Deutschlandradio Kultur Länderreport

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Der Übergang

- Die Politik des alten und des neuen Ministerpräsidenten in Hessen -

Autorin Petermann, Anke Redaktion Stucke, Julius Sendung 30.08.2010- 13.07 Uhr Länge Beitrag 19.55 Minuten

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MUSIK / ATMO (Kinderchor, Lied auf Melodie von „Was wollen wir trinken…“ von den Bots)

AUTORIN Abschiedsständchen für einen konservativen Ministerpräsidenten - ausgerechnet ein Lied von den Bots, einer niederländische Band, die in den 80er Jahren Friedensdemonstrationen und jeden Protest gegen den NATO-Doppelbeschluss beschallte! Deren Songs der heutige Linken-Politiker und frühere Links-Sozi Dieter Dehm schrieb! Anfang der 80er Jahre, als sich die Bots-Scheibe auf den Plattentellern alternativer Wohngemeinschaften dreht, studiert Roland Koch Jura in . Brille und braver Seitenscheitel - an Friedensdemos beteiligt sich der Politikersohn nicht. Er feilt an seiner Karriere in der Jungen Union, steigt Mitte der achtziger Jahre zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden auf, zieht kurz darauf für die CDU in den Hessischen Landtag ein. Eine Blitzkarriere, getragen von sicherem Machtinstinkt.

MUSIK / ATMO (Kinderchor, Lied auf Melodie von „Was wollen wir trinken…“ von den Bots)

Zu Fuß zur Schule geh’n wir jeden Tag/zu Fuß zur Schule, das ist stark/ Ich will ein starkes Schulkind sein/ Mami und Papi bleibt bitte daheim/ den Ranzen trage ich allein

AUTORIN Zum Abschied aus der Landespolitik fast ein Vierteljahrhundert später singen Wiesbadener Dritt- und Viertklässler das Trinklied der Bots immerhin ohne den altlinken Verschwörertext.

MUSIK / ATMO (Kinderchor, Lied auf Melodie von „Was wollen wir trinken…“ von den Bots)

Mit Freunden bin ich nicht allein …

2 AUTORIN Den kleinen Seitenhieb auf die automobile Gesellschaft, die Kindern die Selbständigkeit raubt, überhört der Ministerpräsident und selbsternannte Opel-Retter. In seiner vierten Regierungszeit ist Roland Koch stolz, dass seine schwarzgelbe Koalition eine sogenannte „Mobilitäts-Milliarde“ für den Straßenbau locker macht, die Konjunkturprogramme von Bund und Land nicht eingerechnet.

ATMO (Reisebus)

AUTORIN Auf seiner letzten Pressefahrt muss der Ministerpräsident die zahlreichen Interviewanfragen gebündelt im Reisebus erledigen. Über seine berufliche Zukunft schweigt sich der Wirtschaftsanwalt wortreich aus.

OT (Koch) Spannend wird es werden. Das will ich auch. Ich bin ja nicht in einem Alter, in dem ich beginne, über die Pension nachzudenken, sondern in dem ich beginne, etwas Neues zu gestalten. Heute habe ich die Hoffnung, dass mich das so fasziniert, dass ich die Entscheidung nicht bereue, ob das so ist, wird die Zukunft zeigen.

AUTORIN Später auf seiner Pressereise posiert Roland Koch auf der halbfertigen neuen Landebahn des Frankfurter Flughafens für die Fotografen. In Gießen lässt er sich als Privatisierer des Uniklinikums feiern. Die Entscheidungen für den Airport- Ausbau und die Klinik-Privatisierung trieb Koch persönlich voran, damit machte er den Weg frei für millionenschwere Investitionen. Großprojekte, die den Wohlstand Hessens sichern - so sehen es CDU-Anhänger. Allein am Rhein-Main- Flughafen sollen Zehntausende zusätzlicher Arbeitsplätze entstehen. Unternehmensvorstände huldigen Koch als weitsichtigen Wirtschaftslenker. Lärmgeplagte Bewohner der Ballungsregion zwischen Mainz und Offenbach verübeln ihm einen Wortbruch. Anders als versprochen kehrt im Rhein- Main-Gebiet mit dem Flughafenausbau vermutlich keine Nachtruhe am Himmel ein. Das Nachtflugverbot - die

