstler empfinden sich sowohl konkret (alle befinden sich am Beginn des dritten Lebensjahrzehntes) als auch im übertragenen Sinne als Teil dieser Bewegung: „Jugend war in ihrem Sinne nicht mehr bloß ein biologisches Durchgangsstadium auf dem Weg zum Erwachsensein, sondern ein Mythos und zugleich eine Chiffre für einen Aufbruch in eine wie auch immer geartete bessere Zukunft.“133

Im Programm der wird mit „Jugend, die die Zukunft trägt“ eine neue Kunst- und Gesellschaftsauffassung proklamiert, die einen Zeitenwechsel auf der Basis einer Jugendkultur signalisieren soll. Die Jugend lehnte sich auf gegen die traditionellen Ordnungsmächte in Staat, Gesellschaft und Kunst; sie revoltierte gegen das Bestehende und strebte danach, es umfassend zu verändern. „Wie in allem Politischen und Sozialen, so in allem Wissenschaftlichen und Künstlerischen, die aufstrebende Jugend, kühn durch den Gott in ihrer Brust, läßt sich von den Alten und Abgelebten kein X für ein U machen.“134

Die alte Ordnung trug für sie die Zeichen des Verfalls und des Untergangs, während sie mit ihrem „Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden“ in eine bessere Welt aufbrechen wollte. Wogegen sich diese Gesinnung wendet, ist klar: gegen alles, was man im künstlerischen Bereich als akademisch und im gesellschaftlichen als wilhelminisch empfand. Worin jedoch das Ziel einer solchen „Lebens- und Armfreiheit“ bestand, wird offengelassen. Die sich hierin bereits abzeichnende Zuspitzung von Jugend = Zukunft und Fortschritt sowie Alter = Vergangenheit und Stagnation führt direkt in den ‘expressionistischen Generationskonflikt’, der sich dann vor allem in der Literatur niederschlug und bereits bei Nietzsche zu finden ist. Dieser läßt Zarathustra verkünden: „Wandel der Werthe – das ist Wandel der Schaffenden. Immer vernichtet, wer ein Schöpfer sein muß“135. Die Schaffenden sind also diejenigen, die neue Werte setzen. „Das Schöne dieser Zeit war das Jungsein und das Beginnen. Keiner von uns war etwas, jeder wollte erst etwas werden.[…] Pechstein mit seiner strahlenden überschäumenden Vitalität […] war dem Wesen nach der

132 Vgl. Mogge, 1985 und Trommler 1985. Auch die Jugendidee und damit die Jugendbewegung und andere lebensreformerische Bewegungen gehen auf die Philosophie Nietzsches zurück. 133 Reulecke, 1985, S. 202. 134 Conrad, 1895, S. 3. 135 Zarathustra, KSA, Bd. 4, S. 75. 35

Jüngste von uns und der, für den […] etwas Schaffen identisch war mit Leben und Glücklichsein.“136

Zentrale Elemente dieses schaffenden Lebens sind Tat und veränderndes Handeln.137 Handeln für eine „neue Generation der Schaffenden“ ist daher primäres Ziel von , wie es im Programm heißt. Die Handlung an sich gilt dabei als stärkster Ausdruck eines vitalen Lebens, weshalb es für die jungen Künstler sekundär ist, daß sich ihr Aktivismus dabei verselbständigt – „Wovon wir weg mußten war klar“, erinnert sich Heckel, „wohin wir kommen würden stand allerdings weniger fest.“138 – und dessen Stoßrichtung nur ganz allgemein als „gegen wohlangesessene Kräfte“ definiert werden kann. Im folgenden soll dargelegt werden, welche künstlerische Form für die dem Anspruch der „Jugend“ und dem damit verbundenen Handlungsimpuls entsprach. Es wird sich zeigen, daß den Skulpturen dabei eine besondere Bedeutung beigemessen wird. So wird in den plastischen Werken eine Kunstauffassung evident, die besonders in der Materialauswahl und - behandlung den künstlerischen Prozeß als Schöpfungsakt empfindet und daher nicht ausschließlich das Resultat, sondern ebenso den Prozeß seiner Entstehung in den Mittelpunkt rückt. Geistiger Vater dieser Kunstauffassung ist wieder Nietzsche, für den der Schaffensprozeß der künstlerische Kern ist. „Nietzsches Ästhetik ist weniger eine Werkästhetik als eine ausgesproche Schaffensästhetik.“139 Diese Auffassung prägt auch das Kunstverständnis von . Daher wird der künstlerische Produktionsprozeß stark aufgewertet, eine Aufwertung, die sich auch formal niederschlägt, denn die dynamischen Spuren der Entstehung charakterisieren das fertige Kunstwerk. Kirchner findet für diese expressionistische Produktionsästhetik 1913 den Begriff des „zwingenden Rhythmus“. In einem Brief an Gustav Schiefler heißt es: Das bildhauerische Arbeiten „giebt mir neben der Freiheit der Zeichnung den zwingenden Rhythmus der im Block geschlossenen Form“140. Die Idee von der im „Block geschlossenen Form“ und vom „Rhythmus der Form“ wird im folgenden analysiert und zur Charakterisierung der Skulpturen Heckels und Kirchners herangezogen.

136 Fechter, 1949, S. 319. 137 Martens, 1971, S. 82f. schildert das Motiv der Tat als eines der Grundmotive der Literatur um 1900. 138 Heckel. In: Kunstwerk, 1958. 139 Meyer, 1984, S. 29. 140 Brief an Schiefler vom 12. August 1913. Zit. nach: Henze, 1984, S. 109. 36

1. „Im Block geschlossene Form“: Holz als Werkstoff

1.1. Holz als Material der Bildhauerei

„Materie stellt Ansprüche – Holz ist anspruchsvoll. Zähigkeit, Elastizität, Härte, Glätte, Festigkeit, Äste, Knoten, Risse, Fasern, Einschlüsse, sind Eigenheiten, die ich als Widerstände erfahre. Holz ist eigensinnig, stur, stolz, nie charakterlos gefügig wie Ton, nie beliebig virtuos zu verformen.“141

Das Handwerkliche – „vom genialisch gestimmten 19. Jahrhundert als Fron gefürchtet und darum gemieden“142 – findet in den Figuren Heckels und Kirchners wieder zurück in die Kunst und wird von diesen darüber hinausgehend zu einer zentralen Ausdrucksqualität erklärt, die nicht nur ihr plastisches Werk kennzeichnet. Holz wurde als Material bevorzugt, weil es eine unmittelbare Bearbeitung ermöglichte, ein „Heraushacken“143, mit dem auch emotionale Befindlichkeiten ihren formalen Ausdruck fanden. „Der Pinsel fährt zu leicht über die Leinwand. Die Umsetzung von Empfindung in Farbe geschieht – sicherlich eine Erfindung des Impressionismus – blitzartig schnell; es soll ja die Ursprünglichkeit frischen Erlebens bewahrt bleiben. Kein Zweifel, daß in dieser Leichtigkeit […] viel Gefahr steckt […]. In solcher Situation bietet sich auf einmal der Holzschnitt dar als ein werkmäßiges Arbeiten, als ein Schneiden mit scharfem Messer im harten Material, wenn man will als ein geradezu körperliches Überwinden von Widerständen, die in dem Verfahren liegen.“ 144

Unter „werkmäßigem Arbeiten“ verstand man im Expressionismus die Beachtung der Materialgerechtigkeit, die in Abgrenzung zu den vorangegangenen Tendenzen der Materialnegierung gesehen wurde. Sie bildete die Opposition zur Industrialisierung der Bildhauerei. Adolf von Hildebrand forderte bereits 1893 in seiner Schrift Das Problem der Form in der bildenden Kunst, die bildhauerische Arbeit nicht mit dem Tonmodell zu beenden und die Ausführung einem Kopisten zu überlassen, sondern eigenhändig und frei die

141 Franz Bucher, 1966. Zit. nach: Trier, 1999, S. 66. 142 Hofmann, 1958, S. 23. 143 „Das Holz ist wundervoll. Hoffentlich kann ich bald anfangen und einige gute Figuren heraushacken.“ Heckel an Schiefler, Februar 1911. Zit. nach: Wietek I, 1984, S. 90, Anm. 19. 144 Paul Westheim. Holzschnitt und Monumentalkunst. In: Das Kunstblatt, Heft 1, Jan. 1918, S. 51. Zit. nach: Wagner, Primitivismen, S. 79. Vgl. auch Grohmann in seiner Monographie über Kirchner, 1926, S. 46: „Das handwerklich Schwere der Arbeit war dabei ein wertvolles Gegengewicht gegen die Leichtigkeit des Zeichnens und Malens.“ 37

Skulptur aus dem Stein herauszuschlagen.145 Unabhängig vom Werkstoff versuchte er ein neues bildhauerisches ‘Schaffensethos’ zu begründen und dem Gedanken der Materialgerechtigkeit Geltung zu verschaffen.146 „Was der angehende Kunstjünger meistens lernt ist ja gar nicht mehr das, was der schöne Name besagt: Bild-Hauer-Kunst, sondern Modellierarbeit, freies, willkürliches Tonkneten. Und wie hierin der Hauptgrund der Verwilderung zu suchen ist, so liegt zugleich das beste Mittel zur Abhilfe damit zutage: das Arbeiten in Stein und aus dem Stein heraus. Wie überall, so ist auch hier das Material selbst der rechte Erzieher zu gesundem Stil.“147

Mit diesen Ausführungen pointiert Volkmann die Gedanken Hildebrands um die Jahrhundertwende. Er hält dem Bildhauer vor, er entferne sich zu weit vom Handwerklichen und schaffe eine zu große Distanz zwischen Künstler und Ausführendem. Hinter diesen Vorwürfen stehen zwei Kritikpunkte: Zum einen wirft man Künstlern wie Auguste Rodin vor, ihre Bronzeplastiken nicht selber zu bildhauern, sondern von Handwerkern in Marmor übertragen zu lassen, zum andern schildern die obigen Überlegungen die Skepsis gegenüber dem Einsatz technischer Errungenschaften auf künstlerischem Gebiet, die es im Falle mechanischer Vergrößerungsverfahren (Punktiermaschine) ermöglichen, selbst kleinste Modelle, noch dazu unterschiedlichsten Materials, auf den Marmorblock zu übertragen. Ohne es direkt zu formulieren, impliziert diese Auffassung deutlich die Gleichsetzung von Metallguß und künstlerischem Niedergang. Mit seinen Ausführungen zu seinen plastischen Arbeiten erweist sich Kirchner auf der Höhe dieser Authentizitäts-Debatte. Auch er lehnt die Arbeitsteilung zwischen Bildhauer und Gießer als „unkünstlerisch“ ab: „Wenn man sich vergegenwärtigt, daß bei dieser alten Arbeitsmethode eigentlich nur das Tonmodell vom Künstler stammt, das Endresultat und alle Arbeit dafür aber von anderen Händen geschaffen wird, […] fragt [man] sich oft beim Anschauen, was wohl bei diesen Kunstwerken eigentlich noch vom Künstler stammt.“148

Kirchner fordert alternativ, das „echte“ Material „mit seinen Händen“ und direkt zu bearbeiten. Wie seine expressionistischen Kollegen möchte er dem

145 Das Problem der Form in den bildenden Künsten wurde 1893 erstmals publiziert. 1903 erscheint eine überarbeitete Neuauflage. Vgl. Adolf v. Hildebrand. Gesammelte Schriften zur Kunst. Köln/Opladen 1969. 146 Da Hildebrand in einer klassischen Tradition stand, dachte er allerdings an den Werkstoff Marmor. Holz als Material der Bildhauerei taucht in seinen Ausführungen nicht auf. 147Volkmann, Ludwig. Grenzen der Künste. Dresden 1903, S. 91. 148 Marsalle, 1925, S. 695. Louis de Marsalle war ein selbstgewähltes Pseudonym Kirchners unter dem er sich bemühte, dem eigenen Werk zu kunsthistorischer Würdigung zu verhelfen. Vgl. Kapitel II.C.3.1. 38

Material gerecht werden. Da für Kirchner im bidhauerischen Arbeiten „jede Wölbung und Vertiefung von der Sinnlichkeit der Hand des Schaffenden geformt wird“ und „scharfer Hieb und zartestes Schnitzen unmittelbar das Gefühl des Künstlers ausdrücken“149, ist Holz das einzige adäquate Material. Kirchner und Heckel hatten deshalb mit Holz schnell ihr eigentliches Material gefunden und beschränkten sich bei ihren plastischen Arbeiten auf diesen Werkstoff – entgegen ihrer sonstigen Experimentierfreudigkeit hinsichtlich Material und künstlerischen Techniken, beispielsweise auf dem Gebiet der Druckgraphik. Indem Kirchner in seinen Ausführungen das Herstellen von Bronzeplastiken als ‘alte Arbeitsmethode’ kritisiert, definiert er im Umkehrschluß sowohl seine Arbeitsweise als auch seine Holzskulpturen als ein neues Kapitel in der Geschichte der Bildhauerei. Durch den Expressionismus der erfährt der Werkstoff Holz eine extreme Aufwertung, die in anderen Ländern Europas so nicht zu finden ist. „Diese spiegelt sich nicht allein in der Einrichtung von Holzbildhauerklassen an den Kunstakademien, sondern vor allem in einer fast ungebrochenen Tradition der figürlichen Holzbildhauerei bis in das Dritte Reich hinein.“150

Im 19. Jahrhundert war vor allem der Holzstich ein wichtiges Medium der Massenreproduktion gewesen, bei dem die künstlerische und materielle Handschrift hinter dem utilitären Gesichtspunkt zurücktreten mußte. Das harte und faserkürzere Hirnholz diente als Bildträger. Bezüglich des Materials wurde durch den Holzstich die Revitalisierung von Holzbildhauerei und Holzschnitt eingeleitet. Im Expressionismus wurde daraus eine programmatische Nutzung des ‘armen’ Materials und das Bemühen, dessen biomorphe Eigenschaften im Werk in Erscheinung treten zu lassen.151 Folgerichtig verankerten die Holzschnitte Gauguins, Munchs und der -Künstler die Eigenschaften des Holzes, seinen Wuchs, seine Beschaffenheit, seine Fehler, als untrennbaren Bestandteil des Materials, der auch in der Darstellung in Erscheinung zu treten habe. Gleiches gilt für die Holzbildwerke, bei denen auch die Bemalung die materielle Qualität des Holzes immer erkennbar bleiben läßt, deren Trockenrisse Teil der Gesamtwirkung sind, und die unter Beachtung der

149 Ebd., S. 696. 150 Heusigger von Waldegg, 1981, S. 35. 151 Die Nobilitierung ‘armer’ Werkstoffe ist ein zentrales Anliegen des Expressionismus. So war der Versuch, auch Ton zu neuer Geltung zu verhelfen, folgerichtig. Der Bildhauer Paul Rudolf Henning schrieb 1917 einen Aufsatz mit dem Titel Ton – Ein Aufruf. Darin plädierte er für eine ausgedehnte Anwendung von Ton, besonders in der Form von Terracotta: „Ich möchte dem Ton hierbei eine ernste Bedeutung zuweisen. Der Reichtum an Gestaltungspotenzen wird ihm sogar einen festen Platz in der Zukunft sichern! Nehmen wir ihn nur frisch und jungfräulich als Mittler unserer Gedanken und Empfindungen, als Vollbringer von Ursprünglichem, Aus-erster- 39 naturgegebenen, gewachsenen Voraussetzungen aus den Holzstücken entstehen [Abb. 17, 18, 19]. Dabei erwarben die -Künstler genaue Kenntnisse des zu bearbeitenden Materials, so daß regelrechte materialtechnische Steckbriefe entstanden: „Ebenso haben wir die verschiedensten Hölzer verwendet, da sie dem Messer unterschiedlichen Widerstand entgegensetzen. Man hat es auch mit einer ganz anderen Maserung zu tun, wenn man beispielsweise in Eichenholz schneidet, das furchtbar hart ist. […] Dagegen sind Linden- und Erlenhölzer sehr gleichmäßig, die Fichte weist eine großzügige Maserung mit harten und weichen Stellen auf. Diese Auseinandersetzung mit dem Holz bildete meiner Ansicht nach den Ausgangspunkt des expressionistischen Holzschnitts.“152

Sowohl Westheim als auch Heckel betonen im Umgang mit dem Material die Notwendigkeit, dessen Widerstand zu überwinden. Heckel schildert in einer Postkarte an Emil Nolde begeistert die sinnliche Qualität dieses Prozesses: „Ich habe zwei neue Holzplastiken fertig – das Holz war sehr fest, aber es ist so fein, auf Widerstand zu stoßen und nun auch alle physischen Kräfte einsetzen zu müssen.“153

Körperliche Erfahrung ist für Heckel folglich ein wichtiger Aspekt expressionistischen Arbeitens. Auch Kirchner mißt diesem Aspekt eine zentrale Bedeutung bei. In einem Brief an Gustav Schiefler heißt es: „Es ist ein sinnlicher Genuß, wenn Schlag für Schlag mehr die Figur aus dem Stamm herauswächst.“154 Die Begeisterung Schieflers für das plastische Werk von Kirchner und Heckel äußerte sich besonders darin, daß er ihnen im Januar 1911 sogar Holz zur Verfügung stellte. Es handelt sich dabei um zwei Ahornstämme, die Schiefler auf seinem eigenen Grundstück hatte fällen lassen. Die Künstler waren begeistert, da sie sich „schon lange so starke Stämme […] gewünscht“155 hatten. Kirchner nutzt die im Februar 1911 erhaltenen Stämme, um daraus die Hockende mit

Hand-Kommendem! Lassen wir ihn wieder auferstehen, um seinen Wert als Selbständig- Bestehendes zu beweisen. Lassen wir ihn wieder ‘edel’ sein!“ Zit. nach: Henning, 1917. 152 Heckel, Interview, S. 57. Vgl. auch Kirchner: „Ich habe jetzt ein wunderbares Holz für Holzschnitzerei, das Arvenholz. Das schneidet sich so leicht, wie ich noch keines gehabt habe. Die Arven wachsen ganz oben an der Schneegrenze. Das Holz ist sehr widerstandsfähig trotz seiner Weichheit.“ Brief Kirchners an Nele van de Velde vom 2. November 1918 aus Davos. Zit. nach: Henze, 1984, S. 109. 153 Postkarte Heckels an Nolde vom 2. März 1907. Zit. nach: Urban, 1984, S. 153. 154 Brief Kirchners an Schiefler vom 27. Juni 1911. Zit. nach: Kirchner/Schiefler, 1990, S. 42. Zur Bedeutung der Körperwahrnehmung und ihrem künstlerischen Niederschlag im Expressionismus vgl. Nierhoff, 2001. 155 Undatierter Brief (vermutlich Januar 1911) Heckels und Kirchners an Schiefler. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 283. Die Bäume standen auf Schieflers Grundstück in Mellingstedt an der Alster, wo sie dem Bau eines Landhauses weichen mußten, das Schiefler dort als „Flucht- und Ruhepunkt und ebenso Arbeitsrefugium“ errichtete. Woesthoff, 1996, S. 277. 40

Schale156 [Abb. 8 rechts unten] zu fertigen sowie vermutlich Tanzende Eva157 [Abb. 8 links oben]. Eines der ‘Archivphotos’, mit denen die Künstler ihre plastischen Werke zu dokumentieren und Freunden zugänglich zu machen versuchten, zeigt vermutlich diejenigen Skulpturen, die Erich Heckel im Winter 1912/13 aus dem zur Verfügung gestellten Ahornholz „heraushackte“. Das Photo, das Heckel im Frühjahr 1913 an Schiefler sandte, zeigt Stehende mit aufgestütztem Kinn und die Große Stehende158 [Abb. 20]. Daß es sich bei der Übersendung der Aufnahme nicht um eine bloße Dankesbekundung handelte, sondern auch darum, den Gönner am eigenen Leben und Arbeiten teilhaben zu lassen, zeigt sich darin, daß Heckel neben den beiden Figuren aus dem Schieflerschen Ahorn auch seinen Betenden Mann mit ablichtet. „Diesen Winter habe ich neue Holzskulpturen gemacht. Eine männliche, 2 m hoch, und [ein] paar weibliche Figuren 1,60 m hoch. Dann auch noch kleinere. Es war aber reizvoll lebensgroße Formen zu hacken. Ich lege gleich eine Photographie der drei ‘Grossen’ bei“.159

Auch die Qualität des Holzes scheint für die Künstler etwas Besonderes gewesen zu sein, da sie dem „vornehmen“ und „dichten Holz“160 sogar Charaktereigenschaften zuschreiben. Speziell die Vornehmheit scheint dabei den Gegensatz zum Ateliermobiliar zu illustrieren, das aus Straßenlinden gemacht wurde: „Für unser Verhältnis zum Holz […] wurde auch noch etwas anderes wichtig, nämlich das, was wir die Einrichtung unserer Ateliers nannten. […] Ich habe auch eine solche Bank gemacht, aus großen Lindenblöcken, die wir einfach von der Straße holten. Eines Tages war nämlich eine mächtige Linde gefällt worden, und da lag das Holz dann da. Für wenig Geld konnten wir es erhalten, oder die Arbeiter haben es uns geschenkt. Aus diesen Blöcken, die immerhin jeweils 1,20 m lang waren, wurde die Bank zusammengefügt. Dazu wurde aus Rundholz ein Schemel geschnitzt. Durch diese Holzarbeiten ging auch der Holzschnitt viel kühnere Wege. Es ging heftig zu beim Bearbeiten der Holzblöcke mit dem Beil. Und

156 Vgl. Anm. 616. 157 Vgl. Kirchner/Schiefler, S. 32, Brief vom 25. Mai 1911 sowie S. 42, Brief vom 27. Juni 1911. Dagegen spricht allerdings ein Briefzitat Kirchners vom 28. November 1929, in dem er die Figur als „nicht fertig und sehr stark gerissen“ beschreibt. Zit. nach: Spielmann, 1967, S. 222. 158 Das Stehende Mädchen befindet sich seit 1966 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg und war dort kürzlich im Rahmen der Ausstellung „Nackt, Die Ästhetik der Blöße zu sehen“ (vgl. Nackt, 2002). Die Große Stehende wurde von Max Sauerlandt, einem der frühen musealen Förderer der -Skulptur bereits 1930 für das gleiche Museum angekauft. 1937 wurde sie von den Nationalsozialisten für die Ausstellung Entartete Kunst beschlagnahmt und ist seither verschollen. 159 Undatierter Brief Heckels an Schiefler. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 284. 160 Ebd. 41

durch Schnitzen lernten wir, sehr viel großzügiger zu arbeiten, statt stundenlang kleine Spänchen zu entfernen.“161

Wenn Heckel in seinen Beschreibungen von der „wundervollen“ Qualität des Holzes spricht und diesem Eigenschaften von „Vornehmheit“ zuschreibt, weist er ihm geradezu menschliche Eigenschaften zu. Im Gegensatz dazu ist der Steins gerade durch seine nicht-menschliche Beständigkeit gekennzeichnet. Stein ist der materielle Niederschlag von erdgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Zeitmaßstäben und wird dadurch in unserer Wahrnehmung das immer schon dagewesene, ewige Material, dessen Durabilität die Künstler in Form des Lithographiesteins auch sehr zu schätzen wußten. Es sind genau diese Eigenschaften, die Stein zwar zum weitest verbreiteten skulpturalen Werkstoff machen, die Heckel und Kirchner nach vereinzelten Versuchen in Stein und Metall (Zinnguß) jedoch Holz als ihren hauptsächlichen Werkstoff wählen ließen. Bei diesem Material unterliegen Künstler und Werk, Material und Dargestelltes den gleichen Bedingungen. Denn ebenso wie der Künstler ist sein Holzbildwerk Gefährdungen durch Feuer und Wasser ausgesetzt. Holz als natürlicher Rohstoff unterliegt den gleichen Mechanismen des Wachsens und Werdens und des Sterbens und Vergehens wie der Mensch und kann demnach mit menschlichen Maßstäben gemessen werden. So berichtet Schiefler von Heckel, dieser habe „das verwitterte Gesicht eines alten Mannes in Eichenholz geschnitten, das Jahrhunderte lang im Moore gelegen habe“162, so daß sich neben der Form auch die Geschichte des Holzes auf das Kunstwerk überträgt.

1.2. Freilegung der im Material verborgenen Form

Die Bildhauerei zitiert seit Plinius den Topos, daß das Bildwerk bereits im Material eingeschlossen sei und der Künstler es lediglich befreien müsse. Meister Eckhart, Leon Battista Alberti und Michelangelo sind nur die bekanntesten Künstler dieser Anschauung. Eine Skulptur entsteht demnach durch „Wegnahme des Überflüssigen“163, wodurch die verborgene, innere Form aus dem Material befreit wird.

161 Heckel, Interview, S. 57. Der 1881 gefertigte Schrank Paul Gauguins mit geschnitzten und gemalten Reliefs für seine Pariser Wohnung (heute Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe) ist möglicherweise das früheste Beispiel für ein selbst gefertigtes Möbelstück eines modernen Malers. Seit 1877 hat Gauguin auch Skulpturen geschnitzt, daneben entwarf er Möbelverzierungen und Gebrauchsgegenstände. Man kann davon ausgehen, daß Gauguins Kunst- und Lebensverständnis der wichtige Impulse gab. Vgl. Kapitel II.D.2. 162 Schiefler, 1918. Zit. nach: Heckel I, 1983/84, S. 219. 163 Wagner, 2001, S. 174ff. 42

Auch Kirchner folgt diesem Topos, wenn er an Schiefler schreibt: „In jedem Stamm steckt eine Figur, man braucht sie nur herauszuschälen.“164 Dieses künstlerische Konzept der „im Block geschlossenen Form“ wird in einer Zeichnung Kirchners anschaulich, in der er eine weibliche Figur in ein mit zahlreichen Astansätzen versehenes Stück einzeichnet [Abb. 19]. „Die umstehende Figur ist unfertig geblieben. Sie liegt wahrscheinlich heute noch in Fehmarn am Strand. Ich wollte 1912 eine Tänzerin machen und fand in Fehmarn zufällig ein Stück Holz, das für sie paßte, ich zeichnete nur die Stammform auf und componierte und zeichnete die Figur hinein.“165

Kirchner überträgt die bis dato nahezu ausschließlich auf den Stein bezogene „Wegnahme des Überflüssigen“166 auf das Material Holz. Die Spuren solcher Freilegung werden in der expressionistischen Skulptur inszeniert, so daß in jeder Skulptur der Prozeß des Herausschälens für den Betrachter nachvollziehbar ist. Die Eigenarten und Strukturen des Holzes gehören zum Ausdruck und Inhalt der Figuren, die Arbeitsspuren werden nicht getilgt oder geglättet, Zufälligkeiten der Maserung, Unregelmäßigkeiten des Umrisses werden wie beim Holzschnitt als Erinnerung an die Herkunft des Materials bewahrt und sprechen mit. Als formaler Niederschlag des oben geschilderten Primates der Tat ging es „heftig zu beim Bearbeiten der Holzblöcke mit dem Beil“.167 Wenn Heckel vom „Heraushacken“ von Figuren schwärmt, so ist diese Sprache nicht leise, sondern laut hörbar. Daß der Schaffensprozeß geradezu rauschhafte Züge annehmen konnte, da man ja dem „Mysterium des verborgenen Lebens eines jeden Stoffes“168 nachspüren wollte, schildern die Oberflächen von Kirchners Karyatide und Heckels Trägerin [Abb. 17, 18]. Grob geschnitzt, mit Beil und Messer aus dem Stamm herausgeschlagen, zeigt sich hier Bild-Hauerei im wörtlichen Sinn. Von Arbeitsspuren geprägt, geradezu verwundet, treten uns zwei weibliche Aktfiguren entgegen. Das Material ist in beiden Fällen Holz, die Bemalung spärlich, wobei sich bei Heckels Skulptur nicht mehr rekonstruieren läßt, ob die Bemalung in Schwarz und Grün mit goldenen Einsprengseln aus dem Entstehungsjahr stammt oder nicht.169 Beide Skulpturen sind gute Beispiele für die anfänglich scheinbar wütende, rauschhafte Behandlung des Holzes, die sich allerdings mit der Zeit beruhigt. Die Oberflächen werden glatter, ohne

164 Brief Kirchners an Schiefler vom 27. Juni 1911. Zit. nach: Kirchner/Schiefler, 1990, S. 42. 165 Kirchner 1912 rückseitig auf der Zeichnung. Zit. nach: Henze, 1984, S. 109. Außerdem zeigt das Zitat in Ergänzung der Heckelschen Erinnerungen bezüglich der hölzernen Atelierausstattung die Willkür und programmatische Prätentionslosigkeit bei der Auswahl des Rohmaterials. 166 Wagner, 2001, S. 174ff. 167 Heckel, Interview, S. 57. 168 Henry van de Velde, zit. nach: Bildhauertechniken,1981, S. 35. 169 Vgl. Henze, 2001, S. 190. 43 jedoch die Arbeitsspuren und das Material jemals zu verleugnen. Im Gegenteil widerstehen die Künstler dahingehender Versuchung sogar: „Das Ahornholz, das wir von Ihnen haben, läßt sich recht gut bearbeiten, es ist so kurz in der Faser und im ganzen völlig homogen. Man kommt in Versuchung, es zu polieren.“170 Heckels etwa 35 cm hohe Statuette der Trägerin ist das früheste erhaltene Holzbildwerk des Künstlers und wird auf 1906 datiert. Die Beine sind in Schrittstellung voreinander gestellt, die Arme mit dem Trageblock über den Kopf erhoben das Gesicht verdeckend. Der Rumpf, sich aus dem Block des Unterkörpers befreiend, ist bis zu den Achselhöhlen frei gearbeitet. Brust und Scham sind in schwarzer Farbe akzentuiert. Trotz blockhaftem Umriß und roher Oberfläche besitzt sie im Vergleich zur Kirchnerschen Karyatide eine weichere Komponente. Körper und Gleidmaßen folgen einer leicht geschwungenen Linie, die die Figur trotz aller blockhaften Geschlossenheit bewegt erscheinen läßt und die in einem fragilen Gleichgewicht aus Emporheben und Niedergedrücktwerden ihren gelungenen Ausdruck findet. Daß dieses Emporheben/Niedergedrücktwerden und die Mischung aus „fast barbarischer Kraft und empfindsamer Zartheit“171 bei Heckel nicht nur physischer Natur ist, davon gibt diese Figur eine erste Ahnung. Die Trägerin stützte, zusammen mit einer Zwillingsfigur, vermutlich ein Regalbrett oder Bücherbord im Atelier. „Ursprünglich bildete die Statuette mit einem Gegenstück und einem darübergelegten Balken eine Einheit“172. (Auch Kirchners frühe Skulpturen stützten oder trugen dort Wandbretter und Tischplatten.) Vermutlich ist dies einer der Gründe, warum Heckel den Fuß nicht freistehend gearbeitet hat und an der Rückseite der leicht gebeugten Beine das Holz in der Bosse stehenläßt.173 Ein weiterer dürfte Heckels Kompromißlosigkeit bezüglich Materialauswahl und materialgerechter Gestaltung gewesen sein.

170 Brief Kirchners an Gustav Schiefler vom 27. Juni 1911. Zit. nach: Wietek I, 1984, S. 90, Anm. 18. Vgl. für die spätere Beruhigung der Oberfläche Heckels Stehende von 1920 (Vogt 12), Wietek I, 1984, Abb. 48, S. 93. außerdem Kapitel II.C.2.1.1. 171 Wietek I, 1984, S. 88. 172 Spielmann, 1967, S. 222. 173 Es liegt ebenfalls nahe, darin eine Anspielung auf den antiken Ursprung der Karyatiden zu sehen. Römische Marmorkopien griechischer Bronzeoriginale besitzen oftmals eine solche Stütze, die wegen der unterschiedlichen Materialeigenschaften in der Kopie notwendig geworden war. Zum Teil sind diese konstruktiven Elemente als Baumstumpf o.ä. ausgestaltet und so in die Figurenwirkung einbezogen. Die Stütze der Trägerin ist sorgfältig schwarz bemalt und somit durch die gleiche Farbgebung wie die Haare oder Geschlechtsteile der Figur ebenfalls eingegliedert. Das Gemälde Weiße Blüte von 1956 (Vogt 1956/11) unterstützt diesen Eindruck. Es zeigt die Trägerin und eine Blumenvase mit einer antikisierenden Rahmung durch einen Fries im Hintergrund. Heckel postiert seine Skulptur so, als würde sie die horizontale Wandgliederung stützen. Vgl. Anm. 182 für weitere ‘antike Elemente’ 44

In der Trägerin steht die Verkörperung des Erlebnisses Tragen im Vordergrund. Tragen ist hier durch die mehrfach schwingende Silhouette eher als das Niederdrücken einer Sprungfeder aufgefaßt. Anders ist dies bei Kirchners festem Dagegenstemmen: Seine Karyatide von ca. 1910 scheint keineswegs unter ihrer Aufgabe in die leicht gebeugten Knie zu gehen. Sie ist die schiere Verkörperung des auf ihr lastenden Gewichtes. An einen roh behauenen voluminösen Rumpf, dessen grobe Oberflächenwirkung kongenial von Trockenrissen ergänzt wird, erscheinen die Extremitäten wie paarweise angestückt. In scheinbar skizzenhafter Unfertigkeit tritt sie dem Betrachter als kompakte Bündelung urtümlicher Kraft entgegen, der Eindruck wird ganz wesentlich durch die Wirkung des Holzes erzielt. Zwar in der Silhouette blockhaft, ist die Karyatide deutlicher als die Trägerin aus abgesetzten Einzelformen komponiert. Stützenartige Arme rahmen einen oben abgeflachten Kopf, der auf einem deutlich abgesetzten Hals sitzt. Das Gesicht ist mit wenigen Schnitzspuren und etwas Farbe nur summarisch angedeutet. Die Art der Gesichtsgestaltung mit gerader, in die Augenbrauen übergehender Nase findet bei Kirchner immer wieder Verwendung und wird im weiteren Verlauf noch Untersuchungsgegenstand werden.174 Kräftige Beine, sich förmlich gegen eine imaginäre Last stemmend, laufen in breiten Füßen aus, die mit dem Sockel verbunden bleiben. Durch diese Verbindung wird der Ursprung des Werkes im Holz und dessen Ursprung im Stamm thematisiert. An den Füßen der Figur wird besonders evident, daß nur die Wegnahme des allernötigsten Materials die naturgewachsene Skulptur des Stammes von der künstlerisch geschaffenen trennt. Beide schildern eine fasrig-splittrige Oberfläche und der Sockel scheint die Beinstellung der Karyatide und ihren Trockenriß anzukündigen. Andere Sockel, deren Naturbelassenheit und Höhe diesen Eindruck bestätigen, waren lange in den Ateliers der Künstler aufgestellt und finden sich mit wechselnder Bestückung in zahlreichen Darstellungen in Malerei und Druckgraphik. Auch die Trägerin braucht eigentlich keinen separaten Sockel, sondern verfügt, wie beim eingegliederten ‘Kämpferblock’, auch über einen figurimmanenten Fuß.175 Das Bildwerk löst sich damit nicht von seinem Werkstoff ab, vielmehr übernimmt das Stück aufgrund seiner Materialeigenschaften auch die funktionale Komponente. Die photographische Inszenierung der Karyatide inmitten der umgebenden Ateliergestaltung [Abb. 21] veranschaulicht ein weiteres Mal das Bestreben der Künstler nach einer Verbindung von Kunst und Leben. In dieser Photographie reduziert Kirchner den Ausschnitt auf die Skulptur und die selbstgefertigten Kacheln im Hintergrund, die ursprünglich für einen Ofen gedacht waren und

174 Vgl. dazu meine Ausführungen in den Kapiteln II.C.2.2.2. und IV.2.3.1. 175 Vgl. meine Ausführungen im Kapitel II.B.2. 45 alle erotische Szenen zeigen. In der untersten ist die sexuelle Stimulation einer Frau noch gut erkennbar. In dieser Gruppierung wie in der Nahsichtigkeit wird die Nacktheit der Karyatide geradezu offensiv, zumal Kirchner das sorgfältig vom Rumpf abgesetzte und gewölbte Schambein durch die Aufnahme in Untersicht prominent herausstellt. Die Materialwirkung des Holzes verstärkt diesen Eindruck noch, da der an der Scham beginnende Trockenriß die Vagina über die ganze Figur auszudehnen scheint. Diese Risse prägen kongenial viele Holzbildwerke Kirchners und Heckels und sind im Resultat sicherlich nicht unbeabsichtigt. Neben der roh belassenen Oberfläche, die die Lebendigkeit der Materialreaktion dokumentiert, schildert auch die Zeitwirkung des Werkstoffes, seine Veränderungen während der Trocknung, im Unterschied zum Stein die umfassende konsequente Schaffens- und Materialdirektive der Künstler. Eine solche ausdruckssteigernde Wirkung können die Skulpturen nämlich nur als Resultat einer konsequent realisierten Materialgerechtigkeit erreichen, dergemäß die Bildwerke nur aus dem Kernholz des Stammes zu schlagen sind: – „wenn man sie wirklich aus dem vollen Stamm schnitzt und nicht wie Barlach z.B. erst den Stamm in viele Teile zerschneidet und wieder neu zusammen leimt.“176 Die Übertragung modellierter Plastiken in zusammengeleimte Hölzer lehnen Heckel und Kirchner als schlichtweg unkünstlerisch ab.177 Das Primat der Geschlossenheit der Form im Block ist für Heckel und Kirchner keineswegs eine Hypothek: „Ohne die plastische Arbeit, unter dem Zwang der geschlossenen Blockform seine Phantasieschöpfungen zu verwirklichen, würde Kirchner schwer die freie Formung der geschlossenen Komposition erreicht haben, die seine Arbeiten auszeichnet. […] Der Block ist keine Vergewaltigung, denn der Künstler hat es ja in der Hand, die Blockform, die er für seine Schöpfungen braucht zu wählen. Die Blockform ist vielmehr ein leitendes Gesetz, der erste Schritt ist frei, die folgenden ordnen sich diesem ein.“178

Kirchners Hockende von 1910 [Abb. 5] ist eine Inkunabel für diese Geschlossenheit der Form im Block und war auch für Kirchner von besonderer Bedeutung. Sie befand sich seit 1910 nachweislich in seinem Atelier [Abb. 18 auf dem Eckbord links hinten]. Auch in seinem Aufsatz über das eigene bildhauerische Schaffen mißt Kirchner ihr einen zentralen Stellenwert bei.179 Auf pyramidalem Sockel kniet ein weiblicher Akt, der, obwohl beide Arme erhoben sind, keinerlei raumgreifende Bewegung vollzieht. So liegen die Arme eng am Körper, der linke auf dem Kopf, der Rundung einer voluminösen Haarkalotte folgend und mit Unterarm und Handgelenk eine obere Rahmung der Figur

176 Brief Kirchners vom 28. November 1929 an Sauerlandt. Zit. nach: Spielmann, 1967, S. 222. 177 Marsalle, 1925, S. 695. 178 Marsalle, 1921, S. 226. 179 Marsalle, 1925, S. 695 und 696. 46 bildend. Dem Volumen und der Farbigkeit der Haarkalotte antwortet als unteres Pendant der farbige pyramidale Sockel. Der rechte Arm, eigenwillig abgewinkelt, bedeckt die rechte Brust. Die Finger sowie Scham, Brustwarzen und Gesicht sind nicht plastisch ausgebildet, sondern farblich angegeben. Auch der sich in Falten legende Bauchnabel ist farblich gekennzeichnet und zusammen mit den schräg aufwärts verlaufenden Schnitzspuren schildert Kirchner eine Torsion der Figur. Dieser antwortet in gegenläufiger Richtung der leicht nach unten geneigte und nach rechts gewendete Kopf, so daß eine Art Spiralform entsteht. Das linke Bein ist nach vorne aufgestellt, und um der Figur möglichst wenig Raum einzubeschreiben, ist sogar der Fuß nach rechts gebogen und folgt der Außenkante des Sockels. Eine die Spirale in ihrer Aufwärtsbewegung ergänzende Rahmung beginnt (und endet) am linken Fuß, setzt sich über den Unterschenkel, die linke Brust und den linken Arm fort und findet ihre Weiterführung in der Abwärtsbewegung der rechten Seite. Dort leitet der angewinkelte Arm mit nach unten weisender Hand den Blick zum tropfenförmigen Unterkörper und zum nach hinten abgewinkelten rechten Bein. Dessen Knie berührt den seitlich abgedrehten linken Fuß, so daß die gesamte Hockende in eine Art Oval eingeschrieben ist. Zusammen mit den oben und unten dominierenden farblichen Volumen des Kopfes und des Sockels faßt diese Linie die Figur in ein festes Gerüst ein, das alle Form eng zusammenfaßt und somit die „zusammengedrängte Figur nicht stärker und eindeutiger gegeben werden (kann)“180. Gleichzeitig verfügt die Hockende durch den fließenden Umriß und die Torsion des Körpers über „eine große Lebendigkeit“181, wie Kirchner selbst schreibt. Eine solche Figura serpentinata182 als größtmöglicher

180 Ebd., S. 695. 181 Ebd. 182 Daß Kirchner diesen auf die griechische Antike verweisenden Terminus im Sinne der eigenen Rezeptionssteuerung (vgl. Kapitel II.C.3.1.) sicher aufs schärfste bestritten hätte, zeigt seine Äußerung, daß er der einzige Plastiker sei „dessen Formen sich nicht auf die Antike zurückführen lassen“ (Marsalle, 1925, S. 695). Protzmann dagegen charakterisiert die Liegende als „Figur eines griechischen Tympanons […] sie scheint dem flachen Dreieck eines Giebelzwickels geradezu eingeschrieben“ (Protzmann, 1995, S. 11). Henze führt als möglichen Figura serpentinata-Einfluß auf die Liegende noch die römische Skulptur einer Rasenden Mänade an, die sich bereits damals in der Dresdener Skulpturensammlung befand (Henze, 2001, S. 192). Die Untersuchung der Vorbildhaftigkeit bspw. des Typus der Venus pudica für die Skulpturen Heckels und Kirchners wäre ein lohnendes Thema. Für einen ersten aufschlußreichen Versuch siehe Froning, 1997, S. 138ff., der für Heckels Hockende die Aphrodite von Rhodos fruchtbar zu machen versucht. Das Motiv der Karyatide wäre ebenfalls ein interessanter Aspekt. Es erscheint durchaus naheliegend, daß gerade diejenigen - Mitglieder, die zumindest über eine architektonische Grundausbildung verfügten, an Karyatiden arbeiteten. Besonders in Heckels Trägerin und Kirchners Karyatide ist das tastende Suchen nach im wörtlichen Sinn freier (freistehender) Form evident. Bezüglich der Körper- und Raumbewältigung vermitteln solche Skulpturen zwischen autonomer Skulptur und Architektur, da die Karyatiden, vermenschlichte Sinnbilder der griechischen Tempelsäule, ursprünglich als Bestandteil der Architektur direkt aus deren Funktionsgliedern hervorgehen. 47

Ausdruck der Dynamik einer „im Block geschlossenen Form“ findet sich nur noch in der Liegenden Kirchners [Abb. 33]. Auch in Heckels Stehende mit aufgestütztem Kinn, Betender Mann und Frau [Abb. 3, 20, 135] erhält die Verwindung der Beine Ausdrucksqualität als Resultat der Gedrängtheit der Figur durch die gewählte Begrenzung durch den Block/Stamm. Aus der Betonung des Stammursprungs resultiert auch der Stellenwert der Vertikalachse. Die Senkrechte als Orientierungsmaß der menschlichen Darstellung war gerade im bilhauerischen Diskurs um 1900 ein zentrales Thema. So heißt es in den Grundbegriffen der Kunstwissenschaft von August Schmarsow 1905: „Der Kern des menschlichen Einzelwesens als eines selbständigen Körpers im Raum wird damit konstituiert. […] Von dieser Dominante des dreidimensionalen Komplexes beginnt die konkrete Gestaltung in irgendwelchem Material; denn nach dem Höhenlot unseres eigenen Leibes beurteilen wir alle Kreatur.“183 Heckels Betender Mann von 1912 illustriert anschaulich die Relevanz der Vertikalen auch für die expressionistische Skulptur. Bei denkbar schmaler Silhouette hat die Figur ihre Arme zusätzlich senkrecht nach oben erhoben. Zumeist haben die Skulpturen bei Heckel die Arme angelegt, um den Ursprung des Werkes im Stamm nicht durch übermäßige räumliche Ausdehnung zu verunklären. In Betender Mann ist diese Direktive auf die Spitze getrieben: Zur Verdeutlichung der religiösen Ergriffenheit dehnt Heckel die Senkreckte zum Äußersten. Der Sockel des Betenden Mannes weist noch auf einen weiteren Gesichtspunkt hin: Er schildert, soweit auf der einzig überlieferten Photographie erkennbar, die von Heckel bevorzugt gestaltete Variante, in der die Figur sich mit ihren Zehen regelrecht in den Rest des Stammes krallt, aus dem sie hervorging. Ein anderes Bekenntnis zur Vertikale ist nämlich von dem Wunsch nach Materialgerechtigkeit bestimmt.184 Dies zeigt ebenfalls seine Figur Frau mit Tuch [Abb. 22], bei der die Herkunft aus dem Stamm einer Akazie dermaßen deutlich wird, daß man den Eindruck hat, nur die Rinde wäre zur Freilegung der Figur entfernt worden. Die Standfläche der Figur besteht lediglich aus einer flachen Stammscheibe als Plinthe, die ebenso dunkel bemalt ist wie die Haarkalotte, was die die Assoziation eines reinen Stammausschnittes noch verstärkt. Noch 1966 findet eine solche Einstellung ihren Niederschlag in einer Äußerung des

Möglicherweise ist die von Lambertus Zijl geschaffene Bauplastik der Amsterdamer Börse von H. P. Berlage, vollendet 1903, deretwegen er Aufnahme fand in Julius Meier-Gräfes Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst, ein zentraler Grund, warum auf den holländischen Bildhauer aufmerksam wurde und ihn, von diesem abgelehnt, zur Mitgliedschaft einlud. „Man kann an der Laufbahn dieses Zeitgenossen ungefähr erwägen, was in alten Zeiten die Beteiligung der Plastik an der Baukunst dem Bildhauer gab.“(zit. nach: Meier-Gräfe. Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst. Bd. II, Stuttgart 1904, S. 657f.) Vgl. auch Zijl, 1990. 183 Zit. nach: Trier, 1999, S. 180. 48

Holzbildhauers Franz Bucher: „Die geheime Laune des Stammes will ihr Recht: Holz will stehen, als Akzent in einer anderen und durch den Akzent sich verändernden Umgebung.“185 Heckels Kompromißlosigkeit geht im Einzelfall sogar soweit, daß er das ursprüngliche Im-Block-geschlossen-Sein seiner Trägerin-Statuette in einem bereits vorbehandelten Stück Kantholz nachvollziehbar bleiben läßt.186 Im Sockel-Fuß, im ‘Kämpferblock’ und an Armen, Gesäß und Kopf bilden die flachen, geraden und glatt abgehobelten Seiten des Materials die Grenzen des ansonsten abgerundeten Skulpturkörpers. Besonders pointiert wird dies an den Ellenbogen erkennbar, die sich einerseits harmonisch in das bewegte Oberflächenrelief und den Linienfluß der Arme einfügen, bei genauerer Betrachtung jedoch exakt senkrechte Flächen sind und die gleiche Oberflächenstruktur aufweisen wie der Fuß. Damit verdeutlichen sie die äußeren Grenzen der Skulptur in zweifacher Hinsicht. Zum einen bilden die Ellenbogen schlicht die Punkte der räumlich größten Ausdehnung nach vorn, zum anderen verkörpern sie werkimmanent die Durchdringung von Realität und Kunstwelt, von Kunst und Leben, indem sie die Herkunft des Kunstwerks in vorgefertigtem Ausgangsmaterial erkennbar bleiben lassen. Über den materialgerechten und ästhetischen Gesichtspunkt hinausgehend, vollzieht sich hier also auf engstem Raum, im direkten Nebeneinander von geschnitzten Binnenformen und abgehobelter Außenhaut, ein Aufeinandertreffen von Künstlerischem und handwerklich-industrieller Fertigung, ein Thema, dem sich auch Kirchner an anderer Stelle annehmen sollte.187 Meines Erachtens manifestiert sich in dieser Figur die grundsätzliche Forderung von nach einer Kunst, die „Leben zeugen“188 solle. Einerseits spiegelt sich in der Trägerin das Bemühen nach der im Jugendstil wurzelnden Einheit der Künste, andererseits zeigt sie, geradezu ironisch, einen Bruch mit dessen Tendenz zur dekorativen Stilisierung. Daß bei Heckel Materialauswahl und Gestaltung hinsichtlich ästhetischer und inhaltlicher Aussage eine besonders enge Verbindung eingehen, zeigt nicht nur die Trägerin, wo es um die werkimmanente Verdeutlichung einer grenzgängerischen Arbeit zwischen Kunstwerk und Möbelstück geht; sondern bereits seine ersten dokumentierten bildhauerischen Versuche bezeugen dieses Bemühen. Die frühe Kleine Stehende von 1906 zeigt einen schlanken stehenden weiblichen Akt, der mit einem Tuch bekleidet ist [Abb. 23]. Die Figur ist allerdings nur teilweise darin eingehüllt, so

184 Vgl. Kapitel II.C.1.2. 185 Zit. nach: Trier, 1999, S. 180. 186 Vgl. auch Heckels Schale von 1912, die aus einem „rechteckigen Brett geschnitzt“ wurde. Zit. nach: Spielmann, 1967, S. 235. 187 Vgl. Kapitel IV.1.1. 188 Brief Heckels an Sauerlandt. Zit. nach: Sauerlandt, 1948, S. 19. 49 daß ihr Körper vom Kopf bis zu den Knien enthüllt wird, während das Tuch nach unten flächig ausläuft. Der Akt hält das Gewand rechts auf Brust- und links auf Hüfthöhe fest, so als entstiege sie einer Hülle oder einer Art Kokon. Der Eindruck, daß es sich dabei um ein Entsteigen aus dem Holzblock handelt, wird dadurch verstärkt, daß das enganliegende Gewand im unteren Teil viel zu lang wäre, würde es immer noch den Körper bedecken. Heckel läßt die den Gewandverlauf bezeichnende Stoffalte ein ganzes Stück über dem Boden enden und verdeutlicht so das Emporwachsen der „im Block geschlossenen Form“ aus dem Holz. Noch ist die Kleine Stehenden nicht ganz befreit, da sich am Unterteil der Figur Ausgangsmaterial und bereits gestaltetes Gewand durchdringen. Darin weist die Kleine Stehende eine Parallele zu Heckels frühen Holzschnitten auf, bei denen der Dunkelgrund die Darstellung regelrecht zu bedrohen und ins Dunkle des Bildgrundes zurückzuführen schien.189 Dieses „Verhaftet-Sein“ zeigt auch die reliefartige Körperauffassung, die durch die parallele Beinstellung und die eng am Körper gehaltenen Arme einen flächigen, auf frontale Ansicht zielenden Eindruck vermittelt. Vergleichbares schildert auch Frau mit Tuch, die einer Verbindung von Form und Inhalt in anderer Weise Gestalt verleiht [Abb. 22]. Als bestmögliche Versinnbildlichung der Aussöhnung von Mensch und Natur stellt diese Skulptur eine in Holz gearbeitete Badende dar. Material und Inhalt ergänzen sich bei diesem Thema besonders gut. Die Vorstellung von der im Stamm bereits enthaltenen Figur, die nur noch befreit werden müsse, findet hier nachvollziehbare Umsetzung. Die Natürlichkeit des (nackten) Menschen in der Natur wird dabei eindrücklich durch die Zeichen des gewachsenen Holzes verkörpert. Äste und Knorren sind Spuren der Natur und fügen sich, wenn sie z.B. für die Form des Haares benutzt werden, harmonisch in die Gesamtaussage ein. Künstlerische Bravour und eine Selbstdarstellung der Mittel stünden der Werkaussage diametral entgegen, so daß diese nicht im Artistischen liegt. „Die Verbindung von starkem inneren Ausdruck und asketisch einfacher Form ist selbstverständlich und ungewollt. Das gibt diesen Plastiken ihre große Überzeugungskraft, die hier vielleicht noch unmittelbarer wirkt als in den gleichzeitigen Gemälden Heckels.“190

Das Momentane und Prozeßhafte des künstlerischen Schaffensprozesses wird durch Fixierung im Bildwerk in einen dauerhaften Zustand gebannt. Somit bleiben die Skulpturen aufgrund ihrer dynamischen Oberflächengestaltung ein Sinnbild des Arbeitsprozesses. Der ‘gestische Charakter’, der nur durch das Material Holz in dieser Form umgesetzt werden kann, führt zu plastischen Werken, die in einem transitorischen Schwebezustand zwischen Rohmaterial

189 Vgl. Nackt, 1905 (D 76) und Stehende, 1905 (D 82). 190 Plastik und Kunsthandwerk, 1960, S. 7. 50 und Artefakt verharren. Bei aller Bedeutung einer Schaffensästhetik ist diese fest verankert im Bestreben nach Materialgerechtigkeit, die sich unter anderem im Konzept der im „Block geschlossenen Form“ zeigt.

2. „Rhythmus der Form“: Form und Farbe

2.1. Form

„Die zu kurz denken, vermeinen, die jüngste Kunst begehe die Feigheit, die Wirklichkeit zu meiden. Nein! […] man zerlöst sie mit den zersetzenden und zusammensetzenden Kräften des Geistes bis zu geometrischen Gebilden […]. Diese Kunst erstrebt nicht die Wiedergabe der durch die Determinanten entstellten Erscheinung und Konstellationen, sondern sie will die Zufälligkeiten abreißen, so daß das Wesen hervorbreche.“191

Dem Prinzip der organischen Formentwicklung aus dem Material und der Berücksichtigung seiner Besonderheiten tritt von Beginn an eine pointiert statuarisch geprägte Auffassung der auf das Wesentliche reduzierten menschlichen Gestalt an die Seite. Für die Aussage ihrer Werke erachteten Heckel und Kirchner „den Rhythmus der Form“ und dessen adäquaten Ausdrucksgehalt als zentral. Im Gegensatz zur künstlerischen Tradition beispielsweise des Klassizismus mit seinem Ideal von Harmonie und Schönheit verlangte das expressionistische Lebensgefühl mit „seinem verlorenen Gleichgewicht“192 nach Ausdruck der inneren Spannungen und erlösenden Sehnsüchte. Besonders die innovative Behandlung der Form sei unabdingbar für den Expressionisten, empfindet auch Gottfried Benn: „Gerade der Expressionist erfuhr die tiefe sachliche Notwendigkeit, die die Handhabung der Kunst erfordert, ihr handwerkliches Ethos, die Moral der Form.[…] Zucht will er, der expressionistische Künstler, da er der zersprengteste war.“193

191 Pinthus, 1919. S. 417f. 192 Kandinsky, 1912, S. 92. 193 Gottfried Benn. Einleitung zu: Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts. Wiesbaden 1955, S. 19. Zit. nach: Beloubek-Hammer, 1994, S. 343f. 51

Für viele andere bildnerische Werke dieser Zeit gilt deshalb, daß „als Ausdruck der seelischen Unruhe ihrer Schöpfer […] die Diagonale (dominiert), sie verlagert den Schwerpunkt zumeist asymmetrisch in oder sogar außerhalb der Figuren, weil diese in einer apokalyptisch taumelnden Welt weder Ruhe noch Frieden finden können.“194

Bei Barlach beispielsweise wird die Erregtheit des Lebensgefühls in starke Gebärden und steile Richtungskontraste gekleidet [Abb. 24]; Seine glatten Oberflächen und Materialien zeugen dagegen keineswegs von Rhythmus und Bewegung als Motivation dieses Lebensgefühls. Im Unterschied zu Barlach oder Archipenko [Abb. 25] kommt der Eindruck der inneren Bewegtheit der Figuren bei Heckel und Kirchner nicht primär durch eine bewegte Körpersilhouette. Statt dessen verdeutlichen die Addition der Binnenformen und die Oberflächengestaltung das Bemühen um Form und vermitteln jenes Zersprengt- Sein, das Benn für den expressionistischen Künstler als konstituierend ansah. Heckel und Kirchner beschreiten somit den zu Barlach diametral gegensätzlichen Weg. Als ficht sie jene „apokalyptisch taumelnde Welt“ nicht an, finden wir, besonders im bildhauerischen Werk Heckels, nahezu ausschließlich Skulpturen mit extrem beruhigtem Umriß. Die Oberflächen ihrer Stücke zeugen jedoch von dynamischem Lebensgefühl. Der Eindruck des lebendigen Innenlebens gelingt besonders bei Heckel durch die Oberflächengestaltung in negativen Einzelsegmenten, in Hohlformen. Durch die Kontrastierung mit der beruhigten äußeren Form wird letztlich eine subtilere Formulierung eines Erregungszustands erreicht.

2.1.1. Heckel

Im Gegensatz zu Kirchner, der seine plastische Sprache durch farbliche Syntax ergänzt, bestimmt bei Heckel hauptsächlich die Artikulation der plastischen Massen den „Rhythmus der Form“. In der Hockenden von 1912 verläßt er sich ganz auf die Kraft der schwellenden, wulstigen und festen Formen. [Abb. 26] Die 30 cm hohe Figur zeigt einen seitlich knienden weiblichen Akt. Über einem nach links abgewinkelten linken Bein sind Oberkörper und Kopf stark nach links eingedreht und dem Betrachter zugewandt. Beide Arme sind zum Kopf erhoben und rahmen einen dunklen Haarschopf sowie ein flaches Gesicht mit großer Nase und schmalen Augen und Mund. Heckel überzieht den Körper der Hockenden mit Zäsuren, die die plastischen Volumina voneinander scheiden. Er appliziert dem flächigen Oberkörper der Hockenden symmetrisch zwei Halbkugeln, die in ihrer Segmentiertheit eher geometrisch-mathematischen

194 Beloubek-Hammer, 1994, S. 343. 52

Gesetzen zu folgen scheinen denn natürlichen Vorbildern. Die einzelnen Extremitäten der Skulptur sind vom Rumpf sorgfältig abgesetzt, und selbst die Einzelkomponenten sind wie beim rechten Arm deutlich voneinander getrennt. Die tiefe Einkerbung des Handgelenks und die überlange Hand verdeutlichen bei aller Vorbildhaftigkeit der Naturform die Loslösung aus den realen Bezügen. Torso, Brüste, Hals, Kopf sowie Arme und Beine sind unvermittelt nebeneinandergesetzt. Ohne das Mittel der Malerei wird der Körper hier in einzelne Kompartimente zerlegt, „die sich im konkaven Kerbschnitt blähen“195. „Obwohl die wirklichkeitsfremde Anatomie den organischen Zusammenhang des Körpers verneint, stört sie nicht das Bezugssystem des Gesamtgebildes, welches sich zu einer eigengesetzlichen, körpermäßig vorzustellenden Einheit zusammenfügt.“196

Mit rein bildhauerischen Mitteln wird der Geschlossenheit des äußeren Umrisses der Rhythmus der Binnenformulierung entgegengesetzt, so daß aus ihrem Dialog jene „unmittelbare und unverfälschte“ Kraft erwächst, die die charakteristischen vitalen Ausdrucksmerkmale der Heckelschen Bildwerke ausmacht. Bereits seine Trägerin von 1906 enthält diese typischen Eigenschaften [Abb.17]. Beine, Körper und die erhobenen Arme folgen einer sanften Wellenlinie, die die Figur in eine leichte Schwingung versetzt. Vielleicht klingt in dieser Linie, die in der Abbildung den Blick besonders an der rechten Seite der Silhouette von Gesäß über Rücken zu Schultern und Kopf gleiten läßt, tatsächlich die ‘Schöne Linie’ des Jugendstils mit, wie Heinz Spielmann meint.197 Die gesamte Figur prägt eine sorgfältige Verwendung belassener und entnommener Volumina, die sich bis in die Oberflächengestaltung hinein beobachten läßt. Sie zeigt ein grobmaschiges Geflecht konkaver und konvexer Flächen. Trotz aller Vehemenz des Schaffensprozesses, der auch in der Trägerin nachvollziehbar bleibt, sind diese eher sorgfältig in das Holz geschnitten denn ihm, wie teilweise bei Kirchner, entrissen. Es ist ein Kennzeichen der meisten Heckelschen Bildwerke, daß sie aus kleinteiligeren Einzelflächen bestehen und die Melodie ihrer Formenaddition dadurch ‘leiser’ ist als diejenige Kirchners.198 Besonders geeignet scheint diese Formensprache zum Ausdruck von lyrischen Stimmungen, wie es Heckel 1913 in der Badenden mit Tuch gelingt [Abb. 27]. In der 52 cm hohen Ahornfigur gewinnt gerade die vergleichsweise zurückgenommene Oberflächenbehandlung Ausdrucksqualität. Sogar das

195 Froning, 1997, S. 140. 196 Ebd., S. 140f. 197 Spielmann, 1967, S. 222. 198 Gleich den Oberflächenreliefs, wie sie die hölzernen Werke aufweisen, ergeben auch die Oberflächen der Gemälde mit ihren pastos aufgetragenen Pinselstrichen, die sich zu dicken Farbflächen zusammenschließen konnten, in der Nahsicht eine „von der Darstellung unabhängige Farblandschaft“ (zit. nach: Henze, 1996, S. 71). 53

Badetuch, das die Figur von ihrer Hand auf den Boden gleiten läßt, ist nicht durch seine Farbigkeit, sondern durch rein plastische Mittel in seiner Stofflichkeit differenziert. Im Unterschied zum konkaven Kerbschnitt, der Körper und Haarkalotte gestaltet, kennzeichnen gerade Schnitte entlang der Holzfaser das textile Material. Dabei ist es, in glatten Bahnen laufend, eng an das entlastete Bein gelegt. Dessen Beugung wird davon gänzlich ausgefüllt, so daß die Homogenität der Silhouette auch durch einbeschriebenen Raum nicht gefährdet wird. Durch die merkliche Differenziertheit zwischen rechtem und linkem Bein, die man geradezu als Stand- und Spielbein bezeichnen könnte, wirkt die Figur nicht statisch, sondern erhält trotz der Blockhaftigkeit der angelegten Arme eine gewisse Dynamik. Diese Bewegtheit äußert sich sehr zurückhaltend. Dem Gesamteindruck von äußerlicher und innerer Harmonie ganz untergeordnet, wird sie nur im Spielbein und Anlegen des Kopfes andgedeutet. Die äußere Ruhe des Umrisses setzt Heckel äquivalent zu äußerer Harmonie von Mensch und Natur. Die expressive Formensprache der unruhigen, teilweise fasrigen Oberfläche dient gleichzeitig der Verdeutlichung innerer Zustände. Die Bewegtheit der Binnenform spiegelt die innere emotionale Aktivität. Wesentlichen Anteil an der transportierten Gefühlsintensität hat dabei das Haupt der Figur. Der in flacher Gesichtsphysiognomie typisierte, kubisch behauene und zum Zeichen innerer Anteilnahme auf die Schulter gelegte Kopf, ist in dieser Zeit auf zahlreichen Graphiken und Gemälden vertreten.199 Heckel überzieht seine Figuren mit einem feinen Netz von Konkaven und rührt damit an der uralten Dialektik des Positiven und Negativen, die als Prinzip das gesamte Leben durchzieht und erst im Zusammenwirken ihrer Pole das größere Ganze bildet. Auch Alexander Archipenko äußert sich dazu: „Alles Positive und Negative kann auf Grund des Polaritätsgesetzes zu einer Einheit werden. Es gibt keine konkave Form ohne eine konvexe; und es gibt keine konvexe ohne eine konkave. Beide Elemente sind in ein bedeutendes Ganzes verschmolzen. In dem schöpferischen Prozeß, wie im

199 Vgl. auch Kapitel IV.2.3.2. Der Vergleich Heckelscher und Kirchnerscher Bildwerke offenbart besonders im Bereich des Gesichtes einen grundlegenden Unterschied. Heckel summiert seine Figuren geradezu architektonisch aus Dreieckskeilen (und spitzen Vierecken). Diese Art des Gesichts ist in seiner Blockhaftigkeit und seinen kubisch-plastischen Eigenarten Kirchner völlig fremd. Allenfalls Schmidt-Rottluffs spitzwinklige Masken (Evangelisten, 1912) weisen Anklänge dieser geometrisch-architektonischen Formenaddition auf. Seine hölzernen Werke dieser Zeit vermitteln jedoch den Eindruck von gewaltsam dem Holz abgerungenen Reliefs. Seine Postkarte mit der Photographie einer Holzskulptur, an Lyonel Feininger vom 14. August 1912 trägt daher folgerichtig deutlicher als bei Heckel oder Kirchner die Zeichen der Materialextraktion. 54

Leben selbst, ist die Realität des Negativen ein erlebbarer Abdruck des nicht vorhandenen Positiven.“200

Möglicherweise ist die hohe Wertschätzung dieses „nicht vorhandenen Positiven“ nicht nur bei Archipenko, sondern auch bei Heckel konkret auf die Ideen Bergsons zurückzuführen. Die nicht vorhandene Form stellt nach Bergson nämlich keinesfalls eine Leere dar, sondern steht stellvertretend für die abwesende Form. Diese befindet sich infolge des immerwährenden Fließens aller Formen bereits an einem anderen Ort. Ihr Eindruck jedoch haftet noch im Bewußtsein, so daß durch das menschliche Assoziationsvermögen „die Materialität des Nichtvorhandenen […] der vitalste Begriff“201 wird. Diese Idee von Vitalität manifestiert sich anschaulich in der Großen Stehenden von 1912 [Abb. 28]. Sie ist besonders reizvoll, da sich in ihr die Rhythmisierung durch plastische Volumina wie bei der Hockenden mit der (jetzt verfeinerten) Oberflächengestaltung einer Trägerin verbindet. Bei dieser Skulptur wird die dynamische Formensprache der vereinfachten und vehement aneinanderstoßenden großen Formen der Extremitäten und des Rumpfes durch eine kleinteilige Rhythmisierung der Oberfläche ergänzt. Ihre kraftvolle Präsenz erhält die Große Stehende durch ihre fast schon aggressive Formensprache, die den Körper durch tiefe Fugen zu zerschneiden droht und in den schmalgratigen Schienbeinen die zugehörigen Klingen zu evozieren scheint. Ihr Volumen wird durch das Aufeinandertreffen von Flächen definiert, deren linear geformte Stoßkanten ein hohes Maß an formaler Energie transportieren. Der Rumpf ist tief zwischen die konisch zulaufende Beine eingefügt und erinnert darin an Kirchners Liegende aus der gleichen Zeit (s.u.). Die extrem dünnen Arme scheinen endlos lang und stehen in unangenehmer Diskrepanz zum übergroßen Kopf mit den riesigen Augen. Die Vehemenz mit der hier das Prinzip der Formenaddition vorgetragen wird ist einmalig im (uns bekannten) Werk Heckels. Zu räumlicher Präsenz wird die lautstarke Formenartikulation endgültig durch die Gestaltung der Füße der Großen Stehenden. Heckel unterlegt sie, jeden Fuß einzeln, mit flachen Scheiben. Auf einen verbindenden Bogen, wie ihn beispielsweise Kirchners Badende [Abb. 45] zeigt, verzichtet Heckel zugunsten der Unmittelbarkeit der Begegnung ganz. Nur von der Seite ist überhaupt erkennbar, daß Standplatten ausgearbeitet sind. Von vorn läßt Heckel die Figur, durch das Herunterziehen der Kerben für die Zehen, wirken wie direkt auf dem Boden plaziert. Die Entschiedenheit, mit der die Skulptur Raum und Aufmerksamkeit einfordert, wird durch ein gegenläufiges

200 Alexander Archipenko. Die Konkavität und der Leerraum. In: Karshan, Donald (Hrsg.). Alexander Archipenko. Ein internationaler Visionär. Ausstkat. München 1970, Washington 1969, S. 21. Zit. nach: Beloubek-Hammer 2002, S. 46. 201 Archipenko zit. nach: ebd. 55

Gestaltungselement minimiert. Die Oberfläche ist mit einem Geflecht kleiner Mulden überzogen, die eine formal deutlich leisere Sprache sprechen. Die kleinteilige Rhythmisierung der Epidermis zügelt die im wörtlichen Sinn großspurige Formenaddition der Gliedmaßen und ergänzt die anmutige Geste mit den über der Brust gekreuzten Händen und dem zur Seite gewendeten Kopf. Auch Heckels größte noch erhaltene Figur der Stehenden mit aufgestütztem Kinn, 1912 [Abb. 3], schildert dieses Prinzip der Kombination großer geometrisch begrenzter Volumen und kleinteiliger Rhythmisierung, der Kombination aus ‘Laut und Leise’. Der stehende Akt erhebt sich über einer kraftvollen Torsion der Beine, die nicht nur voreinander, sondern überkreuz positioniert sind und das Sich-Hinaufschrauben einer extrem bewegten Figur erwarten lassen. Diese Dynamik wird durch die tief eingekerbte Leistengegend scharf abgebremst, und über den stereometrischen Beinen erhebt sich ein kompakter Rumpf, der durch die an das Kinn geführten Arme noch mehr beruhigt wird. Der erneut übergroße Kopf mit den dunklen großen Augen schließt die Figur mit statischer Frontalität nach oben ab. Die Dynamik, die sich in der Abruptheit des Aufeinandertreffens gegenläufiger Richtungsimpulse äußert und die die Figur formal auseinanderreißen könnte, wird jedoch scheinbar in ein System zahlloser konkaver und konvexer Formen umgewandelt. Diese überziehen in schon bekannter Manier die gesamte Figur und vereinheitlichen sie in ihrer Gesamtwirkung; nun allerdings viel kleinteiliger und damit weniger expressiv als in der Großen Stehenden, die im gleichen Sommer aus demselben Stamm entstand, und in der Trägerin von 1906.

2.1.2. Kirchner

Der „Rhythmus der Form“ bei Heckel entsteht nahezu ausschließlich durch die plastische Formulierung der Oberfläche. In den Skulpturen Kirchners um 1910 erkennt man, daß dieser sich nicht allein auf die Kraft der plastischen Formen verläßt, sondern seine Formenaddition auch farblich kennzeichnet. Ab 1911/12 arbeitet er in seinen Skulpturen jedoch auch mit rein plastischen Mitteln, wenn er stereometrische Einzelkörper zusammenfügt: „Kirchners Plastik schafft mit einfachen Grundformen, Zylinder, Kegel, Eiform und Kugel hauptsächlich, Kubus und Oblong kommen mehr indirekt als Kompositionsform vor.“202 Die Stehende von 1912 [Abb. 29] ist ein anschaulicher Beleg für diese Formensprache. Wie bei Heckel stellt das Bemühen um einen geschlossenen und beruhigten Umriß den spannungsvollen Kontrast dar, hier zur betonten Autonomie der Teilstücke. Die 98 cm hohe Figur aus Erlenholz schildert einen

202 Marsalle, 1925, S, 696. 56 weiblichen Akt, der mit überkreuzten Beinen und mit vor die Scham gelegten Händen dem Betrachter gegenübertritt. Die Unsicherheit der Geste, die sich im tastenden Stand, den schamhaft bedeckenden Händen und im schräg gelegten Kopf äußert, steht dabei in eigenartiger Zwiesprache mit der kräftigen und bestimmten Formensprache. Tiefe Einkerbungen rhythmisieren den Körperaufbau und vermitteln an den Extremitäten sowie an Hals, Brüsten und Rücken den Eindruck eines aus Einzelkomponenten zusammengefügten Menschen. Derart konsequent ist uns ein solches Abstraktionsbemühen, das die Vorlage der Natur als schöpferischen Anreger begreift und sie nicht zu kopieren trachtet, im Werk Kirchners nicht noch einmal überliefert. „Kopieren dient zu nichts. Das einzige Mittel, uns der Natur anzupassen, ist zu erfinden. Erfinden sein ganzes Leben lang.“203 Formerfindung zeigt das Bildwerk von Kopf bis Fuß. Bereits Fuß- und Kniegelenk weisen durch ihre Segmentierung den Charakter von Gliederpuppen auf, die auch Heckel und Müller fasziniert haben.204 Damit greift Kirchner auf eine Gestaltung zurück, die er bereits 1910 in Stehendes Mädchen [Abb. 123] verwandt hatte. Auch bei dieser Figur weist das rundgefräste Kniegelenk, das eher einem Maschinenteil denn einem menschlichen Knie gleicht, auf die Autonomie der künstlerischen Formensprache hin. Bauch und Scham segmentiert Kirchner bei der Stehenden durch tiefe Einschnitte, die auch die Hände und die einzelnen Finger unterteilen. Durch das Übereinanderlegen der Hände und die tiefen Einschnitte zwischen den Fingern gelingt es Kirchner, obwohl das eigentliche Geschlecht nicht plastisch ausgearbeitet wird, die Assoziation von Schamhügel und Vagina auszulösen [Abb. 30]. Kerben an Handgelenk und Armbeuge zergliedern die Arme in zylindrische Einzelformen. Die Gesichtsmaske ist aus vielen kleinen geometrischen Grundformen zusammengesetzt und von einer scharf begrenzten Haarkapuze gerahmt. Den Höhepunkt der Formenaddition stellt allerdings der Hals dar. Es scheint, als wollte Kirchner hier den „zwingenden Rhythmus“ tatsächlich wörtlich nehmen und auf die Spitze treiben, indem er bei einem Körperteil zweierlei additive Verfahren kombiniert. Durch einen breiten Ring am Hals und eine entsprechende Fuge zwischen den Schulterblättern scheint der komplette Kopf dem Rumpf gleichzeitig vorn aufgesetzt und am Rücken eingefügt [Abb. 31]. „Die grundlegende Dualität von unmittelbarem Naturbezug und formelhafter Vereinfachung, die Kirchners gesamtes Werk bestimmt, gewinnt in seinen Skulpturen eine gesammelte intensive Dramatik, weil

203 Alexander Archipenko. Zit. nach: Beloubek-Hammer, 2002, S. 40. 204 Vgl. Kapitel IV.1.1.1. 57

der plastische Körper diese gegenläufigen Spannungen in sich selbst auszutragen hat.“205

Dies gilt gleichermaßen auch schon für die kurz zuvor entstandene Liegende, bei der eine Vereinzelung und Abstraktion der Naturform ebenfalls dafür sorgt, die addierten Einzelformen aus ihrem natürlichen Verband zu lösen und in künstlerische Zeichen zu verwandeln [Abb. 32]. Die Oberschenkel- und Hüftpartien sowie Hals und Brüste scheinen insbesondere Gegenstand dieser Bemühungen zu sein. Der rechte Oberschenkel ist in der Liegenden von 1911/12 eine von den übrigen Proportionen und von der Logik des Körperaufbaus unabhängige Form. Kirchner läßt den Oberkörper in steiler Verjüngung in einer äußerst schmalen Taille enden, die, diagonal von rechts oben nach links unten führend, auf der linken Seite der Figur sogar noch bis zur unteren Spitze des Schamdreiecks fortgeführt ist. Losgelöst von anatomischer Richtigkeit und ganz im Dienst des „Rhythmus der Form“ nimmt statt dessen der Oberschenkel die Funktion der Hüftenthasis wahr. Kirchner setzt die autonome Formfindung gegen das an der Wirklichkeit orientierte Abbild. „Hier gelangt Kirchner zu Bildformeln, die hinweisenden, nicht abbildenden Charakter haben, sinnlich nachfühlbaren Zeichen, also ‘Hieroglyphen’.“206 Die melodiöse Linie, die durch die Gestaltung des Oberschenkels erzielt wird, weicht in einer anderen Ansicht der Figur einer anderen Art des Rhythmus [Abb. 33]. Zwei Kirchnersche Photographien der Liegenden inmitten anderer Skulpturen auf der Terrasse seines Hauses in Davos haben sich im Kirchner Museum Davos erhalten und dokumentieren, daß Kirchner selbst sich bewußt war, daß seine Skulpturen je nach Blickwinkel unterschiedlich wirkten. In der schrägen Ansicht wird das vom rechten Fuß waagrecht begrenzte Auf und Ab der wulstigen Einzelformen noch betont und endet im Oval des „visionär grandiosen Gesichts, das über den Felsblöcken geradezu sonnenhaft aufgeht: Figurenlandschaft!“207 Die Art, wie der Hals zwischen die Schultern der Stehenden und der trapezförmige Oberkörper der Liegenden zwischen ihre gerundeten Hüften eingesenkt ist, hat ihr zeichnerisches Äquivalent in der Zeichnung Badende „an den Steinen“ (Fehmarn) von 1912 [Abb. 34] Beide Skulpturen weisen die gleiche Formensprache wie der gezeichnete Akt auf. Die Werke im Umfeld der Sommeraufenthalte auf der Ostseeinsel Fehmarn waren für den Künstler die bildgewordene Vereinigung von Kunst und Leben, Mensch und Natur.208 Die

205 Jacobi, 2001, S. 154. 206 Protzmann, 1995, S. 21. 207 Protzmann, 1995, S. 15. 208 Vgl. Kapitel IV.2. 58

Skulptur der Liegenden trägt deshalb nicht zu Unrecht in einer Publikation den Untertitel Arkadischer Akt209. Dort heißt es: „Der große Gesamtbogen unserer Figur ist als Silhouette […] aufgebaut aus einer vom linken Unterschenkel aus über das Tal der Taille zum Doppelmassiv von Schulter und Haupt rhythmisch ansteigenden Bogenfolge, lesbar so gut als Landschaft, Architektur wie Figur, auf so allgemeiner Ebene also abstrakt und von gesehener Form der menschlichen Gestalt emanzipiert.“210

Diese formale Gleichberechtigung der Kunst- und der Naturform führt dazu, daß Kirchner während seiner Sommer auf Fehmarn seine hölzernen Akte gleichberechtigt neben die menschlichen Figuren an den Strand stellt211 [Abb. 35]. Daraus resultierte, daß in der Rezeptionsgeschichte der Fehmarn-Bilder diese Gleichbehandlung gar nicht bemerkt und die unterschiedliche ‘Materialität’ nicht dechiffriert wurde. Die Skulpturen wurden zumeist einfach ignoriert. So hieß Stehender Akt und Holzfigur vor dem Bogen-Eingang der Grashütte bis vor kurzem einfach Fehmarnküste mit gelbem Akt. In einem vormals Zwei Akte, Fehmarn betitelten Aquarell – das vor dem Eingang der Hütte einen weiblichen Akt und die Rückschauende zeigt – wurde die Skulptur schlichtweg als ein zweiter Akt aufgefaßt.212 Kirchners Intention einer Einheit von Kunst und Leben, die hier aufgegangen zu sein scheint, blieb so unbeachtet. Die Grenzen zwischen Realität und Bildwelt werden aufgehoben; Wirklichkeit und Kunstwelt durchdringen einander. Schien in der Liegenden eine multidimensionale Lesbarkeit möglich, so scheint in der Skulptur der Rückschauenden [Abb. 36] die Fehmarn-Landschaft tatsächlich Gestaltungselement der Figur geworden zu sein. Einem übergreifenden Bogen auf der Vorderseite der Beine antwortet auf der Beinrückseite eine Reihung von Kreissegmenten, die Gesäß, Oberschenkel und Wade bezeichnen. Diese Gestaltung versetzt die Figur bei äußerlicher Ruhe in rhythmische Grundspannung, die aufgrund der äußerst beruhigten Silhouette nicht motivisch bedingt ist. Vielmehr scheinen die Wellen- und Küstenbögen sowie die geschwungene Linie der Buchten und des Strandes „Unter den Steinen“, an dem Kirchner mit seinen Modellen badete und arbeitete, in die abstrakte Beinform der Skulptur Eingang gefunden zu haben. In einer Farblithographie des gleichen Jahres läßt Kirchner seinen Ins Meer steigenden Mann ebenfalls von abstrakten Bogenformen begleiten [Abb. 37]. Deren

209 Protzmann, 1995. 210 Ebd. Zu Kirchners Begriff der Hieroglyphe vgl. bspw. Lenz, 1980 und Grisebach, 1999. 211 Vgl. die bezeichnende Titelvergabe Kirchners, der in seiner Berner Ausstellung 1933 für die Rückschauende selber schlicht „Sich umschauende Badende“ titelt. Vgl. die Titelliste auf einem Blatt seines Skizzenbuches im Kirchner Museum Davos. 59

Autonomie wird dadurch pointiert, daß nicht etwa ein blauer Bogen vom Gelb gerahmt wird und somit die Assoziation einer von Sandstrand gesäumten Bucht hervorruft, sondern hier überfängt ein größerer (blauer) Bogen eine Reihung von (gelben) Kreisformen. Die bogenförmig plastische Gestaltung der Beine der Rückschauenden wird vom Gegenstand unabhängig und als autonome Chiffre für die Fehmarn-Landschaft in das zweidimensionale Medium übertragen.

