Hessischer Städteatlas

Lieferung I,7

Michelstadt

Textheft

Herausgeberin: Ursula Braasch-Schwersmann

Bearbeiter: Ursula Braasch-Schwersmann und Holger Th. Gräf

Marburg 2005 Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde Ansicht von Michelstadt um 1600, Stich von Albert Hartmann im Stile Matthaeus Merians d. Ä., 1897, Stadtarchiv Michelstadt

Siegel der Stadt Michelstadt, 1612, Umschrift: CIVITATIS · MICHELSTAT · ANNO 1612, Durchmesser: 39 mm, Hessisches Staatsarchiv , Michelstadt, R 3 Nr. 8

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Gedruckt aus Mitteln des Landes Hessen

ISBN 3-87707-648-3

© Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg 2005

Druck: VDS Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt an der Aisch Inhalt I. Historischer Abriss

1. Anfänge des Ortes von der ersten gesicherten I. Historischer Abriss 3 Erwähnung 815 bis ins 14. Jahrhundert 1. Anfänge des Ortes von der ersten gesicherten Erwähnung 815 bis ins 14. Jahrhundert 3 Die ersten eindeutig auf Michelstadt im 2. Herausbildung der Stadt im 14. Jahrhundert und ihre Entwicklung bis zum 21. Jahrhundert 6 zu beziehenden Nachrichten weisen in das 9. Jh., 3. Jüdische Einwohner 14 hingegen sind angeblich frühere Belege weder zeit- 4. Bevölkerungszahlen vom Mittelalter bis zum genössisch noch gesichert. Die Erwähnung des Orts- 21. Jahrhundert 16 namens in einer Grenzbeschreibung der Mark Hep- 5. Wirtschaft, Gewerbe und Beschäftigungs- penheim entstammt nicht der datierbaren Fassung struktur in der Neuzeit 17 von 795, sondern den späteren Ergänzungen und 6. Heutige Stadtteile 18 Nachträgen einer sehr viel jüngeren Bearbeitung des 11./12. Jhs.1. Während diese Nachricht aus dem II. Siedlungstopographische Entwicklung Hochmittelalter zweifelsfrei Michelstadt im Oden- vom Mittelalter bis zum 21. Jahrhundert 19 wald betrifft, fehlen einer ebenfalls nur indirekt für 1. Früheste Entwicklung bis zum 9./10. Jahr- hundert mit Übergang zum 12. Jahrhundert 19 die Karolingerzeit überlieferten, erst zwischen etwa 2. 13./14. Jahrhundert, Weiterentwicklung 1145 und 1150 entstandenen Quelle mit einer sehr der Marktsiedlung 20 viel früheren Nennung aussagekräftige Angaben zur 3. Um 1400, Ausbau der Stadt und Errichtung genauen Lokalisierung: 741/42 schenkte Karlmann, der Stadtmauer 21 Sohn Karl Martells, dem ersten Würzburger Bischof 4. 16. Jahrhundert und Entstehung der Unteren Burkard eine nicht näher bezeichnete villa Michilstat 2 Vorstadt ab Mitte des 17. Jahrhunderts 23 ohne Hinweise auf ihre Lage 3. Die zweite Übertra- 5. Entwicklung nach 1751. Entstehung der gung eines gleichnamigen Ortes aus Königsbesitz Oberen Vorstadt und Bebauung vor dem bezieht sich dagegen eindeutig auf Michelstadt im Neutor ab 1773 25 6. Entwicklung bis 1865/76 26 Odenwald; der vermutlich wirtschaftliche, wohl aber 7. Zweite Hälfte 19. bis 21. Jahrhundert 27 auch militärische Stützpunkt der fränkischen Herr- scher, der in einem bereits von den Römern mit Kas- III.Erläuterungen zum Kartenwerk, Aufbau tellen besetzten und besiedelten Gebiet unweit des der Karten und Hinweise auf ihre Quellen 30 Odenwaldlimes und überregionaler Verkehrsverbin- 1. Katasterkarte 1865/76, 1:2.500 30 2. a) Umlandkarte 19. Jahrhundert (1832/50), 1:25.000 31 b) Umlandkarte 20. Jahrhundert (1984/85), 1:25.000 32 3. Entwicklung des Ortes vom Mittelalter 1 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 6a S. 278-282, bis 1865/76, 1:2.500 32 hier S. 280 linke Spalte. Zur Datierung der im Lorscher 4. Entwicklung der Stadt von 1865/76 bis 1991, Codex überlieferten Grenzbeschreibung LACHMANN, Früh- 1:5.000 34 mittelalterliche Marken S. 23, 25-26. 2 5. Stadtkarte 1991, 1:5.000 34 BENDEL, Vita sancti Burkardi S. VIII-XX, Lib. II, 3, 26 6. Übersichtskarte Hessen, 1:750.000 sowie XII, 40. Jüngere Textedition mit deutscher Überset- zung bei BENDEL/SCHMITT, Vita sancti Burkardi S. 54. Die Legende zur Katasterkarte, 1:2.500 35 Schenkungsurkunde Karlmanns von angeblich 741/42 ist nicht überliefert. Die Übertragung der villa bzw. des viculus IV.Gebäudeverzeichnis 36 quidam Michilstat nominatus an Burkard wird lediglich in seiner Mitte des 12. Jhs. verfassten Lebensbeschreibung er- V. Quellen und Literatur 41 wähnt. 1. Quellen 41 3 Gesicherte Belege über das Vorhandensein einer zweiten 2. Darstellungen 41 namensgleichen Siedlung neben dem 815 erwähnten Michel- stadt im Odenwald aus Reichsbesitz (siehe Anm. 4) fehlen für das 8. Jh. Zur anhaltenden Diskussion um die umstrit- VI. Abbildungen 43 tene Identifizierung des Ortes, an dem Burkard laut einer Vita des 12. Jhs. (siehe Anm. 2) nach einem unverwirklich- ten Plan eine Mönchsgemeinschaft ansiedeln und seinen Lebensabend verbringen wollte, zur weiteren Frage nach seinen persönlichen oder vielleicht an Würzburg übergegan- genen, vom Hochstift aber nicht nachweisbar erhobenen Besitzansprüchen hinsichtlich des Gutes sowie zu der sieben Jahrzehnte später erneut aus königlichem Bestand erfolg- ten, dieses Mal eindeutig Michelstadt im Odenwald betref- fenden Schenkung vgl. zuletzt: WAGNER, Frühzeit S. 128- 129; HARTMANN, Urkundliche Erwähnungen S. 50-53.

3 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

dungen lag, wurde zu Beginn des 9. Jhs. endgültig aus lauf der Mümling in der Nähe eines aus römischer der weltlichen Verfügungsgewalt des Königs und dem Zeit stammenden, von Worms über Bestand seiner Reichsgüter herausgelöst: 815 über- zum Limeskastel Eulbach nördlich von Michelstadt ließ der Sohn Karls des Großen, Ludwig der Fromme, führenden Verkehrsweges8 vom Rhein- in das - dem Vertrauten und Biographen seines Vaters Ein- gebiet, der allerdings für das mittelalterliche Fernhan- hard und dessen Gemahlin Imma locum qui vocatur delsnetz kaum Bedeutung besaß. Trotz der schwachen Michlinstat4 mit einer dort bereits vorhandenen höl- Anbindung an weiterführende Straßen behielt Mi- zernen Kirche5 sowie dem gesamten zugehörigen Ge- chelstadt über Jahrhunderte zentralörtliche Funktion. biet. Der Ort, namengebend für die im Umkreis von Der im 9. Jh. unter den Karolingern einsetzende 2 Leugen (etwa 4,4 km) anschließende, etwa 60 qkm Landesausbau erfasste auch den Odenwald, dessen große Mark, deren Grenzen die Überlieferung genau dichtes, bis dahin nur schwach besiedeltes Waldge- 6 beschreibt , lag inmitten dieses Bezirks in einer für biet zunehmend durch siedlungsräumliche und agra- 7 den Odenwald relativ fruchtbaren Region am Ober- rische Nutzung zu einer Kulturlandschaft entwickelt wurde. Die fränkischen Könige waren darum bemüht, durch gezielte Schenkungen Kirche und Adel in ihr Herrschaftssystem einzubinden und nach deren mate- 4 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 19, 815 Jan. 11, rieller Versorgung verschiedene, dem Reich nutzbrin- S. 299-300. Zur Förderung und Entwicklung des Ortes unter seinem neuen Grundherrn BEUTLER, . gende Gegenleistungen zu erwarten, zu denen neben 5 Die bisherige Forschung vertritt durchgängig die Meinung, finanziellen oder militärischen Unterstützungen auch 821 sei die Weihe eines auf Initiative anstelle der die Sicherung von Gebieten oder die Erschließung 815 (siehe Anm. 4) erwähnten hölzernen Basilika errichteten von Neuland gehören konnten, wie etwa die großen steinernen Kirchenneubaus vorgenommen worden, den er als 9 zweites Objekt neben seiner Gründung in betrie- Aufgaben zeigen, die dem Reichskloster Lorsch bei ben habe. FREISE, Geburtsjahr S. 32 Anm. 95, korrigiert der Kolonisation vor allem im rechtsrheinischen Mit- die Lesart der bislang falsch aufgelösten und daher fehlge- telgebirgsraum zukamen. Vor diesem Hintergrund deuteten Überlieferung in den Fuldaer Annalen, so dass sich bedeutet die Übergabe der Mark Michelstadt an Ein- die Annahme eines Neubaues in Michelstadt nicht mehr aufrecht erhalten läßt. Während PERTZ, Annales 1, S. 95; hard nicht nur einen persönlichen Gunstbeweis, son- PERTZ, Annales 3, S. 117* und KURZE, Annales S. 138, in dern muss in größeren Zusammenhängen gesehen ihren Editionen den Text zum Teil nicht buchstabengerecht werden, zumal um 800 in diesem Gebiet weitere Be- und zu frei aus dem stark beschädigten Original ergänzen, sitzungen aus Königshand und große Teile des Bann- konjiziert Freise unter Heranziehung der gesamten Hand- schriftenüberlieferung zu den Annalen dedicatio eccl[esiae] forstes sowohl an geistliche Institutionen wie an welt- [sancti] Micha[elis ? archangeli in cimite]rio octo[?nis colum- liche Würdenträger übergeben worden sind. nis] anstelle der bisherigen Auflösung Dedicatio ecclesiae Michilinstat in Odtonwald. Mit der Zuordnung der Notiz Durch die Entscheidung Einhards, seinen Alters- auf die Weihe der Fuldaer Michaeliskirche, der von acht Säu- sitz im Odenwald einzurichten, erfuhr die Region eine len getragenen Grabkapelle der Mönche, erklärt sich auch deutliche Belebung. Lag die Zahl der in der könig- der Eintrag in die dortige Überlieferung, der in Verbindung lichen Schenkung an das Ehepaar eingeschlossenen mit Michelstadt keinen Sinn ergibt, zumal nie besitzrecht- liche Beziehungen zwischen dem Kloster und dem Ort im Personen in der gesamten Michelstädter Mark 815 Odenwald bestanden haben, HARTMANN, Frühzeit S. 48. noch bei 40 Unfreien sowie 14 Hörigen mit Frauen Eine zweite, von Einhard in Michelstadt errichtete Eigen- kirche aus Stein hat es neben seiner Gründung in Steinbach nicht gegeben, das hölzerne Gotteshaus in Michelstadt ist erst in unbekannter späterer Zeit durch einen festen Bau er- setzt worden. 6 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 21, 819 Sept. 11, 8 STEPHAN,Städte S. 29-31, mit Straßenplan. Außer dem S. 302-304; ebd. Nr. 19, 815 Jan. 11, S. 299-300. An Ein- Hauptweg über Michelstadt – Eulbach nach und hards Schenkung von 819 (ebd. Nr. 20) schließt sich im am Main führten kleinere Querverbindungen Lorscher Codex die Grenzbeschreibung des an Kloster Lorsch zu diesen Orten. übertragenen Gebietes an, die angeblich von ihm selbst ver- 9 Zu den Rodungs- und Kultivierungsarbeiten der Lorscher faßt sein soll, in der überlieferten Form jedoch wohl später Mönche in dem bis dahin weitgehend siedlungsleeren Wald- überarbeitet, möglicherweise auch erweitert worden ist und gebirge und zur bisherigen Begrenzung bewohnter Plätze in der überlieferten Fassung aus dem 12. Jh. stammen dürfte, auf Gebiete mit den günstigsten Bodenverhältnissen NITZ, LACHMANN, Frühmittelalterliche Marken S. 35. – Zur Lage Siedlungstätigkeit S. 174-175, 178-180; eine Übersichts- und Ausdehnung der Mark Michelstadt KLEBERGER, Terri- karte (S. 176) mit Angaben zum geologischen Aufbau der torialgeschichte, Karte II Gaue und Marken, Karte der Mark Landschaft um Michelstadt zeigt zudem den Stand der Be- Michelstadt 815, dazu Beschreibungen S. 21-22, 186. siedlung um 800 im Odenwald und seinem Umland. Die Detaillierte Pläne zu Grenzen und Nutzungen der grund- Zent Michelstadt besaß ungeregelte Fluren, die aufgrund herrlichen Mark mit allen wesentlichen Straßenzügen bei ihrer vielfachen Parzellierung zu den Gewannfluren bzw. zu BUXBAUM, Beiträge, Plansammlung Tafel 1 et passim, und den Blockgewannfluren gezählt werden; DERS., Ländliche BECHER, Veränderungen S. 47. Siedlungsformen S. 127 und Beilage Karte 1, Die Siedlungs- 7 LUDWIG/MÜLLER/WIDDRA-SPIESS, Einhards-Basilika 1, formen des Odenwaldes mit der Verbreitung von Blockge- S. 1, 6; SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 41. wannfluren um Michelstadt.

4 Hessischer Städteatlas – Michelstadt und Kindern, wurde sie in den kommenden Jahren siedlungen – angelegt hatten15. Um 960 erhielt die auf 100 Eigenleute vergrößert10. Einhard finanzierte zentrale Güterverwaltung der geistlichen Grundherren die Errichtung neuer Häuser und Gebäude auf seinen in Michelstadt an dem administrativen Mittelpunkt gesamten Besitzungen. Durch den Zuzug der Helfer, der Region ihren festen Sitz in einem neu errichte- die für die verschiedenen Bauvorhaben benötigt wur- ten steinernen Gebäude16. Auf Michelstadts Funktion den, dürfte die 819 als cella11 bezeichnete Siedlung als Marktort deuten Nachrichten von 1125/39 über Michelstadt gewachsen sein. Auswirkungen auf ihre dortige Zoll- und Zehntrechte17. Entwicklung hatten vor allem die auf Einhards Initia- Mit Aufhebung der Reichsabtei Lorsch 1232 und tive begonnenen Arbeiten an der 1 km nordwestlich dem Anfall ihrer Besitzungen an das Erzstift im benachbarten Steinbach von ihm gegründeten verbanden sich jahrzehntelange Auseinandersetzun- 12 Basilika . In diese bald fertiggestellte, 827 geweihte gen um die Vorherrschaft im Mümlingtal, das im Eigenkirche ließ er die aus Italien herbeigeholten Schnittfeld der mainzischen und (kur-)pfälzischen wunderwirksamen Gebeine der Heiligen Märtyrer Machtbereiche lag. Als Vögte18 der geistlichen Nieder- Marcellinus und Petrus beisetzen. Doch mit der schon lassung in Steinbach, die seit ihrer von Lorsch aus ein Jahr später erfolgten Verbringung dieser vereh- angeregten Wiederbesetzung mit Mönchen in der rungswürdigen Reliquien und dem Umzug nach zweiten Hälfte des 11. Jhs.19 in der von Einhard ge- Obermühlheim – dem späteren – verlor gründeten Basilika bestand, war es der in diesem durch Einhards sinkendes Interesse an seinem ur- Raum beheimateten Ministerialenfamilie der Schen- sprünglich im Odenwald gewählten Alterssitz und der ken von Erbach allmählich gelungen, ihre Interessen 13 Hinwendung zu seinem neuen Aufenthaltsort am gegen die bereits geschwächte Reichsabtei durchzu- Main nicht nur Steinbach, sondern auch Michelstadt setzen und dem Kloster einen Teil seiner Güter im erheblich an Bedeutung. Die geänderten Pläne und Odenwald – darunter auch Michelstadt mit seiner der Entschluss zum Weggang aus dem Mümlingtal Mark – zu entziehen und unter ihren eigenen Ein- wirkten sich nachteilig auf die beiden hier gerade im fluss zu bringen20. Zwar fehlen in der Überlieferung Aufschwung befindlichen Orte aus, deren Wachstum Nachrichten über einzelne Vorgänge, doch kann als und Entwicklung damit für lange Zeit stagnierten. sicher gelten, dass Michelstadt allmählich fest in die Nach Einhards Tod im Jahr 840 fielen Michelstadt Verfügungsgewalt dieser ebenso zielstrebig wie erfolg- und die zugehörige Mark, wie bereits 819 von ihm reich vorgehenden Familie gelangte, deren territoriale selbst in einer Schenkungsurkunde schriftlich fest- Macht sich zunehmend verstärkte. gelegt14, an das Reichskloster Lorsch, das den Haupt- ort dieses Gebietes fortan als Ausgangspunkt zu seinen Besitzungen im Odenwald nutzte. Dessen östliche 15 Teile wurden erst jetzt auf Initiative der Benedikti- Nach einem Lorscher Besitzverzeichnis wohl aus dem 10. Jh. gehörten dem Kloster allein in der Mark Michelstadt 8 Her- ner intensiver erschlossen, nachdem sie zuvor in den ren- und 46 Knechtshufen, GLÖCKNER, Codex Lauresha- fruchtbareren Nachbarbereichen planmäßig Neuland mensis 3 Nr. 3663 S. 170; KLEBERGER, Territorialgeschichte gewonnen und bewohnte Plätze – meist Waldhufen- S. 48-49; FRIEDRICH, Michelstadt S. 19-20. 16 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1, Kap. 70 S. 353: do- mum lapideam in castello Michlenstat edificauit (sc. Abt Ger- bodo). 17 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1, Kap. 144 S. 426. 10 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 19, 815 Jan. 11, 18 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 142a, Anfang S. 300; ebd. Nr. 20, 819 Sept. 12, S. 301. 12. Jh., S. 416; ebd. Nr. 142c, Anfang 12. Jh., S. 418; ebd. 11 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 20, 819 Sept. 12, Nr. 155a, Mitte 12. Jh., S. 436-437; KLEBERGER, Territorial- S. 301. geschichte S. 51, 56-59. 12 WAITZ, Translatio S. 239-240. – Zu dem Bauwerk in Stein- 19 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 123b S. 391. Unter bach vgl. die umfassende Publikation von LUDWIG/MÜLLER/ Abt Udalrich (1056-1075) war die inzwischen verfallene WIDDRA-SPIESS, Einhards-Basilika; OSWALD, in: Vorromani- Steinbacher Basilika wiederhergestellt und als Lorscher Filial- sche Kirchenbauten S. 320-322; JACOBSEN, in: ebd. Nach- kloster eingerichtet worden, das sich zum Ausgangspunkt tragsband S. 399; SCHAEFER, Kunstdenkmäler S. 245-266. planmäßiger Gebietserschließung und Rodungen entwi- 13 WAITZ, Translatio S. 243, Kap. 8 und S. 245, Kap. 14. ckelte; ebd. Kap. 123-132 S. 390-401. Erst mit diesem Neu- FLECKENSTEIN, Einhard. Zur Frage nach den Gründen für beginn im 11. Jh. entstanden, auf Initiative der Geistlichen, die Verlegung, hinter denen vor allem reichspolitische Motive im Odenwald weitere Siedlungen und Gründungen. Ein zur Stärkung der gefährdeten Reichsgewalt vermutet werden Güterverzeichnis aus dem Jahr 1131 nennt keinen Besitz der und zur Übersiedlung an einen Ort im Mittelpunkt bedeu- Benediktiner im Ort Michelstadt; SCHNEIDER, Stammtafel, tender Verkehrsverbindungen zwischen zwei Zentralland- Urkunden, Nr. 11, 1311 März 19, S. 509. Über die Auf- schaften im Spannungsfeld zwischen dem Rhein-Maingebiet hebung der Propstei mit dem Ende der Reichsabtei Lorsch und Ostfranken siehe WEBER, Überführung S. 57-58; SEE- 1232 und der Umwandlung Steinbachs in ein Nonnenklos- LIGER, Einhards römische Reliquien S. 67-68; SCHEFERS, ter sowie zur Kunstgeschichte der Kirche MÜLLER, Einharts- Einhards römische Reliquien. Basilika S. 17 et passim. 14 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 20, 819 Sept. 12, 20 Zu Herkunft, Stand und Aufstieg der Schenken zu Erbach S. 301-302; ebd. Nr. 21, 819 Sept. 12, S. 302-304. KLEBERGER, Territorialgeschichte S. 53-65.

5 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

2. Herausbildung der Stadt im 14. Jahrhundert Ruprecht von der Pfalz Schenk Eberhard X. von und ihre Entwicklung bis zum 21. Jahrhundert Erbach mit der Hälfte von Michelstadt29. Nach zu- nächst aus unbekannten Gründen nicht ausgeführten Äußere Einwirkungen beeinträchtigten die weitere Vereinbarungen, die 1390 zwischen den Erbachern Entwicklung des Ortes. Auch die Erbacher Schenken getroffen worden waren, ließen die beiden Linien waren von den seit den dreißiger Jahren des 13. Jhs. Fürstenau und Michelstadt schließlich zwischen 1395 spürbar werdenden Spannungen betroffen21. Ihre über und 1400 zum Schutz der Siedlung eine Stadtmauer Generationen kontinuierlich ausgebaute Position, ba- mit Türmen, Doppelgraben, bewehrtem Wall und sierend auf den ehemals Lorscher Rechten, Gütern zwei Zugangstoren im Norden bzw. im Osten errich- und Ämtern22, geriet durch die nach 1232 ausgetrage- ten30. nen Feindseligkeiten zwischen dem faktischen Inha- Obwohl die Pfalzgrafen formal bis zum Ende des ber der Reichsabtei, dem Erzstift Mainz, und dessen Alten Reiches Lehnsherren der Stadt Michelstadt und weltlichem Gegner, der Pfalzgrafschaft bei Rhein, Obereigentümer des Landes blieben, haben sie ins- 23 ernsthaft in Gefahr . Auf dem Höhepunkt der besondere in der frühen Neuzeit keine nachweisbaren Kämpfe um die Vormachtstellung in diesem Grenz- Versuche mehr unternommen, politischen Einfluss gebiet wurde Michelstadt vor 1307 von Pfalzgraf auf die Entwicklung dieses Bereiches zu nehmen, zu- Rudolf angegriffen und verwüstet. Dabei zerstörten mal ihre landesherrliche Position nur noch schwach seine Truppen sowohl die einst von Lorsch erbaute war und keine bedeutenden Rechtstitel mehr um- 24 Burg als auch die hier erstmals als Stadt (oppidum) fasste31. Auch die Kurfürsten von Mainz hatten ihre bezeichnete Siedlung. Die noch im Jahr des Über- grundherrlichen Interessen im Umkreis von Michel- falls erfolgte Rückgabe Michelstadts an die Schenken stadt frühzeitig aufgegeben, wie der bereits 135532 zu Erbach machte der Pfalzgraf von der Bedingung vorgenommene Verkauf der Burg Fürstenau an die abhängig, dass ohne seine Zustimmung keine Befes- Erbacher Familie verdeutlicht. Die Schenken dage- 25 tigung errichtet werden dürfte ; nur durch den Ver- gen konnten ihre Stellung immer weiter festigen33. zicht auf jegliche Fortifikationsbauten konnten die Mit der hohen und niederen, der Vogt- und der Zent- Schenken den eroberten Platz halten. Um diesen nicht gerichtsgewalt besaßen sie alle Rechtstitel zur prak- ganz zu verlieren, mussten sie noch weitreichendere tischen Ausübung der Landesherrschaft34, die sie bis Bedingungen akzeptieren. Der Ort Michelstadt, den zum Verlust ihrer Selbstständigkeit durch die Grün- die Erbacher bis zu dieser Zeit als ihr Allod betrach- dung des napoleonischen Rheinbundes 1806 behiel- teten, befand sich nach dem Überfall ganz in der ten35. Ihr nicht allzu großes, aber relativ geschlossenes Hand der Pfälzer und konnte nur durch Zugeständ- Territorium sicherten und erschlossen sie durch meh- nisse gerettet werden. 1311 ließ Eberhard der Ältere rere Städte36. Während Michelstadt mit seiner Amts- 26 Michelstadt, das er als sein aigen bezeichnete, dem und Marktfunktion37 den eigentlichen Hauptort ihres Pfalzgrafen zu Lehen auf und erhielt von diesem bei Einflussbereiches bildete, richteten sie ihre Residenz der Rückgabe die ausdrückliche Erlaubnis zur Wieder- im 2 km südlich gelegenen Erbach ein, das sich aus herstellung von Burg und Stadt, allerdings mit Öff- einer ursprünglichen Wasserburg des 12. Jhs. und nungsrecht für die Pfälzer, besonders gegen den Main- einer Burgmannensiedlung zu einer erstmals 132138 27 zer Erzbischof. Die Burg scheint noch zehn Jahre erwähnten Stadt entwickelte. Das unbefestigte, noch nach dem Vertragsschluss zumindest nicht vollständig wiedererrichtet gewesen zu sein, während die kriegs- zerstörte Siedlung wohl recht bald wiederaufgebaut worden sein dürfte28. Ende des 14. Jhs. nannten sich Bürger nach ihrem Wohnort. Zu dieser Zeit belehnte 29 SCHNEIDER, Stammtafel, Urkunden Nr. 14, 1395 Dez. 20, S. 514; SIMON, Geschichte, Urkundenbuch S. 326. 30 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. CXVIII, 1390 März 27; BECHER, Michelstadt S. 43. 31 BATTENBERG, Gericht S. 77. 21 Vgl. KLEBERGER, Territorialgeschichte S. 65-72 und jetzt 32 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. LX, 1355 Feb. 23. SCHOLZ, Schenken S. 43-44 sowie DERS., Inschriften S. XXI- 33 KLEBERGER, Territorialgeschichte S. 60; BATTENBERG, Ge- XXIII. richt S. 80. 22 KLEBERGER, Territorialgeschichte S. 60-65. 34 KLEBERGER, Territorialgeschichte S. 60, 122-127. 23 KLEBERGER, Territorialgeschichte S. 65-70. 35 WOLF, Michelstadt S. 99. 24 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. X, 1307 Juni 6; 36 SCHEUERBRANDT, Stadttypen S. 170-171. STEINMETZ, Burgen. 37 Seit dem 14. Jh. fanden in Michelstadt jährlich 7 Kram- 25 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. X, 1307 Juni 6. märkte statt, die bis zum 19. Jh. um zusätzliche 6 Vieh- 26 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. XV, 1311 Okt. 20. märkte erweitert wurden; HARTMANN, Familien und ihre 27 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nrn. XX und XXI, Häuser 2 S. 9. beide 1321 Aug. 10. 38 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. XXI, 1321 Aug. 10; 28 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. XX, 1321 Aug. 10. SCHEUERBRANDT, Stadttypen S. 289.

