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DIPLOMARBEIT

Titel der Diplomarbeit „Nikolaus Lenau in der bulgarischen Moderne“

Verfasserin Ilijana Misheva-Franta

angestrebter akademischer Grad Magistra der Philosophie (Mag. phil.)

Wien, 2008

Studienkennzahl lt. A 243/372 Studienblatt: Studienrichtung lt. Slawistik/Bulgarisch Studienblatt: Betreuerin / Betreuer: Prof. Dr. Vladimir Biti

Widmung

Meine Diplomarbeit widme ich meinem Ehemann Markus, unserer Tochter Theodora Elisa sowie meinen Großeltern Mag. Malena Misheva und Prof. Dr. Ilija Mishev, in Liebe und tiefer Dankbarkeit

2 Danksagung

Mein Dank gebührt an erster Stelle meinem Diplomarbeitbetreuer Prof- Dr. Biti, der mich tatkräftig bei der Fertigstellung meiner Diplomarbeit unterstützt hat.

Des Weiteren möchte ich meinem lieben Ehemann für seine Liebe, für die moralische Unterstützung sowie für den Glauben meinen Dank aussprechen. Markus, ohne Dich hätte ich es nie geschafft!

Ich möchte auch aus ganzem Herzen meiner Tochter Dori danken, dafür, dass sie in der Zeit, wo ich die Arbeit geschrieben habe, so brav war und mich auch total unterstützt hat.

Ein Riesendank gebührt auch meinen Eltern, die an mich glauben und die mich zu diesem Abschluss motiviert haben.

Ich möchte mich auch vom ganzen Herzen bei meinen Schwiegereltern für die Liebe, mit der sie mich unterstützt haben, bedanken, für alle Ratschläge, für den Glauben und für die Gebete.

Mein Dank gebührt auch ganz besonders meinen Freundinnen Antoaneta, Amira, Birgit, Sabine und ganz besonders meiner guten Freundin Angie, die mich stets unterstützt und aufgebaut hat. Danke Leute!

Und abschließend möchte ich nur sagen: Lieber Gott, DANKE!

3 Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Widmung

Einleitung 4.

1. Hintergründe der bulgarischen Kultur- und Literaturentwicklung um 1900 4.

2. Der Lenausche Einfluss auf die bulgarische Moderne 5.

2.1. Rezeption Lenaus in den Werken Pen čo Slavejkovs 5.

2.2 Rezeption Lenaus in der Lyrik von P.K. Javorov 8.

2.3 Der Lenausche Einfluss auf die Lyrik von Nikolaj Liliev 9.

2.4 Teodor Trajanov und sein Interesse für die Lyrik Lenaus 11.

2.5. Venceslav Konstantinov und seine Übersetzungstätigkeit im Bezug auf

Lenau 16.

3. Vergleichende Textanalyse von Originalwerken Lenaus mit ihren bulgarischen Übersetzungen 17.

3.1. Analysen der Übersetzungen von Pen čo Petkov Slavejkov 17.

3.1.1. „Bitte“ 17.

3.1.2. „An den Tod“ 20.

„Aus!“ 25.

„Herbst“ 30.

„Das Mondlicht“ 35.

4 „Die drei Zigeuner“ 43.

„Winternacht“ 49.

3.3. Übersetzungsanalysen von Originalwerken Lenaus im Vergleich zu den

Sekundärtexten von Nikolaj Liliev 54.

3.3.1. „Die Drei“ 54.

3.3.2. „Schilflieder“ 63.

3.4.Übersetzungsanalyse von Lenaus Poem „An meine Gitarre“ und „Na mojata kitara“ von Venceslav Konstantinov 76.

4. Zusammenfassung 86.

Literaturangaben

Lebenslauf

5

Einleitung

Ziel dieser Arbeit ist es, durch einen historischen Überblick über den Verlauf der Entwicklung der Rezeption bedeutender Werke Lenaus in der bulgarischen Literatur, anhand namhafter bulgarischer Poeten, herausstechende Gemeinsamkeiten der romantischen Dichtung des Österreichers und des bulgarischen Symbolismus’ der Moderne herauszuarbeiten. - Dabei lege ich Wert auf die Darstellung der damals vorhandenen sozialen und politischen Situation in Bulgarien. In weiterer Folge möchte ich mich mit ausgewählten repräsentativen Gedichten, der bekanntesten bulgarischen Symbolisten, befassen, die als direkte Übersetzung von Werken Lenaus, beziehungsweise in Anlehnung an diese, entstanden sind und sie auf Übereinstimmungen und markante Unterschiede in der dichterischen Betrachtung der Welt analysieren.

