Jg. 7/ Nr.7 Mai 2003

Symptomatisches aus Politik, Kultur und Wirtschaft

Verlogenheit als Zeitphänomen Zur 250. Wiederkehr von Emersons Geburtstag Das Herz als Sonnenorgan 6,– Monatsschrift auf Grundlage der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners € Eleanor C. Merry

sFr. 9.50 sFr. Über den Schmerz Editorial / Inhalt Impressum

«Die Mitte Europas ist ein Mysterienraum. Er verlangt von der Menschheit, dass Der Europäer sie sich dementsprechend verhalte. Der Weg der Kulturperiode, in welcher wir leben, Symptomatisches aus Politik, Kultur und Wirtschaft führt vom Westen kommend, nach dem Osten sich wendend, über diesen Raum. Monatsschrift auf Grundlage der Geisteswissenschaft Da muss sich Altes metamorphosieren. Alle alten Kräfte verlieren sich auf diesem Gange Rudolf Steiners (Hg. von Thomas Meyer) nach dem Osten, sie können durch diesen Raum, ohne sich aus dem Geiste zu erneuern, Jg. 7 / Nr. 7 Mai 2003 nicht weiterschreiten. Wollen sie es doch tun, so werden sie zu Zerstörungskräften; Katastrophen gehen aus ihnen hervor. In diesem Raum muss aus Menschenerkenntnis, Bezugspreise: • Einzelheft: sFr. 9.50/ € 6,– (zzgl. Versand) Menschenliebe und Menschenmut das erst werden, was heilsam weiterschreiten darf • Doppelheft: sFr. 16.–/ € 10,– (zzgl. Versand) nach dem Osten hin.» • Jahresabonnement: sFr. 98.–*/ € 57,–* (inkl. Versand) Ludwig Polzer-Hoditz • Luftpost/Übersee: sFr. 150.–/ € 110,– (inkl. Versand) • Probeabonnement (3 Einzelnrn. oder 1 Einzelnr. und 1 Doppelnr.): sFr. 27.–/ € 17,– (inkl. Versand) * zzgl. MWST in Deutschland

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Kündigungsfrist: «Die Verlogenheit als Grundeigenschaft unserer Zeit ...» 3 1 Monat. Ohne eingegangene Kündigung wird das Thomas Meyer Abonnement automatisch um ein Jahr verlängert. Geschenkabos sind auf ein Jahr befristet.

«Eine feste Brücke über den Ozean ...» Redaktion: Der Briefwechsel zwischen Ralph Waldo Emerson und 5 Thomas Meyer (verantwortlich), Andreas Bracher, Brigitte Eichenberger, Andreas Flörsheimer, Herman Grimm Ruth Hegnauer, Helga Paul, Lukas Zingg. Frederick William Holls Redaktionsanschrift: Leonhardsgraben 38 A, CH-4051 Basel Die neokonservative Rechte in den USA 8 Tel: (0041) +61/ 263 93 33 Gerd Weidenhausen Fax: (0041) +61/ 261 68 36 E-Mail: [email protected]

Niedergang der amerikanischen Weltmacht? 11 Bestellungen von Abonnementen, Probenummern, Gerd Weidenhausen Inseraten etc.: Ruth Hegnauer General Guisan-Straße 73, CH-4054 Basel Über den Schmerz 13 Tel/Fax: (0041) +61/ 302 88 58 Olaf Koob E-Mail: [email protected] Anzeigenpreisliste auf Anfrage. Das Herz als Sonnenorgan (Teil 1) 14 Inserenten verantworten den Inhalt ihrer Inserate selbst. Claudia Törpel Leserbriefe: Brigitte Eichenberger Metzerstraße 3, CH-4056 Basel Eleanor C. Merry (1873–1956) 18 Tel: (0041) +61/383 70 63 Thomas Meyer Fax: (0041) +61/383 70 65 Leserbriefe werden nach Möglichkeit ungekürzt «... weil sonst das ahrimanische Gegenbild entwickelt wird.» 21 (ansonsten immer unverändert) wiedergegeben. Zur Strader-Technik (Teil 2) Bei unaufgefordert eingesandten Manuskripten ohne Rückporto kann Rücksendung nicht garantiert werden. Christoph Podak Belichtung und Druck: Leserbriefe 24 Freiburger Graphische Betriebe Bankverbindungen: Das vorbabylonische Alphabet (8. Zeichen) 17 D: Postbank Karlsruhe BLZ 660 100 75 Frank Geerk Konto-Nr.: 3551 19-755 Perseus Verlag CH: PC-Konto 70-229554-9 DER EUROPÄER, Basel Perseus Verlag Postkonto international für Euro-Zahlungen: 195 Postfinance Bern 91-4777 02-3 EUR Korrigendum: Perseus Verlag / Der Europäer In der letzten Nummer ist aus Versehen ein Fragezeichen weggelassen worden GA = Gesamtausgabe. («Was geschah wirklich am 11. September?», Interview mit Jared Israel, Sämtliche Artikel und Zeichnungen dieser Zeitschrift Jg. 7 / Nr. 6, S. 11). Der Satz heißt richtig: Na ja, selbst wenn ich eine fixe Idee sind urheberrechtlich geschützt. hätte, kann man die Fakten hinterfragen? © Perseus Verlag Basel

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ISSN 1420–8296

Die nächste Nummer erscheint am 30. Mai 2003 PERSEUS VERLAG BASEL

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Zur Weltlage???

«Die Verlogenheit als Grundeigenschaft unserer Zeit ...» Anmerkungen zur gegenwärtigen Weltlage

Verlogenheit als Grundzug des öffentlichen Lebens mischen würden. Nach der Invasion Kuwaits legte die Rudolf Steiner hat schon im Jahre 1920 die «Verlogen- US-Regierung scharfen Protest ein und drohte mit heit als die Grundeigenschaft des ganzen öffentlichen Intervention. Lebens unserer Zeit»1 bezeichnet. Diese Grundeigen- • Am 10. Oktober 1990 trat die Tochter des kuwaiti- schaft ist seither, vor allem im politischen Leben, noch schen Botschafters vor den Menschenrechtsausschuss dominanter geworden. Der Hitlerismus baute auf Lü- des Kongresses und berichtete mit tränenerstickter gen, der Bolschewismus baute auf Lügen. Der politische Stimme von den Gräueltaten irakischer Soldaten in Ku- Amerikanismus baute nicht nur in der Vergangenheit, wait. Die «Brutkasten-Story» war geboren. Irakische Sol- sondern baut besonders in der Gegenwart auf Lügen. daten hätten Hunderte von Babies aus Brutkästen ge- Nach dem Kollaps der erstgenannten gigantischen zerrt und sie in einen qualvollen Tod gerissen. Hinter Lügensysteme kann die «einzige Weltmacht» (Zbigniew dieser Story stand ein 10-Millionen-Dollar Auftrag an Brzezinski) sogar gewissermaßen völlig konkurrenzlos die größte amerikanische Public Relations Firma Hill & lügen. Knowlton. Amnesty International hat den «Irrtum» spä- ter richtiggestellt. Doch der anti-irakische Stimmungs- Das Prinzip gezielter Provokation effekt war erreicht und führte zwei Tage darauf zur Irak- Im Folgenden ein paar Fakten zur US-Politik und deren Resolution im Sicherheitsrat – grünes Licht für den anti-amerikanischen Charakter, denn diese Politik belügt letzten Golfkrieg. und schädigt nicht zuletzt die eigenen US-Bürger.2 • Der Überfall der Japaner auf Pearl Harbor (7. Dezem- Von Pearl Harbor zum 11. September 2001 ber 1941), der bekanntlich den Eintritt der USA in den Schon am Tag der Katastrophe von New York wurde der Zweiten Weltkrieg zur Folge hatte, war – im völligen Vergleich mit dem Überfall auf Pearl Harbor gezogen, Gegensatz zur offiziellen Darstellung – kein Überra- erstmals wohl im Präsidentenflugzeug Airforce One, schungsangriff, sondern von der Roosevelt-Administra- dann auch von Brzezinski und anderen. Diese, sofort tion gezielt provoziert worden, um durch den «Day of von den Medien breitgewalzte und starke Emotionen Infamy» Kongress und Bevölkerung der USA kriegswillig weckende «Parallele» hat jeden, der den wahren Sach- zu stimmen. Der amerikanische Schriftsteller und Publi- verhalt um Pearl Harbor kennt und nicht nur die «offi- zist Gore Vidal spricht von einer «faustdicken Lüge»: zielle Version» oder den Hollywoodstreifen, der im «Roosevelt (dessen Innenpolitik – New Deal ich bewun- Sommer 2001 in die Kinos kam, hellhörig machen kön- dere) provozierte die Japaner vorsätzlich, damit sie uns nen. (Ebenso wie die handfesten Verbindungen zwi- in Pearl Harbor angriffen.»3 schen der CIA, dem pakistanischen Geheimdienst, Al- • Der «Zwischenfall im Golf von Tonking» (2. August Quaida und der Finanzierung von Mohamed Atta, dem 1964) veranlasste die schlagartige Ausweitung des Viet- Chef-Hijacker; oder die handfesten Geschäftsverbin- namkriegs. Zwei nordvietnamesische Torpedoboote sol- dungen der Familien Bush und Laden.) len den amerikanischen Zerstörer «Maddox» angegrif- fen haben. Der «Zwischenfall» führte zur Tonking-Reso- lution im Sicherheitsrat und löste die Flächenbombar- Almost a joke dierungen Nordvietnams aus. Der Torpedo-«Zwischen- America is at this moment developing advanced systems of fall» war eine reine Erfindung der USA. Die Nachricht «weapons of mass destruction» and is prepared to use them wurde interessanterweise zuerst über AP aus Pearl Harbor where it sees fit. It has more of them than the rest of the 4 verbreitet. world put together. It has walked away from international • Zbigniew Brzezinski brüstete sich in einem Interview agreements on biological and chemical weapons, refusing damit, dass es die CIA gewesen sei, die in Afghanistan to allow inspection of its own factories. The hypocrisy be- hind its public declarations and its own actions is almost a die Rebellen gegen Moskau unterstützt und dadurch die joke. Russen in ihr «Vietnam» gelockt habe. • Die US-Botschafterin April Glaspie versicherte am Worte des englischen Schriftstellers und Dramatikers 25. Juli 1990 der irakischen Regierung, dass sich die Harold Pinter vor dem britischen Unterhaus, Oktober 2002 USA in den irakisch-kuwaitischen Konflikt nicht ein-

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 3 Zur Weltlage

Der 11. September ist zu Recht mit Pearl Harbor ver- aber er ist unser Hurensohn. Seit Ende der 80er Jahre ist glichen worden. Der Vergleich ist in einem entsetz- er nicht mehr «unser» Hurensohn. Das ist der ganze lichen Sinne zutreffend. Im Sinne des skrupellosen Unterschied. Deshalb muss er weg. Und koste es das Kommentars des Kennedy- und Johnsonberaters Mc Leben von Hunderttausenden von Zivilisten. Das heißt George Bundy über den US-Machtzuwachs dank der Ka- ungehemmtes Handeln nach «unverhohlenen Macht- tastrophe von Pearl Harbor: «Es war ein schrecklicher konzepten». Tag, aber er hatte ein ganz wundervolles Ergebnis.»5 Die einzige Weltmacht brach nun zum ersten Mal ei- nen Krieg vom Zaun, ohne erst ein glaubhaftes morali- «Nach unverhohlenen Machtkonzepten handeln» sches Mäntelchen fabriziert und die moralische Entrüs- Wer sich den in solchen Worten anklingenden Grund- tung der Öffentlichkeit gegen einen Feind mit Erfolg zug der US-Außenpolitik klarmachen will, braucht nur mobilisiert zu haben. Das ist das Neue und Erschrecken- die jahrzehntelang als top secret behandelten Richtli- de an der gegenwärtigen Weltlage. Das Regime mit den nien zu lesen, die George Kennan, Leiter der Planungs- schlimmsten Massenvernichtungswaffen des Planeten abteilung des US-Außenministeriums im Jahre 1948 bedroht die Sicherheit der ganzen Welt. Umso verlo- festgelegt hatte. In Kennans «Planungsstudie 23» heißt gener, wenn die wild und hemmungslos gewordene es u.a.: «Wir haben etwa 50% der Reichtümer der Welt, US-Junta ihre brutalen Welteroberungskriege dabei in aber nur 6,3% ihrer Bevölkerung (...) Bei diesem Sach- Herrgottspose als gerechte Ausgießung apokalyptischer verhalt müssen wir der Gegenstand von Neid und Zornesschalen auszugeben sucht. Scheelsucht sein. In der nächsten Zeit besteht unsere ei- gentliche Aufgabe darin, ein Beziehungsmuster zu ent- Freies Informationswesen aus der Schweiz? werfen, das es uns erlaubt, diese Ungleichheit aufrecht- Diesen Entwicklungen kann nur etwas entgegengesetzt zuerhalten (...) Dazu müssen wir alle Sentimentalität werden, wenn sie klar ins Auge gefasst werden. Und und Tagträumerei von uns abtun, und unsere Aufmerk- wenn man sich nicht von «idealistischen» oder pseudo- samkeit muss überall auf unsere nächstliegenden na- religiösen «Schlagworten» benebeln lässt. Dazu muss tionalen Ziele konzentriert bleiben (...) Wir sollten auf- ein wahrheitsorientiertes Geistesleben entwickelt wer- hören, über so vage und (...) unwirkliche Ziele wie den. Auf der Ebene der öffentlichen Berichterstattung Menschenrechte, die Hebung des Lebensstandards und würde das heißen: ein unabhängiges Informationswe- Demokratisierung zu reden. Der Tag ist nicht fern, an sen zu schaffen. (Rudolf Steiner wollte während des er- dem wir nach unverhohlenen Machtkonzepten werden sten Weltkriegs in Zürich eine neutrale Informationsstel- handeln müssen. Je weniger uns dann idealistische le errichten, was von seiten der deutschen OHL vereitelt Schlagworte hemmen, desto besser.»6 wurde.) Die Möglichkeiten dazu wären gerade in einem Hier trat die Stoßrichtung der US-Außenpolitik ein- bis zu einem gewissen Grade noch neutralen Land wie mal erfreulicherweise in unverhohlener Weise ans der Schweiz vorhanden. Sie werden allerdings ver- Licht. schwinden, wenn sich in der Schweiz der Glaube an das «Isolationsgespenst» noch tiefer einwurzelt und voll- Der erste vorwandlose US-Krieg ends dem Wahn Platz macht, vor allen Dingen in der Wer mit der Stoßkraft solcher Richtlinien rechnet, wird Einbindung in letztlich von den USA dominierte politi- sich nicht wundern über den gegenwärtigen Umgang sche und militärische Bündnisstrukturen (wie EU oder der einzigen Weltmacht mit «Menschenrechten» oder NATO) das Heil suchen zu müssen. mit den humanitären Zielsetzungen der UNO und ihren Thomas Meyer «idealistischen Schlagworten». Der jetzige Krieg ist der Beweis für den traurigen Fortschritt der US-Politik in 1 Am 21. 8. 1920. den letzten fünfzig Jahren. Sie hat den Punkt wirklich 2 Nafeez M. Achmed, Geheimsache 09/11 – Hintergründe über erreicht, an dem sie sich durch keinerlei «idealistische den 11. September und die Logik amerikanischer Machtpolitik, Schlagworte» mehr in irgendeiner Weise hemmen lässt. Riemann, 2003. Saddam Hussein ist ein Schurke, gewiss. Das war auch 3 Gore Vidal, Bocksgesang – Antworten auf die Fragen vor und nach der CIA bewusst, als sie ihn Ende der 60er Jahre zu stüt- dem 11. September, Hamburg 2003, S. S. 103. 4 Barry Zwicker in: September 2001, Coverup or Complicity, zen und benützen begann. Aber er war eben zunächst www.globalresearch.ca ein nützlicher Schurke. Die US-Politik instrumenta- 5 GEO, Mai 2001, S. 89. lisiert überall nützliche Schurken. Das gehört zu ihrer 6 Zitiert nach N. Chomsky, Was Onkel Sam wirklich will, Zürich Technik. Hussein ist ein Hurensohn, hieß es damals, 1993.

