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John Culshaw (49 Der Herr der Klänge: – Pionier der Stereo - Aufnahmetechnik.

Die gestrige Sendung ging mit der Aufnahme eines Dirigenten zu Ende, dem von all denen, die mit ihm zusammen musiziert haben, ein Maß an Bewunderung, Begeisterung und liebevoller Wertschätzung entgegengebracht wurde, das ziemlich einmalig sein dürfte. Toscanini, der für Kollegen in der Regel wenig freundliche Worte fand, bewunderte diesen Musiker über alle Maßen - und Solti hat den französischen Kollegen neidlos als einen der brillantesten Dirigenten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Die Rede ist von Pierre Monteux, der als Mitstreiter der Balletts Russes von Serge Diaghilew 1913 die von Handgreiflichkeiten und Tumulten begleitete UA von Strawinskys Sacre du printemps leitete.

Mit einer geradezu minimalistischen, so präzisen wie flexiblen Schlagtechnik gelang es ihm in seiner langen Karriere, den Orchestern seine Absichten immer auf vollkommene Weise, und ohne große Worte zu vermitteln. Als Dirigiertechniker zählte er zu den Ausnahmeerscheinungen, als Klangregisseur ebenso. Kein Wunder, dass er zu den Menschen gehörte, mit denen John Culshaw am allerliebsten zusammenarbeitete. Ihre Koproduktion bei Aufnahmen mit dem London Symphony Orchestra in den späten 50er und frühen 60er Jahren haben nichts von ihrer Überzeugungskraft verloren. Weder in künstlerischer noch in klangtechnischer Hinsicht.

______CD Decca 448 603 2 track 12 4’52 ______

Danse générale aus Maurice Ravels Daphnis und Chloé mit dem Chor des Royal Opera Hause Covent Garden und dem London Symphony Orchestra. Am Pult Pierre Monteux, der 1912 schon die UA dieses Werks im Pariser Théatre du Chatelet bis zum bitteren Ende durchgestanden hatte.

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Seine langjährige Arbeit mit Komponisten wie Strawinsky, Ravel und Debussy lehrte ihn, auch komplizierteste Partituren verständlich zu machen. Mit Transparenz, Deutlichkeit und Genauigkeit diente er den Werken der Zeitgenossen ebenso wie den großen Klassikern und Romantikern. Sprechende Interpretationen, Spannkraft und Klarheit zeichnen Monteux aus, der sich im Gegensatz zu manchen andern französischen Dirigenten übrigens ganz und gar nicht auf das französische Repertoire beschränkte. Zu seinen Lieblings – Sinfonikern zählten neben Beethoven vor allem Johannes Brahms, dessen 2. Sinfonie er insgesamt viermal im Studio einspielte. Sein ganzes Leben hindurch hatte sich Monteux mit Erinnerungsstücken und Fotos von Brahms umgeben, und in den Jahren zwischen 1924 und 1934, in denen er das Podium des Amsterdamer Concertgebouw – Orchesters mit Willem Mengelberg teilte, war er stolz und glücklich darüber, beim holländischen Publikum als der Brahmser bekannt zu sein.

Der Klangreichtum, das Fließende und die alles einhüllende Wärme von Monteux‘ Brahms Aufführungen kamen für sein treues Konzertpublikum natürlich nicht überraschend, waren aber doch eine überwältigende Entdeckung für jene, die ihn irrtümlicherweise als Spezialisten des französischen und russischen Repertoires eingestuft hatten. Es ist bezeichnend, dass Monteux immer wieder von der Liebe zu Brahms sprach, nicht nur von seiner Verehrung für diesen Komponisten. Dieses von Herz zu Herz - Verhältnis macht wohl die einzigartige Qualität von Monteux‘ Brahms – Darstellungen aus, ohne dass dabei ein Hauch von Sentimentalität auf der einen, oder Monumentalität auf der andern spürbar wäre.