1.Hintergründe der bulgarischen Kultur- und Literaturentwicklung um 1900

Die Osmanische Feudalherrschaft in Bulgarien (1396-1878) war ein ernsthaftes Hindernis für die Entwicklung der bulgarischen Kultur und Wirtschaft. Die moderne Literatur, die im 19. Jh. in Bulgarien entstand, hatte in der Vergangenheit keine bulgarischen Vorbilder, an die sie sich anlehnen konnte und aus denen sie Ideen, Motive und Inspiration schöpfen hätte können. Deshalb war es dringend notwendig, nach „fremden“ Vorbildern zu suchen, damit die, aufgrund der Feudalherrschaft des Osmanischen Reiches „erstarrte“ bulgarische Kultur wiedergeboren werden konnte. Die erste Weltschule Bulgariens wurde erst im Jahr 1835 gegründet, die erste bulgarische Zeitung erschien in Leipzig im Jahr 1846 und die erste bulgarische Grammatik wurde in Wien gedruckt und zwar im Jahr 1852. 1

Die wirtschaftliche Entwicklung in Bulgarien im 19.Jh. ermöglichte es den reicheren Bevölkerungsschichten, ihre Kinder ins Ausland studieren zu schicken. Die gut situierten Bulgaren hatten somit die Möglichkeit, eine gute höhere Ausbildung in Russland zu genießen.

1 Vgl. Stantschew, Stefan: Lenau-Rezeption in Bulgarien, Lenau-Forum 2, Folge 3-4, 1970 6 Es gab jedoch auch welche, die in Rumänien und in Österreich studieren durften. Durch die Annahme von verschiedenen Einflüssen aus dem Ausland, die sich bei den jungen Menschen während ihres Studiums entwickelte, beeinflusste die russische Literatur und Kultur das gesellschaftliche Leben Bulgariens. Die westeuropäische Literatur fand ebenso über Russland ihren Weg nach Bulgarien. Die ersten Übersetzungen deutschsprachiger Werke wurden aus dem Russischen geschrieben.

Die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Bulgarien und Österreich vertieften sich stark nach der Befreiung von der Osmanischen feudalen Macht im Jahr 1878. Der bulgarische Staat brauchte dringend für seine wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung gebildete junge Menschen in den verschiedensten Bereichen- Medizin, Technik, Physik, Chemie, Geschichte, Geographie, Pharmazie etc., die logischerweise im Ausland ihre Ausbildung genossen hatten. Solch ein kulturelles Zentrum war damals Österreich mit seinen guten Universitäten. Viele bulgarische Studenten in Österreich besuchten im 18-19 Jh. die Universität Wien, einige studierten diverse technische Richtungen an den Technischen Universitäten Wien und Graz. Sobald die in Österreich ausgebildeten Bulgaren wieder in ihrer Heimat zurückgekommen waren, wurden sie als hoch qualifizierte Kräfte eingesetzt. - Zugleich haben sie die Beziehungen zwischen Bulgarien und Österreich vertieft und popularisiert. 2

In der geistigen Entwicklung der bulgarischen Gesellschaft spielte die Übersetzungsliteratur eine große Rolle, besonders stark war diese Tendenz in den ersten Jahren nach der Befreiung. Dies lässt sich dadurch erklären, dass das nach Wissen und Entwicklung „durstige“ bulgarische Volk durch die Übersetzungen aus dem Russischen bzw. später aus dem Deutschen langsam die neuen Impulse der Zeit in der Kultur und Literatur empfing und begann, Motive aus den bereits entwickelten europäischen Literaturen zu schöpfen. Darüber hinaus setzte sich die Tendenz fort, den Stil mancher fremdsprachiger Autoren in die eigene Lyrik zu übertragen oder zumindest Bruchteile dieser, die in weiterer Folge als sehr wesentliche Merkmale der Entwicklung der modernen bulgarischen Literatur auskristallisierten.

