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1 Hintergründe und Entwicklung

Jürgen Margraf

1.1 Einleitung – 4

1.2 Was macht Verhaltenstherapie aus? – 5 1.2.1 Definition – 5 1.2.2 Grundprinzipien – 6 1.2.3 Methodologisches Grundverständnis – 8 1.2.4 Ätiologisches Grundverständnis – 9 1.2.5 Verfahren – 10 1.2.6 Indikationsbereiche – 11

1.3 Historische Entwicklung – 11 1.3.1 Ausgangspunkte und Vorläufer – 11 1.3.2 Die »Gründungsphase« – 13 1.3.3 Der Einfluss operanter Verfahren – 15 1.3.4 Konsolidierung und Erweiterung – 16 1.3.5 Das Zusammenwachsen kognitiver und behavioraler Ansätze – 19 1.3.6 Kontinuierliche Weiterentwicklung – 20

1.4 Empirische Überprüfung – 21 1.4.1 Eine schwierige Ausgangslage – 21 1.4.2 Ergebnisse der Wirksamkeitsforschung – 22 1.4.3 Dauerhaftigkeit und Übertragbarkeit auf die Alltagspraxis – 36 1.4.4 Konsequenzen aus der Befundlage – 38

1.5 Einige Kritikpunkte und Probleme – 40

Zusammenfassung – 41

Literatur – 42

Weiterführende Literatur – 45

J.Margraf,J.Margraf, S.Schneider S.Schneider (2009).Lehrbuch (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapieder Verhaltenstherapie Band Band1. 3. 1. Auflage. 3. Auflage. Springer:Heidelberg Springer:Heidelberg 4 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

1.1 Einleitung ziplinen. Bezeichnenderweise war es ein »graduate student« 1 der Psychologie, der den Begriff »« Als der Begriff »Verhaltenstherapie« vor genau 50 Jahren prägte. Wer und wo das war, wird weiter unten in 7 Ab- zum ersten Mal in einer wissenschaftlichen Publikation schn. 1.3.2. geschildert. auftauchte, hätte kaum jemand gedacht, dass dies den An- Je größer und breiter die Verhaltenstherapie in For- fang der bisher größten Erfolgsgeschichte in der Behand- schung und Praxis wird, desto stärker wächst aber auch die lung psychischer Störungen und verwandter Probleme Gefahr der Verwässerung des Profils und der Unklarheit markierte. Gibt man heute den Suchbegriff »Verhaltensthe- über die zentralen Merkmale. In der »Gründungsphase« rapie« oder seine englischen Entsprechungen bei Google bestand ein annähernder Konsens über die Definition des ein, so erhält man je nach Tagesform der Internetsuchma- Begriffes »Verhaltenstherapie«: Man ging allgemein davon schine 6–7 Millionen Treffer, weitaus mehr, als man in aus, das es sich um die klinische Anwendung der durch die einem Menschenleben lesen kann. psychologische Forschung etablierten Prinzipien der Lern- Heute sind verhaltenstherapeutische Verfahren für die theorien handele (vgl. hierzu Eysencks Charakterisierung meisten psychischen Störungen entwickelt und erfolgreich der Verhaltenstherapie von 1959). Allerdings war die Ver- überprüft worden, bei vielen sind sie Methode der Wahl. So haltenstherapie von Anfang an eine heterogene Bewegung ist es auch nicht überraschend, wenn inzwischen vier von von beachtlicher Breite. Die Rückkopplung aus der wach- fünf Ausbildungskandidaten in der Psychotherapie sich für senden klinischen Praxis und die rege Forschungstätigkeit die Verhaltenstherapie entscheiden und deren Verfahren weichten das klassische lerntheoretische Verständnis der eine immer größere Rolle für die Versorgung im Rahmen Verhaltenstherapie schnell auf. Vor allem ihr Anspruch auf der gesetzlichen Krankenversicherung spielen. Bemerkens- theoretische Fundierung und empirische Überprüfung so- wert und ungewöhnlich ist aber nicht nur der nachhaltige wie der Fortschritt ihrer psychologischen Grundlagenwis- Erfolg der Verhaltenstherapie. Auch das Fehlen einer ein- senschaft bewirkten eine fortlaufende Diskussion. Es ist zelnen Gründerfigur, die Breite der Bewegung und die un- daher kaum überraschend, dass bis heute eine Vielzahl von gebrochene Dynamik der Weiterentwicklung sind einzigar- Definitionen vorgelegt wurde (7 Box). Führt man sich die tig im Bereich der Psychotherapie. Der Grund für diese Verschiedenheit dieser Definitionen vor Augen, so fragt Merkmale dürfte auch maßgeblich am Erfolg der Verhal- man sich zu Recht, was denn Verhaltenstherapie nun ei- tenstherapie beteiligt sein, nämlich die enge Anbindung an gentlich sei. die wissenschaftliche Psychologie und ihre Nachbardis-

Eine Verhaltenstherapie oder viele Verhaltenstherapien Bekanntere Definitionen stammen von Eysenck (1959), breiter sieht Hollandsworth (1986) in der Verhaltenstherapie Yates (1970), der for Advancement of Behavior ganz allgemein die Anwendung wissenschaftlicher Metho- Therapy (1975, zit. in Franks u. Wilson 1975), Wolpe (1976), den auf klinische Probleme. Besonders einflussreich war die Agras et al. (1979), Dorsch et al. (1982), Hollandsworth Definition von Yates (1970, zitiert nach der deutschen Über- (1986) und Rachmann (1988). Diese Definitionen fassen setzung von 1977, S. 135), die daher hier vollständig wieder- den Gegenstand Verhaltenstherapie unterschiedlich breit, gegeben wird: wobei Variationen hauptsächlich die theoretische Orien- tierung und die zugrunde liegende Methodologie betref- Verhaltenstherapie ist der Versuch, den gesamten empirischen fen. So besteht die Verhaltenstherapie etwa nach Wolpe und theoretischen Wissensbestand, wie er durch den Einsatz (1976) ausschließlich aus Methoden, die »aus experi- experimenteller Methoden in der Psychologie und ihren mentell abgesicherten Prinzipien und Paradigmen des Nachbardisziplinen (Physiologie und Neurophysiologie) Lernens« (S. 1, Übersetzung durch den Autor) abgeleitet angesammelt werden konnte, in systematischer Weise zu wurden. Auch Eysenck (1959) verstand unter Verhaltens- benutzen, um Entstehung und Beibehaltung abweichender therapie den Versuch, menschliche Verhaltensweisen und Verhaltensmuster zu erklären, und weiterhin der Versuch, Emotionen unter Verwendung der Gesetze der modernen dieses Wissen bei der Behandlung oder Prävention solcher Lerntheorie in heilsamer Weise zu verändern. Nach Agras Fehlverhaltensweisen einzusetzen, und zwar mit Hilfe et al. (1979) umfasst Verhaltenstherapie bereits in den kontrollierter experimenteller Untersuchungen am einzelnen 1970er Jahren behaviorale und kognitive Ansätze. Noch Patienten.

J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 5 1.2 · Was macht Verhaltenstherapie aus? 1

Exkurs Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose … Unter dem schönen Titel »A rose by any other name …: La- meo und Julia: »What’s in a name? That what we call a rose, beling bias and attitudes toward « by any other name would smell as sweet«. Ob dies auch auf veröffentlichten Woolfolk et al. (1977) eine bemerkens- die heutige Verhaltenstherapie zutrifft? werte Arbeit. Sie zeigten in zwei Studien beginnenden und Jedenfalls dürfte kaum eine andere psychotherapeu- fortgeschrittenen Studenten der Erziehungswissen- tische Richtung so vielen Missverständnissen ausgesetzt schaften eine Filmaufzeichnung einer Lehrerin, die Verstär- sein wie die Verhaltenstherapie. Während die Selbstwahr- kungsmethoden anwendete. In beiden Studien wurde je- nehmung der Verhaltenstherapeuten und die Befunde der weils der Hälfte der Versuchpersonen mitgeteilt, der Film Forschung übereinstimmend das positive Bild eines lö- zeige die Anwendung »humanistischer Verfahren« bzw. sungsorientierten, pragmatischen, hilfsbereiten, mitfüh- »Verhaltensmodifikation«. Diese einfache Etikettierung be- lenden und häufig erfolgreichen Vorgehens zeigen, fällt die einflusste die Bewertung der Lehrerin und der Stunde ganz Fremdwahrnehmung oft undifferenziert oder gar negativ massiv: Beide Stichproben beurteilten die Lehrerin in der aus. Die wissenschaftlich orientierte Fachsprache verhal- »humanistischen« Version signifikant positiver, kompe- tenstherapeutischer Veröffentlichungen scheint manchem tenter, flexibler und persönlich attraktiver, darüber hinaus Beobachter ein technizistisches, gar gefühlloses Bild nahe- wurden von der »humanistischen« Lehrmethode deutlich zulegen. Eine Auswertung amerikanischer Untersuchungen bessere Effekte auf akademisches Lernen und emotionales zur Akzeptanz der Verhaltenstherapie zeigt tatsächlich häu- Wachstum erwartet. Nach Meinung der Autoren zeigte ihre fige Negativurteile (Heekerenz 1991), wobei das Urteil z. T. Arbeit die negativen Auswirkungen einer oft technisch und umso negativer ausfällt, je weniger die Befragten über die mechanistisch anmutenden Selbstdarstellung, wie sie auch Verhaltenstherapie wissen. Im deutschsprachigen Raum in jüngerer Zeit noch von Eschenröder (1994) kritisiert wur- stellten Lutz et al. (1992) fest, dass »Verhaltenstherapeuten de, auf das »Image« der Verhaltenstherapie. Der Titel der glauben, sehr viel schlechter gesehen zu werden, als sie Arbeit zitiert eine berühmte Stelle aus Shakespeares Ro- selbst sich sehen« (S. 258).

Neben den Missverständnissen von außen gibt es jedoch nicht aus (vgl. Margraf u. Lieb 1995). Eine aussagekräftige auch »Selbstmissverständnisse« und Divergenzen, die u. a. und zugleich zukunftsoffene Standortbestimmung der mo- daraus entstehen, dass ihre beispiellos stürmische und brei- dernen Verhaltenstherapie muss vielmehr über die reine te Weiterentwicklung viele verschiedene Formen und Auf- Definition hinaus vor allem die Grundprinzipien des verhal- fassungen von Verhaltenstherapie hervorgebracht hat. So tenstherapeutischen Vorgehens und das zugrunde liegende unterscheidet sich die Verhaltenstherapie Wolpes deutlich Verständnis von Methodologie und Ätiologie erläutern. Um von der modernen kognitiven Verhaltenstherapie, die klas- sich nicht im Abstrakten zu erschöpfen, sollten außerdem sische progressive Muskelrelaxation von der »applied rela- typische Therapiemethoden und Indikationsbereiche ge- xation« Östs und die frühe operante Depressionstherapie nannt werden. Da diese beiden letzten Punkte ausführlich von dem kognitiven Ansatz Becks. Ganz gleich, ob die Ur- in den weiteren Kapiteln von Band 1 behandelt werden, wer- sachen für die Missverständnisse zur Verhaltenstherapie in den sie hier jedoch nur knapp erläutert. Weiterhin soll eine der polarisierenden Form ihrer frühen Selbstdarstellung, in Darstellung der historischen Entwicklung der Verhaltens- mangelnder Information, im Bedrohungsgefühl angesichts therapie zu einem besseren Verständnis ihrer Gegenwart unzweifelhafter Erfolgsbelege, in Wissenschaftsfeindlich- verhelfen. Im Anschluss an eine Diskussion der Ergebnisse keit oder wo auch immer gesucht werden – die obigen Aus- und Konsequenzen der empirischen Überprüfung der Ver- führungen machen deutlich, wie wichtig eine explizite Dar- haltenstherapie wird dann abschließend auf einige Probleme stellung der diesem Lehrbuch zugrunde liegenden Auffas- und Kritikpunkte verwiesen. sung von Verhaltenstherapie ist. Eine für »alle Zeiten« abschließende Festlegung ist nicht möglich. Selbst der bloße Versuch einer solchen endgültigen 1.2 Was macht Verhaltenstherapie aus? Festschreibung des »Status quo« wäre schon kontraproduk- tiv und würde die künftige Entwicklung behindern. Gerade 1.2.1 Definition ihre ständige Entwicklung führt stattdessen dazu, dass die Frage nach dem Wesen der Verhaltenstherapie immer wie- Die Verhaltenstherapie ist ein genuin klinisch-psycholo- der neu diskutiert werden muss. Zu Beginn dieses Lehr- gischer Heilkundeansatz, der eine große Anzahl unter- buches soll daher das Verständnis der Verhaltenstherapie schiedlicher spezifischer Techniken und Behandlungsmaß- geklärt werden, das dem Buch zugrunde liegt. Dabei reicht nahmen in sich vereinigt. Diese verschiedenen Maßnah- eine bloße Definition für eine adäquate Wesensbestimmung men werden im therapeutischen Handeln je nach Art der J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 6 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

vorliegenden Problematik einzeln oder miteinander kom- 1.2.2 Grundprinzipien 1 biniert eingesetzt. Somit lässt sich Verhaltenstherapie nicht als eine einzelne, klar umrissene Therapiemethode begrei- Wichtiger als die Definition ist das Herausarbeiten der all- fen, die auf ein einziges theoretisches Modell zurückgeführt gemeinen Prinzipien, die allen verhaltenstherapeutischen werden kann. Vielmehr zeichnet sich auch ihr theoretischer Methoden zugrunde liegen (modifiziert nach Margraf u. Hintergrund durch eine Vielzahl störungsspezifischer und Lieb 1995): störungsunspezifischer Erklärungsansätze und hieraus ab- geleiteter Änderungsmodelle aus. Die gemeinsame Klam- Prinzip 1: Verhaltenstherapie orientiert sich an der empi- mer bildet die Orientierung an der empirischen Psycholo- rischen Psychologie gie. Darüber hinaus kann eine zukunftsoffene Charakteri- Die Grundlagenwissenschaft der Verhaltenstherapie ist die sierung nicht einfach in einer Aufzählung der gegenwärtigen empirische Psychologie. Dementsprechend bemüht sich Methoden bestehen. Die Definition muss daher die Verhaltenstherapie, ihre theoretischen Konzepte und 4 die inzwischen erreichte theoretische und methodische therapeutischen Methoden zu operationalisieren und em- Breite des gesamten Ansatzes umfassen, pirisch zu überprüfen. Diese Überprüfung soll möglichst 4 trotz einer breiten Grenzziehung die spezifischen Mo- umfassend und mit Hilfe objektiver, reliabler und valider mente der Verhaltenstherapie explizit berücksichtigen Maße erfolgen. Neben dem psychologischen Wissen über und Veränderungsprinzipien und -verfahren werden auch die 4 zukünftige Entwicklungen zulassen. Erkenntnisse nichtpsychologischer Nachbardisziplinen (wie z. B. Biologie oder Medizin) berücksichtigt. Aus diesen Gründen habe ich bereits an anderer Stelle (Margraf u. Lieb 1995) den Vorschlag gemacht, Verhaltens- Prinzip 2: Verhaltenstherapie ist problemorientiert therapie nicht als Therapieschule oder Gruppe von Verfah- Die Behandlung setzt in der Regel an der gegenwärtig beste- ren, sondern als eine psychotherapeutische Grundorientie- henden Problematik an. Das therapeutische Vorgehen wird rung aufzufassen, wie dies auch das »Psychotherapie-Gut- möglichst genau auf die jeweilige Störung und den individu- achten« des Bundesgesundheitsministeriums (Meyer et al. ellen Patienten zugeschnitten, so dass für verschiedene Stö- 1991) oder der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie rungen in der Regel auch verschiedene Verfahren, die auf tun. Konkret kann die moderne Verhaltenstherapie dann empirisch ermitteltem Störungswissen basieren, in indivi- wie folgt definiert werden: dualisierter Form angewendet werden. Über die Lösung des aktuell bestehenden Problems hinaus wird eine Erhöhung der allgemeinen Problemlösefähigkeit angestrebt. Dies kann Die Verhaltenstherapie ist eine auf der empirischen Psy- indirekt durch Transparentmachen des therapeutischen chologie basierende psychotherapeutische Grundori- Vorgehens und die Vermittlung neuer Erfahrungen oder entierung. Sie umfasst störungsspezifische und -unspe- direkt durch gezielte Problemlösetrainings erfolgen. zifische Therapieverfahren, die aufgrund von möglichst hinreichend überprüftem Störungswissen und psycho- Prinzip 3: Verhaltenstherapie setzt an den prädisponie- logischem Änderungswissen eine systematische Besse- renden, auslösenden und aufrechterhaltenden Problem- rung der zu behandelnden Problematik anstreben. Die bedingungen an Maßnahmen verfolgen konkrete und operationalisierte Die Verhaltenstherapie unterscheidet zwischen prädispo- Ziele auf den verschiedenen Ebenen des Verhaltens nierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Problem- und Erlebens1, leiten sich aus einer Störungsdiagnostik bedingungen. Die Interventionen setzen an denjenigen und individuellen Problemanalyse ab und setzen an Bedingungen an, deren Änderung für eine dauerhafte Lö- prädisponierenden, auslösenden und/oder aufrechter- sung des Problems als notwendig erachtet werden. Oft sind haltenden Problembedingungen an. Die in ständiger dies die aufrechterhaltenden Bedingungen, da diese für das Entwicklung befindliche Verhaltenstherapie hat den zukünftige Befinden von besonderer Bedeutung sind. Hin- Anspruch, ihre Effektivität empirisch abzusichern. sichtlich der Prädispositionen und Auslöser steht meist de- ren konkrete Auswirkung in der Gegenwart im Vorder- grund, zumal diese beiden Typen von Problembedingungen häufig nicht geändert werden können. In den letzten Jahren wird darüber hinaus dem Aspekt der Ressourcenaktivie- 1 Am häufigsten werden nach Lang (1971) eine behaviorale, eine rung verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet. subjektive und eine physiologische Ebene unterschieden. Emoti- onen werden dabei als aus diesen drei Ebenen zusammengesetzt Prinzip 4: Verhaltenstherapie ist zielorientiert angesehen. Wenngleich dieses sog. »Drei-Ebenen-Modell« kritisiert werden kann (vgl. Fahrenberg 1987), hat sich eine multimodale Die Identifikation des Problems sowie die gemeinsame Herangehensweise weitgehend durchgesetzt (vgl. Seidenstücker Festlegung des zu erreichenden Therapieziels durch Thera- u. Baumann 1987). peut und Patient sind integrativer Bestandteil der Verhal- J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 7 1.2 · Was macht Verhaltenstherapie aus? 1

tenstherapie. Das Problem stellt den Ansatzpunkt der The- enten generelle Fertigkeiten zur selbstständigen Analyse rapie dar. Die Lösung des Problems wird dementsprechend und Bewältigung zukünftiger Probleme vermittelt. Somit als Erreichen des angestrebten Ziels und damit als hinrei- erhöht die Verhaltenstherapie das Selbsthilfepotenzial der chender Grund für die Beendigung der Therapie angese- Patienten und kann dadurch Rückfällen und der Entwick- hen. Im Idealfall verhindert die explizite Vereinbarung der lung neuer Probleme vorbeugen. Therapieziele das Verfolgen unterschiedlicher Ziele durch Therapeut und Patient oder den Fortbestand unrealisti- Prinzip 9: Verhaltenstherapie bemüht sich um ständige scher Erwartungen. Weiterentwicklung Durch die Orientierung der Verhaltenstherapie an der em- Prinzip 5: Verhaltenstherapie ist handlungsorientiert pirischen Psychologie unterliegen sowohl ihre theore- Die Verhaltenstherapie setzt zu ihrem Gelingen eine aktive tischen Konzepte als auch ihre praktischen Behandlungs- Beteiligung des Patienten voraus. Bloße Einsicht ist keine methoden einem permanenten Prozess der Evaluation und hinreichende Bedingung für die Veränderung »einge- Ausdifferenzierung und somit einer ständigen Weiterent- fahrener« Probleme. Die Verhaltenstherapie erschöpft sich wicklung. daher nicht in Diskussion und Reflektion von Problemen, sondern motiviert den Patienten zum aktiven Erproben von neuen Verhaltens- bzw. Erlebensweisen und Problem- Hollywood oder Lebenshilfe: Nur realistische lösestrategien. Hilfen sind dauerhafte Hilfen Welchen Anspruch soll, welchen Anspruch darf Psycho- Prinzip 6: Verhaltenstherapie ist nicht auf das therapeu- therapie verfolgen? Manche Patienten und Thera- tische Setting begrenzt peuten verfolgen eine »Hollywood-Perspektive«, in der Die Verhaltenstherapie strebt eine Generalisierung der er- das Ende der Therapie wie das Happy End eines Filmes zielten Änderungen auf den Alltag des Patienten an. Das sein soll. Nach erfolgreicher Heilung verschwindet der therapeutische Setting und eine gute therapeutische Bezie- Patient in sein Leben, wie der siegreiche Cowboy von hung bieten die Möglichkeit, verändertes Verhalten und der Leinwand. Obwohl es mittlerweile eine anerkannte Erleben in einem geschützten Rahmen zu erfahren und ein- Trivialität ist, dass etwa Liebesfilme regelmäßig dann zuüben. Sie gewährleisten aber doch nicht die Übernahme enden, wenn die Beziehungen und damit auch neue in den Alltag bzw. in das individuelle Lebensumfeld. Hierzu Probleme beginnen, zeigt das Bild vom ewigen Glück ist es notwendig, dass der Patient neu erworbene Strategien gerade im »Psychosektor« eine erstaunliche Persistenz. regelmäßig zwischen den Sitzungen ausprobiert und übt. Weitreichende explizite oder implizite Versprechungen Wenngleich Verhaltenstherapeuten ihre Patienten häufig von einer völligen Umgestaltung der Persönlichkeit, auch bei Erfahrungen außerhalb der Praxis, der Ambulanz von völliger Problemfreiheit, »implodierenden Symp- oder der Klinik begleiten, ist das Ziel jedoch stets die Bewäl- tomen«, immerwährendem Glück oder schmerzloser tigung ohne therapeutische Begleitung. Lebensbewältigung sind jedoch nicht nur unrealistisch, sie sind in der Regel auch schädlich. Enttäuschte Hoff- Prinzip 7: Verhaltenstherapie ist transparent nungen verbittern besonders. Gemessen am Holly- Verhaltenstherapie setzt auf den aufgeklärten, aktiven Pati- wood-Standard erscheinen eigene Leistungen und Er- enten. Das Geben eines plausiblen Erklärungsmodells für fahrungen als Misserfolge und man selbst als Versager. die vorliegende Störung und das verständliche Erklären al- Das Verfolgen von Schimären lenkt von einer realisti- ler Aspekte des therapeutischen Vorgehens sind Bestandtei- schen Lebensbewältigung ab und verschwendet Ener- le der Verhaltenstherapie, die das legitime Bedürfnis der gien, die anderswo erfolgversprechender eingesetzt Patienten nach dem Verstehen ihrer Lage erfüllen und zu werden können. Je mehr man sich auf Heilsverspre- einer erhöhten Akzeptanz der Therapiemaßnahmen sowie chen einlässt, umso unselbstständiger wird man. Psy- zur Prophylaxe von Rückfällen beitragen. Transparenz er- chotherapie kann aber nicht lebenslanges »An-die- höht die Compliance, das Verständnis der Patienten für den Hand-Nehmen« bedeuten. Das realistische Therapieziel therapeutischen Prozess und indirekt ihre Problemlösefä- heißt daher Problembewältigung und Hilfe zur Selbst- higkeit. Auf diese Weise können die erworbenen Fertig- hilfe. Auch bei komplexen Problemkonstellationen keiten bei zukünftigen Schwierigkeiten besser bzw. auch kann es bestenfalls darum gehen, neue Bewältigungs- ohne erneute therapeutische Hilfe eingesetzt werden. möglichkeiten zu vermitteln und Angelpunkte zu iden- tifizieren, um bestehende Systeme aufzubrechen. Psy- Prinzip 8: Verhaltenstherapie soll »Hilfe zur Selbsthilfe« chotherapie kann dazu beitragen, das Schwimmen zu sein lernen, das Schwimmen selbst kann einem jedoch nie- Über die Erhöhung der allgemeinen Problemlösefähigkeit mand abnehmen. und über das transparente Ableiten des therapeutischen Vorgehens aus einem Störungsmodell werden den Pati- J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 8 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