4 Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Die Aktualität Emersons

«Eine feste Brücke über den Ozean ...» Der Briefwechsel zwischen Ralph Waldo Emerson und Herman Grimm Zum 200. Geburtstag von Ralph Waldo Emerson

Vor zweihundert Jahren wurde am 25. Mai 1803 Ralph Wal- Form auch immer diese aufgetreten sind oder welcher do Emerson in Boston geboren. Aus diesem Anlass beginnen Zeit auch immer sie angehören.» Und an anderer Stelle: wir in der vorliegenden Nummer mit der Veröffentlichung des «Er hat das Geschick eines Zauberers, alle Dinge beseelt Briefwechsels zwischen Emerson und Herman Grimm. erscheinen zu lassen. Durch ein Wort, durch einen blo- Dieser Briefwechsel wurde vor hundert Jahren in New York ver- ßen Ausruf, bringt er den Leser in fernste Länder und öffentlicht, ist aber bis heute nie in einer deutschen Überset- Zeiten; die fremdartigsten Ansichten macht er vertraut; zung erschienen. er gibt einem das Gefühl, zu Hause zu sein bei den Frederick William Holls, dessen amerikanischer Herausgeber, mächtigen Schatten der Geschichte.»2 besuchte Herman Grimm zuletzt im Frühjahr 1901 in Berlin. Die Eleganz, Kraft und Lebendigkeit seines Stils wie Grimm ermächtigte Holls im Laufe des Gesprächs dazu, seine auch sein fundiertes Wissen und seine fast nie fehlge- Korrespondenz mit Emerson herauszugeben. Es sollte ein ver- henden Einsichten und kritischen Beurteilungen haben mächtnishafter Schritt werden. Wenige Tage später verstarb zusammengewirkt, um ihm heute, schon zwei Jahre seit Herman Grimm am 16. Juni 1901. seinem Tode, fraglos einen unangetasteten Platz unter Angesichts des gegenwärtig von Machtpolitik und Oppor- den Klassikern der deutschen Sprache zu erwirken. tunismus geprägten deutsch-amerikanischen Verhältnisses könnte ein Blick auf die Beziehung zwischen Emerson und Die Angaben über sein Leben sind schlicht und nicht Grimm wahrhaft ausgleichend wirken, denn es ist dies zu- zahlreich. Er wurde am 6. Januar 1828 geboren als Sohn gleich ein Blick auf tiefere und fruchtbarere Schichten dieses von Wilhelm Grimm, dem jüngeren der berühmten Verhältnisses. Gebrüder Grimm, deren Märchen auf der ganzen Welt In dem Verhältnis zwischen Emerson und Grimm kann etwas zum Alltag gehören. Nach einem Jurastudium widmete von der wahren Atlantikbrücke sichtbar werden, von der man er sich ganz der Literatur, heiratete Gisela von Arnim, heute zumeist nur eine rudimentär-politische Vorstellung hat. die Tochter von Goethes Bettina, und führte jahrelang Im Folgenden wird die Einleitung Holls zu dem schmalen das Leben eines unabhängigen Gelehrten, bis er 1872 Korrespondenzband erstmals in deutscher Übersetzung (von zum Professor für Kunstgeschichte an der Universität Helga Paul) veröffentlicht. In kommenden Nummern wird der Berlin ernannt wurde. Er gab diese Stellung 1893 auf gesamte Briefwechsel folgen. und lebte daraufhin ruhig in der Matthäikirchstraße in Thomas Meyer Berlin in einer Etagenwohnung im vierten Stock, die viele Jahre lang ein berühmter Treffpunkt der erlauch-

nter den deutschen Prosaschriftstellern und Kriti- Ukern des 19. Jahrhunderts muss der Name Herman Grimms immer an vorderster Stelle zu stehen kommen. Während man ihn außerhalb Deutschlands am besten kennt, allerdings in sehr fehlerhafter Übersetzung, durch seine Werke über das Leben von Michelangelo und über das Leben von Raphael – beides jedoch Meisterwerke der Biographie als auch der Kunstbetrachtung –, ist sein Ruhm im eigenen Vaterland mehr begründet auf seinen sechs Essaybänden, seiner vorzüglichen Para- phrasierung der Ilias und seinen an der Universität in Berlin gehaltenen Vorlesungen über Goethes Leben. Professor Kuno Francke1, ein sehr kompetenter Richter in solchen Dingen, sagte treffend: «Er ist Philosoph, Kunstkritiker und Literarhistoriker in einem – ein Inter- pret der geistigen Ideale der Menschheit, in welcher Handschrift Emersons, verkleinert

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 5 Die Aktualität Emersons testen Geister war, die in der deut- nicht weiter auszuführen; ich kaufte schen Hauptstadt wohnten oder mir das Buch. Ich habe seit dem diese besuchten. nicht aufgehört in Emersons Wer- In diesem bescheidenen, aber äu- ken zu lesen, und jedesmal, wo ich ßerst geschmackvollen Zuhause hat- sie von neuem vornehme, scheint es te der Schreiber (dieser Zeilen) das mir, als läse ich sie zum ersten Mal Privileg, Herman Grimm kennenzu- ... lernen und sich häufig von dessen Ich las es [den EssayNature], und wie Erzählungen fesseln zu lassen, die ich Satz für Satz weiter schritt, ward während seiner letzten Lebensjahre mir zu Muthe, als sei ich dem ein- voller Erinnerungen und Lebens- fachsten, wahrsten Menschen be- weisheit waren; und am 13. Juni gegnet und hörte ihm zu, wie er mit 1901, an einem Donnerstag – genau mir spräche. drei Tage vor seinem überraschen- Ich fragte nicht ob er geistreich sei, den Tod – richtete sich das Gespräch ob er etwas wolle, ob er den oder je- wieder einmal auf die Seite von nen Hintergedanken mit seinen Sät- Grimms Karriere, die ihn für Ame- zen beweisen möchte – ich las eine rikaner auf so besondere Weise in- Ralph Waldo Emerson Seite nach der andern. Es ist mög- teressant macht, nämlich auf seine lich, dass das alles verworren und Rolle bei der Einführung und Interpretation von Ralph hart war, mir schien es nicht so, ich folgte den Gedan- Waldo Emerson in Deutschland. ken Wort auf Wort: Alles erschien mir alt und bekannt, In seinem Essay über Emerson, den er 1861 schrieb als hätte ich es tausendmal gedacht oder geahnt, alles und der in seine erste Serie von 15 Essays3 aufgenom- neu, als lernte ich es zum ersten Mal. Hatte ich das Buch men wurde, erzählt Grimm, wie er zum ersten Mal die eine Zeitlang nicht in Händen gehabt, so revoltierte Bekanntschaft mit Emersons Werk gemacht hat, und mein Unabhängigkeitssinn auf eigene Faust. Ich hielt es zwar wie folgt: nicht für möglich, dass ich mich so gefangen gegeben «Bei einem mir befreundeten Amerikaner fand ich hätte, ich schien mir getäuscht und betrogen, ich sagte vor Jahren einen Theil der Essays von Emerson zufällig mir: Dieser Mensch wird ein Mensch sein wie alle an- auf dem Tische liegen. Ich sah hinein, las eine Seite her- dern, wird seine Fehler und zweifelhaften Tugenden ha- unter und war erstaunt, eigentlich nichts verstanden ben, wird eitel, schmeichelbar und launisch sein – und zu haben, obgleich ich mir meines Englisch ziemlich wenn ich dann wieder seine Sätze las, flog die zauberi- bewußt war. Ich fragte nach dem Autor. Er sei der sche Luft über mein Herz von Neuem, es erfrischte sich erste Schriftsteller Amerikas und sehr geistreich, aber das alte abgearbeitete Getriebe der Welt, als hätte ich manchmal etwas verrückt, und er könne sogar öfter sei- niemals so reine Luft gekostet. Ich hörte neulich von ei- ne eigenen Sätze nicht erklären. Aber niemand sei so nem Amerikaner, der Emersons Vorlesungen beige- angesehen als Charakter und Prosaist. – Kurz, dies Ur- wohnt, es gebe nichts Ergreifenderes, als diesen Mann theil lautete so wunderbar, ich sah wieder in das Buch: zu hören. Ich glaube das. Es geht nichts über die Stimme Einige Sätze sprangen mir so leuchtend in die Seele, eines Menschen, der aus tiefster Seele das ausspricht, dass ich eine Art Trieb empfand, es einzustecken und zu was er für wahr hält (...) [S. 430f.] Hause genauer anzusehen. Ich finde, es ist schon sehr Man muss in der großen Welt gelebt haben, um gro- viel, wenn uns ein Buch so reizt, dass wir uns ohne ße Charaktere zu begreifen. Emerson steht mit den er- Zwang entschließen, hinein zu sehen, heute, wo man sten Männern seines Landes in Verbindung, eines Lan- aus einer Art Selbsterhaltungstrieb sich gegen Men- des, das eine großartige Politik hat, während wir keine schen und Bücher auf der äußersten Defensive halten hatten bis auf diesen Tag, wie auch Goethe seiner Zeit muß, wenn man Zeit und Stimmung und eigene Ge- mit den ersten Geistern der Nation verkehrte, und alle danken bewahren will. Männer dies thaten, die sich harmonisch durch und Ich nahm Websters Dictionary und fing an zu lesen. durch zu der Höhe erhoben, dass ein ganzes Volk ihre Der Satzbau erschien mir ganz außergewöhnlich. Bald Oberhoheit anerkannte. Es bedarf nicht nur des Lichtes, entdeckte ich das Geheimnis: Es waren wirkliche Ge- um als Leuchtthurm weit in die Runde zu strahlen, son- danken, war eine wirkliche Sprache, ein reeller Mensch, dern auch eines Thurmes dazu, von dessen Spitze es erst den ich vor mir hatte, kein – ich brauche den Gegensatz sichtbar wird.» [S. 434]

6 Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Die Aktualität Emersons

Über die einzige Begegnung mit Die Briefe Emersons waren bald ge- Emerson schreibt Grimm Folgendes: funden, und die Erlaubnis diese zu (S. XXII) kopieren wurde bereitwillig gege- «Im Frühjahr 1873 sah ich ihn in ben. Unter ihnen befanden sich Florenz. Eine hohe schmale Gestalt, zwei Briefe an Gisela von Arnim, die mit dem unschuldigen Lächeln um spätere Frau von Herman Grimm, den Mund, das Kindern und Män- welche auch in der Sammlung Auf- nern höchsten Ranges eigen ist. Sei- nahme fanden. Ebenso hat Dr. ne Tochter Ellen begleitete ihn, die Edward Waldo Emerson sehr ent- für ihn sorgte. Die höchste Cultur gegenkommend die Papiere seines erhebt den Menschen über das Vaters durchgesehen, mit dem Er- Nationale und macht ihn ganz gebnis, dass er vier Briefe Herman einfach. Emerson hatte eine an- Grimms fand. spruchlose Würde im Benehmen, Grimms Interesse an Amerika war ich glaubte ihn von Jugend auf ge- groß, auch ganz unabhängig von kannt zu haben.»4 seiner Bewunderung für Emerson. Er Diese Tatsachen und Ansichten war besonders befreundet mit her- wurden von Grimm sehr interes- Herman Grimm vorragenden Gesandten und Bot- sant ausgearbeitet wiedergegeben. schaftern der Vereinigten Staaten in Um seine Erzählung zu untermalen, zeigte er mir fast Berlin, zu erwähnen seien davon George Bancroft und alle Werke Emersons in Erstausgabe, wie sie der Autor Andrew D. White. So interessierte er sich auch sehr für ihm geschickt hatte, alle mit einer herzlichen Wid- die Entwicklung dieses Landes hinsichtlich seines Erzie- mung versehen. Er fuhr dann fast wie nebenbei fort: hungswesens und Geisteslebens und war besonders be- «Ich hatte ein paar äußerst interessante Briefe von eindruckt und angenehm berührt von der amerikani- Emerson, und als ich meine alten Papiere vor einigen schen Wertschätzung Goethes, eines Gefühls, von dem Jahren durchschaute, tat ich diese zusammen und über- er fand, dass es in diesem Lande größer war als in irgend- gab sie dem Goethe-Schiller-Archiv in Weimar, wo sie einem anderen englisch-sprachigen Volke. Er war Vize- jetzt sind. Ich finde jedoch, dass sie veröffentlicht wer- präsident der Deutschen Museumsgesellschaft der Har- den sollten, und wünschte, Sie würden mir den Gefal- vard Universität und war sehr stolz auf die Arbeit, die len tun, diese zu kopieren und sie in Amerika herauszu- dort geleistet wurde und zeigte großes Interesse an ihr. bringen.» Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass diese Bei der bereits oben erwähnten Gelegenheit übergab unerwartete Aufforderung mit Freuden sofort ange- er dem Schreiber dieser Zeilen ein Exemplar seiner Goe- nommen wurde, doch schlug ich vor, daß Grimms the-Vorlesungen mit einer Widmung, die zweifellos die eigene Briefe in einer solchen Publikation mitaufge- letzten Worte enthielt, die er über Amerika noch je nommen werden sollten, nicht nur um auf das, was schreiben sollte, und zwar lautete sie folgendermaßen: Emerson geschrieben haben mochte, Licht zu werfen, Die Dichtungen und Gedanken Goethes haben von sondern auch um ihres ureigenen Wertes willen. Deutschland nach Amerika eine feste Brücke über Grimm stimmte dem zu und setzte sich sofort hin, um den Ozean geschlagen. die nötigen Beglaubigungsschreiben für Weimar und Herman Grimm auch für Concord aufzusetzen; und so trennten wir uns mit dem Versprechen meinerseits, ihn in der folgenden Mit Gewissheit können alle Freunde und Bewunderer Woche nach meiner Rückkehr aus Weimar wieder zu von Ralph Waldo Emerson sich beglückwünschen, dass besuchen. Am folgenden Montagmorgen wurde ich bei er einen so geeigneten Interpreten bei einem freund- Geheimrat Dr. Suphan in dem schönen Goethe-Schil- schaftlich und geistig verbundenen Volk gefunden hat. ler-Museum in Weimar vorstellig und händigte diesem Frederick William Holls den Brief von Herman Grimm, dessen enger Freund er war, aus. Als dieser die Handschrift sah, wurde er blass 1 Kuno Francke, Glimpses of Modern German Culture, New York und deutete auf eine Zeitung, die in einer Notiz kurz 1898, S.99. berichtete, dass Herman Grimm am vorhergehenden 2 A. a. O., S. 111. Morgen tot in seinem Bett aufgefunden worden war – 3 Herman Grimm, Fünfzehn Essays, Berlin 1874. am Sonntag, dem 16. Juni 1901. 4 Herman Grimm, Fünfzehn Essays, Dritte Folge, Berlin 1882.

