ADOLPH / EVENTPRESS ADOLPH Öffentlich-rechtliche Stars Pocher, Schmidt, Cerne: Verlassen ARD und ZDF mal die seriöse Zone, um jünger auszusehen, bekommen sie

ZUSCHAUER Jagd auf die Jugend Den öffentlich-rechtlichen Sendern macht das hohe Alter ihrer Zuschauer zu schaffen. ARD wie ZDF versuchen, mit jüngeren Programmen gegenzusteuern. Doch allzu radikale Verjüngungskuren wirken meist kontraproduktiv.

n den letzten Sekunden der Sendung schrammte das Ganze die Höchstnotpein- einem Zielgruppenexperiment mit eigen- war Oliver Pocher da, wo ihn manche lich-Grenze, bis Pocher das Döschen an artiger Wirkung. So fremd sich die Zu- Iseiner Kritiker schon immer hinhaben einen anderen Gast weiterreichen wollte – schauer von ARD und ProSieben sind, so wollten. In einer Art Schreckstarre. Er sagte und Schmidt der Kragen platzte. sprachlos sitzen sich manchmal Schmidt nichts. Er rührte sich nicht. Er wehrte sich Die Szene war geradezu symptomatisch und Pocher gegenüber. Ein öffentlich voll- nicht. „So ’ne kleine, miese Type“, hatte für die mittlerweile verzweifelten Versu- zogenes Scheitern, auf eigene Art amü- ihn sein Showpartner che der öffentlich-rechtlichen TV-Sender, sant, aber eben doch ein Scheitern. gerade genannt. „Uncool.“ Und: „So klein jüngeres Publikum zu erreichen. Da wird „Wir riskieren mit Schmidt und Pocher mit Hut.“ ein Jungstar wie Pocher als Lockvogel ge- sehr viel mehr, als andere öffentlich-recht- Schmidt lächelte nicht. Seine Stimme holt, um eine Generation, die sonst fast liche Sender riskiert haben – und das be- war erstaunlich kalt und schneidend. Das nur Privatfernsehen guckt, ins Erste her- wusst und gewollt“, sagt ARD-Programm- war kein Gefrotzel mehr unter Kollegen. überzuziehen. Und was dann noch über direktor Günter Struve, der stolz auf das Das war ernst. Der 50-Jährige moderierte den Sender läuft, ist eh schon fast egal. Bis ungleiche Paar ist. Die vorletzte Sendung die Sendung eisig ab, ohne seinen 20 Jah- irgendwann einem der Kragen platzt. allerdings fand auch er, wie er zugibt, re jüngeren Showpartner noch eines Bli- Anders als das letzte ARD-Jugendaben- „ziemlich ui-jui-jui“. ckes zu würdigen. teuer, der Vorabend-Typberater Bruce Dar- Und „ui-jui-jui“ ist in der ARD gleich- Nach der Sendung sprachen sich die bei- nell, hat es Ex-ProSieben-Star Pocher im- bedeutend mit Alarmstufe dunkelgelb. Der den lange hinter verschlossener Tür aus. merhin geschafft, junge Zuschauer, die MDR und das Bayerische Fernsehen setz- Laut wurde es nicht. Aber Schmidts Vor- sonst eher RTL-Hits wie „Deutschland ten geplante Wiederholungen der Sendung würfe waren deutlich. Zum Eklat beigetra- sucht den Superstar“ sehen, in nennens- in ihren dritten Programmen ab. Der SWR gen hatte die als Gast eingeladene Rappe- werter Zahl zur ARD herüberzuholen. versah sie mit einem Warnhinweis, die rin Lady Bitch Ray (siehe auch Seite 110). Schmidt allein hatte bei den unter 50-Jähri- nachfolgende Sendung sei für Zuschauer Sie redete obszönes Zeug und brachte gen einen Marktanteil von 6,7 Prozent. Mit unter 18 Jahren ungeeignet. als Geschenk in einem Döschen angeblich Pocher kommt er auf 9,0. Fürs Erste ein „Es ist immer dieselbe Gratwanderung ihr Intimsekret mit. Schmidt musste Po- echter Erfolg. bei solchen Sendungen. Man will junge Zu- cher während des Gesprächs immer wie- Und so gerät durch die Hereinnahme schauer erreichen, und zugleich darf das der aus der Patsche helfen. Permanent von Pocher jede einzelne Show auch zu Niveau nicht abstürzen“, sagt MDR-Inten-

