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ternehmenssprecher beim WDR, bereits Männer fürs Unbequeme spöttisch als Versuch des ZDF, im Verlauf des Turniers einen neuen Netzer ausfin- Das Vorbild Netzer treibt Blüten: Ein Heer von Trainern soll jene dig zu machen: „Die betreiben Casting journalistische Kritik üben, die sich die Sender nicht mehr trauen. auf dem Sender.“ Für Thomas Skulski, Sportmoderator des ZDF-Frühstücks- fernsehens, ein Kardinalfehler: Man dür- fe Fußballern „keine Entertainerqualitä- ten“ abverlangen, „die sollen sachlich über den Sport reden, Schluss“. Dabei haben die Experten für die ZDF-Frühschicht den härtesten Job. Schon um kurz nach sieben muss sich Ex-Nationaltorhüter Toni Schumacher in einem Pavillon neben dem DFB-Hotel in Vaals Gedanken zur Lage der Fußball- nation aus dem Kopf schütteln. Schumacher, zuletzt bei Fortuna Köln als Trainer gefeuert, betreibt seine neue Tätigkeit dennoch mit einem Elan, als gehe es um einen Posten im DFB-Trai- nerstab. Dass der Europameister von 1980

FOTOS: A. HASSENSTEIN / BONGARTS A. HASSENSTEIN FOTOS: zuletzt punktgenau das Dilemma des Lo- Ex-Europameister Schumacher (r.), ZDF-Moderator Skulski: „Casting auf dem Sender“ thar Matthäus analysierte („In seiner jet- zigen Form kann er mehr kaputtmachen uf seinen Auftritt be- Vorbild der Riege der neuen Quoten- als helfen“), schürte in der Zunft den Ver- reitet sich der Star- helden ist ein Mann, der über Spielkultur dacht, der Toni nutze Insiderwissen aus, Agast mit besonderer und Raumdeckung ebenso tragend zu das er sich bei gelegentlichen Abendessen Akribie vor. Erst studiert sprechen vermag wie Bernhard Jagoda im Teamquartier verschafft. „Alles Un- den Sportteil ei- über die neue Arbeitslosenquote. „Ich sinn“, sagt Schumacher. Seine Deutungen ner Boulevardzeitung, dann sehe da in der Tat ein Problem“, so leitet seien Folge jahrelanger Konditionierung: greift er zu einem Weizen- Günter Netzer gern seine Diagnosen ein, „Ich fühle wie ein Fußballer.“ bier. Es ist 10.45 Uhr, in einer die dem einstigen Mittelfeldstrategen im Fest steht, dass Schumachers Aus- Viertelstunde beginnt die März zu unverhofftem Ruhm verhalfen: führungen jenen Zweck erfüllen, den sich Sendung. Doch das ist kein Gemeinsam mit seinem jovia- die Öffentlich-Rechtlichen Problem. Nach vier kräftigen Zügen ist len Stichwortgeber Gerhard von der Expertenshow erhof- das Glas fast geleert. Delling erhielt Netzer den fen. Weil sie knapp 30 Millio- Dann kann es losgehen. Beim Fuß- Grimme-Preis. nen Mark für die Übertra- ball-Stammtisch „Doppelpass“, den der Um den Rückstand auf gungsrechte zahlten, möchte Sportsender DSF täglich im Amsterda- das Vorzeige-Duo einzuho- man die teure Ware nicht mit mer Museum New Metropolis abhält, len, setzt das ZDF bei der kritischen Bemerkungen be- geht es – natürlich – auch um die Frage, Euro 2000 auf Manpower. Für schädigen – und bei der nächs- wo das alles hinführen soll mit Erich und jede der 16 Teilnehmerna- ten Rechtevergabe womöglich seinen Kickern. Lattek, als erfolgreichster tionen hat der Sender einen abgestraft werden. deutscher Trainer so was wie die Auto- Experten aufgeboten. Die Eu- Netzer und Co. schlagen rität der Runde, lauscht regungslos den ropa-Auswahl soll, so hat es DSF-Experte Lattek die Brücke zwischen Journa- Ausführungen der anderen Diskutanten sich Programmchef Dieter lismus und Geschäft, dienen und versinkt dabei immer weiter in den Gruschwitz ausgedacht, „Fachlichkeit als Männer fürs Unbequeme. Für jene roten Sessel. Zu einem Statement aufge- und Unterhaltung“ vereinen. Sender ohne Bilder vom rollenden Ball fordert, schockt er mit dem Bekenntnis: Tatsächlich mutierte das Zweite mit ist ein querulatorischer Experte oft die „Ich weiß es doch auch nicht.“ seiner EM-Truppe zu einer Art Esperan- einzige Chance, sich bemerkbar zu ma- Im Kern trifft das jene Inhaltsleere, to-Sender. Syntaktisch passten sich Gast- chen. RTL bringt zu diesem Behufe Ex- mit der deutsche Fernsehkanäle derzeit redner wie der Bosnier Aleksandar Ristic Bundestrainer in Stellung, einen gut Teil ihrer Berichterstattung von (Experte Jugoslawien!) schnell dem Sat 1 gelang vorige Woche sogar der der Euro 2000 bestreiten – indem sie vor Spielniveau der deutschen Elf an – oder Sprung in die Nachrichtenspalten der und nach den Spielen so genannte TV- lieferten wie , mit Zeitungen: , bisweilen über- Experten über den Lauf des Balls fach- Anmerkungen zu den Schiedsrichtern motivierter Fachmann in Diensten des simpeln lassen. Ob morgens zum Früh- („Die Pfeife ware alle gut“), Steilvorlagen Kirch-Kanals, hatte den konditionellen stück oder abends kurz vor den Spät- für Harald Schmidt. , West- Zustand der DFB-Elf gerügt: „Selten war nachrichten – man muss schon ein be- fale, wollte gleich witzig sein: Nach der eine Nationalelf so platt.“ gnadeter Zapper sein, um den Ergüssen Niederlage der Spanier gegen Norwegen Wie weit der Einfluss der medialen Mi- der Schlaumeier zu entkommen. Waren kalauerte der ehemals in San Sebastian nenleger bereits reicht, gestand Teamchef einstmals die fest angestellten Kommen- tätige Trainer, die Iberer hätten „den unlängst: Er fühle sich bei tatoren die Stars der Sender, sind mitt- Elchtest nicht bestanden“. der Mannschaftsaufstellung wegen „ei- lerweile die Honorar-Fachkräfte deren Die Strategie, Klasse mit Masse wett- niger Fachleute“ regelrecht „unter Druck neue Imageträger. zumachen, deutet Rüdiger Oppers, Un- gesetzt“. Gerhard Pfeil

106 der spiegel 25/2000