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 7 Das US-Programm

Die neokonservative Rechte in den USA Hintergründe und Hintermänner des außenpolitischen Programms der Bush-Regierung

s ist im Rahmen der transatlantischen Krise anläss- munistische Aktionsgruppen wie das «American Com- Elich der Irak-Frage aufschlussreich zu beobachten, mittee for Cultural Freedom». Die zentrale intellektuelle wie in der Berichterstattung der Presse in Deutschland Gestalt der Neokonservativen im Kalten Krieg, be- Kontrollen und Tabus, die bisher fest verinnerlicht wa- sonders in den 60er und 70er Jahren, war Irving Kristol, ren, aufzuweichen beginnen – Tabus, die den engsten dessen demagogische Fähigkeiten sich damals an der Verbündeten, den Großen Bruder USA, betreffen. Diese aufkommenden Neuen Linken, der «New Left», aus- Aufweichung scheint seit der Regierungsübernahme der leben konnten. Irving Kristol dämonisierte den poli- Bush-Administration, verstärkt aber seit dem Wider- tischen Gegner in demselben Maße wie er den Kapi- spruch Deutschlands und Frankreichs gegenüber dem talismus und die damals noch dazu gehörenden Argumenten unzugänglichen Kriegswillen der angel- «Familienwerte» verherrlichte. Das Projekt der unilatera- sächsischen Koalition, stattzufinden. Mit den aufbre- len Weltherrschaft, basierend auf technologischer und chenden Medien-Tabus in der bürgerlichen Presse ist militärischer Überlegenheit, das 1991 durch den Zu- auf die Frage verwiesen, ob sich die Außenpolitik der sammenbruch der Sowjetunion möglich wurde, reicht gegenwärtigen US-Regierung – wie zumeist fälschlicher- letztlich bis in die 70er Jahre zurück. Schon damals kon- weise kolportiert – reaktiv auf äußere Bedrohungen stituierte sich jene neokonservative Rechte, die nicht ohne durchdachte Strategien beziehe oder ob sie umge- nur die Entspannungspolitik zwischen Ost und West tor- kehrt mittel- und auch langfristige Szenarien vorsieht, pedierte, wo sie nur konnte, sondern sich auch zum Ziel wie sie in Wirklichkeit in den letzten Jahren real statt- setzte, die Gesellschaft durch Krieg und permanente Mo- haben. Tappt die US-Politik blind und hilflos im Dun- bilisierung zusammenzuschweißen. Statt einer Politik keln, stets darum bemüht, sich bösartiger Angriffe auf der Koexistenz der Systeme, wie sie die konservativen ihre wohlmeinende Macht zu erwehren, oder sieht die- «Realisten» der Ära Nixon und Kissinger vertraten, setz- se Politik nicht vielmehr ein weltweites Chaos und eine ten die Neokonservativen um Albert Wohlstetter von galoppierende Anarchie der Verhältnisse vor, die es ihr der Rand-Corporation – «der geistige Vater der neokon- erlauben, militärisch weltweit präsent und jederzeit ein- servativen Strömung und Schwiegervater von Richard 3 griffs- bzw. angriffsbereit zu sein? Und wenn dieser Poli- Perle» – auf eine Dämonisierung und maßlose Über- tik strategische Kompetenzen zugebilligt werden, wer treibung der sowjetischen Gefahr, ganz im Sinne von sind dann die Träger von Projekten wie dem «For the Richard Perles Motto, dass es um den «Nachweis» gehe, New American Century» (PNAC), dessen Gründungs- «dass die Entspannungspolitik nicht funktionieren 4 akte auf 1997 datiert?1 konnte und dass man wieder auf Sieg setzen musste» . Es geht um die Rolle jener konservativen «Think Von 1974-1976 sammelten sich die neokonservativen Tanks», von denen wiederum das PNAC ein Ausfluss ist, Kombattanten im Kampf gegen die Sowjetunion und ge- ein Geflecht von halbstaatlichen und privaten Denkfa- gen jene Institutionen in den damaligen USA, darunter briken, als Stichwortgeber und Lieferant außenpoliti- unter anderem maßgebliche Teile der CIA, die die Ent- scher Konzepte eine Art Schattenregierung der USA und spannungspolitik, aus welchen Gründen auch immer, am «Ursprung der Bush-Doktrin» in der Außenpolitik.2 gut hießen. Vertraute Figuren aus der jetzigen US-Admi- Gegenwärtig bestimmt das breite Spektrum einer neo- nistration rührten schon damals die Trommel des Krie- konservativen Rechten, die den Einfluss liberaler und ges, wenn auch des verdeckten, wie Donald Rumsfeld, gemäßigter Denkschulen in den USA zurückgedrängt sein enger Mitstreiter Richard Cheney und der neue Di- hat, die US-Außenpolitik und ist mit Figuren wie Che- rektor der CIA ab 1976, George Bush. Letzterer initiierte ney (Vizepräsident), Rumsfeld (Verteidigungsminister), im selben Jahr die Gründung des «Team B», eines Exper- Wolfowitz (stellvertretender Verteidigungsminister) und tenteams, das die sowjetische Bedrohung mit Daten Ashcroft (Justizminister), um nur die geläufigsten Na- belegen, das heißt zurechtkonstruieren sollte. Leiter des men zu nennen, in der US-Administration vertreten. Teams wurde der Sowjetspezialist Richard Pipes, Vater Ursprünglich stammten die führenden Neokonserva- des gegenwärtig überaus aktiven neokonservativen Jour- tiven aus einem kleinen, aber geschlossenen Kreis des nalisten Daniel Pipes. Enger Mitarbeiter war der heutige «New Yorker City College» vor dem Zweiten Weltkrieg. stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, Zu Hochzeiten des Kalten Kriegs bildeten sie antikom- der schon damals mittels fiktiver Szenarien von Kata-

8 Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Das US-Programm strophen, – die natürlich durch böse andere Mächte aus- – vorbei sein würden. Die Denkfabriken der Neokonser- gelöst wurden, – den eigentlichen Tatsachen mit der nö- vativen rieten den Republikanern seit Beginn der 90er tigen beträchtlichen Willkür gegenüberstand. Philip S. Jahre dazu, vom Primat der Innenpolitik abzulassen Golup schreibt in der März-Ausgabe 2003 von Le Monde und sich außenpolitischen, weltumspannenden «Visio- Diplomatique diesbezüglich: «Wie wir heute wissen, setz- nen» zu widmen. Während Henry Kissinger schon An- te 25 Jahre später der Erfinder der Vokabel ‹Reich des Bö- fang 1990 als die drei wesentlichen Ziele der US-Außen- sen› diesen Weg fort. George W. Bush holte viele Figuren politik die NATO-Osterweiterung, die Bekämpfung des aus der Zeit Präsident Fords, allen voran Perle und Wol- Islamischen Fundamentalismus und die Sicherung der fowitz, in sein Team, initiierte gewaltige Verteidigungs- globalen Rohstoffversorgung für die USA ins Auge fass- anstrengungen und ordnete wieder im großen Maßstab te, wobei diesbezüglich zuerst die Lösung des Problems Geheimdienstoperationen an (...), vor allem in Afghani- Russland bewerkstelligt werden müsse, schlugen paral- stan und Mittelamerika.»5 lel dazu William Kristol, Irving Kristols Sohn, und Schon in der Reagan-Ära der 80er Jahre kamen die Robert Kagan in den Foreign Affairs6 vor, eine «Neo-Rea- Neokonservativen, die bis dahin eine eher außerparla- gansche Außenpolitik» ins Auge zu fassen, d.h. Ameri- mentarische Rolle spielten, voll zum Zuge. Ihre anti- kas Führungsrolle konsequent anzustreben. Dazu be- kommunistische Ideologie umwölkte Reagans sowieso dürfe es einer absoluten militärischen Suprematie nach anfälligen intellektuellen Horizont und ließ ihn, kurz außen und an der «Heimatfront» einer Renaissance der vor der Implosion der Sowjetunion, vom «Reich des Bö- Wehrkultur bzw. des Militärischen innerhalb der Zivil- sen» faseln, eine Metapher, die in der gegenwärtigen gesellschaft, ganz im Sinne der Reaktion der Truman- US-Regierung um diejenige der «Achse» erweitert wur- Administration auf den Ausbruch des Korea-Krieges de. Neben diesem fanatischen Antikommunismus der 1950. Das müsse die Reaktion auf ein (zu erwartendes) Neokonservativen der Reagan-Ära wurde die auf den eu- Ereignis sein, das eine enorme Erhöhung der Militär- ropäischen Emigranten Friedrich von Hayek zurückge- ausgaben und die moralische Aufrüstung zur Kriegs- hende neoliberale Freimarktideologie propagiert und bereitschaft als unausweichlich erscheinen lasse. Der verbreitet. Deren erstes Opfer wurde in Europa Margaret Soziologe Claus Leggewie interpretiert in seinem Buch Thatchers Bevölkerung. Innenpolitisch kultivierte der America first 7 die diesbezüglichen Auslassungen Wil- Neokonservatismus in den USA ganz andere Reizthe- liam Kristols und Robert Kagans aus dem Jahr 1996 so: men, besonders nach 1989, als der Kommunismus aus «Denkt man die Logik der Autoren zu Ende, dann muss dem historischen Rennen ausgeschieden war: Krimina- erst, wie sie selbst einräumen, ein analoges Ereignis zur lität, Drogen, Einwanderung, gleichgeschlechtliche Ver- Invasion Südkoreas durch den Norden eintreten, damit bindungen, uneheliche Kinder und Sozialprogramme eine Erhöhung der Militärausgabe um mehr als das wurden zu Skandalthemen aufgebaut und – angesichts Dreifache möglich wird. Das heißt letztlich, eine emi- des fundamentalistisch evangelikalen Hintergrunds nente Bedrohung herbeizuwünschen – oder auch den mancher Neokonservativer nicht überraschend – als sol- Ernstfall selbst, zu dessen Vermeidung das ganze Szena- che auch gebührend emotionalisiert. rio überhaupt erdacht worden ist.» Es muss dem hinzu- In den späten 80er und den 90er Jahren wurde gefügt werden, dass Kristol und Kagan nicht die einzi- weiterhin an dem neokonservativen Ziel der Eroberung gen waren, die solche Szenarien entwarfen, um die USA der kulturellen Hegemonie in den USA und der Erlan- zum «moralischen Militärstaat» zum einen und zur im- gung der politischen Macht in Washington gearbeitet. perialen Macht zum anderen zu machen. Es baute sich während der Clinton-Ära neben den neo- Es kann sich gegenwärtig die Frage stellen, ob die konservativen «Think Tanks» eine breite Palette rechts- Außenpolitik der Bush-Regierung in der Kontinuität intellektueller Zeitschriften auf bzw. es wurden «Think amerikanischer Außenpolitik überhaupt steht oder sich Tanks» und Zeitschriften aus der Ära des Kalten Krieges aus ihr fortbewegt. Diese Frage muss im letzteren Sinne mit Erfolg fortgeführt, darunter Zeitschriften wie Natio- beantwortet werden. Mit der Doktrin globaler Präventiv- nal Review, National Interest, Policy Review, American Spec- schläge hat die US-Außenpolitik durch die Bush-Regie- tator, Public Interest usw. Neben den Foreign Affairs des rung eine völlig neue Dimension erfahren und steht da- «Council on Foreign Relations» (CFR) hätte ein Blick in mit – sogar nach dem Urteil Henry Kissingers – «in die Klassiker wie National Review oder National Interest völligem Gegensatz zum modernen Völkerrecht».8 Das schon Mitte der 90er Jahre lehren können, dass in Zu- heißt, dass mit den neokonservativen Außenpolitikern kunft die Zeiten des «gütigen Imperiums» der 50er und der gegenwärtigen US-Regierung eine derartige Neuaus- 60er Jahre – allgemein assoziiert mit dem Marshall-Plan richtung der amerikanischen Außenpolitik vorgenom-

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 9 Das US-Programm men wurde, dass sogar ein der Machtpolitik eng verbun- einen machtvollen bellizistischen und neokonservati- dener konservativer Realist wie H. Kissinger darin eine ven Block dar, noch verstärkt dadurch, dass «auf allen Gefahr für die Welt sieht. Denn es wird sich nach dem Ebenen der zivilen Führung Vertreter aus den Zirkeln Willen der jetzigen Machthaber in den USA in Zukunft des AEI (American Enterprise Institute) und CSP (Center darum drehen, jederzeit die Souveränität von Staaten for Security Policy) rekrutiert wurden, die sogar von den aushebeln zu können, wenn diese die Sicherheit der USA – ganz gewiss nicht pazifistischen – Angehörigen der al- bedrohen könnten. Ein Vorgeschmack auf die Praxis die- ten Bush-Administration als Bellizisten, d.h. kriegslüs- ser «Konditionalen Souveränität» stellt der Feldzug ge- tern, betrachtet werden.»12 gen Afghanistan dar, der nebenbei als Vorspiel zur völli- Schon diese institutionellen Vernetzungen und per- gen militärischen Neuordnung des Mittleren Ostens sonellen Durchdringungen der gegenwärtigen US- gewertet werden kann. Die Meinungsführerschaft der Administration mit besagten neokonservativen Denk- Neokonservativen, die im Rahmen der Irak-Kampagne fabriken lassen auf einen machtvollen und mittel- bis voll zum Tragen kommt, hat ihre Machtbasis in den langfristig wirksamen imperialen Willen schließen. mächtigen «Think Tanks» und Stiftungen wie «Ame- Gleichsam evoziert die Politik dieses neokonservativen rican Enterprise Institute» (AEI), «Center for Security Machtblocks nicht nur in Europa einen anwachsenden Policy» (CSP), «Project for a New American Century» politischen Gegenwillen. Das andere, wahre, weil aus (PNAC), «Hudson Institute», «Jewish Institute for Securi- aufklärerischer Tradition sich speisende Amerika for- ty Affairs» (JINSA) usw. Die Neokonservativen haben ih- miert sich in Gestalt einer Fülle kritischer Stimmen und ren Einfluss in diesen und anderen «Think Tanks» wäh- sieht in der Haltung «Alt-Europas» den wahren Verbün- rend der Clinton-Jahre ausgebaut, und die Tatsache, dass deten gegen die Auswüchse neokonservativer, das heißt sich die Bush-Regierung gegen den Internationalen Ge- imperialer Machtpolitik. richtshof, gegen den ABM-Vertrag und die Chemiewaf- Gerd Weidenhausen, Esslingen fen-Konvention wendete, ist dem Einfluss des CSP zuzu- schreiben. Außerdem ist die gegenwärtige Nahost- und

Irak-Politik der USA nur zu verstehen, wenn man die 1 Das Gründungsprogramm dieses «Projekts» wurde im Euro- Rolle des von Richard Perle und Douglas Feith 1996 ver- päer, Jg. 6/Nr. 4 (Februar 2002), S. 7-8 vorgestellt. fassten Konzepts («A Clean Break: A New Strategy for Se- 2 So die Autorin Petra Steinberger in ihrem informativen und curing the Realm») berücksichtigt, die dann 2001 vom aufschlussreichen Artikel «Gefahr in Verzug» in der Süddeut- «Defense Policy Board» als Gesamtstrategie der Bush-Re- schen Zeitung vom 1./2. März 2003. 3 Zitiert nach Philip S. Golup: «Auf Sieg setzen», Le Monde Di- gierung angenommen wurde.9 plomatique (deutsch), März 2003. Insgesamt laufen diese und die Programme der PNAC 4 a. a. O. und CSP auf eine Militarisierung der amerikanischen 5 a. a. O. Außenpolitik hinaus. Aufschlussreich bei all dem ist, 6 Sechs Jahre nach Kristols und Kagans Vorschlägen in dem wie früh Konzepte und Strategien entworfen wurden, Foreign Affairs-Artikel «Toward A Neo-Reaganite Foreign Poli- die gegenwärtig in die Realisierungsphase treten. So cy» ist die Militarisierung der US-Gesellschaft in gewünsch- tem Sinne Wirklichkeit geworden. Siehe dazu das ZEIT-Dos- auch die sogenannte «Defense Planning Guidance» sier «Die Army macht Schule. An vielen amerikanischen High (DPG) aus dem Jahr 1992, deren Autoren Paul Wolfo- Schools übernimmt das Militär das Kommando...» vom witz und Lewis «Scooter» Libby eine «Vormachtstellung 9.1.2003. Siehe auch das lesenswerte Buch von Tom Holert in Eurasien, eine präventive Politik gegen Staaten, die und Mark Terkessidis: Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. im Verdacht stünden, Massenvernichtungswaffen zu Jahrhundert, Köln 2002. besitzen, einen Raketenschild, mehr Geld fürs Militär 7 Claus Leggewie, America First, Frankfurt 1997, S.267. 8 Henry Kissinger «Die USA brauchen eine Strategie für die Zeit und überhaupt mehr Militär»10 forderten. September nach Saddam», in: Welt am Sonntag vom 11.8.2002. 2001 forderte dann das «Defense Policy Board» (DPB), 9 Nach diesem Papier sei der Vertrag von Oslo (zwischen Israel «ein parteiübergreifendes Beratergremium des Penta- und den Palästinensern) zu annullieren. Israel wird eine gon unter Vorsitz des Reaganiten Richard Perle, das knallharte Machtpolitik einschließlich einer potenziellen Ver- auf Grund der Zusammensetzung aus den Kreisen des treibung der Palästinenser vorgeschlagen. Für den Irak wird Vize-Verteidigungsministers die ‹Wolfowitz-Kabale› ge- ein Regimewechsel postuliert usw. 10 P. Steinberger, Süddeutsche Zeitung, a.a.O. nannt wird»,11 den Regimewechsel in Bagdad. Gegen- 11 Zitiert nach «Die innenpolitische Steuerung der amerikani- wärtig, so die Autoren weiter, stellen Vizepräsident Che- schen Irak-Politik» von A. Szukala und Th. Jäger in: Blätter für ney mitsamt der politischen Führung des Pentagon deutsche und internationale Politik, Januar 2003, S.39. (Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, Douglas Feith usw.) 12 a.a.O., S. 41.