Monteux hatte Brahms noch persönlich, na ja kennengelernt ist vielleicht ein bisschen zu viel gesagt, aber das junge Geloso – Streichquartett, in dem Monteux Geige spielte, trat bei einer Tournee in Wien mit einem Brahms – Quartett in Anwesenheit des Komponisten auf. Monteux wird sich später folgendermaßen erinnern: Alles, was ich von dieser Begegnung noch weiß, war ein Gefühl der Kraft, ein weißer Bart und recht traurige Augen. Ich hätte mir so sehr gewünscht, mich mit ihm in seiner Sprache verständigen zu können. Nun, jetzt spreche ich durch seine Musik zu ihm. Er ist meine Liebe und mein Ideal. Ich hoffe, er weiß das.

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------CD RCA 74321 845882 Disc 2, track 3 7’55 ------Immer noch eine der vollendetsten Interpretationen des Brahmsschen Violinkonzertes D – Dur op. 73, (wir hörten daraus den 3. Satz: Allegro giocoso) in einer Aufnahme aus dem Jahre 1958, mit Henryk Szeryng, dem London Symphony Orchestra und Pierre Monteux am Pult. und John Culshaw, der mit seinen Decca Team das Gesamtwerk des mit ihm befreundeten Komponisten aus in mustergültigen Produktionen der Nachwelt hinterlassen hat, Britten und Culshaw, das wäre ein ganz weites Feld, das sogar zeitlich noch über Culshaws Tätigkeit bei Decca hinausreicht. Als späterer BBC – Musikchef gab er nämlich bei Britten die Fernsehoper Owen Wingrave in Auftrag. Aber die Querverbindungen reichen viel weiter: Britten vertraute Culshaws Kunstverstand und Musikgespür so sehr, dass er ihn vor Veröffentlichung mancher Kompositionen um sein Urteil bat, so auch beim War Requiem, dessen Vorgeschichte, Entstehung und Realisation mit Culshaw als Produzent allein mindestens zwei Musikstunden füllen könnte, davon also ausführlich ein andermal mehr. Aber wenigstens zwei kleine Kostproben aus einem meiner Lieblingswerke von diesem Komponisten, das muss schon sein. Die folgende Aufnahme entstand an einem geschichtsträchtigen Ort: 1963 in der Konzerthalle einer alten Mälzerei in der Nähe des Dorfes Snape (also in Snape Maltings) in der Nähe von . Dort hatte Britten 1948 gemeinsam mit seinem Lebensgefährten ein Musikfestival gegründet, das bis heute besteht, und das derzeit von Pierre Laurent Aimard geleitet wird. Aber jetzt eine Kostprobe aus Brittens op. 31. ------CD Decca 475 6051 Disc 7 track 4 & 6 6’03 ------

Elegy and Hymn aus der Serenade für Tenor, Horn und Streicher op. 31 von Benjamin Britten. Mit Peter Pears und dem Hornisten Barry Tuckwell. Der Komponist leitete die Streicher des London Symphony Orchestra. Spätestens als 1963 Puccinis Tosca unter der Leitung Herbert von Karajans erschien, da festigte diese Aufnahme unwiderruflich John

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Culshaws Ruf, neben Walter Legge der maßgeblichste Schallplattenproduzent der Nachkriegsära zu sein. Bevor Legge und Culshaw die Bühne betraten, schienen Plattenaufnahmen ja oftmals nur aus dokumentarischen, archivarischen Gründen gemacht zu werden, ähnlich der Tätigkeit eines Chronisten. Die Bewahrung eines Klangereignisses für künftige Zeiten.

Aber besonders Culshaw und sein hochqualifiziertes Expertenteam eröffneten durch innovative Aufnahmetechniken neue Hörperspektiven für die Zuhörer zu Hause, nicht nur, aber ganz besonders im Bereich der Oper. Sie wollten den Zuhörern, die nicht im Opernhaus saßen , eine Art Sonic Stage, eine Klangbühne ins Haus liefern… noch vollkommener, viel räumlicher, weit transparenter als ein Besucher sie je in einer Live – Situation erleben kann: Im Klartext die akustische Idealsituation.

Dass bei dem Sonic Stage Verfahren kein Türenquietschen verrosteter Kulissen mehr zugelassen war, versteht sich von selbst, und ich persönlich konnte bei Live – Mitschnitten auf das ohrenbetäubende Füßetrappeln der Statisten in Massenszenen schon immer ebenso gut verzichten, wie auf die nervenaufreibenden Beiträge eines Publikums, das besonders im Winter an chronischer Bronchialobstruktion zu leiden schien.