6 Hessischer Städteatlas – Michelstadt im 18. Jh. als Dorf angesprochene Beerfelden39 er- in der Nähe ihres Hauptsitzes Fürstenau, ohne aller- hielt 1328 Stadtrechte. Erst nach dem Aussterben des dings eine besondere Bedeutung als gräfliche Resi- Wertheimer Grafenhauses fiel den Erbachern 1556 denzstadt zu erlangen, sondern vielmehr, um eine mit der halben Herrschaft auch der Amts- Funktion als Zentralort und Mittelpunkt des nach ort Neustadt40 zu, durch den sie ihre Position im ge- der Stadt benannten Amtes zu erfüllen. Dieser aus der samten Mümlingtal bis zur Einmündung in den Main mittelalterlichen Mark Michelstadt hervorgegangene ausdehnen konnten. Verwaltungsbezirk, in dem die Grafen hohe und Sahen die selbstbewussten Dynasten Michelstadt niedere Gerichtsbarkeit ausübten, umfasste 1531/39 bis zu Beginn des 14. Jhs. als ihr Allod an, mussten außer der Stadt selbst die Orte Steinbach, Asselbrunn, sie nach der militärischen Niederlage gegen die Pfalz- Steinbuch, Rehbach, Langenbrombach, Momart, Zell, grafen und der erzwungenen Lehnsauflassung des Or- Bullau, Stockheim, Eulbach, Güttersbach, Hütten- tes im Jahr 131141 die geschaffenen Verhältnisse ak- tal, Hiltersklingen, Weitengesäß, Ober- und Unter- 46 zeptieren. Die Stadt stand je zur Hälfte unter der mossau . Herrschaft der beiden jüngeren Linien Fürstenau und Zu den politischen Maßnahmen der Stadtherren Michelstadt42. Durch das Aussterben der männli- zählt die 157947 von Graf Georg II. für die Michel- chen Mitglieder der Erbacher und der Michelstädter städter Bürgerschaft erlassene Ordnung, die außer Zweige im 16. Jh. fiel alle Regierungsgewalt ein- den Weisungen an die Vertreter der städtischen Ad- schließlich der Ansprüche auf die Städte vereint an ministration eine Reihe ergänzender Vorschriften die Fürstenauer, die 1532 die Reichsgrafenwürde enthielt, die die Pflichten der Einwohner (Abgaben- erlangt hatten43. Zur Stärkung ihrer Position als Ter- zahlungen, Dienstleistungen) festlegten und das so- ritorialherren haben die Schenken in dieser Zeit ver- ziale und wirtschaftliche Zusammenleben der Bürger schiedene wirksame Maßnahmen ergriffen, die von (Zahlungen bei Aufnahme in die Stadtgemeinschaft, der Befreiung des gesamten Landes und seiner Ein- Bäcker-, Metzger-, Waldordnung u.a.) regelten. Träger wohner von fremden Gerichten durch kaiserliches der Verwaltung waren zwölf Gerichtspersonen (Rats- Privileg über die 1539 erfolgte Einführung der Refor- verwandte), die aus ihrem Kreis zwei Bürgermeister mation und die Erlangung des Münzrechts 1541 wählten. Als Vertreter des Stadtherrn führte der zur Förderung der Wirtschaft bis zum Erlass einer Schultheiß auf ihren Versammlungen den Vorsitz. 44 umfassenden Landesordnung reichten . Ihre Ent- Um 150048 umfasste die Einwohnerschaft Schät- scheidung, die Grafschaft samt Zubehör ungeteilt zungen zufolge etwa 350 Personen; bis zum Ende zu lassen, brachte auch für Michelstadt stabile Ver- des 16. Jhs. steigerte sich die Zahl auf etwa 500 Per- hältnisse. Das Interesse des Stadtherrn an diesem Ort, sonen, wobei der seit 1583 zu beobachtende konti- 45 dem 1541 ein eigenes Stadtsiegel verliehen wurde, nuierliche Zuzug von jährlich sechs neuen Bürgern, zeigt die Durchführung zahlreicher Baumaßnahmen. meist aus dem landwirtschaftlich wenig ertragreichen So ließ er schadhafte Teile der Stadtmauer ausbessern Odenwald, auf bewusste Maßnahmen des Territorial- und Arbeiten am Unteren Tor (1546/1551) durch- herrn als Teil seiner Stadt- und Landespolitik zurück- führen. Wenig später erfolgten die Errichtung und gehen dürfte. Mit der Förderung Michelstadts wird Erweiterung des Marktbrunnens über den reinen Graf Georg II. nicht zuletzt die Hoffnung auf eine Zweckbau hinaus zu einem architektonisch anspre- wirtschaftliche Belebung des Ortes verbunden haben, chenden Objekt in der Nähe des Rathauses (1484) die längerfristig auch zum Aufstieg seiner Herrschaft und der mächtigen Stadtkirche (1461-1542/43), die Erbach beitragen sollte. Allerdings hielt sich die Ent- bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. als repräsen- wicklung von Handel und Gewerbe in Grenzen, und tative Bauwerke auf Veranlassung der Schenken aus- ihr Anteil gegenüber den Tätigkeiten in der Land- geführt worden waren. Schließlich lag Michelstadt wirtschaft blieb vorerst gering. Die Bürgerordnung von 1579 und die Zunftordnung aus der Zeit des

39 SCHNEIDER, Stammtafel, Urkunden Nr. XVI. 5, 1328, S. 63. 40 SCHEUERBRANDT, Stadttypen S. 321. 41 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. XV, 1311 Okt. 20. 46 KLEBERGER, Territorialgeschichte S. 121-127, bes. 126; BUX- 42 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch S. 62. BAUM, Michelstadt S. 43-47. BATTENBERG, Gericht S. 98; 43 BATTENBERG, Gericht S. 80; SCHNEIDER, Stammtafel, WOLF, Michelstadt S. 99; KREBS, Rathaus. Urkunden Nr. CLXIV, 1532 Aug. 15. 47 Faksimile mit Transkription in HARTMANN, Ordnung. 44 KLEBERGER, Territorialgeschichte S. 53; BATTENBERG, Ge- 48 Da es aus dieser Zeit kein statistisches Material gibt, liegen richt S. 80-81; HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 der Berechnung die für Michelstadt erhaltenen Angaben über S. 66. Haushaltsvorstände von 1507 und ein 1522 angelegtes Ver- 45 DEMANDT/RENKHOFF, Wappenbuch S. 123 Nr. 421; BAT- zeichnis verteidigungspflichtiger Männer zugrunde; BATTEN- TENBERG, Gericht S. 81. BERG, Gericht S. 82-83.

7 Hessischer Städteatlas – Michelstadt ausgehenden 16. Jhs.49 nennen mit Bäckern, Metz- fassungswirklichkeit wurde von der Herrschaft, nicht gern, je einem Gerber, Wollweber, Schlosser und Hut- von den genossenschaftlichen und ökonomischen In- macher wenige und vor allem auf die Versorgung der teressen der Bürger geprägt. Ortsansässigen, vielleicht noch einiger Bewohner im Die Obrigkeit war in der Stadt durch ihren Schult- städtischen Nahbereich ausgerichtete Handwerks- heißen54 präsent, der meist aus den Reihen der Schöf- berufe. Auch dem abseits der großen Fernwege gele- fenfamilien stammte. Außer diesem Vertreter gräf- genen Michelstädter Markt kam lediglich lokale Be- licher Gewalt am Gericht setzte sie einen Amtmann deutung zu: Außer dem wöchentlich stattfindenden und einen Keller als Aufseher der Finanzverwaltung Handel gab es fünf größere Jahrmärkte an Mittfasten, von Stadt und Amt ein, deren Kompetenzen sich da- Kilian (8. Juli), Michaelis (29. Sept.), Lukas (18. Okt.) bei nicht auf städtische Angelegenheiten beschränk- und Martini (11. Nov.) sowie einige weitere Kram- ten, sondern überörtliche Aufgaben mit umfassten. und Viehmärkte, die sich auf verschiedene Monate Die Michelstädter Bürger entwickelten ihrerseits ge- 50 verteilten . genüber der herrschaftlichen Position keine bedeu- Die nicht sehr zahlreich für die frühe Neuzeit tende Stellung mit kommunaler Selbstständigkeit. überlieferten Hinweise auf die ökonomische und Das Schöffengericht, das den Rat der Stadt bildete, soziale Situation in Michelstadt und die Stellung der setzte sich aus den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern hier ansässigen Bürger lassen bei allgemein dürftigen der wohlhabenderen Familien zusammen. Seine Kom- Besitzverhältnissen ein deutliches Vermögensgefälle petenzen blieben angesichts der geschilderten Macht- und eine Gliederung der Gemeinschaft in drei Grup- verhältnisse unter den dominierenden Stadt- und pen erkennen. Der relativ hohe Anteil von einem Landesherren beschränkt und bezogen sich vor allem Drittel der Gesamtbevölkerung besaß keine besteuer- auf die Verhandlung kleinerer Straftaten. Das Amt baren Werte, und auch die übrigen Einwohner ver- des Bürgermeisters war sowohl mit einem Angehö- fügten den Steuerlisten zufolge nur über mittlere bis rigen des Schöffenrates als Vertreter der führenden gute Einkünfte51. Ähnlich bescheiden zeigt sich der Schicht als auch mit einem Mitglied der übrigen Bür- städtische Haushalt, der nur geringe finanzielle Mittel gerschaft zur Wahrung ihrer Interessen doppelt ver- aufweist. Den Einkünften aus Pachtzinsen, Gebühren geben55. Selbst bei der Einsetzung ihrer eigenen Re- für Marktstände, dem Bürgergeld bei Neuaufnahmen präsentanten besaß die Stadt keine Autonomie, da von Zuzüglern, Bußgeldern, Abgaben für Weinbau sich die Grafen die Bestätigung der auf ein Jahr ge- u. ä. standen Ausgaben für Bauarbeiten an den Ver- wählten Bürgermeister vorbehielten. Die Michel- teidigungsanlagen und städtischen Gebäuden, für die städter Verwaltung umfasste, anderen Städten dieser Entlohnung der Bediensteten und Zahlungen an Zeit vergleichbar, eine Reihe weiterer Aufgaben56, Arme im Bereich der Sozialfürsorge gegenüber52. die von den Bürgern meist ehren- oder nebenamtlich Die machtvolle Position der Erbacher Grafen, die ausgeübt wurden und sich vielfach zur Vermeidung in Michelstadt und im umgebenden Zentbereich übermäßiger Belastung auf zwei Personen verteilten. hohe und niedere Gerichtsbarkeit innehatten und Wie auch andernorts üblich, war Michelstadt in vier Ansprüche auf Zoll, Geleitgebühren, Ungeld und an- Stadtviertel aufgeteilt, denen jeweils ein eigener Vier- dere Einnahmen erhoben, behinderten bei dauerhaf- telmeister vorstand. Die Aufgaben dieser Bürger, die ter Ausübung ihrer vollen Gerichts- und Steuerhoheit von der Aufsicht über die Bewachung der in vier die Entwicklung Michelstadts und die Herausbildung Abschnitte aufgeteilten Wehrmauer und ihrer beiden einer städtischen Eigenständigkeit53. Ein erteiltes Tore durch die Bewohner der Quartiere bis zur Stadtrechtsprivileg hat der Ort nie besessen. Die Ver- Durchführung von Begräbnissen und anderen öffent- lichen Dienstleistungen reichten, regelte eine neue, 1761 vom Stadtschultheißen im Namen der Obrig- keit erlassene Ordnung57.

49 HARTMANN, Ordnung; BATTENBERG, Gericht S. 84-85. 50 Zu den jährlich in in Michelstadt stattfindenden 7 Kram- märkte, die bis zum 19. Jh. um zusätzliche 6 Viehmärkte 54 Namen, Amtszeiten und Berufe der wichtigsten Verwal- erweitert wurden vgl. HARTMANN, Familien und ihre Häu- tungsträger in HARTMANN, Verzeichnis der Schultheißen. ser 2 S. 9. Die älteste Erwähnung eines Schultheißen datiert von 1484; 51 BATTENBERG, Gericht S. 84. SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. CCVI, 1484. 52 BATTENBERG, Gericht S. 86-87. 55 BATTENBERG, Gericht S. 93-94. 53 BATTENBERG, Gericht S. 81, 88, 97. 1552/55 wurde eine 56 BATTENBERG, Gericht S. 94-96, z. B. Stadt- und Gerichts- Landesordnung erlassen, die eine Land-, Zentgerichts-, Un- schreiber, Torwärter, Fleisch- und Brotschätzer, Kastenmeis- tergerichts- und Haingerichtsordnung umfasste, um im ge- ter als Fruchteinnehmer, Weinsiegler, Bauaufseher, Brun- samten Territorium einheitliches Recht zu schaffen. Laut nenmeister, Heimbürge zur Aufsicht über den städtischen Zins- und Gültbuch von 1554 kam den Erbachern in Michel- Weidebetrieb, Stadtknecht mit polizeilichen Aufgaben u.a. stadt volle Gerichts- und Steuerhoheit zu. 57 WOLF, Michelstadt S. 110.

8 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

Die im gesamten Erbacher Territorium nach lan- bessern. Die Michelstädter Schmiede und Wagner desherrlichem Willen eingeführte, endgültig bis 1539 bauten ihre Zunft wieder auf, und auch in anderen durchgesetzte Reformation58 brachte zur besseren Wirtschaftsbereichen gab es Fortschritte. Nachdem Verbreitung der protestantischen Lehre die Anfänge das nahe, etwa 2 km nördlich von Michelstadt im des Schulwesens in Michelstadt auf den Weg. Neben Mümlingtal gelegene herrschaftliche Untere Ham- der theologisch ausgerichteten Lateinschule, aus der mer- und Hüttenwerk mit Hilfe auswärtiger Finanz- im ersten Viertel des 19. Jhs. das Progymnasium her- mittel seinen Betrieb zur Erzgewinnung aus dem vorging, entwickelte sich nach 1606 eine allgemeinbil- Odenwälder Roteisenstein und der Weiterverarbei- dende Lehranstalt mit deutschsprachigem Unterricht tung zu Öfen und Eisenplatten wieder aufnehmen für Jungen und Mädchen59. Nicht genau auszuma- konnte, benötigte man dort Handwerker mit Fach- chen ist, ob das lateinische Kolleg seine Entstehung kenntnissen, die aus verschiedenen bergbaubetrei- möglicherweise einer älteren, noch vor der Glaubens- benden Gebieten in den Odenwald zogen63. Die vom spaltung in Michelstadt entstandenen Bildungsstätte Landesherrn angeregte Wiederbesiedlung seines Terri- verdankte. 1499 hatte der studierte Theologe, Speyrer toriums mit Auswärtigen brachte Familien aus dem Domherr und zeitweilige Rektor der Universität Frei- Elsass, dem Erzgebirge, dem Harz, aus Nassau, Sach- burg Doktor Nikolaus Matz, Sohn einer Michel- sen, Schlesien, der Steiermark, Thüringen, Tirol und städter Bürgerfamilie, nach Beendigung seiner aka- Waldeck in die Region64, die hier als Bergleute, Stück- demischen Lehrtätigkeit der Pfarrkirche in seinem gießer, Formmacher oder Schmiede arbeiteten. Die Heimatort außer einer Summe Geldes zum Bau eines mit der Neuaufnahme von Zuzüglern nach Michel- Bibliotheksraumes über dem Beinhaus der Stadtkirche stadt verbundene Zahlung von Bürgergeld65 brachte auch einen bedeutenden Bücherbestand meist wis- der Stadt Einnahmen, die sogleich für nötige An- senschaftlicher Literatur von mindestens 117 Bän- schaffungen und Investitionen, z. B. Reparaturar- den gestiftet, die nicht nur den Pfarrern zur Vorbe- beiten an öffentlichen Gebäuden, wie dem Rathaus, reitung ihrer Predigten dienen sollten, sondern auch eingesetzt wurden66. jedem in der Stadt sesshaften Laien zu eigenen Stu- Erneute Kriege und immer wieder auftretende 60 dien zur Verfügung standen . politische Spannungen im Land haben die Bedingun- Der Dreißigjährige Krieg führte in Michelstadt gen für eine konjunkturelle Erholung in Michelstadt zwar nicht zu größeren Zerstörungen, doch ver- und die Fortentwicklung des Stadtgebietes auch in schlechterte sich die wirtschaftliche Situation nach den folgenden Jahrzehnten erheblich beeinträchtigt. Tr uppenbesetzungen und durch eine Pestepidemie, Von den Feldzügen Ludwigs XIV. in den siebziger der eine Hungersnot folgte61. Die 1522 noch aus 257 Jahren des 17. Jhs. und seinem anschließenden mili- Mitgliedern bestehende Mannschaft der gesamten tärischen Vorgehen im Pfälzer Erbfolgekrieg war der Zent Michelstadt sank bis Mitte des 17. Jhs. auf ein Odenwald als Durchzugsland von Armeen ebenso Siebtel ihrer ehemaligen Stärke herab62. Die über- betroffen wie von den wenige Jahrzehnte später aus- lebende Bevölkerung verarmte und brachte dem Stadthaushalt in den letzten Kriegsjahren kaum noch Einnahmen. Nach wie vor standen die meisten Ein- künfte der Herrschaft zu, welche die Bitte der Bürger- schaft um eine Beteiligung an der einträglichen Ge- 63 HARTMANN, Waldschmiede S. 10. Bei dem allgemein reichen tränkesteuer ablehnte. Erst in der zweiten Hälfte des Erzvorkommen im Odenwald ist bereits vor der Erstnen- nung des Unteren Hammers bei Michelstadt 1572 in der 17. Jhs. begannen sich die Verhältnisse allmählich zu Umgebung der Stadt Bergbau betrieben worden, auf den nicht nur mittelalterliche Flurnamen hindeuten, sondern auch der Erlass einer Bergwerksordnung durch die Schen- ken 1512, ebd. S. 4; zu den Produkten der Eisenhütte ebd. S. 7-8 und 33: Auszug aus der Rentrechnung von 1610. Zur 58 BATTENBERG, Gericht S. 77. Lage des Unteren Hammerwerkes nördlich der Stadt siehe 59 Zu Anfängen und Inhalten im Unterrichtswesen, zur Lage Karte 1832/50 in diesem Atlas. In dieser Karte aus der ersten der ersten Schulräume und späteren Schulgebäude im Stadt- Hälfte des 19. Jhs. befindet sich südwestlich des Hammers, gebiet WALTHER, Schulen. nördlich von Steinbach die Einzeichnung einer namentlich 60 Zu der noch heute weitgehend vorhandenen, in Michelstadt genannten Erzgrube. verwahrten Gelehrtenbibliothek, die als Privatsammlung des 64 WOLF, Michelstadt S. 100-102; HARTMANN, Familien und ausgehenden Mittelalters mit ihren Frühdrucken und Hand- ihre Häuser 1 S. 13; DERS., Waldschmiede S. 35-36: Rege- schriften einen außerordentlichen Rang besitzt, sowie zu den lungen über die Aufnahme von Arbeitsleuten des Hütten- ergänzenden Bücherschenkungen durch die gräflich Erbachi- und Hammerwerkes in Michelstadt nach einer Verordnung sche Familie mit Kommentar und vollständigem Bestands- des Grafen Georg Ernst von 1667. katalog STAUB, Inkunabeln. 65 HARTMANN, Waldschmiede S. 21-22. Nach der Verfassung 61 WOLF, Michelstadt S. 100. des 16. Jhs. betrug die Aufnahmegebühr für Neubürger 62 WOLF, Kaisers Geschenk S. 260; HARTMANN, Familien 4 Gulden. und ihre Häuser 1 S. 12-13. 66 WOLF, Michelstadt S. 101.

9 Hessischer Städteatlas – Michelstadt brechenden Feindschaften im polnischen Thronstreit, aufbereiteten Rohstoffen Handelswaren fertigten71. vom Österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748) Die Tuch- und Lederwarenproduktion stellte bis ins und vor allem vom Siebenjährigen Krieg (1756-1763) 19. Jh. den größten Anteil am örtlichen Handwerk. sowie den Koalitionskriegen an der Wende zum Zu dieser Zeit gab es noch 20 große Bauernbetriebe 19. Jh.67. Abgesehen von der Bedrohung der Bürger- in der Stadt, die neben Getreide auch Tabak und schaft durch fremde Eindringlinge gingen mit den Wein, danach – nicht zuletzt beim Wegfall der Drei- nicht enden wollenden Kriegen und Unruhen Ein- felderwirtschaft – zunehmend Kartoffeln, andere quartierungen, erpresste Abgaben, Kontributions- Hackfrüchte, Klee und Obst angebaut haben. Das und Fourageforderungen einher, die für Michelstadt Getreide der örtlichen Landwirte wurde in zahlrei- und seine Bewohner hohe finanzielle und materielle chen Brauereien zu Bier weiter verarbeitet. 68 Belastungen brachten . Störungen des Handwerks, Die Zahl der Einwohner in Michelstadt war nach das vor allem aus Tuchmacher- und Gewerbebetrie- den schweren Bevölkerungsverlusten des Dreißigjäh- ben bestand, und Behinderungen der Landwirtschaft, rigen Krieges durch Zuzug von außen so stark ange- von der immer noch viele Bürger abhängig waren, stiegen, dass die Grafen Ende des 17. Jhs. auf Bitten wirkten sich auf die ökonomischen Bedingungen der Stadt einschränkende Vorschriften erließen, die ebenso nachteilig aus wie der Verlust von Einnahmen sich vor allem gegen die Aufnahme unfreier Leibei- durch den häufigen Ausfall der Jahrmärkte. Das gener richteten72. Zukünftig sollte nur noch zuge- 69 Eisenhüttenwerk, neben dem 1757 der sog. Obere lassen werden, wer sich zuvor von seinem Grund- Hammer aus einer Michelstädter Walkmühle entstan- herrn losgekauft hatte. In den Zuzugsbeschränkungen den war, bildete nach wie vor einen wichtigen Pro- drücken sich außer der Sorge vor ausbleibenden Bür- duktionszweig mit zahlreichen Beschäftigten. gergeldeinnahmen vor allem Bedenken des Stadtrates Die wirtschaftlichen Verhältnisse Michelstadts vor zusätzlichen Belastungen durch mittellose Neu- waren infolge der abseitigen Lage nie durch den Fern- bürger aus, die zwar an den wirtschaftlichen Vorteilen handel geprägt, sondern durch das lokale Hand- der Stadtgemeinde durch Beteiligung an der Allmen- werk und den Absatz seiner Produkte auf dem städ- denutzung von Wald, Weide und anderen städtischen tischen Markt. Die berufliche Gliederung unter den Ländereien profitieren wollten, selbst aber kaum Ver- Ortsansässigen zeigt im 17. und 18. Jh. alle zur Ver- mögen mitbrachten und die ohnehin dürftige Exis- sorgung der Bürger mit Nahrungsmitteln, Kleidung tenz der bestehenden Handwerksbetriebe durch Kon- und einfachen Gegenständen des täglichen Bedarfs kurrenz gefährdeten und die wenigen Verdienstmög- nötigen Gewerbe; einen geringen Anteil stellte das lichkeiten schmälerten. Bauhandwerk. Während ein Einwohnerverzeichnis Obwohl man bis zur Mitte des 18. Jhs. mehrfach von 1666, das die Tätigkeiten der Haushaltsvorstände Versuche unternahm, persönlich Unfreie aus Michel- der 60 in Michelstadt ansässigen Familien nennt, mit stadt auszuschließen und den Zuzug weiterer Perso- drei Leinwebern sowie sieben Wollwebern einen ge- nen zu begrenzen73, wurden immer neue Bürger und wissen Schwerpunkt im Textilbereich erkennen lässt Bewohner am Ort ansässig. Von 1666 bis 1806 wuchs und dieser Zweig auch einhundert Jahre später mit die Einwohnerzahl von 300 auf 2.070 Personen, wo- 15 Handwerkern bei einer Einwohnerschaft von nun bei der Hauptanstieg seit der Mitte des 18. Jhs. er- knapp über 1.100 Personen immer noch Bedeutung folgte und Michelstadt rechnerisch seit dem ausgehen- besaß, wurde er von Leder herstellenden und verar- den 16. Jh. im Jahresdurchschnitt sechs Neubürger 70 beitenden Berufen übertroffen . Mitte des 18. Jhs. erhielt74. Trotz dieses enormen Bevölkerungszuwach- gab es in Michelstadt allein 13 Schuhmacher und drei ses konzentrierten sich die Wohn- und Werkstätten Sattler, die aus den von acht Rot- und Weißgerbern in dichter Bebauung auf die mauerumwehrte Fläche

71 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 20-188, nach 67 WOLF, Michelstadt S. 102-103, 107. dem Rissbuch von 1753 mit den Grundstücksbeschrei- 68 Z. B. hatte Michelstadt bei der Besetzung durch französische bungen und Angaben zu Eigentümern, das begleitend zur und niederländische Truppenteile 1800 fast 5.000 Gulden Vermessung des Geländes und der anschließenden Rein- Kriegslasten aufzubringen; WOLF, Michelstadt S. 117. zeichnung der Karten von Stadt und Gemarkung Michel- 69 HARTMANN, Waldschmiede S. 15; DERS., Familien und ihre stadt angelegt worden ist. Zu den Bauernstellen in der Stadt Häuser 2 S. 125-126. Zur Lage des Oberen Hammerwerks SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 44; BUXBAUM, Michel- westlich der Stadt siehe Katasterkarte Michelstadt 1865/76 stadt S. 67-68. in diesem Atlas. Entstanden ist der Obere Hammer an der 72 WOLF, Michelstadt S. 103. Stelle einer bereits 1541 erwähnten Walkmühle; SCHEUER- 73 WOLF, Michelstadt S. 105-106, 108-110, 112. BRANDT, Michelstadt S. 46. 74 BATTENBERG, Gericht S. 83; HARTMANN, Familien und ihre 70 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 13-18. Häuser 1 S. 17-18.

10 Hessischer Städteatlas – Michelstadt der mittelalterlichen Stadt, die bis auf zwei beschei- das beginnende 19. Jh., als Graf Albrecht durch die dene nördlich und östlich vorgelagerte vorstädtische Rheinbundakte 1806 die Souveränität verlor und die Siedlungen keine Ausweitungen erfuhr; allerdings Eingliederung der Grafschaft Erbach in das Groß- wurde die umliegende Gemarkung stärker für land- herzogtum Darmstadt erfolgte79. Bereits am 13. Sep- wirtschaftliche Zwecke einbezogen. Auch bislang un- tember des Jahres nahm ein großherzoglich hessischer bestellte, schlechte Böden in der Nähe des Ortes, Regierungsrat in Michelstadt stellvertretend die offi- deren Preise sich bei gestiegenem Bedarf an Nutzland zielle Besitzübernahme für den neuen Landesherrn, zur Versorgung der Michelstädter Bewohner merk- Großherzog Ludewig I., vor. Die Abhängigkeit von lich erhöhten, wurden Ende des 18. Jhs. zum Anbau Darmstadt prägte die Entwicklung in der Folgezeit80. von Nahrungsmitteln in Äcker und Gärten umge- Obwohl mit der Justizkanzlei 1808 eine neue Ge- wandelt75. richtsbehörde mit Zuständigkeit für die gesamte Graf- Selbst wenn gewisse Ansätze zur Förderung des schaft und dem löwensteinischen Anteil der Herr- Allgemeinwohls durch den Stadtherrn sichtbar wer- schaft Breuberg ihren Sitz im Kellerei-Amtshaus der den, der beispielsweise 174876 eine Verordnung zur Stadt erhielt, blieb Michelstadt ein einfaches Unter- Besserung der Verhältnisse in Michelstadt erließ, um- zentrum. Eingriffe und Bevormundungen der groß- fassten die Vorhaben mit dem Ausbau des Straßen- herzoglichen Oberbehörden reichten bis in die Lokal- pflasters oder der Errichtung eines neuen Zugangs- verwaltung des Ortes hinein, der nun Teil eines neuen tores im Südwesten der Stadt eher Maßnahmen zur Staatsverbandes war. Zu den finanziellen Belastungen Änderung äußerer Bedingungen. Sie betrafen zum durch weitere Steuern, die zusätzlich zu den bisheri- Teil repräsentative Bereiche und boten weniger die gen Abgaben an die Erbacher gefordert wurden, und sehr viel notwendigeren Anregungen und Unterstüt- zu der Beteiligung an Kriegslasten traten für die Ein- zungen für die Wirtschaft und das Gewerbe. Sozialer wohner des Ortes ebenso drückend empfundene per- Druck durch Überbevölkerung, Unmut über aus- sönliche Pflichten, die die zwangsweise Rekrutierung bleibende Hilfe einer vielleicht ebenso handlungs- zum Militärdienst in der großherzoglichen Armee mit schwachen wie unzureichend an den Belangen der sich brachten. Wirtschaftliche Verschlechterungen er- städtischen Bevölkerung interessierten Obrigkeit und gaben sich zudem aus den Gebietsneuordnungen der das Fehlen durchgreifender Änderungen ergaben Zeit: Die über Jahrhunderte gewachsenen Verkehrs- Spannungen und Gegensätzen, die etwa im Streit mit verbindungen in den östlich gelegenen mainfrän- Graf Franz I. um einen Wildschaden 1784 bis zur kischen Raum wurden durch eine auf dem Wiener Klage am kaiserlichen Hofgericht in Wien führten Kongress 1815 endgültig festgelegte, bislang nicht oder sich 1799 in der Weigerung als einzigem Oden- vorhandene Staatsgrenze nach Bayern erheblich ge- wälder Ort gegenüber der befohlenen Aufstellung stört, die den überregionalen Handel Michelstädter einer Landmiliz zeigten, zu der die Michelstädter Bür- Geschäftsleute in ihre traditionellen Absatzgebiete ger nur mit Waffengewalt gezwungen werden konn- beeinträchtigte. ten77. Angesichts der in mehreren Bereichen real ver- Zwar hatte die Grafschaft Erbach durch Erbteilung schlechterten Verhältnisse und der nach einer Hun- bzw. durch das Aussterben einiger Linien im Laufe gerkrise 1816/17 noch gesteigerten Notlage erhob der Zeit mehrfach innere politische Veränderungen man unter dem Einfluss demokratischer Vorstellun- erlebt, die auch Michelstadts Zugehörigkeit zu ein- gen und neuer Ideen aus der patriotisch-burschen- zelnen Familienzweigen betrafen, doch waren die schaftlichen Bewegung auch auf Bürgerversamm- Wechsel ohne grundsätzliche Auswirkungen auf das lungen in Michelstadt Forderungen nach Besserung 81 Gefüge geblieben, in dem der Ort nach wie vor unter der schlechten Zustände , wobei man sich insbe- der Gewalt von Stadtherren aus dem erbachischen sondere für frei gewählte Volksvertreter und die Ein- Hause stand78. Tiefgreifende Wandlungen brachte erst führung einer landständischen Verfassung einsetzte,

tenau entstanden. Bei allen weiteren Verzweigungen und 75 Zur Entstehung der Unteren Vorstadt Mitte des 17. Jhs. und Wiederzusammenführungen vom 16. bis zum 18. Jh. blieb der Erwähnung einer Siedlung vor dem Obertor 1753 siehe der Grundsatz der Nutzungsteilung der Stammgüter in der die Erläuterungen zur siedlungstopographischen Entwick- Gesamtgrafschaft Erbach maßgebend. lung Michelstadts in diesem Band Kap. II.4 und 5. 79 WOLF, Michelstadt S. 99, 118. 76 WOLF, Michelstadt S. 109. 80 FRANZ, Michelstadt. 77 WOLF, Kaisers Geschenk S. 260-261; DERS., Michelstadt 81 FRANZ, Michelstadt S. 122-123, 127. In den Hungerjahren S. 108-116. nach Missernten kaufte die Stadt, in der 203 Familien zu 78 KLEBERGER, Territorialgeschichte S. 65, 95-97. Nach Auf- versorgen waren, Nahrungsmittel in der Umgebung auf und gliederung der Familie der Schenken um 1270 waren die veranlasste die Durchführung von Notstandsarbeiten im Linien Erbach (bis 1503), Michelstadt (bis 1531) und Fürs- Wald; BUXBAUM, Michelstadt S. 88.