3 Regierung Koch will es mit zahlreichen Ausnahmen unterlaufen - das letzte Wort aber haben die Gerichte.

MUSIK / ATMO (Kinderchor, Lied auf Melodie von „Was wollen wir trinken…“ von den Bots)

Auch wenn es regnet, stürmt und schneit, wir gehn zu Fuß zur Schule hoch

AUTORIN Offen bleibt, ob Roland Koch beim Auftakttermin der letzten Pressereise überhaupt mitbekommt, dass sein Abschiedsständchen frei nach der Links-Rockgruppe Bots sozusagen die falsche politische Tonlage hat.

ATMO (Beifall)

AUTORIN Jedenfalls lässt er sich nichts anmerken, applaudiert.

ATMO (Koch) Also vielen Dank, dass ihr so schön geübt habt.

AUTORIN Gemeinsam mit seinem Tross aus Mitarbeitern und Journalisten betritt Koch einen Klassenraum der neu erbauten Schule.

Im Kreis von zwölf Kindern stellt sich Hessens Ministerpräsident artig als „Roland“ vor und hockt sich zu ihnen auf eines der grauen Kunststoffstühlchen. Aufmerksam hört er zu, wie die Lehrerin mit den Fünfjährigen Mehwish, Mariella und Ayoub deutsches Vokabular für den Schulbesuch im kommenden Jahr trainiert.

ATMO (Schule,. Lehrerin, Kinder)

Das ist ein Mäppchen.- Männchen. - Mäppchen, sag’s noch mal - Mäppchen. - Super, jetzt ist es richtig!

AUTORIN Jeden Tag gehen die Kinder - von zehn vor acht bis zwanzig nach neun - erstmal in einen sprachlichen Vorlaufkurs – dann in den Kindergarten. Sie sind deutsche Staatsbürger - wie Roland auch Eschborn, der an diesem Tag neben ihnen sitzt. Sie sind in Deutschland geboren wie er, aber:

4 OT (Hübner) Sie haben alle eine andere Muttersprache. Wir haben in dieser Gruppe Russisch, Polnisch, Türkisch, Arabisch, Urdu und Aramäisch, also viele verschiedene Erstsprachen.

AUTORIN Zur Einschulung im kommenden Jahr aber, versichert Lehrerin Eleonore Hübner, seien alle so fit in Deutsch, dass sie sich problemlos am Unterricht beteiligen können. Statistisch ist erwiesen, dass die hessischen Vorlaufkurse das leisten und nebenbei die Schulabbrecherquote von Migrantenkindern senken. Doch dass die CDU-Regierung die Kurse 2002 mit einem Zuckerbrot- und Peitsche-Gestus hessenweit etablierte, blieb politisch stets umstritten. Kinder, die keine Vorlaufkurse besuchten und bis zum Schulanfang nicht genügend Deutsch könnten, würden nicht eingeschult, hieß es anfangs. Als diskriminierendes Aussortieren werteten das neben der Opposition aus SPD und Grünen auch Gewerkschaften und der Landesausländerbeirat.

Und da eint dann doch etwas den Konservativen Koch und den Linksaußen-Liedermacher Dehm. Der Texter grenzt verdummte rechte Spießer von wachen linken Friedensbewegten ab; auch der Ministerpräsident pflegt sein geteiltes Weltbild: auf der einen Seite diejenigen, die Problem-Beladenen, die reinwollen, auf der anderen Seite die „aufnehmende Gesellschaft“, die Wohlverhalten einfordert.

OT (Koch) Integration funktioniert nur, wenn die aufnehmende Gesellschaft die Bedingungen für Integration klar definiert und ausspricht

AUTORIN „Mit einer gewissen Härte“, so fügt der Christdemokrat an. Zum zweiten aber müsse die „aufnehmende Gesellschaft“ bei der Integration auch helfen.

