AM BALL Talentscouting

Ryan Giggs: Der Dribbelkönig der Waliser Hartplätze (vorne, 2. v. l.)

Diego Maradona: Die Hand Gottes kann auch Kaffeetassen anheben

RUND 20 AM BALL Talentscouting

David Beckham: Diese Beine können etwas Muckibude vertragen

Michael Ballack: Jochen Müller (r.) trainierte ihn beim Chemnitzer FC

JÄGER DES GEBORENEN SCHATZES

Kein Klub kommt mehr ohne sie aus: DIE TALENTSCOUTS. Sie sind unterwegs auf den Plätzen der Welt, um nach den Stars von morgen zu fahnden. Wie aber arbeiten diese Informanten? Und hinken die deutschen Späher im internationalen Vergleich tatsächlich immer noch hinterher? Ein Report über die Trüffelschweine der

VON SVEN BREMER UND JÖRG MARWEDEL, FOTOS ACTIONPRESS, EMPICS, PICTUREPRESS, PIXATHLON

RUND 21 A M B A L L Tal e n t s c o u t i n g

Sebastian Deisler: Hätten Sie dem Hänfling (r.) Profifußball zugetraut?

Martin Demichelis: Argentinien, Straße, Kickerkumpel (r.)

Ronaldinho: Roberto De Assis (r.) ist Bruder und Berater bis heute

RUND 2 2 AM BALL Talentscouting

Der Mann mit der Pudelmütze fiel sofort auf „ist ein bisschen wie Spionage.“ Und manch- ballern ist nicht neu, wohl aber die rasant unter den Zaungästen beim Training des RKC mal, wenn bekannte Trainer oder Manager zunehmende Professionalisierung dieser Spar- Waalwijk. Es sind ja nur eine Handvoll Kie- sich heimlich ein Bild von einem Spieler ma- te. Noch vor drei Jahren verstaubten beim bitze, die den Profis des kleinen Klubs aus der chen wollen, schlüpfen sie gar in die Rolle des HSV die Demo-Videos von angebotenen Spie- holländischen Eredivisie beim Üben zuschau- Agenten mit Schlapphut, falschem Bart und lern oft ungesehen in Kartons auf der Ge- en. Und Notizen, wie dieser Fremde, machen Sonnenbrille. So hat sich einst Otto Rehhagel schäftsstelle. Auch beim FC Schalke 04 war, sie sich schon gar nicht. Irgendwann marschier- unter die Zuschauer gemischt, um nicht er- wie der Chef der Scoutingabteilung, Helmut te ein Betreuer auf den emsigen Schreiber zu kannt zu werden. Schröder allerdings, als ehe- Schulte, erzählt, „wenig bis gar nichts, keine und fragte, was er denn alles notiere. Er ma- maliger und nicht ganz so prominenter Bun- Kohle, keine Strukturen“. Mittlerweile küm- che gerade in Deutschland seinen Trainer- desligaprofi, hat die Pudelmütze nur getragen, mert sich nicht nur beim HSV oder Schalke schein, sagte der Mann, und hospitiere ein weil es „arschkalt“ war. ein ganzer Stab um die Sichtung von Talenten wenig im Ausland. Das war eine kleine Not- Ob offen oder undercover – das so