2.2. Farbe

„Ich sehe übrigens bei diesem dankbarsten Material, was für Langweiler und Trottel die meisten deutschen Bildhauer sind. Schon daß so wenige mit der Farbe arbeiten.“213

Die ästhetische und kunstkritische Auseinandersetzung mit farbiger Skulptur im 19. Jahrhundert ist unlösbar mit der archäologischen Diskussion um die antike Polychromie verbunden. Diese Debatte wurde auch in Dresden aufs heftigste geführt, besaß man doch mit den Skulpturen im Albertinum eine wichtige Sammlung.214 Der dortige Direktor Georg Treu forderte in seiner viel diskutierten Schrift Sollen wir unsere Statuen bemalen?215 die zeitgenössischen Bildhauer auf, ihre Figuren farbig zu fassen, da sowohl die Antike als auch das Mittelalter farbige Bildwerke geschaffen hätten.216 Doch war diese Auffassung damals sehr umstritten und galt beinahe als Blasphemie, sah man doch die weiße marmorne Antike als Inbegriff der idealen Menschendarstellung, die sich auch den farbigen Zufälligkeiten der Realität nicht auslieferte.217 Doch Treu beharrte darauf, daß „eine wahrhaft populäre Kunst, wie sie es im Altertum und Mittelalter war“, erst dann wieder entstehen könne, wenn die Bildhauerei dem „Drang der Neuzeit nach Wahrheit, Leben und Farbe“ nachgebe und es „erneut mit der Polychromie“ versuche.218

212 Jetzt: Akt vor Holzfigur und Bogen-Eingang der Grashütte. Vgl. Henze, 1997, S. 28 und Abb. 34. 213 Brief Paul Klees an seine spätere Frau Lily Stumpf vom 4. Juli 1906. Zit. nach: Grohmann, Will. Paul Klee. Stuttgart 1954, S. 46. 214 Vgl. Türr, 1994, S. 95ff. 215 Berlin, 1884. 216 Treus Untersuchungen anhand eines weiblichen Marmorkopfes im Britischen Museum mit zahlreichen Resten von Bemalung förderten zutage, daß tatsächlich auch die nackten Teile der antiken Bildwerke vollständig mit Farbe bedeckt waren. Vgl. Treu, Georg. Bemalter Marmorkopf im Britischen Museum. In: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 4, 1889, S. 18–24. Zur modernen Bestätigung seiner Untersuchungen vgl. Yftandidis, K. Die Polychromie der hellenistischen Plastik, Mainz 1984. 217 Vgl. Türr, 1994. 218 Ebd., S. 9. 60

Treu, seit 1882 Direktor der Königlich Sächsischen Antiken- und Abgußsammlung in Dresden, organisierte bereits 1885 für Dresden und Berlin eine Ausstellung mit farbig gefaßten Bildwerken. Neben Antiken- Rekonstruktionsversuchen waren in dieser Ausstellung auch Werke zeitgenössischer Bildhauer zu sehen. 219 „Denn es handelt sich hier nicht bloß um eine archäologische Spielerei, sondern, wie bereits angedeutet, in weiterer Folge um die Frage, ob es möglich sein werde, die Farbe wieder in unsere moderne Plastik einzuführen.“220

Im Laufe seiner Amtszeit bemühte sich Treu immer wieder um Ankäufe farbiger Bildwerke von zeitgenössischen Künstlern. So wurde 1894 eine Skulptur von Robert Diez (1844–1922) erworben: Waldgeheimnis [Abb. 38] ist eine Skulpturengruppe aus Lindenholz. Die Wahl des Materials Holz führt allerdings noch nicht zu einer Bejahung von Materialgerechtigkeit. Die fischschwänzige Nixe, der ein Waldgeist etwas ins Ohr flüstert, ist zwar aus Holz, ihre Bemalung negiert die Materialität jedoch gänzlich. Die Figur ist vor ihrer farbigen Fassung mit einem Silbergrund überzogen worden, so daß das Bildwerk zwar farbig war, jedoch nicht hölzern, sondern silbern-splendid schimmerte, eine Wirkung, die noch durch die eingesetzten Augen aus Bergkristall ergänzt wurde. Treus Kampf um die farbige antike und moderne Skulptur ist es zu verdanken, daß die Skulpturensammlung in Dresden um weitere farbige Bildwerke erweitert wurde, in denen aber das Bemühen um eine naturalistische Wiedergabe vordringlich ist. So erfahren antike Verfahren wie die Wachs- und Enkaustikmalerei eine moderne Wiederbelebung, wie es die Büste einer Südfranzösin (Mademoiselle M.B.) von Walter Sintenis (1867–1911) aus dem Jahre 1905 zeigt [Abb. 39]. Diese aus farbigem Wachs gefertigte Figur schildert das Bruststück einer Frau, die mit einem braunen Mantel bekleidet ist. Das Haar ist farblich ‘täuschend echt’ abgestuft, sorgfältig in der Mitte gescheitelt und sogar mittels zwei Kämmen hochgesteckt. Die Haare sind wie die geradeaus blickenden Augen, die Brauen und die Lippen zusätzlich zum farbigen Wachsgrund noch bemalt. In einem anderen Werk, dem Frauenbildnis Henri Cros’ (1840–1907) von 1882 wird der naturalistische Eindruck zusätzlich durch eingefügte echte Schmucksteine und einen aufgelegten Goldschleier verstärkt.221

219 Ausstellung farbiger und getönter Bildwerke in der Nationalgalerie Berlin, 14. November–31. Dezember 1885. Zu sehen waren zeitgenössische Arbeiten von Robert Diez, Ernst Julius Hähnel, Friedrich Preller d.J., Carl Schlüter, Oskar Tilgner, Hermann Klotz, Arthur Strasser aus Wien sowie Bernhard Römer, Fritz Schaper, Rudolf Siemering und Reinhold Begas. Vgl. auch Knoll, 1994, S. 167 220 Treu, Georg. Sollen wir unsere Statuen bemalen. Berlin 1884, S. 36. 221 Vgl. Knoll, 1994, Kat. 162, S. 175. 61

Die täuschend echte Wirkung war eines der Hauptargumente gegen Polychromie.222 Auch war daran nicht gelegen, weshalb in den Arbeiten Heckels und vor allem Kirchners eine solche Beschäftigung mit Farbe nicht anzutreffen ist, wenn man auch davon ausgehen kann, daß die naturalistische farbige Skulptur einen anregenden Eindruck auf die jungen Künstler in Dresden gemacht haben wird. Doch zeugt die Bemalung ihrer Skulpturen von einem Farbverständnis, mit dem gerade eine Autonomie von der empirischen Welt erreicht wird. Durch ihren Einsatz von Farbe, die in der Skulptur so oft des banalen Illusionismus angeklagt wird, gelingt es Heckel und Kirchner, sie gerade zur Waffe gegen den Naturalismus zu schmieden. Farbe steigert nicht nur die „emotionelle Kraft“223 der Skulpturen, sondern ebenso „die abstrakte Bedeutung des bildnerischen Ereignisses.“224 Deshalb fanden die expressionistischen Künstler die richtungsweisenden formalen Kräfte nicht in dieser Naturalismus farbiger Skulptur, sondern orientierten sich an den gefaßten Holzbildwerken des Mittelalters. „Die Farbenpracht der Plastiken des Mittelalters scheint wieder auferstehen zu wollen, nur daß der Moderne die Farbe ganz anders einsetzt.“225 Damit bekräftigt Kirchner zum einen den Einsatz von Farbe in der Skulptur und stattet sie mit jener Expressivität aus, die die Künstler den Kunstwerken des Mittelalters beimaßen. Zum anderen wird in der Betonung der Andersartigkeit auch die eigenständige Leistung der expressionistischen Skulpturen in diesem Bereich betont.

2.2.1. Heckel

Angesichts des Primates das Heckel der Wirkung der Form zuerkennt, ist es folgerichtig, daß er Farbe sehr zurückhaltend einsetzt. Sie ist zumeist auf anatomische Details wie Brustwarzen, Haare und Gesicht sowie den Sockel beschränkt. Die sparsame Verwendung von Farben, „die aus dem Holz zu kommen scheinen“226, akzentuiert die erstrebte Ursprünglichkeit. Es scheint, als habe Schiefler bei seinen Notizen zur Farbigkeit ihrer Werke eher Heckel als Kirchner im Sinn gehabt, wenn er nach seinem ersten Besuch in Dresden seine Begeisterung für die Heckelschen und Kirchnerschen „Holzskulpturen“ zum

222 Vgl. Drost, 1996, S. 71. 223 Umberto Boccioni. Die futuristische Bildhauerkunst (11. April 1912). Zit. nach: Schmidt- Bergmann, Hansgeorg. Futurismus. Geschichte, Ästhetik, Dokumente. Reinbek bei Hamburg 1993, S. 321. 224 Ebd. Dies trifft insbesondere auch für Schmidt-Rottluff zu, dessen Blauroter Kopf schon in seiner Farbigkeit hervorhebt, daß seine Skulpturen nicht der Natur folgen, sondern ein geistiges Prinzip verkörpern. 225 Marsalle, 1925, S. 696. 226 Wietek I, 1984, S. 88. 62

Ausdruck bringt, die sie „aus einem Stamm herausholen und ein wenig, nur andeutend, unterstreichend, bemalen“227. Bei den dadurch naturnahen Werken Heckels bildet die Farbe mit dem Material allerdings keine Einheit von faszinierendem Illusionismus. Der Künstler mindert ihre mimetische Ausdruckskraft nicht nur durch das zumeist unterlebensgroße Format seiner Arbeiten, sondern ebenso durch die Betonung der Qualität des Holzes. Bezeichnenderweise ist das Inkarnat seiner Skulpturen fast nie farblich charakterisiert, um den Äußerungen der Formen nicht durch Farbe die Präzision zu nehmen. Seine Bemalungen beschränken sich zumeist auf Kopf und Sockel. Im Bereich der Gesichter verwandelt dabei die Bemalung oftmals die plastische Formenwirkung in emotive Apellwirkung. Farbige Details wie Lippen oder Augen überblenden die spezifischen skulpturalen Raum- und Formwerte. Die Bemalung des Sockels weist diesen als künstlerische Äußerung aus und als zum Werk gehörig. Wo Heckel am Körper Farbe einsetzt, geschieht dies allenfalls, um die plastische Form zu verdeutlichen. Die Bearbeitung der Oberflächen ist dabei immer so weit als Werkspur gegeben, daß der Bemalung ein Gegengewicht entgegengesetzt wird, welches den Skulpturen ermöglicht, zwischen naturalistischer und expressionistischer Gestaltung die Waage zu halten. „Wether figurative or constructive, abstract or expressionistic, the modernists continued to create scandals with their rough-looking coloured sculpture.“228 Ein Teil von Heckels plastischem Œuvre gewinnt seine Spannung aus dem ambivalenten Charakter seiner Bemalung. Beispielsweise hebt die Bemalung der Haare und des Gesichtes, bei dem die skulptierten Augen und Mund noch zusätzlich farbig bezeichnet werden, hervor, daß es bei aller formalen Abstraktion als Ausgangspunkt immer die Anbindung an das menschliche Vorbild gibt. Darin ist das koloristische Verständnis Heckels Vorläufer eines zeitgenössischen Künstlers wie Stephan Balkenhol [Abb. 39a], so daß bereits für seine Arbeiten gelten kann:

227 Schieflers Notiz vom 14. Dezember 1910. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 282 Im folgenden wird auf den sonst üblichen Terminus der Fassung ganz verzichtet. Zur Beschreibung der Farbigkeit der Bildwerke Heckels und Kirchners scheint er ungeeignet, da er genau jene Charakteristika bezeichnet, welche die Künstler für ihre Werke ablehnen. Der Begriff der Faßmalerei beinhaltet eine langwierige, genau abgemessene Arbeitsfolge, zu der neben Glättung der Risse und Kittung der Astlöcher auch das Bemühen gehörte, die materielle Qualität des Holzes auszublenden. Auch eine Grundierung mit Kreide- oder Gipsmasse diente dazu, die Oberfläche zu vereinheitlichen und den Eigenschaften eines Leinwandbildgrundes anzunähern. Mit Farbe folgte anschließend eine Bemalung, die das Ziel einer symbolischen Höhung (zum Teil noch verstärkt durch Vergoldungen) oder aber einer mimetischen Vergegenwärtigung verfolgte. Eine formale Relation zum Mittelalter träfe viel eher auf Barlach zu, bei dem neben den Inhalten seiner Bildwerke auch deren glatte hölzerne Oberflächen und die Art der Gewandgestaltung eine Analogie zum christlichen Mittelalter näherlegen. 228 Blühm, 1996, S. 58. 63

„So entstehen sehr einprägsame Menschenbilder von seltsam bleicher Bewegungslosigkeit und dennoch individuellem Ausdruck, die so sehr im Bereich des Bildhauerischen bleiben, daß der Vorwurf des Nur- Mimetischen sie nicht treffen kann.“229

Eine Besonderheit bildet die Hockende von 1908/09230, denn bei dieser etwa 20 cm hohen Holzfigur rhythmisiert Heckel mit Hilfe des Schwarz das plastische Relief der Bein- und Armrundungen, so daß sich Masse- und Farbwerte in der Wirkung gleichberechtigt ergänzen [Abb. 40]. Die plastischen Fugen an der Rückseite der Beine und unterhalb des Armes werden mit breiten schwarzen Linien noch vertieft, ebenso die Augenhöhlen. Der restliche Körper ist bis auf die zu schwarzen Kreisen abstrahierten Brustwarzen unbemalt. Eine solche Gestaltung weist auch die Stehende mit seitlich an den Kopf gelegten Händen [Abb. 95], wo durch die Farbgebung aus der Positivform der Brustwarze in der Wirkung eine Auslassung, eine Negativform wird. Hier erhält die Farbe sogar Formwerte; eine Vorgehensweise, die sich in stärkerem Ausmaß in den Skulpturen Kirchners findet.

2.2.2. Kirchner

Kirchner entbindet in seinen Skulpturen Farbe noch deutlicher von ihrer mimetischen Funktion, als es Heckel tut, und legt seinen Schwerpunkt statt dessen auf ihre emotionale und ästhetische Wirkung. Eine Photographie von 1910/11 seiner Skulpturen im Atelier offenbart durch die direkte Vergleichsmöglichkeit seiner Werke untereinander, wie Kirchner auf unterschiedliche Weise Farbe in Verbindung mit linearen Qualitäten zum integralen Bestandteil seines bildhauerischen Werkes erhebt [Abb. 8]. Die Holzfiguren unterschiedlicher Größe sind aufs engste aneinandergerückt und die kleinformatigeren Werke haben zur besseren Eingliederung sogar erhöhte Aufstellung gefunden. Sämtliche Werke sind, soweit erkennbar, holzsichtig und ansonsten ausschließlich mit schwarzer Bemalung versehen. Bis auf Kleiner Adam (oben, zweiter von links) ist keines der dargestellten Werke erhalten. Anhand der Photographie wird jedoch bereits deutlich, daß Kirchner

229 Türr, 1994, S. 202. 230 Die von Vogt auf 1906 vorgenommene Datierung von Heckels Hockender ist nach heutigem Kenntnisstand zu früh. Die kleine Skulptur zeigt keinerlei stilistische Nähe zu den Arbeiten Heckels aus diesem Jahr, sondern verweist formal auf skulpturale Werke Kirchners aus der Zeit um 1909. Auch eine Photographie von Heckels Dresdener Atelier in der Berliner Straße 65 aus der Zeit 1908/09 (vgl. Abb. in: , 2001, S. 27) legt eine Datierung in die Zeit um 1909 nahe: Am unteren Bildrand sind einige Figuren zu erkennen. Die Holzfigur ganz rechts weist große stilistische und physiognomische Ähnlichkeit mit der Hockenden auf. Vgl. auch Wietek I, 1984, S. 90, der aufgrund der Ähnlichkeit mit dem Werk Kirchners ebenfalls eine spätere (1909/10) Datierung für denkbar hält. 64 der Farbe verschiedene Funktionen zuweist. Sie ist generell auf die Angabe von Haaren und Gesicht konzentriert. Daneben überzieht Kirchner seine Figuren mit einem Geflecht aus zum Teil breiten Konturlinien, wobei die Bandbreite dabei durchaus variiert. Bei der Hockenden, Kopf nach links geneigt, rechte Hand hinter dem Kopf (1909) rechts außen liegt das Gerüst breiter schwarzer Linien sogar im Wettstreit mit der plastischen Formensprache. Mit breiten Strichen werden Armbeuge, Kniekehle und Busen aus dem organischen Zusammenhang gelöst und Brustwarzen zu Kreisformen abstrahiert. Der zur Seite abgewinkelte Kopf weist die Gestalt einer flachen Scheibe auf, die als Gesicht keinerlei plastische, sondern nur farbig angegebene Physiognomie zeigt. Das sphäroidische Volumen des Kopfes ist zur Fläche reduziert, so daß sich Bemalung und ‘Bildgrund’ dimensional annähern. Die Bildschrift materialisiert sich zum Gegenstand und umgekehrt. Bemalung wird ihrer Funktion als Angabe der Lokalfarbe enthoben. Sie wirkt unabhängig von der Bestimmung der Form und gelangt so zu Verselbständigung und Eigenwert. Autonome plastische Formensprache und autonome farbige Formensprache verbinden sich in einem gemeinsamen Rhythmus zum Gesamtausdruck des Werkes. Für die bereits angesprochene Hockende [Abb. 5], bei der Kirchner dem Gesicht ebenfalls nur mit farbigen Mitteln Gestalt gibt, formuliert er deshalb: „Es gibt aus früher Zeit Figuren, gerade wie jene ‘Hockende’ z.B. bei denen die Bemalung direkt Form erzeugt. Es gibt Köpfe, bei denen, um die große Form nicht zu unterbrechen, Augen und Mund aufgemalt sind. Das ergibt oft sehr eigentümliche Wirkungen.“231

Die Photographie schildert allerdings noch einen anderen Einsatz von Farbe, bei dem die partielle Bemalung wie bei Frau mit Katze (Mitte) zur Konzentration plastischer Werte eingesetzt wird. Durch die Konturierung werden in diesen Skulpturen statt der flächigen die volumetrischen Einzelbestandteile betont.232 Auch in der Badenden (links) wird so „das in der eigenen Malerei entwickelte Repertoire […] in die dritte Dimension übertragen und damit zu Zitaten malerischer Form im Raum verdinglicht“233. Den Hintergrund der photographierten Skulpturen bilden drei Gemälde Kirchners. In ihrer dunklen Konturierung zeigen die Gegenstände und Menschendarstellungen hier die gleiche konturierend-lineare Formensprache

231 Marsalle, 1925, S. 696. 232 Unter Auflösung des organischen Zusammenhangs, der bei Kirchner nie gänzlich aufgegeben wird, und unter Negierung der Materialqualität, die bei Kirchner immer von hohem Ausdruckswert ist, erhebt in den 1960er Jahren Dubuffet in seinen Hourloupe-Skulpturen diese Konzentration auf plastische Werte zum Prinzip. Seine aus Styroporblöcken herausgeschnittenen Einzelformen sollen jedoch nurmehr eine Analogie zu existierenden Dingen herstellen. Wie Kirchner konturiert er dafür seine „Volumenzitate“ mit schwarzer Farbe. Vgl. Franzke, 2000, S. 236ff. 233 Franzke, 2000, S. 10. 65 wie die Bemalung der Skulpturen davor. Eines der Bilder ist sogar rechts an die Wand gelehnt, möglicherweise um neben den Skulpturen wenig eigentliche Wand abzubilden und um plastische und malerische Formensprache bestmöglich ineinander übergehen lassen zu können. Der Raum hinter den Figuren wird dadurch kaum als Raum erfahrbar, und zweidimensionale Gemälde und dreidimensionale Bildwerke verschmelzen zu einem Geflecht aus Hell und Dunkel. Durch die Anordnung zur Skulpturenwand formiert Kirchner seine freiplastischen Stücke quasi zu einem Relief und damit zu der am wenigsten räumlichen plastischen Gattung. Die Bemalung mit derart starkem Kontur und enge Aneinanderreihung negiert eine plastische Dimensionalität der Figuren und kreiert assoziative Nähe zu einem Druckstock.234 Auch die Bemalung der Skulpturen mit ihren Farbstegen wirkt wie die Analogie der stehengelassenen und durch das Auftragen der Druckfarben geschwärzten Grate der Holzschnitte der Künstler. Der Plakatholzschnitt, den Kirchner für die -Ausstellung 1910 in der Galerie Arnold anfertigt [Abb. 41], scheint diesbezüglich allerdings zu so etwas wie einem Schlüsselerlebnis beigetragen zu haben.235 Für das Inkarnat der sitzenden Figur nutzt Kirchner im Plakat das Ocker-Gelb des Papiergrundes. Von zwei Druckstöcken werden die roten Flächen sowie die schwarzen Konturlinien und Schriftzeichen aufgetragen. Die Darstellung des sitzenden Mädchens unterscheidet sich in Art und Farbe jedoch wesentlich von den umgebenden Farbflächen. Ihr Körper wird nicht gedruckt, sondern ausschließlich durch Auslassung, durch das Negativ des gelben Papieres, gebildet, das die Hautfarbe des Aktes verkörpert. Damit scheint Kirchner bezüglich der Bemalung seiner Skulpturen eine folgenreiche Entdeckung gemacht zu haben. Auch Kirchners Badende von 1910, Tanzende Frau von 1911, sein Frauenkopf, Kopf Erna von 1913 sowie Die Rufende, 1912/14 [Abb. 45, 58, 42, 43] sind in ihrer gelben Bemalung ein Widerhall jener im Arnold-Plakat gemachten Farbentdeckung. Die Tanzende Frau zeigt dabei bestmöglich, wie die gelb-ockerfarbenen Akte in der Folge nur noch durch schwarze und braune Details zur Angabe von Haaren und Gesicht ergänzt werden, was einen großen Unterschied zur konturreichen Farbgebung der vorangegangenen Skulpturen darstellt. Wieviel vereinheitlichender eine solche Farbgebung im Hinblick auf die „Geschlossenheit der Form“ ist, soll im anschließenden Kapitel vorgestellt werden. Bei der gelben Bemalung der genannten Bildwerke zeigt sich, daß Farbe nicht den dargestellten Gegenstand beschreibt, nicht mehr die Haut als stoffliche Hülle kennzeichnet, sondern die Skulptur zum (Ausdrucks)-Träger der Farbe

234 In der Überführung in das graphische Medium Photographie, das wie der Holzschnitt mit Schwarz- und Weißwerten arbeitet, werden die Skulpturen schließlich selber zu Trägern grafischer Qualitäten. 235 Vgl. auch Kapitel IV.1.1. 66 wird. In der Homogenität der Bemalung, ergänzt durch die beruhigte Formensprache, absorbiert die Farbe den Körper der Skulpturen – das traditionelle Verhältnis wird umgekehrt. Die körperliche Substanz ist lediglich Träger für die plastische und farbliche Gestaltung eines Erlebnisses. „Oft greift die Farbe in die plastische Gestaltung ein und bildet Detailformen, die dem Werk Intimität verleihen, ohne daß die große Form unterbrochen wird. Die Art, wie Kirchner Farbe in seinen Figuren benutzt, ist völlig neu, sie steht in unmittelbarer Verbindung mit Erfahrungen des Malers […] und ist doch nicht gegenständlich.“236

Die Erlebniswerte des gestaltenden Künstlers werden so gegenüber den stofflichen Werten zum Primat erhoben. In dieser Hinsicht kann beispielsweise auch Kirchners Bemalung der Kauernden [Abb. 44] angesehen werden als „ein Ausdruck von Stärke des Empfindens, die in bewußtem Gegensatz zur banalen Form der Natur stehe, ebenso wie sie, die jungen Künstler, sich oft ganz bewußt von der Naturtreue abwendeten.“237

Auch die plastische Arm- und Handgestaltung mit anatomisch unmöglich nach vorn geklapptem Handteller unterstreicht die Autonomie künstlerischer Formensprache. „Ein plastischer Komplex kann […] nur sich selbst gleichen, denn die Figur und Dinge müssen in der Kunst außerhalb jeder physiologischen Logik leben.“238 An den Gelenkstellen der Skulptur treffen die geradezu exklamatorisch abgewinkelten und streng axial ausgerichteten Gliedmaßen steifwinklig aufeinander. Die dunkle lineare Bemalung folgt rein mathematisch- konstruktiven Parametern, indem von dunklen Linien gerahmte Kompartimente die einzelnen Körperpartien definieren. Diese sind wie in einem Mobilé mittels gemalter schwarzer runder Formen verbunden. Diese ‘Scharniere’ stimmen mit den anatomischen Gelenken überein, statt aber ihren organischen Zusammenhang zu verdeutlichen, separieren sie Beine in Füße, Unterschenkel und Oberschenkel bzw. Arme in Oberarm, Unterarm und Hand. Die Eigenwertigkeit der Farbe wird besonders am linken Arm der Figur deutlich. Seine Bemalung pointiert, daß die Art der Farbgebung nicht der Natur folgt, sondern ein Prinzip verkörpert, das in diesem Fall sogar der plastischen Form völlig zuwiderläuft. An der übrigen Figur markieren runde Formen die Außenseiten von Knie- und Ellenbogengelenk, und schwarze Linien verbinden wie in einer Konstruktionszeichnung die einzelnen Glieder an ihrer Außenseite. Am rechten Arm ist dies genauso durchgeführt, doch links bezeichnet die

236 Grohmann, 1926, S. 46f. 237 Gustav Schiefler, der Erich Heckel zitiert. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 276. 238 Umberto Boccioni. Die futuristische Bildhauerkunst (11. April 1912). Zit. nach: Schmidt- Bergmann, Hansgeorg. Futurismus. Geschichte, Ästhetik, Dokumente. Reinbek bei Hamburg 1993, S. 321. 67 gleiche Bemalung plötzlich die Innenseite des Armes. Dieser ist sowieso schon anatomisch unmöglich verdreht, so daß durch die Farbe Innen- und Außenseite des Armes völlig durcheinandergeraten und die Irritation des Betrachters vollkommen ist.

Der Umgang mit Farbe bei Heckel und Kirchner zeigt also, daß formen- und farbsprachlich der menschliche Körper statt als leiblich geschmeidiger Zusammenhangs als konstruktiv verstrebtes, sperriges Gerüst aufgefaßt wird. Die menschliche Figur wird dadurch aus der Entfremdung der klassizistischen und akademischen Tradition herausgelöst, deren antikische Körperschönheit und Ebenmaß die Skulpturen in letzter Konsequenz heimatlos machte und sie in eine griechische Verbannung überzeitlicher Dauerhaftigkeit exilierte. Dagegen stellt Kirchner durch die Farbverwendung den Eindruck des Eigenlogischen, des bewußt Geschaffenen deutlich in den Vordergrund. Die scharfe farbige Konturierung der Binnenformen seiner Figuren weist deutlich auf das Konstruierte hin, während Oberflächenbehandlung, Materialauswahl und Körperhaltung ganz das Elementare, Kraftvolle und Urtümliche betonen. Bei Heckel sind es dagegen allein die mittels Kerbschnitt separierten Einzelformen, die im plastischen Bereich den konstruierten Aspekt hervorheben. Damit wird das dialektische Prinzip ihres (nicht nur) bildhauerischen Schaffens deutlich: Neben der Spontaneität als expressionistischem Ausdruck eines vitalistischen Impulses steht die reflektierte Form als Manifestation bewußten künstlerischen Gestaltens.

3. „Geschlossenheit der Form“

„Immer war es mein Ziel: Einfache große Form und klare Farben, mit diesen beiden Mitteln das Empfinden geben, das Erlebnis.“239

Neben Aufbruch und Tat ist es vor allem die Idee einer besseren Zukunft, welche die Debatte um den Begriff Jugend prägte. Für Künstler wie Heckel und Kirchner bedeutete dies, daß ihre Kunstwerke nicht nur in die Zukunft weisen, sondern auch eine Sprache entwickeln sollten, die in ihrer Zeitlosigkeit den kurzen Augenblick in eine dauerhafte Interpretation von Wirklichkeit verwandelt.

239 Brief Kirchners 1937 an Curt Valentin, seinen ersten Kunsthändler in Amerika. Zit. nach: Ronte, 1976, S. 12. 68

„Wir erkennen, wie das Wesentlichmachen der Expressionisten sich im Prinzip auf eine idealistische Forderung nach der Überhöhung der Wirklichkeit, nach Vertiefung des Einmaligen zum Allgemeinen zurückführen läßt.“240

Eine solche Herangehensweise scheint zumindest teilweise auch durch die Beschäftigung mit den kunsttheoretischen Schriften ’ bedingt zu sein. 1908 und 1909 fanden im Dresdener Kunstsalon Richter Ausstellungen Van Goghs, Munchs und der Fauves statt, 1909 in Berlin auch eine Ausstellung Henri Matisse’ bei Paul Cassirer. In diesem Kontext ist es von Bedeutung, daß dieser nicht nur als Künstler, sondern ebenso als Theoretiker rezipiert wurde, seit 1908/09 auch in Deutschland seine Notizen eines Malers erschienen waren.241 Zu diesem Text finden sich einige Parallelen in Aussagen, wie sie auch zu ihrer Kunst getätigt hat. Wie Schmidt-Rottluff, der mit „dem Mittel der Kunst reinsten Ausdruck finden will für das was ich sehe und fühle“242 und Heckel, dem „die Kritik am fertigen Bild nur gefühlsmäßig möglich“243 ist, geht es auch Matisse in seinen Werken „um einen Zustand der Konsolidierung von Empfindung“244, und auch er „kann keinen Unterschied (machen) zwischen dem Gefühl, das ich vom Leben habe, und der Art und Weise, wie ich dieses Gefühl malerisch übersetze“245. Legen diese Aussagen in erster Linie Zeugnis von Kunstverständnis und Schaffensprozeß ab, so haben andere Passagen eher die Ziele und das Ergebnis dieses Prozesses zum Inhalt: „Hinter dieser Folge von Momenten, die die flüchtige Existenz von Wesen und Dingen bildet, […] kann man einen wahren, wesentlicheren Charakter aufsuchen, an den der Künstler sich halten wird, um eine dauerhafte Interpretation der Wirklichkeit zu geben.“246

Trotz der Betonung von Unmittelbarkeit und Spontaneität geht es auch Kirchner und Heckel letztlich genau darum. Ausgehend von einem „okularen Erlebnis“247, einem tatsächlich erlebten Augenblick, bemühen auch sie sich um jene „dauerhafte Interpretation der Wirklichkeit“. Ihre Skulpturen schildern somit nicht das Erfassen der äußeren und ephemeren Erscheinung, sondern stellen die im Sinnlichen verankerte Gestaltwerdung von etwas Grundsätzlichem dar, das nicht unmittelbar, sondern nur in der Umgestaltung der Naturform in eine Kunstform verdeutlicht werden kann.248 Die

240 Hofmann, Grundlagen, S. 252. 241 Henri Matisse. Notizen eines Malers. In: Kunst und Künstler, Jg. 7, 1909, S. 335–347. 242 Kunst und Künstler, 1914, S. 309. 243 Ebd. 244 Henri Matisse. Notizen eines Malers. In: Kunst und Künstler, Jg. 7, 1909, S. 339. 245 Ebd. 246 Ebd., S. 340. 247 So die treffende Formulierung Kirchners in: Davoser Tagebuch, 1997, S. 74/75. 248 Vgl. Zweite, 1996, S. 28f. 69

Umgestaltung der Naturform in eine dauerhafte Interpretation der Wirklichkeit hat eine Art von Objektivität zum Ziel. Die Summe der „gestalteten Erlebnisse“ kreiert ein „neues Gesamt“ 249 und schafft Distanz. Die Kunst Kirchners und Heckels zeigt dabei jene oftmals irritierende Ambivalenz aus subjektiven Erfahrungen, auf denen ihre Werke einerseits basieren, die aber gleichzeitig den Anspruch der Allgemeingültigkeit stellen: „Ich habe nie mein eigenes Erlebnis für so wichtig gehalten, daß ich es als solches der Darstellung für wert hielt, sondern ich sah in ihm menschliches Geschehen, das jedem passiert und deshalb allgemeine Gültigkeit hat.“250

Nur das eigene Erleben fand zwar Eingang in die Kunst, es wurde jedoch von den Künstlern als Ausdruck über-individueller, gemeinsamer menschlicher Erfahrung gewertet.

3.1. Kirchners Steuerung der eigenen Rezeptionsgeschichte

In seinem Aufsatz als Louis de Marsalle leugnet Kirchner gleichermaßen die Einflüsse primitiver und antiker Kunst auf seine Skulpturen, die „ebenso weit von den Griechen wie von den Negern“251 entfernt seien. Der Künstler wehrte sie gegen jede Form von Einflußnahme, die andere in seinen Werken zu sehen glaubten. Diese Einstellung findet sich auch bei Heckel und Schmidt-Rottluff, die sich beide vehement gegen eine Orientierung an Munch verwehren: „Über die immer wiederkehrende Meinung, Brücke wäre von Munch angeregt worden, habe ich von neuem den Kopf geschüttelt. […] Um die Zeit, da Brücke gegründet worden ist, hatten wir und ebenso andere herzlich wenig Ahnung, was vielleicht in Frankreich und anderswo vorging – nicht einmal Cézanne. Van Gogh kam uns zeitlich zu spät […]“252

In einer solchen Haltung gegenüber dem eigenen Werk liegt auch Kirchners Hang begründet, seit den Dresdener Jahren frühe Arbeiten vorzudatieren, um offensichtliche Einflüsse durch Veränderung der zeitlichen Rahmenbedingungen unmöglich erscheinen zu lassen. Spätestens mit der Brücke-Chronik für die Jahresmappe von 1913 setzt Kirchners Kalkül einer strategisch geplanten Zeitwirkung ein. In der Folge stilisiert er sein Leben und Werk als eine Künstlervita, in der jedem Stück und jedem Detail eine Rolle zukam, die er als wert erachtete, von der Nachwelt rezipiert zu werden.253 So versucht er zu

249 Heckel. In: Heckel, 1973, S. 5. 250 Brief Kirchners an Schiefler vom 20.10.1927. In: Kirchner/Schiefler, 1990, S. 495. 251 Marsalle, 1925, S. 695. 252 Schmidt-Rottluff in einem Brief vom 1. Juli 1946 an Gustav Vriesen. Zit. nach: Bucheim, 1956, S. 66. Vgl. auch Heckels Brief vom 8. Juli 1946 an Gustav Vriesen. Ebd. 253 Vgl. zum Thema der Selbstinszenierung Saehrend, 2003. 70

Lebzeiten den größtmöglichen Einfluß auf die Publikationen über sein Werk oder seine Person zu nehmen. Es waren vor allem Gustav Schiefler und der Dresdener Kunsthistoriker Will Grohmann (1886–1968), die darunter zu leiden hatten.254 Darüber hinaus versuchte er die Rezeption seines Werkes durch Verfassen eigener Texte unter dem Pseudonym Louis de Marsalle in einer bestimmten Weise zu lenken. Marsalle wird von Kirchner 1920 erfunden, da seiner Ansicht nach niemand sonst in der Lage sei, in adäquater Manier über seine Arbeit zu berichten.255 Durch den „Freund de Marsalle“256 gelingt es Kirchner, grundlegende Überlegungen zu seinem bildnerischen Werk, aber auch zur Zeichnung, Druckgraphik und Malerei zu verfassen. Über den Aufsatz Über die plastischen Arbeiten E.L. Kirchners, der 1925 im Cicerone erschien, schreibt er an Grohmann: „Es wird ein epochemachender Aufsatz werden. Ha, die eingesessenen Bildhauer werden schimpfen.“ Weiter heißt es: „Im Marsalle- Aufsatz ist wohl alles darin, was man über die Plastik sagen konnte, allerdings kurz und bündig gefasst“257. Parallel zur Steuerung der Außenwirkung begann Kirchner ab 1919, sein Œuvre systematisch festzuhalten. Dafür fertigte er, wie er es bereits für getan hatte, mit der Plattenkamera photographische Dokumentationen an. In Davos hat sich neben umfangreichen Photoalben seiner Gemälden auch ein – allerdings nur teilweise gefüllter – Band mit Photographien seiner Skulpturen erhalten. Einige von ihnen sind uns nur durch diese Aufnahmen bekannt, die dazu dienen sollten, ein chronologisch geordnetes Verzeichnis der plastischen Werke anzulegen. Das Selbstbild vom beständigen Erneuerer der Kunst schloß selbstredend die Chronologie des eigenen Werkes mit ein. Hierzu gehört der Vergleich mit den eigenen Frühwerken beziehungsweise die Abgrenzung davon, um nicht nur den eigenen innovativen Fortschritt zu dokumentieren, sondern sich gleichermaßen von der -Zeit zu distanzieren, etwa durch Restaurieren oder sogar Übermalen einiger ihm wichtiger Werke im Stil der 20er

254 Vgl. Lüttichau, 1999, S. 28ff. Außerdem Davoser Tagebuch, 1997, S. 247, 251 sowie S. 304, Anm. 137. 255 Am 30. Oktober des Jahres 1919 schreibt Kirchner an Helene Spengler über seine Anfänge als Autor. „Vielen Dank Ihrer Anregung des Schreibens über meine Arbeit. Ich habe schon oft dazu angesetzt“ (zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 283) Im folgenden Jahr veröffentlicht Kirchner dann unter dem Pseudonym Louis de Marsalle seinen ersten Aufsatz als Kunstschriftsteller. Kirchner verfaßte bis 1933 insgesamt sechs Texte unter diesem Namen, dessen französischer Ursprung erahnen läßt, aus welcher Richtung der Künstler sich Anerkennung erhoffte, war er doch der Meinung, daß Ursprung und Höhepunkt der modernen Kunst fälschlicherweise in Frankreich verortet würden. Zwar lüftete Kirchner selber das Geheimnis um seine Autorschaft zeitlebens nicht, seine Freunde und Vertrauten vermuteten jedoch schon recht bald die Identität des Autors. Spengler als Initiatorin wußte, Grohmann und Schiefler vermuteten wahrscheinlich, „daß es diesen Mann gar nicht gab“ (Briefzitat Will Grohmanns, zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 299). 256 Kirchner an Gustav Schiefler am 9. Januar 1923. In: Kirchner/Schiefler, 1990, S. 214. 257 Kirchner am 6. und 15. Mai 1925 an Grohmann. Zit. nach: Kirchner/Grohmann, 1925, S. 110, 113. 71

Jahre.258 Als Grundkomponente dieser umfassenden Überarbeitungen gelten ihm dabei wie selbstverständlich Neu- beziehungsweise Umdatierungen.259 Zahlreicher in der Malerei nachweisbar, finden sich auch im Bereich des plastischen Werkes einige Beispiele.260 Die an seinen Werken vorgenommenen Überarbeitungen waren Kirchner nach eigenem Bekunden nie nur Wiederherstellungen oder Ausbesserungen, sondern das Fortsetzen eines vormals unterbrochenen Schaffensprozesses. Damit waren sie aber stets verändernde Eingriffe in die ursprüngliche Erscheinung der Werke. Solch tiefgreifende Veränderungen sind bei Kirchner keine Seltenheit, sondern verdeutlichen dessen Absicht, sich den Zeitgenossen als der aktuelle, stets über das Neueste informierte Künstler zu zeigen. Irritationen darüber entkräftete Kirchner mit der Beschreibung von Entstehungsprozessen verschiedener Entwürfe, deren befriedigende Resultate oftmals „Jahre nach dem Erlebnis“261 entstünden. „Gerade geht ein Werk langsam zur Reife, und wieder monatelange Arbeit gehört dazu, zu vollenden. Ich habe im Anfang meiner Arbeit Jahre gehabt, in denen ich nur erste Fassungen hervorbrachte, aber ich war stets unbefriedigt davon, da mir dabei immer etwas fehlte.“262

Grohmann weist in seiner Kirchner-Monographie von 1958 erläuternd und kommentierend auf diese Veränderungen hin: „[Die Werke] haben die ursprüngliche Nervosität der Handschrift, die vielleicht überbewertet wird, verloren, dafür an Präzision und Vollkommenheit des farbigen Flächenbaus gewonnen […] Die meisten werden die erste Niederschrift vorziehen, aber fraglos sind manche

258 Kirchner wollte nicht nur als Künstler der in die Geschichte eingehen. In der Folge der -Auflösung distanziert sich Kirchner daher jahrelang von „jener Jugendeselei“ (Brief Kirchners an Max Sauerlandt vom 10. Februar 1928, zit. nach: der freundlicherweise von der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg zur Verfügung gestellten Kopie. Signatur NSa: 13:4.) und von fast allen früheren Weggefährten. Er untersagte denjenigen Autoren, die in den zwanziger Jahren über ihn schrieben (Carl Einstein, Gustav Schiefler, Will Grohmann, Max Sauerlandt u.a.), die in den Mittelpunkt ihrer Schilderungen zu stellen oder sie überhaupt zu erwähnen. „Die Brückengeschichte mußte heraus. Ich will nichts damit zu tun haben. Sie hat auch gar keine Beziehung zu meiner Arbeit“ (zit. nach: Kirchner, 1979/80, S. 9. Vgl. auch Davoser Tagebuch, 1997. S. 310f.). Wie ambivalent seine Einstellung gegenüber der Vergangenheit allerdings war, zeigt der Umstand, daß er 1926 ein großes Gruppenbildnis der malt, über dessen Verkauf an die Nationalgalerie in Berlin er sich sehr freut. 259 Vgl. Lüttichau, 1999, S. 31ff. Solche Änderungen erklären die zuweilen gravierenden Datierungsschwankungen, die im Fall der Skulptur des Nackten Mädchens von 1912 (Henze), über 1917 (Grohmann, Gabler) bis zu 1919 (Dube, Lüttichau, Kornfeld) reichen. Vgl. Henze, 1984, S. 115; Lüttichau, 1999, S. 52, Anm. 72. 260 Vgl. bspw. die Skulptur der Bananenesserin von 1909/10, deren Photographie er rückseitig mit „ELK03 Bananenesserin.“ beschriftet. Vgl. das Photo im Kirchner Museum Davos. 261 Text Kirchners Über das Schaffen. Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 128. 262 Kirchner, ebd. 72

Arbeiten um spätere Erfahrungen bereichert, indem die geschlossene Form an die Stelle der reinen Emotion tritt.“263

Mit dem Begriff der „geschlossenen Form“ bedient sich Grohmann dabei Kirchners eigener Terminologie, die ihm durch die Jahre der engen Zusammenarbeit mit Kirchner zwangsläufig sehr vertraut war und den Eindruck entstehen läßt, als führe noch immer Kirchner die „Feder seiner Rezensenten“264. Auch Max Sauerlandt bedient sich in einem Aufsatz von 1930/31 der Terminologie Kirchners. Der „Rhythmus der geschlossenen Form“ wird zu einem Schlüsselbegriff, mit dem er am Beispiel der Badenden von Kirchner die allgemeine Bedeutung der „geschlossenen Komposition“ in der Bildhauerei erläutert. 265

3.2. Kirchners Badende

„Bei modernen Figuren sind die Oberflächen mit kurzem Umriß gegeben, […] nur das Wichtige modelliert. Aber die Figur wird typisch, […] nicht mehr hinauszuckend in die Sekunde, vielmehr sie erhält Geltung in die Zeit. Alles Nebensächliche fehlt.“266

Die ca. 1910 entstandene Figur [Abb. 45] ist 1930 für 1500 RM von Max Sauerlandt für das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg erworben worden.267 Unmittelbar zuvor muß Kirchner seine Figur stark überarbeitet haben, wie ein Vergleich mit der schon bekannten Atelier-Aufnahme Kirchners von 1910/11 zeigt [Abb. 8]. Die etwa 1 Meter große Figur aus Erlenholz zeichnet sich durch ihre massive Körperlichkeit aus. In leichter Schrittstellung, das rechte Bein voran, steht sie auf kräftigen, säulenartigen Beinen. Auf diesen Stützen, bei denen Kirchner zur Verdeutlichung des tragenden Moments auf die Gestaltung von Knien verzichtet, ruht stabil ein kompakter und voluminöser Rumpf. Dessen große Fläche wird durch keinerlei Details wie Hautfalten oder Nabel unterbrochen, so daß die halbkugelförmigen Brüste klein und dem Oberkörper appliziert wirken. Der linke Arm ist aus drei großen

263 Grohmann, 1958, S. 46. 264 Költzsch, 1980, S. 222. 265 Sauerlandt, 1930/31, S. 106. 266 Edschmid, 1919, S. 65. 267 Kirchners Badende wurde bei der Beschlagnahmungsaktion der Nationalsozialisten im Juli 1937 konfisziert und für die Ausstellung „Entartete Kunst“ nach München gebracht. Unter der Inventarnummer 16 246 findet die Skulptur Aufstellung in einem Raum, der dem Thema „Verhöhnung der deutschen Frau Ideal: Kretin und Hure“ gewidmet ist. Die Skulptur ist verschollen, seit sie 1942 in Berlin inventarisiert wurde, um der Wanderausstellungs-Variante „Entartete Kunst“ eingegliedert zu werden. Vgl. Lüttichau, 1998, S. 129f. 73

Einzelkomponenten zusammengefügt. Hier findet sich in geradezu programmatischer Deutlichkeit das, was der Künstler meint, wenn er davon spricht, daß „Kirchners Plastik mit einfachen Grundformen, Zylinder, Kegel, Eiform und Kugel“268 schafft. An einen ‘zylindrischen’ Oberarm ist ein ‘zylindrischer’ Unterarm angefügt. Beide Komponenten sind durch eine tiefe Armbeuge sorgfältig voneinander geschieden, wie auch das Handgelenk den Unterarm von der großen, ‘kugelförmigen’ Hand trennt. Die Einzelteile, besonders die Hand, sind nur äußerst summarisch wiedergegeben, so daß einer additiv-tektonischen Wirkung nichts entgegensteht. Von geradezu organischer Qualität ist dagegen das weiß bemalte Badetuch, das die Skulptur in der kräftigen Hand hält. Vielfach gefältelt hängt sein eines Ende bis zur Wade entlang des Beines hinab, während das andere Ende hinter dem Rücken zur rechten Schulter geführt wird. Die Kleinteiligkeit der Falten wird zwar von der weißen Farbe beruhigt und zusammengefaßt, dennoch stellen die Schattenspiele und zahlreichen skulptierten Einzelformen einen spannungsvollen Kontrast zu den glatten und großflächigen Körperpartien dar. Während diese eher architektonisch-technisch als organisch wirken, übernimmt das in der Realität unbelebte Textil im Kontext des Kunstwerks die Rolle des vitalen Elements. Im begleitenden Aufsatz formuliert Sauerlandt diesen Sachverhalt verallgemeinert als ein Grundelement der gesamten expressionistischen Kunst: „Ein Bedürfnis nach Form und Farbe, die nicht eine Wiedergabe der Wirklichkeit […] sind, sondern etwas, das sich dem Wirklichkeitsschein als etwas grundsätzlich anderes autonom gegenüberstellt.“269

Der Wirklichkeit autonom gegenübergestellt wird auch die Geste des Abtrocknens. Bei der Badenden ist jener Moment zur Dauerhaftigkeit gebannt worden, in dem die Figur im Begriff ist, sich ein Handtuch über die Schultern zu legen, um sich abzutrocknen. Sich abtrocknende Mädchen und Frauen im Atelier sind uns vielfach aus dem zeichnerischen Œuvre der -Künstler überliefert. Aus dem alltäglichen Kontext herausgelöst und als Skulptur vereinzelt, verdichtet Kirchner diese Figur jedoch zu einem „Kunstwerk[, das] das Gesetz seiner Form in sich selbst trägt“270. Bei dieser Badenden bewirkt das Sich-Abtrocknen nämlich in keinster Weise eine Torsion des Oberkörpers. Statt dessen treibt Kirchner die Komponiertheit der Figur auf die Spitze. Der rechte Arm ist gleichsam in seine Bauteile zerlegt und von Kirchner neu zusammengefügt worden. Der Unterarm ist um seine Achse gedreht, so daß, anatomisch unmöglich, die Außenseite der rechten Hand sichtbar wird, mit der die Figur auf Schulterhöhe das Handtuch greift. Es ist dies eine

268 Marsalle, 1925, S. 696. 269 Sauerlandt, 1930/31, S. 102. 270 Sauerlandt, 1930/31, S. 102. 74

Gestaltungsweise, die wir auch von anderen Figuren wie Kauernde und Liebespaar [Abb. 44, 79] kennen und die für Kirchner die Autonomie von Sauerlandtschem „Wirklichkeitsschein“271 bestmöglich zu verkörpern scheint. Auch bei den anderen genannten Figuren wählt der Künstler immer den Arm als Chiffre, um die Autonomie des Gestaltungsaktes zu charakterisieren.272 Um den Hals geradezu exklamatorisch als dem Oberkörper angefügt zu verdeutlichen, hat Kirchner bei der Überarbeitung Material weggenommen und sogar einen hohlkehlenförmigen Ring um den Halsansatz gezogen. Die überproportionale Dicke des Halses und seine fehlende Verjüngung scheinen das Gewicht des großen Kopfes zu verdeutlichen. Das Gesicht der Badenden scheint dem Flachrelief des Holzschnittes entsprungen [Abb. 46]. Einem massiven unteren Gesichtskubus, zu dem Augen, Wangen und Kinn gehören, ist eine Mund, Nase, Augenbrauen und Stirn umfassende Scheibe aufgelegt. Durch die Bemalung des Mundes sowie die farbliche Trennung der Augen in Corpus vitreum und Iris nimmt Kirchner in die Physiognomie der Figur mimetische Elemente auf. Diese bleiben ob der Starrheit des Blickes und der Schablonenhaftigkeit des Mundes in der Wirkung jedoch der statuarischen Tektonik des Körpers nachgeordnet. Das Gesichtsfeld wird gerahmt von einer voluminösen Haarkalotte, die schwarz bemalt ist. Schwarz ist auch der flache Sockel. Er ist zweigeteilt, so daß die Badende eigentlich auf zwei kleinen Plateaus steht, die dadurch fast wie die hohen Badeschuhe der Frauen in türkischen Bädern wirken.273 Als Effekt erhöht sich der Eindruck physischer Unmittelbarkeit und eine hierarchische Distanz zwischen Kunstwerk und Betrachter wird bestmöglich aufgehoben. Durch die farbliche Korrespondenz von Haarkalotte und Sockel werden der gelb bemalte Körper und das weiße Handtuch oben und unten gerahmt. Die großen Farbflächen verleihen der Skulptur Rhythmus und Bewegtheit, ohne Bewegung wirklich darzustellen. Besonders hinsichtlich ihrer Bemalung macht deshalb der Vergleich mit der Figur vor ihrer Überarbeitung die umfassenden Veränderungen deutlich, die der Figur diese Wirkung bescheren. Die Badende ist uns durch ein Atelierphoto Kirchners von 1910/11 in ihrem ursprünglichen Zustand überliefert [Abb. 8]. Sie ist in der unteren Reihe links außen zu erkennen. Die wichtigsten Unterschiede lassen sich mit einem Blick erfassen: Material-Wirkung und Bemalung. Die Badende hat 1910/11 eine wesentlich gröbere Holzoberfläche. Großflächige Schnitzspuren gaben der Figur eine deutlich unruhigere, an der linken Schulter fast prismatisch zu nennende Oberfläche. Die Sichtbarkeit des Werkprozesses

271 Ebd. 272 Vgl. Kapitel II.C.2.2.2. und II.E.2. 273 Vgl. auch Baur, 1995, S. 111. 75 als Materialsubstraktion und die Wirkungskraft des Holzes waren hier von größerer Bedeutung. Den Schaffensprozeß im Werk sichtbar zu erhalten war bei den Werken der -Zeit unverzichtbarer Teil des ‘Nacherleben- Impetus’. Galt für diesen die Direktive des körperlichen Nachahmens durch den Rezipienten, so vermittelt die Badende 1930 durch den Farbklang ihrer Bemalung eher eine Reizung des Auges, die einen Zustand gesammelter innerer Bewegung generieren soll. Die Komposition der Figur läßt Kirchner weitgehend unangetastet, eine andere Art der Dynamik konnte er allerdings durch den Dialog der Farben kreieren. 274 Bereits 1910/11 war die Figur bemalt, vermutlich allerdings nur mit Schwarz, das im Gesicht- und Haarbereich und zwischen den Körpergliedern Verwendung fand. Auch 1911 charakterisierte ein additiv-tektonisches Gestaltungsprinzip die Figur, deren Komponenten durch die trennenden Linien als Einzelbausteine kenntlich gemacht waren. Analog den Gemälden, die man im Hintergrund der Photographie erkennen kann, trennte Schwarz die Beine vom Rumpf, die Arme von der Flanke, den Hals vom Oberkörper und konkretisierte im Gesicht Mund, Augen und Nase. Der schwarze Kontur hatte die Binnenformen akzentuiert, die Gesamtwirkung rhythmisiert und somit die Spannung des Bildwerkes erhöht. Die Bedeutung der Konturlinie, die für die Figur in holzsichtigem Zustand als wichtiges Ordnungselement fungiert und die Lesbarkeit der Badenden deutlich erhöht hatte, wird durch die Farbigkeit der Einzelflächen jetzt obsolet. Nicht mehr wie im Zustand von 1910 durch Konturlinien separierte Einzelflächen, die sich zum Ganzen summieren, sondern großflächige Farbformen bestimmen jetzt den Aufbau der Badenden. „Form wird durch die Farbe bestimmt“275 formuliert Kirchner für die Tafelmalerei. In der Bildhauerei stehen dem Künstler zusätzlich zur Formgestaltung noch die plastischen Mittel zur Verfügung. In der Badenden bedeutet dies, daß Kirchner bei der Überarbeitung den Eindruck von Spontaneität minimiert. Er präzisiert die Oberfläche durch die Glättung der vormals deutlicheren Arbeitsspuren und Grate. Die Skulptur erhält dadurch immer noch keine glatte oder gar polierte Oberfläche, da dies die angestrebte

274 Mit „Im Unterschied zu den raumgreifenden, dynamisch bewegten Figuren der Berliner Zeit arbeitete Kirchner jetzt mit streng geschlossenen, auf stereometrische Grundformen reduzierten Körpern“, beschreibt Beat Stutzer Kirchners Weibliche Figur, 1920 (Kirchner I, 1995, Kat. 102, S. 99). Eine solche Charakterisierung offenbart, wie die Betrachtung von Kirchners bildhauerischem Werk sogar in einer monographischen Publikation über Oberflächlichkeiten nicht hinausreicht. In ihrer überkreuzten Beinstellung zeigt die Weibliche Figur außerdem die gleiche aufstrebende Torsion wie Tänzerin mit Halskette (Dresden, 1910) und kann somit nicht als spezifisch schweizerische Arbeit gelten. Wie anhand der Badenden und Stehenden beschrieben, ist auch die geschlossene Komposition mit stereometrischen Grundformen keine Errungenschaft der Schweizer Jahre, sondern ist Kirchners Skulpturen fast von Beginn an eigen und bereits in der Berliner Zeit zur vollen Reife gediehen. 275 Kirchner/Schiefler, 1990, S. 273f. 76

Materialgerechtigkeit zu stark negieren würde. „Jeder Hieb des Beiles und jeder Schnitt des Messers bleibt dem Auge unmittelbar sinnlich fühlbar tastbar.“276 Die spontan eingesetzte Binnenzeichnung, als die ich die deutlichen Schnitzspuren analog zur Terminologie der zweidimensionalen Medien bezeichnen möchte, wird von Kirchner jedoch regularisiert. So sind beispielsweise die Augen die einzigen geschnitzten konkaven Elemente; alle übrigen Körperformen entstehen ausschließlich durch das Aneinanderreihen von konvexen Volumina (Arme, Hals, Scham). Dadurch wird eine ungeheure Ruhe erzielt. Die Bewegung der Figur, die von Beginn an eine verhaltene war, wird durch die Überarbeitung gänzlich zum Stillstand gebracht. Auf die Skulptur übertragbar, bezeichnet Kirchner in der Grafik die geschlossene Form als sein künstlerisches Ziel, mit der „das Letzte an Ausdruck und Formvollendung zu erreichen“277 sei. Die Binnenzeichnung, vorher zentrales Ausdrucksmittel, trug dazu bei, eine Art Unruhe beizubehalten, die die Figur in einem immanenten Spannungsverhältnis erscheinen ließ. Vorher versetzte die von Schnitzspuren geprägte Oberflächenstruktur die Figur quasi in Vibration, jetzt bannt der Künstler sie durch den Dialog des Farbklangs und der immer noch spürbaren Holzmaterialität in einem Zustand zwischen „lebendiger Aggressivität und vitaler Ruhe“278. 1930 ist nicht mehr ausschließlich die dreidimensionale Form die Direktive, sondern die Farbe, welche die Oberflächen harmonisiert und in der unterschiedlichen Kolorierung die verschiedenen Einzelformen zu Farbformen vereinheitlicht. Im Holzschnitt ist eine ähnliche Suche nach der beruhigten, großen Form und ein Bemühen um repräsentativen Ausdruck zu beobachten. [Abb. 47] Auch in diesem Medium lassen sich die „klassizistischen, zur formalen Verfestigung strebenden Tendenzen der 20er Jahre“279 diagnostizieren. Durch die Beruhigung der Binnenstrukturen wird der statische Aufbau der Figur noch stärker herausgearbeitet und die skulpturale Verkörperung von zeitenthobener Dauerhaftigkeit in der Aussage zugespitzt. Mit der Überarbeitung seiner Skulptur „erweist sich Kirchner als sein radikalster Kritiker, der nicht nur sein frühes Werk aktualisiert, sondern zugleich auch den expressiven, unruhigen Ausdruck des Zufälligen in seinen frühen Arbeiten zu klassischen, dem zeitgeschichtlichen Augenblick enthobenen Kompositionen verändert.“280

276 Sauerlandt, 1930/31, S. 107. 277 Marsalle, 1921, S. 250. Marsalle, 1921, S. 250. 278 Scotti, 1999, S. 142. 279 Ebd., S. 127. 280 Lüttichau, 1999, S. 32f. 77

Am 19. September 1925 notiert Kirchner nach einem Besuch der Internationalen Kunstausstellung im Kunsthaus Zürich, August/September 1925, über Picassos Werk in seinem Tagebuch:“Er kommt nie zu einem Resultat, weil er alles sehr unfertig läßt. Die Skizze ist immer sehr interessant, aber damit schafft man noch keinen Stil.“281 Neben dem eingangs angeführten Bemühen Kirchners um Aufnahme unter die bekanntesten Künstler seiner Zeit – und was wäre eindrücklicher, als dies in Abgrenzung gegen einen Namen wie Picasso zu tun –, zeigt sich hier, was der zentrale Motor seiner Überarbeitungen war: Fertigstellung und stilistische Homogenisierung sowohl in bezug auf das einzelne Werk als auch mit umfassenderem Anspruch bezüglich der Vereinheitlichung – der „geschlossenen Form“ – seines gesamten Œuvres.

281 Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 92. 78

D. „Unmittelbar und unverfälscht“

1. „Unmittelbar“ – und die Einfühlungsästhetik

„Zu jeder inneren gehört die als gleichartig erlebbare Bewegung des Körpers, oder kürzer gefaßt: jeder inneren entspricht die ihr analoge Bewegung des Körpers.“ 282

„Hat sie [die Kunst] einen Sinn, so den: daß jemand sein Erleben gestaltet- und andere aus der Gestaltung ein Erleben schöpfen.“283

In den Ausführungen über Farbe und Form wurde bereits deutlich, daß Heckel und Kirchner in ihren Skulpturen nicht zögern, wenn nötig die Ästhetik und die Gesetzmäßigkeiten der Kunst dem Ausdruck zu opfern. Sie wollen die realistische Darstellung des Gegenstandes vermeiden, da mit der äußeren Erscheinung der Gegenstände deren Wirklichkeit, die für die Künstler in den Empfindungen des Schaffenden besteht, nicht zu vermitteln sei. Ihre Auseinandersetzung mit dem Bildgegenstand kennzeichnet daher das Bemühen, der individuellen, subjektiven Schau des Gesehenen, der nicht meßbaren, nicht rationalen Seite Gestalt zu geben. „Kirchner kam auf diesem Wege zur Erkenntnis, daß eine aus intensivem Naturstudium mit Hilfe der Phantasie erzeugte Neuform viel stärker und eindringlicher wirkte als die naturalistische Wiedergabe.“284

Die „Neuform“ ist dabei nicht reines Ergebnis der künstlerischen Phantasie, sondern wird erst durch ein reales Vorbild ausgelöst. Im Verlauf des Schaffensprozesses bildet der Künstler jedoch keineswegs das natürliche Vorbild nach, sondern abstrahiert die Form nach der eigenen emotionalen Maxime: „Den Expressionismus unserer Zeit versteht er [Heckel] im Sinne dieser Maler dahin, daß die Kunst Rhythmen und Formen an die Hand geben müsse, um nicht nur ganz im allgemeinen, sondern in speziellen seelischen Stimmungen, Gemütsverfassungen, Veranlagungen einen Ausdruck zu verleihen, der im empfänglichen Beschauer ähnliche Regungen auslöst. Dazu reicht eine getreue Nachahmung der Wirklichkeit nicht aus; die Natur muß von feinfühligen Organen des schaffenden Künstlers gebändigt und in neue bedeutungsvolle Formen geknetet werden.“285

282 Klages, 1914, S.281. 283 Hiller, Kurt. Der Kondor. Anthologie, Heidelberg 1912, S. 5–9. Zit. nach: Pörtner, 1960, S. 223. 284 Marsalle, 1925, S. 695. 285 Schiefler 1918 über Heckel. Zit. nach: Heckel I, 1983/84, S. 220. 79

Das Ziel ist, für jene „speziellen seelischen Stimmungen“286 neue und unmittelbare Ausdrucksmittel zu finden, bei deren Umsetzung kein moderierender Intellekt dazwischen treten solle, der die Gefahr einer aus Bildung und Tradition gespeisten Moral oder auch künstlerischen Zensur mit sich bringen könnte. „Arbeiten! Rausch! Gehirn zerschmettern! Kauen, fressen, schlingen, zerwühlen! Wonnevolle Schmerzen des Gebärens! Krachen des Pinsels, am liebsten Durchstoßen der Leinwände. Zertrampeln der Farbtuben […] Das verwünschte Hirn! Was bohrt zwickt und reißt darin? Hah! Abbeißen muß man den Schädel, oder mit beiden Fäusten anpacken, herumdrehen, abdrehen. Dann wollen wir ihn ausschaben, auskratzen.“287

Dieser Anspruch auf Unmittelbarkeit, der sich auch auf die Rezeption des fertigen Bildwerkes durch den Betrachter bezieht, hat weitreichende Konsequenzen. Ein neues Rezeptionsverständnis bricht sich Bahn, in dem Gefühl und nicht Verstand qualifizierend sein sollten. Heckel formuliert dies folgendermaßen: „Die Kritik am fertigen Bild ist mir nur gefühlsmäßig möglich.“288 Diese Unmittelbarkeit kann jedoch nicht mittels Nachahmung von Wirklichkeit erreicht werden. Der Modus ist statt dessen der Dreischritt aus Zerteilung – „Bändigung der Natur“289 –, Neuzusammensetzung – „Kneten in neue bedeutungsvolle Formen“290 – und schließlich Nachempfindung – „Ähnliche Regungen“291 – auf Seiten des Beschauers.292 In den vorangegangenen Ausführungen wurden anhand des Materials und dessen plastischer und farbiger Behandlung die ersten beiden Schritte vorgestellt. Nach „Bändigung der Natur“ und „Kneten in neue bedeutungsvolle Formen“ soll im folgenden das Nachempfinden jener „Rhythmen und Formen“ durch den „empfänglichen Beschauer“293 vorgestellt werden. Dabei wird auch deutlich werden, daß der Expressionismus eine alle Sparten des Geisteslebens umfassende Bewegung war und seine zentralen Begriffen sich auch in anderen

286 Ebd. 287 Max Pechstein. Schöpferische Konfession. In: Tribüne der Kunst und Zeit, Bd. 13. Berlin 1920, S. 19–21. Zit. nach: Hüneke, 1996, S. 115. Solche Bekenntnisse, die wie im Falle Pechsteins sogar fast den Charakter expressionistischer Prosa annehmen konnten, verführen allzuleicht zu der Annahme, die Kunstwerke seien „reine Instinkthandlungen“ (Wauer, Bärbel. Studien zum Expressionismus und seiner Rezeptionsgeschichte in der Bildenden Kunst. München 1982, S. 61) und ohne gestalterische Reflexion entstanden. Meine Ausführungen über Material, Form und Farbe der Skulpturen haben jedoch gezeigt, wie bewußt die künstlerischen Ausdrucksmittel eingesetzt wurden. 288 Zit. nach: Kunst und Künstler, 1914, S. 309. 289Schiefler 1918 über Heckel. Zit. nach: Heckel I, 1983/84, S. 220. 290 Ebd. 291 Ebd. 292 Vgl. für die Trias aus Kritik, Zerstörung, Neuanfang bei Nietzsche Kapitel II.B.1. 293 Schiefler 1918 über Heckel. Zit. nach: Heckel I, 1983/84, S. 220. 80

Gebieten wie der Psychologie und der Philosophie wiederfinden. Daher werden im folgenden zur kunsthistorischen Analyse auch Gedanken aus anderen geisteswissenschaflichen Fächern herangezogen. „Ist Plastik Form – bloß Form?“294 fragt sich Ernst Barlach nach seiner prägenden Rußlandreise 1906, die zum Stilwandel seiner künstlerischen Sprache führte, und antwortet: Die „unerhörte Erkenntnis ging mir auf, die lautet: Du darfst alles Deinige, das Äußerste, das Innerste, Gebärde der Frömmigkeit und Ungebärde der Wut ohne Scheu wagen, denn für alles, heiße es höllisches Paradies oder paradiesische Hölle, gibt es einen Ausdruck“295.

Barlachs Antwort auf die eigene Frage verdeutlicht stellvertretend, daß für die Expressionisten die Voraussetzung künstlerischer Arbeit die Annahme war, daß jede Form Ausdruck innerer Bewegungsvorgänge sei. Auch für Ludwig Klages (1872–1956) war der Begriff des „Ausdrucks“ zentraler Gegenstand seiner Erkenntnisse. Mit seinem 1914 erschienenen Buch Ausdrucksbewegung und Gestaltungskraft suchte der Philosoph und Psychologe Klages gleichsam eine Wissenschaft vom Ausdruck zu begründen.296 Bereits in einer seiner vorangegangenen Veröffentlichungen versuchte er darzulegen, daß jede seelische Bewegung eine dazugehörige Form des Ausdrucks habe, denn jede „innere Tätigkeit […] wird begleitet von der ihr analogen Bewegung.“297 Damit teilt seine ‘Ausdruckswissenschaft’ zentrale Aussagen mit der zeitgenössischen Einfühlungsästhetik, die durch Wilhelm Worringers Abhandlung Abstraktion und Einfühlung starken Einfluß auf die bildende Kunst ihrer Zeit hatte.298 Die Schrift erfreute sich großer Popularität und wurde im Expressionimus zur theoretischen Untermauerung herangezogen.299 Worringer selbst hatte sich allerdings explizit weder auf expressionistische noch kubistische Kunstphänomene bezogen.300 Abstraktion und Einfühlung formuliert eine Anleitung zum Verständnis der zeitgenössischen Kunst und macht die

294 Barlach, 1928, S. 66. 295 Ebd. 296 Klages, 1914. 297 Ludwig Klages. Die Probleme der Graphologie, Entwurf einer Psychodiagnostik. 1910. Zit. nach: Schröder, Hans Eggert. Ludwig Klages, Die Geschichte seines Lebens. Zweiter Teil, Das Werk (1905–1920). In: Frauchinger, Ernst u.a. (Hrsg). Ludwig Klages. Sämtliche Werke. Supplement 2.1, Bonn 1972. 298 Vgl. Worringer, 1908. Worringers Text entstand 1906 als Dissertationsschrift und wurde 1908 vom Piper-Verlag als Monographie veröffentlicht. Zur Einfühlungsästhetik vgl. Allesch, 1987, S. 326–351. 299 Worringers Publikation leistete insbesondere theoretische Unterstützung für diejenige moderne Kunst, die die Rezeption primitiver Kunst mit Tendenzen zur Abstraktion verband. 300 Vgl. Bushart, Magdalena. Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911–1925. München 1990, S. 18–52. 81

Einfühlungsästhetik Theodor Lipps’ (1841–1914) fruchtbar.301 Dem menschlichen „Einfühlungsdrang“ setzt Worringer einen sogenannten „Abstraktionsdrange“ gegenüber. Nach Lipps entspräche die Form des Kunstwerks genau den Empfindungen des Künstlers, so daß es in der Lage sei, diese Gefühle auch beim Betrachter auszulösen. Dabei erfahre der Betrachter nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar. Da der Künstler in den Formen seinem Leben einen ästhetischen Ausdruck gegeben habe, sei es nun Aufgabe des Betrachters, quasi in Umkehrung dieses Prozesses den eigenen Körper selbst zu gestalten: Um den Gehalt einer Figur erfassen zu können, wurde empfohlen, die Körperhaltung der Skulptur nachzuahmen, denn nur durch die eigene Körpererfahrung könne das Kunstwerk lebendig nachempfunden werden: „Demjenigen, der das Kunstwerk voll erfassen will, bleibt nichts anderes, als sich körperlich hineinzudenken, ja hineinzufühlen, als die Figuren in ihrer ganzen Bewegung buchstäblich einmal nachzumachen.“302

Die Auffassung, daß Kunst aus psychisch-emotionalen Bedürfnissen entstehe und auch entsprechende Bedürfnisse befriedige, reflektiert die schöpferischen Zusammenhänge zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachter. Diese Auffassung bestimmt auch das Kunstverständnis von Hermann Obrist und Wilhelm von Debschitz. Ihre Lehr- und Versuchsateliers für angewandte und freie Kunst waren für Kirchner während seines Aufenthaltes in München 1903/04 der Ort „zum eigentlichen künstlerischen Studium“303. Der Schüler sollte dort „mit Lust vertiefen, verstärken, steigern zu etwas mehr als die bloße Natur, zu einer künstlerischen Leistung, indem er das, was ihn besonders ergriff, so intensiv gefühlt wiedergibt, daß der Beschauer die selben starken Gefühle empfängt, wie der Künstler sie hatte.“304

Mit diesen Worten umschreibt Obrist seine Vorstellung von einer Ausdruckskommunikation mittels des Kunstwerks, die den Kern der gesamten Lehre an der privaten Schule prägte. Das für seinen Unterricht so zentrale Moment der Einfühlung geht ebenfalls auf die Einfühlungstheorie von Lipps zurück, der von 1894 bis 1913 an der Universität München lehrte. Heute

301 Theodor Lipps (1851–1914) veröffentlichte seine einflußreiche Ästhetik 1903/1906 zweibändig: Lipps, Theodor. Bd. 1 Grundlegung der Ästhetik. Hamburg 1903. Bd. 2 Die ästhetische Betrachtung und die bildende Kunst. Leipzig 1906. Bezeichnenderweise ist „Einfühlung“ auch für Lipps kein gattungs- oder disziplinspezifisches Phänomen, sondern „ein fundamentales Prinzip der inneren Erfahrung und damit der gesamten geisteswissenschaftlichen Betrachtung“. Zit. nach: Allesch, 1987, S. 331. 302 Ausdrucksplastik, 1912, S. 5. Zur Entdeckung einer neuen Körperlichkeit für die Kunst des Expressionismus und als Metapher der Moderne schlechthin vgl. Nierhoff 2001. 303 Zit. nach: Kirchner, 1979, S. 48. 304 Obrist, 1903, S. 75. 82 vielfach vergessen, stellten seine öffentlichen Vorlesungen und Publikationen für die Entwicklung vieler damaliger Künstler wie beispielsweise Alfred Kubin, Kandinsky, Paul Klee, Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlenski wichtige Orientierungspunkte dar.305 Der Schlußsatz aus dem Programm von – „Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt“ – findet sich in Obrists Forderung wieder, daß seine Schüler „nichts, gar nichts […] abzeichnen“ sollen, das sie nicht „gefesselt“ 306 hat. Es zeigt sich also, daß Kirchner während seiner Zeit in München grundlegende Gedanken seines expressionistischen Kunstverständnisses aus den Theorien von Obrist und Debschitz sowie Lipps und Ludwig Klages ableitete.307 So wurde das geistige Klima Münchens um 1903 stark von den Gedanken Stefan Georges und seines Kreis geprägt, dem auch Klages angehörte.308 Analog zu Werken der bildenden Kunst wählt Klages, der an der Münchner Universität Schüler von Lipps gewesen war, zur Illustration seines „Grundgesetz des Ausdrucks“ die Sprache, die zur Verbildlichung innerer Vorgänge und seelischer Zustände sich bildhafter und bildkräftiger Begriffe bediene. Man müsse sich nur des wörtlichen Sinnes erinnern. Spreche man von Belastung, sähe man die Last und die Bedrückung. Man spreche von Ab-neigung, Zu-neigung, Gepackt-, Gefesselt- oder Gespannt-sein. Nach Klages gibt es nahezu kein greifbares Erlebnis, daß die Sprache nicht durch „Bewegungsfiguren“ bezeichnet hätte, die wiederum wirklicher Ausdruck des Erlebnisses seien. Überträgt man diese Gedanken auf die bildende Kunst, dann sind „Bewegungsfiguren“ lesbar. Lesen meint keine passive Rezeption, sondern fordert – gerade bei der Skuptur –, jeder Formbewegung zu folgen. So ist es möglich, die Skulptur zu erleben, denn „der körperliche Ausdruck jedes Bewußtseinszustandes ist so beschaffen, daß sein Bild diesen Zustand wieder

305 Vgl. Röske, 1999, S. 83. Vielleicht hat Kirchner nicht nur vermittels der Lehre Obrists Kontakt mit der Philosophie Lipps’ gehabt. Es wäre möglich, daß Kirchner sogar selber an den Vorlesungen dieses Professors teilgenommen hat. 306 Zit. nach: Obrist, 1903, S. 74. Vgl. Röske, 1999, S. 82. 307 Auch am Beispiel der Bedeutung von Kirchners Ausbildung zeigt sich wieder einmal, wie verschleiernd es wirkt, glaubt man allein Kirchners Selbstzeugnissen, nach denen er sich gerne als Autodidakt stilisiert: „Zu meiner Ausbildung ging ich nach München. Aber das Akademiestudium langweilte mich. Ich musste meine Lehrer anderswo suchen und fand sie in den Museen in den alten Meistern, Rembrandt für die Zeichnung, Dürer, Cranach, Breugel, Ostade, etc. für die Malerei. Zu Anfang fand ich in der Beobachtung des Lebens die größte Anregung. Ich zeichnete überall in Strassen, Lokalen, Theater, etc.“ 1925/26, zit. nach: Kornfeld, 1979, S. 333. Erst Hoffmann, 1999; Röske, 1999 und Mühlenberend, 2001 weisen durch die detaillierte Aufschlüsselung auf die Wichtigkeit von Kirchners Ausbildung und die kunsttheoretische Beeinflussung durch seine akademischen Lehrer hin. 308 Vgl. Kirchner, 1980/81, S. 28 und Röske, 1999, S. 84. 83 hervorrufen kann“309. Dies ist der wichtigste Berührungspunkt des kunstphilosophischen Gedankenguts von und der ‘Ausdruckstheorie’ Klages’.310 An die Stelle formaler Analyse soll Nacherleben treten. Folgerichtig würde ein sanftes Ineinanderübergehen von wellenförmigen Bewegungslinien ein anderes Gefühl erzeugen als gebrochene Linien mit abrupten Richtungswechseln. Auf eine Figur aus Stein mit weicher Linienführung und polierter Oberfläche wie Archipenkos Blaue Tänzerin von 1913 [Abb. 25] müsse der Betrachter demzufolge anders reagieren als beispielsweise auf Kirchners Tanzende Frau [Abb. 58], auf eine antike Karyatide anders als auf Heckels Trägerin [Abb. 17]. Die Aufnahme des Kunstwerkes ist im Expressionismus keine intellektuelle mehr, da die Forderung lautet, „nicht mehr zu erkennen, sondern zu fühlen“, um in das „Gefühl hineinzugelangen, aus dem in dem Maler des Werk erwuchs“311. Im direkten Nachspüren, Nachfühlen, Nacherleben, der tatsächlichen Begegnung mit der Skulptur wird der Betrachter also gleichsam selbst zum schöpferisch Handelnden. Darin spiegelt sich das, was 1906 im -Programm als ‘Gemeinschaft aller unmittelbar und unverfälscht Schaffenden’ angelegt war. Der passive Betrachter wird in der Vorstellung der Expressionisten zum aktiv (Nach)Erlebenden. Auch der eingangs zitierte Theodor Lipps betrachtet sein Phänomen der „Einfühlung“ nicht nur „als eine Projektion von Gefühlen auf ein ästhetisches Objekt, sondern als emotionale Teilnahme an der Natur des betrachteten Objekts, somit eher als einen kommunikativen denn als einseitig gerichteten Prozeß“312.

