2/2019 Heft ISSN 0940-4163 Militärgeschichte im Bild: Peter Becker in Stauffenberg – Die wahre Geschichte. Der 20. Juli 1944 als militärisches Geschehen Widerstand im Westen Deutsche Offiziere in China 1861–1900 Stay Behind. Eine Geheimarmee?

ZMS Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Impressum Inhalt

Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Der 20. Juli 1944 als Herausgegeben militärisches Geschehen 4 vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr durch Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann und Oberst Dr. Frank Hagemann (V.i.S.d.P.) Produktionsredakteure der akt. Ausgabe: Widerstand und Kriegsende Hauptmann Sascha Gunold M.A. Dr. Klaus Storkmann im Westen 10

Redaktion: Cornelia Grosse M.A. (cg) Hauptmann Sascha Gunold M.A. (sg) Oberst a.D. Prof. Dr. Winfried Heinemann, Oberleutnant Helene Heldt M.A. (hh) geb. 1956 in Dortmund, bis 2018 Historiker am Major Chris Helmecke M.A. (ch) ZMSBw, Honorarprofessor für Neuere Geschichte Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp) an der Brandenburgischen Technischen Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann (ks) Universität Cottbus-Senftenberg Bildredaktion: Esther Geiger Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić Karte: Dipl.-Ing. Bernd Nogli, Frank Schemmerling Layout: Carola Klinke Anschrift der Redaktion: Redaktion »Militärgeschichte« Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam Deutsche Militärexperten in E-Mail: ZMSBwRedaktionMilGeschichte@ China 1861–1900 14 bundeswehr.org Homepage: www.zmsbw.de Fregattenkapitän d.R. Dr. Andreas Wolfrum, Manuskripte für die Militärgeschichte werden geb. 1974 in Hof/Saale, nach seiner Tätigkeit als an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt ein- Fachberater in China Seminarleiter Sozialkunde gesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch am Franz-Ludwig-Gymnasium Bamberg Annahme eines Manuskriptes erwirkt der He- rausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung er- folgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redak­ tion behält sich Änderungen von Beiträgen vor. Die Wiedergabe in Druckwerken oder Neuen Medien, auch auszugsweise, anderweitige Ver- Stay Behind vielfältigung sowie Übersetzung sind nur nach Eine Geheimarmee in Deutschland? 18 vorheriger schriftlicher Zustimmung erlaubt. Die Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die Inhalte von in dieser Zeitschrift genannten Oberstleutnant d.R. Dr. Agilolf Keßelring, Webseiten und deren Unterseiten. geb. 1972 in Tokio, Militärhistoriker, Für das Jahresabonnement gilt aktuell ein Preis Institut für Kriegskunst, Nationale von 14,00 Euro inklusive Versandkosten (inner- Verteidigungsuniversität, Helsinki, Finnland halb Deutschlands). Die Hefte erscheinen in der Regel jeweils zum Ende eines Quartals. Die Kün- digungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende des Bezugszeitraumes. Ihre Bestellung richten Sie Service bitte an: Das historische Stichwort: Druckhaus Plagge GmbH Cyberspace 22 An der Feuerwache 7, 49716 Meppen, E-Mail: [email protected] Neue Medien 24 © 2019 für alle Beiträge beim Lesetipps 26 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) Die historische Quelle 28 Druck: Geschichte kompakt 29 Druckhaus Plagge GmbH, Meppen Ausstellungen 30 ISSN 0940-4163 Geleitwort Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die tödlichen Schüsse fielen in der Nacht vom 20. Juli 1944 kurz nach Militärgeschichte im Bild Mitternacht im Hof des Bendler­ blocks, dem heutigen Dienstsitz des Bundesministeriums der Ver­ teidigung. Sie rissen der Der 20. Juli 1944 im Infanterie Friedrich Olbricht, 31 Oberst Claus Schenk Graf von Spielfilm Stauffenberg, Oberst Albrecht Rit­ ter Mertz von Quirnheim und Oberleutnant Werner von Haeften in den Tod, die ihr Leben für Frei­ heit, Recht und Ehre opferten. Ge­ neraloberst wurde bereits kurz zuvor sein Leben genommen. In dunkelster Stunde haben sie mit ihrem Umsturzversuch ein Zeichen des Widerstandes gegen Unrecht und Willkürherrschaft gesetzt. Der 20. Juli 1944 war also zuallererst ein Widerstand der Soldaten. Die be­ teiligten Männer und Frauen erhoben sich gegen die menschenverachtende Herrschaft des Nationalsozialismus. Sie wagten den Umsturz eines Regimes, das seinen verbrecherischen Vernichtungskrieg auch gegen das eigene Volk führte. Die Widerstandskämpfer ließen sich von einer Vielzahl durchaus un­ terschiedlicher politischer und religiöser Motive leiten, vor allem aber von ihrem soldatischen Selbstverständnis und ihrem Gewissen. 75 Jahre danach ist der 20. Juli 1944 für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr eine Mahnung zum tapferen Eintreten für Recht und Freiheit. Streitkräfte müssen stets dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, seiner freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Würde Peter Becker als Oberst i.G. Claus Schenk Graf von aller Menschen dienen. Stauffenberg in der ZDF-Produktion Stauffenberg – Die Ein guter Grund, um dieses für die Geschichte und Tradition der Bundes­ wahre Geschichte (2009) wehr so bedeutende Datum als Schwerpunktthema der vorliegenden Aus­ gabe zu wählen. Kurz bevor in Deutschland der Kinospielfilm »Operati- on Walküre – Das Stauffenberg-Attentat« am 22. Janu- Die Bundeswehr trägt mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozial­ ar 2009 Premiere hatte, präsentierte das ZDF mit die- wissenschaften maßgeblich zur Erforschung und damit zur öffentlichen Dis­ sem zweimal 45 Minuten langen Doku-Drama aus der kussion über die Geschichte des militärischen Widerstandes bei. Die histori­ Werkstatt des damaligen ZDF-Chefhistorikers Guido sche Forschung erweitert dabei nicht nur unser Wissen, sondern befähigt uns Knopp eine solide recherchierte Biografie, in der die Soldaten auch zur unabhängigen Teilnahme an der gesellschaftspolitischen persönliche Entwicklung Stauffenbergs im Mittelpunkt Debatte über unsere militärische Geschichte sowie über unsere Gegenwart stand. Die durch einen etwas anmaßenden Titel signali- und Zukunft. sierte Objektivität litt jedoch unter häufig zu sentimen- Dazu sind die Ergebnisse der Forschung über den Kreis des Fachpubli­ talen Spielszenen mit einem steif agierenden Hauptdar- kums hinaus den Soldaten im Rahmen der historischen Bildung zugänglich steller. Einig blieben sich beide Produktionen in ihrer zu machen. Geschichtliche Hintergründe und Zusammenhänge müssen so positiven Grundhaltung zu Stauffenberg, dessen Tat aufbereitet werden, dass sie auch für den interessierten Laien verständlich noch heute »Grund für stillen Stolz« gebe, wie Knopp und interessant sind. zurecht betonte, »wir atmen etwas freier, weil es ihn Dieser Aufgabe dient seit ihrem Erscheinen im Jahre 1986 die Zeitschrift gegeben hat«. Jan Kindler Militärgeschichte. Seit über drei Jahrzehnten findet sie begeisterte Leser vom Gefreiten bis zum General. Allen Herausgebern sowie den zahlreichen Foto: Picture-alliance/PHOENIX_ZDF_Oliver_Halmburger militärischen und zivilen Redakteuren und Autoren gilt dafür mein Dank und meine Anerkennung.

Eberhard Zorn General Der 20. Juli

Der 20. Juli 1944

Bundeswehr/Carsten Vennemann als militärisches Geschehen

5Eine Bronzebüste von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der zentralen Figur beim Attentat vom 20. Juli 1944, in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, am 8.7.2014. Die Dauerausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand präsentiert sich zum 70. Jahrestag des Attentats auf Hitler überarbeitet und in neuer Konzeption.

m 1. Juli 2014 eröffnete Bundes­ Offizieren nur das: ein »Aufstand des Geburtsjahr Stauffenbergs. Claus kanzlerin Angela Merkel die Gewissens«? Oder war es ein »Auf­ Schenk Graf von Stauffenberg selbst, Aneue Dauerausstellung der Ge­ stand des Militärischen«? der Kopf der Umsturzplanung, wurde denkstätte Deutscher Widerstand und Für uns ist die Vorstellung, das Mili­ erst 1926 Soldat. Der spätere General­ legte dabei ein Bekenntnis zum Wider­ tär könne im Innern die Macht über­ major Henning von Tresckow hingegen stand im »Dritten Reich« in seiner gan­ nehmen, abwegig geworden. Aber war hatte sich 1917 als Freiwilliger gemel­ zen Breite ab. Sie erwähnte durchaus das auch 1944 so? Oder gab es so etwas det und war noch im Krieg Leutnant die militärischen Verschwörer: »Nur wie eine Tradition des Einsatzes des geworden – sie alle hatten ­ wenige Schritte entfernt von uns liegt Militärs im Innern? Der Umsturzver­ erfahrung. Selbst die wenigen sehr jun­ der Hof, in dem Claus Schenk Graf von such ist bisher kaum als militärisches gen Offiziere wie etwa Ewald-Heinrich Stauffenberg, Friedrich Olbricht, Mertz Geschehen dargestellt worden – dies von Kleist, geboren 1922 und erst 1941 von Quirnheim und Werner von Haef­ soll nachfolgend geschehen. Am Ende Soldat geworden, stammten weit über­ ten erschossen wurden«, und dann steht die Frage nach dem Nachwirken wiegend aus traditionsreichen Fami­ sprach sie auch von Henning von Tre­ des Widerstands in der Bundeswehr lien, deren Erfahrungsschatz ebenfalls sckow. Was erst bei näherer Betrach­ der Bundesrepublik und in der Natio­ weit vor das Jahr der »Machtergrei­ tung auffällt: Keinen der Soldaten un­ nalen Volksarmee der DDR. fung« 1933 zurückreichte. ter den Verschwörern bezeichnet die 1920 war der Kapp-Putsch des Mili­ Kanzlerin mit militärischem Dienst­ Reichswehr und Widerstand tärs gegen die Weimarer Republik ge­ grad. Das Andenken an den Wider­ scheitert, als die Arbeiter mit einem stand gegen Hitler und seine Kriegfüh­ Die älteren militärischen Angehörigen Generalstreik das Militär zum Rück­ rung scheint entmilitarisiert worden der Verschwörung hatten noch im Heer zug gezwungen hatten. Und dieses zu sein. Ist das aber berechtigt? Das des Kaiserreichs gedient. Das galt etwa Scheitern stand während des Krieges Militärgeschichtliche Forschungsamt für das vorgesehene Staatsoberhaupt, den Verschwörern bei ihren Überle­ hat 1984 eine Wanderausstellung »Auf­ den früheren Generalstabschef des gungen warnend vor Augen. Der Ge­ stand des Gewissens« erarbeitet, die Heeres, Generaloberst Ludwig Beck, neraloberst a.D. Kurt von Hammer­ über zwanzig Jahre lang in Kasernen der noch im 19. Jahrhundert, 1898, Offi­ stein -Equord etwa, seit 1933 ein der Bundeswehr sowie der interessier­ zier geworden war. General der Infan­ erklärter Gegner des NS-Regimes, for­ ten Öffentlichkeit gezeigt wurde. Aber terie Friedrich Olbricht war 1907 in ein derte noch auf seinem Sterbebett 1943: war die Fundamentalopposition von sächsisches Regiment eingetreten – im »Macht nur keinen Kapp-Putsch.«

4 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 gen Generalstreik unter der Führung von SPD und KPD nicht gewachsen ge­

SZ-Photo SZ-Photo SZ-Photo wesen. Dabei war in Rechnung zu stel­ len, dass die innere Schwäche des Rei­ ches eine zeitgleiche äußere Bedrohung Der 20. Juli 1944 hervorrufen konnte. Reichspräsident von Hindenburg war unter diesen Um­ ständen nicht zum offenen Verfas­ als militärisches sungsbruch bereit. Debatte um den Krieg der Zukunft Geschehen 5Generaloberst Ludwig 5 Henning 5General der Infanterie Beck von Tresckow Friedrich Olbricht In der Reichswehr – wie übrigens auch in der französischen Armee – gab es Aber auch nach 1920 hatte die Reichs­ Militärdiktatur anbieten konnte. Das eine langanhaltende Diskussion über wehr während der Weimarer Republik hochgeheime »Planspiel Ott« fand am den »Krieg der Zukunft«. Sie ging aus wiederholt die vollziehende Gewalt im 25. und 26. November 1932 im Reichs­ von der Frage, warum der Erste Welt­ Innern übernommen. wehrministerium statt. Die rechtlichen krieg verloren worden war: War die Reichspräsident Friedrich Ebert, ge­ Optionen dabei ließen sich die Militärs technologische und industrielle Über­ stützt auf den Notstands-Artikel 48 der von dem Staatsrechtler Carl Schmitt legenheit der Alliierten der Grund Weimarer Reichsverfassung, hatte ausarbeiten, der mit dem Hauptmann oder der »Dolchstoß«, die mangelnde etwa im November 1923 dem Chef der Hans Speidel vom Truppenamt be­ Unterstützung der »Heimatfront«? Heeresleitung, General der Infanterie freundet war und damals sein Diktum Von der Beantwortung dieser Frage , die vollziehende Ge­ »Souverän ist, wer über den Ausnah­ hing es in den Augen der Militärs ab, walt übertragen und das Heer beauf­ mezustand entscheidet«, entwickelte. wie das »Heer der Zukunft« sinnvol­ tragt, den Hitler-Ludendorff-Putsch in Es stellte sich heraus, dass mehrere lerweise aussehen sollte: Sollte die München niederzuschlagen. Seeckt Reichswehrkommandeure in der Re­ Reichswehr ein kleines, elitäres und wiederum hatte nach einiger Zeit an­ gion Berlin nicht zuverlässig bereit wa­ hoch mechanisiertes »Führerheer« standslos seine außerordentlichen ren, den Weg eines von der Mehrheit sein, oder sollten trotz der zahlenmäßi­ Vollmachten zurückgegeben. Das war der Bevölkerung abgelehnten Militär­ gen Begrenzung durch den Versailler nicht selbstverständlich gewesen, denn putsches mitzutragen. Dazu zählten Vertrag Vorbereitungen für die Auf­ einige antidemokratisch eingestellte der spätere Generalfeldmarschall Ernst stellung eines »Massenheeres« getrof­ Offiziere der Reichswehr hatten Seeckt Busch, damals Kommandeur des In­ fen werden? Seeckts Linie ging in die durchaus gedrängt, die Gelegenheit zu fanterieregiments 9, der damalige Richtung des elitären, politisch und nutzen, die Macht an sich zu reißen Hauptmann Friedrich Fromm und auch gesellschaftlich weitgehend iso­ und die ungeliebte republikanische auch der Oberstleutnant Erich lierten Führerheeres, das mit dem Regierung ganz zu verjagen. ­Hoepner, Kommandeur des Reiterregi­ Schlagwort eines »Staates im Staate« Im Herbst 1932 prüfte das Heer ernst­ ments 4 in Potsdam. Das zahlenmäßig nur unzureichend beschrieben wird. lich, ob man Eberts Nachfolger als schwache 100 000-Mann-Heer wäre Der bekannteste Vertreter eines auf ein Reichspräsident, Generalfeldmarschall den Anforderungen einer Auseinan­ Massenheer zur Erziehung der ganzen Paul von Hindenburg, als Alternative dersetzung mit den Nationalsozialis­ Bevölkerung zielenden Konzepts war zur NS-Diktatur eine zeitlich befristete ten und einem möglichen gleichzeiti­ Oberstleutnant Joachim von Stülpna­ gel (nicht identisch mit dem später im Widerstand ermordeten Carl-Heinrich von Stülpnagel).

akg-images Hitler und die Nationalsozialisten traten bekanntermaßen für eine Revi­ sion des Versailler Vertrages ein; sie lehnten die Reichswehr als »Söldner­ heer« ab und spielten mit dem Gedan­ ken, ihre eigene Straßenschlacht­ truppe, die SA, zum Kern einer neuen »Volksarmee« werden zu lassen – dem NS-Gedankengut entsprach eher der völlig entgrenzte »totale Krieg«. Erst als sich Hitler ab 1930 konservativen Gruppierungen und auch der Schwer­

Mussolini besichtigt zusammen mit Hitler den zerstörten Konferenz- raum im Führerhauptquartier, 20. Juli 1944.