11 Hessischer Städteatlas – Michelstadt während die drei Erbacher Grafen zur Wahrung ihrer tätige Bäcker, Metzger und Bierbrauer, Handwerk be- Interessen als ehemalige Territorialherren auf die treibende Tuchmacher, die um die Jahrhundertwende Wiederherstellung der 1806 aufgehobenen landstän- mit 46 Kleinbetrieben in der Stadt dominierten, Tuch- dischen Mitbestimmung drängten. Zu den Haupt- scherer, Leinweber, Färber, Schneider, Strumpfstri- beteiligten an den politischen Aktivitäten im Oden- cker, Hutmacher, Schuster, Sattler, Wagner, Schmiede, waldbereich, die sich von einer Demokratisierung des Dreher und Hafner, für den Baubereich zuständige Landes eine allgemeine Hebung der Verhältnisse ver- Zimmerleute, Maurer, Glaser und Schlosser gaben sprachen, gehörte der Michelstädter Schultheiß und zum Teil erst spät und nur unter staatlichem Druck Leiter der dortigen Verwaltung Georg Heinrich Bo- nach einer entsprechenden Regierungsverfügung ihre gen. Seine vorübergehende Festnahme nach einem bisherigen zünftischen Organisationsformen auf. Und Aufruf zur Steuerverweigerung als Druckmittel gegen noch immer fanden die seit dem Mittelalter jährlich das Land führte 1819 in Michelstadt zu einem Volks- abgehaltenen Vieh- und Krammärkte auf dem Mi- aufruhr, dem der Staat mit der zeitweisen Besetzung chelstädter Lindenplatz statt und wurden dort in un- der Stadt durch ein starkes Militäraufgebot, der In- verändert traditioneller Weise abgehalten86. haftierung am Aufstand beteiligter Demonstranten Erste Auswirkungen der Industrialisierung und 82 und einer hohen Geldforderung begegnete . Zu- die Übernahme moderner Wirtschafts- und Arbeits- nächst wirkungslos gebliebene Eingaben an den formen zeigen sich etwa in dem seit 183187 von Landesherrn und die Regierung sowie mehrfach wie- einem privaten Unternehmer geführten ehemaligen derholte Forderungen der Volksbewegung endeten gräflichen Hammerwerk mit Eisenhütte und Guss- schließlich 1820 doch mit einem Erfolg, als Lude- stahlproduktion, dem Aufbau einer bescheidenen wig I. eine Verfassung für das Großherzogtum erließ Textilindustrie durch die Einrichtung einer Manu- 83 und Wahlen zu einem Landtag anordnete . fakturwarenfabrik und dem Betrieb einer Wollma- Unter den geänderten politischen Konditionen der schinenspinnerei sowie in der 1858 200 m südlich der Zeit, die auch Michelstadt betrafen, stellte der Erlass Altstadt gegründeten Streichholzfabrik88. Mehrere einer Gemeindeordnung 1821 die Gleichheit zwi- Firmengründungen, die Errichtung der Kaltwasser- schen Ortsbürgern und Beisassen her, und der Bür- heilanstalt 1849 und die damit verbundenen Anfänge germeister wurde nun von der Gemeinde insgesamt des Fremdenverkehrs, der Ausbau moderner Fern- gewählt84. Mit Ablösung und Umwandlung aller gräf- verbindungswege, vor allem durch den in der zweiten lichen, kirchlichen und stadtrechtlichen Zehnten Hälfte des Jhs. erreichten Anschluss an die Oden- wurden noch aus dem Mittelalter stammende Struk- waldbahn89, die Erweiterung und Reform vorhande- turen bis zur Mitte des Jhs. endgültig überwunden. ner Bildungseinrichtungen und andere Maßnahmen So groß die Bedeutung der nach 1820 eingeführ- brachten zwar eine Reihe von Neuerungen und Ver- ten Mitbestimmung durch ein gewähltes „Parlament“ besserungen, halfen aber nur unzureichend, die immer für die allgemeine politische Entwicklung gewesen noch durch Abgabenbelastung, Hungersnöte, Miss- ist, die erst den notwendigen Wandel der sozialen und ernten, Teuerungen und Versorgungsengpässe vor- wirtschaftlichen Gegebenheiten bewirken konnte, so herrschende Notlage weiter Kreise der Bevölkerung gering waren zunächst etwaige direkte Auswirkungen zu überwinden. 1831/32 und in einer zweiten Phase für Michelstadt. Vielmehr verschlechterte sich hier sogar die Situation, nachdem die Stadt Erbach 1822 bei der Neuorganisation des Gerichts- und Verwal- tungswesens als Sitz des neuen Landratsamtes vor- gezogen worden war und Michelstadt zwei Jahre spä- 86 FRANZ, Michelstadt S. 132-133; HARTMANN, Familien und ter bei der Auflösung der Justizkanzlei auch noch ihre Häuser 1 S. 7-8, 11. Eine Aufstellung der Gewerbebe- triebe in Michelstadt vom Jahr 1800 in BUXBAUM, Michel- 85 seine Stellung als Gerichtsort verlor . Nur allmählich stadt S. 62. Zu den Tuchmachern ebd. S. 65. Zu den 1836 setzte sich das moderne Prinzip der Gewerbefreiheit belegten 13 Vieh- und Krammärkten HARTMANN, Familien gegen die mittelalterlich geprägten Wirtschaftsstruk- und ihre Häuser 2 S. 9. 87 turen durch. Noch lange hielt das in zwanzig Zünften Zur Entwicklung des Unteren Hammers HARTMANN, Wald- schmiede S. 17-22. organisierte Gewerbe an überkommenen Verfassungs- 88 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 47: 1828 Tuchfabrik Arzt, traditionen fest. In der Nahrungsmittelversorgung 1833 Anfänge der Kattunfabrik d’Orville, die 1846 in einem eigenen Gebäude nördlich des Oberen Hammers außerhalb der Stadt untergebracht wurde, siehe Katasterkarte Michel- stadt 1865/76 in diesem Atlas. HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 99, 128; FRANZ, Michelstadt S. 133. 82 FRANZ, Michelstadt S. 130. 89 Die westlich an Michelstadt vorbeiführende Eisenbahnlinie 83 FRANZ, Michelstadt S. 130. und der Bahnhof liegen abseits der Stadt; die Kaltwasser- 84 RUHR, Rechtsgrundlagen S. 149-150. heilanstalt entstand nördlich außerhalb des Stadtkerns, siehe 85 FRANZ, Michelstadt S. 131. Katasterkarte Michelstadt 1865/76 in diesem Atlas.

12 Hessischer Städteatlas – Michelstadt anderthalb Jahrzehnte später sahen sich vierzig Aus- Nicht nur Politik und Verwaltung, sondern auch wandererfamilien meist durch materielle Bedrängnis die Wirtschaft erlebte mehrfache Wandlungen. Wich- gezwungen, Michelstadt und ihre Heimat zu ver- tigster Arbeitgeber im Bereich der industriellen Fer- lassen, um sich in der Hoffnung auf bessere Lebens- tigung blieb über lange Zeit der mehrfach erweiterte möglichkeiten in Nordamerika, insbesondere in Texas, und umgebaute Untere Hammer, aus dem nach der und in Algerien anzusiedeln90. Privatisierung 1831 und der 1869 erfolgten Stillegung Wie im Vormärz beteiligten sich Michelstädter des Hüttenwerks bei häufigem Besitzerwechsel und Bürger aus den Kreisen demokratisch gesinnter Ver- mehrfacher Umstellung der Fertigung eine Maschi- eine auch im Revolutionsjahr 1848 an den politischen nenfabrik hervorgegangen ist, die 2002 ihren Betrieb 94 Kämpfen und traten für die an den Bedürfnissen der einstellte . Bei allen Bemühungen um den Anschluss Gesellschaft neu orientierte verfassungsmäßige, staats- an den technologischen Fortschritt und Besserungen bürgerliche Freiheit ein. Mit der schließlich erfolg- im Wirtschaftsbereich seit dem 19. Jh. ließ sich die reichen Durchsetzung liberaler Verhältnisse war das grundsätzliche Strukturschwäche der Region durch Ende der Ständegesellschaft erreicht. Den Hand- ihre topographische Lage und mangelnde Rohstoff- lungsspielraum der in Michelstadt verantwortlichen vorkommen nicht ausgleichen, weder durch die An- Bürgervertreter, den Weg bis zu ihren Ämtern, deren strengungen des Gewerbevereins noch durch zahl- Kompetenzen und Funktion sowie die Einbindung reiche kleine Firmengründungen aus vorhandenen der Stadt zunächst in das Großherzogtum und später Handwerksbetrieben. Selbst der Bau der Odenwald- in den Volksstaat bzw. das Land Hessen schreiben Eisenbahn brachte nicht die erhoffte Belebung, noch seit dem 19. Jh. bis in die Gegenwart immer wieder bis heute laufen die großen und leistungsfähigen Ver- 95 modifizierte Rechtsgrundlagen der Kommunalver- kehrswege weit an Michelstadt vorbei . waltung vor. Sie reichen von der Gemeindeordnung Der wesentliche Strukturwandel von einem Markt- 1821 über das neugeordnete Kommunalrecht in der ort und einer kleinen Ackerbürgersiedlung mit orts- Kaiserzeit, von der Landgemeindeordnung 1874, spä- ansässigem, nebenberuflich in der Landwirtschaft teren Änderungen und Fortentwicklungen gesetzli- tätigem Handwerk und technischen Kleinbetrieben cher Bestimmungen hinsichtlich der Selbstverwaltung zu einem modernen Wirtschaftsmittelpunkt im der Städte bis zur heute gültigen aktuellen Hessischen Mümlingtal und für den gesamten östlichen Oden- Gemeindeordnung91. wald vollzog sich erst bei allmählich zunehmender Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. wurden Industrialisierung in Ansätzen nach der Mitte des nach der Bildung des Kreises Erbach 1872 in Michel- 19. Jhs., vor allem aber im 20. Jh., zögernd bereits stadt mit dem Finanzamt, dem Amtsgericht, der nach dem Ersten Weltkrieg, in stärkerem Maß aber 96 Forstverwaltung und dem Katasteramt wieder eini- erst nach 1945 . Um 1950 existierten in Michelstadt ge Behörden angesiedelt, die der Stadt erneut Bedeu- fast 40 meist kleinere Industriebetriebe, von denen tung als Verwaltungsstandort gaben und sie an öffent- 14 Einrichtungen schon vor dem Ersten Weltkrieg lichen Aufgaben im Kreisgebiet beteiligte, die auch bestanden, während 15 weitere in den zwanziger Jah- durch die vorhandene , eine landwirtschaft- ren hinzukamen und 11 neue Firmen unmittelbar liche Lehranstalt und andere Bildungseinrichtungen nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden. In für den gesamten Odenwaldbereich wahrgenommen dieser Zeit entwickelte sich mit dem Fremdenver- wurden92. Im Zusammenhang mit der Hessischen kehr ein zusätzlicher Wirtschaftsfaktor, dessen Be- Gebietsreform kam es 197793 zur Angliederung der deutung in den folgenden Jahrzehnten nicht zuletzt Orte Steinbach, Vielbrunn, Würzberg, Weitengesäß, durch kommunale Förderung kontinuierlich wach- Stockheim, Steinbuch und Rehbach an Michelstadt, sen sollte. Die Übersicht zur Wirtschaftsstruktur das als administratives Zentrum dieser zugewachse- von Michelstadt seit der Mitte des 20. Jhs. veran- nen Teile kommunale Aufgaben der erweiterten Stadt- schaulicht in Zahlen die Verhältnisse der einzelnen gemeinde mit nunmehr fast 12.600 Einwohnern Erwerbszweige zueinander und die Wandlungen in- 97 übernahm. nerhalb mancher Branchen , wobei das endgültige Absinken der Beschäftigtenzahlen im agrarischen Be- reich am stärksten auffällt (siehe hierzu unten Kap. I.5. Wirtschaft, Gewerbe und Beschäftigte in den Nach- kriegsjahren).

90 WOLF, Kaisers Geschenk S. 262; FRANZ, Michelstadt S. 133. 91 RUHR, Rechtsgrundlagen. 94 HARTMANN, Waldschmiede. 92 KINKEL, Gewerbeleben S. 44-50. WALTHER, Schulen S. 21- 95 WOLF, Kaisers Geschenk S. 262. 99. 96 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 51. 93 Vgl. Kap. I.6. 97 SCHEUERBRANDT, Stadtkartierungen S. 61.

13 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

Während Erbach als Kreisstadt den überwiegen- 3. Jüdische Einwohner den Teil der administrativen Aufgaben zu erfüllen hat, bietet Michelstadt die Ergänzung als Einkaufs- und Seit wann Juden in Michelstadt ansässig waren, lässt Dienstleistungszentrum für den Hinteren Odenwald sich nicht genau ermitteln. Der älteste sichere Nach- mit seinem Angebot an Einzelhandelsgeschäften so- weis stammt von 1658100. Die Stadtrechnungen be- wie in seiner Funktion als Standort verschiedener richten in diesem Jahr über zwei jüdische Männer, Schulen mit einem differenzierten Ausbildungsan- die am Ort Fleischhandel betrieben. Ob die recht gebot und wachsender Bedeutung für den Fremden- späte Ersterwähnung mit judenfeindlichen Tenden- verkehr nach der gelungenen Altstadtsanierung zum zen und Verfolgungen im Bereich der Bergstraße und Erhalt des mittelalterlichen Stadtbildes und als Aus- der Pfalz sowie durch die abweisende Haltung einiger gangspunkt für Naherholung im Naturpark Oden- Landesherren zu erklären ist und sich die Juden aus wald98. diesen Gebieten bewusst ferngehalten haben, in de- 101 Entstehung und Weiterentwicklung des Ortes Mi- nen sie durch entsprechend scharfe Verfügungen chelstadt im Laufe der vergangenen Jahrhunderte noch stärkeren Beschränkungen und Bedrückungen zeigen sich eingebunden in die allgemeine Siedlungs- als andernorts ausgesetzt waren, bleibt im einzelnen 102 geschichte des Odenwaldes mit ihren prägenden Pha- zu beweisen. Die auch in Michelstadt gültige, 1629 sen, die von den militärischen Niederlassungen der von Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt erlassene römischen Truppen bis zur Zugehörigkeit zum Land Judenordnung enthielt unter ihren vielen Reglemen- Hessen reichen. Dem erst in der Karolingerzeit ein- tierungen auch die ausdrückliche Genehmigungs- setzenden Landesausbau war die Herausbildung der pflicht hinsichtlich der Ausübung gewerblicher Be- mittelalterlichen Städte aus vorhandenen Ansätzen rufe für Juden durch die städtischen Handwerker- gefolgt: Siedlungsplätze wie Michelstadt mit eigenem und Krämerzünfte – hinderliche Vorschriften, die Markt und wehrhafter Burg waren besonders geeig- schlechte wirtschaftliche Voraussetzungen für den Er- net und besaßen damit entscheidende Voraussetzun- werb des Lebensunterhalts boten, kaum die Mitar- gen zur Stadtwerdung, an der in diesem Fall auch beit im organisierten Handwerk ermöglichten und politische Absichten deutlich werden. Sie lassen den somit die Tätigkeiten auf Kleinwaren- und Vieh- 103 104 Bedarf der Herren von Erbach an einer Stadt erken- handel , gegebenenfalls auf Geldverleih sowie auf nen, um ihren dynastischen Aufstieg zu weiterem niedere Dienstleistungen reduzierten. Weitere Ein- Erfolg zu führen, ohne dass sie zu dieser Zeit die Er- schränkungen betrafen Besitzankäufe. Die bis Mitte hebung aufgrund fehlender Kompetenzen selbst des 18. Jhs. fast generellen Erwerbsverbote für Grund- hätten vornehmen können. Michelstadt zählt nicht zum Typ der im südwestdeutschen Raum verbreiteten hoch- und spätmittelalterlichen Gründungsstädte, die nach dem erklärten Willen der Territorialherren 100 SCHMALL, Juden S. 15: Zwei Juden wurden laut Stadtrech- entstanden, sondern hat sich ohne formalen Rechts- nung mit einem Gulden Strafe belegt, da sie ungeschätztes akt aus einem älteren Siedlungsansatz entwickelt. Fleisch verkauft hatten. Die zwei Juden, die bereits fast ein- hundert Jahre zuvor 1560 die gräfliche Münze in Michel- Auch wenn die Verleihung von Stadtrechten urkund- stadt inne hatten und mit der Beschaffung des zum Geld- lich nicht zu belegen ist, lassen sich schließlich im prägen benötigten Silbers befasst waren, wohnten nicht am 14. Jh. städtische Merkmale aus den inneren Struk- Ort, sondern in Königstein bzw. in Friedberg. turen und Gegebenheiten ableiten99. Kriegsbedingte 101 BATTENBERG, Judenordnungen S. 1-8. 102 Zerstörungen ganzer Landstriche und militärische BATTENBERG, Judenordnungen Nr. 13, 1629. 103 SCHMALL, Juden S. 9, 39, 41: 1780/90 gab es unter den Auseinandersetzungen in der Neuzeit beeinflussten knapp 100 Michelstädter Juden 7 Viehhändler und 9 Schnitt- die Entwicklung Michelstadts und die anderer Oden- waren(=Tuch-)händler. waldstädte ebenso wie Siedlungserweiterungen in der 104 SCHMALL, Juden S. 24-25: In zwei Fällen aus der zweiten Hälfte des 18. Jhs. lässt sich sicher nachweisen, dass soge- Moderne. Gerade dieser zuletzt angesprochene Vor- nannte Hofjuden, die über Vermögen und Beziehungen ver- gang, der als Folge der Industrialisierung seit dem fügten und dem Landesherrn bei der Geldbeschaffung und 19. Jh. die gravierendsten kulturräumlichen Verände- Regelung finanzieller Belange zu Diensten waren, auch in rungen durch die flächenhaften Ausweitungen mit Michelstadt wohnten. Sowohl der 1775 erwähnte Abraham Josef als auch der 24 Jahre später genannte Moses Speier sich brachte, hat – für Michelstadt, wie für die meis- standen aufgrund ihrer Stellung am Hof unter besonderem ten anderen Städte – bis zur Gegenwart noch keinen Schutz des Grafenhauses, besaßen für ihre Leistungen die Abschluss gefunden. Gunst der Erbacher und genossen durch ihr Amt besondere Privilegien gegenüber der Stadt: Sie zahlten keine Abgaben in die Michelstädter Stadtkasse und waren darüber hinaus von allen Fron- und Wachdiensten, d. h. den üblichen und pflichtigen Gemeinschaftsleistungen der Bürgerschaft, be- 98 FRIEDRICH, Michelstadt S. 30-31. freit. Zu Beschwerden und Streitigkeiten mit der Stadt, ins- 99 FRIEDRICH, Michelstadt S. 21. besondere mit der Metzgerzunft 1758 ebd. S. 28-29.

14 Hessischer Städteatlas – Michelstadt stücke und Häuser wurden erst allmählich gelockert trotz einiger weniger wohlhabender Gemeindemit- und gewährten schließlich unter bestimmten, stets die glieder, mit 126 Gulden Beisassengeld im Rückstand, Interessen der Christen bevorzugenden Konditionen woraufhin der Bürgermeister in seinem Jahresbericht Möglichkeiten zum Kauf von Immobilien durch Ju- die Situation nüchtern kommentiert: So wie es eben den105. ist, sind die Juden eine Last für die Stadt109. Um wei- Um überhaupt in die Stadt aufgenommen zu wer- teren Verschlechterungen zu begegnen und die Zahl den, benötigten generell auch Juden eine obrigkeit- der auch untereinander wirtschaftlich konkurrieren- 110 liche Genehmigung zur Ansiedlung. Im Gegensatz den Juden gering zu halten , sind Neuaufnahmen zu christlichen Zuzüglern konnten Juden jedoch keine nur zögernd genehmigt worden – Tendenzen, die 111 Vollbürger, sondern nur Beisassen mit beschränkten sich auch nach der Gemeindeordnung von 1821 Rechten werden. Für ihre Aufenthaltserlaubnis auf und der darin festgelegten juristischen Gleichstellung Widerruf zahlten sie jährlich 3 Gulden Kopfgeld106, als Staats- und Ortsbürger erhalten haben. Ihre Zahl mussten darüber hinaus, wie die übrigen Beisassen, stieg aber weiter an und erreichte bis um 1840 mit mehrere Tage pro Jahr Hand- und Spanndienste er- knapp über 200 Personen ihren Höchststand. Die bringen, sich am Stadtmauerbau, an Straßen- und inzwischen durchaus auch vorhandene Duldung zeigt Waldarbeiten beteiligen sowie Torwachen halten, sich etwa in der mehrheitlichen Solidarität christli- standen aber für ihre Geldabgaben und Gemein- cher Mitbewohner, die nach antijüdischen Plakat- schaftsleistungen unter dem Schutz der Stadt. Zu den aktionen zur Aufreizung zu ungesetzlichen Handlungen 112 Lasten, die Michelstadt zu tragen hatte, wurden sie gegen Juden in Michelstadt 1849 eine Bürgerwehr beispielsweise 1796107 im gleichen Maße wie die zur Sicherung der bedrohten Minderheit und Beibe- Christen herangezogen: Als die Stadt infolge der Koa- haltung der öffentlichen Ruhe aufstellte. litionskriege hohe finanzielle Forderungen des Lan- Bei einer schwankenden jüdischen Einwohner- desherrn erfüllen musste und 6.457 Gulden aufzu- zahl zwischen 130 bis knapp 200 blieb die Gewerbe- bringen hatte, wurden die Juden mit einem Anteil struktur bis in das 20. Jh. in etwa konstant, und noch von 401 Gulden belegt. um 1933 dominierten Vieh- und Warenhandel ge- 113 Unter den genannten sozialen und ökonomischen genüber Handwerksberufen . Zu dieser Zeit waren Bedingungen blieb die Gemeinde bis zur Mitte des etwa 20 über die gesamte Stadt verteilte Häuser mit 114 18. Jhs. mit weniger als zehn Familien nicht sehr Wohn- und Geschäftsräumen in jüdischem Besitz . groß. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der meisten Ab 1933 wurde den Juden in Michelstadt dann suk- 115 Michelstädter Juden blieben ebenfalls bescheiden. Von zessive jede Existenzgrundlage entzogen . Bis zur etwa 20 Familien Ende des 18. Jhs. waren sieben so Pogromnacht konnten etwa 40 von ihnen Deutsch- arm, dass sie nur beschränkt zur Zahlung ihrer pflich- land verlassen, die übrigen wurden danach deportiert tigen Abgaben fähig waren108. 1782 lagen die Juden, und auf den Transporten bzw. in den Konzentrations- lagern umgebracht116. Kein Einziger ist zurückgekehrt. Erste Nachrichten über einen eigenen Friedhof 117 105 BATTENBERG, Judenordnungen Nr. 9, 1625; ebd. Nr. 10, liegen vom beginnenden 18. Jh. vor. Um 1750 er- 1627; ebd. Nr. 93, 1715; ebd. Nr. 188, 1744; ebd. Nr. 192, 1747; ebd. Nr. 254-255, 1774; ebd. Nr. 270, 1779; ebd. Nr. 315, 1794. Trotz vieler Behinderungen gelangten auch in Michelstadt Juden an Grundbesitz, so schon um 1691: 109 SCHMALL, Juden S. 41. Die Bürger führten darüber Beschwerde, Juden hätten die 110 Selbst in der ersten Hälfte des 19. Jhs. ist die Aufnahme nach besten Häuser in der Stadt aufgekauft, woraufhin – wie noch Michelstadt noch streng kontrolliert worden: 1840/41 wurde häufiger bei vergleichbaren Klagen in der Folgezeit – so das Gesuch eines Antragstellers mit dem Hinweis auf die entschieden wurde, dass Christen den bevorzugten Zugriff vorhandene Zahl von Juden abgelehnt; ARNSBERG, Gemein- auf die Objekte erhielten und man ihnen den Vorzug bei den 2 S. 77. allen Kaufgeschäften garantierte. 111 Text über die Rezeption der Juden als Staats- und Ortsbürger 106 Die Christen zahlten mit einem Gulden pro Person im Ver- laut Verordnung der großherzoglich hessischen Regierung gleich nur ein Drittel des Beisassengeldes, das die höher be- vom Oktober 1821 bei SCHMALL, Juden S. 35-36. Allein der steuerten Juden aufbringen mussten. Über die Aufnahme- erforderliche Nachweis über ein Vermögen von mindestens bedingungen informiert die Antwort des Bürgermeisters auf 4.000 Gulden an Kapital bzw. Immobilien erschwerte den die Anfrage eines zuzugsuchenden Juden aus Eschau an den Juden den Zugang zur Stadt. Rat von Michelstadt von 1746; Text bei SCHMALL, Juden 112 SCHMALL, Juden S. 44-46. S. 16-17. 113 SCHMALL, Juden S. 67. 107 SCHMALL, Juden S. 28. Bei Einwohnerzahlen von 1.561 114 SCHMALL, Juden S. 67. Christen und 104 Juden, die für das Jahr 1791 überliefert 115 Über das Schicksal vertriebener und ermordeter Juden aus sind, ergibt sich eine ausgewogene Verteilung der gemeinsam Michelstadt SCHMALL, Juden S. 48-66 et passim. aufzubringenden Kosten von etwa 3,9 Gulden pro Person. 116 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 87-88. 108 SCHMALL, Juden S. 41: Laut Bericht des Michelstädter Bür- 117 Die älteste, heute verschollene Grabinschrift datierte von germeisters von 1782 waren mehrere Familienvorstände 1720; ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 88; SCHMALL, Juden alt, arm, arm und kränklich. S. 124-125.