10 Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Todd über die US-Politik

Niedergang der amerikanischen Weltmacht? Eine französische Sicht auf die USA

elten gibt es im deutschen Sprachraum so geistreich deshalb noch leisten, weil die Privilegierten der Peri- Sund flüssig argumentierende Essays wie die im vor- pherie, das heißt des Auslands, Geld als Investition liegenden Band versammelten, zumal darin Thesen nach Amerika brächten, Geld, mit dem die Amerikaner vorgetragen werden, die hierzulande bestenfalls mit dann den Konsum von Gütern finanzieren, «die sie Vorbehalt, didaktischer Vorsicht und trockener Wissen- überall in der Welt einkaufen.» Diesbezüglich wagt schaftssprache diskutiert würden. Der «Nachruf» auf die E. Todd in seinem Buch folgende Prognose: «Das wahr- Weltmacht USA1 löste in Frankreich bei seinem Erschei- scheinlichste Szenario ist eine Panik an den Börsen von nen eine lebhafte Diskussion aus. Kurioserweise haben unvorstellbarem Ausmaß, gefolgt von einem tiefen Kernaussagen dieses Buches durch die gegenwärtigen Sturz des Dollars. Damit wäre es mit der ‹imperialen› politischen Entwicklungen eine geradezu prophetische Position der Vereinigten Staaten in wirtschaftlicher Bestätigung in dem Umstand erfahren, dass Russland, Hinsicht vorbei.» (S.129). Frankreich und Deutschland zu einer Koalition gefun- Weil man in den maßgeblichen Kreisen um die den den haben, um dem «theatralischen Militarismus» der USA inzwischen immanente Wirtschafts- und Bildungs- USA entgegenzutreten. Genau diese Koalition fordert schwäche weiß, – jene Faktoren, die nach E. Todd die Todd in seinen Essays des öfteren ein bzw. er sieht sie – «wahre» Stärke einer Nation ausmachen –, setzt man, erweitert um Japan – als eine nahezu zwangsläufige an, quasi in einem Kompensationsverfahren globalen Zu- sobald der «demonstrative Militarismus Amerikas» in schnitts, auf die Projektion militärischer Allmacht. Da- Aktion trete, um dem Rest der Welt die militärische bei nimmt die US-Führungselite auch den Verlust von Unterlegenheit aller Nationen vorzuführen. Denn die- Demokratie in Kauf. Todd analysiert in diesem Rahmen ser «theatralische und demonstrative Militarismus der eine doppelte Umkehrung der Verhältnisse: In dem USA» beunruhige, so Emmanuel Todd, «die wahren Maße, wie die USA fortschreitend vom Rest der Welt Mächte der Erde» und veranlasse sie in Gestalt Europas, wirtschaftlich abhängig wurden und ihre Demokratie Russlands und Japans zur Annäherung. zur Oligarchie verblasste, nahm in Eurasien die Demo- Wie aber kommt der Autor dazu, Europa, Russland kratie zu, bei gleichzeitiger Abnahme der wirtschaft- und Japan als die «wahren Mächte» hinzustellen, was lichen Abhängigkeit von den USA. Mit dem Nieder- doch impliziert, die USA – als unanfechtbare Super- gang der liberalen Demokratie in den USA nahm nun macht und einzige Weltmacht in aller Munde – als aber auch deren aggressives Potenzial zu. Damit schlug Scheinmacht anzunehmen? die Geburtsstunde des «theatrali- Todds Kernthese bezüglich der schen Militarismus», dem drei her- «Weltmacht» USA ist, dass diese in- vorstechende Merkmale eignen: Er zwischen wirtschaftlich vom Rest benötigt erstens eine durch einen der Welt völlig abhängig ist, sozusa- permanenten Kriegszustand in Atem gen auf Pump lebt, unter anderem gehaltene Welt. In den Worten belegbar am amerikanischen Han- E. Todds: «Ein Problem wird nie delsbilanzdefizit, das sich zwischen endgültig gelöst, denn so kann die 1990 und 2000 von 100 auf 450 ‹einzige Supermacht›, die auf der Milliarden Dollar erhöht hat. Längst Welt verblieben ist, beliebige mi- stagniere die Produktivität der US- litärische Aktionen rechtfertigen.» Wirtschaft. Auch seien der Großteil (S. 38). Dann, zum zweiten, konzen- der Importe nicht mehr Rohstoffe, triert man sich in den künftigen wie fälschlicherweise oft angenom- Feldzügen und Schlachten auf men, sondern hochwertige Güter «Kleinstmächte – Irak, Iran, Nord- aus der industriellen Produktion des korea, Kuba», um so den «wahren Auslands. Im Kern sei die US-Wirt- Mächten», um deren Eindämmung schaft eine Finanzblase, also kurz es eigentlich geht, die eigene All- vor dem Ende. Den gegenwärtigen macht vorzuführen. Gleichzeitig er- Konsum können sich die USA nur möglichen diese Konflikte, die mili-

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 11 Todd über die US-Politik tärisch ein «Null-Risiko» darstellen, es den USA, überall Welt aufgrund seiner militärischen Stärke und seines auf der Welt präsent zu sein. Drittens wird im Rahmen Universalismus vor den Unwägbarkeiten und Abenteu- des so angeheizten Rüstungswettlaufs der technologi- ern der imperialen USA schützen könne. sche Vorsprung der USA noch weiter ausgebaut. Es bleibt allerdings mehr als fraglich, ob eine derarti- Kurzum: E. Todds Analyse des US-Imperiums geht da- ge Koalition der «wahren» Mächte Japan, Russland und hin, dass dessen absehbare imperiale Überdehnung sich Europa, wenn sie denn überhaupt zustande käme und zum einen einer elementaren Systemkrise verdankt und Bestand hätte, ein Gegengewicht zur vom Autor wohl zum anderen schon deshalb das angestrebte Ziel der doch unterschätzten Macht der USA bilden könnte. Weltherrschaft verfehlen muss. Der imperiale Wille und Fraglich ist auch, ob eine bloße «balance of power» die- alle damit verbundenen militärischen Aktionen sollen ser erhofften Koalition gegenüber den USA eine hinrei- demnach die dem US-System immanenten Schwächen chende Idee für eine Gesundung und Neugestaltung der kaschieren. So gesehen liest sich E. Todds Buch wie die internationalen Verhältnisse darstellt. Auch dürften die Ergänzung und Aktualisierung von Chalmer Johnsons wirklichen wirtschaftlichen, technologischen und mi- Band Ein Imperium zerfällt. Wann endet das amerikani- litärischen Kapazitäten und Ressourcen der USA über sche Jahrhundert? (München, 2000). Anders als Johnson dasjenige hinausreichen, was Todd in seinem Buch ana- führt aber Todd ein Reihe von internen Gründen an, lytisch aufzeigt. Und so bleibt die Frage, ob die Hoff- die die imperialen Projektionen der USA als nahezu nungen und dezidiert vorgebrachten Voraussagen sei- zwangsläufige oder zumindest erklärbare Aus- bzw. nes Buches bezüglich der brüchigen und im Niedergang Fluchtwege aus ungelösten Wirtschafts- und Gesell- begriffenen Weltmacht USA sich bewahrheiten oder schaftsproblemen vorführen. Diesen imperialen Projek- nicht doch Ausdruck eines nachvollziehbaren Wunsch- tionen werden, so die Hoffnung Todds, die Grenzen in denkens sind. einer Koalition von Staaten aufgezeigt werden, die an Trotz solcher Einschränkungen macht die Lektüre dieser US-Negation erwachen werden. von Emmanuel Todds intelligent geschriebenem Buch Außerdem gelingt dem Autor eine überzeugende verständlich, warum es seit seiner Veröffentlichung im Interpretation der einschlägigen Theoriedebatten in vergangenen Herbst in Frankreich auf der Bestsellerliste den USA nach der Implosion der Sowjetunion: Fukuya- steht. mas These von der universellen Ausbreitung der Demo- Gerd Weidenhausen, Esslingen kratie als «Ende der Geschichte» ergebe, so Todd, die «paradoxe Situation, dass die Vereinigten Staaten als Militärmacht überflüssig werden und sich damit abfin- den müssen, eine Demokratie wie alle anderen zu sein.»2 Weil das noch nicht einmal theoretisch sein durfte, entwickelte Huntington das Konstrukt des «Kampfes der Kulturen», mit dem die USA ihre Macht erfolgversprechender als mit einem «ewigen Frieden» erhalten und ausbauen zu können glaubten.3 Doch blie- ben Huntingtons Thesen, bei aller Nützlichkeit, wegen ihres dezidiert religiös-ethnischen Charakters nur par- tiell anwendbar, zumal nach ihm die meisten «Zivilisa- tionen» für das westliche Modell ungeeignet sind. Auf Dauer lässt sich damit eine Weltherrschaft nicht be- gründen. An dieser Stelle tritt Brzezinskis geopolitische Version in Erscheinung, nach Todd die klügste und pragmatischste Variante aller US-Herrschaftskonzepte4: «Im Grunde nimmt Brzezinski die in Fukuyamas Para- 1 Emmanuel Todd, Weltmacht USA. Ein Nachruf. Piper-Verlag, dox enthaltene implizite Bedrohung ernst und zeigt ei- München 2003. nen Weg, wie die Vereinigten Staaten doch noch diplo- 2 Bezieht sich auf: Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte – wo stehen wir?, München 1992. matisch und militärisch die Kontrolle über die Alte Welt 3 Samuel Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der behalten können.» (S. 27). E. Todd aber setzt auf ein Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München/ Wien 1996. dagegen widerstehendes Europa mit dem Hoffnungs- 4 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie pol eines sich erholenden Russland, das Europa und die der Vorherrschaft, Weinheim und Berlin 1997.

12 Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Über den Schmerz

Über den Schmerz Schmerzentstehung und Verhinderung von Schmerzen spielen seit dem frühen Altertum bis heute eine tragende Rolle in der Medizin.

egen der fundamentalen Bedeutung des Schmer- zwingt uns, uns mit bisher unbekannten Aspekten der Wzes für die menschliche Entwicklung ist es selbst- Atmung auseinander zu setzen und von der oder dem verständlich, dass sich auch die geisteswissenschaftlich Liebsten verlassen zu werden, ist die perfekte Einfüh- erweiterte Medizin intensiv sowohl praktisch als auch rung in den Mechanismus emotionaler Abhängigkeit. erkenntnistheoretisch damit auseinandersetzt. Rudolf «Es ist doch so, dass nur das Leiden an einer Sache es Steiner hat nicht nur in medizinischen Vorträgen auf uns möglich macht, deren Mechanismen, welche man die tiefere Aufgabe und Entstehung des Schmerzes im sonst gar nicht kennen würde, zu bemerken, zu begrei- Weltganzen hingewiesen. Dabei kann man verkürzt sa- fen und zu analysieren. Würde ein Mensch, der jeden gen: Schmerzen und das gewöhnliche Fühlen haben ei- Abend schwer ins Bett sinkt und bis zum Augenblick ne gewisse Ähnlichkeit. Greift der Astralleib lose in die des Erwachens und Aufstehens gleichsam nicht mehr leibliche Organisation ein, dann führt dies zu einem lebt, jemals daran denken, wenn schon keine großen rein seelischen Gefühlsinhalt, der für sich besteht und Entdeckungen, so doch wenigstens kleine Beobachtun- nicht mit dem Organischen im Zusammenhang emp- gen über den Schlaf anzustellen? Er weiß ja kaum, ob er funden wird. Geschieht dieser Vorgang zu massiv, ver- schläft. Ein geringes Maß an Schlaflosigkeit ist nicht hakt sich der Astralleib gewissermaßen im Physischen, ohne Nutzen dafür, den Schlaf richtig schätzen zu ler- dann bekommt das Gefühlsleben einen Inhalt, den es nen und außerdem sein Dunkel ein wenig aufzuhellen. früher nicht hatte: Unbehagen und Unlust in den ver- Ein lückenloses Gedächtnis ist kein sehr mächtiger An- schiedenen Formen treten auf. Schmerz wird so zu ei- reger, um die Phänomene des Gedächtnisses zu studie- 2 nem verdichteten Bewusstsein, das aber ganz auf das ren.» Physische bezogen bleibt und das Seelische komplett Proust unterscheidet in diesem Sinne auch zwischen «besetzen» kann. Hat man einmal z.B. eine sehr «schmerzlosen und schmerzhaften Gedanken». Die ers- schmerzhafte Zahnwurzelentzündung gehabt, so kann teren entstehen z. B. durch Bücher oder durch einen man erleben, dass der ganze Mensch seelisch zum Zahn Lehrer, letztere hingegen durch das Leben selber. Ähn- wird. Dieses verdichtete Gefühl kann aber auch zu einer lich wie R. Steiner kommt er zu dem Schluss: Glück Art Sinnesorgan werden und uns etwas mehr über uns stärkt den Körper, doch nur Kummer fördert die Kräfte und unser Weltverhältnis aufklären. Das ist auch der des Geistes. Grund dafür, dass Schmerzen nicht einfach nur zu Dies alles führt im Laufe des Lebens zu einer be- unterdrücken sind. Denn diese erhöhten, verdichteten stimmten Form von Lebenskunst: denn die notwendige Gefühle am falschen Ort, können, wenn sie richtig ver- Auseinandersetzung mit dem Schmerz ist der erste standen und ertragen werden, auch eine körperlich in- Schritt auf dem Weg zur Besserung und kann zu einer duzierte Schulung bzw. eine Form von Erkenntnisweg Gefühls- und Erkenntnisbereicherung werden. Ideen- sein. Durch den Schmerz weiß der betreffende Mensch sind nach Proust ein Ersatz für Leiden; denn in dem also mehr über sich, und das führt zu einer neuen Form Augenblick, da die Leiden sich in Ideen verwandeln, von Wissen oder Lebensweisheit. «Denken wir uns ei- verlieren sie einen Teil ihrer schädlichen Wirkungen. nen Menschen, der noch nie Kopfschmerzen gehabt Menschen, die aus ihrem Schmerz keinerlei Erkenntnis hat. Er kann sagen: Ich weiß nichts davon, dass ich ein ziehen, werden somit von Proust als «Leidensdilettan- Gehirn habe, denn ich habe es noch nie gefühlt.»1 ten» bezeichnet. Er hat diesen Typus Mensch in seinem In ähnlicher Weise hat auch der französische Ro- Romanwerk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit meis- mancier Marcel Proust, dessen Leben eine lange Lei- terhaft beschrieben, wie er nämlich aus seinen Leiden densgeschichte war (er litt seit seiner Kindheit an eine Reihe ruinöser Abwehrmechanismen entwickelt, schwerem Asthma), die tiefere Bedeutung von Leid und die zu Arroganz, Selbsttäuschung und Bosheit führen. Schmerz empfunden. Schmerzen, so schrieb er einmal, Auch in der heutigen Medizin, in der von bestimm- haben auch etwas mit der Aneignung von Wissen zu ten Seiten um einen neuen, erweiterten Gesundheits- tun. Ein verstauchter Knöchel sagt uns etwas über die begriff gerungen wird, setzt man sich wieder verstärkt 3 Gleichgewichtsverteilung des Körpers, ein Schluckauf mit dem Sinn von Schmerz und Leid auseinander.

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 13 Sonnenorgan Herz

Weil Leiden und Schmerzen nicht mehr integraler zeitig unendlich steigerungsfähigen Leidens- und Bestandteil des Lebens sind, verliert durch diese Art der Schmerzfreiheit. «Enteignung der Gesundheit» der Patient die Autono- «Baudelaire und Dostojewski habe in dreißig Jahren mie sich selbst und seinem Leben gegenüber. Durch die zwischen epileptischen und sonstigen Anfällen alles das verschiedenen schmerztherapeutischen Verfahren wird geschaffen, wovon eine ganze Phalanx bei bester Ge- die Zahl der Schmerzkranken nicht kleiner, sondern sundheit befindlicher Künstler nicht einmal einen Ab- größer. Die Erwartung und der Rechtsanspruch an die satz zustande gebracht haben würde (...) Man kann fast Therapie, schnellstens Schmerz- und Leidensfreiheit sagen, dass es mit den Werken wie mit dem artesischen herzustellen, wächst. Schmerzen auch von geringer Brunnen ist, nämlich dass sie sich um so höher erheben, Intensität, werden als unerträglich erlebt und nicht je tiefer die Grube ist, die das Leiden in unserem Herzen als gewöhnliche Befindlichkeitsstörung. Somit werden ausgehoben hat.»4 Schmerzen auch nicht mehr als «Signal für Gefahren» Olaf Koob, Berlin erkannt, sondern primär als etwas Krankhaftes, dem sich heute eigenständige Institutionen widmen. Aus alle dem resultiert, dass Schmerz und Leid, die 1 Rudolf Steiner, GA 107, Vortrag vom 27.10.1908. 2 Alain de Botton: Wie Proust Ihr Leben verändern kann. Eine An- wir an dieser Stelle keineswegs verharmlosen wollen, leitung, Frankfurt a. Main 1998. nicht mehr als ein möglicher Quell kreativer Leistungen 3 Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus Dörner: «In der Fortschrittsfal- angesehen werden, sondern zur selbstbezogenen, un- le», Deutsches Ärzteblatt, Jg. 99, Heft 38, 20.9. 2002. endlich steigerungsfähigen Gesundheit mit der gleich- 4 Alain de Botton, a.a.O.