genann- und potenziellen Verstärkungen. Zwischen lüge, denn er wollte noch eine Weile inkogni- te Scouting gewinnt immer mehr an Bedeu- 600.000 und 1,5 Millionen Euro lassen sich to bleiben während dieser Woche in Waalwijk tung im Millionengeschäft Fußball. Scouts die Vereine diese neue Sparte jährlich kosten, im Winter 2003. sind die Trüffelschweine, die aus dem Morast die man in normalen Großunternehmen Ent- Der Mann war Michael Schröder, Chefscout der Provinzplätze die wertvollsten Talente zu- wicklungsabteilung nennen würde – am meis- des Hamburger SV. Er war gekommen, um tage fördern sollen, frisches „Humankapital“ ten natürlich Branchenführer FC Bayern. Khalid Boulahrouz beim alltäglichen Dienst („Frankfurter Allgemeine Zeitung“) und im Die Experten gehen jedem Tipp nach. Kaum zu erleben, denn Spiele allein sagen nicht ge- besten Falle neue Stars. Und sie sind diejeni- eines der rund 1000 Videos, die einem Bun- nug über einen Spieler aus. Erst im Training gen, die kostspielige Fehlinvestitionen verhin- desligaklub pro Saison zugesandt werden, sieht man, wie einer mit den Kollegen umgeht, dern sollen. Auch bereits bekannte Spieler bleibt mehr unbearbeitet. Einkäufe per virtu- wie ehrgeizig er ist und wie ernst er seinen werden von ihnen einer Art TÜV unterzogen, eller Begutachtung, wie sie früher vorkamen, Beruf nimmt. „Scouting“, sagt Husnija Fazlic, bevor ein Klub sie verpflichtet. Kaum ein Ver- gibt es freilich nicht mehr. „Diese Highlight- Schröders Kollege vom SV Werder Bremen, ein mag es sich noch leisten, fahrlässig Geld Videos“, sagt Schulte, „kann man gleich in die für Personal zu verschwenden, das sich hin- Tonne hauen. Darauf ist nur zu sehen, was der terher als teurer Flop erweist. Spieler kann, und nicht, was er nicht kann.“ „HIGHLIGHT-VIDEOS Vor allem bei den ambitionierten Klubs der Allenfalls einen ersten Eindruck könne man Bundesliga ist inzwischen ein Netzwerk aus dadurch bekommen. Die Fakten in den Da- KANN MAN GLEICH IN hauptamtlichen und informellen Mitarbeitern tenbänken der Klubs beruhen fast ausschließ- entstanden, das der Stasi zur Ehre gereichen lich auf Live-Eindrücken der eigenen Späher. DIE TONNE HAUEN“, würde. Denn es geht nicht nur um Spielkunst, Allein in der Bayern-Datenbank sind rund SAGT SCHALKE-SCOUT sondern auch um Umfeld, Charakter und Le- 18.000 Namen gespeichert, gut 100 Kandida- bensgewohnheiten der zu beobachtenden Ob- ten werden aktuell beobachtet. Etwa 1400 HELMUT SCHULTE jekte. Die umfassende Observierung von Fuß- Spieler sichtet das Team des HSV pro Jahr.