15 Hessischer Städteatlas – Michelstadt hielt das 1,3 km nordöstlich außerhalb der Stadt an 4. Bevölkerungszahlen vom Mittelalter bis zum der Waldstraße gelegene Gelände eine Umfassungs- 21. Jahrhundert mauer. Mitte des 19. Jhs. musste der einzige im wei- ten Umkreis vorhandene Begräbnisplatz, der mehre- 815 40 männliche und weibliche Leibeigene, 14 hörige Knechte mit Frauen und Kindern122 ren Gemeinden im Odenwald diente, erweitert wer- um 1500 350 Personen123 den. Nach dem November 1938 wurde der Friedhof 1507 37 steuerpflichtige Haushaltsvorstände ein- geschändet und weitgehend zerstört, aber nach 1945 schließlich Witwen124 unter der Leitung des Stadtarchivars Ph. Buxbaum 1523 63 wehrfähige Männer125 1550 61 Familien126 wiederhergerichtet. Eine eigene Synagoge errichteten 1666 60 Anwesen mit ca. 300 Personen127 die Michelstädter Juden 1791 an der Stelle eines Vor- 1701 470 Einwohner128 gängerbaues, von dem allerdings nicht sicher bekannt 1703 88 Anwesen mit 467 Einwohnern129 ist, ob er bereits als Synagoge konzipiert worden 1731 130 Bürger, 12 begüterte Witwen, 15 Beisassen, 130 118 8 Juden war . Dieser neue Bau entstand auf einem direkt an 1750 1.096 Einwohner131 die Wehrmauer bei einem der Stadttürme (Spitzer 1752 1.130 Einwohner, darunter 2 Reformierte, 18 Ka- Turm) gelegenen Grundstück im nordöstlichen Ver- tholiken, 74 Juden132 lauf des Befestigungsringes, der heutigen Mauergasse 1753 142 Wohnstätten, 34 Scheuern, 11 Plätze133 1791 1.666 Personen, darunter 104 Juden, 151 Fremde; 19. Zu diesem spätbarocken Bau gehörte ursprüng- sie wohnten in 186 Häusern und 5 Stadt- lich ein jenseits der Stadtmauer gelegenes Frauen- türmen134 bad119. Obwohl laut einem Befehl des Gruppenfüh- 1806 2.070 Einwohner135 rers innerhalb des Bereichs der SA-Brigade 50 vom 1818 311 bedepflichtige Bürger136 1828/29 2.728 Einwohner137 10. Nov. 1938 alle „jüdischen Synagogen zu spren- 1837 3.004 Einwohner138 gen oder in Brand zu setzen“ waren, hat man in 1846 3.407 Einwohner139 Michelstadt in der „Reichskristallnacht“ lediglich die 1861 3.098 Einwohner140 Inneneinrichtung zertrümmert120. In dem Gebäude 1871 3.247 Einwohner141 1880 3.296 Einwohner142 befindet sich seit seiner Renovierung 1970 ein jüdi- 1900 3.224 Einwohner143 sches Museum. An dieser Synagoge war zu Beginn 1920 3.629 Einwohner144 des 19. Jhs. einer der bekanntesten und bedeutends- 1925 3.881 Einwohner145 ten Rabbiner der Zeit tätig. Der aus Michelstadt 1933 4.071 Einwohner146 147 gebürtige Seckel Löb Wormser121, der als mystisch- 1945 5.472 Einwohner asketischer Wundertäter in Anspielung auf seine über- natürlichen Fähigkeiten auch mit den Namen Baal Schem bezeichnet wurde, war ein ebenso außerge- 122 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 6a S. 280. wöhnlicher Geistlicher wie anerkannter Wissenschaft- 123 BATTENBERG, Gericht S. 83, errechnete Zahl. ler, dessen Privatbibliothek über 3.000 hebräische und 124 BATTENBERG, Gericht S. 83. 125 deutsche Werke unterschiedlichster geistes- und na- SCHEUERBRANDT, Stadttypen S. 381. 126 SCHEUERBRANDT, Stadttypen S. 382. turwissenschaftlicher Disziplinen umfasste. Aufgrund 127 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 17; WOLF, Mi- seiner talmudischen Abhandlungen und umfassenden chelstadt S. 102. Bildung genoss er höchstes Ansehen. Bis zu seinem 128 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 47. 129 Tod 1847 lehrte er in seinem Heimatort und leitete HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 17. 130 WOLF, Michelstadt S. 107. die von ihm selbst gegründete Thoraschule, die zeit- 131 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 47. weise über 70 Schüler in die Stadt zog und Michel- 132 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 18. stadt nicht nur zu einem Begriff in der jüdischen 133 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 17. 134 Gelehrtenwelt machte. HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 18; SCHMALL, Juden S. 102. 135 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 47. 136 FRANZ, Michelstadt S. 132. 137 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 17. 138 KEYSER, Städtebuch S. 334. 139 KEYSER, Städtebuch S. 334. 140 Beiträge zur Statistik 3 S. 212. 118 Zur Lage der Synagoge vgl. Katasterkarte Michelstadt 1865/ 141 KEYSER, Städtebuch S. 334. 76 in diesem Atlas; ALTARAS, Synagogen S. 169; SCHMALL, 142 KEYSER, Städtebuch S. 334. Juden S. 96-104. 143 KEYSER, Städtebuch S. 334. 119 SCHMALL, Juden S. 105-108, mit Lageplan und Grundriss 144 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 47. zur Stadtmauerüberbauung ebd. S. 108. 1960 wurde die seit 145 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 18; SCHEUER- dem Ende des 19. Jhs. außer Betrieb gesetzte Mikwe besei- BRANDT, Michelstadt S. 43-44. tigt. 146 SCHOEFER, Michelstadt heute, o. S.; KEYSER, Städtebuch 120 Abgedruckt bei KROPAT, Kristallnacht S. 157-158. S. 334. 121 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 78-85. SCHMALL, Juden S. 110- 147 SCHOEFER, Michelstadt heute, o. S.; KEYSER, Städtebuch 123. S. 334.

16 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

1946 5.279 Einwohner, darunter 848 Katholiken, 977 1937 50 Juden175 Vertriebene148 1938 132 Juden176 1950 6.112, Einwohner, darunter 683 Vertriebene und 1941 42 Juden177 712 Evakuierte149 1943 1 Jude178 1954 6.460 Einwohner, darunter 893 Flüchtlinge und 1958 1 Familie179 161 Evakuierte150 1961 6.614 Einwohner151 Entwicklung der Einwohnerzahlen nach Ortsteilen 1970 7.152 Einwohner152 1980 8.221 Einwohner153 1834180 1910 1939 1950 1975181 1986 2005182 1986 8.502 Einwohner154 Michelstadt 2.796 3.630 4.085 6.046 6.575 8.502 9.205 1995 9.651 Einwohner155 Rehbach 190 261 259 347 264 317 602 2005 9.205 Einwohner156 Steinbach 1.215 1.355 1.367 1.968 1.886 2.146 2.209 Steinbuch 362 438 475 616 533 520 564 Jüdische Einwohner in Michelstadt Stockheim 185 391 444 531 561 974 1.419 Vielbrunn 1.062 1.174 969 1.164 1.128 1.408 1.478 1658 2 männliche Juden157 Weiten-Gesäß 585 649 588 718 754 866 1.035 1688 5 Juden158 Würzberg 521 752 734 950 867 895 897 1695 8 Juden159 Gesamt 5.822 8.650 8.921 12.340 12.596 15.516 17.409 1700 7 Familien160 1731 8 Juden161 1750 10 Familien162 1752 74 Juden163 1780/90 7 Viehhändler, 9 Tuchhändler; Besitz 5. Wirtschaft, Gewerbe und Beschäftigungs- von einem ganzen, 10 halben und einem struktur in der Neuzeit viertel Haus164 1821 21 Familien165 Einwohner, Beschäftigte und deren Tätigkeitsbereiche 1861183 1828/30 177 Juden166 1837 33 Familien167 Von 3.098 Einwohnern (Erwerbstätige plus deren Familien- 1840 35 Familien mit 205 Personen, darunter angehörige und Dienstboten) lebten: 12 Ortsbürger, 25 Schutzjuden, 146 (4,7%) von der Landwirtschaft, 29 Händler und 4 Handwerker168 2.099 (67,8%) vom Handwerk oder produzierendem 1860/64 192 Juden169 Gewerbe, 1891 128 Juden170 272 (8,8%) vom Handel, Verkehr oder Gaststätten- 1900/05 124 Juden171 betrieb und 1925 99 Juden172 581 (18,8%) von Dienstleistungen bzw. waren nicht zu- 1933 92 Juden173 ordenbar. 1936 72 Juden174 Einwohner, Beschäftigte und deren Tätigkeitsbereiche in den Nachkriegsjahren184 1946 1950 148 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 47. Gesamteinwohner 5.541 6.102 149 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 48. Industrie und Handwerk 2.296 (41,4%) 2.813 (46,1%) 150 SCHOEFER, Michelstadt heute, o. S.; KEYSER, Städtebuch Öffentliche Dienste, S. 334. Dienstleistungen 806 (14,5%) 1.030 (16,9%) 151 FRIEDRICH, Michelstadt S. 29. Handel-, Geld-, 152 FRIEDRICH, Michelstadt S. 29. Versicherungs- und 153 FRIEDRICH, Michelstadt S. 29. Verkehrswesen 690 (12,4%) 835 (13,7%) 154 FRIEDRICH, Michelstadt S. 29. Land- und Forstwirtschaft 401 (7,2%) 229 (3,8%) 155 Stand vom 31. Jan. 1995, frdl. Mitteilung des Einwohner- meldeamtes Michelstadt. 156 Stand vom 31. Juli 2005, frdl. Mitteilung des Einwohner- meldeamtes Michelstadt. 175 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 76. 176 157 SCHMALL, Juden S. 15. SCHMALL, Juden S. 9. Die hier genannte Zahl erscheint im 158 WOLF, Michelstadt S. 104. Verhältnis zu den Angaben bei ARNSBERG für die Jahre 1936 159 WOLF, Michelstadt S. 104. und 1937 sehr hoch, muss an dieser Stelle aber ungeklärt 160 SCHMALL, Juden S. 9. bleiben. Bei Arnsbergs Angaben scheint Vorsicht geboten zu 161 WOLF, Michelstadt S. 107. sein, er widerspricht teilweise seinen eigenen Aussagen, so 162 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 76. gibt er für das Jahr 1937 zum einen 50 Personen, zum an- 163 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 18. deren 42 Personen an, ähnlich zu 1339, wo „26 Genannte“ 164 SCHMALL, Juden S. 39, 81. „20 Erwähnten“ gegenüberstehen; ARNSBERG, Gemeinden 165 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 76. 2 S. 76, 87. 177 166 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 76. SCHMALL, Juden S. 9. 178 167 SCHMALL, Juden S. 37. SCHMALL, Juden S. 9. 179 168 SCHMALL, Juden S. 81. SCHMALL, Juden S. 9. 180 169 SCHMALL, Juden S. 9, 81. Historisches Gemeindeverzeichnis S. 26-29. 181 170 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 76. Hessen. Gemeinden S. 396. 182 171 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 76. Stand vom 31. Juli 2005, frdl. Mitteilung des Einwohner- 172 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 76. meldeamtes Michelstadt. 183 173 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 76. Beiträge zur Statistik 3 S. 212-213. 184 174 ARNSBERG, Gemeinden 2 S. 76. SCHOEFER, Michelstadt heute, o. S.

17 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

Einwohner, Beschäftigte und deren Tätigkeitsbereiche 1987185 Einwohner, Beschäftigte und deren Tätigkeitsbereiche 2003187 Von 7.596 Einwohnern (Bevölkerung am Ort mit Haupt- wohnung) waren: Die 4.636 Erwerbstätigen verteilten sich auf folgende Wirt- 3.288 (42,3%) Erwerbstätige, schaftsbereiche: 1.044 (13,7%) Schüler und Studierende und 1.801 (38,9%) produzierendes Gewerbe, 206 (2,7%) Erwerbslose. 1.124 (24,3%) Handel, 918 (19,8%) Dienstleistungen, 11 (0,2%) Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Tätigkeitsbereiche (auch außerhalb von Michelstadt) 338 (7,3%) übrige Wirtschaftsbereiche.188 Die 3.288 Erwerbstätigen verteilten sich auf folgende Wirt- schaftsbereiche: 1.557 (47,4%) produzierendes Gewerbe, 6. Heutige Stadtteile189 618 (18,8%) Handel, Verkehr, Nachrichtenübermittlung, 32 (1,0%) Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Gemeindeteile Einwohner- Zeitpunkt der 1.081 (32,9%) übrige Wirtschaftsbereiche. zahlen 1975 Eingliederung Michelstadt 6.575 Gliederung nach Stellung im Beruf 1987 Rehbach 29 31. Dez.1971 Steinbach 1.886 1. Aug.1972 Von 3.288 Erwerbstätigen waren: Steinbuch 533 1. Feb. 1972 1.536 (46,7%) Beamte, Richter, Soldaten, Angestellte, kauf- Stockheim 561 1. Apr. 1971 männisch und technisch Auszubildende, Vielbrunn 1.128 1. Aug.1972 1.355 (41,2%) Arbeiter, gewerblich Auszubildende, Weiten-Gesäß 754 1. Okt.1971 397 (12,1%) Selbstständige, mithelfende Familienangehö- Würzberg 867 1. Feb. 1972 rige. Insgesamt 12.596

Erwerbszweige, Zahl der Arbeitsstätten und Beschäftigten (Ortseinwohner plus Einpendler!) in Michelstadt 1987186 Erwerbszweige Arbeitsstätten Beschäftigte Handel 155 (31,5%) 995 (18,6%) Dienstleistungen 153 (31,1%) 654 (12,2%) Verarbeitendes Gewerbe 81 (16,5%) 1.833 (34,3%) Baugewerbe 31 (6,3%) 699 (13,1%) Gebietskörperschaften/ Sozialversicherung 29 (5,9%) 767 (14,4%) Verkehr und Nachrichtenübermittlung 15 (3,0%) 206 (3,9%) Kreditinstitute/ Versicherungsgewerbe 14 (2,8%) 112 (2,1%) Organisationen ohne Erwerbszwecke 7 (1,4%) 35 (0,7%) Energie- und Wasserversorgung, Bergbau 1 (0,2%) 11 (0,2%) Gesamtzahl 492 5.343

187 http://www.hessennet.de/gemeindelexikon/webdb.asp? Table=gemeinden&Mode=0, eingesehen am 20. April 2005. 188 Zwischen der Aufspaltung der Beschäftigten nach Tätigkeits- bereichen und der Gesamtzahl der Beschäftigten ergibt sich 185 Strukturdaten über die Bevölkerung S. 26, 29. eine Differenz von 444 Arbeitnehmern. 186 Strukturdaten über Arbeitsstätten S. 42-43. 189 Hessen. Gemeinden S. 396.

18 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

II. Siedlungstopographische Entwicklung vom Kosten entstanden in der gesamten Mark, wohl auch Mittelalter bis zum 21. Jahrhundert190 in deren Hauptort, neue Häuser und Gebäude197. Durch die erhöhte Zahl an Eigenleuten im Gesamt- 1. Früheste Entwicklung bis zum 9./10. Jahrhundert gebiet dürfte die Bevölkerungszahl in Michelstadt mit Übergang zum 12. Jahrhundert191 ebenfalls gestiegen sein. So, wie Einhards Entschluss zur Niederlassung im Die in nordsüdlicher Richtung verlaufenden, durch Raum Michelstadt und Steinbach eine deutliche Be- den Taleinschnitt der Mümling getrennten Höhen- lebung der Region mit sich brachte, verloren diese züge des östlichen Odenwaldes bilden bei Michelstadt Orte mit seinem Fortzug nach nicht einmal 20 Jahren durch ihre weite Öffnung einen günstigen Siedlungs- ihre nur kurzzeitige Bedeutung. Seiner testamenta- platz. Zur Zeit der ersten gesicherten Erwähnung rischen Verfügung gemäß fielen Michelstadt und die des Ortes zu Beginn des 9. Jhs. konzentrierte sich die umgebende Mark nach seinem Tod 840 dem Reichs- älteste, vielleicht schon durch einen Wall oder Gra- kloster Lorsch zu. Die etwa sechs Jahrzehnte nach 192 ben geschützte Siedlung auf das Gebiet um einen dieser Übertragung von den nun geistlichen Grund- fränkischen Herrschaftsbesitz vermutlich im Bereich herren angelegte Güterliste198 verzeichnet um 900 der heutigen Kellerei im Südwesten der Altstadt und einen Gesamtbesitz von 8 Herren- und 46 Hörigen- auf das erhöhte Gelände um die nördlich davon ge- hufen ohne genaue Lageangabe der Bauernstellen, 193 legene zugehörige, 815 erwähnte hölzerne Kirche, von denen jedoch einige in Michelstadt vermutet wer- 194 die nicht, wie bislang angenommen 821 , sondern den dürfen. erst später zu unbekannter Zeit durch einen Neubau ersetzt wurde. Dieser Siedlungskern mit Wirtschafts- Als Zentralort der neuen Besitzungen im Oden- und Verwaltungsgebäuden und dem hölzernen Got- wald gewann Michelstadt für die Güterverwaltung teshaus befand sich auf einer nur leicht abschüssigen, des Reichsklosters Lorsch zweifellos an Bedeutung. hochwassergeschützten Flussterrasse östlich der Müm- Um 960 wurde hier – in castello Michlenstat199 – unter ling inmitten einer für das Odenwaldgebiet relativ dem Abt Gerbodo ein steinernes Haus gebaut, viel- fruchtbaren Region195. leicht an der Stelle des ehemaligen königlichen Wirt- schaftshofes. Reste der Fundamente aus dem 10. Jh. Nachweisliche Förderung erfuhren der Ort Mi- haben sich im nordwestlichen Bereich des später gräf- 196 chelstadt und die umliegenden Güter der gleich- lich-erbachisch-fürstenauischen Amtshofes, der sog. namigen Mark vor allem nach dem Besitzwechsel Kellerei, erhalten200. Ob mit der Errichtung dieses 815 durch den neuen Grundherrn Einhard. Er veran- festen Gebäudes – ein vermutlich zugehöriger Wehr- lasste nicht nur die Errichtung eines repräsentativen turm (Diebsturm) könnte um 1400 in den südlichen Kirchenneubaus in dem nahen, 1 km nordwestlich Teil der Stadtmauer integriert worden sein – auch entfernten Steinbach, sondern auf seine Initiative und Um- und Ausbauten der Siedlung oder die Verstär- kung der bereits für das 8. Jh. angenommenen um- laufenden Wall- und Grabenanlage als Verteidigungs- schutz verbunden waren, bleibt ungewiss. Doch lässt 190 Siehe hierzu die Karte Siedlungsentwicklung vom Mittelalter die aus der Mitte des 10. Jhs. überlieferte Bezeichnung bis 1865/76 in diesem Atlas. Michelstadts als castellum auf eine Befestigung der 191 Siehe rotbraune Fläche in der Karte Siedlungsentwicklung Siedlung oder zumindest auf eine vorhandene Burg vom Mittelalter bis 1865/76 in diesem Atlas. 201 192 Zur vermuteten Sicherung der Siedlung im 8. bis 10. Jh. schließen . durch eine Palisade, auf die eine um 1950 am heutigen Bie- nenmarktstor nördlich der Kirche in der Verlängerung der Rathausgasse zur Mauerstraße gefundene Schanzpfahlspitze schließen lässt; vgl. ALBACH, Stadtmauer S. 36. Da es sich nur um ein singuläres archäologisches Fundstück handelt, darf nur unter Vorbehalt auf eine Befestigung der gesamten 197 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 20, 819 Sept. 12, Siedlung geschlossen werden. Der schon für das erste, 815 S. 301. erwähnte hölzerne Gotteshaus ausgewählte Platz hob sich 198 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 3 Nr. 3663 S. 170. aus dem übrigen Gelände hervor, der Höhenunterschied zur 199 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1, Kap. 70 S. 353: do- westlich gelegenen Unteren Pfarrgasse in Richtung Mümling mum lapideam in castello Michlenstat edificauit (sc. Abt Ger- beträgt 3 bis 3,50 m, RAU, Stadtkirche S. 60. bodo). 200 193 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 19, 815 Jan. 11, Bei dem mittlere Teil des heutigen Südflügels mit seinen S. 300: basilica lignea modica. Sandsteinquadern und einem gotischen Torbogen dürfte es 194 Vgl. hierzu den historischen Abriss in diesem Heft Kap. I.1 sich um den ältesten Rest der 1307 bei dem Überfall auf besonders Anm. 5 mit den Forschungsergebnissen von Freise. Michelstadt zerstörten, erst nach 1321 wieder aufgebauten 195 FRIEDRICH, Michelstadt S. 12-21. Burg handeln; HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 196 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 19, 815 Jan. 11, 153-154; BUXBAUM, Michelstadt S. 25; WOLF, Michelstadt S. 299-300: locum qui vocatur Michlinstat; ebd. Nr. 21, 819 S. 104. Sept. 11, S. 302-304. 201 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1, Kap. 70 S. 353.

19 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

Auf eine Ausweitung der Aufgaben des Lorscher men, lässt sich nur erschließen. Die wohl aus Wall Amtssitzes deuten nicht nur die baulichen Aktivi- und Graben bestehende Verteidigungsanlage und die täten, sondern auch die aus der ersten Hälfte des Burg müssen bei dem Angriff vernichtet worden sein, 12. Jhs.202 belegte Nachricht über die Vergabe von durch den auch etliche Häuser im Ort betroffen ge- Zoll und Zehnt am Ort durch Abt Diemo, die auf wesen sein dürften. das Vorhandensein eines Marktes in Michelstadt und Neben dem schweren Schaden, den die Siedlung seine Funktion als Handelsplatz hinweist. Die be- genommen hatte, wirkte sich diese Angelegenheit deutendste überregionale Straße führte von Worms noch weitgehender aus. Infolge der nach dem Über- über Heppenheim, , Steinbach und Mi- fall von der siegreichen Seite erzwungenen Regelung chelstadt bzw. das nahegelegene Limeskastel Eulbach erhielten die Schenken von Erbach Michelstadt von nach Amorbach und Miltenberg – also vom Rhein dem Pfalzgrafen als Lehen zurück. Mit der Übergabe aus dem Wormser/Lorscher Raum an den Main203. des Ortes verbanden sich 1307, nach der erfolgreichen Belagerung, die nachdrücklich betonte Bedingung, 2. 13./14. Jahrhundert, Weiterentwicklung der dass hier keine Befestigung gegen den Willen des Marktsiedlung204 Pfalzgrafen errichtet werden dürfe209. Erst bei der förmlichen Lehensauftragung 1311 erhielt Eberhard Bereits vor der Aufhebung der Reichsabtei Lorsch der Ältere von Erbach die Erlaubnis, Burg und Stadt 1232 durch den Stauferkaiser Friedrich II. und der wieder neu aufzubauen210. Übernahme durch das Erzbistum Mainz hatten die Schenken von Erbach den eigentlichen Inhabern Mit den Wiederherstellungsarbeiten scheint un- einen Großteil ihres Besitzes in der Mark Michel- verzüglich begonnen worden zu sein, allerdings wurde 205 die Errichtung eines befestigten Sitzes in der Stadt stadt entfremdet . Während das benachbarte Erbach 211 als Wohnstatt der Ministerialenfamilie diente, blieb 1321 für zwei Jahre ausgesetzt . Erst Jahrzehnte nach Michelstadt, wie in seiner bisherigen Funktion unter der Zerstörung der Stadt und ihrer Wiedererrichtung den geistlichen Grundherren, Sitz der Verwaltung setzten 1390 die Planungen der Schenken zum Bau 212 und Marktort206. Sein vielleicht allmählich vergrö- einer Ringmauer zum Schutz der Siedlung ein , doch ßerter Kern lag weiterhin im Umfeld von Burg und sind den ersten Vereinbarungen zwischen Schenk Kirche. Im Umkreis des Gotteshauses deutet eine Ver- Konrad V. und Eberhard dem Jüngeren über die Fi- tiefung im Bereich der Oberen Pfarrgasse und Mauer- nanzierung und Durchführung der Arbeiten mit ge- straße zusammen mit der Senke des Rathausgäßchens nau festgelegten Geldabgabeerhebungen, mit Rege- nicht viel mehr als den Umriss eines möglicherweise lungen über zu leistende Hand- und Spanndienste wehrhaften Kirchenbezirks an, dessen Anbindung offenbar keine konkreten Maßnahmen gefolgt. Das und räumliches Verhältnis zum südlich gelegenen Vorhaben kam – vielleicht durch den Tod Konrads Lorscher Verwaltungsbereich mit seiner burgartigen 1390 – zunächst wieder zum Erliegen, bis endlich Anlage und deren nördlich trennenden Graben un- fünf Jahre später ein neuer Vertrag zwischen seinem geklärt bleiben207. Genaue Angaben zur Ausdehnung Sohn Johann und Eberhard über den Mauerbau ab- 213 der besiedelten Fläche oder baulichen Entwicklungen geschlossen wurde , der die älteren Abmachungen fehlen ebenso wie Hinweise auf Bewohner oder ein- bestätigte und im Detail erweiterte. Infolge der von zelne Vorgänge bei der Herausbildung der Stadt, die den Vertretern der Linien Erbach-Michelstadt und zum Beginn des 14. Jhs. greifbar wird. Erbach-Fürstenau 1390 und 1395 getroffenen Be- schlüsse wurde eine Steinmauer mit Holzaufbauten Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen errichtet. Die Stadt erfuhr jetzt ihre bedeutendste Aus- zwischen dem Mainzer Erzbischof und den Pfalzgra- weitung, die sich – aufgrund der günstigeren Gelände- fen zur Erringung der Vormachtstellung im Grenzge- vorgabe – nicht in die östlich ansteigenden Ausläufer biet ihrer Herrschaftsbereiche zerstörten die Truppen der Odenwaldhöhen vollzog, sondern in Richtung des Pfalzgrafen Rudolf 1307 Burg und Stadt Michel- der schützenden Niederungs- und Schwemmlande 208 stadt . Welches Ausmaß die Verwüstungen annah- der Mümling nach Westen erstreckte.

202 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1, Kap. 144 S. 426. 203 KLEBERGER, Territorialgeschichte S. 10-11. 204 Siehe die orangefarbene Fläche in der Karte Siedlungsent- wicklung vom Mittelalter bis 1865/76 in diesem Atlas. 209 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. X, 1307 Juni 6. 205 Vgl. hierzu den historischen Abriss in diesem Band Kap. I.2. 210 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. XV, 1311 Okt. 20. 206 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. X, 1307 Juni 6: 211 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. XXI, 1321 Aug. 10. oppidum, seu forum Michelstat. 212 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. CXVIII, 1390 207 MÜLLER, Stadtkern S. 120. März 27; SCHAEFER, Kunstdenkmäler S. 195-197. 208 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. X, 1307 Juni 6; 213 SCHNEIDER, Stammtafel, Urkunden Nr. 14, 1395 Dez. 20, ebd. Nr. XV, 1311 Okt. 20: Burch unn stat ze Michelstat. S. 514.