Das Herz als Sonnenorgan 1 (zum Begriff der «Fünften Herzkammer» bei ) Teil 1

«Göttlicher Gott, der sich selbst formte, Sinn den sensus communis, den «Gemeinsinn». In den der Himmel und Erde erschuf mit seinem Herzen, ...» Schriften des Hippokrates wird das Herz als ein Organ be- (Nach J. Assmann: Ägyptische Hymnen und Gebete) schrieben, das «gleichsam die Zügel des ganzen Körpers in Händen» hält und zudem eine Beziehung zur Wärme hat. 1. Das Bild des Herzens in Geschichte und Eine ähnliche Betrachtungsweise taucht später bei Wissenschaft Thomas von Aquin (1225-1274) auf, der ebenfalls die Unzählige Mythen aller Kulturen ranken sich um das Seele als den Beweger des Herzens versteht und dabei geheimnisvollste Organ des Menschen: das Herz. Im al- der Wärme eine große Bedeutung zuspricht. Wie Aristo- ten Ägypten wurde es als Gefäß für die Lebenskräfte, die teles fasst er das Herz als Organ des Gemeinsinnes auf. Seele und den Geist des Menschen betrachtet; die Göt- Dieser bildet den Übergang zwischen den äußeren Sin- ter wirkten durch das Herz hindurch. Wer nicht im Sin- nen und drei weiteren inneren Sinnen, die Thomas ne der Götter handelte, handelte wider sein Herz, so nennt: Vorstellungskraft, Schätzungsvermögen und Ge- dass es nach dem Tode gegen ihn aussagte. Im Herzen, dächtnis. Der Gemeinsinn als vierter innerer Sinn steht so meinte man, trifft sich der Strom des Irdischen mit also zwischen äußerer und innerer Wahrnehmung und dem Strom des Geistigen. Es war das «Sonnenorgan», besitzt obendrein noch eine übergeordnete Fähigkeit, dem Gold verwandt, das die Prinzipien des «Lichtes» die Fähigkeit der Unterscheidung. Das Herz, das diese und der «Schwere» in sich vereinigt. Unterscheidung zu leisten vermag, ist für Thomas zu- Auch die Griechen hatten noch eine Vorstellung vom gleich das Organ des Glaubens. Herzen, die die seelisch-geistige Dimension mit einbe- Im weiteren Verlauf der Geschichte kam es zu einer zieht. Nach Aristoteles wird das Herz von den Seelenre- radikalen Veränderung der Vorstellung vom Herzen. gungen bewegt. Zugleich ist es für ihn ein Sinnesorgan, Wiliam Harvey (1578-1657), der Entdecker des großen welches die Wahrnehmungen der fünf äußeren Sinne (Se- Blutkreislaufes, bezeichnete das Herz noch als «Sonne hen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) nach innen des Mikrokosmos» und die Sonne als «Herz des Makro- nimmt und zusammenführt. Er nennt diesen inneren kosmos». Dennoch boten seine Beobachtungen die

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Grundlage dafür, dass sich das Herz in den Augen der Neuere Forschungen bestätigen diese Sichtweise.6 Da- Wissenschaftler immer mehr in ein ausschließlich phy- mit ist man inzwischen einen Schritt weiter in bezug auf sisches Organ verwandelte, welches auf eine rein me- eine Forderung Steiners, die Pumpenvorstellung durch chanische Funktion – die einer «Pumpe» – reduziert eine wahrheitsgemäße Auffassung zu ersetzen. Allerdings wurde. Mit dieser Abspaltung der seelischen und geisti- ist die Schulmedizin noch weit davon entfernt, dies an- gen Aspekte des Herzens ging jedoch die Neuschöpfung zuerkennen und so gilt, was Steiner in den «Arbeitervor- eines Wortes einher, das es in der deutschen Sprache zu- trägen»7 feststellte: «... eine Wissenschaft, die es sich so 2 vor nicht gab: Das Wort «Gemüt» entstand. Wie das la- bequem gemacht hat, dass sie das Herz so beschreibt, als teinische Wort für Herz – cor – die Wurzel bildet für das wenn der Mensch in seiner Blutzirkulation nur eine französische Wort «courage», also Beherzt-heit / Mut, so Pumpe hätte, die macht sich kein Gewissen daraus, auch hat auch das aus dem Mittelhochdeutschen stammende die Maschine so zu machen, dass sich der Mensch dar- Wort «gemüete», aus dem das «Gemüt» wurde, mit dem nach richten muss. ... Solange man glaubt, das Herz sei Mut zu tun. Mut bedeutet hier aber nicht nur Tapferkeit eine Pumpe, solange wird man auch im äußeren Leben und Kühnheit; Ge-müt meint vielmehr die Gesamtheit nicht richtig sich einstellen können. Erst dann, wenn der seelischen Empfindungen, Gedanken und Willens- man weiß, der unsichtbare Mensch ist höher als sein impulse, also all das, was in früheren Zeiten einmal dem Herz, er ist es, der sein Herz bewegt, dann wird man auch Herzen zugesprochen wurde. die Maschinen nach dem Menschen richten.» Mit Hilfe der Geisteswissenschaft ist es nun wieder möglich, unter Einbeziehung der naturwissenschaft- 2. Das Rätsel der fünften Herzkammer lichen Erkenntnisse das Herz als den Sitz des Gemüts zu Steiner hat sich mit seinen Äußerungen zum Herzen ver- erkennen und das Paradigma der mechanistischen Sicht- mutlich auch Feinde gemacht. Möglicherweise hängt so- weise zu überwinden. Dies erweist sich vor allem für die gar seine Erkrankung, an der er schließlich starb, damit Therapie als evident, z.B. wenn Gold als Heilmittel bei zusammen, dass bestimmte okkulte Kreise das Wissen um 3 Störungen der Herzfunktion eingesetzt wird. Es ist Stei- die spirituelle Funktion des Herzens unterdrücken woll- ners Verdienst, in den Organen auch das Wirken höherer ten. Ehrenfried Pfeiffer, der lange Zeit mit Rudolf Steiner Wesensglieder und kosmischer Kräfte beschrieben zu ha- zusammenarbeitete, berichtet in einem Vortrag (1950)8, ben. In seinen Vorträgen nähert er sich dem Herzen ein- dass ihm von einem führenden Okkultisten gesagt wurde, mal mehr von der physischen Seite, einmal mehr von der Steiners Krankheit sei die Folge einer solchen okkulten At- ätherischen und von der astralischen Seite, aber vor al- tacke gewesen. Denn Steiner, so fügt Pfeiffer hinzu, habe lem der Bezug zu den Ich-Kräften, den es in Verbindung die Absicht gehabt, «über die Ätherisation des Blutes so- mit dem Blut hat, wird von ihm immer wieder betont. wie über das Herz als ein Organ mit einer physisch-geisti- 4 In Eine okkulte Physiologie liefert er eine Beschreibung gen Doppelfunktion mehr zu enthüllen.»9 des Herzorgans, die dem Leser vor Augen führt, dass das Leider erfährt man von Pfeiffer in diesem Vortrag Herz eine Mittlerposition zwischen Stoffwechsel- und nicht, woher er diese Information hat. Hat er sie von Bewusstseinspol einnimmt und über die Blutströmung dem «führenden Okkultisten»? Oder von Steiner per- sämtliche Organwirkungen zum Ausgleich bringt. Stei- sönlich? Oder aus eigener okkulter Forschung? Auch ner geht ausführlich auf diese Funktion des «Wahrneh- über die Herkunft eines Ausdruckes, den er in diesem mens» der Organfunktionen ein. Dabei ergibt sich zu- Zusammenhang erwähnt – den Ausdruck der «fünften gleich ein kosmischer Aspekt, denn die Beziehung des Herzkammer» – schweigt er sich aus. Pfeiffer erklärt: Herzens zu den übrigen Organen gleicht in seiner Dy- «Der Gedanke ist der, dass sich in unserer Zeit im namik derjenigen, die die Sonne zu den Planeten hat. menschlichen Herzen gewisse Veränderungen abspie- Das Blut, das nach Steiner nicht vom Herzen in die Ar- len, durch die sich allmählich eine fünfte Herzkammer terien gepumpt wird, sondern – umgekehrt – selbst das entwickelt. In dieser fünften Herzkammer wird der Herz, das ein Stauorgan ist, in Bewegung versetzt, ist Mensch ein Organ besitzen, das es ihm gestattet, die Le- «Werkzeug des Ich», da es auf der einen Seite die Innen- benskräfte in anderer Art zu beherrschen, als es gegen- wirkungen bestimmter Organe aufnimmt und zum an- wärtig möglich ist.»10 deren über die Lunge und das Nervensystem mit der Es gibt okkulte Kreise, in denen der Ausdruck der Außenwelt in Kontakt tritt, «... so dass wir im Herzen «fünften Herzkammer» existiert11, so dass die Frage be- dasjenige Organ haben, in dem sich diese zwei Systeme rechtigt ist, ob Pfeiffer diesen Begriff übernommen hat. begegnen, in die der Mensch hineinverwoben ist, an de- In Steiners Schriften und Vorträgen jedenfalls findet er 5 nen er nach zwei Seiten hängt.» sich nirgends. Allerdings hat Steiner prophezeit, dass

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 15 Sonnenorgan Herz das Herz in Zukunft umgestaltet werden wird.12 Den Grund dafür, dass das Herz quergestreifte Muskelfasern Aus der Herzlehre von Thomas von Aquino besitzt, wie das sonst nur bei willkürlich gesteuerten Was es bedeutet, Gott aus ganzem Herzen zu lieben Organen der Fall ist, sieht er darin, dass im Herzen be- Durch Herz, Mund und Werk (...) können wir Verdienst er- reits die Fähigkeit veranlagt ist, sich vom passiv beweg- werben oder verwirken. Doch steht darunter das Herz an er- ten in ein aktiv bewegtes Organ zu verwandeln, das dem ster Stelle (...) Seiner Zusammensetzung nach ist das Herz Willen des Menschen untersteht. warm und trocken, also feuriger Natur: wie es dem Feuer na- türlich ist, zu glühen, so ist es dem Herzen natürlich, in Lie- 3. Die Ätherisation des Blutes be zu entbrennen (...) Zweitens ist das Herz seiner Substanz nach fest (solidum), damit es nicht leichthin von der In dem Vortragszyklus Vergangenheits- und Zukunftsim- 13 Begierlichkeit (a voluptate) aufgelöst werde. Drittens, der pulse im sozialen Geschehen erwähnt Steiner außerdem Form nach, ist es unten spitz (acutus), oben weit (latus): eine Problematik, die darin besteht, dass sich seit einiger spitz nach unten, damit es das Zeitliche und Darunterlie- Zeit «der Zusammenhang zwischen dem menschlichen gende nur leicht (modice) berühre; nach oben weit, damit physischen Herzen und dem Ätherherzen» immer mehr es nach dem Himmlischen seine Neigung ausbreite (...) lockert. Was sich nach Steiner auch auf andere Organe Viertens ist es im Innern hohl, zum Zeichen, dass es nicht dazu da ist, vom Geschöpflichen ganz erfüllt zu werden (...) erstrecken wird, ist beim Herzen bereits in vollem Gan- Ferner wird es durch eine Doppelbewegung (duplici motu) ge: Die Trennung des Physischen vom Ätherischen des ständig bewegt: nämlich durch die Zusammenziehung Herzens, so Steiner, wird bis zum Jahre 2100 so weit (constrictio), durch welche die überflüssigen (...) Dünste fortgeschritten sein, dass dann für die Menschen die (fumositates) ausgetrieben werden; und die Ausweitung (di- Notwendigkeit besteht, «etwas, was ihnen früher von latatio), durch welche die Luft angezogen wird, zur Mässi- selbst kam durch den natürlichen Zusammenhang zwi- gung der allzugroßen eingeborenen Hitze. Aus dem Herzen heraus liebt also der, welcher, weise unterscheidend, das, schen physischem und Ätherherzen, auf einem anderen was zur Entfaltung der Liebe überflüssig (superfluus) und Wege zu suchen, auf dem Wege des spirituellen Le- hinderlich ist, austreibt, und das dazu Notwendige und Hel- bens.» Mit dem, was den Menschen «früher von selbst fende anzieht (...) Das Herz also, das nach dem Philosophen kam», meint Steiner ein lebendigeres, bildhafteres Den- [Aristoteles] der Ursitz des Lebens (originale domicilum vi- ken, das im Zuge der Veränderungen des Wesensglieder- tae) ist, wird durch eine von seiner natürlichen Beschaffen- gefüges im Herzen immer lebloser und abstrakter wird. heit ausgehende Anweisung dazu aufgerufen (excitatur), auf seine Art daran mitzuhelfen, den Akt des Gnadenlebens Interessant ist, dass Steiner die Vorgänge des Herzens (actus vitae gratuitae) hervorzulocken (...) Es ist auch (...) auf das Denken bezieht. Man mag sich hier an die alte nach Aristoteles das Urorgan der Empfindung (primum or- ägyptische Lehre erinnert fühlen, wonach das Herz ein ganum sentiendi) (...) Aber merkt euch: Liebe Gott aus dei- Denkorgan war und ein ungeordnetes Denken auf Un- nem ganzen Herzen! Nicht aus dem halben. Die Teilung des regelmäßigkeiten und Verrückungen des Herzens zu- Herzens bringt den Tod (...). rückgeführt wurde.14 Steiner beschreibt, wie das Denken Von Gottes- und Nächstenliebe, Kapitel XIX. seit dem 18. Jahrhundert immer oberflächlicher wird – (zitiert aus: Roman Boos, Thomas von Aquino. Übersetzungen, er spricht von der sog. Journalistenkrankheit – und Aufsätze, Vorträge, «Die Herzlehren von Thomas von Aquino durch seine Flüchtigkeit immer mehr zum Opfer mate- und Michael Servet», Schaffhausen 1959, S. 92f.) rialistischer Gesinnung wird. Überdies findet mit der Auseinanderbewegung von Ätherischem und Physi- schem im Herzen eine Trennung in «Wissen» und «Glauben» statt: Das Wissen wird immer abstrakter und wirklichkeitsfremder, während der Glaube «nur ein nai- ves Gefühlsverhältnis zur geistigen Welt entwickeln will.» Der Denkwille reicht nicht aus, um zum Wesent- lichen vorzudringen. Und der Glaube reicht nicht an das konkrete spirituelle Leben heran. Aus diesem Grun- de betont Steiner immer wieder, dass die Wissenschaft spiritualisiert werden müsse. Durch eine spirituelle Ver- tiefung kann das oberflächliche Denken, das sich nur in bestimmten eingleisigen Bahnen bewegt, in ein sich in- nig mit der Erde und dem Kosmos verbunden wissendes «Herzdenken» verwandelt werden.15