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 5 Der 20. Juli

Die Gestapo-Ermittler wurden nach nach Ende ihrer Aufstellungsphase im »Die Folge dieser ›unpolitischen‹ Hal- dem 20. Juli 1944 nicht müde, die an Dezember 1943 zur Front abgezogen tung des Soldaten ist es, dass sich ein dem Staatsstreichversuch beteiligten und stand damit nicht mehr zur Verfü­ bestimmter Teil des Offizierskorps in Offiziere als typische Vertreter des gung. Das Beispiel macht deutlich, wie keiner Weise dem nationalsozialisti- »Systems« zu bezeichnen, die sich, un­ viel Planungsaufwand die ständigen schen Reich und dem Führer innerlich politisch wie eh und je, der NS-Weltan­ kriegsbedingten Verlegungen und Um­ verpflichtet fühlt [...] schauung verschlossen hatten. gliederungen der militärischen Ver­ Die Treueverpflichtung gegenüber Nun hatten die Ideen der zivilen Ver­ bände mit sich brachten. Adolf Hitler ist nicht tiefer als die ge- schwörer wie Carl Goerdeler, Ulrich Im Sommer 1944 war den meisten an gen Ebert […] von Hassell oder Johannes Popitz der Verschwörung beteiligten Offizie­ Die ist nach Auffassung durchaus etwas Rückwärtsgewandtes, ren klar, dass das Prinzip von Befehl dieses Teils des Offizierskorps ein nach Konservatives. Dass die Vorstellungen und Gehorsam allein nicht mehr aus­ eigenen Gesetzen lebendes Gebilde. eines Teils der Verschwörer zur Rolle Die bewusste Abschnürung vom politi- des Militärs in Staat und Gesellschaft Wansdorf Schildow Frohnau Unternehmen »Walküre«: Militärischer Kräfteansatz schen Leben fand ihren Ausdruck da- ebenso der Gedankenwelt von vor Pausin Berge A Blankenfelde Hermsdorf Lübars Schwanebeck rin, dass man auch außerhalb des 1933 verhaftet blieben, ist bisher nie so Lietzow Havel Heiligensee Karow Dienstes stets ›unter sich‹ blieb und deutlich gesagt worden, wird aber aus Buchholz Schönwalde Lindenberg den kameradschaftlichen und gesell- den Quellen offensichtlich. Nauen Rosenthal Blumberg schaftlich-familiären Verkehr auf die Das galt aber nicht ohne Einschrän­ Blankenburg Wilhelmsruh Verbindungen von Offizier zu Offizier kungen, und auch Stauffenberg hat er­ Bredow Brieselang Warten- Nieder- berg Tegel Wittenau beschränkte [...] kennen lassen, dass er für sich die eli­ Tegeler Schönhausen Ahrensfelde See ? Dieses in sich geschlossene Korps, täre Selbstisolierung der Armee Falkenberg Legende Markau (mot.) InfS HG Heinersdorf das unbedingt ›unpolitisch‹ sein aufzubrechen gewillt war: Mit einem Reinickendorf Pankow 1 Reichstag Falkensee wollte, wehrte sich gegen jedes Ein- Satz wie »Ich war nicht umsonst Soldat Weissensee 2 Regierungsviertel Wustermark N Hohen- dringen einer politischen Kraft in das im Volke« emanzipierte sich Stauffen­ 3 Stadtschloss und Standortkommandantur Elstal B Wedding Marzahn Hönow Offizierskorps.« berg eben auch ein gutes Stück weit 4 Befehlshaber des Ersatzheeres, Rohrbeck schönhausen Dyrotz Spandau 311 LSch 5 Haus des Rundfunks, Masurenallee Dallgow GD BERLIN Aus einem Gestapo-Bericht vom Denken der Reichswehr. Er sah (mot.) InfS Tremmen 320 LSch Gefechtsverband/Infanterieschule Döberitz Döberitz Moabit H nach dem 20. Juli 1944 die Armee als »die konservativste Ein­ A besetzt Sendeanlage Nauen Staaken Spree Gefechtsverband/InfanterieschuleEtzin Döberitz 1 3 Lichten- richtung und zugleich im Volke ver­ B (mot.) InfS Charlottenburg berg besetzt Haus des Rundfunks und Sendeanlage Tegel C Biesdorf wurzelt«; sie habe 1918 versagt, weil Gefechtsverband/Infanterieschule Döberitz 2 C Knoblauch D 4 Friedrichs- besetzt und sichert das Regierungsviertel Seeburg HWaMstrS industrie annäherte, dabei vorerst sie sich den aufstrebenden sozialen 5 B felde Gefechtsverband/Panzertruppenschule II Krampnitz Mahlsdorf seine revolutionären Ambitionen auf­ Kräften im Volke nicht geöffnet habe. D bezieht Verfügungsraum im Tiergarten xxx Wilmersdorf G Gefechtsverband (leichte FalkenrehdeKräfte)/Panzertruppenschule II Gatow E gab, gewann er Zuspruch zumindest E PzTrS II D Treptow Krampnitz überwacht die Kräfte LSSAH in Lichterfelde HFwS Karlshorst bei jüngeren Offizieren der Reichs­ Der 20. Juli als militärisches EinsatzkompanieKetzin Heeresfeuerwerkerschule Lichterfelde III. Neukölln F sichert Stadtschloss und Standortkommandantur Fahrland Grunewald Schöneberg wehr. Der Hochverratsprozess gegen Geschehen II. Gr. Glienicke EinsatzkompanieHavel der Heereswaffenmeisterschule Treptow Friedenau G sichert Stadtschloss und Standortkommandantur Tempelhof O. Schöneweide drei Offiziere des Artillerieregiments M Wachbataillon »Großdeutschland« Moabit Friedrichs- in Ulm, dessen Kommandeur der da­ Um die Besonderheiten des Umsturz­ H besetzt und sichert Regierungsviertel Fahr- Kladow Havel E Steglitz N. Schöneweide länder Krampnitz hagen Schmergow Dahlem F malige Oberst Ludwig Beck war, warf versuchs vom 20. Juli 1944 zu verste­ Ersatzbrigade »Großdeutschland« Anmarsch von See Teltow-Kanal Adlershof I Cottbus in Richtung Berlin Mariendorf Zehlendorf Britz ein Schlaglicht auf diese Entwicklung. hen, lohnt ein Blick auf die Planungen Gefechtsverband/Ersatzbrigade »Großdeutschland« ? Johannisthal Köpenick Gr. Müggelsee J Töplitz Ausb/ Die Debatte über den Krieg der Zu­ der Jahre 1938 und 1943. 1938, also besetzt Sendeanlage Königs Wusterhausen Ers Gefechtsverband/Ersatzbrigade »Großdeutschland« O LSSAH Teltow-Kanal K see Lankwitz kunft konnte man in den professionel­ noch vor Kriegsbeginn, hatten die da­ besetzt Sendeanlage Herzberg Bornim Wann- Wannsee Lichterfelde Grünau Marienfelde len Medien der Reichswehr sehr offen maligen Verschwörer auf das Prinzip L Gefechtsverband/Ersatzbrigade »Großdeutschland« Rudow Spree besetzt Flugplatz Rangsdorf M Alt Glienicke führen, ohne dafür berufliche Nachteile von Befehl und Gehorsam gesetzt. Der Gros der Ersatzbrigade »Großdeutschland«Gr. Zein- bindet Kräfte M See Osdorf befürchten zu müssen. Das »Militärwo­ Kommandeur der 23. Infanteriedivi­ der LSSAH in Lichterfelde im Rücken und besetzt 0 1 2 3 4 56 7 8 9 10 km Zentralflugplatz Tempelhof Potsdam Babelsberg Ausbildungs-/Ersatzeinheiten der Fallschirm-Panzer- chenblatt« und die anderen Militär­ sion, Generalleutnant Walter Graf von Lichtenrade Gr. Ziethen division 1 »Hermann Göring« in Wedding werden als Teltow Schmöckwitz zeitschriften druckten entsprechende Brockdorff-Ahlefeldt, war eingeweiht. N regimetreu angesehen und könnten dem Umsturz Stahnsdorf Werder Nuthe entgegentreten Schönefeld Eichwalde Artikel ab, und wurden in den Kasinos Auf seinen Befehl hin würden, davon Ruhlsdorf Ausbildungs-/Ersatzeinheiten der 1. SS-Panzerdivision durchaus kontrovers diskutiert. Die ge­ war man überzeugt, die unterstellten »Leibstandarte SS Adolf Hitler« in Lichterfelde werden als Drewitz O regimetreu angesehen und könnten dem Umsturz Geltow Groß sellschaftlich isolierte, vorgeblich apoli­ Regimenter marschieren, darunter das entgegentreten Glindow Güterfelde Mahlow Zeuthen Zeuthener Plötzin Beeren Waltersdorf See tische Reichswehr wurde so auch zu Infanterieregiment 9 aus Potsdam. Vor Templiner See Taktische Zeichen ­einem geschützten Kommunika­ einigen Jahren sind in russischen Archi­ xxx Rehbrücke Kaputh Gefechtsverband Schenkenhorst Miersdorf tionsraum, in dem ein offenes Wort ven Dokumente aus dem Herbst 1943 Wehrkreiskommando Infanterieschule III. Diedersdorf Gefechtsverband Blankenfelde noch lange möglich blieb. Das erklärt aufgetaucht, die damals in Ostpreußen x Ersatzbrigade/Panzer- PanzertruppenschuleWilhelms- Wildau auch, warum es fünfzehn Jahre später vergraben worden waren; die Sowjetar­ grenadierdivision »Großdeutschland«Schwielow-See horst Ers GD Gefechtsverband Ersatzbrigade Michendorf Genshagen möglich war, vor allem unter Offizie­ mee hatte sie 1945 dort gefunden. Auch ? Ausbildungs- und Ersatztruppenteile/ GD »Großdeutschland« Ludwigs- Dahlewitz Ausb./ 1. SS-Panzerdivision felde Ers LSSAH Ahrensdorf Königs ren der »traditionellen« Regimenter im Herbst 1943 war noch beabsichtigt, »Leibstandarte SS AdolfFerch Hitler« Wachbataillon »Großdeutschland« GD Wusterhausen wie des Infanterieregiments 9 in Pots­ bestimmte Truppenteile mit konkreten Heereswaffenmeisterschule Kl. Kienitz Landesschützenbataillon Klaistow Rangsdorf dam oder des Reiterregiments 17 in Aufgaben der Umsturzplanung zu be­ Pionierschule LSch Löwenbruch Rangs- GD J ? Ausbildungs-Wilden- und Ersatztruppenteile Gröben dorfer L Ragow Bamberg so offen zu kommunizieren, trauen. Das sollte in Ostpreußen die ge­ HG derbruch Fallschirm-Panzerdivision 1 See x Heeresfeuerwerkerschule »Hermann Göring« einen Staatsstreich vorzubereiten und rade dort neu aufgestellte 18. Artillerie­ Siethen Kerzendorf GD Infanterie-EinsatzkompanieFresdorf Gr. Schulzen- zu planen, ohne dass der Geheimen division sein, deren Kommandeur im Infanterieschule Seddin dorf Ers GD Zeesen Funk-Sendeanlage Staatspolizei (Gestapo) davon etwas Sinne der Verschwörer zuverlässig Panzertruppenschule K Herzberg 115 km Mittenwalde I ©ZMSBw bekannt wurde. schien. Die Division wurde allerdings GD Cottbus 98 km 08446-01

6 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 reichen würde, um das NS-Regime zu dann zumindest eine Zeit lang die Fik­ intern vorher zu verteilen. Lediglich stürzen. Das beantwortete auch die tion aufrechtzuerhalten, die verhasste die vorbereiteten und in verschlosse­ Frage, ob es zwingend nötig war, Hit­ SS habe ihn getötet, und deshalb müsse nen Umschlägen verteilten geheimen ler mit einem Attentat zu töten. Gegen das Heer jetzt gegen sie vorgehen. Die Zusatzbefehle ließen erkennen, dass einen lebenden Hitler, da waren sich nationalkonservativen Offiziere woll­ das ursprünglich zur Bekämpfung von Stauffenberg und seine engsten Ver­ ten sich hier eine in den Strukturen des Aufständen oder alliierten Luftlandun­ bündeten sicher, würde das Heer des Dritten Reiches angelegte alte Rivalität gen im Reich gedachte Unternehmen fünften Kriegsjahres mit seinen 90 Pro­ zunutze machen. »Walküre« einem ganz anderen Zweck zent Reserveoffizieren und den Leut­ Die Planungen des Sommers 1944 er­ dienstbar gemacht werden sollte. nants aus der Hitler-Jugend-Genera­ schienen auf den ersten Blick »politisch Der Umsturzversuch ist am 20. Juli tion nicht mehr marschieren. Es kam neutral«; deshalb war es auch kein Pro­ von Anfang an nicht so abgelaufen, daher darauf an, Hitler zu töten und blem, die »Walküre-Befehle« heeres­ wie er geplant war, und das lag daran,

Wansdorf Schildow Pausin Frohnau Unternehmen »Walküre«: Militärischer Kräfteansatz Berge A Blankenfelde Hermsdorf Lübars Schwanebeck Lietzow Havel Heiligensee Karow Buchholz Schönwalde Lindenberg Nauen Rosenthal Blumberg Blankenburg Wilhelmsruh Bredow Brieselang Warten- Nieder- berg Tegel Wittenau Tegeler Schönhausen Ahrensfelde See ? Falkenberg Legende Markau (mot.) InfS HG Heinersdorf Reinickendorf Pankow 1 Reichstag Falkensee Weissensee 2 Regierungsviertel Wustermark N Hohen- 3 Stadtschloss und Standortkommandantur Elstal B Wedding Marzahn Hönow 4 Befehlshaber des Ersatzheeres, Bendlerblock Rohrbeck schönhausen Dyrotz Spandau 311 LSch 5 Haus des Rundfunks, Masurenallee Dallgow GD BERLIN (mot.) InfS Tremmen 320 LSch Gefechtsverband/Infanterieschule Döberitz Döberitz Moabit H A besetzt Sendeanlage Nauen Staaken Spree Gefechtsverband/InfanterieschuleEtzin Döberitz 1 3 Lichten- B (mot.) InfS Charlottenburg berg besetzt Haus des Rundfunks und Sendeanlage Tegel C Biesdorf Gefechtsverband/Infanterieschule Döberitz 2 C Knoblauch D 4 Friedrichs- besetzt und sichert das Regierungsviertel Seeburg HWaMstrS 5 B felde Gefechtsverband/Panzertruppenschule II Krampnitz Mahlsdorf D bezieht Verfügungsraum im Tiergarten xxx Wilmersdorf G Gefechtsverband (leichte FalkenrehdeKräfte)/Panzertruppenschule II Gatow E E PzTrS II D Treptow Krampnitz überwacht die Kräfte LSSAH in Lichterfelde HFwS Karlshorst EinsatzkompanieKetzin Heeresfeuerwerkerschule Lichterfelde III. Neukölln F sichert Stadtschloss und Standortkommandantur Fahrland Grunewald Schöneberg II. Gr. Glienicke EinsatzkompanieHavel der Heereswaffenmeisterschule Treptow Friedenau G sichert Stadtschloss und Standortkommandantur Tempelhof O. Schöneweide M Wachbataillon »Großdeutschland« Moabit Friedrichs- H besetzt und sichert Regierungsviertel Fahr- Kladow Havel E Steglitz N. Schöneweide länder Krampnitz hagen Schmergow Dahlem F Ersatzbrigade »Großdeutschland« Anmarsch von See Teltow-Kanal Adlershof I Cottbus in Richtung Berlin Mariendorf Zehlendorf Britz Gefechtsverband/Ersatzbrigade »Großdeutschland« ? Johannisthal Köpenick Gr. Müggelsee J Töplitz Ausb/ besetzt Sendeanlage Königs Wusterhausen Ers Gefechtsverband/Ersatzbrigade »Großdeutschland« O LSSAH Teltow-Kanal K see Lankwitz besetzt Sendeanlage Herzberg Bornim Wann- Wannsee Lichterfelde Grünau Marienfelde L Gefechtsverband/Ersatzbrigade »Großdeutschland« Rudow Spree besetzt Flugplatz Rangsdorf M Alt Glienicke Gros der Ersatzbrigade »Großdeutschland«Gr. Zein- bindet Kräfte M See Osdorf der LSSAH in Lichterfelde im Rücken und besetzt 0 1 2 3 4 56 7 8 9 10 km Zentralflugplatz Tempelhof Potsdam Babelsberg Ausbildungs-/Ersatzeinheiten der Fallschirm-Panzer- Lichtenrade Gr. Ziethen division 1 »Hermann Göring« in Wedding werden als Teltow Schmöckwitz N regimetreu angesehen und könnten dem Umsturz Stahnsdorf Werder Nuthe entgegentreten Schönefeld Eichwalde Ruhlsdorf Ausbildungs-/Ersatzeinheiten der 1. SS-Panzerdivision »Leibstandarte SS Adolf Hitler« in Lichterfelde werden als Drewitz O regimetreu angesehen und könnten dem Umsturz Geltow entgegentreten Glindow Güterfelde Groß Plötzin Beeren Mahlow Zeuthen Zeuthener Templiner See Waltersdorf See Taktische Zeichen xxx Rehbrücke Kaputh Gefechtsverband Schenkenhorst Miersdorf Wehrkreiskommando Infanterieschule III. Diedersdorf Gefechtsverband Blankenfelde x Ersatzbrigade/Panzer- PanzertruppenschuleWilhelms- Wildau grenadierdivision »Großdeutschland«Schwielow-See horst Ers GD Gefechtsverband Ersatzbrigade Michendorf Genshagen ? Ausbildungs- und Ersatztruppenteile/ GD »Großdeutschland« Ludwigs- Dahlewitz Ausb./ 1. SS-Panzerdivision felde Ers LSSAH Ahrensdorf Königs »Leibstandarte SS AdolfFerch Hitler« Wachbataillon »Großdeutschland« GD Wusterhausen Heereswaffenmeisterschule Kl. Kienitz Landesschützenbataillon Klaistow Rangsdorf Pionierschule LSch Löwenbruch Rangs- GD J ? Ausbildungs-Wilden- und Ersatztruppenteile Gröben dorfer L Ragow HG derbruch Fallschirm-Panzerdivision 1 See x Heeresfeuerwerkerschule »Hermann Göring« Siethen Kerzendorf GD Infanterie-EinsatzkompanieFresdorf Gr. Schulzen- Infanterieschule Seddin dorf Ers GD Zeesen Funk-Sendeanlage Panzertruppenschule K Herzberg 115 km Mittenwalde I ©ZMSBw GD Cottbus 98 km 08446-01

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 7 Der 20. Juli

wachen, ansonsten eine gepanzerte Re­ serve in Verfügungsraum Tiergarten in unmittelbarer Nähe des Bendlerblocks, dem Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht, bilden. Die Heeresfeuerwerkerschule und die Heereswaffenmeisterschule in Treptow konnte Feldwebel in der Aus­ bildung bereitstellen, fronterfahren, aber nicht motorisiert; sie sollten daher

Bundesarchiv-Militärarchiv, RH 53-23/59, fol. 72 Bundesarchiv-Militärarchiv, möglicherweise per Straßenbahn an­ marschieren. Zahlenmäßig von gerin­ ger Stärke, unterstanden beide der Standortkommandantur. Ihr Auftrag war die Sicherung des Berliner Stadt­ schlosses und der daneben liegenden Standortkommandantur. Unter Führung des Wehrkreiskom­ 5Fernschreiben der Verschwörer an die unterstellten Wehrkreise mit dem Befehl zur mandos III und erst nach längerem An­ Übernahme der vollziehenden Gewalt durch die stellvertretenden Kommandieren- marsch, vermutlich sogar erst am den Generale und Wehrkreisbefehlshaber und zur Durchführung weiterer Maßnah- nächsten Tag verfügbar, war die Ersatz­ men. brigade »Großdeutschland« in Cottbus, rund 7000‑8000 Mann. Ihre Einsatzbe­ dass Stauffenberg bereits am 15. Juli größerer Stärke, Beweglichkeit und reitschaft war am 15. Juli überprüft­ das Attentat hatte verüben wollen. Wie Kampfkraft in der ehemaligen Haupt­ worden. Sie konnte innerhalb von ursprünglich vorgesehen, hatten die kadettenanstalt in Berlin Lichterfelde 12 Stunden den Sender Herzberg, den Verschwörer an diesem Tag schon am stationiert. Dort erwarteten die Ver­ Sender Königs Wusterhausen, den Morgen die Truppenteile des Ersatz­ schwörer den feindlichen Schwer­ Flugplatz Rangsdorf bei Zossen sichern heeres mobilisiert und teilweise auch punkt. sowie von Süden nach Berlin hinein in Marsch gesetzt. Mit Mühe hatte sich Dem stand an »eigenen Kräften« zu­ vorgehen. Hier sollten die SS-Kräfte in das Ganze als »Übung« tarnen lassen, nächst das Wachbataillon in Moabit ge­ Lichterfelde von hinten gebunden und und Olbricht hatte heftige Kritik von genüber, motorisierte Infanterie, aus­ der Flughafen Tempelhof für eigene seinem Befehlshaber, Generaloberst weislich des Übungsalarms vom Verstärkungen gesichert werden. Friedrich Fromm, hinnehmen müssen. 15. Juli sofort verfügbar. Geführt Von der Heeresgruppe Mitte sollten Bei einem weiteren Versuch würden wurde es aber von dem absolut system­ 1200 Mann aus dem Kavallerieregi­ die Verschwörer eine solche vorherige treuen Major Remer, auf den also nur ment Mitte per Lufttransport aus dem Auslösung von Maßnahmen nicht wie­ so lange Verlass war, wie er der ausge­ Großraum östlich von Warschau hin­ derholen können. gebenen Lage glaubte. Er unterstand zukommen. Die würden sich aller­ der Stadtkommandantur Berlin unter dings erst noch später in der Reichs­ Rekonstruktion der Generalleutnant Paul von Hase. Hase hauptstadt auswirken können. Umsturzplanungen war als oppositionell denkender Offi­ Das war eigentlich eine grundsolide zier bekannt, war aber erst am 15. Juli Planung, vorausgesetzt, Hitler war Nur aus dem Geschehen des 15. Juli in die Umsturzplanung und seine ei­ wirklich tot. Die Heranführung von und den bis heute erhaltenen Befehlen gene Rolle dabei eingewiesen worden. Reserven, die sich erst nach Tagen aus­ lässt sich daher die ursprüngliche Um­ Die Infanterieschule Döberitz, drei wirken können, belegt, dass das Heer sturzplanung mit einiger Bestimmtheit Bataillone stark, unterstand dem Wehr­ sich auch auf eine länger dauernde rekonstruieren. kreiskommando III. Sie würde erst Auseinandersetzung im Innern, auf ei­ Im Einzelnen kam es darauf an, die nach Mobilisierung und Anmarsch nen regulären Bürgerkrieg wie nach Schaltstellen der Macht, vorrangig den über rund 25 km verfügbar sein. Ihr Kriegsende 1918 einstellte. Die Natio­ Hauptgefechtsstand des Umsturzes wäre der Auftrag erteilt worden, die nalkonservativen sahen dabei jetzt – so beim Befehlshaber des Ersatzheeres, zur Sicherung des Regierungsviertels wie 1932 – sowohl die Nationalsozialis­ sodann die Ministerien des Großdeut­ eingesetzten Kräfte zu verstärken, dar­ ten als auch die Nationalkommunis­ schen Reiches gegen Angriffe system­ über hinaus das Haus des Rundfunks ten, etwa das von Kriegsgefangenen in treuer Kräfte zu sichern. an der Masurenallee sowie die Sender sowjetischen Lagern gegründete Nati­ Als solche waren zunächst Bodent­ Tegel und Nauen zu besetzen. onalkomitee »Freies Deutschland« als ruppen der Luftwaffe in unbekannter Von der Panzertruppenschule II in potenzielle Gegner an. Stärke und Kampfkraft in der Gene­ Krampnitz wurden zwei gepanzerte ral-Göring-Kaserne am Feldflugplatz Bataillone erwartet, die jedoch eben­ Mythos Major Remer Tegel in Rechnung zu stellen. falls erst nach Mobilisierung und ei­ Mehr Respekt nötigten den Ver­ nem 30-km-Anmarsch verfügbar sein Woran ist der Umsturzversuch dann schwörern die Ersatztruppenteile der würden. Sie sollten mit leicht gepan­ gescheitert? Lange hat sich der Mythos Leibstandarte SS »Adolf Hitler« zerten Kräften nach Süden aufklären des Wachbataillons und seines Kom­ (LSSAH)­ ab. Diese war vermutlich in und die SS-Kräfte in Lichterfelde über­ mandeurs, des Majors Otto Ernst Re­