Denn auf der Haben – Seite der Sonic Stage Idee steht u.a. die Realisierung verschiedener Klangebenen: also z. B. Bühnenmusik, die realiter auf der Bühne gespielt wird, die auf Schallplatte aber vom Hörer akustisch selten dort verortet werden kann. Ein anderes Stichwort: „Aus der Tiefe des Raumes“.

Das ist nicht nur für die ubiquitäre Fußball – Oberschwatzbacke Günter Netzer ein zentrales Thema, sondern hat viel mehr noch im Bereich des Musiktheaters überall dort zentrale Bedeutung, wo es um klangliche Nah – und Fernwirkungen geht. Die Liste ließe sich noch beträchtlich erweitern, wobei gesagt werden muss, dass es Culshaw nie um Effekte ihrer selbst willen ging, er setzte sie vielmehr im Dienste der Handlung immer da ein, wo er die szenischen Intentionen des Komponisten optimal verwirklichen konnte.

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Nun sind ja Wunschvorstellungen, Absichtserklärungen, theoretische Ansprüche eine Sache, auf einem ganz andern Blatt steht - und das ist im Grunde einzig entscheidend - ob eine Aufnahme auch noch nach Jahrzehnten Bestand hat und sich behaupten kann. In diesem Punkt sind sich die Opernfreunde und - kenner mit den professionellen Kritikern einig: Karajans Wiener Tosca von 1962 gehört an der Seite von Victor de Sabatas neun Jahre zuvor entstandener Mono – Einspielung mit Maria Callas in der Titelrolle zur absoluten Spitzengruppe der Diskographie. ------CD Decca 466 384 2 Disc 1, track 10 5‘08 ------

Tre sbirri, una carozza - das geradezu bedrohlich unheimlich getragene Finale des 1. Aktes von Giacomo Puccinis Tosca in der römischen Kirche San Andrea della Valle mit Giuseppe Taddei als Scarpia , dem Wiener Staatsopernchor und den Wiener Philharmonikern. Am Pult Herbert von Karajan.

Künstler…. als Menschen…. hautnah – auch in diese Dimension gibt uns John Culshaw in seinem Bericht Putting the record straight erhellende Einblicke. Im Zusammenhang der Tosca Produktion erinnert er sich an Giuseppe di Stefano folgendermaßen: Seit wir das letzte Mal bei Ponchiellis „Gioconda“ zusammengearbeitet hatten, durchlief er eine schwierige Phase. Sein Mangel an Selbstdisziplin und vor allem seine Spielsucht ließen seine Vertragspartner den Glauben an ihn und die Geduld mit ihm verlieren. Ich allerdings schaffte es kaum, wirklich mit ihm böse zu sein. Sein unbezwinglicher sizilianischer Charme und Stolz behielten letztlich die Oberhand, auch wenn mir seine Unzuverlässigkeit mehr als einmal zu schaffen machte. Er war einfach der intuitiv sinnlichste und sensibelste italienische Tenor seiner Generation, nur dass er leider seine Begabungen verschwendete. Ich glaube, es tat ihm noch nicht einmal wirklich leid. Er genoss einfach das Leben, und wenn einmal nicht die Gelegenheit dazu bestand – rannte er davon, wie ein kleines Kind. Wenn er mich als Gast in ein Spielcasino mitnahm, war es für mich faszinierend zu

6 7 erleben, wie die Männer ihn wegen seiner kühlen Eleganz bewunderten, selbst wenn er eine andauernde Pechsträhne hatte. Ich hatte aber auch das deutliche Gefühl, hätte irgendjemand gewagt ihn zu verraten, oder den Ruf seiner Familie zu besudeln, er hätte ihn niedergestochen, allerdings nicht von hinten. Und wenn man dann hört, wie er O d o l c i m a n i im 3. Akt von Tosca singt, dann versteht man, von seinem unverschämt guten Aussehen ganz abgesehen, warum die Frauen ihn geradezu vergötterten. ------CD Decca 466 384 2 Disc 2, track 17 bis 5’33 (Blende) ------

Giuseppe di Stefano als Mario Cavaradossi im 3. Akt von Giacomo Puccinis Tosca, gemeinsam mit Leontyne Price in der Titelrolle und den Wiener Philharmonikern unter Herbert von Karajan.