16 Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Sonnenorgan Herz

Mit einem veränderten Denken stehen dem Men- sitzen wird, «das es ihm gestattet, die Lebenskräfte in schen andere Kräfte zur Verfügung. So schildert Steiner anderer Art zu beherrschen, als es gegenwärtig möglich in seinem Vortrag über die «Ätherisation des Blutes»16, ist?» In dem Vortrag über die Ätherisation des Blutes dass aus dem Blut, wenn es durch das Herz hindurch- beschreibt Steiner, wie es seit dem Mysterium von Gol- strömt, ätherische Kräfte freigesetzt werden, die sich gatha möglich geworden ist, mit den eigenen Ätherströ- «fortwährend vom Herzen nach dem Kopfe» bewegen. mungen, die vom Herzen ausgehen, zugleich die Äther- «Diese Strömungen entstehen dadurch, dass das strömungen des Christus aufzunehmen, dessen Blut, menschliche Blut, das eine physische Substanz, ein Stoff das sich einst in die Erde hinein vergossen hat, ebenfalls ist, sich fortwährend auflöst in ätherische Substanz, so einen Ätherisierungsprozess erfahren hat, so dass der dass in der Gegend des Herzens ein fortwährender Über- Ätherleib der Erde von dem ätherisierten Blut des gang des Blutes in feine ätherische Substanz stattfindet Christus durchsetzt ist. Somit wäre das Herz des Men- ... Dieser Vorgang, das Ätherischwerden des Blutes, zeigt schen die «Gralsschale», die das (Äther-) Blut Christi sich immerwährend am wachenden Menschen.» Es ent- auffängt, durch das der Mensch wieder an die heilenden steht durch die Bewusstseinstätigkeit des wachen Men- kosmischen Kräfte angeschlossen wird. schen, die allerdings in ihrer Qualität sehr unterschied- lich sein kann, was wiederum Auswirkungen auf die Claudia Törpel, Berlin Qualität der Ätherströmungen hat. Je nachdem, wie der Mensch denkt und welche moralischen Grundsätze er (Teil 2 in der nächsten Nummer) hat, können dann während des Schlafes andere geistige Kräfte auf ihn zurückwirken. Berücksichtigt man diese Äußerungen Steiners, dann gewinnen die sechs «Nebenübungen», die Steiner in Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten 17 gege- 1 in: Thomas Meyer (Hrsg.): Ein Leben für den Geist – Ehrenfried ben hat, an aktueller Bedeutsamkeit. Diese Übungen Pfeiffer (1899-1961), Perseus Verlag Basel. dienen der Ausbildung eines übersinnlichen Wahrneh- 2 siehe Georg Berkemer und Guido Rappe: Das Herz im Kultur- mungsorgans – der «zwölfblättrigen Lotusblume» –, das vergleich, Akademie-Verlag Berlin 1996. im menschlichen Astralleib in der Nähe des Herzens ge- 3 siehe Matthias Girke: «Gold und das menschliche Herz», Arti- bildet wird. Mit der Ausgestaltung der Lotusblumen kel in Der Merkurstab, Heft 4, 1999. (auch «Chakrams» genannt) gehen gewisse Veränderun- 4 Rudolf Steiner: Eine okkulte Physiologie (GA 128). 5 ebenda. gen des Ätherleibes einher. «Denn gerade darin besteht 6 siehe Paolo Bavastro, Hans Christoph Kümmell (Hrsg.): Das die höhere Entwicklung auf einer gewissen Stufe, dass Herz des Menschen, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1999. zu den vom Bewusstsein unabhängigen Strömungen 7 Rudolf Steiner: Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen und Bewegungen des Ätherleibes solche hinzutreten, (GA 350). welche der Mensch in bewusster Weise selbst bewirkt. ... 8 «Das Herz als spirituelles Wahrnehmungsorgan und die Äthe- Der Zweck dieser Entwicklung ist, dass sich in der Ge- risation des Blutes» in: Ein Leben für den Geist (a.a.O.). 9 Ehrenfried Pfeiffer in: Ein Leben für den Geist (a.a.O.), S. 137. gend des physischen Herzens eine Art Mittelpunkt bil- 10 ebenda, S. 137. det, von dem Strömungen und Bewegungen in den 11 als Ort des «wirklichen Selbst» z.B. in der Lehre von Otoman mannigfaltigsten geistigen Farben und Formen ausge- Zar Adusht Mazdaznan (1844-1936), siehe hen. Dieser Mittelpunkt ist in Wirklichkeit kein bloßer www.mazdaznan.de. Punkt, sondern ein ganz kompliziertes Gebilde, ein 12 z.B. in: Rudolf Steiner: Die Theosophie des Rosenkreuzers (GA wunderbares Organ. ... In einer besonders nahen Bezie- 99). 13 Rudolf Steiner: Vergangenheits- und Zukunftsimpulse im sozialen hung steht die zwölfblättrige Lotusblume zu dem ge- Geschehen (GA 190). 18 schilderten Mittelpunkt.» Damit sind die Vorausset- 14 siehe Claudia Törpel: Man denkt nur mit dem Herzen gut, er- zungen geschaffen, um – mit Hilfe des Übungsweges – scheint voraussichtlich im Mai 2003 in der Europäer-Schrif- in sich ein «höheres Selbst» zu gebären, und der Mensch tenreihe. «kann nun allmählich dazu heranreifen, durch die Strö- 15 siehe Claudia Törpel: Zur Heilkraft des Glaubens, Buchbespre- mungen seines Ätherkörpers das eigentliche höhere Le- chung in Der Merkurstab, Heft 5, 2002. 16 in Rudolf Steiner: Das esoterische Christentum (GA 130). benselement zu dirigieren und damit eine hohe Freiheit 17 Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Wel- 19 von seinem physischen Körper zu erlangen.» ten? (GA 10). Ist es dies, was Pfeiffer meint, wenn er schreibt, dass 18 ebenda. der Mensch in der fünften Herzkammer ein Organ be- 19 ebenda.

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 17 Wer war E.C. Merry?

Eleanor C. Merry (1873 –1956)

Die folgende Porträtskizze wurde von mir für das in diesem Jahr lichen Kenntnis der deutschen Sprache und einer Vertie- erscheinende und von Bodo von Plato herausgegebene Bio- fung ihrer musikalischen Fähigkeiten; er rief auch eine grafien-Buch verfasst. Sie wurde etwas länger als vereinbart seelisch-geistige Krise atheistischer Prägung hervor. und musste für diesen Sammelband leicht gekürzt werden. Sie Bald nach ihrer Rückkehr nach England heiratete sie erscheint im Europäer in ungekürzter Form. In kommenden den angesehenen Oxforder Chirurgen Dr. Merry, dessen Nummern werden Porträtskizzen über Astrid Bethusy-Huc, beruflichen Verpflichtungen E.C. Merry neben der Erzie- Helmuth und Eliza von Moltke zum Abdruck kommen. hung einer Tochter und eines Sohnes fortan ihre besten Thomas Meyer Kräfte widmen sollte. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde E.C. leanor Charlotte Kynaston wurde am 17. Dezember Merry in ungewöhnlicher Weise mit der Theosophie be- E1873 in Eton, England, geboren. Ihre Eltern besaßen kannt. Eines Tages wurde ihr von unbekannter Seite ein sehr liberale Erziehungsgrundsätze; wegen beruflicher Um- Exemplar der Secret Doctrine von H.P. Blavatsky zugesandt. stände des Vaters – er war ein renommierter Altertums- Sie vertiefte sich sogleich in das Werk und machte dabei wissenschaftler – blieb ihr bis zum 13. Lebensjahr ein re- die Erfahrung, während der Lektüre wie von einer un- gelmäßiger Schulbesuch erspart. In diesem Alter begann sie sichtbaren Hand von Seite zu Seite geführt zu werden. Sie sich hingebungsvoll mit Musik zu beschäftigen. Zwei Jahre erlebte diese Hand real als die geistige Hand Blavatskys. später wurde der Vater zum Domherrn von Durham beru- Diese Erfahrung sollte sie später Rudolf Steiner berichten. fen, und so verbrachte Eleanor prägende Jugendjahre in Sie vertiefte sich auch in die Schriften Annie Besants und der unmittelbaren Umgebung der prächtigen Kathedrale. anderer Theosophen. Als eine Art Fazit ihrer Lektüre hielt «Von frühester Jugend an», berichtet sie in ihrer Autobio- sie fest: «Aus all dem, was ich gelesen hatte, begann eine graphie, «beherrschten zwei Dinge mein bewusstes Seelen- bestimmte Grunderkenntnis all mein Denken, Fühlen leben: eine leidenschaftliche Sehnsucht nach Erkenntnis und Handeln zu durchdringen: die Erkenntnis, dass es (...) und ein anhaltendes Bedürfnis nach Gelegenheiten zur tatsächlich Meister, ältere Brüder der Menschheit gibt, Heldenverehrung. Bis ungefähr zu meinem fünfzehnten Seher und Adepten, die den Weg, den ich zu entdecken Lebensjahr konnte dieses Bedürfnis in der Tat vielfältige Er- hoffte, schon beschritten hatten und denen man auch füllung finden; danach verwandelte es sich in eine Art ge- begegnen konnte (...) Meine kindliche Fähigkeit zur Hel- wohnheitsmäßige Erwartungshaltung, in ein Gefühl, auf denverehrung fand sich mit einem Male verwandelt.» ein krönendes Ereignis zu warten, das meinen alles beherr- Nach dem Krieg wurde E.C. Merry durch einen Freund auf schenden Erkenntnisdrang befriedigen oder jedenfalls – Rudolf Steiners Werk Wie erlangt man Erkenntnisse der hö- ich hatte keine Ahnung, wie – mit ihm in einem Zu- heren Welten? aufmerksam gemacht. Das der englischen sammenhang stehen sollte.» In der Atmosphäre der Kathe- Ausgabe beigefügte Bildnis Steiners zog den Blick immer drale gab es reichlich Gelegenheit zur Befriedigung eines wieder an: «Was ist er? Wer ist er? So dachte ich. Kann ich solchen Verehrungsbedürfnisses; sie inspirierte auch das ihm vertrauen? Ich kann das unmöglich wissen, bevor ich erste Interesse an geschichtlichen Werdeprozessen. «Beim ihm selbst gegenüberstehe; dann werde ich es ein für alle Lesen in der Mönchsbibliothek, wo ich mit kostbarsten Male wissen (...) Doch alle meine Lebensumstände schie- alten Handschriften umgehen durfte; während ich durch nen das vorläufig vollkommen auszuschließen.» Kreuzgang und Galerien der Kathedrale schlenderte und Diese Lebensumstände sollten sich wenige Jahre darauf den mächtigen Druck und die Schwere der normannischen radikal ändern. An einem Januarabend des Jahres 1922 be- Pfeiler empfand, erlebte ich etwas von wirklicher Ge- gegnete sie in London erstmals D.N. Dunlop, dem Men- schichte – in ganz anderer Art, als sie mir aus den Schulbü- schen, den sie «wirklich liebte und wirklich kannte». Er las chern entgegentrat.» Viel mehr als die Schulbuchhistorie einer anthroposophischen Gruppe einen Vortrag Rudolf sagten Eleanor Mythen und Legenden, so die Erzählungen Steiners vor. Während Dunlop las, hatte Eleanor Merry ein von König Artus; Tennyson’s King Arthur wurde von ihr inneres Schauerlebnis: Sie erlebte «eine Seele, die sich zur verschlungen und auswendig gelernt. Im Elternhaus ver- Schau der Isis erhob». Dunlop bestätigte ihr später: «Ja, das kehrten Gelehrte und Theologen, was die frühgeweckten ist etwas, was mit meinem ganzen Leben intim zu- spirituellen Anlagen und Bedürfnisse vertiefen half. sammenhängt.» Im Frühjahr 1922 starb ihr Gatte nach we- Die Heranwachsende wollte Berufssängerin werden nigen Krankheitstagen an Lungenentzündung. Nun fand und Musik und Kunst studieren; zu diesem Zweck mach- sie sich plötzlich in der Lage, «zu gehen, wohin ich wollte, te sie mit neunzehn Jahren einen Studienaufenthalt in und zu tun, was ich wollte». Um diese Zeit kam es zum Wien. Dieser Aufenthalt führte nicht nur zu einer gründ- ersten persönlichen Gespräch mit D.N. Dunlop. Dieser

18 Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Wer war E.C. Merry?

brannte noch vor Dankbarkeit über Diese Sommerschule, die dem The- die Begegnung mit Rudolf Steiner, die ma Initiations-Erkenntnis gewidmet er wenige Wochen zuvor gehabt hat- war, stellte in den Augen Steiners ei- te. Dunlop, der wie E.C. Merry selbst nen bedeutenden, ja geradezu weg- den Wunsch in sich getragen hatte, ei- weisenden Erfolg dar. Er sprach aus, nem verkörperten Meister zu begeg- dass «gerade von dieser Summer nen, erzählte ihr nicht nur von Stei- School in Penmaenmawr eine unge- ner; er führte sie sogleich in den von heure Befruchtung ausgehen kann ihm gepflegten Tierkreis-Okkultismus auf die ganze anthroposophische ein und erläuterte den Zusammen- Bewegung und ihre Verzweigungen hang der zwölf Zeichen mit seelischen in England. Deshalb darf mit einer und geistigen Eigenschaften des Men- solchen Befriedigung auf die Zeit, schen. Als für den August desselben die wir hier in Penmaenmawr ver- Jahres eine Konferenz über «Spirituel- bringen durften hingesehen werden. Eleanor Charlotte Merry le Werte in der Erziehung» in Oxford Und ich spreche schon Frau Doktors angekündigt wurde, an der auch Rudolf Steiner sprechen (Marie Steiners) und meinen Dank aus tiefst bewegtem sollte, entschloss sich E.C. Merry sofort zur Teilnahme. Die Herzen Mr. Dunlop und denjenigen aus, die mit ihm erste Begegnung fand in einem dunklen Korridor eines Ox- gerade gewirkt haben, dass es einmal möglich war, das forder Gebäudes statt, durch den ihr Rudolf Steiner ent- Zentrale der Anthroposophie und die aus ihr heraus- gegenkam. «Er blieb kurz stehen und betrachtete mich mit gewachsene Eurythmie auch für sich vor einen so lieben einem eindringlichen Blick. Im Dämmerlicht des Ganges Zuhörerkreis hinzustellen, wie derjenige war, der gerade machten seine schwarzen Kleider, die extreme Blässe seines hier vorhanden war.» von schwarzem Haar umrahmten Gesichts, der durch- E.C. Merry konnte im Gegensatz zu Dunlop um die dringende Glanz seiner Augen, die rasche Entschiedenheit Jahreswende 1923/24 zur Neubegründung der Anthro- seiner Gangart einen außerordentlichen Eindruck auf posophischen Gesellschaft nach Dornach fahren. Hier mich. Wenn Worte diesen Eindruck beschreiben sollten, so gab Steiner nochmals seiner Freude über die gelungene müssten es die folgenden sein: Er weiß, wo er hingeht.» Sommerschule von Penmaenmawr Ausdruck und fügte Nach dieser wortlosen Begegnung wurden später beim gegenüber E.C. Merry die Bitte hinzu, Dunlop möge «sol- Tee erste Worte gewechselt. Nun erlebte E.C. Merry etwas ches Werk auch weiterhin kräftig in die Hand nehmen, wie einen an ihre Seele gerichteten weckenden Trompe- denn es wird in seiner Hand gut gelingen». tenstoß: «Ich wusste ohne jeden Zweifel, dass ich am Wahrscheinlich wurde über das Thema der nächsten Zentralpunkt meines Lebens angelangt war.» Steiner Sommerschule zwischen E.C. Merry und Rudolf Steiner schlug E.C. Merry nach der Konferenz vor, Sekretärin der bereits in Dornach gesprochen. Eleanor Merry berichtet neuen Erziehungsbewegung in England zu werden und davon, dass sich eine Gruppe von Mitglieder «sehr meinte auf ihr erstauntes Zögern bloß: «Das werden besorgt über die rasche Verbreitung des Spiritismus» Sie bestens können.» Sie hatte nun «keinen größeren geäußert habe, «und so bat ich ihn, im Namen der Wunsch mehr, als der Sache der Anthroposophie zu die- Gesellschaft, vor einem englischen Publikum auf dessen nen.» Dies sollte allerdings nur vorübergehend auf dem Gefahren und Irrtümer hinzuweisen, wozu er seine Gebiet des Erziehungswesens geschehen. Zustimmung gab.» So kam es zum Tagungsthema der Als D.N. Dunlop die Sommerschule von Penmaen- zweiten Sommerschule, die in Torquay stattfinden sollte: mawr vorbereitete, hatte er in E.C. Merry eine entschlos- «Die wahren und die falschen Wege der geistigen For- sene, starke organisatorische Stütze. An Ort und Stelle schung»; Marie Steiner nannte den gedruckten Vortrags- kam es zu weiteren Gesprächen mit Rudolf Steiner. Dieser kurs später Das Initiaten-Bewusstsein. wies sie auf die neue, von ihm entwickelte Maltechnik E.C. Merry hatte inzwischen Bilder in der neuen Mal- hin, die sie sogleich aufgriff. Aber auch über Dunlop gab technik gemalt. Und als sie im Mai 1924 in Paris weilte, er ihr wichtige Hinweise. Er sei mit allen antiken Myste- wollte sie Rudolf Steiner davon berichten, denn sie ge- rien verbunden gewesen und habe in einem inneren dachte in Torquay einige Bilder auszustellen. Rudolf Stei- Kreis des Templerordens gewirkt – «machen Sie das Band ner sagte: «Ich habe Ihre Bilder gesehen.» Darauf Eleanor zu ihm so fest sie nur können.» Und auf ihre Frage, wie- Merry: «Nein, Herr Doktor, Sie haben sie nicht gesehen; so so viel ungutes Gerede hinter Dunlops Rücken im Um- sie befinden sich alle in London.» Darauf er: «Ich habe sie lauf sei, erklärte Rudolf Steiner schlicht: «Wenn da je- gesehen.» E.C. Merry dachte an ein Missverständnis. mand ist, den ich so liebe, wie ich Mr. Dunlop liebe, sind «Noch einmal widersprach ich, und zum dritten Male Eifersüchteleien immer unvermeidlich.» wiederholte er, dass er sie gesehen habe, wobei er seinen

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 19 Wer war E.C. Merry?