Von der österreichischen Literatur wurden mit großem Interesse Nikolaus Lenau, Grillparzer und andere übersetzt. Lenaus Werk im Besonderen hinterließ tiefe Spuren in den Anfängen der bulgarischen Moderne und wurde bis in den Höhepunkt des Symbolismus von

2 Vgl. Stantschew, Stefan: Lenau Rezeption in Bulgarien, Lenau-Forum 2, Folge 3-4, 1970 7 bulgarischen Dichtern und Schriftstellern zu einem „Treffpunkt“ verschiedener daraus resultierender Gattungen in der bulgarischen Literatur.

2. Der Lenausche Einfluss auf die bulgarische Moderne

2.1. Rezeption Lenaus in den Werken Pen čo Slavejkovs

Obwohl die lyrische Welt Lenaus bereits weit über die Grenzen Österreichs bekannt war, begegnete ihr die bulgarische Literatur erstmals durch die Übersetzung des Gedichtes „Warnung und Wunsch“ im Jahr 1889. Dieses Gedicht wurde in der Zeitschrift „ Lista za četene“ veröffentlicht. Der Übersetzer dieses Lenauschen Gedichtes hatte nur mit seinen Initialen unterschrieben, daher ist es leider nicht möglich, seine Identität und den eventuellen Bezug zum österreichischen Dichter vertiefend zu verfolgen. Wesentlich ist jedoch die Tatsache, dass die oben erwähnte erste Übersetzung von einem Schriftstück Lenaus kein nachhaltiges Interesse in der bulgarischen Literaturgesellschaft hervorrief.

Lenau wurde erst durch die literarische Tätigkeit Pen čo Slavejkovs (1866-1912) interessant für die bulgarische Kunst. Pen čo Slavejkov war der Sohn des berühmten bulgarischen Dichters und Schriftstellers- Petko Ra čov Slavejkov. P.R. Slavejkov hatte es seinem Sohn ermöglicht, in Deutschland (Leipzig) ein Studium der Slawistik und Philosophie zu absolvieren. Diese Studienzeit war für den jungen bulgarischen Dichter sehr ausschlaggebend für seine zukünftige literarische Entwicklung, weil er in dieser Zeit seine wichtigsten persönlichen Vorbilder festlegte. P.P.Slavejkov betonte selbst in seinen autobiographischen Werken, dass für ihn Goethe sein „Erzieher“ und „Erlöser“ war und bekannte sich somit als eine Art Nachfolger des berühmten deutschen Dichters, obwohl er zugleich die Tatsache unterstrich, dass der Lernprozess bei Goethe schwer sei.

P.P. Slavejkov übersetzte viele Werke aus der Deutschen Lyrik in der Zeitschrift „Mis ăl“ und später fasste diese in einen Band, der den Titel „Deutsche Dichter“ trug, zusammen. Die erste Begegnung des jungen Slavejkovs mit der Literatur Lenaus fand nicht zuletzt aufgrund der psychischen Ähnlichkeit beider Dichter statt. Slavejkov war selbst ein Dichter, der sehr emotional war, der stark nach Bestätigung für das eigene „Ich“ suchte und der über ein hohes Maß an dichterischer Schlagfertigkeit verfügte. Slavejkov suchte das Neue, schuf

8 Raum für neue Tendenzen und Ideen in den ersten Stunden der bulgarischen modernen Literatur. Nikolaus Lenau (1802-1850) war ein österreichischer Dichter, der, wahrscheinlich unter Anderem aufgrund seines schwierigen Lebens, sehr stark zur Melancholie neigte und sich als ein Nihilist in der eigenen Lyrik präsentierte, war eine Art Geistesverwandter für den jungen Slavejkov. Der Bulgare übersetzte mit großem Eifer ganze sieben Gedichte Lenaus: „Bitte“, „Aus“, „Herbst“, „Das Mondlicht“, „Die drei Zigeuner“, „Der schwere Abend“, „An den Tod“. Alle diese Gedichte wurden in der bulgarischen Zeitschrift „Mis ăl“ übersetzt. Veröffentlich wurden sie dort im Jahr 1902, Heft 10. Im Jahr 1911 wurden die Übersetzungen dann im Band „Deutsche Dichter“ erfasst.