Man wollte sich ganz dem rezeptiven Erlebnis hingeben und glaubte, daß Kunst so leichter aufzunehmen sei und direkter den Weg zum Betrachter finden könne. Mit dem Ansinnen, „einem Gefühl […] konzentrierten, unbegrifflich direkten und nur auf diesem Wege möglichen Ausdruck zu geben“313, sollte auch die Reaktion auf das Kunstwerk direkt erfolgen und unmittelbar. Ein emotionaler Prozeß soll an die Stelle eines rationalen treten, (körperliches) Erlebnis an die Stelle von Erkenntnis. Auch für Heckel und Kirchner läßt sich belegen, was der Philosoph und Soziologe Georg Simmel 1911 in einem Essay über Rodin schreibt: „Die antike Plastik sucht sozusagen die Logik des Körpers, Rodin sucht seine Psychologie. […] Denn das Wesen der Moderne überhaupt ist

309 Ebenda. S. 572f. 310 Klages’ Ausdruckswissenschaft fand vor dem Ersten Weltkrieg auch bei anderen Künstlern und Kunstwissenschaftlern wie Alfred Kubin, Hermann Hesse, Norbert von Hellingrath und Carl Jacob Burckhardt starke Aufmerksamkeit. Vgl. Killy Literaturlexikon, digitale Ausgabe, Berlin 1998, S. 10824. 311 Fechter, 1914, S. 23. 312 Zit. nach: Allesch 1987, S. 330. 313 Fechter, 1914, S. 21. 84 der Psychologismus, ist das Erleben und Deuten der Welt gemäß den Reaktionen unseres Inneren […]“314 Nach Simmel konzentriere sich die moderne Kunst auf das Gesicht, während die Antike den Leib betont habe, da das Gesicht den Menschen in seiner ganzen psychologischen Vielfalt zeige. „Aber diesen Charakter des Gesichtes hat Rodin dem ganzen Leib verliehen; die Gesichter seiner Figuren sind oft wenig ausgeprägt und individuell, und alle seelische Bewegtheit, alle Kraftstrahlen der Seele und ihrer Leidenschaft, die sonst am Gesicht den Ort ihrer Äußerung fanden, werden in dem Sichbiegen und Sichstrecken des Leibes offenbar […] Das Sein eines Wesens hat für das andere immer etwas Verschlossenes, in seinem tiefsten Grunde Unverständliches. Seine Bewegung aber etwas, das zu uns hinkommt oder wir ihm nachkommen können. Wo deshalb die psychologische Tendenz das Bild des ganzen Leibes formt, hält sie sich an seine Bewegung.“315

Das erklärt auch, warum besonders die Gesichter der Kirchnerschen und Heckelschen Figuren nur in den seltensten Fällen Übermittler von individuellen Gefühlslagen oder spezifischen Inhalten sind. Vielmehr versuchen die Künstler das Gesicht als klassischem ‘Botschaftsträger’ zurücktreten zu lassen zugunsten einer Typisierung und damit Entindividualisierung, die eine Identifikation mit dem Dargestellten von vornherein ausschließt.316 Der von Ernst Gombrich eingeführte Begriff der „aria“ soll zur Klärung dieses Sachverhalts beitragen. Seiner Meinung nach könnten wir die anderen „nicht wahrnehmen und nicht wiedererkennen, wenn wir nicht das Wesentliche herausfinden und vom Zufälligen“317 trennen könnten. Der vorherrschende Eindruck, den wir von einem Menschen haben, wird nur zum Teil von der physiognomischen Erscheinung bestimmt, sondern ebenso von charakteristischen Merkmalen, „die schwer zu beschreiben sind, die es uns aber ermöglichen, jemanden unter tausend anderen wiederzuerkennen“318. Gombrich bezeichnet dieses Phänomen als „aria“: „Die ‘aria’ eines Menschen ist nicht zu gewinnen etwa aus der Gegebenheit der realen Substanz eines Gesichtes […]. Die ‘aria’ eines Menschen muß

314 Simmel Georg. Rodin. In: Philosophische Kultur. Über das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne. Gesammelte Essais, Berlin 1983, S. 152f. 315 Ebd. 316 Hamann/Hermand, 1975, S. 116ff. bezeichnen dies als sogenannten „Depersonalisierungs- prozess“. In Bezug auf die Natur läßt sich eine solche Suche nach ‘Wesensformen’ anstelle von ‘Erscheinungsformen’ auch in der Plastik Franz Marcs diagnostizieren, dem es um „die Herausmodellierung einer allgemeingültigen, typisierten Form (geht), die das Tier zum Symbol erhebt und dafür durch ein intensives Naturstudium hindurch bis zur Konzentration auf das Wesentliche geht.“ Zit. nach: Hoberg, 1997, S. 148. 317 Gombrich, 1987, S. 105f. 318 Ziesche, 1993, S. 37. 85

erfunden; genaugenommen muß sie nicht erfunden, sondern gefunden werden; erfunden wird nur ihre Sichtbarkeit innerhalb einer bildlichen Fassung.“ 319

Heckel und Kirchner koppeln in ihrer Menschendarstellung diese „aria“ fast gänzlich ab. Sie behandeln in ihrer Skulptur des zumeist nackten Menschen gerade das für Gombrich Wesentliche (die Individualität) als sekundär gegenüber dem Zufälligen (das allen Menschen Gemeinsame). Das, was Kritiker dem Expressionismus vorwerfen, nämlich daß „der revolutionäre Ansatz dieser Bewegung ständig die Neigung (hat), aus dem Konkreten ins Allgemeine, Menschliche […] umzuschlagen“320, wird von Heckel und Kirchner gerade positiv verstanden und zur eigenen Werkdirektive erklärt: „Ich habe nie mein eigenes Erleben für so wichtig gehalten, daß ich es als solches der Darstellung für wert hielt, sondern ich sah in ihm menschliches Geschehen, das jedem passiert, und deshalb allgemeine Gültigkeit hat.“321

Auf das Bild des Menschen übertragen, bedeutet eine Formulierung wie „allgemeine Gültigkeit“ die Darstellung des Menschen schlechthin. Man war „der Überzeugung, daß die Formen der Kunst vereinfacht werden müßten, daß durch die Befreiung der Darstellung von Zufälligem und Individuellem, durch die Reduktion und Ausschalten aller Besonderheiten, die verborgene wesentliche Struktur hervortreten werde.“322 Und so zeigen die Skulpturen von Heckel und Kirchner überzeitliche Inhalte menschlichen Lebens wie Stehen, Tragen, Tanzen, Hocken oder Baden.323 Kommen wir zurück zur Theorie Klages’. Seiner Ansicht nach ist jede „Ausdruckserscheinung“ von einzigartiger Ursprünglichkeit und jeder

319 Vgl. Winter, Gundolf. Zwischen Individualität und Idealität. Die Bildnisbüste. Stuttgart 1985. In: Ziesche, 1993, S. 38. 320 Ueding, Gert (Hrsg.). Literatur ist Utopie. Frankfurt a. M. 1978, S. 299. 321 Brief Kirchners vom 20. Oktober 1927. In: Kirchner/Schiefler, 1990, S. 495. 322 Goldwater, 1972, S. 20. 323 Die Künstler scheinen die Skulptur zur Verdeutlichung dieser ‘Entindividualisierung’ als besonders geeignet betrachtet zu haben. Entgegen den Resultaten in der Malerei und Graphik, in der sie zahlreiche Porträts schufen, hat, soweit rekonstruierbar, lediglich Kirchner Bildnisse in Holz geschaffen. In seinem gesamten plastischen Werk sind allerdings nur drei dahingehende Skulpturen entstanden. Sie zeigen jeweils Erna Schilling, die seit 1912 Kirchners Lebensgefährtin war. In der gesamten Literatur zum Künstler wird sie als Erna Kirchner, geb. Schilling geführt, obwohl sie nicht verheiratet waren. Die drei Skulpturen sind eine eigene Verschmelzung aus Büste und Kopfabbild und entstehen in Abständen von etwa 10 Jahren. Aus dem Jahr 1912 stammt Kopf Erna, den Kirchner aus Treibholz auf Fehmarn fertigt. Kirchners zweites Holzbildnis ist das 1932/33 entstandene Doppelportät – Ernst Ludwig und Erna Kirchner. Es ist stilistisch ganz Kirchners Spätstil zuzuordnen, der in der Plastik etwas später als in der Malerei einsetzt und in diesen Jahren in einer kleinen geschlossenen Werkgruppe von etwa drei Stücken seinen Ausdruck erfährt. Das Bildnis Erna Kirchner von 1936/37 ist eines der letzten Holzbildwerke Kirchners. Abb. in: Kirchner Museum Davos, 1992, Kat. 463–468, 490. 86

Ausdruck unwillkürlich. Nicht mehr unwillkürlich sind dann die aus ihr hervorgehenden Leistungen eines geistigen Wesens; sie zeigen anstelle der Ursprünglichkeit eine mehr oder weniger gemeisterte Form. Form ist für Klages allein das Resultat einer Wiederverschmelzung der lebendigen und geistigen Anlagen – oder „die Durchgeistigung des Sinnlich-Vitalen“324. Das Maß dieser Durchgeistigung, von Klages als „Formniveau“ bezeichnet, ist für ihn grundsätzlich an jedem menschlichen Leistungsniederschlag, somit auch auf künstlerischem Gebiet möglich: „Nicht das macht den Tondichter, daß er Töne und ihre Verbindungen behalte, nicht das den Bildhauer, daß er an zahllose Raumformen denke, nicht das den Maler, daß er den Kopf sich mit Linien und Farben fülle, sondern jeweils darin besteht ihre beherrschende Fähigkeit, daß sie ihr Inneres leichter und besser als Unbegabte in Farben, Formen, Tönen auszusprechen imstande sind.“325

Die Fähigkeit, Leistungen von hohem „Formniveau“ zu vollbringen, nennt Klages „Gestaltungskraft.“ Sie ist für ihn die menschliche Urbegabung schlechthin: „Das Wesen der [künstlerischen] Begabung, soweit sie Gestaltungskraft ist, besteht in der Fähigkeit, irgend ein Tun bis an den Rand mit Ausdruck zu füllen […]“326 Eine solche Direktive bedingt ein Ausdruckswollen, dessen gelegentlich durchaus gewaltsamer Umgang mit dem Material bei Heckel und Kirchner nur allzu deutlich die Klagessche ‘Ausdrucks- Füllhöhe’ ihres Tuns aufzeigt. Dieses Ringen um Expressivität fordert die gesehene Wirklichkeit geradezu heraus, will sie umformen, neu entstehen lassen, neu aufbauen, ohne Rücksicht auf die Zerstörung der Form oder ästhetische Ideale. Ästhetische Traditionen werden damit dem Primat des Ausdrucks untergeordnet. Konsequenterweise führt dies oftmals dazu, daß dort, wo die naturgegebene Form nicht mehr ausreicht, die innere Bewegung auszudrücken, die Form verdreht, sogar gesprengt und zerstört wird, um sie den inneren Motivationen anzupassen. Auch die Skulpturen Kirchners und Heckels sollen den Eindruck gedanklich durchdachter und dann mit technischen Mitteln realisierter Eigenwesen vermitteln, in denen oftmals die formalen Strukturelemente so kraß wie nur möglich hervorgehoben werden, um das von der Natur Vorgegebene als Konstruktionselement, als Material, als Ausdruck des Aktivierenden und

324 Klages, 1914, S. 347. Durchaus in kritischer Betrachtung der Bergsonschen Lebensphilosophie, der er „monistischen Lärm“ vorhält, betrachtet Klages den Durchdringungsvorgang nicht ausschließlich unter dem Primat des Lebens, sondern „statt zu sagen, das Leben habe mit seiner Woge den Geist ergriffen, kann man auch umgekehrt ihn in jenes hinabgesenkt denken“, Klages, 1914, S. 347. 325 Klages, 1914, S. 340. 326 Ebd., S. 341f. 87

Energetisierenden, als „Rhythmus der Form“ deutlich hervorzuheben, damit der Betrachter sich nicht „im Andächtigen und sehnsuchtsvoll Schmachtenden“327 verliert. Statt dessen sollte „ein solcher Expressionismus uns geradezu nötigen, […] uns hinzugeben, wie früher die Heiligen der Kultbilder uns durch ihre Ekstase zum Gottesdienst fortrissen“328.

2. „Unverfälscht“ – Primitivismus, Primitivismen und die Bedeutung Gauguins

„[Ich] wollte ein bißchen wissen, wer von uns beiden mehr wert sei; das naiv-brutale Wilde oder das verweste Zivilisierte.“329

„Maxime: Kunst und Leben in Harmonie, unverfälschte Expressivität als Lebensform. Einer war ihnen vorangegangen: Paul Gauguin, der Börsenmakler und Matrose.“330 Dieses Zitat faßt die Punkte zusammen, unter denen das Verhältnis von Heckel und Kirchner zu Gauguin betrachtet werden soll. Ein Gesichtspunkt dabei ist die mit Gauguin in intellektuellem Gleichklang befindliche Rezeption außereuropäischer Kultur als Harmonie von Mensch und Natur. Ein weiterer der aus dieser Anschauung sich entwickelnde bildhauerische Niederschlag einer „unverfälschten“ Expressivität. Dabei geht es nicht um die Frage, ob und welche Bildwerke Gauguins die -Bildhauer tatsächlich gesehen haben könnten.331 Ebenso sollen gegenüber bisherigen Untersuchungen332, die sich ausführlich mit ikonographischen und stilkritischen

327 Hamann/Hermand, 1976, S. 217. 328Hamann, Richard. Krieg, Kunst und Gegenwart. o.O., 1917. Zit. nach: Hamann/Hermand, 1976, S. 216f. 329 Paul Gauguin in einem Brief an Daniel de Monfreid vom Mai 1902. Zit. nach: Noa Noa, 1991, S. 214. 330 März, 1998, S. 272. 331 Kropmanns, 1998, S. 260 weist nach, daß 1905 im Rahmen einer Gauguin-Ausstellung in Weimar auch ein Holzbildwerk ausgestellt war (vgl. auch ders. The Gauguin Exhibition in Weimar in 1905. In: Burlington Magazine, Bd. 121, H. 1150, Januar 1980, S. 24ff.). Auch die 1906 in Weimar gedruckte Gauguin-Monographie von Jean de Rotonchamp zeigte mit der Maske einer Tahitierin von 1891/93 ein Holzbildwerk auf dem Titelblatt (vgl. ebd., Abb. S. 260). Möglicherweise lernen die Künstler Gauguins plastisches Werk auch durch Amiet kennen, der mit Gauguin in der Bretagne gearbeitet hatte, oder durch Jens Ferdinand Willumsen. Den dänischen Bildhauer, Graphiker, Maler und Architekten beabsichtigten die Künstler zur Mitgliedschaft aufzufordern (vgl. Woesthoff, 1996, S. 256). Willumsen hatte im Juli 1890 Gauguin in der Bretagne und 1891 in Paris getroffen. Der Däne bestätigt für sein hölzernes Relief Prostitute, awaiting her prey in ‘Montagnes russes’, 1890, die Beeinflussung durch Gauguins 1889 entstandenes Werk Soyez amoureuses vous serez heureuses, ein bemaltes Relief aus Lindenholz (vgl. Paul, 1980, S. 39). Er besaß außerdem mit Luxus selbst eine bemalte hölzerne Statuette von der Hand Gauguins, die dieser ihm 1891 im Tausch für ein Gemälde Willumsens überlassen hatte (vgl. Woesthoff, 1996, S. 41 und Zweite, 1996, S. 52). 332 Bspw. Gordon, 1966, S. 355ff. und Lloyd, 1991, S. 26. 88

Vergleichen von und Gauguin befaßt haben, hier diese Gesichtspunkte zurückgestellt werden zugunsten einer Betrachtung der Schlüsselposition Gauguins hinsichtlich der gemeinsamen gesellschafts- utopischen Dimensionen.333 Die Beschäftigung der mit Gauguin setzt früh ein. Die Künstler lernen ihn spätestens 1904 durch eine Gauguin-Ausstellung im Münchner Kunstverein und durch Meier-Gräfes Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst kennen.334 Auch auf der 3. Deutschen Kunstausstellung in Dresden 1906 war der Franzose durch einen Photoband vertreten. „In dem von Frankreich ausgestalteten Ausstellungsraum lagen mehrere dicke, etwa ½ zu ¾ m große Bände mit photographischen Wiedergaben von Meisterwerken moderner französischer Kunst aus. Wir bestaunten diese großen hervorragenden Wiedergaben der Bilder etwa Van Goghs oder Gauguins.“335

Denn es „darf doch nicht vergessen werden, daß ein Einfluß nicht unbedingt erst wirksam werden muß, wenn das Neue in breiter Front auftritt. Bei gleichem Gestimmtsein und aufmerksam gespannter Aufnahmebereitschaft genügen schon die kleinsten Zeugnisse zur Anregung. Eine postkartengroße Repro- duktion zum Beispiel kann völlig neue Welten erschließen.“336 Vor allem das malerische Werk des Franzosen stand im Mittelpunkt ihres Interesses: „Gauguin bewundere ich sehr – ich habe ja von ihm einige wunderschöne Bilder – Folkwang Museum – gesehen.“337 Darüber hinaus fand 1910, zeitgleich mit der -Schau im September, eine Gauguin-Ausstellung in der Galerie Arnold in Dresden statt. Diese Ausstellung, für die Kirchner das Plakat entworfen hatte, dürfte den Künstlern eine Bestätigung gewesen sein bezüglich des hohen Stellenwertes außereuropäischer Kunst für die Entwicklung des eigenen Kunstschaffens.

333 Vgl. dazu März, 1998, S. 276–282. 334 Vgl. Kropmanns, 1998, S. 254ff. 335 Vgl. Bleyl, 1948, S. 211 und Zitat S. 214. 336 Buchheim, 1956, S. 68. Zur generellen Bedeutung der Kunstphotographie als Anregung von Künstlern vgl. Kropmanns, 1998, S. 270, Anm. 60. 337 Brief Heckels an Amiet vom 30. Januar 1908. Zit. nach: Lloyd, 1991, S. 239, Anm. 19. 89

2.1. Das Ideal eines natürlichen Lebens

„Ich komme der Wahrheit nahe, der Natur“338

„Was Gauguin in der Südsee gesucht hatte, schufen sie sich in unmittelbarer Nähe der Großstadt – ein Leben in der Art eines wilden Volksstammes.“339 Noch mehr als die Sommeraufenthalte an den Moritzburger Teichen (1909–11), auf die Schiefler hier anspielt, konnten die Ostseeinseln Fehmarn und Hiddensee, am Rande der damals frequentierten Welt, durch ihre Abgeschiedenheit und ihre unberührte Natur zum gesuchten Arkadien für die Künstler werden.340 Besonders für Kirchner wurden die dort – oder unter dem dortigen Eindruck – entstandenen Gemälde und Skulpturen der Sommer 1912/13 zur Gegenstandswerdung der angestrebten Einheit von Mensch und Natur.341 Kirchner und Heckel mußten dafür jedoch nicht wie Gauguin in ferne Länder aufbrechen, sondern fanden dessen ‘fernes Paradies’ an der heimatlichen Ostseeküste: „Ocker, blau, grün sind die Farben von Fehmarn, wundervolle Küstenbildung, manchmal von Südseereichtum, tolle Blumen mit fleischigen Stielen und dazu eine durch Inzucht ziemlich degenerierte Bevölkerung.“342

Für Kirchner und Heckel bot Gauguin ein hohes Maß an Identifikationspotential. Seine Suche galt ebenfalls dem ‘irdischen Paradies’, dem „Leben im Urzustand“343. Mit seiner Reise in die Südsee verfolgte auch Gauguin das Ziel, Menschen zu finden, die in friedlicher Harmonie miteinander ein einfaches und erfülltes Leben führen und deren Kunst und Leben miteinander aufs engste verknüpft sind. Auch bei Gauguin sind die in den Werken dargestellten Männer, Frauen und Mädchen keine professionellen Modelle, sondern Mitglieder seines Lebensumfeldes. Die Rolle der Künstlerkollegen und Freunde nehmen bei Gauguin die Nachbarn und Dorfbewohner ein. Die Freundinnen und Lebensgefährtinnen von entsprechen auf Tahiti Gauguins jeweiligen Lebensgefährtinnen. In Gauguins Werken finden sich Menschen, die in unberührter Natur leben und, von moderner Zivilisation

338 Gauguin. Zit. nach: März, 1998, S. 276. 339 Schiefler, Gustav. Erich Heckels graphisches Werk. In: Das Kunstblatt 2, 1918. 340 Bezeichnenderweise wählte Heckel auf der touristisch erschlosseneren Insel Hiddensee nicht den mit konventionellem Badebetrieb bevölkerten Südstrand, sondern zog den abgelegenen nördlichen Teil vor. 341Wie sehr Kirchner das Leben dort in seiner Kreativität beflügelt haben muß, beweist die ungeheure Anzahl von 650 Arbeiten (Zeichnungen, Pastelle, Aquarelle, Gemälde und Skulpturen) nach Fehmarn-Motiven, die er während seiner Sommeraufenthalte 1912 bis 1914 geschaffen hat. Vgl. Henze, 1997, S. 23. 342 Brief Kirchners an Schiefler vom 31. Dezember 1912. Zit. nach: Henze, 1997, S. 32. 343 Goldwater, 1972, S. 19. 90 unbeeinflußt, selber Teil dieser Natur sind. 1925/26 beschreibt dies auch Kirchner rückblickend für das eigene Werk: „1912 bis 1914 verbrachte ich die Sommermonate auf Fehmarn. Hier lernte ich die letzte Einheit von Mensch und Natur gestalten und vollendete das, was ich in Moritzburg angefangen hatte.“344 Gauguins Übersiedlung in eine ihm vollkommen fremde Welt, hatte zum Ziel, sich von der Zivilisation zu befreien, und so berichtet er in seinen Erinnerungen: „Meine Füße sind in der ständigen Berührung mit den Kieselsteinen hart geworden und haben sich an den Boden gewöhnt; und mein Körper leidet nicht mehr unter der Sonne. Die Zivilisation fällt nach und nach von mir ab.“345

Gauguin schildert dabei die Notwendigkeit des eigenen (körperlichen) Erlebens für die Wahrnehmung dieser neuen Welt. Analog zu den Aufenthalten Heckels und Kirchners auf den Ostseeinseln, erachtet auch Gauguin die Wirkung äußerer, als natürlich empfundener Zustände als zentral, um natürliche Innenwelten zu erzielen: „Ich beginne einfach zu denken, nur noch wenig Haß für meinen Nächsten – ja, eher Liebe zu empfinden. Ich genieße alle Freuden des freien, animalischen und menschlichen Lebens. Ich entfliehe dem Erkünstelten, ich nähere mich der Natur.“346

Auch für Kirchner ließ sich beispielsweise mit dem eigenhändig hergestellten Boot das Gefühl der Distanz zur Zivilisation intensivieren und das Selbstverständnis einer authentisch empfundenen Nähe zur Natur unterstreichen [Abb. 48]. Nicht nur im Einbaum, sondern auch in der Gesichtsgestaltung des Paddelnden wird das Verständnis einer Analogie von eigenem Leben und dem der Naturvölker spürbar. Die kantige Nase, die in die Augenbrauen übergeht, wulstige ovale Lippen und ein vorgeschobener Unterkiefer erinnern an Formen afrikanischer Skulptur. Daß Heckel und Kirchner bei dieser suggestiven Wirkung von Natur, die innere Zustände harmonisieren sollte, den künstlerischen Nutzen in den Vordergrund stellen, wird daraus ersichtlich, daß sie an die umgebende Natur selbst gestalterisch Hand anlegen. Nicht nur ‘natürliche Natur’, sondern auch ‘artistische Natur’ soll in Wechselbeziehung zum Menschen gesetzt werden. So wie sie in ihren Ateliers in Dresden und Berlin eine eigene Lebenswelt kreierten, so gestalten Heckel und Kirchner eine eigene Binnenwelt innerhalb ihrer ‘exotischen’ Dependancen am Strand der Ostsee. Dabei bedienen sie sich mit großen Tüchern und eigenen Skulpturen sogar der gleichen Gestaltungsmittel wie in der Stadt. Mit Hilfe großer Tücher errichtet sich Heckel beispielsweise ein

344 Manuskriptentwurf Kirchners. Zit. nach: Grisebach, 1995, S. 60. 345 Noa Noa, 1991, S. 28. 346 Ebd. 91

Strandzelt, so wie er es in Berlin in seinem Atelier getan hatte, wo bemalte Wandbehänge und seine Skulpturen eine einzigartige Atmosphäre erzeugten. Dazu gehörte dort auch ein Zelt aus bemalten Stoffbahnen, das zum Umziehen der Modelle und gelegentlichen Gästen zum Übernachten diente.347 Kirchner baute für die Aufenthalte am Strand in Fehmarn eine spitzbogige Grashütte, die nicht nur die exotische Einrichtung der Dresdener und damaligen Berliner Ateliers in die Ostseegegebenheiten transponiert, sondern auch umgekehrt auf die zukünftige Ateliergestaltung vorausweist. Ein Stück seines ‘Südsee-Insel- Paradieses’ nahm Kirchner mit nach Berlin, und die zeltartige Gestaltung seines Wohnateliers in der Körnerstraße 45, in das er im Herbst 1913 umzog, scheint auch das Erlebnis Grashütte am Strand zu paraphrasieren [Abb. 49]. Das Aquarell Badende vor Fehmarnküste (Akt im Bogen) zeigt einen Ausblick aus dem Inneren der Grashütte über einen Tisch mit Gläsern auf den Strand [Abb. 50]. Vor der Hütte befindet sich ein weiblicher Akt. Die gesamte Darstellung rahmt der bogenförmige Eingang der Hütte. Die Inneneinrichtung im neuen Domizil in Berlin greift diese gelebte Bildidee wieder auf. Das Photo der Berliner Zeltnische erinnert mit dem Tisch in der Mitte stark an das Fehmarner Aquarell. Die Vorhänge nehmen die charakteristische Bogenstruktur wieder auf, und auch der weibliche Akt im Aquarell mit seiner betonten Umrißlinie wirkt wie die Vorgängerin der gestickten Silhouetten des Berliner Wandbehangs. Die Stickereien, nach Entwürfen Kirchners von Erna Schilling angefertigt, zeigen Darstellungen nackter Menschen.348 Im Gegensatz zum bildnerischen Programm des Ateliervorhangs aus Dresden zeichnet sich der 1912 entstandene – möglicherweise durch die intensive Beschäftigung mit Gauguin – dadurch aus, daß die handfeste Sexualität einer paradiesischen Grundstimmung gewichen ist. Die Werke mit Fehmarn-Motiven reflektieren diese Grundstimmung. So gibt es formal keinen qualifizierenden Unterschied mehr zwischen den Silhouetten der runden Felsblöcke und den Körperformen der Badenden. Diese Gleichsetzung zeigt das paradiesische Aufgehoben-Sein des Menschen in der Natur. Beide Elemente, Mensch und Natur, werden auf den gleichen formalen Nenner gebracht und in der Skulptur der Rückschauenden sogar kombiniert [Abb. 36]. Die 81 cm hohe Figur ist 1912 während des Sommeraufenthaltes auf Fehmarn entstanden, wie ihre Darstellung auf verschiedenen Aquarellen beweist [Abb. 35]. Die Figur stellt einen stehenden weiblichen Akt dar, der über seine linke Schulter zurückschaut. Das schon bekannte additive Formprinzip Kirchners zeigt sich auch in dieser Figur. Voluminösen Beinen ist ein schlanker

347 Vgl. Heckel, 1983/84, S. 86 348 Die Stickereien sind entweder noch auf Fehmarn oder aus Anlaß des Umzugs nach Berlin entstanden. Für die vermutliche Entstehungszeit der neuen Raumausstattung vgl. Gerlinger, 1997, S. 20. 92

Rumpf eingefügt, dem zwei halbkugelförmige Brüste aufgesetzt sind. Auf dem kurzen Hals sitzt ein kubischer Kopf dessen Gesicht die, besonders für die Arbeiten im Fehmarn-Kontext charakteristische Physiognomieabbreviatur aufweist.349 Die natürliche Konvexität der Wangenknochen wird zu einer konkaven Fläche umgestaltet, der ein halbmondförmiger Mund und sorgfältig differenzierte elliptische Augen aufgesetzt sind. Die stegartige Nase geht bogenförmig in Augenbrauen und Stirn über. Die herabhängenden Arme sind aus zylindrischen Einzelformen kombiniert und laufen in breiten Händen aus, die auf den Oberschenkeln aufliegen. Tiefe Kerben trennen die einzelnen Gliedmaßen an Armbeuge und Handgelenk, und auch die Finger sind scharfwinklig umbrechend voneinander separiert. Besonders auffällig ist die Gestaltung der Beine, die die Figur zur skulpturalen Inkunabel der Aussöhnung von Mensch und Natur werden läßt. In der Gestaltung der Beine erreicht Kirchner eine vom Gegenstand unabhängige Autonomie der Formensprache, die in seinem Werk einmalig ist. Er summiert die Beine nicht durch plastische Volumina, so daß die Kerben in etwa mit den Gelenken des natürlichen Vorbildes zusammenfallen, wie er das an Rumpf und Armen der Rückschauenden getan hat, sondern wechselt die Formensprache innerhalb einer Figur. In eleganter Linienführung wird die Vorderseite von einem großen Bogen gebildet, der nicht in Oberschenkel, Knie und Unterschenkel unterscheidet. Auf der Rückseite dagegen bezeichnen zwei etwa gleich große Bögen Gesäß und Oberschenkelrückseite, und ein kleinerer läuft zur Bezeichnung von Wade und Ferse in dreieckigen Füßen aus. Was an der Beinvorderseite als Oberschenkel bezeichnet wird, befindet sich bei genauerer Betrachtung hier an der Rückseite auf Höhe des Gesäßes. Die Oberschenkelrückseite ist infolgedessen derart tief, daß anstelle der konkaven Kniekehle eine konvexe Ballonform sich befindet. Diese Besonderheit eröffnet sich dem Betrachter allerdings nur in der hier vorgestellten Ansicht. Von vorn oder hinten ergeben sich zwei völlig autonome Ansichten, die eine derartige Raffinesse nicht vermuten lassen.350 Die Bandbreite ihrer Besonderheiten offenbart die Rückschauende nur, wenn man sich ihr mit der gebührenden Aufmerksamkeit widmet und sie umschreitet. Die additive Formensprache, die Kopfwendung um fast 180°, aus der nicht im entsprechenden Maß eine Torsion des Oberkörpers resultiert sowie die Beingestaltung und ihre Rezeptionsbedingung machen deutlich wie durchdacht Kirchner seine Rückschauende kreiert. Anders als Dahlmanns, halte ich die Skulptur deshalb nicht für „organisch“ und „in starker Affinität zur natürlich

349 Vgl. Kapitel IV.2.3.1. 350 Die Ansichtigkeit von Kirchners Werken wäre eine eigene Untersuchung wert. Vgl. bspw. Henze, 2001, S. 191 und Protzmann, 1995, S. 15ff. 93 gewachsenen Form“351 des Holzes, sondern für mit hohem Reflxtionsgrad komponiert und realisiert; dies allerdings unter Benutzung der Ausdruckskraft „des gefundenen, von der Urkraft des Meeres geglätteten Treibholzes“352. Nicht nur in der Materialauswahl, sondern auch in der Artikulation der Formen manifestiert Kirchner in dieser Skulptur sein Verständnis von Mensch und Natur. In den Beinen scheint die Fehmarn-Landschaft tatsächlich Gestaltungselement geworden zu sein und sich eine Durchdringung von Mensch und Natur im Kunstwerk zu realisieren. Die Wellenbögen des Meeres und die Küstenformationen Fehmarns haben in die Beinform der Skulptur Eingang gefunden. Die extrem beruhigte Silhouette der Figur in Vorder- und Rückansicht, bei der das Umwenden keinerlei Bewegung evoziert, wird erst durch die Einbeziehung der Naturformen dynamisiert und so das Bild des Menschen erst durch die Natur ‘verlebendigt’. In einer Farblithographie des gleichen Jahres fügt Kirchner seinem Ins Meer steigenden Mann ebenfalls abstrakte Bogenformen bei, die jetzt allerdings nicht mehr Teil der Anatomie des Menschen sind sondern statt dessen farblich den Eindruck umgebender Natur (Meer und Strand) evozieren [Abb. 37]. In großen Farbflächen überdecken blaue und gelbe Bogenformen, wie wir sie aus der Skulptur kennen, die zeichnerische Anlage des Blattes und verdeutlichen so den Prozeß der Formentransposition. Die Lithographie zeigt einen männlichen Akt mit erhobenem linken Bein in Seitenansicht, der im Begriff ist, vom Strand aus ins Meer zu gehen. Das bewegte Wasser ist nur in Abbreviatur durch fidele Wellen- und Spiralformen auf hellem Bildgrund angegeben. Mann und Uferlandschaft sind in Kontrast dazu durch dichten Farbauftrag einheitlich rot und schwarz geschildert, wodurch eine formale Nähe zwischen Mensch und Natur hergestellt wird. Darüber hinaus sind beide noch der gleichen Volumennegation unterworfen. Eckig und spröde wirken die Bewegungen des Mannes und seine Körperlichkeit ohne Massenartikulation. Auch die Steine und Hügel des Ufers werden durch den vereinheitlichenden Farbauftrag nivelliert. Der Horizont ist bis ganz hinauf an den Bildrand gezogen, so daß sich die Landschaft in Aufsicht ausbreitet. Der Ins Meer steigende Mann dagegen ist formatfüllend in Ansicht wiedergegeben. Durch die rahmenden Rundformen am oberen und unteren Bildrand macht Kirchner die Natur zur Scheibe und kreiert eine assoziative Nähe zur Plinthe, über der sich der Mann wie ein Ausrufezeichen erhebt. Wahrscheinlich ist Ins Meer steigender Mann erst nach der Rückkehr aus der Sommerfrische im Berliner Atelier entstanden. Die relativ geringe Anzahl von Graphiken mit Fehmarn-Motiven ist auf die aufwendige Handhabung des

351 Dahlmanns, Janina. Katalogtext zur Lithographie Liegende Akte am Meer unter vergleichender Verwendung der Rückschauenden. In: Kirchner, 2001, Kat. 46, S. 150. 352 Ebd. 94 schweren Lithosteins zurückzuführen. Die Eindrücke des Sommers hat Kirchner also wahrscheinlich in Form vorbereitender Skizzen mit in sein Atelier überführt, um ihnen endgültige und dauerhafte Form zu geben. Die bei der Rückschauenden zur Darstellung des Menschen benutzte Bogen-Formensprache war aus der Natur extrahiert. Die gleiche Bogenform findet in Ins Meer schreitender Mann ihren Weg aus der Menschendarstellung zurück in die Darstellung der Natur. Beide Werke werden so zum bestmöglichen Ausdruck des expressionistischen Wunsches einer Aussöhnung von Mensch und Natur.

2.2. Der Mythos vom verlorenen Paradies

„Hier in völliger Stille träume ich von gewaltsamen Harmonien inmitten natürlicher Wohlgerüche, die mich berauschen.“353

Die neue Lebenspartnerin Erna Schilling, die Kirchner unmittelbar vor der Abreise nach Fehmarn 1912 kennengelernt hatte, und Heckels Lebensgefährtin Sidi Riha354 wurden in der angestrebten Einheit von Mensch und Natur, von der die Bilder und Skulpturen der Sommer 1912/13 erzählen, von den Künstlern zur Repräsentationsfigur des Natürlichen erkoren. Darin zeigt sich ein geistiger Gleichklang mit Gauguin, der besonders in seinem wichtigsten literarischen Zeugnis deutlich wird. Nach seinem ersten zweijährigen Tahiti-Aufenthalt (1891–1893) zurück in Frankreich, verfaßte Gauguin einen autobiographisch- dichterischen Erlebnisbericht, dem er den Titel Noa Noa gab.355 Dieser wurde erstmals 1897 in der Revue Blanche veröffentlicht und sollte nach dem Willen Gauguins den Boden des Verständnisses für seine neue Kunst bereiten. Daß Gauguin in dieser Veröffentlichung künstlerische und marktstrategische Selbstinszenierung betrieb und der Text zu einem Großteil Fiktion darstellt, war zur Zeit seiner Veröffentlichung nicht bekannt, vielmehr wurde Noa Noa als realistischer Reisebericht rezipiert.356 Das Buch erschien 1908 bei Bruno Cassirer in Berlin auch auf deutsch, und Paul Fechter wünschte dem Buch, daß es eine dem Werte des Werks entsprechende Aufnahme fände.

353 Gauguin. Zit. nach: März, 1998, S. 276. 354 Sidi Riha, mit bürgerlichem Namen eigentlich Milda Georgi wurde ab 1915 auch die gesetzliche Frau Heckels. Heckel und sie betrachteten jedoch den Umzug nach Berlin im Herbst 1911 als den eigentlichen Beginn ihrer Ehe. Vgl. Geissler, 2000, S. 47. 355 Erst 1919 äußert beispielsweise Kirchner sein Erstaunen und Befremden über die Realität des Tahiti-Aufenthaltes, die aus Gauguins Briefen an seinen Pariser Malerfreund Daniel de Monfreid spricht. „Die lettres de Gauguin à Daniel de Monfreid, erschütternd und merkwürdig. Ich dachte mir Gauguin weniger brutal“ (zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997. Eintragung im November 1919). 356 Vgl. Becker, 1998. 95

„Denn außer den Tagebüchern Delacroix’, den Briefen van Goghs und dem Vermächtnis Feuerbachs, gibt es nicht viel, was sich diesem ‘Malerbuch’ an die Seite stellen kann – und vielleicht übertrifft es die andern sogar noch, weil es in der Hauptsache – vor allem heute – nicht nur von artistischer, sondern von allgemein kultureller Bedeutung ist.“357

In Noa Noa avanciert die Kindfrau zum Idealbild einer noch nicht zivilisatorisch verunreinigten und damit dem Menschen entfremdeten Natur. Gerade ihr kindliches Alter ist es – Gauguins eigene Frau Tehura ist bei ihrer Verbindung 13 Jahre alt –, das sie mit dem Ursprünglichen, bei Gauguin die mythische Götterwelt, verbindet: „Ich suche in dieser Kinderseele die Spuren der fernen Vergangenheit, die in der Gemeinschaft völlig tot ist […]. Die Männer, von unserer Zivilisation und unseren Eroberungen verführt und unterjocht, haben vielleicht vergessen. Die Götter von ehedem haben sich im Gedächtnis der Frauen einen Zufluchtsort bewahrt. Und es ist ein erregendes und einzigartiges Schauspiel, das Tehura mir gibt, wenn ich sehe, wie nach und nach ihre Nationalgötter in ihr erwachen […]“358

Tehura, die er in der nachfolgenden Beschreibung der französischen Ehefrau eines Gendarmen gegenüberstellt, wird zum Sinnbild der Natur. Körperlich ist es das Aufblühen des Frauseins und des Lebens überhaupt, geistig stellt Natur für ihn die Priorität des Glaubens gegenüber dem Gesetz dar. „Ich betrachtete einen Augenblick das symbolische Bild, das mir diese Frauen boten: Verwelken und erste Blüte, Gesetz und Glaube, Künstliches und Natur, und das erste blies über das zweite den unreinen Hauch der Bosheit und der Erbärmlichkeit.“359

Auch Kirchner bezeichnet das Kindermodell Marzella der Moritzburger Zeit als das „reine Weib“: „Es liegt ein großer Reiz in einem solch reinen Weibe […]. Freier, ohne daß doch das fertige Weib verliert. Vielleicht ist manches […] fertiger als bei den reiferen und verkümmert wieder. Der Reichtum ist sicher größer jetzt.“360

Und das Gründungsmitglied von Bleyl erinnert sich an die Attraktivität eines fünfzehnjährigen Modells, das „gerade im Zustand des Aufblühens der Mädchenknospe“361 gewesen war. Wie Gauguin bevorzugen

357 Fechter, Paul. Noa Noa. In: Die Kunst, Bd. 17, H. 11, 1908, S. 255. Zit. nach: Kropmanns, 1998, S. 261. 358 Noa Noa, 1991, S. 50. 359 Noa Noa, 1991, S. 41. 360 Kirchner, Postkarten an Heckel, S. 238. 361 Bleyl, 1948, S. 214. 96

Heckel und Kirchner in der Malerei junge und pubertierende Mädchen, deren Unbefangenheit und unartifizielle Posen ihrem Verständnis von „unverfälscht“ entsprachen. Im Zusammenhang mit der Skulptur finden sich diese inhaltlichen Implikationen beispielsweise in Heckels Badender mit Tuch von 1913 [Abb. 133]. Die Geschlechtlichkeit seiner anderen weiblichen Figuren ist hier weitgehend zurückgenommen. An ihre Stelle tritt eine geradezu kindlich-naive Attitüde, so daß diese Badende „in ihrer sublimierten Erotik […] als eine der anmutigsten Figuren Heckels erscheint“362. Das Kindliche, von gesellschaftlicher Prägung noch unverdorben, wird in einer solchen Skulptur analog zu Gauguin zum Träger der ersehnten Ursprünglichkeit. Gauguins Mädchen „sind von gelassener Ruhe und Feierlichkeit erfüllt. Mädchen mit dem melancholischen Blick der Weltabgewandtheit. Ein Nebeneinander ohne wirkliches Miteinander.“363 Der zur Schulter geneigte Kopf der Badenden, der in Verbindung mit der geschlossenen Silhouette und beruhigten Formensprache den Eindruck verträumter Selbstversunkenheit vermittelt, entspricht der Gauguinschen Weltabgewandtheit. Ein fundamentaler Unterschied besteht allerdings bezüglich des „Nebeneinander ohne Miteinander“364. In den expressionistischen Werken sorgt bei noch so beruhigter Gestik die Formensprache und die Materialbehandlung immer für eine Vermeidung kontemplativen Nebeneinanders. Kirchners Rückschauende, die nach seiner eigenen Betitelung eine Sich umschauende Badende365 darstellt, und Heckels Badende binden das Unverfälschte als abstrakten Sehnsuchtsgedanken zusätzlich durch die Spezifizierung der Skulpturen als Badende in die Realität zurück und gliedern sich in den (nach-)erlebbaren Kontext der Natur ein. Dementsprechend folgen sie Gauguin auch nicht in seiner starken Mystifizierung der Natur und der Sexualität: „Plötzlich, an einer jähen Wegbiegung, sah ich aufrecht gegen die Wand des Felsens gelehnt, den sie mehr liebkoste, als daß sie sich mit den Händen daran festhielt, ein junges Mädchen, nackt; sie trank aus einer Quelle, die sehr hoch aus den Steinen hervorsprudelte. Nachdem sie getrunken hatte, nahm sie Wasser in beide Hände und ließ es zwischen den Brüsten herabrinnen. Dann – obwohl ich kein Geräusch gemacht hatte – neigte sie den Kopf wie eine scheue Antilope, die mit ihrem Instinkt den Fremdling wittert, und forschte in dem Dickicht, das mich verbarg. Kaum aber sah sie mich, als sie sogleich mit dem Aufschrei: «Taehae!» (ein wildes

362 Wietek, I, 1984, S. 89. 363 März, 1998, S. 280. 364 Ebd. 365 So der Titel für Rückschauende auf einem Skizzenblatt im Kirchner Museum Davos, das Kirchner anläßlich seiner Ausstellung 1933 in Bern anlegte. 97

Tier!) ins Wasser tauchte. Ich stürzte an den Fluß und sah in das Wasser: niemand, nur ein riesiger Aal, der sich zwischen den kleinen Kieseln auf dem Grund schlängelte. […] Aus der Tiefe des Wassers sahen mich Krebse von außergewöhnlicher Größe an und schienen mir zu sagen: was willst Du hier? – und uralte Aale flohen bei meinem Nahen.“366

Ein weiterer gravierender Unterschied ist der Verzicht auf das Bild der Frau als femme fragile. Trotz eines äußerlich neuen Frauentypus perpetuiert Gauguin auch auf Tahiti dieses Bild, zu dessen Attributen Schutzbedürftigkeit und die Verknüpfung von Schönheit und Angst gehören: „Tehuras Entsetzen strömte einer Ansteckung gleich auf mich über […]. Niemals hatte ich sie so schön gesehen, niemals vor allem von so einer ergreifenden Schönheit. Und ich wagte es nicht […] eine Bewegung zu machen, die die Angst des Kindes hätte bis zum Extrem steigern können.“367

Diese stilisierte Erotik bei Gauguin brachen Heckel und Kirchner auf und besetzten sie lustvoll und „unverfälscht“. Die geschnitzten und bemalten Palau- Balken368 des Dresdener Völkerkundemuseums standen dabei mit ihren Szenen erotischer Freizügigkeit genauso Pate wie die von den Künstlern präsumierte sexuelle Ungezwungenheit ihrer schwarzen Modelle Milly, Nelly und Sam369.

366 Noa Noa, 1991, S. 35f. 367 Ebd., S. 45. 368 Die Wahl der Wohn-, Arbeits- und Lebensumstände der in Dresden ähnelt auf frappierende Weise denen der Bewohner der Palau-Inseln. Zentrales Organ der dortigen Gesellschaft waren die sogenannten Männerklubs, in der jeweils alle männlichen Mitglieder der Dorfgemeinschaft, die der gleichen Generation angehörten, zusammengefaßt waren. Die Mitglieder eines jeden Klubs wohnten und schliefen getrennt von ihren Familien in einem Gemeinschaftshaus. Dort erhielten die Männer Besuch von Mädchen aus anderen Dörfern, die das Leben der Männergemeinschaft aber immer nur vorübergehend teilten. Die in diesen Zeiten stattfindende sexuelle Freizügigkeit findet ihren Niederschlag auch in den Wandmalereien und geschnitzten Friesen, mit denen die Häuser ausgestattet waren. Analog der bildkünstlerischen Gestaltung der Männerhäuser gestalteten auch die -Künstler ihre Ateliers. 369 Sam, Milly und Nelly waren farbige Artisten, die 1909 und 1910 mit dem Zirkus Schumann in Dresden gastierten. Häufige Modellsitzungen für Kirchner und Heckel, nach denen zahlreiche Gemälde entstanden. Vgl. , Frauen, S. 260. 98

2.3. Primitivismus als Quelle moderner Kunst

370 „Barbarei bedeutet Verjüngung“

Die Wertschätzung primitiver Kunst371 für das eigene künstlerische Schaffen bei wurde vorbereitet durch Paul Gauguin, der als erster die Maori- Kunst zu schätzen wußte. „Paul Gauguin ist der Stammvater des modernen Primitivismus. Wohl haben vor ihm andere Maler die Kunst primitiver Gesellschaften gekannt, jedoch erkannte Gauguin als erster in diesen Kunstformen die Herausforderung an die europäische Tradition der Wirklichkeitsdarstellung. In den gedrängten und wunderlich proportionierten Formen der Stammeskunst sah er nicht den Ausdruck von Unvermögen, sondern einer freien, andersartig formenden Schöpferkraft.“372

Diese Auffassung – eine Umkehrung der Wertmaßstäbe seines durch Technik und Fortschrittsglauben beherrschten Jahrhunderts – bestimmte Gauguins Leben und Werk. Inwiefern eine solche „andersartige formende Schöpferkraft“373 Einfluß auf Heckel und Kirchner gewinnt, soll im folgenden aufgezeigt werden. Dabei lassen sich direkte Einflüsse Gauguins nur schwer erkennen.374 „Gauguin hat im Entwicklungsgang der mehr versteckte

370 Gauguin. Zit. nach: März, 1998, S. 276. 371 In den folgenden Ausführungen werden die Begriffe Primitivismus und primitive Kunst verwandt. Dabei schließe ich mich William Rubins’ (Primitivismus, 1984, S. 9.) Definition an, nach der Primitivismus oder moderner Primitivismus „die Entdeckung der Kultur der Naturvölker und die Offenheit für die Stammeskunst aus Afrika und Ozeanien, der Eskimos, der Indianerstämme der Nordwestküste und des übrigen Nordamerika bezeichnet sowie ihren Einfluß auf europäische Maler und Bildhauer von Gauguin bis Moore und später auf die Amerikanischen Abstrakten Expressionisten und darüber hinaus“. (Wilkinson, 1999, S. 35) Der Begriff beinhaltet somit die künstlerische Orientierung an allen künstlerischen Stilen, die nicht einem klassischen, d.h. an der europäischen Antike orientierten Formenkanon folgen. Es ist allerdings zu bedenken daß, der Terminus nicht frei ist vom Beigeschmack ästhetischer Vorläufigkeit und Rückständigkeit und einem evolutionistischen Zivilisations- und Kunstkonzept entspringt. Um zu unterstreichen, daß primitiv und primitive Kunst als wertfreie kunsthistorische Termini fungieren sollen, wurden nach dem Vorbild Rubins die Anführungszeichen weggelassen. 372 Varnedoe, Kirk. Paul Gauguin. In: Rubin, 1984, S. 186–218. Hier: S. 187. Der von Varnedoe verwendete Begriff der Stammeskunst ist übrigens nicht unproblematisch, da es sich bei vielen als Stammeskulturen bezeichneten Kulturen im ethnologischen Sinn gar nicht um solche handelt und der Begriff von afrikanischen Gelehrten als eurozentristisch abgelehnt wird. Vgl. Rubin, 1984, S. 85. 373 Ebd. 374 Bezeichnend ist jedoch, daß Heckel Gauguin anführt, um das eigene plastische Werk (retrospektiv) beispielhaft zu charakterisieren: „In der Plastik, die aus dem Stamm oder Stein herausgeschlagene und geschnittene Form ohne Tonmodell und Übertragung, wie es bereits von Gauguin […] getan wurde, nur daß wir diese Arbeiten Gauguins nicht kannten, leider, da die geleistete Vorarbeit von uns nicht genutzt werden konnte.“ Brief Heckels an Gustav Vriesen vom 8. Juli 1946. Zit. nach: Buchheim, 1956, S. 67. 99 als deutliche Spuren hinterlassen.“375 Viel eher ist er den jungen Künstlern ein Vorbild hinsichtlich des Bruches mit der bildnerischen Tradition der Antike: „Denken Sie immer an die Perser, die Kunst der Kambodschaner und etwas an das Ägyptische. Das Griechische, so schön es auch sein mag, ist der große Irrtum.“376 In dieser Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und „Unverfälschten“ zeigt sich eine Suche nach dem Wesentlichen, das durch artistisch-artifizielle Steigerung in der Nachfolge des Barock an Wichtigkeit verloren hatte. Im Gegensatz zur Skulptur des 19. Jahrhunderts versuchten Kirchner und Heckel jedoch nicht zu den Anfängen der griechischen Antike oder der Renaissance zurückzugelangen, sondern ihr suchender Blick richtete sich auf völlig andere, bisher unbeachtete Bereiche. Die Suche nach dem unverbildeten Ausdruck, wie ihn in der Stammeskunst anzutreffen glaubte, wird zum prägenden Element der eigenen künstlerischen Arbeit. „Der Intensität des Ich, die sich im Aufbrechen der Formen […] verrät, soll gerade eine intensivierte, elementare Erfahrung der Dingwelt entsprechen. Überall sucht man nach vorzivilisatorischen Ausdrucksformen, die das gerade nicht entfremdete Antlitz des Menschen, die nicht vom modernen Subjekt deformierte Wirklichkeit bloßlegen sollen.“377

Für die mittels Unverbildetheit des künstlerischen Ausdrucks erneuerte Suggestionskraft der Werke sollte die „Verarbeitung der elementarsten und mächtigsten Formensprache“378 fruchtbar gemacht werden. Die europäische Scheidung von Kunst und Kunstgewerbe, von Hochkunst und Alltagskunst gibt es in außereuropäischen Kulturen in dieser Grundsätzlichkeit oftmals nicht. Für den Expressionismus der war Gauguin auch hierin vorbildhaft, weil er diesen Kategorien nicht mehr folgte. Nach einer kurzen akademischen Phase beginnt mit der Hinwendung zur Keramik ab 1886 seine künstlerisch-primitivistische Neupositionierung. „Dezidiert barbarisch und damit antiklassisch“379 sind dann auch Gauguins Selbstbildnis in Form eines Henkelgefäßes von 1887, sein bemaltes Holzrelief Soyez mysterieuses von 1890 [Abb. 51] und stärker noch Oviri [Abb. 52], eine Keramikplastik von 1894, bei der Gauguin Motiv, Farbgebung und Material zum Inbegriff von „Wilder“ (Oviri = tahit. für Wilder) verbindet380.

375 März, 1998, S. 282. 376 Brief Gauguins an de Monfreid vom Oktober 1897. Zit. nach: Noa Noa, 1991, S. 139. 377 Vietta/Kemper, 1985, S. 48. 378 Worringer, 1911, S. 96. 379 Franzke, 1982, S. 24. 380 Vgl. Kostenewitsch, 1998. 100

Wie hatte zuvor Gauguin die Durch- und Umgestaltung des eigenen Lebensraumes vorgelebt. Seine gattungsübergreifenden Arbeiten auf dem Gebiet der Malerei und Bildhauerei und seine Werke als Reliefschnitzer und Keramiker zeugen vom Bemühen um das Gesamtkunstwerk. Gauguins Heim auf der Marquesas-Insel Hiva Oa „war ein kleiner, mit pornographischen Szenen tapezierter Raum mit großem Bett vorgelagert, in dessen Sockelleisten die beiden Maxime des Künstlers eingeschnitten waren: ‘Soyez mysterieuses’ und ‘Soyez amoureuses et vous serez heureuses’.“381

Aber auch sein Pariser Domizil in der Rue Vercingétorix, in dem Gauguin während seines Zwischenaufenthaltes 1893 residierte, erfuhr eine künstlerische Durchgestaltung. Über der Tür kündete das Motto „Te farùrù“ (Hier huldigt man der Liebe) von der Andersartigkeit eines Weltbildes, das hier gelebt werden sollte: „Dieser ziemlich große Raum, ganz in hellem Chromgelb gestrichen, gab einem sofort das Gefühl des Fremdartigen und Unerwarteten. An den Wänden mit den Barbarengemälden kreuzten sich Trophäen kriegerischer Requisiten, Bumerangs, Äxte, Spieße, Lanzen alles aus unbekannten Hölzern: dunkelrot, orange, schwarz.“ 382

Gauguin lebte hier gemeinsam mit der Javanesin Annah Martin, einer „stolzen glutäugigen Mulattin“, und ihrem Affen, der „inmitten der Staffeleien“383 kauerte. Das Ambiente inszenierter Exotik erinnert an die Ateliers von Kirchner und Heckel: „Er empfing uns in einem Dachraum der mit farbigem Stoff wie ein Zelt eingerichtet war. An den Wänden standen aus Holz geschnitzte Plastiken, Weiber und Männer mit großen Köpfen und irgend einem starken Ausdruck in Gebärde und Bewegung. Selbstgeschnitzte Bänke und Sitze standen herum. Hinter bunten selbstgefärbten Vorhängen standen viele Ölbilder […] Rückkehr zur Urnatur ist seine Sehnsucht, so glaubt man nur Urmenschen in seinen Bildern zu sehen, badende und tanzende Körper.“384

Heckel bemühte sich, diese „Rückkehr zur Urnatur“ auch realiter zu verwirklichen. Sein Bruder Manfred lebte in dieser Zeit als Ingenieur in Ostafrika, und der Künstler träumte von einer nie realisierten Reise in jene

381 Zweite, 1996, S. 29. Vgl. ebd., S. 52. 382 Jean de Rotonchamp zit. nach: März, 1998, S. 277. 383 Ebd. 384 Eberhard Grisebach in einem Brief vom 8. Januar 1914 an Helene Spengler über das Atelier Heckels in der Mommsenstraße in Berlin. Zit. nach: Grisebach, Lucius (Hrsg.). Von Munch bis Kirchner. Erlebte Kunstgeschichte in Briefen aus dem Nachlaß von Eberhard Grisebach. München 1968, S. 32f. 101 scheinbar so wilde, ungestörte Natur. Reflexe davon lassen sich in verschiedenen Gemälden Heckels finden, in denen Gegenstände, die ihm sein Bruder mitbrachte, als Motive auftauchen [Abb. 53]. Das Ehepaar Schiefler versucht Heckel stattdessen im Landhaus der Familie in Mellingstedt, wo der Künstler im Sommer 1913 einige Wochen verbringt, ein ‘Afrika an der Alster’ zu ermöglichen. „Herr Heckel, da brauchen Sie nicht so weit zu gehen, hier bei uns geht es auch ganz munter zu, wenn die Kinder in der Alster baden und sich am Ufer jagen, so wie Gott sie erschaffen hat.“385

Bildlichen Niederschlag fanden diese Erlebnisse beispielsweise in einer Reihe von Radierungen mit dem Titel Badende an der Alster.386 Ähnlich wie bei den Gruppenerlebnissen an den Teichen in Moritzburg bei Dresden oder an der Ostsee konnte hier der menschliche Körper in seiner natürlichen Nacktheit – nicht in akademischer Pose – studiert werden. Die Absage an den akademischen Schönheitskanon verband die Expressionisten. Auch Barlach fand das Ersehnte nicht „im Klassischen“, sondern anderswo erfüllt, „und sei es selbst in Neger- und Indianerskulpturen“387. Und auch Lehmbruck forderte Ursprünglichkeit: „Ein jedes Kunstwerk muß etwas von den ersten Schöpfungstagen haben, von Erdgeruch, man könnte sagen: etwas Animalisches.“388 Die Sehnsucht nach den Ursprüngen meinte im Expressionismus nicht den sehnsüchtigen Blick auf die Vollkommenheit der Antike; die Suche richtet sich viel weiter zurück auf die vermeintlichen Ursprünge jedweden künstlerischen Ausdrucks. Bei Heckel und Kirchner fangen die überproportional großen Köpfe, das Fehlen jeglicher Ponderation, die oftmals grob behauene und roh belassene Oberfläche und die kühne Bemalung etwas von der ersehnten Urkraft der primitiven Vorbilder ein. Die Künstler suchen damit nach einem neuen Weg zum Ausdruck des inneren Bildes der sichtbaren Welt. Die Intensität des Gefühls bedurfte unverbrauchte Formen. Das klassische Schönheitsideal der europäischen Kunst- und Geistesgeschichte konnte dafür nicht geeignet sein. Die Orientierung an außereuropäischer Kunst brachte dagegen Harmonie nicht als sorgfältige Ponderation, sondern als Disharmonie, Schönheit nicht als Ebenmaß, sondern in roh belassenen Oberflächen. Deren Arbeitsspuren bildeten Kanten und Ecken, an denen sich die künstlerische Phantasie buchstäblich festhalten und entzünden konnte. „Gegensätze und Widersprüche – das ist unsere Harmonie“389,

385 Schiefler, Luise. Gustav Schiefler. Aus den Erinnerungen von Luise Schiefler. Aufgezeichnet von Hans Platte. Hamburg 1965. S. 37. 386 Vgl. Flussbad, 1913 (D 120) und Badende an der Alster, 1913 (D 121). 387 Brief Barlachs an Wilhelm Radenberg vom 8. August 1911. Zit. nach: Barlach, Briefe, S. 375. 388 Zit. nach: Westheim, Paul. Wilhelm Lehmbruck. /Berlin 1919, S. 56. 389 Kandinsky, 1912, S. 92. 102 verkündet Kandinsky und meint in Gegenreaktion auf die klassischen Vorgaben Ausdruck statt Schönheit, Dissonanz statt Harmonie, Monumentalität statt kleinteiliger Genauigkeit. Betonte Sexualorgane, typisierte Gesichter oder eine kühne und aggressive Bemalung sammeln daher für die Künstler mehr von der sichtbaren Welt als die realistische Wiedergabe. Die Expressionisten erhofften sich in der Begegnung mit außereuropäischer Kunst, den Schöpfungen vermeintlich ungezähmter und ungebildeter Menschen, den Ursprüngen schöpferischen Daseins nahe zu kommen. Dabei orientierte man sich bezeichnenderweise nicht so sehr an alten Hochkulturen wie Japan oder China, sondern an scheinbar geschichtslosen Naturvölkern, denen man am ehesten die Ungekünsteltheit, die Unverdorbenheit, die Kraft zutraute, Kunst und Leben im als degeneriert empfundenden Europa wiederzubeleben: „Überzüchtete, blasse, dekadente Kunstwerke gibt es genug, – daher mag es gekommen sein, daß werdende Künstler am Urwüchsigen sich orientierten.“390 Man wollte, mit den Worten Wilhelm Worringers, nicht länger „seelische Luxusgefühle“ darstellen, sondern „elementare Notwendigkeitsempfindungen“391 auslösen. „Um das zu erreichen, zwingen wir uns zu jener primitiven – durch kein Wissen und keine Erfahrung gebrochenen – Art des Sehens“392. Diese „ist nur ein Mittel, den letzten elementaren Wirkungsmöglichkeiten der Kunst nahe zu kommen“393. Für das Bemühen um diese „elementaren Wirkungsmöglichkeiten der Kunst“ sollte die „Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker“394 nutzbar gemacht werden und so aus künstlerischer Regression letztendlich künstlerische Progression entstehen. Durch die Ausweitung des ästhetischen Bewußtseins seit Beginn der Moderne konnte auch das Magische, Groteske und sogar Häßliche, wie es besonders in den Skulpturen und Masken außereuropäischer Kulturen zu finden ist, künstlerisch wirksam werden [Abb. 54]. Im Kontext des dabei zunehmend abstrakter werdenden Formenrepertoires bot die Entdeckung primitiver Kunst aber nicht nur mannigfache Formanregungen. August Macke schrieb 1912 einen Beitrag für den von Kandinsky und Marc herausgegebenen Almanach , dem er den Titel „Die Masken“ gab. In diesem Text behandelt Macke, über den Bereich der formalen Anregungen hinausgehend, das Verhältnis von Bewußtem und Unbewußtem, von Form und Geheimnis: „Die Form ist uns Geheimnis, weil sie der Ausdruck von geheimnisvollen Kräften

390 Nolde, Urvölkerkunst, S. 195. 391 Worringer, 1911, S. 95. 392 Ebd. 393 Ebd. 394 So der Buchtitel des einflußreichen Werkes des Direktors der Dresdener Gemäldegalerie Karl Woermann. 3 Bde., Leipzig 1900ff. 103 ist.“395 Die neuen ästhetischen Ausgangspunkte sind dabei Masken aus Brasilien, Kamerun und Neukaledonien: „Sind nicht die Wilden Künstler, die ihre eigene Form haben, stark wie die Form des Donners?“396 In der Sehnsucht nach dem „Unverfälschten“ läßt sich also auch ein religiöses Element erkennen. Frontalität und idolhafte Hieratik sind daher bezeichnenderweise auch diejenigen Elemente, die Heckel bei der Verarbeitung der Anregungen außereuropäischer Kunst hauptsächlich rezipiert, beispielsweise in Frau mit Tuch [Abb. 22]. Die Gestik seiner Skulpturen ist zumeist extrem beruhigt und ähnelt darin gleichermaßen mittelalterlichen Holzschnitzereien wie afrikanischer Skulptur. Für das (religiöse) afrikanische Kunstwerk diagnostiziert Carl Einstein in seiner Schrift Negerplastik die gleichen formalen Kriterien, wie sie auch Heckels Bildwerke auszeichnen: „Das Kunstwerk muß die gesamte Raumgleichung geben; denn nur, wenn es jede zeitliche Interpretation, die auf Bewegungsvorstellungen beruht, ausschließt, ist es zeitlos. Es absorbiert die Zeit, indem es, was wir als Bewegung erleben in seiner Form integriert.“397

Heckels Stehende mit aufgestütztem Kinn, Frau mit Tuch und Große Stehende [Abb. 3, 22, 28] sind die sprechendsten Beispiele einer solchermaßen ‘bewegungsbannenden Zeitabsorbtion’. In den Ausführungen über die Formgestaltung Heckels war von dieser Art Integration von Bewegung bereits die Rede, so daß hier nur noch einmal an die Torsion der Beine und die Modellierung der Oberflächen erinnert werden soll. Daneben lehnen die Heckelschen Figuren von Beginn an die gestalterische Funktion des Raumes ab und artikulieren ihre Wirkung lediglich in der Reihung plastischer Massen. Auch in der Beschränkung auf nur eine einzige Schauseite, in der alles aufs engste zusammengedrängt wird, manifestiert sich „die Absage an eine detaillierte, differenzierte Kleinteiligkeit, und der Mut zur knappsten Form“398. Heckels Prinzip, ausladende und raumgreifende Gestik als Ausdrucksmittel zu vermeiden, entspricht auch die Steigerung formal wichtiger Teile des Gesichtes: übergroße Augen, Nase und Mund oder überhaupt die Veränderung von Proportionen durch Längung, Stauchung, Deformation, die Schmidt-Rottluff, auf Heckel übertragbar, für seine eigenen Arbeiten so begründet: „Ich bin verschiedentlich zu einer Steigerung der Formen gekommen, die zwar den naturwissenschaftlich gefundenen Proportionen widerspricht, die aber in ihren geistigen Beziehungen ausgeglichen und proportioniert sind. Köpfe habe ich oft ins Ungeheure gesteigert, als einen Sammelpunkt

395 August Macke. Die Masken. In: Kandinsky/Marc (Hrsg.). Der Blaue Reiter. 1912. Neuausgabe München 1967, S. 52–59. Hier S. 54f. 396 Ebd. 397 Einstein, 1915, S. XVI. 398 Froning, 1997, S. 136. 104

aller Psyche, allen Ausdrucks. Aber alle anderen Körperformen tendieren in ihren geistigen Bewegungen nach dem Kopf, sammeln sich darin und so wächst die Form ganz von selbst ins Große.“399

Unter dem Gesichtspunkt der Bedeutungsproportion wird der Kopf durch eine Größenverschiebung oftmals als Kraftzentrum versinnbildlicht, was in der afrikanischen Skulptur vielerlei Vorbilder findet. Dabei ist der Kopf in Relation zum Körper sehr viel größer. So in Große Stehende, Frau mit Tuch und Stehende mit aufgestütztem Kinn. Durch die Gewandung der Figuren oder das Kreuzen der Arme vor der Brust wird der Körper versteckt, was dazu führt, daß der Ausdrucksgehalt des Kopfes enorm gesteigert wird. Den Wangen widmet der Künstler dabei besondere Aufmerksamkeit. Bei allen drei Figuren abstrahiert Heckel die Wölbung des Jochbeins zu prismatischen Dreiecksformen und sorgt damit für eine Auflösung des anatomischen Zusammenhangs. Diese maskenhafte Abwandlung der Physiognomie mit geometrisch vereinfachten und kantig stilisierten Einzelformen verleiht den Figuren Heckels eine exotisch-vitale Ausstrahlung und unterstreicht die generelle Beschäftigung des Künstlers mit primitiver afrikanischer und ozeanischer Skulptur, ohne daß man unbedingt ein direktes Vorbild nachweisen könnte.400 In der Gesichtsgestaltung mittels der als unverbraucht empfundenen Formensprache versucht Heckel der Faszination für das Unverfälschte und Unverstellte im Menschen Ausdruck zu verleihen. Während er bei der Großen Stehenden und Stehenden mit aufgestütztem Kinn die Wangenformen aushöhlt und so die Oberflächengestaltung des Körpers und die des Gesichtes verbindet, findet sich bei Kirchner eine unterschiedliche Ausarbeitung von Körper und Gesicht. Er verformt nicht nur das Jochbein diametral, sondern das gesamte

399 Schmidt-Rottluff 1913 in einem Brief an Schiefler. Zit. nach: Wietek II, 1984. 400 Bezeichnenderweise führt Gordon für Heckel keine konkreten Beispiele für die Orientierung an primitiver Kunst an, sondern verdeutlicht an seinem Beispiel den Umgang der Künstler mit den Begriffen Natur und Kultur (vgl. Gordon, 1984, S. 382). Zahlreiche Beispiele, vom Palau- Balken und Palau-Giebelschnitzereien bis Benin-Bronzereliefs, versucht er dagegen als Vorbilder für Kirchner zu belegen (vgl. Gordon, 1984, S. 383, S. 385, S. 396). Zu den zahlreichen ins Spiel gebrachten Vorbildern vgl. auch Schneckenburger, 1972. Anhand der unüberschaubaren Menge der dort vorgestellten Vergleichsobjekte wird m.E. deutlich, daß es Heckel und Kirchner in den allermeisten Fällen gar nicht um die konkrete Vorbildfunktion bestimmter Werke ging, sondern vielmehr um eine selektive Auswahl einzelner Details, der für das eigene künstlerische Ansinnen adäquaten Formensprache. Deshalb ist es auch von nachgeordneter Wichtigkeit, ob diese oder jene Skulptur bereits in Dresden oder Berlin in den jeweiligen Museen zu besichtigen war. Entscheidend ist, daß Abbildungen primitiver Kunst in zahlreichen Publikationen kursierten. Einsteins Negerplastik ist nur die prominenteste und diejenige, die europaweit erstmalig von einem Mitglied der kulturellen Avantgarde zu diesem Thema verfaßt wurde. Sein Bildmaterial stammt zum großen Teil aus den völkerkundlichen Museen, so daß zur Kenntnisnahme der Exponate nicht erst das Erscheinen des Buches notwendig war. Für die Folgepublikation Afrikanische Plastik, Berlin 1922, weist Gordon bspw. nach, daß sich von 56 abgebildeten Stücken 21 im Berliner Völkerkundemuseum befanden (vgl. Gordon, 1984, S. 414, Anm. 142). 105

Gesicht unterhalb der Augenbrauen wird zur konkaven Form ausgehöhlt. Am ausgeprägtesten ist dies im Halbakt mit Hut401, aber auch in der Stehenden, Badenden, Tanzenden Frau und Liebespaar sind Augen, Nase und Mund dieser Fläche appliziert [Abb. 16, 29, 45, 58]. Bei Liebespaar [Abb. 79] zeigen beide Gesichter den gleichen Grad an Typisierung, bei dem auf eine konkave untere Gesichtshälfte zur Angabe von Mund und Nase Kreissegment und Dreiecksform gleichsam appliziert sind. Auch die Augen wirken wie auf die Gesichtsschräge aufgesetzt und nicht wie aus dem Holz herausgearbeitet. Sie werden ebenfalls von Kreissegmenten gebildet, die zu spitz zulaufenden Ellipsen zusammengefügt werden. Die Nase geht bei beiden Figuren fließend in die Stirn über. Kirchner und Heckel brechen mit der europäischen Konvention runder Wangen und gewölbter Stirn und exzerpieren aus afrikanischem Formengut ein Detail, das Himmelheber „konkaves Gesicht“ nennt.402 Er verortet diese Formensprache in der Bildhauerkunst Westafrikas.