intensiven dunklen Blick auf mich richtete. Da begriff sie beim Aufbau der School for Spiritual Science behilf- ich zum ersten Mal, dass er sie wirklich gesehen hatte, lich war. Sie schrieb zahlreiche Aufsätze für die Zeitschrift wenn auch nicht mit irdischen Augen (...) Nie mehr be- The Modern Mystic, in der auch Stein und Kolisko publi- zweifelte ich fortan, dass er jederzeit bei seinen Schülern zierten. diktierte ihr seine vermächtnis- weilen konnte, gleichgültig, wo sie sich befanden.» haften letzten Aufsätze «Inductive Biographies» in die Als Rudolf Steiner im Zusammenhang mit dem Ta- Schreibmaschine, wobei E.C. Merry Koliskos intensive gungsthema in Torquay auch auf H.P. Blavatsky zu spre- Arbeitsweise nur verkraften konnte, indem sie zwischen- chen kam, bildete dies einen Anlass für Eleanor Merry, durch beträchtliche Mengen von Zucker zu sich nahm. dem Geisteslehrer in einem persönlichen Gespräch ein Daneben malte sie in der neuen Technik und erreichte ihr in gewisser Hinsicht rätselhaft gebliebenes Erlebnis zu eine Originalität, der nichts Schülerhaftes anhaftet. Zu- schildern: Das Erlebnis nämlich, das sie bei der Lektüre sammen mit Maria Schindler leitete sie in den 40er Jah- der Secret Doctrine mit der sie geistig führenden Hand Bla- ren ein Malschule und arbeitete an dem Buch Pure Colour vatskys gehabt hatte. Darauf sagte er ihr Worte, die vieles mit, welches im ersten Teil Goethes Farbenlehre und implizieren: «Ja, es ist wahr. Sie hat sie zu mir geführt.» im zweiten Steiners neue Maltechnik darstellt. Es kam Ein mit Rudolf Steiner, Marie Steiner, , Eli- zu großen öffentlichen Ausstellungen, u.a. mit Bildern sabeth Vreede, D.N. Dunlop, Guenther Wachsmuth und Merrys zum Traumlied von Olaf Åsteson; 1956 zu einer anderen Freunden unternommener Ausflug nach Tinta- von John Fletcher veranstalteten Ausstellung im Rudolf gel gehörte für Eleanor Merry zu den unvergesslichen Steiner House London. Höhepunkten dieser Tagung. Eleanor Merry hinterließ auch eine Reihe von geistes- Auch dieser Sommerkurs war für Rudolf Steiner außer- wissenschaftlich-historischen und dichterischen Wer- ordentlich erfreulich. Er konnte feststellen, «dass die In- ken, die beachtenswert sind, die aber bis heute nicht tentionen, die ausgehen von unseren Freunden Mr. Dun- in andere Sprachen übersetzt wurden. Wir möchten in lop, Mrs. Merry tatsächlich Hintergründe haben, die (...) erster Linie auf das Buch Art – Its Occult Basis and Healing aus einem echten geisteswissenschaftlichen Wollen her- Value, das Abbildungen eigener Studien und Bilder ent- vorgehen. Von E.C. Merry sprach er als von der «uner- hält; ferner auf das Werk The Flaming Door, eine Darstel- müdlich Tätigen, der Bewegung liebevoll Hingegebe- lung der hybernischen Mysterien und des Wirkens der nen». Und von beiden Kursen betonte er, dass sie «in das irischen Mönche, die Europa christianisierten. Ein beson- Goldene Buch der anthroposophischen Bewegung ein- deres Kapitel gilt dem 12. Jahrhundert, dem sie sich kar- geschrieben» würden. misch verbunden fühlte, der turbulenten Zeit von Hein- Nach Rudolf Steiners Tod hat Eleanor Merry Dunlops rich II., Thomas Becket, und John of Salisbury, von Bemühen um eine wirklich weltoffene und zugleich eso- denen sie eine synoptische Betrachtung gibt. Auch wenn terische Fortsetzung der begonnenen Arbeit unermüd- es in diesem Werk einige Faktenfehler gibt, zeugt es doch lich unterstützt. So war sie auch bei der Vorbereitung der von einer ausgeprägten Fähigkeit zur Erfassung großer 1928 in London stattfindenden anthroposophischen geist-historischer Zusammenhänge; auch Easter – The World Conference federführend. Auch an der durch Da- Legends and the Facts ist ein kleines lesenswertes Werk. vid Clement initiierten Jugendtagung von Glastonbury Eleanor Charlotte Merry starb am 16. Juni 1956 in (1932) beteiligte sie sich mit einem von ihr verfassten Ar- Frinton-on-Sea, Essex. tusstück. Wie kaum ein zweiter Mensch lebte sie die dra- Thomas Meyer matischen Vorgänge mit, die Dunlop zwischen 1929, wo er Generalsekretär der Anthroposophischen Gesellschaft Werke: Großbritanniens wurde, bis zum Frühjahr 1935 durch- Easter, The Legends and the Facts (London 1933); The Flaming Door lebte, als er aus der Allgemeinen Anthroposophischen (London 1936); The Ascent of Man (London 1944); Pure Colour Gesellschaft ausgeschlossen wurde und kurz darauf ver- (mit Maria Schindler, London 1950); The Year and its Festivals starb. Dunlop suchte wie überall im Sozialen auch bei sei- (London 1952); Dream Story of Olaf Åsteson (London 1961); Art – Its ner Freundin immer ausgleichend zu wirken: Nahm ihr Occult Basis and Healing Value (East Grinstead 1961). Ideenflug etwa einmal einen zu unrealistischen Kurs, so Life Story – an Autobiographical Experience of Destiny: Eleanor C. Mer- pflegte er zu fragen: «Können wir das vor den Vorstand ry. London 1987. Hg. v. John Fletcher. bringen?» Nach dem Tod von Dunlops Gattin im Januar Erinnerungen an Rudolf Steiner und D.N. Dunlop, Basel 1992. 1932 wurden die Bande zu Dunlop noch enger. Ihre Auf- Literatur: zeichnungen über ihn geben ein deutliches Bild davon. Meyer,Th., D.N. Dunlop – Ein Zeit- und Lebensbild, Basel, 2. Aufl. Nach Dunlops Tod pflegte sie freundschaftliche Ver- 1996. bindungen zu ihrer Halbschwester Marna Pease, zu Wal- Kolisko E., Die Mission des englischsprachigen Westens – Biographi- ter Johannes Stein und besonders zu Eugen Kolisko, dem sche Portraits, hg. von Andreas Bracher, Perseus Verlag, Basel 2002.

20 Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Zur Äthertechnik

«... weil sonst das ahrimanische Gegenbild entwickelt wird.» Materialien und Aspekte zum Konzept der «Strader-Technik» Teil 3

VII Eine Formel Rudolf Steiners für das Studium VIII Aus Gesprächen von Joachim Schultz mit ätherischer Kräfte Ehrenfried Pfeiffer und Hermann von Dechend über Forschungsfragen in Anknüpfung an Neben war gemäß der «Schiller-Map- Rudolf Steiner pe» wiederum Ehrenfried Pfeiffer ein wichtiger Zeuge für die leider nur fragmentarischen Überlieferungen dessen, was Ru- Die Veröffentlichung der «Schiller-Mappe» (s.o.) in den «Bei- dolf Steiner hinsichtlich einer aus der Anthroposophie schöp- trägen zur GA» Nr. 122 ist von verschiedenen Seiten begrüßt fenden technologischen Erneuerung unserer Zivilisation als worden und die beigefügten Erläuterungen von Stephan Clerc Möglichkeiten vor sich sah. Die hier folgende Notiz ist mittler- sind unbestritten wertvoll; dennoch kann ein Einzelner mit all weile als Blatt Nr. 20 in «Aufgabenstellungen von Rudolf Stei- den Forschungsangaben nur beschränkt wirklich etwas anfan- ner für naturwissenschaftliche Forschungen», Beiträge zur Ru- gen, denn selbst unter Zuhilfenahme von Steiners Gesamtaus- dolf Steiner Gesamtausgabe, Nr. 122 (2000), abgedruckt. gabe bleibt vieles davon zu schwierig oder unvollständig. Auch Dasselbe gilt für Blatt 4 und 5, auf denen sich weitere Erwä- fehlen in dem Heft einige wichtige Verbindungsstücke und in- gungen zu Keelys Forschungsrichtung befinden. Sowohl die zwischen neu entdeckte Dokumente. So tauchten vor gerau- Enträtselung als auch das Inverbindungsetzen dieser Angaben mer Zeit einige bislang unbekannte Originalnotizen von Joa- steht allerdings noch aus. chim Schultz in Georg Ungers Nachlass auf. Sie betreffen in erster Linie Fragen der Äther- und Energieforschung in An- 1 Mitgeteilt durch Dr. E. Pfeiffer : knüpfung an die KommTag-Zeit und werden hier folgend mit freundlicher Genehmigung des Archivs am erst- Für das Studium ätherischer Kräfte gab Rudolf Steiner mals auszugsweise publiziert (zwei von mehreren handschrift- (Frühjahr 1920) eine Formel an (siehe untenstehende lichen DIN A4-Blätter). Skizze). Weiterhin sagte er, man sollte einen Hyperbel- Ast auf einem Körper gleiten lassen und untersuchen, Zu den Strader-Mechanismen wie sich der andere Ast verhält. Man könnte ein Ach- 29. März 1940 sensystem aus Blei konstruieren, eine Astroide aus Kup- 2 fer machen. Das Gerät mit den Astroidenkurven4: Empfangsgerät für (Leider ist nicht festzustellen, ob Rudolf Steiner die Aufnahme von Kräften aus dem Kosmos bzw. der Um- Formel selbst niedergeschrieben und die dazu gehören- gebung. Das Gerät verstärkt in sich dieselben, reflektiert den Skizzen selbst gezeichnet hat. Auch ist nicht mehr sie zuletzt auf die Spitze, von welcher sie ausstrahlend bekannt, welcher Persönlichkeit gegenüber Rudolf Stei- ein zweites Gerät, das Rädchen mit den Bleifäden, zur 3 ner diese Angabe gemacht hat. Es ist sehr wahrschein- Rotation bringen. Dies das Grundprinzip. lich, dass diese Aufgabe irgendwie im Zusammenhang mit der Strader-Maschine steht.) Die große Frage [ist]: 1.) Handelt es sich um elektrische Kräfte, die gewon- nen werden sollen? Dr. Steiner regte ca. 1920 [Ehren- * fried] Pfeiffer an, die atmosphärische Elektrizität nutz- bar zu machen. Aufsteigenlassen eines Ballons (100 m),

Die transskribierte Formel und Skizze Rudolf Steiners (zu Blatt 20 der «Schiller-Mappe»)

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 21 Zur Äthertechnik große Netze spannen und Elektrizität abziehen (cf. Ver- suche von [Valdemar] Paulsen [auch: Poulsen], Ham- burg 1920, der dies in großem Umfange versuchte). – Man erhält Volt, aber keine Ampere. – 2.) Soll man vor allem magnetische Kräfte benützen? In solche Richtung wird gewiss in okkulten Gesellschaf- ten viel gearbeitet. 3.) Oder handelt es sich um das Erschließen einer ganz neuen Kraft? Rein aus dem Ätherischen. – In dieser Richtung gab Dr. Steiner an: Es sollte Licht auftreten, vielleicht auch Wärme (d.h. Erhitzung an ge- wissen Stellen), wenn es gelingt, unmittelbar das Äthe- rische hereinzuholen. Joachim Schultz und der erste von ihm neben der Sternwarte Dr. Steiner gab als [Doktorarbeit] für Dr. [Walter Johan- am Goetheanum 1928/29 erbaute Astrostat für die zwölf Tierkreiszeichen (der nicht erhalten geblieben ist) nes] Stein eine Beschäftigung mit der Astroide.5 Herrn [Alexander] Strakosch gegenüber äußerte er: Die Idee des Keely-Motors sei nicht von der Hand zu weisen. – Keely übertrug die feinsten Schwingungen der Hand auf che das Rädchen trifft, wird z.T. absorbiert; das ergibt ei- Membranen, die verstärkend wirkten, bis eine mechani- ne Erwärmung (sowohl bei roter, wie bei ultravioletter sche Kraft, eine Maschinenantriebsmöglichkeit ent- Bestrahlung)! stand. – Individuelle Verschiedenheit des einzelnen [Zu den entsprechenden Skizzen von J.S., siehe Menschen. nebenstehende Abbildung:] Damit erhält die Luft- «Elektrizität ist das von Ahriman geraubte, an die Er- schicht am Rädchen einen größeren Druck, der das Rad de gefesselte Leben.» Ja, so kann man es ausdrücken, zum Drehen bringt. sagte Dr. Steiner. Im Vakuum gleichen sich die Druckdifferenzen nicht ohne weiteres (wie in Luft) aus. «Vakuum ist zähe, wie Als Anstoßgerät: Radiometer benutzen. Optimum fürs Honig.» – Aufhängen des Rädchens an Quarzfäden. – Im Radiometer 1/100 mm Luftdruck. Die Drehung entsteht Vakuum gibts [schub-scherende?] Spannungen etc. wie durch eine Druckdifferenz im Gas. Die Strahlung, wel- in festen Körpern.

Schultz: 1.) Die [von J.S. gezeichneten] Halbkugeln und Appa- rateteile erinnern an die Aufgabenstellung im 18. Vor- trag des astronomischen Kursus.6 Studium der sphäri- schen und radialen Wirkungen. Überall treten an den Apparaten Kugel, Halbkugel, Spitzen und Lemniskaten auf. 2.) Man denke an R. Steiners Aufgabe: magnetisierte Kugeln herzustellen und in deren Nähe: Blättchen (Metallfolien) aufzuhängen.7 Wie werden die Magnetis- muskräfte modifiziert? Strakosch schlug Dr. Steiner vor: die ganze Anord- nung in Glyzerin zu setzen und Störungen auszuschal- ten durch Luftzug.

Zusammenstellung: Christoph Podak Ausschnitt aus den zwei Notizblättern mit Handschrift und Zeichungen von J. Schultz (Rückseite, links oben) (Fortsetzung in der nächsten Nummer)