Nicht nur Lenaus Lyrik als Übersetzungsinspirationsquelle begeisterte Pen čo Slavejkov. Er schrieb für Lenau eine Skizze, die klar und deutlich den Bezug zum österreichischen Dichter hervorhob:

„Wenn Lenau und nicht da wären, dann wüsste man von den österreichischen Dichtern fast gar nichts… Lenau wird besonders den jungen Menschen gut gefallen, wie mir seinerzeit, mit seiner Melancholie und mit der zauberhaften Musikalität der Dichtung. Dieser ewige Unruhige, der in der melancholischen ungarischen Pussta geboren wurde, hat die Melancholie in Worte verkörpert.

Seine Landschaftsbilder gehören zu den allerschönsten in der ganzen deutschen Lyrik und genau durch diese Bilder hat Lenau wahrscheinlich seinen künstlerischen Ausdruck gefunden. Nicht nur eines seiner Lieder ist eine wahre Perle… Sie widerspiegelt die Farben und die Bewegungen der äußeren Welt, nur mit einer unbeschreiblichen Stille und Melancholie. Als Kinder des Schmerzes, können Lenaus Lieder von niemandem als unehrlich verdächtigt werden. Die Melancholie ist immer verdächtig, besonders bei den jungen verliebten Menschen, mit denen die Liebe zu spielen scheint, mit ihrer Blässe, mit dem Ausdruck ihres Blickes… In jener Zeit, als Lenau lebte, war die Melancholie eine Mode- Erscheinung. Aber sein eigenes Leben, so poetisch und beleuchtet, vor dem Sonnenuntergang, von der Lieber seiner Auserwählten, Sophie Löwenthal , wirft noch einen poetischen Schatten auf seine traurige Perlen… Die Melancholie in Lenaus Leben ist auch eines seiner Lieder. Und wer sie kennt, wird für immer auch die anderen Lieder dieses Armseligen lieben. Die Melancholie

9 macht sie auch schön und bringt uns, die von der Freude des Lebens durchströmten, dazu, zu fühlen und in die besondere Schönheit dieser Perlen zu durchdringen.“ 3

Diese Skizze ist ein Zeugnis dafür, dass P.P.Slavejkov eine starke Sympathie für Lenau und seine Gedichte empfand. Die Wahl der ins Bulgarische übersetzten Werke zeigt ebenfalls, dass die Aufmerksamkeit des bulgarischen Dichters sich der Melancholie ganz stark widmete. Der Tod als Leitmotiv wurde durch die Lenauschen Übersetzungen ebenso zur Geltung gebracht. Die Sehnsucht des lyrischen „Ich“ nach dem errettenden Tod ist in den verschiedenen Werken zu diesem Thema unterschiedlich stark. Was wir als Leser bei den Übersetzungsvariationen Slavejkovs beobachten, ist, dass der Bulgare zwar den Gesamtsinn der Originalwerke Lenaus einhielt, jedoch einige Änderungen im Bezug auf den Rhythmus und auf die Reime, sowie auf die bildlichen Darstellungen vornahm. Ein solches Beispiel kann in der Übersetzung von Lenaus Gedicht „Aus!“ beobachtet werden:

„Hab aus den Augen mir gewaschen Mit Tränen scharf den letzten Traum…“

Vs.

„Че нито блян , дори ни сянка , От блян в душата ми не остана “.

Bei der Übersetzung bemerke ich, dass Slavejkov die Strophen relativ frei übersetzt hat. Es sind zwar alle Elemente des Originals vorhanden, jedoch hat der Bulgare die Position des Subjektes gedreht und somit den Akzent von der Handlung des lyrischen Subjekts auf das Element „Traum“ und „Schatten“ versetzt. Lenaus „Ich“ in dem Gedicht ist melancholisch und nimmt die Hoffnungslosigkeit aktiv hin, umso mehr, es zerstört aus eigener Kraft den letzten Traum. Slavejkovs lyrisches Subjekt ist zwar anwesend, jedoch total passiv in dieser Situation.