RUND 23 AM BALL Talentscouting

Sein Entdecker in Paolo Guerrero: D I E BUN T E T RU P P E Peru war ein Herr Castillo (l.) D E R S P I O N E B E STE H T AU S E H E M A L I G E N S P I E L E R N, A B E R AU C H BAU I N G E N I E U R E N U N D AU T O H Ä N D L E R N

Train e rn . F ür d e n F C Ba y e rn ist a uße r Ch e f- s cout Wol f g an g D rem mler der frühere Bu nde s- li gac oach E g o n C oo r d es unte rw egs . In B ras i- li en schau t si ch der ehemalige Bayern -S tar P a ul o Se r gi o um . Ba y e r Lev e r kuse n se tzt a uf e h e mali g e ki ck e n d e Ang este llte wi e N o r be rt Zi eg l e r un d Di e t e r He rzog. Doc h a u c h an d e r e Be rufs gru p pe n mach e n s i ch be im G rün d e ln n a c h Talent en v erdient . S o s c hw ört Ralf Ran g- nick auf das U rteil des Bauingenieurs Hel - m u t Gr o ß. Un d d e r 1 . F C Nürn be r g pr o fitie rt e sch o n v o m gu te n A ug e d es A u t o hän dl e r s Pe - t e r H amm e r. Al s e r zu e in e r Die ns tr e i s e in die S l owake i aufb rach, wi tzel te se in damaliger Mi ete r, de r Cl ub-Train e r Wo lfgang Wo lf, e r so ll e ihm e in paar gu te S türm e r mitb ring e n . Ham mer n ah m den Spaß wörtl ich u nd sch lepp - t e M arek M i ntal u nd R ob ert V itt ek an . Prompt wurde M i ntal zw ei m al Tor s c hütz enköni g : er s t i n der Zweiten L ig a u nd noch m als n ach dem A ufsti eg in d e r B un d es li ga. Sco u ts s in d o ft F ußball-Maniacs . Hus nij a Fazli c i s t e s gar anti e rt. E r i s t d e n Gr o ß t e il d e r Woc h e unt e rw e gs a uf Beo b a c htun gs t o ur. Z u- ha us e h oc kt e r fas t p a us e nl o s v o r d e r G l o tze – a uf ir g e n d e in e m Se n d e r k ö nnt e e r s c hli e ß - li c h g e na u d e n S pi e l e r e nt d ec k e n , d e n We r d e r g er a d e s u c ht . „M an mu s s immer die A u g en of- Z usamm e ngetrage n we r d e n di e Info rmati o - d e n Kl u bs halte n e ini g e Traditi o naliste n d e r- f e n halt e n . E r s t k o mmt Fuß b all , dann k o mmt n e n un d Bew e rtun g e n v o n b i s zu 18 Mitar be- i arti g e n A ufwan d für hina us g e b lase n es Ge l d. di e Famili e“, s agt Fazli c . Sc o uts müs s e n Fuß- te rn . Di e m e iste n s in d H o n o rar kräfte , all e in Mi c ha e l Sc hr öd e r hält d e n int e rn e n Kritik ern ball l eben und F ußball verstehen. U nd si e b ei S c h al ke si nd nu r h auptamtl ic he Sp äher u n- e in e e infach e Rechn ung e n tgege n. Mustafa müs s e n r e i c hlic h E rfahrun g mit b rin g e n . He l- t e rw egs . „Wir müs s e n“, s agt H am b ur gs S po rt- K u cuk o vi c habe man zum Be isp i e l ab l öse fr e i mut Sc hult e s agt : „J e m e hr S pi e l e e in e r g e s e- chef Di etmar Bei ersdo rfer, „den Mar kt gu t v o m V fL Boch um g e h o lt, h e u te se i d e r S tür - h e n ha t, d esto gr ö ße r di e Tr e ff e r qu o te .“ Ein k e nne n , um un abhän gi g e r v on An g e bo t e n d e r mer schon eine Million Euro wert. Khalid Sc o ut müs s e in die Z ukunft s c ha u e n k ö nn e n , S p i e l e rv e rmittl e r zu se in .“ Bo ulahr o uz, im So mm e r 2004 für 1 ,5 Milli o- di e E ntwi c klun g d e s S pi e l e r s v o r a us ahn e n . E r Das findet ni ch t vo n all en Sei te n Be ifall . n en E uro aus Waalwi j k l osgee ist, lasse si ch mü s s e unt er s c heiden können , o b ei ner ei n Ver- „E in e gi ganti s c h e Ge l d v e rni c htun g mit L ust- mi ttl e rwe il e auf rund zehn Milli o n e n E uro bandsliga -S tehge ige r mi t de r Te nde nz zum r e ise n nach B ras ili e n“, ar gw ö hnt Dr. Mi chae l taxi e r e n. All e in di ese r We rtzuwachs wür de Sc hm e r b a u c h wir d od e r o b e r n e be n d e m Ta- Beck e r, Be ra te r unte r an d e r e m v o n Mi chae l di e Ab te il ung a uf Jahr e finanzi e r e n . l e nt di e Di s zip lin mit b rin gt, um s i c h al s Pr o fi Ballack, ü be r das Wir k e n di ese r Ab te il ung e n Die bun te Tru ppe der F ußballspione be - du rc hz u setz en. Faz l ic wei ß , d as s er Ver antwor- – w o hl ni cht ganz o hn e Ei g e nnu tz. A u ch in ste ht v o r all e m a us e h e mali g e n S p i e l e rn un d tun g tr ägt : „E mp f e hl e i c h e in e n S pi e l e r, d e r