1.2.3 Methodologisches Grundverständnis Prinzip 4: Empirische Testbarkeit. Hypothesen müssen 1 prinzipiell empirisch testbar sein, sie müssen also sensitiv Verhaltenstherapie versteht sich als angewandte Wissen- für die Erfahrung sein. Immunisierungsstrategien, die the- schaft, wobei das zugrunde liegende Wissenschaftsver- oretische Aussagen unwiderlegbar machen sollen, sind ständnis maßgeblich von Fragen der Methodologie geprägt prinzipiell abzulehnen, da sie jeden möglichen Erkenntnis- ist. Die Methodologie ist die Lehre von den wissenschaft- fortschritt ausschließen. Das Testen von Hypothesen kann lichen Methoden. Als der Teil der Logik, der sich mit Fragen sowohl durch Bestätigen als auch durch Widerlegen erfol- der Forschungslogik befasst, ist die Methodologie ein zen- gen. Unter dem Einluss Poppers hat dabei vor allem das traler Gegenstandsbereich der Wissenschaftstheorie. Kriterium der Falsiizierbarkeit allgemeiner Hypothesen (»Für alle X gilt …«, z. B. »Alle psychischen Störungen sind erlernt«) große Bedeutung erlangt. Relevant ist aber auch Häufig mit der Methodologie verwechselt wird die Me- die Veriikation von Existenzhypothesen (»Es gibt manche thodik. Diese betrifft jedoch das konkrete Handwerks- Y, für die gilt …«, z. B. »Manche Phobien werden durch zeug für das praktische Vorgehen (z. B. Wie plane ich klassische Konditionierung erworben«). ein Experiment? Welche statistischen Verfahren sind für welche Probleme geeignet? etc.). Im Gegensatz dazu Prinzip 5: Experimentelle Prüfung. Die grundsätzlich bes- macht die Methodologie Aussagen über die Logik der te Methode zur Überprüfung von Annahmen bietet das Methoden (z. B. Was ist eine Hypothese? Was ist das Ziel kontrollierte Experiment, womit jedoch nicht notwendi- wissenschaftlicher Forschung? etc.). gerweise nur Laborexperimente gemeint sind. Aus ethischen ebenso wie aus forschungspraktischen Gründen sind dem experimentellen Vorgehen in der klinischen For- Die verhaltenstherapeutische Methodologie wird zumeist schung enge Grenzen gezogen. Häuig können wichtige als methodologischer Behaviorismus bezeichnet. Dieser Variablen nicht willkürlich variiert werden, wie es in einem darf nicht mit anderen Spielarten des Behaviorismus gleich- echten Experiment gefordert wäre. So ist es ethisch nicht gesetzt werden (vgl. folgende Box). Die Grundprinzipien vertretbar, psychische Störungen für experimentelle Zwe- des methodologischen Behaviorismus werden von West- cke auszulösen. Allenfalls können vorübergehend schwache meyer (1984, 2005) und Reinecker (1994) folgendermaßen experimentelle Analogien zu pathologischen Zuständen zusammengefasst: induziert werden (z. B. Halluzinationen, sensorische Deprivation, Angstzustände, manipulierte Misserfolgs- Prinzip 1: Suche nach Gesetzmäßigkeiten. Das Ziel wis- rückmeldung), wobei sich jedoch in jedem Fall die Frage senschatlicher Arbeit besteht im Auinden von Gesetzmä- nach der akzeptablen Grenze stellt. Aber auch der Versuch, ßigkeiten, die eine Beschreibung und Erklärung des Unter- psychische Störungen im Rahmen der herapieforschung suchungsgegenstandes erlauben. Die »Gesetze« müssen zu beseitigen, erscheint nur auf den ersten Blick ethisch nicht deterministisch sein, auch probabilistische Aussagen unbedenklicher. So können etwa Personen mit psychischen werden anerkannt. In der Regel werden verschiedene Klas- Störungen nicht ohne ihre Einwilligung einer bestimmten sen von Ursachen unterschieden, wobei funktionale Bezie- herapiebedingung zugeordnet werden. Es muss daher hungsgefüge traditionell die größte Aufmerksamkeit inden ot auf quasi-experimentelle Designs zurückgegrifen (7 Abschn. 1.2.4). werden.

Prinzip 2: Beobachtbarkeit. Nur beobachtbare Ereignisse oder Phänomene, die regelhat mit beobachtbaren Anzei- Welcher Behaviorismus darf‘s sein? chen verknüpt sind, können zum Gegenstand wissen- Die Bezeichnung Behaviorismus war von Anfang an schatlicher Analysen werden. Dies bedeutet jedoch nicht auch ein Kampfbegriff. Geprägt von Watson zur Durch- die Beschränkung auf beobachtbares motorisches Verhal- setzung seiner Auffassung von Psychologie, wurde der ten als ausschließlichem Gegenstand der Psychologie. Begriff später eher von Gegnern des Behaviorismus Heutzutage ist das Erleben und Verhalten der allgemein verwendet. Dabei ging oft unter, dass es nicht den ei- anerkannte Gegenstand des Faches. Interessanterweise hat nen Behaviorismus gab, sondern dass hier sehr ver- selbst Skinner die Introspektion nicht als Methode abge- schiedene Positionen miteinander konkurrierten (für lehnt, wenn sie der obigen Forderung genügte. die Diskussion eines aktuellen Beispiels vgl. Westmeyer 2005). Im Handbook of sind nicht weniger Prinzip 3: Operationalisierbarkeit. Für die Erfassung der Un- als 14 solcher Positionen vertreten (O‘Donohue u. Kit- tersuchungsgegenstände müssen explizite Messvorschriten chener 1999). Weit verbreitet ist die Unterscheidung vorliegen. heoretische Konstrukte müssen demnach opera- der folgenden drei Grundpositionen: tionalisiert werden, d. h. es muss angegeben werden, in wel- 6 cher Weise sie in erfassbaren Variablen abgebildet werden. J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 9 1.2 · Was macht Verhaltenstherapie aus? 1

4 Der metaphysische Behaviorismus lehnt die Exis- worte wie »biopsychosozialer Ansatz« oder »Vulnerabi- tenz eines Bewusstseins bzw. psychischer Ereig- litäts-Stress-Modell« die Debatte, müssen sich aber des nisse ab. Gegenstand der psychologischen Wissen- Vorwurfs einer zu großen Beliebigkeit oder einer man- schaft ist ausschließlich das beobachtbare Verhal- gelnden Konkretheit erwehren. Die Verhaltenstherapie ten (Vertreter z. B. Watson). versucht, spezifische Konstellationen bei spezifischen 4 Der radikale Behaviorismus (auch analytischer Störungen zu identifizieren, die als klinisch auffallende Behaviorismus) ist eine Spielart des radikalen Mate- Verhaltensweisen bzw. psychische Syndrome mit Lei- rialismus, nach dem Welt nur aus einem Stoff, näm- den oder Funktionseinschränkungen auf der Verhal- lich der Materie, besteht. Geistige Phänomene wer- tens-, Erlebens-, körperlichen oder sozialen Ebene auf- den als bloße sprachliche Illusion angesehen (Ver- gefasst werden. Dabei ist es wichtig, zwischen verschie- treter z. B. Skinner). denen Arten von »Ursachen« zu unterscheiden und 4 Im Gegensatz zu den anderen beiden Varianten defi- deren Bedeutung als Ansatz für therapeutische Verän- niert sich der methodologische Behaviorismus derung zu untersuchen. nicht durch Aussagen über die Existenz psychischer Phänomene, sondern lediglich über die Festlegung methodologischer Prinzipien, mit deren Hilfe wis- Grundsätzlich entstehen psychische Störungen bei einer senschaftliches von unwissenschaftlichem Vorgehen negativen Balance zwischen gesundheitsfördernden, schüt- abgegrenzt werden kann. Der methodologische Be- zenden und salutogenen Faktoren einerseits und patho- haviorismus ist heute die Mehrheitsströmung der genen Faktoren andererseits (Margraf 2005). Bei den pa- empirischen Psychologie, der beispielsweise auch thogenen Faktoren können wir zudem sinnvollerweise Vertreter des Kognitivismus anhängen. zwischen Vulnerabilitäts-, auslösenden und aufrechterhal- tenden Faktoren unterscheiden (sog. »Drei-Faktoren-Mo- dell«, Margraf 1996). Im Einzelnen können die Klassen ursächlicher Faktoren wie folgt beschrieben werden: 1.2.4 Ätiologisches Grundverständnis Prädispositionen (auch Vulnerabilität, Diathese, Anfällig- Auch wenn die Entstehung und die Behandlung einer Stö- keit). Vorexistierende genetische, somatische, psychische rung durchaus auf verschiedenen Prozessen beruhen kön- oder soziale Merkmale machen das Autreten einer Störung nen, so ist ein angemessenes Grundverständnis der Ätiolo- möglich bzw. wahrscheinlicher. Grundsätzlich kann zwar gie psychischer Störungen doch eine wesentliche Basis für so gut wie jeder Mensch eine Depression oder eine Abhän- die Entwicklung und Erklärung von Therapien. Dabei geht gigkeit entwickeln, aber eben nicht mit der gleichen Wahr- es keineswegs nur um kausale Therapien. Auch prophylak- scheinlichkeit. Manche Menschen sind anfälliger für psy- tische, symptomatische oder Substitutionstherapien kön- chische Probleme, andere dagegen resistenter. nen von einer genauen Kenntnis der Ätiologie profitieren. Aber wie genau sind unsere Kenntnisse über die Ursachen Auslösende Bedingungen. Vor dem Hintergrund einer in- psychischer Störungen? Genau besehen, wissen wir er- dividuellen Vulnerabilität lösen psychische, somatische staunlich wenig. Die meisten unserer Befunde bleiben auf oder soziale Bedingungen (Belastungen, Erfahrungen, Er- der Ebene von Korrelationen. Aber dennoch können wir eignisse, »Stress«) das Erstautreten einer Störung aus. Hal- auch bei unserem derzeitigen unbefriedigenden Kenntnis- ten die ursprünglich auslösenden Belastungen an, so kön- stand einige wichtige grundlegende Aussagen über die all- nen sie darüber hinaus die Funktion aufrechterhaltender gemeine Natur ätiologischer Prozesse bei psychischen Stö- Faktoren übernehmen. rungen machen. Selbstverständlich müssen diese allgemei- nen Aussagen dann später für die vielen verschiedenen Aufrechterhaltende Bedingungen. Falsche Reaktionen (des Störungen und Probleme konkretisiert werden. Betrofenen oder der Umwelt) oder anhaltende Belastungen verhindern das rasche Abklingen der Beschwerden und ma- chen das Problem chronisch. Die aufrechterhaltenden Be- Ursache ist nicht gleich Ursache dingungen entscheiden demnach wesentlich über den wei- Die Zeit der großen monistischen Theorien zur Erklä- teren Verlauf nach dem Erstautreten eines Problems. rung aller psychischen Störungen ist vorbei. Schon lan- ge ist klar, dass derart komplexe Phänomene nicht Gesundheitsfördernde und schützende Bedingungen. durch simplistische oder reduktionistische »Lösungen« Emotionale Stabilität, soziale Unterstützung, tragfähige Be- erklärt werden können. Heute beherrschen Schlag- ziehungen, die Wahrnehmung von Sinnhatigkeit, Pro- 6 blemlösefähigkeiten, soziale Kompetenz und Kommunika- tionsfertigkeiten sind Beispiele für Faktoren, die unsere J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 10 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

Gesundheit fördern bzw. vor der Entwicklung von Krank- können mehr oder weniger veränderbar sein etc. Beispiels- 1 heiten schützen. Salutogene Faktoren können alle drei Klas- weise können häufig Prädispositionen nicht verändert und sen von pathogenen Faktoren einwirken. auslösende Stressoren oder Traumata nicht rückgängig ge- macht werden, wohingegen der Modifikation der aufrecht- Eine graphische Veranschaulichung des Beziehungsge- erhaltenden Bedingungen größte Bedeutung für das zu- flechts zwischen diesen großen Klassen ätiologischer Fak- künftige Befinden zukommt. Die Verhaltenstherapie setzt toren gibt . Abb. 1.1. daher häufig genau hier an (z. B. Abbau von Vermeidungs- Im Allgemeinen unterschätzen Kliniker die Bedeutung verhalten bei phobischen Patienten, Training sozialer Kom- salutogener und schützender Prozesse und überschätzen petenzen bei schizophrenen oder depressiven Patienten). In die Bedeutung pathogener Bedingungen. Zudem setzen die dem Sinne, in dem eine Behandlung an einer oder mehrerer verschiedenen Berufsgruppen unterschiedliche Schwer- dieser ursächlichen Klassen von Problembedingungen an- punkte. Die Verhaltenstherapie konzentrierte sich ur- setzt, kann sie als mehr oder minder »kausal« angesehen sprünglich neben den auslösenden vor allem auf die auf- werden. Ein monistisches Verständnis von »kausaler« vs. rechterhaltenden Faktoren. Im Gegensatz dazu betonten »symptomatischer« Therapie ist demnach überholt. psychiatrische und biologische Theoretiker besonders die Vulnerabilität, Umwelttheoretiker wiederum stärker die auslösenden Bedingungen. 1.2.5 Verfahren Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wissen wir am besten über aufrechterhaltende Faktoren Bescheid und am we- Die Konzeptualisierung von Verhaltenstherapie als psycho- nigsten über die Bestandteile und Mechanismen der Vulne- therapeutischer Grundorientierung geht auch auf die große rabilität. Natürlich ist es aus ätiologischer Perspektive unbe- Zahl an therapeutischen Methoden zurück, die sie aus- friedigend, dass wir so wenig darüber wissen, wie patho- zeichnen. Dabei können drei Gruppen von Verfahren un- gene Entwicklungen überhaupt in Gang kommen bzw. wie terschieden werden: und warum die Balance zwischen salutogenen und patho- 4 Basisfertigkeiten wie Gesprächsführung, Beziehungs- genen Einflüssen ins Negative umschlägt. Aus therapeu- gestaltung und Motivationsarbeit. tischer Sicht dagegen sind die aufrechterhaltenden Faktoren 4 Störungsübergreifende verhaltenstherapeutische Maß- von zentraler Bedeutung als Ansatzpunkt für Verände- nahmen, die jeder Verhaltenstherapeut flexibel in den rungen. Wir wollen ja die Zukunft verändern und nicht die jeweiligen Behandlungsplan einfügen können muss. Vergangenheit. Hierzu zählen u. a. Konfrontationsverfahren (z. B. Reiz- Dieses erweiterte »Drei-Faktoren-Modell« bietet keine überflutung, Habituationstraining, Reaktionsverhinde- allumfassende Erklärung psychischer Störungen. Stattdes- rung, systematische Desensibilisierung), Entspannungs- sen stellt es einen Denkansatz bzw. eine Heuristik dar, die verfahren (z. B. progressive Muskelrelaxation), operante bei der ätiologischen Forschung und der Bewertung mög- Methoden (z. B. positive Verstärkung, Löschung, Re- licher Ansatzpunkte für das therapeutische Vorgehen eben- sponse-Cost, Time-out, Token Economies), kognitive so wie bei der Erstellung individueller Genesemodelle hilf- Methoden (z. B. Selbstinstruktionstraining, Problemlö- reich ist. Die verschiedenen Klassen von Ursachen können setraining, Modifikation dysfunktionaler Kognitionen, zusammenfallen oder auch völlig auseinanderklaffen, sie Reattribution, Analyse fehlerhafter Logik, Entkatastro-

. Abb. 1.1. Grundmodell der Ätiologie psychischer Störungen. Das erweiterte »Drei-Faktoren-Modell« (Margraf 1996, 2005) unterscheidet vier Klassen ätiologi- scher Faktoren: Pathogene Faktoren sind in grauer, salutogene Faktoren in blauer Farbe hinterlegt

J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 11 1.3 · Historische Entwicklung 1

phisieren), Kommunikationstrainings, Training sozialer (7 Kap. I/20). Eine anschließende Problemanalyse bietet Kompetenz und Selbstkontrollverfahren. dann die Grundlage für die individuelle Anpassung des ge- 4 Störungsspezifische Therapieprogramme, die mög- wählten Verfahrens (7 Kap. I/21). Die Ergänzung von klas- lichst genau auf die speziellen Gegebenheiten der ver- sifikatorischer Diagnostik und der individuellen Analyse schiedenen Störungsbilder zugeschnitten sind. Solche des vorliegenden Problems ist somit die Grundlage, auf Programme wurden mittlerweile für die meisten psy- welcher in der verhaltenstherapeutischen Praxis sinnvolle chischen Störungen entwickelt und überprüft. Sie bau- und problemadäquate Indikationsentscheidungen getrof- en idealerweise auf psychologischem Störungs- und fen werden können. Der zweite Band des vorliegenden Veränderungswissen auf. Zu den am weitesten verbrei- Lehrbuches mit seinen Störungskapiteln gibt genauere Aus- teten Programmen zählen diejenigen für Angststörun- kunft zur Indikationsfrage in der Verhaltenstherapie. gen, Depressionen, Borderline-Persönlichkeitsstörung, Schizophrenie-Rückfallprophylaxe, Essstörungen, se- xuelle Funktionsstörungen, Partnerschaftsprobleme 1.3 Historische Entwicklung sowie Ausscheidungsstörungen, Hyperaktivität und Aggressivität bei Kindern. 1.3.1 Ausgangspunkte und Vorläufer

Vor allem für die beiden letzten Gruppen von Verfahren Die Verhaltenstherapie entstand aus der Anwendung expe- existieren in der Regel hinreichende empirische Effizienz- rimentalpsychologischer Prinzipien auf klinische Probleme. nachweise und Therapiemanuale mit konkreten Beschrei- Ihr Wachstum war eng verbunden mit der Entwicklung der bungen des praktischen Vorgehens. Alle Verfahren werden klinischen Psychologie als einer angewandten Wissen- in späteren Kapiteln des vorliegenden Lehrbuches genauer schaft. Wenngleich es vereinzelt frühere klinische Anwen- dargestellt. dungen gegeben hatte (s. folgenden Exkurs), entstand eine größere Bewegung doch erst um die Mitte dieses Jahrhun- derts, als zwei Bedingungen zusammentrafen: 1.2.6 Indikationsbereiche 4 Zum einen war die enorme Produktivität der Grundla- genforschung zu lerntheoretischen Erklärungen kli- Der letzte wichtige Aspekt, anhand dessen die Verhaltens- nischer Phänomene unübersehbar geworden (z. B. therapie charakterisiert werden muss, beinhaltet ihren spe- Mowrers Zwei-Faktoren-Theorie phobischer Ängste, zifischen Umgang mit der Indikationsfrage (7 Kap. I/11). die Forschung zu experimentellen Neurosen, Solomons Da die vollständige Frage der differenziellen Indikation aus und Wynnes Arbeiten zur traumatischen Konditionie- forschungspraktischen Gründen experimentell nicht be- rung, Dollards und Millers lernpsychologische Experi- friedigend gelöst werden kann, betrachtet die Verhaltens- mente zu ursprünglich psychoanalytischen Konzepten). therapie in der Praxis lösbare Teilaspekte dieser Frage. Bei Diese Befunde verlangten geradezu nach einer Umset- gegebener Psychotherapieindikation betrifft dies die Aus- zung und Bewährung in der Praxis. wahl eines für die vorliegende spezifische Störung geeig- 4 Zum anderen war auch die Kritik an der geringen Ef- neten Therapieverfahrens und dessen Anpassung an den fektivität der bis dahin vorliegenden psychotherapeu- Einzelfall. In diesem Kontext ist die Entwicklung störungs- tischen (d. h. weitgehend tiefenpsychologischen) Ver- spezifischer Psychotherapieverfahren, die auf breiter Front fahren und deren mangelhafter empirischer Basis un- empirisch validiert wurden (vgl. 7 Abschn. 1.4.2), eine be- überhörbar geworden (vor allem Eysencks Kritik an der deutsame Errungenschaft der Verhaltenstherapie. Sowohl Psychoanalyse). Eine derart fundamentale Kritik warf die Frage nach dem optimalen therapeutischen Vorgehen sofort die Frage nach Alternativen auf, die selbstver- bei einer gegebenen Störung als auch das Anbieten kon- ständlich von den so harsch Angegriffenen besonders kreter Alternativen bei störungs- und problembezogenen kritisch betrachtet wurden und denen damit besondere Indikationsentscheidungen sind spezifische Charakteristi- Aufmerksamkeit zuteil wurde. ka der Verhaltenstherapie. Durch die Entwicklung spezifischer Therapieverfahren Genau in dieser Zeit berichteten Arbeitsgruppen in Süd- ist es möglich geworden, aus der nosologischen Einord- afrika, England und den USA zunächst unabhängig von- nung der Patienten direkt Folgerungen für die Art des indi- einander über große Erfolge mit lernpsychologisch fun- zierten therapeutischen Vorgehens zu ziehen. Damit steht dierten Maßnahmen bei der Bewältigung von Ängsten und dem Praktiker eine unter »Alltagsbedingungen« praktikab- anderen Problemen. Zusammen mit den beiden bereits le Lösung der Indikationsfrage zur Verfügung, wenngleich genannten Faktoren gaben diese aufsehenerregenden Er- jeweils eine flexible Anpassung an den konkreten Einzelfall folge der neuen, zunächst experimentellen Methoden den erfolgen muss. Die Entscheidung für ein bestimmtes Ver- Anstoß für eine Entwicklung, deren Breite und Dynamik fahren setzt eine kompetente Diagnosestellung voraus, die bis heute keine Parallele im Bereich der Psychotherapie hat zunächst eine klassifikatorische Einordnung beinhaltet (. Abb. 1.2). J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 12 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

. Abb. 1.2. a Arnold Allan Lazarus; ver- 1 wendete 1958 als Erster den Begriff »be- haviour therapy« in einer Fachzeitschrift, b Mary Cover Jones; legte bereits 1924 eine »verhaltenstherapeutische« Fall- studie zur Angstbehandlung vor

ab

Exkurs Der kleine Peter – ein großer Unbekannter Liest man das vielleicht berühmteste Beispiel einer An- ninchen anwesend war. Peters anfänglich starke Angstreak- wendung behavioraler Prinzipien auf das Problem der kli- tion nahm kontinuierlich ab, bis er schließlich ruhig und un- nischen Angst, so kann man sich eines gewissen Schau- beteiligt das Kaninchen anschauen konnte. Als Peter nach ders nicht erwehren. Im Jahr 1920 berichteten Watson einer auskurierten Krankheit von einer Krankenschwester und Rayner von Konditionierungsversuchen an »Little Al- mit dem Taxi vom Krankenhaus nach Hause gebracht wer- bert«, einem 11 Monate alten Kind. Die Autoren riefen den sollte, erlebte er einen Rückfall. Während sie in das Taxi eine konditionierte Angstreaktion auf eine weiße Ratte einsteigen wollten, lief ein großer Hund auf sie zu und hervor, indem sie die Erscheinung der Ratte mit einem sprang sie an. Beide erschreckten sich sehr. Jones machte lauten Geräusch verbanden. Diese konditionierte Angst für den Rückfall die folgenden Variablen verantwortlich: übertrug sich auf ähnliche Reize wie etwa das weiße Haar eine fremde Umgebung, ein aversiver Stimulus (ein Hund) eines der Forscher oder auf Baumwolle, dagegen nicht und ein ängstliches Erwachsenen-Modell. Sie änderte ihre auf andersgeartete Reize. Über eine anschließende Besei- Therapiestrategie und konfrontierte Peter von nun an di- tigung der willkürlich erzeugten Angst wird jedoch nichts rekt mit dem Kaninchen, während er in seinem Hochstuhl berichtet – eine Unterlassung, die nicht nur für Psycho- saß und seine Lieblingsspeisen aß. Das Kaninchen wurde therapeuten, sondern auch für jede Ethikkommission im hierbei zunehmend an Peters Stuhl angenähert. Auch bei Rahmen moderner Forschungsbegutachtung inakzepta- diesem Behandlungsteil wurden nichtängstliche Kinder bel wäre. herangezogen, die vor den Augen Peters mit dem Kanin- Allerdings stimulierte dieser berühmt-berüchtigte Be- chen spielten. Schon bald konnte Peter ein Kaninchen auf richt nur wenig später die erste wissenschaftliche Arbeit, den Arm nehmen, ohne eine Angstreaktion zu zeigen. Die die im engeren Sinne als verhaltenstherapeutisch be- Ähnlichkeit dieser Methoden mit den später von Wolpe zeichnet werden kann. 1924 veröffentlichte Mary Cover (systematische Desensibilisierung) und Bandura (»partici- Jones eine detaillierte Einzelfallstudie, in der es nun nicht pant modelling«) entwickelten Verfahren sind so bemer- um die Erzeugung, sondern um die Behandlung einer kenswert, dass Mary Cover Jones mehrfach als »Mutter der kindlichen Tierphobie ging (Jones 1924a, b). Peter war bei Verhaltenstherapie« bezeichnet wurde. Beginn der Therapie 2 Jahre und 10 Monate alt. Er ent- wickelte plötzlich eine Angst vor weißen Ratten, Kanin- Wenn die Matte klingelt … – Ein Vorläufer des chen, Pelzmänteln, einer Feder und Baumwolle. Jones ex- Biofeedbacks plorierte, dass Peter die meiste Angst vor Kaninchen hat- In den späten 1930er Jahren erfand das Ehepaar Mowrer te. Sie behandelte Peter, indem sie ihn mit anderen eine Behandlungsmethode für die Enuresis nocturna, das Kindern zusammenbrachte, die keine Angst vor Kanin- Einnässen während des Schlafes. Sie betrachteten Enuresis chen äußerten. Peter spielte jeden Tag mit drei anderen als Ausbleiben der Aufwachreaktion des Patienten auf die Kindern, wobei während eines Teils der Spielzeit ein Ka- Blasendehnung. Folgerichtig war ihre Behandlung darauf 6

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ausgerichtet, die Blasendehnung (Beginn des Einnässens) men werden (Mowrer u. Mowrer 1938). Die Arbeiten des mit dem Wecken und der nachfolgenden Kontraktion des Ehepaars Mowrer waren nicht nur im Hinblick auf ihre ein- Schließmuskels zu verbinden. Schon nach wenigen Versu- drucksvollen Therapieerfolge wichtig, sondern auch des- chen zog die Blasendehnung auf dem Wege einer gelern- halb, weil Definition und Behandlung der Enuresis im Rah- ten Reaktion »von selbst« eine Schließmuskelkontraktion men einer behavioralen Konzeption neu waren. Auch wenn nach sich, und das Einnässen unterblieb. Das Wecken die Therapie der Enuresis seither fortgeschritten ist, waren konnte von einer elektrischen »Klingelmatte«, die auf die konsequente theoretische Analyse und die empirisch Feuchtigkeit ansprach, effektiv und ohne unangenehme fundierte Umsetzung in die Praxis der Mowrers ein Modell emotionale »Nebenwirkungen« (z. B. Scham) übernom- für spätere Entwicklungen in der Verhaltenstherapie.

