Neben den Fahrzeugen sind es die eher unscheinbaren kleinen Details, die das Wesen des Linienbusverkehrs ausmachen. Dieser „Setright“-Fahrscheindrucker wurde vor der Wende von den Kraftverkehrsbetrieben der DDR eingeführt und noch lange danach verwendet. Heute sind an seiner Stelle Systeme im Einsatz, die ob ihres Funktionsumfangs als „Bordcomputer“ bezeichnet werden können (Foto: Sammlung Jochen Wagener, Q-Bus ).

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100 Jahre Omnibusverkehr zwischen und Bruch

Ein Jahrhundert im Dienst der Harzbewohner und ihrer Gäste

Aus der Geschichte der Harzer Verkehrsbetriebe und ihrer Vorgänger

Bearbeitet von Michael Reinboth

Herausgegeben von den Harzer Verkehrsbetrieben GmbH

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Titelbild: Der Schülerverkehr ist wichtigstes Standbein des Linienbusverkehrs auf dem Lande. In werden gleich zwei Fahrzeuge nach bestürmt (Foto: Michael Reinboth)

Rückseite: HATIX und Selkebahn-Ticket sorgen dafür, dass in Alexisbad stets einige Urlauber auf die zahlreichen Linienbusse nach , oder Güntersberge warten (Foto: Michael Reinboth). Darunter eine Aufnahme des LOWA-W500-Omnibusses des VEB Kraftverkehr Ballenstedt (Foto: Sammlung Siegmar Frenzel, Harzgerode).

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Inhalt

Grußwort des Landrats des Landkreises Harz 7

Grußwort des Geschäftsführers der Harzer Verkehrsbetriebe 9

Vorwort des Bearbeiters 11

I Bevor der Bus kam 13 Von Postkutschen und Dampfrössern im Harzvorland und in den Harztälern

II Im Dienste des Tourismus 17 Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg

III Ein Netz entsteht 21 KVG, Reichspost und Kleinbahnen bauen ihre Liniennetze auf

IV Von der „Stunde null“ zum volkseigenen Transportbetrieb 41 Improvisation und Verstaatlichung bis 1954

V Der Omnibus-Linienverkehr wird zum wichtigsten Verkehrsträger 54 Im Dienst der volkseigenen Wirtschaft und der FDGB-Urlauber

VI Wieder ein Neubeginn 89 Die Wende führt zu neuen Verkehrsströmen und Strukturen

VII Erfolgsmodell Stadtbus Wernigerode 107 Der Stadtverkehr wird mit neuen Linien und Rendezvous belebt

VIII Neue Angebote für den ländlichen Raum 114 Mit Anruftaxen wird die Mobilität sichergestellt

IX Immer umweltfreundlicher 118 Von Werkstätten, Erdgas und Euronormen

X Mit dem Linienbus mobil 131 Der Busverkehr als unverzichtbares Merkmal der Harzregion

Anhang

A Zeit- und andere Tabellen zur Verkehrsgeschichte 149 B Fahrpläne aus 100 Jahren 159

Rückblick und Ausblick – Ein Interview mit Eckhardt Nitschke 183

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Wer seine Zukunft gestaltet, sollte wissen, wo er herkommt. Die Mütze war jahrzehntelang Bestandteil der Dienstkleidung der Busfahrer. Ihre Ableitung von der militärischen Uniform ist unverkennbar. Das hier abgebildete Exemplar stammt aus der Zeit des VEB Kraftverkehr. Die heutigen Omnibusse unterscheiden sich in punkto Komfort und Verbrauch recht deutlich von denen, die mit dieser Mütze gefahren wurden. Hier ist der Arbeitsplatz des Fahrers in einem Linienbus der neuesten Generation abgebildet.

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Grußwort des Landrates des Landkreises Harz zur Broschüre“100 Jahre Omnibusverkehr zwischen Harz und Bruch“

Liebe Leserinnen und Leser, oftmals sind runde Betriebsjubiläen Anlass, sich intensiver mit der Geschichte und der historischen Entwicklung des eigenen Unternehmens zu beschäftigen. So war auch das 20jährige Bestehen der Harzer Verkehrsbetriebe der Ausgangspunkt für die vorliegende Schrift, die jedoch weit über die eigentliche Betriebsgeschichte hinaus geht und die wechselvolle Geschichte des Omnibusverkehrs im heutigen Landkreis Harz darstellt.

Das Ergebnis wird – da bin ich ganz sicher – viele interessierte Leser finden.

Auch wenn vor allem im Harz der Omnibusverkehr zuerst eng mit dem sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelnden Fremdenverkehrs verbunden war, gewann er doch sehr schnell auch als Verkehrsmittel für die Einheimischen an Bedeutung. Veränderte gesellschaftliche Bedingungen und technische Entwicklungen haben die wechselvolle Geschichte des öffentlichen Personennahverkehrs in unseren heutigen Landkreis immer wieder beeinflusst.

Die größten Herausforderungen hatten wir aber zweifellos mit dem Übergang in die soziale Marktwirtschaft zu bewältigen. Nach 1990 galt es, einen regionalen Nahverkehrsbetrieb unter völlig veränderten wirtschaftlichen Bedingungen so umzugestalten, dass er den Ansprüchen an ein modernes Nahverkehrsunternehmen gerecht wird. Dabei waren die Ausgangsbedingungen mit einem bescheidenen Treuhandvermögen, Restitutionsansprüchen und einem mehr als veralteten Fuhrpark alles andere als ermutigend.