OT (Koch) Beides war immer mein Ziel. Viele haben versucht, mir zu unterstellen, dass mich nur der eine Teil, nämlich der der harten Bedingungen von Integration, interessiert und

5 nicht der der Hilfe zur Integration. Und ich glaube, ich konnte in den elf Jahren beweisen, dass dieser Teil der Hilfe zur Integration der Schwerpunkt der politischen Arbeit ist und dass da auch die Erfolge liegen …

AUTORIN Erfolge, die Koch allerdings mit seiner Wahlkampfkampagne gegen „kriminelle junge Ausländer“ im Jahr 2008 selbst zerstört hat, so meinen zumindest politische Kontrahenten. Die Opposition stuft auch die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft als ausländerfeindlich ein. Diese Kampagne gegen den Doppelpass der rot-grünen Bundesregierung katapultierte den damals 41jährigen CDU- Politiker ins Amt des Regierungschefs. Als Wahlkämpfer und Spitzenkandidat genießt Koch 1999 das Wohlgefühl, als Anwalt der Bürger aufzutreten. Von Bürgern allerdings, die sich anders als führende CDU-Politiker das Bekenntnis zur Integration oftmals sparen und die auf Unterschriftenlisten gegen die doppelte Staatsbürgerschaft unterzeichnen,

OT (Bürger) … - weil ich verhindern möchte, dass durch Mohammedaner eine Unterwanderung der christlich-abendländischen humanistische Kultur erfolgt.

(Koch) Wir haben einen unzweideutigen Text formuliert - und ich bin deshalb sehr sicher, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land diese Aktion so auffassen wird, wie sie gemeint ist, als Widerstand gegen eine unvernünftige Gesetzesinitiative, von der wir überzeugt sind, dass sie der Integration nicht dient, sondern ihr schadet.

AUTORIN Wiegelt der junge Spitzenkandidat damals die Empörung im linken Lager kühl ab. Doch bis heute meint die Opposition: Koch spalte Hessen, appelliere an niedere Instinkte, um an die Macht zu kommen oder Macht zu erhalten. Der junge SPD-Landtagsabgeordnete Timon Gremmels nimmt am Abschiedsempfang des Ministerpräsidenten in Kassel teil. Sekt und Häppchen lassen Gremmels’ Urteil nicht milder ausfallen:

6 OT (Gremmels) In Wahlkämpfen hat Roland Koch immer sein wahres Gesicht gezeigt, und deswegen verstehe ich nicht, wenn er jetzt sagt, er habe seinen schlechten Ruf geerbt, über diese Schwarzgeldkonten. Nein, er hat sich seinen schlechten Ruf selbst erarbeitet. Jetzt versucht er, etwas Geschichtsklitterung zu machen.

AUTORIN In dem Zeitungsinterview, auf das Gremmels anspielt, klagte Koch, er sei vor zehn Jahren in die Spendenaffäre seiner Partei „hineingezerrt“ worden. Parteimitglieder hätten ihm damals „Nitroglycerin ohne Gebrauchsanweisung“ überreicht, die Affäre habe ihn Renommee gekostet, öffentliches Misstrauen provoziert und seine politischen Handlungsmöglichkeiten geschmälert. Der hessische Grünen-Chef Tarek Al Wazir wundert sich über diese Interpretation,

OT (Al Wazir) … weil wir natürlich wissen, dass Roland Koch spätestens im Dezember 1999 gemerkt hat, dass hier irgendwas nicht gestimmt hat in den Kassen der hessischen CDU, deren Landesvorsitzender er ja damals schon war und trotzdem in der Öffentlichkeit weiter erzählt hat, es ist alles in Ordnung, und hoffte, es unter der Decke zu halten. Damals hat er den Zeitpunkt verpasst zu sagen, hier stimmt irgendwas nicht. Und was er auch verpasst hat, ist, sich von denen zu distanzieren, die da vorher in Verantwortung waren. Insofern ist er natürlich Teil der Schwarzgeldaffäre der hessischen CDU und keinesfalls Opfer.