3.1. Inspiration Afrika

„Alle haben sie Negerplastiken“403

„Der Eindruck der Ruhe wird durch das Prinzip der Symmetrie und der En-face-Darstellung noch gesteigert. Auffallend ist eine bestimmte Harmonie des ganzen Kunstwerks, eine Harmonie, die nicht durch ‘naturalistisches’ Nachbilden eines Objekts gewonnen wird, sondern die Elemente des Vorgegebenen frei und konstruktiv in einer neuen Gestalt bindet. Für diese Kunstauffassung, so glaubt man interpretieren zu dürfen, liegt die Wirklichkeit nicht in der sinnlichen Wahrnehmung, sondern in der Vorstellung. Ihr Ziel sei daher Schöpfung, nicht Nachahmung.“404

Diese Sätze lesen sich wie eine Beschreibung der plastischen Arbeiten von Kirchner und Heckel. Auf Kirchner träfe verstärkt die Addition der „Elemente des Vorgegebenen“ zu, auf Heckel das „Prinzip der Symmetrie“. Beide eint die „Harmonie des ganzen Kunstwerks“ und ein künstlerischer Schaffensprozeß im Sinne einer „Schöpfung“. Doch gelten die zitierten Gedanken nicht der , sondern der (religiösen) afrikanischen Kunst. In Ermangelung einer von den afrikanischen Künstlern selbst formulierten Kunsttheorie versucht Koloss, mit obiger Charakterisierung die afrikanische Ästhetik

401 Zu Halbakt mit Hut vgl. IV.2.3.1. 402 Himmelheber, H. The Concave Face in African Art. In: African Art, Frühjahr 1971, S. 52–55. 403 Schiefler in einer Notiz vom 9. November 1913. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 280. Dies Zitat zeigt die Bedeutung afrikanischer Vorbilder bei der Ausgestaltung der -Ateliers. 404 Koloss, 1999, S. 22. 106 zusammenzufassen. Auch das vom Autor diagnostizierte Vorherrschen von Einzelfiguren in der afrikanischen Plastik und die Aktionslosigkeit weisen meines Erachtens mehr als nur zufällige Parallelen mit den Bildwerken der -Künstler auf. Auch die in der vorliegenden Untersuchung als Entzeitlichung und Entindividualisierung bezeichneten Charakteristika der expressionistischen Bildwerke haben ihre Anregung nicht zuletzt afrikanischer Kunst zu verdanken: „Man glaubt dem afrikanischen Künstler die Absicht unterstellen zu dürfen, den Menschen nicht in einer mehr oder weniger zufälligen Zeiteinheit und Perspektive abzubilden, sondern sein Wesen zu ergründen – die verborgene Struktur der Persönlichkeit.“405

Afrika bot um 1900 eine ideale Projektionsfläche für europäische Wünsche, Sehnsüchte und Ängste. „Europäischen Defiziten an Sonne, Natur, Luft und Bewegung schienen außereuropäische Kulturen mit dem Wunschbild tanzender Halbnackter mit kräftigem Körperbau Abhilfe zu schaffen.“406 Analog dieser Vorstellung wurde in primitiver Kunst ein Ausdrucksverlangen gesehen, dessen Ursprung eine nie versiegende Vitalität zu sein schien. Auch der Gegensatz von „Zivilisation“ auf der einen Seite und „Ursprünglichkeit“ auf der anderen beruht auf einem Wunschdenken, das – je nachdem – einem Kultur- chauvinismus oder einer Zivilisationsmüdigkeit der Europäer entspringt. Trotz zeitgenössischer Erkenntnisse eines Carl Einstein407 und Leo Frobenius408 spricht man außereuropäischen und besonders afrikanischen Kulturen Zivilisation ab und betrachtet sie verklärend als Vertreter von ‘Urgesellschaften’ So betitelt auch Nolde 1912 einen, letztlich nicht realisierten, Entwurf für ein Buch über die Kunst der Naturvölker mit „Urvolkskunst“. Darin heißt es: „Die absolute Ursprünglichkeit, der intensive, oft groteske Ausdruck von Kraft und Leben in allereinfachster Form, – das möge es sein, was uns die Freude an diesen eingeborenen Arbeiten gibt.“409 In der Denkweise der zeitgenössischen Kulturtheorie wurde die Entwicklung der menschlichen Kultur als ein evolutionistischer Prozeß von den ersten Anfängen bis zur europäischen Zivilisationshöhe angesehen. Die Entwicklung wurde von den ersten primitiven Anfängen der Menschwerdung, die man noch bei den Naturvölkern zu erkennen glaubte, über die relative Kulturhöhe Asiens und Ozeaniens bis zur europäischen Zivilisation wurde damals als

405 Ebd. 406 Stephan, Peter. Der dunkle Kontinent hat viele Lichtgestalten der Kunst zu bieten. In: FAZ Nr. 114, 18.05.2002, S. 50. 407 Carl Einstein. Negerplastik. Leipzig 1915. 408 Frobenius, Leo. Die Masken und Geheimbünde Afrikas. Halle 1989. Sowie ders. Und Afrika sprach. 3 Bde. Berlin 1912–13. 409 Nolde, Urvölkerkunst, S. 195. 107 kontinuierliche Steigerung betrachtet. Einer Kultur, die dementsprechend für wild und roh gehalten wurde, konnte man die Fähigkeit zu Kunstwerken hoher Qualität nicht zugestehen. Daher wurden die völkerkundlichen Objekte, die in größerer Zahl in den 1890er Jahren als Folge des Kolonialismus nach Europa gelangten, nicht wegen ihrer ästhetischen Qualität, sondern mehrheitlich als kulturhistorisches Dokumentationsmaterial und als Kuriosa und Trophäen gesammelt.410 Es ist das Verdienst der Expressionisten, dem europäischen Publikum einen Zugang zu außereuropäischer Kunst eröffnet zu haben. Zuvor waren die fremdartigen Figuren und Masken für viele nicht nur häßlich, sondern auch der Beweis, daß diese Völker zu ‘höherer’ Kunst nicht fähig seien. Vor diesem Hintergrund erscheint das Urteil damaliger Künstler besonders visionär. Picasso bemerkte beispielsweise, „daß primitive Skulptur niemals übertroffen wurde“411, und auch Kirchner empfand: „Wie viel weiter sind doch die Neger in diesen Schnitzereien.“412 Erste Bewunderung und künstlerische Würdigung erfuhr die afrikanische Kunst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. 1897 war Benin, eine Stadt im heutigen Nigeria, von den Engländern worden und ihre Schätze nach Europa überführt worden.413 Die Hauptkunstwerke stellen Bronzereliefs dar, die in künstlerischer und technischer Qualität so hoch sind, daß man es zunächst nicht für möglich hielt, in ihren Schöpfern afrikanische Künstler zu sehen414 [Abb. 55]. Bei ihrer Würdigung wurde dann vor allem das handwerkliche Können hervorgehoben: „Diese Benin-Arbeiten stehen nämlich auf der höchsten Höhe der europäischen Gußtechnik. Benvenuto Cellini hätte sie nicht besser gießen können und niemand weder vor ihm noch nach ihm, bis auf den heutigen Tag.“415

Auch Kirchner war sich der Besonderheit der afrikanischen Kunstwerke bewußt: „Hier ist das Völkerkundemuseum wieder auf, nur ein kleiner Teil aber doch eine Erholung und Genuß die famosen Bronzen aus Benin.“416 Gleichermaßen begeistert äußert er sich jedoch auch über „einige Sachen der Pueblos aus Mexiko […] und einige Negerplastiken“417. Die als Hinterlassenschaften einer afrikanischen Hochkultur geltenden Bronzereliefs

410 Vgl. Koloss, 1999, S. 9. 411 Zit. nach: Rubin, 1984, S. 14. 412 Tagebuchnotiz Kirchners vom 6.–8. Dezember 1919 im Zusammenhang seiner Arbeit an einem Bett für Erna, dessen Pfosten und Langhölzer er mit Schnitzereien versah. Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 58. Zum Bett vgl. Kirchner Museum Davos, 1992, Kat. 209. 413 Vgl. Willett, 1999. 414 Der deutsche Afrika-Forscher Leo Frobenius vermutete in ihnen sogar Relikte aus Atlantis. Vgl. Koloss, 1999, S. 9. 415 Felix von Luschan (1901). Zit. nach: Koloss, 1999, S. 10. 416 Brief Kirchners an Heckel und Pechstein vom 31. März 1910. Zit. nach: Kirchner, Postkarten an Heckel, Nr. 30, S. 235. 417 Ebd. 108 aus dem 16./17. Jahrhundert, die Szenen eines kultivierten höfischen Lebens schildern, nimmt Kirchner mit der gleichen Aufmerksamkeit auf wie die mehr oder weniger als geschichtslos geltende „Negerplastik“. Auch Carl Einstein bemüht sich in seinem Buch Negerplastik keineswegs um einen kunsthistorisch oder ethnologisch systematisierenden Ansatz, obwohl bereits Ende des 19. Jahrhunderts erste große Untersuchungen über Afrika erschienen waren, beispielsweise die von Frobenius. Im Gegensatz zu deren zum Teil umfangreichem Abbildungsmaterial, das zur Illustration historischer oder ethnologischer Theorien diente, entkleidet Einstein die von ihm abgebildeten Objekte ihres historischen und funktionalen Charakters und untersucht sie ausschließlich auf ihre ästhetische Wirkung hin. Die 111 Illustrationen weisen bezeichnenderweise keinerlei Herkunftsgebiete oder Standorte nach. Wie Einstein selbst postuliert, „sammelte man Negerkunst als Kunst“418. Der äußerst knappe Text sowie der Verzicht auf Datierungen und ethnische oder lokale Gruppierungen419 dokumentiert, daß im Mittelpunkt des Interesses die neuartige Formensprache steht. Das erklärt, warum Heckel und Kirchner neben afrikanischen Skulpturen, Balkenschnitzereien Mikronesiens, indischen Wandmalereien auch Knochenschnitzereien der Inuit für ihr künstlerisches Werk fruchtbar machen können.420 „Das folgende Jahrzehnt brachte Einsicht und Befreiung; ich lernte die indische, chinesische, die persische Kunst kennen, die primitiven seltsamen Erzeugnisse der Mexikaner und die der Ur- und Naturvölker. Diese waren mir nicht mehr nur ‘Kuriositäten’, wie die Zukünftigen sie benannten, nein, wir erhoben sie zu der Kunst, die sie ist, beglückende herbe Urkunst, und das war herrlich. Der Wissenschaft und Völkerkunde aber sind wir heute noch wie lästige Eindringlinge, weil wir sinnliches Erleben mehr lieben als nur das Wissen.“421

Für die -Künstler war allein der Ausdruckscharakter von Bedeutung, was zum einen dazu führte, daß die Künstler die Inhalte der Darstellungen, wie diejenigen der Bronzeplatten aus Benin, geradezu ignorierten, und zum anderen die unbefangene Anverwandlung der Formensprache erst ermöglichte.

418 Einstein, 1915, S. VI. 419 Bezeichnenderweise stammen die von ihm besprochenen Objekte keineswegs ausschließlich aus Schwarzafrika, wie der Buchtitel vermuten ließe, sondern auch aus Ozeanien. Dies wurde jedoch von den Zeitgenossen nicht bemerkt bzw. nicht bemängelt und das Buch zu einem Wegweiser für die Rezeption dieser Kunst gemacht. 420 Vgl. Rosenthal, 1976; Heuser, 1995, S. 53ff.; Lloyd, 1991, S. 21ff. und Kirchner, 1998, S. 25–27. 421 Nolde zit. nach: Dehring, 1995, S. 9. 109

Das Dresdener Völkerkundemuseum wurde 1875 gegründet und gehörte neben dem Trocadéro in Paris zu den „bekanntesten und reichsten ausgestatteten“422, Es besaß ab 1905 auch eine Sammlung afrikanischer Kunst, die zu Beginn sehr klein war, nach der Wiedereröffnung im März 1910 aber bereits mit 50 Neuerwerbungen aufwarten konnte.423 Die Begegnung mit originalen Werken fremder, geographisch und künstlerisch weit entfernter Kulturen in musealer Präsentation entkleidet die Exponate ihrer eigentlichen Bestimmung. Dadurch wird dem Betrachter eine vom kultischen Kontext losgelöste rein ästhetische Betrachtungsweise ermöglicht: „Man muß sich in diesem Zusammenhang vergegenwärtigen, daß die Entdeckung der afrikanischen Kunst nicht auf ein Interesse an ihrer selbst oder gar der Lebenswelt afrikanischer Völker zurückzuführen war. Sie entsprach vielmehr einer Notwendigkeit, die sich aus der europäischen Kunstgeschichte ergab. Ihre Gestaltung […] bot Antworten auf formale Fragen, mit denen sich die europäischen Künstler zu jener Zeit auseinandersetzten.“424

Ohne die kulturellen oder mythologischen Hintergründe zu rezipieren, erkannten Heckel und Kirchner in der außereuropäischen Skulptur eine auf das eigene Schaffen übertragbare Ästhetik. Auch hier waren Naturtreue, Geschicklichkeit, technisch hochstehende Ausarbeitung, Ponderation der Formen und Kostbarkeit des Materials – Ziele der europäschen Skulptur seit der klassischen Antike – ohne Bedeutung. Für war gerade das vermeintlich Neue, das als das Rohe, Wilde, Einfache, Urtümliche und Unverfälschte empfunden wurde, wichtig. Die Priorität, die der Suche nach formalen Lösungen beigemessen wurde, führte im Umgang mit primitiver Kunst zu einer im europäischen Kunstverständnis verwurzelten Trennung zwischen rein formalen Gestaltungskriterien und solchen des Gebrauchs und der Funktion. Den Künstlern ging es aber nicht um eine genaue Übernahme des künstlerischen Vorbildes. Das taten sie ausschließlich in den Zeichnungen, in Skizzenbüchern und auf Postkarten [Abb. 56, 57], mit denen zu Studienzwecken die Formensprache der Originale festgehalten wurde425 Die Skulpturen Heckels und Kirchners zeigen vielmehr, wie die Künstler die verschiedenen Einflüsse zusammenzufügen wußten, so daß klassisch-europäisches Formvokabular (bspw. Karyatide) mit Motiven primitiver Kunst (Gesichtsphysiognomien und additive Formensprache) verbunden wurde.

422 Martensen-Larsen, 1980, S. 90. 423 Vgl. Moeller, 1999, S. 52. 424 Förster, Till. Kunst in Afrika. Köln 1988, S. 11. 425 Vgl. Postkarten an Heckel, S. 250. 110

Das Beispiel von Kirchners Skulptur Tanzende Frau zeigt aber, daß es zu kurz greift, den Primitivismus von als bloße Formübernahme zu verstehen wie es Carl Einstein, als einer der ersten tat: „Exotismus berauschte die sächsischen Primitiven aus optischem Vorstellungsmangel.“426 Was Heckel und Kirchner an dieser Kunst ebenso faszinierte, war der Glaube, in diesen Skulpturen eine unverbildete und ursprüngliche Lebensweise erkennen zu können. Kirchners Tanzende Frau von 1911 ist eine 90 cm hohe Aktfigur in gelber und schwarzer Bemalung [Abb. 58]. In leichter Hockstellung hat sie den Oberkörper nach links gedreht und beide Arme erhoben. Der rechte Arm ist seitlich auf Brusthöhe angelegt, die linke Hand im Lausch- oder Winkgestus bis zum Ohr erhoben. Die massiven Füße stehen auf einer flachen Sockelscheibe. Zu Recht sind für Henze in dieser Figur „in Volumina und Grundhaltung die Ayanta-Figuren427 noch gegenwärtig. Ihre Eleganz wird aber zugunsten kantiger und gedrungener Formen afrikanischer Plastik aufgegeben“428. Über die summarische Feststellung einer Übermittlung gedrungener afrikanischer Formensprache hinausgehend, stellt die Figur einer Königsfrau mukwakuhiko [Abb. 59]. aus dem Völkerkundemuseum Berlin in zahlreichen Details eine Quelle dar, die es Kirchner ermöglicht, in Tanzender Frau den Inbegriff einer Tanzenden zu gestalten. Bei der Figur einer Königsfrau mukwakuhiko handelt es sich um eine 59 cm hohe Holzskulptur, die mit Eisen, Messing, Glasperlen, Menschenhaar und rotem Lehm ergänzt wurde. Sie datiert aus dem

426 Carl Einstein zit. nach: Schneckenburger, 1972, S. 454. Eine solche Auffassung prägt sogar noch heutige Publikationen: Das Titelbild des dritten Bandes der Geschichte der deutschen Kunst (vgl. Deutsche Kunst, 2000) zeigt Kirchners Tanzende Frau. Damit erhebt der Autor Heinrich Klotz im Jahr 2000 eine bildhauerische Arbeit von zum bildlichen Inbegriff der deutschen Kunst der Neuzeit und Moderne 1750–2000. Die wahre Wertschätzung zeigt sich dann allerdings im Text, wo lediglich 10 (ZEHN!) Zeilen Text die zur Inkunabel der deutschen Moderne schlechthin erklärte Skulptur erläutern (vgl. Deutsche Kunst, 2000, S. 277). Das Fazit ist das nur allzu bekannte: “Keiner außer den Brücke-Künstlern hat das Erscheinungsbild der formalen Vorbilder aus den ethnologischen Museen derart wörtlich übertragen und ihnen bis zur Identität zu entsprechen versucht“ (zit. nach: Ebd.). Immer noch schildert die Rezeptionsgeschichte innerhalb der deutschen Kunsthistoriographie das bildhauerische Werk von zumeist mit Blick auf das Urerlebnis der Künstler im Völkerkunde-Museum in Dresden. Oftmals wird dabei zur Illustration sogar eine sehr nah am Vorbild bleibende Skulptur Schmidt-Rottluffs aus dem Jahr 1917 abgebildet, dieses Urerlebnis diskreditierend. 427 Der sogenannte Ajanta-Komplex umfaßt indische Wandmalereien und Felsenreliefs in den etwa dreißig Höhlen von Ajanta, die in der Gupta-Zeit im 4./5. Jahrhundert entstanden sind. Diese religiösen und erotischen Schilderungen aus dem Leben und dem Umkreis Buddhas wurden Kirchner durch das Buch von John Griffiths: The Paintings in the Buddhist Cave- Temples of Ajanta, Khandesh, India, London 1896 und 1897 bekannt und haben ihn sehr fasziniert. Die Entdeckung verdankte er Heckel, der bereits 1908 Amiet in einem Brief davon berichtet (vgl. Martensen-Larsen, 1980, S. 101). Zur Ajanta-Rezeption vgl. Kirchner, 1998, S. 25– 27 und Davoser Tagebuch, 1997, S. 305 und Lloyd, 1991 und Martensen-Larsen, 1980. 428 Henze, 1984, S. 111. Henze bezieht sich auf die Skulpturen Kameruns, die in der vorliegenden Untersuchung jedoch eine Erweiterung um Einflüsse aus Angola erfahren und auch dadurch die Annahme einer breitgefächerten prinzipiellen gegenüber einer ausschließlich konkreten Anverwandlung erhärten. 111

19. Jahrhundert und stammt aus Angola.429 Die Aktfigur stellt eine der jüngeren Frauen eines Königs dar. Sockellos, steht die Figur auf ihren großen parallel plazierten Füßen mit großen Zehen. Die Beine sind eng beieinander und in den Knien leicht gebeugt. Der überlange Rumpf folgt in gleicher Frontalität und auch der gestreckte Hals und das Haupt zeigen keinerlei Bewegung. Trotz der hieratisch strengen Körperhaltung ist die Figur alles andere als statisch. Die einzelnen Körperkomponenten werden sorgfältige voneinander geschieden. Beine und Arme, die durch Abwinkeln in Unter- und Oberarm geteilt, sind vom Rumpf getrennt. Dieser wird durch den hervortretenden würfelförmigen Bauchnabel und die spitzkegeligen Brüste nochmals gegliedert. Der säulentrommelartige Hals ist dem Oberkörper angestückt und trägt einen runden Kopf. Auch bei der Gestaltung des Gesichts werden die einzelnen Formen getrennt behandelt, indem Mund und Augen durch schmale Stege segmentiert werden. Der Rhythmus der einzelnen Körperkomponenten und das Wechselspiel von nach außen und nach innen gewölbten Formen geben der Figur eine Dynamik jenseits ausladender Körperaktion. Unterstützt und um einige naturnahe Elemente erweitert wird diese Wirkung noch durch den Perlenschmuck, die echten Haare und den geöffneten Mund, der zwei Reihen spitzer Zähne entblößt. Die Figur einer Königsfrau mukwakuhiko stellt eine Königsgemahlin dar, die für die Bereitung der Mahlzeiten zuständig war, was, angesichts spezieller Essensvorschriften für den Herrscher, eine besondere Verantwortung bedeutete. Die auffällige Präsentation zweier Gefäße, eines Korbes und eines Topfes, liegt somit in ihrer Aufgabe begründet. Ihr linker Arm ist nahezu rechtwinklig abgeknickt und mit nach vorn gewandtem Ellenbogen auf Höhe des Ohres erhoben. Auf der nach oben geöffneten Handfläche bringt sie eines der Gefäße dar. Spiegelbildlich dazu ist auch der andere Arm rechtwinklig angewinkelt und auf Brusthöhe abwärts geführt. Die ebenfalls geöffnete rechte Hand trägt auf dem Handteller das zweite Gefäß. Die Hand- und Armhaltung, mit der die Gefäße vorgeführt werden, stellt die Figur prägnant in den Kontext der Kirchnerschen Skulpturen. Auf den Stellenwert, der bei Kirchner der Armgestaltung zukommt, wurde bereits im Zusammenhang der Kauernden und Badenden hingewiesen. Mit Figur einer Königsfrau mukwakuhiko ist meines Erachtens eine der Quellen ausgemacht, aus denen Kirchner das entsprechende Formenrepertoire extrahiert. Kirchner hat nach seiner Übersiedlung nach Berlin das Studium im Museum für Völkerkunde wieder aufgenommen430, wo er die obige Skulptur, die sich seit 1883 im Berliner Völkerkundemuseum befindet,

429 Zu dieser Figur vgl. Marie-Louise Bastin, in: Afrika, 1999, Kat. 125, S. 219. 430 Wie Zeichnungen und Postkarten belegen. Vgl. bspw. die Postkarte einer Plastik aus dem Grasland (Kamerun), die Kirchner am 26. Juni 1912 an Heckels Freundin Sidi Riha schickt. Abb. in: Kirchner, Postkarten an Heckel, Nr. 78, S. 200. 112 gesehen hat.431 Die Übereinstimmungen sind zu außergewöhnlich, zu charakteristisch und zu umfassend, als daß sie nur durch unspezifische Anverwandlung bedingt sein könnten. Die vergleichende Betrachtung des afrikanischen Werkes mit Kirchners Tanzender Frau zeigt die Verwandtschaft beider Figuren, die allerdings über eine Nachahmung der Handhaltung noch weit hinausgeht. Besonders die additive Komponente der Formensprache verbindet die Dresdenerin mit der Afrikanerin. Bei beiden sind die Gliedmaßen und ihre Einzelkomponenten sorgfältig voneinander geschieden. Betont runde Köpfe sitzen auf langen zylindrischen Hälsen, die deutlich dem Rumpf aufgesetzt und nicht organisch mit ihm verbunden sind. Der unter der Kette schwer erkennbaren Dreiecksform am Halsansatz der Figur einer Königsfrau mukwakuhiko, die wohl den Ausschnitt eines Kleidungsstückes darstellt, entspricht an gleicher Stelle Kirchners Schnittpunkt tiefer Hohlkehlen. Indem er auf die Gestaltung eines Brustbeins verzichtet, zieht Kirchner den Busen bis zum Halsansatz hinauf und kreiert so ebenfalls eine Dreiecksform. Die Autonomie der Formen, die sich in der afrikanischen Skulptur besonders deutlich in der geometrischen Gestaltung des Nabels und der Brüste zeigt und deren Brustwarzengestaltung Kirchner farbig wiederholt, wird besonders pointiert am Ansatz ihres linken Armes deutlich. Diesen interpretiert Kirchner zwar zu einer Bewegungsgeste um, übernimmt jedoch die gleiche Formenabstraktion des Nebeneinanders von Brust und Achselhöhle. Bei der Afrikanerin ist der Armansatz allerdings nach unten, bei der Dresdenerin der Brustansatz nach oben gerutscht und die Schulter übermäßig vergrößert worden. Noch eine Reihe weiterer Details könnten die Orientierung Kirchners an der Figur einer Königsfrau mukwakuhiko belegen. Form und Inhalt ergänzen sich in Tanzender Frau zu einer Gesamtaussage von seltener Eindrücklichkeit. Die Zickzack-Linie, die die Abfolge der Einzelformen in der afrikanischen Figur beschreibt, hat bei aller Rhythmik, die sie dem hieratischen Stehen entgegensetzt, etwas Abgehacktes. Kirchner nutzt diese Formenalternität, verwandelt sie aber in eine schwingende Wellenbewegung. Fersen, Knie, Gesäß und Brüste bilden die Richtungswechsel eines Bewegungsflusses, der im höchsten Punkt der Skulptur, der linken Hand, kulminiert. Durch die leichte Wendung nach links breitet er sich nicht nur vertikal, sondern auch spiralig-diagonal aus. Besonders in der hier vorgestellten Ansicht wird dies durch die Korrespondenz von Rücken- und Bauchsilhouette deutlich. Es scheint, als hätte Kirchner seiner Bewunderung der „sinnlichen Negerbauchlinie“ in Tanzende Frau Gestalt verliehen:

431 Kirchner hat allerdings Berlin bereits 1910 mehrfach besucht, so daß die Begegnung mit der Figur nicht notwendigerweise erst nach der Übersiedlung stattgefunden haben muß (vgl. Gordon, 1984, S. 412, Anm. 36).

113

„Wenn ich mir den Akt ansehe, muss ich immer an eine Holzgeschnitzte Negermaske denken. Auf einem oval gewölbten Brett oben zwei Brüste unten der Bauchknopf. Das Brett endigt in einer wundervollen Rundung. Diese sinnliche Negerbauchlinie.“432

Spannung erzielt die Tanzende Frau aus den Richtungswechseln ihrer Einzelteile. Deutlich weist sie damit über ihr afrikanisches Vorbild hinaus, deren idolhafte Statuarik Kirchner nicht übernimmt, sondern in Aktion umdeutet. Damit erfüllt er die Forderung Marcs nach der Relevanz des Primitivismus für neue Werte: „Im Gegensatz hierzu strebt die neue Bewegung auf einem anderen Wege zurück zu den Bildern des Innenlebens, das die Forderungen der wissenschaftlich faßbaren Welt nicht kennt. Wir sagen mit Nachdruck: auf einem anderen Wege, denn soweit die neuen Maler nur die Ausdrucksformen der ihnen wesensverwandten Primitiven wiederholen, bereiten sie vielleicht den Boden und leiten zu Neuem über, aber geben unserer Zeit nichts Positives an neuen Werten.“433

Traditionell ist zur Verdeutlichung der „Bilder des Innenlebens“ das Gesicht das vermittelnde Motiv. Wie weiter oben dargelegt wurde, ist dies bei den -Künstlern aber nicht der Fall, was auch am Beispiel Tanzende Frau noch einmal deutlich wird. Der Tanz scheint dabei für die Künstler bestmöglich die Priorität körperlichen Erlebens zu versinnbildlichen. Die folgenden Ausführungen sollen deshalb darlegen, worin die Besonderheit Kirchners bei der Nutzbarmachung der primitiven Anreger besteht.

Exkurs: Die Bedeutung des Tanzes

„Tanz ist Rhythmisch im Raum bewegte Plastik“434. Dieses Zitat illustriert eindrücklich, daß die zu Beginn des 20. Jahrhunderts grassierende Tanzbegeisterung Tänzer und bildende Künstler gleichermaßen erfaßt hatte. Sie beruhte auf einem neuen Lebensgefühl, welches durch ein neues Körperbewußtsein bestimmt war. Grundlage dieses neuen Körperbewußtseins, welches sich seit der Jahrhundertwende im Zuge verschiedener lebensreformerischer Bewegungen herausgebildet hatte, waren die zum Teil als Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft entwickelten Konzepte der Freikörper- und Nacktkultur wie die ersten Gymnastikschulen.435 So schildert auch eine Postkarte Kirchners an seinen Kollegen Heckel die Freude über den

432 Tagebucheintrag Kirchners vom 15. September 1913. Zit. nach: Gerlinger II, 1997, S. 58. 433 Marc, 1912, S. 528. 434 Grünthal, Ernst. Der Tanz als Kunstwerk. In: Die neue Schaubühne, Bd. 2, Heft 4, Dresden 1920, S. 85. Zit. nach: Beloubek-Hammer, 1996, S. 190. 435 Vgl. Linse, 1985; Andritzky, 1989 und Nierhoff, 2001. 114

Bezug seines neuen Ateliers mittels der neuen Bejahung der eigenen Körperlichkeit – er führt aus diesem Anlaß nackt einen Freudentanz auf [Abb. 60]. Das Bildfeld zeigt die aus zahlreichen Darstellungen bekannte Raumecke in der Berliner Str. 80 in Dresden, wie Kirchner auf der Rückseite erläutert. Leere Bildflächen lassen die Diagonalen des Bodens und der Türrahmen in der Gestalt des nackten Männeraktes zusammenlaufen, so daß die Dynamik der Linienführung diesen mit einem Bein vom Boden zu heben scheint. Einbeiniges Stehen oder Tanzen, bzw. Figuren, die den Boden lediglich mit den Fußballen berühren, lassen sich in den Tanzdarstellungen fast immer als Inbegriff von Bewegungsdynamik feststellen.436 In diesen Arbeiten „demonstrieren die vorgestellten Tanzszenen einerseits neue Möglichkeiten eines selbst erprobten intensiven Körpererlebens – ‘Pechstein war begeistert: er tanzte mit der gleichen Leidenschaft mit der er malte […]’– und bedeuten andererseits auf einer symbolischen Ebene das herrschende Lebensprinzip Bewegung“437. In der Skulptur konzentrieren sich die Künstler hauptsächlich auf Darstellungen des Variété-Tanzes [Abb. 61] oder auf die tanzende nackte Figur schlechthin wie bei Pechsteins Tänzerin oder Kirchners Tanzender Frau. Bei letzteren Sujets ist die Bedeutung eines spezifischen Tanzstils oder einer bestimmten Tänzerin sekundär.438 Das anvisierte Ziel ist der befreite Körper in Bewegung, bei dessen Darstellung konkrete Kontexte, die in der Bildhauerei ohnehin wegfallen, auch inhaltlich nachgeordnet sind. Die Priorität gilt vielmehr der Darstellung des Menschen in seiner „ursprünglichen Bewegungskompetenz“439. Dabei gibt es für die Künstler zwei unterschiedliche Schwerpunkte: zum einen die Gewichtung auf der Bewegungskompetenz und zum anderen auf deren Herkunft aus der Ursprünglichkeit menschlichen Daseins. Den Schwerpunkt auf dem erstgenannten Aspekt zeigen Pechsteins Plastiken eines Tänzers und einer Tänzerin, beide 1913, gleichermaßen [Abb. 62, 63]. Die erstmals 1913 in der Galerie Gurlitt gezeigte440 Bronze einer Tänzerin erfaßt die Bewegung im transitorischen Moment, dem Augenblick in dem der Körper, von

436 Vgl. die weiter unten vorgestellten Figuren Pechsteins sowie Kirchners Skulpturen, deren eine sogar den Titel einer Tänzerin mit erhobenem Bein trägt. Außerdem Matisse’ Fußstudie von 1909, bei der der Fuß ebenfalls nur noch durch den Ballen mit seiner Plinthe verbunden ist. Vgl. Abb. in: Tanz in der Moderne, 1996, Kat. 93, S. 34. 437 Zit. nach: Nierhoff, 2001, S. 39. So erhielt 1999/2000 die Ernst Ludwig Kirchner-Ausstellung in Aschaffenburg/Oldenburg den bezeichnenden Titel: „Ernst Ludwig Kirchner. Leben ist Bewegung“. 438 So findet sich beispielsweise im malerischen Werk Kirchners erst in den zwanziger Jahren die direkte Umsetzung des Ausdruckstanzes von Mary Wigman, Gret Palucca und Nina Hard. Vgl. Lohberg, 1993 und Firmenich, 1996. 439 Nierhoff, 2001, S. 41. 440 Vgl. Friedeberger, 1913. 115 den raumgreifend nach hinten geschwungenen Armen mitgerissen, den Boden verlassen wird. Ein Fuß ist bereits in der Luft, nur noch der linke Ballen verbindet die Figur mit ihrem Sockel. Die Plastik bannt jenen Moment, der einer Pirouette vorausgeht, die durch das Überkreuzen der Beine bereits antizipiert wird. Der gesamte Körper ist dabei in Bewegung. Die Beine gestreckt und bis in die Fußsohlen unter Spannung, der Oberkörper biegt sich nach rechts, wohingegen die schwungholenden Arme nach links gerichtet sind. Die Gestaltung der Oberfläche hat dabei vereinheitlichende Funktion, kein Detail soll den Bewegungsfluß beeinträchtigen; weder den des betrachtenden Auges noch den des Bewegungsablaufes. Hände und Füße werden nur summarisch angegeben. Alle Gliedmaßen bilden ein spannungsvolles Ganzes, dessen Kraft nicht wie bspw. Georg Kolbes Tänzerin von 1905 in der Muskulosität des Rumpfes versinnbildlicht wird, sondern in dem Rhythmus, mit dem die einzelnen Körperpartien aufeinander reagieren. Pechsteins Tänzerin ist formaler Niederschlag einer Geisteshaltung, die den Tanz als „unmittelbarste Ausdrucksgeste des menschlichen Körpers“441 und als vitalistische Metapher feiert. Vor allem die Philosophie Henri Bergsons stand Pate bei einer rhythmischen Erfassung des Lebens und der Ausdeutung dieses Prinzips im modernen Tanz. Bergsons Hauptwerk L’évolution créatrice, 1912 erstmals in deutscher Übersetzung erschienen, erklärt Bewegung zum Inbegriff der Wirklichkeit, zur „Realität selbst“442. Von der unbelebten Materie unterscheide sich das Leben durch sein ständiges Fließen, durch ständige Veränderung, die nur durch Intuition und nicht durch den Verstand zu erfassen sei. Wie kein zweites Medium schienen Tanzdarstellungen den Künstlern geeignet, den Rhythmus im Sinne der Lebensphilosophie darzustellen und als Schlüsselbegriff des Expressionismus, Futurismus und Fauvismus zu verankern. Unter dem Einfluß lebensphilosophischer Gedankenwelt entstanden verschiedenste Darstellungen des Motivs des Tanzes. 1909/10 schuf Matisse seine Bildwerdung von Tanz als „Rhythmus und Leben“, 1911 Archipenko seine Tänzerin, 1913 seine Blaue Tänzerin und 1916 Belling seine Tänzerin [Abb. 25]. Von haben sich Heckel, Kirchner und Pechstein mit dem Thema des Tanzes in der Skulptur beschäftigt. Bei Heckel wissen wir nur durch eine Aufzeichnung Schieflers von der Arbeit an einer Tänzerin; sie ist nicht erhalten.443 Bei Kirchner als solche betitelte Tänzerinnen sind vier erhalten (Tänzerin mit Halskette, 1910, Tanzende Frau, 1911, Tanzende, 1912 und Tänzerin mit gehobenem Bein, 1913). In Material und Darstellungsweise

441 Hamann/Hermand, 1967, S. 173. 442 Bergson, 1912, S. 160. 443 Notiz Schieflers in seiner Agenda vom 16. Dezember 1910. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 282. 116 unterscheidet die Tänzerin Pechsteins sich deutlich von den hölzernen Pendants Kirchners. Trotz der Unterschiede eint beide der Verzicht auf eine Abstraktion des Körpers wie sie bei Archipenko oder Belling zu beobachten ist, bei denen der Ausdruck des tänzerischen Motivs Priorität gegenüber dem Körperlichen erhält. Ihnen ist stets die Darstellung des Inbegriffs von Tanz als einer ungezwungenen, natürlichen körperlichen Bewegung wichtig. Beim Tanz ging es in Erweiterung des neuen Körpergefühls auch um den Tanz als Metapher unverfälschten Lebens. „O das Leben hinfort als Gedicht neuer Freuden zu haben! Tanzen, händeklatschen, frohlocken, schreien, hüpfen, springen, weiterrollen.“444 Auch Noldes Beschreibung der australischen Tänzerin Saharet, die um die Jahrhundertwende große Erfolge auf europäischen Bühnen feierte, betont die körperliche Ekstase des Tanzes: „In ihren Drehungen wild und wirbelnd, so ihr schwarzes Haarbüschel sich lösend sie zu einem phantastischen, urweltlichen Wesen steigerte.“445 Seine Lithographie einer Tänzerin, 1913, erscheint geradezu als Illustration dieses Zitates [Abb. 64]. Die Bewegungspriorität, von der Pechsteins und Noldes Darstellungen zeugen, ist Kirchners Tanzender Frau diametral entgegengesetzt. Für diese ist dagegen die Konnotation des Tanzes mit dem UR von Bedeutung, da auch eine Zeichnung Kirchners sein Verständnis von den Ursprüngen des Tanzes erläutert [Abb. 65]. Eine Federzeichnung im Skizzenbuch Kirchners von 1909/1910446 zeigt laut Kirchners eigenen Beischriften neben der Darstellung einer Bauchtanzgruppe die Skizze einer Vasenbemalung mit Tänzerinnen Aegypten. Auf dem rechten Blatt der Doppelseite erkennt man, eingebunden von einer angedeuteten Vasensilhouette, die Gestalten von zwei Tänzerinnen, deren Armhaltungen derjenigen der Tänzerin mit Halskette und der Tanzenden Frau [Abb. 6, 58] deutlich verwandt erscheinen. Die Skizzen zeigen eine Figur, die ihre Arme um 90° abgewinkelt eng an den Körper hält wie die Tanzende Frau. Die andere hat in ihrer Körperhaltung große Ähnlichkeit mit der eingedrehten Hüfte der Tänzerin mit Halskette. Wie die Skulptur weist die gezeichnete Frau einen Unterkörper in Schrittstellung nach links auf und wendet ihren Oberkörper gleichzeitig dem Betrachter zu. Das ägyptische Vorbild hält seine Hand auf Kopfhöhe und nimmt somit eine Geste ein, die die Handhaltungen der

444 Walt Whitman, Grashalme, S. 156. Walt Whitman war besonders in den Anfangsjahren für wichtige literarische Inspiration. Neben Richard Dehmel und war er für diese Künstler, wie überhaupt für die gesamte expressionistische Bewegung, ein kultisch gefeierter Dichter. „Walt Whitman war, der große Dichter, war mir Leiter und Führer in der Anschauung des Lebens.“ Kirchner an Curt Valentin am 17. April 1937. Zit. nach: Gabler, Wolfram. Ernst Ludwig Kirchner als Illustrator. Berlin 1988, S. 130. 445 Nolde zit. nach: Farese-Sperken, Christine. Der Tanz als Motiv in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts. München 1969, S. 33. 446 Lohberg, 1993, Abb. S. 56, datiert 1909. Presler, 1996, S. 206, Skb 12, stattdessen 1910. 117

Tanzenden Frau und der Tänzerin mit Halskette paraphrasieren. In der Zeichnung ist bereits die angewinkelte Armhaltung zu erkennen, die in Tänzerin mit Halskette, Badende, Tanzende Frau und Liebespaar [Abb. 6, 45, 58, 79] wiederzufinden ist und für Kirchner bei äußerer formaler Ruhe best- möglich die innere Be- und Erregung darzustellen scheint.

Doch kommen wir zurück zum Dialog der ungleichen Schwestern. Analog den großen Füßen der Figur einer Königsfrau mukwakuhiko, die deshalb eines Sockels nicht bedarf, gestaltet Kirchner den Sockel seiner Tanzenden Frau so klein wie möglich und unterlegt die Füße wie bei der Badenden mit einem flachen Scheibenausschnitt. Nicht minder vorbildhaft könnte jedoch die Ausarbeitung einer Standfläche sein, wie sie die Figur einer Königsfrau oder Königsmutter aufweist [Abb. 66]. Die Skulptur, die aus der gleichen Musamba- Bildhauer-Schule447 stammt und aus dem gleichen Ankauf herrührt wie die zuvor vorgestellte Figur, hat ebenso große Füße, ist jedoch auf einer diskusartigen Plinthe positioniert, wie wir sie beispielsweise von Kirchners Tänzerin mit Halskette oder der Hockenden kennen.448 Die Tanzende Frau verdankt womöglich auch ihre geknickten Beine diesem Vorbild, allerdings wird eine solche Beingestaltung bereits in Kirchners drei Jahre älterer Karyatide verwendet und gilt als ein grundsätzliches Merkmal afrikanischer Stammeskunst [Abb. 21]. In der Karyatide verleiht sie dem klassischen Motiv der Trägerin seine urtümliche Kraft und verdeutlicht zudem den Inbegriff des lastenden Gewichtes. Aus diesem Kontext befreit Kirchner hier seine gebeugten Beine und verdeutlicht damit die Loslösung aus der motivischen (Karyatide) oder rituellen (afrikanische Vorbilder) Starrheit. Heckels und Kirchners Stehende, Hockende, Liegende werden statt dessen als leibliche Wesen erfahren und in raumbeherrschender Präsenz (bei Heckel weniger als bei Kirchner) und selbstbewußt ausstrahlender Körperlichkeit, mit beiden Füßen fest auftretend, geschildert. In ihren Tanzenden äußern sich Vitalität und Kraft der Menschen, und im Tanz gewinnen sie Freiheit und Ausdruckskraft. Inhaltlich geht es Kirchner in Tanzende Frau um überzeitliche Werte wie Ursprünglichkeit und freier Ausdruck der Emotion; die Formensprache für die Intensität des Ausdrucks destilliert er aus der Auseinandersetzung mit den Urkünstlerischen Anregerinnen. Anstatt das Ursprüngliche und Unverfälschte wie Nolde und Pechstein im „Wirbeln“449 zu sehen, nutzt Kirchner die Formensprache primitiver Vorbilder aus Afrika und Ägypten, um seine Tanzende Frau mit

447 Marie-Louise Bastin im beschreibenden Katalogtext in: Afrika, 1999, Kat. 124, S. 219. 448 Die Figur einer Königsfrau oder Königsmutter findet sich bereits bei Bilang, die die Figur allerdings unkommentiert ihrem Text einfügt. Vgl. Bilang, 1980, S. 14, Abb. 11. 449 Nolde zit. nach: Farese-Sperken, Christine. Der Tanz als Motiv in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts. München 1969, S. 33. 118

Vitalität aufzuladen. Die tänzerische Geste ist zu einem Einknicken der Beine, einem Wenden des Kopfes und einem Heben der Arme auf Brust- und Kopfhöhe reduziert. Kirchners Skulptur komprimiert die Bewegung, so daß in ihr der menschliche Körper selbst zur Form wird. Denn „ohne Pathos dargeboten, ist Tanz immer Ausdruck menschlichen Lebens“450.

Die Ausführungen zeigen, daß der Primitivismus von Heckel und Kirchner als Kunst- und Lebenskonzept zu begreifen ist, in dem sich viele ihrer – unter dem Signalwort „unverfälscht“ subsumierbaren – Ziele vereinen ließen: Bewegung und ein rhythmisch dynamisches Lebensgefühl, die Dominanz des Gefühls über die Ratio, barbarische Urtümlichkeit, Erotik und Exotik, das Religiöse und die Darstellung des Seelischen durch die Sprache der Gebärde. Die Bandbreite der Manifestationen reicht von den ‘Environments der Vitalität’ in den heimischen Ateliers und während der Sommeraufenthalte an der Ostsee, bis zur Rezeption afrikanischer Formensprache, deren scheinbare Unverfälschtheit beide Künstler für das eigene Ausdruckswollen nutzbar zu machen verstanden. Um das Jahr 1910 kommt die Beschäftigung der Künstler mit afrikanischen, ozeanischen und indischen Kulturen in ihren Skulpturen zum Ausdruck. Zwar reicht die Auseinandersetzung mit diesen Inspirationsquellen schon weiter zurück451, ihren formalen Niederschlag findet sie allerdings erst in Werken wie Tanzende Frau. Einem schriftlichen Bekenntnis, wie es aus einer Signalvokabel wie „unverfälscht“ im „Programm“ spricht, stellt Pechstein 1910 eine bildkünstlerische Proklamation des Primitivismus an die Seite. Das Plakat der „Kunstausstellung Zurückgewiesener der Secession Berlin“ zeigt eine kniende exotisch anmutende Frau, die im Begriff ist, einen Bogen zu spannen [Abb. 67]. Die Aussage war deutlich und nahm durch die Unterlegung der Aktfigur mit flammenähnlicher Ornamentik auch motivisch den Charakter eines Fanals an. Die Botschaft wurde vernommen: „Das Plakat der Ausstellung zeigt ein plumpes, nacktes Indianerweib, brutal hingefetzt, mit dem Bogen im Anschlag. Hier ist das Programm: Der Aufstand der primitiven, rohen Kunstinstinkte wider die Zivilisation, die Kultur und den Geschmack in der Kunst.“452 Die spöttische Kritik war im Kern exakt zutreffend: Eine dermaßen grundsätzliche Absage an alle bisherigen künstlerischen Prinzipien konnten nur Künstler vertreten, die weitgehend Autodidakten und möglichst wenig von akademischer oder sonstiger künstlerischer Tradition geprägt waren. Naheliegend ist es deshalb, daß sich solchermaßen ‘Unverbildete’ selber, vom Nullmeridian schöpferischer Tätigkeit beginnend, mit künstlerischen Ausdrucksformen von

450 Werner, Gabriele. In: , 2001, S. 140. 451 Vgl. Lloyd, 1991, S. 26. 452 Vogler, Heinrich. In: Der Kunstwart, Bd. 23, 1910, H. 4, S. 314. 119

Menschen beschäftigten, für die sie die gleiche Unverfälschtheit postulierten wie für sich selber. Dabei fungiert die völkerkundlich inspirierte Primitivität für die Künstler als zweifache Chiffre: zum einen für die befreite Lebens- und Liebeslust, zum anderen als Dokumentation avantgardistischen künstlerischen Stilbewußtseins. Wie Worringer versucht auch Rosa Schapire die Rezeption primitiver Kunst als Kennzeichen der Avantgarde zu etablieren. Schapires Rezension von Carl Einsteins Buch Negerplastik setzt das Verständnis für die Ästhetik afrikanischer Kunst in Relation zu den ästhetischen Neuerungen des Expressionismus.453 Dabei verbindet Schapire die von Einstein behandelte afrikanische Plastik inhaltlich und formal mit den Werken der modernen Kunst. Sie betont zum einen die Parallelität der ausgelösten „Gefühlswerte“ und zum anderen die Analogie der künstlerischen „Sprache“. Einsteins Absicht, mit seiner Publikation der afrikanischen Plastik zu gebührender Würdigung als Kunst zu verhelfen, parallelisiert Schapire mit dem Bemühen der modernen Kunst um Anerkennung. Für beides empfiehlt sie einen emotionalen Zugang. Carl Einsteins Herangehensweise, – seine „klugen und feinen Beobachtung nach der Seite des Gefühlsmäßigen“ – finde auf Seiten des Expressionismus ihre Entsprechung in dem „ganz kleinen Kreis von Menschen, […] die den Zugang zu den Gefühlswerten und der Größe moderner Kunst“454 gefunden hätten. Schapire fordert für die Beschäftigung mit afrikanischer Kunst neue Methoden, da man „an sie, die aus ganz anderen Voraussetzungen wie die europäische erwachsen ist, naturgemäß nicht den europäischen, also einen ihr fremden, Maßstab anlegen darf“455. Gleiches formuliert sie indirekt auch für die zeitgenössischen Moderne, die zwar nicht außereuropäisch, jedoch nicht weniger voraussetzungslos sei, da sie „sich ihre Sprache neu schaffen“456 mußte.

453 Einstein, Carl. Negerplastik. Leipzig 1915. Rezension durch Rosa Schapire in: Beiblatt der Zeitschrift für Bücherfreunde, N.F. 7, 1915, Heft 5/6, S. 243. 454 Ebd. 455 Ebd. 456 Ebd. 120

E. Sexualität

„Das Verlangen nach Kunst und Schönheit ist ein indirektes Verlangen nach den Entzückungen des Geschlechtstriebes, welche er dem cerebrum mitteilt.“457

Daß die antibourgeoise Haltung der Jugend oftmals ein Protest innerhalb der Grenzen des bürgerlichen Denkens bleibt, wird auch bei deutlich.458 Die Sichtung der Namen und Berufe der Passivmitglieder zeigt zweierlei. Zum einen das Bemühen von um Anerkennung und gesellschaftliche Etablierung in der bürgerlichen Welt. So wird bei jedem Mitglied auch dessen Beruf in Holz geschnitten und der Publikation zu beigefügt.459 Zum anderen wird deutlich, daß nahezu alle Passivmitglieder Vertreter des bürgerlichen Standes sind und damit genau jene, zumindest vom Habitus der Künstler her abgelehnte, Gesellschaftsschicht ihr eigentliches Klientel darstellte. Überspitzt konstatiert Hammann eine entsprechende Parallele beim literarischen Expressionismus: „Wie in den Tagen der Romantik empört sich hier das Genie gegen die Philister und rennt schon in der ersten Szene ins Bordell, um damit seine absolute Unbürgerlichkeit zu demonstrieren, ohne zu merken, daß es damit die Welt seiner Väter lediglich perpetuiert.“460

In diesem Vorwurf wird außerdem der zentrale Stellenwert evident, den Sexualität im Auflehnungsprozeß der Jugend einnimmt. Zur geforderten „Lebensfreiheit“ im -Programm gehört auch der Befreiungsschlag gegen die gültige bürgerliche Sexualmoral des Wilhelminischen Deutschland. Gemäß dem naturwissenschaftlichen Bildungsanspruch wurde den Jugendlichen zwar eine Form der Aufklärung zuteil, doch diente diese dazu, die Risiken vorzustellen, um die Phase sexueller Enthaltsamkeit bis zur ‘Vollreife’ gegen Mitte des dritten Lebensjahrzehnts zu prolongieren.461 Dabei ging es nicht um ein wirkliches Verständnis jugendlichen Geschlechtslebens, sondern primär um die Aufklärung der Jugend über die individuellen und sogar nationalen Gefahren von Geschlechtskrankheiten. Und so „wurde die Degeneration von Rasse und Nation zur größten Gefahr, die sexuelle Lusthemmung […] zur vaterländischen Tat“462.

457 Schlechta, Karl (Hrsg.). Friedrich Nietzsche. Werke in 3 Bden. Bd. 3, München 1959, S. 870. 458 Vgl. auch Zweite, 1996, S. 26. 459 Vgl. bspw. die Mitgliederverzeichnisse der Jahre 1907–09 in: Brücke, 2001, Kat. 24, 29 und 37. 460 Hamann/Hermand, 1975, S. 23. 461 Vgl. Linse, 1985, S. 253. 462 Zit. nach: Linse, 1985, S. 254. Anlaß dieser Verknüpfung nationaler und geschlechtlicher Faktoren waren z.B. die 1900 veröffentlichten Untersuchungen nach denen 60%–70% der geschlechtsreifen unverheirateten Männer entweder geschlechtskrank sind oder waren. Zum 121

Diese Sichtweise führt dazu, daß der Umgang mit Sexualität jeder „individuellen Beziehung, jeden persönlichen Charakters“ entkleidet wurde, um „jede unerwünschte Nebenwirkung, jede Beziehung auf subjektive Empfindungen“463 weitestgehend ausklammern zu können. Gerade aber die „subjektiven Empfindungen“ waren das zentrale Moment am Erlebnis Sexualität, welches in den Schaffensprozeß bei einfließt und wesentlich ihr Verständnis vom Menschen und dessen künstlerisches Abbild bestimmt. In diesem Sinn erscheint auch 1913 in der Zeitschrift Der Anfang ein Aufsatz Herbert Blumenthals mit dem Titel „Jugendliche Erotik“464. Es handelt sich dabei um eine komplette Absage an die utilitaristische Beschränkung von Sexualität. Der Text ist eine kompromißlose Bejahung des „Trieblebens“ und ein Angriff auf die bürgerliche Sexualmoral, welche die Jugend in die Prostitution getrieben habe. Der Autor fordert die Jugend auf, sich der sexuellen Verpflichtung zu stellen, in der er eine Form des Protestes sieht: „Wir veranstalten Sommers wie Winters unsere Feste, die nur von uns und für uns sind, wir machen den Tanz deutlich erotisch, wir flirten und lieben, wo wir nur können. Wir überstürzen uns in Veranstaltungen und schaffen fortwährend neue Gelegenheiten zur erotischen Geselligkeit der Jugend.“465

Die erotische Reizflut der Großstadt wird begrüßt und ihre Stimulans genutzt, das eigene sexuelle Leben neu zu ordnen. „Wir haben die Verpflichtung, unser eigenes Triebleben zu gestalten. Aus dem Protest der Geknechteten muß die Schwärmerei der Freien werden.“466 Sexualität wurde zum Ausdruck von Lebenssehnsucht schlechthin, zu einer starken utopischen Triebkraft und zum Inbegriff eines (jugendlichen) Freiheitsdranges. Die gemeinsame Sexualität wird zur Revolte gegen die bestehenden Verhältnisse und zum Inbegriff des diesseitigen Paradieses, und so waren die Forderungen unmißverständlich: „Heraus mit dem allgemeinen, gleichen und direkten Coitus!!!“467 Erotik konnte im Expressionismus zur Chiffre für Aktivität schlechthin werden. So trägt Rudolf Bellings Bronze

einen resultiert hieraus eine immense Angst vor Ansteckung und Krankheit der Geschlechtsorgane. Entscheidend für die obige Sichtweise ist jedoch, daß sich diese individuelle Furcht vor venerischer Ansteckung ausweitet zur Sorge um den Niedergang von Rasse und Nation. Vgl. Linse, 1985, S. 251. 463 Iwan Bloch. Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen Kultur. Berlin ²1908, S. 337. Zit. nach: Linse 1985, S. 253. 464 Blumenthal, Herbert. Jugendliche Erotik. In: Der Anfang. Zeitschrift der Jugend. Hrsgg. von Georges Barbizon und Siegfried Bernfeld. 1. Jg. Heft 6, Berlin/Wien 1913, S. 166-169. 465 Ebenda, S. 167. 466 Ebenda, S. 169. 467 Hans von Flesch. Revolution der Erotik. In: Wiecker Bote 1, 1914, H 11/12 Juli, S. 6 und S. 12. 122

Erotik den bezeichnenden Titelzusatz (Aktivität) [Abb. 68]. Sie schildert mit schimmernder und durch Lichtreflexe zusätzlich bewegter polierter Oberfläche die körperliche Vereinigung von Mann und Frau. Belling bindet dabei die Begegnung spitzer und runder Formen in einer endlosen Kreisform zusammen, die er über einem kleinen Sockel dem Boden enthebt und dadurch scheinbar in schwerelose immerwährende Zirkulation versetzt. Einem „Sich-Ausleben in der Erotik“ wurde Rettungs- und Erlösungskraft zuerkannt und Erotik sogar zum „Ausgangspunkt der Kultur“ schlechthin erhoben.468 Ein mit nichts geringerem als „Zur Weltrevolution“ betitelter Aufsatz fordert sogar „die Auflösung der existierenden kleinbürgerlich- moralischen Sexualverhältnisse von Grund auf“469. In diesen nämlich „wird Sexualität als eigenständige, natürliche Kraft betrachtet, die gesellschaftliche und individuelle Instanzen erfordert, um unter Kontrolle gehalten werden zu können. Die Unterdrückung der Sexualität wurde legitimiert durch deren Identifikation mit Natur; denn Natur, in der bürgerlichen Gesellschaft der Zivilisation entgegengesetzt, ist unbändig, unkontrolliert, archaisch und muß, um nicht gefährlich zu sein, unterworfen werden.“470

Auch Weiblichkeit wurde im 19. Jahrhundert unter dem Begriff der Natur gefaßt und der männlichen Rationalität und Kultur gegenübergestellt.471 So bedient sich die dieses bürgerlichen Konzeptes, deutet es aber positiv aus. Sexualität gilt als eine eigenständige und archaische Kraft der Natur, die als menschlicher Urtrieb positiv verstanden wird und schöpferisch eingesetzt werden soll. Die Bejahung des Lebens bedeutet für eine Bejahung von Sexualität als zentralem Agens von Kunst und Leben.472 In diesem Verständnis kommt der Frau eine entscheidende Rolle zu: Als Verkörperung der Natur und damit auch der Sexualität kann sie zur Repräsentationsfigur des sexuellen Menschen schlechthin avancieren.

468 Nikolaus, 1919, S. 17. 469 Raoul Hausmann. Zur Weltrevolution. In: Die Erde 1, 1919, H 12, S. 369. 470 Puenzieux, Dominique, und Ruckstuhl, Brigitte. Medizin, Moral und Sexualität. Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten Syphilis und Gonorrhöe in Zürich 1870–1920. Zürich 1994, S. 27. Zit. nach: Nierhoff, 2001, S. 33. 471 Vgl. Putz, 1996, S. 194. 472 Eine solche Intensivierung des allgemeinen Lebensgefühls führte zu einer Aufwertung alles vermeintlich Naturhaften, worin das reine, unverfälschte Dasein wiederzuerkennen glaubte. Diese Verbindung von ungezügelter Natursehnsucht und Erotischem findet sich auch in der expressionistischen Lyrik. Vgl. bspw. das Gedicht „Aufruf zum neuen Mensch“, in: Johannes R. Becher. Gedichte für ein Volk. Leipzig 1919, S. 41f. Reprint Nendeln 1973. Das Motiv der Erde als Metapher für ein vitales Leben findet sich auch im Zarathustra (vgl. bspw. S. 14f.). 123

1. Die Frau mit Katze als Repräsentationsfigur des sexuellen Menschen

Pechstein, Heckel und Kirchner verbinden in ihren Kunstwerken immer wieder die Motive Katze und Mädchen. Damit beziehen sie sich auf eine ikonographische Tradition, in der Katze und Frau als wesensverwandte Gestalten bekannt sind. Doch Kirchners Skulptur Frau mit Katze dokumentiert, daß dem Bild der kreatürlich-triebhaften Tierfrau bei die Vision einer freien und selbstbestimmten Weiblichkeit eingegliedert ist. Nicht ohne Grund wird zur Illustration dessen die Katze herangezogen, die „als Freiheits- symbol […] eine lange kulturhistorische Tradition“473 hat. Die künstlerische Berücksichtigung von Sinnlichkeit wird im Bild der unabhängigen Frau zum beispielhaften Verhaltensideal, wie es auch Kirchners Gemälde Stehender Akt mit Hut präsentiert. In der bürgerlichen Gesellschaft wurden Frauen in ihrer Rolle als Gattin zu instinktarmen, orgasmuslosen, fleischlosen Wesen erklärt und ihre Sexualität und Sensualität auf die Mutter- und Gattenliebe reduziert. Anhand der Skulpturen der Liebespaare Heckels und Kirchners soll die Auflösung der bürgerlichen Doppelmoral thematisiert werden, die in der Trennung von Begierde, Sexualität und Fortpflanzung bestand. Dort thematisierte die Dichotomie der Frau als Gattin oder Hure die Differenzierung von Fortpflanzung ohne Lust und Lust ohne Fortpflanzung. Es soll herausgearbeitet werden, daß es den Künstlern durch Einbeziehung urzeitlich- primitivistischer Inspirationsquellen wie der Venus von Willendorf gelingt, das übernommene Modell mit neuem Bedeutungsgehalt zu füllen, nach welchem Sexualität positiv verstanden wird und zur Triebfeder des Lebens und mit ihm des künstlerischen Schaffens wird.

1.1. Das Motiv in der Malerei – Pechstein

In Pechsteins Gemälde Mädchen auf grünem Sofa mit Katze von 1910 [Abb. 69] findet die Katze als Symbol der sexuellen Frau ihren ersten bildlichen Niederschlag.474 Das kindliche Modell Fränzi liegt dösend in der linken Ecke eines großen grünen Sofas. Diese Stellung ist bei aller scheinbaren Entspanntheit bei genauerem Hinsehen nicht unbedingt die Pose eines sich ausruhenden Kindes. Zu ausgeprägt sind die Torsion des Oberkörpers und die Verschränkung der Gliedmaßen, die eher den Eindruck von Wachheit vermitteln. In diesem Kontext wirken auch die Augen des Mädchens eher

473 Putz, 1996, S. 167. 474 Vgl. Kirchners Gemälde Artistin mit gleichem Motiv (G 125). Wie wichtig dieses Thema den Künstlern war zeigt sich daran, daß für die Abbildung im Katalog der Ausstellung in der Galerie Arnold 1910 Pechstein Kirchners Artistin in Holz schneidet. 124 verschleiert als schläfrig geschlossen. Fränzi hat gleichsam in ahnend- antizipierendem Halbschlaf ihre linke Hand zwischen ihre Schenkel geschoben. Das rote Inkarnat des Armes vermittelt in Verbindung mit der roten Gesichtsfarbe deutlich eine erotische Komponente, denn die Gesichtsröte evoziert sexuelle Erregung. Wie ihr verschleierter Blick hinter den langen Augenlidern scheint die Sexualität des Mädchens gleichermaßen im Halbschlaf vor dem Erwachen zu sein. Als Illustration dieses Gedankens plaziert Pechstein eine zusammengerollt schlafende Katze auf die andere Sofahälfte.475 Der Künstler setzt das Bild der Katze ein, um das dem Kind innewohnende, aber noch nicht voll erwachte sexuelle Potential aufzuzeigen. Dabei ist eine ambivalente Lesart, die der kindlichen Sexualität durchaus auch bedrohliche Komponenten zuerkennt, möglich. Dieser Halbschlaf ist nicht gänzlich gefahrlos, die sexuelle Kraft nicht nur sinnliches Erleben. „Die Muschi, geläufiges Symbol des weiblichen Geschlechts, ist nicht immer ein Schmusekätzchen, sondern oftmals auch aggressiv und launenhaft wie die Frau selber.“476

1.2. Das Motiv in der Graphik – Heckel

Heckels Lithographie Liegendes Mädchen mit Katze von 1909 [Abb. 70] plaziert das Beisammensein von Kind und Katze bereits auf der Grenzlinie zwischen unbefangenem Spiel und sexueller Konnotation. Das querformatige Blatt zeigt eines der jugendlichen Modelle der . Das Mädchen, vermutlich die damals knapp neunjährige Fränzi, die Heckel im Entstehungsjahr dieser Arbeit als Modell für sich und die Gruppe entdeckt hatte, zeigt mit ihrem kantigen Gesicht, ihrem schlanken Körper und kleinen spitzen Brüsten einen Lebensabschnitt zwischen unbefangener Naivität und aufbrechender Sinnlichkeit. Heckel führt uns diese Übergangsphase vor Augen, indem er in Blick, Bewegung und Haltung des Modells Kindheit mit erwachender Sinnlichkeit in Form der Katze aufeinandertreffen läßt.

475 Das Motiv der Katze findet sich häufig im Werk von . Vgl. bspw. Schmidt-Rottluff, 1997, Abb. 225. Ein deutlicher Hinweis auf die erotische Konnotation der Katze findet sich auch in Kirchners erstem Grafikverzeichnis, wo er den Herausgeber Schiefler das Kapitel Erotika mit dem Bild einer Katze einleiten läßt. 476 Zit. nach: Borneman, Ernest. Lexikon zum obszönen Sprachwortschatz der Deutschen. Ihren unumstrittenen literarischen Höhepunkt erreicht die Wesensverwandschaft zwischen Katze und grausamer Frau in Leopold Sacher-Masochs Novelle Venus im Pelz, die erstmals 1901 in Dresden veröffentlicht worden war. „Ihre Funktion ist darauf reduziert, dem männlichen Protagonisten stärkste psychische wie physische Qualen zu bereiten. Doch selbst in ihrer nicht mehr steigerungsfähigen Grausamkeit bleibt die katzenhafte Frau ein schillerndes, erotisch anziehendes Geschöpf, das in Wunschträumen ebenso gegenwärtig ist, wie in Angstprojektionen.“ Zit. nach: Putz, 1996. S. 137. 125

Entschlossenen Striches schildert Heckel hier die liegende Fränzi im Spiel mit einer Katze. Die liegende Aktfigur lehnt mit ihrer linken Schulter am dunklen Rand des Bildfeldes. Diesen Rand hat Heckel wie einen Rahmen fast um die gesamte Szene herumgeführt. Nur das erhobene rechte Bein des Mädchen durchbricht ihn und wird vom Bildrand überschnitten. Dergestalt scheint sie sich im Bildfeld regelrecht zu verkeilen, da ihre Positionierung ein Auf-der- Seite- oder Auf-dem-Rücken-Liegen unmöglich macht. So ist der Oberkörper zum Betrachter gedreht und stützt sich auf den linken Ellenbogen. Der Kopf wird von schematisch-eckiger Haarangabe gerahmt und ist mit maskenartigem Gesicht der Katze zugewendet. Ein stilisiertes Lächeln schildert das kindliche Vergnügen am neckenden Beisammensein mit dem Tier. Im Hüftbereich des Modells laufen Seiten- und Frontalansicht dann ineinander, was zu einer ausladenden weißen Fläche führt, in die unvermittelt der Ansatz des linken Oberschenkels eingefügt ist. Mit dem unteren Teil ihres Rumpfes muß Fränzi auf dem Rücken liegen, da ihr linkes Bein angewinkelt ist und das rechte in die Luft gehoben oder an eine Wand im Hintergrund gelegt zu sein scheint. Diese läßt sich jedoch nicht genauer spezifizieren, da der Künstler die gesamte Räumlichkeit größtmöglich vereinfacht und den in der Realität stark räumlichen Bildvorwurf einer starken Abstraktion unterwirft. Heckel vollzieht die Umdeutung eines dreidimensionalen Liniengebildes in ein zweidimensionales Flächenkunstwerk, in dem einzig die verschiedenen Grau-Valeurs in der rundgerahmten Liegefläche und diejenigen der eckigen Folie hinter der Gruppe eine Andeutung von Räumlichkeit vermitteln. Dadurch gelingt es, die Aufmerksamkeit ganz auf die Bildmitte zu konzentrieren, in der sich das Spiel des Mädchens mit der Katze vollzieht. Die Darstellung des Kindes wird ganz aus dem Kontur heraus gebildet und auf jegliche Binnenformung verzichtet. Sogar die Brustwarzen gliedert Heckel der Konturlinie ein. Das schattenlose Weiß ihres Körpers kontrastiert er dann mit dem tiefen Schwarz der Katze. Auch diese gestaltet der Künstler bar jeder Binnenform und reduziert sie so zur reinen Silhouette. Tier und Mädchen erscheinen so als Positiv- und Negativform, beide die Resultate desselben Scherenschnittes, jedoch diametral gegensätzlich verortet. Fränzi ist nackt! Und das ungegliederte Weiß ihres Körpers unterstreicht diese Kleiderlosigkeit noch. Hinter dem Schwarz der Katze jedoch, und darin der Angabe der Menschenhaare farblich entsprechend, verbirgt sich das Material Fell. Noch spielt das Mädchen mit der Katze unbefangen und unreflektiert. Allerdings verbindet nur noch ein schmaler Wollstreifen, den das Mädchen von ihrer Linken hinabhängen läßt und mit dem das Tier spielt, Fränzi mit der Spielkameradin Katze. Deutlicher schon kündigt sich der neue Bedeutungshorizont an. Eine schmale senkrechte Dreiecksform verbindet

126 bereits formal den schwarzen Leib der Katze mit der hinter dem linken Oberschenkel verborgenen Scham des Kindes. Dieses hat zwar noch übermütig und verspielt die Beine hochgeworfen, scheint darin aber bereits die gespreizte Beinhaltung der späteren Hockenden Kirchners vorwegzunehmen.

1.3. Das Motiv in der Malerei – Kirchner

Von ähnlich zentraler Bedeutung ist die Katze auf Kirchners 1910 entstandenem Gemälde Mädchen mit Katze, Fränzi [Abb. 71]. Die Vielfältigkeit der Atelierwelt, die aus Teppichen, bedruckten und bemalten Wandbehängen, selbstgemachten, geschnitzten, wie aus Kisten zusammengezimmerten Möbeln sowie Skulpturen, Kissen, Paravents und verschiedenen Liegen bestand, abstrahiert und verdichtet Kirchner hier zu starkfarbigen und verschieden gemusterten Bildfeldern.477 Inmitten dieser sitzt auf einem Teppich und in die kurvige Linie eines Kissens eingeschrieben die nackte Fränzi, den Blick dem Betrachter zugewandt. Zu ihrer Rechten ist als Stellvertreterin der skulpturalen Ausstattung Kirchners geschnitzte Obstschale mit roten Früchten zu erkennen [Abb. 102]. Auf der linken Seite des Mädchens trennt eine dunkelfarbige Katze mit erhobenem Schwanz und zu Fränzi gewendetem Kopf die Bildmitte vom Hintergrund. Die eckigen Formen der Hinterläufe, die ebenso unorganisch steif durchgestreckten Vorderbeine, das maskenhafte Gesichtsfeld und der großflächige, vereinheitlichende Farbauftrag erlauben es, das Tier auch als Skulptur zu lesen.478 Als Skulptur wird die Katze der freien Verfügbarkeit des Kindes entzogen. Damit wird die Verbindung von Kindlichkeit und Katze aufgehoben und die Katze ihrer Eigenschaft als Spielgefährtin entkleidet. Kirchner versteift die Katze quasi zuerst in der Malerei, um sie in einem weiteren Schritt der ‘Durchknetung’ in die tatsächlich hölzerne Form der Skulptur zu überführen.479

477 Kirchner hat das Bild allerdings ca. 1920 kurz nach seinem Umzug nach Davos überarbeitet. Gordon, 1968, S. 292. 478 Henze, 2001, S. 264. Vgl. auch ein Holzkästchen in Form einer Katze, das Kirchner ca. 1920 gefertigt hat. Kornfeld, 1981, Nr. 216, Abb. S. 175. 479 In einer Arbeit des Jahres 1919 läßt sich die Umkehrung dieses Prozesses entdecken. „Boby, der kleine Kater ist jetzt hier. Sauber und lebendig, eine recht interessante Gesellschaft. Ein Bild auf dem Teppich mit Katze, ein Akt schwebt mir vor, es muß eine feine Arbeit werden“ (Tagebucheintrag Kirchners vom 30. Juli 1919 (zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 40). Die Umsetzung dieses Planes führt zu Rosa Frauenakt mit Katze und blauer Skulptur (G 608). Das hochformatige Gemälde schildert einen Innenraum mit einem stehenden weiblichen Akt, hinter welchem links auf Höhe des Oberkörpers eine hölzerne Skulptur zu erkennen ist. Eine schwarze Katze befindet sich farblich hell gerahmt im Mittelgrund. In diesem Bild ist nicht die Katze zur Skulptur geworden, sondern der menschliche Akt hat eindeutig skulpturale Züge angenommen. Während die tatsächliche blaue Skulptur nur summarisch zu erkennen ist, schildert der Akt deutlich Elemente Kirchnerscher Holzbildwerke, insbesondere die eckige Rahmung des maskenartigen Gesichts und die Behandlung des Rumpfes. Die durch die farbliche Differenzierung von Brust und Bauch erreichte Segmentierung findet meiner Meinung nach ihre 127

1.4. Das Motiv in der Bildhauerei

Photographien von einigen Skulpturen im Atelier Kirchners zeigen die Skulptur einer Frau mit Katze inmitten anderer Holzbildwerken der Jahre 1910/11480 [Abb. 8]. Durch einen Vergleich mit der nebenstehenden Badenden läßt sich ihre Höhe mit ca. 140 cm veranschlagen. Der Verbleib der Skulptur ist unbekannt, sie ist uns jedoch in erfreulich vielen unterschiedlichen Aufnahmen überliefert, so daß wir uns ein relativ genaues Bild von ihr machen können [Abb. 74, 75]. Auf einer flachen Sockelscheibe steht eine weibliche Aktfigur, die das rechte Bein angewinkelt hat. Beide Arme sind seitlich an den Körper geführt. Ihr linker Arm liegt auf Nabelhöhe auf dem voluminösen Bauch, der rechte ruht kurz über dem Oberschenkel des aufgestützten rechten Beines. Zu ihren Füßen befindet sich eine Katze mit erhobenem Schwanz, die um die Beine der Frau zu streichen scheint. Deren rundes Gesicht unter schwarzer Haarfrisur zeigt schlitzförmige bemalte Augen und Mund sowie eine gerade Nase, die ebenfalls farbig abgesetzt ist. Leistenbogen, Arm- und Halsbeuge, die Schattenfugen unter und zwischen den Brüsten sowie zwischen den Fingern sind mit breiter Bemalung gekennzeichnet, ebenso die Brustwarzen der schweren hängenden Brüste und die Scham. Gleiches gilt für das Tier, dessen Ohren, Maul und Extremitäten ebenfalls mit breiten schwarzen Linien hervorgehoben werden. Die Darstellungsmittel bei Mensch und Tier gleichen sich auch in der Oberflächengestaltung. Weder schnitz- noch maltechnisch versieht Kirchner das Tier mit anderen Charakteristika, die anhand der unterschiedlich geschilderten Materialität auf eine qualitative Differenzierung von Frau und Katze hinweisen würden. Kirchner löst so in Frau mit Katze die bisherige oberflächliche und scheinbar unbefangene Zweisamkeit von Frau (Mädchen) und Katze endgültig auf und verdichtet diese Verbindung statt dessen zu einer skulpturalen Chiffre der Gleichsetzung von Frau und Natur (Tier).

plastische Entsprechung in der linearen Gliederung des Rumpfes, wie sie bspw. Adam aus der Stuttgarter Staatsgalerie zeigt. Unter der Kat.-Nr. 73 in Grohmann, 1926, wird sie in einer Photographie Kirchners abgebildet und auf 1920 datiert. Allerdings ist bei den Datierungen Vorsicht geboten. Kat.-Nr. 31 bspw. zeigt unter dem Titel Frauenkopf und der Datierung 1912 die Skulptur Frauenkopf, Kopf Erna von nachweislich 1913. Vgl. Henze, 1984, S. 118. 480 Kirchner beabsichtigte 1925, das Thema wieder aufzunehmen, denn er schreibt am 17. Oktober in sein Tagebuch: „Wann werde ich endlich an die Plastik kommen. 2 habe ich vor. Erna mit dem Boby auf dem Arm und die 3 Ahnfrauen.“ 128

„Frauen galten als einfacher, ursprünglicher, infantil, tierähnlich, unzivilisierter, den ‘Wilden’ näher, suggestibel, ungezügelt triebhaft oder frigide. […] ‘Wilde’ Unterschichten und Frauen wurden über die ihnen zugeschriebene Natur und Triebhaftigkeit miteinander analogisiert.“481

Diese Verbindung von Frau und ‘Wilden’ wird durch die Bedeutungschiffre der Katze in den genannten Werken Pechsteins und Heckels bildhaft und in den Werken Kirchners in die Skulptur überführt. Im literarischen Expressionismus wird die Identifikation von Frau und Tier eingesetzt, deren Triebhaftigkeit auszudrücken: „Dunkel: nun lebt es unter den Kleidern: Nur weißes Tier. Gelöst und stummer Duft.“482 Die Synästhesie – „Stummer Duft“ – deutet an, wie umfassend der Rauschzustand ist, in dem der Dichter sich der Frau – „weißes Tier“ – zuwendet, so daß in dieser Verfassung sogar die Grenzen der Wahrnehmung sich auflösen. Die Hinwendung zu jenem weißen Tier geschieht dabei ganz aus dem Unterbewußten – „Dunkel“. „Die Frau lebt noch im Einklang mit der Natur, während der Mann durch ein Rationales Bewußtsein davon getrennt ist. Daher sucht Benn im Rückgang auf das Erotisch-Primitive Zugang zu diesem Bereich und eine Verbindung mit dem Weiblichen.“483 Die artspezifischen Verhaltensweisen der Katze bilden den Ursprung der proklamierten Wesensverwandschaft von Katze und Frau. Für die Schilderung seiner Beziehung zur Frau in der Dresdener Zeit, als Dodo seine Lebensgefährtin war, zieht Kirchner noch Jahre später das Bild der Katze heran: „Die erste Bedingung im Liebesleben ist doch, daß eine Frau sauber ist, sonst ist es eine Schweinerei. Ich danke Dir Dodo, daß Du mich daran gewöhnt hast. Du feine blitzsaubere Katze. Deinen Körper konnte ich ganz küssen, vom Kopf bis zu den herrlichen Füssen. Süß und duftend war er.“484

481 Schmersahl, Katrin. Zur Funktion der Kategorie „Geschlecht“ in der Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Der Kampf der Geschlechter. Der neue Mythos in der Kunst. 1850–1930, Ausstkat. München, München 1995, S. 318. Zit. nach: Nierhoff, 2001, S. 81. 482 Gottfried Benn: Untergrundbahn. Zit. nach: Froelich, 1990, S. 30. 483 Ebd.,S. 40. 484 Tagebucheintrag Kirchners am 29. Juli 1919. Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 40. Die Abbildung der Frau mit Katze im Kontext der Ausstellung im Kunstsalon Gurlitt schildert eine seitliche Ansicht, so daß eine Haarkalotte erkennbar wird, die wir aus anderen Darstellungen als Kennzeichen von Kirchners damaliger Lebensgefährtin Dodo kennen. Durch die spezifisch expressive Formensprache ist sie jedoch so stark typisiert, daß die grundlegende Gratwanderung zwischen persönlicher und allgemeingültiger Aussage gelingt. In den Erinnerungen Kirchners wird Dodo immer wieder verklärend aus dem Rest seiner zahlreichen weiblichen Beziehungen herausgehoben. „Meine Frau [Erna Schilling] sagt immer, ich habe kein derartiges Bild einer Frau je wieder erreicht […] Aber vielleicht hat sie insofern recht, als die erste tiefe Liebe des Frauenleibes in dies Bild gekommen ist, die es nur einmal gibt.“ (Brief Kirchners an Carl Hagemann vom 4. April 1933. Zit. nach: Kirchner/Hagemann, S. 238.) In Verbindung mit diesem ‘Personalisierungsmoment’ spitzt die Beschreibung der sexuellen Dodo, für die Kirchner das Verhaltensideal einer Katze heranzieht, die Analogisierung von Frau und Katze noch mehr zu. 129

Die Katze ist von allen Tieren das einzige, das, um dem Menschen nutzbar zu sein (z.B. bei der Schädlingsbekämpfung), die ihm eigene Wildheit und Triebhaftigkeit beibehalten mußte. Die Literatur des 19. Jahrhunderts fügt der „Katze als Sinnbild des Kreatürlichen“485 in der Verknüpfung von Katzengebaren und weiblicher Naturhaftigkeit eine sexuelle Komponente hinzu. In Honoré de Balzacs 1830 erschienener Erzählung Une Passion dans le Désert fühlt sich der Protagonist durch die spielerischen Bewegungen des erwachenden Tieres – einer Pantherin – an eine grazile Kokotte erinnert, die voller Anmut ihre Toilette macht.486 Die sexualisierte Beschreibung der Pantherkatze geht in den Austausch intimer Berührungen über und endet schließlich mit der Andeutung des Geschlechtsaktes: „C’était joli comme une femme. La blonde fourrure de la robe se mariait par des teintes fines aux tons du blanc mat qui distinguait les cuisses. La lumière profusément jetée par le soleil faisait briller cet or vivant, ces taches brunes, de manière à leur donner d’indéfinisables attraits. Le Provençal et la panthère se regardèrent l’un et l’autre d’un air intelligent, la coquette traissaillit quand elle sentit les ongles de son ami lui gratter le crâne, ses yeux brillèrent comme deux éclairs, puis elle les ferma fortement.“487