So wie der damalige Landkreis Wernigerode hatten sich auch die Landkreise und Quedlinburg bereits frühzeitig zum Erhalt und zur Weiterentwicklung des ÖPNV bekannt. Nicht unerwähnt lassen will ich die regionale Zusammenarbeit der Landkreise und Verkehrsunternehmen, zum Beispiel im Rahmen der 1994 gegründeten Tarif- und Verkehrsgemeinschaft “Ostharz”. Diese Zusammenarbeit erstreckte sich auch auf die Abstimmung der kreislichen Nahverkehrspläne.

Mit dem im Zuge der Kreisgebietsreform zum 1.Juli 2007 vollzogenen Zusammenschluss unserer Landkreise und der Stadt Falkenstein/Harz zum Landkreis Harz eröffneten sich neue Perspektiven und Aufgaben für ein nun gemeinsam zu bewirtschaftendes Kreisgebiet. Denn auch wenn ein geflügeltes Wort sagt, dass das einzig Beständige der Wandel sei, hat sich doch gezeigt: Auf Dauer hat nur Bestand, wer zum Wandel bereit und zur Anpassung fähig ist. Deshalb haben wir von Anfang an gemeinsam mit den Unternehmen und den Kommunalpolitikern daran gearbeitet, die Betriebsstrukturen zu vereinheitlichen und in einem kommunalen Verkehrsunternehmen zusammen zu führen. Nach entsprechenden Kreistagsbeschlüssen wurden in einem ersten Schritt die Wernigeröder Verkehrsbetriebe GmbH als Muttergesellschaft in die Harzer Verkehrsbetrieb GmbH umformiert und die Halberstädter Busbetriebe GmbH sowie die Q-Bus-Nahverkehrsgesellschaft mbh in Tochtergesellschaften der HVB umgewandelt. In einem zweiten Schritt erfolgt nunmehr die Verschmelzung der Gesellschaften.

Das neue Unternehmen bringt uns nicht nur effektivere Betriebsstrukturen, kurze Wege und eine 7

hohe Flexibilität des Busbetriebes im Harzkreis. Dadurch werden auch solche Erfolgsprojekte wie das Urlauberticket HATIX erst möglich.

Die Zukunft des ÖPNV im Landkreis Harz wird auch davon abhängen, wie es uns gemeinsam gelingt, die Harzer Verkehrsbetriebe, die wir mit vereinten Kräften aufgebaut und so erfolgreich entwickelt haben, zukünftig im Wettbewerb als innovatives, leistungsfähiges und erfolgreiche Unternehmen zu präsentieren.

Ich bin überzeugt davon, dass unser Jubilar das Potential dazu hat.

Dr. Michael Ermrich

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Grußwort des Geschäftsführers der Harzer Verkehrsbetriebe

Mit großer Freude können wir feststellen, dass es nunmehr gelungen ist, eine Sammlung von Daten und Fakten, von Geschichten und Wissen zusammenzutragen und in Buchform zu kleiden. Mein besonderer Dank gilt dabei dem fleißigen und bescheidenen Autor Michael Reinboth. Der Dank ist aber ebenso auch an seine ehrenamtlichen Helfer und Mitwirkenden zu richten, die diese Informationen zusammengetragen haben und damit dieses Werk erst möglich machten. Es ist aber auch der Aufruf an alle, die noch nicht zu Wort kamen, aber etwas zur Geschichte der Harzer Verkehrsbetriebe beizutragen haben, ihren Beitrag an uns zu senden: Wir sammeln nämlich weiter!

Mit der „Verschmelzung“ der drei Altlandkreise Halberstadt, Quedlinburg und Wernigerode war es nunmehr möglich, eine historische Mission zu erfüllen, nämlich die in diesem Bereich tätigen kommunalen Busbetriebe ebenfalls zu verschmelzen. Die Unternehmen in Halberstadt und Wernigerode sind dabei vorausgegangen, und nunmehr besteht die Absicht, im kommenden Jahr die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Q-Bus mit den Standorten Quedlinburg, Ballenstedt, Harzgerode und Friedrichsbrunn ebenfalls vollends einzubeziehen.

Die Zwänge der Neuzeit erfordern nicht nur wirtschaftliches Tun, sondern auch neue Qualitäten bei der Organisation und Durchführung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Dabei müssen die Möglichkeiten, welche modernste Organisations- und Informationstechnik bietet, voll ausgeschöpft werden, um für die Fahrgäste ein Optimum an Qualität und Attraktivität zu erreichen. Ob Einwohner oder Urlauber und Touristen, alle erwarten gleichermaßen ein hohes Niveau, um den ÖPNV zu nutzen. Dies ist die Herausforderung für die Beteiligten, welche sie gemeinsam wesentlich besser lösen können. Dies allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu vermitteln ist Aufgabe der Geschäftsführung. Auf dem bisherigen Wege ist es gut gelungen und sollte auch zukünftig das Maß der Dinge sein.