1.3.2 Die »Gründungsphase« rende antagonistische Reaktion auf Angst (die reziproke Hemmung) hervorrufen. Um sicher zu sein, dass die Hem- Während England und die USA weithin als Ursprungslän- mung stärker war, gab er die angstauslösenden Reize stu- der der Verhaltenstherapie anerkannt werden, wird der fenweise mit ansteigendem Schweregrad vor (die sog. Beitrag Südafrikas noch immer unterschätzt. Dabei began- Angsthierarchie). nen viele der Gründungspersönlichkeiten ihre Karriere in Bei der Anwendung seiner Forschungsergebnisse auf diesem Land. Auch die erste Verwendung des Begriffes »be- Menschen zog Wolpe hauptsächlich drei Reaktionsbereiche haviour therapy« in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift in Betracht, die reziprok hemmend wirken könnten: sexu- erfolgte im South African Medical Journal (Lazarus 1958). elle Reaktionen, assertive (selbstsichere) Reaktionen und Seit Ende der 40er und während der 50er Jahre des letzten Entspannungsreaktion. Am weitesten verbreitet war eine Jahrhunderts versuchte an der Universität modifizierte Version von Jacobsons (1938) progressiver von Witwatersrand Lerntheorie und Neurophysiologie zu- Muskelrelaxation, von der Wolpe glaubte, dass sie ähnliche sammenzuführen, ein Ansatz, der seiner Ausbildung als neurophysiologische Wirkungen wie das Essen hätte. Um Arzt mit zentralem Interesse an Lernpsychologie entsprach. Furchtreaktion durch reziproke Hemmung abzubauen, Wolpe war unmittelbar von den amerikanischen Arbeiten brachte Wolpe seinen Patienten zunächst die Entspan- Massermans zu experimentellen Neurosen und Salters zum nungstechnik bei und ermutigte sie dann, ihre gefürchteten »self-assertiveness training« beeinflusst worden. In Südafri- Situationen Schritt für Schritt und unter Aufrechterhaltung ka arbeitete er mit Psychologen wie Stanley Rachman und der Entspannung zu durchleben. Ursprünglich benutzte zusammen, die gemeinsam mit ihren Wolpe Konfrontation in vivo (d. h. in der wirklichen Le- Landsleuten G. Terence Wilson und Isaac Marks zu den benssituation), ging dann aber zu imaginativen Situationen wichtigsten Mitbegründern der Verhaltenstherapie gehö- über, da diese besser kontrollierbar und leichter zu verwirk- ren. In dieser Gruppe wurden nicht nur die experimentel- lichen waren. Ergänzend bearbeiteten die Patienten zwi- len Forschungsarbeiten diskutiert, sondern es wurden auch schen den Sitzungen umfassende Hausaufgaben in vivo. Therapien durch die Einwegscheibe beobachtet und in su- Dieses Vorgehen nannte er systematische Desensibilisie- pervisionsartiger Form besprochen. rung und beschrieb es in seinem einflussreichen Buch Psy- Bei seinen Forschungen zu »experimentellen Neuro- chotherapy by Reciprocal Inhibition, das auf Empfehlung sen« bei Katzen entwickelte Wolpe neue Techniken zur Eli- von Albert Bandura 1958 von der Stanford University Press minierung experimentell erzeugter Furcht und Vermei- in den USA publiziert wurde. Die systematische Desensibi- dung. Ausgehend von der Überlegung, dass konditionierte lisierung wurde die wohl berühmteste Methode der Verhal- Furcht und Futter antagonistisch oder reziprok hemmend tenstherapie, wenngleich für viele Probleme mittlerweile seien, folgerte er, dass Futter benutzt werden könnte, um die effektivere Verfahren vorliegen und auch die Theorie der in spezifischen Situationen entstehende Furcht zu reduzie- reziproken Hemmung inzwischen erschüttert wurde ren. Wolpe (1954, 1958) demonstrierte dies mit Erfolg an (7 Kap. I/31). Wolpes Formulierung einer Theorie auf der seinen Versuchstieren, indem er sie in immer geringerer Basis von nachprüfbaren Hypothesen mit dem Ziel einer Entfernung von der Stelle fütterte, an der ursprünglich mit klar definierten Behandlungsstrategie für ausführlich dar- einem elektrischen Schock ihre Furchtreaktion konditio- gestellte klinische Anwendungsbereiche hat einen beträcht- niert worden war. In einem Artikel mit dem wenig beschei- lichen Einfluss auf die Entwicklung der Verhaltenstherapie denen Titel »Reciprocal Inhibition as the Main Basis of ausgeübt. Darüber hinaus setzten die entscheidenden Per- Psychotherapeutic Effects« (1954) postulierte er reziproke sonen der südafrikanischen behavioralen Szene ihre Arbeit Hemmung als allgemeingültiges Prinzip: Eine Angstreduk- später in England und den USA fort. tion wird erreicht, wenn angstauslösende Reize zusammen Wolpes Veröffentlichungen fielen zeitlich mit der mas- mit solchen Reizen vorgegeben werden, die eine dominie- siven Kritik an der Effektivität des psychoanalytischen An- J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 14 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

satzes zusammen. Insbesondere Eysencks (1952) kontro- Marks und Mathews entwickelten und überprüften Kon- 1 verse Argumentation, wonach die von der Psychotherapie frontations- bzw. Expositionsverfahren2 für Phobien. Zur erreichten Besserungsraten nicht höher seien als diejeni- gleichen Zeit untersuchten amerikanische Forscher wie Da- gen, die man ohne Behandlung erzielen würde (»Spontan- vison (1968) den Prozess der Desensibilisierung und ande- remission«), war Anlass für heftige Debatten. Folgerichtig rer Techniken zur Angstreduktion im Detail. Sie kamen zu stand die europäische Wiege der Verhaltenstherapie denn dem Schluss, dass Konfrontation in vivo (»exposure«) der auch am Wirkungsort Eysencks. Direktor des berühmten wichtigste und effektivste Bestandteil sei. Ein Grund, wes- Institute of Psychiatry am Londoner Maudsley Hospital war halb verhaltenstherapeutische Ansätze zur Angstreduktion mit Aubrey Lewis ein Verfechter des Wertes der psycholo- so rasch an Einfluss gewannen, war die Tatsache, dass ihre gischen Forschung für die Psychiatrie. Im Jahr 1950 berief Effektivität in kontrollierten Versuchen (z. B. Paul 1966) er Eysenck zum ersten Leiter einer psychologischen Abtei- systematisch untersucht wurde. lung dieses nicht nur in England führenden Institutes. Dort interessierten sich bald Institutsmitarbeiter wie Gwynne Exkurs Jones, Victor Meyer, Aubrey Yates und M. B. Shapiro für die »Aversionstherapie«: Nur Sackgasse oder schon Irrweg? Anwendung von Konditionierungstheorien auf psycholo- Mit Hilfe eines Umkehrschlusses versuchten die frühen gische Probleme. Diese Gruppe kannte auch die Veröffent- Verhaltenstherapeuten, die Logik der so erfolgreichen lichungen Wolpes, weniger allerdings die operanten Arbei- Angstreduktionsverfahren auf die Behandlung von ten Lindsleys in den USA. Bald wurden die zunächst rein Alkoholproblemen und abweichendem sexuellen Ver- diagnostisch ausgerichteten Einzelfallexperimente und halten zu übertragen. Sie wollten »unerwünschte« theoretischen Seminare auf therapeutische Themen aus- Verhaltensweisen durch die Kopplung mit willentlich gedehnt. Bereits 1957 wies Meyer auf die Bedeutung einer erzeugter Angst abbauen. Bei dieser sog. Aversionsthe- guten Beziehung zwischen Therapeut und Patient für rapie wurden Stimuli, Gedanken oder Verhaltenswei- Übungen in vivo hin. sen, die zu der unerwünschten Reaktion gehörten, mit einem aversiven Reiz wie einem elektrischen Schock Exkurs verbunden. Nach mehreren Versuchen dieser Art sollte Anfang beim Kaffeetrinken der ursprüngliche Stimulus eine konditionierte Angst Die erste klinische Anwendung eines verhaltensthera- ähnlich der Reaktion auf den aversiven Reiz hervorru- peutischen Ansatzes am Maudsley Hospital ergab sich fen. Ethische Bedenken und mangelnde Effektivität zufällig (Schorr 1995). Beim Kaffeetrinken mit einem machten diesen Ansatz jedoch rasch obsolet (Rachman Medizinstudenten sprachen Gwynne Jones und M. B. u. Teasdale 1969). Obwohl sie für die Verhaltensthera- Shapiro über eine Patientin, die erfolglos psychothera- pie allenfalls eine marginale Rolle spielte, hat die Aver- peutisch behandelt worden war. Die junge Tänzerin sionstherapie eine nachhaltige negative Stigmatisie- konnte ihren Beruf nicht mehr ausüben, da sie sehr rung des damals noch jungen Ansatzes bewirkt. Eine häufig urinieren musste und sich mittlerweile sekun- besonders spektakuläre künstlerische Kritik der Aver- däre Angstreaktionen und ein Mangel an Selbstvertrau- sionsmethode gab Stanley Kubrick in seinem Film en eingestellt hatten. Im Gespräch kam die Idee auf, ei- »Clockwork Orange«. nen neuen Therapieversuch zu unternehmen und zwar mit Konditionierungstechniken. Eine Kombination von systematischer Desensibilisierung in vivo für die Haupt- Neben der Angstbehandlung wurden so verschiedenartige beschwerde und einem schrittweisen In-vivo-Training Probleme wie Schreibkrampf, Tics oder Stottern behandelt. für die anderen Angstreaktionen außerhalb der Klinik Dabei waren vor allem die Veröffentlichungen Shapiros brachte einen Therapieerfolg, der auch bei der 5-Jah- (1961) zur experimentellen Einzelfallmethodik ein wich- res-Katamnese noch anhielt (Jones 1956, 1960). tiges Antriebselement. In der Regel beruhen Einzelfallun- tersuchungen auf einer Serie von Messungen bei einer kli- nisch relevanten Variablen in regelmäßigen Intervallen In den 1960er Jahren wurde die Anwendung von Behand- (Zeitreihe). An einem vorherbestimmten Punkt in dieser lungen auf Lernbasis am Maudsley Hospital von Rachman Serie erfolgt eine Intervention, und die Auswirkung dieser vorangetrieben, der zuvor mit Wolpe gearbeitet hatte und nun einen guten Kontakt mit der psychiatrischen Abteilung des Maudsley Hospitals hatte (Eysenck, persönliche Mittei- 2 Im Deutschen wird für das englische »exposure« sowohl der Begriff lung, September 1995). Rachman spielte auch eine ent- der Konfrontation als auch der der Exposition gebraucht. Im vor- scheidende Rolle bei der Entwicklung der Aversionsthera- liegenden Lehrbuch wird der Konfrontationsbegriff vorgezogen, da er die für die entsprechende Therapie wichtige aktive Betei- pie, der Verhaltensmedizin und insbesondere der Behand- ligung des Patienten und die Ausrichtung auf Bewältigung besser lung von Zwangsstörungen. Andere Kollegen an Kliniken beschreibt, als der möglicherweise eine eher passive »Aussetzung« in London und Oxford (Warneford Hospital) wie Gelder, nahelegende Begriff der Exposition. J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 15 1.3 · Historische Entwicklung 1

Intervention wird anhand der Veränderungen der Variab- und Arnold Lazarus zurück. Während z. B. Wolpe einen len ermittelt. Auf diese Weise kann die Wirkung einer Viel- solchen »Markenbegriff« zunächst noch ablehnte, waren sie zahl von Interventionsstrategien festgestellt werden. Später der Ansicht, dass die großen Unterschiede zu den traditio- wurden komplexe Versuchspläne entwickelt (Barlow u. nellen Ansätzen durch einen neuen Namen unterstrichen Hersen 1984), die es ermöglichten, Einzelfallexperimente werden sollten. Die erste öffentliche Verwendung des neu- als Teil klinischer Alltagsarbeit auf eine große Zahl von kli- en Begriffes, die auf breitere Resonanz stieß, erfolgte 1958 nischen und wissenschaftlichen Fällen anzuwenden. Ob- durch Eysenck im Rahmen eines Vortrages zum Thema wohl diese Methode grundsätzlich nicht auf kognitiv-ver- »Learning Theory and Behaviour Therapy« (veröffentlicht haltenstherapeutische Verfahren beschränkt ist, ist sie eine in Eysenck 1959). Hier zeigte sich die konfrontative Ver- enge Verbindung mit diesem Ansatz eingegangen und spielt marktungsstrategie Eysencks, der die fundamentale Kritik weiterhin eine Rolle in seiner Fortentwicklung. an bisherigen Methoden gezielt und polemisch mit einer Am Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre des teilweise überoptimistischen Sichtweise des neuen Ansatzes letzten Jahrhunderts verfügte die Verhaltenstherapie bereits verband. über eine breite Palette therapeutischer Möglichkeiten auf der Basis experimentalpsychologischer Erkenntnisse. Diese wurden rasch auch über den engeren Kreis aktiver Forscher 1.3.3 Der Einfluss operanter Verfahren international bekannt. Dazu trugen vor allem die Publika- tionen und die internationalen Berufungen der Grün- Der »Mainstream« der Verhaltenstherapie entwickelte sich dungspersönlichkeiten an Universitäten und klinische Ein- zunächst außerhalb Amerikas und nahm vielleicht auch richtungen bei. Das von Eysenck 1960 herausgegebene deshalb die Anwendungsmöglichkeiten des dort populären Buch Behaviour Therapy and the Neuroses beinhaltete be- operanten Ansatzes zuerst kaum wahr. Ein weiterer Grund reits Beiträge aus den USA, England, Südafrika und der lag wohl in der Tatsache, dass die operanten Forscher nicht Tschechoslowakei. Anfang der 1960er Jahre nahmen Wol- aus dem klinischen Bereich kamen. Skinner selbst war nie pe, Lazarus und Cyril Franks Professuren in den USA an. therapeutisch tätig. Aber auch diejenigen seiner Schüler, die 1963 gründete Eysenck die Zeitschrift Behaviour Research Ausflüge in den klinischen Bereich unternahmen, konzent- and Therapy, deren Herausgeberschaft später an Rachman rierten sich auch nicht ausschließlich darauf, sondern sahen überging. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde die neue stets auch Felder wie Erziehungswesen, Wirtschaft oder Bewegung auch unter dem Begriff »behaviour therapy« be- Verwaltung als Anwendungsbereiche ihrer Verfahren. kannt, wenngleich alternative Bezeichnungen (z. B. »beha- Bereits in den späten 1950er Jahren hatten Skinner und vior modification«, bevorzugt von den Vertretern des ope- Lindsley Anwendungsmöglichkeiten operanter Methoden ranten Ansatzes) vorlagen oder manche ihrer Vertreter das beschrieben. Entsprechende Behandlungen wurden jedoch althergebrachte »Psychotherapie« lediglich durch erläu- erst in den frühen 1960er Jahren und dann zuerst bei Kin- ternde Zusätze ergänzen wollten (z. B. Wolpes »psycho- dern und geistig behinderten Erwachsenen durchgeführt. therapy by reciprocal inhibition«). Die ersten klinischen Anwendungen sind mit den Namen Wer den Begriff wirklich als Erster prägte, lässt sich je- Charles Ferster, Ivar Lovaas, Donald Baer, Sidney Bijou, Le- doch kaum entscheiden. Dies hängt vor allem damit zu- onard Krasner, Leonard Ullman, Nathan Azrin und T. Ayl- sammen, dass es keine einzelne Gründerperson gab, son- lon verbunden. Die »operante« Gruppe hatte ein eigenes dern dass die Verhaltenstherapie eher als eine Bewegung an Netzwerk an Verbindungen und Publikationsmöglich- mehreren Orten in Südafrika, England und den USA zu- keiten aufgebaut. Sie verwendeten eine eigene, streng tech- gleich entstand. Aus diesem Grund kann auch kein genauer nizistische Fachsprache und beschränkten sich streng auf Zeitpunkt der Entstehung, sondern lediglich ein Zeitraum den engen Ansatz Skinners, dessen klinische Anwendung angegeben werden. Die Entstehung als Bewegung auf der sie als angewandte Verhaltensanalyse (»applied behavioral Basis der empirischen Psychologie unterscheidet die Ver- analysis«) oder als Verhaltensmodifikation (»behavior mo- haltenstherapie von allen anderen Formen der Psychothe- dification«) bezeichneten. Den Begriff der Verhaltensthera- rapie: Diese wurden regelmäßig von einzelnen charisma- pie lehnten sie dagegen ebenso wie den des Patienten ab. tischen Persönlichkeiten mit mehr oder weniger großer Eysenck, Rachman, Wolpe und ihre Kollegen wurden erst Distanz zur wissenschaftlichen Psychologie ins Leben geru- Anfang bis Mitte der 1960er Jahre auf die klinischen Arbei- fen. In dieser Art der Entstehung ist bereits der Kern der ten der amerikanischen operanten Schule aufmerksam. künftigen breiten »Grundorientierung« im Gegensatz zu Aber auch danach war der Kommunikationsfluss zwischen einer engen »Therapieschule« enthalten. Gleichzeitig kann beiden Gruppierungen eher zögerlich. Die Integration der diese Herkunft auch als wichtiger Schutz vor dogmatischer operanten Verfahren in die verhaltenstherapeutische Bewe- Erstarrung und Garant einer dynamischen Weiterentwick- gung verlief nicht ohne Probleme. Bis heute hat sich eine lung gesehen werden. Besser als die Erfindung lässt sich die kleine Gruppe von strikt operanten Forschern außerhalb Verbreitung des Etiketts »Verhaltenstherapie« zuordnen. der klinisch orientierten Verhaltenstherapie eine eigenstän- Seine weite Anwendung geht vor allem auf Hans J. Eysenck dige Tradition bewahrt (»applied behavior analysis« bzw. J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 16 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

»angewandte Verhaltensanalyse«). Erst seit den 1970er Jah- anderer ursprünglich als rein operant konzeptualisierter 1 ren werden die Begriffe Verhaltenstherapie und Verhaltens- Verfahren aufkommen lassen. So zeigte sich etwa, dass das modifikation als austauschbar betrachtet. Feedback und die spezifische Handlungsanleitung bei der Austeilung der »Münzen« die wichtigsten Faktoren in sol- chen Programmen waren. Trotzdem war die Entwicklung Insgesamt wird die Bedeutung operanter Verfahren vor solcher Programme sehr wichtig, weil sie einen umfas- allem von Nichtverhaltenstherapeuten stark überschätzt senden Behandlungsansatz in der Rehabilitation unter- (z. B. Mitscherlich »Rattenpsychologie«), obwohl sie als stützte. Dabei wurde der Gebrauch strukturierter sozialer alleinige Therapiemaßnahmen kaum zum Einsatz kom- Verstärker (Lob und Zuwendung seitens des Therapeuten) men. Gleichwohl haben sie einen festen Platz in Teilbe- in der klinischen Praxis stärker angenommen als der Ein- reichen der Verhaltenstherapie, etwa bei der Behand- satz von Münzen oder Symbolen. Zu Recht hat die Beto- lung kindlicher Verhaltensstörungen, geistiger Behinde- nung einer Veränderung und Strukturierung sozialer Inter- rungen oder chronischer hospitalisierter Patienten. aktion nach wie vor großen Einfluss auf die Behandlung schizophrener Patienten (vgl. auch Falloon et al. 1984; Hahlweg et al. 1994). Ein weiterer wichtiger Einfluss des Ganz allgemein unterstrichen Studien wie diejenigen zu operanten Ansatzes besteht in der Betonung der funktio- den »Token Economies« bzw. »Münzsystemen« (vgl. fol- nalen Analyse, die auf Skinners Ansatz zurückgeht, Verhal- genden Exkurs) die Bedeutung sozialer Verstärkung, be- ten durch das Studium der Bedingungen, unter denen es sonders als Unterstützung für langfristige Generalisierung auftritt, zu erklären. Die Bedeutung von Lebensbedin- und die Beibehaltung von erwünschtem oder akzeptiertem gungen, Umwelt und sozialen Beziehungen wurde bis da- Verhalten. Jüngere Untersuchungen haben allerdings Zwei- hin von den meisten psychotherapeutischen Schulen unter- fel an der theoretischen Basis etwa der Münzsysteme oder schätzt oder gar übersehen.

Exkurs »Skinnerians go clinical«: bei langzeithospitalisierten Patienten In einer frühen Anwendung operanter Verfahren auf psy- system« übersetzt), weil als Verstärker Symbole wie etwa chische Probleme von Erwachsenen wollte Ayllon psy- Münzen benutzt wurden. Diese konnten später für eine Rei- chotisches Verhalten bei chronischen hospitalisierten Pa- he von Privilegien eingetauscht werden, die den Patienten tienten verändern, die bis dahin als ungeeignet für psy- zur Wahl standen (Ayllon u. Azrin 1968). Die Token Economy chologische Maßnahmen galten. Er setzte Zigaretten und hatte einen großen Einfluss, weil sie erstmals deutliche po- Lob als Verstärker und den Entzug der Zuwendung zum sitive Wirkungen psychologischer Interventionen bei Pati- Patienten als Verhaltenskonsequenzen ein. Je nachdem, enten zeigte, deren Versorgung sich zuvor weitgehend in ob es verstärkt oder gelöscht wurde, nahm das unter- der bloßen »Aufbewahrung« erschöpfte. Wesentlich ist eine suchte abweichende Verhalten zu oder ab. Darauf aufbau- individuelle Anpassung der Verstärker und die Betonung end entwarfen Ayllon und Azrin 1961 eine stationäre Um- sozialer Beziehungen: Während es für den einen Patienten gebung, in der systematisch Verstärker zur Verhaltensver- als Verstärker wirken kann, allein in einem Einzelzimmer zu änderung eingesetzt wurden. Dieses System wurde essen, kann die gleiche Situation für einen anderen Pati- bekannt als »Token Economy« (deutsch meist mit »Münz- enten eine Bestrafung darstellen.