In Une Passion dans le Désert findet die Wesensverwandschaft von Katze und Frau und die sexuelle Aufladung des Tieres ihre Zuspitzung in einem geradezu sodomitischen Akt. Auf die assoziative Verbindung von tabuisierter Triebhaftigkeit mit ungezähmten Tieren hat Freud hingewiesen: „Man könnte sagen, die wilden Tiere dienen zur Darstellung der vom Ich gefürchteten, durch Verdrängung bekämpften Libido.“488 Die jetzt eingetretene Erweiterung um die eindeutig sexuelle Komponente findet sich dann auch bei Gauguin: „Ich glaubte, das Schnurren einer Katze zu hören, die über einen ungeheuerlichen sinnlichen Genuß nachdenkt.“489 Bei Kirchner und Gauguin ist es jedoch nicht mehr das Raubtierhafte, das Balzac beschreibt

485 So Peter Krieger über Hannah Hoechs Kubus, 1926. Zit. nach: Wilhelmi, Christoph. Handbuch der Symbole in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts. Frankfurt/Berlin 1980, S. 204. 486 Vgl. Putz, 1996, S. 194. 487 Balzac. Une Passion dans le Désert. In: Honoré de Balzac. Œuvres Complètes, Bd. 15, Paris 1960, S. 602. 488 Sigmund Freud. Gesammelte Werke Bd. 2/3. Die Traumdeutung. Über den Traum. London 1942, S. 399. In dieser Richtung verbindet auch Wedekind wildes Tier und Mensch, wenn er in seinem Prolog zu Lulu/Der Erdgeist/Die Büchse der Pandora die Grenzen zwischen Raubtierkäfig und Zuschauerraum, in welchem die triebgebändigten, im Inneren jedoch wilden (Kultur-)Menschen sitzen, durch die Wahl der Interpunktion aufhebt: „Wißt ihr den Namen, den dies Raubtier führt? Verehrtes Publikum – Hereinspaziert!!“ Frank Wedekind. Prolog zu Lulu/Der Erdgeist/Die Büchse der Pandora. In: Hahn, Manfred (Hrsg.). Werke in drei Bänden. Berlin/Weimar 1969. Zit. nach: Putz, 1996, S. 189. 489 Noa Noa, 1991, S. 16. 130 oder das sich in der bildenden Kunst in einer Salome Klimts oder Stucks490 niederschlägt, die „durch eine verderbte Verrenkung ihrer Lenden einem Greis einen brünstigen Schrei der Begierde entreißt, die durch Bewegungen ihrer Brüste und ihres Leibes, durch das Zittern ihrer Schenkel die Energie des Königs bricht und seinen Willen schmilzt – sie wurde gleichsam die symbolische Gottheit der unzerstörbaren Wollust, die Göttin der unsterblichen Hysterie, die verruchte Schönheit, […] das scheußliche, gleichgültige, unverantwortliche Tier, […] das alles vergiftet, was ihr nahekommt, was sie sieht, was sie berührt.“491

Für enthält das Bild der Katze nicht mehr die bedrohlichen Züge einer ‘femme fatale’, sondern statt dessen den naturhaften Sexualtrieb. Daher verkörpert eine Skulptur wie Frau mit Katze gerade nicht jene raffinierte, kalkulative, gar bedrohliche Erotik, sondern natürliche, unverfälschte Sexualität. Die Unverfälschtheit und kulturelle Unverdorbenheit dieses Sexualitätsverständnisses ist auch aus primitiver Kunst extrahiert, von der die Künstler annahmen, daß sie eine natürliche erotische Nacktheit und die damit inhärente Sexualität als ursprüngliches und naturgegebenes Phänomen darstellt. Auf die entsprechende Bedeutung des sogenannten Palau-Balkens ist hingewiesen worden. Dessen Schnitzereien boten nicht nur aufgrund ihres Stils eine ‘Parallele zum eigenen Schaffen’, sondern waren auch wegen des vermeintlich derb erotischen Inhalts (Männer mit großen Penissen [Abb. 87])492 unmittelbares Vorbild der stilisierten Paare, die auf Vorhängen und Wandbehängen die Dresdener Ateliers bevölkerten und als Bedeutungschiffre wirksam werden konnten. Neben formal-stilistischen Anregungen ging es den -Künstlern bei der Beschäftigung mit primitiven Kunstwerken um die Exzerption sexueller Details. Auch eine Postkarte mit der Zeichnung einer Figur aus Neuguinea, deren Geschlecht deutlich rot hervorgehoben ist, zeigt, welcher Focus die Künstler bei ihren Besuchen in den ethnographischen Sammlungen Dresdens auch und besonders leitete [Abb. 56]. Für Frau mit Katze scheint Kirchner eine formale und inhaltliche Inspirationsquelle beim Studium beispielsweise der Venus von Willendorf, ca. 24000–22000 v. Chr., einer weibliche Kalkstein-Statuette der Altsteinzeit,

490 Vgl. Gustav Klimt, Salome (Judith II), 1909 und Franz von Stuck, Salome, 1906. Abb. bspw. in Baur, 1995, S. 17, S. 21. 491 Diese Schilderung einer Salome ist 1884 erschienen und stammt aus der Feder des symbolistischen Schriftstellers Joris-Karl Huysmans. Zit. nach: ebd., S. 13. 492 Bspw. ist auf dem Balken in Dresden die Geschichte des Mannes Melogotog a gau mit dem langen Glied dargestellt: „Als seine Frau ihren Sohn ständig mit unzüchtigen Schimpfworten belegte, wollte dieser beide Eltern auf eine Insel vor der Küste schicken. Doch da wurde das Glied des Vaters so lang, daß er im Dorf zurückbleiben mußte. Von dort aus reichte er mit seinem Penis bis zur Insel hinüber und drang in seine Frau ein, bis sie daran umkam.“ Zit. nach: Tiesler, 1981, S. 7ff. 131 gefunden zu haben [Abb. 72]. In einem seiner Skizzenbücher findet sich eine Zeichnung der kurz vor Entstehung der Kirchnerschen Skulptur entdeckten Figur493 [Abb. 73]. Das 25.000 Jahre alte Bildwerk der Venus von Willendorf ist das berühmteste Beispiel für eine altsteinzeitliche Menschenskulptur. Sie ist 11 cm hoch und wurde mit Feuersteinwerkzeugen aus feinem Kalkstein hergestellt. Die Statuette stellt eine unbekleidete, steatopyge Frau ohne Füße dar. Dünne, mit gezackten Ringen geschmückte Arme und Hände sind nur schematisch dargestellt und ruhen auf schweren Brüsten. Wie diese sind auch die primären Geschlechtsorgane deutlich betont und sorgfältig in Schamhügel und Schamlippen unterteilt.494 Demgegenüber ist die bewußte Abstraktion des Gesichtes bemerkenswert. Der Kopf weist eine Anzahl von Wulstringen auf, die eine gelegte bzw. geflochtene Haarfrisur anzudeuten scheinen. Gesicht ist jedoch keines vorhanden. Hierin liegt meines Erachtens eine Parallele zu den schematisierten Gesichtsphysiognomien, wie sie die Skulpturen Kirchners und Heckes aufweisen und die ihren Höhepunkt an Typisierung in den Werken der Jahre 1912 und 1913 finden. Auch bei Kirchner und Heckel wird geschlechtliche Differenzierung zumeist primär über die Angabe der Sexualorgane bewerkstelligt. Die Gesichter dagegen lassen vielfach keine Unterscheidung von Mann und Frau zu [Abb. 79]. Bei Barlach beispielsweise ist es dagegen genau umgekehrt. „Die zeitlosen Gewänder seiner Gestalten verbergen deren Geschlechtszugehörigkeit; ihre Sinnlichkeit beruht auf der Ausdrucksgestik von Gesicht, Händen und Körpergebärde.“495 Folgerichtig hat für diesen Künstler auch Erotik nicht den Stellenwert, den sie bei besitzt. Ihm schien „das Lieben […] so recht im Vollen nicht interessant genug“, es sei „eine Privatsache“, darstellungswürdig nur „als allgemein Menschliches unter anderen Menschlichkeiten“496. Das -Primat des Körpers wird bei Barlach sekundär. die sack- und kuttenartigen Gewänder, die nahezu alle seine Werke zeigen, sind sein Ausdruck von Entindividualisierung, Ausdruck des allen Menschen Gemeinsame, mit dem er seine Figuren in eine überzeitliche Gültigkeit zu überführen versucht. Zum gleichen Zweck setzen Kirchner und Heckel die allen Menschen gemeinsame Mimik des Körpers, die universelle Sprache der Glieder ein. In dieser Hinsicht ist eine Skulptur wie die Venus von Willendorf äußerst beredt. Die Statuette wurde 1908 bei einer Grabung im Auftrag des Naturhistorischen

493 Nach Presler in Skb 12. Vgl. Presler, 1996, S. 56 und S. 206. 494 Die Detailgenauigkeit, mit der bei der Venus von Willendorf die Geschlechtsorgane geschildert werden, gab Kirchner möglicherweise Anregung für die Schamgestaltung seiner Karyatide. Vgl. Kapitel II.C.1.2. 495 Beloubek-Hammer, 1994, S. 337. 132

Museums Wien in der Wachau bei Willendorf gefunden und ist so gut wie unversehrt erhalten. Ihre eigentliche Bedeutung gibt den Wissenschaftlern weltweit bis heute Rätsel auf. Zur Zeit ihrer Auffindung wurden solche Figuren jedoch im Zusammenhang mit Fruchtbarkeitsvorstellungen und Begriffen wie Mutter, Urmutter und Gebärerin gesehen. H. Obermaier, einer der leitenden Prähistoriker der Grabung, notiert in seinem Tagebuch: „schematisch- degenerierte Figur, […] kein Gesicht, nur dick und feminin. Wohlstand, Fruchtbarkeit“497. Auf der Suche nach einem passenden Bedeutungszeichen für eine starke weibliche Sexualität experimentieren Kirchner und Heckel mit verschiedenen Motiven. Für die Jahre bis ca. 1912 verwenden sie, angeregt durch die weiblichen Aktdarstellungen primitiver Kunstwerke, stark überzeichnete Gesäße oder schwere Brüste. Die Venus von Willendorf stellt hier nur ein besonders sprechendes Beispiel dar498, denn auch aus der Ikonographie schwarzafrikanischer Frauen, besonders der Hottentotten, kannte man beispielsweise das ausladende Gesäß. Es galt im 19. Jahrhundert als Zeichen ihrer primitiven Kulturstufe und der damit verbundenen abweichenden, als krankhaft geltenden starken Sexualität.499 Auch die Leibesfülle wurde dahingehend interpretiert. Diese und ähnliche Charakteristika werden von den Künstlern positiv umgedeutet und zu wesentlichen Kennzeichen der weiblichen Aktfiguren im plastischen Werk Heckels und Kirchners bis ca. 1912. Die Abbildung der Ausstellung von im Kunstsalon Gurlitt 1912 zeigt dafür ein weiteres Beispiel [Abb. 76]. Dort wird auf der linken Seite des Durchgangs eine zweite Skulptur geschildert, die verschollen ist. Ich möchte aufgrund der charakteristischen Geste des abgeklappten rechten Armes, der die eigene Brust berührt, und den Kirchner auch in der Hockenden [Abb. 5] verwendet, auf seine Urheberschaft schließen. Aus stilistischen Gründen ist ihre Entstehungszeit vermutlich die gleiche wie Frau mit Katze, wie sie deren Abbildung im Atelierkontext zeigt [Abb. 8]. Eine Figur wie die Venus von Willendorf muß die Künstler fasziniert haben. Eine in die Natur eingeflochtene Erotik macht aus einer Fränzi mit Katze eine Venus von Willendorf mit Katze. Aus dem unbeschwerten Umgang des Kindes mit seiner Spielkameradin wird der Inbegriff von natürlicher Sexualität und Fruchtbarkeit. Damit gehen die -Künstler allerdings ganz konform mit der bürgerlichen Geschlechterideologie. „Das Verständnis der Frau als

496 Brief Barlachs an seinen Vetter Karl vom 27. September 1916. Zit. nach: Barlach, Briefe, S. 493. 497 Zit. nach: Wissenschaft entdecken. Der Österreichische Wissenschaftskalender 2002. http:// www.bmbwk.gv.at/cgi-bin/kalender.cgi?0807&txtonly. 498 Vgl. auch die Beschäftigung Kirchners und Heckels mit den indischen Wandmalereien in Ajanta 133

Naturwesen, aus welchem sich auch bei der die Vorstellung von der sexuellen Frau ableitet, zeigt das konservative Denken der jungen Künstler.“500 Diese Ansicht findet sich bei Nietzsche vorgebildet und wird von Kirchner in der Aussage „Studierte Weiber sind immer unglücklich“501 zugespitzt. „Diese Konformität endet jedoch, wie auch im Denken Nietzsches, bei der Einstellung zur Sexualität der Frau. Hier folgen sie nicht bürgerlichen Denkmustern, sondern treten in ihrer Kunst für deren Gleichberechtigung im sexuellen Erleben ein.“502 Ein Vergleich von Heckels Kleiner Stehenden von 1906 und Fix- Masseaus (1869–1937) Das Geheimnis von 1894, macht die dahingehende Neuerung deutlich.

2. Körperliche und ‘plastische’ Lust Die Gleichsetzung von schöpferischem und sexuellem Akt

Um die Jahrhundertwende waren geheimnisvolle Frauen mit archaischer Bekleidung eines der bevorzugten Skulptur-Themen. Ihnen wurden oftmals kleine Kästchen mitgegeben, um sie als Pandora oder ähnliches zu verbrämen. Das Geheimnis [Abb. 77] trägt das Unbekannte und Geheimnisvolle, für das die goldene Kiste und ihr unbekannter Inhalt steht, bereits im Titel. Das bedeckte Haupt assoziiert der Betrachter mit einer Priesterin, und ein Davidsstern auf dem Sockel verortet die Figur gleichzeitig im alttestamentarischen Kontext. Mit ihrer streng hieratischen Pose und der Gewandung zeigt sie signifikante Parallelen zu Heckels früher Kleinen Stehenden [Abb. 23]. Genau wie diese steht Das Geheimnis mit eng geschlossenen Beinen und parallelen Füßen dem Betrachter gegenüber, was einen eindrücklichen Kontrast zu ihrem Erotizismus bildet. Auch das Fehlen eines echten Kleidungsstückes und die Gewandung in ein weites Tuch, das den Körper nur teilweise verhüllt, verbindet Heckels plastische Anfänge mit dem 12 Jahre älteren Werk. Keine geschlossenen Augen und keine Schachtel verbrämen jedoch bei ihm den Blick auf den nackten weiblichen Körper. Heckels Figur bedarf einer solchen Mystifizierung der Frau nicht mehr, sondern im Gegenteil ist die enthüllende Bekleidung programmatisch zu lesen. Fix-Masseau verdeckt Scham und Brüste und analogisiert damit den geheimnisvollen Inhalt der Kiste und verborgene Nacktheit, wohingegen die Kleine Stehende gerade diese Teile ihres Körpers exponiert. Während Fix-Masseau Das Geheimnis nur ihren nackten Bauch und

499 Vgl. Gilman, 1985. 500 Nierhoff, 2001, S. 78. 501 Tagebucheintrag Kirchners, ohne genaueres Datum, 1919. Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 34. 502 Nierhoff, 2001, S. 78. 134 die Beine zeigen läßt, die zudem noch teilweise vom Gewand verdeckt werden, präsentiert Heckels Kleine Stehende gerade die Attribute erotischer Anziehungskraft, unbedeckte Haare und nackter Körper. Heckel und Kirchner beschränken sich bei der Gestaltung eines neuen Frauen- bzw. Menschenbildes nicht auf die plastische Wiedergabe des weiblichen Körpers, sondern weisen explizit auf dessen Geschlechtlichkeit hin. Sie als allgemein weiblich zu sehen, dafür hatte bereits die schlichte skulpturale Ausarbeitung genügt. Durch Gestik und die farbliche Akzentuierung von Brust und Scham verlassen diese Akte jedoch den Bereich allgemeiner Nacktheit und impliziter Sexualität und werden als sexuelle Wesen charakterisiert. Die Künstler rücken also in ihren Figuren die Aktdarstellungen aus dem Bereich verhohlener Lust in den Brennpunkt ihres künstlerischen Interesses: „Auf erotischem Wege [begann] die Gestaltung des Verhältnisses zur Frau.“503 Dies schildert bereits 1906 die etwa 20 cm hohe Skulptur Liebespaar von Heckel [Abb. 78]. Das Stück ist, soweit man aufgrund der Überlieferungssituation seines Œuvres sagen kann, formal und inhaltlich singulär im plastischen Werk Heckels. Von ihm sind keine weiteren plastischen Gruppen erhalten, und auch die ‘direkte’ Darstellung von Sexualität findet sich allenfalls im graphischen Werk. Die aus Lindenholz gefertigte Gruppe ist uns nur anhand von Photographien überliefert. Die Abbildung zeigt links außen in Form eines Kniestücks zwei eng umschlungene Figuren. Ihre innige gestische Verbindung wird durch die Verdeutlichung der Herkunft aus ein und demselben Holzklotz ergänzt: Liebespaar ist, soweit erkennbar, nicht aus zwei Einzelskulpturen zusammengefügt, sondern beide Figuren entwickeln sich, wie aus der Gestaltung der Beine ersichtlich wird, aus der gleichen Plinthe. Die männliche Figur umarmt mit ihrem rechten Arm die vorn stehende Frau, und beide sind einander im Kuß zugewandt. Der Arm des Mannes und beide Arme der Frau sind über der Scham der Frau zusammengeführt, so daß in Verbindung mit dem Kuß eine sexuelle Berührung durchaus wahrscheinlich erscheint. Heckel befreit das sich küssende Liebespaar aus der Tradition symbolischer Überhöhung des Themas und verortet statt dessen das Küssen und die sexuelle Stimulation als natürlichen Teil der körperlichen Beziehung zwischen Mann und Frau. Dies zeigt sich in der bildkünstlerischen Sprache. Im Bereich der Oberschenkel verschmelzen die männliche und weibliche Gestalt derart, daß die gleiche Form sowohl seinen als auch ihren rechten Oberschenkel zu bilden scheint und so der Eindruck höchster Intimität erzielt wird. In Heckels und Kirchners (s.u.) Liebespaaren findet ein neues, auf Gleichberechtigung fußendes sexuelles Verhältnis zwischen Mann und Frau seinen künstlerischen Ausdruck. Den bei

503 Tagebucheintrag Kirchners 1925. Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 72. 135 einer solchen erotischen Begegnung frei werdenden vitalen Energien wird in der kraftvollen Formensprache Gestalt gegeben. Nicht nur gemeinsam erlebte Erotik, sondern auch die selbstvergessene und versonnene Berührung des eigenen Körpers durch die Frau verweist in den Bildwerken auf einen lustbetonten und autoerotischen Umgang mit Sexualität. Das Berühren der eigenen Brust bei Kirchners Hockender und der linken Figur im Ausstellungsphoto des Kunstsalon Gurlitt [Abb. 5, 76] illustriert dies. Selbst- Bewußte weibliche Sexualität verbildlicht sich bestmöglich in Kirchners Kauernder [Abb. 44]. Die heute verschollene Figur ist vermutlich 1909/10 entstanden und gehört zu den frühesten Bildwerken Kirchners. Die Photographie des Künstlers, in der uns die Skulptur überliefert ist, zeigt einen mit weit gespreizten Beinen hockenden weiblichen Akt. Indem Kirchner „die weiblichen Schenkel öffnet, die seit dem Anbeginn der ägyptischen Plastik hermetisch verschlossen geblieben waren“504, präsentiert er hier eine Wahrheit geschlechtlicher Natur, die bis dato in der Skulptur versteckt wurde. Den Oberkörper weit zwischen die nach vorne abgewinkelten Knie gebeugt, führt die Frau ihre rechte Hand bis unmittelbar vor ihre Scham. Die nach innen gewölbte Handfläche der rechten Hand kontrastiert Kirchner mit der verdrehten linken, deren Handteller anatomisch verkehrt nach vorne zeigt, um den Blick auf die unmittelbar bevorstehende autoerotische Berührung zu lenken. Mit auffällig detaillierter Bemalung schildert Kirchner das Ziel dieser Berührung und differenziert das Geschlecht in Schambehaarung und Vulva wie er auch die Brustwarzen in mehreren Kreisformen überdeutlich hervorhebt.505 Der Betrachter sieht sich so unvermittelt dem Intimsten einer Frau gegenüber, dessen direkte Darstellung zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer noch zu den feststehenden Tabus abendländischer Kunst gehörte.506 Das Gesicht dieser Figur übermittelt keinerlei Mimik, an der man sexuelle Erregung ablesen könnte. Diese vermittelt allein die Körpersprache, die durch ihre blockhafte Verklammerung der Gliedmaßen, von denen keine in irgendeine Richtung ausgestreckt ist, ganz der Verdeutlichung der Konzentration der Frau auf die eigene Lust dient. Schnitzspuren, die die Oberfläche mit tiefen Kerben überziehen und selbst runde Formen wie die Nase wie einen grob behauenen Kubus erscheinen lassen, versetzen die Kauernde in eine unruhige Schwingung, die durch die Bemalung noch verstärkt wird. Diese löst die blockhafte Statuarik auf und zergliedert die Figur durch breite schwarze Striche, so daß dem

504 Morin, Louis. Le Raid Rodin. In: Revue de Quat’ saisons 1900, Nr. 3. Zit. nach: Sommer, 2002, S. 234. 505 Daß dieses Motiv in der Malerei nicht viel anders behandelt wurde, illustriert der Umstand, daß Courbets Gemälde Der Ursprung der Welt (L’ Origine du monde) „seit seiner Entstehung 1866 dem Blick der Öffentlichkeit (bis zur Präsentation im Pariser Musée d’Orsay 1995)“ entzogen war. Vgl. Sommer, 2002, S. 235. 136

Betrachter durch das rezeptive Hin- und Herspringen zwischen der Gesamtform und den schwarzgerahmten Einzelteilen eine gewisse erregte Bewegtheit übermittelt wird. In der Verkörperung der freiwerdenden sexuellen Energie scheinen die schwarzen Linien eine Analogie zu den „Kraftlinien“ Ludwig Rubiners darzustellen: „Es kommt auf die Umwandlung der Energie an. Sittlich ist es, daß Bewegung herrscht. Intensität, die unser Leben erst aus gallertiger Monadigkeit löst, entsteht nur bei der […] Umsetzung von Innenbildern in öffentliche Fakta. Kraftlinien brechen hervor, Kulissen werden umgeschmissen, Räume werden sichtbar, Platz, neue Aufenthaltsorte des Denkens; bis zur nächsten Katastrophe.“507

Wichtig scheint Kirchner auch die Gestaltung der Arme gewesen zu sein. Sie sind so eng am Körper geführt, daß sie die Brüste noch zusätzlich nach vorne schieben. Ihr Verlauf wird zusätzlich durch die Bemalung unterstrichen, die die Zickzacklinie besonders des rechten Armes hervorhebt. Sie verläuft von der Schulter nach vorne, ab dem Ellenbogen wieder nach hinten, um dann durch die auffällig nach vorn geklappte Hand erneut auf den Betrachter zugeführt zu werden. Sie ließe sich sogar, der Bemalung folgend, über das Bein verlängern und in die Gegenrichtung wieder zurückführen. In Kirchners Skulptur Liebespaar von 1912 wird die sexuelle Handlung zwar expliziter geschildert, zusätzlich vermittelt aber auch hier das gleiche Stilmittel der vielfach in ihrer Richtung gebrochenen Linie die sinnliche Erregung der Akteure an den Betrachter. Die Skulptur Liebespaar ist uns ebenfalls nur in Photographien des Künstlers überliefert [Abb. 79]. Für die Abbildung in seiner 1926 erschienenen Monographie508 wählt Kirchner eine Aufstellung der Figur vor der Wand seines Hauses in Davos. Auf Augenhöhe dem Betrachter präsentiert, besteht Liebespaar aus zwei unbekleideten Holzfiguren, einer männlichen und einer weiblichen, die Rücken an Bauch hintereinander stehen. Die weibliche Figur umarmt dabei von hinten den Mann und umfaßt mit beiden Händen sein Geschlecht. Wie bereits angesprochen, läßt sich abgesehen von diesem offensichtlichen Hinweis das Geschlecht der beiden Figuren nur schwer differenzieren. Es zeigt sich, daß Kirchner darauf verzichtet, anhand des Gesichtes detailliertere Erkenntnisse über die Figuren oder ihr Verhältnis zu übermitteln. Allenfalls anhand des Haares läßt sich eine geschlechtsdifferenzierende Gestaltung bemerken. Während der Mann die Haare hinter die Ohren gekämmt hat, weist seine Begleiterin eine Pagenfrisur auf, die wir an Kirchners Bildwerken seit 1912 kennen. Physiognomisch nähert

506 Vgl. Sommer, 2002, S. 234ff. 507 Ludwig Rubiner. Der Mensch in der Mitte. Berlin 1917. Zit. nach: Pörtner,1960, S. 73. 508 Grohmann, 1926. 137 die abstrahierende Typisierung beide zur Austauschbarkeit einander an. Erst körperliche Details machen eine Differenzierung in Mann und Frau deutlich. Die männliche Figur ist größer und ihre Beine sind aus schlankeren Einzelformen kombiniert. Unter dem rechten Arm der Frau läßt sich ein Brustansatz erkennen, und auch Oberschenkel und Gesäß weisen im Unterschied zu den männlichen Körperteilen deutliche Rundungen auf, die durch einen tiefen Kerbschnitt zwischen Oberschenkel und Gesäß noch verstärkt werden. Auch an der Mißachtung der organischen Korrektheit in diesem Detail wird Kirchners Abstraktionsbemühen bezüglich der Einzelformen deutlich. Auf dem rechten Fußrücken der Frau beginnt eine Reihung von Bogenformen oder Kreissegmenten, die sich über die geschwungene Sohle, über Wade und Oberschenkelrückseite bis zum Gesäß fortsetzt. Kirchner scheint dies bei der Auswahl des Bildausschnittes berücksichtigt zu haben, hebt sich diese Linie doch auf dem hellen Baumstumpf und vor der weißen Hauswand besonders gut ab. Den Rhythmus durch Formenaddition stellt Kirchner über die korrekte Schilderung einer Oberschenkelrückseite. Er treibt diese Autonomie des hölzernen Menschenabbildes sogar so weit, daß der rechte Arm des Mannes – anatomisch unmöglich – hinter sich an Kinn und Hals der Frau greift. Der Brustkorb des Mannes ist dermaßen auffällig gerundet, daß die Priorität, die Kirchner der Fortsetzung der Linienführung beizumessen scheint, deutlich wird. Dies alles Zugunsten des ‘Zickzack-Rhythmus’, der die gesamte Figur bestimmt. “Wie in einem Parallelogramm der Kräfte geht die Wechselbeziehungen der Einzelformen und der Gesamtform hin und her und schafft eine gleichnishafte symbolähnliche Gestaltung, die stärker und eindringlicher wirkt als jede naturalistische Wiedergabe.“509

Die waagrecht gelagerte Zickzack-Linie des Armes verbindet die beiden senkrechten und parallel verlaufenden Zickzack-Formen der Einzelpersonen. Der Arm des Mannes bildet ein V, um die Frau zu erreichen und zu liebkosen, wie ihre Arme ein V bilden, um seine Hüften und sein Geschlecht zu umarmen. Der Gleichklang der Formen evoziert eine körperliche Harmonie, mit der eine Gleichberechtigung im sexuellen Erleben darstellbar wird. Für eine spätere Gruppe, das „Nackte Tanzpaar“510, beschreibt Grohmann die Wichtigkeit des „Parallelismus der Glieder und die Wiederholung des spitzen Dreiecks zwischen den gespreizten Beinen“, mit dem die rasche Bewegung zum Ausdruck gebracht werden soll.511 Gegenüber dem Weißen Tanzpaar, wie die von Grohmann

509 Grohmann, 1926, S. 33. 510 Grohmann, 1926, S. 47. 511 Ebd. 138 beschriebene Skulpturengruppe heute bezeichnet wird, geht es bei Liebespaar nicht in gleichem Maße um äußere Bewegung. Hier übermitteln die gleichen Elemente beidseitige sexuelle Erregung und innere Bewegung, so daß Liebespaar in seinen Gesten und vor allem im rhythmischen Aufbau der Figuren ganz die seelisch-körperliche Nähe und dynamische Gestimmtheit von Sexualität ausdrückt. Mittels der Photographie gelingt es Kirchner sogar, das im obigen Zitat beschriebene „spitze Dreieck“ durch das Weiß der Hauswand in die Gesamtwirkung der Gruppe einzugliedern. Der enge Bildausschnitt konzentriert die Aufmerksamkeit ganz auf die Gruppe des stehenden Paares. Kirchner beschränkt ihn derart, daß der rechte Fuß der männlichen Gestalt sogar angeschnitten wird. Ein Holzklotz fungiert als Standfläche für die sockel- und sogar plinthenlose Skulptur.512 Eine weitere Aufnahme, die die Skulptur im Atelier Kirchners zeigt, schildert das Resultat dieses Kunstgriffes [Abb. 12]. Die Photographie verdeutlicht, wie die fehlende Aufsockelung Liebespaar in den Lebens- und Kunstkontext der Ateliers einbindet und Menschen und Kunstwerke in diesem vereinigt. Die geschilderte Sexualität ist dabei nicht allgemeinen Zusammenhängen oder traditionellem Formenkanon entnommen, sondern aus der eigenen Existenz, dem eigenen Künstlerleben extrahiert. Die Freundinnen der Künstler waren Geliebte und Lebensgefährtinnen, zugleich aber auch Modelle für die künstlerische Arbeit. Wie nahtlos das eine in das andere hineinfloß, beschreibt Kirchner 1923 in seinem Tagebuch: „Auf der Akademie lernte ich das Aktzeichnen in akademischer Weise verwerfen, ich arbeitete nur zu Hause in freier Weise. Oft stand ich mitten im Coitus auf, um eine Bewegung, einen Ausdruck zu notieren.“513

Nicht die Pikanterie oder der vermeintliche Wahrheitsgehalt514 dieses Zitates ist von Bedeutung, sondern daß für Kirchner der Umgang mit Sexualität bestmöglich sein Kunstverständnis zu bebildern schien. Mit dem Text, aus dem diese Zeilen stammen, sollte Kirchner nämlich „die Geschichte der für das Kunstblatt schreiben“515 und erhielt damit die Möglichkeit, in einer der wichtigsten Kunstzeitschriften der Zeit, die dem „Bleibenden in der Kunst der Gegenwart“516 gewidmet war und als eigentliches Organ des Expressionismus in

512 Zu Thema Sockel vgl. Kapitel II.B.2. 513 Kirchner. Tagebucheintrag vom 1. März 1923. Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 63. 514 Vgl. dagegen bspw. Presler, 1999, der seinen Aufsatz programmatisch mit Neue Ansätze zur Erforschung des Werkes von Ernst Ludwig Kirchner untertitelt. Gleich im ersten Absatz begeht er jedoch die immer wiederkehrende 1:1-Übertragung von Kirchners Selbstzeugnissen und seinem Werk. Dies Beispiel ist um so symptomatischer, da Presler selber darauf hinweist, daß dieser Text von Kirchner bewußt zur Steuerung der Rezeption der eigenen Person verfaßt wurde. 515 Vgl. Davoser Tagebuch, 1997, S. 61. 516 So der Untertitel der Zeitschrift. 139 der bildenden Kunst angesehen werden kann, seine 1923 aktuelle Kunstauffassung und retrospektiv diejenige der zu vermischen und darzustellen. Die „freie Weise“517, in der er nur zu Haus arbeiten könne, beinhaltet nicht etwa ein größeres Raumangebot, die freiere Wählbarkeit der Malmittel o.ä., sondern mit „freie Weise“518 bezeichnet Kirchner, wie der Anschlußsatz illustriert, den Umgang mit Sexualität, in der sich Geschlechtsakt und Kunstschaffen durchdringen und gegenseitig bedingen. Im „Erlebnisraum“ Atelier äußert sich sexuelle Kraft gleichbedeutend mit der künstlerischen.519 Kirchner wählt zum Vergleich die traditionell akademischste aller Gattungen, die Aktzeichnung, um zu verdeutlichen, daß die Kunstauffassung von eine persönliche, intime Beziehung zum Modell verlangte. In ihr ist die Sexualität des Künstlers und des Modells Teil des künstlerischen Prozesses und erlangt als Ausdruck des eigenen (Er-)Lebens in den aufgeführten Beispielen Bildwürdigkeit. Auch Nietzsche versteht den künstlerischen Schaffensprozeß als biologischen Elementarvorgang, so daß er eine Analogie von künstlerischer und sexueller Energie herstellt: „Es ist ein und dieselbe Kraft, die man in der Kunst-Conception und die man im geschlechtlichen Actus ausgiebt: es giebt nur eine Kraft.“520 In diesem Sinn versteht auch Schaffen als einen elementaren schöpferischen Vorgang, der dem sexuellen gleichgesetzt wird und durch die Schaffensästhetik und in der künstlerischen Form der Skulpturen seinen bildlichen Ausdruck erfährt. So läßt sich sagen: Bei Heckel und Kirchner sind körperliche und ‘plastische’ Lust Äußerungen desselben erotischen Triebes.

3. Die Inszenierung von Sexualität in der Gurlitt-Ausstellung 1912

Im April 1912 findet im Kunstsalon Gurlitt in Berlin eine - Ausstellung statt. Eine Photographie zeigt die Präsentation der Werke, die den Schluß nahelegt, daß Kirchner hier eine Ausstellungsdramaturgie einsetzt, durch welche seine verschiedenen Auffassungen zum Thema Sexualität anschaulich werden [Abb. 4]. So plaziert er neben die Skulptur Frau mit Katze das Gemälde Stehender Akt mit Hut von 1910 [Abb. 80]. An diesem Beispiel zeigt sich, daß in einer Skulptur wie Frau mit Katze eine andere Facette von Sexualität zum Ausdruck kommt als im dort benachbarten Gemälde. Im Gegensatz zur Skulptur muß Stehender Akt mit Hut auf die Möglichkeiten einer dreidimensionalen Begegnung zwar verzichten, durch die Lebensgröße der Darstellung wird der Betrachter jedoch nicht weniger

517 Kirchner, Tagebucheintrag vom 1. März 1923. Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 63. 518 Ebd. 519 Zur gelungenen Wortschöpfung der „Erlebnisräume“ vgl. Henze, 1997/98, S. 15. 140 eindrücklich mit dem weiblichen Akt konfrontiert. Dafür sind die Mittel der Inszenierung verantwortlich: Die Frau ist bis auf einen schwarzen Hut, rote Schuhe sowie Ohrringe, Kette und Armreif vollkommen nackt. Das helle Inkarnat betont die Frontalität der Figur und ihre Positionierung auf der Mittelachse des Gemäldes. Die helle Vertikale des Körpers, die sich auffällig von der farblichen Gestaltung des übrigen Gemäldes abhebt, wird durch das schmale, außergewöhnliche Hochformat des Gemäldes (205x65 cm) zusätzlich betont. Die dadurch erreichte, geradezu plastische, Wirkung beschreibt Kirchner selbst als eine täuschend echte Erscheinung: „Der grosse stehende Akt ist eines der Kampfbilder jener Zeit und hat fast geheimnisvolle Eigenschaften […]. Oft tritt er fast aus dem Rahmen. Als ich ihn einmal dem Scherer […] zeigte, meinte der erst eine lebendige Frau zu sehen und wollte sie anreden.“521

Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, daß die Figur durch den Vorhang auf den Betrachter zuzutreten scheint. Dieser Vorhang ist auch interpretatorischer Schlüssel des Bildes. Zum einen verortet er den Akt in der Dresdener Atelierwelt Kirchners, da wir ihn aus zahlreichen Darstellungen und Photographien kennen [Abb. 113], zum anderen weist seine Bemalung eine auffällige Veränderung zur Realität auf, die den Akt der Lebenswirklichkeit wieder entzieht. Der geteilte Vorhang hinterfängt auf der linken Seite die gesamte Flanke der Stehenden und wird links außen vom Bildrand abgeschnitten, so daß seine Bemalung mit ovalen Medaillons nicht mehr dechiffrierbar wird. Um so mehr konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die rechte Hälfte des Vorhangs, die hochgerafft ist und den Blick freigibt in den anschließenden Raum, in dem die Bemalung der Wandbespannung mit einem sich umarmenden Liebespaar erkennbar wird. Es wird vom rechten Oberarm des Aktes teilweise verdeckt und ist nur anhand anderer Darstellungen derselben Raumsituation eindeutig bestimmbar. Auch ein weiteres Element der Wandgestaltung, die stark abstrahierte blaue Baumkrone darüber, und die Karaffe darunter lassen sich nur schwer als solche und damit als Teil der Atelierwelt identifizieren. Auffallend ist

520 Zit. nach: Meyer, 1984, S. 29. 521 Brief Kirchners an Hagemann vom 4. April 1933. Zit. nach: Kirchner/Hagemann, S. 238. Über die Illustration der Gemäldewirkung hinausgehend, paraphrasiert Kirchner in diesem Beispiel die antike Anekdote des künstlerischen Wettstreites zwischen Zeuxis und Parrhasios, in der es um die möglichst lebendige Darstellung des Menschen als dem Ziel der Kunst geht. Damit bemüht der späte Kirchner sich um die Eingliederung in die künstlerische Tradition seit der Renaissance. In einem späteren Brief vom 12. Mai 1933 verbindet er diesen Überlieferungsstrang dann mit der eigenen jüngsten künstlerischen Vergangenheit, indem er seinen Stehenden Akt mit Hut nicht nur mit der Antike und der Renaissance verbindet, sondern ebenso mit den Größen der französischen Malerei: „Schön ist es, daß der beste Akt, den ich in Dresden malte nun zu Ihnen kommt. Er hält der Lise Renoirs im Folkwang die Waage, was Charme anbetrifft.“ Zit. nach: Kirchner/Hagemann, S. 239. Vgl. Nierhoff, 2001, S. 74, Anm. 297. 141 dagegen die gute Lesbarkeit des grünen Medaillons mit brauner Binnenzeichnung direkt über der Frau, das von ihrer ausladenden Hutkrempe überschnitten wird. Durch diese Verbindung zum weiblichen Akt, durch seine Größe und die Positionierung in der Verlängerung der Körperachse ist das Medaillon der zentrale Ansatzpunkt zur Entschlüsselung des Gemäldes. Ein Vergleich mit den bereits erwähnten Photographien und mit einem Holzschnitt Kirchners mit dem gleichen Thema macht dies deutlich [Abb. 7, 18, 81]. Die Photographien zeigen die gleiche Raffung des Ateliervorhangs; auch dort befindet sich das besagt Medaillon ungefähr in der Mittelachse der Aufnahme. In den Werken, die menschliche oder auch skulpturale Akte zeigen, stellt der Vorhang mit seinen Medaillons oftmals die zentrale Bildchiffre für die Einbindung der weiblichen Akte in die Atelierwelt, die Lebenswelt des Malers dar. Diese Rolle spielt er auch in Akt mit schwarzem Hut [Abb. 81], einem Holzschnitt, der detailgenau den gleichen Bildvorwurf schildert wie das Gemälde Stehender Akt mit Hut. In dem 1911/12 entstandenen Blatt ist links und rechts des Modells die zur Seite geraffte Draperie andeutungsweise zu erkennen. Während auf der rechten Seite der Darstellung die Medaillons mit erotischen Motiven abgeschnitten sind, ist direkt über dem ausladenden Hut geradezu exklamatorisch ein Medaillon gut zu erkennen. Es zeigt die stilisierte Liebesszene eines einander in Hockerstellung zugewandten Paares. Medaillon und Akt vermitteln motivisch den Stellenwert von Sexualität, während gleichzeitig die splittrige und unruhige Formensprache, die den Holzschnitt mit einem strahlenförmigen Netz weißer Linien in Bewegung versetzt, formal die Spontaneität des Erlebnisses Sexualität, seine schöpferische Kraft widerspiegelt. „Denn beides steht in einer Wechselwirkung, die einander bedingt: die Schaffenskraft, insbesondere die ursprünglich künstlerische, hängt auf das Innigste mit der körperlichen Zeugungsfähigkeit zusammen. Die Betätigungen beider sind Entladungen derselben Spannung. Oft tritt die eine an die Stelle der anderen; aber körperliche Impotate werden künstlerische Werke von selbständig er Erfindung nicht hervorbringen, nicht einmal in freier Nachempfindung genießen können. Nur so lange der Mann noch um das Weib wirbt, kommt seine Person für die Kunst sowohl als Schöpfer wie als Kritiker neuer Werke in Betracht.“522

Der Akt mit schwarzem Hut wird dadurch zur Reflexionsfigur eines neuen Verständnisses von Sexualität. Daß diese im Leben der Künstler eine zentrale Rolle einnahm, demonstriert dieses Blatt auch dadurch, daß es den erotisch geschmückten weiblichen Akt in das beinahe ausschließlich auf erotische Darstellungen konzentrierte Bildprogramm des figürlich ausgestalteten

522 Gustav Schiefler. Lebensgeschichte. 1913. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 161. 142

Wohnateliers einbindet. Ein Blick auf die Photographie beweist, daß Kirchner die Gestaltung des realen Vorhangs kaum verändert in die Graphik überträgt. Der Vergleich mit dem ein Jahr älteren Gemälde Stehender Akt mit Hut fördert jedoch einen wesentlichen Unterschied zutage. Anstatt das gleiche Liebespaar zu zeigen, schildert die Binnenzeichnung des Medaillons dort einen geflügelten Amor, der einen Bogen in seiner rechten Hand hält. Daß Kirchner den Stehenden Akt mit Hut auch deshalb wiederholt als „meine Venus“523 bezeichnet, ist daher auch aus dem ikonographischen Begleitprogramm heraus nur allzu verständlich. Die gemäldetechnologische Untersuchung des Bildes beweist, daß es nicht erst durch die ‘Restaurierung’ 1920 in diese Leserichtung verändert wurde. Die Examination förderte zutage, daß die „bräunlichen Medaillons auf […] dem -Vorhang der ersten Malschicht zugehörig“524 sind und Stehender Akt mit Hut somit von vorneherein als Venus angelegt war. Das Gemälde wurde 1920 von Kirchner überarbeitet und auf 1907 vordatiert. Die vorgenommenen Änderungen verleihen dem Bild eine größere Flächigkeit und Homogenität der Komposition. Kirchner beruhigt außerdem den ursprünglich skizzenhaften, bewegten Farbauftrag, wie ihn die nicht- überarbeiteten Werke dieser Zeit aufweisen.525 Die Korrekturen gehen auf Kosten einer größeren Unmittelbarkeit und Natürlichkeit, und in Verbindung mit dem nahezu schattenlosen Weiß des Körpers entrücken sie die Dargestellte in eine auratische Sphäre. Des weiteren stellt der Künstler seinen Stehenden Akt mit Hut wiederholt in Relation zur Venus von Lukas Cranach d.Ä. aus dem Jahr 1532 – „Dies Blatt läßt sich würdig der Cranachschen Venus in Frankfurt am Main zur Seite stellen“526 – und bezeichnet das Spätgotik/Renaissance- Kunstwerk als „Anstoß“527 für das eigene Gemälde. In der Art der Fußstellung sowie der ‘Bekleidung’ nur mit Schmuck ähnelt Kirchners Akt tatsächlich der Cranachschen Venus. Anders als die Göttin, der Cranach einen durchsichtigen Schal zur ‘Verdeckung’ der Scham beigibt, kokettiert der Kirchnersche Akt jedoch keineswegs mit seiner Nacktheit, sondern präsentiert sich und seine Blöße selbstbewußt. Die Körperhaltung mit der die nackte Frau vor den rahmenden Vorhang tritt, zeugt von natürlicher Posenlosigkeit.

523 „Wenn die nackte Frau, meine Venus, erst hängt werde ich froh sein. Es ist mein bestes Aktbild aus Dresden.“ Brief Kirchners vom 29. Oktober 1933 an Carl Hagemann. Zit. nach: Kirchner/Hagemann, S. 241f. 524 Zit. nach: Das 20. Jahrhundert im Städel, 1998, S. 79. 525 Für eine Abbildung des Gemäldes im ersten Zustand siehe: Karl Scheffler. Ernst Ludwig Kirchner. In: Kunst und Künstler, XVIII, 1920, S. 218. 526 Marsalle, 1921, S. 256f. 527 „Sie haben in Frankfurt ja Gelegenheit, das Bild mit der Cranachschen Venus zu vergleichen, die mir seinerzeit den Anstoß gab.“ Brief Kirchners an Hagemann. Zit. nach: Das 20. Jahrhundert im Städel, 1998, S. 81. 143

Die Frau des Gemäldes verkörpert mit ihrer hellen Haut, die Kirchner durch Blauweißhöhungen geradezu alabasterartig erscheinen läßt, das Bild einer ‘modernen Venus’.528 Das strahlend helle Weiß der Haut kontrastiert der Künstler mit den dunklen Brustwarzen und den Insignien verfeinerter Erotik. Hut, Schmuck, Schminke und Schuhe statten die Frau mit einer urbanen und kultivierten Erotik aus. Als ‘moderne Venus’ verkörpert sie die erstrebte Verbindung von Sexualität, Sinnlichkeit und Antibürgerlichkeit: „Es freute mich so, als ich in seinem [Otto Muellers] Atelier die Cranachsche Venus in grossem Photo aufgehängt fand, die in Frankfurt im Städel hängt. Dies Bild war auch mir damals Ideal eines Frauenaktes. Mein Bild nackte Frau mit Hut von 1907 zeigt es gut. Wir trafen uns auch in der sinnlichen Verehrung der Frau und der Schätzung der Eleganz.“529

In den Skulpturen Kirchners findet eine solche „sinnliche Verehrung“ und „Schätzung der Eleganz“ erst später ihren Niederschlag. Die Figur des Nackten Mädchens, um 1919 [Abb. 82], empfand Kirchner selbst als plastisches Äquivalent seines Gemäldes Stehender Akt mit Hut: „Die verschiedensten Lösungen eines Vorwurfes, die in Kirchners Werk vorkommen, geben einen interessanten Einblick in die experimentierenden Versuche […] und gehen durch die verschiedenen Techniken hindurch. Das Bild ‘Tanz zwischen den Frauen’ kehrt als plastisches Relief, als Radierung und Holzschnitt wieder. Sehr oft hat Kirchner noch nach Jahren ein Thema, das ihn beschäftigte (er bleibt im Grunde innerlichst allen seinen Schöpfungen verbunden), in anderem Material neu geformt. Das ‘Nackte Mädchen mit Hut’ (1907) erscheint ein Jahr später als Holzschnitt, 1917 als Plastik.“530

„Aus einer starken, aber sensiblen, feinen Erotik entstehen einige sehr schöne […] Akte, als Hauptwerk wohl das ‘Nackte Mädchen mit Hut’“531. Dieser „feinen Erotik“532 stellt beispielhaft die Frau mit Katze eine natürliche Sexualität an die Seite. Der zweite Zustand des Bildwerkes, in welchem Kirchner Frau mit Katze dann im Rahmen der Gurlitt-Ausstellung (und auch in Prag [Abb. 75]) präsentiert, deutet jedoch bereits die Veränderungen an, die das Frauenbild der Künstler erlebt. Im Vergleich zur älteren Photographie zeigen sich deutliche Spuren einer Überarbeitung, die sich vor allem in der Reduktion der Leibesfülle und Brüste niederschlägt sowie in der teilweisen Tilgung der Bemalung, besonders an Scham und Brüsten. Zum Wandel der Formensprache

528 Zu Analogien dieser modernen Venus zur Prostituierten vgl. Nierhoff, 2001, S. 74ff. 529 Kirchner in einem Brief an Hagemann vom 15. Oktober 1930. Zit. nach: Kirchner/Hagemann, S. 152. 530 Grohmann, 1926, S. 14f. 531 Ebd., S. 27. 144 haben die beiden Tänzerinnen Erna (Kirchners spätere Lebensgefährtin) und Gerda Schilling, die Kirchner nach seinem Umzug nach Berlin kennenlernte, mit dem ihnen eigenen Körperbau beigetragen: „Die Gestaltung des Menschen wurde durch meine 3te Frau [Erna Schilling], eine Berlinerin, die von nun an mein Leben teilte, und deren Schwester beeinflußt. Die schönen architektonisch aufgebauten strengformigen Körper dieser beiden Mädchen lösten die weichen sächsischen Körper ab. In Tausenden von Zeichnungen, Graphiken und Bildern formten diese Körper mein Schönheitsempfinden zur Gestaltung der körperlich schönen Frau unserer Zeit.“533

Der Dialog von körperlich erfüllter und zeichenhaft gestraffter Formensprache, die allen Kirchnerschen Bildwerken eigen ist, erfährt bei Kirchner um 1911/12 eine stilistische Gewichtsverschiebung. Das Beispiel seiner bereits vorgestellten Stehenden führt vor Augen, wie die Statik und Blockhaftigkeit der früheren Figuren wie Badende und Frau mit Katze einer Verjüngung der Gliedmaßen und einem „architektonisch aufgebauten strengformigen“534 Körperverständnis weichen.

532 Ebd. 533 Ernst Ludwig Kirchner. Die Arbeit E.L. Kirchners (um 1925/26). Zit. nach: Kornfeld, 1979, S. 336. 534 Ebd. 145

III. Stellenwert des bildhauerischen Œuvres im Selbstverständnis der -Künstler

Die künstlerische Entwicklung sowie Werk- und Ausstellungschronologie der Künstlergruppe sind bereits Gegenstand vielfältigster Untersuchungen gewesen. Stets wird dabei die künstlerische Revolution und Neuartigkeit hervorgehoben. Ihre Innovationen auf organisatorischem Gebiet und in der Verbreitung ihrer Werke finden dagegen zumeist wenig Beachtung.535 Es handelt sich dabei jedoch um hervorragend markt- und öffentlichkeitswirksame Strategien. Von besonderem Interesse und höchst aufschlußreich ist die Analyse dieser Organisations- und Kommuni- kationsstrukturen im Zusammenhang der bildhauerischen Arbeiten. Es zeigt sich, daß dabei eine sukzessive Übertragung vom internen auf den öffentlichen Bereich stattfindet – bis hin zum Bemühen um die Etablierung einer „Gegenöffentlichkeit“. Dabei erarbeiten sich die Gruppenmitglieder ihre Strategien zunächst in den zweidimensionalen Medien, bevor sie die als probat erwiesenen Mechanismen auch auf den Bereich der Skulptur anwenden. Erst auf der -Jahresausstellung in der Galerie Arnold in Dresden 1910 werden nach einer internen Konsolidierungsphase plastische Arbeiten der Öffentlichkeit vorgestellt. Die folgenden Ausführungen schilderten den zunächst privaten Charakter von Heckels und Kirchners plastischen Anfängen bis zu dem Zeitpunkt, an dem das plastische Werk zahlenmäßig immens ansteigt, und als Mobiliar des Ateliers Eingang in die Gemälde findet. Mit der Übertragung des privaten Raumes in die Ausstellungsräume der Galerie Arnold öffnet diese Binnenwelt erstmals für die Öffentlichkeit und beendet den zurückhaltenden Umgang mit dem eigenen plastischen Œuvre536.

535 Allein Betthausen, 1986 und zuletzt ausführlicher Grisebach, 2001 bzgl. einer Vernetzung von mit der Moderne und Hofmann, 2001 hinsichtlich professioneller Werbestrategien gehen auf diesen Sachverhalt ein. 536 Daß Heckel und Kirchner die Kenntnis ihrer Skulpturen bis zu diesem Zeitpunkt auf diesen Rahmen beschränkten, zeigt trotz des aufgezeigten ästhetischen Selbstbewußtseins ein gewisses Zögern hinsichtlich der künstlerischen Gewichtigkeit ihrer plastischen Werke. Dies bezeugt auch das intensive Bemühen um die Mitgliedschaft eines ‘vollwertigen’ Bildhauers: Am 24. September 1906 teilt Heckel Amiet die Absicht mit, den belgischen Graphiker und Bildhauer Georg Minne (1866–1941) zum Beitritt bei aufzufordern (vgl. , 2001, S. 354). Nach dessen Absage wendet sich die Gruppe sogleich an Lambertus Zijl (1866–1947) dessen Mitgliedschaft im Mitgliederverzeichnis der Ausstellung im Kunstsalon Richter im September 1907 etwas vorschnell als vollzogen verbucht wird, da sich Zijl letztendlich gegen einen Beitritt entschied. Von Minne auf Zijl umzuschwenken, könnte auch damit zusammenhängen, daß die Werke beider Bildhauer einige Ähnlichkeiten aufweisen und eine Beeinflussung Zijls durch den gleichaltrigen Belgier durchaus möglich erscheint. Bereits 1898 weist Julius-Meier-Gräfe in einem Aufsatz in der Zeitschrift PAN auf die stilistische Verwandtschaft beider Künstler hin. „Wir erleben in dem jungen holländischen Bildhauer Zijl eine ganz ähnliche Erscheinung. Auch er wie Minne fast ein Bauer, ganz und gar Naturkind, 146

Das äußere Zeichen für die Beendigung dieses Zustands ist besagte Ausstellung bei Arnold im September 1910. Ein Umschwung tritt ein, mit dem zum einen das bildhauerische Schaffen Kirchners verstärkt einsetzt, zum anderen die Heckelschen und Kirchnerschen Bildwerke ab jetzt verstärkt Öffentlichkeit erfahren. Die Kartengrüße des 1. und 16. Dezember 1910 bilden dabei gleichsam den bildgewordenen Niederschlag dieser Übergangsphase zwischen dem bisherigen und dem neuen Umgang mit der eigenen Skulptur. Sie dokumentieren die Privatheit eines postalischen Erinnerungs-Austausches auf der einen Seite und gleichzeitig die wiedererkennbare Darstellung des Atelierkontextes. Dieser wird von einer Art der Skulptur bevölkert, die stilistisch völlig verschiedenen ist von den bei Arnold ausgestellten Werken. Erst nachdem sich Heckels und Kirchners Selbstbild als Künstler derart gefestigt hatte, daß mit den Atelierdarstellungen jetzt das eigene Leben kaum chiffrierte, wiedererkennbare Darstellung fand, werden Skulpturen nicht nur als Teil dessen und in der Zweidimensionalität bildwürdig, sondern als freiplastische Kunstwerke autonom. Im Plakat zur Ausstellung bei Arnold wird dies evident. Es zeigt mit abgeschnittener Haarkalotte und der Betonung des Konturs Merkmale der zeitgleichen Skulptur. lädt mit dem Plakat zu einer Ausstellung ein, auf der sie zwar plastische Rückschau betreiben, dafür aber mit Mitteln werben, die in der Auseinandersetzung mit der aktuellsten Form der eigenen plastischen Werke entwickelt worden sind. Durch diese Evokation des Skulpturalen im Holzschnitt verschwimmen nicht nur die Grenzen zwischen Grafik und Skulptur; gleichzeitig wird die Skulptur zum werbewirksamen und öffentlichen Symbol der -Kunst des Jahres 1910 erhoben.

ganz und gar gesund und dieselbe instinktive Neigung zum Stil […]“ (Meier-Gräfe, Julius. Das Plastische Ornament. In: PAN, Jahrgang 4, 1898, S. 260) Fast überflüssig anzumerken, daß Formulierungen wie „Naturkind“ und „instinktive Stilneigung“ Signalwirkung auf die kunstinteressierte Leserschaft gehabt haben dürften. Selbst wenn der Veröffent- lichungszeitpunkt dieses Textes hinsichtlich einer Kenntnisnahme durch zu früh gewesen sein sollte, so hat Meier-Gräfe auf Zijl in seiner zuerst genannten „Entwicklungsgeschichte der Modernen Kunst“ erneut hingewiesen (Zu Zijl vgl. Zijl, 1990). Bestätigt wird Interesse an Minne noch durch die Aufzeichnungen Gustav Schieflers, der von Emil Nolde im November 1906 von erfuhr. „[Nolde] erzählt von den Vereinigungen mit den jungen Dresdnern (Schmidt…?). Hoffen Minne, Willumsen zu kriegen. Amiet haben sie.“ Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 256. 147

1. Von der privaten zur öffentlichen Bestimmung

1.1. Übertragung gruppeninterner Kommunikationsstrategien auf die Öffentlichkeit

Bezogen auf Künstlergruppen meint der Begriff der „Gegenöffentlichkeit“ eine regressiven Impuls, der es ermöglicht, „eine andere Produktion, einen neuen Stil oder überhaupt alternative Ideen in einer Enklave gewissermaßen rekursiv auszubilden und sie dann in der Öffentlichkeit durchzusetzen“537. Bei ist dies jedoch keineswegs der Fall, vielmehr läßt sich das Bemühen konstatieren, Öffentlichkeit zu erreichen. Gegenöffentlichkeit soll dabei unterschieden werden vom Begriff der „Rand- oder Gegenkultur“538, der vielfach im Zusammenhang des literarischen Expressionismus Verwendung findet. Die unterschiedlichen Wortendungen prononcieren dabei die unterschiedlichen inhaltlichen Dimensionen. Von einer „neuen Kultur“539 spricht Brücke erst nach ihrer Übersiedlung nach Berlin und der dort intensivierten ‘intellektuellen Verschwägerung’ mit den Protagonisten des literarischen Expressionismus.540 Im Unterschied zu diesen war in Dresden nicht in ein vergleichbares weitverzweigtes Netzwerk „von eigenen Zeitschriften, Verlagen, Kreisen, Clubs, Kabaretts und Cafés“ eingebunden, das in Berlin spätestens seit 1909/10 bestand.541 Erwin Loewenson, einer der

537 Rötzer, 1991, S. 74. 538 Anz, 1982, S. XVI. 539 Jahresbericht für 1910–11. 540 Diese Verbindung wird auch in der kunstwissenschaftlichen Literatur zu zunehmend Forschungsinhalt. Zuletzt Nierhoff, 2001, die die engen Beziehungen am Beispiel des Motivs der Prostituierten untersucht. Aber bereits in Dresden und schon vor dem Gruppenzusammenschluß zeigt sich in der Lektüre von Ibsen, Strindberg, Dostojewski, Whitman eine intensive Auseinandersetzung mit der aktuellen Literaturszene. Zu Heckels und Schmidt-Rottluffs schulischem Literaturzirkel, dem 1902 gegründeten Debattierclub Vulcan vgl. Moeller, 1997, S. 9–12. Auch persönliche Verbindungen wie die Freundschaft Schmidt-Rottluffs zu Richard Dehmel und seiner Frau und Kirchners Illustration von Dehmels Zwei Menschen sowie die Bedeutung Nietzsches (vgl. Kapitel B.1.), zeugen von der Bedeutung der Literatur für die Künstlergruppe. 541 Anz, 1982, S. XVI. Die beiden wichtigsten Zeitschriften (ab 1910) und (ab 1911) waren die publizistischen Sprachrohre der neuen Kunstbewegung. Bezüglich einer engmaschigen intellektuellen Infrastruktur ist bspw. besonders bemerkenswert, daß ihre beiden Protagonisten und inhaltlich zumeist zwar Antagonisten waren, viele Autoren z.B. des Neuen Clubs. (Zum Neuen Club vgl. Anm. 542) und bildende Künstler (bzgl. als erster Pechstein ab Januar 1911, des weiteren hauptsächlich Kirchner und Schmidt-Rottluff) jedoch in beiden Zeitschriften veröffentlichten. Literatenvereinigungen wie der Neue Club sowie GNU nutzten außer den gedruckten Medien auch literarische Abende als Publikationsforum ihrer Kunst, beispielsweise in eigens dafür ins Leben gerufenen literarischen Kabaretts. 148

Protagonisten des „Neuen Clubs“542, pointiert den Grundgedanken seiner Literaten-Vereinigung mit den Worten: Man wolle „eine Reihe von aristokratischen Institutionen ins Leben rufen, die den Zweck haben unabhängig zu machen: Eine Bühne, die nicht auf den Beifall des großen Publikums angewiesen ist; eine Zeitschrift, die compromißlos für die heiligen Extravaganzen in Kunst […] eintritt.“543

Dieses Streben nach einer von den etablierten Institutionen, dem herrschenden Kulturbetrieb und den politischen, moralischen, ästhetischen Konventionen unabhängigen Gemeinschaft zeigt durchaus „exclusiv geistesaristokratische Züge“544 und läßt sich als ein Grundprinzip auch von ausmachen: Im Anschluß an die Konzeptionen Nietzsches545 beanspruchen die Künstler für sich einen privilegierten Zugang zur Wirklichkeit, aus dem sie eine bis zur Auserwähltheit gesteigerte Bedeutung ihrer Person ableiten. Odi Profanum ist daher bezeichnenderweise das Motto des Hausbuches von . Dieses ‘Gemeinschaftsstammbuch’ entlehnt seinen Titel Horaz’ Ode „Odi Profanum vulgus et arceo.“ 546 Mit „Ich verachte den gemeinen Pöbel und halte ihn fern“, so die sinngemäße Übersetzung dieses Titels, legt ein deutlich abgrenzendes Zeugnis ab. Auf Grundlage dessen läßt sich allerdings nicht genauer spezifizieren, ob ihre „Verachtung der profanen Masse, nicht der Masse im sozialen Sinne, sondern der ungeistigen, verhärteten unaufgeschlossenen, in der Tradition verharrenden Masse des Bürgertums“547 galt oder jenen, „die an der Kunst überhaupt nicht Anteil nahmen, oder jene[n], die einer von ihnen verachteten Kunst huldigten.“548 Die unspezifisch separierend-elitäre Geste des Buchtitels scheint daher seine eigentliche Intention.549

542 1909 von Erwin Loewenson, Erich Unger, Jakob van Hoddis und Kurt Hiller in Berlin gegründet, war der Neue Club die erste expressionistische Autorenvereinigung. Ihre prominentesten Vertreter waren Jakob van Hoddis, Georg Heym, Ernst Blass sowie Else Lasker-Schüler. Im Ende 1910 gegründeten Neopathetischen Cabaret, oder kurz Cabaret, ab Ende 1911 auch im Kabarett GNU, welches von Mitgliedern des ursprünglichen Neuen Club gegründet worden war, fanden Lesungen und Vorträge der Mitglieder oder auch geladener Gäste statt. Zum Vortrag kamen neben eigenen Werken auch diejenigen Nietzsches und Wedekinds sowie Vorträge zu Themen des kulturellen Lebens oder Musikveranstaltungen. 543 Entwurf eines Briefes von Erwin Loewenson an Frank Wedekind, 1910. Zit. nach: Schlenstedt, 1986, S. 37. 544 Schlenstedt, 1986, S.37. 545 Siehe Kapitel B.1. 546 Fritz Bleyl selbst bezeichnet es „gewissermaßen als Stammbuch der Vereinigung geltendes Werk.“ Bleyl, 1948, S. 216. Zum Titel und seinem Bezug auf Nietzsche vgl. Brugger, 1995, S. 25, Anm. 10. Zum Stammbuch generell siehe: Bleyl, 1948, S. 216; Reinhardt, 1977/78, S. 26f. sowie 29ff.; Stutzer, 1982; Kirchner, Berlin /Osnabrück, 1993, S. 20. 547 Friedrich Arntz. Die KG 1905–1913. In: Ausstellungskatalog, Bern 1948. Zit. nach: Reidemeister, 1975. 548 Költzsch, 1980, S. 208. 549 Deswegen ist es für letztlich auch unerheblich, ob sie den verwendeten Titel philologisch korrekt interpretieren, denn eigentlich beginnt mit „Odi profanum vulgus et arceo“ die erste der Horazschen Römeroden, „mit denen er die Erneuerung der Sitten unter Augustus 149

Nachdem man sich mit dem Datum vom 7. Juni 1905 auch offiziell zur Künstlergruppe zusammengeschlossen hatte, entsteht der erste Band des Odi Profanum, das Fritz Bleyl als „die aktiven Mitglieder noch enger zusammenschliessendes Werk“ und Kirchner sogar noch in der Chronik von 1913 als zentral für das Zusammenwachsen der Gruppe beschreiben.550 Das Stammbuch, in dem sich die Mitglieder mit Aquarellen, Zeichnungen und Holzschnitten verewigten, fungierte als ein gruppeninternes, nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Kommunikationsforum, in welchem durch jede neue Arbeit der Gruppenkonnex dokumentiert, demonstriert und erneuert wurde.551 Dieses Instrument erwies sich in der Folge als äußerst wirksam für den menschlichen und künstlerischen Austausch. Der Gruppe gelang dadurch von Beginn an ein hohes Maß an Konsolidierung und Kohärenz. Folgerichtig war deshalb der brillante Versuch, die internen Kommunikationsmöglichkeiten für den Kreis der Gleichgesinnten ins Externe auszuweiten. So entstehen als Äquivalent zum Odi Profanum – der Manifestation der Binnenkohärenz – die Jahresmappen der Gruppe, die als Medium der externen Präsentation und der Suche nach Verbündeten dienen.552 Mit diesen Kompendien gemeinsam herausgebrachter Druckgraphik stellte sich die Gruppe der Öffentlichkeit vor. Die Blätter erfüllten unterschiedliche Aufgaben: Sie machten den Namen zum Begriff, sie warben für die gemeinsam veranstalteten Ausstellungen, dokumentierten das künstlerisch Erreichte und offerierten den Förderern neben individuell gestalteten, originalgraphischen Mitgliedskarten jährlich mehrere Blatt Druckgraphik. Dies war freilich eine Präsentation für eine selektive und bereits wohlgesinnte Öffentlichkeit, da es sich bei den Mitgliedskarten, Jahresgaben, Jahresberichten und Jahresmappen um Publikationen handelte, die primär für die sogenannten Passiven Mitglieder von gedacht waren.553 In den Mappen der ersten bedichtet, weil es die sittliche Größe der Väter war, die Roms Größe schuf“. Vgl. Költzsch, 1980, S. 208. 550 Bleyl, 1948, S. 93. Und Kirchner in: Chronik KG Brücke, 1913. Abgedruckt z.B. in: Sammlung Gerlinger, 1995, S. 124. 551 Daß Kunstgriffe dieser Art für die Kohärenz der Gruppe als notwendig empfunden wurden, spiegelt möglicherweise im Umkehrschluß die Fragilität der eigenen Überzeugungen und die für den noch jungen Gemeinschaftsverbund scheinbar empfundene Bedrohung. 552 Für die Diskussion um den ursprünglichen Ideengeber für eine dergestalte Anbindung der Passivmitglieder an die Gruppe vgl. Heckel, Interview, S. 43 sowie Gerlinger I, 1995, S. 53, die Emil Nolde als Initiator glaubhaft machen können. 553 Von 1907–1912 gab jährlich Berichte über die Tätigkeiten der Gruppe heraus, die an die sogenannten Passiven Mitglieder verschickt wurden, um sie über Ausstellungstätigkeit und sonstige Arbeit zu unterrichten. Die Organisation dieser Publikation lag meist in der Verantwortung von Heckel, der das Amt des Kassenwartes, des Schrift- und Geschäftsführers, 1910 unterstützt von Schmidt-Rottluff, versah. Vgl. Sammlung Gerlinger, 1995, S. 119. Gegen einen Jahresbeitrag erhielten die Passivmitglieder eine Mitgliedskarte, den Jahresbericht und eine Mappe mit drei bzw. vier Originalgraphiken (vgl. Brücke, 2001). Diese Blätter werden in der Literatur heute allgemein als Jahresmappen bezeichnet, obwohl man sie 150

Jahre waren alle Künstler mit jeweils einer Arbeit vertreten. Dieser Umstand weist noch einmal deutlich darauf hin, wie wichtig es in dieser frühen Form des Kontaktes mit dem Publikum war, sich diesem als Gruppe, als kohärente Einheit zu präsentieren. Erst im Verlauf der kommenden Jahre sollten sich die Individualitäten vertiefen, so daß man ab 1909 dazu überging, in den Mappen jeweils nur noch einen Künstler vorzustellen, während ein anderer die Umschlaggestaltung übernahm. Die künstlerische Sicherheit sowohl im Gruppenstil als auch in der jeweiligen Künstlerpersönlichkeit war bis dahin soweit gewachsen, daß „in der Anfang 1910 zusammengestellten Brücke-Jahresmappe Kirchners – mit dem Umschlagblatt von Heckel – sich das neue Selbstbewußtsein (mitteilt). Die Jahresmappe 1910 übertrifft alle vorangegangenen in ihrer Dynamik und in der Neuartigkeit der Thematik. Hier exemplifiziert sich der expressionistische Brücke-Stil auf seiner Höhe […]“554

Die Jahresmappen waren quasi eine Ausdehnung des Stammbuches von der Gruppe auf einen erweiterten, Kreis von Eingeweihten, so daß Kirchners Aussage zum Odi Profanum genauso für den Kontakt zu den Passivmitgliedern gelten kann. „In einem Buch ‘Odi Profanum’ zeichneten und schrieben die einzelnen nebeneinander ihre Ideen nieder und verglichen dadurch ihre Eigenart. So wuchsen sie ganz von selbst zu einer Gruppe zusammen, die den Namen ‘Brücke’ erhielt.“555

Zu jener Gruppe, „die den Namen ‘Brücke’ erhielt“, gehörten, wie im -Programm niedergelegt, nämlich die „Schaffenden“, also die aktiven Mitglieder, ebenso wie die „Genießenden“, also die passiven Mitglieder von „KG Brücke“.556 Daß auch andere Künstlergruppen den Wert von Passivmitgliedern erkannten, zeigt die 1907 gegründete Künstlergruppe Chemnitz, die es in 20 Jahren auf 200 Mitglieder brachte.557 Die Neue Secession, von Max Pechstein in Berlin mitgegründet, plante den Bereich der Mitgliederbindung sogar noch auszubauen, indem Passivmitglieder neben Graphiken auch die Zeitschrift Der

konsequenterweise als Jahresgaben bezeichnen müsste. Erst ab 1909 kann man von einer eigentlichen Mappe sprechen, „da von diesem Jahre an die drei von einem Künstler geschaffenen Druckgraphiken in einen Doppelbogen, also eine Mappe eingelegt waren. Die drei Jahresgaben von 1906–1908 erschienen noch ohne diesen Mappencharakter. Sehr wohl aber haben die -Künstler eine Sammelmappe herausgegeben, die zur Aufbewahrung der gesamten Jahresgaben gedacht war.“ Gerlinger II, 1995, S. 47. 554 Wiese, 1989, S. 38. 555 Ernst Ludwig Kirchner. Chronik KG Brücke. Zit. nach: Jähner, 1980, S. 422. 556 Siehe das Programm der Gruppe. Abgedruckt z.B. in: Brücke, 2001, S. 13. 557 Siehe Brücke, 2001, S. 18. 151

Sturm als Jahresgabe hätten erhalten sollen. Vor derRealisierung dieses Vorhabens löste sich die Neue Secession jedoch wieder auf. Durch die sogenannten Passivmitglieder veränderte sich aber der Charakter von grundlegend. Man kann sie nun nicht mehr ausschließlich Künstlergruppe nennen. Vielmehr nimmt sie ab 1906 deutlich Züge eines Vereines an, dessen ausgeklügelte Organisationsstrukturen und Einbeziehung der Passivmitglieder durchaus Strukturen eines Kunstvereins558 aufweisen, einer Vereinigung zur Förderung zeitgenössischer Kunst, der Künstler und Kunstfreunde angehörten.559 Im 19. Jahrhundert hatte eine allmähliche Abkopplung des Künstlers von direkten Auftraggebern eingesetzt. Einerseits konnte es dadurch zu Befreiung und Privatisierung von Künstler und Kunstwerk kommen, andererseits bedeuteten Hof oder Staat nicht mehr länger eine finanzielle Garantie. Der veränderte Entstehungsprozeß der Kunstwerke, der zunehmend von einer Produktion von einem anonymen Kunstmarkt war, fand seinen äußerlichen Niederschlag in der Einrichtung großer Ausstellungshallen wie der französischen Salons. Daneben bezeugen Gründungen von beispielsweise Kunstvereinen eine gesellschaftliche Veränderung, die die Kunst vorwiegend als Erfüllung des privaten Luxus des Bürgertums erscheinen läßt. Die daraus resultierende Sensibilität der damaligen Künstler hinsichtlich einer auch monetären Kunstförderung beweist nicht nur , sondern beispielsweise auch ein Briefzitat August Mackes: „Die ‘Secession’ war ohne Geldleute nicht möglich, denen das Verdienst bleibt, sie gestützt zu haben, ebensowenig ‘Kunst und Künstler’.“560 Die offiziellen Mitgliederzahlen der Vereinigung mit Namen waren jährlich schwankend, umfaßten jedoch von 1905 bis 1913 summarisch zwölf

558 Vgl. Betthausen, 1986, S. 29. Revolutionär war dabei, daß es gelang, die beiden erfolgreichen Strategien der deutschen Sezessionen und der Kunstvereine durch die Benennung von sogenannten Aktiven und Passiven Mitgliedern miteinander zu verbinden. Die Sezession mit ihrer oft betonten Programmlosigkeit und der zentralen Stellung des Künstlerindividuums ermöglichte es den Mitgliedern, flexibel auf den Kunstmarkt und auf die Vorlieben der meist bürgerlichen Klientel zu reagieren. Andererseits regten die Kunstvereine „als bürgerliches Gegenmodell zur aristrokratischen Kunstpflege“ (Hoffmann, 2001, S. 311) durch Mitgliedschaft durch Aktienerwerb, Organisation von Ausstellungen, Ankäufe für Verlosungen und Sammlungen, Vermittlung von Ankäufen sowie jährliche Vereinsgabe von Reproduktionsgraphik die Kontakte zwischen Künstlern und Kunstliebhabern an. 559 Zu vergleichbaren Organisationsmustern sowie weiteren Beispielen für Jahresgaben vgl. Hoffmann, 2001, S. 311ff. Daß damit Strukturen nutzte, die sie aus eigener Anschauung kannte, zeigt sich darin, daß alle Künstler bis 1908 gelegentlich Arbeiten zu den Ausstellungen des Sächsischen Kunstvereins einreichten. Sie wandelten die bekannten Mechanismen jedoch für ihre Zwecke ab, so daß es bei keine vergleichbaren Verwaltungsorgane mit Vorstand oder vereinsrechtlichen Statuten wie bei Sezessionen gab. Vgl. Brücke, 2001, S. 18 und 31. 560 Zit. nach: Zweite, 1996, S. 25. 152

Künstler und einundsiebzig Kunstfreunde.561 Der Mitgliedsbeitrag stieg in dieser Zeit von zunächst 12 (1906) auf später 25 Mark (1912).562 Die Geschäftsstelle war mobil und befand sich erst in Dangast, dann in Dresden (Berliner Str. 65, dann Falkenbrücke 2a) und schließlich in der Mommsenstr. 60 in Berlin-Steglitz. Heckel fungierte als Geschäftsführer563, der außerdem noch Kassenwart und, zeitweilig unterstützt von Karl Schmidt-Rottluff, Schriftführer war – „Wir hatten eine Art Schriftführer, das brauchte man ja, wenn man Ausstellungen machen wollte […]“564 Mit Anzeigen sollten weitere ‘Vereins’- bzw. Passivmitglieder angeworben werden [Abb. 83]. Daß neben den Anzeigen und Werbetexten Kunstinteressierten die Mitgliedschaft auch in persönlichen, handgeschriebenen Briefen angetragen wurde, macht das Ausmaß deutlich, in dem Öffentlichkeitsarbeit betrieb.565 Dabei kamen sogar vereinseigene Postkarten und Monogrammstempel zum professionellen Einsatz.566 Erhellend ist in diesem Kontext, daß neben der bekannten und in der Literatur fast ausschließlich abgebildeten Ausgabe des bibliophil wirkenden, in Holz geschnittenen Programms auch eine maschinell gedruckte Version „Unser Programm“ publizierte, welches der Presse und anderen „prospektiven Interessierten“567 als „gedrucktes Handblatt“ übermittelt wurde [Abb. 83].568 Es zeigt sich, wie geschickt die bereits etablierten und sich als erfolgreich erwiesenen Strukturen und Marktstrategien derjenigen zu nutzen verstand, die sie in ihrem „Programm“ als zu überwindende „wohlangesessene, ältere Kräfte“ bezeichnen. Mit „wohlangesessene, ältere Kräfte“ wurde nicht nur die eigene Vätergeneration oder die etablierten Kunstrichtungen attackiert. Die Formulierung hat, über einen abstrakten Auflehnungsprozeß der Jugend oder eines „Epater le bourgois“ hinausgehend, noch eine ganz pragmatische Bedeutung für – für sie als junge Künstler, und speziell für sie als