Zu einer sehr guten Entwicklung gehört ebenso auch die Pflege der Tradition. Damit sind wir wieder bei dem vorliegenden Buch und der Arbeit der Beteiligten. Sie stellt so ziemlich die letzte Möglichkeit dar, Geschichte und Zukunft im Sinne einer positiven Entwicklung zu verbinden. Die Anfänge aus den zwanziger Jahren, die Fortentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg und in den fünfziger Jahren und insbesondere die rasante Entwicklung nach der so genannten „Wende“ sind Etappen, die für unsere Betriebe von dramatischer waren bzw. sind. Es gilt, nach den Prinzipien strengster Sparsamkeit und bester wirtschaftlicher, technischer und technologischer Entwicklung zu arbeiten und dabei unseren Fahrgästen einen bestmöglichen Komfort zu bieten. Wenn uns dies gelingt, dann sind wir auf dem richtigen Weg und diesen Weg sollten wir unter allen Umständen beschreiten. Ich wünsche uns allen dabei ein gutes Gelingen und eine gemeinsame gute Zukunft.

Wir müssen unseren ÖPNV zukünftig noch mehr als bisher nicht als Problem in Sachen Finanzierung, sondern als das darstellen, was wir sein können und werden: Als der Problemlöser. Dies insbesondere vor den Forderungen an eine Schonung der Umwelt und an die Lösung wichtiger Beförderungsfragen im Rahmen der Daseinsvorsorge insbesondere auf dem flachen Land. Hier werden durch die demographische Entwicklung neue Herausforderungen an uns herangetragen, dies es zu meistern gilt. Dazu müssen wir unkonventionelle Wege beschreiten. Das Stichwort „Alternative Bedienformen“ beschreibt hierbei noch unzureichend, was von uns zukünftig erwartet wird. Die Harzer Verkehrsbetriebe werden durch ihre Verschmelzung die Möglichkeit bieten, diese 9

Herausforderungen der Zukunft personell und auch technisch zu lösen. Allerdings sei an dieser Stelle auch der mahnende Hinweis an die Verantwortlichen der Politik gestattet: Ohne entsprechende Förderung wird der Fahrpreis des ÖPNV nicht auf dem heutigen Niveau zu halten sein, und ohne Förderung sind auch erhebliche Abstriche am Leistungsvolumen unausweichlich. Insofern bleibt zu hoffen, dass sich die Verantwortlichen darauf besinnen, dass der ÖPNV vor allem auf dem flachen Land für die Mobilität wesentlicher Teile der Bevölkerung und unserer Touristen eine große Rolle spielt. Die zunehmende Akzeptanz der kostenlosen Beförderung unserer Gäste mit „HATIX“ zeigt dies sehr deutlich. Für die weitere Entwicklung wünsche ich den verantwortlichen Politikern eine glückliche Hand und weitere positive Ideen. Im Gegenzug versprechen wir, die Beschäftigen im ÖPNV, alles zu tun, um auch zukünftig personell, technisch und wirtschaftlich den Anforderungen gewachsen zu sein. Lassen Sie uns gemeinsam die Aufgaben anpacken im Sinne eines attraktiven und zukunftsfähigen ÖPNV.

Zum Schluss gestatten Sie mir noch einige Worte im Hinblick auf die Entwicklung nach der „Wende“. Dank einer hervorragenden Förderpolitik unseres Landes Sachsen-Anhalt konnte sich der Harzer ÖPNV im Ostteil des Gebirges ganz besonders entwickeln. Es ist zu konstatieren, dass Anfang der neunziger Jahre in vielen Bereichen Hoffnungslosigkeit herrschte ob der schwierigen und, wie es mitunter schien, ausweglosen Situation. Danach folgte eine Phase, in der nicht nur in Halberstadt und Wernigerode neue Betriebshöfe gebaut wurden, sondern auch die Fuhrparke eine besondere Förderung und Erneuerung erfuhren, so dass wir heute auf sehr guten Grundlagen aufbauen können. Dabei möchte ich besonders den Landrat des Altkreises Wernigerode und des heutigen Harzkreises Dr. Michael Ermrich hervorheben, der durch seinen Einsatz und seinen Beitrag dafür Sorge getragen hat, dass sich der Betrieb in Wernigerode hervorragend entwickeln konnte. Dafür nochmals mein ausdrücklicher Dank, den ich aber auch an die Verantwortlichen der Stadt Wernigerode, insbesondere an die Altoberbürgermeister Weihrauch und Hoffmann richten möchte, ebenso an die Bürgermeister der Stadt Blankenburg, die ihren Beitrag geleistet dazu geleistet haben, dass die Entwicklung der Wernigeröder Verkehrsbetriebe GmbH so positiv erfolgen konnte. Sehen Sie mir nach, dass ich als Verantwortlicher dieses Bereichs dies besonders hervorhebe. Damit soll die Leistung, die die Kolleginnen und Kollegen und auch die Verantwortlichen in den Altlandkreisen Halberstadt und Quedlinburg erbracht haben, natürlich nicht geschmälert werden!