R U N D 2 4 AM BALL Talentscouting

Gianluca Vialli: Wer hat den Ball in der Familie? Genau, der kleine Luca

Alan Shearer: Sein Trainer (2. v. l.) wusste früh, wen er vor sich hatte

RUND 25 AM BALL Talentscouting

Nur eines der Rafael van der Vaart: vielen Ajax-Talente (vorne Mitte)

Adriano: Mit zehn Jahren im Dress von Flamengo Rio de Janeiro Michael Owen: Klassenfoto mit der heutigen Ehefrau Louise (li. unten)

RUND 26 AM BALL Talentscouting

nicht passt, haben alle Probleme: der Trainer, Dremmler und Kollege Werner Kern bei ihrer Ansonsten ist die Tätigkeit eines Scouts die Mannschaft und der neue Spieler.“ Und er Südamerikavisite nach wenigen Minuten ei- selten so lukrativ wie für den Bayern-Abtei- selbst? Auf Schalke gilt: „Jeder Scout darf mal nig: Das ist der Richtige für die Bayern. lungsleiter Wolfgang Dremmler, dessen Jah- daneben liegen. Wer behauptet, er finde im- Jeder Scout besitzt ein Netzwerk von Infor- ressalär auf etwa 300.000 Euro geschätzt mer die Trüffel, der lügt“, sagt Schulte. manten. Je feinmaschiger, desto besser. Er wird. Viele der Honorarkräfte setzen sich für Wenn die Scouts losziehen, sind sie in der muss filtern und einschätzen können, ob sich Spesen von 60 Euro ins Auto, einige Experten Regel mit einer Hand voll Beurteilungsbögen da nur einer wichtig machen will oder tat- werden immerhin zusätzlich belohnt, wenn bewaffnet, auf denen sie ihre Eindrücke kurz sächlich ein Näschen besitzt. „Ich habe über- es zum Vertragsabschluss kommt. Der HSV und knapp zu Papier bringen. Alles wird akri- all meine Leute, ohne Informationen bist du wiederum verweigert genau dies, um sich un- bisch erfasst: Schusstechnik, Passtechnik, aufgeschmissen“, sagt Fazlic, während wie bestechliche Urteile zu sichern. Stattdessen Kopfballspiel defensiv und offensiv, Fitnesszu- zum Beweis zum siebten Mal innerhalb von werden die Beobachter am Erfolg des Klubs stand, Zweikampfwerte, Stellungsspiel, Kör- zehn Minuten sein Handy klingelt. beteiligt. Nach der geglückten Qualifikation persprache, Kommunikation mit den Team- Nicht wenige Späher sind auf ihren Reisen für den Uefa-Cup erhielt auch der Suchtrupp kollegen und taktisches Verständnis, ja, sogar einigen Verlockungen ausgesetzt, die an ih- eine Erfolgsprämie. das Verhalten beim Aufwärmprogramm. Oft rem objektiven Urteil kratzen könnten. Wit- Doch selbst die besten Trüffelschweine sind werden die Kriterien nach Schulnoten bewer- tert ein Spielerberater ein gutes Geschäft, nur so erfolgreich, wie Cheftrainer und Ma- tet, manchmal mit einer Skala von eins bis weil sich ein Klubvertreter für einen seiner nager aufgeschlossen sind für ihre Entdeckun- zehn. Fazlic zeichnet zudem die Laufwege Klienten interessiert, tut er fast alles, um den gen. Der frühere Bundesligaprofi Jens Todt der Kandidaten auf. Sein Bogen sieht dann oft möglichen Fürsprecher zu umgarnen. „Dem gab seine gut dotierte Stelle als Chefscout von aus wie ein Strickmuster oder wie abstrakte wird quasi der rote Teppich ausgerollt“, er- Hertha BSC nach nur elf Monaten frustriert Kunst. Von großem Interesse sind zudem die zählt ein Kenner der Szene. Essen in teuren auf. Er war in diesem Zeitraum mehr als ein- Informationen aus dem Umfeld des Spielers, Gourmet-Restaurants sind die Regel, Einla- mal um die Welt geflogen, ohne dass es zu über seine Zielstrebigkeit, den Umgang mit dungen in Bordelle nicht selten. einem Vertragsabschluss mit einem seiner Stresssituationen, sein soziales Verhalten. Be- Kandidaten gekommen war. Den von Todt vor- sonders Teamkameraden sind eine wichtige geschlagenen 18-jährigen Per Mertesacker Quelle. „Von denen“, weiß ein professioneller SELBST SPIELER WIE soll Hertha-Manager Dieter Hoeneß mit den Späher, „erfährt man in der Regel fast alles Worten abgelehnt haben: „Der kann uns nicht über die Eigenschaften ihres Mitspielers.