20 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

3. Um 1400, Ausbau der Stadt und Errichtung Lediglich zwei Stadttore, die mit dem Mauerbau der Stadtmauer214 um 1400 entstanden waren, boten Zugang zur Stadt. Auf das nördliche Untertor stieß der von Nordwesten Die 700 m lange Ringmauer mit vorgelagertem Zwin- aus Heppenheim über Fürth und Ober-Mossau kom- ger215 erhielt an strategisch wichtigen Stellen in fast mende alte Fernweg, der Michelstadt mit dem Kloster regelmäßigen Abständen von etwa 50 m mindestens Steinbach, dem Herrschaftssitz Fürstenau und land- fünf Halb- und Schalentürme. Eingebunden wurde wirtschaftlich genutzten Gemarkungsteilen verband, vermutlich der bereits bestehende, zum befestigten während – in Fortsetzung dieser seit Jahrhunderten Sitz der Lorscher Verwaltung aus dem 10. Jh. gehö- genutzten Strecke durch das Mümlingtal – vom Ober- rende runde Turm, der sog. Diebsturm mit dem Zent- tor aus im Südostteil der Mauer der seit Entstehung gefängnis, der in der Mitte des südlichen Mauerab- der Siedlung anzunehmende Überland-Anschluss in schnitts lag. Hinzu kamen vier geschlossene Recht- Richtung Eulbach nach Amorbach und Miltenberg ecktürme: der Peters- oder Bürgerturm mit Gefängnis am Main verlief und zudem der Weg nach Erbach im im Südwesten, ein Turm in der Mitte des westlichen Süden abzweigte. Die Verbindung zwischen den bei- Abschnitts, der 1456 nachweislich in ein Haus inte- den Doppeltoranlagen stellte die in der Stadtmitte fast griert wurde, der sog. Spitze Turm und der Nobis- rechtwinklig nach Osten abbiegende Hauptdurch- turm. Die aus Bruchsteinen errichtete, 1 bis 1,20 m gangsstraße her, deren Breite im unteren Abschnitt starke und 3 bis 4 m hohe Stadtmauer besaß einen – zumindest in der Zeit vor der stellenweise einen- hölzernen Wehrgang. Die wesentlich schwächere und genden Bebauung des späten 15. Jhs. – zunächst kei- niedrigere Zwingermauer lag 5 bis 8 m vor dem inne- nen abgeschlossenen zentralen Marktplatz erkennen ren Ring, wie der Plan von 1753 und erhaltene Archi- lässt, sondern eher eine langgestreckte, geräumige tekturreste im Südwesten vor dem Diebsturm bele- Handelsgasse. 216 gen . Künstlich angelegte Dämme und Wälle im Die um 1400 durch die Bauleistungen ihrer Be- Osten von Michelstadt (Leimkautenweg, jetzt Hoch- wohner entstandene wehrhafte Mauer von beacht- straße) dienten zur Verbesserung der Verteidigung licher Stärke umfasste ein leicht abgerundetes, in Richtung des ansteigenden Odenwaldes, ähnlich trapezförmiges Areal220, das zwar kein durchgängig wie die Geländevertiefungen im Süden der Kellerei gleichmäßiges Straßennetz durchzog, aber trotz der 217 (Kellereibergstraße) . Die um Michelstadt gezoge- dadurch entstehenden ungleich großen Baublöcke in nen Gräben, die in einem engeren Kanalsystem im etwa regelhafte Züge nach dem Wiederaufbau erken- Abstand von 6 bis 25 m, in einem zweiten erweiterten nen lässt. Ein dem Mauerverlauf folgender Straßen- Ring von 80 bis 100 m parallel dem runden Verlauf zug über die Untere und Obere Pfarrgasse umrundet der Stadtmauer folgten und noch in der Kataster- fast den gesamten Innenstadtbereich vom Südwesten karte von 1865/76 eingezeichnet sind, waren weit- über das nördliche Stadttor bis zum Stadtausgang gehend geflutet, ihr Wasser erhielten sie aus dem er- im Südosten. Die vom Untertor im Norden kom- giebigen Quellgebiet vor allem aus dem östlichen mende Große Gasse und ihre rechtwinklig am Markt 218 Nahbereich des Ortes vom sog. Kiliansfloß. Min- zum Obertor im Osten abbiegende Verlängerung im destens drei als verbreiterte flache Wassergräben an- Zuge der Kirchgasse (Am Kirchplatz) waren als Fahr- gelegte Teiche (Weede) lagen in dieser Richtung außer- bahnen in etwa gleichwertig bemessen221. Kleine und halb der engeren Mauer im Bereich des heutigen sehr viel schmalere Nebenstraßen verbanden die 219 Stadtgrabens . Wohnbereiche mit diesen Hauptdurchgangsstrecken, die zu dem mittig in der Stadt gelegenen Markt führ- ten. Die Verlängerung der Kirchgasse nach Westen stieß auf die parallel zur Stadtmauer bogenförmig umlaufende Pfarrgasse. Dem südlichen Mauerzug 214 Siehe die gelbgrüne Fläche der Karte Siedlungsentwicklung folgte die Häfnergasse, die im Osten an der Burg vom Mittelalter bis 1865/76 in diesem Atlas. 215 BUXBAUM, Michelstadt S. 29. Zu Zwinger, Mauern und den endete. Zwei kleine Nebenplätze ergaben sich nörd- drei Wallabschnitten MÜLLER, Stadtkern S. 121; SCHAEFER, lich des Marktes am Oberlauf der Großen Gasse so- Kunstdenkmäler S. 195-197; ALBACH, Stadtmauer S. 37-40. wie am Treffpunkt von Rathausgäßchen und Oberer 216 Vgl. die Reproduktion auf dem beiliegenden Sonderblatt. Pfarrgasse. 217 ALBACH, Stadtmauer S. 40. 218 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 37: Der Kilians- floß entspringt in der Kapellenwiese unterhalb der Stock- heimer Eiche beim Friedhof, verläuft heute fast 1 km unter- irdisch bis in die Braunstraße und speist jetzt den Teich im Stadtgarten, während er früher den Wassergraben an der Stadtmauer und die Weeden vor den Stadttoren versorgte; ALBACH, Stadtmauer S. 40. 220 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 44. 219 ALBACH, Stadtmauer S. 40. 221 MÜLLER, Stadtkern S. 121.

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Wie rasch der Raum innerhalb des Umfassungs- durch das 1484 entstandene, direkt in der Südwest- rings besiedelt und in welchen Bezirken er zunächst ecke an das Kirchenareal angrenzende Rathaus226 be- bebaut wurde, bleibt ungewiss. Trotz seiner Haupt- stimmt wurde. Die relativ geringe Größe des Platzes aufgabe als Sitz der erbachischen Verwaltung und lässt darauf schließen, dass die Markt- und Handels- als Marktort waren die innerstädtischen Verhält- funktion der Stadt nur bedingte Bedeutung besaß nisse im Mittelalter und darüber hinaus durch eine und lediglich als wöchentlicher Nahmarkt und loka- anteilige Selbstversorgung der Bürger mit Grund- ler Umschlagplatz selbstproduzierter oder importier- nahrungsmitteln auch agrarisch geprägt, ohne dass ter Waren der Bürger für die Ortsansässigen und ihre die Ortsansässigen ausschließlich von der Landwirt- Nachbarn aus der Umgebung diente. 222 schaft gelebt hätten . Zu den Wohnhäusern, vor Nicht nur die Errichtung des Rathauses veränderte allem auch zu den im Westteil gelegenen Wohnsit- die topographische Situation im Stadtzentrum, son- zen der in Michelstadt im Auftrag der Stadtherren dern auch der im östlich anschließenden Bereich im zur Verteidigung und zum Schutz des Ortes dienst- Jahre 1461227 begonnene Kirchenneubau. Schon Ein- 223 tuenden Burgmannen gehörten fast immer Ställe hard hatte bei der Übernahme der Schenkung 815228 und Scheunen für Vieh und Vorräte. Hinweise auf eine frühe christliche basilica lignea in Michelstadt Gärten in der Stadt und auf unbebaute Flächen noch vorgefunden, die später zu unbekannter Zeit, viel- 224 in der ersten Hälfte des 15. Jhs. lassen vermuten, leicht während der Zugehörigkeit zum Kloster Lorsch, dass das ummauerte Terrain erst allmählich, bei wach- durch einen Steinbau ersetzt wurde, ohne dass sich sender Bevölkerung, flächendeckend und enger mit schriftliche Nachrichten über die Ablösung der Holz- Gebäuden besetzt wurde. Zweifellos erfuhr das mit- kirche durch eine nur archäologisch229 bezeugte roma- telalterliche Michelstadt mit dem Mauerbau um 1400 nische Anlage erhalten hätten. Dennoch kann für den seine entscheidende Ausdehnung und umfasste durch Ort und die werdende Stadt ein vergrößertes, festes die neue Befestigung im Verhältnis zum bisherigen Gotteshaus angenommen werden230, das die Quellen Ortskern nun über ein doppelt so großes Areal, doch des 14. Jhs.231 eindeutig als Pfarrkirche ansprechen, dürfte seine Bemessung auf längerfristige Aufsiedlung die schließlich in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. ausgerichtet gewesen sein. Ein größerer Bezirk im einem kompletten Neubau im spätgotischen Stil ohne Südosten der Umfriedung blieb den Stadtherren vor- Übernahme älterer Architekturelemente weichen behalten. Als vorgeschobenes Rechteck nahm hier die ehemalige Burg des 10. Jhs., die seit 1532 aufgrund ihrer Funktion als Hebestelle für das Amt Michel- stadt Kellerei genannt wird, mit allen zugehörigen Gebäuden und ihrem langgezogenen Innenhof nicht 226 Ausführlich zu diesem technisch und handwerklich ein- unbeträchtlichen Raum innerhalb der Umwehrung drucksvollen mehrstöckigen, mit Erkertürmen geschmückte ein225. Etwa ein Drittel der im Süden fast gerade ver- Gebäude und seiner unten offenen Laube, die als Handels- laufenden Stadtmauer wurde in die Erbacher Anlage und Gerichtshalle diente, sowie zu der Frage, ob das Rat- haus an der Stelle eines Vorgängerbaus entstand KREBS, einbezogen, die mit der sog. Einhardspforte in ihrer Rathaus S. 13; SCHOLZ, Inschriften S. 46-47. Südostecke einen eigenen, über Zwinger und Burg- 227 BUXBAUM, Michelstadt. graben führenden Zugang in die Gemarkung besaß. 228 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1 Nr. 19, 815 Jan. 11, S. 300. In der Mitte des ummauerten Stadtbereichs be- 229 Ergebnisse der Grabung von 1967 in SOMMER, Einhardsbau. fand sich, an zentraler Stelle als Treffpunkt der abfüh- Obwohl von Funden einer angeblich 821 geweihten, auf renden Gassen und der durchziehenden Haupt- und Einhards Initiative erbauten Kirche nach Richtigstellung der fehlinterpretierten Quellenstelle aus den Fuldaer Anna- Fernstraße, der nicht allzu große Markt, dessen Form len (s. o. Kap. I.1 mit Anm. 5) nicht mehr die Rede sein kann und Sommer bei der Titelwahl für seine Publikation von falschen Voraussetzungen zur Gründungsgeschichte durch eine angenommene Verbindung zu Einhard ausgeht und die Funde daraufhin in das 9. Jh. datiert, gehören die baulichen Reste zu einer Architekturstufe zwischen der 815 222 WOLF, Michelstadt S. 107: Der 1731 angelegten Beschrei- erwähnten Holzkirche und dem gotischen Neubau am Ende bung des Amtes Michelstadt zufolge bebauten die Bewoh- des 15. Jhs. Das steinerne Gotteshaus aus der Zeit nach ner der Stadt nur versprengte Stücke, und nur wenige lebten Einhard wäre am ehesten dem Kloster Lorsch zuzuschreiben, ausschließlich von der Landwirtschaft. zu dessen Besitz Michelstadt zwischen 840 und 1232 ge- 223 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch S. 65; ebd. Nr. CL, 1401 hörte. In dieser fast 400 Jahre dauernden Phase wäre außer Feb. 22; ebd. Nr. CCV, 1425 März 16; ebd. Nr. CCXVIII, einer Siedlungserweiterung auch ein fester Kirchenbau denk- 1427 Nov. 9; ebd. Nr. CCXXXV, 1434 Feb. 22; ebd. Nr. bar. CCLVI, 1449 Okt. 18; ebd. Nr. CCXCIII, 1470 Sept. 28; 230 SCHAEFER, Kunstdenkmäler S. 160-188, mit Grundriss der ebd. Nr. CCXCVIII, 1477 April 24. spätgotischen Pfarrkirche und zahlreichen Abbildungen erba- 224 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. CL, 1401 Feb. 22; chischer Grabmäler. ebd. Nr. CCXXXV, 1434 Feb. 22. 231 SCHNEIDER, Stammtafel, Urkunden Nr. XCI, 1390, S. 137- 225 MÜLLER, Stadtkern S. 120. 138; ebd. Nr. 15. 1, 1391, S. 515-516.

22 Hessischer Städteatlas – Michelstadt musste. Die mächtige, auf Anregung von Schenk Platz- und Materialersparnis direkt an die Ringmauer Adolar aus der Reichenberg-Erbacher Linie 1461 angelehnten Stallungen, Scheunen und Nutzgebäude. begonnene Stadtkirche, die den Erbacher Grafen über Die mittelalterliche Stadtmauer war allmählich in 232 Generationen als Grablege diente, war demnach Verfall geraten und wies im 16. Jh. starke Schäden auf. mindestens der dritte Sakralbau an gleicher Stelle. Nachdem 1546 ein Abschnitt in der Nähe des Unter- 233 Direkt bei dem 1490 geweihten und 1542/43 fer- tores zusammengebrochen war und an anderen Stel- tiggestellten, in der Folgezeit noch mehrfach in De- len Einsturzgefahr drohte, ließ Graf Georg I. das tails veränderten Gotteshaus befand sich der erst 1535 Mauerwerk wieder aufführen und die Türme instand nach außerhalb südöstlich vor das Obertor verlegte setzen. 1560 waren erneut Ausbesserungsarbeiten nö- 234 Friedhof . Das gesamte Kirchengelände war von tig, zu deren Finanzierung – nach Übereinkommen 235 einer Mauer umzogen , die den geistlichen vom mit Schultheiß, Bürgermeistern und Rat – die Stadt weltlichen Bereich trennte und einen deutlich abge- 300 Gulden aufbringen musste238. Als Ausgleich für grenzten, eigenen Bezirk innerhalb der Stadtfläche die finanzielle Beteiligung verlangten die Schenken bildete. Zugang zum Marktplatz bot ein Tor neben von den Bürgern vorübergehend geringere Steuern dem direkt südwestlich an die Umfassung angelehn- und erließen ihnen gewisse Abgaben. Ähnliche Ab- ten Rathaus. machungen zwischen dem Stadtherrn und der Bür- gerschaft wurden 1687239 bei wiederum dringend er- 4. 16. Jahrhundert und Entstehung der Unteren forderlichen Reparaturen an Türmen und Mauern Vorstadt ab Mitte des 17. Jahrhunderts236 getroffen. Die Notwendigkeit dieser Instandhaltungs- maßnahmen belegen zeitgenössische Nachrichten, Im 15., vor allem aber im 16. und 17. Jh., im wesent- aus denen deutlich hervorgeht, welche Schutzfunk- lichen nach dem Dreißigjährigen Krieg237, entstand tion der wehrhaften Stadt gegenüber dem ungeschütz- ein Großteil der Fachwerkgebäude, die heute noch ten Land noch immer zukam, so während der Bedro- den Charakter der Stadt prägen. Wohn- und Wirt- hung durch die Truppen König Ludwigs XIV. von 240 schaftsgebäude bildeten in Michelstadt keineswegs Frankreich im Jahr 1674 , als Michelstadt – wie bei 241 immer eine räumliche, auf einer geschlossenen Par- zahlreichen anderen Kriegen und Fehden – zum zelle verbundene Einheit, sondern lagen durchaus Fluchtort vieler Bauern aus der Umgebung wurde, getrennt, wie Beispiele aus der Mauerstraße im Nord- die samt ihrer Habe mit Vieh und Wagen in die Stadt osten des Ortes verdeutlichen: Während sich die kamen und große Probleme hinsichtlich ihrer Unter- Wohnhäuser auf den stadteinwärts gewandten Teil bringung und Versorgung verursachten. der Gasse konzentrieren, findet man auf ihrer gegen- Nicht nur an der Stadtmauer und an verschiede- überliegenden Seite die zugehörigen, oft sogar aus nen Stellen im Zentrum, sondern auch an der herr- schaftlichen Anlage im Südosten der Stadt waren inzwischen mehrfach Umbauten vorgenommen wor- den. Schon im 15., überwiegend aber im 16. Jh.

232 NIKITSCH, Stadtkirche, mit einem Katalog sowie zahlreichen wurde ein Teil der alten Burg zur Kellerei der Erba- Abbildungen aller Grabplatten und Inschriften. Bis zur Fer- cher umgewandelt, zu der die 1539 fertiggestellte tigstellung des neuen Gotteshauses in der Stadt befand sich große Zehntscheuer zur Lagerung von Fruchtabgaben das Begräbnis der Erbach-Reichenberger Linie in der Stein- gehörte242. bacher Einhardsbasilika, während die Erbach-Michelstädter in dem romanischen Vorgängerbau in Michelstadt, die Er- bach-Erbacher im Zisterzienserkloster Schönau bei Heidel- berg beigesetzt worden waren; ebd. S. 104; vgl. auch die einschlägigen Einträge bei SCHOLZ, Inschriften. 233 Baubeginn 1461, Baubeginn Langhaus 1475, Kirchenweihe 1490, Grundsteinlegung zum Turmbau 1507, Fertigstellung des Kapellenanbaus für Schenk Eberhard XIII. 1542/43. 238 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch S. 63; ALBACH, Stadt- SCHOLZ, Inschriften S. 39-40, 49-50; RAU, Stadtkirche; mauer S. 40-41 mit Angaben über Höhe der Mauer, Um- KREBS, Baugeschichte, mit farbigem Bauphasenplan S. 54 a; bauten und Architektur. KREBS/NIKITSCH, Bildhauer. 239 SCHAEFER, Kunstdenkmäler S. 160. 234 Den neuen Platz des einen Kilometer weit vor die Stadt ver- 240 WOLF, Michelstadt S. 102-103. legten Friedhofs zeigt die Karte von Michelstadt und seinem 241 Vgl. zu Kriegen und Truppendurchzügen im Schmalkaldi- Umland aus dem Jahr 1832/50 in diesem Atlas. schen Krieg, im Dreißigjährigen Krieg, während des Pfälzer 235 Die Mauer ist noch deutlich auf dem farbigen Lageplan von Erbfolgekrieges 1688-1697, der Auseinandersetzungen um Michelstadt aus dem Jahr 1753 zu erkennen, vgl. die Repro- die spanische Erbfolge 1700-1714, zu Zeiten des Polnischen duktion auf dem beiliegenden Sonderblatt. (1733-1735) und Österreichischen Erbfolgekrieges (1740- 236 Siehe hierzu die grüne Fläche in der Karte Siedlungsent- 1748) sowie des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) den wicklung vom Mittelalter bis 1865/76 in diesem Atlas. historischen Abriss in diesem Heft Kap. I.2 sowie WOLF, 237 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 20-188; WOLF, Michelstadt S. 103, 107-108. Kaisers Geschenk S. 260. 242 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 43.

23 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

Zu dieser Zeit (1550)243 lebten 61 Familien mit 1648 nachweisen, bis 1662 folgten sieben weitere. ca. 320 Mitgliedern innerhalb der Stadtmauer. Gut Erst über zwei Jahrzehnte später kamen zwischen einhundert Jahre später, 1668, zählte man in Michel- 1685 und 1703 acht Neubauten hinzu, alle in der stadt bereits 92 Familien und 5 jüdische Haushalte Verlängerung der Großen Gasse dicht beim Unter- in 60 Anwesen244. Die Wohnbevölkerung hatte sich tor an der nach Nordwesten stadtauswärts führenden demnach über ein Drittel gesteigert. Bis 1703245 ent- Landstraße nach Steinbach, zum Schloss Fürstenau, standen mindestens 28 weitere Bürgerhäuser – die in das Mümlingtal mit überregionalem Anschluss Quellen berichten jetzt von 88 Anwesen und 467 über König nach Breuberg und weiteren Verzweigun- Einwohnern. gen zu Städten und Dörfern im Rhein-Main-Gebiet. Lange reichte der nur durch zwei Tore zugängliche Der vollständige Ausbau der Vorstadt in seiner Kern von Michelstadt zur Aufnahme der Bevölkerung Dreiecksform erfolgte erst in der ersten Hälfte des aus, doch war der etwa 4 ha große Altstadtbereich 18. Jhs. Ihr oberer Bereich mit der querverlaufenden, bis Ende des 16. Jhs. weitgehend aufgesiedelt. Das ost-westlich ausgerichteten heutigen Waldstraße, die Raumangebot war erschöpft, worauf die allmählich für die kommenden einhundert Jahre den nördlichen bis an die Stadtmauer reichenden Gebäude und die Abschluss der Siedlung bildete, entstand durch die Er- Ausnutzung kleinster Flächen hindeuten246. Schließ- richtung neuer Gebäude zwischen 1700 und 1760251. lich wurde der zu klein gewordene mittelalterliche Bis zur Vermessung des Geländes durch den herr- Stadtkern aus Platzmangel überschritten. Ansätze für schaftlichen Landfeldmesser Johann Wilh. Grimm Vorstadtbildungen bot die durch beide Stadttore und und die Umsetzung seiner Vorarbeiten in den Lage- über den Marktplatz verlaufende Landstraße247. Die plan von Michelstadt aus dem Jahr 1753252 war die erste vorstädtische Siedlung entwickelte sich – dieser Vorstadt auf 40 Parzellen angewachsen, von denen 30 Trasse folgend – im Norden vor dem Untertor. Ab- mit Wohnhäusern besetzt waren, während die übrigen gesehen von der bereits im 16. Jh. weit außerhalb der noch als Scheunenplätze und Freiflächen genutzt Stadtmauer entstandenen Hofstätte des Scharfrich- wurden. Fast alle Baulücken in der Unteren Vorstadt ters (heute Waldstraße 16)248, existierten hier bis in sind bis zum Ende des 18. Jhs. geschlossen worden, die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg höchstens so dass sich in der nächsten Zeit eine weitere Bebau- Stallungen und Scheunen, aber noch keine von Mi- ung nur noch beidseitig an den auswärts führenden chelstädter Bürgern errichteten und genutzten Wohn- Straßenarmen nach Nordwesten (Bahnhofstraße) und häuser. Von der Gründung einer Vorstadt 1668249, die Nordosten (Waldstraße) entwickeln konnte, wie aus angeblich in diesem Jahr für die wachsende Bevöl- der 1832/50253 gezeichneten Karte von Michelstadt kerung angelegt worden ist, kann keine Rede sein, und seinem Umland abzulesen ist. vielmehr bildete sich die vorgelagerte Siedlung, die Wer ließ sich nun in der frühesten Phase außer- zudem mit ihren Anfängen ein viel höheres Alter halb des alten Kerns nieder und bewirkte mit seiner aufweist, in einem allmählichen Prozess heraus, der Ortswahl die Herausbildung der vorstädtischen Sied- in mehreren zeitlichen und räumlichen Phasen ver- lung ? Welchen beruflichen Verhältnissen entstamm- 250 lief. Die älteste, 1753 entstandene kartographische ten die ersten Bewohner, die die soziale Zusammen- Darstellung dieses neuen Baugebietes außerhalb der setzung in der Neustadt prägten, und woher kamen Stadtmauer, das keine eigene schützende Umwehrung sie? Als einer der ersten zog der langjährige Stadt- mehr erhielt, zeigt einen in etwa dreieckigen Grund- schultheiß Strieder nach dem Dreißigjährigen Krieg riss, der sich an vorhandenen Straßenzügen orientiert. in das jenseits der Mauer gelegene Gebiet, blieb aber Die ersten Häuser in diesem Gebiet waren an dem mit seinem repräsentativen Neubau noch in unmittel- wichtigsten Zugang am Weg nach Steinbach errich- barer Nähe des Unteren Stadttores. Von den 30 Fa- tet worden. Die beiden ältesten Objekte lassen sich milien, die innerhalb von 100 Jahren, zwischen der Mitte des 17. und der Mitte des 18. Jhs., ihre Häuser im Norden der Altstadt errichteten, waren nur 14 nachweisliche Neubürger, 7 stammten bereits aus 243 SCHEUERBRANDT, Stadttypen S. 382; BATTENBERG, Gericht S. 83. 244 WOLF, Michelstadt S. 102; BATTENBERG, Gericht S. 83. 245 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 17. 246 BATTENBERG, Gericht S. 82. 247 MÜLLER, Stadtkern S. 120. 251 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 20-33. 248 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 26. 252 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 8-9. Die In- 249 WOLF, Michelstadt S. 108. Vielleicht bezieht sich die Zeit- nenstadt besaß 1666 60 Anwesen, 1703 88 Anwesen, 1753 angabe 1668 nicht auf die Anlegung der Vorstadt, sondern 142 Wohnstätten, 34 Scheuern, 11 Plätze. Die Untere Vor- ihre erste schriftliche Erwähnung, für die allerdings kein zum stadt umfasste 1648 2 Objekte, bis 1662 folgten 7 Objekte, Datum passender Beleg gefunden werden konnte. 1685-1703 8 Neubauten. 250 Vgl. die Reproduktion auf dem beiliegenden Sonderblatt. 253 Siehe in diesem Atlas die Karte von 1832/50, 1:25.000.

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Michelstadt, für die übrigen fehlen genauere Anga- 5. Entwicklung nach 1751. Entstehung der ben254. Daraus wird ersichtlich, dass man die Untere Oberen Vorstadt und Bebauung vor dem Vorstadt nicht etwa nur mit Zuzüglern und Auswär- Neutor ab 1773259 tigen besetzte, die bei ihrer Aufnahme als Bürger keinen geeigneten Platz mehr im Zentrum fanden, Eindeutig aus Platzmangel entstand schließlich die sondern dass das nun erschlossene Gelände einen er- Obere Vorstadt vor dem zweiten Stadttor im Süd- heblichen Besitzanteil von bereits eingesessenen Ein- osten von Michelstadt, nachdem die nördliche Vor- heimischen aufweist, die lediglich aus dem Altstadt- stadt, die sich aufgrund ihrer besseren Lage an den bereich in die neue Siedlung umzogen, sei es, um bedeutenderen Fernverbindungen zuerst herausge- hier eindrucksvollere und modernere Häuser zu bauen bildet hatte, bereits selbst schon verhältnismäßig dicht oder größere Flächen für ihr Gewerbe zu nutzen, die besiedelt war. Die Bebauung der Oberen Vorstadt in beiden Fällen im beengten Innenraum von Michel- setzte 1751260 mit der Umsiedlung eines Tuchmachers stadt schon seit langem nicht mehr in ausreichendem vom Marktplatz ein, dessen bisherige Bleibe dem Maß zur Verfügung standen. Einige Ratsherren, der Neubau eines großen Gasthauses (Löwenhof) an der Stadtschreiber und der gräfliche Verwalter wechsel- Ecke zur Großen Gasse weichen musste. Erst um ten ihren Wohnplatz ebenso wie Schmiede, Gerber, 1766 entstanden die nächsten beiden Häuser am so- Bäcker oder Inhaber von Gastwirtschaften mit eige- genannten herrschaftlichen Damm261, dem stadtaus- nen Brauereien, die für ihre Werkstätten und Betriebe wärts in die Gemarkung führenden Weg mit An- auf ein entsprechendes Raumangebot angewiesen schluss an die nach Süden über Stockheim nach waren, während ebenfalls in der Vorstadt wohnende Erbach verlaufende Straße, in deren Bereich vor dem Schneider, Strumpfstricker, Schuh- und Hutmacher Stadttor Bauplätze auf gräflichem Gelände ausgemes- ihrer Tätigkeit auch in einfachen kleineren Haus- sen wurden262. Und es sollte nochmals fünf Jahre stätten nachgehen konnten255. Zwar gab es im Inneren dauern, bis man 1771 an der heutigen Braunstraße von Michelstadt immer noch vereinzelt leere Flächen, ein weiteres Objekt errichtete, so dass in den ersten wie einer Bemerkung aus der Mitte des 18. Jhs.256 zu zwanzig Jahren seit der frühesten Bautätigkeiten in entnehmen ist, doch waren sie als Baugrund offen- diesem Gebiet nur vier Häuser entstanden sind, die bar wenig beliebt. Zu dieser Zeit trug die Erbacher zudem noch weit auseinander lagen und somit noch Regierung den Ratsherren auf, vorhandene öde Plätze keine ausgeprägte Vorsiedlung bildeten. Ihren eigent- mit Häusern zu bebauen, wobei die sehr kleinen Rest- lichen Entwicklungsschub erlebte die Obere Vorstadt parzellen, etwa an der nordöstlichen oder westlichen erst in den achtziger Jahren des 18. Jhs. mit 6 neuen Stadtmauer, keinen günstigen Baugrund boten. 1731 Hofstätten, deren zwischenliegenden Baulücken in lebten einer Amtsbeschreibung zufolge 130 Bürger, den folgenden zwanzig Jahren mit weiteren Objekten 12 begüterte Witwen, 8 Juden und 15 Beisassen in beiderseits der Straßenlinie gefüllt wurden263. Insge- Michelstadt257. Mehrfach sprach sich die Stadt im samt blieben Ausdehnung und Bedeutung der Obe- 18. Jh. gegen den Zuzug weiterer Bewohner aus, ren Vorstadt sehr bescheiden. Bei ihren Bewohnern wobei wirtschaftliche Argumente, die Angst vor Kon- handelt es sich ausschließlich um alteingesessene Bür- kurrenz sowie die Sorge vor allzu vielen Allmende- ger von Michelstadt, die bereits aus der Stadt stamm- berechtigten und der dadurch hervorgerufenen Ver- ten und lediglich in das Neubaugebiet umgezogen schlechterung des Allgemeinwohls für die bisherigen sind, unter ihnen – wie in der Unteren Vorstadt – Ortsansässigen mit der Begründung über herrschende mehrere Rotgerber und Gastwirte mit eigenen Brau- Raumnot einhergingen. Tatsächlich verhielten sich stätten264. Schon mit dem Überschreiten des alten die Verantwortlichen in Michelstadt sehr zurückhal- Mauerrings und dem zu Beginn des 19. Jhs. weiter- tend bei zusätzlichen Aufnahmen, ließen 1740 nur geführten Ausbau der Oberen Vorstadt verlor das aus fünf, in späteren Jahren gelegentlich zwei, oftmals dem Mittelalter stammende Obertor endgültig seine aber gar keine und erst 1761 wieder zehn Neubür- Bedeutung und wurde 1810265 abgerissen. ger zu258.