Zu allerletzt sei mir auch ein Dankeswort an die Mitarbeiter gestattet, die in verantwortlicher Position über sehr viele Jahre diesen Prozess begleitet, geführt und mitgetragen haben. Auch sie haben ihren Anteil an den positiven Ergebnissen und an dem guten Ruf, den der ÖPNV im Harzkreis genießt. Wenn wir am 15. September 2012 in „kleiner Runde“ das zwanzigjährige Jubiläum der Harzer Verkehrsbetriebe mit ihrer Tochtergesellschaft Q-Bus Nahverkehrsgesellschaft mbH begehen, tun wir dies in dem Wissen, ein Stück auf dem gemeinsamen Weg gegangen zu sein, aber noch ein wichtiges Stück vor uns zu haben. Deswegen verzichten wir zu diesem Termin auch auf eine große öffentliche Veranstaltung. Sie wird dann nachgeholt, wenn die Verschmelzung in ihrer Gänze erfolgreich vollzogen ist.

Ihr

Eckhardt Nitschke

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Vorwort des Bearbeiters

Die recht gute Aufnahme des Buches über die 100 Jahre alte Geschichte des Linienbusses im Harz und anstehende eigene Jubiläen ließen bei den Harzer Verkehrsbetrieben den Wunsch entstehen, der Historie des eigenen Unternehmens auf den Grund zu gehen und die wechselvolle Geschichte des Busverkehrs im heutigen Landkreis Harz in Buchform darzustellen. Dem Mut der Geschäftsführung, mit der Erstellung dieses Buches einen Westharzer Freizeit-Schriftsteller zu betrauen, zolle ich nach wie vor großen Respekt und hoffe inständig, mich des erwiesenen Vertrauens würdig erwiesen zu haben.

Bearbeiter wie Geschäftsführung der HVB waren sich in einem Punkt einig: Es konnte schon angesichts der teilweise etwas dünnen Quellensituation nicht darum gehen, eine rein historisch- technische Darstellung der Jahre von 1909 bzw. 1952 bis 2012 zu Papier zu bringen. Vielmehr sollte auch und gerade auf die Bedeutung des Linienbusverkehrs – wie des gesamten „öffentlichen Personennahverkehrs“ überhaupt – für die Entwicklung unserer Region aufmerksam gemacht werden. Und es sollte auch zum Ausdruck kommen, welch enormen Beitrag der öffentliche Verkehr und hier zu großen Teilen der Linienbusverkehr für die Zukunft des Harzes zu leisten imstande ist.

Hier fallen mir persönlich Stichworte wie „Sanfter Tourismus“, „Reduzierung des CO2-Ausstoßes“ und andere ein, die gerade in einer Region mit einem Nationalpark in ihrer Mitte sehr ernst genommen werden müssen und im Landkreis Harz auch werden. Freilich gibt es immer noch Hindernisse, die es zu beseitigen gilt, um die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs zu steigern und die Harzer und ihre Gäste zu animieren, immer öfter den Linienbus zu nehmen. Sie sind tariflicher Natur, auch wenn mit „HATIX“ ein großer Schritt in die richtige Richtung getan wurde; es geht aber auch darum, den Harz im öffentlichen Verkehr als Einheit zu betrachten und den Busverkehr von Nord nach Süd wie von West nach Ost und vor allem ein Auskunftssystem und den Tarif hierfür zu entwickeln. Denn in Zukunft kann die gute Nutzung durch Urlauber und Tagesgäste entscheidend dazu beitragen, dass in der strukturschwachen und von Bevölkerungsschwund geprägten Harzregion ein dichtes und attraktives Liniennetz aufrecht erhalten werden kann. Umgekehrt trägt ein solches Netz mit leicht merkbaren Fahrzeiten und Tarifen zu einer Attraktivitätssteigerung im Tourismus bei, da es von den Urlaubern als „Mehrwert“ empfunden wird, wenn es ihnen auf einfache Weise zugänglich ist.

In diesem Buch stecken Herzblut und Engagement. Der Bearbeiter, selbst ein jahrzehntelanger Verfechter des „ÖPNV“, hat bei seiner Arbeit vor Ort höchst engagierte und interessierte aktive und ehemalige Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe kennengelernt, die für ihren Betrieb leben oder gelebt haben und für den Kunden da sein wollten und wollen. Allein dies war es Wert, viele Tage in die Erstellung dieses Buches zu investieren. Bei allen, die geholfen haben, Daten, Fakten, Zahlen, Bilder und Anekdoten zusammenzutragen, bedanke ich mich, namentlich bei: Klaus-Dieter Axtmann, Siegmar Frenzel, Gerald Hahne, Carmen Kröpelin, Bernd Kühle, Dieter Santilian, Heike Wagner, Jochen Wagener und Andreas Werner. Vor allem bedanke ich mich bei der Geschäftsführung der HVB für die Möglichkeit, tief in diesen Teil der Harzer Verkehrsgeschichte eintauchen zu dürfen.

Da der Linienbusverkehr die Konstante bildet, welche die hundertjährige Geschichte insgesamt und die sechzig Jahre der Wernigeröder, Halberstädter und Ballenstedter Verkehrsbetriebe begleitet, gilt ihm auch das Hauptaugenmerk dieser Schrift. Keineswegs vergessen wird aber, dass es über Jahrzehnte hinweg auch die Betriebsteile Gütertransport, Taxiverkehr und Fahrschule, ja sogar Seilbahn gab und das Werkstattwesen vielen Wandlungen unterlegen war. Den ehemaligen Mitarbeitern dieser Abteilungen sei diese Schrift ebenso gewidmet wie den alten und aktuellen Angehörigen des Omnibusbetriebes. Es konnte auch nicht auf alle regionalen Besonderheiten eingegangen werden. In vielen Fällen steht die Entwicklung in Wernigerode exemplarisch für die der übrigen Betriebsteile. Insoweit möge dieses Buch Anstoß für eine weitergehende historische Betrachtung insbesondere des Kraftverkehrsbetriebes in Ballenstedt sein, an der sowohl der Bearbeiter wie auch die HVB großes Interesse haben.