“ RAFAEL VAN DER sofort helfen.“ Hertha stand damals im Ab- Die Arbeit erfordert ein Höchstmaß an Kon- stiegskampf, Hoeneß hatte offenbar andere zentration. Wenn Schulte einen speziellen Kan- VAART WERDEN BIS ZU Sorgen, als sich um die langfristige Zukunft didaten unter die Lupe nimmt, weiß er hinter- zu kümmern. Manchmal, klagt ein Scout, zö- her oft nicht einmal, wie das Spiel ausgegangen 15-MAL BEOBACHTET, gen Bundesligamanager auch „ein von ihrem ist, so sehr hat er sich auf den einen Spieler fo- DAMIT SIE WIRKLICH Berater-Freund offeriertes Acht-Millionen- kussiert. Andererseits, so Schulte, sei Scouting Schnäppchen aus Brasilien den Vorschlägen auch die „Kunst des Weglassens“. Wenn er oh- INS TEAM PASSEN der eigenen Leute vor“. ne Spezialauftrag beispielsweise ein Spiel bei einer U-17-EM beobachtet, verfährt er nach dem Ausschlussverfahren. Manchmal bleiben ENGLANDS 90-MINUTEN-REGEL mehrere Kandidaten im Raster, manchmal Mit deutschen Namen haben Engländer ihre Probleme. Wie um Himmels willen soll man Hitzlsperger heißt es: „Außer Spesen nichts gewesen.“ oder Breitkreutz aussprechen? Ansonsten aber sind junge deutsche Fußballer auf der Insel gefragt. Häufig mehr als ein Dutzend Mal – und oft Die Ursache liegt in der Einführung der so genannten 90-Minuten Regel. Sie besagt, dass englische über mehrere Jahre – stehen die Kandidaten Talente unter 16 Jahren nicht weiter als anderthalb Autostunden vom Vereinsgelände entfernt wohnen im Fokus. So wundert es nicht, dass Werders dürfen, damit die Klubs sich gegenseitig nicht gnadenlos die minderjährigen Spieler abzocken. Sportdirektor Klaus Allofs bei beinahe jeder Für den Transfer von ausländischen Talenten jedoch gibt es keinerlei Regelung. Verpflichtung sagt: „Wir haben den Spieler Die ersten Deutschen, die 1991 wechselten, waren Stefan Beinlich und Matthias Breitkreutz. Eher ein schon seit einiger Zeit beobachtet.“ Selbst ei- Zufall, dass sich Aston Villas Chefscout ein Spiel von Bergmann Borsig Berlin ansah. Spätestens 2000 nen außergewöhnlichen Profi wie Rafael van begann das koordinierte Wildern. Robert Huth ging von Union Berlin zu Chelsea, Thomas Hitzlsperger der Vaart hat sich der HSV 15-mal angesehen, von den Bayern zu Aston Villa. Der letzte von 15 deutschen Youngstern ist Kevin Pezzoni, der von um ganz sicher zu gehen, dass er ins Team Eintracht Frankfurt zu den Blackburn Rovers übersiedelte. 2003 wurde Markus Neumayr ebenfalls von passt. Verpflichtet wird kein Spieler, der nicht der Eintracht zu ManU transferiert. Dort bezieht er angeblich ein Monatsgehalt von rund 20.000 Euro. von mehreren Scouts, Managern und Chef- Dennoch wird meist die „sportliche Herausforderung“ als Grund des Transfers angegeben. trainern für gut befunden wurde. Nur selten Bei einigen hat der Trip auf die Insel die Karriere allerdings arg ins Stocken gebracht. Arif Karaoglan steht ein Urteil so spontan fest wie bei Paolo wechselte 2001 vom 1. FC Saarbrücken zu Nottingham Forest. Ein knappes Jahr später kehrte er Guerrero. Beim jungen Peruaner waren sich frustriert zurück und kickt heute in Saarbrückens zweiter Mannschaft in der Oberliga Südwest.