259 Siehe die blaugrüne Fläche in der Karte Siedlungsentwick- lung vom Mittelalter bis 1865/76 in diesem Atlas. 260 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 158-159. 261 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 159. 254 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 20-53. 262 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 8. 255 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 20-53. 263 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 36-50. 256 WOLF, Michelstadt S. 109. 264 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 39-42, 44-46, 257 WOLF, Michelstadt S. 107. 48-49. 258 WOLF, Michelstadt S. 108, 110. 265 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 158.

25 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

Aufgrund einer gräflichen Anordnung musste Bürgern als Gärten genutzt, die Abschnitte der mittel- 1773266 im Südwesten von Michelstadt ein drittes alterlichen Wassergräben zum Teil bereits trocken ge- Stadttor errichtet werden, das einen zusätzlichen Zu- legt hatten. Noch heute trennt dieser nur durch die gang zur Innenstadt bieten und eine bessere Verbin- neuzeitlichen Vorstädte im Norden und Osten unter- dung zur Feldflur und der Gemarkung im Süden brochene umlaufende Grüngürtel mit Gartenland herstellen sollte – eine Maßnahme, in der nicht alle und Parkanlagen273, der dem Zug der großenteils er- Bürger Vorteile erkannten, zumal sie allein die volle haltenen Stadtmauer folgt, deutlich die mittelalter- Höhe der Kosten zu tragen hatten und damit erheb- liche Siedlung von den neuen Stadtvierteln. Die Obe- lichen finanziellen Belastungen ausgesetzt waren. Wer renDammgärten lagen östlich der Stadtmauer, die keinen Beitrag zum Bau des Tores leistete, musste Be- Unteren Dammgärten schlossen im Westen an die nutzungsgebühren beim Passieren des neuen Tores Umwehrung an, im Süden befand sich der Kellerei- zahlen267. Um den nötigen Platz für den Zugang zu garten. Mit dem Abriss der befestigten Stadttore öff- schaffen, legte man den an dieser Stelle vorhandenen nete sich der alte Kern und verbesserte die Zugänge mittelalterlichen Wehrturm, den sog. Peters- oder zum Zentrum, 1810 fiel das Obertor im Südosten, Bürgerturm samt Gefängnis, nieder und erbaute an 1838 beseitigte man das Untertor im Norden, dem seiner Stelle ein bislang nicht vorhandenes Tor mit erst 1860 die Niederlegung des Neutores im Süd- Turmaufsatz268, das seinerseits knapp einhundert Jahre westen folgte274. Unter geänderter Militärtechnik später 1860 abgetragen wurde. Nur zögernd entwi- hatte die Stadtbefestigung bereits seit langem ihre ckelte sich eine Bebauung vor dem Neutor im Zuge Verteidigungsfunktion verloren. Anwohner, die in der der Ausfallstraße. Bis 1842269 entstanden hier lediglich Altstadt ihre Häuser direkt an die Wehranlage bau- 6 Anwesen. Allerdings wurde der bereits vorhandene ten, brachen Fenster und Türen in die Stadtmauer. Kellereiweg im Süden, der in Ost-West-Richtung Schließlich hat man in dieser Zeit auch die inzwi- dem Verlauf der äußeren Wehranlage folgte, zur wich- schen nutzlose Zwingermauer abgerissen und ihre tigsten Verbindung zwischen dem Neutor und der Steine anderweitig verbaut275. Oberen Vorstadt mit ihrer nach Erbach ziehenden Zwei Großbrände zerstörten in der ersten Hälfte Fernstraße. Die leicht nach Osten abfallende Strecke, des 19. Jhs. einen Teil der Altstadt. 1825276 verwüs- an der bislang nur kleine Bürgergärten lagen, führte tete ein Feuer neun Wohnhäuser, sieben Scheunen jetzt die über den alten Stadtkern hinauswachsenden und fünf Viehställe nordöstlich des Marktplatzes zwi- Teile von Michelstadt zusammen und erfuhr dadurch schen Großer Gasse und Rathausgasse, in dessen Folge einen Bedeutungszuwachs, der eine lebhafte Bebau- einige Anwesen zusammengelegt worden sind. 1847 ung besonders in den zwanziger bis vierziger Jahren brannte der Baublock unterhalb des Marktes bis zur des 19. Jhs. bewirkte270. Häfnergasse ab277. Geprägt wird der Marktplatz heute nicht nur durch das spätmittelalterliche Rathaus, die dahinterliegende Stadtpfarrkirche und frühneuzeitli- 271 6. Entwicklung bis 1865/76 che Fachwerkbauten, sondern auch durch den 1755 mit Unterstützung der Obrigkeit auf drei zusammen- Nachdem Michelstadt mit der Grafschaft Erbach gelegten Parzellen an der Großen Gasse entstandenen 1806 an das Großherzogtum Hessen gefallen war, „Löwenhof“. Der wohlhabende Hammerpächter nahmen die Bautätigkeiten außerhalb des mittelal- Friedrich ließ damit eines der wenigen Häuser im terlichen und inzwischen dicht besiedelten Stadt- barocken Stil in Michelstadt errichten, das nach dem kerns zu, wobei der Bereich der ehemaligen Wall- Feuer von 1825278 wiederhergestellt bzw. um den und Grabenanlage bis in die Gegenwart weitgehend Westflügel erweitert wurde. ausgespart blieb272. Schon Mitte des 18. Jhs. wurden die einstigen Befestigungsflächen direkt an der Mauer, Bis zur Mitte des 19. Jhs., wie das Bild der Katas- wie aus der Karte von 1752 zu ersehen ist, von den terkarte von 1865/76 zeigt, hatte Michelstadt seine

273 Siehe Katasterkarte Michelstadt 1865/76 und die Stadtkarte 266 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 144. 1991 in diesem Atlas. 267 WOLF, Michelstadt S. 110-111; SCHEUERBRANDT, Michel- 274 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 8-10. stadt S. 31. 275 ALBACH, Stadtmauer S. 40-41. 268 Die Rechnung des Maurermeisters, der die Umbauarbeiten 276 WOLF, Kaisers Geschenk S. 262. 1773 durchführte, vermittelt eine Vorstellung von der neuen 277 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 47. Tor- und Turmanlage; ALBACH, Stadtmauer S. 39-40. 278 WOLF, Kaisers Geschenk S. 260. Zu den Um- und Aus- 269 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 160-164. bauten nach dem Brand 1825, zur Nutzung als Brauerei mit 270 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 148-155. Gaststätte, als Station der Thurn und Taxis Post und schließ- 271 Siehe die blaugrüne Flächen in der Karte Siedlungsentwick- lich als Niederlassung der Stadtverwaltung vgl. HARTMANN, lung vom Mittelalter bis 1865/76. Familien und ihre Häuser 1 S. 90-93; BUXBAUM, Michel- 272 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 47. stadt S. 32-33.

26 Hessischer Städteatlas – Michelstadt mittelalterlichen Grenzen in ersten Ansätzen über- 7. Zweite Hälfte 19. bis 21. Jahrhundert285 schritten, sowohl durch die im 17. und 18. Jh. ausge- bildete nördliche Vorstadt als auch durch die beschei- Die bauliche Weiterentwicklung jenseits des mittel- denere vorstädtische Siedlung am Obertor und in alterlichen Zentrums und der beiden kleinen nörd- schwacher Ausprägung vor dem erst 1773 geschaf- lichen und südöstlichen Vorstädte schuf einen Stra- fenen Neutor im Südwesten. Ausgehend von diesen ßenring, der Michelstadts ältesten Kern nun mit der Bereichen entwickelte sich die weitere Bebauung. Die Waldstraße im Norden, der Hochstraße im Osten von der unteren Vorstadt nordwestlich führende und der Kellereibergstraße im Süden an drei Seiten Landstraße nach König, die seit 1900 als Bahnhof- parallel zum Verlauf der alten Stadtmauer im weiten straße bezeichnet wird, wurde mit 14 neuen Häusern Bogen umschloss. Neue Häuser entstanden zunächst am stärksten in den knapp vier Jahrzehnten zwischen an der nordöstlich der oberen Vorstadt abführenden 1790 und 1828279 bebaut. Etwas eher hatte sich ein Waldstraße286, nicht zuletzt angeregt durch den zweiter städtischer Wohnzweig im Nordosten her- 1887287 durchgeführten Ausbau der von hier fortlau- ausgebildet, der seinen Ausgang ebenfalls von der fenden Straße nach Weitengesäß. Weitere Anwesen Unteren Vorstadt nahm und an der Überlandverbin- finden sich in der Kellereibergstraße288, in der Ver- dung nach Weitengesäß-Vielbrunn entstand. Fast die längerung der südwestlich stadtauswärts führenden Hälfte der Anwesen in der heutigen Waldstraße sind Braunstraße um den Lindenplatz, in der von dieser zwischen 1763 und 1828280 gebaut worden, und erst Stelle nach Süden zur Nachbarstadt ziehenden Erba- nach über sechzig Jahren setzte sich die Stadtentwick- cher Straße289 sowie in der weiter westlich parallel da- lung Michelstadts ab 1890 in diesem Gebiet weiter zu angelegten heutigen Friedrich-Ebert-Straße290. fort. Vor dem anderen vorstädtischen Bezirk am Die Ausweitung von Michelstadt nach Nordwesten Obertor ging ebenfalls siedlungsbelebende Wirkung aus, wie die Bebauung des Lindenplatzes zwischen steht im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau 1869/82 und der Errichtung einer Bahnstation außer- 1806 und 1810281 mit der weiterführenden Verlänge- rung als Friedhofstraße in einer ersten Ausbauphase halb des alten Stadtkerns. Die Eröffnung der Lud- 282 wigsbahn auf der Strecke Darmstadt-Erbach im Jahr von 1808 bis 1872 mit neun Objekten beweist. 291 Wie in einem erweiterten umlaufenden Ring um 1871 verbesserte die Verkehrssituation im Müm- die Altstadt stellt die Hochstraße im Osten die Ver- lingtal erheblich und wirkte sich durch den endlich bindung zwischen Kellereibergstraße, Lindenplatz erreichten überregionalen Anschluss und die günsti- und Waldstraße her. An dem früheren Leimkauten- geren Warentransportmöglichkeiten auch belebend weg auf dem zweiten mittelalterlichen Wall jenseits auf die wirtschaftlichen Verhältnisse aus. Neue, zum der Stadtmauer entstanden die ersten 6 Anwesen bis Teil aus ehemaligen Handwerksbetrieben hervorge- 1855, während der eigentliche Ausbau mit heute fast gangene Fabrikationsstätten und moderne Industrie- 292 30 Häusern erst im Laufe von mehr als 100 Jahren betriebe der Holz-, Metall- und Textilbranche lie- ab 1871 bis 1987283 erfolgte. ßen sich in Michelstadt nieder und fanden geräumige Standorte mit ausreichenden Landreserven für Er- Auch an der von der Oberen Vorstadt ausgehen- weiterungen und günstigen Anschlüssen an Bahn und den, südlich nach Erbach ziehenden Landstraße setzte über den Lindenplatz hinaus zwischen 1790 bis 1828, vor allem nachdem die Kirche 1804284 Land an den „Oberen Gärten“ für Neubauten abgegeben hatte, eine lebhafte Besiedlung ein, die viele Jahrzehnte später, ab 1873, ihre bis heute anhaltende Fortset- 285 Siehe hierzu die Karte Siedlungsentwicklung von 1865/76 bis 1991 mit sechs farblich differenzierten Angaben, die das zung fand. Damit gehören die Erbacher Straße, die Wachstum von Michelstadt von der Mitte des 19. bis zum Bahnhofstraße in Verlängerung der Frankfurter Straße Ausgang des 20. Jhs. zeigen und die Ausdehnung der be- sowie die Waldstraße zu jenen drei Neubaubereichen, bauten Flächen jeweils bis 1922, bis 1938, bis 1952, bis 1971 und bis 1991 wiedergeben. die alle an alten Überlandverbindungen entstanden 286 und ihre früheste deutliche Ausdehnung in den In der Waldstraße entstanden zwischen 1890 und 1979 37 neue Anwesen; HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. ersten drei Jahrzehnten des 19. Jhs. erfuhren, denen 181-208. dann weitere Ausbauten erst sehr viel später folgten. 287 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 10. 288 In der Kellereibergstraße entstanden zwischen 1871 und 1987 19 neue Anwesen; HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 130-136. 279 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 19-35. 289 In der Erbacher Straße entstanden zwischen 1873 und 280 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 181-208. 1767 37 neue Anwesen; HARTMANN, Familien und ihre 281 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 156-159. Häuser 2 S. 59-83. 282 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 89-95. 290 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 47. 283 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 130-136. 291 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 48. 284 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 8. 292 SCHEUERBRANDT, Stadtkartierungen S. 60-61.

27 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

Fernstraße vor den Mauern der mittelalterlichen Aufgrund des starken Zuzugs bestand lebhafte Nach- Stadt. Die zweite Hälfte des 19. Jhs. brachte Michel- frage nach Unterkünften. Um der Wohnungsnot zu stadt eine deutliche Umstrukturierung und einen begegnen, entstanden zahlreiche neue Häuser, wobei Wandel von der einstigen Handwerker- und Acker- der Wohnungsbau nicht mehr wie früher überwie- bürgerstadt mit Marktfunktion zu einer, wenn auch gend privater Initiative entsprang und Einfamilien- bescheidenen Industriegemeinde mit wachsendem objekte hervorbrachte, sondern jetzt zunehmend ge- Anteil an Handel und Gewerbe und einer nach aus- zielt auch von der Stadt bzw. von Wohnungsbauge- wärtigem Absatz orientierten Produktion – Entwick- sellschaften betrieben wurde und zur Errichtung teil- lungen, die sich auch auf die Siedlungsstrukturen aus- weise mehrgeschossiger Anlagen führte. Allein in den wirkten. So entstanden im Umfeld neuer bzw. wei- zehn Jahren zwischen 1945 und 1955 erhielt Michel- terentwickelter Betriebe Arbeiterwohnhäuser, z.B. stadt 206 neue Häuser mit knapp 450 Wohnungen299. südlich in einiger Entfernung von der Kernstadt am Die zwischen Hochstraße und heutigem Stadtring Unteren Weg293 bei der Tuchfabrik Arzt. im Osten entstandene Siedlung lässt mit ihren hei- Behörden und Ämter (Amtsgericht, Finanzamt, matbetonten Straßennamen die Erinnerung an die Katasteramt), Dienstleistungsbetriebe (Städtisches Herkunft der ersten Anwohner und Zuziehenden aus Krankenhaus, Gaswerk) und Schulen lagen verstreut Breslau, Chemnitz, Königsberg, Danzig, Leipzig oder über die Stadt, zum Teil im alten Kern aber auch dem Sudetenland erkennen. außerhalb des Mauerrings, wie die Volksschule von Mit den Flüchtlingen stieg auch die Zahl der bis 1900 in den nördlichen Beinegärten (Schulstraße), dahin nur schwach vertretenen Katholiken. 1946300 das 1882 aus dem Landgericht hervorgegangene wurde in Michelstadt wieder eine katholische Pfarrei Amtsgericht in der Erbacher Straße, in der auch das eingerichtet, die erste nach der endgültigen Einfüh- 1906 erbaute Forstamt angesiedelt war oder die Gas- rung der Reformation in der Herrschaft Erbach 1539. anstalt am südwestlichen Hammerweg294. Ein eigenes, St. Sebastian geweihtes Gotteshaus er- 301 Nach der Unterbrechung durch den Ersten Welt- hielt die Gemeinde 1958 in der d’Orvillestraße krieg setzte erneut rege Bautätigkeit ein, die vor allem nördlich des alten Stadtkerns. den Norden und Nordosten betraf. Abhängig von In den fünfziger Jahren des 20. Jhs. sind schließlich den gewandelten Funktionen der Stadt, die sich zu auch die Flächen zwischen den bereits mit Häusern einem Industriestandort mit Verwaltungsaufgaben bestandenen, radial vom alten Zentrum nach auswärts entwickelt hatte, entstanden Siedlungsgebiete eige- führenden Straßenzügen (Bahnhofstraße, Waldstraße, ner Prägung wie das vorwiegend von Beamten und Erbacher Straße) in den Generalbebauungsplan ein- Angestellten bewohnte Viertel in der Pestalozzistraße bezogen worden302. Unter Zurückdrängung und und der d’Orvillestraße295. Als überwiegendes Wohn- Überbauung der dicht am alten Zentrum – jenseits gebiet zeigt sich auch die Jahnstraße unweit der des bis auf den nördlichen Abschnitt erhaltenen mit- 1927296 hier im Nordosten angelegten Sportstätte mit telalterlichen Wall- und Grabenbereichs – gelegenen Stadion und Schwimmbad. Südlich der Altstadt ent- Gärten, Feld- und Wiesenfluren303, sind neu bebaute stand in den Jahren 1924/25 in der Damaschkestraße Räume entstanden, die sich im Grundriss unregelhaft eine bemerkenswerte Kleinsiedlung mit insgesamt entwickelt haben, lockere Besiedlung zeigen und sich zwölf Einfamilienhäuser für Beamte von Stadt, Bahn im Stadtplan deutlich gegen den lückenlos mit Häu- und Post297. sern besetzten Altstadtkern abgrenzen. Der Flüchtlingsstrom, der nach dem Zweiten Im Süden berühren sich heute bereits die bebauten Weltkrieg auch Michelstadt erreichte, ließ die Zahl Stadtflächen von Michelstadt und Erbach, deren der Einwohner merklich ansteigen. Lebten 1939 Grenzen im Siedlungsbild allmählich miteinander 4.085 Personen in Michelstadt, waren es 1946 be- verschmelzen. Durch die Ausdehnung nach Südosten reits 5.279, darunter 977 Vertriebene. Bis 1950 wuchs ist Michelstadt mit Stockheim, im Nordwesten jen- die Gemeinde auf 6.112 Einwohner mit einem An- seits von Mümling, Bahnstrecke und Umgehungs- teil von 683 Vertriebenen und 712 Evakuierten298.

293 BUXBAUM, Michelstadt S. 31. 299 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 48; SCHOEFER, Michel- 294 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 10-11, 14, stadt heute, o. S. 129. 300 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 43-44, 52: 1925 lebten 295 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 54-59, 164- unter 3.868 Einwohnern 281 Katholiken, 1946 waren es 166; SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 48. bei einer Bevölkerung von 5.279 Personen 848 Katholiken. 296 HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 11. 301 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 49. 297 TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 427-428. 302 KINKEL, Gewerbeleben S. 49. 298 SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 48. 303 MÜLLER, Stadtkern S. 120.

28 Hessischer Städteatlas – Michelstadt straße mit dem ehemals selbstständigen Steinbach Gewerbe- und Verwaltungsgebäuden geblieben305. zusammengewachsen. Während diese beiden im Einer der stärksten Eingriffe in die erhaltene mittel- Stadtgebiet aufgegangenen Dörfer auch räumlich mit alterliche Bausubstanz und ihr Gefüge war die Schaf- Michelstadt verbunden sind, liegen die übrigen – fung einer künstlichen Öffnung, die auf Beschluss politisch und administrativ in jüngster Zeit ange- der Kommunalpolitiker in die Stadtmauer gebrochen schlossenen Stadtteile im gesamten Umland weiter worden ist: 1969 wurde im Nordosten das sog. Bie- entfernt: Seit der Gebietsneugliederung von 1972 ge- nentor vollkommen neu erbaut, eine im mittelalterli- hören außer Stockheim und Steinbach die bis dahin chen Stil gehaltene Pfortenanlage, die den Durchgang selbstständigen Gemeinden Rehbach, Steinbuch, Viel- zu dem außerhalb der Mauer gelegenen Parkgelände brunn, Weitengesäß und Würzberg verwaltungstech- ermöglicht. Ihre historisierende Architektur ahmt be- nisch zur Stadt Michelstadt304. wusst frühere Wehrbauten nach und verleitet damit Die Siedlungsgeographie und -struktur der Nach- schnell zu der Annahme, Michelstadt habe im Mittel- kriegszeit lassen hinsichtlich der funktionalen Glie- alter nicht nur über das Unter- und Obertor im Nor- derung drei Bereiche erkennen. Während im Westen den und Südosten verfügt, sondern außer diesen bei- entlang der Mümling an der Umgehungsstraße vor- den Einfahrten noch einen dritten Zugang besessen wiegend Industrie zu finden ist, hat sich im Osten ein – ein Trugschluss, der erst durch die künstlich herbei- fast reines Wohngebiet herausgebildet, hingegen ist geführte bauliche Verfremdung im 20. Jh. hervorge- der alte Ortskern ein Mischgebiet mit Wohnhäusern, rufen wird.

305 SCHEUERBRANDT, Stadtkartierungen S. 60, dazu Kartenskizze 2 S. 63 mit der Gliederung der Stadt kurz nach Mitte des 20. Jhs. in Wohngebiete, Mischgebiete, Kirchen und Be- 304 FRIEDRICH, Michelstadt S. 28. hörden, Geschäftsstraßen, Industrie und deren Landreserven.

29 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

III. Erläuterungen zum Kartenwerk, Aufbau der merkungen über die Größe der Parzellen als Grund- Karten und Hinweise auf ihre Quellen lage der Besteuerung auch die Angaben über die Art der Grundstücke enthalten, ob es sich um eine Hof- 1. Katasterkarte 1865/76, 1:2.500 reite handelt, um Gärten, Äcker, Wiesen, Gras- und Obstländereien oder Grundgüter anderer Art (siehe Die Katasterkarte von Michelstadt beruht auf den hierzu Legende zur Katasterkarte mit Farbsignaturen). „Parzellen Karten der Gemarkung Michelstadt“. Da Die schriftlich in den Flurbüchern von Michelstadt die 1865 begonnene und 1872 fertiggestellte Origi- aus der Zeit um 1865 überlieferten Angaben, die sich nalausfertigung nicht mehr vollständig vorliegt und über die in den Bänden festgehaltenen Parzellennum- die erhaltenen Teile stark beschädigt sind, wurde mern auf die korrespondierenden Nummern in den der Bearbeitung für den Hessischen Städteatlas eine Inselkarten zuordnen lassen, ermöglichen es, ein bis- gleichzeitig im 19. Jh. angefertigte Kopie zugrunde- her nicht vorliegendes farbiges Bild von Michelstadt gelegt (Quellen siehe Karte „Übersicht Hessen“). und seiner Gemarkung herzustellen, das die Nutzung Die älteste, exakt vermessene Katasteraufnahme einer jeden Fläche in der Stadt und außerhalb des von Michelstadt besteht aus einer Vielzahl von Insel- Ortes erkennbar macht, die nun erstmals vom Be- karten mit Grundrissen und Flurnamen. Die hand- trachter im Zusammenhang abgelesen werden kann. gezeichneten Karten in unterschiedlichen Größen ent- Die farbigen Katasterkarten des Hessischen Städte- halten keine Angaben zum Maßstab. Ebenso fehlen atlas sind somit Quelle und Neuschöpfung zugleich; ihnen Hinweise auf ihre geographische Ausrichtung, Quelle aufgrund ihrer Herkunft aus archivalischer die Himmelsrichtung ist in der Regel nicht vermerkt, Überlieferung der Parzellenkarten und Flurbücher, die Blätter sind nicht einheitlich genordet. Vielmehr Neuschöpfung infolge der Umsetzung zu einem bis- werden die Grundrisse in verschiedenartigsten Dre- lang nicht vorliegenden Gesamtbild mit vereinheit- hungen wiedergegeben, wobei die günstigste Ausnut- lichtem Maßstab und informationstragender Farb- zung der Fläche auf dem Zeichenkarton von entschei- gebung auf vorgegebenem Grundriss. dender Bedeutung für die Verteilung des Ausschnitts Zur Quellenedition gehören auch Übernahme auf der Arbeitsvorlage gewesen zu sein scheint. In und Wiedergabe der Flurnamen, die sich in der Ori- Hinblick auf Größe und Ausrichtung waren die In- ginalüberlieferung der Parzellenkarten befinden. Die selkarten keiner Normung unterworfen. dortigen handschriftlichen Eintragungen erscheinen Die einzelnen Zeichnungen, die die gesamte Ge- in der Katasterkarte im Druck. Unterschieden werden markung von Michelstadt, Ortslage der Stadt mit nach Schriftart und -größe die Bezeichnungen für umgebender Flur, umfassen, sind in Buchform zu- Flur und Gewann, Fläche und Platz, Gebäude und sammengebunden worden und nehmen mehrere Hof, Verkehrsweg und Gewässer (siehe hierzu Le- Bände ein. Grundlage für die vorliegende Publika- gende zur Katasterkarte). Fehlen im Original für die tion im Hessischen Städteatlas bilden die Bände I und Stadtgeschichte wichtige Angaben, etwa die Bezeich- II mit den Fluren I, II, VI-VIII, XI in den Maßstäben nung von öffentlichen Gebäuden (Rathaus, Kirche, 1:500 und 1:1.000. Fortifikationsbauten u. ä.), werden diese für den heu- Während bei der Erstellung der „Parzellen Karten“ tigen Benutzer unverzichtbaren Informationen aus 1865 nie beabsichtigt worden ist, die Inselkarten zu anderen, möglichst zeitnahen Quellen in die bear- einem Gesamtbild zusammenzufügen, sondern die beitete Karte übernommen und in Klammern ergän- Unterlagen der Finanzbehörde lediglich zur Besteue- zend hinzugesetzt. rung von Grundbesitz dienen sollten, führt die Be- Als zusätzliche Interpretationshilfe enthalten alle arbeitung im Städteatlas die Einzelblätter erstmals im Hessischen Städteatlas publizierten Katasterkarten zu einer Rahmenkarte im Maßstab 1:2.500 zusam- Höhenlinien, um die topographischen Gegebenhei- men, um den genordeten Grundriss von Michelstadt ten und die Niveauverhältnisse, etwa steile Gelände- in seiner umgebenden Flur wiederzugeben. abbrüche oder ausgedehnte ebene Flächen, besser er- Die Kartenvorlagen des 19. Jhs. enthalten, bis auf kennen zu können. Die Zufügung von Isohypsen, die die farbige Unterscheidung von Wohn- und Wirt- in der Überlieferung des 19. Jhs. fehlen, ermöglicht schaftsgebäuden, keine Hinweise auf die Nutzung der in mancher Hinsicht Rückschlüsse auf die Stadtge- einzelnen Parzellen durch Kolorit. Um die Kataster- schichte, die ohne Geländekenntnisse verborgen blie- karte dennoch in Farbe wiederzugeben und alle Flä- ben. So lässt sich mit Hilfe der Höhenlinien der Gang chen nach ihrer Struktur und Beschaffenheit zu un- der Besiedlung besser ablesen, zur Ausdehnung der terscheiden und darzustellen, wurden die zu den Stadt unbrauchbare Bereiche werden erkennbar und Steuerkarten gehörenden Flurbücher herangezogen, können von siedlungsgünstigen topographischen Vor- die zeitgleich begleitend um 1865 entstanden sind aussetzungen für die Stadtentwicklung unterschieden und neben den Namen der Besitzer und den Be- werden. Die Höhenangaben für Michelstadt, wieder-