1.3.4 Konsolidierung und Erweiterung (Division 12, Section 3), und einer vorwiegend klinisch tätigen Gruppe, die unmittelbar von den Gründerpersön- Aufbauend auf der Gründung eigener Fachgesellschaften lichkeiten der Verhaltenstherapie wie Wolpe, Franks, Salter kam es zu einer ersten Konsolidierung der stürmischen oder Reyna geprägt waren. Als erster Präsident der Gesell- Entwicklungen. Die amerikanische AABT wurde 1966 in schaft wurde Cyril Franks gewählt, Vizepräsident war Wol- New York zunächst als »Association for the Advancement pe. Der Rat der Gesellschaft (»council«) bestand zu glei- of Behavioral Therapies« gegründet. Später wurde der Plu- chen Teilen aus Wissenschaftlern und Praktikern. Wäh- ral gestrichen und der Name in »Association for the Ad- rend die AABT rasch einen enormen Anstieg der vancement of Behavior Therapy« geändert. Die ersten Mit- Mitgliederzahl erlebte, wurde 1971 die europäische glieder stammten vorwiegend aus zwei Quellen: einer eher Schwestergesellschaft EABT (»European Association of akademisch verankerten Gruppe von Forscher-Klinikern Behaviour Therapy«) gegründet. Die Initiative ging hier mit Interesse an dem Thema »clinical psychology as an von Johannes C. Brengelmann aus, der nach langjähriger experimental science«, die in einer Untergruppe der Ame- Tätigkeit in England (bei Eysenck) und den USA seit 1967 rican Psychological Association (APA) organisiert waren Direktor und Leiter der psychologischen Abteilung am J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 17 1.3 · Historische Entwicklung 1

Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München war. bei Heckhausen in Bochum verbrachte und 1970 eine Wei- Brengelmann, der mehr als jeder andere für die Entwick- le in Münster als Gastdozent lehrte, wurden verhaltensthe- lung der Verhaltenstherapie in Deutschland unternahm rapeutische Methoden in Münster eingeführt. In Kemm- und darüber hinaus auch international stets äußerst aktiv lers Abteilung arbeiteten u. a. Gisela Bartling, Peter Fiedler, war, wurde der erste Präsident der EABT. Zuvor war bereits Wolfgang Fiegenbaum, Steffen Fliegel, Alexa Franke, Dirk 1968 die Gesellschaft zur Förderung der Verhaltensthera- Hellhammer, Margarete Reiss, Dietmar Schulte, Dieter pie (GVT) gegründet worden, die bereits 1969 rund 450 Vaitl und Dirk Zimmer. Eine wichtige Funktion bei der Mitglieder hatte. Der erste Vorstand der GVT bestand aus Entwicklung der Verhaltenstherapie hatten ebenfalls Johannes Brengelmann, Peter Gottwald, Jarg Bergold und sehr früh schon Lilian Blöschl (damals Düsseldorf), Re- Eibe-Rudolf Rey, Herausgeber der GVT-Mitteilungen war nate Frank in Gießen, Dieter Kalinke in Heidelberg, Rainer Wolfgang Tunner. Die Mitgliedschaft der verschiedenen Lutz in Marburg, Jürgen Mehl in Ost-Berlin und Hans- europäischen Verhaltenstherapiegesellschaften in der Georg Zapotoczky in Wien. Die Gründung der ÖGVT EABT rekrutierte sich anfänglich aus ähnlichen Quellen (Österreichische Gesellschaft für Verhaltensforschung, wie bei der AABT, nämlich vorwiegend akademisch-for- Verhaltensmodifikation und Verhaltenstherapie) erfolgte scherisch tätigen klinischen Psychologen und Praktikern 1971. Den ersten Vorstand bildeten Peter Berner, Giselher mit engem Kontakt zu den Gründungszentren wie London Guttmann und Hans-Georg Zapotoczky, kooptiert war oder München. Die »offizielle« Gründung der EABT er- u. a. Lilian Blöschl. Ein erster Intensivkurs durch Victor folgte im Rahmen eines Kongresses in München, der von Meyer aus London fand im November 1971 statt. Ebenfalls über 1200 Teilnehmern aus 14 verschiedenen Ländern be- schon Anfang der 1970er Jahre kam Jürgen Mehl in sucht wurde. Ost-Berlin durch die Übersetzung von Eysencks Schriften Die Entstehung der Verhaltenstherapie im deutsch- zur Verhaltenstherapie. Entgegen aller Anfeindungen ei- sprachigen Raum erfolgte parallel an mehreren Orten ner als behavioristisch wahrgenommenen Therapie leiste- Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre des letzten Jahr- te er einen wesentlichen Beitrag dazu, dass neben der Ge- hunderts. Eine besondere Rolle spielte dabei München. sprächstherapie die Verhaltenstherapie in der DDR aufge- Dort war zum einen die bereits genannte psychologische baut werden konnte. Auch Mehl hatte schon früh Kontakt Abteilung des Max-Planck-Institutes für Psychiatrie unter zu Lilly Kemmler in Münster. Viele der Mitarbeiter aus den Brengelmann sehr aktiv. Mitglieder dieser und benachbar- genannten Orten übernahmen später anderswo Profes- ter Abteilungen waren im Laufe der Jahre u. a. Udo Brack, suren und bildeten ihrerseits Nachwuchs aus, hier wird Renate DeJong, Heiner Ellgring, Roman Ferstl, Kurt Hahl- jedoch nur auf die Entwicklungen bis Anfang der 1970er weg, Götz Kockott, Dirk Revenstorf, Eibe-Rudolf Rey, Rita Jahre eingegangen3. Ullrich-de Muynck und Rüdiger Ullrich. Schon 1966 hatte Zur Konsolidierung trugen auch die stark anwachsen- Peter Gottwald in der Kinderpsychiatrie des Max-Planck- den Forschungsarbeiten mit vielfältigen Publikationen in Institutes mit operanten Verfahren gearbeitet, und 1969 Fachzeitschriften und Büchern sowie die ersten Ausbil- verbrachte mit Ivar Lovaas (UCLA) einer der Pioniere die- dungs- und Trainingsangebote bei. In den 1970er Jahren ser Verfahren dort 6 Monate. Zum anderen waren schon in kam daher die Verhaltenstherapie zu ihrer ersten vollen den 1960er Jahren auch Mitarbeiter der Münchner Univer- Blüte, wobei viele neue Techniken entwickelt und experi- sität wie Jarg Bergold, Irmela Florin, Wolfgang Tunner und mentell untersucht wurden. Gegen Ende des Jahrzehnts später Niels Birbaumer bei Lazarus, Rachman und Wolpe waren diese Behandlungsansätze weithin akzeptiert. Ver- in verhaltenstherapeutischen Verfahren geschult worden. haltenstherapeutische Verfahren wurden die Methode der Der Aufbau einer verhaltenstherapeutischen Ambulanz an Wahl bei einer Vielzahl von Problemen wie Phobien, Zwän- der Klinischen Psychologie der Münchner Universität be- gen, sexuellen Funktionsstörungen oder der Rehabilitation gann bereits 1966, dort arbeiteten u. a. Jarg Bergold und chronischer Patienten. Insgesamt war dieser Zeitabschnitt Karl-Herbert Mandel. Nach einem kurzen Aufenthalt in auch gekennzeichnet durch die Weiterentwicklung der München wechselte Rudolf Cohen an die Universität existierenden Techniken (z. B. die Verkürzung der Zeit- Konstanz und baute dort ab 1969 mit Irmela Florin, Susan- spanne für Konfrontationstherapien zur Angstbehandlung ne Davies-Osterkamp, Anselm Grusche und Helmut oder die Entwicklung abgekürzter Formen der Entspan- Sell eine stationäre Verhaltenstherapie auf. 1969 wurde die nung) sowie die Einführung neuer Ansätze (z. B. Selbstsi- Verhaltenstherapie erstmals auf der TEAP, der Tagung cherheitstherapie in Gruppen, Verhaltenstherapie der De- der experimentell arbeitenden Psychologen, in Bern vor- pression). gestellt (Teilnehmer u. a. Bergold, Florin, Gottwald, Rey, Tunner). 3 Ein weiteres frühes Zentrum der Entwicklung war Hier können nicht alle wichtigen Personen erwähnt werden. Auch an anderen Orten fanden bedeutende Entwicklungen statt. Die Münster, wo unter der Leitung von Lilly Kemmler eine sehr kurze Auswahl spiegelt selbstverständlich die persönlichen Erfah- aktive klinisch-psychologische Abteilung entstand. Unter rungen des Autors mit Stationen (unter anderem) in München, Kiel, anderem durch Frederick Kanfer, der 1968 ein Sabbatical Tübingen, Marburg, Münster und Dresden wider. J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 18 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

therapie hatte aber vor allem die Übernahme des sog. »Drei- 1 Die Sexualtherapie entwickelte sich weniger aus der Ebenen-Ansatzes«. Peter Lang, Rachman und andere ver- behavioralen Forschung zu sexuellen Störungen, son- traten die Ansicht, dass psychologische Reaktionen und dern vor allem auf der Basis der Arbeiten von Masters diesbezügliche Probleme als lose miteinander verbundene und Johnson zur Physiologie der sexuellen Reaktionen. Reaktionssysteme oder »Ebenen« verstanden werden müs- Auch wenn dieser Ansatz zunächst unabhängig ent- sen. Zur Klassifikation schlugen sie eine Dreiteilung in ver- stand, teilte er doch von Anfang an die Betonung der haltensmäßige, kognitiv/affektive und physiologische Re- konkreten Operationalisierung von Behandlungsstrate- aktionen vor. Obwohl diese Systeme untereinander verbun- gien und ihrer empirischen Überprüfung mit der Ver- den sind, verändern sie sich nicht unbedingt zur gleichen haltenstherapie. Vor allem aus diesem Grund kam es zu Zeit, in der gleichen Weise oder in der gleichen Richtung. einer raschen Integration der Sexualtherapie in die Ver- Das Auseinanderklaffen der Reaktionsebenen wird nach haltenstherapie. Dies ist ein weiteres Beispiel für den Rachman und Hodgson (1974; Hodgson u. Rachman 1974) Charakter der Verhaltenstherapie als einer empirisch- »Desynchronie« genannt. Empirisch sind desynchrone Re- psychologisch ausgerichteten Grundorientierung. aktionen eher die Regel als die Ausnahme. Diese Alternative zu einer einheitlichen Sicht psycholo- gischer Probleme war wichtig, weil dadurch die weite Skala Eine weitere Verbreiterung des verhaltenstherapeutischen der von Patienten berichteten Symptommuster erklärt und Ansatzes war die Entwicklung der Verhaltensmedizin eine systematischere und präzisere Beurteilung von Be- (»behavioral medicine«), ein Begriff, der von Birk (1973) handlungsergebnissen möglich wurde. Auch differenzielle ursprünglich als Beschreibung der Anwendung von Bio- Behandlungseffekte können dadurch beachtet werden: So feedback auf medizinische Störungen eingeführt wurde. dürften etwa Entspannungsübungen von sich aus eher die Beim lernen die Patienten die Beherrschung physiologischen als die behavioralen oder kognitiven As- auch unwillkürlicher physiologischer Reaktionen, indem pekte einer Störung unmittelbar beeinflussen. Darüber hin- sie über die relevanten Veränderungen in ihrem physiolo- aus wurde unter dem »Deckmantel« einer noch weitgehen- gischen System sofort extern informiert werden (z. B. den behavioristischen, reaktionsorientierten Sprache die durch auditorisches oder visuelles Feedback). Die Verhal- Bedeutung des Erlebens neben dem Verhalten etabliert. Die tensmedizin dehnte sich später auf ein wesentlich weiteres Klassifikation nach Lang oder Rachman ist häufig kritisiert Feld aus, so dass heute darunter generell die Anwendung worden. In der Tat gibt es a priori keinen Grund, drei Ebe- empirisch-psychologischer Erkenntnisse und Verfahren nen anstelle von z. B. vier oder mehr Systemen anzuneh- auf Krankheiten rein körperlicher Art (z. B. schmerzhafte men. Manche Autoren argumentieren, dass es besser sei, Verbrennungen, Tumorschmerzen), Störungen mit einer zwischen einem kognitiven und einem affektiven System zu möglichen bzw. partiellen psychischen Ätiologie (z. B. ent- unterscheiden, woraus sich ein Vier-Ebenen-Ansatz ergä- zündliche Darmerkrankungen) oder die Beeinflussung be. Andere Autoren wie etwa Fahrenberg wiesen auf die von Risikofaktoren (z. B. Rauchen, Ernährung, Bewegung) Vielzahl empirischer Befunde hin, die die Annahme einer verstanden wird. Die Verhaltensmedizin ist mittlerweile zu einheitlichen physiologischen Reaktionsebene in Frage einem so großen eigenen Feld herangewachsen und so eng stellen. Wesentlich ist aber, dass die monistische, eindimen- mit den medizinischen Aspekten der verschiedenen sionale Sicht menschlicher Reaktionen überwunden wur- Krankheiten verflochten, dass ihre adäquate Darstellung de. Heutzutage ist die Mehr-Ebenen-Betrachtung mit ihrer den Rahmen eines Lehrbuches der Verhaltenstherapie Betonung der Desynchronie allgemein anerkannt, wenn- sprengen würde. Sie ist daher nicht Gegenstand des vorlie- gleich die konkreten Klassifikationsansätze noch immer genden Buches. umstritten sind. In der Praxis hat sich allerdings die Drei- Eine weitere wichtige Entwicklung bestand in der zu- teilung Langs (1971) als (wenngleich simplifizierender) nehmenden Überwindung der engen Grenzen des behavi- Standard etabliert. oristischen Erbes der frühen, stark lerntheoretisch ausge- Gegen Ende der 1970er Jahre war die Brauchbarkeit der richteten Verhaltenstherapie. Streng genommen beinhalte- Verhaltenstherapie allgemein anerkannt. Da die Forscher te ja bereits die Zwei-Faktoren-Theorie, mit der Mowrer, auf diesem Feld nun nicht mehr die grundsätzliche Effizi- Miller und andere die Entstehung von Phobien erklärten, enz der Verhaltenstherapie beweisen mussten, begannen eine Abkehr vom »reinen« Behaviorismus, da mit der Idee einige von ihnen, ihre Aufmerksamkeit auf jene Patienten der negativen Verstärkung phobischen Vermeidungsver- zu lenken, denen mit Verhaltenstherapie nicht zu helfen haltens durch Angstreduktion die Annahme eines nicht war, selbst wenn sie kompetent angewandt wurde. Diese direkt beobachtbaren, »mentalen« Zustandes – eben der Untersuchungen kulminierten in dem ersten psychothera- Angst – verbunden war. Außerdem hatten etwa Eysenck peutischen Fachbuch zum Thema Misserfolge (Foa u. Em- und Brengelmann stets die Rolle der Persönlichkeit sowie melkamp 1983). Schon in den späten 1960er und frühen biologischer und genetischer Faktoren anerkannt. Wesent- 1970er Jahren zeigte sich eine beginnende Unzufriedenheit lichen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Verhaltens- mit den strikt behavioralen Grundsätzen der frühen Jahre. J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 19 1.3 · Historische Entwicklung 1

Besonders Lazarus (1971) kritisierte die »mechanistische« Begrifflichkeit der frühen Verhaltenstherapie. Er argu- Modelllernen als ein Ursprung der kognitiven mentierte, dass die Vielzahl der verhaltenstherapeutischen Wende in der Verhaltenstherapie Maßnahmen nicht einfach in Begriffen der Lerntheorie zu Banduras Arbeiten über Lernen durch Nachahmung fassen sei und schlug die Einführung einer »Breitspekt- lenkten die Aufmerksamkeit auf kognitive Faktoren in der rum-Verhaltenstherapie« vor, in die Techniken mit empi- Verhaltenstherapie. Beim Modelllernen erwirbt das Indivi- risch belegter Wirksamkeit ohne Rücksicht auf ihre theo- duum neue Verhaltensweisen, indem es eine andere Per- retische Herkunft integriert werden sollten. In der Praxis son bei diesem Verhalten beobachtet. Modelllernen ist wurde dieser Ansatz von immer mehr Klinikern aufgegrif- am effektivsten, wenn der Beobachter anschließend das fen. Eine weitere wichtige Entwicklung dieser Zeit stellte betreffende Verhalten selbst ausführt, aber dies ist keine der Versuch dar, verhaltenstherapeutische Theorien und unabdingbare Voraussetzung. Eine unmittelbare Verstär- Techniken für die Anwendung auf andere psychische Pro- kung des Beobachters kommt daher nicht als Ursache des bleme, insbesondere Depressionen, zu entwickeln. Nach- Lernens in Frage. Später entwickelte Bandura ein Modell dem Ferster und Lewinsohn annahmen, dass Depression der Selbstregulation, »self efficacy« genannt, das von dem auf einen Mangel an positiver Verstärkung zurückzufüh- Gedanken ausgeht, dass jede bewusste Verhaltensände- ren sei, wurde als Therapiemaßnahme versucht, die Rate rung auf der Überzeugung der Person von ihrer Fähigkeit, positiver Verstärkung zu erhöhen. Der Erfolg blieb jedoch das konkrete Verhalten auszuüben, beruht. Die rigorose begrenzt – vielleicht, weil selbst diejenigen Patienten, die empirische Methodik der Arbeiten Banduras erleichterten potenziell verstärkende Aktivitäten ausführten, ihre An- ihre Akzeptanz auch bei ursprünglich behavioristisch aus- strengungen und ihren Erfolg meist negativ beurteilten. So gerichteten Forschern und Praktikern. wurde die Bedeutung kognitiver Faktoren zunehmend deutlicher. Die Unzufriedenheit mit den strikt behavio- ralen Ansätzen führte zu Versuchen, zusätzlich zu den Vermutlich war das Selbstinstruktionstraining Meichen- existierenden Techniken kognitive Maßnahmen einzufüh- baums (1975) der erste kognitive Ansatz, der bei Verhal- ren. Dadurch wurde der Weg für die systematische Integra- tenstherapeuten anerkannt wurde. Die Popularität dieses tion dieser Methoden und die Neuentwicklung eigener Ansatzes kann auf seine einfache theoretische Basis und kognitiv-behavioraler Ansätze frei. seine Ähnlichkeit mit dem operanten Konzept der »cover- ants« zurückgeführt werden.

1.3.5 Das Zusammenwachsen kognitiver und behavioraler Ansätze Heilende Selbstgespräche und behavioristische Terminologie Langs Theorie von drei relativ unabhängig voneinander Meichenbaum vertrat die Meinung, dass eine Verhal- bestehenden Reaktionssystemen hatte die Akzeptanz tensänderung herbeigeführt werden kann, wenn man kognitiver Ideen im verhaltenstherapeutischen Ansatz die Instruktionen verändert, die Patienten sich selbst begründet. Auch im Kontext der empirischen Psycholo- geben. Dabei sollen unangepasste und negative Gedan- gie war die Relevanz kognitiver Variablen immer mehr ken in angemessenere Selbstgespräche verändert wer- anerkannt worden (»kognitive Wende«). Die verzögerte den. Es ist sicher kein Zufall, dass das Selbstinstruktions- Akzeptanz kognitiver Gesichtspunkte im Bereich der training zunächst bei impulsiven Kindern eingesetzt Verhaltenstherapie ist wahrscheinlich in dem fortbeste- wurde. Der innere Monolog und das Denken der Kinder henden Einfluss von Watsons Zurückweisung der Intro- wurden als Selbstverbalisationen bezeichnet und den spektion und in der Erfahrung mit den Missbrauchsmög- Coverants der operanten Terminologie gleichgesetzt. lichkeiten bzw. mangelnden Erfolgen zu einseitig ausge- Unter Coverants verstand man ein »verdecktes« (eng- richteter »Redekuren« begründet. Darüber hinaus dürfte lisch: »covert«) operantes Verhalten. Der Kunstbegriff auch die polemische Position, die Verhaltenstherapeuten »coverant« entstand aus der Zusammenziehung der in der Gründungsphase gegenüber anderen Psychothera- Wörter »covert« und »operant«. Mit Hilfe dieser Termi- pien einnahmen, es schwer gemacht haben, identitätsstif- nologie schlichen sich mentale Inhalte in die von Skin- tende Grenzen aufzugeben. Neben Banduras Arbeiten zum ner ja ganz anders konzipierte operante Bewegung ein. Modelllernen (vgl. Box) übte auch das wachsende Interes- se am Konzept der Selbstkontrolle einen wichtigen Einfluss aus. Der Dreiklang von Selbstbeobachtung, Selbstbewer- Die außerhalb der verhaltenstherapeutischen Bewegung als tung und Selbstverstärkung war Anstoß für viele For- eigenständige Ansätze entwickelten kognitiven bzw. ratio- schungsarbeiten, in denen kognitive Konstrukte, ein- nal-emotiven Therapien von Beck (1967) und Ellis (1962) schließlich Attribution und Selbstinstruktion, untersucht wurden dagegen sehr viel zögernder übernommen, gehö- wurden. ren aber heute zu den wichtigsten kognitiven Ansätzen. J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 20 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

Noch bis weit in die 1970er Jahre hinein wurden kognitive »alten« EABT im portugiesischen Coimbra. Ob die Erzie- 1 und behaviorale Ansätze als getrennte »Schulen« angese- lung der »inneren Einheit« von kognitiven und behavioralen hen. Dies führte zu teilweise unsinnigen Abgrenzungen Therapeuten und Forschern ebenso lange Zeit benötigen oder dem Versuch, der anderen Schule nachzuweisen, sie wird wie die zwischen Ost- und Westdeutschland, kann der- verwende insgeheim doch »eigentlich« von der jeweils an- zeit nicht abgeschätzt werden. Die Tatsache, dass die kogni- deren Schule reklamierte Methoden. Erst in den 1980er tiven Ansätze von Anfang an mit ihrem Bemühen um Ope- Jahren wuchs auch in der Verhaltenstherapie »zusammen, rationalisierung, experimentelle Forschung und systemati- was zusammengehört« und erst 1995 fand in Kopenhagen sche Wirksamkeitsnachweise sowie ihrem rationalen, der erste gemeinsame »World Congress of Behavioural and pragmatischen Vorgehen die Grundorientierung der Ver- Cognitive Therapies« statt. Ein weiterer Ausdruck der Ver- haltenstherapie teilten, stimmt jedoch optimistisch. Den- einigung ist die Umbennenung der EABT in »European noch ist die Entwicklung nicht ohne Kritiker geblieben (z. B. Association for Behavioural and Cognitive Therapies« »paradigm lost« von Krasner, der den Verlust des klaren (EABCT) im Jahre 1992 anlässlich des 22. Kongresses der operanten Paradigmas eloquent betrauert).

Exkurs Die Therapie der Depression: Ein idealer Ausgangspunkt für kognitive Therapien? Ursprünglich wurde Becks kognitive Therapie hauptsächlich ches Ereignis sein, das zusammen mit der oben genannten auf Depressionen angewandt. Im Gegensatz zu der traditio- Annahme sehr bedenkliche Folgen haben würde: Das Durch- nellen psychiatrischen Auffassung der Depression vertrat fallen könnte zur Entstehung negativer automatischer Gedan- Beck die Meinung, dass das bei dieser Störung so dominante ken führen, wie »Ich bin wertlos« oder »Ich bin ein Versager«. negative Denken nicht nur ein Symptom ist, sondern eine Solche Gedanken drücken die Stimmung, was wiederum die zentrale Rolle für die Aufrechterhaltung der Depression Wahrscheinlichkeit weiterer negativer automatischer Gedan- spielt. Dementsprechend sollten Depressionen dadurch be- ken erhöht. Hierdurch entsteht ein Circulus vitiosus mit der handelt werden können, dass man den Patienten dazu ver- Tendenz, die Depression aufrechtzuerhalten. Bei einer depri- hilft, ihre negativen Gedanken zu erkennen und zu verän- mierten Person übt ein Netz von kognitiven Verzerrungen ei- dern. Beck nahm an, dass negatives Denken in der Depressi- nen starken Einfluss auf die alltäglichen Aktivitäten des Indivi- on in Annahmen begründet ist, die seit der Kindheit duums aus. Diese sog. kognitive Triade beinhaltet eine negati- niedergelegt wurden. In vielen Situationen können diese ve Sicht des Selbst, der Welt und der Zukunft. Einmal Annahmen hilfreich sein und Verhalten beeinflussen. Zum entstanden, können weitere kognitive Verzerrungen solche Beispiel ist eine Annahme wie »Um wertvoll zu sein, muss Einstellungen bestärken. So ließ sich nachweisen, dass Pati- ich Erfolg haben« geeignet, beträchtliche positive Aktivität enten gezielt Ereignisse auswählen oder erinnern, die das ne- zu mobilisieren. Gleichzeitig macht diese Annahme das Indi- gative Selbstbild verstärken. Später dehnten Beck und seine viduum jedoch auch verwundbar im Falle kritischer Ereig- Schüler die Anwendung der kognitiven Therapie auch auf an- nisse. So kann z. B. ein nicht bestandenes Examen ein sol- dere Probleme wie Ängste oder Persönlichkeitsstörungen aus.