RUND 27 AM BALL Talentscouting

Wie teuer Fehleinschätzungen des Manage- erst in verfängliche Gespräche verstrickt zu SOGAR IN DEN ments oder mangelnde interne Kommunika- werden. Der Vorteil des England-Spezialisten tion werden können, lässt sich anhand zweier Kost: Neben der spanischen Eliteliga übt die HOCH GELOBTEN Beispiele aus Bremen verdeutlichen. So schlug englische Premier League eine besondere An- der damalige Werder-Scout Rolf Behrens – er ziehungskraft aus – nicht nur aus finanziellen KLUBINTERNATEN entdeckte auch und Gründen. Und wer so schlau ist wie Roman – die Verpflichtung eines Juniorennational- Abramowitsch, der bedient sich des Know- GIBT ES EXZESSE spielers aus Chemnitz vor. Der Transfer schei- hows der niederländischen Sichtungsschule. terte, weil der Spieler 200.000 Mark pro Jahr Der russische Eigner des FC Chelsea heuerte ballstar zu werden. Im vergangenen Jahr lock- verdienen wollte, Manager Willi Lemke vom Pit de Visser an, einen der international er- te der FC Barcelona den damals 12-Jährigen Präsidium jedoch nur einen Verhandlungs- folgreichsten Talentsucher überhaupt. Für Denis Krol von Leverkusen nach Spanien. spielraum bis 180.000 Mark bekommen hatte. den PSV Eindhoven entdeckte er einst zwei Klubspäher hatten den Jungen bei einem Tur- Der Spieler hieß Michael Ballack. Etwas spä- junge Brasilianer namens Romario und Ro- nier auf Gran Canaria entdeckt. Krol zog zu- ter war dem Verein im Zuge der Verpflichtung naldo. Wenn Milliardär Abramowitsch Bera- sammen mit seinem Vater nach Katalonien, des ukrainischen Mittelfeldspielers Juri Maxi- tungsbedarf hat, lässt er de Visser per Hub- die Leverkusener lehnen seitdem Einladun- mov ein Stürmer angeboten worden. Der da- schrauber oder Privatjet einfliegen. Sein gen aus Spanien ab. „Die baggern besonders malige Coach Wolfgang Sidka winkte ab, ei- jüngstes Objekt der Begierde ist das 17-jährige aggressiv“, sagt Bayer-Manager Reschke. Etli- nen Angreifer brauche er nicht. Der Spieler Schweizer Wunderkind Jonas Elmer. Zur che Branchenkenner nennen derartige Trans- hieß Andrej Schewtschenko, Europas Fußbal- Konkurrenz sind auch die Klubs aus Russland fers „Wahnsinn“ und sagen für die nächsten ler des Jahres 2004. und der Ukraine gewachsen. Sie seien, be- Jahre eine dramatisch steigende Anzahl von richtet Bayer Leverkusens Manager Michael Jungen voraus, die „sich alle als Verlierer füh- Reschke, oft nicht nur einen Tick schneller, len, weil sie es trotz großen Aufwands nicht EIN WERDER-SCOUT sondern inzwischen auch zahlungskräftiger. geschafft haben, die überhöhten Erwartun- Vor allem auf dem brasilianischen Markt gen zu erfüllen“. EMPFAHL ANDREJ geht es mittlerweile noch rauer zu. Die Lever- „Wer einen 15-Jährigen aus Afrika nach SCHEWTSCHENKO, kusener, jahrelang Spezialisten für das Gebiet Deutschland holt, gehört eigentlich ins Ge- zwischen Rio und Regenwald, haben ihren fängnis“, sagt Helmut Schulte, „wir haben ja DOCH DER DAMALIGE Vorsprung längst eingebüßt. Bayerns Wolf- schon Schwierigkeiten, einen 17-Jährigen aus gang Dremmler reist noch immer mindestens Zwickau zu integrieren.