8 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 mer, gehalten. Kein Film über den Berlin-Schöneberg, Grabstein auf dem 20. Juli, in dem nicht die Szene nach­ Alten Matthäikirchhof. gespielt wird, wie Remer aus dem Dienstzimmer des Reichspropaganda­ versuchs zusammen; der Standort­ ministers Joseph Goebbels mit Hitler kommandant, Generalleutnant Paul tele­foniert: »Remer, erkennen Sie meine von Hase, war später einer der ersten, Stim­me?« Aber das war gegen die vom Volksgerichtshof verurteilt 19:00 Uhr. Doch die ersten Teile von und hingerichtet wurde. Das Gebäude Remers Bataillon trafen erst gegen der Stadtkommandantur ist im Krieg 23:30 Uhr im Bendlerblock ein, gerade zerstört und erst in den letzten Jahren rechtzeitig, um ein Erschießungskom­ von der Bertelsmann-Gruppe als ihre mando stellen zu können. In Wirklich­ Hauptstadtrepräsentanz mit der ur­ keit waren es die Heeresoffiziere aus sprünglichen Fassade wiedererrichtet dem Stab des Allgemeinen Heeresam­ worden. Aber auch dort findet sich tes selbst, die inzwischen dem Auf­ kein Hinweis auf den Widerstand. stand in ihrem Stabsgebäude ein Ende Einige jüngere Offiziere sollten sich gemacht, den vorübergehend festge­ in der Nähe des Bendlerblocks bereit­ setzten Befehlshaber Generaloberst halten, bis es losging, darunter der erst Fromm befreit und dann die an der vor Kurzem gestorbene, damals 22-jäh­ Ver­schwörung beteiligten Offiziere ver­- rige Leutnant Ewald-Heinrich von haftet hatten. Das NS-Regime dagegen Kleist. Sie saßen im Hotel Esplanade, Winfried Heinemann hatte ein Interesse daran zu verschlei­ unweit des Bendlerblocks. Der Saal des ern, dass es das Heer selbst gewesen Hotels ist erhalten und heute Teil des Ein anderer Gedenkort ist – zuletzt – war, das den Aufstand niedergeschla­ Sony Centers am Potsdamer Platz. Im das Grab auf dem Alten St. Matthäus- gen hatte. Untergeschoss findet sich eine Tafel, Kirchhof in Schöneberg. Aber auch die dieses Geschehen beschreibt, aber hier ist das Gedenken entmilitarisiert – Orte des Gedenkens leider ist sie faktisch unrichtig: Natür­ verständlich vielleicht bei fünf Namen lich hat nicht Stauffenberg selbst hier auf einem Grabstein, aber doch nicht Der Staatsstreichversuch fand in einem gewartet. selbstverständlich angesichts des Ber­ konkreten Raum statt: in Berlin und Eine weitere Ausnahme findet sich liner Brauchs, alle Arten von Rängen Umgebung. Es bietet sich daher an, ei­ am ehemaligen Flughafen Rangsdorf. und Titeln auf Gräbern zu verewigen. nen Blick auf einige jener Orte zu wer­ Dort weist seit dem 20. Juli 2004 ein Die aktuellen Richtlinien zur Traditi­ fen, an denen das Geschehen des kleiner, in Privatinitiative erstellter Ge­ onspflege der Bundeswehr sehen 20. Juli tatsächlich stattgefunden hat. denkstein darauf hin, dass Stauffen­ grundsätzlich keinen Bezug der Bun­ Wo wird an dieses Geschehen konkret berg und sein Adjutant Werner von deswehr mehr zur Wehrmacht vor. erinnert, und wie? Haeften 60 Jahre zuvor von dort aus »Beteiligung am militärischen Wider­ In der General-Alvensleben-Kaserne »zum Attentat« im Führerhauptquar­ stand« erfassen die Richtlinien als eine in Cottbus war – wie dargestellt – die tier »Wolfsschanze« per Flugzeug ge­ der möglichen Ausnahmen von dieser Ersatzbrigade der Division Groß­ startet und von dort auch nach Rangs­ Regel; zu bedenken ist dabei auch »die deutschland­ stationiert. Dort erinnert dorf zurückgekehrt sind. Frage persönlicher Schuld«. Damit ist eine Gedenktafel an die militärische Das vielleicht bekannteste Symbol auch nicht mehr der Widerstand als Vergangenheit dieses Ortes, der heute des Gedenkens findet sich am eigentli­ Ganzes automatisch traditionswürdig Theater, Behörden und anderes mehr chen Ort des Geschehens in der heuti­ – gewiss eine Folge der in den letzten beherbergt. Dass aber von hier aus am gen Gedenkstätte Deutscher Wider­ Jahrzehnten öffentlich und wissen­ 15. wie am 20. Juli Truppen für den stand: die Statue des Heros von schaftlich geführten Diskussion über Staatsstreich losmarschiert sind – fin­ Richard Scheibe im Innenhof des Ber­ die Beteiligung einzelner im Wider­ det keine Erwähnung. liner Bendlerblocks. Diese Gestalt ver­ stand umgekommener Offiziere an Die Kaserne Krampnitz, damals eine weist nicht speziell auf den militäri­ den Verbrechen des Regimes. Kavallerieschule, ist den Potsdamern schen Widerstand, sondern bezieht alle Die am Umsturzversuch des 20. Juli heute als Spekulationsobjekt bekannt, Männer (allerdings nicht die Frauen) in 1944 beteiligten Offiziere haben zuerst das schon einen brandenburgischen Fi­ das Widerstandsgedenken ein. Das aus militärischem Sachverstand heraus nanzminister das Amt gekostet hat. Die entspricht übrigens – insofern ganz gehandelt – sie waren eben Berufsoffi­ Liegenschaft selbst, malerisch am See modern – dem Auftrag der Gedenk­ ziere und dachten entsprechend. Aber gelegen, verrottete bis vor Kurzem vor stätte selbst, den Widerstand gegen sie haben aus militärischer Sachkennt­ sich hin und ist heute ein städtisches Hitler in seiner ganzen Breite darzu­ nis heraus das moralisch Richtige ge­ Entwicklungsgebiet mit einem Bebau­ stellen. tan; genau deshalb sind sie gute Vorbil­ ungskonzept, das verspricht, dringend Anders verhält es sich mit der Ge­ der für die Bundeswehr von heute. benötigten Wohnraum zur Verfügung denktafel an der Wand des Innenhofes, zu stellen. Vorne zur Straße ist immer die auch zur regelmäßigen Kranznie­  Winfried Heinemann noch das Offizierkasino gelegen. Auch derlegung dient: Hier sind die fünf in Literaturtipp hier keine Erinnerung an den 20. Juli. der Nacht des 20. auf den 21. Juli Hin­ Winfried Heinemann, Unternehmen »Walküre«. Eine Mi- In der Standortkommandantur in gerichteten mit vollem Dienstgrad auf­ litärgeschichte des 20. Juli 1944, Berlin, Boston: De Gruy- Berlin liefen die Fäden des Umsturz­ geführt. ter 2018 (= Zeitalter der Weltkriege, 21)

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 9 Widerstand im Westen

Der Widerstand

Gusman/Bridgeman Images und das Kriegsende im Westen

Das Hotel Majestic war Hauptquartier des Militärbefehlshabers Frankreich. Von 1942 bis zu sei- ner Verhaftung am 21. Juli 1944 nach dem Attentat auf Hitler war General der Infanterie Carl- Heinrich von Stülpnagel Militärbefehlshaber Frankreich. SZ-Photo as Attentat auf Hitler am 20. Juli zeichnet zu werden, die mitten im Hitlers Voraussetzung für jeden Frie­ 1944 war nicht Selbstzweck. Viel­ Krieg dem bis dahin erfolgreichen den. Hitler war nie bereit gewesen, Dmehr ging es darum, das NS-Re­ »Führer« und damit Volk und Wehr­ Aussagen darüber zu machen, wie und gime zu stürzen, und selbst das war macht den »Dolch in den Rücken gesto­ wann er den Krieg beenden wollte, und noch nicht das letzte Ziel: Am Ende ßen hätten«. Unterstützung für ihren angesichts der unsäglichen von Deut­ sollte es dem nationalkonservativen Umsturz konnten sie nur erwarten, schen verübten Verbrechen hätte auch Widerstand darum gehen, einen ver­ wenn sie einen besseren Kriegsausgang niemand mit ihm Frieden schließen brecherischen Krieg möglichst bald zu in Aussicht stellen konnten als die von wollen. Die Diplomaten unter den Ver­ beenden. den Alliierten geforderte bedingungs­ schwörern machten sich lange Gedan­ lose Kapitulation. ken über ein zukünftiges Europa oder Kriegsende als Ziel des Die Westalliierten allerdings hielten darüber, wo die Grenzen Deutschlands Umsturzes sich bedeckt: Sie waren nicht bereit, Zu­ in Zukunft verlaufen würden. Noch im geständnisse zu machen. Woher sollten Sommer 1944 ging der zivile Kopf der Verbrecherisch erschien der Krieg sie wissen, ob diese angeblichen Wider­ Verschwörung, der frühere Leipziger nicht nur wegen der von Deutschen be­ standsvertreter aus den nationalkon­ Oberbürgermeister Carl Goerdeler, da­ gangenen Untaten, sondern auch, weil servativen deutschen Eliten nicht in von aus, Südtirol werde ebenso beim mit diesem Krieg keine politischen Wirklichkeit Agenten des deutschen Reich verbleiben wie Elsass-Lothrin­ Ziele mehr zu erreichen waren und die Geheimdienstes waren? Angebote des gen, und im Osten werde die Reichs­ tausenden Opfer, die täglich unter Westens zu einem Kompromissfrieden grenze von 1914 wiederhergestellt. Zur deutschen jungen Männern zu bekla­ könnten dann plötzlich benutzt wer­ selben Zeit stellten sich die deutlich re­ gen waren, völlig sinnlos waren – ein den, um einen Keil zwischen die Anglo­ alistischer denkenden Militärs die »Verbrechen am deutschen Volk«. amerikaner auf der einen und Stalin auf Frage, wie man die Kampfhandlungen Allerdings waren sich die zivilen wie der anderen Seite zu treiben. kurzfristig würde beenden können. die militärischen Verschwörer bewusst, Grundsätzlich waren aber ein Macht­ Ganz allgemein sollte ja der Umsturz dass sie Gefahr liefen, als »Verräter« be­ wechsel in Deutschland und ein Sturz dadurch herbeigeführt werden, dass

10 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 das Heer vorübergehend die »vollzie­ hende Gewalt«, also die Macht im In­ nern des Reiches übernahm. Das hätte auch bedeutet, dass die Militärs zuerst picture-alliance mit den Kriegsgegnern Kontakt hätten aufnehmen müssen. Wie aber – und gegenüber welchen Kriegsgegnern – sollte das geschehen?

Ost oder West?

Nach dem Krieg ist oft darüber speku­ liert worden, ob Stauffenberg und seine engsten Vertrauten einen Sonder­ frieden mit Stalin angestrebt haben. Vor allem der frühere Gestapo-Beamte Hans-Bernd Gisevius hat das in seinen Memoiren behauptet. Gisevius war der Verbindungsmann der zivilen Verschwörer in Zürich, und das hieß zum amerikanischen Geheim­ dienst und dessen Vertreter Allen W. Der spätere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Otto John (l.) war Dulles (dem späteren CIA-Chef, der in wichtiger Kontaktmann der Verschwörer zu den Westmächten. der Ära Kennedy die versuchte ameri­ kanische Invasion in der Schweine­ Neben dem Reformator Martin Luther Die Hauptstadt des neutralen Spa­ bucht zu verantworten hatte). Dulles und dem Bauernkriegshelden Thomas nien war ein Tummelplatz aller mögli­ hatte den Auftrag, der US-Regierung Müntzer kam dabei auch Stauffenberg chen Agenten. Otto John gibt in seinen Einschätzungen darüber zu liefern, in den Blick, hatte er doch angeblich Memoiren an, er habe in Verbindung wie sich ein zukünftiges Deutschland auf der »richtigen« Seite im Zweiten zum amerikanischen Oberst Hohen­ wohl orientieren würde, und diese Weltkrieg gestanden. Immerhin hatte thal gestanden, und das trifft wohl Frage stellte er immer wieder auch Gi­ der sowjetische Diktator mit dem »Na­ auch zu. Aber Dulles in Zürich berich­ sevius. Dieser stand von Anfang an tionalkomitee Freies Deutschland«, tete seinen Auftraggebern auch, dass den Offizieren in der Opposition sehr der gegen Hitler agitierenden Gruppe nach seinen Informationen John für die kritisch gegenüber, vor allem Claus deutscher Kriegsgefangener in sowjeti­ Briten gearbeitet habe. Als John nach Schenk Graf Stauffenberg, dem schem Gewahrsam, ein auf den ersten dem 20. Juli nach Madrid entkam, dort Oberst i.G. und Chef des Stabes beim Blick attraktives Angebot gemacht. Sta­ aber in Gefahr geriet, von den spani­ Befehlshaber des Ersatzheeres. Stauf­ lins Äußerung, die Hitlers kämen oder schen Behörden an Deutschland aus­ fenberg lehnte zunehmend den zivilen gingen, das deutsche Volk aber bleibe, geliefert zu werden, zog er es jedenfalls Kopf der Verschwörung, den früheren schien doch ganz anders zu klingen als vor, über Lissabon nach London zu ge­ Leipziger Oberbürgermeister Carl die Forderung der Westalliierten nach hen und dann für die BBC zu arbeiten. Goerdeler, als zu redselig, aber auch einer bedingungslosen Kapitulation. Nach dem Krieg setzten die Briten politisch zu konservativ ab. Gisevius Jedoch nichts davon ist wahr. Wie John als den ersten Präsidenten des hingegen stand ganz auf Seiten Goer­ schon die zivile Opposition vor ihm Bundesamtes für Verfassungsschutz delers, und das scheint auch seine spä­ beabsichtigte Stauffenberg, Verbin­ durch, bis er 1954 nach Ostberlin ging tere Darstellung Stauffenbergs beein­ dung mit den Westalliierten aufzuneh­ und im dortigen Rundfunk Propa­ flusst zu haben. men, um den Krieg an der Westfront ganda gegen Adenauers Politik der Gisevius hat in seinen Memoiren zuerst zu beenden. Westbindung machte. John hat in sei­ nach dem Krieg geschrieben, Stauffen­ nen Memoiren behauptet, er habe 1944 berg und sein Kreis seien »Sozialisten« Verbindungen zum Kriegsgegner sicherstellen können, dass Mitteilun­ gewesen, die sich auch außenpolitisch und zur Résistance gen einer neuen deutschen Regierung an Stalin ausrichten wollten. Wie wir binnen 48 Stunden auf Eisenhowers heute aus Dulles‘ Berichten an seine Das hatte Stauffenberg auch bereits Schreibtisch liegen würden. Die Ge­ Washingtoner Zentrale wissen, hat Gi­ vorbereitet. Sein wichtigster Kontakt­ stapo hat sogar angenommen, Stauf­ sevius mit diesem Behauptung auch mann zu den Westmächten war Otto fenberg habe zwei separate Verbindun­ schon während des Krieges Politik ge­ John, Vertreter der Luftwaffe in Mad­ gen zu den Briten unterhalten, ohne macht. rid und zugleich Angehöriger des Am­ dass jedoch klar wurde, worin die Aufgegriffen wurde diese Argumen­ tes Ausland/Abwehr, also des militäri­ zweite bestanden haben könnte. tation in den 1970er Jahren auch durch schen Nachrichtendienstes der das DDR-Regime, das in dieser Zeit Wehrmacht. Über seinen Bruder Hans Der 20. Juli in Paris nach Personen der deutschen Ge­ war Otto John mit dem Chefsyndikus schichte zu suchen begann, mit denen der Lufthansa, Klaus Bonhoeffer, be­ Im entscheidenden Moment würde es sich eine Tradition der »sozialistischen kannt und hatte so schon früh Kontakt darauf ankommen, den deutschen deutschen Nation« begründen ließ. zu Widerstandskreisen in Berlin. Truppen in Frankreich die richtigen

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 11 Widerstand im Westen

Deutsche Soldaten vor der Militärkom- Scherl/Süddeutsche Foto mandantur in Paris, 1940

Speidel, nach dem Krieg General der Bundeswehr und Oberbefehlshaber NATO-Landstreitkräfte Europa-Mitte in Fontainebleau, hat später seine Rolle im Widerstand betont und dabei auch seinen bei Briten wie Amerikanern po­ pulären Oberbefehlshaber Erwin Rom­ mel als Widerständler groß herausge­ stellt. Rommel wurde jedoch bei einer Frontfahrt am 17. Juli 1944 durch Tief­ fliegerbeschuss schwer verwundet und fiel daher am 20. Juli für die Verschwö­ rung aus. Nach Speidels Darstellung wäre der Umsturzversuch in Frank­ reich ganz anders verlaufen, hätte Rommel daran mitwirken können.