561 Beteiligte Künstler waren ab 1905 Kirchner, Bleyl, Heckel und Schmidt-Rottluff. Im Laufe der Jahre stießen weitere neun Künstler, zum Teil nur für kurze Zeit, dazu. Ab 1906 Nolde, Pechstein und der Schweizer Cuno Amiet, der Finne Axel Gallén-Kallela dann 1907, Franz Nölken und der Holländer 1908. Otto Mueller 1910 und als letzter der Tscheche Bohumil Kubišta. Die Summation der jährlich schwankenden Zahl der Passivmitglieder siehe bei Gerlinger II, 1995, S. 51, und zuletzt Woesthoff, 2001, S. 338–348. 562 Jähner, 1984, S. 417–419. 563 Unterbrochen nur 1909, als Heckel auf Italienreise war. In dieser Zeit übernahm Karl Schmidt-Rottluff diese Aufgabe. Vgl. Brücke, 2001, S. 31. 564 Heckel, Interview, S. 40. 565 Abgebildet bei Gerlinger II, 1995, S. 50. 566 Abb. bei Gerlinger II, 1995, S. 50. 567 So die treffende Formulierung bei Gerlinger II, 1995, S. 48. 568 Gedruckt veröffentlicht erstmals am 9.10.1906 in der Elbtal-Abendpost. Vgl. Reinhardt, 1977/78, S. 82. Zum Handzettel vgl. Moeller, 1996, S. 50. 153 junge Künstler in Dresden. 1907 beschrieb Paul Fechter die ‘lokalpsychologische’ Dimension dieser Formulierung: „Es ist nicht nur ein Auflehnen „gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften“, es ist mehr eine Reaktion gegen die gesamte Lebensatmosphäre dieser Stadt, gegen das geruhige Leben und die von Traditionen jeder Art gesättigte Luft, die […] einschläfernd sich über alles legt.“569

Ein Jahr zuvor schildert Otto Sebaldt am Beispiel Fritz Bleyls bildhaft die Situation, in der sich in künstlerischer Hinsicht befand: „Ich erinnere mich, einen Teil dieser originellen Arbeiten im Keller des Kunstvereins entdeckt zu haben, wo sie, zurückgewiesen von der Jury der Sächsischen Kunstausstellung 1906, ein freudloses Dasein führten, (neben manchem Gleichwertigen übrigens, wie ich schon seinerzeit bemerkte).“570

Und über den Zusammenschluß zu einer Künstlergruppe schreibt er, daß diese wichtig sei, „um das gerade in Dresden so sehr notwendige Gegengewicht zu finden, gegenüber einer durch trauriges Cliquenwesen sich dokumentierenden, kastengeistigen Kunstrichtung.“571 schien dem in Dresden ansässigen „Cliquenwesen“ am besten entgegentreten zu können, indem sie die eigenen Kräfte ebenfalls bündelte, da es einer Vereinigung von Künstlern naturgemäß besser gelingt, sich ihre Stellung innerhalb der eingesessenen Strukturen zu verschaffen, als einem „eigene Wege Wandelnden“572 allein. Besonders durch die Gründung einer Künstlergruppe zeigt sich, wie kunstmarktstrategisch geschickt bei der Errichtung ihrer Gegenöffentlichkeit vorgeht. Auch an innovativem Geschäftssinn mangelt es ihnen dabei nicht. So weist Heckel darauf hin, daß die Gruppe auch als ‘Kunst- und Künstleragentur’ fungiere und deshalb „bei Verkäufen, die die ‘Brücke’ vermittelt 10% erhoben“ werden. Auch die Ankündigung, man wolle „ohne Kunstsalon-Auslese“573 ausstellen, enthält, neben einer künstlerischen, eine marktstrategische Botschaft. Dies zeigt bereits die Dresdener Tagespresse vom Herbst 1906. Die ausführlichen Besprechungen, die sich allerdings nicht in Publikumsinteresse niederschlugen, – „es ging niemand hin“ berichtet

569 Ausstellungskritik über die im Kunstsalon Emil Richter in Dresden im September 1907 gezeigte -Werkschau. Zit. nach: Reinhardt, 1977/78, S. 85. Allerdings trifft das Image von Dresden als verschlafener Stadt nicht auf die dortigen Künstler und ihre Auseinandersetzung mit der internationalen Moderne zu. In den Jahren 1905–1909 wurden in den Galerien Arnold und Richter sowie im Sächsischen Kunstverein Ausstellungen Van Goghs, Noldes, Seurats, Gauguins, Munchs und der Fauves gezeigt. 570 Sebaldt, 1906. Zit. nach: Reinhardt, 1977/78, S. 76ff. 571 Ebd. 572 Ebd. 573 Beides aus einem Brief Heckels an Cuno Amiet vom 1. September 1906. Abgedruckt in: Reinhardt, 1977/78, S. 44. 154

Heckel574 –, weisen angesichts „der herrschenden ungünstigen Verhältnisse im Ausstellungswesen und auf dem Kunstmarkt“575 auch auf die marktpolitischen Neuerungen hin, mit denen „die neue Künstlergruppe das kaufende Publikum ohne Vermittlung direkt mit den Künstlern in Verbindung setzen“576 will. Zum Erreichen und für die Mobilisierung einer größeren Öffentlichkeit diente hauptsächlich eine äußerst rege Ausstellungspolitik. Bis zu ihrer Auflösung 1913 veranstaltete in wechselnden Personalkonstellationen nicht weniger als siebzig eigene Ausstellungen, zudem beteiligten sie sich als Künstlergruppe an mindestens dreißig weiteren.577 Allzuoft, obwohl in den Lebenserinnerungen regelmäßig wiederkehrend,578 wird der Gesichtspunkt der ökonomischen Notwendigkeit bei der Schilderung dieses Umstandes stets vernachlässigt. Es sei darauf hingewiesen, daß keiner der -Künstler mehr einem regelmäßigen Lohn- oder Gehaltserwerb nachging und dieses geradezu generalstabsmäßig organisierte Ausstellungsmanagement daher nicht nur künstlerische, sondern auch ökonomische Hintergründe hatte.579 Da als selbständige Unternehmer – „Die Gruppe besorgt außerdem jährlich mehrere Ausstellungen, die sie in Deutschland tournieren läßt, so daß damit der einzelne der Geschäfte enthoben wird“580 – für einen freien Markt produzierte, war die Beteiligung an Ausstellungen und die möglichst optimale Medienpräsenz von buchstäblich existentieller Bedeutung, denn der Kontakt mit Sammlern, Kritikern und Museen wurde hauptsächlich über die Institution Ausstellung ermöglicht. Erneut zeigt sich, wie innovativ auch auf dem Gebiet der Selbstvermarktung war. Sie bemühten sich, ihre Ausstellungstätigkeit sogar zu internationalisieren: Solothurn (1907), Kopenhagen und Christiana (1908), Moskau und Prag (1912), Budapest (1913).581 Daneben soll die Künstlergruppe auch personell eine Internationalisierung erfahren. Durch Allianzen in Skandinavien (Axel Gallén-Kallela, Schmidt-

574 Kunstwerk, 1958, S. 24 575 Austellungsbericht von Richard Stiller im Dresdener Anzeiger vom 6.10.1906. Abgedruckt in: Reinhardt, 1977/78, S. 74. 576 Ebenda. 577 Vgl. Reinhardt, 1977/78, S. 91 und 191–196 sowie Brücke, 2001, S. 389–406. 578 „(Wir saßen) bis zuletzt oben auf unserem kleinen Zimmer ausgelassen und frierend, so frierend, daß Heckel, unterm Bett liegend, Späne von den Querstücken schnitt, so daß diese und der gespaltene Stiefelknecht in den Ofen gesteckt, uns bescheidene Wärme brachten.“ Zit. nach: Nolde, Jahre der Kämpfe, S. 99. Vgl. außerdem einen Brief vom 31. März 1910 aus Dresden an Heckel und Pechstein, in dem Kirchner seinen Freunden schildert, daß er aus Geldmangel „neulich nach Chemnitz“ mußte, dort aber wenig erreichte und „nach Zahlen der Miete […] nur noch 5 M“ übrigblieben. Zit. nach: Kirchner, Postkarten an Heckel, S. 235. Die ökonomische Not der -Zeit läßt sich in der zitierten Korrespondenz durchgängig konstatieren. 579 Heckel verließ beispielsweise 1907 das Architekturbüro von Wilhelm Kreis. 580 Schmidt-Rottluff in einem Brief vom 4. Februar 1906 an Nolde, in dem diesem die Mitgliedschaft bei angetragen wird. Zit. nach: Nolde, Jahre der Kämpfe, S. 98. 581 Vgl. Reinhardt, 1977/78, S. 106 und 191-196 sowie Brücke, 2001, S. 389ff. 155

Rottluff fragt bei Edvard Munch mehrfach vergeblich um Kontaktaufnahme an582), der Schweiz (Cuno Amiet), Frankreich (Kees van Dongen; Matisse wird die Mitgliedschaft angetragen, allerdings ohne Erfolg) und der damaligen Tschechoslowakei (Bohumil Kubišta) zeigen sich Bemühungen um eine zumindest europaweite Verbindung gleichgesinnter Künstler. Damit erweist sich als Teil der Moderne, da beides konstitutive Elemente der künstlerischen Avantgardebewegung nach 1900 in Europa darstellen. Auf der Höhe der Zeit zeigt sich aber auch ein weiters Mal hinsichtlich einer, auch aus ökonomischen Notwendigkeiten resultierenden, professionellen Selbstvermarktung. Nicht nur für eine breite künstlerische und gesellschaftspolitische Bewegung erhoffte man sich Unterstützung im „Kampf gegen den Impressionismus“583, sondern die ausländischen Mitglieder eröffneten darüber hinaus neue Kunstmärkte. Van Dongen vermittelte beispielsweise eine, letztlich zwar an Sachzwängen gescheiterte, Beteiligung der Künstler an der 25. Ausstellung der Société des Artistes Indépendants 1908 in Paris. Diese hätte „ihre Kunst nicht als sächsisch-provinziell […] sondern als ein Element [der] gesamteuropäische[n] Bewegung der avantgardistischen jungen Kunst“584 eingeordnet und ihr ebensolche Absatzmöglichkeiten offeriert. Den finnischen Maler Gallén-Kallela, in Deutschland seit 1895 durch mehrere Ausstellungen, davon eine 1905 im Kunstsalon Richter in Dresden sowie seine in der Zeitschrift Pan und Ver Sacrum veröffentlichten Arbeiten schon recht bekannt, lud die Künstlergruppe am 22. Oktober 1906 zu ihrer Ausstellung im Dezember 1906 in Dresden ein und gewann ihn im Jahr darauf als Mitglied. Von diesem „mächtigen Pfeiler und Eisbrecher für die “585 erhofften sie sich neue Freunde ihrer Kunst und Kontakte zur damals äußerst regen skandinavischen Kunst- und Literaturszene.586 Heckels Wortwahl läßt in der bildhaften Formulierung „Eisbrecher“ neben einer gewünschten intellektuell- künstlerischen Allianz aber auch deutlich den Willen zu einer ökonomischen Eroberung neuer Ausstellungs- und Absatzmärkte erkennen. Mit Ausstellungen in Kopenhagen im März 1908 und Christiana (Oslo) im Mai des selben Jahres, war diesem Vorhaben zumindest für kurze Zeit Erfolg beschieden.587

582 Bspw. für die Ausstellungen 1908 und 1909 bei Emil Richter in Dresden. Vgl. Woesthoff, 1996, S. 271. 583 Pechstein. Zit. nach: Reinhardt, 1977/78, S. 146. 584 Reinhardt, 1977/78, S. 146. 585 Aus dem Einladungsschreiben Heckels an Gallén-Kallela vom 14. März 1907. Abgedruckt bei: Wietek, 1968/69, S. 13. 586 Gallén-Kallela kannte persönlich beispielsweise die Schriftsteller , Knut Hamsum und Henrik Ibsen sowie Munch und den Bildhauer Gustav Vigeland. 587 1.–31. März 1908 Ausstellung in der Kunsthandlung Valdemar Kleis, Kopenhagen. Mai 1908, C.W. Blomqvist’s Udstilling-Salon, Christiana (Oslo). Jeweils mit Werken von Heckel, Kirchner, Pechstein, Schmidt-Rottluff und Amiet. 156

Bei gilt das Gründungsdatum des 7. Juni 1905 lediglich als Startsignal zum Eintritt ins gesellschaftliche Leben, da eine Kunstgemeinschaft der beteiligten Künstler Kirchner, Bleyl, Heckel und Schmidt-Rottluff zu diesem Zeitpunkt bereits bestand. Mit der offiziellen Gründung begann sogleich die Ausstellungstätigkeit und damit der Auftritt im öffentlichen Raum.588 Gruppenbildung und Öffentlichkeit sind also untrennbar verbunden, deshalb war die Möglichkeit, 1913 in der Freien Sezession auszustellen, für Heckel „ein wesentlicher Grund die ‘Brücke’ aufzulösen.“589 Die Notwendigkeit ihres Bestehens als Künstlergruppe und Künstlergemeinschaft war in dem Augenblick nicht mehr gegeben, als mit der Freien Sezession auch für den einzelnen „eine Plattform mit allen möglichen Vollmachten gefunden“590 war.

1.2. Vom Mobiliar zur autonomen Skulptur

„Und doch waren diese Jahre auch für die Plastik von grundlegender Bedeutung in den ersten Bildwerken der gleichen Künstler, die die neue Epoche in der Malerei heraufgeführt haben. Aber diese ersten Bildwerke des neuen Stils blieben damals und sind bis heute noch ungesehen in den Ateliers oder, nur ganz wenigen zugänglich, in den Räumen einzelner Nächstvertrauter geblieben 591

Das Ziel, eine Einheit von Kunst und Leben zu schaffen, bedingte eine Ästhetik, die auch in der eigenen Lebens- und Arbeitsumgebung ihren Niederschlag finden mußte. Das Atelier in der Berliner Straße 80, das Kirchner im November 1909 bezog, ist heute als legendäres -Atelier bekannt und beherbergte die Gruppe in ihrer menschlich wie künstlerisch homogensten Zeit. In dieser Zeit schufen die Künstler „gemeinsame Erlebnisräume im Atelier […] aus denen heraus die Werke entstanden, welche 1909–1912 als -Stil ihren höchsten Grad des Gemeinsamen erreichten“592.

Die Trennung von und Gallén-Kallela erfolgte allerdings bald darauf (1908/09), als beide Partner bemerkten, daß die künstlerischen Vorstellungen doch zu verschieden waren. Vgl. Reinhardt, 1977/78, S. 125. 588 Vgl. die von Kirchner gezeichnete Vignette mit Gründungsdatum. Abb. bspw. in: Expressionisten, 1986, S. 75. Die erste Ausstellung der fand im November 1905 in der Kunsthalle P.H. Beyer & Sohn in Leipzig statt. Vgl. Reinhardt, 1977/78. 589 Zit. nach: Kunstwerk, 1958, S. 35. 590 Ebd. Rötzer, 1991, S. 74 hält es sogar für „nahezu notwendig, daß Gruppen sich in aller Regel beim Eintreten des Erfolges bald wieder auflösen und ihre Mitglieder dann einzeln weiterarbeiten.“ 591 Sauerlandt, 1930/31, S. 106. 592 Henze, 1997/98, S. 15. 157

In dieser Zeit entstand das Gros der Werke mit erkennbaren Atelierszenen.593 Wie zu zeigen sein wird, gehören Skulpturen ab 1906 zum künstlerischen Schaffen der , und spätestens seit 1909, nach dem Umzug Kirchners in das neue Atelier, werden die Figuren auch als Teil des eigenen Lebensumfeldes inszeniert [Abb. 12, 84]. Gebrauchsgegenstände und Skulpturen wurden zwar bereits vorher hergestellt, exotische Paravents, mit erotischen Szenen bemalte Vorhänge, Gemälde an den Wänden, Möbel und Schalen, die an afrikanische oder ozeanische Gegenstände denken lassen, sowie Skulpturen, werden jedoch erst ab jetzt fester Bestandteil dieser realen wie auch der gemalten Erlebniswelt594 [Abb. 18, 122]. Auf Gemälden tauchen zwar bereits früher gelegentlich Darstellungen der Skulpturen auf 595, 1910 hat ein größeres Publikum jedoch erstmals die Möglichkeit zur direkten Augenscheinnahme, ausgestellt auf dem Kaminsims im Barockzimmer der Galerie Arnold. Erst vier Jahre nach Beginn des plastischen Arbeitens werden diese Werke damit einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Die folgenden Ausführungen gehen der Frage nach, warum erst verhältnismäßig spät ihre plastischen Werke einer interessierten Öffentlichkeit vorstellte. Es wird sich zeigen, daß die Gruppe über Mechanismen jenseits des Ausstellungsbetriebes verfügte, um ihr plastisches Œuvre zu präsentieren, und für die interne und externe Gruppen-Kommunikation auch bezüglich ihrer Skulpturen Wege geht, die den zuvor beschriebenen ausgeklügelten Strategien entsprechen. Als Medium innerhalb des Gruppenkontextes fungiert die Aufstellung der ersten plastischen Versuche im Atelierzusammenhang, fungieren Postkarten der Künstler, auf denen sie einander ihre neuesten Skulpturen sowie deren Inspirationsquellen zeichnerisch mitteilen. Die zuvor erprobten und bewährten internen Organisations- und Kommunikations- mechanismen überträgt anschließend auf den Umgang mit Öffentlichkeit: Mittels Photographien und Zeichnungen in Briefen und auf Postkarten werden die gleichen gruppeninternen Vorgehensweisen genutzt, die Skulpturen einem kleinen Kreis besonders interessierter Passivmitglieder vorzustellen. Erst mit der Ausstellung in der Galerie Arnold findet dieser

593 Vgl. beispielsweise das Werkverzeichnis der Gemälde (Gordon, 1968) und der Grafik (Dube, 1991) von Kirchner. 594 Als Terminus post quem ist eine Ausstellungskritik der -Ausstellung 1907 im Kunstsalon Richter in den Dresdener Nachrichten anzuführen, die bei der ausführlichen Beschreibung der Lebens- und Arbeitsumstände Kirchners keinerlei Angaben über selbstgefertigte Möbel und Skulpturen macht. Vgl. Kirchner, 1979/80, S. 50–54. 595 Heckel hat einige solche Gemälde wie Mann mit Holzplastik (Vogt 1906/8) und Tonplastik und Topf auf grüner Decke (Vogt 1907/41) in den Jahren 1906 und 1907 geschaffen. Allerdings sämtliche verschollen. 158

Umgang meines Erachtens seinen Schlußpunkt. Die Skulpturen und Plastiken gehören nicht länger ausschließlich zur privaten Lebens- und Kunstwelt, in welche nur ausgewählte Besucher Zutritt und Einblick erhalten.

1.2.1. Skulptur im Atelier: 1906–1910

Bei Heckel ermöglichen es schriftliche Zeugnisse, den Beginn seines plastischen Arbeitens präzise für 1906 zu rekonstruieren.596 In einem Brief vom 23. November 1906 kündigt Heckel dem Ehepaar Ada und Emil Nolde Photos seiner Holzbildwerke an: „Sobald Kirchner Abzüge von Photograph gemacht hat, sollen Sie welche bekommen, von den Bildern die nach Bremen gegangen sind und von meinen Holzplastiken […]“597

Im Januar wird das Versprechen eingelöst, und Heckel legt einem Brief an Emil Nolde eine Photographie bei, auf deren Rückseite er vermerkt: „Liebe Frau Nolde, 4 Holzfiguren von E Heckel, Die erste und dritte in Birkenholz, zweite und vierte in Linde, Vielleicht heben Sie sich dies Blatt als ein Andenken an meine erste Plastik auf, Ihr E Heckel“598

Das Photo [Abb. 85] zeigt vier kleinformatige, gesockelte Skulpturen. Von links nach rechts sind eine von Heckel selbst als Liebespaar bezeichnete Gruppe599, eine sich über die Schulter umblickende (männliche?) Figur, eine frontal stehende weibliche Figur sowie ein (weiblicher?) Torso zu erkennen. In Ermangelung früherer Nachweise und aufgrund der unzureichenden Kenntnis des plastischen Frühwerks Heckels sowie stilistischer Überlegungen ging man bis vor kurzem noch davon aus, daß sich die Skulptur Heckel und Kirchner über einen kurzen Zeitraum und relativ spontan um 1909/10 entwickelt habe.600 Im Zuge der Gleichsetzung von Lebens- und Kunsträumen, von Schlaf- und Arbeitsraum, von Wohnung und Atelier sowie der damit einhergehenden Durchgestaltung mittels eigenhändig hergestelltem Hausrat und Mobiliar seien, von der Begegnung mit Exponaten außereuropäischer Kunst in den Sammlungen des Dresdener Museums für Völkerkunde beeinflußt, auch Skulpturen entstanden. Bei der Behandlung von Kirchners Aufenthalt in München wird meist auf seinen Besuch der von Wilhelm von Debschitz und Hermann Obrist geleiteten

596 Vgl. Henze, 2001. 597 Zit. nach: Henze, 2001, S. 88. 598 Brief vom 27. Januar 1907, Henze, 2001, S.88. 599 Vgl. die Angaben Wenzel Nachbaurs in: Lüttichau, 1989, S. 91f. 600 Vgl. Skulptur des Expressionismus, 1984 und Henze, 2001, S. 87. 159

Lehr- und Versuchsateliers für angewandte und freie Kunst hingewiesen.601 Denkbar wäre, daß der Bildhauer Obrist bei Kirchner „zumindest sein Gefühl für die plastische Masse der Kernplastik der Skulptur aus Stamm und Block entwickelt“602 hat. In Anbetracht der künstlerischen Resultate seines Münchner Aufenthaltes sind Werke aus „Stamm und Block“ jedoch eher unwahrscheinlich.603 Kirchner hatte sich aber in München im Wintersemester 1903/04 auch an der technischen Hochschule eingeschrieben. Während dieses einen Semesters belegte er einige Pflichtkurse, wie Landschaftszeichnen, Aquarellieren und Figurenzeichnen bei Prof. P. Pfann.604 Für unser Thema von größerer Bedeutung waren jedoch die ersten plastischen Unterweisungen im Modellieren von ornamentaler und figürlicher Plastik in Veranstaltungen von Prof. Anton Heß.605 Möglicherweise waren Kirchners Tonplastiken auf dem Sims im -Atelier Resultate dieser Modelliererfahrungen [Abb. 84]. Zumindest die dort erkennbare Kniende ganz links außen muß Kirchner zu diesem Zeitpunkt (das Photo stammt von 1909/1910) schon eine Weile begleitet haben, da er sie bereits 1906 im Gemälde Frauenkopf vor Sonnenblumen (G 11) auf der Fensterbank abbildet. War ein frühes Entstehungsdatum der Figur stilistisch ohnehin zu vermuten, kann die Kniende durch die Wiederaufnahme im Gemälde mit einem Terminus ante quem von 1906 als eines der frühesten Bildwerke Kirchners bestimmt werden. Das Nolde-Photo unterstreicht Heckels vorbildhaften und im Gegensatz zu Kirchner bereits sehr früh eigenständig expressionistischen Beitrag zum plastischen Werk der Künstlergruppe. Seine Vorreiterrolle wird auch von Kirchner bereits in der -Chronik von 1913 öffentlich anerkannt. Dort weist Kirchner jedem der Gruppenmitglieder eine künstlerische Entdeckung für die Gemeinschaft zu – „Einer regte den andern an“. Während „Kirchner […] den Holzschnitt mit(brachte)“, „Schmidt-Rottluff die ersten Lithos auf dem Stein machte“, Müller den „Reiz der Leimfarbe“ brachte, leistete Heckel seinen künstlerisch-innovativen Beitrag im Bereich der Bildhauerei: „Heckel schnitzte wieder Holzfiguren“606. Auch die wenigen Zeilen von Heckel an Nolde verraten Wesentliches über das Verhältnis zum eigenen plastischen Werk: Heckel empfindet sein skulpturales Œuvre von Beginn an als wichtig genug, es von Kirchner photographieren zu lassen, und erklärt es somit zur eigenständigen, vollwertigen künstlerischen Tat. Der Hinweis „Vielleicht heben Sie sich dies Blatt als ein Andenken an meine

601 Vgl. Mühlenberend, 2001. 602 Gabler in: Kirchner, 1980/81, S. 30. 603 Vgl. Abb. S. 33 in: Kirchner, 1980/81, Bd. 2. 604 Für Ergebnisse vgl. , 2001, Kat. 95, S. 123 den Entwurf eines Rauchzimmers. 605 Vgl. Krüger, 1968/69, S. 50, Anm. 11. 606 Kirchner. Chronik KG Brücke, 1913. Zit. nach: Sammlung Gerlinger, 1995, S. 124f. 160 erste Plastik auf“ impliziert einen Anfang, dem weitere Stücke folgen sollen, und zeigt daneben den Wunsch Heckels, seine plastischen Anfänge auch für eine spätere Rückschau zu dokumentieren. Auch die Angaben der Holzsorten Birke und Linde zeugt von dokumentarischer Genauigkeit. Die Skulpturen waren also von vornherein für ein Publikum gedacht, als welches Heckel zunächst allerdings ausschließlich den engsten Kreis von betrachtete. Ada Nolde ist eine der ersten Vertreterinnen dieses Publikums: „Hier in Dresden verkehre ich etwas mit den jungen aktiven Mitgliedern der und es ist sehr interessant und anregend für mich, sie in ihrer Kunst und ihren Empfindungen zuweilen folgen zu dürfen. Heckel hat in der letzten Zeit schöne herbe Holzplastiken gemacht und er hat mir die Freude gemacht, zwei von ihnen in mein Zimmer zu setzen […] Meine Stube ist überhaupt ein kleines –, ja was soll ich sagen – ein Juwel. Gemälde u. Holzschnitte v. Nolde. Eine Federzeichnung von Schmidt- Rottluff […] und zwei Holzschnitte von Max Pechstein.“607

Wie eng dieser Publikums-Kreis war, illustriert der Umstand, daß Nolde zu dieser Zeit aktives Mitglied der war, Ada Nolde also zum ‘innersten Zirkel’ gehörte. Daß Heckel seine Skulpturen bereits zu dieser Zeit keineswegs als künstlerische Marginalien empfindet, wurde anhand seiner Äußerungen an Nolde schon deutlich. Um so auffälliger, daß sie erst 1910 in einer Ausstellung und auch hier noch verhalten präsentiert werden. In der Regel bestückten die Künstler ihre Ausstellungen sogleich mit neu eroberten künstlerischen Medien. Die detailliert aufgearbeitete Ausstellungschronologie verzeichnet jedoch in den Rezensionen zu ca. 70 Ausstellungen, an denen oder einzelne Mitglieder der Gruppe bis dato teilgenommen hatten, kein Zeugnis von ausgestellten Skulpturen oder Plastiken.608 Nur die Mitglieder der Gruppe und die engsten Freunde wußten vom plastischen Werk, denn nur wer Zutritt zu den Ateliers hatte, konnte die Skulpturen beispielsweise auf dem Sims in Kirchners Atelier sehen. Die Beschränkung der Bildwerke auf den privaten Kontext, auf das Lebensumfeld der aktiven Mitglieder und ihrer engsten Freunde weist in ihrer Exklusivität meines Erachtens Analogien zum Umgang mit dem Odi Profanum auf. An die Stelle eines Buches als gruppeninternes, nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Kommunikationsforum, in welchem die ersten Ideen für die zweidimensionalen Medien entwickelt und weitergegeben wurden, tritt jetzt für die plastischen Überlegungen die „Gemalte Künstlerpost“.609

607 Nicht datierter Brief Ada Noldes an Luise Schiefler, vermutlich aus dem März 1907. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 267. 608 Ebd., sowie Reinhardt, 1977/78. 609 So ein Buchtitel von Wietek. Vgl. Wietek, 1977. 161

Auch die -Künstler folgten einem Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschenden Trend, der die Postkarte zum beliebten Vehikel schriftlicher Verständigung machte. Einfache Sachverhalte erreichten binnen relativ kurzer Zeit ihre Empfänger, innerhalb derselben Stadt sogar in wenigen Stunden. Auch die Künstler erkannten die Vorteile dieses Mediums, so daß das bloße Schriftfeld erweitert und mit Darstellungen vielfältiger Art versehen wurde. Viele der Postkarten geben eine Vorstellung von heute nicht mehr existierenden Skulpturen und sind daher unentbehrlich für die Rekonstruktion des plastischen Œuvres. Wurden die Postkarten ursprünglich auch in nicht nur künstlerischer Absicht geschaffen, so entstanden doch autonome Kunstwerke, deren Qualität nicht zuletzt im kleinen Format begründet liegt. Die räumliche Beschränktheit erforderte eine Konzentration der Mittel, mit denen in Wort und Bild tagebuchartig ein Erlebnis skizziert wird. Die Texte waren relativ kurz, da die Empfänger in der Regel mit den geschilderten Umständen vertraut waren. Die notwendige Reduktion von Farbe und Form führt in den Karten zu einer verstärkten Prägnanz des Ausdrucks, dessen Intensität und Authentizität durch die mit dem Medium verbundene Spontaneität noch gesteigert wird. Zur Wiedergabe der Skulpturen und Plastiken oder deren Entwürfen wurden meist einfache Farbstifte oder Kreiden benutzt, die oftmals einem Konturgerüst aus schwarzem Feder- oder Pinselstrich eingeschrieben sind. Parallel gibt es jedoch auch unkolorierte Feder-, Pinsel- oder Bleizeichnungen, und sogar Holzschnitte werden von Heckel und Kirchner auf die Postkarten gedruckt. Die Textfelder geben Auskunft, welche menschlichen Themen ihre Autoren beschäftigten, so daß sie häufig die immer gleichen Aspekte geistiger und körperlicher Gesundheit behandeln.610 Im Bildfeld wurde primär die künstlerische Entwicklung übermittelt, um so trotz räumlicher Trennung die Verbundenheit und innere Nähe unter den Künstlern aufrechtzuerhalten. Am 2. November 1909 dokumentiert Kirchner auf einer Postkarte an Heckel die Freude über den Bezug des neuen Ateliers in der Dresden [Abb. 60], indem er sich selber in den neuen Räumlichkeiten tanzend darstellt. Die auf vielen anderen Darstellungen wiederkehrende Raumecke ist bereits in ihrer unverwechselbaren Angabe der Örtlichkeit mit ihren über Eck angeordneten Türen, dem Ofen sowie der rechts erkennbaren Kommode mit darüber angebrachtem Spiegel identifizierbar. Knapp einen Monat später schildert ihm Kirchner in einem Brief vom 28. November 1909 die gleiche Szenerie bereits ausführlicher in Farbe und stattet sie mit realem – vier weibliche Akte – und plastischem – auf der Kommode wird prominent eine kniende weiblichen Figur

610 Diese sind aber wegen Kirchners Handschrift, die in ihrer hingeworfenen Flüchtigkeit der Skizzenhaftigkeit der Zeichnungen in nichts nachstand, oftmals kaum lesbar. 162 inszeniert – Personal aus [Abb. 86].611 Um Heckel einen Eindruck der erst kurz zuvor angemieteten Wohn- und Arbeitsstätte zu vermitteln, erscheint Kirchner die Abbildung einer Skulptur also unverzichtbar.612 Am 31. März 1910 schreibt Kirchner an Heckel und Pechstein über das an Inspirationsquellen so reiche Völkerkundemuseum in Dresden: „Hier ist das Völkerkundemuseum wieder auf, nur ein kleiner Teil aber doch eine Erholung und Genuß die famosen Bronzen aus Benin, einige Sachen der Pueblos aus Mexiko sind noch ausgestellt und einige Negerplastiken.“613 Am 26. Oktober des gleichen Jahres finden wir dann mit dem für so wichtigen Palau- Balken auf einer Postkarte an Heckel die Darstellung eines der Hauptwerke aus diesem Museum614 [Abb. 87]. „Der Balken ist doch immer wieder schön“615, heißt es dazu auf der Rückseite, was darauf schließen läßt, daß der Balken für ein vertrautes Exponat war und sie ihn aus gemeinsamer Beschäftigung gut kannten. Mit seinen Postkarten vom 19. Juni 1911 und 14. Juni 1911 hält Kirchner Heckel über die eigenen plastischen Fortschritte auf dem laufenden. Die Darstellungen zeigen Tanzende Frau (heute in Amsterdam) und Hockende mit Schale (verschollen) [Abb. 88, 89]. Der Künstler äußert sich auch zu Holzsorte und Zustand: „Anbei die Ahornplastik. Leider kernfaul“.616 Dem Künstlerkollegen und Freund teilt Kirchner durch die Zeichnungen den Fortgang des Schaffens sowie Einzelheiten des Stückes mit, über das man offenbar zuvor schon kommuniziert hatte. Heckels damalige Freundin und spätere Frau Sidi Riha617 erhält von Kirchner eine Darstellung derselben Skulptur, die jedoch völlig anders ist: In einer Karte

611 Die Skulptur findet sogleich weitere Darstellung. Das Gemälde Dame vor dem Spiegel, 1909, G 82 scheint ziemlich bald nach Bezug der neuen Räumlichkeiten entstanden zu sein, Skulptur und Obstschale befinden sich noch auf der Kommode vor dem Spiegel. Vgl. Kirchner, Postkarten an Heckel, Abb. 25 k. 612 Eine Skulptur an gleicher Stelle wird später zum Kompositions- und Bedeutungszentrum eines der zentralen Werke Kirchners. Badende im Raum, 1909/1920. Vgl. Költzsch, 1999; Nierhoff, 2001, S. 52. 613 Kirchner, Poskarten an Heckel, S. 23. 614 Kirchner, Poskarten an Heckel, Nr. 50. 615 Ebd. 616 Eine besonders prominente Darstellung dieser Skulptur findet sich in Kirchners Gemälde Zwei Akte mit Skulptur von 1911, G 195 wieder. Am linken Bildrand auf einem Tisch oder einer Kommode plaziert, ist die Figur von anderen Requisiten wie einer großen Schüssel und einer Art Pokal umrahmt. Ihre Höhe und das große Blumenbukett in der Schale auf dem Kopf der Figur, welches kompositorisch in die Medaillons des Ateliervorhangs im Hintergrund übergeht, hebt die Skulptur über die begleitende Staffage hinaus, so daß sie etwa ein Drittel der Bildbreite einnimmt. Je ein weiteres Drittel nehmen die beiden nackten Frauen ein, so daß der hölzerne Akt (mit Blumen) und die menschlichen Akte als gleichberechtigte Nutzer des Bildraums erscheinen. 617 Eine von Heckel am 19. Dezember 1910 gezeichnete Karte Sidi als Akt an Otto Mueller beschriftet Kirchner mit: „Eine kleine Tänzerin besuchte uns.“ Die Karte dokumentiert die Bekanntschaft Heckels und Kirchners mit der in Dresden zu Besuch weilenden Tänzerin Sidi Riha, deren bürgerlicher Name Milda Frieda Georgi lautete. Vgl. Kirchner, Postkarten an Heckel, Abb. 59 b. Zu Sidi Riha vgl. Brücke, Frauen, S. 42ff. 163 vom 19. Juni 1911, der ersten erhaltenen an sie, schildert Kirchner Hockende mit Schale im Hintergrund eines auf blau-rotem Grund gelagerten weiblichen Aktes [Abb. 90]. Die liegende Figur, auf den rechtwinklig abgeknickten Arm gestützt, nimmt mit dem sie im Bereich des Oberkörpers hinterfangenden Kissen von gleicher Farbe die gesamte Breite des Bildfeldes ein. Die Waagrechte des Körpers mit den auffällig gestreckten Beinen wird unterstützt durch die scharfe Trennlinie zum oberen Bilddrittel, mit der Kirchner den blau-roten Vorder- und Untergrund abrupt enden läßt. In das entstehende Bildfeld zwischen Postkartenrand und Vordergrund, unmittelbar auf der Trennlinie, fügt Kirchner genau in der Bildmitte Hockende mit Schale ein. Der menschliche Akt, durch die voluminöse Haarkalotte als Dodo618 identifizierbar, wird durch die Accessoires des Tellers und der Tasse im Kontext der privaten Lebenswelt des Ateliers inszeniert – und mit ihr der hölzerne Akt im Zentrum. Die Zugehörigkeit der Skulptur zu diesem Bereich wird noch dadurch unterstrichen, daß die Tuschfederstriche Figur und Skulptur vorbehalten sind und die nicht gefüllten Flächen des hellen Bildgrunds für beide gleichermaßen das Inkarnat bilden. Diese darstellerische und räumliche Nähe von menschlichem und hölzernem Akt scheint bereits die Weiterentwicklung des Motivs anzukündigen, wie sie sich im folgenden Beispiel niederschlägt. Vom 24. Juni 1911, also nur fünf Tage später, datiert eine Postkarte an Heckel, die die Holzfigur eines liegenden nackten Mädchens zeigt [Abb. 91]. Den Körper ein wenig mehr abgedreht, das Gesicht dagegen etwas stärker dem Betrachter zugewandt, schildert Kirchner hier eine Skulptur, die meines Erachtens in dem liegenden Akt der Postkarte an Sidi Riha ihre Vorstudie besitzt. Die zuvor erläuterten künstlerischen Mittel werden nunmehr auf die Darstellung des hölzernen Menschen übertragen. Der Kontur ist, Plastizität vermittelnd, stärker herausgehoben, und das Gesicht hat die für die frühen Skulpturen Kirchners typische Abbreviatur mit den verbundenen Linien von Nase und Augenbrauen, wie sie ganz exemplarisch die Hockende von 1910 vermittelt [Abb. 5]. Die Plastik Liegendes nacktes Mädchen (verschollen) wird in einer Weise dargestellt, die wir schon bei der Karte Hockende mit Schale beobachten konnten: Bei der Adressierung an seinen -Freund befreit Kirchner die Schilderung seiner neuesten Skulptur erneut von allen Requisiten. Er wiederholt diesen Entwurf in Tuschfeder und farbigen Kreiden auf einer zweiten Karte desselben Datums. Im Unterschied zur Karte an Heckel zeigt das

618 Doris Große, gen. Dodo, war nach den Erinnerungen Bleyls wohl seit 1903 Kirchners Lebensgefährtin in Dresden. Sie wurde zu seinem bevorzugten Modell, von dem ihn 1911 der Umzug nach Berlin trennte. Noch 1919 eröffnet er mit ihr die erste Eintragung seines Davoser Tagebuches und erinnert sich schwärmerisch: „Dodo mit Deinen fleissigen Händen. Still und fein und so weiss schön. […] Doch Du gabst mir die Kraft zur Sprache über deine Schönheit im 164

Bildfeld jetzt allerdings die besprochene Figur mit Angabe von Interieur. An die Adressatin Maschka Müller, die Frau des -Kollegen Otto Müller, schreibt Kirchner dazu: „Ich möchte so gerne noch zu Ihnen kommen, anbei meine neuste Plastik“619. Als Ausgangspunkt obiger Ausführungen wurde auf die Analogie zwischen Odi Profanum und dem regen Postkartenverkehr mit bildhauerischen Motiven unter den Künstlern hingewiesen. Beide Medien dienten dazu, durch die Dokumentation jeder neuen Arbeit oder jeder neuen Inspirationsquelle den Gruppenkonnex zu demonstrieren und zu erneuern. In Anlehnung an die erfolgreiche Ausweitung des Bekanntheitsgrades ihres zweidimensionalen Werkes durch die Jahresmappen, versuchen Kirchner und Heckel eine solche Strategie auch für ihre bildhauerischen Arbeiten. Die Passivmitglieder als Adressaten bildeten dabei eine ausgewählte und bereits wohlgesinnte Öffentlichkeit. Wie selektiv dabei den Bekanntheitsgrad ihrer bildhauerischen Resultate erweiterte, ist allerdings grundverschieden von den umfassenden Öffentlichkeitsstrategien, die mit den Jahresmappen, Mitgliedskarten, Jahresgaben und Jahresberichten verbunden waren. Zunächst in Photographien, später auch in Zeichnungen auf Postkarten und in Briefen, bringen Heckel und Kirchner ihre Skulpturen ausschließlich Freunden der Gruppe zur Kenntnis, allen voran Rosa Schapire und Gustav Schiefler, die zu den frühesten Passivmitgliedern, Freunden und Förderern gehörten.620 Gustav Schiefler, zu dem der Kontakt über Nolde zustande kam, war bereits im November 1906 als Passivmitglied beigetreten und sollte zu einem der größten Förderer der -Skulptur werden.621 Bereits im September 1907 hatte Heckel auch ihm Photos seiner Holzplastiken gezeigt.622 Im Juni 1907 wirbt Schiefler die ebenfalls in Hamburg ansässige Kunsthistorikerin Rosa Schapire als Passivmitglied.623 Schapire, die auch durch ihre reinsten Bilde eines Weibes, gegen das die Cranachsche Venus eine alte Votze ist.“ Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 28/29. 619 Kirchner, Postkarten an Heckel, Abb. 70 a, S. 267. 620 Sowohl Schiefler als auch Schapire besaßen Skulpturen Kirchners. 1913 schenkte Kirchner dem Ehepaar Schiefler Stehendes Mädchen von 1909/10 zur Silberhochzeit, wobei sie sich die Figur aus einer Auswahlsendung aussuchen durften: „ich sende Ihnen anbei drei Plastiken zur Auswahl. Es ist doch besser, wenn Sie sie ausprobieren.“ Vgl. Kirchner/Schiefler, 1990, S. 66. Schiefler übertrug das Umfeld, in dem er die Figur (oder eine ähnliche, bspw. Heckels Trägerin) im -Atelier gesehen hatte, auf sein eigenes Lebensumfeld, wo die geschenkte Figur „einer stehenden nackten weiblichen Gestalt […] als Karyatide ein Brett des Bücherbordes tragend, [sein] Zimmer schmückt“. Schiefler, Graphiksammlung, S. 58. Rosa Schapire besaß mit der Tanzenden (1911), heute im Stedelijk Museum, eines der plastischen Hauptwerke Kirchners. Vgl. Kirchner, Postkarten an Heckel, S. 266. 621 Zu Schiefler vgl. Woesthoff, 1996 und , 2001, S. 345. 622 Woesthoff, 1996, S. 282. 623 Zu Schapire vgl. Wietek, Schapire; sowie , 2001, S. 345. Der sich anschließende Werbezug von Schiefler und Schapire schien erfolgreich gewesen zu sein, da 1910 von 68 Passivmitgliedern allein 20 aus Hamburg stammen. 165 kunstwissenschaftliche Kennerschaft propagierte und förderte, scheint großes Interesse an der Skulptur der gehabt zu haben. So ist beispielsweise die erste Darstellung von Kirchners Zinnguß Hockende bereits auf einer Postkarte Kirchners an sie vom 19. Oktober 1909 zu finden624 [Abb. 92, 93]. Eine Postkarte aus dem an Informationsquellen so ergiebigen Winter 1910 gehört zu den aussagekräftigsten Dokumenten, die wir zur -Skulptur besitzen [Abb. 94]. Am 1. Dezember 1910 schreibt Heckel an „Liebes Fräulein Schapire“ und teilt ihr in Wort und Bild die Absendung mehrerer Skulpturen mit: „mit Post heute die Plastiken an Ihre Adresse, 3 Holzpl. von mir, 1 Zinnguss v. E-L. Kirchner Herzl. Gr. E.H.“ Darunter signiert Kirchner mit „Besten Gruss Ihr E L Kirchner.“625 Text und Bildfeld informieren uns über den Status quo des plastischen Werkes im Dezember 1910. Erstens läßt die Wortwahl darauf schließen, daß Schapire, im Gegensatz zum ‘normalen Publikum’, zu diesem Zeitpunkt bereits eingehende Kenntnis des bildhauerischen Werkes besaß und man über die Sendung und die diesbezügliche Auswahl der Stücke bereits gesprochen hatte. Möglicherweise geschah dies bei Kirchners Aufenthalt in Hamburg zwei Monate zuvor, bei dem er sowohl Schiefler als auch Schapire einen Besuch abstattete.626 Zweitens gibt das zugehörige Bildfeld detailliert Auskunft über das bildnerische Werk Kirchners und besonders Heckels zu diesem Zeitpunkt. Drittens illustrieren Medium und Inhalt bestmöglich die allmähliche Ausdehnung des Bekanntheitsgrades der Skulpturen als Mobiliar der privaten Atelierwelt der Künstler auf ihre Freunde. Die Bildseite der hochformatig bemalten Karte zeigt zwei gesockelte hölzerne Skulpturen auf einer mit nur wenigen Strichen skizzierten niedrigen brettartigen Stellage. Der linke der weiblichen Akte ist in leichter Aufsicht und frontal wiedergegeben, der rechte dagegen in Seitenansicht und deutlicher auf die Augenhöhe des Betrachters ausgerichtet. Der Schriftzug am unteren Bildrand weist die linke Figur als von Heckel („von EH“), die rechte als von Kirchner („v. ELK“) aus. Beide Skulpturen sind nicht erhalten. Während die Öffentlichkeit auf der Arnold-Ausstellung (s.u.) kurz zuvor die kleinformatigen Anfänge des Jahres 1906 als erstmals ausgestellte Beispiele des dreidimensionalen Schaffens zu sehen bekam, weiß Rosa Schapire (spätestens) durch die vorliegende Postkarte, daß Heckel in dieser Zeit bereits mindestens

624 Daß in der kunstwissenschaftlichen Literatur ( an Rosa Schapire, S. 103) der Titel der Darstellung Sitzender weiblicher Akt lautet, zeigt, daß bis heute die gegenseitige Durchdringung von Kunst- und Lebenswelt, von hölzernem und menschlichem Akt, als solche rezipiert wird. 625 Möglicherweise ist in einer Karte Kirchners vom 19. Juni 1911 mit „Habe eben Kiste von Schapire erhalten“ die Rücksendung der obigen Skulpturen angesprochen. Vgl. Kirchner, Postkarten an Heckel, S. 266 und Abb. 68. 626 Vgl. Kirchner, 2001, S. 256. 166 ein Stück von etwa einem Meter Höhe geschaffen hatte. Daß dieses wahrscheinlich nicht in der kurzen Zeit von September bis Dezember entstanden sein wird und wohl auch nicht nicht das einzige Stück dieser Größe war, belegt ein Photo aus dem Kirchner Museum Davos, das Heckels Stehende mit seitlich an den Kopf gelegten Händen neben weiteren Skulpturen zeigt [Abb. 95]. Der Abzug schildert fünf sorgfältig nebeneinander aufgereihte Skulpturen im Atelier.627 Vier der Skulpturen sind uns nur durch dieses Photo überliefert und erweitern den Kenntnisstand über Umfang und Art von Heckels plastischem Werk immens.628 In diesem Kontext soll jedoch das Interesse auf die zweite Figur von links konzentriert werden, bei der es sich unzweifelhaft um Stehende mit seitlich an den Kopf gelegten Händen aus obiger Postkarte an Rosa Schapire handelt.629 Der Vergleich der photographischen mit der gezeichneten Abbildung führt vor Augen, wie Heckel und Kirchner Schapire an ihrer plastischen Entwicklung teilhaben lassen und wie dabei der Atelierkontext der Skulpturen einbezogen wird. Die Skulpturen sind zur photographischen Dokumentation möglichst aussagekräftig in Szene gesetzt. Sie wurden gemäß ihrer Blickrichtung ausgerichtet und ihre Bemalung sorgfältig ins buchstäblich rechte Licht gerückt. Auch die Aufstellung wirkt inszeniert, da unterschiedliche Präsentationshöhen

627 Dokumentarische Photos, die wie Bestandsaufnahmen Gruppen von Skulpturen zeigen, finden sich im photographischen Nachlaß Kirchners viele, und ein Großteil seiner und der Skulpturen Heckels sind uns überhaupt nur in solchen Photos überliefert. Photographie war vor allem für Kirchner ein wichtiges Medium. Man plante sogar in Anlehnung an den Münchner Almanach „Der Blaue Reiter“ eine Publikation herauszugeben, in der Photographie eine zentrale Rolle jenseits dokumentarischer Funktion übernehmen sollte. Im Jahresbericht von 1911/12 wird der Öffentlichkeit eine Chronik der angekündigt, „die von der Gründung der Gruppe durch Bleyl, Heckel und Kirchner an die ganze Bewegung schildert.“ Gegenüber dem Förderer Schiefler spezifiziert man das Vorhaben noch: „‘Brücke’ plant die Ausgabe einer Chronik, die in grossem Format Originalgraphik, Photographien und auch Aufsätze erhalten soll.“ (Woesthoff, 1996, S. 296) Schriftliche, bildkünstlerische und photographische Zeugnisse sollten gleichermaßen zur Beschreibung von ‘Wesen und Wirken’ der Künstlergruppe dienen. Konsequenterweise findet „1 Photographie Album“ deshalb auch Einlieferung in die Ausstellung „Kunsthandlung Gurlitt. Kollektivausstellung“. In seine zweite Einzelausstellung liefert Kirchner außerdem drei „Holzplastiken“ ein: „Kopf“, „Tanzende Mädchen“ und „Ein Kauernder Akt“. Zit nach: Skizzenbuch Kirchners in Davos. Nach Presler Skb 29/17. Vgl. Presler, 1996, S. 223, Skb 29. 628Daß es sich bei den übrigen auch um Heckel-Skulpturen handelt, läßt sich ohne weitere Untersuchung des Heckelschen Werkes jedoch nur als Vermutung äußern. Theoretisch könnte es sich auch um Holzbildwerke Kirchners handeln. Von den zahlreichen Photographien Kirchners, mit denen er das bildhauerische Werk dokumentiert, ist allerdings nur eine bekannt, die die eigenen Arbeiten zusammen mit denen seines Künstlerkollegen zeigt. Es ist allerdings Heckel, der das außergewöhnliche Haltungsmotiv der Skulptur rechts vorne mit den über den Kopf gelegten Händen wieder aufnimmt. In einer Postkarte vom 4. November 1911 an Maschka Mueller zeichnet er einen weiblichen Akt nach dem plastischen Vorbild und bezeichnet ihn als „Ausschnitt aus dem Badebild von dem ich ihnen sagte“. Zit. nach: Wietek, Künstlerpost, S. 19. 629 Die Figur hat sich wahrscheinlich bis mindestens 1920 im Besitz des Künstlers befunden, da er sie im Gemälde Stilleben mit Pflanzen von 1920 (Vogt 1920, 16) abbildet. 167 und die Mischung von Figuren verschiedener Größe sowie stehender und hockender Figuren die Reihung beleben. Analog zu dem photographischen Zeugnis der frühen Skulpturen Heckels, welches er in der eingangs ausgeführten Weise gegenüber dem Ehepaar Nolde kommentiert, scheint der Adressat auch dieses Bildes ein später zahlenmäßig auszudehnendes Publikum zu sein. Im Dezember 1910, zwei Monate nach der Arnold-Ausstellung, ist jenem Publikum diese Art der -Kunst jedoch noch völlig unbekannt, und eine Kenntnis-Verbreitung findet nur in Form von persönlichen Zeugnissen an Freunde statt. Auch die Zeichnung der Skulpturen auf der Postkarte wirkt ‘visitenkartenartig’ und schildert die Holzbildwerke möglichst dokumentarisch und unverwechselbar. Beispielsweise entspricht die zeichnerische Darstellung der Füße exakt derjenigen der realen Figur, wie sie uns im Photo übermittelt wird. Die Füße der Stehenden mit seitlich an den Kopf gelegten Händen sind nicht ganz ausgearbeitet und ohne Angabe von beispielsweise Zehen mit dem Sockel verbunden. Nur farblich wird die Skulptur vom Sockel getrennt, wodurch ihr Ursprung im hölzernen Stamm und die unauflösbare Zugehörigkeit des Sockels zum skulptierten Akt verdeutlicht wird. Kirchners Figur wird im Profil geschildert, so daß ihr abgeflachter Kopf, das wesentliche Merkmal einer Karyatide, bestmöglich zur Geltung kommt. Die Gesichtsgestaltung mit den bis unter den Rand hochgezogenen Augen und Ohren pointiert sowohl die Darstellung im vollen Profil als auch den horizontalen Abschluß des Kopfes. Das Bildfeld zeigt mit der Kombination von Tuschezeichnung und Ölkreiden die für die Postkarten bereits bekannte Wahl der künstlerischen Mittel. Es illustriert jedoch nicht nur die plastischen Fortschritte, sondern schildert gleichzeitig eine autonome Bildfindung. Die Ölkreide ignoriert die Binnenzeichnung der Skulpturen, und die Angabe des Inkarnats wird über die Konturangabe hinweg aufgetragen. Auch durch die Perspektivverzerrung, mit der die Künstler die linke Skulptur in Aufsicht und die rechte Skulptur in Ansicht schildern, macht die Eigengesetzlichkeit der Darstellung evident. Die Plastizität des Heckelschen Holzbildwerkes wird nicht durch die Schilderung der Skulptur selbst herausgearbeitet – diese ist, mit Ausnahme des Sockels, reine Fläche. Bildimmanente Räumlichkeit wird vielmehr durch Angabe des Umraumes und der Plazierung der Figuren auf der Stellage verdeutlicht. Aus dem Vergleich mit der Photographie wird bei aller Selbständigkeit der Postkarte die Detailgenauigkeit nachvollziehbar, mit der Heckel und Kirchner ihre Skulpturen auch im zeichnerischen Medium darstellen. Der Grund für diese Gleichzeitigkeit liegt meines Erachtens in der Absicht, den Ursprung der Skulpturen im Privatkontext, im dortigen „Erlebnisraum“, erkennbar bleiben zu

168 lassen. Wie konkret in dieser Darstellung die Zugehörigkeit der Figuren zur privaten Lebenswirklichkeit erkennbar wird, läßt die Hintergrundgestaltung der Skulpturen und die Stellage, auf der sie sich befinden erkennen. In der Zeichnung haben Heckel und Kirchner die bekannten Atelierchiffren der Vorhänge, Möbel usw. nicht bildschöpferisch eingefügt bzw. zur besseren Inszenierung der Skulpturen auch nicht weggelassen; vielmehr übernehmen die Künstler authentisch die Raumsituation, wie sie auch die Photographie schildert. Die Angabe der nicht näher spezifizierten Umgebung beschränkt sich auf die grau-braune Wandgestaltung, die die Holzskulpturen hinterfängt. Die fünf Skulpturen sind zur photographischen Dokumentation möglichst aussagekräftig inszeniert und dazu auf ein Brett gestellt, welches auf zwei runden Holzklötzen aufliegt. Genau diese Pritsche übernehmen die Künstler auch in die Zeichnung. Zwar erfährt sie dort eine perspektivische Verzerrung, ihre runden Füße bleiben jedoch deutlich erkennbar. Bei aller Autonomie der Bildgestaltung in Farbe und Perspektive achten Heckel und Kirchner darauf, daß die Postkarte Rosa Schapire einen präzisen Ausschnitt ihrer von Skulpturen bevölkerten Realität übermittelt. Kenntnis von der -Skulptur dieser Zeit zu erlangen bedeutete also, Teil der privaten Lebenswelt von zu sein. Wie privat diese gewesen sein muß, zeigen anschaulich die Dokumente eines einzigen Tages im Dezember 1910. Gustav Schiefler hatte an diesem Tage seine erste direkte Begegnung mit dem Dresdener -Kosmos. Aus drei unterschiedlichen schriftlichen und bildlichen Perspektiven ist uns dieser Besuch in den Dresdener Ateliers überliefert: „Dann um 3 Uhr zu Heckel. […] H. sitzt bei Holzskulptur, ich trommele auf Negertrommel. Nachher kommt auch Kirchner. Ich sitze auf Sofa. K. zeichnet Postkarte“630

Mit der von Schiefler angesprochenen Postkarte [Abb. 96] dokumentiert Kirchner wiederum seine Begegnung mit dem Hamburger Förderer an diesem 16. Dezember 1910631. Auf den ersten Blick scheint die Szene einen geselligen Moment des Beisammenseins unter Freunden zu schildern. Das Motiv der gastlichen Zusammenkunft, auf das die sorgfältig im Vordergrund positionierte Kaffeetasse hinweist, gerät – wie die Körperhaltung Schieflers – jedoch aus dem Lot. Der Diagonale seines Körpers folgend, scheint in der Zeichnung alles aus einer gleichgewichtigen Komposition der Bildfläche nach rechts verrutscht. Schiefler sitzt nicht bequem auf einem Stuhl oder einer Bank, sondern stützt sich, halb sitzend, halb lagernd, mit dem linken Arm auf dem Kopfteil einer

630 Notiz Schieflers vom 16. Dezember 1910. Zit. nach: Woesthoff, 1996, S. 361, Anm. 1028. 169

Liege ab. Besonders seine rechte Hand wirkt dabei keineswegs so, als läge er dort entspannt. Durch die Verschiebung des Bildgeschehens in die rechte Bildhälfte schafft Kirchner Raum für die farbenkräftige, kleinteilige und unruhige Schilderung der exotischen Wandgestaltung, die er mit der zusammenhängenden dunklen Farbfläche von Schieflers Anzug kontrastiert. Schiefler in schwarzem Anzug mit Schlips, Kragen und Manschetten scheint hier mehr als Landgerichtsdirektor porträtiert zu sein, der nicht ganz in die ihn umgebende Atelierwelt hineinpaßt. Aus zahlreichen Quellen wissen wir zwar von der guten Beziehung Heckels zum Ehepaar Schiefler, trotzdem aber wirkt er hier wie ein Fremdkörper in der exotischen -Welt. Daß dieses Fremdheitsgefühl sogar von Künstlerkollegen empfunden werden konnte, berichtet Franz Marc über einen Besuch im Atelier Heckels: „Gestern Nachmittag waren wir bei Heckel und seiner Freundin, der Tänzerin Sidi Riha; als wir weggingen hatten wir beide das Gefühl, bei zwei Kindern gewesen zu sein. […] Maria brach sofort auf ihrem von bemalten Latten zusammengenagelten Stuhl zusammen; wir beide kamen uns überhaupt wie ungeschlachte Bären dort vor.“632

Auch Schiefler empfindet angesichts des „seltsame[n] Bohème-Leben[s]“ der eine ambivalente Mischung aus Irritation und Faszination: „Während das Licht des verglimmenden Abends durch die verhängten Scheiben einfiel, sahen die wunderlichen Formen und Farben der Bilder zwischen den Dampfwölkchen des brodelnden Kessels hindurch, und die bläulichen Streifen des duftenden Zigarettendampfes schwebten hinüber und herüber. Später, wenn die Lampe angezündet wurde, saßen wir auf Bänken und Hockern, über die gebatikte Stoffe gebreitet waren, um den niedrigen Tisch und besahen die Mappen mit Handzeichnungen und gedruckten Blättern, während seltsam fratzenhafte Holzskulpturen uns über die Schultern guckten.“633

Noch Jahre später verwendet Schiefler die Aufzeichnungen dieser ersten Eindrücke, um, diesmal etwas weniger atmosphärisch involviert, die Lebens- und Arbeitsumstände Kirchners zu beschreiben. „Er hatte in einer Vorstadtstraße Dresdens, der Not gehorchend, ein seltsames Atelier gemietet: einen engen Krämerladen, der sich mit einer großen Scheibe nach der Straße öffnete und neben dem ein kleines Gemach als Schlafraum diente. Diese Räume waren phantastisch ausgestattet mit bunten Stoffen, die er selbst in Batiktechnik gemustert hatte, mit allerlei exotischem Gerät und mit Holzschnitzereien seiner eigenen Hand: eine primitive, aus der Not geborene, aber doch von stark ausgeprägtem

631 Vgl. Kirchner/Schiefler, 1990, S. 27. 632 Marc in einem Brief vom 18./19. Januar 1912 an Kandinsky. In: Kandinsky/Marc, 1983. S. 122. 633 Schiefler, Graphiksammlung, S. 58. 170

eigenen Geschmack getragene Umgebung. Er hauste hier in einer nach bürgerlichen Begriffen ungeregelten Lebensweise, materiell einfach, aber in seinem künstlerischen Empfinden anspruchsvoll […] Es hatte einen eigenen Reiz, in dieser Umwelt, auf einem Hocker vor niedrigem Tische sitzend, mit ihm die Mappen durchzublättern […].“634

Vermutlich hat Schiefler über die beschriebenen Holzfiguren Gefallen geäußert. Als Reflex dessen verdient eine dritte Postkarte vom gleichen Tag nähere Betrachtung [Abb. 97]. Heckel porträtiert auf dieser an Schieflers Frau Luise adressierten Karte vom 16. Dezember 1910 seinen -Freund Kirchner. Auf einer selbstgefertigten Bank635 mit figürliche Lehne sitzend, trägt Kirchner, wahrscheinlich als Reaktion auf die Besonderheit des Anlasses, ebenfalls einen schwarzen Anzug und sogar einen Hut. In dieser für das Atelier ungewöhnlichen Bekleidung erscheint er jedoch keineswegs als Fremdkörper. Vielmehr ist er umgeben von Skulpturen, – „während seltsam fratzenhafte Holzskulpturen uns über die Schultern guckten“636 –, die so nah an ihn herangerückt sind, daß sich eine Angabe weiterer Räumlichkeit, anders als in Kirchners Karte, auf eine Andeutung in der rechten Bildhälfte reduziert. Dies ist um so bemerkenswerter, als die detaillierte Darstellung der Wand hinter Schiefler auf der Karte Kirchners als charakteristisches Beispiel einer sich vielfach wiederholenden präzisen Schilderung der realen Atelierräumlichkeiten dienen kann. Heckel dagegen reduziert den Umraum auf eine unbestimmte grüne Wandfläche und das angeschnittene Mobiliar am rechten Bildrand. Um die natürliche Vertikalität des Sitzens und der stehenden Skulpturen zu unterstreichen, wählt Heckel dabei, anders als Kirchner in seiner Karte, das Hochformat. Er präsentiert Kirchner in der gleichen Umgebung entspannt und souverän und somit genau gegensätzlich zu Schiefler im gleichen Kontext. Die Zugehörigkeit der Figuren zu dieser persönlichen Lebenswelt wird noch dadurch pointiert, daß die Farbwahl für Kirchners Inkarnat und für den Holzton der Skulptur engstens beieinanderliegt. Darin ist Heckels Karte derjenigen Kirchners an Sidi Riha verwandt [Abb. 90], wo durch die Nähe der darstellerischen Mittel eine ebenfalls Verwandtschaft evoziert wird. Kirchner hatte in seiner Schiefler-Karte die Ateliersituation ausführlicher geschildert; Heckel verdichtet die Szene dergestalt, daß Skulptur hier sogar als komprimierte Atelier-Erlebniswelt-Chiffre eingesetzt werden

634 Schiefler, 1924, S. 14. Zit. nach: Kirchner/Schiefler, 1990, S. 422. 635 Eventuell ähnlich derjenigen in Fränzi vor geschnitztem Stuhl von 1910. Vgl. Heckel, Interview, S. 57. Die dortige allerdings mit der Angabe einer voluminösen Haarkalotte. Vgl. aber auch Postkarte Heckels an Schiefler vom 24. Dezember 1910 mit dem Bild des eine Ananas schälenden Kirchners auf der wahrscheinlich selben Bank. Eine weitere Darstellung findet sich eventuell in der Zeichnung Hockender Mädchenakt von 1909/10. Vgl. Kirchner, Postkarten an Heckel, Abb. 25 a. 636 Schiefler, Graphiksammlung, S. 58. 171 konnte. Die beste Möglichkeit, das plastische Werk kennenzulernen, bestand also darin, an der engen Verschränkung von Skulptur und privater Lebenswelt selbst teilzuhaben, denn nur so kommt Schiefler in die Lage, Heckel bei der Arbeit an der Skulptur einer Tänzerin zu beobachten, während er selbst dabei „auf Negertrommel“637 trommelt.

1.2.2. Die Skulptur wird öffentlich

1.2.2.1. Die Ausstellung in der Galerie Arnold 1910

In den Jahren 1906/07 war die Galerie Arnold in Dresden umgebaut und großzügig erweitert worden.638 Mit Umbau und Innenausstattung wurden namhafte Architekten wie Wilhelm Kreis, für den Heckel von 1905 bis 1907 als Assistent, Zeichner und Bauführer tätig war639, Max Hans Kühne und der zu dieser Zeit bereits international bekannte Henry van de Velde beauftragt. Es entstanden neun Ausstellungsräume, von denen einige extra für eine spezifische Kunstgattung eingerichtet worden waren. So gab es ein zwei Räume umfassendes „Graphisches Kabinett“ und im ersten Stock einen eigenen Skulpturensaal mit Oberlicht: „Hofkunsthändler Ludwig Gutbier hat mit der Galerie Ernst Arnold, die nunmehr sieben Räume für Gemälde, einen Oberlichtsaal für Plastik und zwei intimere Räume für graphische Kunst umfaßt, eine stolze Anlage geschaffen, die man als eine künstlerische Tat bezeichnen muß. Man wird nicht leicht wieder einen derartigen privaten Kunstsalon finden.“640

Es erscheint auffällig, daß in einem so großzügig gestalteten Ambiente, das den Vergleich mit den renommierten Häusern in Berlin, Hamburg oder München nicht zu scheuen brauchte, darauf verzichtete, in ihrer Ausstellung vom 1. bis 30. September 1910 auch ihr skulpturales Werk dem Publikum umfassend zu präsentieren. Platzgründe können vor dem Hintergrund der erweiterten Ausstellungskapazitäten sicher nicht verantwortlich gemacht werden. Selbst in ‘Konkurrenz’ mit der zeitgleich (!) stattfindenden „imposanten Gauguin-Ausstellung“641 mit 25 Gemälden Paul Gauguins wurde der -Ausstellung mit insgesamt 95 Exponaten zahlenmäßig und räumlich der größere Platz eingeräumt:

637 Notiz Schieflers in seiner Agenda vom 16. Dezember 1910. Vgl. Woesthoff, 1996, S. 282. 638 Vgl. dazu Negendanck, 1998, S. 113ff. 639 Heckel, 1983/84, S. 34. 640 Kunst für Alle, Jg. 23, 1907, S.165. Zit. nach: Negendanck, 1998, S. 116. 641 Der Cicerone, Jg. 2, 1910, S. 592. 172

„Es ist unvergessen, daß Herr Gutbier im Jahre 1910 die erste wirklich importante -Ausstellung gemacht hat, und in allen Bibliographien des In- und Auslandes kann man nachlesen, was für Epoche machende Ausstellungen von ihm durchgeführt wurden.“642

Den eigens der Skulptur gewidmeten Saal im Obergeschoß ließ jedoch ungenutzt.643 Inhaltliche Einbußen hinsichtlich der als Gesamtkunstwerk inszenierten Ausstellung, die aufgrund einer zu großen räumlichen Entfernung zu den Gemälden und Druckgraphiken eventuell hätte befürchten und unter der die Wechselbeziehungen der zwei- und dreidimensionalen Medien hätten leiden können, sind ebenfalls unwahrscheinlich. Eine ähnliche Präsentation wie in der späteren -Ausstellung 1912 in der Galerie Gurlitt [Abb. 4], bei der die Skulpturen in unmittelbarer Nähe zu den Gemälden positioniert werden sollten, wäre auch bei Arnold denkbar gewesen.644 Statt dessen finden wir die erste Ausstellung plastischer Werke von auf dem Kaminsims im sogenannten Barockzimmer im ersten Stock645 [Abb. 98]. Es handelt sich um sieben Kleinplastiken und -skulpturen unterschiedlichen Materials. Von links nach rechts sind zu erkennen: Kirchners vor 1910 entstandene weibliche nackte Halbfigur aus Zinn, Heckels kleine hockende Figur aus Holz, Kirchners Zinnguß Hockende von 1909/10 und ein Relief mit erotischer Darstellung aus Ton von Kirchner. Es folgen zwei Holzskulpturen Heckels sowie eine weitere Zinnfigur Kirchners. Sämtliche Exponate sind verschollen, aber teilweise noch in anderen Photographien überliefert. Die genaue Bestimmung der Werke ermöglichten jedoch die Aussagen Heckels selbst.646 Bei der zweiten und dritten Figur von rechts handelt es sich um zwei der Holzbildwerke Heckels aus dem oben vorgestellten Photo647 [Abb. 85]. Um die Höhe dieser Skulpturen zumindest ungefähr rekonstruieren zu können, ist man auf einen Vergleich mit Kirchners Tonrelief und seiner daneben

642 Brief Will Grohmanns vom 24. August 1958 an die Witwe des Besitzers der Galerie Arnold Ludwig Wilhelm Gutbier, Ella Gutbier. Zit. nach: Negendanck, 1998, S. 130. 643 Dies ist um so aussagekräftiger, da – angesichts der Sorgfalt und Professionalität, mit der die eigene ‘Öffentlichwerdung’ betrieb, nicht anderes zu erwarten – die Künstler genau über die zur Verfügung stehenden Ausstellungsräumlichkeiten informiert waren. Über den Oberlichtsaal bei Arnold und sogar über dessen exakte Ausmaße in Meterangaben berichtet Heckel Rosa Schapire: „[…] andre Saal mit Oberlicht 8x12 m und für die Graphik ein Gang.“ Postkarte vom 2. September 1910. Zit. nach: Heckel, 1973, Abb. 46. 644 Außerdem zeigen andere Innenansichten der Galerie Arnold, daß die Ausstellung bildhauerischer Arbeiten sich nicht ausschließlich auf den dazu bestimmten Saal beschränkte, sondern auch auf Sockeln verschiedenster Art und Größe über die Räumlichkeiten verteilt Aufstellung fand. Vgl. bspw. die Abb. 30, 32, 34, 43 bei Negendanck, 1998. 645 Reinhardt, 1977/78, S. 195 rekonstruiert für das gleiche Jahr eine weitere Ausstellung von bildhauerischen Arbeiten im Kunstsalon Maxilimilian Macht in Berlin. Allerdings nicht mehr aufgeführt in , 2001 S. 402. 646 Vgl. die Angaben Wenzel Nachbaurs in: Lüttichau, 1989, S. 91f. 647 Bei Henze, 2001, S. 88 irrtümlich als Ton- bzw. Zinnfiguren bezeichnet. 173 positionierten Hockenden angewiesen.648 Die Höhe der Reliefs beträgt 20 cm; etwa die gleiche Höhe hat die aus Zinn gegossene Hockende. 649 Für Heckels Stehende kann man also berechtigterweise eine Höhe von ca. 40 cm ohne Sockel vermuten, für sein Liebespaar etwa 20 cm ohne Sockel. Wie wir aus Heckels Erläuterungen zu den Ada Nolde übermittelten Photos wissen, sind beide Figuren aus Birkenholz. Die Aufstellung der Skulpturen in der Galerie Arnold wirkt wie die 1:1- Umsetzung der verschiedenen zuvor geschilderten privaten Aufstellungssituationen und verstärkt den Eindruck einer kaum veränderten Übertragung der privaten (Atelier-)Erlebnisräume in die der Öffentlichkeit zugänglichen Galerieräume. Auch in Ada Noldes Zimmer dürften die Skulpturen einen vergleichbaren Aufstellungsort auf einem Kaminsims oder Wandbord gefunden haben, so wie Kirchner selbst seine frühen Plastiken in seinem Atelier auf einem Wandgesims in Reih und Glied präsentiert [Abb. 84]. Eine ebensolche Präsentation schildert die Photographie der Aufstellung bei Arnold: An der rechten Wand des Zimmers erkennt man einen offenen Kamin sowie eine zugehörige aufwendige Rahmung aus Marmor, über der in ausladendem Goldrahmen Max Pechsteins Tanz gehängt ist. Auf dem zugehörigen Kaminsims sind die sieben Figuren in bekannter Manier aufgereiht. Der Eindruck einer privaten ‘Wohnraumgestaltung’ verstärkt sich noch, vergleicht man die Photographie der -Ausstellung mit derjenigen der Eröffnungsausstellung von 1906, die Ludwig Gutbier kurz nach dem Abschluß der ersten Umbauarbeiten durchführte.650 Im Jahr 1906 wurden zwar die ersten fertiggestellten Räume der Galerie mit einer Ausstellung eröffnet, doch diese zeigte nur das bestehende Programm der Kunsthandlung. Die oberen Räume, in denen später auch ausstellte, waren den Dresdener Malern gewidmet, von denen der Dresdner Anzeiger schrieb: “Wir finden hier so ziemlich alle Namen vertreten, die für Dresdens Kunstleben von Bedeutung sind: Kühl, Bracht, Bantzer, Sterl, Ritter, Zwintscher, Richard Müller, Paul Kießling, Hans Unger, Wilhelm Claudius, Hegenbarth, Georg Erler, Graf Reichenbach[…]“651

648 Zur Zuschreibung des Reliefs an Kirchner vgl. Lüttichau, 1989, S. 96, Anm. 17. Zu den Reliefs selber siehe Grisebach, in: Kirchner, 1979/80, Kat. 62 sowie ebd., S. 57. Kirchner plante ursprünglich wohl, aus diesen insgesamt vierundzwanzig Tonreliefs eine Ofenverkleidung anzufertigen, realisierte den Plan aber nie und nutzte die einzelnen Platten statt dessen als Wanddekoration, wie wir von verschiedenen Atelieraufnahmen wissen. 649 Vgl. Henze, 1984, S. 108. 650 Vgl. Negendanck, 1996, Abb. 25, S. 315. 651 Paul Schumann: Galerie Ernst Arnold, Dresdner Anzeiger vom 18. November 1906. Zit. nach: Negendanck, 1998, S. 118. 174

Passend zu den ausgestellten Werken finden sich auch damals Kleinplastiken auf einem unter dem Fenster stehenden Tisch oder wie später bei dekorativ auf dem Kaminsims aufgereiht. Sogar in der Hängung, mit einem Gemälde in repräsentativem Goldrahmen über dem Kamin, finden sich Parallelen. Sieht man einmal von der herrschaftlichen Decke aus dem 17. Jahrhundert ab, evoziert die Art der Präsentation in beiden Ausstellungen bei den Besuchern gleichsam die Vorstellung eines privaten Kontextes, der es ihnen erleichtert, die ausgestellten Werke in ihren eigenen heimischen Rahmen zu transponieren.