AUTORIN „Brutalst mögliche Aufklärung“ hatte Roland Koch damals angekündigt. Bis heute erkennt die Opposition nur brutalst mögliche Verlogenheit. Koch habe damals 1,4 Millionen Mark aus schwarzen Kassen für seinen ausländerfeindlichen Wahlkampf ausgegeben, empört sich die Hessen-SPD, und die Lüge, er habe nichts gewusst, später als Dummheit beschönigt. Doch die hessischen Sozialdemokraten wissen auch: der CDU-Frontmann ist ein scharfzüngiger Intellektueller mit finanz- und wirtschaftspolitischem Weitblick. Dass Koch im November auch aus dem Bundesvorstand seiner Partei ausscheidet, quittiert der SPD- Abgeordnete Timon Gremmels mit einer Portion Schadenfreude. Das schwäche die Union.

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OT (Gremmels) Sie verliert dann natürlich auch einen Rechtskonservativen an der Spitze. Das wird eine Lücke in der CDU reißen.

AUTORIN Als Koch seiner Familie und der CDU-Bundesvorsitzenden im Frühjahr vergangenen Jahres verriet, er werde nach der NRW-Wahl abtreten, da ahnte er wohl nicht, wie tief die Umfragewerte seiner Partei sinken würden und wie stark sich die Führungsdebatte um zuspitzen würde. In der Krise soll der CSU-Ehrenvorsitzende die Kanzlerin gedrängt haben, dem Landespolitiker Koch ein Regierungsamt anzubieten, um ihn als führenden Kopf der Union zu erhalten, wenn nicht gar als Retter. Unterwegs im Reisebus wiegelt der CDU-Bundes-Vize ab: die CDU erneuere sich derzeit und werde durch Regionalkonferenzen zu neuer Einigkeit finden - kein Anlass zur Sorge.

OT (Koch) Dass ich zu einem Zeitpunkt ausscheide, in dem das noch einige Menschen gibt, die das schade finden, das finde ich nicht nur schlimm, denn die Alternative wäre gewesen, zu einem Zeitpunkt auszuscheiden, wo es keinen mehr gibt, der das schade findet, und das ist ja auch nicht angenehmer, aber an meiner Entscheidung ändert das nichts.

AUTORIN Der konservative Flügel der Union trauert. In Hessen ist der CDU-Nachwuchs mit Roland Koch groß geworden:

OT (CDU-Nachwuchspolitiker)

- Also, ich weiß, ich bin 1999 in die Junge Union eingetreten, also mit Roland Koch quasi, als er Hessen übernommen hat. Natürlich geht da eine Ära zu Ende, aber ich blicke sehr zuversichtlich in die Zukunft, weil ich denke, dass die CDU mit Nachwuchskräften gut aufgestellt ist. Ich denke, mit hat man einen sehr guten Nachfolger gefunden, wenn es denn so kommen soll.

- Ich vertrau da Roland Koch, dass er als Nachfolger jemanden gefunden hat, der das ganze schon ordentlich so weiterführen wird.

AUTORIN Jetzt rückt der langjährige Kronprinz Volker Bouffier an die Spitze. Der dienstälteste Innenminister - immer bereit,

8 Sicherheitsgesetze zu verschärfen, Überwachung zu verstärken. „Schwarzer Sheriff“ ist sein Spitzname. Gegen den jovialen Schulterklopfer konnte Roland Koch seine spröde junge Wunschkandidatin Silke Lautenschläger innerparteilich offenbar nicht durchsetzen, sie tritt nun auch als Umweltministerin ab. Generationswechsel - vorerst vertagt. Dass die Hessen-CDU mit Bouffier einen Law-and- order-Politiker alten Schlags nach vorn schiebt - enttäuscht das den Parteinachwuchs nicht?