“ Selbst in den als vor- TRAINER WINKTE AB viermal pro Jahr nach Brasilien und schwärmt bildlich gelobten deutschen Klubinternaten vom „Fußballgen“ der dortigen Talente. An- treten trotz professioneller Betreuung Proble- Werder und einige andere deutsche Spit- dererseits sucht man inzwischen verstärkt in me zutage, die zu Exzessen und kriminellen zenklubs haben inzwischen erheblich aufge- Argentinien. „Dort“, sagt Dremmler, „ist der Entgleisungen führen. Manche Jugendliche, holt im internationalen Rattenrennen um Ta- europäische Einfluss stärker sichtbar. Brasili- berichtet ein Insider, schlügen sich in der ag- lente. „Die bewegen sich auf Arsenal-Niveau“, aner spielen immer sambamäßig nach vorn, gressiven Atmosphäre sogar „aufs Maul“. urteilt Thomas Kost, deutscher Scout von Ar- Argentinier können nach vorn emotional spie- Auch Schalke sichtet bereits die „bewe- senal London. Wenn etwa alljährlich im Feb- len und in der Defensive kühl und diszipliniert gungstalentiertesten“ Neunjährigen, aller- ruar im spanischen La Manga bis zu 80 Spä- bleiben.“ So, wie die Bayern es gern haben und dings nur im näheren Umfeld. Obwohl es, so her aus ganz Europa zusammen kommen, um wie es Martin Demichelis verkörpert. Andere Schulte, „bis zur Pubertät eigentlich ein sinn- das Wintertrainingslager der skandinavischen Bundesligaklubs konzentrieren sich besonders loses Herumrühren“ ist. Manche internatio- Klubs zu beobachten, mischen auch die Deut- auf Regionen, deren Spieler sich nicht lange nale Geschäftemacher durchpflügen derweil schen bei diesem „Klassentreffen“ munter mit. akklimatisieren müssen. Werder Bremen setzt auf der Suche nach dem laufenden Kapital Auch bei Pflichtterminen wie den Welt- und zum Beispiel auf Dänemark, der HSV auf Hol- von morgen vor allem die Armenviertel Afri- Europameisterschaften der Junioren ist die land, Belgien und die Schweiz. Britische Scouts kas und Südamerikas. „Kinderhandel“ nennt Bundesliga zahlreich vertreten. Bei der U20- wiederum finden Gefallen an deutschen Talen- das Werner Kern, Leiter des Nachwuchszent- WM in den Niederlanden hatte der HSV gleich ten (siehe Kasten), während sie für osteuropä- rums beim FC Bayern. Kern erinnert sich an ein halbes Dutzend Scouts im Einsatz. Sie ische Fußballer wenig übrig haben. Das seien eine Welle „gestrandeter Seelen aus Afrika“. hausten in einer Windmühle bei Nijmegen oft „Supertechniker ohne Herz“, urteilt ein Auch der jüngste Fall auf dem Menschen- und tauschten abends ihre Erfahrungen bei englischer Späher. markt lässt einen schaudern. Nach einem Pro- ein paar Flaschen Grolsch-Bier aus. Der Kampf ums Frischfleisch treibt freilich betraining des neunjährigen Bea Potou bemüh- Oft ist der Run auf Talente auch ein Wett- immer bedenklichere Blüten. Zunehmend te sich der FC Valencia, den kleinen Jungen lauf mit der Zeit. „Du musst schneller sein als werden schon Kinder aus ihrer gewohnten aus Kamerun an sich zu binden. Irgendwann die Konkurrenz“, sagt Kost. Meist hält er sich Umgebung gerissen und wechseln sogar das werden die ersten Verträge wohl schon bei abseits der scoutenden Kollegen, um gar nicht Land für den großen Traum, einmal ein Fuß- der Geburt besiegelt.