1.2.2.2. Katalog und Plakat

Die Konzeption der -Ausstellung in der Galerie Arnold bemüht sich, das Ateliergeschehen, in dem Kunst, Lebensstil und Dekoration zu einer schöpferischen Einheit verschmolzen, umfassend, also auch unter Einbeziehung der Skulptur, zu präsentieren. Hierin reflektierten sie das Jugendstil-Ideal des Gesamtkunstwerks, das Leben und Kunst zu einem neuen harmonischen Zusammenklang zu verbinden suchte und das die Generation der Expressio- nisten zu revitalisieren suchte. Zur Präsentation eines gesamtkünstlerischen Kollektivs, wie es in dieser Ausstellung offenbar anstrebte, gehörte konsequenterweise auch, die Begleitpublikation in das Konzept mit einzubeziehen.652 Diese nimmt in der Reihe der zahlreichen Publikationen und Selbstdarstellungen der Gruppe eine Sonderstellung ein. Die Wichtigkeit des Kataloges zeigt sich schon im Vorfeld der Ausstellung. Bereits auf den Einladungskarten [Abb. 84a] ist der Großteil des Textes dem Erscheinen und der Beschreibung der Besonderheiten des Kataloges gewidmet.653 Einladungskarte und Katalog unterliegen dem gleichen umfassenden künstlerischen Gestaltungsentwurf, da beide in der gleichen Druckschrift verfaßt sind, die dem Buchstabenschnitt der abgedruckten Holzschnitte (Bilduntertitel und Mitgliederverzeichnis) angelehnt ist. Zur zeitgleich bei Arnold stattfindenden Sonder-Ausstellung Paul Gauguin 1848–1903 erschien nur ein einfacher kleiner Katalog. Während dieser lediglich eine Ausstellungs-Einführung durch einen Kunstkritiker, ein Verzeichnis der ausgestellten Werke und eine einzige Reproduktion auf dem Titelblatt enthielt, waren es gerade die Abbildungen, die den -Katalog zu einem ihrer

652 Vgl. den Reprint des gesamten Kataloges: Stationen der Moderne, 1988. 653 Des weiteren legt Heckel in dem Text besonderen Wert darauf, daß auch die von Kirchner handgeschnittene Liste mit den Namen der Passivmitglieder im Katalog erscheinen wird. Dies verdeutlicht, wie untrennbar die zuvor ausgeführten Öffentlichkeits-Strategien mit dem Gesamtkunstwerk verbunden sind. 175 künstlerisch aufwendigsten machten. Für die Ausstellung der Galerie Arnold illustriert erstmals einen ihrer Kataloge. Der Titel [Abb. 84b] zeigt einen Holzschnitt von Heckel nach dem Ausstellungsplakat von Kirchner. Auf 38 Seiten wurden die Werke der Künstler aufgelistet, wobei Schrift und Bild im Originalholzschnitt gedruckt wurden und so Dekoration und Information die gleiche künstlerische Aufmerksamkeit erfahren. Der Aspekt des Gesamtkunstwerks und damit der für die Gesamtheit der Schau betriebene Aufwand wird sogar katalogimmanent noch unterstrichen: Der Katalog umfaßt anstelle von Photographien nämlich nicht nur 14 Holzschnitte nach ausgestellten Gemälden; der das ausgestellte Gemälde illustrierende Holzschnitt stammt meist sogar von der Hand eines anderen -Kollegen.654 Heckel schnitt beispielsweise den Druckstock für Kirchner, Pechstein denjenigen zu Heckels Gemälden usw. Die Holzschnitte repräsentieren damit nicht nur das kongeniale Verständnis von untereinander, bei dem die Gemeinsamkeiten der beteiligten Künstlerpersönlichkeiten deutlicher hervortreten als die individuellen Unterschiede, sondern auch die künstlerische Verwandtschaft von Malerei und Graphik. Wenn beabsichtigt, hätten auch einige der Skulpturen wie die Gemälde im Holzschnitt wiedergegeben werden können. Analog zur Farbe der Malerei wäre zwar die Mehrdimensionalität der plastischen Werke nicht mehr erfahrbar gewesen, allerdings ging es bei den Katalogabbildungen offenbar nicht nur um die bloße Wiedergabe der ausgestellten Stücke, sondern ebenso um die Schaffung autonomer Kunstwerke. Dies stellt eine Parallele zu den Jahresmappen für die Passivmitglieder der dar, bei denen ebenfalls ein Mitglied der Gruppe die Werke eines anderen im graphischen Medium umsetzt. Die Skulpturen wurden jedoch außer Katalog gezeigt und der so wichtigen Publikation noch nicht einmal als Werkliste eingegliedert. Wenn der Katalog, analog zu den im vorigen Kapitel ausführlich dargelegten Strategien, dazu diente, sich dem Publikum als Gruppe, als kohärente Einheit zu präsentieren, läßt das Fehlen der Skulpturen darauf schließen, daß letztere in diesem Kontext eben nicht als künstlerische Äußerung der gesamten Gruppe empfunden wurden, sondern einen viel individuelleren Stellenwert besaßen.655

654 Nur Schmidt-Rottluff übertrug seine Gemälde eigenhändig in die Graphik. Vgl. Sammlung Gerlinger, 1995, S. 115. 655 Auch für Pechstein und Schmidt-Rottluff lassen sich plastische Versuche bereits zu diesem Zeitpunkt rekonstruieren: Für Schmidt-Rottluff ist für die Zeit 1907–1912 belegt, daß er „Holzplastiken aus großen Klötzen (herausgeholt)“ hat (zit. nach Wietek II, 1984, S. 171), jedoch beginnt er erst ab 1911, plastische Resultate (mit farbig bemalten Schnitzereien versehene Holzkästen) auszustellen (vgl. ebd.). Pechstein hatte bis 1910 nachweislich mindestens zwei plastische Werke geschaffen (vgl. Wietek III, der einen Gips Kopf von 1908 und ein Zinnrelief Vasenträgerin 1909 aufführt), aber auch er zeigt in dieser Ausstellung keines seiner Bildwerke, sondern stellt sie, obwohl bereits für die Ausstellung in der Galerie Gurlitt 1912 angekündigt, erst 1913 aus (vgl. Friedeberger, 1913, S. 760). 176

Für die Ausgliederung der Plastiken und Skulpturen aus dem Katalog scheint daher die Priorität der Darstellung des Gruppenkollektivs den Hauptausschlag gegeben zu haben. Aus diesem Grund verzichten auch Heckel und Kirchner im Gegensatz zur Aktualität der gezeigten Gemälde und Grafiken darauf, ihre neuesten Plastiken und Skulpturen zu präsentieren. Allerdings fanden sie ihre freiplastischen Werke wichtig genug, sie in eine gesamtkünstlerische Ausstellungskonzeption einzubeziehen, und deuten so ihr Anliegen einer auch plastischen Gestaltung des Lebensraumes an – oder, wie Kirchner es rückblickend bezeichnet, der „Lebensgewohnheit des menschlichen Vorbildes“656: „Der Weg der Entwicklung in diesen Dingen des äusseren Lebens, von der ersten applizierten Decke im ersten Dresdener Atelierzimmer bis zum vollendeten harmonischen Raum in den Berliner Ateliers der einzelnen, ist eine ununterbrochene logische Steigerung, die Hand in Hand ging mit der malerischen Entwicklung der Bilder und Grafik und Plastik.“657

Bereits der für den Katalog betriebene Aufwand belegt, wie wichtig der kohärente Gruppenauftritt war; weiterhin dokumentieren die Künstler darin die enge Verflechtung der künstlerischen Medien. Waren es im Katalog ausschließlich Malerei und Graphik, so finden diese im Ausstellungsplakat [Abb. 41] ihre Zusammenführung mit der Skulptur: Erstens war es ein Holzschnitt, der das Publikum für die Ausstellung interessieren sollte, und zweitens weisen Form und Inhalt des Plakats auf die Skulptur hin. Kirchner schnitt das Plakat in Holz und verwendete damit eine ungewöhnlich aufwendige Technik. Zu Beginn ihrer Ausstellungstätigkeit hatte die Lithographie gewählt, da sich das Medium für plakativen Stil, der Druckstein für hohe Auflagen bestens eignete. Zugunsten der künstlerischen Intention verzichtete man aber ab 1908 auf die der Werbegraphik zu ähnliche Lithographie und ging das Risiko eines Holzstockes in Plakatgröße ein. Erstmals für die Ausstellung im Kunstsalon Emil Richter 1908 hatte Heckel ein Holzschnitt-Plakat entworfen. Im Vergleich zeigt der Arnold-Holzschnitt Kirchners die auch auf diesem Gebiet seitdem verfeinerten Kenntnisse. Kirchner wählt für den Arnold-Holzschnitt den ersten mehrfarbigen Plakatentwurf. Dabei werden Schwarz und Rot sogar von zwei verschiedenen Stöcken gedruckt, während die Farbe des Papiers für das Ocker-Gelb sorgt.658

656 Tagebucheintrag Kirchners vom 6. März 1923. In: Davoser Tagebuch, 1997, S. 67. 657 Ebd. 658 Die Entscheidung für eine Mehrteiligkeit des Druckstockes ist primär auf die dadurch erweiterten farblichen Möglichkeiten zurückzuführen. Die Scheu vor einem zu großen Stock, der unter den Kräften der Druckpresse zerbrechen könnte, hatte Heckels Erfindung beseitigt, den Stock aus mehreren Brettern zusammenzuleimen und hinten mit einer Querlattung zu versehen. Bezüglich des ersten Richter-Plakats schreibt er an Schiefler: „Wir haben etwas über 200 Exemplare für den Plakatsäulenanschlag drucken lassen und der Stock hat den Druck sehr 177

Der in zwei Schriftfelder und ein Bildfeld geteilte Holzschnitt zeigt einen mit seitlich untergeschlagenen Beinen sitzenden Mädchenakt mit kantigem Körper und stilisiertem Gesicht. Auf dem Schoß des Kindes ist möglicherweise eine kleine Skulptur zu erkennen.659 Mit ihrer linken Hand und dem linken Arm scheint die Figur das nicht näher bestimmbare Objekt geradezu stützend und schützend zu umfangen. Eine blockhafte schwarze Haarmasse, die knapp oberhalb der Stirn waagrecht abgeschnitten ist, umgibt seitlich den Kopf, so daß der maskenartige Charakter des Gesichts durch die Rahmung und das spitzwinklige Kinn noch verstärkt wird. Der scharfe horizontale Haarabschluß ist für das Verständnis der Darstellung von zentraler Bedeutung. Einige der Skulpturen Kirchners und Heckels dieser Zeit zeigen diesen geraden oberen Abschluß, der nicht der Anatomie des Kopfes folgt, sondern den Ursprung der Figur im Stamm verdeutlicht [Abb. 94, 123]. Charakteristische Beispiele für die Variation, mit der die Künstler diesen waagerechten Abschluß thematisieren, sind die Ausarbeitungen der Figuren als Schalenträgerinnen [Abb. 89, 99], Stuhl- /Banklehnen [Abb. 97, 99, 100] und Karyatiden [Abb. 17, 21]. Wie eine Karyatide die Last, trägt der Akt des Plakates den Namenszug von . Das aus dem bildhauerischen Werk stammende Motiv der oben waagrecht abgeschnittenen Haarkalotte wird hier kongenial durch die Einbindung der Typographie ergänzt und ins graphische Medium eingegliedert.660 Dies ermöglicht es sogar, das sitzende Mädchen selbst als Skulptur zu lesen oder es zumindest auf der Grenzlinie zwischen Menschen- und Skulpturabbild zu positionieren. Zum einen leiten sich der flache Kopfabschluß und das spitzwinklige Kinn aus der zeitgleichen Skulptur her, zum anderen haben Holzschnitt und Skulptur das gleiche Ausgangsmaterial. Durch seine Herkunft aus dem Holzstock schildert das grafische Medium die gleichen Materialeigenschaften wie die Holzbildwerke. Parallelen im Herstellungsprozeß durch Werkstoffsubstraktion, die den Holzschnitt gleichsam als die negative Form des Figurenschnitzens erfahrbar werden lassen, führen so zu ähnlichen formalen Niederschlägen und in der Folge zu ähnlichen ästhetischen Resultaten. Diese zeigen sich in einer vergleichbaren Ober-

gut ausgehalten, er hätte wohl noch sehr viel mehr Abzüge gegeben.“ Zit. nach: , 2001, S. 23. 659 Vgl. Plastik und Kunsthandwerk, 1960, S. 7 und Stationen der Moderne, 1989, S. 91, wo Lüttichau als Material Holz und eine Urheberschaft der Figur bei Kirchner vermutet. Ebenso wäre auch eine Identifikation mit Kirchners Hockendem Geschöpf aus Muschelkalk, um 1909, denkbar. Möglicherweise erkennbar im Gemälde Rote Tulpen von 1909 (G 72). Vgl. Kirchner Museum Davos, 1992, S. 61, Abb. 60. 660 Vgl. Kapitel IV.1.1.3. für meine Ausführungen zu Kirchners Gemälde Nacktes Mädchen hinter Vorhang/Fränzi, 1910, bei dem eine plastische Formfindung ebenfalls ein neues Bildmotiv evoziert. 178 flächenstruktur und den gleichermaßen spitzwinklig umbrechenden Kanten von Holzschnitt und plastischem Bildwerk. So kann bei der Holzstock selber zum Träger skulptural-künstlerischer Aussage werden: „Daß Schmidt-Rottluff aber auch den Holzstock als Kunstwerk empfunden hat, geht daraus hervor, daß er seinen Druckstöcken eigenwillige Formen gegeben hat. Dies gilt besonders für die Holzstöcke, die 1913 in Nidden auf der Kurischen Nehrung entstanden sind. Der Holzstock seiner Fischerboote hat im Umriß die Form der Kurenkähne angenommen.“661

Ein hölzernes Relief Schmidt-Rottlufs, Zwei weibliche Akte [Abb. 101], das er „Weihnacht 1911“ signierte und Rosa Schapire zum Geschenk machte, wirkt wie ein Grenzgänger zwischen Holzstock und eigenständigem Relief. Die großen zusammenhängenden Farbflächen der Haupt- und Schambehaarung und die lineare Gestaltung der sich kreuzenden Gliedmaßen stehen in Verbindung zum zeitgleichen Holzschnitt Schmidt-Rottluffs wie Akte auf Teppich II (Schapire H 74). Sogar der schuppenförmige Kerbschnitt, der hier zusammen mit der Bemalung zur Gestaltung des Wassers dient, ist ein Element seines zeitgleichen graphischen Mediums. Farbholzschnitt im eigentlichen Sinn, das heißt von Beginn als solcher konzipiert, tritt im Gegensatz zu seinen - Kollegen bei Schmidt-Rottluff erst ab 1925 auf.662 Bei Zwei weibliche Akte dient ihm Farbe dagegen als Mittel der Differenzierung vom Holzstock. Nur durch die farbige Bemalung, die sich im Unterschied zum Druckstock ausschließlich auf den durch einen Rahmen als Bildfeld ausgewiesenen Teil des Reliefs beschränkt, und die dezidierte Bestimmung als Wandbehang weist der Künstler dieses Holzbildwerk als eigenständiges Reliefkunstwerk aus. Um zu verdeutlichen, daß normalerweise „im Schaffensprozeß das dauernde Kunstwerk an die Stelle des dem Schattendasein verfallenen Holzstockes“663 tritt, thematisiert Schmidt-Rottluff auch die beschränkte Tiefenräumlichkeit eines Reliefs, indem er die Akte in extremer Verkürzung darstellt und so die Gratwanderung zwischen Druckstock und skulpturalem Kunstwerk geradezu auf die Spitze treibt. „Das Ursprüngliche aber ist der Holzstock, er trägt die Handschrift des Künstlers, er läßt uns mehr als der Druck an dem schöpferischen Werdegang des Holzschnittes in seinem ureigensten Wortsinn teilnehmen.“664

661 Reidemeister, 1983/84, S. 2. 662 Ebd., S. 3. 663 Ebd., S. 2. 664 Ebd. 179

Um diese Teilnahme am „schöpferischen Werdegang“ und die „Handschrift des Künstlers“ noch deutlicher werden zu lassen, vollzieht Schmidt-Rottluff mit diesem noch in Dangast oder nach der anschließenden Übersiedlung nach Berlin geschaffenen Werk den Schritt vom angewandten zum freien Relief.665 Es ermöglicht ihm, die Verbindung von Form und Fläche, von Abstraktion und Realität zu ergründen und zum eigentlichen Thema dieser Arbeit zu machen.

665 Auch Rosa Schapire muß die Besonderheit bewußt gewesen sein, da das Relief in ihrem von Schmidt-Rottluff ausgestatteten Wohnzimmer in ihrer Hamburger Wohnung Aufhängung fand. Abb. siehe Schmidt-Rottluff, Plastik, S. 398. Auch Kirchner schuf mit Tanz zwischen den Frauen und Alpaufzug zwei seiner bildhauerischen Hauptwerke in Form von Reliefs. Ihre Formensprache mit gratigen Stegen und Einzelformen evoziert dabei durchaus grafische Elemente. Auch im Werk der Künstlerin Martel Schwichtenberg (1896–1945) zeigt sich die Wertschätzung der Gattung des Reliefs. Ähnlich der besprochenen Arbeit Schmidt-Rottluffs, dessen Stil ihre wenigen bildhauerischen Arbeiten deutlich beeinflußte, siedelt auch sie ihre Reliefs auf der Nahtstelle zwischen Druckstock und freiem Relief an. Trotzdem aber „besteht kein Zweifel daran, daß sowohl dieses wie die zwei wahrscheinlich späteren Reliefs um ihrer selbst willen geschaffen wurden und – gleich Gauguin dreißig Jahre früher geschaffenen Arbeiten – als selbständige Bilder gemeint sind, die einen Rahmen rechtfertigen.“ Zit. nach: Wietek IV, 1984, S. 180. Vgl. ebd., Abb. 1, Abb. 2 sowie Kat. Nr. 131. 180

IV. Vom Atelier an den Strand Das Eindringen der autonomen Skulptur in die Malerei, Zeichnung und Druckgraphik

1. Im Atelier

„Durchgeknetet bis zum letzten Strich“666

Kaum öffentlich geworden, tauchen die Skulpturen als Zitate der eigenen Lebenswirklichkeit in den Gemälden auf und fungieren als Chiffren für die exotisch-primitive Aura im Atelier, mit der die Künstler auch ihre gemalten Kunstwerke energetisch aufzuladen versuchen. In dieser Funktion verkörpert die aus dem Plakat für die -Ausstellung in der Galerie Arnold herausgelöste gelbe Inkarnatfarbe die Annäherung an die menschlichen Modelle und den Hinweis auf den Ursprung der Skulpturen im menschlichen Vorbild. In der Folge wird in den bildlichen Darstellungen der Dresdener Ateliers selbstgeschnitztes Mobiliar mit Akten kombiniert und werden Seite an Seite menschliche und hölzerne Akte geschildert. Aus einem Nebeneinander wird in einigen dieser Werke bereits eine formale Annäherung, bei der skulpturale Charakteristika in die Schilderung gezeichneter und gemalter menschlicher Akte einzufließen beginnen. Ihren Höhepunkt hat diese Entwicklung in Nacktes Mädchen hinter Vorhang/Fränzi, wo skulpturale Anregungen nicht nur allgemein in wachsender ‘Hölzernheit’ des dargestellten Modells festzustellen sind, sondern der Gestaltung des menschlichen Aktes eine konkrete Skulptur zugrunde liegt. Für das bildhauerische Œuvre Kirchners und Heckels stellen die Werke der Jahre 1912 und 1913 in mehrerer Hinsicht einen Höhepunkt und gleichzeitig einen Endpunkt dar. In ihnen zeigt sich das Resultat eines Umgangs mit plastischem Formengut, das die Künstler seit dem Plakat der Ausstellung in der Galerie Arnold immer mehr zu ‘menschlichen Skulpturen’ oder ‘skulpturalen Menschen’ verdichten, die nun aus dem Kontext der Ateliers buchstäblich hinaustreten in die Natur.

Im Zentrum des ersten Untersuchungskomplexes wird Kirchners Skulptur Stehendes Mädchen und ihre Darstellung in Heckels Gemälde Stilleben mit Holzfigur, 1910 und in Kirchners Bild Doris und Heckel am Tisch, 1910 stehen. Danach soll Heckels und Kirchners Behandlung skulpturaler Formensprache bei der Darstellung von Akt und Skulptur im Atelierkontext untersucht werden.

666 Tagebucheintrag Kirchners vom 6. März 1923. In: Davoser Tagebuch, 1997, S. 67. 181

Den Abschluß bildet die Analyse des Kirchner-Gemäldes Nacktes Mädchen hinter Vorhang/Fränzi, dem die Skulptur Stehendes Mädchen zugrunde liegt. Das im dritten Abschnitt ausgeführte Motiv des ‘Scheibengesichtes’ zeigt seinen ersten Niederschlag bereits in den Atelierzeichnungen Kirchners und wird als Kern meiner Ausführungen zu den Arbeiten dieser Jahre dienen. Dort wird es als diejenige Chiffre vorgestellt, die am klarsten die künstlerische Nähe und menschliche Harmonie Heckels und Kirchners ui illustrieren in der Lage war. Es verdeutlicht bestmöglich die Verquickung von menschlichem und skulpturalem Akt und unterstreicht auf künstlerischem Gebiet die Homogenität des eigenen Schaffens, in welchem die verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen einander durchdringen. Merkmale der Holzbildwerke werden von Heckel und Kirchner zur Darstellung ihrer menschlichen Modelle und zur Bildwerdung eines harmonischen Miteinanders von Mensch und Natur, von Kunst und Leben eingesetzt.

1.1. Skulptur als malerisches Sujet

Bei der malerischen Wiedergabe ihrer Skulpturen wählen die Künstler keineswegs Braun- oder Beigetöne, um auf die andere Qualität des Materials Holz hinzuweisen. Statt dessen machen sie die künstlerischen Erkenntnisse aus dem Plakat der Arnold-Ausstellung fruchtbar. Dort wird die Hautfarbe des Aktes nicht als Farbholzschnitt gedruckt, sondern Kirchner bildet das Inkarnat der sitzenden Figur mit dem Negativ des ocker-gelben Papiergrundes [Abb. 41]. Dieser Gelbton findet auch in den nachfolgenden Gemälden – Heckels Stilleben mit Holzfigur, 1910 und Kirchners Doris mit Heckel am Tisch, 1910 – Verwendung [Abb. 102, 103], in denen er sowohl die Inkarnatsfarbe der dargestellten Menschen schildert als auch die Holzbildwerke kennzeichnet. Im allgemeinen geht man davon aus, daß dieses Umschwenken in der Farbgebung durch die Erfahrungen mit den Aktdarstellungen an den Moritzburger Teichen ausgelöst wurde.667 Nicht nur aus dem Inkarnat der Moritzburger Badenden heraus und nicht erst 1911 scheint allerdings jener Inkarnatswechsel stattgefunden zu haben, der von da ab für Kirchner und Heckel bestmöglich die Zusammengehörigkeit von Skulptur, menschlichem Modell und dessen Lebensumfeld und damit die Einheit von Kunst und Leben zu vermitteln scheint.

667 Vgl. Henze, 1984, S. 112. Zur Art der vorausgehenden Bemalung vgl. meine Ausführungen in Kapitel II.C.2.2.2. 182

„Attorno al 1910, Kirchner presenta spesso i suoi nudi con un incarnato giallo-ocra, lo stesso che usa per le sue figure plastiche di quel periodo, così che l’osservatore finisce a volte per dubitare se, a essere raffigurata, sia una figura di legno o una modella viva.“668

In Heckels Stilleben mit Holzfigur von 1910 spielt Kirchners Skulptur Stehendes Mädchen aus dem gleichen Jahr eine zentrale Rolle bei der Verdeutlichung von autonom gewordener Skulptur und deren erreichter Bildwürdigkeit. Erst mit der einmal erlangten und publik gemachten Eigenwertigkeit der gefertigten Skulpturen wird der Betrachter in die Lage versetzt, die Skulpturen als Chiffren für die „Atelier-Erlebnisräume“ der Künstler zu erkennen. Dargestellt ist in extremer Nahsicht ein Stilleben auf grünem Untergrund. Es zeigt bildbeherrschend in der Mitte die Figur des Stehenden Mädchens, flankiert von einer roten Schale mit Früchten und einigen kleineren Gegenständen. Heckel bildet ein koloristisches Gegengewicht zum Rot der Schale, indem er auf der linken Seite der Figur einige nicht näher identifizierbare Gegenstände mit roten Farbflecken überzieht. Die Gegenstände plaziert er so auf dem Tisch, daß die schräggestellte rote Schale (und das Messer links) sowie die roten Gegenstände links vorne (und der schwarze Krug links hinten) zwei Diagonalen bilden, in deren Schnittpunkt die gelbe Holzfigur steht. Farblich und kompositorisch macht Heckel so Stehendes Mädchen zum Zentrum des Bildes. Anders als Kirchner wählt Heckel für seine früheren Stilleben selten die klassischen Sujets wie Früchte oder Blumen. Als Ausdruck äußerster Realitätsgebundenheit dienten ihm vielmehr frisch geschlachtete Hühner oder die Reste eines Hering-Essens als Motive.669 In einer der ersten Darstellungen der Skulptur als Motiv der Malerei wird das Bildwerk in Stilleben mit Holzfigur daher nicht als Begleitpersonal zu Obstschalen, Blumen o.ä. inszeniert, sondern zum Hauptgegenstand des Gemäldes. Die Realitätsgebundenheit dieses Stillebens zeigt sich weniger drastisch. Damit, daß Heckel seine Figur vom Bildrand abschneiden und so karyatidenhaft erscheinen läßt, spielt er jedoch auf einen möglichen utilitären Kontext innerhalb des Ateliers an. Der spätere Besitzer der Skulptur Gustav Schiefler übertrug die Funktion, in der er das Stehende Mädchen (oder eine ähnliche Figur, bspw. Heckels Trägerin) möglicherweise im -Atelier gesehen hatte, auf sein eigenes Lebensumfeld, wo sie „als Karyatide ein Brett des Bücherbordes tragend, [das] Zimmer schmückt“670. Auch die Gestaltung des Gemäldehintergrundes weist die Skulptur als Teil der Atelierwelt aus. Heckel läßt die Figur ab der Hüfte die

668 Henze in Kirchner I, 2000, S. 264. 669 Vgl. bspw. Heckel. Tote Hühner, 1908 (Vogt, 1908/20) und Stilleben (Heringe), 1908 (Vogt, 1908/21). 670 Schiefler, Graphiksammlung, S. 58. 183

Fläche des Hintergrundes überdecken und gliedert sie diesem durch dessen Braun- und Gelbtöne auch farblich ein. Skizzenhaft läßt sich in der Hintergrundgestaltung die Angabe eines Weges und eines vom Bildrand abgeschnittenen Baumstammes erkennen. Durch die charakteristische Obstschale mit dem Griff an nur einer Seite und dieselbe Wandgestaltung des Hintergrundes läßt sich auch Kirchners Gemälde Doris und Heckel am Tisch in den gleichen Räumlichkeiten ansiedeln.671 Kirchner erweitert die Einbindung des Stehenden Mädchens, stellvertretend für den Umgang mit dem eigenen plastischen Werk überhaupt, in die Lebenswirklichkeit der Künstler noch um eine detailliertere Schilderung des Interieurs und vor allem um menschliches Bildpersonal. Doris und Heckel am Tisch von 1910 schildert aus erhöhtem Blickwinkel eine Szene, in der Kirchners damalige Lebensgefährtin Doris Große und sein Künstlerfreund Heckel gemeinsam beim Kaffee sitzen [Abb. 103]. Die Szenerie könnte durch die Attribute der Tassen, der Kaffeekanne und der Obstschale einen häuslichen Charakter haben, würde sie nicht durch ein ‘unpassendes’ Holzbildwerk irritiert. Es handelt sich dabei um die Statuette des Stehenden Mädchens, die in der Mitte des Tisches plaziert ist und in ihrer Nacktheit und zusammen mit der starken Kleinteiligkeit und Buntfarbigkeit des Gemäldes für eine exotisch-vitale Grundstimmung sorgt. Die Nacktheit des Aktes wird, in Kontrastierung mit der hochgeschlossenen Bekleidung der Menschen, noch verstärkt durch das unmittelbar über der Figur befindliche Gemälde. Dessen Rahmen liegt in der gleichen Vertikalachse wie die Holzfigur und umschließt ein Gemälde mit der abstrahierten Darstellung zweier gelber Akte auf grünem Grund. Heckel und Doris sind der sie umgebenden Szenerie kompositorisch und koloristisch ganz eingegliedert. Heckel fügt sich durch die flächige Schilderung seines Anzugs und seines Gesichts besonders gut in den Hintergrund der Wandbemalung ein, während Dodo farblich an das Muster des Tisches angeschlossen wird. Auch schildert Kirchner durch die Wahl des erhöhten Betrachterstandpunktes ihre Sitzposition so niedrig, daß beide Dargestellten die Rahmung durch die Wandmalerei an keinem Punkt überschreiten. Dem Gesamtkunstwerk einer „kurios exotischen Behausung“672 wurden die menschlichen Bewohner harmonisch eingegliedert. Genauso passend ist die

671 Heckels Gemälde Nelly (Vogt 1910/9) schildert die gleiche Obstschale. Für dieses Gemälde vermutet Gabler als Ort das Atelier Heckels in Falkenbrücke 2a (vgl. Gabler in: Heckel, 1983/84, Bd. 2, S. 78f.). In Doris und Heckel am Tisch verweist das in der rechten Bildecke erkennbare Gemälde jedoch eher auf Kirchners Atelier. Beim Bild im Bild handelt es sich um Heckels Römische Modelle (Vogt, 1909/12), welches er Kirchner geschenkt hatte. Es findet Darstellung auch in der Zeichnung Heckel in Kirchners Atelier, wo deshalb wahrscheinlich die gleiche Raumecke wie in Doris mit Heckel am Tisch zu erkennen ist (Abb. in: Kirchner, 1979/80, Kat. 103, S. 149). 672 Buchheim, 1956, S. 38. 184

Allianz des Stehenden Mädchens mit der Musterung des Tischüberwurfes. Auf hellem Grund zeigt dieser zwei blau umrandete Rauten, die in der Mitte mit ihren Spitzen beinahe zusammenstoßen. Fast auf dem Schnittpunkt der vier Dreiecke plaziert Kirchner seine Figur auf dem Tisch und hebt sie dadurch deutlich hervor. Durch die zentrale Positionierung, ihre Vertikalität, die sie deutlich von den übrigen Gegenständen auf dem Tisch abhebt, und ihre Nacktheit, die ein starkes Pendant zur bürgerlichen ‘Körperverhüllung’ bildet, wird die Skulptur den menschlichen Gestalten in der linken Bildhälfte kompositorisch ebenbürtig. Doris hat den Kopf leicht geneigt, als schaue sie das ihr zugewandte hölzerne Pendant an. Auch koloristisch läßt sich diese Beziehung zwischen Modell und künstlerischem Resultat im Gemälde ablesen, denn das Stehende Mädchen hat sein menschliches Vorbild in den langen Haaren und den runden Körperformen Dodos.673 Die Rauten des Tischtuchs haben die gleiche Farbe wie ihr Kleid, so daß sich eine Verbindung von der Figur über die Musterung bis zum Kleid herstellen läßt. Der Farbe der Skulptur antwortet dann das Inkarnat der Hände und des Gesichtes der Frau. Eine vergleichbare Verbindung besteht auch zwischen Heckel und dem Holzbildwerk, von dem, farblich angenähert, der Weg des gemalten Hintergrundes zum Kopf des Mannes führt. Die koloristische Hervorhebung Doris’ und Heckels im kleinteiligen und buntfarbigen Bildgefüge durch die großen zusammenhängenden Farbflächen des schwarzen Anzugs und des blauen Kleides macht die farbliche Zusammengehörigkeit der Inkarnats- farben der Menschen und des Holztones der Figur noch augenfälliger. Ein Vergleich beider Gemälde offenbart, wie frei das Motiv bei aller Gebundenheit an das konkrete Vorbild des eigenen Ateliers wiedergegeben wird. Heckels Darstellung schildert eine farblich völlig veränderte Situation, in der er die Palette abkühlt und aus dem bunt gemusterten Tischtuch eine grüne Fläche macht, die auch die Leuchtkraft des Gelbs der Holzfigur und des Rots der Obstschale zu beeinträchtigen scheint und farblich vereinheitlicht. Daß es sich nachweislich um den gleichen Bildvorwurf handelt, zeigt der Hintergrund,

673 Ein weiterer Nachweis der konkreten Vorbildhaftigkeit des menschlichen Aktmodells findet sich in den gezeichneten Postkarten Kirchners, wie sie im vorangegangenen Kapitel vorgestellt wurden. In Doris und Heckel am Tisch schildert Kirchner Heckel nicht einfach als „Mann“ und seine Lebensgefährtin Doris Große nicht wie so oft lediglich als „Mädchen“ oder „Frau“, sondern erfaßt sie in der ihr eigenen Physiognomie, wie ein Vergleich mit einer Photographie Kirchners illustriert (vgl. eine Photographie Kirchners: Doris Grosse (Dodo) und Kirchner, um 1910, Kirchner Museum Davos. Abb. in: Kirchner Museum Davos, 1994, Kat. 1, S. 33). Das mit einem Band zusammengehaltene voluminöse Haar ist auch in der Schilderung Dodos als Liegendes Nacktes Mädchen beim Kaffee im Atelier auf einer Postkarte vom 19. Juni 1911 ihr unverwechselbares Kennzeichen [Abb. 90]. Die darauffolgenden Karten vom 24. Juni 1911 schildern die aus der Studie des konkreten menschlichen Vorbildes entstandene Holzskulptur – „anbei meine neuste Plastik“ – eines Liegenden Nackten Mädchens (verschollen) [Abb. 91]. Die gleiche Haarkalotte weist auf der Postkarte vom 19. Juni 1911 Dodo auch als das Modell für die Skulptur der Tanzenden Frau aus [Abb. 88]. 185 in dem die Wandgestaltung mit Baum und Weg sichtbar wird, wie sie auch Kirchners Gemälde schildert. Heckel spitzt die Bildaussage bezüglich der Skulptur jedoch zu. In Verbindung mit der Abbreviatur des Hintergrundes hat sie für ihn ausreichend Ausdruckskraft, den Atelierkontext auch ohne weitere Angabe von Interieur und menschliches Bildpersonal zu verdeutlichen und das Stilleben als Ausschnitt des eigenen Lebensumfeldes verortbar werden zu lassen. Die Abbreviatur von Atelierwelt und die Holzfiguren als dieser zugehörig erfahren ihre komprimierteste Zusammenführung im Gemälde Vier Holzplastiken, 1912 [Abb. 104], von Kirchner. Es unterstreicht, daß der Einsatz autonom gewordener Skulpturen als Chiffren für die „Atelier-Erlebnisräume“ der Künstler nicht nur auf Dresden beschränkt bleibt, sondern seine Fortsetzung auch nach der Übersiedlung nach Berlin im Oktober 1911 findet. Wie auf den Stufen einer Freitreppe lagern in diesem eigentümlichen Bildausschnitt vier Skulpturen Kirchners. Der große Spiegel mit seinem ausladenden getreppten Fuß, auf dem die Figuren hier dargestellt sind, war prominentes Möbel im MUIM-Institut, der Kunstschule für „Modernen Unterricht In Malerei“, das Pechstein und Kirchner nach dessen Umzug in Berlin eröffnet hatten.674 Er ist Bestandteil auch weiterer Gemälde Kirchners aus der Zeit unmittelbar nach der Umsiedlung. Rückenakt mit Spiegel und Mann [Abb. 105] zeigt ebenfalls den monumentalen freistehenden Spiegel mit seiner ausladenden hölzernen Kurvatur und der Rahmung durch korinthische Säulen. In diesem Gemälde wird der Spiegel inhaltlich und kompositorisch zentraler Bildgegenstand. Er nimmt das linke Bilddrittel ein und vergrößert den Raum in den Rücken des Betrachters hinein. Über einer auf den Sockelstufen postierten Skulptur eines Kopfes (ein Werk Pechsteins?675) erkennt man das Spiegelbild einer Frau. Erna Schilling, Kirchners Lebensgefährtin ab der Berliner Zeit, steht neben ihrem eigenen Spiegelbild mit dem Rücken zum Betrachter. Der Spiegel wird in seinem kompletten Aufbau und mit dem gesamten Spiegelbild zentrales Element der Bildkonzeption zum Thema Mann und Frau, einem der Hauptthemen in Kirchners Werk. In Vier Holzplastiken wird der reich gestaltete Spiegelfuß schließlich selbst die ‘Bühne’, auf der die Skulpturen inszeniert werden und die Kirchner zur Hervorhebung des Ausschnitthaften sogar vom Bildrand abschneiden läßt.Beim Vergleich beider Gemälde zeichnet sich das in Berlin sich verändernde Verhältnis zur Frau ab. Den Aspekt der Prostitution deutet Kirchner in Rückenakt mit Spiegel und Mann mit der Figur der beobachtenden Männergestalt in Hut und Mantel am rechten Bildrand an. Die nackte Frau, bislang in ungezwungener Pose und unbefangener Bewegung künstlerisch festgehalten, tritt uns in diesem Innenraum als Inszenierung

674 Henze, 2000, S. 268. 675 Ebd. 186 käuflicher Weiblichkeit – begehrbar und besitzbar – entgegen.676 Die in Vier Holzplastiken dargestellten Figuren entspringen noch dem vorangehenden Verständnis, welches durch den harmonischen Einklang der Geschlechter und von Mensch und Natur geprägt war und das der Künstler mit einer Ateliereinrichtung kontrastiert, die in diesem Gemälde so gar keinen Eindruck von Dresdener Exotik vermittelt. Nach rechts durch den seitlichen Säulenfuß abgeschlossen, drängen sich drei stehende und eine liegende Figur auf der obersten Stufe des Spiegelsockels: eine männliche und zwei weibliche Skulpturen in rosa-gelber Farbgebung und eine weibliche liegende Skulptur in hellblauem Inkarnat. Die links stehenden Kleiner Adam und Kleine Eva sowie Stehendes Mädchen stammen aus der Zeit um 1910, da sie auf einem Atelierphoto und auf Gemälden dieser Zeit abgebildet sind [Abb. 8]. Mit Liegendes nacktes Mädchen schildert Kirchner die in dieser Arbeit bereits an anderer Stelle in einer Postkartenzeichnung vorgestellte Figur im Medium der Malerei677. Vergleicht man die beiden Gemälde hinsichtlich ihrer Farbgebung, fallen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich ins Auge. Beiden Gemälden liegt ein Farbklang aus Braun und Blau zugrunde. In Vier Holzplastiken unterscheiden sich die starkfarbige Darstellung des braunen Möbels mit roten und grünen Farbfeldern und seinen farbig geschilderten Stufen und der grüne rechte Bildrand allerdings deutlich von den gedämpften Ocker-, Braun- und dunklen Blautönen des Rückenaktes mit Spiegel und Mann. Neben dem Motivischen des Spiegels verbinden auch die künstlerischen Mittel seiner Darstellung beide Gemälde. Mit der unruhigen Pinselführung des strichartig parallel nebeneinander plazierten Farbauftrages schildert Kirchner den hölzernen Spiegelrahmen in beiden Fällen. Während in Rückenakt mit Spiegel und Mann durch die schraffurartigen Pinselstriche auch die menschliche Figur plastischer erscheint, verwendet Kirchner sie in Vier Holzplastiken nicht und verzichtet so darauf, den dreidimensionalen Skulpturen Plastizität zu verleihen. Die Figuren umrahmt nicht ein durch Schraffur abgemilderter Kontur, sondern sie sind von dem festen schwarzen Strich umgeben, der bereits zuvor die Skulpturdarstellungen in Gemälden und im zeichnerischen Medium prägte. Auch die Binnenkonturierung, die Kirchner bei den Skulpturen der Dresdener Zeit verwandte, kennzeichnet die Figuren hier. In Rückenakt mit Spiegel und Mann stellt Kirchner zwischen Skulptur, Teppich, Spiegel, Spiegelbild und Akt eine farbliche Verbindung her; der ocker-blaue Farbklang überzieht so das gesamte Bild. Analog dem Kontur, der die Figuren im Bildgefüge voneinander

676 Ausführlich dazu: Lloyd, Jill. Ernst Ludwig Kirchner: Spiegel und Spiegelbilder sowie Gabelmann, Andreas. Rückenakt mit Spiegel und Mann. Beide in: Kirchner, 2001. 677 Vgl. Kapitel III.1.2.1. 187 trennt, differenziert Kirchner bei Vier Holzplastiken die Bildelemente farblich. Vor dem Braun, Schwarz und Grün des Spiegelrahmens heben sich das helle Rosa, Gelb und Hellblau deutlich ab. Das industriell dunkelgebeizte Möbel wird mit dem naturbelassenen hellen Holz der Skulpturen kontrastiert. Im anderen Gemälde liegen die Angaben der Holztöne des Bildwerks und des Spiegelrahmens deutlich enger beieinander. Die beiden Gemälde unterscheiden sich jedoch nicht nur koloristisch, sondern auch in der Qualität des Farbauftrags. Der Spiegelrahmen zeigt die charakteristischen Merkmale des oben beschriebenen Farbauftrags, bei dem Kirchner die verdünnten Farben lasierend aufträgt. Dem Möbelstück werden die skulpturalen Akte in der für die Dresdener Zeit so charakteristischen deckend- pastosen Malweise auch stofflich gegenübergestellt. Die Farbe wird dabei nicht kleinteilig-nervös, sondern relativ großflächig mit breiten Pinselstrichen aufgetragen In der groben Strichstruktur wird dabei die rauhe naturbelassene Holzoberfläche der Skulpturen erahnbar. Diese wird mit der maschinell gefertigten glatten Oberfläche des Rahmens, die durch einen lasierenden Farbauftrag ohne ausgeprägte Pinselspuren verdeutlicht wird, kontrastiert. Die Konfrontation der künstlerischen Holzbildwerke und des industriellen Holzproduktes verschärft Kirchner noch, indem er die Figuren von drei Seiten mit Spiegelteilen umrahmt. Den rechten Bildrand läßt er von Sockel und Basis der Säule abschließen, den unteren Bildteil nimmt der getreppte Fuß ein, und hinterfangen werden die Skulpturen von einer waagrechten Rahmenleiste und dem Spiegelglas. Vorder- und Hintergrund werden dabei zu einer zusätzlichen formalen und inhaltlichen Klammer, indem sich das industrielle Spiegelglas in der industriell polierten Oberfläche der Stufen spiegelt. In Rückenakt mit Spiegel und Mann kommt dem Hin- und Herschalten zwischen Auf- und Ansicht und der die Realitätsebene verschiebenden und verdoppelnden Wiedergabe des Spiegelbildes eine unverzichtbare Rolle bei der Kreation expressionistisch beunruhigter Bildwirkung zu. Bei Vier Holzplastiken verzichtet Kirchner auf eine solche dynamisierte Steigerung des Bildgefüges und unterstützt den ruhig-dokumentarischen Charakter durch die extrem nahsichtige Ausschnitthaftigkeit. Der kunstvoll gearbeiteten Struktur des Spiegels stellt Kirchner seine groben Figuren ein; der neuen unruhigen Malweise stellt er in buchstäblich engstem Rahmen die pastosen Farben Dresdens an die Seite. Die Verbindung aus Atelier und Skulptur wird noch einmal aufs stärkste komprimiert und in einem Bild zusammengefaßt, das bereits die neuen Stilmittel und ikonographischen Veränderungen erahnen läßt. Das neue Möbel als Abbreviatur des Ateliers im urbanan Berlin wird zur Bühne für ein Menschenbild, das in den Atelier- Erlebnisräumen Dresdens sowie den Badeaufenthalten an den Moritzburger Teichen und auf Fehmarn seinen Ursprung hat. Daß auch Kirchner dieses Bild 188 möglicherweise als einen Abschluß und Neuanfang, als das Dokument einer menschlich wie künstlerisch entscheidenden Phase angesehen hat, spiegelt der Umstand, daß er es bis 1929/30 bei sich behielt und dann keineswegs übermalte, sondern sich dafür entschied, es als Rückseite für Schlittschuhläufer, eines seiner zentralen Werken der Davoser Zeit, zu verwenden.

1.1.1. Das Motiv in den Zeichnungen Heckels

Darstellungen von Skulpturen im Atelier, entweder im Nebeneinander von Holzbildwerken und menschlichen Modellen (v.a. Kirchner) oder voneinander getrennt (v.a. Heckel), finden sich in den folgenden Jahren mehrfach im zeichnerischen, graphischen und malerischen Werk der Künstler. Dabei scheint unter dem Gesichtspunkt der zuvor geschilderten Chiffrenfunktion seiner Skulpturen eine direkte Verbindungslinie von Heckels Stilleben mit Holzfigur zum zwei Jahre später gemalten Innenraum [Abb. 106] zu führen. Heckels Bild zeigt den Blick auf den Ausgang seines von Otto Müller übernommenen Ateliers Mommsenstraße 66 in Berlin-Steglitz. „Die originelle Dekoration bestand vorwiegend aus kalten Farben wie Zitronengelb, Chromoxyd und kühlem Blau. Am linken Rand ist in rötlichem Ocker ein Streifen des Wandbehangs aus geklopfter Baumrinde sichtbar.“678 Im Zentrum steht auf einem hohen Sockel eine Skulptur Heckels. Sie ist verschollen und nur durch eine Photographie überliefert [Abb. 10]. Durch die auf dem Photo ebenfalls dargestellte Hockende können wir sie ungefähr in das Jahr 1912 datieren. Die dritte Figur von links schildert einen stehenden weiblichen Halbakt, der beide Hände an den nach links gewendeten Kopf gelegt hat. Der Kopf weist ein stark bemaltes Gesicht und einen flachen Haarabschluß auf. Das Aquarell verortet den Halbakt als der „originellen Dekoration“ im Atelier vollkommen zugehörig, was sich besonders in der gleichen Formensprache äußert. Mit den analogen kräftigen schwarzen Strichen ist die Architektur, die Innendekoration des Vorhangs und des Wandbehangs sowie die Skulptur bezeichnet. Der Vorhang, der nach dem Vorbild des -Vorhangs mit exotischen Motiven bemalt war, ist hier nach rechts zur Seite gebunden, so daß seine Bemalung verdeckt wird. An ihre Stelle tritt die Holzfigur, um neben der dynamisch zergliedernden Bildsprache als gegenständliche Bildchiffre die vital- exotische Atelierwelt zu verkörpern. In den Werken der Jahre 1911 und 1912 stellt Heckel wiederholt menschliche Modelle mit afrikanischem oder selbstgefertigtem Mobiliar dar.679 Am

678 Gabler in: Heckel, 1983/84, Kat. 48, S. 118f. 679 Die Darstellungen von Skulpturen in der Malerei Heckels haben ihren Höhepunkt sicherlich in dem Gemälde Genesende (Triptychon), von 1912/13. 189 eindrücklichsten ist diese Gestaltung sicherlich in Akt im Atelier, 1911 [Abb. 107], wo die materielle Qualität des hölzernen Hockers den Akt geprägt zu haben scheint. Die Zeichnung schildert Heckels Lebensgefährtin und spätere Frau Sidi Riha als Aktfigur in einem Innenraum. Die Bildmitte nimmt der mit gespreizten Beinen sitzende Akt ein, der das linke Bein auf die Sitzbank gestellt hat und mit seiner rechten Schulter an einem Ofen lehnt. Das rechte Bilddrittel füllen der Durchblick in den angrenzenden Ruheraum und der zur Seite gebundene Vorhang aus. Dazwischen ist die Frauenfigur geradezu eingespannt. Die Figur ist einer Raute einbeschrieben, deren seitliche Eckpunkte der Ellenbogen rechts und die Armbeuge links bilden. Obwohl Heckel durch Sidis Anwinkeln des Beines Bewegungspotenz andeutet, minimiert er diese sogleich wieder durch das Aufstützen des linken Armes. Die Vertikalen des Ofens und des Vorhangs bilden die seitlichen Begrenzungen, die auch im Bildgefüge eine weitere Ausdehnung der dynamisierenden Diagonalen verhindern und die Figur in statuarischer Immobilität fixieren. Statt dessen vermittelt das Dicht an Dicht der Bildgegenstände, die das Blatt bedecken, der gesamten Darstellung eine rhythmisch-bewegte Grundstimmung. Zu dieser trägt sicherlich auch der zu Füßen Sidis stehende Hocker bei, der zwischen Stand- und Sitzfläche die Silhouette einer mit weit gespreizten Beinen sitzenden Gestalt schildert. Dem Sitzmotiv der hölzernen Figur antwortet die Haltung des menschlichen Aktes, was der Szene eine sexuell-primitivistische Gestimmtheit verleiht. Auch zeichnerisch lassen sich Verbindungen zwischen Akt und Hocker herstellen. Den mit kräftigen Bleistiftstrichen hervorgehobenen Haaren, Brüsten und Scham antworten dunkle Linienschraffuren, die die Trägerfigur des Hockers bezeichnen. Aufgrund der beschränkten Größe des Hockers steht dem Künstler nicht viel Raum zur Verfügung, dessen skulptural-hölzerne Qualitäten ausführlich vorzustellen. Statt dessen erhält der weibliche Akt diese Funktion und übermittelt aufgrund seiner Größe deutlich skulpturalere Züge als der geschnitzte Hocker. Eine spitzwinklige Linienführung markiert durch eckige Richtungswechsel die organischen Rundungen der Knie, der Ellenbogen und der Schultern. Das Vorbild der Pose scheint also auch seine materiellen Qualitäten dem menschlichen Akt vermittelt zu haben. Besonders gelungen ist dies in der Gesichtsgestaltung Sidis. Dabei scheint „der Zimmermannsbleistift in den Formenkanon des Flachmeißels eingesprungen zu sein“680 und eine Physiognomie vorgebildet zu haben, wie sie nachfolgend erst Heckels Skulpturen der Badenden mit Tuch und Frau mit Tuch aufweisen sollten [Abb.133, 22].

680 Karlheinz Gabler, zit. nach: Heckel, 1983/84, S. 110. 190

Im Vergleich zu Kirchners Modellen im Atelierkontext weisen diejenigen Heckels zumeist die deutlichere ‘Hölzernheit’ auf. In Akt im Raum, 1912 und Sich Waschende, 1912 [Abb. 108, 109] gelingt es ihm, dieses Skulptur-Merkmal – sogar ohne ein Holzbildwerk eigens abzubilden – aus dem skulpturalen Anreger in die Gestaltung des menschlichen Modells zu vermitteln. Meist ist bei Heckels malerischen oder graphischen Menschendarstellungen das Gesicht Träger skulpturaler Elemente. Neben dem zuvor geschilderten Akt im Atelier wird dies für die Zeichnung beispielhaft in Junge Frau, 1912, in der Malerei in Mädchen mit Musikinstrument, 1912 und in der Druckgraphik in Hockende, 1913 verkörpert [Abb. 110, 111, 112]. Akt im Raum und Sich Waschende sind deshalb besonders sprechende Exempel für die stilistische Durchdringung von zweidimensionaler und dreidimensionaler Formensprache, da in diesen Beispielen sich gerade im Körper des weiblichen Aktes Heckels Übertragung bildhauerischer Prinzipen auf die malerische Darstellung des Menschen manifestiert. Das Aquarell der Akt im Raum schildert vermutlich, in einer gegenüber Akt im Atelier leicht nach rechts verschobenen Perspektive, das schon bekannte Atelier-Environment Heckels in Berlin. Der angeschnittene Hocker links ist wahrscheinlich derselbe wie in der Zeichnung. Die gesamte Bildhöhe einnehmend, unterteilt ein Vorhang die Darstellung in drei Bilddrittel. In dynamischer Pinselführung skizziert Heckel dessen Gestaltung mit Medaillons stehender nackter Menschen in Anlehnung an die Einrichtung des -Ateliers in Dresden. Die zur Seite gezogenen Stoffbahnen eröffnen im Dreieck des mittleren Drittels den Einblick in das Atelierzelt Heckels. Es bestand aus bemalten Stoffbahnen und diente als Ruheecke, zum Umziehen der Modelle und zum Übernachten für gelegentliche Gäste.681 Ein Vergleich mit Sich Waschende [Abb. 109] offenbart, daß beide Arbeiten das gleiche Zelt zeigen, und unterstreicht, wie schon beim Stilleben mit Holzfigur erkennbar, wie frei Heckel mit dem realen Vorbild umgeht. Gleiches läßt sich auch bei Kirchners Vorhang im -Atelier diagnostizieren, dessen verschiedenfarbige Wiedergaben eine farbliche Rekonstruktion nicht mehr eindeutig ermöglichen. Das gesamte Bild ist von der hellen Grün-Blau-Ocker-Tonalität der dünn aufgetragenen Aquarellfarben geprägt. Das mittlere Dreieck zeigt verhältnismäßig farbintensiv das Innere des Zeltes. Man erkennt die Wandbemalung einer Landschaft sowie einen flachen Tisch. Daneben steht in Schrittstellung ein weiblicher Akt im Profil. Die Figur hebt sich in ihrer Vertikalität, durch die rahmenden Vorhänge noch unterstützt, deutlich von ihrer Umgebung ab. Mit kräftigen Bleistiftstrichen separiert Heckel den Akt von seiner Umgebung und füllt die Binnenflächen, im Unterschied zum

681 Vgl. Heckel, 1983/84, S. 86 191 umgebenden Mobiliar oder der Wandmalerei, bis zum Kontur ganz aus. Die Inkarnatsangabe ist derjenigen der Skulptur aus Innenraum [Abb. 106] verwandt und vermittelt anstatt epidermaler den Eindruck hölzerner Materialität. Der Verzicht auf die Angabe von Binnenzeichnung oder Gesichtsphysiognomie ‘entmenschlicht’ die Figur zusätzlich. Die Formensprache ist extrem vereinfacht, und runde und gerade Formen sind mit ruhiger Linienführung aneinandergefügt. Die Schilderung der Aktfigur unterscheidet sich damit geradezu demonstrativ von der unruhigen und stakkatoartigen Skizzierung der Menschen auf den Vorhängen. Heckels Interesse für hölzerne Gliederpuppen, die ihn anläßlich eines Atelierbesuches bei seinem ehemaligen -Kollegen Otto Müller begeistern, scheint hier antizipierend Form gefunden zu haben. „Dies sind wundervolle Puppen von Otto M. Holzgeschnitzt“682, schreibt Heckel am 24. Februar 1921 aus Breslau an seine Frau und zeichnet auf das Bildfeld der Postkarte zwei der angesprochenen Gliederpuppen, die dem Akt im Raum brüderlich verwandt sind. Die Sich Waschende zeigt die gleiche statuarische Unbewegtheit. Der gleiche starke Kontur umfaßt die Figur, und die geraden Linien hinterlassen den Eindruck von addierten geometrischen Grundformen, die an Armen und Haupt keinerlei organische Qualitäten vermitteln. Obwohl sie ihr linkes Bein erhoben hat und mit der Rechten ihren Fuß zu reinigen scheint, friert die eckige Formensprache der Gelenke, der Zehen und der Schultern die Bewegung der Frau geradezu ein. Ein auf die Ecke gestelltes Quadrat bezeichnet das Gesicht, dessen Physiognomie-Kürzel an Gesichtsabbreviaturen primitiver Kunst erinnert. Diese Assoziation wird verstärkt durch das exotische Zelt, dessen Primitivismus sich auf die Formensprache der Figur übertragen zu haben scheint. Ihre skulpturale Auffassung wird wie im Akt im Raum durch das Miteinander von Menschlichem und Hölzernem im Kontext des Ateliers ausgelöst. Aus den vorgestellten Beispielen des Innenraums und des Stilleben mit Holzfigur sowie aus Photographien und den Erinnerungen zeitgenössischer Atelierbesucher – „Was meiner Freundin in der Wohnung am meisten auffiel, waren die überlebensgroßen Holzskulpturen, die Heckel geschaffen hatte“683 – wissen wir von diesem Zusammenleben. So kommt es, daß das gelebte Umfeld in die Gestaltung des konkreten Bildvorwurfs einfließt, ohne daß ein Holzbildwerk dargestellt wäre bzw. dargestellt werden müßte. So erscheinen die menschlichen Figuren gleichsam als Erinnerungsabdrücke plastischer Schöpfungen, wie ein Nachklang ihres Entstehungsprozesses, der hier noch

682 Zit. nach: Heckel, 1973, Kat. Nr. 87. Vgl. ebd., Kat. Nr. 88 für jene Postkartenzeichnung zweier Gliederpuppen. 683 Kaesbach, Interview, S. 19. 192 einmal Eingang findet. Durch die Eingliederung skulpturaler Formensprache in die Aktdarstellung können die vorgestellten Werke „exemplarisch für den neuen Typ der Atelierszene […] bei Heckel gelten. Ab 1911/12 entstehen eine Fülle von Blättern, die Sidi in verschiedenen häuslichen Situationen erfassen. Wobei sich Heckel weniger für das Transitorische oder Momentane solcher Augenblicke zu interessieren scheint, als das bildhafte Zur-Ruhe-Bringen der Figur, auch da, wo vordergründig Bewegung dargestellt ist.“684

1.1.2. Das Motiv in den Zeichnungen Kirchners

Kirchners Umgang mit den eigenen plastischen Erzeugnissen soll anhand zweier Gruppen von Zeichnungen vorgestellt werden. Die erste Folge schildert das Nebeneinander von skulpturalen und menschlichen Akten in wiedererkennbaren Ateliersituationen. Die zweite Folge fügt Menschen und Skulpturen in zunehmend abstrahierter Umgebung zusammen und schildert den Beginn der Übernahme plastischer Formensprache in die Darstellung menschlicher Akte. Es handelt sich bei den zwei Gruppen von Zeichnungen nicht um eine lineare Reihung, sondern um eine inhaltliche Gruppierung, die erkennen läßt, daß Kirchner an dem Verhältnis zwischen autonomer Skulptur und menschlichem Modell gleichzeitig mit verschiedenen Herangehensweisen arbeitet. Kirchners Tuschezeichnung Interieur mit Akten, 1910/11 [Abb. 113] und die zugehörige Bleistift-Vorzeichnung Kirchners Atelier mit drei Modellen, 1910/11 [Abb. 114] bilden den Auftakt einer umfangreichen Gruppe von Darstellungen seiner Skulpturen in seinen als -Atelier bekanntgewordenen Räumlichkeiten um 1910. Kirchners Atelier mit drei Modellen schildert den von drei weiblichen Akten bevölkerten bekanntesten Ausschnitt seines Ateliers. Vor einem Spiegel frisiert sich ein hockender Akt. Darüber befindet sich im oberen Bilddrittel der nach oben geraffte Vorhang, dessen linker Teil nach unten fällt. Der sichtbar werdende Teil des anschließenden Raumes zeigt einen sitzende Frauenfigur dem Betrachter zugewandt und einen stehenden Rückenakt in langen Strümpfen. Personen und Gegenstände sind in Bleistiftzeichnung in größtmöglicher Verknappung wiedergegeben. Nur mit allernötigstem raschen Liniengerüst sind die Raumsituation und deren charakteristische Merkmale des Vorhangs und seiner Bemalung mit erotischen Szenen in Medaillons sowie die Andeutung des Paravents links angedeutet. In dieser Form schildert die Zeichnung nicht mehr als das Leben im Atelier, in dem Modelle in

684 Geissler, 2000, S. 46. 193 verschiedenen Bewegungsabläufen des Hockens, Stehens und Sitzens festgehalten werden. Die ausgearbeitete Tusche-Variante des Interieur mit Akten spitzt die Szenerie allerdings deutlich zu. Das Bildformat ist leicht erweitert, so daß jetzt an der rechten Wand, neben der Tür zu einem anderen Zimmer, zwei hohe glatte Holzstämme sichtbar werden, die den Spiegel rahmen. Den vorderen hebt Kirchner durch eine Schraffur deutlich hervor. Dadurch bildet er mit den einzigen zwei anderen Schraffuren im Bild, die auch die selbstgefertigte Ateliereinrichtung bezeichnen – die Holzschale links und den Vorhangzwickel – , ein Dreieck, dem die gesamte Darstellung eingegliedert ist. Wie der Vergleich mit Interieur II und einer Atelierphotographie zeigt, stehen in anderen Darstellung auf diesen hohen Sockeln Kirchners Skulpturen der Hockenden und der Tänzerin mit Halskette [Abb. 5, 6, 7]. Interieur II von 1911 zeigt eine vergleichbarer Szenerie, in der eine bekleidete Frau vor dem Spiegel und ein Akt im Liegestuhl rechts daneben plaziert sind [Abb. 115]. Ein unruhig gemusterter Teppich und das Gemälde eines weiblichen Aktes an der Wand vervollständigen das Bild. Direkt neben dem Spiegel aber rahmen die Skulpturen der Tänzerin mit Halskette links und die Hockende rechts das Spiegelbild der auf dem Leopardenhocker aus Kamerun sitzenden Frau.685 Die große ungegliederte Fläche der bekleideten Frau erscheint geradezu als Fremdkörper inmitten der kleinteiligen Schilderung der sie umgebenden Atelierwelt. Die im Liegestuhl lehnende Frau dagegen hat den Arm auf den Kopf gelegt und signalisiert so entspanntes Wohlbefinden und durch die Wiederholung der Geste der Hockenden ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft der anderen, der hölzernen Akte. Diese gestische Verbindung deutet Kirchner auch in Interieur mit Akten an, wo die Figur beim Frisieren nicht bequem vor dem Spiegel sitzt oder kniet, sondern in ihrer hockenden Haltung die Skulptur Hockende paraphrasiert. Diese ist in der Zeichnung selbst allerdings gar nicht dargestellt, so daß sich ihr Vorbild, analog zum Beispiel der Heckelschen Formensprache, als ‘Erinnerungsabbild’ in die Zeichnung vermittelt. Die Atelierwelt findet gegenüber ihrer Vorzeichnung in Interieur mit Akten ausgedehntere Darstellung. Kirchner verlängert die Bildhöhe und konkretisiert damit die exotisch-primitivistische Ausstattung des Ateliers. Er erweitert die Darstellung noch um weitere Vorhangdetails, die Wandgestaltung des hinteren Raumteiles und, exakt in der Bildmitte, die Darstellung seiner Skulptur der Tänzerin mit Halskette. Sie ist am dunkel hervorgehobenen Sockel und der

685 Diesen holzgeschnitzten und bemalten Hocker brachte der Bruder Heckels, Manfred, zusammen mit einer Maske aus Tansania und Textilien 1910 als Geschenk aus Deutsch- Ostafrika mit, wo er als Ingenieur arbeitete. Vgl. Hoffmann, 1998, S. 22. Das Möbel gehörte also eigentlich Heckel, der es aber wohl wie die rote Obstschale in Doris und Heckel am Tisch in Kirchners Atelier überführt hatte. 194 prägnanten Armhaltung mit der erhobenen rechten Hand erkennbar. In Interieur mit Akten und Interieur II werden die Skulpturen als zentraler Bestandteil der Atelierlebenswelt präsentiert. In Interieur II treibt Kirchner diese Aussage auf die Spitze. Nicht nur wird das Spiegelbild der Sitzenden von zwei Skulpturen gerahmt, Kirchner unterstützt deren Wirkung noch, indem er sogar die Abbreviatur eines Gemäldes (oder des Paravents?), das sich im Rücken der Sitzenden befindet, als Reflexion neben ihrem Kopf im Spiegel darstellt. Vergleichbares vermittelt Kirchner auch in Interieur mit Akten. Um die Konsequenz der künstlerisch-exotischen Ateliergestaltung zu unterstreichen, in der nicht nur isolierte Kunstwerke aufgestellt wurden, sondern die gesamte Umgebung durchgestaltet wurde, plaziert Kirchner sein hölzernes Bildwerk im hinteren Raumteil. Es gliedert sich harmonisch in die Bemalung des textilen Wandbehanges ein, der in vergleichbarer Abbreviatur die Silhouetten hockender und tanzender Figuren schildert.686 Trotzdem bleibt durch den flachen Sockel die Kennzeichnung als autonome Skulptur erhalten. Einerseits weist der Künstler die Skulptur so als festen Bestandteil der Ateliereinrichtung aus, gleichzeitig aber wird sie den menschlichen Modellen assoziiert. Wie diese wartet die Tänzerin mit Halskette darauf, ins Bild gesetzt zu werden, um ihren Platz auf einem der Sockel des Vordergrundes einzunehmen, deren helle Standflächen bis dahin wie Leerzeichen im wortreichen Bildgefüge wirken. Der leere Stamm-Sockel für die Tänzerin mit Halskette ist auch in Kirchners Frau im Waschzuber, 1911 [Abb. 116], der Schlüssel des Bildes. Die Zeichnung komprimiert die vorangegangenen Darstellungen des Atelierkontextes und spitzt sie auf die Angabe skulptierter Atelierdekoration zu.687 Sie schildert formatfüllend einen stehenden weiblichen Akt, der mit den Füßen in einer Wanne steht. Vor grünem Hintergrund rahmt das nunmehr bekannte Ensemble aus Spiegel, Skulpturen und einem selbstgeschnitzten Hocker den menschlichen Akt. Die kräftige, großflächige Farbigkeit der runden blauen Fläche des Zubers und der grünen Wandschilderung hebt die fast ausschließlich durch Konturlinien angegebenen Skulpturen und den Akt deutlich hervor. Durch den weißen Bildgrund wirken sie wie aus den farbigen Folien ausgeschnittene Scherenschnitte. Dies verbindet formal den menschlichen mit den hölzernen

686 Kirchner stellt Tänzerin mit Halskette zusammen mit Hockende in einem Gemälde dar, das er in der -Ausstellung der Galerie Gurlitt im April 1912 vorstellt. Eine Photographie der Räumlichkeiten zeigt das Gemälde ganz links außen (es ist nicht bei Gordon aufgeführt). Die Figur ist in ihrer ursprünglichen Bemalung präsentiert und wie in Interieur mit Akten auf dem Tisch im hinteren Raumteil dargestellt. Aufgrund des verkleinerten Ausschnitts des Gemäldes verschmilzt die Skulptur noch harmonischer als in der Zeichnung mit der gemalten Landschaft des Hintergrundes und der rahmenden Bordüre. Vgl. Abb. in: Kirchner Museum Davos, 1994, Kat. 11, S. 44. 687 Mit dem sog. Jahreszeitenspiegel (Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg), einem 1,73 m hohen, mit vier geschnitzten Skulpturen gerahmten Werk aus Arvenholz, gestaltet Kirchner ca. 1923 auch dieses Möbelstück. Vgl. Kornfeld, 1996, S. 102, Abb. S. 103. 195

Akten und evoziert deren Austauschbarkeit. Als Manifestation dessen ist die Tänzerin mit Halskette von ihrem Sockel ‘heruntergestiegen’ und steht auf der gleichen Bodenfläche wie das Modell. Umgekehrt wird dadurch dem Akt ermöglicht, die Stelle der Skulptur auf dem verwaisten Sockel einzunehmen. Durch ihre blockhaft-statuarische Schilderung spricht formal nichts dagegen; allein das Größenverhältnis unterscheidet den menschlichen und den hölzernen Akt. Das Potential, die Sockelposition neben dem Spiegel einzunehmen, deutet Kirchner zwar an, nötig hat die Figur das allerdings nicht. Sie verfügt bereits über so etwas wie einen eigenen Sockel. Die blaue Kreisform der Wanne ist rein flächig und durch einen Perspektivwechsel in Aufsicht wiedergegeben. Falls die farbliche Schilderung eine wassergefüllte Wanne andeuten soll, so bricht Kirchner mit diesem Eindruck sogleich wieder. Keine Spur von Wasser bedeckt die Füße, keine Brechung der Linien verdeutlicht ein im Wasser-Stehen. Vielmehr ist der Kontur sorgfältig umfahren. Die Figur erhält dadurch eine deutliche Hervorhebung von der umgebenden Bodenfläche, und es entsteht eine Parallele zur plinthenartigen Sockelplatte der Tänzerin mit Halskette, die ja direkt links daneben positioniert ist. Durch diese Schilderung ähnelt die Frau im Waschzuber einer Skulptur. Baumstamm-Sockel und Wanne werden zu austauschbaren Skulpturstandflächen, auf die die hölzernen wie die menschlichen Modelle wechselweise hinaufsteigen, oder von denen sie hinabsteigen, „so daß sie in einem seltsam mehrdeutigen Schwebezustand zwischen Kunst und Natur gefangen scheinen“688. Diese erste Gruppe an Darstellungen zeigte ein Nebeneinander im Atelier, das durch äußere Faktoren eine Verwandtschaft von Akt und Skulptur erahnen läßt. Die ähnlichen Körperhaltungen oder die leeren Sockel ermöglichen dem Betrachter die Einsetzung der menschlichen Figur an die Stelle der Skulptur und umgekehrt. Eine auch formale Durchdringung, bei der die Formensprache der hölzernen Akte die Darstellung der menschlichen Modelle prägt, findet sich in einer Gruppe eng zusammenhängender Zeichnungen, auf die die gerade und spitzwinklige Linienführung an Beinen und Armen der Frau im Waschzuber bereits hinweist. Die drei vorzustellenden Blätter zeigen dermaßen ähnliche Sujets, daß die Annahme berechtigt ist, sie seien allesamt in enger zeitlicher Zusammengehörigkeit, wenn nicht gar in der gleichen Sitzung entstanden. Die erste Zeichnung ist mit Zwei sich umarmende Frauen betitelt und wird auf 1911 datiert [117]. Sie schildert zwei sich umarmende stehende Frauen, zu deren

688 Lloyd, 2001, S. 28. Daß diesem Verständnis von Natur Sexualität inhärent ist, schildert Frau im Waschzuber exemplarisch. Die prominente Hervorhebung der Brüste durch parallele Bogenformen beim primitivistischen Hocker leitet über zum mit einem Oval bezeichneten Geschlecht der Hockenden. Während dieses Motiv beim menschlichen Modell nur angedeutet ist, übernehmen die Skulpturen die Funktion, die sexuelle Aufgeladenheit des Ateliers zu verdeutlichen. 196

Füßen eine Skulptur zu erkennen ist. Ein aufwendiges Bildgefüge klar umrissener Flächen verortet die Figuren in einem Innenraum. Die gesamte Höhe des Blattes einnehmend, bilden die Frauen und die Skulptur die vorderste Bildebene. Dahinter fügen sich Linienstrukturen zu einem flächigen Hintergrund zusammen. Parallele Vertikalen bezeichnen die Wand, wohingegen in der mit Ornamenten versehenen Fläche im linken Bildteil wohl die stilisierte Wiedergabe eines Chaiselongue-Überwurfs zu erkennen ist. Allein aus der Staffelung von Flächen läßt sich die Andeutung von Räumlichkeit rekonstruieren. Auch die Akte selber beschreiben durch die Verschränkung der Gliedmaßen nur ansatzweise ihre räumliche Stellung zueinander. Auf eine Binnenmodellierung mittels Schatten, Hautfalten oder individueller Kennzeichen verzichtet Kirchner völlig. Statt dessen skizziert er mit einfachem Kontur gleichermaßen die menschlichen Modelle und die Skulptur. Diese ist außerdem wie die Hintergrund- und Mittelgrundfolien aufs nächste an die beiden Akte herangerückt. Damit fungiert sie einerseits als Kollegin und bildet mit den Frauen ein Trio. Gleichzeitig stellt sie aber auch ein formales Gliederungselement dar, mit dem die Figurengruppe rechts gerahmt und durch zwei weitere Linien (ein Teppich?) am rechten Bildrand befestigt wird. Alle drei Figuren werden dadurch eins mit der Umgebung und formal in ein flächiges Bildmosaik eingegliedert. Die Aktgruppe wird so in alle vier Richtungen im Blatt verspannt und in der Bildmitte fixiert. Kirchner verzichtet fast gänzlich auf Schraffuren, um Plastizität sowohl beim hölzernen als auch beim menschlichen Körper zu negieren. Es ist also die fehlende Körperlichkeit, die an das zuletzt besprochene Aquarell Heckels erinnert. Im einfachen Kontur und in der Schattenlosigkeit der Körper ist Zwei sich umarmende Frauen der Formensprache Heckels in Akt im Raum vergleichbar; auch im Aneinanderfügen von runden und eckigen Formen, besonders erkennbar an Gesäß und Bauch. Die gerade Linienführung läßt die Figuren denjenigen Heckels verwandt erscheinen und unterstreicht ihre Statuarik. Kirchner selbst muß das genauso empfunden haben. Die Statuarik und Immobilität der gezeichneten Figuren der Zwei sich umarmenden Frauen regt ihn um 1912 an, eine Skulptur gleichen Inhalts zu fertigen. Kirchner hat Zwei Frauen (auch Zwei Freundinnen) anschließend zusammen mit Liebespaar für die Dokumentation seiner bildhauerischen Arbeiten photographiert [Abb.118, 119].689 Die Gestaltung der Beine wirkt wie eine Übertragung aus der Zeichnung. In analoger Schrittstellung schildert uns auch die Realisation in Holz die

689 Die Skulptur, die zu Kirchners ersten plastischen Gruppen gehört, ist uns noch aus einer anderen Abbildung überliefert. Diese zeigt sie im Kontext vermutlich einer Einzelausstellung Kirchners im November 1913 in der Galerie Gurlitt in Berlin. Denkbar wäre auch Kirchners Ausstellung in der Galerie Schames in Frankfurt im Oktober 1916. Vgl. Kirchner Museum Davos, 1994, Text zu Kat. 13, S. 45. 197 stützenartigen Gliedmaßen, die sich zwar nach unten verjüngen, aber gerade ohne die Angabe von Knie, Kniekehle oder Fußgelenk in den Fuß übergehen.690 Zwei Akte und zwei Skulpturen, 1911 [Abb. 120] zeigt eine deutlich veränderte Schilderung. Zwar ist die Szenerie durch den Kachelofen rechts, den wir aus weiteren Zeichnungen und Gemälden kennen, und die Ornamente der Decke weiterhin im Atelier verortbar, die leeren Blattecken links oben und rechts unten vereinzeln die menschlichen und hölzernen Akteure jedoch bereits deutlich. Auch das Fehlen der prägnanten Konturierung, die die Abbreviatur der Decke zuvor zum flächigen Quadrat werden ließ, bewirkt ein engeres Zusammenrücken des Bildpersonals, um das fehlende Hintergrundmosaik zu kompensieren. Anstelle dessen ist hier im Hintergrund die Skulptur einer Hockenden mit gespreizten Beinen und erhobenem Gesicht zu erkennen. Vorne ist die gleiche Skulptur wie in Zwei sich umarmende Frauen dargestellt. Es handelt sich um einen hockenden weiblichen Akt, der beide Beine bis zur Brust hochgezogen hat. Der Kopf ist über der linken Schulter abgewinkelt, wobei das Gesicht nicht nach unten abgewendet wird. Beide Arme sind zum Kopf erhoben und rahmen das in größtmöglicher Frontalität geschilderte Haupt, das wie eine Scheibe wirkt, die einfach auf dem Hals zur Seite geklappt wurde. Die schon bekannte Photographie der Kirchnerschen Skulpturen in seinem Atelier [Abb. 8] zeigt, daß die Gesichtsscheibe keineswegs eine zeichnerische Abstraktion ist, sondern tatsächlich aus dem Bereich der Skulptur abgeleitet wird. Während die hintere Skulptur noch nicht näher bestimmbar ist, läßt die vordere sich auf dem Photo identifizieren. Die Hockende, Kopf nach links geneigt, rechte Hand hinter dem Kopf ist dort in der oberen Reihe ganz rechts zu dargestellt. Soweit auf der Photographie erkennbar – die Figur selbst ist verschollen –, weist das Gesichtsfeld keinerlei plastische Bearbeitung auf. Die Angabe von Augen, Nase und Mund erfolgt mit rein graphischen Mitteln in breiten schwarzen Linien. V- bzw. herzförmig rahmen eine schwarze Konturlinie und die Haarkalotte das nach vorn gewandte Antlitz. Exakt die gleiche Formensprache weist die gezeichnete Skulptur in Zwei Akte und zwei Skulpturen auf. Wie auf der Photographie die Bildwerke, sind in der Zeichnung menschliche und hölzerne Figuren aufs engste zusammengerückt. Im Unterschied zu Zwei sich umarmende Frauen ist jedoch in Zwei Akte und zwei Skulpturen eine deutliche Reaktion (ganz im chemischen Sinn eines unter stofflicher Veränderung ablaufenden Vorganges) auf das Miteinander festzustellen. Auf engstem Raum läßt Kirchner hier zwei menschliche und zwei hölzerne Akte einander begegnen und überlagert sowohl formal als auch inhaltlich die eigentlich konträren Wesenheiten. Im sitzenden Akt mit ihren zwischen den Schenkeln hängenden

690 Die gleiche Gestaltung der Gliedmaßen schildert auch die Skulptur Akt, sich umdrehend, vgl. [Abb. 15]. 198

Armen paraphrasiert er sogar die Position der hinteren Skulptur, um den Unterschied zwischen seinen Modellen und seinen Kunstwerken zu verwischen. Durch das Zusammendrängen auf engstem Raum kommt es zu vielfachen Überschneidungen. Daß die Zeichnung die Figuren nicht farblich voneinander scheidet, führt bereits durch die Überschneidungen der räumlichen Staffelung zu Verquickungen. Hierin zeigt sich wie in Zwei sich umarmende Frauen die Meisterschaft Kirchners als Zeichner. Dort bildete beispielsweise die Nasenlinie der rechten Frau gleichzeitig die Haarsilhouette der Linken. In Zwei Akte und zwei Skulpturen intensiviert Kirchner dieses Mittel noch, um das gegenseitige Verschmelen von hölzernem und menschlichem Akt zu verdeutlichen. Eine gezackte Linie formt hier gleichzeitig Hals und rechten Arm der Skulptur und das Bein der stehenden Frau. Ein Vergleich mit der Photographie unterstreicht, daß der Künstler dabei bis in die Perspektive genau seinem plastischen Vorbild und dessen Armhaltung und gemalter Konturierung folgt. Der Kontur des angelegten Armes, des Halses und des Gesichtes bildet eine Linie. An der linken Seite der Figur bezeichnet sie noch die äußere Silhouette des Halses, um dann zur Wiedergabe der Kontur-Bemalung der Skulptur an Schulter, Arm und Hand zu werden. Gleichzeitig bilden die Senkrechten des Skulptur-Halses die Verlängerung des linken Beines des stehenden Aktes. Durch die räumliche Verunklärung scheint die Hockende, Kopf nach links geneigt, rechte Hand hinter dem Kopf das Bein geradezu mit ihrem linken Arm zu umgreifen. Das Photo und die Wiedergabe in Zwei sich umarmende Frauen zeigen, daß die Figur in der Realität keineswegs den Arm zum Kopf gebt, sondern hinter ihrem linken Bein nach unten führt. Dies verdeutlicht, daß Kirchner zugunsten der Verbindung aus menschlichem und skulpturalem Modell sein hölzernes Vorbild an dieser Stelle aus den Augen verliert. Dieses kleine Beispiel zeigt exemplarisch, wie stark sich der Künstler doch von der Wirklichkeit löst, um spezifisch künstlerische Ziele zu verfolgen. Außerdem übernimmt Kirchner in die Schilderung der menschlichen Modelle plastische Formensprache. Die menschlichen Akte zeigen bereits Vorformen der Gesichtsgestaltung des Jahres 1912 (s.u.). Geradezu exklamatorisch ist im Hintergrund eine Skulptur mit erhobenem Gesicht zu erkennen, die exemplarisch bereits die doppelte Nasenlinie präsentiert, die mit den Brauen verbunden ist. Dies wird in der Gesichtsphysiognomie beider Frauen wieder aufgenommen. Besonders deutlich wird die Verwendung plastischer Formensprache allerdings in der Sitzenden, die ja bereits in der Körperhaltung einen deutlichen Bezug zur Holzfigur der hinteren Hockenden zeigt. Sie schildert, ohne die Schultern der Drehung des Kopfes folgen zu lassen, in flächiger Frontalität analog der Hockenden, Kopf nach links geneigt, rechte Hand hinter dem Kopf genau jene Gesichtszüge, wie sie die umgebenden 199

Holzfiguren aufweisen. Ein abschließender Blick auf die photographische Abbildung offenbart, daß Kirchner dabei für den sitzenden menschlichen Akt detailgenau die sorgfältige Differenzierung in Ober- und Unterlippe aus dem plastischen Anreger übernimmt. Meine Ausführungen werden bestmöglich dadurch illustriert, daß eine solche Verwendung plastischer Formensprache bei der Schilderung menschlicher Modelle sogar die späteren Betrachter irreführte: In einer Kirchner-Ausstellung trägt dieses Blatt 1963 den Titel Vier Mädchen im Atelier. 691 War es in Zwei sich umarmende Frauen in erster Linie die Körperstatuarik und in Zwei Akte und zwei Skulpturen primär die Physiognomie des Kopfes und des Gesichtes, die als Elemente der plastischen Formensprache in die Schilderung der weiblichen Modelle Eingang finden, so erleben beide Elemente ihre Zusammenführung und größtmögliche Steigerung in der Zeichnung Liegende Akte, 1911 [Abb. 121]. Nichts soll von dieser gegenseitigen Durchdringung ablenken, so daß Kirchner in Liegende Akte konsequenterweise fast gänzlich auf die Angabe von Interieur, sozusagen auf einen narrativen Kontext verzichtet. Schon in Zwei Akte und zwei Skulpturen war dieser minimiert worden und wurde Tiefenräumlichkeit ausschließlich durch die Staffelung der Modell- Gruppe verdeutlicht. Hier werden die Akteure noch enger verbunden und Darstellung von Räumlichkeit durch die Wahl der Perspektive und die daraus resultierende starke Verkürzung des oberen Körpers in größtmöglicher Zuspitzung thematisiert. Um sich im Bildraum zu verankern, haben sie nun auch keine Requisiten oder Mobilar mehr nötig. Als autonome Modelle verspannen ihre eigenen Körperwaagrechten und -senkrechten die Akte formatfüllend auf dem Blatt. Das Setting erfährt daher größtmögliche Reduktion, so daß sich allenfalls in der Kreisform mit umschlossenen Ovalen und gezackter Linie rechts der Bildmitte die Abbreviatur einer Decke/eines Kissens erkennen ließe. Diese ist in der Formensprache jedoch nicht mehr das auffällige vegetabile Rankenornament der vorangegangenen Zeichnungen, sondern schildert die gleiche Abstraktion des Vorbildes in additiver Verbindung aus runden und eckigen Formen. Das Blatt stellt die zwei schon bekannten weiblichen Akte dar, die diesmal nicht mehr stehen oder sitzen, sondern vermutlich auf dem Boden liegen. In den vorangegangenen Beispielen gab es, bei aller festgestellten Verwandtschaft, durch das körperliche Überragen des Sitzens oder Stehens eine bedeutungsperspektivische Distanz zwischen hölzernem und menschlichem Modell. Diese wird in Liegende Akte völlig aufgehoben, und die rechts positionierte Skulptur, die wir noch aus einer vierten Zeichnung dieser

691 E. L. Kirchner zum fünfundzwanzigsten Todestag. Aquarelle, Bilder, Zeichnungen, Galerie Nierendorf, Berlin 1963, Kat. 91. 200

Serie kennen,692 ist formal den Liegenden völlig gleichberechtigt. Beide sind auf dem Boden positioniert. In der Anordnung des Bildpersonals und deren Präsentation wird deutlich, daß Kirchner hier die Annäherung beider Arten von Modellen auf die Spitze treibt und aus Verwandtschaft wirkliche Durch- dringung und Anverwandlung wird. Ihr Kontur weist an zahlreichen Stellen Unterbrechungen auf, die nicht dazu beitragen, die Körper als organische Einheiten zu verstehen. Die Liegenden (besonders die obere) schildern spitzwinklige Gliedmaßen und eine maskenhafte Physiognomie. Die analoge Gesichtsgestaltung mit dem charakteristischen Ineinanderübergehen von Nase und Brauen verbindet besonders den unteren Akt mit der Skulptur, die den gleichen geöffneten Mund zeigt. Die Andeutung einer auch materiellen Durchdringung deutet Kirchner meines Erachtens durch die außergewöhnliche Pose der Akte an, die ein bißchen den Charakter von Übereinanderstapeln hat und zum Eindruck von Hölzernheit ebenso beiträgt wie die Brüste der Frau, die der Schwerkraft zu trotzen scheinen und prominent in der Bildmitte spitzwinklig nach vorne weisen.