Rommels Rolle im Widerstand

Rommel hat aber wohl von den Atten­ tatsplänen Stauffenbergs vorher nichts Befehle zu erteilen. Vielleicht würde ja zunächst wohl sehr aneinandergera­ gewusst. Wie Speidel hielt Rommel gar nichts anderes mehr in Frage kom­ ten; Kluge hatte noch keinerlei Erfah­ zwar eine Änderung der politischen men als einfach die Westfront aufzurei­ rung im Krieg an der Westfront und Verhältnisse an der Spitze des Reiches ßen in der Hoffnung, dass die Ameri­ unter den Bedingungen alliierter Luft­ für notwendig. Ihm war auch klar, dass kaner und Briten vor den Sowjets in überlegenheit. der Krieg verloren war, und dass es an Berlin sein würden. Dafür aber waren Stauffenberg hatte im Reichsgebiet der Zeit war, eine Übereinkunft mit ein erfolgreicher Umsturz in Paris und eine straffe, militärisch strukturierte den Westalliierten zu suchen. Rommel die Unterstützung durch die militä­ Staatsstreichorganisation aufgebaut sah jedoch die Lösung darin, Hitler ein risch Verantwortlichen die Vorausset­ und sich damit von den eher offenen Fernschreiben zu schicken, in dem er zung. oppositionellen Gesprächskreisen rund ihn aufforderte, die Konsequenzen aus Nun waren die Befehlsverhältnisse in um Goerdeler unabhängig gemacht. Er der geschilderten Lage zu ziehen. Ka­ Frankreich ebenso kompliziert wie hatte seine eigenen Kontakte zu Arbei­ meraden gegenüber hat Rommel die­ sonst wo in der Wehrmacht. Oberbe­ terführern gefunden – vor allem zu ses Fernschreiben als »Ultimatum« be­ fehlshaber West war Generalfeldmar­ dem früheren SPD-Reichstagsabgeord­ zeichnet; Hitler jedoch ließ sich keine schall Gerd von Rundstedt. Unter ihm neten Julius Leber. Wie wir gesehen ha­ Ultimaten stellen. führte Generalfeldmarschall Erwin ben, hatte sich Stauffenberg auch nicht Rommel hatte aber auch Kontakt zu Rommel die Heeresgruppe B, die an auf Goerdelers Kontaktmann zu den Stauffenbergs Verbindungsmann Hof­ der Invasionsfront in der Normandie Westalliierten, Dulles, verlassen wol­ acker. Der spätere Feldmarschall hatte kämpfte. Für die Aufgaben der Wehr­ len, sondern mit Otto John seine eigene im Ersten Weltkrieg unter Hofackers macht als Besatzungsarmee in Frank­ Verbindung etabliert. Auch in Paris Vater gekämpft; mit dieser Empfeh­ reich unterstand Rundstedt der Mili­ zeigt sich bei näherer Betrachtung diese lung gelang es Hofacker, Zutritt zu tärbefehlshaber Frankreich, General Doppelung von Strukturen. Rommel zu erlangen. der Infanterie Carl-Heinrich von Stülp­ Da war auf der einen Seite Rommels Was genau der »Wüstenfuchs« und nagel. Als Hitler Rundstedt am 2. Juli Generalstabschef bei der Heeres­ der Verschwörer gegen Hitler mitein­ 1944 abberief, ging Rommel wohl da­ gruppe B, Generalleutnant Hans Spei­ ander besprochen haben, werden wir von aus, er selbst werde als Oberbe­ del. Der Schwabe war über Goerdelers nie erfahren. Hofacker ist von Paris aus fehlshaber West nachfolgen. Hitler Kontakte in Stuttgart angeworben wor­ zu Stauffenberg gefahren und hat die­ aber vertraute Rommel schon nicht den und vertrat wie Goerdeler die Auf­ sem berichtet, was er aus erster Quelle mehr; Rommel mag ein operatives Ge­ fassung, man müsse Hitler festnehmen erfahren hatte: Die Invasionsfront nie gewesen sein, aber Kriegführung und vor ein deutsches Gericht stellen. werde höchstens noch zwei Wochen auf der strategischen Ebene war wohl Dagegen hatte Stauffenberg Kontakt zu halten, dann müsse man mit einem seine Sache nicht. Jedenfalls blieb er er­ seinem entfernten Verwandten Cäsar Ausbruch der Angloamerikaner aus neut – wie schon in Afrika und dann in von Hofacker, einem Industriellen, der ihrem Brückenkopf rechnen. Das hatte Italien – ein »Feldmarschall zweiter als Oberstleutnant der Reserve der Rommel Hitler ja fast genauso ge­ Klasse«, immer noch einem anderen Luftwaffe in Stülpnagels Stab Dienst schrieben, und es erhöhte den Zeit­ Feldmarschall unterstellt: Hitler berief tat. Hofacker koordinierte die Planun­ druck auf die Militäropposition: Wollte Günther von Kluge zum Oberbefehls­ gen in Berlin mit denen für eine Über­ man mit einem Umsturz außenpoli­ haber West. Kluge und Rommel sind nahme der Macht in Paris. tisch noch etwas erreichen, musste

12 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 man handeln, bevor die Westalliierten machtsgefängnis in Fresnes sollen die kurz vor der Reichsgrenze standen. Sandsäcke für die Erschießungen schon Hofacker hat Stauffenberg zugleich aufgestapelt gewesen sein. Stülpnagel­ akg-images gemeldet, Rommel sei für die Um­ fuhr nach La Roche Guyon, wo Kluge sturzplanung gewonnen worden. Das jetzt auch vorübergehend die Führung muss aber nicht heißen, dass Hofacker der Heeresgruppe B mit übernommen Rommel im vollen Umfang in die Vor­ hatte. Immerhin hatte sich Kluge an der bereitungen eingeweiht hatte; Stauf­ Ostfront den Putschplanungen seines fenberg selbst hat viele Offiziere für ei­ damaligen I a, Oberst i.G. Henning von nen möglichen Umsturz gewonnen, Tresckow gegenüber zeitweise durch­ ohne dabei zu sagen, dass den Auftakt aus aufgeschlossen gezeigt. ein Attentat auf Hitler bilden würde. Jetzt aber versagte er sich dem Wi­ derstand. Aus dem Rundfunk und durch eine telefonische Nachfrage in Ostpreußen wusste Kluge, dass Hitler überlebt hatte. Kluge hätte jetzt als Oberbefehlshaber West und Oberbe­ fehlshaber der Heeresgruppe B alle Möglichkeiten gehabt, die Front aufzu­ reißen und den Krieg zumindest im Westen zu beenden. »Ja, wenn das Generalfeldmarschall Hans Günther Scherl/Süddeutsche Zeitung Foto Schwein tot wäre«, soll er gesagt ha­ von Kluge (vorne) wurde als Mitwisser ben. Aber so war es für ihn eben ein ge­ der Attentatspläne verdächtig. Er scheitertes Unternehmen. Er empfahl nahm sich das Leben. Stülpnagel, in Zivil »irgendwohin zu verschwinden«. gestellt und am 30. August 1944 in Ber­ Wäre der Umsturzversuch anders lin-Plötzensee gehängt. verlaufen, wäre Rommel nicht verwun­ Kluge geriet bald in das Visier der det ausgefallen? Tatsache ist, dass Rom­ Gestapo. Als er am 16. August den mel mit mehreren Offizieren Gesprä­ ganzen Tag an der Front und nicht zu che geführt hat, um sich der Loyalität erreichen war, unterstellte ihm Hitler, der Truppe im Falle einer einseitigen er wolle vielleicht überlaufen. Am Kriegsbeendigung zu vergewissern. 19. Au­gust erschien ohne jede Voran­ Anlässlich des Austauschs von in deut­ kündigung Generalfeldmarschall Wal­ sche Gefangenschaft geratenen ameri­ ter Model auf dem Gefechtsstand der Generalfeldmarschall Erwin Rommel kanischen Krankenschwestern war zu­ Heeresgruppe und teilte Kluge mit, er mit einem Offizier, 1944. dem ein erster Funkkontakt zwischen sei sein Nachfolger. Kluge ahnte, was dem US-Hauptquartier und der Hee­ ihm drohte, und nahm bei Verdun Gift. resgruppe B hergestellt worden. Ob es Rommel brauchte lange, um von sei­ Der 20. Juli 1944 an der auch Kontakte des Widerstands zur ner Verwundung zu genesen. Wäh­ Westfront französischen Résistance gegeben hat, rend dieser Zeit wurden auch gegen um einen freien Abzug der Heeres­ ihn Verdachtsmomente bekannt, aber Wie auch immer – am 20. Juli lag Rom­ gruppe ins Reich sicherzustellen, lässt ein öffentliches Verfahren gegen den mel im Lazarett und rang mit dem sich wohl nicht mehr klären. Aber populärsten Marschall der Wehrmacht Tode. Im Stabe des Militärbefehlsha­ Rommel war eben ein »Feldmarschall war der Reichsführung höchst unwill­ bers in Paris wusste man bereits am zweiter Klasse«, der Kluge unterstand kommen. Am 14. Oktober erschienen Vormittag, dass das Attentat und der und gegen dessen Willen nicht frei Generale aus dem Heerespersonalamt, Staatsstreich an diesem Tag erfolgen hätte entscheiden können. Spekulatio­ eröffneten ihm, dass er im Verdacht sollten, und bereitete alles dafür vor. nen über das »hätte« und »würde« sind stand, am Staatsstreich beteiligt gewe­ Beim Stab der Heeresgruppe Mitte, in daher müßig. sen zu sein, und zwangen ihn mehr einem Schlösschen bei der Ortschaft La oder weniger zum Selbstmord. Auf der Roche Guyon untergebracht, erfuhr Stülpnagel, Kluge, Rommel Fahrt ins nahe Ulm setzte Rommel sei­ man dagegen erst am Nachmittag aus nem Leben ein Ende. Trotz der gegen dem Radio, dass es einen Anschlag auf Stülpnagel verschwand nicht irgend­ ihn erhobenen Vorwürfe erhielt er ein den »Führer« gegeben hatte. Allein wohin, sondern fuhr im Dienstwagen pompöses Staatsbegräbnis. schon dieses Detail zeigt, wie sehr am zurück nach Deutschland. In der Nähe Auch im Westen war der Krieg erst Rande der Verschwörung Generalleut­ des Schlachtfeldes, auf dem er im Ers­ zu Ende, als die Alliierten Deutschland nant Speidel stand. ten Weltkrieg gekämpft hatte, ließ er besetzt und die totale Kapitulation er­ In Paris rollten die vorbereiteten halten und versuchte sich zu erschie­ zwungen hatten. Rund die Hälfte aller Maßnahmen planmäßig an. Vor allem ßen. Seine Begleiter brachten den Ver­ deutschen Kriegsverluste entfallen auf wurden die Spitzen des Sicherheits­ letzten in ein Lazarett. Dort festgenom­ die Zeit vom 20. Juli 1944 bis zum dienstes der SS sowie andere system­ men, wurde der durch den Schuss 8. Mai 1945. tragende Elemente verhaftet; im Wehr­ Erblindete vor den Volksgerichtshof  Winfried Heinemann

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 13 Deutsche Militärexperten Andreas Wolfrum

5Krupp-Geschütz in der Hulishan-Festung in Xiamen von 1896, heute ein Museum.

Ingenieure, Instrukteure, Exporteure Deutsche Militärexperten in China 1861‑1900

ie katastrophale Niederlage der verlorene Zweite Opiumkrieg Lernens vom Westen. Im Gegensatz Chinas gegen Großbritannien (1856‑1860) mit der anglo-französi­ zum reformfeindlichen Kaiserhof ver­ Dim Ersten Opiumkrieg schen Besetzung der Hauptstadt Pe­ trat eine Elite um den Prinzen Gong (1839‑1842) erschütterte das Land king lösten ein wirkliches Krisenbe­ (Yixin) in der Zentralregierung sowie noch nicht stark genug, um zum Aus­ wusstsein aus, das in den Jahren hohen Beamten wie Zeng Guofan, Zuo löser für Reformen zu werden. Sehr be­ 1861‑1894 zu umfassenden Reformen Zongtang und Li Hongzhang in den grenzt war zudem noch das Wissen führte, an denen auch deutsche Militä­ Provinzen die Auffassung, dass die über die Welt außerhalb des chinesi­ rexperten ihren Anteil hatten. Die chi­ notwendige Modernisierung Chinas schen Kosmos. Die von den kaiserli­ nesischen Geschichtswissenschaften durch die Übernahme westlicher Tech­ chen Beamten Wei Yuan und Lin Zexu verwenden dafür in Taiwan den Be­ nologie und Methodik im wirtschaftli­ angestoßenen Waffen- und Schiffbau­ griff »Selbststärkungsbewegung«, in chen, naturwissenschaftlichen und mi­ programme entsprachen zwar der Lo­ der Volksrepublik China hingegen litärischen Bereich erfolgen müsse. sung »Mit Barbaren gegen Barbaren«, »Verwestlichungsbewegung«. Chinesische Tradition und Kultur be­ entfalteten jedoch keine große Wir­ wertete man dagegen als zivilisierter kung. Mit dem Fortschreiten der In­ Wissen und Lehre und damit für das soziale Gefüge von dustrialisierung in England vergrö­ vorbildlicher Nützlichkeit. Sie sollten ßerte sich sogar noch der technologi­ »Das chinesische Wissen als innere daher als Grundlage für das Staatswe­ sche Rückstand Chinas. Erst die Grundlage, die westliche Lehre für den sen bestehen bleiben. Taiping-Bewegung (1851‑1864), der äußeren Gebrauch.« Mit dieser Devise Die tatsächliche militärische und si­ größte Bauern-Aufstand der moder­ bezeichnete der Modernisierer Zhang cherheitspolitische Bedrohung kam für nen chinesischen Geschichte, sowie Zhidong das Grundprinzip des neuen China über das Meer und zeigte sich

14 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 zuerst in überlegenen Waffen der Bri­ von einzelnen Lieferanten. Zudem den die zum Teil sehr detaillierten Ver­ ten und Franzosen, später auch der Ja­ schienen die kolonialen Ambitionen besserungsvorschläge und vor allem paner. Über solche selbst zu verfügen, Großbritanniens und Frankreichs da­ die Art und Weise, wie sie mündlich ihre Handhabung zu beherrschen und mit eindämmbar. Dies entsprach auch und schriftlich vorgebracht wurden, schließlich die Methoden der Krieg­ den europapolitischen Vorstellungen bisweilen als arrogante Besserwisserei führung des potenziellen Gegners zu des Reichskanzlers Otto von Bismarck, der Fremden empfunden. kennen, um sie auch gegen ihn einset­ der die Bewegung nicht nur wegen der Eine zweite größere Anwerbungs­ zen zu können, erschien aus chinesi­ Vorteile für die deutsche Wirtschaft un­ welle deutscher Militärfachkräfte er­ scher Sicht als das Gebot der Stunde. terstützte. folgte während des Chinesisch-Japani­ Schon zur Niederschlagung des Die Militärinstrukteure aus Deutsch­ schen Krieges 1894/95, als genügend Taiping-Aufstandes hatte die Regie­ land, von denen für die Zeit von 1870 Geld bereitgestellt wurde, um 35 deut­ rung in Peking in großem Umfang Waf­ bis 1914 bislang über 130 Biografien re­ sche Offiziere und Unteroffiziere für fen und ausländische Söldner unter konstruiert werden konnten, blieben drei Jahre nach China zu holen. Sie Führung britischer und französischer unterschiedlich lange, manche nur we­ sollten die sorgfältig ausgewählte und Offiziere nach China einreisen lassen nige Monate, andere mehr als 20 Jahre. neu aufgestellte »Selbststärkungsar­ müssen. Auch einzelne Deutsche ver­ Sie wurden nur zu einem kleinen Teil mee« in nur sechs Monaten ausbilden, kauften Rüstungsgüter an die chinesi­ ganz offiziell von der deutschen Regie­ um eine erwartete japanische Invasion sche Regierung oder schmuggelten sie rung nach China entsandt, sodass nur im Jangtse-Gebiet vereiteln zu können. an die Aufständischen. Erste offizielle in wenigen Fällen von einer offiziellen Die Niederlage Chinas und die er­ Waffenkäufe wurden später über den Militärmission gesprochen werden neute Besetzung Pekings durch fremde preußischen Geschäftsmann B. Telge kann. Wenn also die in Tianjin erschei­ Mächte im Zuge des Boxeraufstandes abgewickelt, den der Generalgouver­ nende »The Chinese Times« 1887 et­ im Jahr 1900 beendete die militärischen neur Zuo Zongtang als deutschen Mili­ was ironisch von »Bismarcks Missio­ Modernisierungsbestrebungen vor­ tärinstrukteur für seine eigene Truppe nären« berichtete, trifft der damit erst, hatten die Rüstungsanstrengun­ einstellte. Die ersten Militärberater wa­ bewusst erweckte Eindruck historisch gen doch den erhofften Schutz nicht ren also Vertreter, die in den Gebrauch nicht zu. gewährleisten können. der verkauften Waffen einwiesen, den Die bekannteste Anwerbung organi­ Verkauf neuer Rüstungsgüter vermit­ sierte 1884 der chinesische Gesandte in Li Hongzhang – der mächtige telten und damit einen weiteren Bedarf Deutschland Li Fengbao, der circa 30 Motor der Modernisierung an Instrukteuren schufen. Offiziere und Unteroffiziere, allesamt aus Preußen, gegen den erklärten Wil­ Als wesentlicher Treiber der Selbststär­ Interesse an deutschen len und angeblich auch ohne Wissen kungsbewegung und Förderer Militärexperten der deutschen Regierung engagierte. deutsch-chinesischer Beziehungen gilt Die bereits aus dem preußischen der Oberbefehlshaber der Anhui-Ar­ Der erfolgreiche Krieg Preußens gegen Dienst entlassenen ehemaligen Solda­ mee Li Hongzhang, den der Kaiser Frankreich 1870/71 führte zu einem er­ ten begaben sich in chinesische Dienste 1870 zum Generalgouverneur der Pro­ höhten Interesse der Chinesen am Auf­ und ließen sich ihre abenteuerliche Tä­ vinz Zhili und Hochkommissar für die stieg des neuen deutschen Kaiserreichs. tigkeit sowie die rechtliche und wirt­ Handelshäfen Nordchinas ernannte. Preußens Armee galt jetzt als die beste schaftliche Unsicherheit durch eine Damit kontrollierte er von Tianjin aus der Welt, Gussstahl-Hinterladerge­ Anwerbeprämie, ein sehr hohes Gehalt den direkten Zugang zur Hauptstadt schütze der Firma Krupp hätten zum (bis zum Fünffachen des Salärs in Peking, die auswärtigen Beziehungen Sieg geführt. Den Chinesen erschien preußischen Diensten), Reisekosten­ sowie die Zolleinnahme Nordchinas. das weit entfernte Deutsche Reich ge­ vergütung oder auch eine Lebensversi­ Im Jahr 1875 kam mit der Zuständig­ genüber Großbritannien und Frank­ cherung im Invaliditäts- oder Todesfall keit für die nordchinesische Küsten­ reich militärisch jetzt mindestens eben­ vergüten. Wie auch die anderen Aus­ verteidigung eine weitere Funktion bürtig, technologisch innovativ – und länder trafen die deutschen Experten dazu, die ihm mit dem Zugriff auf den ungefährlich, da am Opiumhandel un­ an den verschiedenen Standorten nicht Küstenverteidigungsfonds Gelder für beteiligt, historisch unbelastet und auf traditionelle chinesische Truppen, umfangreichere militärische Projekte (noch) ohne koloniale Besitzansprüche sondern auf kriegserfahrene Soldaten, zur Verfügung stellte. in China. Eine positive Grundeinstel­ wie die der schon recht modernen Auch der Kauf von modernen eisen- lung hatte sich zuvor schon daraus er­ ­Anhui-Armee. oder stahlgepanzerten Kriegsschiffen geben, dass der preußisch-chinesische Anders als sie sich das gewünscht schien jetzt geboten. Schon vor seiner Freundschafts-, Handels- und Schiff­ hatten, wurden deutsche Experten dort offiziellen Ernennung zum Gesandten fahrtsvertrag 1861 durch den Gesand­ immer wieder dazu genötigt, ihre eige­ in Berlin bestellte Li Fengbao Panzer­ ten Friedrich Albrecht Graf zu Eulen­ nen Ausbildungsmethoden an die chi­ schiffe bei der »Vulcan«-Werft in Bre­ burg – anders als bei seinen britischen nesischen Gegebenheiten und den dow bei Stettin. Die Korvette und französischen Gegenspielern – Willen der örtlichen Kommandeure »Dingyuan« wurde dort 1881 auf Kiel ohne militärischen Druck verhandelt anzupassen. Durchgreifende Verände­ gelegt. und abgeschlossen worden war. Aus rungen bewirkte ihr Einsatz nicht. Das Der Bau von Küstenforts mit schwe­ chinesischer Sicht führte die Konkur­ Lernen vom Westen brachte hybride ren Krupp- und Armstrong-Geschüt­ renz durch den neuen Akteur aus Eu­ Formen hervor, ohne dass eine wirkli­ zen sowie Hafensperren durch Seemi­ ropa zu größerer Auswahl, günstigeren che Integration des neuen Wissens nen und Torpedos sollte die Hauptstadt Preisen und geringerer Abhängigkeit stattfand. Von chinesischer Seite wur­ vor einer möglichen Invasion schützen.