In Slavejkovs Übersetzung von Lenaus Gedicht „Herbst“ ist ein weiteres wichtiges Element feststellbar, das vom Original abweicht- Slavejkovs „Ich“ empfindet Heimweh:

3 Pen čo Slavejkov, S ăč inenija v osem toma. Tom 7: Prevodi, „B ălgarski pisatel“, Sofia, 1959, S.160-161 10 „А пък аз ни пролет , ни май Не видях , далеч от роден край .“

Vs.

„Den Lenz, und seine Nachtigallen Versäumt ich auf der wüsten See.“

Bei der Übersetzung des Gedichtes „An den Tod“ hat es P.P. Slavejkov sichtlich geschafft, die Atmosphäre des Originals genau weiterzugeben und auch im Bezug auf den Klang der Dichtung, die ursprüngliche Melodie zu bewahren:

„…Brich ihn schnell, nicht langsam wühle, Deinen Sänger lass entschweben, Düngen nicht das Feld dem Leben Mit der Asche der Gefühle…“

Vs.

„... Не се бави , недей ти на света Певеца твой оставя на несгода И не тори полето на живота На чувствата му с пепелта ...“

Im Jahr 1892 entstand eines der wichtigsten Werke Slavejkovs im Bezug auf Nikolaus Lenau- „Uspokoenij“ („Der Beruhigte“). Dieses Poem widmete Slavejkov dem jungen, unglücklichen österreichischen Dichter. Das Werk begann der Autor mit einem Epigraph, das zugleich das Hauptmotiv zeichnet:

„Morremo. Arcano e tutto Four che il nostro dolor…“ Leopardi

11 Der bulgarische Dichter empfand eine hohe Empathie für Lenau und sein Schicksal. Er zeichnete ein lebendiges Bild von Lenaus tragischer Liebe und von der Kunst, die sich zwischen Genie und Wahnsinn bewegte. Slavejkovs Bilder von Nikolaus Lenau scheinen sehr echt und werfen das Licht auf einige Wesensmerkmale des Romantikers. Lenau, der einst an die Liebe und an die Kunst geglaubt hatte, wurde betrogen. Das Leid glich einem Riesenmeer und er war ein Teil davon. Lenau sah und erkannte, dass er nichts sah und nichts erkannte, weil er in Wahrheit nicht die Welt besang und betrauerte, sondern „sein eigenes, von Gott getötetes Bewusstsein“. Wir sehen und hören das Auslachen über die menschliche Erkenntnis, die so hilflos mehr und mehr danach strebt, über Raum und Zeit ihre Grenzen auszubreiten. Es scheint, dass sich Slavejkov bei dem Poem „Uspokoenija“ mit dem Hauptproblem von Immanuel Kants Poetik beschäftigte. In dem Poem sieht sich Lenau als ein lebendiges Häufchen Elend, als eine Tragödie aus Fleisch und Blut des menschlichen Bewusstseins, kurz gesagt, als ein Groteskbild Prometheus’. Weil das erweckte menschliche Bewusstsein und die Erkenntnis wurde, anstatt zu einer Quelle sprudelnder Freude nur ein düsterer See „trostloser Trauer“, die „die helle Begeisterung“ tötete. Das lyrische Subjekt erkannte die Vergänglichkeit und Sinnlosigkeit des menschlichen Weges auf dieser Erde. Diese Philosophie des Pessimismus erreichte ihren Höhepunkt in der Frage: „Es wird ein Ende kommen, nur wann, mein Gott? ...“ und in dem folgendermaßen vermittelten Bild: „ Ich bin ein Toter, den man rein zufällig zu begraben vergaß…“. Durch diesen Pessimismus lebte Slavejkov volles Herzen den Antagonismus zwischen Leib und Seele. Dieser Pessimismus, der Hoffnungslosigkeit findet einen einzigen Ausweg- den Weg in den Tod, der sich wie ein helles Tor vor dem Künstler öffnet, um ihn mit geborgener Wärme zu umschlingen. Es gibt absolut nichts, was für das lyrische „Ich“ mächtiger und ersehnter erscheint als das ewige „Nichts“, der transzendente Sprung über die „Schellen“ des Menschlichen vergehenden Seins. Der bulgarische Dichter schuf in seinem Lenau gewidmeten Poem ein lebendiges, glaubhaftes Dichterbild des österreichschen Künstlers, wobei er sich auf den geistigen Zustand Lenaus konzentrierte.