1.1.3. Das Motiv in der Malerei Kirchners

Zuvor wurde die gegenseitige Durchdringung von skulpturalem und menschlichem Akt in der Zeichnung herausgearbeitet, die im Idealfall ein völlige Gleichberechtigung und wechselweise Einsetzung ermöglicht. Ihre formale Ähnlichkeit motiviert Kirchner retrospektiv durch eine umfassende künstlerische und menschliche Nähe, durch eine harmonische Verbindung von Kunst und Leben: „Die Liebe, die der Maler dem Mädchen entgegenbrachte, die sein Gefährte und Helfer war, ging über auf die geschnitzte Figur, veredelte sich [über] die Umgebung [in] das Bild und vermittelte wiederum die

692 Vgl. die Zeichnung Zwei Akte mit Skulptur, 1911, die wohl mit den anderen drei Blättern in der gleichen Sitzung entstanden ist. Dort sind die weiblichen Akte noch mehr in das ornamentale Geflecht des Sofaüberwurfs eingebunden. Sie werden von der gleichen Skulptur wie in Liegende Akte begleitet, die Kirchner ebenfalls mitten in das vegetabile Rankenmuster des Stoffes setzt. Vgl. Katalogtext und Abb. in: Kirchner, 1979/80, Kat. 125, S. 158. Der dort vorgenommenen Identifikationen der auf Zwei Akte mit Skulptur und Zwei Akte mit zwei Skulpturen dargestellten Holzbildwerke läßt sich jedoch nicht zustimmen. Meines Erachtens schildert Zwei Akte mit Skulptur (ebenso wie Liegende Akte) eine bisher nicht näher bestimmbare hockende Skulptur Kirchners und keinesfalls die Kauernde (vgl. ebd., Abb. 6, S. 17). Kopf- und Armhaltung sprechen deutlich dagegen. Wie oben dargelegt, halte ich auch nicht die Hockende, sondern Hockende, Kopf nach links geneigt, rechte Hand hinter dem Kopf für die hölzerne Begleiterin in Zwei Akte und zwei Skulpturen. Es ist erfreulich, an solchen Beispielen erkennen zu können, wie sehr sich der Kenntnisstand zu Kirchners plastischem Werk nach seiner ersten umfassenden Berücksichtigung in der angeführten Ausstellung erweitert hat. Erst die seit 1979/80 wiederentdeckten Werke, die erstmalig veröffentlichten Stücke oder auch deren photographische Abbildungen von der Hand Kirchners ermöglichen Korrekturen wie die vorangegangenen. 201

besondere Stuhl- oder Tischform aus der Lebensgewohnheit des menschlichen Vorbildes.“693

Ein solches Zitat wirkt wie eine späte sprachliche Illustrationen zu Kirchners Gemälde Nacktes Mädchen hinter Vorhang/Fränzi von 1910 [Abb. 122]. Fränzi, eines der jugendlichen Modelle der Maler, tritt uns, die gesamte Bildhöhe einnehmend, entgegen. Durch ihr präsente Frontalität und ihre Plazierung im unmittelbaren Vordergrund lädt sie uns ein, an den intellektuellen und realen Erlebnisräumen der teilzunehmen.694 In kräftigen Farben schildert Kirchner die ‘Buntheit’ der selbstgefertigten Ateliereinrichtung. Ein großer Vorhang mit gemalten Medaillons, die erotische Darstellungen zeigen, nimmt die linke Bildhälfte ein und verdeckt halb den Zugang zum dahinter liegenden Raum, der in der rechten Bildhälfte sichtbar wird. Der jugendliche Akt steht leicht aus der Bildmitte nach links versetzt, so daß dem Betrachter der Einblick in das sich hinter dem Vorhang befindende exotisch anmutende Gemach erleichtert wird. Der Bildtitel scheint mit Nacktes Mädchen hinter Vorhang zwar anzugeben, daß Fränzi durch den Vorhang auf den Betrachter zutritt, dabei zieht sie den Vorhang jedoch mit hängendem Arm ein wenig zur Seite und hat ihr linkes Bein eingedreht, so daß offenbleibt, ob sie soeben im Begriff war, in den angrenzenden Raum einzutreten, oder selbigen gerade verlassen hat. Eine breite schwarze Vertikale unterstreicht inmitten der leuchtenden Farbfelder die Positionierung des Aktes auf dieser formalen wie inhaltlichen Schnittstelle des Bildes. Analog dem zehnjährigen Kind, das auf der Schwelle zur Jugendlichen steht, positioniert Kirchner ihr gemaltes Abbild auf der Schwelle des Raumes. Sie verkörpert im wörtlichen Sinne die Einladung, in die Erlebniswelt des Ateliers einzutreten, in der das Kind auf den natürlichen Umgang mit erotischer Nacktheit hinweist.695 Die erotische Nacktheit und die ihr inhärente Sexualität wird als ein natürliches und ursprüngliches Phänomen präsentiert. Der an einen Geschlechtsakt erinnernde Hocker im hinteren Raum schlägt diese Lesweise vor. „Der aus weiteren Ateliermotiven bekannte selbstgeschnitzte Hocker verweist auf die einer Vielzahl von Fränzi-Porträts Kirchners eignende Bezugsetzung zur Atelierdekoration, insbesondere die mit erotischen Motiven bemalten Vorhänge und selbstgeschnitzten Möbelstücke. Die

693 Tagebucheintrag Kirchners vom 6. März 1923. In: Davoser Tagebuch, 1997, S. 67. 694 Bei Fränzi handelt es sich um die 1900 geborene Linda Franziska Fehrmann. Zu Fränzi vgl. Albers, Klaus, und Gerd Presler. Neues von Fränzi. Daten, Fakten, Erkenntnisse zum jüngsten -Modell. In: Weltkunst, H. 13, November 1998, S. 2440–2442. Zu jugendlichen Akten von vgl. Nierhoff, 2001, S. 90ff. 695 Vgl. auch Nierhoff, 2001, S. 90ff. 202

Projektion verrät die symbolische Bezugsetzung des kindlichen Mädchens auf Ursprungsmetaphern und das eigene Schöpfertum […]696

Inmitten der vielteiligen Wiedergabe des Ateliers mit seinen selbstgefertigten Möbeln, Decken, Vorhängen und Wandbehängen wird Fränzi mit gleicher Buntfarbigkeit und summarischer Angabe der Details geschildert. Rosa und Rot ergänzen das gelbe Inkarnat, während grün-schwarze Binnenzeichnung, spitzwinklig wie bei den Medaillons des Vorhangs, die Ellenbogen- und Kinnlinie bezeichnen. Kirchner gibt Fränzi das gleiche Inkarnat, das er zur Angabe des Holztones im nebenstehenden Hocker verwendet.697 Neben der ‘dinglich-gegenständlichen’ Schilderung des Mädchens und ihres hölzernen Inkarnats spricht aber auch die abgeschnittene Haarkalotte für eine Nähe von menschlichem und hölzernem Akt. Zwar sind auch Vorhang und Fußboden durch die Wahl des Motivs abgeschnitten, deren Ausschnitthaftigkeit überführt sie jedoch – anders als beim menschlichen Akt – keineswegs in eine andere Lesbarkeit. Das vom Bildrand abgeschnittene Haupthaar ‘entmenschlicht’ die Figur ein weiteres Mal und erweckt gewissermaßen den Eindruck einer Karyatide. Damit greift Kirchner eine Formfindung Heckels wieder auf, die diesem mit seinem Gemälde Stilleben mit Holzfigur gelungen war (s.o.). Vorbild für diese Bildschöpfung war hier wie dort eine der frühen Skulpturen Kirchners, Stehendes Mädchen von 1909/10 [Abb. 123]. Diese 43 cm hohe Skulptur zeigt einen stehenden weiblichen Akt mit auf die rechte Schulter geneigtem Kopf. Die Haarkalotte ist, vorbildhaft für das Plakat der -Ausstellung in der Galerie Arnold und Nacktes Mädchen hinter Vorhang/Fränzi, karyatidenhaft waagrecht beschnitten. Auch Schrittstellung und Armhaltung erinnern in Nacktes Mädchen hinter Vorhang/Fränzi an das plastische Vorbild. Der rechte Arm hängt in beiden Fällen entlang des Beines hinab, wogegen der linke Arm erhoben ist. Im Gemälde hat Fränzi, die Koketterie des jugendlichen Mädchens unterstreichend, die Hand an die linke Gesichtshälfte gelegt, was die herausfordernd schräge Kopfhaltung hervorhebt. In der Skulptur führt Kirchner den linken Arm unterhalb der Brüste zur rechten Seite, wo die Hand den rechten Oberarm umfaßt. Die Figur nimmt im Unterschied zum gemalten Akt jedoch keinen Kontakt zum Betrachter auf. Der Blick geht zur Seite, und in ihrer Blockhaftigkeit, die, in den säulenartigen Beinen beginnend, sich über den kompakten Rumpf mit der querriegelartigen Selbstumarmung fortsetzt,

696 Bildkommentar Volkmar Billigs in: Brücke, 2001, Kat. 201, S. 201. 697 Vgl. auch Kirchners Gemälde Dodo mit großem Fächer, 1910, G 158, in dem er die Dargestellte ebenfalls im gelben Inkarnat der Holzfiguren schildert. Abb. bspw. in: Kirchner I, 2000, Kat. 13, S. 69. Bei Nacktes Mädchen hinter Vorhang/Fränzi ist jedoch zu beachten, daß es zu jenen Kunstwerken gehört, die Kirchner Jahre später noch einmal überarbeitete. Auch nach der 1926 erfolgten Übermalung läßt sich jedoch im Gesicht der ursprüngliche Gelbton noch gut erkennen. 203 vermittelt Stehendes Mädchen eher die Verkörperung des Begriffes Tragen, das, versunken in die Aufgabe, keine Kontaktaufnahme erlaubt. Kaum gefertigt, findet die Figur vielfache Verwendung. Sie findet Darstellung in den zuvor geschilderten Gemälden von Heckel und Kirchner [Abb. 102, 103] und initiiert neue Bildschöpfungen wie die vorliegende oder das Titelblatt des Kataloges zur Ausstellung in der Galerie Arnold. Das Stehende Mädchen zeigt exemplarisch, was Kirchner meint, wenn er vom dreidimensionalen Schaffen als Ausgangspunkt der „Kunstanschauung der “ spricht, und was es bedeutet, „die plastische Form in die flächige Form des Bildes (zu bringen) und die persönliche Form durch die verschiedenen Techniken (durchzukneten) bis zum letzten Strich“698. In der Rückschau zwanzig Jahre nach Auflösung der Gruppe – „Ich soll die Geschichte der Brücke fürs Kunstblatt schreiben“699 – ist für ihn nämlich plastisches Gestalten Ausgangspunkt auch der zweidimensionalen Bildschöpfungen und sogar des - Kunstverständnisses überhaupt: „Die erste Schale die geschnitzt wurde, weil man keine einem gefallende zu kaufen bekam, brachte die plastische Form in die flächige Form des Bildes und so wurde die persönliche Form durch die verschiedenen Techniken durchgeknetet bis zum letzten Strich. […] Das war der Weg des Kunstschaffens am einfachen Beispiel. Das ist die Kunstanschauung der .“700

„Das Wechselspiel, der ständige Austausch und die dauernde gegenseitige Anregung der verschiedenen Techniken im Werk Kirchners erreichten ihre volle Funktion und bestimmten es von jetzt an.“ 701 Daß Wechselspiel und Austausch, jenes Kirchnersche „in verschiedenen Techniken durchkneten“, auch die Photographie mit einbezieht, soll ein kurzer Vergleich erläutern.702 Wie Grisebach so treffend charakterisierte, sind Kirchners Photographien zumeist Dokumente einer „vorkünstlerischen Einstellung zu seinen Gegenständen“703, die bei aller Ausdauer und Hingabe Kirchners an das

698 Tagebucheintrag Kirchners vom 6. März 1923. In: Davoser Tagebuch, 1997, S. 67. 699 Tagebucheintrag Kirchners vom 1. März 1923. In: Ebd., S. 61. 700 Tagebucheintrag Kirchners vom 6. März 1923. In: Ebd., S. 67. 701 Vgl. Henze, 1997/98. 702 Ein weiteres Bsp. stellt Kirchners Skulptur der Tänzerin mit Halskette dar, deren erhobene Arme und auffällig verdrehter Rumpf in Schrittstellung auch in den anderen Medien vielfach Aufnahme finden. In der Holzschnitt-Vignette Stehender Akt wird sie 1911 sogar als Werbeträger für die gesamte Gruppe eingesetzt. Abb. in: Brücke, 2001, Kat. 63, S. 38. Sogar in einem seiner Schmuckstücke aus geschnittenem und gehämmertem Silberblech kommt die Figur zur Verwendung, und zwar in Form einer „Brosche, Anhänger, Gürtelschnalle, entstanden um 1912, wohl für Erna. Mit 4 Löchern zum eventuellen Aufnähen.“ Zit. nach: Kornfeld, 1981, S. 382, Abb. ebd., Kat. 220, S. 179. 703 Lucius Grisebach zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 353. Dagegen: Kirchner Museum Davos, 1994. 204

Medium „nicht als künstlerische Photographien hingestellt werden sollen“704. Kirchners Photographie seines Ateliers in der Berliner Straße 80 [Abb. 18], das in dieser Zeit von den Künstlern zumeist gemeinsam genutzt wurde und daher auch als -Atelier gilt, stammt aus der gleichen Zeit wie das Gemälde Nacktes Mädchen hinter Vorhang/Fränzi. Es wird deutlich, wie sehr das Photo jene „vorkünstlerische Einstellung“705 schildert, die zwar geschickt inszeniert ist, deren Bildvorwurf allerdings erst im gemalten Kunstwerk seine endgültige künstlerische Umsetzung findet. Dort verkleinert Kirchner den photographischen Ausschnitt und konzentriert durch die Abstraktion des Hintergrundes die Aufmerksamkeit auf den Vorhang, den Hocker und den stehenden Mädchenakt. Das Bildformat wählt Kirchner so, daß die Haarkalotte angeschnitten wird und dem Akt skulpturale Elemente inkorporiert werden. Außerdem verschiebt er damit den formalen und inhaltlichen Schwerpunkt zugunsten einer größeren räumlichen und koloristischen Nähe von Hocker und Akt. Das Photo gewährt uns dagegen größeren Einblick in den Eingangsbereich des Ateliers, der mittels eines Vorhangs vom Hauptraum abgetrennt war. Als ‘Bild im Bild’ rahmt er einen Durchblick in den anschließenden Raum. Dieser zeigt eine Wandgestaltung, die in dunkel gerahmten Wandfeldern eine Bemalung mit hockenden, liegenden und stehenden Paaren in erotischen Posen unter stilisierten Bäumen schildert. Davor läßt sich der auch auf dem Gemälde geschilderte Tisch erkennen, vor dem ein Hocker steht, der an afrikanisches Mobiliar erinnert. Die beiden Trägerfiguren des Hockers ergänzen mit ihrem sexuellen Beieinander den erotischen Gesamtkontext, in dem Kirchner seinen Atelierausschnitt schildert. Die Medaillons, mit denen Kirchner seinen Vorhang bemalt, kehren auf vielen seiner Werke (und denen Heckels) wieder und zeigen Paare beim Liebesspiel in verschiedenen Varianten.706 Durch die Wahl des Blickwinkels sorgfältig in den Vorhangzwickel plaziert, läßt sich schemenhaft Kirchners Skulptur Hockende links auf einem Eckbord im angrenzenden Raum erkennen. Ganz im Vordergrund ist links Kirchners verschollene Karyatide von 1910 positioniert. Analog dem späteren Gemälde, wo Fränzi den Vorhang mit ihrem Körper zur Seite zu schieben scheint, stellt Kirchner die Skulptur so vor den Vorhang, daß ein vergleichbarer Eindruck entsteht. Die Karyatide stellt das archaische, kraftvolle Äquivalent zur oben beschriebenen Holzfigur dar und schildert mit urtümlicher Vehemenz den Inbegriff des Tragens.707

704 Ebd. 705 Lucius Grisebach zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 353. 706 Vgl. bspw. Heckels Tuschfederzeichnung Weiblicher Akt im Atelier von 1910. Das Blatt zeigt einen vornüber gebeugten Akt vor geschlossenem Ateliervorhang. Abb. in: Brücke, 2001, Kat. 249. 707 Vgl. meine Ausführungen in Kapitel II.C.1.2. 205

Stehendes Mädchen nimmt in der Folge eine Mittlerposition zwischen der Karyatide und Nacktes Mädchen hinter Vorhang/Fränzi ein. Dabei kombiniert sie die funktionalen Elemente aus der Karyatide mit mädchenhaften Zügen und innerer Versunkenheit. Die mädchenhaft-juvenilen Elemente werden im Gemälde weiter gesteigert und mit den plastischen Erkenntnissen aus Stehendem Mädchen zu einem Nackten Mädchen hinter Vorhang/Fränzi geformt, das in Form und Farbe skulpturhafte Züge erhält, durch ihre Kontaktaufnahme mit dem Betrachter und die sexuelle Konnotation jedoch gleichzeitig menschlich-aktive Komponenten verkörpert. Diese Beobachtung einer Nähe von menschlichem und hölzernem Akt läßt sich in der Folge in Heckels und Kirchners Werk regelmäßig machen (s.u.) und scheint in obigem Zitat von der Liebe,“die der Maler dem Mädchen entgegenbrachte“ und die „auf die geschnitzte Figur (überging)“, den späten Versuch einer kunsttheoretischen – „Ich soll die Geschichte der Brücke fürs Kunstblatt schreiben“708 – Nobilitierung gefunden zu haben.

2. In der Natur

„Beseelte Holzfiguren, die gleichsam aus dem Atelier in die Natur zurückgefunden haben.“709

Die Annäherung zwischen gemaltem Akt und Skulptur, wie sie erstmals in aller Deutlichkeit im Plakat zur Ausstellung in der Galerie Arnold 1910 in Erscheinung tritt, wird in der Folgezeit derart weiterentwickelt, daß der Unterschied zwischen Mensch und Skulptur vielfach völlig aufgehoben wird. Dabei ist es bemerkenswert, daß nicht eindeutig feststellbar ist, ob sich das Holz verlebendigt oder die Menschen skulptural-hölzerner werden. In den Fehmarn- Bildern Kirchners von 1913 stellt dieser sogar seine aus Treibholz gefertigten Skulpturen so zwischen seine am Strand befindlichen menschlichen Modelle, daß beide gleichberechtigte Darstellung in den Gemälden und Zeichnungen finden710 (s.u.). Sogar Otto Muellers Werke des Jahres 1912 scheinen vom Primat des Holzes beeinflußt. Seine sonst so weich schwingenden Körpersilhouetten prägen, wie in Drei Akte vor dem Spiegel [Abb. 124], trotz der duftigen Leimfarbenmalerei eckige Kanten, starker schwarzer Kontur und ein gelbes Inkarnat, das den Bemalungen der Figuren seiner Kollegen verwandt ist.

708 Tagebucheintrag Kirchners vom 1. März 1923. In: Davoser Tagebuch, 1997, S. 61. 709 Wietek I, 1984, S. 90. 710 Vgl. Henze, 2000, S. 268 oder Henze, 1996, S. 77. 206

2.1. Szene am Meer (Badende) von Heckel

Bereits für Heckels Sommerbilder des Jahres 1912 an der Ostsee läßt sich feststellen, was Wietek für 1919 formuliert: „Die zumeist am Ostseestrand von Osterholz gemalten Akte (wirken) wie beseelte Holzfiguren, die gleichsam aus dem Atelier in die Natur zurückgefunden haben.“711 Heckels Badende zeigen jetzt eine eigenartige Hölzernheit, die augenscheinlich auf eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema des Aktes in der Holzskulptur zurückzuführen ist. Sein im Sommer 1912 wohl vor seinem Fehmarn-Besuch auf Hiddensee entstandenes712 Gemälde Szene am Meer (Badende) [Abb. 125] schildert hölzern-statuarische Akte an einer Meeresküste. Das Bild zeigt drei nackte weibliche Badende und einen bekleideten Mann am Strand einer von Wald gesäumten Bucht.713 Die Szene scheint im wörtlichen Sinne der Ausschnitt eines Sommeraufenthaltes, in welchem dem Ziel einer Aussöhnung von Mensch und Natur möglichst nahe gekommen wurde. Die Sitzende und der Stehende werden vom Bildrand überschnitten und tragen die malerische Vision eines sommerlich- harmonischen Miteinanders in den Realraum des Betrachters. Vier Farbfelder schildern die Natur. Von links drängt die Fläche des blaugrünen Meeres ins Bild, der gelb-rote Strand der Bucht folgt dem blauen Halbrund des Wassers. Darüber ragen zwei dreieckförmige Farbflächen beidseitig in das Bild hinein. Von rechts läßt Heckel Farbfelder in verschiedenen Grüntönen und rotbraunen Einsprengseln die Steilküste oder Uferböschung bezeichnen. Die linke obere Ecke nimmt ein grün-gelber Himmel ein. Diesem antwortet in der vordersten Bildebene und ganz rechts außen der Farbton des Hemdes des stehenden Mannes. Damit wird die Szenerie sowohl in der Fläche (von links nach rechts), als auch in der Tiefe (von hinten nach vorn) zusammengebunden. Von der Natur gleichsam nach vorn geschoben, drängen sich die vier Figuren formatfüllend auf der vordersten Bildebene. Die Farbflächen des Meeres, des Strandes und der Küste wirken dabei wie ein gemaltes und damit flächiges Bühnenbild. Ganz vorn auf dieser Bühne treten uns drei ebenso flächige Akte gegenüber. Die Binnenformen der Badenden unterscheidet bis auf den etwas dichteren Farbauftrag nichts von der Flächigkeit der sie umgebenden Natur. Auch farblich sind sie dieser aufs engste verbunden. Nicht nur finden sich in der Bekleidung des Mannes die Farbe des Himmels und das Blau-Grün des Wassers. Das Inkarnat der Badenden kennzeichnet die gleiche rot-braune Farbwahl wie

711 Wietek I, 1984, S. 90. 712 Vgl. Henze, 1996, S. 77. 713 Heckels mehrfigurige Strandszenen bestanden nicht immer aus einer Mehrzahl von Modellen. Meist komponierte der Maler seine Szenerie als eine Synthese aus verschiedenen Einzelmomenten, die Sidi Heckel zeigten. Vgl. Geissler, 2000, S. 48. 207 die Abbrüche der Steilküste. ‘Bühnenbild’ und ‘Akteure’ sind einander koloristisch so verwandt, daß vom Farbklang her eine Differenzierung zwischen belebter und unbelebter Natur nicht möglich ist. Die Körper der gemalten Akte sind wie das gesamte Bildgefüge vollkommen flächig, ihre Binnenformen sind kaum modelliert und nahezu schattenfrei. Vergleichbares läßt sich bei Heckels hölzernem Akt der Hockenden [Abb. 26] diagnostizieren, der durch seine Torsion geradezu Räumlichkeit negierende, reliefhafte Züge annimmt. Die 30 cm hohe Figur aus dem gleichen Jahr wie das Gemälde zeigt einen seitlich knienden weiblichen Akt. Über einem nach links abgewinkelten linken Bein ist der Oberkörper und der Kopf stark nach links eingedreht und dem Betrachter zugewandt. Beide Arme sind zum Kopf erhoben und rahmen einen dunklen Haarschopf sowie ein flaches Gesicht mit großer Nase und schmalen Augen und Mund. Die Figur ist geprägt von der starken Torsion und dem auf engstem Raum zusammengedrängten Körper. Die holzsichtige Farbigkeit mit den wenigen schwarzen Ergänzungen und die runden, schwellenden Formen lassen den geschnitzten Akt den gemalten Akten hinsichtlich Kolorit und Formensprache schwesterlich verwandt erscheinen. Konturlinien, mit denen Heckel die Akte des Gemäldes versieht und die zum Teil wie mit dem Lineal gezogen wirken (vgl. die Gestaltung der Beine im zuvor erläuterten Aquarell Akt im Raum), versinnbildlichen, in Abgrenzung zur koloristischen Harmonie, die Autonomie der Figuren und unterstreichen deren künstlerisches Geschaffen-Sein im Gegensatz zur bloßen mimetischen Wiedergabe des Vorbildes. Sie weisen damit die gleichen Merkmale auf, wie sie auch die Holzfigur der Hockenden zeigt. Sowohl bei der sitzenden Figur des Gemäldes als auch bei der Hockenden sind die Brüste sorgfältig vom Rumpf abgesetzt. Im Bildwerk stellt Heckel die Brüste durch zwei Halbkugeln dar, die in ihrer perfekten Rundung eher formalen Gesichtspunkten zu folgen scheinen denn natürlichen Vorbildern. Das gleiche Phänomen schildert der Akt des Bildes, bei dem zwei perfekt geschwungene schwarze Konturbögen für die Differenzierung von Brüsten und Oberkörper sorgen. Konturlinien segmentieren dort auch die einzelnen Körperpartien, und scharf abgewinkelte Handgelenke und überlange Handrücken entsprechen denjenigen der Skulptur. Die Ähnlichkeit in der Auffassung gemalter und geschnitzter Menschen geht bei Heckel im Sommer 1912 bis in die Details der Haarfrisuren und des Gesichts. Die schlitzförmigen Augen des ‘Gemälde-Personals’ finden ihre Entsprechung in der Holzfigur, bei der schwarze Augenschlitze und ein schmaler Mund eine breite, flache Nase rahmen. Der Kopf der Figur ist ganz dem Betrachter zugewandt, wobei die Negation von Plastizität dermaßen zugespitzt wird, daß das Gesichtsfeld wie eine Reliefscheibe wirkt, die dem Hals mit ihrer Schmalseite angestückt worden ist. Das Gesichtsrelief wird bis aufs äußerste 208 reduziert, und die abgewinkelte Scheibe zeigt durch ihre Rahmung durch Handfläche, Haare und die Schattenfuge des Halses Merkmale, die sie mit den Holzschnitten des gleichen Jahres in Verbindung bringen. Im Sommer 1912 besuchen Erich Heckel und seine Lebensgefährtin Sidi Riha Kirchner auf der Ostseeinsel Fehmarn, auf die dieser nach einem kurzen Aufenthalt 1908 erstmals 1912 wieder zurückgekehrt war. Dazwischen lagen die Sommeraufenthalte der Künstler an den Moritzburger Teichen. Die freie Nacktheit in der Natur und ihr künstlerischer Niederschlag in der Homogenität besonders des Heckelschen und Kirchnerschen Werkes der Moritzburger Zeit finden auf Fehmarn letzte Blüte. Im Holzschnitt manifestiert sich die dahingehende Schnittmenge am deutlichsten. Heckels Zwei sitzende Frauen und Kirchners Badende Frauen zwischen weißen Steinen stammen beide aus dem Jahr 1912. Sie sind sich motivisch und formal so ähnlich, daß sie höchstwahrscheinlich in derselben Situation entstanden sind. In jedem Fall sind sie meines Erachtens das bildgewordene Resultat engster künstlerischer und menschlicher Nähe dieses Sommers. Die menschliche Harmonie der Künstler und das reale Vorbild des Motivs schildern die Zeitzeugen: “Als dann Erich Heckel und Sidi zu Besuch kamen – sie schliefen auch in Kirchners Zimmer – war noch mehr Leben am Staberhuk. Man badete und malte am Strand mit seinen riesigen Steinen aus der Eiszeit, wobei jegliche Kleidung abgelehnt wurde.“714

Die künstlerische Verwandtschaft und die parallelen Auffassungen ‘hölzerner Menschen’ zeigt im folgenden die Untersuchung der künstlerischen Zeugnisse.

2.1. Die Holzschnitte Heckels und Kirchners

Zwei sitzende Frauen und Badende Frauen zwischen weißen Steinen [Abb. 126, 127] zeigen in nahezu quadratischem Format jeweils nackte Frauen in der Natur. Heckels Blatt schildert auf dem mittleren der drei horizontalen Farbfelder, in die die Darstellung unterteilt ist, zwei sitzende Frauen. Gerahmt von einem unteren schwarzen Farbfeld, dem das Meer entsprechen könnte, und einem oberen grünen, das die Hügel (Dünen?) des Hintergrundes und die umgebende Vegetation vertritt, sitzen mit angezogenen Beinen zwei ockerfarbene Akte auf rosa Grund. Während Meer und Vegetation eher eckige, spitzwinklige Formensprache aufweisen, zeichnen sich die Akte durch bemerkenswert runde Linienführung aus. Besonderes die linke Frau stellt mit ihren runden Knien, dem runden Gesäß, der weich schwingenden Linie der

714 Reinhardt, 1997, S. 38. 209

Brüste und vor allem durch die Gesichtssilhouette einen denkbar großen Gegensatz zu den umgebenden Formen dar. Das Gesicht zeigt die gleichen Merkmale wie die oben vorgestellte Holzfigur der Hockenden. Schmale Augen und Mund sowie eine Nase, deren Linien sich mit denen der Augenbrauen verbinden, sind ebenfalls Merkmale der Skulptur. Die Flächigkeit des Gesichts und die abgewinkelte Anstückung an den Hals, die wir bereits aus der Hockenden kennen, ist hier auf die Spitze getrieben. Der Holzschnitt erlaubt es Heckel, den Kopf noch weiter bis in die Horizontale abzuwinkeln. Die gleiche Kopfhaltung schildert er in einer anderen Szene aus dem ‘Bade-Strand-Kontext’. Vorm Bad [Abb. 128] zeigt eine Frau am Strand vor einer Steilküste, die im Begriff ist, sich zu entkleiden, und den rechten Träger ihres Kleides bereits von der Schulter gestreift hat. Sie hat den Kopf genauso wie in Zwei sitzende Frauen auf die, diesmal linke, Schulter gelegt und zeigt auch die gleiche kubische Haarkalotte. In beiden Fällen verdeutlicht Heckel durch dieses Motiv, daß in den menschlichen Akt skulpturale Elemente Eingang gefunden haben. Bei allem harmonischen Miteinander von menschlichem und natürlichem Vorbild verweisen die ‘hölzernen Menschen’ in der künstlerischen Verarbeitung auf die Abstraktion des gelebten Vorbilds und thematisieren durch die bewußte hölzerne Kontradiktion der menschlichen Anatomie die grundsätzliche Dualität von unmittelbarem Naturbezug und formelhafter Vereinfachung. Kirchners Badende Frauen zwischen weißen Steinen weist mit Grün, Rosa, Ocker-Gelb und Schwarz die exakt gleiche Farbigkeit wie Heckels Zwei sitzende Frauen auf.715 Auch seine drei Akte befinden sich vermutlich am Strand von Fehmarn. Akte und Natur sind analog zu Heckel mit unterschiedlicher Qualität der Linien gekennzeichnet. Splittrig und faserig sind Steine und Vegetation angegeben, wobei die Pflanzenwelt links oben derjenigen Heckels besonders ähnlich ist. Die menschlichen Figuren kennzeichnet zwar teilweise auch eine eckige Silhouette, die Linien, besonders des mittleren Aktes, sind jedoch länger fließend und weniger unruhig. Der mittlere Akt ist eine stehende Frau mit Hut in Rückenansicht. Auch den rechten Akt schildert Kirchner in Rückenansicht, während der linke, die Beine mit einem Tuch bedeckt, in Vorderansicht zu erkennen ist. Als antwortendes Gegenstück dazu fungiert die rechte Figur, deren Beine ebenso verdeckt sind. Entweder steht sie im Wasser, oder Steine verbergen die Beine unterhalb der Knie. Die Farbigkeit der umgebenden Fläche und das Motiv des ‘Halbaktes’ legen ersteres nahe (s.u.). Die Figur schaut über ihre linke Schulter zurück und wendet bei völlig flächig belassenem Körper, bei dem keinerlei Torsion die Wendung des Kopfes begleitet, das gesamte Haupt nach links. Die schon bekannte Gesichtsscheibe

715 Noch deutlicher in einer anderen Version des Holzschnittes (Dube H 209 1 I), in der Kirchner das Rosa über die Konturlinien und Haarflächen der Akte druckt. 210 klappt auch bei Kirchner einfach nach links und offenbart, hinterfangen von dunkler Haarkalotte, die zuvor bei Heckel beschriebene Physiognomie. Bei den druckgraphischen Medien des Holzschnitts und der Radierung716 ergänzen sich das Medium und die Negierung von Plastizität im letztendlich zweidimensionalen Kunstwerk. Im ursprünglichen Kontext stellte eine solche Gesichtsabbreviatur allerdings den größtmöglichen Widerspruch zwischen Medium und Gegenstand dar. Wie zuvor ausgeführt, zeigt nämlich die Photographie der Kirchnerschen Skulpturen in seinem Atelier [Abb. 8], daß die Gesichtsscheibe aus dem Bereich der Skulptur abgeleitet wird. Die Gesichtszüge des Bildwerkes sind nicht plastisch ausgearbeitet, sondern Augen, Nase und Mund sind mit graphischen Mitteln ergänzt. Eine schwarze Konturlinie und die Haarkalotte rahmen das Antlitz. Kirchner sollte später eine solche farbig- graphische Gestaltungsweise im skulpturalen Medium folgendermaßen beschreiben: „Es gibt aus früher Zeit Figuren […] bei denen die Bemalung direkt Form erzeugt. Es gibt Köpfe, bei denen, um die große Form nicht zu unterbrechen, Augen und Mund aufgemalt sind.“717 Seine Bemalung dieser Skulptur scheint die Lösungen des linken Aktes in Heckels Zwei sitzende Frauen und die der rechten Frau in Badende zwischen den Steinen initiiert zu haben. Für Kirchner und Heckel verkörpert im Holzschnitt diese Gesichtsgestaltung bestmöglich die Durchdringung von menschlichem und hölzernem Akt. Sie lösen die Gesichtsscheibe aus dem ursprünglich skulpturalen Kontext heraus und setzen sie zur Verdeutlichung ‘hölzerner Menschen’ auch in den zweidimensionalen Medien ein.718

2.3. Die Skulpturen Kirchners und Heckels

Heckel und Kirchner haben möglicherweise 1912 auf Fehmarn auch Skulpturen geschaffen. Nachweisbar, wenn auch nicht erhalten, sind diese allerdings nur für Kirchner.719 Eine gezeichnete Postkarte an Otto Mueller vom 2. August 1912

716 Vgl. bspw. Heckels Kaltnadelradierung Frauen am Strand, 1912, D 103. 717 Marsalle, 1925, S. 696. 718 Aus dem Jahr 1910 stammt Heckels Zwei Mädchen am Wasser [Abb. 134]. Das Ölbild schildert ein sitzendes, dem Betrachter den Rücken zuwendendes Mädchen und eine seitlich Hockende. Diese scheint gleichsam die ‘ältere Schwester’ von Heckels Skulptur der Hockenden zu sein. Längst noch nicht so gedrängt ist die Körperlichkeit des gemalten Aktes, die Torsion kaum vorhanden und auch der Arm ist nicht hinter den Kopf geführt. Das Gesicht weist jedoch bereits auf die Gesichtsscheibe hin, wie sie Heckels und Kirchners besprochene Figuren in Skulptur und Graphik kennzeichnet. Ist es ein Zufall, daß das Bild während des letzten gemeinsamen Moritzburg-Aufenthalt von Heckel und Kirchner entstanden ist? (Vgl. Geissler, 2000, S. 44.) Die Vorstufe der späteren Chiffre für künstlerische und menschliche Harmonie entsteht gerade in jenem Kontext, in dem die Künstler das natürliche Leben in freier Natur erprobt und schätzen gelernt hatten. Vgl. auch den Holzschnitt gleichen Themas D 219. 719 Belegbar ist Heckels Schaffen von Skulpturen am Strand für die Ostseeaufenthalte 1915–1917 in Osterholz. Vgl. Wietek I, 1984, S. 90. 211 und die Bleistiftzeichnung Blumenstrauß mit zwei Plastiken [Abb. 129, 130] dokumentieren, daß es mindestens zwei Stücke waren. Von einer weiteren berichtet Kirchner, daß sie unfertig geblieben sei. „Sie liegt wahrscheinlich noch heute in Fehmarn am Strand. Ich wollte 1912 eine Tänzerin machen und fand in Fehmarn zufällig ein Stück Holz, das für sie passte, ich zeichnete nur die Stammform auf. Ich komponierte und zeichnete die Figur hinein.“720

Am 9. August 1912 strandete vor der Küste Staberhuks, dem Südostzipfel der Insel, ein Schiff. Dessen Holz war über ein Jahr der Witterung ausgesetzt gewesen, als es Kirchner bei seinem Aufenthalt 1913 für sich entdeckte. „Kirchner schwamm oft hinaus, um sich Eichenbohlen zu holen, die sich besonders gut zum Schnitzen eigneten.“721 Er schuf daraus vor Ort einige Schalen [Abb. 131] und Kleinskulpturen sowie mit Halbakt mit Hut, Rückschauende und Frauenkopf – Kopf Erna [Abb. 16, 36, 42] mindestens drei größere Werke. Vermutlich ist auch Tänzerin mit erhobenem Bein [Abb 61] aus diesem Holz entstanden, da sie in Material und Bemalung der Rückschauenden verwandt ist. Sie könnte in Berlin aus einem der Holzstücke entstanden sein, die Kirchner von Fehmarn mitzunehmen beabsichtigte: „Dazu wird das Eichenholz von dem gestrandeten Schiff immer verlockender für Plastiken. Ich muß ein paar Stücke unbehauen mitnehmen; denn die Zeit drängt und die Tage werden immer kürzer. Ich mache augenblicklich ein paar Holzschalen.“722

Bei den dargestellten Modellen Heckels und Kirchners handelt es sich im Sommer 1912 sehr wahrscheinlich um Sidi Riha, Erna Schilling und die Töchter des Leuchtturmwärters, bei dem die Künstler Quartier genommen hatten.723 Für den Sommer 1913 ist zumeist Erna Schilling das Modell für Kirchners Skulpturen.

2.3.1. Kirchner

Der Frühling 1913 brachte für Kirchner und seine -Kollegen eine einschneidende Veränderung. Die übrigen Mitglieder fühlten sich durch Kirchners Text der -Chronik, in der er seine eigene Person und sein eigenes Werk in den Mittelpunkt gerückt hatte, zurückgesetzt. Aus Uneinigkeit darüber trat Kirchner aus, und man beschloß die Auflösung der Künstlergruppe.

720 Rückseitige Beschriftung einer Skizze zu Skulptur [Abb 19]. Zit. nach: Henze, 1997, S. 28. 721 Zit. nach: Reinhardt, 1997, S. 40. 722 Entwurf eines Briefes Kirchners an Hans Geweke, einen seiner Schüler, vom 24. September 1913. Geschrieben in ein Skizzenbuch während seines Aufenthaltes auf Fehmarn. Zit. nach: Gerlinger II, 1997, S. 59. 212

Dies wurde den passiven Mitgliedern mit Datum vom 27. Mai 1913 schriftlich mitgeteilt. Diese Ereignisse und Erlebnisse dürften Kirchner auch im Verlauf des Sommers noch beschäftigt und als Hintergrundmelodie während des Fehmarn-Aufenthaltes mitgeklungen haben. Das Scheitern einer utopischen Vorstellung von dauerhafter künstlerischer und menschlicher Gemeinschaft spiegelt die veränderte personale Zusammensetzung, in der Kirchner seinen Sommeraufenthalt 1913 auf Fehmarn verbringt. Als wollte er den dahingehenden Traum noch nicht aufgeben, begleiten ihn anstelle der -Freunde724 1913 seine Schüler des MUIM-Instituts Hans Gewecke und Werner Gothein nach Fehmarn.725 Analog zu den zuvor angeführten photographischen Nachweisen der Motiventstehung im Atelierkontext läßt sich eine dergestalte Verbindung von Kunst und Leben auch in der Natur feststellen. Einer Photographie Kirchners [Abb. 132], in der er Badende in der Ostsee auf Fehmarn festhält, kann man entnehmen, wo die motivische Motivation der ‘Kniestücke’ der Fehmarn- Sommer herrührt. Das Bild zeigt eine bis über die Knie in den Wellen stehende nackte Frau mit abgespreizten Armen. Das Motiv hat viele Bildlösungen in der

723 Vgl. Gerlinger, 1997, S. 15. 724 1912 folgte nach Heckels später noch ein Besuch Pechsteins. 725 Vgl. Reinhardt, 1997, S. 38f. Eine solche Gemeinschaft mit gegenseitiger künstlerischer und menschlicher Bereicherung initiiert Kirchner erneut ab 1924 in der Schweiz. In seinem Haus in Davos-Frauenkirch versucht er Vergleichbares mit Albert Müller (1897–1926) und Hermann Scherer (1893–1927) zu realisieren. Beide waren auch von Kirchners Werdegang dazu angeregt worden, mit Paul Camenisch eine Künstlergruppe nach dem Vorbild von zu gründen. Zwar hatte die Gruppe Rot-Blau wegen des frühen Todes von Müller und Scherer nur für wenige Jahre Bestand, sie erfüllte so allerdings eine Zeitlang Kirchners Bedürfnis nach einer neuen Künstlergemeinschaft. Ein Großteil der Skulpturen Scherers und Müllers entstand während ihrer Besuche in Frauenkirch. Photos dieser Aufenthalte zeigen die große Verwandtschaft, die ihre Werke mit denen des Älteren aufweisen (vgl. bspw. Skulptur des Expressionismus, 1984, Abb. 7, S. 111). Die künstlerische Entwicklung Müllers weist mit derjenigen Kirchners große Parallelen auf, er ist wie dieser beispielsweise bildhauerischer Autodidakt. Auch Scherer verläßt nach der Begegnung mit Kirchners Werk (1923) die akademische Bildhauerei und schafft im folgenden Jahr seine erste Skulptur unter dem unmittelbaren Einfluß Kirchners. Kirchner setzt dieser künstlerischen und menschlichen Freundschaft in einem Holzschnitt (Dube H 552), einem Gemälde (G 763) und der Skulptur Die Freunde, die Müller und Scherer darstellt, 1924/25 ein lebensgroßes Andenken. Allerdings zeigt sich auch an diesem Beispiel, wie ambivalent die gesuchte Gemeinschaft von Kirchner zeitweilig empfunden wurde. Nach dem Erfolg, den die große Rot-Blau-Ausstellung im April 1925 in Basel hatte, befürchtete Kirchner wohl, daß die die jungen Künstler inspirierende Quelle seiner Bildhauerei nicht ausreichend gewürdigt werden könnte. Am 17. April 1925 schreibt er an Grohmann: „Mein Freund de M. mahnt mich, daß es an der Zeit wäre, meine Plastiken zu veröffentlichen. Das stimmt mit Ihrer Meinung überein, aus historischen Gründen meine Figuren vor denen der von mir angeregten Schweizer Bildhauer zu veröffentlichen.“ (Zit. nach: Davoser Tagebuch, 1997, S. 251.) Unmittelbar im Anschluß verfaßte Kirchner unter seinem Pseudonym den Aufsatz Über die plastischen Arbeiten von E. L. Kirchner in der Zeitschrift Cicerone, der die erste ausführliche Publikation seiner bildhauerischen Arbeiten darstellte (Marsalle, 1925). 213

Malerei und Graphik geprägt.726 Bereits der rechte der Akte im Holzschnitt Badende Frauen zwischen weißen Steinen weist diese Figurgestaltung auf. Im Holzschnitt bedeckt eine große Farbfläche die untere Hälfte der Beine und legt die Identifizierung mit Wasser nahe. Auch bei der Skulptur Halbakt mit Hut [Abb. 16] greift Kirchner auf diese Lösung zurück. Eingedenk der vorangegangenen Herleitung scheint auch das Holzbildwerk eine bis zu den Knien im Wasser stehende Frau zu zeigen. Der große Hut, den die Figur trägt, legt es nahe, die Dargestellte mit Erna Schilling zu identifizieren, da sie einen solchen Hut in vielen von Kirchners Arbeiten trägt.727 Das gemeinsame Erleben des Sommers 1912 mit Heckel scheint in Halbakt mit Hut eine letzte Würdigung zu erfahren. Die Formung des Gesichts ist eine plastische Wiederaufnahme des Gesichtstypus des vorangegangenen Jahres. Ganz die Gesetzlichkeiten des Holzschnitts paraphrasierend, hat Kirchner in diesem Antlitz und einmalig in seinem plastischen Werk die Gesichtsilhouette als erhabene Stege ausgearbeitet. Die herzförmige Umrißlinie läuft an der Wurzel mit der ebenfalls stegförmig gearbeiteten Nase zusammen (vgl. die Physiognomien der Heckelschen und Kirchnerschen Holzschnitte). Der übrige Teil des Gesichts folgt ebenfalls den Gestaltungskriterien des Holzschnittes. Außer dem Mund und den Augen höhlt Kirchner das übrige Gesichtsfeld aus. Aus sonst konvexen Wangen werden Hohlformen, wie sie in Badende Frauen zwischen weißen Steinen und Zwei sitzende Frauen vorgebildet sind. Auch der übrige Körper zeigt, besonders in der Gegenüberstellung mit den anderen Skulpturen dieses Sommers – der Rückschauenden und dem Frauenkopf – Kopf Erna [Abb. 36, 42] –, Anklänge an die Frauentypen des vorangegangenen Jahres. Beide Figuren zeichnen sich durch starke geometrische Abstrahierung und kraftvolle, bewegte Formensprache aus. Die Linien des Halbakts mit Hut jedoch entsprechen eher den weichen, fließenden Silhouetten des Vorjahres, wie sie beispielsweise die mittlere Figur in Badende Frauen zwischen weißen Steinen zeigt. Mit ihrem Hut, vor allem aber durch ihre geschwungene Taillen-, Hüft- und Oberschenkellinie, wirkt die Skulptur wie die Vorderansicht des Rückenaktes aus Kirchners Holzschnitt. Die glatte Oberflächengestaltung und ruhige Formensprache des Körpers konzentrieren, analog des motivischen Vorbildes (vgl. Photo), allen Ausdruck auf den Oberkörper mit den erhobenen Armen und das Gesicht. Beide Arme sind eng am Körper zum Kopf geführt und an Wange und Kinn ans Gesicht gelegt. Die Gesichtsphysiognomie wird durch die Rahmung der Hände, der Haare und des Hutes optisch vom übrigen Körper losgelöst. Daher wirkt es so, als halte sich die Figur mit beiden Händen eine

726 Mit der etwas ungelenken und steifen Armhaltung charakterisiert Kirchner beispielsweise die Hölzernheit seiner Ins Meer Schreitenden (G 262). Vgl. außerdem Dube H 222. 214

Stockmaske vor das Gesicht und als wolle Kirchner so bewußt auf den formensprachlichen Rückgriff auf 1912 hinweisen. In Umkehrung des ursprünglichen Vorgangs, in dem die Künstler skulpturale Formensprache aus ihrem angestammten Kontext herausgelöst und in das graphische Medium überführt hatten, gliedert Kirchner jetzt die ‘Gesichtscheiben-Maske’ dem plastischen Formvokabular wieder ein. Allerdings erweitert er sie nun um Merkmale, die dem Bildträger des graphischen Mediums, dem Druckstock und seinen Graten, zugehörig sind.

2.3.2. Heckel

Aus dem gleichen Jahr wie Kirchners Halbakt mit Hut stammt Heckels Badende mit Tuch [Abb. 133]. Die 52 cm hohe gesockelte Skulptur aus Ahornholz stellt eine nackte stehende Frau dar, die durch ein herabhängendes Tuch in ihrer rechten Hand als Badende identifizierbar wird.728 Dieses Bildwerk bildet meines Erachtens Heckels inhaltliches Äquivalent zur Kirchnerschen Beschwörung künstlerischer und menschlicher Harmonie, der dieser 1913 in Halbakt mit Hut Gestalt verleiht. Nach Kirchners Einführung der Gesichtsscheibe in das bildhauerische Formenrepertoire fand es Aufnahme in Heckels Malerei (Zwei Mädchen am Wasser, 1910 [Abb. 134]), und in plastisch noch abgemilderter Form in seine Hockende. Diese spezielle Physiognomie hat dann in den zuvor vorgestellten Werken der Druckgraphik 1912 ihre stärkste Ausprägung erfahren. Im Anschluß daran führt auch Heckel wie Kirchner die druckgraphischen Elemente dieser Gestaltung zurück in die Skulptur. In Badende mit Tuch zeigt der zur rechten Schulter geneigte Kopf die nunmehr bekannten Merkmale der flachen Nase, des schmalen Mundes und der schmalen Augen sowie der kubisch behauenen Haarkalotte in schwarzer Bemalung. Nach der weniger ausgeprägten Vorstufe erhält die Gesichtschiffre in dieser Figur die größtmögliche Zuspitzung in Heckels gesamtem bildhauerischen Werk. Besonders deutlich ist die Weiterentwicklung bei Stirn und Nase festzustellen. Der Nasenrücken, der in der Hockenden noch angedeutet war, verschwindet nun ganz. Die Nase wird so zur flächigen Dreiecksform abstrahiert. Wie Kirchner negiert auch Heckel die Einkerbung der Nasenwurzel. Zugunsten der linear-graphischen Qualität verzichtet Kirchner auf die Angabe einer flächigen Stirn und entledigt sich dieser durch den Hut, den er den Halbakt tragen läßt. Heckel dagegen betont gerade diese Flächigkeit, indem er die Nasenfläche in die vom Haar eckig

727 Vgl. beispielsweise Abbildung in: Kirchner, Fehmarn, Kat. 55, S. 122. Außerdem Badende zwischen den Steinen, 1912, G 256, Abb. aus: Grisebach I, 1999, S. 78. 728 Vgl. zur Badenden mit Tuch meine Ausführungen im Kapitel II.C.2.1.1. 215 gerahmte Stirn übergehen läßt. Durch die Haarrahmung und die scharfen Kanten, mit denen die Augen eingeschnitten sind, sowie die nahezu rechtwinklig sich über Mund und Wangen erhebenden Nasenflügel werden Nase und Stirn zu einer Scheibe zusammengefaßt, die dem Rest des Gesichts zur Hälfte aufgelegt ist und die gesamte Physiognomie prägt. Ein Vergleich mit dem linken Akt in Zwei sitzende Frauen [Abb. 126] zeigt die gleiche Formensprache. Wie dort legt die Badende ihren Kopf auf die rechte Schulter, und wie dort wird die Stirn von einer schwarzen Haarkalotte eckig gerahmt. Bemerkenswert ist jedoch die gleiche Verbindung von Nase und Stirn, die sich sogar noch deutlicher im Holzschnitt Vorm Bad [Abb. 128] diagnostizieren läßt. Auch dort verläuft eine, an der Nase rechtwinklig umbrechende, Linie von einer Braue zur anderen und weist damit Nase und Stirn als gemeinsame Fläche aus. Heckel extrahiert die Gesichtsgestaltung dieser Blätter in die Skulptur. Dabei behält er das Primat der Fläche im plastischen Medium bei. Während Kirchner in seiner Figur des Halbakts mit Hut eher die Hochdruck-Merkmale des Druckstocks mit seinen Stegen aufnimmt bzw. deren bildlichen Niederschlag in den gedruckten schwarzen Linien, hat Heckel nicht das Ausgangsmaterial, sondern das Ergebnis des Holzschnittes in die Badende mit Tuch aufgenommen. Der ausgehöhlte Teil des Druckstocks, d.h. der sich im Werk als Fläche darstellende weiße Bereich, wird in die Skulptur aufgenommen und dort ebenfalls als flächiges Formelement eingesetzt. Mit Recht gilt die Badende mit Tuch „in ihrer sublimierten Erotik sicher [als] eine der anmutigsten Figuren Heckels“729. Diese Wirkung erzielt die Skulptur nicht zuletzt durch die lyrische Gestimmtheit ihres Gesichtes. Die Versonnenheit und das Nach-innen-gewendet-Sein, das Heckel durch die Kopfneigung ausdrückt, steigert sich noch in der Skulptur der Frau mit Tuch [Abb. 22]. Der in flacher Gesichtsphysiognomie typisierte, kubisch behauene und zum Zeichen innerer Anteilnahme auf die Schulter gelegte Kopf der Frau mit Tuch veranschaulicht, wie weit Heckel die Konzentration auf Kopf und Gesicht als Ausdrucksträger von der Hockenden über die Badende mit Tuch bis zu dieser Figur steigert.730 Bereits bei Kirchners Halbakt mit Hut wurde auf die Wirkung hingewiesen, die die Formvereinfachung des Körpers auf die Aussagekraft des Gesichtes hat. Dazu sei hier beispielhaft Schmidt-Rottluff zitiert:

729 Wietek I, 1984, S. 89. 730 In Gestus und geneigtem Haupt verkörpert die Figur eine derart starke innere Versunkenheit, daß sie verschiedentlich und nicht zu Unrecht auch als „tiefempfundene Trauernde“ (Reidemeister, 1984, S. 114) beschrieben wurde. Es scheint, als habe die Figur ihren ikonographischen Ursprung in den gotischen geschnitzten Marien. In der Reduzierung von Körper- und Formensprache bei gleichzeitiger Wahrung von Gegenwartsgebundenheit läßt Heckel seine Figur jedoch weit über diese hinausgehen. 216

„Ich bin verschiedentlich zu einer Steigerung der Formen gekommen, die zwar den naturwissenschaftlich gefundenen Proportionen widerspricht, die aber in ihren geistigen Beziehungen ausgeglichen und proportioniert ist. Köpfe habe ich oft im Verhältnis zu den anderen Körperformen ins Ungeheure gesteigert, als einen Sammelpunkt aller Psyche, allen Ausdrucks. Aber alle anderen Körperformen tendieren in ihren geistigen Bewegungen nach dem Kopf, sammeln sich darin und so wächst die Form ganz von selbst ins Große.“731

In der Figur der Frau mit Tuch scheint alles auf den Kopf ausgerichtet. Über einer plinthenartigen Scheibe erhebt sich eine etwas über 1 m hohe Gewandfigur. Sie ist eine der wenigen ‘bekleideten’ Skulpturen Heckels. Nur aus seinem Frühwerk ist uns mit seiner Kleinen Stehenden von 1906 [Abb. 23] ein weiteres Beispiel überliefert. Es handelt sich allerdings nicht um richtige Kleidungsstücke, sondern hier wie dort sind die Akte in große Tücher eingehüllt. Über den eng beieinander stehenden, parallelen Füßen ist der gesamte Körper bis zur Brust unter einem Tuch verborgen, das die Frau mit beiden Händen an der rechten Schulter festhält. Lediglich die Arme und die linke Schulter zeigen eine Hautoberfläche. Der scheinbar unmittelbar unter der Rinde des Akazienstammes gebildete Körper, die Gewandfalten, die nach oben geführten Arme und Hände, sogar die Trockenrisse scheinen auf den Kopf hin zu laufen. Möglicherweise hatte Kirchner bei der Armgestaltung seines Halbakts mit Hut Heckels Frau mit Tuch vor Augen. Hier wie dort sind die Arme derart eng am Körper zum Kopf geführt und die Hände ans Gesicht gelegt, daß die Silhouetten kaum oder sogar überhaupt nicht unterbrochen werden, um die Konzentration auf das Haupt nicht zu gefährden. Der Kopf mit der Rahmung durch die schwarzen Haare wirkt infolge des extrem schmalen Körpers übergroß. Diese Proportionsverschiebung beschreibt auch Kirchner unter seinem Pseudonym Louis de Marsalle später für sein eigenes Werk: „Er [Kirchner, Anm. d. Verf.] lernt die Veränderung der Proportion in den Dienst der Komposition stellen. So wirken die ‘Freunde’ riesengroß, trotzdem sie nur 175 cm Höhe messen, weil sie überlebensgroße Köpfe messen.“732 Mit den großen, mandelförmigen Augen unter tief eingekerbten, geschwungenen Brauen und der ausgeprägten Dreiecksform der Nase weist die Physiognomie Merkmale auf, die wir, wie dargelegt, in Hockende und Badende mit Tuch wiederfinden. Aufgrund des Mundes, der hier bereits mit großen wulstigen Lippen gestaltet ist, und der fehlenden Flächigkeit der Gesichtskomponenten, die zudem deutlich voneinander geschieden sind, möchte ich eine Entstehung nach der Hockenden des gleichen Jahres vermuten.

731 Schmidt-Rottluff in einem Brief an Schiefler vom Dezember 1913. Zit. nach: Wietek II, 1984, S. 173. 732 Marsalle, 1925, S. 696. 217

Die vorgeschobene untere Gesichtshälfte, eine Augengestaltung, die plastisch und farblich sorgfältig zwischen Unterlid, Augapfel und Oberlid differenziert, und eine tiefe Kerbung der Nasenwurzel zerlegen die vorangegangene Gesichtsscheibe wieder in ihre autonomen Einzelkomponenten. Heckels Gestaltung der Physiognomie in Frau mit Tuch zeigt eine Formensprache, die einerseits noch den Kirchner und ihn verbindenden Werken zugehörig ist und die meines Erachtens eine letzte Reminiszenz Heckels an den gemeinsamen Sommer darstellt, die jedoch andererseits bereits auf die zunehmenden Unterschiede in der bildhauerischen Arbeit hinweist. Besonders bezüglich der Augen weist die Frau mit Tuch auf Heckels nachfolgende Skulpturen des Stehenden Mädchens mit aufgestütztem Kinn, 1912 und der Frau, 1913/14 [Abb. 3, 135] voraus.733 Während die Badeszenen des Jahres 1912 mit ihrer heiteren Grundstimmung eher die Anrufung der Gemeinsamkeiten verkörpern und als Reminiszenz an das unbeschwerte Lebensgefühl der Dresdener Jahre zu verstehen sind, klingt in Gläserner Tag [Abb. 136] eine andere Befindlichkeit an. Die nachdenkliche Versonnenheit der Badenden mit Tuch und der Frau mit Tuch, die als Badende beide dem gleichen Kontext wie der Akt des Gemäldes zugehörig sind, zeigt Heckel hier nicht im Gesicht der Figur, sondert dehnt sie atmosphärisch auf das gesamte Gemälde aus.734 Die splittrige Formensprache, die dieses Moment in der Physiognomie der Frau mit Tuch bereits ankündigte, wird hier endgültig virulent. Das Bild thematisiert die Einheit von Mensch und Natur nicht mehr als extrovertierte, vitalistische Lebensbejahung, sondern vielmehr „als einen magischen Moment des Innehaltens“735. Heckel läßt die Figur, deren hölzernen Charakter er gegenüber den Akten aus Szene am Meer (Badende) noch um ein Vielfaches gesteigert hat, im Augenblick des Ins-Wasser-Schreitens, bis zu den Knien im Wasser stehend, verharren. Die hocherhobenen Arme und die zu Fäusten geballten Hände schließen die Umrißlinie des Aktes gegen die umgebende Natur ab und vermitteln so nicht mehr das Gefühl eines existentiellen Einklanges von Mensch und Natur. „Wie festgefroren steht das Mädchen im Wasser – mit Leichtigkeit bewegt man sich in dieser Landschaft nicht.“736 Die eckige und ungelenke Formensprache scheint gleichermaßen von Holzschnitt und Skulptur beeinflußt zu sein. Spiegelungen, Reflexe und Brechungen werden in kristallinen Dreiecksformen geschildert, die

733 Allerdings müßte gefragt werden, ob Frau mit Tuch (1912) und Frau (1913/14) aus stilistischen Gründen nicht ins gleiche Jahr zu datieren sind. 734 Passenderweise ist das Gemälde rückseitig mit Badende am Meer bezeichnet. Vgl. Vogt, 1965, 1913/21. 735 Geissler, 2000, S. 48. 736 Hegewisch, 1983/84, S. 36. 218 gleichermaßen den Akt wie die umgebende Natur überziehen. Mensch und Natur werden den gleichen Gestaltungsmerkmalen unterworfen. Himmel, Erde, Wasser und Mensch sind zwar noch zu einer Einheit verschmolzen, blaue Wasserspiegelungen überziehen sogar das Braun des Aktes, dennoch sind die einzigen runden Formen im Bild die des Umrisses der Badenden. Der verbindende Einsatz der Farbe wie Szene am Meer (Badende) ändert sich, und die weiche Linienführung weicht winklig gesetzter, gerader Strichführung. Mit Gläserner Tag malt Heckel nicht mehr einen tatsächlich naturverbunden-natürlich gelebten Augenblick, sondern die Vision eines kosmischen Einklangs von Mensch und vergeistigter Natur, bei der die ursprünglich positiv besetzten Chiffren bedrohliche Züge erhalten. In der Rundung des Bauches, die wir noch aus anderen Skulpturen kennen, die aber besonders prominent in der Badenden mit Tuch zu erkennen ist, und in den zum schwarzen Schopf erhobenen Armen läßt Heckel die Skulptur-Formen des harmonischen Vorjahres-Sommers noch einmal anklingen, weist aber in der Gestaltungsweise der Umgebung auf die seitdem eingetretenen Veränderungen menschlicher und künstlerischer Natur hin.

219

V. Ausblick

Die Skulptur von Heckel und Kirchner scheint heute aktueller den je, nachdem zu Beginn der 80er Jahre eine neue Welle expressiver Kunst geschaffen wurde. So haben die sogenannten Neuen Wilden das Interesse am historischen Expressionismus wiederbelebt. Die bildnerischen Arbeiten eines Baselitz, Lüppertz, Josef Felix Müller, Karl Manfred Rennertz oder Stephan Balkenhol wären ohne die plastischen Errungenschaften speziell des - Expressionismus nicht denkbar.

Wie Heckel und Kirchner zeichnen Künstler wie Markus Lüppertz (*1941) und Georg Baselitz (*1938) ihre unkonventionellen bildhauerischen Verfahren aus. Auch ihre Werke sind geprägt von einer Akzentuierung der subjektiven Gestaltungsspuren und von unkonventionellem Umgang mit den bildhauerischen Techniken. Weitere Parallelen sind der unbefangene Einsatz der Farbe und das Erwählen des figürlichen Themas. Allerdings ist die Figur hier nicht, wie es bei den Expressionisten trotz maßvoller Abstraktion immer der Fall ist, als Schilderung eines menschlichen Körpers zu verstehen, sondern primär als formaler Anlaß für experimentell erkundete Massen-, Flächen- und Farbrelationen [Abb. 137]. Deshalb erhalten die Spuren der Bearbeitung bildnerische Autonomie, die über diejenige von Heckel und Kirchner hinausgeht, und zeugen von einer kraftvollen, fast gewaltsamen Herausarbeitung der Figur aus dem Block. Dabei entsteht die Form aus intensivem Dialog mit dem Material und unter Berücksichtigung von dessen Grenzen, die zuweilen sogar die Intention des Künstlers dominieren: „Bei der Arbeit an meinen Skulpturen habe ich ein einziges Handicap, das ist meine handwerkliche Ungeschicklichkeit, meine Unbeherrschtheit. Infolgedessen bin ich meinem Material gegenüber immer etwas ausgeliefert und verhalte mich ihm gegenüber kriegerisch. Meine Vorstellung ist immer ganz klar, nur das Material zwingt mir ganz bestimmte neue Dinge auf, die ich nicht gewußt habe, die ich erst am Material erfahre. […] So ist der Arbeitsprozeß selbst wichtig, auch für die Inspiration.“737

In Heckels Trägerin, in Kirchners Kauernder, in der überarbeiteten Form seiner Badenden sind Anzeichen einer Autonomie der Farbe zu erkennen. Diese

737 Markus Lüppertz. Zit. nach: Raumbilder in Bronze. Per Kirkby, Markus Lüppertz, A. R. Penk. Ausstkat. Bielefeld 1986, Bielefeld 1986, S. 101. 220 entwickeln Baselitz und Lüppertz weiter, so daß ihr abstraktes Farb- und Formsystem nicht länger der plastischen Vorgabe folgt, sondern einen von den Kerben und Facetten des Skulpturenkörpers unabhängigen Rhythmus kreiert, worin sich die Dialektik von Plastizität und Fläche zeigt. Entgegen der bewußten Reibung an tradierten Themen der Bildhauerei, für die Baselitz die von Heckel und Kirchner entwickelten plastischen Erkenntnisse fruchtbar macht, ist das Sujet der hölzernen Skulpturen Karl Manfred Rennertz’ (* 1952) – analog den Älteren – fast ausschließlich der Mensch [Abb. 138]. Er erscheint als lebensgroße Figur oder Büste und ist stets vollplastisch aus einem Stück gearbeitet. Nicht nur die Berücksichtigung der Materialästhetik des Holzes, sondern auch der Einsatz von Farbe weist ihn als künstlerischen Erben der Expressionisten aus. Äußerungen Rennertz’ aus den 1970er Jahren zu seinen Skulpturen – „Ich schreibe ihrem Wesen Eigenschaften zu, die meiner Erinnerung entstammen“738 – klingen wie das Credo Kirchners und Heckels, in ihren Skulpturen nicht die reale Erscheinung abzubilden, sondern im konkreten Erlebnis gewonnene Formen von Dauerhaftigkeit zu erschaffen. Während Rennertz seine Skulpturen allerdings Lisa und Birgit betitelt, gehen Kirchner und Heckel in ihrem plastischen Werk noch weiter, und aus den Dodos und Sidis in der Malerei und Graphik werden in der Skulptur schlicht Stehende, Liegende, Hockende. Auf diese Weise entstehen Holzbildwerke, die die spezifischen Merkmale und Eigenschaften der dargestellten Personen im Spiegel des Erfahrens und Erlebens der Künstler abstrahiert wiedergeben. Den Heckelschen und Kirchnerschen Skulpturen ist deshalb nicht die Zufälligkeit einer Momentaufnahme eigen, vielmehr bergen sie in sich die Summe von Bewegungen und Veränderungen, die Konzentration vieler Augenblicke zu einem Bildwerk. Auch bei Josef Felix Müller (*1955) verfügen die dargestellten Frauen nicht über Individualität, sondern figurieren lediglich als Geschlechtssignifikanten. Schwarze Frau mit rotem Umhang, 1996 [Abb. 139], verdeutlicht dies durch ihre groben Gesichtszüge, ihre Haarlosigkeit und ihre vereinheitlichende schwarze Bemalung, die die traditionellen Attribute der weiblichen Attraktivität negieren und die Frau auf ihre Geschlechtlichkeit zurückwerfen. Der mit 189 cm überlebensgroße stehende Akt ist mit einem holzsichtig belassenen Umhang bekleidet, der die Figur von den Schienbeinen bis zum Hals einer Ellipse einbeschreibt. Die titelgebende rötliche Holzoberfläche weist an manchen Stellen Reste von Rinde auf, die den Ursprung im Stamm nachvollziehbar bleiben lassen, zugleich aber die umhüllende Funktion verstärken, so als sei die Rinde die schützende Hülle der „im Block geschlossenen Form“.

738 Rennertz. Zit. nach: Rennertz, 1980, S. 1. 221

Durch die Wiederaufnahme des im ersten Kapitel der vorliegenden Studie verwendeten Zitates soll auf die Verwandtschaft hingewiesen werden, die zwischen der inhaltlichen und formalen Auffassung Müllers und derjenigen der Expressionisten besteht. Schwarze Frau mit rotem Umhang weist eine frappierende Ähnlichkeit mit Heckels verschollener Skulptur der frühen Kleinen Stehenden [Abb. 23] auf.739 Letztere ist eine der ersten plastischen Arbeiten von Heckel, während erstere gleichsam ihre neunzig Jahre jüngere ‘Tochter’ ist und aus den künstlerischen Fragestellungen unserer Tage erwächst. Die Kleine Stehende von 1906 zeigt einen etwa 20 cm hohen stehenden weiblichen Akt mit voluminöser Haarkalotte, der in ein teilweise herabgeglittenes Tuch gehüllt ist. Mit ihrer schlanken Gestalt und der geschlossenen Silhouette ist die Figur eine deutliche Reminiszenz an die Frauengestalten des Jugendstils. Sie erscheint wie eine stilistisch weiterentwickelte jüngere Schwester der hieratischen Frauen aus Klimts Beethoven-Fries [Abb. 140], denen sie auch in der auffallenden Haarkalotte und der Bekleidung mit tuchartiger Gewandung gleicht. Gleichzeitig weist sie auf Heckels plastisches Werk voraus und zeigt mit ihrer ‘Reminiszenz an den Ursprung im Stamm’ bereits Merkmale, die, wie darzustellen versucht wurde, auch die weiteren Skulpturen Heckels charakterisieren sollten.740 Auffallend ist, daß beide, Heckel und Müller, mit der Gewandung auf das Material hinweisen und ihre Figur von den Schultern abwärts in eine gleich geartete ellipsoide Umhüllung einschließen, die in Korrespondenz mit der Nacktheit das Eingehüllt-Sein in den Stamm und das Sich-Entwickeln aus dem Stamm verdeutlicht. Beide Werke benötigen eigentlich keinen Sockel, da ihr Kleidungsstück zugleich Sockel ist und für die Kleine Stehende das gleiche gilt wie für die Schwarze Frau mit rotem Umhang: „In sich gekehrt und in sich ruhend stehen sie da, sich selbstverständlich in ihrer Würde behauptend. Eines Sockels bedürfen sie nicht, weil sie ihr Fundament in sich tragen.“741 Indem Müller seine Schwarze Frau von ihrem roten Umhang hinterfangen läßt, thematisiert er wie Heckel den emanzipatorischen Prozeß der Form vom Relief zur freiplastischen Ausarbeitung. So wie das Material die Form langsam zu enthüllen scheint, so setzen beide Künstler auch das Gewand ein. In beiden Stücken enthüllt es mehr als es verhüllt und präsentiert den weiblichen Körper ohne mythologische Chiffrierung in seiner geschlechtlichen Nacktheit. Kündet Heckels Kleine Stehende, in ein verführerisch eng anliegendes Gewand gehüllt, mit modischer Frisur und in selbstbewußter Attraktivität nach vorn schauend,

739 Die Figur selber kann Müller jedoch nicht gekannt haben, da sie in Photographien erstmals 2001 publiziert wurde. In: Henze, 2001, S. 88. 740 Vgl. Kapitel II.C.1.2. 741 Jackson, 1996, S. 95. 222 am Anfang des Jahrhunderts noch von der revolutionierenden Kraft, die der Sexualität beigemessen wurde, so zeugt am Ende des gleichen Säkulums die Schwarze Frau in rotem Umhang bereits wissend von der Gefährdung und Verletzlichkeit leiblicher Nacktheit.

Die aus der reichen Geschichte der Bildhauerei des 20. Jahrhunderts herausgegriffenen Beispiele zeigen exemplarisch die Kontinuität künstlerischer Themen und ihrer formalen Lösungen die – zu Beginn dieses Jahrhunderts aufgeworfen – an seinem Ende nichts von ihrer Relevanz verloren haben. 223

VI. Bibliographie

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Danksagung

Meinem Doktorvater Prof. Dr. Andreas Prater danke ich für die Bereitschaft, diese Arbeit zu betreuen und mit Interesse und Unterstützung zu begleiten. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Gerhard Hiesel für die freundliche Übernahme des Korreferats. Daneben bin ich Dr. Roland Scotti, dem Kurator des Kirchner Museums in Davos zu besonderem Dank verpflichtet. Seiner Informationsbereitschaft und kenntnisreichen Unterstützung sowie der großzügig gewährten Benutzung des Archivmaterials und der Bibliothek verdanke ich viele wertvolle Hinweise.

Danken möchte ich aber vor allem meinen Freundinnen und Freunden, die durch ihre kontinuierliche Unterstützung zum Fortschreiten dieses Projektes immens beigetragen haben. Allen voran Dr. Iris Konopik, Dr. Barbara Nierhoff und Marcel P. Oettrich M.A., deren persönliche und fachliche Unterstützung von unschätzbarem Wert für das Gelingen dieser Arbeit waren.

Meine Familie und vor allem meine Eltern haben mein Studium stets mit großer Anteilnahme verfolgt und nicht zuletzt durch generöse finanzielle Unter- stützung erst ermöglicht. Babbo & Sally sei diese Arbeit zum Dank gewidmet.

Studien zum bildhauerischen Werk von Über den „zwingenden Rhythmus der im Block geschlossenen Form“ bei Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner

Abbildungsteil (Vorschau)

zur Dissertation von Oliver Kornhoff

Die folgenden Seiten sollen lediglich als Orientierungshilfe dienen. Ebenfalls auf dem Freiburger Dokumentenserver FreiDok liegt ein separater Abbildungsband vor, der die Kunstwerke in besserer Auflösung, in größerem Format und mit Bildunterschriften vorstellt.

Abb. 1 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 2 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 2a (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 3 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 4 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 5 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 6 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 7 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 8 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 9 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 10 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 11 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 12 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 13 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 14 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 15 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 16 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 17 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 18 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 19 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 20 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 21 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) 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Abb. 96 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 97 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 98 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 99 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 100 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 101 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 102 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 103 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 104 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 105 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) Abb. 106 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.) 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Abb. 140 (Abb. in höherer Qualität sowie mit Bildunterschriften in separatem Abb.-Bd.)