Culshaw begeistert sich gerade bei dieser Produktion über die fast grenzenlosen Möglichkeiten, die Klangeffekte und –perspektiven einsetzen zu können, an denen er mit seinen Ingenieuren während der vergangenen Jahre intensiv gearbeitet hat. Wer jemals das Läuten der römischen Kirchenglocken nach Einbruch der Dunkelheit gehört hat, wird zu schätzen wissen, wie genau Puccini diesen Klang in die Partitur kurz nach Beginn des 3. Aktes übertrug. Seine Instruktionen sind mehr als penibel: die Glocken müssen von verschiedener Größe sein, in verschiedener Entfernung aufgestellt werden, einige müssen hoch, einige tief, einige kaputt und verstimmt klingen. Man kommt nicht entfernt an seine Klangvorstellung heran, wenn man wie üblich mitten im Orchester ein paar Röhrenglocken aufstellt und dann rumbimmelt. Aber etwas zu finden, was Puccinis Ideal entsprach, war fast unmöglich. Schließlich kauften wir spezielle Metallplatten, die mit besonderen Klöppeln geschlagen werden mussten…das kam wohl dem am nächsten, was Puccini vorgeschwebt haben muss, oder vielleicht noch wichtiger, was wirklich dem Eindruck des römischen Glockenkonzerts nach Sonnenuntergang entsprach. Noch zwanzig Jahre nach der Aufnahme gehört es für mich zu den überzeugendsten Klangeffekten, die wir je produziert haben.

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------CD Decca 466 348 2 Disc 2, track 13 ab 2’37 = 2‘50 ------Der zauberische Beginn des 3. Aktes von Giacomo Puccinis Tosca mit den Wiener Philharmonikern und den Glockenklängen von John Culshaw unter der Leitung Herbert von Karajans. Sie alle kennen, meine Damen und Herren, wir alle schätzen die musikalischen Schönheiten von Puccinis hochdramatischem, den damaligen historischen Gegebenheiten erschreckend realistisch nachgebildeten Meisterwerk. Darüber sollen aber heute Morgen keine weiteren Worte verloren werden. Hochinteressant und einmal etwas ganz anderes ist es, aus der Produzentenperspektive zu erfahren, wie schwierig es war, die Gewehrsalven am Ende des 3. Aktes auf Band zu bekommen. Hätte man sie im Sofiensaal abgefeuert, schreibt John Culshaw, wäre ein Klang wie in einer Kathedrale entstanden. Also entschlossen wir uns, die Schützen in einem Hof aufzunehmen, der an die Sofiensäle grenzte. Das löste einen der größten Krawalle während unserer gesamten Wiener Aufenthalte aus. Denn wir hatten vergessen, dass bei den Wienern vor allem sonntags ein schweres Mittagsmahl auf dem Plan stand….mit entsprechend langer Mittagsruhe, um sich davon zu erholen. So bemerkte niemand etwas von unseren aufwändigen Vorbereitungen. Aber als dann die Schüsse loskrachten, brach sich der Wiener Volkszorn spürbar Bahn.

Läden sprangen auf, Fenster wurden aufgerissen, man rief nach der Polizei. Demonstranten begannen sich in den umliegenden Straßen für die strikte Einhaltung der Mittagsruhe zu formieren. Die Ordnungshüter trafen ein, mit denen wir uns bestens verstanden, und erklärten der aufgebrachten Menge, dass das notwendig sei, der Kunst wegen. Bei der bloßen Erwähnung des Namens Herbert von Karajan wurden wir alle sofort von einer großen Welle des Verständnisses und der Nachsicht empor getragen. Wenn ER wegen solch höherer Aufgaben den sonntäglichen Frieden eines Sonntagnachmittags störte, dann musste es sich um so etwas wie den Befehl des Allmächtigen handeln.

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------CD Decca 466 384 2 Disc 2, track 17 ab 6’46, 18 & 19 = 5‘30 ------Die Musikstunde mit Rainer Damm ging zu Ende mit dem Finale von Giacomo Puccinis Tosca in einer Aufnahme mit Leontyne Price, Giuseppe di Stefano, den Wiener Philharmonikern und dem Wiener Staatsopernchor. Die Leitung hatte Herbert von Karajan.

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