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An dieser Stelle noch ein Wort zum Thema „Geschichtsschreibung“. Auch mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung stellt die Dokumentation von Ereignissen aus 40 Jahren DDR eine kleine Gratwanderung zwischen verklärender Nostalgie, Würdigung einer enormen Aufbauleistung und klarer Darstellung einer nahezu über die ganze Zeit währenden Mangelverwaltung dar. Letztere erschließt sich unter anderem beim Studium mehrerer Jahrgänge des „Kfz-Kurier“, in dem es ab 1980 fast nur noch um Einsparungen geht, nachdem es bis Mitte der fünfziger Jahre ebenfalls von allem zu wenig gab. In den Kraftverkehrsbetrieben Halberstadt und Wernigerode wird es auch ein gerüttelt Maß an, nennen wir es so, betriebsfremden Aktivitäten gegeben haben. Diese aufzuarbeiten, ist aber ebenso wenig Gegenstand dieser Chronik wie die Aufarbeitung von Verstrickungen der Vorläufer- Betriebe in bestimmte NS-Machenschaften. Was jedoch keineswegs bedeutet, dass hiervor die Augen verschlossen werden. Diese Themen sollen aber Recherchen von berufenerer Hand vorbehalten bleiben.

Es ist nie einfach, über Ereignisse der jüngeren Vergangenheit völlig vorurteilslos zu schreiben, und man wird es auch nie jedem recht machen können. Fassen wir es so zusammen: In der DDR war der öffentliche Nahverkehr unbestritten ein Herzstück wirtschaftlicher Tätigkeit, musste jedoch mit vielen systemimmanenten Mängeln kämpfen, während er dies seit 1990 nicht mehr muss, jedoch infolge des dominierenden Individualverkehrs ganz andere Probleme zu lösen sind. Einfach war es mithin zu keiner Zeit, aber gleich in welcher Epoche oder Gesellschaftsordnung: Ohne ÖPNV auf Schiene und Straße geht es im Harz nicht.

Und: 40 Jahren volkseigenen Kraftverkehrs stehen inzwischen schon über 20 Jahre privatrechtlich und kommunal organisierten Kraftverkehrs gegenüber, in denen sehr viel geschehen ist!

Den Omnibussen der Harzer Verkehrsbetriebe, ihren Fahrern und allen anderen Beschäftigten wünsche ich jederzeit gute und unfallfreie Fahrt und viele zufriedene Fahrgäste. Dem ÖPNV im Landkreis Harz wünsche ich bei allen Herausforderungen eine gedeihliche Zukunft. Diese erhoffe ich –angesichts der Fülle zu lösender Fragen – auch für unser Heimatgebirge, den Harz.

Zum guten Schluss widme ich dieses Buch ganz ausdrücklich Eckhardt Nitschke. Er war ein Motor bei der Erstellung dieses Buches, hat seine Erstellung nach Kräften gefördert und stets sein umfangreiches Wissen zur Verfügung gestellt. Ihm zuzuhören, war immer interessant und für mich persönlich ein großer Gewinn. Als ebensolchen Gewinn verbuche ich die intensive Zusammenarbeit mit Norbert Claus, der das Zustandekommen dieses Buches durch unermüdliches und bohrendes Nachfragen bei den vielen stillen Archivaren und durch geduldiges Beraten des Verfassers maßgeblich beeinflusst hat.

Glück Auf!

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I Bevor der Bus kam Von Postkutschen und Dampfrössern im Harzvorland und in den Harztälern

Dieses Buch handelt von der Geschichte des Omnibusverkehrs im heutigen Landkreis Harz mit Schwerpunkt auf den früheren Landkreisen Halberstadt und Wernigerode. Die Verkehrsbetriebe in diesen beiden Kreisen weisen eine lange Zeit gemeinsamer Vergangenheit auf und sind seit 2011 wieder vereinigt, wohingegen der Busbetrieb im dritten Kreisteil Quedlinburg, heute das Tochterunternehmen „Q-Bus“, teilweise andere Wurzeln und eine andere Historie hat. Gleichwohl wird auch seine Geschichte hier nicht außer Acht gelassen, zumal es vielfältige Verflechtungen gab und gibt. Gemeinsamer „Urahn“ aller drei Verkehrsbetriebe ist ohnehin die frühere Deutsche Reichspost, und seit geraumer Zeit stehen die Zeichen auf enger Zusammenarbeit und späteres Zusammenwachsen.