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 15 Deutsche Militärexperten

Den Ausbau von Lüshunkou (Port Art­ sungen aus nur mit einer Bootsfähre zu Nach den beiden ersten Leitern der hur) leitete 1881‑1886 Constantin von erreichen und glich einer Mischung Schule ernannte Li Hongzhang Ende Hanneken. In die Bewaffnung der aus chinesischem Yamen-Stil und einer 1885 Yang Zonglian, der militärische Truppen entlang der Küste mit moder­ Festung. Hinter dem massiv gemauer­ Erfahrungen als Kommandeur einer nen Gewehren, die Anschaffung von ten Haupttor befand sich ein großer Truppe innerhalb der Anhui-Armee Feldartillerie und schweren Küsten­ Exerzierplatz. Zwei zentrale Hallen be­ besaß und außerdem den Rang eines geschützen sowie die Anstellung der herbergten hohe Säle, die als Aula Daotai, also die 4. Rangklasse in der dazugehörigen ausländischen Instruk­ dienten. Dann folgten mehrere Höfe, Provinzbürokratie, innehatte. Er teure wurden große Summen in­ves­ um die herum die lang gestreckten höl­ konnte damit gleichberechtigt mit den tiert. Alleine im Jahr 1885 finanzierte Li zernen Schulgebäude lagen. Sie beher­ Kommandeuren auftreten, die ihre Hongzhang 43 ausländische Fachleute, bergten Klassenräume, eine Turnhalle, Studenten an seine Schule schickten. davon 19 aus Deutschland. Als sein eine Bibliothek, einen Zeichenraum, Seine Autorität führte allerdings auch »Berater« wirkte der langjährige See­ Labors, eine Druckerei sowie Büros dazu, dass die Arbeit der Lehrkräfte zolldirektor in Tianjin, Gustav Detring, und Wohnungen für die vier ausländi­ durch ein neues Schulreglement »ge­ dem schon Zeitgenossen eine enorme schen Instrukteure. Im hinteren Teil zügelt«, vor allem aber die informelle informelle Macht zumaßen. des Areals lagen die Schlafräume für Führungsposition Paulis beschnitten jeweils zwei bis vier Schüler, die in der wurde, bis er den Dienst quittierte. Die Militärschule von Tianjin Schule kaserniert lebten und das Ge­ Eine zweite Generation der Ausbilder lände nur mit einem Passierschein ver­ wurde vom Auswärtigen Amt empfoh­ Da der Einsatz von deutschen Instruk­ lassen durften. len und vom preußischen Kriegsminis­ teuren bei der Truppe von vielen Kom­ Der erste De-facto-Leiter des Unter­ terium offiziell vorgeschlagen. Sie ka­ mandeuren zunehmend als Eingriff in richts war Major a.D. Pauli, der wegen men direkt von der Kriegsakademie in deren Führungskompetenz angesehen einer gescheiterten Beteiligung an ei­ Berlin, der höchsten militärischen Lehr­ wurde, unterstützen die alten Eliten Li ner Tianjiner Bäckerei von der dortigen anstalt Preußens. Der gemeinsame Ver­ Hongzhangs Idee zur Gründung einer Gesellschaft den Spitznamen »Le Ge­ trag, unter dem die Neuen angestellt eigenen Militärschule in Tianjin im neral Boulanger« (»General Bäcker«) waren, war viel konkreter auf die spezi­ März 1885. In ihr sollten junge Offiziere verliehen bekam. Der Stundenplan ori­ ellen chinesischen Bedürfnisse der abseits der Truppe von westlichen entierte sich an den Lehrinhalten der Lehranstalt zugeschnitten. Außerdem Fachkräften ausgebildet werden. Die preußischen Kriegsschulen, ohne be­ lässt sich an seinen Regelungen erken­ chinesischen Absolventen sollten dann sondere Rücksicht auf die Vorbildung nen, was dem Generaldirektor der in relativ kurzer Zeit die Soldaten selbst der Schüler zu nehmen. Der praktische Schule an den Vorgängern aus Deutsch­ ausbilden und damit die teuren Aus­ Dienst bestand aus Artillerie- und In­ land missfallen war. länder überflüssig machen. fanterie-Exerzieren sowie Pionier­ Da aber eine Einarbeitung durch die Bis dafür ein eigener Gebäudekom­ dienst. Außerdem wurde täglich Un­ Vorgänger terminlich nicht möglich plex am östlichen Ufer des Haihe terricht zu den chinesischen Klassikern war, konnte niemand den neuen Ins­ (Peiho) im September 1886 fertigge­ und in Geschichte erteilt. Jeden Monat trukteuren irgendetwas erklären. So stellt werden konnte, war die Schule fanden in Militärlagern Übungen im zeugen ihre Berichte von denselben zuerst in der Tianjiner Marineverwal­ Feld sowie Befestigungsbau statt. Eingewöhnungsschwierigkeiten in die tung untergebracht. Das neue Gelände Die Kommandeure der in der Pro­ für Ausländer undurchsichtigen Ver­ war von den ausländischen Niederlas­ vinz Zhili stationierten Anhui- und Li­ hältnisse in China oder vom selben Ge­ anjun-Truppen schickten für den an­ fühl der Einflusslosigkeit, wenn zum fangs nur einjährigen Kurs insgesamt Beispiel die notwendigen Dolmetscher etwa 125 jüngere Offiziere und Solda­ aus der Pekinger Sprachenschule Tong­ ten, allerdings auch zahlreiche schrift­ wenguan ohne Ankündigung tagelang kundige Zivilangestellte. Da viele dem der Schule fernblieben. Auch die Nicht­ picture-alliance//HIP Lehrplan nicht folgen konnten, wurde zulassung der ausländischen Instruk­ im Juni 1885 eine Vorklasse eingerich­ teure bei schriftlichen Prüfungen, die tet. Die jeweils 25 besten Schüler fasste Tianjiner Beamte auf der Grundlage man ab 1886 in einer »Generalstabs­ der Vortragshefte der Instrukteure er­ klasse« zusammen. Die Disziplinfrage stellten und aus deutscher Sicht will­ war ein dauerhaftes Problem, wurden kürlich bewerteten, oder die ständig die Schüler doch von den Komman­ wechselnde Zusammensetzung der deuren entsandt und auch von diesen nach Alter, körperlichen und geistigen unterhalten. Ein Schulsystem mit fes­ Fähig­keiten sehr heterogenen Schüler­ ten Unterrichtszeiten war in China da­ schaft wurden in den Berichten beklagt. mals allgemein noch nicht üblich. Man Hilfreicher wirkte sich der deutsch­ lernte häufig zu Hause bei einem Leh­ sprechende Ying Chang aus. Er hatte rer und auch viel im Selbststudium ab 1872 als einer der ersten am Tong­ ausschließlich zur Vorbereitung auf wenguan die deutsche Sprache stu­ eine Prüfung. diert, war 1877 dem ersten chinesi­ schen Gesandten Liu Xihong als Motor der Modernisierung: General Li Attaché-Dolmetscher nach Deutsch­ Hongzhang land gefolgt und hatte zwei Jahre in

16 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo

Der deutsche Militärberater August Schmidt (l.) lehrte an der Militärschule in Tientsin (heute: Tianjin).

Wien beim k.u.k. 84. Infanterieregiment Beiyang-Armee bis Mitte der 1890er meekorps in Magdeburg unter Füh­ gedient. Seit der Gründung der Mili­ Jahre auf 100 000, von denen circa rung des Generals Paul von Hinden­ tärschule war er dort zunächst als Dol­ 60 Prozent auch mit modernen Waffen burg preußische Stabsarbeit lernte; metscher, später als Schulinspektor ausgerüstet waren. Jiang wurde 1912 Leiter der Militäraka­ angestellt. 1890 wurde er stellvertre­ Dieser Unterrichtsbetrieb endete je­ demie in Baoding. Er vertrat nach dem tender Direktor, 1896 dann Direktor doch am 17. Juni 1900, als ein zum Ersten Weltkrieg die Republik China der Schule, bis er von 1901 bis 1906 und Schutz der ausländischen Niederlas­ auf der Friedenskonferenz in Paris. Ei­ erneut von 1909 bis 1910 zum chinesi­ sungen in Tianjin abkommandiertes nen Deutschlandaufenthalt an der schen Gesandten in Deutschland beru­ deutsches Seesoldaten-Landungskorps Militär­akademie in Berlin absolvierte fen wurde. Ying Chang, dem – nicht die Schule stürmte und niederbrannte. auch Duan Qirui, der spätere Kriegsmi­ nur durch die Ehe mit einer Deutschen Ein Teil der Tianjiner Truppen hatte nister und Ministerpräsident der Repu­ – beide Welten bestens vertraut waren, sich den aufständischen Boxern ange­ blik China. Wang Shizhen, Kriegsminis­ hätte noch viel stärker als Puffer und schlossen und begonnen, von der chi­ ter und Ministerpräsident der Republik Mittler zwischen dem Effizienzdenken nesischen Altstadt im Norden und vom China, hatte die Militärschule Tianjin der ausländischen Fachkräfte und den anderen Ufer des Flusses aus die aus­ 1888 abgeschlossen, genauso wie Feng Hierarchien in der chinesischen Gesell­ ländische Niederlassung zu beschie­ Guozhang, der die Politik der Republik schaft wirken können. Als zweispra­ ßen. Der Unteroffizier M. Ernecke, der China als deren Präsident 1917/18 we­ chiger Leiter dieser modernen Bil­ seit 1887 die »Kadettenklasse« in Ge­ sentlich mitbestimmte. dungsinstitution unterlag er zudem schützexerzieren und Deutsch sowie ab Das ursprünglich zur Vermeidung weniger als die traditionell orientierten 1890 in der »Eisenbahnklasse« Deutsch, ausländischer Dominanz geschaffene chinesischen Beamten der Sorge um Geografie und Rechnen unterrichtet und von der Anhui-Armee perfektio­ seinen Autoritätsverlust. Jedoch hatte hatte, verlor somit seine Anstellung. nierte Instrukteurwesen durchdrang in er als Schulinspektor und deutscher Da das Boxerprotokoll eine chinesi­ den kommenden Jahren die gesamte Übersetzer für Li Hongzhang nur be­ sche Demilitarisierung Tianjins vor­ chinesische Armee. Damit waren die grenzt Zeit, sich den Problemen der schrieb, gründete der Provinzgouver­ Grundlagen für jenes militärische Deutschen zu widmen. neur Yuan Shikai 1902 eine neue Konglomerat aus Bannersoldaten, Pro­ Doch die Verhältnisse an der Schule Militärakademie in der Provinzhaupt­ vinztruppen und Anhui-Leuten gelegt, verbesserten sich kontinuierlich und stadt Baoding, in deren Tradition sich auf das später Yuan Shikai ab 1912 als mit verschiedenen deutschen Lehr­ auch die heutige Militärakademie von erster Präsident der Republik China kräften wurde eine große Zahl von mi­ Whampoa sieht. Wesentliche Elemente seine Macht aufbauen konnte. Yuan litärischen Kadern herangebildet, die der Ausbildung übernahm man, eine schuf damit eine der modernsten und chinesischen Schülern später dieses große personelle Kontinuität blieb ge­ diszipliniertesten Truppen, die China Wissen weitergaben. Die Zahl der nach wahrt: bis dahin gesehen hatte. westlichem Muster ausgebildeten Sol­ Jiang Fang Zhen kam 1906 nach daten stieg in der nordchinesischen Deutschland, wo er im Stab des IV. Ar­  Andreas Wolfrum

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 17 Stay Behind

Stay Behind Deutsches Historisches Museum/ S. Ahlers Eine Geheimarmee in Deutschland?

5F-Behälter. Von 1951 bis 1956 vergrub die Organisation Gehlen 46 Tastfunkgeräte-Sets, davon 9 in West-Berlin.

eit jeher war Krieg mehr als nur eine gewisse strategische Bedeutung sowjetischen Streitkräfte in Richtung der bewaffnete Kampf gegneri­ entfalten. War das nicht der Fall, führ­ Atlantikküste aus. Die amerikanischen Sscher Armeen, mehr als Operatio­ ten Partisanenaktionen oder Aufstände Streitkräfte in Europa sollten sich unter nen, die mit Pfeilen auf Landkarten lediglich zu großen Verlusten unter Verzögerungskämpfen an die Atlantik­ darzustellen sind. Bereits die Klassiker den Partisanen selbst, ohne den Kriegs­ küste zurückziehen und von dort der Militärtheorie haben immer wieder verlauf maßgeblich zu beeinflussen. schließlich evakuiert werden. Von der auf psychologische Aspekte sowie auf Als weitestgehend geglücktes Beispiel Iberischen Halbinsel, Süditalien und die verdeckte »irreguläre« Kriegfüh­ gelten die Brückensprengungen durch Nordafrika aus würde dann im zwei­ rung hingewiesen. Der Zweite Welt­ Angehörige der französischen Ré­ ten Kriegsjahr eine Rückeroberung der krieg zeigte trotz hoher konventionel­ sistance, in Vorbereitung der alliierten verlorenen Gebiete mit über 40 Heeres­ ler operativer Kriegskunst im Bewe­ Landung zweier Armeen an der Côte divisionen in Verbindung mit einer gungskrieg, dass nicht nur hochmo­ d’Azur im August 1944. Verschleierte großangelegten nuklearen Luftoffen­ derne Land- und Luftstreitkräfte den Meldungen vom britischen Radiosen­ sive (Operation »Dropshot«) über die Krieg entscheiden. Irreguläre, aber der BBC hatten die Aktion ausgelöst. Flanke erfolgen. zentral gesteuerte paramilitärische Mit dem NATO-Strategiepapier Gruppen hatten zumindest in der Sow­ Operation »Offtackle« MC 14/1 wurde als politischer Kom­ jetunion, aber auch in Jugoslawien, Ita­ promiss für das Jahr 1953 die Linie lien, Griechenland, Frankreich und Im Jahr 1950 war für das Gebiet der Rhein–Ijssel–italienische Alpen als Ver­ Norwegen einen nicht geringen Anteil Bundesrepublik Deutschland der ame­ teidigungslinie festgelegt. Jedoch fehl­ am Sieg über die Wehrmacht. Der rikanische Operationsplan »Offtackle« ten hierzu die notwendigen Truppen. Kampf von »Partisanen« oder »Frei­ gültig. Offtackle ist eine taktische Die US-Planungen sahen dieses Kon­ heitskämpfern« aber zeigte sich dort Spielfigur aus dem American Football, zept einer starren Verteidigung da­- am wirkungsvollsten, wo deren takti­ bei der im Zentrum blockiert und über her als unrealistisch an und gingen sche Schläge auf die Operationen regu­ eine Flanke angegriffen wird. Der weiterhin von einer Evakuierung ihrer lärer Truppen abgestimmt erfolgten. Kriegsplan »Offtackle« ging von einem Truppen aus. Erst im operativen Zu­ Erst dann konnte Partisanentätigkeit überlegenen und raschen Vorstoß der sammenhang mit einem geplanten

18 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 amerikanischen Gegenangriff im zwei­ wie Sicherheit, Beobachtungsziele, Be­ Kopp als »Kommandeur der Region ten Kriegsjahr sind die »Stay Be­ richte und Kontaktaufnahme mit dem Karwendel« in der sogenannten Alpen­ hind«-Strukturen in Deutschland zu Funker abgedeckt wurden. Bei den festung ausgeharrt, bevor er sich den verstehen. Funkern kamen dreiwöchige Schulun­ amerikanischen Truppen stellte. Somit gen in Fächern wie Morsen, Funk­ galt er als für das Führen einer Stay-Be­ »Kranich« und »Kibitz« trockenübungen oder auch Verschlüs­ hind-Organisation qualifiziert. »Ki­ selungsmethoden hinzu. Im Anschluss bitz-15« sollte im Kriegsfall wohl die Innerhalb der amerikanisch geführten durchliefen die Auszubildenden eine Brücken über den Fluss Lech sprengen. Organisation Gehlen, dem Vorläufer praktische Phase zur Einübung des Im Frühjahr 1953 »schaltete« die CIA des späteren deutschen Bundesnach­ Funkverkehrs mit der Zentrale. Kopp als Leiter seines Netzes »ab«, richtendienstes (BND) , wurde für das­ Etwa gleichzeitig mit der Aufstellung woraufhin er im Amt Blank, dem Vor­ jenige, was gemeinhin als »Stay Be­ des »Kranich«-Netzes begann die läufer des Bundesministeriums für hind«-Organisation bezeichnet wird Karls­ruher CIA-Residentur das »Ki­ Verteidigung, untergebracht wurde. als Arbeitsbegriff »sleeping net« (schla­ bitz«-Netz aufzubauen. Im November Das Sabotage-Netz »Kibitz-15« war fendes Netz) oder »R-Organisation« 1950 bestand es aus sechs Zweimann- zwischenzeitlich auf über 200 Mann genutzt. Dabei stand das »R« für Rück­ Teams und in Ulm befand sich ein »safe angewachsen. Bis 1955 wurde die »Or­ lass. Der englische Begriff »Stay Be­ house«, in dem die Ausbildung der ganisation Kopp« vermutlich abgewi­ hind« bezeichnet ebenso das Zurücklas- Agenten durchgeführt wurd­ e. Der Auf­ ckelt. Die Organisation Gehlen über­ sen von Truppen im gegnerischen trag des »Kibitz« glich dem­jenigen des prüfte zwar das »Kibitz-15«-Personal Raum. Dies setzt freilich einen erfolg­ »Kranichs«. Im Kriegsfall sollten die nachrichtendienstlich, übernahm es reichen feindlichen Angriff und die »Kibitz-Agenten« von einer Basissta­ aber nicht. Kopp wurde schließlich Aufgabe von eigenem Gelände voraus. tion in Großbritannien aus über Funk 1955 als Oberstleutnant in die Bundes­ Entsprechend waren die Pläne zum geführt werden. Die auch räumliche wehr übernommen und 1971 als Oberst Einsatz einer R-Organisation stets Be­ Parallelität von »Kranich« und »Kibitz« im Wehrbereich VI (München) pensio­ standteil einer defensiven Gesamtpla­ war aufgrund der im Kriegsfall zu er­ niert. Ob er dort weiterhin für die nung. wartenden kurzen Überlebenszeit der Sprengung der Lech-Brücken zustän­ Bereits im März 1948 begannen erste Netze beabsichtigt. Von einer raschen dig gewesen ist, kann nur angenom­ konzeptionelle Überlegungen für ein Aufklärung der Netze durch die sow­ men werden. »Sleeping Net-project« innerhalb der jetische oder DDR-Spionageabwehr Führung der Organisation Gehlen. Im nach Aktivierung der Funker wurde Saturn = Storch + Fox + Wiesel Herbst 1949 – nachdem die Central In­ aus­gegangen. telligence Agency (CIA) die Organisa­ Im Rahmen des »Kibitz«-Programms Ab Mai 1950 übernahm mit General der tion Gehlen von der U.S. Army über­ der CIA baute Oberstleutnant a.D. Wal­ Gebirgstruppe a.D. August Winter, ei­ nommen hatte – beauftragte diese dort ter Kopp (1913‑1974) eine von der nem auf der höchsten militärischen auf amerikanisches Drängen den ehe­ nachrichtendienstlichen »Kibitz«-Or­ Ebene erfahrenen Offizier, die Leitung maligen Oberleutnant der Abwehr An­ ganisation getrennt betriebene Sabota­ der deutschen »Stay Behind«-Operatio­ ton Halter mit dem Aufbau des getruppe »Kibitz-15« auf. Sie wuchs bis nen der Organisation Gehlen. Halter »Sleeping Net«. Der Codename für September 1951 rasch auf 45 Mitglieder erhielt von Winter den Auftrag, ein um­ diese Operation lautete »Kranich«. Ins­ an. Bei Kopps »Stay Behind«-Organisa­ fassendes »deutsches« Stay-Behind- gesamt sollten in diesem Programm 75 tion handelte es sich »Zwei-Mann-Gespanne«, also Trupps, um eine zu Sabotage­ bestehend aus jeweils einem Agenten handlungen befähigte und einem Funker, angeworben, ausge­ Truppe im Raum Ulm– bildet und über die gesamte Bundesre­ Augsburg–Mün­chen. publik disloziert werden. Ihr Auftrag: Kopp war im Zweiten Beobachten und Melden von gegneri­ Weltkrieg Komman­ schen Truppenansammlungen und an­ deur des Ulmer Pio­ deren Zielen für den alliierten Gegen­ nier­bataillons 5 gewe­ angriff zur Befreiung Deutschlands. sen, bevor er in den picture alliance/Gerhard Rauchwetter Im November 1950 waren 28 Agen­ letzten Kriegsmonaten ten und 22 Funker angeworben und als Kommandeur des die ersten fünf Funker hatten ihre Aus­ Regiment Nr. 1077 der bildung abgeschlossen. Die Ausbil­ 542. Volks-Grenadier- dung der Agenten ohne Funkauftrag Division eingesetzt dauerte etwa drei Monate, wobei in wor­den war. Bis zum etwa 50 Ausbildungsstunden Themen 17. Mai 1945 hatte