2.2 Rezeption Lenaus in der Lyrik von P.K. Javorov

Die Lyrik Pen čo Slavejkovs und ganz besonders das Gedicht „Uspokoenija“ waren ein wichtiges Vorbild für den Dichter Peju Kra čolov Javorov. Gewisse Elemente dieses Gedichtes traten später in der eigenen Lyrik des jungen bulgarischen Dichters auf. Es ist sehr wichtig, beim Umgang mit der Lenauschen Rezeption in der Lyrik Javorovs, sich vor der

12 Sprachbarriere in Acht zu nehmen. Während P.P. Slavejkov der deutschen Sprache auf einem außergewöhnlich hohen Niveau mächtig war, beherrschte Javorov Französisch und verwendete für seine Lenausche Übersetzung meistens Sekundärtexte. Dies ist selbstverständlich kein Grund für eine „Minimierung“ des Lenauschen Einflusses auf die Lyrik von Pejo Javorov, aber es ist ein Grund, warum dieser Einfluss indirekt wird, da er eine fremde Interpretation durchlaufen hatte, bevor das lyrische Werk vom bulgarischen Lyriker betrachtet worden ist. Aus diesem Grund werde ich mich im weiteren Verlauf dieser Arbeit auf die von Javorov geschriebene Übersetzung von „Winternacht“ konzentrieren. Ebenso wichtig zu erwähnen ist die psychologische Ähnlichkeit zwischen den beiden Dichtern und ihre gemeinsame Interessen für das Heldenhafte und zugleich für das Leben der einfachen Menschen sowie für die Überstufen der Erkenntnis, die durch die Kunst erreicht werden sollten. Diese Gemeinsamkeiten sprechen bei Lenau und Javorov bereits für einen fast direkten Einfluss des Österreichers auf den bulgarischen Dichter. Der Einfluss ist besonders deutlich in jenem Teil von Javorovs Lyrik, der direkt mit der romantischen Poetik und Ästhetik verbunden ist.

2.3 Der Lenausche Einfluss auf die Lyrik von Nikolaj Liliev

Nikolaj Liliev (Nikolaj Mihajlov Popivanov), der im Jahr 1885 geboren wurde, gehörte bereits jener Generation bulgarischer Lyriker an, die bereits von der früheren literarischen Generation (der von P. P. Slavejkov und großteils auch P. Javorov) eine vollkommen entwickelte literarische Tradition bekommen hatten. Ein ganz wichtiger Teil dieser literarischen Tradition war das Interesse für „fremde“, nicht aus Bulgarien stammende Dichter, wobei dieses ausgeprägte Interesse nicht auf bloße Nachahmung von Motiven und Ideen basierte. Die ausländische Literatur diente als eine Art Inspirationsquelle für einige bulgarischen Dichter, die gekonnt Motive aus der eigenen Tradition mit Elementen aus der fremdsprachigen Literatur verbanden. Durch die neu übernommenen literarischen Motive wurde die eigene Literaturtradition bereichert. Aus diesem Grund widmeten viele bulgarische Lyriker ihre Aufmerksamkeit der Übersetzungen. In einem Fragment schrieb Nikolaj Liliev folgendes: „ Чуждата култура несъмнено е упражнила някакво въздействие върху мене като човек и като поет ... Не бих казал , че е било за лошо това въздействие . Напротив , много от моите човешки качества са дошли оттам ... Във Виена и Мюнхен ми станаха по - близки поети като Хуго фон Хофманстал , Георге , Рилке ; в тях беше съчетан изразът