Die moderne Form der kognitiven Verhaltenstherapie 1.3.6 Kontinuierliche Weiterentwicklung nimmt die durch die Bezeichnung nahegelegte Integration kognitiver und behavioraler Ansätze ernst. Generell soll dem Ein wichtiger Aspekt der Weiterentwicklung der Verhaltens- Patienten dazu verholfen werden, seine individuelle Ver- therapie war die Professionalisierung der Ausbildung im knüpfung verzerrten Denkens und nicht zielführenden Ver- Rahmen der nationalen Regelungen. Inzwischen gibt es in haltens zu erkennen. Systematische kognitive Bearbeitung Deutschland, Österreich und der Schweiz flächendeckend und sorgfältig strukturierte Verhaltensaufgaben sollen ihm universitäre und private Ausbildungsgänge, die mit hohem dazu verhelfen, in beiden Bereichen Probleme zu erkennen qualitativen Anspruch Diplom- oder Master-Psychologen und zu verändern. Inzwischen wurden bereits kognitiv-ver- und immer häufiger auch Ärzte in Verhaltenstherapie weiter- haltenstherapeutische Behandlungen für die meisten im bilden (7 Kap. I/55). Daneben existieren überregionale Fort- psychiatrischen Alltag vorkommmenden Störungen entwi- bildungsangebote wie etwa die vom Institut für Therapiefor- ckelt. Bei einigen Aspekten der Behandlung dominiert der schung (IFT) in München organisierten Verhaltenstherapie- behaviorale Anteil, bei anderen mehr der kognitive. Darüber wochen, die Workshopkongresse der Fachgruppe Klinische hinaus wiesen eine Vielzahl von Ergebnissen der Prozess- Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft und Veränderungsforschung darauf hin, dass auch bei klas- für Psychologie (DGPs) und anderer Fachgesellschaften oder sischerweise als behavioral angesehenen Verfahren wie etwa regionale Fortbildungskongresse. Auch auf europäischer der Konfrontationstherapie kognitive Prozesse als zentrale Ebene liegen Konzepte für die Vereinheitlichung und Profes- Veränderungsmechanismen angesehen werden müssen. sionalisierung der Ausbildung in Verhaltenstherapie vor. J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 21 1.4 · Empirische Überprüfung 1

Zu den wichtigen Errungenschaften der modernen Ver- erwarten, dass auch in Zukunft wesentliche Änderungen haltenstherapie gehört die Entwicklung von speziellen The- und Modifizierungen der gegenwärtigen Ansätze erfolgen rapieprogrammen für fast alle psychischen Störungen sowie werden, zumal ständige Überprüfung und Weiterentwick- zentrale Problemfelder unterhalb der Störungsschwelle. Die lung prägende Merkmale der Verhaltenstherapie sind. Programme werden häufig in Form von konkreten Thera- piemanualen dargestellt, um die Anwendung zu erleichtern. Entstanden waren Therapiemanuale ursprünglich im For- 1.4 Empirische Überprüfung schungsbereich als pragmatisches Mittel zur Vereinheitli- chung von Therapiemethoden in klinischen Studien. Dort 1.4.1 Eine schwierige Ausgangslage galten sie rasch als eine Voraussetzung für die Anerkennung von Therapieverfahren als »wissenschaftlich etabliert«, wie Die Psychotherapieforschung ist vom Regen in die Traufe ge- nicht zuletzt die »Task Force on Promotion and Dissemina- kommen: Nachdem lange Zeit ein großer Mangel an Befun- tion of Psychological Procedures« der American Psychologi- den beklagt werden musste, ergab sich seit den 1980er Jahren cal Association wiederholt festgestellt hat. Darüber hinaus das entgegengesetzte Problem. Nicht zuletzt durch den Ein- fanden Therapiemanuale jedoch auch im Praxissektor fluss der Verhaltenstherapie lag eine solche Vielzahl von Stu- schnell eine weite Verbreitung. Therapie ist konkretes Han- dien zur Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren vor, deln, wenngleich manche fachlichen Abhandlungen dieses dass die dringend erforderliche Aggregation der Befunde kaum erkennen lassen. Angesichts der großen Zahl eher abs- über die verschiedenen Studien hinweg sehr schwierig wurde trakter Texte besteht ein Bedarf an konkreten Schilderungen (vgl. Box »Sekundäranalyse«). Nicht mehr bezweifelt werden des praktischen Vorgehens. Dieser Bedarf wird heute von kann die allgemeine Aussage, dass die Verhaltenstherapie die einer großen und stetig wachsenden Zahl von Therapiema- mit weitem Abstand am besten empirisch abgesicherte Form nualen gedeckt, wie etwa die erfolgreiche Reihe »Fortschritte von Psychotherapie ist. Rein quantitativ liegen zu verhaltens- der Psychotherapie« mit ihren fast 40 Bänden zeigt. therapeutischen und kognitiven Verfahren über zehnmal Es ist ein bemerkenswertes Kennzeichen der Verhal- mehr kontrollierte Therapiestudien vor, als für alle anderen tenstherapie, dass die Weiterentwicklung allen bisher er- Formen von Psychotherapie zusammen. Selbst für manche reichten Erfolgen zum Trotz auch ein halbes Jahrhundert verhaltenstherapeutische Einzelverfahren gilt, dass sie für nach den Anfängen noch immer ungebrochen anhält. Ein sich allein bereits häufiger untersucht wurden, als jeweils die Ausruhen auf den Erfolgen ist nicht zu beobachten, statt- ganze Gruppe der psychoanalytischen oder der humanisti- dessen finden sich bedeutsame Neuentwicklungen wie schen Therapieverfahren. Zudem wurden die verhaltensthe- achtsamkeitsbasierte Verfahren (»mindfulness«) und rapeutischen Verfahren für das breiteste Spektrum psy- Schematherapie (7 Kap. I/35 und I/41), die rapide Erweite- chischer Störungen untersucht, wobei die ganz große Mehr- rung der Therapieprogramme für Kinder und Jugendliche heit aller Befunde positive Veränderungen zeigte. Allerdings sowie die Entwicklung standardisierter Materialien für die greift eine pauschale Aussage zu kurz, da in jedem Fall die Art therapeutische Praxis. Hier liegt auch der Grund für die der behandelten Probleme berücksichtigt werden muss. Und Erweiterung des Lehrbuches der Verhaltenstherapie durch natürlich folgt aus der größeren Zahl von Studien nicht auto- die Einführung der beiden neuen Bände 3 (»Kinder und matisch eine größere Wirksamkeit hinsichtlich des Vergleichs Jugendliche«) und 4 (»Therapiematerialien«). Die histo- mit anderen Therapieformen. Eine genauere Betrachtung ist rische Betrachtung zeigt, welche Entwicklungslinien zur also vonnöten, wobei keinesfalls die gesamte Thematik der Anerkennung des Nutzens kognitiv-verhaltenstherapeu- Psychotherapieforschung aufgenommen (7 Kap. I/4), sondern tischer Ansätze bei den meisten psychischen Störungen lediglich auf die Befundlage zur Wirksamkeit der Verhaltens- geführt haben. Gleichzeitig lässt die bisherige Entwicklung therapie eingegangen werden soll.

Sekundäranalyse: Wie können Therapiestudien sinnvoll zusammengefasst werden? Die bisher wichtigsten Ansätze zur Gesamtbewertung des Autors oder Beurteilers. Darüber hinaus macht die verschiedener Therapieverfahren können grob in drei ständig zunehmende Zahl an Publikationen einen Ge- Gruppen eingeteilt werden: samtüberblick durch eine oder wenige Personen sehr 4 Narrative Übersichtsarbeiten: schwierig, wenn nicht mittlerweile sogar unmöglich. Hier wird einfach eine intuitive Zusammenschau der 4 Box-Score-Methode: bisherigen Studien zum ausgewählten Thema gege- Dieses um mehr Systematisierung und Quantifizierung ben und daraus eine Bewertung abgeleitet. Ein we- bemühte Verfahren erwuchs aus der berechtigten Kritik sentlicher Nachteil dieses Verfahrens ist die mögliche an der Subjektivität der »narrativen Übersicht«. Dabei (und in der Regel sehr reale) subjektive Verzerrung handelt es sich um das einfache Abzählen signifikanter 6

J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 22 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

1 Effekte, das allerdings ebenfalls so wesentlichen Ein- Die Effektstärke sagt aus, um wie viel Standardabwei- schränkungen unterliegt, dass seine Verwendung chungen der Mittelwert einer Versuchsgruppe von dem fragwürdig ist. Von besonderer Bedeutung ist hier das einer Kontrollgruppe abweicht. Alle berechneten Ef- Problem der geringen statistischen Power der meis- fektstärken werden dann gemittelt, so dass diese »inte- ten Psychotherapiestudien. Der schwierige Proban- grierte Effektstärke« einen globalen Index der Therapie- denzugang und die meist aufwendigen Untersu- effekte darstellt. Diese Methode macht es möglich, chungsmethoden bewirken typischerweise so ge- auch Studien mit verschiedenen Erhebungsmaßen di- ringe Stichprobengrößen, dass auch praktisch rekt miteinander zu vergleichen. Einzuwenden ist hier relevante Effekte nicht mehr mit hinreichender Si- jedoch, dass bei der typischen Metaanalyse die metho- cherheit festgestellt werden können. Zudem geht bei dische Qualität der Untersuchung nicht mit in das Ver- der bloßen Betrachtung von Signifikanzen die Infor- gleichsmaß eingeht und selbst die klinische Relevanz mation über die Stärke der Effekte verloren. Weiterhin der Ergebnisse (z. B. klinische Stichprobe oder Analog- ist es unsinnig, Studien mit unterschiedlicher metho- Population) häufig unberücksichtigt blieb. Generell ist discher Güte oder verschieden wichtigen Therapieer- der Nutzen von Metaanalysen umstritten, da Ergeb- folgsmaßen mit gleichem Gewicht zu werten. nisse aus z. T. sehr unterschiedlichen Quellen zusam- 4 Metaanalyse: mengeworfen werden und die Analyse sich sehr weit Dieses letztere Problem stellt sich auch für die sog. von der Datenbasis entfernt. Trotz der Kritik hat sich die Metaanalyse, auf die die Power-Problematik der Ab- Metaanalyse als objektiv-statistisches Verfahren zur Zu- zählmethode nicht zutrifft und die außerdem die der- sammenfassung heterogener Befunde über verschie- zeit objektivste Methode zur Zusammenfassung von dene Studien hinweg mittlerweile auch in weit von ih- Befunden aus mehreren Studien darstellt. Bei der Me- rem ursprünglichen Einsatzbereich in der Psychothera- taanalyse wird zunächst für jedes in einer Untersu- pieforschung entfernten Forschungsgebieten chung erhobene Maß eine »Effektstärke« berechnet. eingebürgert.

1.4.2 Ergebnisse der Wirksamkeitsforschung den zu den gleichen Ergebnissen gelangten wie die zitierten Metaanalysen. Auch unter Berücksichtigung aller metho- Nach einem halben Jahrhundert intensiver Forschung lie- discher Kritikpunkte (z. B. ausschließliche Berücksichti- gen umfassende Belege für die Wirksamkeit verhaltensthe- gung von unmittelbaren Wirkvergleichen in derselben Stu- rapeutischer Verfahren vor. Diese wurden weitaus häufiger die, Beachtung der verschiedenen Arten von Erfolgsmaßen, der empirischen Prüfung unterzogen, und sie zeigten be- Begrenzung auf bestimmte Störungsbilder, strengere oder reits in den ersten Metaanalysen deutlich größere Effekt- liberalere methodischen Mindesteinschlusskriterien etc.) stärken als andere Psychotherapieverfahren (Smith et al. ergibt sich stets das gleiche Bild: Die Verhaltenstherapie ist 1980; Shapiro u. Shapiro 1982; Nicholson u. Berman 1983; am breitesten abgestützt und weist im Durchschnitt die bes- Wittmann u. Matt 1986). Von großer Bedeutung sind neben ten Therapieerfolge auf. den Metaanalysen auch die Ergebnisse der »Task Forces« Die im deutschen Sprachraum wirkungsmächtigste der American Psychological Association (APA) zu den sog. Auswertung der Psychotherapieforschung stammt von »empirically supported treatments« (Chambless u. Ollen- Grawe et al. (1994). Anders als frühere Metaanalysen hatten dick 2001), die praxisorientierte Literaturauswertung von Grawe et al. (1994) die methodische Qualität der Studien Roth und Fonagy (1996, vgl. Fonagy u. Roth 2004), die je- ausgewertet, die unterschiedlichen Arten von Erfolgsma- weils aktuelle Auflage von Bergin and Garfield‘s Handbook ßen wertfrei berücksichtigt und alle bis 1983 erschienenen of and Behavior Change (vgl. Lambert 2004), kontrollierten Therapiestudien vollständig erfasst. . Tab. 1.1 die Leitlinien zur Therapie von Kindern und Jugendlichen zeigt die Anzahl der kontrollierten Therapiestudien, die (Schneider u. Döpfner 2004), die Literaturauswertung im von Grawe et al. (1994) für die verschiedenen Klassen von Auftrag des britischen Gesundheitsministeriums (UK De- Therapieverfahren sowie für die einzelnen verhaltensthera- partment of Health 2001) sowie die Gutachten des Wissen- peutischen Verfahren gefunden wurden. In diesen Studien schaftlichen Beirates Psychotherapie der deutschen Bundes- erwiesen sich verhaltenstherapeutische Methoden ärzte- und Bundespsychotherapeutenkammern (Wissen- schaftlicher Beirat Psychotherapie 2000a, b, 2001, 2002, … mit solcher Regelmäßigkeit als wirksam zur Herbeiführung 2004, 2005, vgl. www.wb-psychotherapie.de). Es ist bemer- der jeweils unmittelbar angestrebten, aber auch generalisierter kenswert, dass die verschiedenen Gutachtergruppen, deren Veränderungen …, dass ihnen schon als Einzeltechniken der Mitglieder z. T. sehr verschiedenen therapeutischen Aus- Status bewährter Therapietechniken eingeräumt werden richtungen anhingen, mit ganz unterschiedlichen Metho- muss. … Die Anwendung von Verhaltenstherapie in der J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 23 1.4 · Empirische Überprüfung 1

klinischen Praxis kann sich also auf ein breites Spektrum an Wirksamkeit ausreichend unter Beweis gestellt zu haben, um in Therapiemethoden mit nachgewiesener Wirksamkeit stützen. der psychotherapeutischen Versorgung eine prominente Rolle zu Mit deutlichem Abstand vor anderen Therapieformen kann spielen. (Grawe 1992, S. 139) daher die Verhaltenstherapie für sich in Anspruch nehmen, ihre

Exkurs Den Boten prügeln, wenn die Nachricht nicht genehm ist? Therapieerfolge im Vergleich Nur knapp 20 von insgesamt fast 800 Textseiten widme- berechnet wurden (die große Zahl der Effektstärken geht ten Grawe et al. (1994) den direkten Wirkungsvergleichen auf die Vielzahl von Behandlungsbedingungen und Mes- der verschiedenen Psychotherapieformen. Um ihre Aussa- sungen in den 41 Studien zurück). Die direkten Vergleiche gen zu diesem seit jeher heiklen Thema auf die breitest- unterstrichen in eindrucksvoller Weise die Ergebnisse der mögliche Basis zu stellen, analysierten die Autoren alle bis oben genannten Einzelbetrachtung der Verhaltensthera- 1991 veröffentlichten Studien, die einen direkten Wirkver- piestudien: Der Vergleich mit psychoanalytischen (Basis: gleich zwischen kognitiv-verhaltenstherapeutischen, psy- 19 Studien, 215 Maße, 487 Einzelvergleiche), gesprächspsy- choanalytischen, gesprächspsychotherapeutischen und chotherapeutischen (Basis: 10 Studien, 133 Maße, 723 Ein- familientherapeutischen Verfahren beinhalteten. Weitere zelvergleiche) und familientherapeutischen Verfahren (Ba- Einschlusskriterien waren mindestens drei Erfolgsmaße, sis: 3 Studien, 18 Maße, 40 Einzelvergleiche) ergab jeweils mindestens sechs Stunden Therapiedauer, vergleichbare eine eindeutige Überlegenheit der verhaltenstherapeu- Dauer (»Dosis«) der verschiedenen Therapiebedingungen tischen Ansätze. Dieses kurze Kapitel hat ebenso unberech- (es sei denn, die Unterschiede wurden explizit theoretisch tigt wie erwartungsgemäß den Großteil der Kritik seitens begründet) und Angabe von Mittelwerten und Streu- nichtverhaltenstherapeutischer Ansätze auf sich gezogen. ungen der Maße. Auf diese Weise gingen 41 Studien in Dass diese Kritik sofort die Form einer gezielten Negativ- die Metaanalyse ein, für die insgesamt 1401 Effektstärken kampagne bis hin zu manipulierter Publikationspolitik 6

. Tab. 1.1. Anzahl kontrollierter Therapiestudien in der Literaturanalyse von Grawe et al. (1994). Die linke Hälfte der Tabelle zeigt, wie viele Studien jeweils zu den verschiedenen Formen von Psychotherapie vorlagen. Die rechte Hälfte zeigt die genauere Aufschlüsselung der Studien zu den einzelnen verhaltenstherapeutischen Verfahren. Da in vielen Verhaltenstherapiestudien Kombinationen von Methoden verwendet wurden, addieren sich die Zahlen der rechten Hälfte nicht zu der Gesamtsumme, die in der linken Hälfte für die kognitiv-verhaltenstherapeu- tischen Verfahren angegeben wird Verschiedene Therapieformena Anzahl Studien Nur kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren Anzahl Studien Kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren 567 Training sozialer Kompetenz 74 Progressive Muskelrelaxation 66 Reizkonfrontation 62 Autogenes Training 14 Biofeedback 62 Hypnose 19 Systematische Desensibilisierung 56 Meditation 15 Kognitive Bewältigungstrainings 38 Psychoanalytische Kurztherapie 27 Aversionstherapien 31 Psychoanalytische Therapie 12 Problemlösetherapien 25 Langzeitpsychoanalyse (Freud) und analyti- je 0 Sexualtherapien 22 sche Therapie (Jung) Gesprächspsychotherapie 35 Lewinsohns Depressionstherapie 17 Gestalttherapie 7 Rational-Emotive Therapie 17 und Transaktionsanalyse je 6 Becks Depressionstherapie 16 Paartherapien 35 Alkoholikerprogramme 14 Familientherapien 18 Paradoxe Intention 10 Interpersonale Therapie 10 Breitspektrumverhaltenstherapie 8 a Die Einordnung der progressiven Muskelrelaxation ist umstritten. Sie kann sowohl zu den verhaltenstherapeutischen Verfahren gezählt werden, in deren Rahmen sie meist überprüft wurde, als auch als eigene Kategorie gewertet werden, wie dies hier um der größeren Diffe- renziertheit willen geschah. Weitere, nicht in der Tabelle erwähnte Verfahren waren entweder nicht näher spezifiziert (unspezifizierte hu- manistische Therapien N=11, Encounter-Gruppen N=9, unspezifizierte psychodynamische Therapien N=8, psychodynamische Therapien mit Medikamenten N=13, eklektizistische Therapien N=22) oder wiesen jeweils nur 1–3 Studien auf (Musiktherapie, Bewegungs-/Körper- therapie, Tanz-/Kunsttherapie, Bioenergetik, Ich-Analyse, Individualtherapie [Adler], Katathymes Bilderleben, Daseinsanalyse). J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 24 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

1 selbst in Fachzeitschriften angenommen hat, kann wohl reichte die Kritik an Grawes Aussagen zur differenziellen vor allem durch die Gefährdung liebgewonnener Glau- Wirksamkeit bis hin zu der pauschalen Gleichsetzung von benssätze und den drohenden Verlust von Pfründen er- therapeutischer Effektivität mit der Effektivität der Konzent- klärt werden. Neben einer seriösen wissenschaftlichen rationslager. Bereits 1995 hatte die Kampagne ein solches Kritik (z. B. Hoffmann, Bastine, Eysenck in Psychologische Ausmaß angenommen, dass sich die Fachgruppe Klinische Rundschau 1992, vgl. Grawe 1995), die sich mit den Ent- Psychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie scheidungen über das gewählte Vorgehen und einigen veranlasst sah, in einer in dieser Weise präzedenzlosen Stel- kleineren diskutierbaren Problemen befasste, domi- lungnahme (1995) eine Rückkehr zur sachlichen Auseinan- nierten unhaltbare Anwürfe und konstruierte pseudosta- dersetzung anzumahnen. tistische »Argumente« die öffentliche Diskussion. Dabei

Eine Grundkritik an den klassischen metaanalytischen Stu- Von der Metaanalyse zur »Meta-Metaanalyse«? dien betrifft die Vernachlässigung der Störungsdimension. Inzwischen sind so viele Metaanalysen erschienen, dass Es ist unangemessen, bei der Wirksamkeitsforschung die eine zusammenfassende Auswertung von Metaanaly- Art der behandelten Störungen auszuklammern. Die An- sen möglich wurde: Butler et al. (2006) fanden in insge- nahme, dass so verschiedene Störungen wie Alkoholismus, samt 16 Metaanalysen mit guter methodischer Qualität funktionelle Sexualstörungen, Agoraphobien und Schizo- große Effektstärken beim Vergleich von kognitiv-beha- phrenien mit der gleichen Methode behandelt werden viorale Therapien mit verschiedenen Kontrollbedin- könnten, ist völlig unrealistisch. Die Wirksamkeitsfrage gungen für unipolare Depressionen, generalisierte muss daher stets in Bezug auf klar definierte Problemkate- Angststörungen, Panikstörungen, Agoraphobie, Sozi- gorien gestellt und beantwortet werden. Die Prüfung auf alphobie, posttraumatische Belastungsstörungen, der Ebene einzelner Störungsbilder ist jedoch insofern pro- Zwangsstörungen sowie Angststörungen und Depres- blematisch, als die Gesamtzahl aller Störungsbilder im In- sionen des Kindes- und Jugendalters. Bei Partner- dikationsbereich der Psychotherapie zu groß ist, um wirk- schaftsproblemen, Ärgerproblemen, somatischen Be- lich jeweils Einzelnachweise zu verlangen. Der Wissen- schwerden des Kindesalters und chronischen Schmer- schaftliche Beirat Psychotherapie hat daher die einzelnen zen ergaben sich moderate Effektstärken. Große, aber Störungen nach ICD-10 zu zwölf großen Klassen für Er- unkontrollierte Effektstärken wurden bei Bulimie und wachsene sowie acht Klassen für Kinder und Jugendliche Schizophrenien festgestellt. Darüber hinaus zeigten zusammengefasst. Bei der Gruppierung wurden neben der Verhaltenstherapien bei Depressionen im Durchschnitt möglichen nosologischen und phänomenologischen Nähe größere Effektstärken als medikamentöse Therapien. auch die Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung, ihr Vor- Diesen Effekt hatten bereits Gloaguen et al. (1998) bei kommen in der psychotherapeutischen Praxis und ihre Be- der Auswertung von 17 direkten Vergleichsstudien deutung als Gegenstand der Psychotherapieforschung be- identifiziert. Aufgrund der besseren Stabilität der The- rücksichtigt. Auf dieser Basis wurden dann für alle wesent- rapieerfolge bei der Verhaltenstherapie verstärkte sich lichen Anwendungsbereiche die Wirksamkeitsnachweise dieser Effekt bei Betrachtung der Einjahreskatamnesen der wichtigsten psychotherapeutischen Verfahren systema- noch weiter. Darüber hinaus weisen Verhaltensthera- tisch überprüft. Die Ergebnisse sind in . Tab. 1.2 zusam- pien bei Ängsten substanziell niedrigere Abbrecher- mengefasst. Sie zeigen, dass nur die Verhaltenstherapie für quoten auf als medikamentöse oder Kombinationsthe- alle geprüften Anwendungsbereiche mit Ausnahme der rapien (Gould et al. 1995). hirnorganischen Störungen hinreichende Wirksamkeits- nachweise vorlegen kann.