22 Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Zur Äthertechnik

wollen. – Man vergleiche auch, was in der heute nicht mehr 1 Unklar ist bei diesem Blatt, ob diese Mitteilung Pfeiffers aufgelegten Zeitschrift «Erde und Kosmos» zum Thema er- gegenüber P.E. Schiller bloß mündlich oder schriftlich erfolgte, schienen ist. zumal das Original nicht ausfindig gemacht werden konnte. 4 Vgl. hierzu die Skizzen zum Strader-Apparat in den Beiträgen Der Kommentar in runden Klammern, nach Formel und Nr. 107 (wie Anm. 7, Teil I); zu den anschließend vorkom- Skizze, stammt von Schiller (gemäß handschriftlichem Ein- menden Angaben (Ballonversuche, Radiometer etc.) die diver- trag auf einer früheren Version der «Schiller-Mappe», welche sen grundlegenden Hinweise Steiners gemäß «Schiller-Map- sich im Archiv am Goetheanum in P.E. Schillers Nachlass pe» bzw. Erläuterungen in den Beiträgen Nr. 122 (wie Anm. 5, befindet). Teil I); für die genannte Spitze außerdem Anm. 6 zu Teil I. – 2 Vgl. die knappen Erläuterungen S. Clercs in den Beiträgen Nr. «Radiometereffekt: Druckeffekt durch Bestrahlung erwärmter 122, S. 102. Zum Stichwort «Astroide» siehe auch Abschnitt Flächen in verdünnten Gasen, um so stärker je schwärzer die VIII. Fläche ist. Auf dem Radiometereffekt beruht das Radiometer 3 Rudolf Steiner mag die in den besagten Beiträgen abgedruckte (Lichtmühle), ein in Luft von etwa 2/100 mm Druck befind- und nur wenig erläuterte Formel einst selber niedergeschrie- lichen Flügelrädchen, dessen Flügel auf der einen Seite be- ben haben, die hier vorliegende ist jedoch – wie ersichtlich – rußt, auf der anderen blank sind. Bei Bestrahlung dreht sich mit Schreibmaschine geschrieben. Dieser Umstand spricht da- das Rädchen so, dass die schwarzen Flächen rückwärts laufen. für, dass irgendjemand diese irgendwann abgeschrieben hat. Dient in anderer Form zur Strahlungsmessung.» (Aus: Der Und auch die Originalskizze von Steiner ist leider verschwun- Große Herder, Freiburg i.B., Ausgabe 1932). den, so dass lediglich generell feststeht, dass in den zwanziger 5 Nachfragen beim «Stein-Archiv» ergaben keine Anhaltspunk- Jahren konkret in dieser Richtung geforscht worden ist, und te für diese erstaunliche Aussage. Dessen Doktorarbeit hatte zwar hauptsächlich im Rahmen der Forschungsinstitute von schließlich ein anderes Thema zum Inhalt, so: Walter Johannes Der Kommende Tag A.G. in Stuttgart. Diese nachlässige Über- Stein/Rudolf Steiner, Dokumentation eines wegweisenden Zu- lieferung und weitere, hier ungenannte Tatbestände sind be- sammenwirkens – W.J. Steins Dissertation in ihrem Entstehungs- zeichnend für den gleichgültigen Umgang späterer «Reprä- prozess und ihrer Aktualität, mit einer Einführung hrsg. von sentanten» mit dem Geistesgut der anthroposophischen Thomas Meyer, Verlag am Goetheanum 1985. Forscher und Forscherinnen der ersten Stunde. – Dass es sich bei der Apparatur, welche in R. Steiners Mysteriendramen (a.a.O., Anm. 4 zu Teil I) auf dem Arbeitstisch von Strader steht, um eine regelrechte Maschine handelt, stellt bloß eine von mehreren denkbaren Interpretationen dar. Genausogut kann es sich hierbei um einen erst grob skizzierten Funktionszu- sammenhang oder ein Modell handeln. Möglich ist auch, dass die eigentliche Maschine oder der Prototyp sozusagen in Straders Fabrik steht. Fast noch wahrscheinlicher ist, dass Strader zunächst bei sich dasjenige nachzuvollziehen ver- sucht, was seinerzeit, d.i. in diesem Falle zu Steiners Zeit «state of the art» war, was also andere damals bereits vor ihm entwik- kelt hatten, wenn auch abseits des «Mainstreams». Jedenfalls kann einen das Studium von Äthertechnik-Pionieren wie Karl Schappeller oder von gewissen sog. Perpetua mobilia zu sol- chen nicht mystifizierenden Schlüssen führen (siehe u.v.m. die Schriften von Karl Schaffranke, alias «Rho Sigma», worun- ter das vergriffene Buch Forschung in Fesseln, VAP-Verlag 1994, und: Peter Bahn/Heiner Gehring, Der Vril-Mythos, Düsseldorf 1997, hier bes. die Skizze auf S. 118). – «Rho Sigma» war ein Eine sog. Lichtmühle, welche auch als Spielzeug angeboten wird Schüler Wernher von Brauns (1912-1977), des Leiters des Raumfahrtprogramms der amerikanischen Weltraumbehörde NASA, und somit Erbe einer bestimmten Kenntnistradition. 6 Vortrag vom 18. Jan. 1921, enthalten in GA 323. Er wies nicht zuletzt in Handhabung der sog. Schwerkraft auf 7 Vgl. «Schiller-Mappe», u.a. zum Stichwort Metallspiralen-Ver- den für ihn aufschlussreichen Ätherbegriff Steiners hin. In der suche (wie Anm. 1). Bezeichnenderweise kommt Schultz in englischen Ausgabe Ethertechnology – A Rational Approach to dieser Sammlung überhaupt nicht zur Sprache, obschon er Gravity Control (Adventures Unlimited Press, Kempton/Illinois zeitweise mit P.E. Schiller zusammengearbeitet hatte. – Inner- 1996) bedankte er sich in der Einleitung u.a. bei dem inzwi- halb seines Nachlasses, in der Mappe Nr. 30, mit dem Titel schen verstorbenen anthroposophischen «Funktionär» Dr. «Schwingungsspiralen-Hygrometer» findet sich Weiteres hier- Georg Unger. Andererseits hat G. Unger diesbezügliche For- zu. Zu seiner Biographie (geb. 15. Feb. 1902, gest. 2. Juli 1953) schungsambitionen anderer oder Pioniere wie V. Schauberger siehe: Renatus Ziegler, Biographien und Bibliographien – Mitar- immer wieder mal heftig abgetan und hat in seinen Vorträ- beiter und Mitwirkende der Mathematisch-Astronomischen Sektion gen und Schriften über Steiners Begriff der «Dritten Kraft» am Goetheanum, Mathematisch-Astronomische Blätter Nr. 24, sein Publikum nicht wirklich aufklären können – oder eben Verlag am Goetheanum 2001, S. 156–167.

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 23 Leserbriefe

Leserbriefe weil sie mich beißt? Wo schmücke ich habe ich sofort eine Korrektur an den mich mit kleinen Federn der Halbwahr- Europäer geschickt, die lautet: «Die heit, um besseren Eindruck auf andere Schwäche der Position Gamsachurdias», Menschen zu machen? Oder wo bin ich denn das war gemeint. Leider kam diese Wahrhaftigkeit in der Politik und zu bequem, mich sorgfältig zu informie- Korrektur wohl unter die Räder, wofür im Alltag ren, um schließlich meine Unkenntnis ich mich für meinen Teil hier in aller als Alibi für meine Untätigkeit zu benut- Form entschuldigen möchte. Ich möchte dem Europäer meinen Dank zen? Zu einer Be- oder gar Verurteilung des aussprechen, dass er sich als Plattform Man mag entgegnen, dass das ja nichts georgischen Staatsmannes würde mir je- zur Frage der Wahrhaftigkeit in der mit der großen Politik zu tun habe. Aber de Grundlage und Veranlassung fehlen. Weltpolitik und insbesondere der Politik wenn über jedem von uns ein Wölk- Handelte der Artikel von ihm, stünden der kriegstreibenden Kräfte zur Verfü- chen kosmetisch manipulierter Wahr- ganz andere und wohl hauptsächlich gung stellt. Da nehme ich gelebte An- heit schwebt, entsteht daraus eine gros- ihn anerkennende Sachzusammenhän- throposophie wahr. se graue Wolke, die die Wahrheit ver- ge im Vordergrund. Was die «Schwäche Mein Entsetzen über die Frivolität im schleiern hilft. der Position» eines Politikers im heuti- Umgang mit der Wahrheit ging über in So bin ich indirekt mitverantwortlich, gen Machtkampf sein kann, wenn er ei- Empörung und in Gefühle ohnmächti- wenn eine geschlossene Wolkendecke ne spirituelle Weltanschauung besitzt, ger Wut. Aber es wurde mir auch klar, zwischen der Wahrheit und uns ent- ehrt ihn ja umso mehr, als er sich nicht dass das nicht der Sinn des Umganges steht. So habe ich aber auch die Freiheit, weltbetrachtend in seine Studierstube mit der Lüge sein kann. Meine Emotio- meinen kleinen persönlichen Beitrag zurückzieht, sondern sein Schicksal und nen mögen von der Sache her noch so zur Auflösung dieser Wolkendecke zu in diesem Fall sein Leben riskiert in der berechtigt sein, aber sie sind verschlim- leisten. Realität der äußeren Verhältnisse. Wer mernde Taten und sie dienen nieman- «... Du meine Seele, sei tüchtig zur Tat!» hat als Anthroposoph das je gewagt au- dem. Was also ist geboten? Böse Briefe ßer Swiad Gamsachurdia? an Herrn Bush oder Herrn Blair, an Hetz- Ernst G. Klahre-Parker, Worum es mir geht, ist ein ganz ande- blatt-Magnaten? Ikeston, Derbys., Great Britain rer Gesichtspunkt. Die Weltverhältnisse Sie haben grosse Papierkörbe! sind und werden zunehmend solche, Was also ist zu tun? in denen gewisse Schlüsselstellungen Ich verspreche, dass es unbequem ist: Die Schwäche der Position von schicksalsmäßig, also gelenkt von Hin- Die Frage nach meiner eigenen Wahr- Swiad Gamsachurdia tergrundsmächten im bösen wie im haftigkeit ist zu stellen. Mit unverfälsch- Werner Kuhfuss an Konstantin guten Sinne, mit Personen und mit Indi- tem Bewusstsein ist zu prüfen: Sind alle Gamsachurdia vidualitäten besetzt werden, deren Mis- meine Gedanken und Worte wirklich zu: Werner Kuhfuss, «Wie Finnland vom Bol- sion nicht scheitern darf. Was die Kräfte wahrhaftig? Wo mache ich mir das Le- schewismus verschont blieb» und Konstan- der Unwahrhaftigkeit anstreben, darf ben scheinbar leichter, indem ich die tin Gamsachurdia, «Swiad Gamsachurdia nur in dem Maße gelingen, als es von Wahrheit über mich selber ein wenig und die Anthroposophie», in Jg. 7, Nr. 5 der Weltenlenkung zugelassen wird. «schöne», weil sonst mein Selbstgefühl (März 2003) Auch die Mächte der Wahrhaftigkeit set- einen Kratzer bekommt? Wo schweige zen Individualitäten ein, die sich vorge- ich aus Bequemlichkeit oder Feigheit, Von Thomas Meyer auf die missver- burtlich so vorbereitet haben, dass sie, wo ich sprechen müsste? Wo erspare ich ständliche Formulierung «Die Schwäche gänzlich dieser Willensvorbereitung ver- mir die Mühe der vollen Bewusstheit, Gamsachurdias» aufmerksam gemacht, trauend, ihre Aufgabe bewältigen, ohne

Dilldapp Auf der Suche nach dem höheren Selbst

24 Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Das vorbabylonische Alphabet

zu schwanken. Ihnen ist durch diese Der Einsatz von Swiad Gamsachurdia eher eine offene Gegnerschaft vorhan- Vorbereitung auch eine Unverwundbar- ist nicht vergeblich gewesen, den. Er konnte sich nur auf den poli- keit verliehen, die sie nie haben könn- so lange Georgien noch existiert. tischen Willen des 5 Millionen-Volkes ten, wenn sie durch bewusstes geistiges Antwort von Konstantin Gamsa- stützen, in einem Land, das etwa so groß Streben in Selbstzweifel geraten könn- churdia an Werner Kuhfuss ist wie die Schweiz. Im Unterschied zu ten. Sie handeln gleichsam «instinktmä- zu: Werner Kuhfuss, «Wie Finnland vom Bol- der Schweiz oder zu Finnland befindet ßig», in jedem Augenblick das vollzie- schewismus verschont blieb» und Konstan- sich das Land nach wie vor in einer hend, was ihrer Aufgabe entspricht. tin Gamsachurdia, «Swiad Gamsachurdia schwierigen geopolitischen Lage, wo Bloß dass der «Instinkt» nicht triebhaft- und die Anthroposophie» in Jg. 7, Nr. 5 Westen und Osten, Norden und Süden persönlich ist, sondern im Bewusstsein (März 2003) zusammenprallen (z.B. würde eine Neu- solcher Individualitäten immer das si- tralität des Landes für seine mächtigen chere Empfinden weckt: Das ist richtig. Ich habe Ihren Brief gelesen und danke Nachbarn oder für andere Mächte in Das ist falsch. Das ist jetzt zu tun oder zu Ihnen für Ihre ausführliche Beschäf- der Welt nicht in Frage kommen). Die unterlassen. Solche Menschen wirken tigung mit diesen Problemen. Ihre Dar- Jahre der Unselbständigkeit (1801 – 1990) auf dem Kampffeld der äußeren Ereig- legungen entsprechen der Wahrheit. hinterließen in der Gesellschaft schlim- nisse. Sie sind abhängig von geistig im Deswegen bin ich mit Ihrem Vorschlag me Folgen; Kriminalität und grober Ma- Sinne der guten Weltentwicklung len- einverstanden, eine Richtigstellung be- terialismus verbreiteten sich. Das Land kenden Wesen und Menschenkreisen, züglich der «schwachen politischen Po- besaß im Jahr 1991 keine Armee, nicht von denen sich jene getragen wissen sition» von Swiad Gamsachurdia vorzu- einmal eine funktionierende Polizei. Zu- können. nehmen, weil in moralischer Hinsicht dem war Georgien für viele Menschen in Man kann die Frage stellen, wieso man seine Position alles andere als schwach Europa und Amerika unbekannt. so etwas wissen kann. Man kann aber bezeichnet werden kann. Und zuletzt: der Einsatz von Swiad auch fragen, ob solche Gedanken nicht In politischer Hinsicht sah das aber Gamsachurdia ist nicht vergeblich ge- einer spirituellen Logik entsprechen, die schlecht aus, und zwar nicht für ihn sel- wesen, solange Georgien noch existiert. man selber zu entwickeln hat. ber, sondern auch für das georgische Seine Mission darf nicht scheitern. Volk: weder Hochfinanz, noch Groß- Werner Kuhfuss, Waldkirch im Breisgau mächte standen ihm zur Seite, es war Konstantin Gamsachurdia, Dornach

Frank Geerk: Das vorbabylonische Alphabet II. Zeichen der Trennung

8. Das Aufbäumen

Für diesmal habt ihr das Tal der Geschichte durchmessen, aber bäumt euch vor ihrem Ausgang noch einmal auf –

So sieht der eine in diesem Zeichen das Zeichen der Rebellion, eine Steinschleuder, der andere das Zeichen des Sieges, die Köpfe zu Fäusten geballt –

Doch wer noch immer in sich trägt das Zeichen der Erfüllung, das Zeichen der Einheit, wird unter dem Aufbäumen eine Veredelung der Zweige verstehen –

Das Zeichen des höheren Triebes, eine Astgabel mit zwei aufgepfropften Köpfen –

Das vorbabylonische Alphabet besteht aus vier Hauptteilen und einem «Zusatz»: «I. Zeichen paradiesischer Erinnerung», «II. Zeichen der Trennung», «III. Zeichen des Todes», «IV. Zeichen der Erneuerung». Jeder Teil ist wiederum vierfach gegliedert. Der ersten Folge («Der Europäer» Nr. 11, September 2002) war das Vorwort des Dichters vorangestellt.

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 25 Auge

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Die biographische Studie von Peter Selg von Grunelius nach, die wie wenig andere zeichnet anhand von bisher unveröffentlich- in den letzten Lebens- und Arbeitsjahren ten Originaldokumenten den initiativen, Rudolf Steiners begriff, was mit dem Gelin- aber auch tragisch anmutenden Lebensweg gen der mit Steiner verbundenen spirituell- der jungen, früh verstorbenen Ärztin Helene sozialen Intentionen auf dem Spiel stand.

Der Europäer Jg. 7 / Nr. 7 / Mai 2003 Inserenten verantworten den Inhalt ihrer Inserate selbst Der Mensch in der Auseinandersetzung mit dem Bösen 2. Sommertagung im Rüttihubelbad vom 29. Juni bis 3. Juli 2003

Vorträge, seminaristisches Arbeiten: Andreas Bracher, Edzard Clemm, Thomas Meyer Künstlerische Kurse: Jasminka Bogdanovic (Eurythmie), Christoph Gerber (Musik), Jens-Peter Manfras (Sprachgestaltung). Ausgehend von Szenen aus den Mysteriendramen werden historische und gegenwarts- bezogene Referate zum Tagungsthema entwickelt, unter anderem zum Dominikanerorden und zu den Ketzerströmungen, zum Templerorden, zum Ereignis der Erscheinung Christi im Ätherischen und zur Gefahr von Ahriman-Inspirationen. Lesungen und szenische Darstellungen aus den Dramen mit verschiedenen Darstellern: Beat Fontana, Jens-Peter Manfras, Brigitte Eichenberger, u.a.

Rabatte für Studierende usw.!

Anmeldungen und Fragen zum Programm, Preis, etc.: Stiftung Rüttihubelbad, Bildung, CH-3512 Walkringen: Telefon: 0041 (0)31 700 81 83, Fax: 0041 (0)31 700 81 90 Anmeldung online: www.ruettihubelbad.ch

Öffentliche Arbeitstage zum -Samstage 30-jährigen Bestehen des «Seminar für freie Jugendarbeit, Veranstaltungen im Gundeldinger Casino Kunst und Sozialorganik» Güterstrasse 213 (Tellplatz, Tram 15 /16), 4053 Basel 19. – 26. Juli 2003 10.00 –12.30 und 14.30 –18.00 Uhr CH – Gsteig (Grellinger Ferienheim Heiti) Die Bildung einer

XXXII. 17. Mai 2003 anthroposophischen Gesellschaft als sozialästhetische Aufgabe

PHYSIOGNOMIE EINES Zwei Seminare zum Thema «Idee der Sozialästhetik» und MINERALS – «Der vierfache Quell lebendigen Rechts» VOM SANDKORN ZUM Vorträge, Beiträge von Teilnehmern, musikalische und szenische Darbietungen, EDELSTEIN Theater/Tanz/Gesang, Exkursion auf den Col du Pillon (Glacier). Edzard Clemm, Bonn/D Übernachtungen: Ferienheim Heiti, Zeltplatz davor, zwei Hotels in Gsteig Kursgebühr: sFr. 70.– Mitwirkende: Reto A. Savoldelli, Roland Neff, Erich Klein, Lutz Liesegang, Anmeldung erforderlich! Michael Drews, Robert Kelder, Magdalena Lorenz, Tel.: 061 302 88 58 oder 061 383 70 63 Doris Orsan, Torodd und Susanne Lien, u.a. Fax: 061 302 88 58 oder 061 383 70 65 Programm und Anmeldung: oder schriftl.: B. Eichenberger, Metzerstr. 3, 4056 Basel Seminar für freie Jugendarbeit, Kunst und Sozialorganik Postfach 132, CH – 4118 Rodersdorf Tel: 061 702 27 43 (Neff) / e-mail: [email protected] / Veranstalter: PERSEUS VERLAG BASEL www.sozialästhetik.ch

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