30 Hessischer Städteatlas – Michelstadt gegeben in Form von Linien (graphisch geschieden vom Großherzogtum Hessen gerade hinsichtlich der nach Abständen von 1 m bis zu 10 m) und Punkten, gut erkennbaren Siedlungsbilder zu einer bedeuten- entstammen der „Niveau-Punktbeschreibung der Ge- den Quelle für Landesgeschichte und historische markung von 1976“, der „Trigonometrischen Punkt- Geographie. Die Originale im Maßstab 1:50.000 Beschreibung der Gemeinde“ von 1989 sowie den wurden für die Wiedergabe im Hessischen Städteat- Kanalplänen der Stadt Michelstadt aus dem Jahr las auf den Maßstab 1:25.000 vergrößert. 1994. Die Darstellung im vorliegenden Kartenwerk ver- anschaulicht Michelstadts Lage im Mümlingtal am westlichen Abhang des Odenwaldes, dessen Gelände- 2. a) Umlandkarte 19. Jahrhundert (1832/50), relief durch Schraffur graphisch hervorgehoben wird. 1:25.000 Noch deutlich hebt sich in dieser Zeit der mittel- alterliche Stadtkern von Michelstadt im Gelände ab, Die Grundlage der Ansicht aus dem 19. Jh. bildet die Stadtmauer, Wall- und Grabenanlage umschließen Montage aus zwei Blättern des mehrteiligen Tafel- das alte Zentrum. Ebenso klar erkennbar ist die all- werkes vom Großherzogtum Hessen, das in der Plan- mähliche Überschreitung der bisherigen Stadtgrenzen kammer des Großherzoglich Hessischen Generalstabs und die Ausweitung der Bebauung in die Umgebung, zwischen 1832 und 1850306 entstanden ist. Militäri- bevorzugt in die hochwasserfreien und ebenen Re- sche Interessen lagen der Schaffung dieser detaillierten gionen im Norden und Süden. Ausgehend von der Übersicht über das Territorium zugrunde und ließen nördlichen Vorstadt, deren Anfänge vor dem Unter- ihre Herstellung angesichts der veränderten Verhält- tor in die Mitte des 17. Jhs. weisen, zieht sich die nisse in der Durchführung von Kriegen notwendig jüngere Bebauung, wie von der Karte gut abzulesen erscheinen307. Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. ist, direkt beidseitig an den Ausfallstraßen Richtung konzentrierten sich gewaltsame Auseinandersetzun- Steinbach bzw. nach Nordosten in den beginnen- gen nicht mehr nur auf Schlachten an fortifikatorisch den Odenwald entlang, konzentriert sich dabei aber wichtigen Punkten wie Burgen, Festungen oder ein- noch ganz auf den Streckenverlauf der Wege, ohne zelne Orte, sondern sie wurden als Flächenkriege in das dahinterliegende Gelände auszugreifen. Ähn- durchgeführt, erfassten ganze Landschaften und liches lässt sich im Süden beobachten. Hier entstehen machten so weitgezogene Gebiete zum Schauplatz Neubauten links und rechts der Kellereibergstraße, gegnerischer Kämpfe. Als Reaktion auf diese gewan- die zum Oberen Hammer führt. delte Situation und die zunehmende Ausweitung militärischer Aktionen auf ausgedehnte Räume ließ Im weiten Bogen wird Michelstadt von einem auch der hessische Generalstab von spezialisierten Straßenring umfasst, der nur im Westen im Feucht- Offizieren ein großmaßstäbliches, flächendeckendes gebiet der Mümling aussetzt. Die Verbindung zwi- Kartenwerk herstellen, um neuen Anforderungen zu schen nördlicher Vorstadt und der wachsenden Be- genügen und im Kriegsfall auf Überblickskarten zu- bauung im Süden stellt die Hochstraße im Osten her, rückgreifen zu können. Die wohl 1838 erfolgte kar- und auch an dieser Trasse zeigt die Karte erste Sied- tographische Bearbeitung von Blatt 5, Michelstadt lungsansätze durch Neubauten, die vom Lindenplatz und dem Anschlussblatt 6, Erbach war dem vorüber- vor dem Obertor ausgehen und allmählich Richtung gehend von seinem Regiment zur Vermessung und Untere Vorstadt/Waldstraße im Norden von Michel- Landesaufnahme abgeordneten Capitain (Haupt- stadt anschließen. mann) Georg Roth übertragen worden. Die sorgfäl- Deutlich zu erkennen sind noch die Gärten der tige Wiedergabe kleinster topographischer Details mit Bewohner in unmittelbarer Nähe der Stadt, über die plastischen Geländedarstellungen, klaren Ortsgrund- man sich mit einigen Nahrungsmitteln selbst ver- rissen, deutlichem Gewässernetz sowie einem ge- sorgte. Im Norden und Südosten heben sich die nauen Straßen- und Wegesystem macht die Karte gleichmäßig parzellierten Grundstücke sichtbar aus dem Gelände ab. Die seit den siebziger Jahren des 20. Jhs. einge- meindeten Stadtteile Stockheim und Steinbach, die 306 Die 31 Inselkarten dieses großmassstäbigen, flächendecken- heute mit Michelstadt fast gänzlich verschmolzen den Kartenwerks tragen den Titel „Karte von dem Gross- sind, lagen Mitte des 19. Jhs. noch deutlich von der herzogthume Hessen, in das trigonometrische Netz der all- gemeinen Landvermessung aufgenommen von dem Gross- Stadt getrennt in freiem Gelände. Auch die Verbin- herz.[oglich] Hessischen Generalstabe“, aufgenommen 1832 dung zu Erbach verlief noch über unbebautes Gebiet, bis 1840 in 1:25.000, kartographische Bearbeitung im Maß- das inzwischen längst aufgesiedelt ist und die ur- stab 1:50.000 1832 bis 1850, 31 Blätter, Nachdruck Hes- sprünglichen Verhältnisse, die dem Kartenbild von sisches Landesvermessungsamt Wiesbaden, 1980, hier Blatt 5 Michelstadt, Blatt 6 Erbach. 1832/50 klar zu entnehmen sind, kaum noch ahnen 307 BARTH, Karte S. 185-188. lässt.

31 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

2. b) Umlandkarte 20. Jahrhundert (1984/85), dem Jahr 1753310, auch Pläne und kartographische 1:25.000 Materialien vor, die zur Bearbeitung herangezogen worden sind, wie etwa die Karte des Großherzogtums Der Ausschnitt aus den Topographischen Karten Hessen von 1832/50311 oder Messtischblätter des von 1984/85308 will in der Gegenüberstellung zum 19. und 20. Jhs.312. gleichen Blattausschnitt von 1832/50 die siedlungs- topographische Entwicklung des Raumes veranschau- lichen. Noch immer hebt sich der Altstadtkern von Erste Phase: 9./10. Jahrhundert313 Michelstadt mit seiner durch die mittelalterliche For- (Farbe: Rotbraun) tifikationsanlage geprägte Form aus dem im 20. Jh. unregelhaft weitergewachsenen Ort heraus. Die Über- Auch wenn für das frühe 9. Jh. keine archäologischen gänge zu den benachbarten Dörfern und der Stadt Funde vorliegen, ist bereits zu dieser Zeit von einer Erbach sind bereits gänzlich verschwommen. Die Siedlung in Michelstadt auszugehen. Die schriftliche alten Verbindungswege zwischen den Orten folgen Überlieferung berichtet zum Jahr 815 über die Exis- zwar weiterhin im wesentlichen ihrem ursprünglichen tenz einer hölzernen Kirche, die aus der frühen Mis- Verlauf, wie ein Vergleich der beiden Kartenbilder sionszeit während der Christianisierung im 8. Jh. zeigt, wurden aber durch Ausbau verbreitert und in stammen dürfte. Vorausgesetzt, dass analog zu besser Teilen begradigt. Den Hauptdurchgang in nordsüd- belegten Fällen anderer Orte der ursprünglich für licher Richtung bilden nicht mehr allein die Fern- einen Sakralbau gewählte Platz bei dauerhafter Be- straßen, sondern die in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. siedlung nur selten verlassen worden ist und die errichtete Eisenbahnlinie durch das Mümlingtal, die Kontinuität an geweihter Stätte meist gewahrt blieb, vom Neckar in das Rhein-Maingebiet führte und den stand das 815 erwähnte erste Gotteshaus in Michel- kleineren Industriegebieten von Michelstadt, die aus stadt an jener Stelle, die man später zu unbekannter der Karte im Südwesten stark hervortreten, günstige Zeit zunächst mit einer romanischen Kirche, Ende Transportanschlüsse bot. des 15. Jhs. mit der noch heute vorhandenen goti- schen Anlage überbaut hat. Der älteste Siedlungs- kern von Michelstadt, den die Entwicklungskarte 3. Entwicklung des Ortes vom Mittelalter vom Mittelalter bis 1865/76 in einem rotbraunen bis 1865/76, 1:2.500 Farbton wiedergibt, muss im Bereich dieser ersten Kirche vermutet werden und dürfte sich auf deren Die Karte zur Veranschaulichung der siedlungstopo- Umgebung erstreckt haben, ohne dass Gewissheit graphischen Entwicklung Michelstadts vom Früh- über die genaue räumliche Ausdehnung besteht. Auch mittelalter bis zur zweiten Hälfte des 19. Jhs. basiert für die Zeit nach 840, in der das Kloster Lorsch bis auf der Katasterkarte von 1865/76 im Maßstab zu seiner Aufhebung 1232 im Besitz des Ortes war 1:2.500. Sie soll die räumlichen Veränderungen bis und Michelstadt als Verwaltungssitz nutzte, fehlen zur endgültigen baulichen Überschreitung des mauer- Angaben über die Größe der Siedlung ebenso wie umwehrten mittelalterlichen Kerns in größeren Zü- Hinweise auf die Zahl und Herkunft ihrer Bewoh- gen aufzeigen. Fünf Hauptphasen treten im Betrach- ner, so dass sich nur Vermutungen anstellen lassen. tungszeitraum hervor, die unter Zusammenfassung Der rotbraun gehaltene Bereich in der Entwick- stadthistorisch prägender Ereignisse309 die entschei- lungskarte soll die mögliche Siedlungsfläche in Mi- denden räumlichen Entwicklungsschritte wiederge- chelstadts frühester Phase andeuten, die außer der ben und auf dem Kartenblatt in unterschiedlichen Farbstufen dargestellt werden. Die Eintragungen erfolgten überwiegend auf Grundlage der schrift- lichen Überlieferung und daraus hervorgegangener 310 Siehe dazu Kap. II.4. Vgl. die Reproduktion auf dem beilie- Literatur. Erst für die Neuzeit lagen, beginnend mit genden Sonderblatt. Bei dieser zeichnerischen Geländeauf- dem Lageplan von Michelstadt und Gemarkung aus nahme durch den herrschaftlichen Landfeldmesser Johann Wilhelm Grimm handelt es sich noch nicht um eine exakt maßstäbliche Wiedergabe, sondern nur um einen künstle- risch ausgeführten, kolorierten Handriss mit annäherndem Maßstab von 1: 1.000. Die Größe des Originalblattes mit dem ältesten erhaltenen Michelstädter Grundriss beträgt 308 Topographische Karte 1:25.000, Blatt 6319 Erbach, berich- 73,6 cm Breite x 67,6 cm Höhe (Außenmaße), wobei links tigt 1984, Hessisches Landesvermessungsamt Wiesbaden, unten ein rechteckiger Ausschnitt vorgenommen wurde von Ausgabe 1987 sowie Blatt 6320 Michelstadt, berichtigt 1985, 23,5 cm x 15,8 cm, so dass die linke Längsseite nur 51,2 cm Hessisches Landesvermessungsamt Wiesbaden, Ausgabe misst, der untere Kartenrand 50,1 cm. 1988. 311 Siehe dazu Kap. III.2a. 309 Siehe oben Kap. II.1-4 mit den ausführlichen Erläuterun- 312 Siehe dazu Kap. III.2b und III.4. gen zur siedlungstopographischen Entwicklung des Ortes. 313 Siehe dazu Kap. II.1.

32 Hessischer Städteatlas – Michelstadt hölzernen Kirche das um 960314 erwähnte, wohl mit nahmen brachten für Michelstadt jene bedeutende Wall und Graben geschützte castellum umfaßte, in bauliche Ausdehnung, die über das Mittelalter hi- dem der Lorscher Abt Gerbodo zu dieser Zeit ein naus bis in die zweite Hälfte des 19. Jhs. prägend steinernes Haus errichten ließ, vielleicht an der Stelle blieb. Um 1400 entstand die 700 m lange, fast kreis- der späteren erbachischen Kellerei 50 m südlich des förmige, mit mindestens fünf halboffenen bzw. vier Gotteshauses. geschlossenen Türmen versehene Stadtmauer, die durch einen vorgelagerten Zwinger sowie durch eine vorgebaute, parallel verlaufende Ringmauer mit wei- 315 Zweite Phase: 13./14. Jahrhundert teren neun flachen Schalentürme zusätzlich gesichert (Farbe: Orange) wurde. Zugang zum umwehrten Zentrum boten die beiden Stadttore, das Untertor im Norden sowie das Im Hochmittelalter blieben die räumlichen und per- Obertor im Südosten. Wie rasch die 4 ha große, sonellen Verhältnisse unklar, und es lässt sich nicht mauergeschützte Innenstadtfläche bebaut und be- mehr feststellen, wie Michelstadt bei der Aufhebung siedelt worden ist, lässt sich nicht sagen. Entstanden des Reichsklosters Lorsch 1232 und dem allmäh- sind im Laufe des ausgehenden Mittelalters und der lichen Übergang des Ortes in die Verfügungsgewalt frühen Neuzeit unterschiedlich große Baublöcke in der Schenken von Erbach aussah. Unter den Mit- einem regellosen Straßennetz320. gliedern dieser Familie hat Michelstadt im 13. Jh. seine entscheidende Förderung erfahren. Im Zusam- menhang mit ihren territorialpolitischen Interessen Vierte Phase: Ab Mitte 17. Jahrhundert321 und dem Aufbau einer eigenen Landesherrschaft (Farbe: Oliv) wurde der vielleicht inzwischen durch Zuzug von Händlern und Handwerkern gewachsene Marktort Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg überschritt zur Stadt. Die Nachricht über die Zerstörung der Michelstadts Bebauung in ersten, zunächst nur oppidum genannten Siedlung im Jahr 1307316 be- schwachen Ansätzen den mittelalterlichen Befesti- weist den Wandel in Michelstadts Entwicklung und gungsring und wuchs in einem langsamen Vorgang lässt ein allmähliches räumliches Wachstum vermu- über den bisherigen Stadtkern hinaus, der über 250 ten, das die vorliegende Karte in der orangen Kolo- Jahre seit seinem Ausbau durch die Schenken von rierung wiedergibt. Erbach um 1400 den Einwohnern genügend Raum und Lebensmöglichkeiten geboten hatte. Entlang der nach Norden führenden Hauptstraße in Richtung Dritte Phase: 15./16. Jahrhundert317 Steinbach, König bis weiter in das Rhein-Main-Ge- (Farbe: Gelbgrün) biet entstand vor dem Untertor Michelstadts älteste Größere Gewissheit über die Ausdehnung des Ortes vorstädtische Siedlung, die sich in einem kontinuier- bringen gegenüber den bisherigen Vermutungen erst lichen Prozess weiterentwickelte. Sie erlebte ihren die schriftlichen Angaben des 14. Jhs. sowie die zum wesentlichen Ausbau, den die oliv gehaltenen Flächen Teil erhaltenen baulichen Zeugnisse des Spätmittel- in der Atlaskarte festhalten, bis in die zweite Hälfte alters. 1311 bekam Eberhard der Ältere von Erbach des 18. Jhs. und weist bis zu dieser Zeit einen fast von Pfalzgraf Rudolf die Erlaubnis, Burch unn stat dreieckigen Grundriss auf, der seine regelhafte Form ze Michelstat318 wieder neu aufzubauen, die ihm die- durch die vorgegebenen Verkehrswege und deren Ver- ser vier Jahre zuvor zerstört hatte. Der in diesem Zu- bindung untereinander erhielt. sammenhang erwähnte befestigte Sitz in der Stadt wird im Bereich der neuzeitlichen Kellerei im Süd- Fünfte Phase: Ab Mitte 18. Jahrhundert322, Entwick- westen der nun eindeutig als Stadt bezeichneten Sied- lung vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1865/76323 lung gelegen haben. (Farbe: Blaugrün) 1390 und 1395319 von den Erbachern getroffenen Vereinbarungen und daraufhin durchgeführte Maß- Wie die blaugrün in der Karte festgehaltene Aufsied- lung zeigt, weitete sich Michelstadt erst in der zweiten

314 GLÖCKNER, Codex Laureshamensis 1, Kap. 70 S. 353. 315 Siehe oben Kap. II.2. 316 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. X, 1307 Juni 6. 320 Zum Gang der Bebauung im Stadtareal, zum Straßennetz 317 Siehe oben Kap. II.3. und der innerstädtischen Siedlungsentwicklung bis zum 318 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. XV, 1311 Okt. 20. 15. Jh. siehe oben ausführlich Kap. II.3. 319 SIMON, Geschichte, Urkundenbuch Nr. CXVIII, 1390 321 Siehe oben Kap. II.4. März 27; SCHNEIDER, Stammtafel, Urkunden Nr. 14, 1395 322 Siehe oben Kap. II.5. Dez. 20, S. 514. 323 Siehe oben Kap. II.6.

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Hälfte des 18. Jhs. langsam auch nach Süden und Ende des 20. Jhs. Ausgehend vom Zustand des Ortes Südosten aus, zunächst vor dem Obertor entlang der zur Zeit des Urkatasters 1865/76 (siehe Karteneintrag Straße nach Amorbach und Erbach, schließlich vor in violett) werden die weiteren Hauptphasen räum- dem erst 1773 erbauten Neutor, das an der Stelle des licher Ausdehnung in unterschiedlicher Farbgebung abgerissenen Petersturms einen dritten Zugang zur dargestellt, um den Verlauf der Bebauung und die Innenstadt bot. Hauptsächlich entstanden in den bei- schließlich erreichte Besiedlungsdichte mit graphi- den neuen Siedlungsbereichen private Wohnhäuser schen Mitteln sichtbar zu machen. Die Eintragun- alteingesessener Familien, die das enge Zentrum ver- gen der Jahre 1922326 (rot), 1938327 (rotorange), ließen, um auf geräumigeren Parzellen moderne Bau- 1952328 (orange), 1971329 (gelborange) und 1991330 ten zu errichten. (gelb) beziehen sich auf die mit Wohnhäusern bzw. Ende des 18. Jhs. und in der Folgezeit greift die mit Nutzgebäuden bestandenen Parzellen. Bis zum Bebauung allmählich über den ummauerten Kern der Jahr 1991 gebäudefreie Flächen sind in grau gehal- mittelalterlichen Siedlung hinaus, wie die weiteren ten, um sie von den weißen Verkehrsflächen (Straßen blaugrünen Bereiche in der Atlaskarte zeigen. Neue und Plätzen) und bebauten Bereichen deutlich zu Häuser entstehen vor allem an den Ausfallstraßen, unterscheiden. Die Angaben über die Ausdehnung sowohl an den Strecken, die von der Unteren Vorstadt der Besiedlung wurden zu den gewählten Stichjah- abzweigen – insbesondere an der Verbindung zum ren topographischen Karten im Maßstab 1:25.000 Bahnhof in Richtung auf die 1871 fertiggestellte entnommen und in die Basiskarte 1:5.000 im Städte- Eisenbahnstrecke –, als auch an den übrigen Wegen atlas übertragen. vor der Oberen Vorstadt und dem Neutor. Große Flä- chen nehmen im Verhältnis zur kleinparzelligen Ein- 5. Stadtkarte 1991, 1:5.000 zelhausbebauung vorwiegend mit Wohnobjekten die gewerblich genutzten Areale im Westen von Michel- Die jüngste Darstellung von Michelstadt zeigt das stadt ein, etwa das Obere Hammerwerk an der Müm- Atlasblatt 1:5.000 aus dem Jahr 1991331. Bei dieser ling, die flussabwärts entstandene d’Orville’sche Fa- Karte handelt es sich um eine Montage von Insel- brik oder die Streichhölzerfabrik südlich der Altstadt. karten aus dem Katasteramt Michelstadt, deren Ur- Die Stadt weist zunehmend unregelhafte Ausdehnung zeichnungen im gleichen Maßstab vorliegen. Deut- in die nähere Umgebung auf, wobei die vorhandenen lich hebt sich der runde Altstadtbereich von der Verkehrswege siedlungsbelebend und -leitend wirken. jüngeren Bebauung des 19. und 20. Jhs. ab. Unregel- hafte Expansion kennzeichnet die bauliche Erweite- 4. Entwicklung der Stadt von 1865/76 bis 1991, rung von Michelstadt, die ihre Hauptausweitung in 1:5.000 der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte. Wäh- rend größere und kleinere Industriebetriebe Stand- Bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jhs. blieb Michel- orte im Mümlingtal mit Anbindung an die Eisenbahn stadt im wesentlichen auf den mittelalterlichen Stadt- und direktem Anschluss an die ausgebaute Bundes- kern beschränkt und hatte nur bescheidene vorstäd- tische Siedlungen vor den Stadttoren gebildet (siehe dazu ausführlich Kap. II.7. Zweite Hälfte 19. bis 21. Jh.). Erst die Industrialisierung und der Eisen- 326 Topographische Karte 1:25.000, Blatt 6320 (preußische bahnbau brachten die entscheidenden Veränderun- Zählung Blatt 3507, hessische Zählung Blatt 74) Michel- gen und Impulse zur Ausdehnung des Siedlungsbe- stadt, 1922, HStAD (Hessisches Staatsarchiv Darmstadt) Sig. P 2, 17 b Bl. 3507. 324 reichs , dessen Wachstum bis in die Gegenwart 327 Topographische Karte 1:25.000, Blatt 6319 Erbach und Blatt noch immer nicht abgeschlossen ist. 6320 Michelstadt, berichtigt 1938, Hessisches Landesver- messungsamt Wiesbaden, Ausgabe 1938. Das Atlasblatt zur Verdeutlichung der siedlungs- 328 Topographische Karte 1:25.000, Blatt 6319 Erbach und Blatt topographischen Vorgänge in Michelstadt basiert auf 6320 Michelstadt, berichtigt 1952, Hessisches Landesver- der Karte 1:5.000 aus dem Jahr 1991325 (siehe dazu messungsamt Wiesbaden, Ausgabe 1956. 329 Kap. III.5). Sechs Zeitstufen zeigen den Gang der Topographische Karte 1:25.000, Blatt 6319 Erbach, berich- tigt 1971, Hessisches Landesvermessungsamt Wiesbaden, Stadterweiterung von der Mitte des 19. Jhs. bis zum Ausgabe 1973. Topographische Karte 1:25.000, Blatt 6320 Michelstadt, berichtigt 1971, Hessisches Landesvermessungs- amt Wiesbaden, Ausgabe 1972. 330 Michelstadt 1991, 1:5.000, Flurkartenmontage aus Vorlagen 1:5.000, Katasteramt Michelstadt und Hessisches Landes- 324 Siehe oben Kap. II.6 und 7. vermessungsamt Wiesbaden. 325 Michelstadt 1991, 1:5.000, Flurkartenmontage aus Vorlagen 331 Michelstadt 1991, 1:5.000, Flurkartenmontage aus Vorlagen 1:5.000, Katasteramt Michelstadt und Hessisches Landes- 1:5.000, Katasteramt Michelstadt und Hessisches Landes- vermessungsamt Wiesbaden. vermessungsamt Wiesbaden.

34 Hessischer Städteatlas – Michelstadt straße einnehmen und im Wesentlichen auf den Wes- Hessischen Städteatlas gehören. Die aufgenommenen ten der Stadt konzentriert bleiben, entwickeln sich Flüsse und in Schummerung angedeuteten Gebirgs- die mit Dienstleistungseinrichtungen durchsetzten züge bieten Orientierungshilfen im Raum und lassen Wohngebiete im Norden, Osten und Süden der mit- jene Gebiete hervortreten, in denen aufgrund der Ge- telalterlichen Stadt, wobei eine fast reine Einzelhaus- ländesituation besonders günstige Bedingungen bzw. besiedlung in den bevorzugten Wohnlagen des öst- weniger geeignete Voraussetzungen für die Siedlungs- lich ansteigenden Odenwaldes zu erkennen ist. entwicklung und damit für die Herausbildung von Städten herrschten.

6. Übersichtskarte Hessen, 1:750.000, Legende Der untere Abschnitt des Atlasblattes enthält die zur Katasterkarte, 1:2.500 Legende zur Katasterkarte von 1865/76 mit Erläute- rungen zu Farben, Signaturen und Beschriftungen, Die Karte 1:750.000 zeigt Hessen in seinen seit die in der Darstellung von Michelstadt im 19. Jh. 1945 332 gültigen Grenzen unter Einbeziehung der verwandt worden sind. räumlichen Übergänge zu den sechs Nachbarländern Weiterhin finden sich hier die Nachweise über alle Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Thüringen, Quellen, auf denen die historische Katasterkarte be- Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. ruht und die zu ihrer Bearbeitung herangezogen wor- Die Übersicht veranschaulicht die geographische Lage den sind. Gesondert werden die Angaben über die und Verteilung der Städte Arolsen, Bad Hersfeld, Herkunft der Höhenlinien und Höhenpunkte auf- Butzbach, , Homberg/Ohm, Limburg, geführt. Michelstadt und Wetter, die zur ersten Lieferung des

332 REULING, Verwaltungs-Einteilung S. 171, 175-176 mit Karte 26b Verwaltungseinteilung 1939 und 1955, Sonderkarte Hessen 1946.