Exkurs WBP – wer und was? Hinter dem Kürzel WBP verbirgt sich der Wissenschaft- ve wissenschaftliche Fragen der Psychotherapieforschung liche Beirat Psychotherapie, der von den Bundespsycho- auf und setzt Impulse für eine Förderung der Psychothera- therapeuten- und Bundesärztekammern Deutschlands pie- und Versorgungsforschung. Der Beirat setzt sich paritä- getragen wird. Der WBP erstellt Gutachten zur wissen- tisch aus sechs Vertretern der Psychologischen Psychothe- schaftlichen Anerkennung von Psychotherapieverfahren rapeuten und der Kinder- und Jugendlichen-Psychothera- als Reaktion von Anfragen durch Behörden oder Fachver- peuten sowie sechs ärztlichen Vertretern aus den Bereichen bände. Darüber hinaus greift der WBP aus eigener Initiati- »Psychiatrie und Psychotherapie«, »Psychosomatische Me- 6

J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 1.4 · . Tab. 1.2. Ergebnisse des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie zur wissenschaftlichen Anerkennung psychotherapeutischer Verfahren: Hinreichender Nachweis der Wirksamkeit für die verschiedenen Anwendungsbereiche der Psychotherapie bei Erwachsenen Empirische Überprüfung Anwendungsbereiche Kognitive/ Psychodyna- Gesprächspsy- Systemische Psycho- Neuropsychologieb Hypnothe- Eye-Movement-Desensi- Interpersonelle Verhaltens- mische Therapien chotherapie Therapien drama rapie tization and Reprocessing Psychotherapie therapien (EMDR) (IPT) 1. Affektive Störungen (F3) Ja Ja Ja Nein Nein Nicht beansprucht Nein Nicht beansprucht Ja 2. Angststörungen Ja Ja Ja Nein Nein Nicht beansprucht Nein Nicht beansprucht Nicht beansprucht

d e

J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 3. Belastungsstörungen (F43) Ja Ja Ja Nein Nein Nicht beansprucht Nein Ja Nein 4. Dissoziative, Konversions- Ja Ja Nein Nein Nein Nicht beansprucht Nein Nicht beansprucht Nicht beansprucht und somatoforme Störun- gen 5. Essstörungen (F50) Ja Ja Nein Nein Nein Nicht beansprucht Nein Nicht beansprucht Ja 6. Andere Verhaltensauffäl- Ja Nein Nein Nein Nein Nicht beansprucht Nein Nicht beansprucht Nicht beansprucht ligkeiten mit körperlichen Störungen (F5) 7. Psychische und soziale Ja Ja Ja Nein Nein Nicht beansprucht Ja Nicht beansprucht Nicht beansprucht Faktoren bei somatischen Krankheiten (F54) 8. Persönlichkeitsstörungen Ja Ja Nein Nein Nein Nicht beansprucht Nein Nicht beansprucht Nicht beansprucht und Verhaltensstörungen (F6) 9. Abhängigkeiten und Miss- Ja Ja Nein Nein Nein Nicht beansprucht Jac Nicht beansprucht Nicht beansprucht brauch (F1, F55) 10. Schizophrenie und wahn- Ja Ja Nein Nein Nein Nicht beansprucht Nein Nicht beansprucht Nicht beansprucht hafte Störungen (F2) 11. Psychische und soziale Nicht geprüft Nicht geprüft Nein Nein Nein Nicht beansprucht Nicht Nicht beansprucht Nicht beansprucht Faktoren bei Intelligenz- bean- minderung (F7)a sprucht 12. Hirnorganische Störungen Nein Nicht geprüft Nein Nein Nein Ja Nein Nicht beansprucht Nicht beansprucht a Anwendungsbereich »Anpassungsstörungen, psychische und soziale Faktoren bei Intelligenzminderung« bei Erwachsenen blieb unberücksichtigt, da dieser Bereich besondere Forschungsfragen aufwirft, die in einer gesonderten Stellungnahme berücksichtigt werden sollen. b Für die Neuropsychologie wurde lediglich der Bereich der hirnorganischen Störungen geprüft, da auch nur für diesen Bereich eine Wirksamkeit beansprucht wurde. c Belege liegen lediglich für Raucherentwöhnung und Methadonentzug vor. 25 d Die Anerkennung wurde nur für die posttraumatische Belastungsstörung beantragt und festgestellt. e Die Anerkennung wurde nur für Anpassungsstörungen beantragt, jedoch nicht festgestellt. 1

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1 dizin und Psychotherapie« sowie »Kinder und Jugend- de). Die Auswahl der geprüften Verfahren erklärt sich da- lichenpsychiatrie und -psychotherapie« zusammen. Für durch, dass der WBP grundsätzlich immer dann tätig wird, alle zwölf ordentlichen Mitglieder werden jeweils persön- wenn er Anfragen der zuständigen Landesgesundheitsbe- liche Stellvertreter benannt. Grundlage für die Arbeit des hörden erhält. Dies war bei Gesprächspsychotherapie, sys- WBP ist das deutsche Psychotherapeutengesetz temischen Therapien, Psychodrama und Neuropsychologie (PsychThG) vom 16.6.1998. Es definiert Psychotherapie als der Fall. Zu den psychodynamischen und kognitiv-verhal- »eine mittels wissenschaftlich anerkannter Verfahren vor- tenstherapeutischen Verfahren stellten die Landesbehör- genommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Lin- den keine Anfrage, da diese bereits nach den sog. Psycho- derung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen therapie-Richtlinien sozialrechtlich zugelassen waren. Aus Psychotherapie indiziert ist«. Diese Wissenschaftlichkeits- Gründen der Gleichbehandlung forderte der Beirat die zu- klausel betrifft sowohl die Ausübung von Psychotherapie ständigen Fachgesellschaften auf, freiwillig eine Stellung- als auch die Anerkennung von Ausbildungsstätten. nahme des Beirates einzuholen. Dieser Aufforderung ka- Als Kriterium für die hinreichende wissenschaftliche men die Fachverbände nach. Die weiteren Gutachten er- Anerkennung psychotherapeutischer Verfahren und Me- folgten nach Anfragen, die Fachverbände aus eigener thoden stellte der WBP u. a. folgende Grundsätze auf: Initiative gestellt hatten. 1. Der Wirksamkeitsnachweis für einen Anwendungsbe- Die Prüfung auf der Ebene großer Anwendungsbereiche reich kann in der Regel dann als gegeben gelten, macht es eher möglich, dass auch Verfahren mit wenigen wenn in mindestens drei unabhängigen, methodisch Wirksamkeitsstudien die genannten Mindestanforderungen adäquaten Studien die Wirksamkeit für Störungen aus erfüllen. Dies hat wesentlich dazu beigetragen, dass im Un- diesem Bereich nachgewiesen ist. terschied zu den APA-Ergebnissen hier auch kürzere psycho- 2. Die Anzahl von drei erforderlichen Studien für einen dynamische Therapien und Gesprächspsychotherapien als einzelnen Anwendungsbereich kann teilweise redu- wissenschaftlich anerkannt eingestuft werden konnten. Al- ziert werden, wenn – in der Regel ältere – methodisch lerdings beruht dieses Vorgehen auf der Annahme der adäquate Wirksamkeitsstudien ohne Angabe eines Übertragbarkeit der Befunde zwischen den Störungen in- spezifischen Störungsbereichs oder mit Vermischung nerhalb einer Kategorie. Während dies etwa für Schlüsse mehrerer klar definierter Störungsgruppen vorliegen. von einer Form von Depression auf eine andere eher mög- Dies gilt allerdings nur für die Anwendungsbereiche lich sein dürfte, ist es keineswegs ausgemacht, dass von der 1–8 bei Erwachsenen. Liegen in der Regel mindestens Wirkung bei Phobien auf die Wirkung bei Zwangsstörungen acht solcher allgemeiner, ansonsten methodisch adä- geschlossen werden kann. Gerade hier wurde etwa nachge- quater Studien vor, kann die Wirksamkeit für einen wiesen, dass die bei Phobien gut wirksame systematische Anwendungsbereich aus dieser Gruppe bereits dann Desensibilisierung bei Zwangsstörungen suboptimale Er- als hinreichend nachgewiesen gelten, wenn lediglich gebnisse erzielt. Diesem Problem trägt das Vorgehen des zwei für diesen Anwendungsbereich spezifische Stu- WBP keine Rechnung. Darüber hinaus werden hier auch kei- dien vorliegen. Die Wirksamkeit für die Anwendungs- ne Aussagen zur vergleichenden Wirksamkeit gemacht. Es bereiche 9–12 der Anwendungsbereichsliste kann le- bleibt also unberücksichtigt, ob ein psychotherapeutisches diglich durch spezielle Wirksamkeitsnachweise im Verfahren besser oder schlechter wirkt als ein anderes. Es Sinne von 1. nachgewiesen werden. wird lediglich festgestellt, ob überhaupt ein Wirksamkeits- nachweis vorliegt. Generell sind die Kriterien des Beirates Ende 2007 wurden diese Kriterien in einem neuen »Me- daher eher als Minimalanforderungen zu verstehen, die der thodenpapier« aktualisiert (vgl. www.wbpsychotherapie. aktuellen Versorgungsrealität Rechnung tragen.

Noch drastischer sind Ergebnisse zum Kinder- und Jugend- therapeutische Verfahren eine hinreichend nachgewiesene bereich. Hier ist die Evidenzsituation insgesamt ungünsti- Wirksamkeit erbrachten (Weisz et al. 1995; Hoagwood u. ger, wobei ein hinreichender Nachweis der Wirksamkeit Olin 2002; Beelmann u. Schneider 2003; Chambless u. Ol- bisher ausschließlich für die Verhaltenstherapie vorliegt lendick 2001; Schneider u. Döpfner 2004; In-Albon u. (mit Ausnahme der hirnorganischen Störungen und Intel- Schneider 2007). Aber auch bei dieser bisher am besten un- ligenzminderungen). Für alle anderen Psychothera- tersuchten Gruppe von Verfahren basieren einige der Stu- pieformen wurde die Anerkennung entweder gar nicht erst dien auf sehr kleinen Stichproben, so dass die Generalisier- beantragt oder sie wurde mit den vorgelegten Studien nicht barkeit der Ergebnisse in einzelnen Anwendungsbereichen nachgewiesen (vgl. www.wbpsychotherapie.de). Dies steht eingeschränkt ist. Für die Gesprächspsychotherapie, die im Einklang mit den publizierten Metaanalysen sowie den systemischen Therapie und das Psychodrama liegen nach Ergebnissen der APA Task Force on Empirically Supported dem Urteil des WBP keine hinreichenden Wirksamkeits- Therapies, die ebenfalls lediglich für kognitiv-verhaltens- nachweise vor. Darüber hinaus wurden dem Beirat für die J.Margraf, S.Schneider J.Margraf,(2009).Lehrbuch S.Schneider der Verhaltenstherapie (2009).Lehrbuch derBand Verhaltenstherapie 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 27 1.4 · Empirische Überprüfung 1

psychodynamischen Psychotherapien nicht hinreichend tischen fast keine Wirksamkeitsstudien bei Kindern und Studien vorgelegt, um zu einem Urteil zu kommen. Allge- Jugendlichen vorliegen (vgl. Casey u. Berman 1985; Weisz mein gilt, dass für die meisten psychotherapeutischen Ver- et al. 1987, 1995; Beelmann u. Schneider 2003; In-Albon u. fahren mit Ausnahme der kognitiv-verhaltenstherapeu- Schneider 2007).

Exkurs Längst ausgestorben oder lebende Legende? Der Dodo und die Therapieforschung Der flugunfähige Vogel Dodo (seltener auch Dronte, Dou- pien im Wesentlichen über gemeinsame, unspezifische Fak- do oder Dudu), heute das Wappentier der Insel Mauritius toren wirkten. Diese These wurde ohne jeden empirischen im Indischen Ozean, war eine längst ausgestorbene Kurio- Beleg vorgebracht, und sie erfuhr wenig Aufmerksamkeit, sität, als er 1865 in Lewis Carolls Alice im Wunderland auf- bis sie noch einmal 40 Jahre später von Luborsky et al. tauchte (. Abb. 1.3). Dort schlug der Dodo einen Wettlauf (1975) wiederbelebt wurde. Seither ist die (Non-)Spezifität zum Trocknen vor, nachdem Alice und eine Reihe anderer der Wirkungen von Psychotherapie immer wieder kontro- Figuren nass geworden waren. Dabei konnte jeder laufen vers diskutiert worden (vgl. Roth u. Fonagy 1996; Chambless wie er wollte, anfangen wo er wollte und aufhören wann u. Ollendick 2001; Wampold 2001; Lambert 2004). Die ex- er wollte – es kam gar nicht darauf an. Unter diesen Bedin- treme Form des »Dodo-Urteils« behauptet, alle psychothe- gungen überrascht es nicht, das nachher niemand (auch rapeutischen Verfahren seien gleichwertig und ihre Effekte nicht der Dodo) wusste, wer gewonnen hatte. Seine salo- im Wesentlichen auf allgemeine bzw. nonspezifische Wirk- monische Lösung bestand in dem mittlerweile berühmten faktoren zurückzuführen (z. B. Wampold 2001; Luborsky et Satz »Everybody has won, and all must have prizes«. Die al. 2002; Lambert u. Ogles 2004). Vertreter der Dodo-Positi- Rechnung (in Form von Geschenken) sollte allerdings je- on berufen sich im Wesentlichen auf zwei Quellen: mand anderes bezahlen, nämlich Alice. Diese Geschichte 4 Studien, die verschiedene Therapien direkt verglichen, birgt mehr Ähnlichkeit mit der »great psychotherapy de- 4 metaanalytische Auswertungen zu der Frage, ob die bate« (Wampold), als manchem Protagonisten klar ist – Unterschiede zwischen den publizierten Effektstärken das Rennen ist chaotisch, die Rechnung sollen andere be- der verschiedenen Therapieformen signifikant von Null zahlen, und alle müssen gleich behandelt werden. abweichen.

Rund 70 Jahre später führte Saul Rosenzweig (1936), der Beide Quellen sind jedoch problematisch. Die meisten di- Erfinder der »Picture Frustration Study«, den Begriff »Dodo rekten Vergleichsstudien hatten so geringe Stichproben- bird verdict« in die psychologische Literatur ein. Als Erster größen, dass ihnen die statistische Power fehlte, um über- stellte er darin die Behauptung auf, dass alle Psychothera- haupt Unterschiede mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aufdecken zu können. Nullergebnisse drücken hier eher fehlende Power als fehlende Unterschiede aus. Zudem wur- de in älteren Studien häufig die Störungsdimension ver- nachlässigt, so dass der Geltungsbereich der Ergebnisse un- klar blieb. Manche Störungsbilder profitieren jedoch von vielen verschiedenen Behandlungsformen (z. B. Depressi- onen), andere dagegen sprechen sehr spezifisch auf einzel- ne Therapien an (z. B. Zwangsstörungen oder Phobien). Studien mit hinreichender statistischer Power und metho- discher Qualität zeigen deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen verhaltenstherapeutischen Maßnahmen (z. B. bei Zwangsstörungen: Fals-Stewart et al. 1993; Lindsay et al. 1997) sowie zwischen Verhaltenstherapien und ande- ren Therapien (z. B. non-direktiven Gesprächstherapien bei generalisierter Angst: Borkovec u. Costello 1993). Dabei wurde sichergestellt, dass die beobachteten Effekte nicht durch Unterschiede in der therapeutischen Beziehung, der Glaubwürdigkeit der Behandlung oder den Erwartungen der Patienten erklärt werden konnten. Metaanalysen wie die von Wampold (1997) hingegen erfassten vor allem Vergleichsstudien mit eingeschränkten . Abb. 1.3. Alice mit dem Dodo. (Aus Caroll 1869) Stichproben, darunter eine Vielzahl von Studentengruppen 6

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1 oder anderen Personen aus Beratungseinrichtungen. Die- die anders als im Erwachsenenalter für die Behandlung von se sind nicht aussagekräftig für klinische Patientengrup- Depressionen gilt (Stark et al. 1991; Brent et al. 1997). pen mit schwereren psychischen oder Entwicklungsstö- Chambless (2002) hat auf die umfangreiche Evidenz da- rungen. Darüber hinaus wurden Kinder und Jugendliche für hingewiesen, dass spezifische Therapien »spezifischen nicht angemessen berücksichtigt, und in 70–80% aller er- Personen in spezifischen Situationen mit spezifischen Pro- fassten Studien handelte es sich um Vergleiche zwischen blemen helfen« (Übersetzung durch den Autor). Dieser Ef- verschiedenen verhaltenstherapeutischen Verfahren. fekt wird verschleiert, wenn Probleme und Therapien in Trotz all dieser Einschränkungen wichen auch bei Wam- willkürlicher Weise zusammengeworfen werden. Insgesamt pold (1997) die durchschnittlichen Effektstärken signifi- legen die Ergebnisse zur Spezifität verschiedener psycho- kant von Null ab, so dass keine Gleichheit zwischen den therapeutischer Interventionen nahe, dass neben nonspe- Therapiebedingungen herrschte. Erst nachdem eine me- zifischen auch spezifische Wirkfaktoren operieren. So zeigt thodisch grob fehlerhafte Manipulation vorgenommen sich bei Phobien oder Zwängen regelmäßig, dass Therapien wurde (zufällige Zuweisung positiver oder negativer Vor- ohne Konfrontationskomponente solchen mit Konfrontati- zeichen zu den gefundenen Effektstärken, was zwangs- on unterlegen sind (Marks 1987). Als Beispiel für einen gut weise zu einem Durchschnitt von Null führen muss), wa- belegten nonspezifischen Wirkfaktor kann die therapeu- ren die Unterschiede zwischen den Therapien »ver- tische Beziehung gelten, die nach der Metaanalyse von schwunden« (vgl. ausführlicher Hunsley u. Di Giulio 2002). Horvath und Symonds (1991) allerdings für nur 9% der Er- Zudem wurden die auf Kinder und Jugendliche speziali- gebnisvarianz verantwortlich ist (vgl. auch Martin et al. sierten Zeitschriften (u. a. Journal of Clinical Child Psycho- 2000). Insgesamt führt die Befundlage Hunsley und Di Giu- logy, Journal of Abnormal Child Psychology, Journal of the lio (2002) zu dem Schluss, dass das Dodo-Urteil nicht wie American Academy of Child and Adolescent Psychiatry) von Phönix aus der Asche steige, sondern eher Ähnlichkeit mit Wampold (1997) nicht ausgewertet. Gerade bei Kindern einem wiederkehrenden, substanzlosen Gerücht über die und Jugendlichen ist jedoch eine deutliche Überlegen- Sichtung eines lange ausgestorbenen flugunfähigen Vogels heit von behavioralen gegenüber anderen Therapien ge- aufweise. zeigt worden (Casey u. Berman 1985; Weisz et al. 1995),

Die wichtigste Alternative zum metaanalytischen Vorge- denen Arbeitsgruppen für die Behandlung Erwachsener, hen hat die »Task Force on Promotion and Dissemination . Tab. 1.4 diejenigen für die Behandlung von Kindern und of Psychological Procedures« der American Psychological Jugendlichen. Association entwickelt (deutsche Übersetzung: Hahlweg Die Ergebnisse in . Tab. 1.3 und 1.4 gleichen den zuvor 1995). Ihr Ansatz berücksichtigt explizit die Störungsdi- referierten metaanalytischen Befunden zur Auswertung mension und die Frage der Therapieintegrität. Im Gegen- der Psychotherapieforschung. Dies ist umso bedeutsamer, satz etwa zu pharmakologischen Behandlungen muss bei als die der Bewertung zugrunde liegenden Kriterien auch jeglicher Psychotherapie klargestellt werden, was sich kon- von psychodynamisch orientierten Forschern akzeptiert kret hinter Etiketten wie »Verhaltenstherapie« oder »Ge- werden und neben kontrollierten Therapiestudien auch sprächspsychotherapie« verbirgt. Dazu dienen in der For- Einzelfallstudien als akzeptable Basis umfassen. Ähnliche schung die bereits eingangs erwähnten Therapiemanuale, Ergebnisse erbrachte darüber hinaus eine systematische die konkrete Anleitungen für die Durchführung der The- Auswertung im Auftrag des britischen Gesundheitsminis- rapie enthalten. Auf der Basis dieser Überlegungen wurden teriums (UK Department of Health 2001) sowie die bereits Mindestkriterien für empirisch validierte Therapien zu- geschilderten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates sammengestellt, wobei noch zwischen »gut etablierten« Psychotherapie. Es sind im Wesentlichen kognitiv-verhal- und »wahrscheinlich wirksamen« Behandlungen unter- tenstherapeutische Verfahren, die als »empirically sup- schieden wurde. Diese Kriterien werden in 7 Kap. I/11 wie- ported« gelten können (Chambless u. Ollendick 2001). Es dergegeben. Inzwischen haben auch andere Arbeitsgrup- liegt demnach nahe, diesen Verfahren einen besonderen pen mit mehr oder minder ähnlichen Methoden versucht, Stellenwert für die Ausbildung von Psychotherapeuten zu- die Vielzahl der Psychotherapiestudien sinnvoll zusam- zuweisen. menzufassen. . Tab. 1.3 zeigt die Ergebnisse der verschie-

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. Tab. 1.3. Zusammenfassung der Ergebnisse verschiedener Arbeitsgruppena zu empirisch validierten Behandlungen für Erwachsene. (Nach Chambless u. Ollendick 2001) Störung Behandlungb Kategorie der empirischen Bestätigungc IIIII Angst und Stress Agoraphobie/Panikstörung mit KVT A, E?, F E? Agoraphobie Paarkommunikationstraining als Zusatz zur Konfrontation A, D Konfrontation A, D, E?, F E? Partnerunterstützte KVT D, F Blut-/Verletzungsphobie Angewandte Anspannung (»applied tension«) FE Exposition/Konfrontation E Generalisierte Angststörung Angewandte Entspannung FA, D, E KVT A, D, E?, F E? Geriatrische Angststörungen KVT F, G Entspannung F Zwangsstörung Reizkonfrontation + Reaktionsverhinderung A, D, E?, F E? Kognitive Therapie A, D E RET + Konfrontation E Familienunterstützte Reizkonfrontation + Reaktionsver- D hinderung + Entspannung Rückfallprävention A Panikstörung Angewandte Entspannung F A, D, E KVT A, D, E?, F E? Emotionsfokussierte Therapie F Konfrontation E? D, E? Posttraumatische EMDR A (nur Zivilis- Belastungsstörung ten), D Konfrontation F A, D Stressimpfungstraining F A, D Stressimpfungstraining in Kombination mit kognitiver E? E?, F Therapie + Konfrontation Strukturierte psychodynamische Behandlung E Angst vor Sprechen in der Systematische Desensibilisierung A Öffentlichkeit Soziale Angst/Phobie KVT E?, F A, D, E? Konfrontation E? A, D, E?, F Systematische Desensibilisierung A Spezifische Phobie Konfrontation A, E?, F E? Systematische Desensibilisierung A Stress Stressimpfungstraining A Substanzmissbrauch und -abhän- gigkeit Alkoholmissbrauch und Community Reinforcement E?, F? A, D, E?, F? -abhängigkeit Reizkonfrontationsbehandlung A, D Reizkonfrontationsbehandlung + »urge-coping skills« D Reizkonfrontation mit stationärer Therapie A Motivierende Gespräche (»motivational interviewing«) E? E? BPT + Disulfiram E?, F? A, D, E?, F? Training sozialer Kompetenz mit stationärer Therapie E?, F? A, D, E?, F? 6

J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 30 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

1 . Tab. 1.3 (Fortsetzung) Störung Behandlungb Kategorie der empirischen Bestätigungc IIIII Benzodiazepin-Absetzung bei KVT A Panikstörung Kokainmissbrauch Verhaltenstherapie A KVT-Rückfallprävention A, D Opiatabhängigkeit Verhaltenstherapie (Verstärkung) D Psychodynamische Kurztherapie A, D Kognitive Therapie A, D Depression Bipolare Störung Psychoedukation F KVT zur Einhaltung der Medikation F Familientherapie F Altersdepression Verhaltenstherapie E?, F E?, G Psychodynamische Kurztherapie E?, F E?, G KVT E?, F A, E?, G Interpersonelle Therapie F Problemlösetraining F, G Psychoedukation F Reminiszenztherapie (mild-moderat) FA, G Major Depression Verhaltenstherapie A, F D BPT (für jene mit Eheproblemen) FD Psychodynamische Kurztherapie AE KVT A, D, E?, F E? Interpersonelle Therapie A, E?, F D, E? Selbstkontrolltherapie A, F Soziales Problemlösetraining A, D Gesundheitliche Probleme Anorexia nervosa Verhaltenstherapie E? E? Behaviorale Familien-Systemtherapie F Kognitive Therapie E? E? Familientherapie F Binge-Eating Disorder Behaviorale Gewichtskontrolle F KVT FA Interpersonelle Therapie A, F Bulimia nervosa KVT A, E?, F D, E? Interpersonelle Therapie E? A, D, E?, F Schmerzen aufgrund von Krebs KVT H Nebenwirkungen von Chemothe- Progressive Muskelrelaxation mit oder ohne geleitete D rapie (für Krebspatienten) Imagination Chronische Schmerzen (hetero- KVT mit Physiotherapie A, D, H gen) EMG-Biofeedback A Operante Verhaltenstherapie A, D Chronische Schmerzen (Rücken) KVT H A, D Operante Verhaltenstherapie D

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. Tab. 1.3 (Fortsetzung) Störung Behandlungb Kategorie der empirischen Bestätigungc IIIII Kopfschmerzen Verhaltenstherapie A Idiopathischer Schmerz KVT H Reizdarm (IBS) Kognitive Therapie A, D Hypnotherapie D Multikomponente KVT A, D Migräne EMG-Biofeedfack + Entspannung D Temperatur – Biofeedback + Entspannungstraining A, D Adipositas Hypnose mit KVT A Raynaud’sche-Krankheit Thermales Biofeedback A Rheumaschmerzen Multikomponente KVT A, D, H Schmerz bei Sichelzellen-Krankheit Multikomponente KVT A Raucherentwöhnung Gruppen-KVT D Multikomponente KVT mit Rückfallprävention A, D Geplante Reduktion des Rauchens mit multimodaler A, D Verhaltenstherapie Somatoforme Schmerzstörung KVT F Eheprobleme BPT A, D KVT D Kognitive Therapie D Emotionsfokussierte Paartherapie A (nicht mehr als moderat belastet), D Einsichtsorientierte Paartherapie A, D Systemische Therapie D Sexuelle Funktionsstörung Erektile Dysfunktion Verhaltenstherapie gezielt auf Reduktion der sexuellen E? E? Ängstlichkeit und verbesserte Kommunikation KVT gezielt auf Reduktion der sexuellen Ängstlichkeit und E? E? verbesserte Kommunikation Unteraktivität des weiblichen se- Hurlberts Kombinationstherapie A, D xuellen Verlangens Zimmers kombinierte Sexual- und Paartherapie A, D Störung/Dysfunktion der weibli- BPT mit Masters u. Johnsons Therapie D chen Orgasmusfähigkeit Masters u. Johnsons Sexual-Therapie A, D Training sexueller Fähigkeiten D Verfrühte Ejakulation Verhaltenstherapie E Vaginismus Expositionsbasierte Verhaltenstherapie E? E? Andere Vermeidende Persönlichkeitsstö- Konfrontation rung Training sozialer Fähigkeiten Körperdysmorphe Störung KVT F Borderline-Persönlichkeitsstörung Dialektische Verhaltenstherapie E? A, E?, F Psychodynamische Therapie F Demenz Verhaltensinterventionen auf Umgebungsniveau G Gedächtnis- und kognitives Training zur Verlangsamung G der kognitiven Verminderung Realitätsorientierung GE 6

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1 . Tab. 1.3 (Fortsetzung) Störung Behandlungb Kategorie der empirischen Bestätigungc

IIIII

Belastung von geriatrisch Pflegen- Psychoedukation G den Psychosoziale Intervention E? E?