OT (Kreisvorsitzender der JU Groß-Gerau, Schmitt) Als Innenminister muss man natürlich ein harter Hund sein, also ich glaube, da ist schon hartes Durchgreifen gefragt. Dass er jetzt vielleicht auch die Möglichkeit hat, sich mit weicheren Themen zu profilieren, wird sich zeigen. Also ich sehe inhaltlich keine großen Änderungsbedürfnisse

AUTORIN … meint der Kreisvorsitzende der Jungen Union in Groß- Gerau. Mit 58 Jahren ist Volker Bouffier sechs Jahre älter als der scheidende Ministerpräsident. Sebastian Schmitt fallen dazu unkonventionelle Vergleiche ein:

OT (Schmitt) Ja, ich würde eher sagen, dass das dann schon eher der Gordon Brown oder der Joseph Ratzinger ist - Lachen - ich meine, es ist schwierig, jemand Älteres als jüngeren Nachfolger zu präsentieren …

AUTORIN Mit dem glücklosen britischen Übergangspremier Gordon Brown verglichen zu werden, der den zwei Jahre jüngeren Tony Blair beerbte und der Labour-Partei eine deftige Wahlniederlage bescherte - wenig schmeichelhaft für Volker Bouffier, den Mann mit der zigarettenrauen Stimme. Die Altersvergleiche kommentiert der Neue an der Spitze der Hessen-CDU mit Selbstironie, wobei sein Lächeln immer ein wenig grimmig wirkt.

OT (Bouffier) Ich fühl mich durchaus rüstig, lese noch jeden Tag Zeitung und bin dem Leben durchaus noch zugewandt.

9 AUTORIN Mit dem Traumergebnis von 96 % hatte der CDU-Parteitag im Juni den langjährigen Koch-Stellvertreter zum Landesvorsitzenden gewählt

OT (Bouffier) … und da ich glaube, dass die CDU Hessen die bestimmende Kraft in diesem Lande ist, wird der Vorsitz ausgestattet mit so einem tollen Vertrauensergebnis, mir natürlich auch helfen, in einer solchen Aufgabe als Ministerpräsident erfolgreich zu arbeiten, aber die Frage stellt sich erst dann, wenn ich’s bin. Aber es ist ein guter Start.

ATMO (Feier)

AUTORIN Kurz vor dem Aufstieg auf der politischen Karriereleiter präsentiert sich der neue Landeschef bei einer Feier vor der Wiesbadener CDU-Zentrale Ibiza-gebräunt, frisch blondiert und bestens gelaunt.

OT (Bouffier) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ein toller Tag, die Sonne scheint programmgemäß …

AUTORIN Genau der richtige Rahmen, meint der neue Chef der Hessen-CDU, um die Wiesbadener Parteizentrale offiziell „Alfred-Dregger-Haus“ zu nennen, nach dem langjährigen rechtskonservativen Landesvorsitzenden und späteren Chef der Unionsfraktion im Bundestag. Neun Jahre alt war der Gießener Bouffier, als er Anfang der 60er Jahre seinem Idol begegnete, dem damaligen Oberbürgermeister von Fulda.

OT (Bouffier) Der Hintergrund war: mein Vater war CDU- Fraktionsvorsitzender in Gießen und Oppositionsführer. Und wir waren so glücklich, dass es irgendwo in Hessen eine CDU-Mehrheit gab und dass wir dort auch einen Oberbürgermeister stellten. Und ich bin als kleiner Junge mitgefahren, weil wir mal hören wollten, wie muss man das machen.

AUTORIN Der Linken galt Dregger als unbelehrbarer Vertreter der „Stahlhelmfraktion“, einer, der die Befreiung Deutschlands vom Nazi-Regime „Unterwerfung“ nannte. „Streicheleinheiten für den ultrakonservativen Flügel der Union“ - so verhöhnen die Grünen Bouffiers Lobreden auf