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IV. Gebäudeverzeichnis Apotheke → Hofapotheke Das vorliegende Gebäudeverzeichnis soll dem Benutzer der Kar- tenblätter, insbesondere der historischen Entwicklungskarten, Augustspital und dem Leser der Begleittexte in möglichst knapper Form die L: südlich der Altstadt, Kellereibergstraße 20 wesentlichen Daten und Fakten zu den für die Stadtentwicklung F: Spital und Altenheim, gestiftet von Fürstin Emilie wichtigen Bauten erschließen sowie deren Lokalisierung in den zu Erbach-Fürstenau Karten erleichtern. Die einschlägigen Informationen wurden aus EB: 1832 den Schriftquellen, den publizierten archäologischen Befunden EW: 1856 Spital und der wichtigsten Literatur gezogen, ohne dass Vollständigkeit A: 1953 als Altenheim beansprucht werden soll. Es sind die greifbaren Bauwerke seit LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 151-152 der frühesten Besiedlung aufgenommen sowie die Gebäude des 19. und besonders des 20. Jhs., letztere sofern sie zur Erklärung Bahnhof der neuzeitlichen Siedlungsentwicklung von Bedeutung sind. L: 600 m nordwestlich der Altstadt F: Bahnanschluss zur Hessischen Ludwigsbahn Die Gebäudedaten ordnen sich nach folgenden Kriterien: EB: Einweihung 1871 LQ: SCHEUERBRANDT, Michelstadt S. 48; AB andere Bezeichnung TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 464-465 L Lage FFunktion Bienenmarktstor MMaße/Bauart L: nördlich des Rathausgäßchens EB Erbauung/Anlage F: Durchgang durch die Stadtmauer EW Erwähnung M: im mittelalterlichen Stil errichtetes Stadttor UUmbau/Renovierung EB: 1969 AAbriss/Auflösung LQ: ALBACH, Stadtmauer S. 41 NNeubau LQ Literatur/Quellen Brauerei, alte AB: Gasthaus „Drei Hasen“ bis 1879 Die häufigen Namens- und Nutzungsänderungen einzelner Bau- L: südlich gegenüber dem Alten Rathaus, Braunstraße 1 ten erforderten eine Kriterieneinteilung in AB (andere Bezeich- F: Gasthaus 1685-1879, Brauhaus nung) und F (Funktion) bei dem jeweiligen Haupteintrag, auf EB: um 1600 den Querverweise hinführen. LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 124-126; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 442

Alter Hof Brauerei AB: Münze L: Obere Vorstadt, Braunstraße 17 L: westlicher Rand der Altstadt F: Gasthaus und Brauerei F: gräflicher Stadthof, 1885-1968 städtisches EB: 1793 Krankenhaus, 1968-1977 Altenheim A: 1901 Braubetrieb eingestellt EB: erste Hälfte 16. Jh. LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 41-42; EW: 1541 Münze TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 445 U: 1563 N: um 1700 Brunnen LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 66-67; 1) Marktbrunnen TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 485 L: Marktplatz EB: 1541 U: 1575, Michaelsfigur im 18. Jh. in „Justitia“ Amtsgericht umgewandelt 1) altes LQ: BUXBAUM, Michelstadt S. 88; BATTENBERG, AB: Klumpsches Haus Gericht S. 81; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler L: 150 m südlich des Obertores, Erbacher Straße 9 S. 471 EB: 1820 2) weitere Brunnen EW: ab 1837 Amtsgericht 1715 werden fünf Brunnen genannt: Schwiegermutterbrunnen U: 1844, 1879, 1900 (ehem. Marktbrunnen von 1541, 1575 in die Große Gasse ver- A: 1976 Amtsgericht, seit 1982 Privatbesitz setzt), Marktbrunnen, Schulbrunnen am Kirchplatz, Kronen- LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 65-66; gassenbrunnen (1862 erneuert), Vorstadtbrunnen. 1778 Kalk- TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 452 hofbrunnen erwähnt, 1822 Lindenbrunnen erbaut (bis 1952 vor 2) neues Braunstraße 26), Errichtung 1832 Weyprechtsbrunnen (Wald- L: 650 m südlich der Altstadt, Erbacher Straße 47 straße, 1909 neben Bahnhofstraße 25 versetzt) und Gerichts- EB: 1976 brunnen (Erbacher Straße 9), Spitalbrunnen angelegt um 1840, LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 81 1841 Hammerwegsbrunnen, 1846 Gänsebrünnchen (1,3 km nordöstlich der Altstadt, Am Stadion), 1865 Neutorbrunnen Amtshaus LQ: BUXBAUM, Michelstadt S. 88; TEUBNER/BONIN, L: Nordteil der Kellerei Kulturdenkmäler S. 440-441, 462, 465, 471, 477- F: Sitz des gräflichen Amtmannes 478, 480, 483, 485 EB: 1549 U: 1621 Burg LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 154; AB: Kellerei, Steinernes Haus TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 448-451; L: südlicher Bereich der Altstadt SCHOLZ, Inschriften S. 80-81 EB: um 960, evtl. fränkische Vorgängerbauten

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A: 1307 zerstört LQ: TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 458-460, N: 1321 490; SCHOLZ, Inschriften S. 115-116 LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 153; BUXBAUM, Michelstadt S. 12, 25; TEUBNER/BONIN, Gasthaus „Drei Hasen“ Kulturdenkmäler S. 448-451; SCHOLZ, Inschriften → Brauerei, alte S. 79-80 Gasthof „Zum Goldenen Löwen“ Bürgerturm AB: Löwenhof → Petersturm L: Nordrand des Marktplatzes F: Gasthaus, Post 1846-1900, Rathaus 1921-1976 EB: 1753?-1755 Dämme, Wälle U: 1826 (Westtrakt in der Großen Gasse) und AB: untere Dammgärten, obere Dammgärten sogenannte Thurn & Taxis Scheune, Sanierung L: westlich, nördlich und östlich der Stadtmauer 1986/87 F: Verstärkung der Abwehrfunktion LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 90-93; EB: um 1400 TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 472 LQ: ALBACH, Stadtmauer S. 40; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 432-433 Gefängnis F: Hessen-darmstädtisches Bezirksgefängnis Diebsturm EB: 1846 L: südlicher Bereich der Stadtmauer bei der Kellerei U: 1969 Umbau zum Hotel M: einziger Rundturm der Stadtbefestigung A: 1967 Gefängnis F: vielleicht schon Turm der 1307 zerstörten Burg, bis LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 17-18 Mitte des 18. Jhs. Zentgefängnis → Petersturm EB: vor 1307 (?) U: 1798, 1973 LQ: ALBACH, Stadtmauer S. 38-39; HARTMANN, Fami- → Schulen lien und ihre Häuser 1 S. 153; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 449-450 Hofapotheke 1) L: südlich gegenüber der Stadtkirche, Braunstraße 7 Erbacher Hof EB: 1443 → Post (1) EW:Hofapotheke 1678-1756 LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 120- Färberhaus 121; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 444 L: Obere Pfarrgasse 1 2) L: 50 m südlich des Untertores, Große Gasse 12 EB: 1620 EB: 1557 LQ: TEUBNER, BONIN, Kulturdenkmäler S. 478-479 EW: 1708 LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 84-85; Finanzamt TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 461 L: 650 m südlich der Altstadt, Erbacher Straße 48 3) AB: Erbach-Fürstenauische Hofapotheke EB: 1956 L: 200 m nordwestlich des Untertores, LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 81 Bahnhofstraße 25 EB: 1826 Friedhof, christlicher LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 24-26; L: 1,2 km südöstlich der Stadt TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 440 EB: 1535, anstelle des Kirchhofes um die Stadtkirche U: mehrfach vergrößert Kalkhof L: 400 m nordöstlich der Altstadt, Schulstraße 40 LQ: BUXBAUM, Michelstadt S. 111; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 458-460 F: Kalkbrennerei, gräflich-erbachischer Gutsbetrieb, Sanatorium EW: 1629 Friedhof, jüdischer U: 1844-49 Kaltwasserheilanstalt, Villa 1949-1969 L: 1,2 km nordöstlich der Stadt städtischer Kindergarten F: bis 1900 Bestattungsplatz der jüdischen Ge- LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 meinden Beerfelden, Kirch-Brombach, König, S. 185-186; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler Neustadt, Hetschbach, Seckmauern, Höchst, S. 457-458, 484 Mümling und Michelstadt → Sanatorium EB: Anfang 18. Jh. U: 1750 Umfassungsmauer Kaltwasserheilanstalt A: November 1938 → Sanatorium N: 1945 LQ: SCHMALL, Juden S. 124-125; ARNSBERG, Katasteramt Gemeinden 2 S. 88, TEUBNER/BONIN, Kultur- L: 650 m südlich der Altstadt, Erbacher Straße 46 denkmäler S. 434-435 EB: 1956 LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 81 Friedhofskapelle L: auf dem christlichen Friedhof, Kegelplatz ca. 1,2 km südöstlich der Stadt AB: Kegelbahn EB: um 1532, Kapelle stand möglicher Weise vorher L: Nordrand der unteren Vorstadt seit 1502 500 m weiter östlich am Kiliansfloß EW: 1692 U: 1900 Vordach LQ: BUXBAUM, Michelstadt S. 104

37 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

Kellerei A: 1810 AB: Burg LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 158; L: südlicher Rand der Altstadt KREBS, Rathaus S. 11; ALBACH, Stadtmauer S. 39 F: gräflich-erbachischer Amtssitz, Witwensitz EB: 16. und 17. Jh./18. Jh. d’Orville’sche Fabrik EW: 1532 als Kellerei L: 300 m nordwestlich der Altstadt an der Mümling U: ab 1506, Zehntscheuer 1539, Amtshaus 1517/24, F: Kattunfabrik 1549 und 1621 EB: 1846 Fabrik, 1865 Wohnhaus LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 U: 1920 Kartonagenfabrik S. 153-154; BUXBAUM, Michelstadt S. 25; LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 WOLF, Michelstadt S. 104; TEUBNER/BONIN, S. 128-129; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler Kulturdenkmäler S. 448-451; SCHOLZ, Inschriften S. 464-465 S. 79-80 Petersturm Kirchen AB: Bürgerturm 1) katholische F: Gefängnis AB: St. Sebastian L: Südwestecke der Stadtmauer L: 550 m nördlich der Altstadt, d’Orvillestraße 22 EB: um 1400 EB: 1957-59 (Weihe) A: 1773 LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 56; LQ: ALBACH, Stadtmauer S. 40; HARTMANN, http://www.kath-kirche-michelstadt.de, gesehen Familien und ihre Häuser 1 S. 144 am 9. Feb. 2005 2) evangelische Pfarrkirche St. Michael und St. Kilian → Pfarrkirche L: östlicher Bereich der Altstadt F: Stadtkirche, Grablege der Erbacher Grafen Klumpsches Haus EW: 815 (basilica lignea) → Amtsgericht (1) altes N: spätgotische Hallenkirche, Chor 1461, Langhaus und Westpartie 1475-90, Turm 1507-37 Krankenhaus LQ: SOMMER, Einhardsbau; SCHAEFER, Kunstdenk- → Alter Hof mäler S. 160-188; KREBS, Baugeschichte, mit → Augustspital farbigem Bauphasenplan S. 54a; KREBS/NIKITSCH, Bildhauer; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler Münze S. 466-468 → Alter Hof Pfarrhaus Neutor L: 20 m nördlich der Stadtkirche L: Südostecke der Stadtbefestigung EB: 1572 F: Zugang zur südöstlichen Feldflur, drittes Stadttor U: 1800 Schindelung, nach 1982 Sanierung EB: 1773 A: 1982 in städtischen Besitz A: 1860 LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 114; S. 105-106; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler ALBACH, Stadtmauer S. 39-41, siehe zur vorstädti- S. 479-480 schen Siedlung auch Kap. II.4 in diesem Band Post Nobisturm 1) AB: Erbacher Hof L: östlicher Bereich der Stadtmauer L: 100 m südlich des Obertors, Kellereibergstraße 1 EB: um 1400 F: Gasthaus 1830-1859, Molkerei 1910-1936 EW: 1685 nach seinem Bewohner Michel Nobis EB: 1797 A: 1844 Brand, 1860 Einsturz der Reste EW: 1846-1859 Post N: 1992 U: 1910 Seitenbau LQ: ALBACH, Stadtmauer S. 38; BUXBAUM, Michelstadt LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 104; HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 148-149; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 193-194 S. 464-465 2) L: 200 m nordwestlich der Altstadt, Bahnhofstraße 29 Oberer Hammer F: Wohnhaus, Post 1861-1867, Mädchenschule AB: Walkmühle 1892-1922 L: 300 m westlich der Altstadt an der Mümling EB: 1825 F: ab 1756 Kupferhammer, ab 1757 Eisenhammer LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 27-28; EW: 1544 TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 441 U: 1859/62 Drahtzieherei, 1941 Maschinenfabrik 3) L: 250 m nordwestlich der Altstadt, Bahnhofstraße 38 A: 1987 EB: 1897 LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 EW: seit 1900 Postamt S. 125-126; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler U: 1955 S. 465 LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 33

Obertor Rathaus L: südöstlicher Bereich der Stadtmauer 1) altes F: Torturm F: im offenen Erdgeschoss Handels- und Zent- EB: um 1400 gerichtshalle U: 1551 Torwächterwohnung L: im Zentrum der Altstadt

38 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

EB: 1484 EW: 1839-1878 im Südflügel der Kellerei U: 1661 und 1743, 1786, 1846, 1892 Einbau der U: 1925 Anbau und Turnhalle, 1957, 1965 vom Untertor stammenden Turmuhr von 1768, LQ: WALTHER, Schulen S. 59-74; HARTMANN, Freilegung des Fachwerks 1903, Sanierung 1979 Familien und ihre Häuser 2 S. 74-75; LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 453 S. 116-118; KREBS, Rathaus; TEUBNER/BONIN, 6) Kreisberufsschule Kulturdenkmäler S. 472-474 L: 800 m südlich der Altstadt, Erbacher Straße 50 2) neues EB: 1958 → Gasthof „Zum Goldenen Löwen“ U: 1979, 1981 Erweiterungen → Sanatorium LQ: WALTHER, Schulen S. 88-94; HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 82 Sanatorium 7) Mädchenschule AB: Kaltwasserheilanstalt, Kalkhof EW: 1843-1892 im Südflügel der Kellerei, ab 1892 L: 400 m nördlich der Altstadt Bahnhofstraße 29 F: 1926 Haushaltungsschule mit Internat, 1935 bis A: 1922 1965 Landwirtschaftsschule, seit 1972/76 Sitz der LQ: WALTHER, Schulen S. 75-77 Stadtverwaltung → Post 2), (Mädchenschule) EB: 1849/50, Duschanlage 1859 U: öfters Spritzenhaus A: 1920 Sanatoriumsbetrieb L: Mauerstraße LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 EW: um 1872 S. 185-186; DERS., Familien und ihre Häuser 2 S. 84-85; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 457-458 Spitzer Turm → Kalkhof L: nordöstlicher Bereich der Stadtmauer EB: um 1400 Schulen EW: 1480 1) alte LQ: BUXBAUM, Michelstadt S. 106; HARTMANN, AB: Pfarrschule Familien und ihre Häuser 1 S. 166-168; L: südöstlich der Stadtkirche TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 475 EB: 15./16. Jh. EW: 1532 Stadtkirche U: 1981 → Pfarrkirche A: Schulbetrieb 1880 LQ: WALTHER, Schulen S. 14; HARTMANN, Stadtmauer Familien und ihre Häuser 1 S. 107-108, 113; M: Gesamtlänge etwa 700 m, Höhe 3-4 m, TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 469-470 Breite 1-1,20 m, alle ca. 50 m mit Mauertürmen 2) neue bzw. Schalentürmen verstärkt, davor in etwa 10 m AB: Stadtschule, Winterschule Abstand eine flachere Zwingermauer, davor Dämme L: nordöstlich der Stadtkirche mit teilweise wassergefüllten Gräben und drei EB: 1828, anstelle des Vorgängerbaues, den die Stadt Teichen (Weede), die ältere Anlage der 1565 als Schulhaus erworben hatte Burg/Kellerei darin integriert A: 1900 Schulbetrieb, danach Winterschule, EB: um 1400 heute Wohnungen U: 1546 Verstärkung und Reparatur, LQ: WALTHER, Schulen S. 14-17; HARTMANN, 1560 Ausbesserungsarbeiten, 1773 Neutor Familien und ihre Häuser 1 S. 107-108, 113; A: hölzerner Wehrgang im 17. Jh. abgebrochen, TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 469 ab 1810 Teilabriss 3) neueste LQ: ALBACH, Stadtmauer S. 37-40; HARTMANN, AB: Stadtschule, Grundschule, Theodor-Litt-Schule Familien und ihre Häuser 1 S. 7; BUXBAUM, L: 200 m nördlich der Altstadt, Schulstraße 20, Michelstadt S. 103; KREBS, Rathaus S. 11; Neubau in der Landrat-Neff-Straße BATTENBERG, Gericht S. 81; TEUBNER/BONIN, EB: 1900-1901 Kulturdenkmäler S. 432-434 U: 1909, 1928, 1957, 1965, 1969, 1973 LQ: WALTHER, Schulen S. 24-47; HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 179-180; Tore → TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 484 Bienenmarktstor → 4) Progymnasium, Realschule Obertor → L: 200 m nordwestlich der Altstadt, Bahnhofstraße 31 Neutor → EB: 1826/27 Untertor EW: 1827-1834 Progymnasium, 1839-1933 gräfliche Rentkammer, 1933-1975 Sparkasse Steinernes Haus U: 1956 → Burg LQ: WALTHER, Schulen 57-59; HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 29-30; Streichholzfabrik TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 441 L: 200 m südlich des Neutors, Unterer Weg, 5) Realschule Friedrich-Ebert-Straße 15 F: städtische Realschule und Gymnasium (seit 1955), F: Wohn-, Lager- und Produktionsgebäude seit 1957 in Trägerschaft des Kreises EB: 1858 L: 300 m südlich der Altstadt, Erbacher Straße 21/23 A: 1973/75 alle Fabrikgebäude EB: 1878 LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 S. 99

39 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

Synagoge Walkmühle L: nordöstlicher Bereich der Altstadt, Mauerstraße 19 → Oberer Hammer EB: 1791, anstelle eines älteren Vorgängerbaues U: 1911 Renovierung Wasenmeisterei A: 1938 Innerraum zerstört AB: Walkmühle, Neue und Alte Meisterei N: Sanierung 1970 und Nutzung als jüdisches L: 800 m nordöstlich der Altstadt, Waldstraße 105 Museum 1978/79 F: ab 1755 Scharfrichterhaus und Wasenmeisterei LQ: SCHMALL, Juden S. 96-110; ARNSBERG, EB: 1751 Walkmühle Gemeinden 2 S. 85; ALTARAS, U: mehrfach Synagogen S. 169; HARTMANN, Familien und LQ: HARTMANN, Familien und ihre Häuser 2 ihre Häuser 1 S. 170-171; TEUBNER/BONIN, S. 222-224; TEUBNER/BONIN, Kulturdenkmäler S. 475-476 Kulturdenkmäler S. 488-489

Untertor Zehntscheuer L: nördlicher Bereich der Stadtmauer → Kellerei F: nördlicher Zugang zur Stadt M: Torturm mit Vortor Zwinger EB: um 1400 → Stadtmauer U: 1551 Aufstockung, 1768 Turmuhr A: 1838 LQ: ALBACH, Stadtmauer S. 39. HARTMANN, Familien und ihre Häuser 1 S. 55, 158; HARTMANN, Bildmappe; KREBS, Rathaus S. 11

40 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

V. Quellen und Literatur telalter zur Neuzeit (Rathaus- und Museumsreihe 6), 1986, S. 75-98. 1. Quellen BATTENBERG, Friedrich: Judenverordnungen in Hessen-Darm- stadt. Das Judenrecht eines Reichsfürstentums bis zum Ende Ausgewählte Strukturdaten über Arbeitsstätten und Beschäftigte des Alten Reiches. Eine Dokumentation (Schriften der Kom- in den hessischen Gemeinden und Gemeindeteilen am mission für die Geschichte der Juden in Hessen 8), 1987. 25. Mai 1987. Ergebnisse der Arbeitsstättenzählung 1987. 1: Darmstadt. Statistische Berichte, hrsg. BECHER, Wolfram: Veränderungen der Michelstädter Markgrenze vom Hessischen Statistischen Landesamt, 1990. bei Würzberg im 11. Jahrhundert, in: Der Odenwald 29, 1982, S. 43-57, mit Karte. Ausgewählte Strukturdaten über die Bevölkerung am 25. Mai 1987 nach Gemeinden und Gemeindeteilen. Ergebnisse der BECHER, Wolfram: Die wichtigsten Daten zur Geschichte der Volkszählung 1987. 6: . Statistische Berichte, Pfarrkirche in Michelstadt und der Einhardsbasilika in hrsg. vom Hessischen Statistischen Landesamt, 1989. Steinbach, in: Der Odenwald 15, 1968, S. 10-12. GLÖCKNER, Karl: Codex Laureshamensis 1. Einleitung, Regesten, BENDEL, Franz Josef (†) und Joachim SCHMITT (Hrsg. und Über- Chronik (Arbeiten der Historischen Kommission für den setzer): Vita sancti Burkardi Episcopi Wirziburgensis II, in: Volksstaat Hessen), 1929, ND 1963. Würzburger Diözesangeschichtsblätter 48, 1986, S. 19-89. GLÖCKNER, Karl: Codex Laureshamensis 2. Kopialbuch I. Teil BENDEL, Franz Josef (Hrsg.): Vita sancti Burkardi. Die jüngere Le- (Arbeiten der Historischen Kommission für den Volksstaat bensbeschreibung des hl. Burkard, ersten Bischofs zu Würz- Hessen), 1933, ND 1963. burg, 1912. GLÖCKNER, Karl: Codex Laureshamensis 3. Kopialbuch II. Teil BEUTLER, Christian: Einhard in Michelstadt, in: Michelstadt – (Arbeiten der Historischen Kommission für den Volksstaat vom Mittelalter zur Neuzeit (Rathaus- und Museumsreihe 6), Hessen), 1936, ND 1963. 1986, S. 35-48. Hessen. Gemeinden und Landkreise nach der Gebietsreform. BUXBAUM, Philipp: Beiträge zur Siedlungs- und Wirtschaftsge- Eine Dokumentation, hrsg. vom Hessischen Minister des schichte des Odenwaldes, Textheft und Plansammlung, 1928. Innern, 1977. BUXBAUM, Philipp: Michelstadt in Wort und Bild. Ein Heimat- Historisches Gemeindeverzeichnis für Hessen, hrsg. vom Hes- buch, o. J. [1950 ?]. sischen Statistischen Landesamt. Heft 1: Die Bevölkerung der Gemeinden 1834-1967, 1968. DEMANDT, Karl Ernst und Otto RENKHOFF (Bearb.): Hessisches Wappenbuch. Hessische Ortswappen 1 und 2, 1956. KURZE, Friedrich (Bearb.): Annales Fuldenses sive annales regni Francorum orientalis […] (Monumenta Germaniae Histo- FLECKENSTEIN, Josef: Einhard, seine Gründung und sein Ver- rica 7), 1891, ND 1978. mächtnis in Seligenstadt, in: Das Einhardskreuz. Vorträge und Studien der Münsteraner Diskussion zum arcus Einhardi PERTZ,Georg Heinrich (Bearb.): Annales et chronica aevi Caro- (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göt- lini (Monumenta Germaniae Historica: Scriptores 5,1), tingen, Phil. -Hist. Klasse 3. Folge Nr. 87), 1974, S. 96-121. 1826, ND 1963. FRANZ, Eckhart G.: Michelstadt wird großherzoglich. Die letzten PERTZ,Georg Heinrich (Bearb.): Annales et chronica aevi Saxo- Jahrzehnte der Erbacher Standesherrschaft zwischen Reaktion nici (Monumenta Germaniae Historica: Scriptores 5,3), und Revolution, 1806-1849, in: Michelstadt – vom Mittel- 1839, ND 1963. alter bis zur Neuzeit (Rathaus- und Museumsreihe 6), 1986, SCHNEIDER, Daniel: Vollständige hochgräflich Erbachische S. 119-144. Stammtafel nebst deren Erklär- und Bewährungen oder hoch- FREISE, Eckhard: Zum Geburtsjahr des Hrabanus Maurus, in: gräflich Erbachische Historie, /Main 1736. Hrabanus Maurus – Lehrer, Abt und Bischof, hrsg. von Ray- SCHOLZ, Sebastian: Die Inschriften des Odenwaldkreises (Deut- mund KOTTJE (Akademie der Wissenschaften und der Litera- sche Inschriften 63), 2005. tur. Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen SIMON, Gustav L.: Die Geschichte der Dynasten und Grafen zu Klasse, Einzelveröffentlichung 4), 1982, S. 18-74. Erbach und ihres Landes. Darin 3. Teil: Urkundenbuch, FRIEDRICH, Klaus: Michelstadt – Natur und Kulturraum, in: 1858, ND 1983, S. 1-307. Michelstadt – vom Mittelalter zur Neuzeit (Rathaus- und WAITZ, Georg (Bearb.): Translatio et Miracula Sanctorum Mar- Museumsreihe 6), 1986, S. 7-32. cellini et Petri auctore Einhardo, in: Monumenta Germaniae HARTMANN, Wilhelm: Bildmappe Michelstadt. Mit Beiträgen Historica: Scriptores 15,1, 1887, ND 1963, S. 238-264. zur Stadtgeschichte von Wilhelm Hartmann, 1979. HARTMANN, Wilhelm: Michelstadt – seine Familien und ihre 2. Darstellungen Häuser 1 (Rathaus- und Museumsreihe 2), 1984, 2. Auflage 1993. ALBACH, Walter: Zur Geschichte der Stadtmauer Michelstadts, HARTMANN, Wilhelm: Michelstadt – seine Familien und ihre in: Der Odenwald 19, 1972, S. 35-41. Häuser 2 (Rathaus- und Museumsreihe 7), 1990. ALTARAS, Thea: Synagogen in Hessen – Was geschah seit 1945?, HARTMANN, Wilhelm (Hrsg.): Ordnung der Bürgerschaft zu 1988. Michelstadt Anno 1579, 2. Auflage 1981. 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41 Hessischer Städteatlas – Michelstadt

HARTMANN, Wolfgang: Zu den frühen urkundlichen Erwähnun- Michelstadt. Auswirkungen der Mediatisierung auf das Kom- gen von Michelstadt im Odenwald, in: Der Odenwald 40, munalverfassungsrecht in der Grafschaft Erbach, in: Michel- 1993, S. 47-57, hier S. 50-53. stadt – vom Mittelalter zur Neuzeit (Rathaus und Museums- reihe 6), 1986, S. 145-186. JACOBSEN, Werner: Art. Steinbach, in: Vorromanische Kirchen- bauten. Katalog der Denkmäler bis zum Ausgang der Otto- SCHAEFER, Georg: Kunstdenkmäler im Großherzogthum Hessen. nen. Nachtragsband (Veröffentlichungen des Zentralinstituts A. Provinz Starkenburg. Kreis Erbach, 1891. für Kunstgeschichte in München III,2), 1991, S. 399. SCHEFERS, Hermann: Einhards römische Reliquien. Zur Bedeu- KEYSER, Erich (Hrsg.): Deutsches Städtebuch: 4,1: Land Hessen, tung der Reliquientranslation Einhards von 827/28, in: Ar- 1957. chiv für hessische Geschichte und Altertumskunde NF 48, KINKEL, Kurt: Gewerbeleben, Struktur und Gestalt der Siedlun- 1990, S. 279-292. gen des Mümlingtales (Odenwald) (Rhein-Mainische For- SCHEUERBRANDT, Arnold: Michelstadt – Entwicklung und Struk- schungen 35), 1952. tur einer Odenwaldstadt, in: Der Odenwald 11, 1964, S. 41- KLEBERGER, Elisabeth: Territorialgeschichte des hinteren Oden- 53. waldes. Grafschaft Erbach, Herrschaft Breuberg, Herrschaft SCHEUERBRANDT, Arnold: Stadtkartierungen im Odenwald: Mi- Fränkisch-Crumbach (Schriften des Hessischen Landesamtes chelstadt – Erbach – Beerfelden, in: Der Odenwald 10, 1963, für geschichtliche Landeskunde 26), 1958. S. 57-64. KREBS, Falk: Das Rathaus der Stadt Michelstadt aus dem Jahre SCHEUERBRANDT, Arnold: Südwestdeutsche Stadttypen und Städ- 1484. 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VI. Abbildungen

Blick auf Michelstadt von Westen, bearbeitete Postkartenaufnahme um 1960 (TEUBNER/BONIN, Odenwald- kreis S. 422). Deutlich hebt sich die enge, geschlossene Bebauung der Altstadt ab, die noch nicht durch die Entkernungen in der Rosengasse und der Unteren Pfarrgasse gestört ist. Am unteren Bildrand befinden sich die Unteren Dammgärten. Links von der Altstadt sind Teile der unteren Vorstadt zu erkennen; im linken Bildmittelgrund zieht sich die Vorkriegsbebauung entlang der Wald- und Jahnstraße in die noch weit- gehend unbebaute Feldflur; zwischen Altstadt, oberen Dammgärten und der Jahnstraße besteht allerdings schon eine lockere Besiedlung, einige Häuser sind im Bau. Bei der Gehölzinsel am rechten Bildrand handelt es sich um den Friedhof. Der Blick des Betrachters geht in die Kellereibergstraße. Zwischen deren unterem Ende und der Altstadt fügen sich die Häuser im Bereich vor dem Neutor ein.

Die Stadtmauer im Bereich der oberen Dammgärten, bearbeitete historische Postkarte (TEUBNER/BONIN, Odenwaldkreis S. 433). Der viereckige Mauerturm mit Fachwerkobergeschoss gehört zum Anwesen Mauerstraße 17 und entstand mit der Errichtung der Stadtbefestigung um 1400. Die Zwingermauer ist bereits verschwunden, und der Bereich vor der Mauer wurde bis zur modernen Umgestaltung zur Grün- anlage als Garten und Wiese genutzt.

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Das Untertor in Michelstadt, Lithographie eines Der Marktplatz in Michelstadt, bearbeitete Fotografie unbekannten Künstlers um 1780 (bearbeitet nach vor 1892 (TEUBNER/BONIN, Odenwaldkreis S. 473). SCHMALL, Juden S. 6). Die Abbildung vermittelt Links im Vordergrund steht der Renaissancebrunnen einen guten Eindruck von den beiden ursprüngli- aus dem Jahre 1575, dahinter der prächtige Barock- chen Eingängen in die Stadt, dem Unter- und dem bau des Gasthauses „Zum Goldenen Löwen“. Direkt Obertor. Beide waren Tortürme mit Vortoren und rechts neben der Säule des Brunnens ist noch der Brücken über den Stadtgraben versehen. Der Strauch Schaufenstereinbau aus dem Jahre 1864 zu erkennen, auf dem Vortor dürfte weniger der Phantasie des der im Zuge der Restaurierung des Gebäudes rück- Künstlers entstammen, sondern tatsächlich für den gebaut worden ist. Das historische Rathaus ist noch vernachlässigten Zustand der Mauer stehen. Die vor den grundlegenden Umbauten des Jahres 1903 zu Übergänge über den Stadtgraben bilden Stein- sehen. Damals wurde die aus dem Jahre 1743 stam- brücken, deren Mittelteil aus dicken Holzbohlen mende Verschindelung entfernt. Auch die aus dem besteht, die im Verteidigungsfall entfernt werden 1838 abgerissenen Untertor bewahrte Turmuhr fehlt konnten. Gemeinsam mit der Toranlage wurde 1838 noch, sie wurde 1892 unterhalb der beiden unge- auch das kleine Wachhäuschen vorne links abgerissen. gliederten Fenster im Dachgeschoss eingebaut.

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