13 на най - изтънчените чувства и мисли със съвършенството на формата , която поне за нас , българите , можеше да бъде непостигната мечта ...“4 Dabei gab der bulgarische Dichter ganz offen und ehrlich zu, dass er von der deutschsprachigen Literatur stark beeinflusst wurde. Liliev gab den von ihm geschriebenen Übersetzungen von Originaltexten eine ganz besondere Bedeutung. Seinen Bezug dazu äußerte der Dichter folgendermaßen: „ Спомням си , че дори със стихотворенията за превод така съм постъпвал . Обикновено джобовете на дрехата ми са натъпкани с книги - оригинали и преводи - и между тях книгата , която ще се превежда . Стихотворението е написано и се знае наизуст . Изцяло съм погълнат само от това , как ще звучи на български чуждото чувство или мисъл , станали мои ...” 5

Aufgrund dieser Aussage des Dichters und Übersetzers Liliev wird deutlich, dass er nicht nur die Texte übersetzte, sondern sich wirklich in die Texte hinein lebte und bemühte, das ursprüngliche Gefühl des Originals beizubehalten und als eigene, lebendige Emotionen durch die Übersetzung weiterzugeben. Diese Übersetzungspräzision Lilievs spricht nicht nur für seine ausgezeichneten Deutschkenntnisse, sondern auch viel mehr für seine Fähigkeit, die deutschsprachige Literatur so zu transformieren, dass sie bulgarisch klingt.

Was den Einfluss von Nikolaus Lenau auf den bulgarischen Dichter betrifft, war dieser großteils Folge der Charakterähnlichkeiten zwischen beiden Lyrikern. Beide verfügten über eine ausgesprochen ausgeprägte Sensibilität, auch wenn diese nicht immer durch gleiche Voraussetzungen bedingt war. Beide Dichter waren stark verbunden durch ihr „Verschließen“ des „Ich“ in die Natur aufgrund des angeborenen Weltschmerzes und der unerklärbaren Melancholie in dieser Welt. In ihrer Lyrik diente die Natur als verkörperndes Element für den eigenen psychischen Zustand. Dabei trat sowohl in Lenaus, als auch in Lilievs Lyrik folgender Widerspruch auf: beide ersehnten in ihren Werken einerseits das Wandern in die Ferne, die ewige Bewegung und Flucht von der Realität und andererseits den Ort, die Heimat, wo sie ewige Ruhe finden können, also, das Transzendente. Im Gegensatz zu Lenau, war Liliev nicht objektiv gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Durch sein Studium im Ausland jedoch und durch seine spätere Tätigkeit im diplomatischen Dienst im Ausland empfand auch der bulgarische Dichter oft eine starke Nostalgie für die Heimat, die in seinen Werken Ausdruck fand.

4 Liliev, Nikolaj: Poezija, Sofia 1968, S.17-18 5 Ebenda 14

2.4 Teodor Trajanov und sein Interesse für die Lyrik Lenaus Nach P.P. Slavejkov beschäftigte sich Teodor Vasilev Trajanov (1882-1945) mit der Persönlichkeit und dem künstlerischen Leben Lenaus in seiner literarischen Entwicklung. Bevor ich jedoch meine Aufmerksamkeit auf dieses für die Arbeit relevante Problem richte, möchte ich einen kurzen Überblick über die Person Trajanovs verschaffen, weil dieser Dichter wohl der wichtigste Vertreter des bulgarischen Symbolismus ist und in Folge dessen mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet wird.