Walter Kopp (r.) als Oberstleutnant der Bundeswehr im Vorkom- mando für das Münchner Wehrbereichskommando VI im Jahr 1956. Der ehemalige Kommandeur des Ulmer Pionier-Bataillons 5 der Wehrmacht stellte ab 1951 eine bald 200 Mann starke »Stay Behind«-Truppe auf. Auftrag: Sprengung der Lech-Brücken vor An- kunft der sowjetischen Panzerspitzen.

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 19 Stay Behind

Konzept zu entwickeln. Dieses stimmte grabungen) beauftragt. Als einzige dieser bewaffnete Arm des BdJ als des­ die Organisation Gehlen mit der CIA dort versteckte Waffen sind geringe sen Technischer Dienst unter dem Vi­ ab. Während Winter das »Kranich«- Mengen Pistolen mit jeweils 50 Schuss zevorsitzenden des BdJ Erhard Peters. Netz zum »Storch«-Netz weiterentwi­ Munition dokumentiert. Ziel war es, Er wurde deswegen auch unter dem ckeln ließ, beschloss die CIA, lediglich das »Storch«-Netz mit seinen geplan­ Namen »Organisation Peters« bekannt. einzelne Agenten des aufzulösenden ten 150 Agenten nicht unmittelbar Peters hatte im Zweiten Weltkrieg als nachrichtendienstlichen »Kibitz«-Net­ nach der Überrollphase zu aktivieren, Oberleutnant und Staffelführer eines zes an die Dienststelle 34 (Stay Behind) sondern erst in der dritten Phase der Nachtjagdgeschwaders gedient. Sein der Organisation Gehlen abzutreten. Besatzungsherrschaft. Zu diesem Zeit­ Stabschef im TD, Hans Otto – ein Zahn­ Winter sorgte für eine Abschottung sei­ punkt, wenn sich die Besatzungs­ medizinstudent ohne Abschluss –, nes Bereiches innerhalb der ohnehin routine einzustellen beginnen würde, hatte es in der Waffen-SS bis zum schon streng geheimen Organisation sollten die »schlafenden« Agenten »ge­ SS-Hauptsturmführer gebracht. Gehlen. Ab März 1951 stellte die CIA weckt« werden. Stärke und Bewaff­ Es war Otto, der am 9. September für das zukünftige Projekt »Saturn« nung weisen darauf hin, dass es sich 1952 die Existenz des TD dem Frank­ monatlich 10 960 DM bereit. Darüber bei den aktivierten Agenten um »Fern­ furter Polizeipräsidium meldete und hinaus stellte sie Winter einen eigenen späher« ohne Kampfauftrag gehandelt damit das Ende dieser »Stay Behind«- CIA-Ver­bindungsoffizier zur Verfü­ hätte. Truppe einleitete. Es folgte 1953 eine gung. Damit kam der Dienststelle 34 politische Untersuchung im hessischen eine eigenständige Sonderstellung in­ Der »Technische Dienst« Landtag. Anschließend wurde ein Un­ nerhalb der Organisation Gehlen zu. tersuchungsausschuss aus dem Bun­ Winter teilte die Bundesrepublik in Einer gänzlich anderen Konzeption desamt für Verfassungsschutz, dem fünf »Storch-Distrikte« auf. Für jeden folgte der »Technische Dienst« (TD). amerikanischen Hochkommissariat Distrikt war ein »safe house« geplant. Am 23. Juni 1950 gründete der ehema­ und Vertretern des Bundeslandes Hes­ Die Versorgung der Organisation sollte ligen Feldunterarzt Paul Lüth den sen gebildet und der TD aufgelöst. Die im Krieg über den Luftweg erfolgen. »Bund deutscher Jugend« (BdJ). Lüth Hintergründe dieser Selbstanzeige des Hierzu plante Winter eine eigene – arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits ehemaligen SS-Mannes Otto sind bis wiederum von der Feldorganisation einige Jahre für amerikanische Ge­ heute umstritten. »Storch« abgeschottete – Aufnahmeor­ heimdienste. Der BdJ verstand sich als Der TD betrieb in dem im hessischen ganisation. Mangels bundesdeutscher Gegenorganisation zur 1946 in der So­ Odenwald gelegenen Wald-Michel­ Luftwaffe hätten amerikanische Pilo­ wjetischen Besatzungszone unter dem bach ein Trainingslager für Kleinkrieg­ ten das Netz versorgt. Vorsitz von Erich Honecker gegründe­ führung und Sabotage. Dort fanden Als Bodenorganisation bildete die ten »Freien Deutschen Jugend« (FDJ). zwischen 1950 und Mai 1952 zehn Par­ »Stay Behind«-Organisation der Orga­ Am 29. August 1950 genehmigte die tisanenführerlehrgänge mit 130 Teil­ nisation Gehlen vier bis sechs Mann CIA einen Vier-Phasen-Plan zur An­ nehmern statt. Bis April 1952 war der starke Aufnahmegruppen (ground wendung des BdJ: (1) Nutzung wäh­ TD des BdJ auf etwa 700‑1000 Mann reception teams) unter dem Code-Na­ rend der Oktoberwahlen 1950 in der angewachsen. In der bis Ende 1952 ein­ men »Fox«. Daneben und wiederum DDR, (2) Ausbau als landesweite Orga­ zunehmenden Zielgliederung sollte getrennt von »Storch« und »Fox« ließ nisation, (3) Anwendung für politische der TD entsprechend des CIA-Auf­ Winter eine Vorratsorganisation »Wie­ Kriegsoperationen, (4) Ausbildung trags von 1950 eine Kampftruppe und sel« aufbauen. Diese war mit der An­ ausgesuchter Teile zur Kleinkriegfüh­ eine Sabotagetruppe bilden. Die Sabo­ lage von Versorgungsverstecken (Ver­ rung und Sabotage. Offiziell firmierte tagetruppe sollte als zentral geführte Kommandoeinheit mit etwa 50 Mann aufgestellt werden. Es handelte sich also von der Größenordnung um einen selbstständigen Kommandozug. Im Kriegsfall kam ihm die Aufgabe zu, die picture-alliance/dpa damals fünf Brücken über den Nord- Ostsee-Kanal zu sprengen. Damit wäre ein Vordringen der Roten Armee in den nördlichen Bereich der NATO (ab 1952 AFNORTH) verzögert worden. Getrennt davon waren die Klein­ kampftruppen: in jeder bundesdeut­ schen Kreisstadt eine Kampftruppe, bestehend aus maximal zehn Mann. Diesen stand ein Kreisführer vor, der wiederum einem Landesführer unter­

Partisanenführer Paul Lüth (stehend) im Frankfurter Lokal »Krokodil« im März 1953. Die amerikanische Besat- zungsmacht löste nun auf Druck Ade- nauers den BdJ auf.

20 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 stehen sollte. Die für Ende des Jahres 1952 geplante Sollstärke von 7000 aus­ gebildeten Kämpfern wurde jedoch of­ fenbar nicht erreicht. Bei den damali­ gen 557 Landkreisen und kreisfreien Städten ergibt sich rechnerisch ein Soll­ picture-alliance/Report wert der Kleinkampftruppe von 6127 picture-alliance/Sven Simon Mann. Die CIA legte für diese Truppe Waf­ fendepots für den Eventualfall an. Dies bedeutet, dass außer zu Ausbildungs­ zwecken der TD erst im Kriegsfall mit Waffen ausgestattet werden sollte. Der TD beantragte für das Jahr 1953 bundesweit 4630 Karabiner M1, 350 Pistolen, 1540 leichte und schwere Ma­ schinengewehre, 245 Mörser, 12 600 Pan­zer­abwehrraketen »Bazooka« so­ wie größere Mengen an Funkgeräten, Deutsche Souveränität durch Panzerkorps und Kenntnis der Sowjetstreitkräfte. Im Munition, Handgranaten und Plas­ Konzept Heusingers (l.) und Gehlens (r.) war kaum Platz für Partisanen. tiksprengstoff. Aus dieser Anforde­ rung lässt sich schließen, dass die phase im zweiten Kriegs­jahr aktiviert ein besonderes Interesse an deutschen Kampftruppen mittels Jagdkampf – werden. Ob die schnell aufgewachse­ Partisaneneinheiten. Die Aufklärung etwa mit den taktischen Mitteln des nen und für den Gegner leicht aufklär­ feindlicher und der Aufbau eigener Handstreichs oder des Hinterhalts – baren Strukturen der auf alten Seil­ Panzerkorps genoss bei diesen ehema­ agieren sollten. Dabei war die Zahl der schaften beruhenden Organisationen ligen Abteilungsleitern aus dem Ober­ Führer mit etwa 350 anzunehmen – TD und »Kibitz-15« im Kriegsfall lange kommando des Heeres (OKH) der diese Zahl stimmt auch mit dem »har­ überlebt hätten, ist zu bezweifeln – für Wehrmacht Priorität. So betrugen in ten Kern« des TD überein. ihren Spreng-Auftrag war dies jedoch den 1960er Jahren die Soll-Stärken der nicht relevant. Kleinkriegstruppen und Einheiten zur Das Ende Ein gewisser Hang zu rechtsradika­ subversiven Kriegführung insgesamt len Positionen lag bei dem Personal 135 Soldaten. Die Ist-Stärke der Klein­ Die hier beschriebenen amerikanisch dieser Organisationen auf der Hand. krieger beim BND lag zeitgleich bei geführten deutschen »Stay Behind«- Dies wussten andererseits östliche Ins­ sechs Mann. Daran sollte sich während Operationen zeigen, dass der Begriff titutionen der psychologischen Krieg­ des gesamten Kalten Krieges und bis »Geheimarmee« weder in Bezug auf führung auch zum eigenen Zweck aus­ zu der Auflösung der deutschen »Stay die Größenordnung noch im Hinblick zunutzen. Behind«-Organisation in den 1990er auf den Auftrag zutreffend ist. Insge­ Mit der Auflösung von TD und »Ki­ Jahren nicht viel ändern. Die Bundes­ samt war selbst in der hier beschriebe­ bitz-15« kurz vor dem NATO-Beitritt wehr hielt maximal eine für die Versor­ nen Hochphase der deutschen »Stay der Bundesrepublik Deutschland er­ gung der »Stay Behind«-Kräfte »ohr­ Behind«-Organisation in den Zielstruk­ reichte die reale Stärke der deutschen markierte« Fallschirmjägerkompanie turen aller mitzurechnenden Operatio­ »Stay Behind«-Truppen nicht einmal vor. Bundesdeutsche Panzerkorps ver­ nen nie die Sollstärke einer Wehr­ mehr Bataillonsstärke. Es ist zu vermu­ sprachen im Gegensatz zu vom Feind machtdivision angestrebt. ten, dass die Brückensprengungen für überrollten Partisanen Gleichberechti­ Betrachtet man die Gesamtheit der den Kriegsfall nun in die Hände der gung im Rahmen der NATO. Bei und Aufträge der freilich stets amerika­ Bundeswehr gelegt wurden. Die Bun­ nach Aufstellung der Bundeswehr hat­ nisch geführten »deutschen Stay Be­ desregierung unter Konrad Adenauer ten daher stets reguläre Streitkräfte hind«, so fällt auf, dass diese eine logi­ verzichtete im Kriegsfall lieber ganz Priorität. Beim BND wiederum war es sche Ergänzung zum Kriegsplan auf Partisanen als, dass sie solche mit die politische und militärische Aus­ »Offtackle/Dropshot« darstellen: In fragwürdiger Loyalität förderte. Am landsaufklärung, die stets Vorrang vor den Flanken Sprengung der Brücken TD statuierte die Bundesrepublik auf »schlafenden« und im Frieden oft als über den Nord–Ostsee-Kanal im Nor­ dem Weg zur staatlichen Souveränität unproduktiv empfundenen »Stay Be­ den und der Lech-Brücken im Süden ein Exempel. Auch befreundete fremde hind«-Netzen genoss. der Bundesrepublik, im Zentrum Mächte wie die USA sollten im bald durch Feind zu überrollende Zwei- nicht mehr besetzten West-Deutsch­  Agilolf Keßelring Mann-Spähtrupps sowie Kleinkampf­ land keine Bundesbürger bewaffnen. gruppen in Stärke von jeweils einer Die amerikanischen Besatzer übertru­ Literaturtipps Jagdkampfgruppe pro Kreis. Während gen das »Stay-Behind«-Geschäft bald Agilolf Keßelring, Die Organisation Gehlen und die Neu- die in den Flanken eingesetzten Spreng­ ausschließlich der Organisation­ Geh­ formierung des Militärs in der Bundesrepublik, Berlin kommandos bereits zu Beginn des sow­ len als zukünftigem BND. 2017. jetischen Einmarsches gefordert waren, Weder Gehlen, nun Präsident des Erich Schmidt-Eenboom/Ulrich Stoll, Die Partisanen der sollten die im Zentrum eingesetzten BND, noch der Generalinspekteur der NATO. Stay-Behind-Organisationen in Deutschland Truppen erst in der Rückeroberungs­ Bundeswehr hatten 1946‑1991, Berlin 2015.

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 21 Service Das historische Stichwort picture alliance/Everett Collection

Frühe Vorstellungen des Cyberspace: Der unendliche Geist tritt in einen datengenerierten, virtuellen Raum ein (Szene aus dem Film »Matrix« von 1999).

Cyberspace

er Begriff »Cyberspace« gehört Der »Erfinder« des Cyberspace Vorstellung wurde später unter ande­ heute im militärischen Sprach­ rem in der Matrix-Trilogie filmisch ver­ Dgebrauch vieler Staaten und Der Science-Fiction-Autor William arbeitet. Streitkräfte zum Standardrepertoire. Gibson benutzte den Begriff »Cyber­ Eine genaue Definition des Cyber­ Cyberwar, Cyberattacken, Cyberspio­ space« erstmals in seiner Kurzge­ space hatte aber auch Gibson nicht zu nage – vom Cyberspace gehen Gefah­ schichte »Burning Chrome« von 1982 bieten. Er benötigte schlicht einen nach ren aus, in diesem Punkt herrscht Ei­ und in seinem Roman »Neuromancer« Zukunft klingenden Begriff für die vir­ nigkeit. Alles, was das Präfix »Cyber-« von 1984, um einen von Computern tuelle Welt in seinen Geschichten. In trägt, berichtet von neuen und zukünf­ generierten Raum zu beschreiben. der Kybernetik (engl. Cybernetics), der tigen Herausforderungen. Den Cyber­ Befeuert durch die ersten Computer, wissenschaftlichen Betrachtung der space hier als »Historisches Stichwort« war es eine gängige Vorstellung der Verbindung zwischen Mensch und zu erklären, mag daher auf den ersten Science-Fiction-Autoren jener Zeit, Maschine, war er fündig geworden. Blick verwundern. In seiner Deutung dass ein bioelektrisches Implantat als Dieser entnahm er einfach die Vorsilbe als neue Herausforderung gerät aber neuronale Schnittstelle eine technische »Cyber-« und kombinierte sie mit weitgehend in Vergessenheit, dass der Verbindung zwischen Computer und »space«. Wie Gibson später erklärte, Begriff »Cyberspace« bereits vor 35 menschlichem Gehirn herstellen klang Cyberspace für ihn gleichzeitig Jahren seinen Aufstieg begann und zu­ könnte. Auf diese Weise würde sich futuristisch und inhaltsleer. Wie ne­ nächst nichts mit Sicherheitspolitik zu der Geist vom Körper lösen und in ei­ bensächlich die genaue Funktions­ tun hatte. nen virtuellen Raum eintreten. Diese weise von Computersystemen war,