10 den Patriotismus seines Vor-Vor-Vorgängers. Trotz neuen Namens bleibe das CDU-Haus „Schwarzgeld- Gedächtnisstätte“, merkt die SPD an, Ende der neunziger Jahre mit Geld von schwarzen Konten erworben. Ohnehin meint die Opposition, dass Bouffier als langjähriger Parteivize und als Kabinettsmitglied ständig Partei- mit Landesinteressen verwechselt und den Staat zur Beute der CDU gemacht habe. Darin sieht sie Parallelen zwischen dem, der abtritt, und dem, der antritt. „Koch geht, sein Kellner kommt“, höhnt die Linksfraktion, Als „Skandalminister Nummer eins“ tituliert SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer- Gümbel den Neuen - in Anspielung auf zahlreiche Untersuchungsausschüsse und Ermittlungen gegen Bouffier. Die dem Innenminister jedoch nie wirklich gefährlich wurden.

OT (Schäfer-Gümbel) Der entscheidende Punkt ist, dass in allen Untersuchungsausschüssen die jeweilige politische Mehrheit aus Union die Minderheitenvoten nieder gestimmt hat. Dort hat Mehrheit Wahrheit ersetzt. So funktionieren leider seit der Schwarzgeld-Affäre die Untersuchungsausschüsse in Hessen. Seit elf Jahren geht es um Tarnen, Täuschen und Vertuschen. Volker Bouffier ist am Ende aus keinem der Untersuchungsausschüsse mit einer Weißen Weste rausgekommen.

AUTORIN Derzeit will die Opposition im Parlamentsausschuss den Vorwurf der Vetternwirtschaft bei der Besetzung eines Polizeipräsidenten-Posten klären. Das dürfte dem Ministerpräsidenten in spe den Start ins neue Amt erschweren. Trotz aller Vorbehalte aber scheint Grünen-Chef Al Wazir ihm eine Chance geben zu wollen.

OT (Al Wazir) Volker Bouffier war ja jahrelang Teil des Systems Koch, und wir sind gespannt, ob er jetzt die Kraft findet, sich neu zu erfinden und die hessische CDU neu zu erfinden.

(Bouffier) Ich finde es gut, wenn die Grünen in Hessen das unter Demokraten selbstverständliche Gespräch jetzt anbieten, das ist gut so. Das begrüße ich ausdrücklich. Und wenn die dabei sind, jetzt ihr Verhältnis zur CDU und auch

11 zu mir neu zu justieren, ist das auch in Ordnung. Neu erfinden muss ich mich nicht.

AUTORIN Werden die personellen Veränderungen die Hessen-CDU in Bündnisfragen aufgeschlossener machen? Der hessische Oppositionsführer Thorsten Schäfer-Gümbel erwartet nicht, dass ihm Volker Bouffier die Grünen als potentiellen Koalitionspartner ausspannt.

OT (Schäfer-Gümbel) Der wird vielleicht an der ein oder anderen Stelle sagen, dass er auch dafür auch dafür ist, dass es das ein oder andere Windrad gibt, und er wird vielleicht auch mit den Grünen ein bisschen schäkern, und wir finden es gut, dass die hessische Union endlich im 20. Jahrhundert ankommt, aber fürs 21. Jahrhundert reichts halt nicht.

AUTORIN Mit einem verjüngten und weiblicheren Kabinett will Volker Bouffier die schwarz-gelbe Koalition in die zweite Dekade des 21. Jahrhunderts führen, weiblicher vielleicht jedoch nur in der zweiten Reihe. Am Nachmittag stellt er die Ministerliste der Öffentlichkeit vor. Vier Ressorts - Inneres, Umwelt, Gesundheit und Finanzen - hat Bouffier dem Vernehmen nach neu besetzen. Dass der designierte Regierungschef bis zuletzt an der neuen Riege gebastelt hat, legt ihm die Opposition als Schwäche aus. Als übervorsichtige Rücksicht auf innerparteiliche Konkurrenzkämpfe und Feindseligkeiten. Tatsächlich dürfte Bouffier mit der last-minute-Entscheidung versucht haben, parteiinternen Widerstand gegen umstrittene Personalentscheidungen einzudämmen. Die Abstimmung im Landtag morgen wird zeigen, ob die Strategie aufgeht.

- ENDE -

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