Die Landschaft im Landkreis Harz ist von erheblichen Gegensätzen gekennzeichnet, reicht sie doch von der Niederung des „Großen Bruchs“ bis hinauf zum 1.142 Meter hohen Granitmassiv des Brockens. Der Halberstädter Kreisteil war und ist aufgrund sehr fruchtbarer Böden überwiegend landwirtschaftlich geprägt, weist aber mit den Höhenzügen des und des Großen und Kleinen Fallsteins kleine, geologisch wie botanisch sehr interessante „Begleitgebirge“ des Harzes auf, die um 300 Meter Höhe erreichen. Südlich der heutigen Kreisstadt Halberstadt wird das Relief mit den Hoppel- und Thekenbergen, der Teufelsmauer und dem Regenstein abwechslungsreicher. Das ansonsten relativ flache Harzvorland wurde schon früh durch den Bau von Eisenbahnlinien erschlossen, und Halberstadt entwickelte sich zu einem beachtlichen Knotenpunkt. Ganz anders die Situation in den ehemaligen Landkreisen Wernigerode und Quedlinburg, die – von einem recht schmalen Vorlandstreifen abgesehen – durch die Höhen und Täler des Harzes geprägt ist, der verkehrstechnisch sehr schwer zu erschließen war, jedoch interessante Bodenschätze aufweist und vor allem erhebliche Bedeutung für Tourismus und Naherholung besitzt.

Während im eigentlichen Harz nur mittlere bis kleine Siedlungen vorhanden sind und selten die Einwohnerzahl von 3.000 in einem Ort überschritten wird, sind im Vorland und am Harzrand mit der alten Bischofs- und Hansestadt Halberstadt, der „Bunten Stadt am Harz“ Wernigerode, dem alten Welfensitz Blankenburg, dem Fachwerk-Kleinod sowie Städte in beachtlicher Dichte vorhanden, zu denen sich nach Osten hin noch die Weltkulturerbe-Stadt Quedlinburg und der alte Hüttenstandort gesellen. Aus dem Harz strömen die Ecker, die Ilse, die , die und die Selke ins Vorland, um einerseits der Weser und andererseits der Elbe zuzufließen. Ihre Kraft und die einiger Nebenflüsse werden im Harz durch mehrere Talsperren gebändigt und genutzt.

Die unterschiedliche landschaftliche und wirtschaftliche Ausprägung wirkte sich auch auf das Entstehen und die Entwicklung des Verkehrs mit Kraftomnibussen aus – doch dazu später mehr. Zunächst wollen wir einen kurzen Blick auf die Zeit vor dem motorbetriebenen Omnibus werfen. Der Begriff „Kraftomnibus“ klingt heute etwas altmodisch, hatte jedoch zur Unterscheidung vom zunächst vorherrschenden pferdegezogenen Omnibus seine Berechtigung. In alten Harzklub- Wanderkarten finden wir bis etwa 1914 immer eine Darstellung der „Omnibus“-Fahrpläne, also der damaligen Post- und anderen Kutschen, und ab 1909 eine Darstellung der „Kraftomnibus“-Fahrpläne.

Die Kutsche kann als „der“ Vorläufer unseres heutigen Linienbusses betrachtet werden. Bevor pferdegezogene Gefährte der Post und anderer Betreiber das Harzvorland und den Harz erreichten, waren die Menschen jedoch zu Fuß unterwegs. Auch Nachrichten wurden auf diese Weise transportiert, es gab den „Nürnberger Boten“ oder den „Osterwiecker Boten“, die sich später auch aufs Pferd geschwungen haben, aber keine weiteren Personen mitnehmen konnten. Güter wurden mit Fuhrwerken transportiert, die hin und wieder eine „Mitfahrgelegenheit“ boten, welche allerdings ausgesprochen mühsam und zeitraubend war. Einen geregelten Transport von Personen bot erst die Post an, zunächst in Gestalt der Thurn- und Taxisschen Reichspost und später in Gestalt der preußischen oder braunschweigischen Landesposten. Die Einrichtung von „Postkursen“ steht mit der Eröffnung von Postanstalten oder Postämtern in engem Zusammenhang. In unserem Gebiet machte

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Halberstadt im Jahr 1649 mit einem kurbrandenburgischen Postamt den Anfang, gefolgt 1653 von Blankenburg und 1699 von einer gleichartigen Einrichtung in Wernigerode. Blankenburg spielte in der Geschichte der Nachrichten- und Personenbeförderung eine beachtliche Rolle, da der zeitweilig hier selbständig regierende Herzog Ludwig Rudolf auf regelmäßige Postverbindungen Wert legte. 1716 wurde hier ein kaiserliches und 1717 ein fürstlich braunschweigisches Postamt eingerichtet. Ab 1716 bis 1808 verkehrte eine fahrende Post, die „Gelbe Kutsche“, zwischen Leipzig und Braunschweig über Blankenburg. Die Postkurse beförderten Nachrichten, Güter und Personen. Sie boten für die Landesherren ein lukratives Geschäft, weswegen es durchaus Konkurrenz zwischen den Landesposten und der Reichspost gab, mit der der Kaiser das Geschlecht derer von Thurn und Taxis belehnt hatte, die hieran über Jahrhunderte hinweg sehr gut verdient haben. Auch die Äbtissin des Stifts Quedlinburg mischte hier zeitweise (ab 1666 bis ca. 1690) mit einer Linie nach Braunschweig, genannt „Blauer Stiftswagen“, mit.