RUND 28 AM BALL Talentscouting

„UNS KANN KEINER WAS ERZÄHLEN“ Mitspielern erfasst – und das bei immerhin Flughafen nach London faxen konnte, weil in EUROPÄISCHE TOPKLUBS ARBEITEN 70.000 Fußballern weltweit. Spanien die Leitungen gestört waren. Da Wenger IM SCOUTING SCHON LANGE MIT Auch das Konkurrenzsystem International die Beobachtungen so schnell wie möglich EXTERNEN DATENBANKEN. SCHALKES Soccer Bank ISB, das von Arsenal-Scout Thomas brauchte, um für ein Champions-League-Spiel HELMUT SCHULTE IST HIER ZU LANDE Kost und seinem Bruder Jürgen entwickelt wurde, gerüstet zu sein, entstand ein empfindlicher NOCH EIN PIONIER. UND VERBLÜFFT bietet gründlich recherchierte Informationen zu Zeitverlust. Mittlerweile haben Topklubs wie DAMIT MANCH ELOQUENTEN SPIELER- allen Spielern der maßgeblichen Ligen. Kost Arsenal und AS St. Etienne mit ISB ein System, VERMITTLER arbeitet weltweit mit 25 Beobachtern zusammen, das in Sekundenbruchteilen von allen Orten Begnadeter Techniker, beidfüßig, keine die 50 Ligen auswerten und jeden Montag die der Welt abgerufen und aktualisiert werden Verletzung in den letzten fünf Jahren. Schalkes Erkenntnisse des jeweils letzten Spieltags kann. Umso verwunderter ist Kost, dass die Chefscout Helmut Schulte kennt die Attribute, mit nachtragen. Dabei ist ISB vor allem in Regionen meisten Profiteams in Deutschland noch ganz auf denen Berater ihre Schützlinge anbieten. Die sind präsent, in denen Scouts aus Westeuropa nur Datenbanken verzichten: „Oft wird uns gesagt, dann nicht selten überrascht, wenn Schulte sich sporadisch auftauchen. Herzstück ist eine man wolle ein eigenes System aufbauen. Doch bis seinem Computer zuwendet und Sekunden später Suchmaschine, die auf Anfragen wie „defensiv, 18 das endlich in Angriff genommen wird, verlässt die Malaisen der letzten Jahre referiert. „Uns kann bis 22 Jahre, kopfballstark“ entsprechende Treffer man sich brav auf die Berater.“ CHRISTOPH RUF keiner mehr was erzählen“, sagt er, „und da ausspuckt: „Der Vorteil ist, dass die Grund- kommen einige, die dir was erzählen wollen.“ kategorien jederzeit von einem Laptop aus von Schalke 04 arbeitet mit der externen Datenbank den eigenen Scouts aktualisiert werden können.“ Scout 7 und zahlt dafür pro Jahr 40.000 Euro. Die Idee zu ISB kam Kost, als er für Arsène Neben „harten“ Kriterien werden auch Faktoren Wenger Valencia beobachten sollte und die wie persönliches Auftreten und Urteile von Resultate seines Spionagetrips erst am Münchner

Paolo Maldini: Vater Cesare (li.) übernimmt sofort das Training

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