22 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 zeigt die spätere Offenbarung William William Gibson Effigie/Bridgeman Images Gibsons, er habe selbst keinen Compu­ ter besessen. Erst 1985 habe er sich ei­ wurde als Grund für nen Computer gekauft, sei aber von die Niederringung dessen Banalität und irdisch-techni­ der Sowjetunion ge­ schen Geräuschen sofort enttäuscht ge­ sehen. Zudem hatte wesen. es schon in den 1980er Jahren erste Ha­ Der Cyberspace als Raum der cker-Angriffe gege­ Freiheit ben. Unter dem Ein­ druck des schnell und Ab den späten 1980er Jahren begann effektiv geführten das Internet als technische Infrastruk­ Krieges gegen den tur von den USA aus seine rasante Ver­ Irak im Jahre 1991 breitung über die Welt. Die Kosten für entwickelte das dessen Nutzung sanken dramatisch. In US-Militär erste Kon­ der Folge konnten immer mehr Men­ zepte zum »Informa­ schen auf immer bessere Computer tion Warfare«. Im und Betriebssysteme zugreifen. We­ Jahre 1993 veröffentlichten John Ar­ tegiepapieren nieder, die mit der Kom­ sentlich war die Erfindung des World quilla und David Ronfeldt von der bination von Terrorismus und Kriti­ Wide Web als Internetanwendung RAND Corporation ihre einflussreiche scher Infrastruktur die Wahrnehmung durch Tim Berners-Lee im Jahre 1989. Studie »Cyberwar is coming«, in der des Cyberspace entscheidend formten. Die Vorstellung eines virtuellen, von sie das Ziel der »Informationsüberle­ Ihren Höhepunkt erreichte die Ent­ Computern generierten Raumes faszi­ genheit« im Blick hatten und Angriffe wicklung zur Jahrtausendwende mit nierte fortan viele Menschen. auf die gegnerische Kommunikations­ dem Dokument »Defending America’s Besonders in den USA wurde der Cy­ infrastruktur in den Mittelpunkt rück­ Cyberspace«. Der Cyberspace war ein berspace zur gesellschaftlichen Utopie ten. Mit der Vorstellung in dieser »Re­ sicherheitspolitischer Begriff gewor­ eines Verlassens der materiellen Welt volution in Military Affairs«, künftige den und sein Einzug in den militäri­ und des Eintritts in den virtuellen Kriege als Cyberkriege über die Kom­ schen Sprachgebrauch ebenfalls nicht Raum als elektronisch erzeugte, kör­ munikationsinfrastruktur zu führen, aufzuhalten. Der stellvertretende perlose und freie Gegenwelt. Mit dem wandelte sich der Cyberspace zuneh­ US-Verteidigungsminister John Hamre Internet und den erschwinglichen Mo­ mend zu einem Raum des Krieges. (1997‑2000) stellte fest: »Cyberspace dems und Computern sollte bald jeder ain’t for geeks, it’s for warriors!« (»Der die Erde hinter sich lassen und die fan­ Der Cyberspace als Raum des Cyberspace ist nicht für Spinner, son­ tastische Reise in den Cyberspace an­ Terrors dern für Krieger«). treten können. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung war die 1996 vom charis­ Dazu passte eine dritte Vorstellung, die Der Cyberspace als besonderer matischen Visionär John Perry Barlow sich ebenfalls in den frühen 1990er Handlungsraum veröffentlichte Unabhängigkeitserklä­ Jahre ausbreitete und bis zum Jahr rung des Cyberspace (»Declaration of 2000 den Cyberspace vereinnahmte. Spätestens zur Jahrtausendwende the Independence of Cyberspace«), in Mitte der 1990er Jahre wurde, teils auf­ hatten staatliche Akteure die Deu­ der er die Freiheit der virtuellen Welt grund realer Vorkommnisse, teils auf­ tungshoheit über den Cyberraum von jeglicher Kontrolle durch Staaten grund fiktiver Szenarien, die Compu­ übernommen. Die Annahmen zu forderte. Diese Vorstellung erfuhr al­ tersicherheit mit dem Terrorismus und Hacker­an­griffen, Spionage oder auch lerdings immer weniger Unterstüt­ dem Schutz kritischer Infrastrukturen Informationsoperationen über die zung und verlor Mitte der 1990er Jahre verknüpft. Man befürchtete, dass po­ technische Infrastruktur des Internets an Relevanz. Von der gesellschaftli­ tenzielle Gegner aufgrund der Aus­ waren nie unbegründet, wie zahllose chen Utopie blieb nicht viel, mit Aus­ sichtslosigkeit eines Krieges gegen die Vorfälle bis heute zeigen. So erscheint nahme eines prägnanten Begriffes: Cy­ Supermacht USA nun mit Hilfe der In­ es sinnvoll, diesen Raum neben Land-, berspace. formationstechnologie die USA im In­ Luft-, See- und Weltraum als zusätzli­ nern treffen und ein »Cyber Pearl che militärische Domäne zu begreifen. Der Cyberspace als Raum des ­Harbor« verursachen könnten. Dies Auch die meisten europäischen Staa­ Krieges könne grundsätzlich jeder, der einen ten und Armeen haben den Begriff Computer hat, und insbesondere Ter­ »Cyberspace« in den 2000er Jahren Aus militärischer Perspektive entstan­ roristen würden künftig diese Mög­ übernommen. den im Zeitfenster der frühen 1990er lichkeiten nutzen. Neben den »klassischen« Domänen Jahre völlig andere Vorstellungen von Die Furcht vor »Cyberterrorismus« behält der Cyberspace aber die Beson­ virtuellen Räumen. Diese verwendeten war fortan bestimmend für die Debatte derheit, dass seine Bezeichnung einen zunächst nicht den Begriff »Cyber­ um Gefahren aus dem Cyberspace und kuriosen Weg aus der Science-Fiction space«, vereinnahmten ihn aber später. dessen Wahrnehmung. Diese Dynamik der 1980er Jahre bis in die heutige Si­ Der Kalte Krieg war vorbei und die war nicht mehr zu stoppen, und ab cherheitspolitik hinter sich hat. technologische, auch die informations­ 1996 schlug sich diese Wahrnehmung technologische Überlegenheit der USA auch in den sicherheitspolitischen Stra­ Niklas van Alst

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 23 Service Neue Medien

labierte das SED-Regime; die Mauer Echtheit dieser Geschichte zweifelt, fiel. Großes Glück war aber auch, dass werden auf den letzten Seiten die Co­ die Brandsätze keine Grenzsoldaten miczeichnungen den Originalfotos der oder Unbeteiligte verletzten. Aktionen von 1989 gegenübergestellt. Mauerkrieger Mit dem Abstand von fast 30 Jahren Die Übereinstimmung ist erstaunlich wurden jetzt die Aktionen der linken und gibt dem Comic Authentizität. »Mauerkrieger« aus Kreuzberg als leicht verdauliche Comicgeschichte ks/sg veröffentlicht. Für den, der an der

Dirk Mecklenbeck/Raik Adam, Todesstreifen. Aktionen gegen die Mauer in West-Berlin 1989, Berlin 2018. ISBN 978-3-86153-993-3; 96 S., 10,00 Euro

randsätze in Flaschen, besser be­ Bkannt als Molotowcocktails, gehör­ ten und gehören zum Arsenal gewalt­ bereiter Extremisten jeglicher politi­ scher Coleur. Im alten West-Berlin wurden linke Extremisten vor allem mit dem Stadtbezirk Kreuzberg in Ver­ bindung gebracht. Die Gewaltorgien rund um den 1. Mai waren (und sind) ein bekanntes alljährliches Ritual. Weitgehend unbekannt dürfte bis­ lang geblieben sein, dass die Kreuzber­ ger »Alternative« 1989 ihre Aktionen auch gegen die noch bestehende Ber­ liner Mauer richteten. In der DDR auf­ gewachsen und Mitte der 1980er Jahre nach West-Berlin ausgereist, entschlos­ sen sich vier befreundete junge Män­ ner aus der Punk-Szene, etwas gegen die ihnen verhasste Grenze mitten durch Berlin zu unternehmen: Sie schleuderten Brandsätze gegen den Grenzzaun und gegen einen Wach­ turm, schnitten Stücke aus dem Zaun heraus, schmuggelten oppositionelle Flugblätter in die DDR und übergaben sie an Bekannte. Das alles geschah im­ mer in der steten Gefahr, von den Grenzsoldaten der DDR erwischt und verhaftet zu werden. Die vier hatten Glück, vielfaches Glück: Sie wurden nicht erwischt, und im Herbst 1989 kol­ medien24 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 im Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv in Das Projekt selbst versteht sich als Freiburg, dienten hierfür als Quelle. noch nicht abgeschlossen. Zukünftig Neben umfangreichen Feldpostnum­ sollen weitere Datensätze eingearbei­ mernlisten wartet die Datenbank auch tet und neue Inhalte aufgenommen Sowjetische Militärstandorte in mit einer bislang unzugänglichen werden. Die wesentliche Neuerung ge­ Deutschland Quelle auf: Eine Stationierungsliste aus genüber der vorherigen Standortdaten­­ dem Militärarchiv der Russischen Fö­ bank des ZMSBw ist die Verknüpfung http://www.sowjetische-militaerstandorte-in- deration, die alle sowjetischen Einhei­ der Standortdaten mit Geo­in­for­ deutschland.de/ neueten nennt, die sich 1946 auf deutschem mationen und Archivquellen. 25 Jahre Boden befanden. Der sowjetische Ge­ nach dem Truppenabzug schreitet so b im Harz, in Ostberlin oder an der neralstab führte über seine Truppen im die Aufarbeitung der Besatzungs- und OKüste: Sowjetische/russische Trup­ Ausland ausführlich Buch, wovon die Stationierungsgeschichte sowjetischer pen waren zwischen 1945 und 1994 in militärhistorische Standortforschung Truppen sichtbar voran. allen Bezirken der ehemaligen DDR heute profitieren kann. sg/ks stationiert. Welche Standorte einst Sowjetsol­da­ten beherbergten, darüber Dokumentenangebot der Datenbank am Beispiel des Standorts Magdeburg informiert eine neue Internet-Daten­ bank. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt Topografische Karte von Magdeburg mit eingezeichneten Liegenschaften der so- des Deutsch-Russischen Museums Ber­ wjetischen Truppen, 1990. lin-Karlshorst, des Zentrums für Mili­ tärgeschichte und Sozialwissenschaf­ ten der Bundeswehr (ZMSBw) in Pots­ dam und des Deutschen Historischen Instituts (DHI) Moskau. Die über 1100 verzeichneten Liegen­ schaften können sowohl in Kartenan­ sicht als auch in Listenform abgerufen werden und bilden die Stationierungs­ situation der Abzugsjahre 1990–1994 ab. Für viele Standorte stehen Gebäu­ deverzeichnisse und Liegenschafts­ pläne zur Verfügung. Unzählige Akten

Originalpläne der sowjetischen Liegen- schaftsverwaltung, hier die Militär- städtchen 13 und 3 in Magdeburg.

medien Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 25 Service Lesetipps

Daraya Tradition in der Bundeswehr Was wäre wenn ...?

Kaum vorstellbar, aber wahr: In einem 2017/18 entstand ein neuer Traditions­ So fangen nicht selten abenteuerliche Vorort von Damaskus sitzen junge erlass für die Bund­ es­wehr. Er ersetzt und spannende Geschichten an: Was Leute in Bombentrümmern und lesen die Richtlinien aus dem Jahr 1982 und wäre gewesen, wenn der Computer be­ Dramen von Shakespeare, Molière und muss nun in den Streitkräften mit Le­ reits hundert Jahre früher entwickelt Saint-Exupérys »kleinen Prinzen«. ben gefüllt werden. worden wäre? Und wie hätte sich die Über ihnen prasseln die Bomben nie­ Als Anleitung liegt jetzt eine pro­ Geschichte vielleicht ereignet, wenn der. Es ist Krieg in Syrien. funde Aufsatzsammlung vor, die nicht die USA das Internet, sondern Wie eine Oase der Hoffnung wirkt Denkanstöße zur Tradition der Bun­ das Deutsche Reich das »Weltnetz« er­ diese geheime Bibliothek im Unter­ deswehr aus vielfältigen Blick­winkeln funden hätte? grund von Daraya. Bücher sind für die anbietet. Mit ihnen könnte die (not­ Zwar spielt der Roman überwiegend jungen Leute die Brücke zu einem er­ wendige) intellektuelle und (bisher lei­ in der Zeit des Zweiten Weltkrieges­ , wünschten normalen Leben. In ihrem der oftmals) emotionale Aus­ein­ doch lassen sich Anspielungen auf die Alter würden sie eigentlich in der andersetzung, was Tradition sein soll, heutige Zeit nur schwer übersehen. So Schule oder an der Universität lernen. endlich geführt werden. bildet das Nationale Sicher­heits-Amt, Doch der Krieg hat ihre Träume zer­ Losgelöst von Konflikten um ein­ kurz NSA, eine Über­wa­chungs­behörde stört. Sie sind jeden Tag froh überlebt zelne Namensgeber von Kasernen lässt Orwellscher Prägung, den Dreh- und zu haben. Trotzig bieten sie dem sich nunmehr aus verschiedenen Blick­ Angelpunkt der Geschichte.­ In deren Schicksal die Stirn und sammeln so winkeln erlesen, wo Ankerpunkte für Zentrum stehen Helene Bodenkamp viel Wissen, wie sie nur erlangen kön­ eine Tradition der Bundeswehr ge­ und Eugen Lettke, deren Lebenswege nen, und gönnen ihren Seelen eine sucht werden können: beispielsweise sich im Verlauf der Handlung immer Atempause vom Grauen. in der europäischen Geschichte, im wieder kreuzen. Sie, eine talentierte Das Lesen guter Bücher und freies Kampf, in der Inneren Führung und »Programmstrickerin« des NSA mit ei­ Diskutieren stärken ihre Gemeinschaft, damit weit über einzelnen Personen hi­ nem gefährlichen Geheim­ nis und er, nehmen ihnen Angst, geben ihnen Mut naus. Sohn eines Kriegs­held­ en und NSA- für die Zukunft. Man könne eine Stadt Dennoch bleibt der Umgang mit der Analytikers, der seine beruflichen zerstören, aber Ideen nicht, sagt einer deutschen Militärgeschichte und ihren Möglichkeiten für einen persönlichen der Gründer der geheimen Bibliothek. Brüchen und Zäsuren in der Traditi­ Rachefeldzug ausnutzt. Dies birgt Po­ Fünfzehntausend Bücher haben sie aus onsdebatte besonders herausfordernd: tenzial für einen spannenden Plot. den Ruinen der Stadt bereits gerettet Es gibt keine bruchlose Geschichte des Andreas Eschbach gelingt es mit sei­ und stellen sie denen zur Verfügung, deutschen Militärs, im Gegensatz zu nem Roman, viele hochaktuelle Fragen die sich in den Abgrund hinabwagen. anderen Staaten, die für ihre Armeen und Probleme in eine historische Um­ Das Engagement ist gefährlich. Nicht Kontinuitätslinien über Jahrhunderte gebung einzubetten. Er durchzieht alle Gründer der Bibliothek überleben ziehen. seine gut lesbare, fiktive Geschichte den Krieg. Aber die Hoffnung auf Frie­ Ob die Bundeswehrgeschichte ein dabei immer wieder geschickt mit his­ den und eine bessere Welt schweißt sie »Füllhorn« der Traditionsmögl­ich­ torisch verbrieften Begebenheiten und zusammen. Die französische Journalis­ keiten ist, muss sich noch erweisen. Personen, etwa mit der Festnahme der tin Delphine Minoui ist über Facebook Das facettenreiche Lesebuch mit Bei­ Familie Frank in Amsterdam durch die auf die jungen Leute aufmerksam ge­ spielen aus mehr als 60 Jahren Bundes­ Gestapo oder mit dem Wirken des worden. Sie nahm mit Ahmad und an­ wehr bietet eine solide Grundlage für SS-Arztes Josef Mengele. Daraus ent­ deren jungen Männern Kontakt auf, die Diskussion, was für die Bundes­ steht eine bis zum Ende spannende um dieses berührende Buch zu schrei­ wehr heute und künftig traditionswür­ Lektüre! ben. dig sein kann.

Gabriele Bosch Heiner Möllers Carsten Siegel

Donald Abenheim/Uwe Delphine Minoui, Hartmann (Hrsg.), Die geheime Tradition in der Bibliothek von Bundeswehr. Zum Daraya. Über die Erbe des deutschen Macht der Bücher in Soldaten und zur Andreas Eschbach, Zeiten des Krieges, Umsetzung des neuen NSA – Nationales Salzburg, München Traditionserlasses, Sicherheits-Amt, 2018. ISBN Berlin 2018. ISBN Köln 2018. ISBN 978-3-7109-0042-6; 978-3-945861-75-2; 978-3-7857-2625-9; 222 S., 20,00 Euro 312 S., 29,80 Euro 796 S., 22,90 Euro

26 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019

Stauffenberg Widerstand Gegen den Strich

Claus Graf Schenk von Stauffenbergs Bücher zum Widerstand haben derzeit Allen überlebenden Opfern der kurzes Leben von 1907 bis 1944 war ge­ Konjunktur. Aus der Feder des renom­ NS-Diktatur wurde nach 1945 so gut prägt vom Dienst für sein Vaterland, mierten Historikers Wolfgang Benz wie möglich Wiedergutmachung zuteil dem er als Soldat zwischen 1926 und liegt nun eine Gesamtdarstellung vor, – so zumindest sollte man meinen. Tat­ seinem Tod diente. Wie viele seiner welche die wesentlichen oppositionel­ sächlich war das aber keineswegs der Zeit, darunter nicht nur Soldaten, emp­ len Gruppen und Individuen berück­ Fall. Zu den Opfergruppen, denen in fand er die Machtübernahme Hitlers sichtigt. Dabei gelingt es ihm, ein Pano­ ­ der Bundesrepublik sogar die Aner­ 1933 als Beginn eines nationalen Auf­ rama zu entfalten, das nicht nur die kennung als Verfolgte des NS-Regimes stiegs, ohne aber den verbrecherischen »großen Namen« des Widerstands – verwehrt wurde, gehörten auch Ho­ Charakter des Regimes zu verkennen, etwa Claus Graf Schenk von Stauffen­ mosexuelle. Der den Sex zwischen dem er sich später entgegenstellte. berg oder die Geschwister Scholl – in Männern unter Strafe stellende Para­ Man weiß heute, dass Stauffenberg­ ab den Blick nimmt, sondern auch die graf 175 galt seit 1871 und somit nicht 1941/42 zunehmend ins Lager der Personen zu würdigen weiß, die bis­ als NS-Unrecht. Ignoriert wurde dabei, ­Opposition wechselte und immer öfter lang kaum oder gar nicht im Fokus dass die Nationalsozialisten den Para­ offen Kritik an der Krieg­führung standen. grafen 1935 erheblich verschärften. Bei ­äußerte, obwohl er anfänglich den Das Buch ist chronologisch geglie­ der Internierung und Ermordung Ho­ Krieg als außenpolitisches Mittel ak­ dert und beginnt thematisch mit dem mosexueller in Konzentrationslagern zeptierte. widerständigen Verhalten bestimmter hatten formale Rechtskonventionen Stauffenberg steht beispielhaft für »Eliten«, etwa Wissenschaftler oder ohnehin keine Bedeutung. die vielen, die sich gegen den Na­ Publizisten, vor Hitlers Machtüber­ Wie lebten, überlebten und liebten tionalsozialismus stellten. Der Verfas­ nahme. An anderer Stelle untersucht schwule Männer unter der ständigen ser beschreibt die Wandlung­ Stau­ffen­ der Autor u.a. die bayerischen Monar­ Drohung von Zuchthaus oder KZ? bergs vom glühenden Patrioten zum chisten, die »statt Hitler lieber einen ­Alexander Zinn hat für seine Disserta­ überzeugten Puts­ chis­ten, in­dem er den König« gehabt hätten, oder die konser­ tion drei Untersuchungsebenen ausge­ Lebensweg auf das Wesentliche­ zu­ vative Opposition, deren Angehörige wählt: Unterhalb der Reichsebene sammenfasst. überzeugt davon waren, Hitler »zäh­ blickt der Autor detailliert auf das Alle Weg­mar­ken, Um­kehr­punkte men« zu können. In beiden Fällen er­ Land Thüringen und dort nochmals und Zäsuren in Stauffenbergs Vita wiesen sich die Pläne und Vorstellun­ besonders auf den Kreis Altenburg. werden deutlich: Der hochintelligente gen als illusorisch, was vor allem an Dadurch erhalten Statistiken von In­ Generalstabsoffizier gewann frühzeitig­ der Selbstüberschätzung der Protago­ haftierten und ins KZ Verschleppten Einblicke in die militärische Spitzenor­ nisten lag. Namen und Gesicht. Zinns Blick auf ganisation, die militärische Leistungs­ In seinem Fazit muss Benz zwar ein­ die lokale Ebene eröffnet überra­ fähigkeit der Wehrmacht sowie Hitlers räumen, dass einige Fragen nicht zu­ schende Erkenntnisse: In den ersten Verständnis von Kriegführung. friedenstellend beantwortet werden Jahren der NS-Herrschaft gab es noch Aufgrund dieses Wissens musste er können und dass der Widerstand ins­ erstaunliche Freiräume für schwules zur Erkenntnis gelangen, dass der gesamt aus vielerlei Gründen »im äu­ Leben. Dies änderte sich ab 1937. Den­ Krieg für das Deutsche Reich zu kei­ ßeren Sinne« erfolglos geblieben war, noch bleibt Zinns Resümee, »die Ver­ nem Zeitpunkt zu gewinnen war. Dass dennoch gehöre er zu den »wichtigen engung der Situation Homosexueller sich Deutschland dabei zum verbre­ sinnstiftenden Ereignissen der deut­ im Dritten Reich auf eine Opferge­ cherischen Regime wandelte, war aus­ schen Geschichte«. Für die von ihm ge­ schichte [verstelle] den Blick auf das schlaggebend für Stauffenbergs Wider­ forderte »Historisierung des Wider­ wesentlich vielschichtigere Bild, das stand. Sein Leben lässt sich in diesem stands« hat Benz selbst einen wichtigen sich darbietet, wenn man die Quellen Buch gut lesbar nachvollziehen. Beitrag geleistet. gegen den Strich bürstet«.