Auch wenn die Postkurse regelmäßig und nach Fahrplan verkehrten und untereinander Anschlüsse herstellten, kann aufgrund des geringen Fassungsvermögens, der geringen Reisegeschwindigkeit und der geringen Frequenz von einem „öffentlichen Personenverkehr“ im heutigen Sinne nicht gesprochen werden. Die Post jedoch, und dies ist für die weitere Geschichte wichtig, verstand sich als das universelle Transportunternehmen für Nachrichten, Personen und Kleingüter und stieg infolgedessen später auch zum größten Kraftomnibusunternehmen des Deutschen Reiches auf.

Das allmähliche Ende der zuweilen romantisch verklärten Postkutschenzeit wurde durch eine Erfindung eingeläutet, die uns, wenn wir ganz ehrlich sind, noch heute in ihren Bann schlägt, wenn uns, den Harz durchstreifend, ein dampfbetriebener Zug begegnet: Die Eisenbahn.

Aufgrund einiger Eigenheiten des Rad-Schiene-Systems stellte der Harz jedoch über viele Jahrzehnte hinweg ein ernst zu nehmendes Hindernis beim Ausbau des Eisenbahnsystems dar. Größere Steigungen konnten vorerst gar nicht und später nur mit Zahnradbahnen bewältigt werden. Der Höhenunterschied zwischen Vienenburg und Bad Harzburg wurde zunächst mit Hilfe von Pferden gemeistert, bis geeignete Lokomotiven zur Verfügung standen. Auch allzu enge Kurven verträgt die Eisenbahn nicht. Während es im Vorland um den „großen“ Verkehr ging und noch heute geht und daneben die Erschließung für landwirtschaftliche Produkte mittels Klein- und Nebenbahnen eine Rolle spielte, waren Rohstoffabfuhr (Eisen, Edelmetalle und Holz) und vor allem der Tourismus maßgebend dafür, dass man sich doch noch ins Gebirge hinauf wagte, wenngleich auch unter Nutzung von Hilfsmitteln wie dem Zahnrad oder eben auf schmaler Spur, was entsprechend engere Kurvenradien erlaubte und natürlich auch billiger war. Doch auch im Harzvorland bildete der Huy ein Hindernis, welches in großem Bogen umgangen werden musste.

Relief und Kosten führten zu ungewöhnlichen Streckenführungen, welche die alten Verkehrsbeziehungen negierten. Es entstanden künstliche Knotenpunkte: Heudeber-Danstedt, oder auch Nienhagen. Sie alle waren dem eigentlichen Knotenpunkt Halberstadt vorgelagert und zwangen häufig zu nochmaligem Umsteigen mit entsprechendem Aufenthalt. Ein künstlicher Knotenpunkt war auch Frose in der Nähe von . Andere Orte wie Börßum, Vienenburg oder Jerxheim stiegen durch die Eisenbahn zu größerer Bedeutung auf, waren aber letztlich auch nur zusätzliche Umsteigepunkte auf der Fahrt nach Braunschweig, Wolfenbüttel oder Magdeburg. Dies alles spielte freilich bis in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein keine große Rolle – die Eisenbahn war deutlich schneller und komfortabler als alles andere, selbst wenn Umwege und Umstiege in Kauf zu nehmen waren. Mit der Entstehung erster direkter Buslinien traten die Nachteile aber sofort zu Tage und führten zur Abwanderung von Fahrgästen von den Nebenbahnen. Dieser Prozeß wurde – nach einer kriegsbedingten Atempause – unter dem Begriff „Verkehrsträgerwechsel“ auch in der DDR fortgeführt, jedoch später durch die Energiekrise erheblich gebremst. Den Todesstoß erhielten die noch verbliebenen Linien letztendlich mit dem Aufkommen und Erstarken des Individualverkehrs.

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Das Eisenbahnnetz im heutigen Landkreis Harz in seiner fast größten Ausdehnung. Die Karte ist einem Taschenfahrplan der Reichsbahndirektion Magdeburg von 1930 entnommen. Die HBE-Strecke von nach Minsleben war da allerdings schon wieder stillgelegt. Deutlich erkennbar sind die Halberstadt vorgelagerten Knoten Wegeleben, Nienhagen und Heudeber-Danstedt sowie die Perlenkette der Vorlandknotenpunkte Vienenburg, Börßum, Mattierzoll und Jerxheim nördlich bzw. westlich von Huy und Fallstein – die dorthin führenden Strecken wurden nach 1945 allesamt unterbrochen. Zwischen Wernigerode und Blankenburg klafft eine nie geschlossene Lücke, die Bahnreisende auch heute noch zum Umweg über Halberstadt zwingt. Die unglückliche Streckenführung von Quedlinburg über Ballenstedt nach Aschersleben, noch dazu mit einer betrieblichen Spitzkehre in Frose, machte Ballenstedt auf der Schiene immer schwierig erreichbar. Die Strecke mit der Nummer 4 zwischen Halberstadt und Bad Harzburg über Wernigerode galt als Nebenstrecke, wurde jedoch von durchgehenden Eilzügen, zum Beispiel einem solchen von Halberstadt über nach -Altona, befahren und führte dem Harz ebenso wie die Strecken nach Thale, Bad Harzburg und Goslar zahlungskräftige Touristen zu.

In Wernigerode, Drei Annen Hohne und Tanne trafen Vollspur- und Schmalspurstrecken aufeinander.