Hypochondrie KVT F

Paraphilie/Sexualstraftäter Verhaltenstherapie A

KVT F

Schizophrenie Assertive Case-Management F

Verhaltenstherapie und soziales Lernen/Token-Economy- F Programme

Clinical Case-Management

Kognitive Therapie (bei Wahn)

Verhaltensfamilientherapie D, E?, F A, E?

Systemische Familientherapie D

Programme für soziales Lernen F

Training sozialer Kompetenzen FA, D

Unterstützende Gruppentherapie F

Unterstützende Langzeit-Familientherapie D

Training in Community-living-Programm F

Schwer Geisteskranke Unterstützte Beschäftigung A, F

Schlafstörungen Verhaltenstherapie F

KVT (für geriatrische Schlafstörungen) G

Unerwünschte Gewohnheiten Habit-Reversal-Training + Kontrolltechniken A

a Arbeitsgruppen: A: APA Task Force on Promotion and Dissemination of Psychological Procedures; Chambless, D. L., Sanderson, W. C., Sho- ham, V. et al. (1998). Update on empirically validated therapies, II. The Clinical Psychologist, 51(1), 3–16. B: Sprito, A. (1999). Introduction to special series on empirically supported treatment in pediatric psychology. Journal of Pediatric Psycholo- gy, Special Section, 24(2), 87–90. C: Journal of Clinical Child Psychology, Special Section. D: Kendall u. Chambless (1998). Empirically supported psychological therapies. Journal of Consulting and Clinical Psychology, Special Section, 66, 3–167. E: Roth, A. & Fonagy, P. (1996). What works for whom? New York: Guilford F: Nathan, P. E. & Gorman, J. M. (1998). A guide to treatments that work. New York: Oxford University Press. G: Gatz, M., Fiske, A., Fox, L. S. et al. (1998). Emprically validated psychological treatments for older adults. Journal of Mental Health and Aging, 4(1), 9–46. H: Wilson, J. J. & Gil, K. M. (1996). The efficacy of psychological and pharmacological interventions for the treatment of chronic disease-relat- ed and non-disease-related pain. Clinical Psychological Review, 16, 573–597. ? : Unklar aus der Beschreibung der Autoren, ob die Behandlung in Kategorie I oder II gehört. b BPT Behaviorale Paartherapie, EMDR Eye Movement Desensitization and Reprocessing, EMG Elektromyographie; RET Rational-emotive The- rapie; KVT Kognitive Verhaltenstherapie. c Kategorie I: gut etabliert/wirksam und spezifisch/2 Typ-1-Studien; Kategorie II: wahrscheinlich wirksam/wirksam/oder möglicherweise wirksam/1 Typ-1-Studie; Kategorie III: vielversprechend/Typ-2- oder -3-Studien. Nur die Arbeitsgruppen B, E und F verzeichneten Kategorie- III-Behandlungen.

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. Tab. 1.4. Zusammenfassung der Ergebnisse verschiedener Arbeitsgruppena zu empirisch validierten Behandlungen für Kinder und Ju- gendliche. (Nach Chambless u. Ollendick 2001) Bedingung/Störungb Behandlung Kategorie der empirischen Validierungc I II III ADHS Verhaltenstraining für Eltern C Verhaltensmodifikation im Klassenzimmer CF Langzeit-multimodale Therapie E Angststörungen (Trennungs- Kognitive Verhaltenstherapie A, C E angst, Vermeidungsstörung, Kognitive Verhaltenstherapie + familiäres AMT A, C Störung mit übermäßiger Ängstlichkeit) Psychodynamische Psychotherapie E Chronischer Schmerz (Skelett- Kognitive Verhaltenstherapie B muskelkrankheiten) Verhaltensstörung (Opposi- Ärgerkontrolltraining mit Stressimpfungstraining (Jugendliche) C tionelles Trotzverhalten) Ärgerbewältigungstherapie (Kinder) C Training des Selbstbewusstseins C Kognitive Verhaltenstherapie E? E? Kognitive Problemlösefertigkeiten F Präventionsprogramm für Delinquenz C Funktionale Familientherapie F Multisystemische Therapie FC Therapie der Eltern-Kind-Interaktion C Elterntraining basierend auf dem Zusammenleben mit Kindern A, E?, F C, E? (Kinder) Elterntraining basierend auf dem Zusammenleben mit Kindern C (Jugendliche) Training der Problemlösefähigkeiten C Rational-emotive Therapie C Auszeit plus »Signalstuhl«-Behandlung C Elterntraining mit videogestütztem Modelllernen C Depression Bewältigungskurs für Depression mit Fertigkeitstraining (Jugend- C liche) Kognitive Verhaltenstherapie (Kinder) C Störung des Sozialverhaltens Strukturelle Familientherapien E Belastung aufgrund medizini- Kognitive Verhaltenstherapie B scher Maßnahmen (hauptsäch- lich für Krebserkrankungen) Enkopresis Verhaltensmodifikation E? A, E? Enuresis Verhaltensmodifikation A, E? E Fettleibigkeit Verhaltenstherapie A Zwangsstörung Konfrontation mit Reaktionsverhinderung E Phobien Kognitive Verhaltenstherapie C Videogestütztes Modelllernen C Imaginäre Desensibilisierung C In-vivo-Desensibilisierung C In-vivo-Modelllernen C Teilnehmendes Modelllernen C Schnelle Konfrontation (Schulphobie) E? E? Verstärkte Praxis CA

J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 34 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

1 . Tab. 1.4 (Fortsetzung) Bedingung/Störungb Behandlung Kategorie der empirischen Validierungc I II III Psychophysiologische Familientherapie E? E? Störungen Psychodynamische Psychotherapie E Tiefgreifende Kontingenzmanagement E? E? Entwicklungsstörungen Rezidivierende Kognitive Verhaltenstherapie D, F Bauchschmerzen Rezidivierende Biofeedback mit Selbsthypnose B Kopfschmerzen Entspannung/Selbsthypnose B Temperatur – Biofeedback B a Arbeitsgruppen A–F s. unter . Tab. 1.3. b ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung; AMT Angstmanagementtraining. c Kategorien s. unter . Tab. 1.3.

Exkurs Psychotherapie muss sich nicht verstecken: Ein Vergleich mit der Medizin Ein Blick über den Gartenzaum ist häufig hilfreich. Wie hervorgeht. Darin werden nach Lipsey u. Wilson (1993), steht Psychotherapie im Vergleich mit gängigen medizi- Grawe et al. (1994), Howard et al. (1994) und Lutz (2003) die nischen Maßnahmen für somatische Probleme da? Das Effektstärke des Therapieerfolges und die Wahrscheinlich- Ausmaß der erzielten Therapieerfolge wie auch die Wahr- keit eines besseren Ergebnisses bei behandelten im Ver- scheinlichkeit eines positiven Ergebnisses sind auch in gleich zu unbehandelten Patienten dargestellt. diesem Kontext als gut zu bezeichnen, wie aus . Abb. 1.4

. Abb. 1.4. Vergleich der Wirksamkeit gängi- ger Behandlungen: Durchschnittliche Effekt- stärken (schwarze Balken mit weißen Zahlen) und Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines The- rapieeffektes (blaue Linie ohne Zahlen). Aspirin: Verwendung zur Prävention von Herzinfarkten, Chemotherapie: bei Brustkrebs, Arthritis: medi- kamentöse Therapie, Bypass: Bypass-Operation bei Angina pectoris, Psychotherapie: Durch- schnitt über alle Psychotherapieverfahren und Indikationen, KVT: Ergebnisse ausschließlich für verhaltenstherapeutische bzw. kognitive Ver- fahren

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> Fazit Exkurs Die allgemeine Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Symptomverschiebung: Fakt oder Fiktion? Verfahren ist bei allen relevanten Indikationen über jeden Die These der Symptomverschiebung wird noch immer vernünftigen Zweifel hinaus belegt. Die Therapieerfolge als ein Hauptargument gegen »symptomreduzierende« sind vergleichbar oder größer als diejenigen für eine Viel- Therapien verwendet. Bemerkenswert ist dabei nicht zahl etablierter medizinischer Verfahren. Allerdings ist die nur, dass die Vertreter dieser theoretisch durchaus in- Wirksamkeit besser für Erwachsene als für Kinderpopula- teressanten These typischerweise keine empirischen tionen belegt. Zudem gibt es Hinweise auf eine verzerrte Belege vorlegen. Auch Verfechter sog. symptomorien- Publikationspraxis (7 Abschn. 1.4.3). Wie bei medika- tierter Therapien wie der Verhaltenstherapie haben mentösen Therapien scheinen positive Ergebnisse mit dem möglichen Auftreten neuer Probleme nach Linde- größerer Wahrscheinlichkeit publiziert zu werden als ne- rung alter Beschwerden oft nur wenig Aufmerksamkeit gative. Quantitative Analysen zeigen jedoch, dass auch gewidmet. Ihre Argumentation beschränkt sich in der nach Abzug derartiger Verzerrungseffekte ein signifi- Regel auf den Nachweis, dass die Beseitigung der Ziel- kanter positiver Therapieeffekt erhalten bleibt. problematik von dauerhafter Natur ist. Der bloße Nach- weis der Dauerhaftigkeit des Therapieerfolgs in diesem Einschränkend muss jedoch angemerkt werden, dass der Sinne reicht jedoch nicht aus, um die These von der Therapieerfolg nicht nur von der Wahl der Therapiemetho- Symptomverschiebung zu widerlegen. So wäre es etwa de abhängt. Vielmehr spielen auch methodenunabhängige möglich, dass eine Reizkonfrontationstherapie zwar die Faktoren eine wichtige Rolle (Haltung der Therapeuten, Angstproblematik überdauernd beseitigt, aber dass Haltung der Patienten, Dauer der Therapie etc.). Je spezi- stattdessen andere Störungen (z. B. Depressionen, Part- fischer allerdings die untersuchte Störung und je spezi- nerschaftsprobleme) auftreten. Um diesen Kern der fischer die angewandte Therapie ist, desto weniger bedeut- Symptomverschiebungsthese zu überprüfen, müssen sam sind methodenunabhängige Faktoren. So weist Lutz daher auch Zusammenhänge mit anderen Störungen (2003) darauf hin, dass die punktbiseriale Korrelation zwi- untersucht werden. Im Falle von Symptomverschie- schen Verfahren und Ergebnis bei kognitiv-verhaltensthe- bung sollte die Reduktion der Zielproblematik mit einer rapeutischen Verfahren .52 (aufgeklärte Varianz r2:.27), bei Zunahme anderer Beschwerden korrelieren. Weiterhin psychotherapeutischen Verfahren im Allgemeinen dagegen müsste die Neuauftretensrate psychischer Störungen nur .39 (aufgeklärte Varianz r2:.15) beträgt. höher sein als in der Allgemeinbevölkerung. Wir sind Darüber hinaus gelten die publizierten hohen Erfolgs- diesen beiden Möglichkeiten in zwei verschiedenen wahrscheinlichkeiten nicht für alle Patienten gleicherma- Katamnesestudien nachgegangen: In Studie 1 wurden ßen. Es müssen zudem Therapieabbrecher, Therapiever- Patienten nach erfolgreicher Therapie eines Paniksyn- weigerer, mögliche Differenzen zwischen den in der For- droms durch eine kognitive Verhaltenstherapie unter- schung verwendeten Erfolgsmaßen und klinisch relevanten sucht. Studie 2 betraf Agoraphobiker nach einer erfolg- Erfolgsdefinitionen sowie die Frage der Dauerhaftigkeit der reichen Reizüberflutungstherapie. In beiden Studien Therapiewirkung in Katamnesestudien berücksichtigt wer- wurde die Angstreduktion bis zu 5 Jahre nach Thera- den. Diese Einschränkungen gelten jedoch auch für die pieende mit Veränderungen verschiedener psychopa- publizierten Ergebnisse zu pharmakologischen oder ande- thologischer Merkmale korreliert. Die Ergebnisse ren medizinischen Behandlungsverfahren. Sie stellen daher zeigten, dass eine Abnahme von Angst sehr deutlich keine grundsätzliche Beeinträchtigung für Quervergleiche positiv mit einer Abnahme (nicht einer Zunahme!) von zwischen diesen Behandlungsmodalitäten dar. Allerdings Depression, Alkoholismus und anderen psychischen müssen bei derartigen Vergleichen empirisch beobachtete Beschwerden korreliert. Zu anderen Bereichen wie Differenzen berücksichtigt werden. So sind etwa Therapie- etwa Partnerschaftsproblemen oder Essstörungen er- abbrüche, Therapieverweigerungen und Non-Compliance gaben sich auch im Längsschnitt keine signifikanten bei psychopharmakologischen Behandlungen regelmäßig Zusammenhänge. Vor allem aber zeigte sich keine er- deutlich höher als bei psychotherapeutischen Maßnahmen höhte Neuauftretensrate anderer psychischer Stö- (Gould et al. 1995; Barlow 2004; Lambert u. Ogles 2004). rungen, und die Kosten, die die Patienten im Gesund- Darüber hinaus weist Barlow (2004) darauf hin, dass in ei- heitssystem durch psychologische und ärztliche Maß- ner Vielzahl von Studien immer wieder festgestellt wurde, nahmen verursachten, nahmen signifikant ab. dass – sofern dies zur Wahl gestellt wird – die Bevölkerung Ergebnisse wie diese widerlegen die These der Symp- psychologische Interventionen gegenüber pharmakolo- tomverschiebung eindeutig. gischen bevorzugt; dieser Zusammenhang gilt selbst für Zentren, die vor allem für pharmakologische Kompetenz bekannt sind (z. B. Hazlett-Stevens et al. 2002; Hofmann et al. 1998; Mitchell et al. 1990; Wilson u. Fairburn 2002; Zoellner et al. 2003). J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 36 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

1.4.3 Dauerhaftigkeit und Übertragbarkeit diese Werte bei kognitiver Verhaltenstherapie maximal 1 auf die Alltagspraxis 20–30%. Bei schweren Phobien oder Panikstörungen sind die Rückfallraten der Verhaltenstherapie sogar noch deut- Die Dauerhaftigkeit verhaltenstherapeutischer Wirkungen lich tiefer. Darüber hinaus können psychotherapeutische ist insgesamt gut belegt. Sie ist auch deutlich besser nachge- Zusatzinterventionen die Rückfallraten psychiatrischer wiesen als diejenige der wichtigsten konkurrierenden Be- Routineversorgung positiv beeinflussen. Auch wenn es kei- handlungsmodalität, der Therapie mit psychotropen Medi- nen Anlass für die Annahme gibt, eine einzelne psychothe- kamenten (vgl. u. a. Conte et al. 1986; Dobson 1989; Gloa- rapeutische Behandlung könne Patienten dauerhaft gegen guen et al. 1998; Gould et al. 1995; Miller u. Berman 1983; psychische Beschwerden oder Symptome »impfen«, errei- Ruhmland u. Margraf 2001a, b, c; Steinbrueck et al. 1983; chen doch viele Patienten langfristig psychische Gesundheit Weisz et al. 1987, 1995). Während die Rückfallraten der me- und ein adäquates Funktionsniveau (vgl. Lambert u. Ogles dikamentösen Therapie bei Depressionen oder Angststö- 2004). Dies gilt auch bei langen Krankheitsgeschichten, wie rungen bereits nach kurzer Zeit bei 60–80% liegen, betragen sie für Verhaltenstherapiepatienten typisch sind.

Forschungsstadien Auch beim Thema Dauerhaftigkeit sind zwei Stadien der nicht ausreichend untersucht sind. Allerdings wird dieser Forschung festzustellen. In einem ersten Stadium wurden Anspruch von den meisten Studien noch immer nicht ein- undifferenziert allgemeine Stichproben von Patienten gelöst. So fanden Ruhmland und Margraf (2001a–c) bei den nachuntersucht, die mit mehr oder minder genau spezifi- eigentlich besonders gut untersuchten Angststörungen, zierten Formen von Psychotherapie behandelt worden dass nur eine Minderheit der Studien Katamnesen aufwies waren. Im aktuellen zweiten Stadium wurde dann gezielt und diese in der Regel nur von geringer Dauer waren. An- für genauer definierte Gruppen von Störungen und Be- gesichts der sehr großen Zahl an Studien zur Verhaltensthe- handlungen die langfristige Wirksamkeit mit Hilfe syste- rapie liegen aber dennoch hinreichend Katamnesedaten matischer Katamnesestudien erforscht. Heute gilt es als vor, um solide Aussagen zu machen. Zudem übersteigt das allgemein anerkannt, dass Wirksamkeitsstudien auch Ausmaß an Studien bei Weitem dasjenige für die wichtigste über einen hinreichend lange Katamnese verfügen soll- konkurrierende Therapiemethode: für medikamentöse The- ten, da die wichtigsten psychischen Störungen in der Re- rapie liegen deutlich weniger und zumindest methodisch gel chronische bzw. phasisch wiederkehrende Verläufe hoch fragwürdige Studien vor (so waren etwa in der Meta- aufweisen. Bei Störungen wie Depressionen, Alkoholis- analyse von Bakker et al. 2002 zum Katamnesezeitpunkt mus, Rauchen oder Adipositas sind Rückfälle so häufig, nur noch 15% der Patienten aus den Medikamentenbedin- dass sie ohne Katamnesen von mindestens einem Jahr gungen untersuchbar!).

In einer Auswertung der in den Jahren 1996–2005 publi- Störungsbildern zeigte sich erneut, dass die weitaus meisten zierten Katamnesestudien konnten insgesamt 49 Original- Daten zu kognitiv-verhaltenstherapeutischen Interventio- studien und 29 Literaturübersichten gefunden werden, die nen vorliegen. Bei einer ganzen Reihe von Störungen wur- die wichtigsten Anwendungsbereiche der Psychotherapie den andere Psychotherapien überhaupt nicht langfristig abdecken (Margraf, im Druck). Zusammengefasst zeigten untersucht. Bei Störungen, die generell schlechte langfristi- sowohl die Reviews als auch die Originalarbeiten eine gute ge Therapieverläufe aufweisen wie der Adipositas, zeigten Dauerhaftigkeit der Therapieerfolge. Bei Angststörungen sich bessere langfristige Ergebnisse, wenn medizinische kam es teilweise sogar zu weiteren Verbesserungen wäh- oder diätetische Maßnahmen mit verhaltenstherapeu- rend des Katamnesezeitraumes. Dies war vor allem bei tischen Interventionen ergänzt wurden (Nord-Rüdiger Reizkonfrontationstherapien der Fall (Ruhmland u. Mar- 2002; McTigue et al. 2003; für Ausnahmen von diesem ge- graf 2001a–c). Bei Betrachtung der Ergebnisse zu einzelnen nerell positiven Bild vgl. Margraf, im Druck).

Exkurs Mehr ist nicht immer besser: Langfristige Ergebnisse bei Kombination von Medikamenten und Verhaltenstherapie Was vielen plausibel erscheint, muss nicht unbedingt phobie und Panikstörung untersucht. Insgesamt zeigte sich wahr sein. Rufer et al. (2001) haben bemerkenswerte Er- kein überzeugender kurzfristiger Additions- oder Potenzie- gebnisse zur Kombination von Medikamenten und Ver- rungseffekt bei der zeitlich parallelen Kombination von Ver- haltenstherapie bei Angststörungen vorgelegt. Derartige haltenstherapie und Psychopharmakotherapie. Mittel- bis Kombinationstherapien wurden am besten bei Agora- langfristige Katamnesen erbrachten ebenfalls keine Unter- 6

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schiede zwischen alleiniger Verhaltenstherapie und der lässt sich durch eine sequenzielle Kombination mit einer Kombination mit Antidepressiva. Teilweise zeigten sich Verhaltenstherapie vermindern. Bei der sozialen Phobie ist sogar eher schlechtere Resultate bei der Kombination. Al- die Kombinationstherapie insgesamt nicht ausreichend un- leinige Psychopharmakabehandlung ist einer Monover- tersucht. Die vorliegenden Befunde sind jedoch eher ent- haltenstherapie oder der Kombinationstherapie langfris- täuschend und nicht vorteilhaft im Vergleich zu Monover- tig deutlich unterlegen, bis zu 80% erleiden Rückfälle haltenstherapie. nach Absetzen der Medikation. Diese hohe Rückfallrate

Inwieweit sind nun die unter Forschungsbedingungen er- schnitt schwerer gestörte Patienten behandelt werden und zielten Ergebnisse zur Psychotherapie auf die Routinever- in welchem Ausmaß die Patienten mit unterschiedlichen sorgung übertragbar? Die Beurteilung der Aussagekraft und Erwartungen an Therapiesettings herantreten. Zum ande- der Reichweite empirischer Untersuchungen hängt wesent- ren existiert auch eine Publikationsverzerrung: Es gibt Hin- lich von der Verallgemeinerbarkeit der Befunde und damit weise darauf, dass bevorzugt diejenigen Studien veröffentli- von der externen Validität der Studien ab. Bei den im Vor- cht werden, die über eine erfolgreiche Anwendung der The- angegangenen referierten Wirksamkeitsdaten handelt es rapien berichten (vgl. Exkurs »Publication bias«). Dadurch sich um Ergebnisse systematischer und möglichst kontrol- würde die Erfolgsquote der Therapien überschätzt. Unklar lierter Forschung, d. h. um Aussagen zur Efficacy. Die Er- ist jedoch, ob nicht gegenläufige Mechanismen wie etwa die gebnisse dieser Wirksamkeitsstudien können aus verschie- Behandlung schwerer gestörter Patienten, die Begrenzung denen Gründen nicht eins zu eins auf die alltägliche Thera- der Therapiedauer oder den häufigeren Einsatz jüngerer piesituation übertragen werden. Zum einen könnten in Therapeuten diesen Effekt wieder aufheben. Letzten Endes Forschungsumgebungen und Routinepraxis unterschied- handelt es sich dabei um empirische Fragen, die nur durch liche Selektionsmechanismen operieren und dadurch eine entsprechende Forschung beantwortet werden können. Da- mangelnde Vergleichbarkeit der Patientenpopulationen be- bei müssen die Efficacy-Studien durch die Ergebnisse von wirken. So wurden in vielen Studien Komorbiditäten so weit Evaluationen unter Routinebedingungen ergänzt werden, als möglich ausgeschlossen. Bis heute ist nicht abschließend d. h. durch Angaben zur Effectiveness. Inzwischen liegen geklärt, ob in der Praxis oder in der Forschung im Durch- eine ganze Reihe derartiger Studien vor.