Heiner Möllers Victor Marnetté ks

Alexander Zinn, »Aus dem Volks­ Ulrich Schlie, Wolfgang Benz, Im körper entfernt«? Claus Schenk Graf Widerstand. Größe Homosexuelle Männer von Stauffenberg. und Scheitern der im Nationalsozialis- Biografie, Opposition gegen Hitler, mus, Frankfurt am Freiburg i.Br. 2018. ISBN München 2018. ISBN Main, 2018. ISBN 978-3-451-03147-2; 978-3-406-73345-1; 978-3-593-50863-4; 192 S., 10,00 Euro 556 S., 32,00 Euro 694 S., 39,95 Euro

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ServiceService Die historische Quelle

Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv, Pers 6/59047

»Sehr tüchtig, aber auch sehr ehrgeizig«

er waren eigentlich diejenigen, die am 20. Juli Dem Österreicher Pridun hatte sein Vorgesetzter in sei­ 1944 im Bendlerblock den »Gegenputsch« ner letzten Beurteilung noch ins Stammbuch geschrieben, Wunternahmen? er sei »von einwandfreier nationalsozialistischer Hal­ Genannt werden immer wieder die Oberstleut­ tung« – was immer das heißen mochte, wenn der beurtei­ nante i.G. von der Heyde, Pridun und Herber, alle drei lende Vorgesetzte Oberst Graf Stauffenberg hieß. Der damals im Bendlerblock tätig, und alle drei wenige Wo­ nächsthöhere Vorgesetzte, der ebenfalls an der Verschwö­ chen später zum Oberst i.G. befördert. Ihre Personalak­ rung beteiligte General der Infanterie Friedrich Olbricht, ten finden sich im Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv in hatte hinzugefügt »sehr tüchtig, aber auch sehr ehrgei­ Freiburg. Dort finden sich auch bei allen die Verfügun­ zig«, und »sehr« beide Male unterstrichen. gen der Beförderung zum Oberst, immer mit demsel­ Puzzelt man die drei Beförderungsverfügungen, die Be­ ben Aktenzeichen: 1602 vom 20. Oktober 1944. Nicht urteilungen und weitere Einzelstücke zusammen, so er­ bei von der Heyde, aber bei Pridun und Herber steht gibt sich das Bild, dass es Heeresoffiziere aus dem Bend­ »Vorzugsweise Beförderungen! Sondermaßnahme lerblock selbst waren, die aus Ehrgeiz das Scheitern des 20.7.44«, und das galt offenbar für alle drei Offiziere 20. Juli zumindest befördert haben. gleichermaßen. Winfried Heinemann

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Geschichte kompakt

September 1939 31. August 1994

Überfall auf Polen Abzug russischer Streitkräfte aus Deutschland

er deutsche Überfall auf Polen begann mit einer ährend der Verhandlungen zum Zwei-plus-Vier- Lüge: dem »Gleiwitz-Vorfall«. Als Polen verkleidete Vertrag einigten sich im Juli 1990 Bundeskanzler DSS-Angehörige griffen den deutschen Radiosender WHelmut Kohl und der sowjetische Präsident Mi­ Gleiwitz an. Dies gab Hitler den Vorwand für den Angriff chael Gorbatschow auf den vollständigen Abzug der sowje­ auf Polen. Die defensive polnische Außenpolitik hatte dies tischen Streitkräfte in Deutschland bis Ende 1994. Mit mehr zuvor verhindert. Nun hatte der deutsche Diktator den als 300 000 Soldaten, über 4000 Panzern und knapp 700 Krieg erzwungen. Flugzeugen war die sogenannte Westgruppe der Truppen Bereits im Frühjahr 1939 hatten die konkreten militäri­ (WGT) die größte sowjetische Streitkräftegruppierung im schen Planungen für »Fall Weiß«, den Angriff auf Polen, be­ Ausland und die Speerspitze des Warschauer Pakts. Ihr gonnen. Noch vor Beginn des Feldzuges hatte Hitler die­ vollständiger Rückzug in die Heimat war eine der größten sem eine ideologische Komponente hinzugefügt, in dem er logistischen Operationen in der Militärgeschichte und sollte »die Eroberung von Lebensraum« forderte, wie er der die Bundesrepublik mehr als 13 Milliarden DM kosten. Wehrmachtspitze im August 1939 erläuterte. Nachdem die Rund die Hälfte aller Transporte lief über den Seeweg, Wehrmacht am 1. September 1939 angriffen hatte, erklärten wobei dem Fährhafen Mukran auf Rügen eine zentrale Be­ die Verbündeten Polens, Frankreich und Großbritannien, deutung zukam. Die andere Hälfte verließ Deutschland auf zwei Tage später dem Deutschen Reich den Krieg. Hitler dem Schienenweg, meist im Transit durch Polen. Die Bun­ drängte daraufhin auf einen schnellen Sieg, um einen lan­ desvermögensämter übernahmen 1026 Liegenschaften, die gen Zweifrontenkrieg zu vermeiden. zuvor aufwendig registriert werden mussten. In der (post-) Die Nachrichten von der Front waren aus deutscher Sicht sowjetischen Heimat fehlten hingegen ausreichend Unter­ erfreulich. Innerhalb einer Woche war die polnische Luft­ künfte für die Soldaten und deren Familienangehörige. Das waffe kampfunfähig. Gleichzeitig durchbrach das Heer die trübte die Stimmung der WGT-Angehörigen, von denen wichtigsten polnischen Verteidigungslinien. In der zweiten viele in eine ungewisse Zukunft blickten. Nicht immer Kriegswoche erreichten die deutschen Truppen die Vororte konnten die Truppenführer Disziplin und Moral während Warschaus. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten polni­ des Abzugs aufrechterhalten. Schwarzmärkte vor den Ka­ schen Verbände bereits einge­ sernen und illegale Waffenverkäufe bestimmten die deut­ schlossen oder zurückgedrängt. sche Medienberichterstattung. Die von Frankreich verspro­ Dass dieser Truppenabzug dennoch ohne größere Kom­ chene Offensive im Westen kam plikationen bewältigt wurde, zudem fristgerecht, lag nicht nicht zustande; in Polen machte nur am militärischen Können der sowjetischen, später rus­ der Vorwurf vom »Verrat des sischen Soldaten. Der zuvor diplomatisch ausgehandelte Westens« die Runde. Abzug wurde militärisch organisiert und umgesetzt, wobei Zudem fiel am 17. September der Bundeswehr dabei eine Schlüsselrolle zukam. Ein für die Rote Armee in den Osten Po­ den Abzug eigens aufgestelltes Verbindungskommando lens ein, wie zuvor im Hitler-Sta­ zur WGT fungierte als Schnittstelle zwischen deutschen Be­ lin-Pakt vereinbart. Das Schick­ hörden und den verbliebenen Einheiten, überwachte und sal des Landes war damit verifizierte den Abzug und unterrichtete die Bundes- und besiegelt. Die Regierung flüch­ Länderregierungen. Auch alle Transportanmeldungen der tete ins Londoner Exil, etwa WGT liefen über die Bundeswehr. 220 000 Soldaten gelang die Am 31. August 1994 verabschiedeten Kohl und der russi­ Flucht ins Ausland. Am Ende sche Präsident Boris Jelzin in Berlin offiziell die letzten rus­ des Feldzuges waren über eine sischen Soldaten auf deutschem Boden. Damit endete eine Million polnischer Soldaten in 49-jährige Truppenstationierung. Noch heute zeugen in deutscher Kriegsgefangenschaft, Ostdeutsch­ 100 000 gefallen oder verwun­ land viele bau­ Bundeswehr/Detmar Modes

©Scherl Bilderdienst/Deutsches Historisches Museum det. Die Wehrmacht zählte über liche Überreste 45 000 Mann an Verlusten. von der einsti­ Einmarsch eines deut- Den Frontverbänden der gen Präsenz schen Schützenregi- Wehrmacht folgten die Einsatz­ sowjetischer mentes in Polen, 1939. gruppen des Sicherheitsdienstes und russischer der SS (SD), die mit der »Vernich­ Truppen. tung der polnischen Intelligenz« beauftragt waren. Bis zum sg Frühjahr 1940 ermordeten die SD-Einsatzgruppen etwa 60 000‑80 000 polnische Zivilisten, darunter mehr als 7000 Juden. Polen erlebte von 1939 bis 1945 eine brutale deutsche Abzug russi- Besatzungsherrschaft, der etwa fünfeinhalb Millionen Men­ scher Streit- schen zum Opfer fielen. kräfte im Marc Pratt-Yule August 1994.

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2019 29 Service Ausstellungen

• Albstadt Bonhoeffer-Haus • München • Stuttgart Stauffenberg Gedenk- Erinnerungs- und Begeg­ stätte nungsstätte Die Wiege der Gewalt – Attentat. Stauffenberg Stauffenberg-Schloss Marienburger Allee 43 München und der Haus der Geschichte 72459 Albstadt- 14055 Berlin Nationalsozialismus Baden-Württemberg Lautlingen (Charlottenburg) NS-Dokumentations­ Konrad-Adenauer-Str. 16 Tel.: 0 74 31 / 76 310 3 www.bonhoeffer-haus- zentrum 70173 Stuttgart (Museum während der berlin.de Brienner Straße 34 Tel.: 07 11 / 21 23 98 9 Öffnungszeiten) Samstag 80333 München https://www.hdgbw.de 0 74 31/ 60 41 10.00 Uhr deutsch­ Tel.: 0 89 / 23 36 70 00 ab 2. Juli 2019 oder 0 74 31 / 16 01 23 2 sprachige Führung www.ns-dokuzentrum- Dienstag bis Sonntag oder 0 74 31 / 16 01 20 4 11.00 Uhr englisch­ muenchen.de 10.00 bis 18.00 Uhr (Tourist-Information) sprachige Führung Dienstag bis Sonntag Donnerstag bis 21.00 Uhr www.albstadt.de/museen/ stauffenberg Montag bis Freitag 10.00 bis 19.00 Uhr Eintritt: 5,00 Euro Mittwoch, Samstag, auf Anfrage über die Eintritt: 5,00 Euro ermäßigt: 2,50 Euro Sonntag, Feiertag Internetseite ermäßigt: 2,50 Euro 14.00 bis 17.00 Uhr und nach Vereinbarung Dokumentationszentrum Eintritt: 2,00 EUR Topographie des Terrors • Neuruppin ermäßigt: 1,00 EUR Niederkirchnerstraße 8 10963 Berlin Fontane.200/Autor Tel.: 0 30 / 25 45 09 50 Die Leitaustellung • Bayreuth www.topographie.de Museum Neuruppin Wilhelm-Leuschner- täglich 10.00 bis 20.00 August-Bebel-Straße Gedenkstätte Uhr 14/15 Ausstellung 16816 Neuruppin Herderstraße 29 Tel.: 0 33 91 / 35 51 10 0 95447 Bayreuth • Dresden www.fontane-200.de Tel.: 09 21 / 15 07 26 9 bis 30. Dezember 2019 www.wilhelm-leusch- »Der Führer Adolf Hit- Montag, Donnerstag bis ner-stiftung.de ler ist tot.« Sonntag Öffnungszeiten und Attentat und Staats­ 10.00 bis 18.00 Uhr Zugang auf Anfrage über die Internetseite streichversuch am Mittwoch 20. Juli 1944. 10.00 bis 19.00 Uhr Sonderausstellung Eintritt: 8,50 Euro • Berlin zum zivil-militärischen ermäßigt: 6,50 Widerstand gegen das Gedenkstätte Deutscher NS-Regime Widerstand Militärhistorisches • Potsdam Stauffenbergstraße 13-14 Museum der Eingang über den Bundeswehr Fontane.200/ Ehrenhof Olbrichtplatz 2 Brandenburg 10785 Berlin 01099 Dresden Bilder und Geschichten Tel.: 0 30 / 26 99 50 00 Tel.: 03 51 / 82 32 80 3 Haus der Brandenbur­ www.gdw-berlin.de www.mhmbw.de gisch-Preußischen Montag bis Freitag ab 5. Juli 2019 Geschichte 9.00 bis 18.00 Uhr Dienstag bis Sonntag Kutschstall Donnerstag 10.00 bis 18.00 Uhr Am Neuen Markt 9 9.00 bis 20.00 Uhr Montag 14467 Potsdam Sonnabend, Sonntag 10.00 bis 21.00 Uhr Tel.: 03 31 / 62 08 55 0 und Feiertag Eintritt: 7,00 Euro www.fontane-200.de 10.00 bis 18.00 Uhr (für alle Ausstellungen) 7. Juni bis Eintritt frei ermäßigt: 4,00 Euro 30. Dezember 2019 Freier Eintritt für Bun­ Dienstag bis Donnerstag deswehrangehörige 10.00 bis 17.00 Uhr Freitag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 7,00 Euro ermäßigt: 5,00 Euro

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»Die Geschichte kennen wir jetzt ...« Der 20. Juli 1944 im Spielfilm

ein Spielfilm über den 20. Juli Während die »Helden« in diesen frü­ lywood das Thema »20. Juli«. Mit Brian war ein ausschließlich kommer­ hen Filmen eher blutleer und langwei­ Singers »Valkyrie« entstand 2008 eine Kzielles Unternehmen. Kassen­ lig bleiben, ist das Gegenteil für ihre viel diskutierte amerikanisch-deutsche knüller waren schlicht nicht zu erwar­ Gegenspieler festzuhalten. So bleibt Co-Produktion mit US-Star Tom Cruise­ ten von der Schilderung eines Atten­ aus den Stauffenberg-Filmen von 1955 in der Hauptrolle. tats- und Staatsstreichversuchs, dessen vor allem Ernst Schröder als SS-Ober­ Schnell wurden Befürchtungen laut, Scheitern von vornherein bekannt war. gruppenführer und zentraler Kontra­ was »die Amerikaner« mit »unserem Den beiden ersten, 1955 erschienenen hent der Widerständler im Gedächtnis. Stauffenberg« wohl anstellen würden. Spielfilmen »Der 20. Juli« (Regie: Falck Seine überzeugend-beängstigende Das ZDF präsentierte daher eigens Harnack, mit Wolfgang Preiss, Maxi­ Darstellung eines fiktiven gnadenlosen kurz vor der Premiere von »Valkyrie« milian Schell u.a.) und »Es geschah am Menschenjägers in SS-Uniform ent­ die »wahre Geschichte« Stauffenbergs 20. Juli« (Regie: Georg Wilhelm Pabst, sprach dem zeitgenössischen gesell­ als zweiteilige Dokumentation. Ekla­ mit Bernhard Wicki, Siegfried Lowitz schaftlichen Erinnerungskonsens, wo­ tante historische Ungenauigkeiten wa­ u.a.) ging es vor allem um eine Ein­ nach allein die SS als das personifizierte ren dann aber auch in der Hol­ flussnahme auf die Wahrnehmung der Böse galt. lywood-Produktion nicht zu finden. historischen Ereignisse. Beide Filme 30 Jahre später fand das Fernsehen in Der Journalist und Filmhistoriker Hans bemühten sich um eine Rehabilitie­ Franz-Peter Wirths »Operation Wal­ Schmid forderte angesichts der zahlrei­ rung nicht nur der zu dieser Zeit noch küre« (WDR 1971) mit dem »Doku- chen Verfilmungen schon 2009: »Die hoch umstrittenen Widerstandskämp­ Spiel« zu einer neuen Erzählform (mit Geschichte vom Umsturzversuch, der fer, sondern – im Kontext der west­ Joachim C. Fest als Moderator), in der tragisch endete, kennen wir jetzt schon. deutschen Wiederbewaffnungsdebatte Spielszenen und vorzugsweise an Ori­ Wann dreht endlich einer den Stauf­ der 50er Jahre – auch des deutschen ginalschauplätzen gedrehte Interviews fenberg-Film mit einem tollen Auf­ Militärs generell. Wolfgang Preiss leis­ miteinander kombiniert wurden. Wie­ stand, der gelingt, weil nicht erst die tete hierzu mit seiner Darstellung derum 30 Jahre später präsentierte Jo Befehle gestempelt werden müssen? Claus Schenk Graf von Stauffenbergs Baier in »Stauffenberg« (2004, mit Se­ Ein Film, bei dem Hitler in die Luft in »Der 20. Juli« den deutlichsten Bei­ bastian Koch, Ulrich Tukur u.a.) mit fliegt ...?« trag, indem er militärische Schneidig­ Nina Stauffenberg als Mitverschwöre­ Für historische Figuren wie Stauffen­ keit mit ehrlich erscheinender Sorge rin und Partnerin erstmalig eine Frau berg oder Henning von Tresckow ist um den Staat verband – ein früher Pro­ als zentrale handelnde Person inner­ ein solcher Schritt in die narrative Uto­ totyp eines Staatsbürgers in Uniform, halb der historischen Ereignisse. Vier pie kaum vorstellbar, zu stark gilt für wie er zum Leitbild der neuen Armee Jahre nach Baiers preisgekrönter Ver­ sie die Notwendigkeit historischer werden sollte. filmung entdeckte schließlich Hol­ Faktentreue. Denkbar wäre jedoch ein Film, der nicht nur vor dem 20. Juli be­ ginnt, sondern über den Abend des At­ tentats hinausgeht, der die Verfolgun­ gen im Anschluss und auch den Kampf der Angehörigen und Überlebenden um ihre Rehabilitierung nach 1945 in den Blick nimmt. Dies ist kaum zu leis­ ten für einen Spielfilm, böte aber Po­ tenzial für eine professionell produ­ zierte Serie. picture alliance/Mary Evans Picture Library Jan Kindler

Der prominent besetzte Film »Valkyrie« mit Tom Cruise als Stauffenberg sorgte für viele Diskussionen.

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