108 der spiegel 19/2008 Medien OLIVER BODMER / ACTION PRESS (M.); GREGOROWIUS / RTL (R.) PRESS (M.); GREGOROWIUS / RTL BODMER / ACTION OLIVER Prügel von allen Seiten RTL-Quotenhit „Deutschland sucht den Superstar“: Unterhaltungssüchtiges Publikum

dant Udo Reiter. „Das war ganz offen- Programmdirektor Thomas Bellut. Theo- durchgestanden, als Volksmusikstar Heino sichtlich ein Absturz.“ retisch sei es sehr leicht, das Programm zu via „Bild“ zum Gebührenboykott aufrief. Das ist tatsächlich ein regelmäßiges Di- verjüngen, meint auch sein ARD-Kollege Doch er will nicht brachial auf Jugend- lemma für ARD und ZDF. Verlassen sie Struve. Man müsse einfach alle Sendun- lichkeit setzen. Er möchte nur an einem mal die knatsch-seriöse Zone, um jünger gen, die bei unter 50-Jährigen einen Markt- Abend in der Woche, am Mittwoch, einen auszusehen, bekommen sie gleich Prügel anteil von unter vier Prozent haben, aus Programmplatz schaffen, an dem er junge von allen Seiten. Riskieren sie nichts, müs- dem Programm fegen. Doch dann flöge Zuschauer nicht verschreckt. Sein Kalkül: sen sie sich anhören, wie ihr Publikum ver- eben nicht nur der „Musikantenstadl“ Irgendwann lernen die Jüngeren ihren Pro- greise (siehe Grafik). Kaum auszumalen, raus. Dann wären auch etliche Polit-Ma- grammplatz und schalten am Mittwoch- was geschieht, wenn sich das so weiterent- gazine oder Dokumentationen verloren, abend nicht mehr nur zufällig ZDF ein. wickelt. Ist öffentlich-rechtliches Fernse- mit Ausnahme der „Tagesschau“. Ein Po- Deshalb hat er auch „Aktenzeichen XY … hen dann in wenigen Jahren endgültig ein cher-Vollprogramm sozusagen. ungelöst“ mit Rudi Cerne, das erstaun- Auslaufmodell – nur noch auf den Fern- „Ich habe vermutlich jeden Fehler unter licherweise bei jungen Zuschauern erfolg- bedienungen mancher Altenheime fest der Sonne gemacht“, sagt Struve. „Aber reich ist, auf den Mittwoch geschoben. programmiert? ich habe niemals behauptet, jetzt beginne Ab Sommer will er auf diesem Sende- Medienforscher zeichnen ein düsteres die Jugendoffensive der ARD. So etwas platz weiter Druck machen. Er zeigt US- Bild. Während die Senioren von Jahr zur funktioniert nicht.“ Struve zielt damit auf Spielfilme und Romantikkomödien wie Jahr neue Rekorde der Fernsehnutzung seinen ZDF-Kollegen Bellut, der zuletzt „Ein Chef zum Verlieben“ mit Hugh aufstellen, wenden sich Teenager allmäh- immer öfter von einer „Strategie der vor- Grant. Auch eine US-Serie kann er sich lich vom Fernsehen ab. Die Zeit, die sie im sichtigen Verjüngung“ sprach. langfristig wieder im Programm vorstellen. Internet verbringen, wächst. Und wenn sie Bellut scheint es sogar ernst zu meinen. Für die ARD gibt Senderchef Reiter ei- im Alter von 14 beginnen, selbst über ihren So hat er Anfang des Jahres fast alle Volks- ne andere Strategie vor. Er will auf der Fernsehkonsum zu entscheiden, hat auch musiksendungen gestrichen, die unter der Frequenz des Kinderkanals ab 21 Uhr ein der öffentlich-rechtliche Kinderkanal keine Woche liefen – eine Tat mit hoher Sym- ARD-Jugendprogramm auflegen. Wenn es Chancen mehr. und das ZDF bolkraft. Bellut hat das selbst dann noch die Politik erlaubt. „Beim Kinderkanal hat spielen so gut wie keine Rolle. man uns am Anfang auch Zwar nehme auch bei diesen Genera- Marktanteil gesagt, die wollen euer Zeug tionen das Interesse an den öffentlich- Generation Glotze bei den 14- doch nicht sehen. Aber jetzt rechtlichen Sendern mit steigendem Alter Durchschnittsalter der TV-Zuschauer 2007 bis 29-Jährigen sind alle sehr zufrieden; Pä- zu, allerdings nur in Trippelschritten. dagogen, Eltern und sogar Wollen ARD und ZDF also auch in 30 61 Jahre 4,1 % die Kinder“, sagt Reiter. Jahren noch Programm für alle bieten – Dennoch macht er keinen und dafür auch Gebühren von allen be- 60 Jahre 5,0 % Hehl daraus, dass er Verjün- kommen –, müssen sie irgendwie an die gungshoffnungen für das jungen Zuschauer heran. 50 9,0 % Hauptprogramm für illuso- Doch dieses Publikum ist nicht leicht risch hält: „Diese Versuche einzufangen. „Es ist unterhaltungssüchtig. 47 16,8 % sind alle schiefgelaufen. Ein Es flieht vor Politik in jeder Form. Es fin- 18-Jähriger schaut Bruce det mit schlafwandlerischer Sicherheit US- 36 17,4 % Darnell bei Pro Sieben an, Filme und US-Serien. Und es ist sofort bei uns nicht.“ weg, wenn es sich langweilt“, sagt ZDF- Quelle: ARD-Medienforschung Markus Brauck

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