Exkurs »Publication bias« – manipulierte Information? Des Kaisers neue Medikamente Problematisch sind Hinweise auf einen nicht unerheb- Von besonderem Interesse ist auch der Vergleich mit den lichen »Publication bias« bei Psychotherapie (ebenso wie Befunden zum Publication bias bei Psychopharmaka. Kirsch bei Pharmakotherapie). So fanden Lipsey und Wilson et al. (2002) analysierten auf der Basis der bei der US-ameri- (1993) bei publizierten Studien eine durchschnittliche Ef- kanischen Food and Drug Administration (FDA) vorlie- fektstärke von .53, bei unpublizierten dagegen von .39. In genden Daten die Wirksamkeit von selektiven Serotonin- die gleiche Richtung deutet der Vergleich von unpubli- wiederaufnahmehemmern (SSRI), den derzeit relevantes- zierten Studien aus den Dissertation-Abstracts mit publi- ten antidepressiven Medikamenten. Nach den publizierten zierten Arbeiten (McLeod u. Weisz 2004). Allerdings waren Studien wirkten alle sechs auf dem amerikanischen Markt auch in den unpublizierten Studien immer noch bedeut- befindlichen SSRI bei Depressionen signifikant besser als same und auch klinisch relevante Therapieeffekte zu be- Placebo. Unter Berücksichtigung der nicht publizierten Da- obachten. ten zeigte sich jedoch, dass fünf der sechs Medikamente keine statistisch signifikanten Vorteile gegenüber Placebo aufwiesen. Eine klinische Relevanz der beobachteten Un- terschiede war in keinem Fall mehr gegeben.

Bei der Therapie von Erwachsenen zeigen Effectiveness-Stu- verwendet wurden, in den Effectiveness-Studien im kli- dien im Allgemeinen gute Ergebnisse (Shadish et al. 1997, nischen Alltag dagegen vorwiegend andere Therapieverfah- 2000; Hahlweg et al. 2001; Kirk 1983; Lueger et al. 2000). Bei ren (mit durchschnittlich lediglich minimalen Erfolgen). der Therapie von Kindern ergaben sich dagegen kaum posi- Werden jedoch in kontrollierter Forschung und unter kli- tive Effekte (Weisz et al. 1992, 1995; Weiss et al. 1999, 2000). nischen Alltagsbedingungen die gleichen Therapieverfahren Weisz (1998) hat darauf hingewiesen, dass in den kontrol- eingesetzt, so ergeben sich auch durchaus vergleichbare The- lierten Wirksamkeitsstudien vor allem verhaltenstherapeu- rapieeffekte, wie die Effectiveness-Studien zu Erwachsenen tische Verfahren (mit durchschnittlich positivem Ergebnis) belegen (zusammengefasst bei Margraf, im Druck). J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 38 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

1 Exkurs Eine aktuelle Effectiveness-Studie aus der Schweiz In einer noch unveröffentlichten Studie des Autors wurde Medikamente oder (vor allem ärztliche) Beratung, aber eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe von 1000 Per- deutlich höhere Werte für langfristigen Erfolg erreichen. sonen untersucht (Alter: 18–65 Jahre). In einem ersten Den höchsten Wert für dauerhaften Erfolg erzielten die ko- Schritt wurde festgestellt, ob Beschwerden aus den Berei- gnitiven und Verhaltenstherapien, gleichzeitig wurden die- chen Angst und Depression (den häufigsten Indikationen se jedoch am seltensten eingesetzt. Diese Ergebnisse bestä- für Psychotherapie) vorlagen. Dann wurde erfasst, ob die tigen diejenigen, die Margraf und Poldrack (2000) für Betroffenen für diese Probleme jemals Behandlungen Deutschland in einer früheren Repräsentativstudie ermittelt oder Beratungen irgendeiner Art erhalten hatten. Im An- hatten (7 Abschn. 1.5). Es ist bemerkenswert, dass die medi- schluss wurde nach den Arten der Behandlung und dem kamentöse Therapie die niedrigsten Werte für langfristige langfristigen Behandlungserfolg gefragt. Die in . Abb. 1.5 Wirksamkeit erreichte und die zweitniedrigsten Werte für zusammengefassten Ergebnisse zeigen, dass psychothera- stationäre Behandlungen (die teuerste Behandlungsform) peutische Verfahren zwar seltener angewandt werden als angegeben wurden.

. Abb. 1.5. »Effectiveness« verschiedener Therapieformen in ten hatten. Dargestellt ist, bei welchem Anteil der damit behan- der Schweiz. Repräsentative Bevölkerungsstudie des Instituts für delten Patienten die jeweilige Intervention zu einem dauerhaften Psychologie der Universität Basel bei 1000 Erwachsenen Erfolg geführt hatte und bei wie viel Prozent aller behandelten (Deutsch- und Westschweiz). Ausgangsbasis sind alle Personen, Personen die verschiedenen Typen von Behandlung oder Bera- die jemals eine Behandlung für Ängste oder Depressionen erhal- tung angewandt wurden

1.4.4 Konsequenzen aus der Befundlage Methoden ist bei den Störungen, für die sie entwickelt wur- den, überwiegend nachgewiesen. Insgesamt muss der Verhaltenstherapie uneingeschränkt das Format der am besten belegten psychotherapeutischen Es erstaunt dann nicht, dass solche klinisch sehr gut bewährten Grundorientierung zuerkannt werden. Dabei liegt nicht störungsspezifischen Therapien sich in der Summe als wirksamer nur ein umfangreiches Wissen über die Wirkung der ein- erweisen als diejenigen Psychotherapieformen, die nicht mit zelnen Therapieverfahren vor, sondern es gibt auch das derartigen störungsspezifischen Vorgehensweisen arbeiten. breit abgesicherte Wissen der klinischen Psychologie zur (Meyer et al. 1991, S. 91) Ätiologie, Diagnostik und Epidemiologie psychischer Stö- rungen. Ganz wesentlich dürfte das störungsspezifische Grundsätzlich folgt aus der bemerkenswert konsistenten Vorgehen zu der guten Wirksamkeit der verhaltensthera- Befundlage zur empirischen Überprüfung, dass verhaltens- peutischen Verfahren beigetragen haben. Für die meisten therapeutische Verfahren in der psychotherapeutischen Störungen wurden spezielle, gezielt auf ihre Eigenheiten Versorgung eine möglichst große Rolle spielen sollten. zugeschnittene Behandlungsmethoden entwickelt, so dass Dazu ist eine hinreichende Zahl gut ausgebildeter Verhal- die Behandlung je nach Störungsbild des Patienten sehr un- tenstherapeuten notwendig, für deren Arbeit zudem ange- terschiedlich ausfällt. Die Wirksamkeit der spezifischen messene berufs- und sozialrechtliche Rahmenbedingungen J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 39 1.4 · Empirische Überprüfung 1

erforderlich sind. Aus den überlegenen Forschungsergeb- Vorliegen zusätzlicher Störungen oder die Verfügbarkeit nissen der Verhaltenstherapie kann jedoch keinesfalls abge- von Therapieverfahren und Therapeuten eine Rolle. Wei- leitet werden, dass nur noch ihre Verfahren eingesetzt wer- terhin muss geklärt werden, ab wann eine Überweisung an den sollten. Nach wie vor gibt es für psychische Störungen einen anderen Spezialisten angezeigt ist und welche Rolle keine hundertprozentig erfolgreichen Methoden. Solange Generalisten wie Hausärzte und die Selbsthilfe der Betrof- dies der Fall ist, brauchen wir eine breite Palette von Thera- fenen spielen können. Grundsätzlich sollten zuerst Verfah- piemöglichkeiten, die an verschiedenen Stellen des Pro- ren eingesetzt werden, die möglichst erfolgversprechend blemgefüges ansetzen. Somit stellt sich die Frage nach der sind und zugleich möglichst geringe Kosten bzw. möglichst Auswahl des für den Einzelfall sinnvollsten Vorgehens bzw. geringen Aufwand verursachen. Einen Vorschlag für ein nach einer Rangreihe beim möglichen Einsatz verschie- »Sequenzmodell« der wichtigsten Ansatzpunkte für die Be- dener Verfahren. Dabei spielen auch Rahmenbedingungen handlung psychischer Störungen gibt die folgende Über- wie die Motivation und Persönlichkeit des Patienten, das sicht.

Ein allgemeines Sequenzmodell: Die wichtigsten Ansatzpunkte für die Behandlung psychischer Störungen Reihenfolge des Vorgehens nannten Rahmenbedingungen (wie z. B. Verfügbarkeit) 1. Selbsthilfe, Laienhilfe richten. 2. Beratung, stützende Gespräche 4 Unter den psychotherapeutischen Verfahren sollten im 3. Gezielte Therapie der psychischen Störung Allgemeinen zunächst die verhaltenstherapeutischen 3.1 Verhaltenstherapie Methoden zur Anwendung kommen, da ihre Wirksam- 3.2 Andere psychotherapeutische oder medika- keit am besten belegt ist und sie für Patienten und Kos- mentöse Interventionen tenträger mit vergleichsweise geringem Aufwand ver- 3.3 Langzeitbegleitung nach gescheiterter Therapie bunden sind. Erst wenn diese keinen ausreichenden Er- folg erbracht haben, sollten andere Formen Erläuterungen psychotherapeutischer Hilfe eingesetzt werden, die 4 Ganz allgemein ist es besser, wenn der Patient seine weniger gut belegt und z. T. mit deutlich höherem Auf- Probleme selbst und aus eigener Kraft bewältigt. Da- wand verbunden sind (z. B. durch lange Behandlungs- her sollten die Betroffenen bei entsprechender Moti- dauern). vation ruhig zur Selbsthilfe ermutigt werden. Auch 4 Ähnliche Überlegungen können auch für die Auswahl die Unterstützung durch Laien wie Angehörige oder medikamentöser Verfahren angestellt werden, wo vor Freunde ist hier zu nennen. allem die Fragen nach der Dauerhaftigkeit der Thera- 4 Wenn die Selbst- oder Laienhilfe jedoch versagt oder pieeffekte und nach den Nebenwirkungen Anlass zu nicht ausreicht, dann stellt sich die Frage nach den kritischen Überlegungen geben. Möglichkeiten professioneller Hilfe. Dabei kann zwi- 4 In manchen Fällen ergibt sich die Notwendigkeit der schen allgemeiner Beratung und stützenden Ge- Langzeitbegleitung eines Patienten. Dies ist etwa dann sprächen einerseits und einer gezielten Therapie der der Fall, wenn trotz intensiver Bemühungen keine be- psychischen Störung andererseits unterschieden wer- deutsame Besserung der Störung erreicht werden den. Sofern nicht aktuelle Suizidalität, aktive Psycho- konnte. Hier ist es wichtig, dem Patienten zu vermitteln, sen, andere akute Krisen oder eine lange Geschichte dass er nicht allein ist, und möglichst keine Schuldzu- fehlgeschlagener Therapieversuche vorliegen, kön- weisungen für die gescheiterten Therapieversuche vor- nen auch Generalisten wie der Hausarzt ohne Wei- zunehmen. Selbstverständlich muss geklärt werden, ob teres einen Versuch unternehmen, Besserung durch wirklich alle erfolgversprechenden Methoden ange- unspezifische Maßnahmen wie Beratung und stüt- wandt wurden. In der Praxis zeigen sich immer wieder zende Gespräche herbeizuführen. Fälle, in denen die Behandler aufgrund ihrer Ausbil- 4 Führt dies nicht zu einer deutlichen Besserung oder dung oder theoretischen Ausrichtung nur einen liegen die genannten Voraussetzungen nicht vor, so schmalen Ausschnitt der reichen Palette der therapeu- sollte möglichst rasch eine gezielte Behandlung ein- tischen Möglichkeiten anwandten. In diesen Fällen ist geleitet werden. Die Entscheidung zwischen den die Überweisung an einen anderen kompetenten hierbei konkurrierenden psychotherapeutischen oder Spezialisten sinnvoll. In anderen Fällen jedoch muss medikamentösen Ansätzen sollte sich nicht einfach versucht werden, dem Patienten ein realistisches Bild nach persönlicher Vorliebe von Therapeut oder Pati- seiner Heilungschancen zu vermitteln und ihn beim ent, sondern nach den Erfolgsaussichten, der Dauer- Umgang mit chronischen Aspekten seiner Störung zu haftigkeit der Therapieerfolge und den im Text ge- unterstützen.

J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 40 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

Das hier vorgestellte Sequenzmodell stellt natürlich eine es für Patienten ebenso wie für überweisende Ärzte oder 1 Verkürzung dar, die nach Störungsbildern und anderen Psychologen sehr schwer, die Kompetenz eines gegebenen Faktoren differenziert werden muss. Genauere Aussagen Kollegen zu beurteilen. In der gesetzlichen ebenso wie in hierzu sind Gegenstand der einzelnen Kapitel dieses Lehr- der privaten Krankenversicherung stößt die Durchführung buches. An dieser Stelle ging es nur darum, die allgemeinen verhaltenstherapeutischer Maßnahmen auf eingrenzende Gesichtspunkte zur Logik des Vorgehens darzustellen. Rahmenbedingungen. Ein weiterer Aspekt sind die Wün- sche und Voreinstellungen der Patienten, die teilweise (oft vermittelt durch Medien, populäre Literatur oder Freunde 1.5 Einige Kritikpunkte und Probleme und Verwandte) mit ganz klaren Vorstellungen über ihre Behandlung kommen. Manche wünschen unter gar keinen Trotz aller Erfolge hat die Verhaltenstherapie auch ihre Pro- Umständen Medikamente (»Wie können Pillen bei psy- bleme. Diese liegen zum einen bei den Therapiemisserfol- chischen Problemen helfen?«), andere möchten auf keinen gen, die selbst bei guter Motivation der Patienten und opti- Fall psychotherapeutisch behandelt werden (»Ich bin doch maler Durchführung der Behandlung auftreten können. nicht verrückt!« oder »Die wühlen doch nur in der Kind- Hier ist vor allem die Forschung gefordert, um langfristig heit!«). Selbst hinsichtlich der Art einer eventuellen Psycho- die Erfolgsraten weiter zu verbessern. Zum anderen sind therapie bestehen bei manchen, vorzugsweise akade- aber auch Rahmenbedingungen wie mangelnde Informati- mischen Patienten genaue Vorstellungen (z. B. »in die Tiefe on von Patienten und Fachleuten und hartnäckige Missver- gehen«). Alle diese Punkte zusammen mögen dafür verant- ständnisse (vgl. Box) für Grenzen verantwortlich. Außer- wortlich sein, dass die Verhaltenstherapie bei Weitem nicht dem ist die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Verhaltensthe- so oft angewendet wird, wie man nach den Forschungsbe- rapeuten noch immer höchst mangelhaft – und dies nicht funden und der produktiven Publikationstätigkeit vermu- nur auf dem vielzitierten flachen Land. Darüber hinaus ist ten sollte (s. folgenden Exkurs).

Missverständnisse haben ein zähes Leben Als hinderlich für die weitere Verbreitung verhaltensthe- posttraumatischen Störungen oder Essstörungen) birgt rapeutischer Verfahren haben sich neben mangelndem keine Gefahren für die Patienten. Wissen vor allem Missverständnisse erwiesen. Daher sol- 4 Die Gedanken und Gefühle der Patienten werden nicht len einige der wichtigsten falschen Auffassungen hier ignoriert, sondern im Gegenteil direkt bearbeitet. kurz angesprochen werden: 4 Die moderne Verhaltenstherapie nimmt nicht an, dass 4 Verhaltenstherapie führt nicht zu Symptomverschie- alle psychischen Störungen durch einfache Konditio- bung (s. Exkurs zur Symptomverschiebung unter nierungsprozesse (»Rattenpsychologie« à la Mitscher- 7 1.4.2). lich) erlernt werden. 4 Das Erleben starker Gefühle bei Konfrontationsthera- 4 Der Gebrauch von Medikamenten ist nicht generell un- pien (z. B. bei Angststörungen, Trauerreaktionen, vereinbar mit Verhaltenstherapie.

Nachdem diese lange Zeit hartnäckig vorhandenen Miss- Jahrzehnten ein Anstieg des Interesses an der Verhaltens- verständnisse mehr und mehr aufgeklärt und gleichzeitig therapie beobachtet werden. Aber auch heute noch ist die eindeutigen Ergebnisse der Psychotherapieforschung der Mangel an gut ausgebildeten Fachleuten ein großes immer mehr rezipiert werden, kann in den letzten zwei Problem.

Exkurs In der Forschung gut belegt, in der Praxis noch immer vernachlässigt? Ein besonders bemerkenswertes Beispiel zur verhaltens- spezialisierten klinischen Psychologen und Psychiater (3% therapeutischen Versorgung stellen die Angststörungen bzw. 6%) führten zusammen sogar weniger Behandlungen dar. In einer repräsentativen Bevölkerungserhebung wur- durch als die somatischen Fachärzte (17%, Mehrfachnen- de die Behandlungssituation bei Angststörungen erfasst nungen möglich). Hinsichtlich der Art der Behandlungen (Margraf u. Poldrack 2000). Die Ergebnisse zeigten, dass bestand eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen medi- nur rund 40% aller Betroffenen eine Behandlung im wei- kamentöser Behandlung (rund 90% aller Behandlungen) testen Sinne erhielten und dass Hausärzte mit Abstand bzw. unspezifischer Beratung (rund 75%) und psychothera- die meisten Behandlungen bei Angstpatienten durch- peutischen Methoden (rund 17%). Darüber hinaus fiel eine führten (82% aller behandelten Patienten). Die eigentlich vergleichsweise hohe Rate stationärer Behandlungen auf 6

J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 41 Zusammenfassung 1

(10%), die zudem vorwiegend in Kur- und Rehabilitations- (der Anteil der dauerhaften Erfolge erreichte bei keiner Be- kliniken erfolgte. Besonders auffallend war jedoch die Tat- handlungsart ein Drittel), wobei die Psychotherapien mit sache, dass die Psychotherapien sich zu etwa gleichen Tei- rund 14% die geringste Erfolgsquote erreichten. Die Ergeb- len auf Entspannungsverfahren (einschließlich Hypnose) nisse können nur als Annäherung betrachtet werden, da und gesprächstherapeutische oder psychodynamische sie auf Angaben von Patienten in Interviews basieren. Sie Behandlungen aufteilten, wohingegen kognitiv-verhal- erfahren jedoch Unterstützung durch gleichlautende tenstherapeutische Verfahren nur rund 1% aller Behand- Befunde aus klinischen Stichproben, die von klinischen lungsfälle ausmachten. Angesichts dieser Tatsache er- Fachleuten untersucht wurden (vgl. auch den Exkurs scheint es nicht überraschend, dass die Patienten insge- »Eine aktuelle Effectiveness-Studie aus der Schweiz« in samt nur wenig zufrieden mit dem Therapieerfolg waren 7 Abschn. 1.4.3.).

Neben diesen Problemen hatte ich in den früheren Aufla- Ich hoffe, dass mit der hier gegebenen Darstellung der Ver- gen dieses Lehrbuches einige Kritikpunkte aufgeführt, de- haltenstherapie in Vergangenheit und Gegenwart eine zu- nen sich die Verhaltenstherapie bis dahin nicht genügend friedenstellende und entwicklungsfähige Antwort auf die gestellt hatte. Aus meiner Sicht ist dies auch heute noch Frage nach dem Wesen dieser psychotherapeutischen nicht hinreichend geschehen, was Anlass zur Bescheiden- Grundorientierung gegeben wurde. In jedem Fall dürfte heit und Selbstkritik bietet. ersichtlich sein, dass an Verhaltenstherapeuten hohe An- 4 Theorie und Praxis sind häufig nicht deckungsgleich. So sprüche gestellt werden, die eine fundierte Ausbildung er- ist z. B. das häufig verwendete Verfahren der Reizüberflu- fordern. Um die Qualität der angewandten Verhaltensthe- tung zwar hinsichtlich seiner Wirksamkeit empirisch ab- rapie zu sichern, muss diese psychologisches Grundlagen- gesichert, aber die ihm zugrunde liegende Theorie (Zwei- wissen, klinisch-psychologisches Störungs- und Faktoren-Theorie) ist in ihrer klassischen Form überholt. Veränderungswissen sowie hinreichend konkrete Anwen- 4 Da die Therapieverfahren meist störungsspezifisch sind dungsfertigkeiten vermitteln. Dabei sind speziell die Uni- und dabei stark auf vorhandenes Störungswissen zu- versitäten gefordert, diese Inhalte im Rahmen des Psycho- rückgreifen, kommt es zu einer Vernachlässigung unspe- logiestudiums bzw. der postgradualen Weiterbildung unter zifischer oder diffuser Beschwerdebilder. Die Hinweise ständiger Rückkoppelung mit dem neuesten Stand der For- für den Umgang mit dem Problem der Komorbidität (ge- schung zu vermitteln. Damit könnten sie einen direkten meinsames Vorliegen mehrerer Störungen), die ja eher Beitrag dazu leisten, dass bereits zur Verfügung stehende die Regel als die Ausnahme darstellt, sind oft begrenzt. Therapieverfahren zukünftigen oder praktizierenden The- 4 Es liegen kaum Ansätze für die Aufgaben der allgemei- rapeuten zugänglich gemacht werden und dadurch auch nen Beratung vor, die jedoch zumindest in psycholo- wirklich Eingang in die Versorgungsrealität finden. Darü- gischen Beratungsstellen einen bedeutenden Teil des ber hinaus ist durch die mit der Therapieausbildung not- Arbeitsfeldes ausmachen (z. B. Aufarbeiten unange- wendigerweise verbundene Zusammenarbeit von For- messener Schuldgefühle nach Ehescheidung, Loslö- schungs- und Praxisstätten die Chance gegeben, die oft sungsprobleme bei Verlassen des Elternhauses, Erzie- beklagte Gefahr des Auseinanderklaffens von Forschung hungsfragen, Sinnfragen). und Praxis aktiv zu überwinden, was sich langfristig positiv 4 Die starke Betonung von Veränderungsprozessen (ge- auf die zukünftige Entwicklung der Verhaltenstherapie aus- koppelt mit der Erzeugung einer ausgeprägten Hoff- wirken dürfte. nung der Patienten auf Veränderungen) hat nicht nur positive Konsequenzen, da es auch Grenzen der Verän- derung gibt bzw. manche Sachverhalte besser nicht ver- Zusammenfassung ändert werden sollten. Ein Beispiel für dieses Problem bietet die Partnertherapie: nicht jede Paarbeziehung Die Verhaltenstherapie ist die auf der empirischen Psycho- kann sinnvoll umgestaltet werden, auch bei grundsätz- logie basierende psychotherapeutische Grundorientierung. lich gut funktionierenden Beziehungen gibt es Bereiche, Ihre (Basis-, unspezifischen und störungsspezifischen) Ver- in denen die Partner nicht übereinstimmen und die fahren streben aufgrund von Störungs- und Änderungswis- nicht geändert werden können oder sollen. sen eine systematische Besserung der zu behandelnden 4 Der »klassische« Kritikpunkt an der frühen Verhaltens- Problematik an. Sie verfolgen konkrete und operationali- therapie, das Ausblenden des Erlebens gegenüber dem sierte Ziele auf den verschiedenen Ebenen des Verhaltens Verhalten, gilt zwar für die kognitiven Erweiterungen und Erlebens, leiten sich aus einer Störungsdiagnostik und nicht mehr. Er betrifft aber nach wie vor die Formen der individuellen Problemanalyse ab und setzen an prädispo- Verhaltenstherapie, die die »kognitive Wende« nicht nierenden, auslösenden und/oder aufrechterhaltenden mitgemacht haben. Problembedingungen an. Zu ihren Grundprinzipien gehört J.Margraf, S.Schneider (2009).Lehrbuch der Verhaltenstherapie Band 1. 3. Auflage. Springer:Heidelberg 42 Kapitel 1 · Hintergründe und Entwicklung

weiterhin, dass Verhaltenstherapie transparent, problem-, Borkovec, T. D. & Costello, E. (1993). Efficacy of applied relaxation and cog- 1 handlungs- und zielorientiert ist, nicht auf das therapeu- nitive-behavioral therapy in the treatment of generalized anxiety dis- tische Setting begrenzt bleibt und Hilfe zur Selbsthilfe sein order. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 61, 611–619. Brent, C. A., Holder, D., Kolko, D., Birmaher, B., Baugher, M. et al. (1997). A soll. Verhaltenstherapie als angewandte Wissenschaft wird clinical psychotherapy trial for adolescent depression comparing maßgeblich vom methodologischen Behaviorismus (Suche cognitive, family, and supportive therapy. Archives of General Psych- nach Gesetzmäßigkeiten, Beobachtbarkeit, Operationali- iatry, 54, 877–885. sierbarkeit, empirische Testbarkeit, experimentelle Prü- Butler, A. C., Chapman, J. E., Forman, E. M. & Beck, A. T. (2006). The empi- fung) geprägt. 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