Trotz aller „Webfehler“ ist die Netzdichte ausgesprochen beachtlich. Alle halbwegs bedeutenden Orte im Vorland und im Harz selbst waren durch die Eisenbahn erschlossen.

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Die Eröffnungsdaten der Eisenbahn (im Anhang A, Tabelle 1) spiegeln die unterschiedlichen Topographien wider, zeigen aber auch, dass am Ende ein beachtlich dichtes Netz von Eisenbahnstrecken in unserer Region entstanden war. Die von privaten Gesellschaften geplanten, gebauten und betriebenen Eisenbahnstrecken sind in der Tabelle dann besonders gekennzeichnet, wenn dieser Zustand bis 1945 noch gegeben war. Auch die Hauptbahn Magdeburg – Halberstadt wurde ja zunächst privat von der „Magdeburg-Halberstädter Eisenbahn“ (MHE) errichtet und betrieben. In Preußen wurden diese Gesellschaften jedoch frühzeitig verstaatlicht. Durch Privatbahnen wurden im Harz und Harzvorland vorwiegend Neben- und Kleinbahnen gebaut wie die Strecke Heudeber-Danstedt – Mattierzoll durch die „Kleinbahn Heudeber-Mattierzoll“ (KHM), andere wie die „Halberstadt-Blankenburger Eisenbahn“ (HBE) oder die „Nordhausen-Wernigeroder Eisenbahn“ (NWE) schufen mit der Zeit eigene kleine Netze. Alle größeren und viele kleine Orte in den Bereichen Halberstadt, Quedlinburg und Wernigerode besaßen einen Anschluss an die „große Welt“. Freilich mussten reliefbedingte Anpassungen hingenommen werden. So umkurvte die Strecke Halberstadt – Nienhagen – Jerxheim den Huy in weitem Bogen und respektvoller Entfernung, die HBE benötigte die Spitzkehre Michaelstein und die NWE musste mehrfach Täler ausfahren, um durch künstliche Entwicklung der Länge die Steigung in den Harz in Grenzen zu halten. Von späteren Problemen wie der Durchtrennung wichtiger Strecken bei Vienenburg und Eckertal, dem plötzlichen Abschneiden der Vorland-Nebenbahnen von den Knotenpunkten Jerxheim, Mattierzoll und Börßum und der Unterbrechung der Südharz-Eisenbahn hinter Sorge ab 1945 oder Einschränkungen infolge der Einrichtung von Sperrgebieten in der DDR konnte man zum Zeitpunkt der Planung und Eröffnung natürlich noch nichts wissen.

Da es zwar andere, aber keineswegs schnellere und so leistungsfähige Verkehrsmittel gab, gediehen die Eisenbahnen bis zum Ausbruch des Krieges 1914 prächtig, und umgekehrt profitierte die Region in erheblichem Maß von den nun besseren Transportwegen. Mit der Eisenbahn, dies kann mit Fug und Recht konstatiert werden, fiel der Startschuss für den Massentourismus in den Harz. Die landwirtschaftlichen Produkte des Harzvorlandes konnten auf den Schienenwege besser transportiert werden, was zum Aufblühen u.a. der Zuckerindustrie führte, deren Fabriken entlang der Bahnlinien entstanden.

Vor den technischen Fertigkeiten der Eisenbahnbauer können wir angesichts der Sachzwänge nur den Hut ziehen. Der Bau der Zahnradbahn Blankenburg – Tanne nach dem System Abt, initiiert vom Bahndirektor und Harzklub-Gründer Albert Schneider aus Trautenstein, war eine Meisterleistung. Den Harz und sogar den Brocken auf schmaler Spur, jedoch ohne Zuhilfenahme der Zahnstange zu erklimmen, war eine ebensolche. Im gebirgigen Harz entstanden ganze Knotenpunkte, allen voran Drei Annen Hohne, wo sich Harzquerbahn, Brockenbahn und die normalspurige Strecke von Elbingerode her trafen und wo laut Hermann Löns („Auf der Brockenbahn“) bei Zugankunft so etwas wie „Schützenfest“ herrschte, gefolgt von Sorge, wo sich NWE und Südharz-Eisenbahn auf zwei Etagen kreuzten und zeitweise sogar ein Aufzug existierte.

Der Post, die im Unterschied zu den noch im Landesbesitz stehenden oder gar privaten Bahnen schon eine Reichseinrichtung geworden war, blieb – neben der Nutzung der Bahn in Form des Bahnpostverkehrs – der Betrieb von Omnibuslinien (wohlgemerkt: pferdegezogen) als Zubringer zur Eisenbahn und überall dort, wo es noch keine Bahnstrecken gab. Binnen weniger Jahrzehnte hatte sie fast den gesamten Personenverkehr an die Eisenbahnen abgeben müssen.

In diese Entwicklung hinein platzte nun das Aufkommen eines völlig neuen Verkehrsmittels, des motorbetriebenen Automobils. Es sollte entscheidenden Einfluss auf die weitere Gestaltung von Netzen und Verkehrsströmen gewinnen – zunächst in Form des Kraft-Omnibusses in Ergänzung, aber auch in Konkurrenz zur Eisenbahn, später dann und hierzulande vor allem nach 1990 in Form des beide Verkehrssysteme betreffenden Individualverkehrs per Pkw.

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