Trajanov hatte die Möglichkeit, zwischen 1901-1908 an der Technischen Universität Wien zu studieren und dieser Aufenthalt in Wien brachte ihm sehr viel im Bezug auf seine zukünftige literarische Orientierung und auf die Formierung seiner künstlerischen Ansichten. Während der Zeit seines Studiums lernte der bulgarische Dichter diverse Werke von deutschsprachigen Philosophen kennen- Hegel, Fichte, Nietzsche etc. Darüber hinaus begegnete der Bulgare ebenso romantischer und neoromantischer deutschsprachiger Literatur, die seine weitere Entwicklung mitprägten. Später gehörte Trajanov dem Kreis der Wiener Boheme an und nahm Kontakt mit Rilke, Schnitzler, H. v. Hofmannsthal, Bahr etc. auf. Diese Begegnungen hinterließen in der darauf folgenden Lyrik Trajanovs bleibende Spuren. Trajanov wurde zu dem wohl konsequentesten Symbolisten der bulgarischen Literatur, der von vielen Literaturkritikern als Impulsgeber des bulgarischen Symbolismus bezeichnet wurde 6. Ich möchte behaupten, dass ausgerechnet der Einfluss der deutschen und österreichischen Philosophie und Lyrik der wichtigste Grund war, warum Teodor Trajanov in seinen Werken die symbolische Poetik als hundertprozentige rationelle Entscheinung lebte. Gesucht wurde von dem Dichter dabei das Transzendentale, das Mystische, was den Triumph des „Ich“ über die Vergänglichkeit des Menschlichen über Raum und Zeit zelebrierte. Und genau in dieser Richtung bewegte sich Trajanovs Interesse für die Persönlichkeit Nikolaus’ Lenaus. Der bulgarische Dichter widmete dem tragischen Vorbild aus der österreichischen Romantik eine seiner schönsten Dichtungen, die in dem Sammelwerk „Panteon“ erschien- „Der Triumphwagen des Wahnsinnigen“. 7

6 Das Gedicht „Nov den“ („Neuer Tag“), erschienen in der Zeitschrift „Hudožnik“, 1905, galt allgemein als der eigentliche Anfang des bulgarischen Symbolismus. 7 „ Panteon“ zeichnet den Triumph des Geistlichen, Metaphysischen, über dem Vergänglichen menschlichen Da sein. Das Werk ist eine Apologie der „Retter des Geistes“, wie zutreffend im „Wörterbuch für neue bulg. Literatur- 1978-1992“, Hemus, 1994, von C. Atanassova bemerkt wurde.

15 Diese Widmung an die Person Nikolaus Lenaus könnte wahrscheinlich nicht treffender untersucht werden als in dem Artikel von Emilia Staitscheva „Österreichische Dichter in der bulgarischen Lyrik der Moderne“, der im Jahr 1987 in der Zeitschrift „Modern “ erschien 8:

„… Zum Unterschied von Slavejkovs Dichtung ist der „Triumphwagen des Wahnbefangenen“ Trajanovs in einer strengen Form konzipiert. Das Gedicht besteht aus sechs Achtzeilern in sechsfüßigem Jambus mit einer Zäsur inmitten des Verses und Kreuzreimen. Die Gestaltung knüpft also gattungsgeschichtlich nicht an die Mischgattung der Lenauschen Epen an, wie es bei Slavejkov der Fall war. Im Zuge der durch Trajanov weitergeführten Subjektivierung in der Kunst ist die dritte Person des Slavejkovschen Gedichtes zur ersten geworden. Der Akzent wird auf das „Ich“ gelegt, was auch die Monologform bedingt, in der- wiederum zum Unterschied von Slavejkov- die Dichtung durchgehend verfasst ist. Sowohl Slavejkov als auch Trajanov lesen dem Werk Lenaus die Charakteristika der Persönlichkeit Lenau ab. Während bei Trajanov das künstlerische Werk allein zum Ausdruck des Ich wird, führt Slavejkov auch biografische Momente ein und trennt sich somit nicht völlig von der realen Person.“ 9 Die Autorin des Artikels durchleuchtete somit die wichtigsten Diskrepanzpunkte zwischen dem Bezug Slavejkovs und Trajanovs Lyrik auf die Person und Lyrik Lenaus und konzentrierte sich darüber hinaus in ihrem Artikel auf die Besonderheiten des Porträtgedichts „Der Triumphwagen des Wahnsinnigen“:

„… Mit seinem Porträtgedicht… übernahm Teodor Trajanov grundsätzlich Slavejkovs Lenau- Rezeption; indem er sie jedoch thematisch mit der Orientierung auf die Epen „“ und „Faust“ erweiterte, knüpfte er direkt übernational an die europäische und besonders an die deutsche und österreichische Rezeption des Dichters an. Dies ist insofern erwähnenswert, da die Epen bis heute keinen Übersetzer ins Bulgarische gefunden haben. Schon mit den ersten Versen trifft Trajanov die Schicksalsproblematik bei Lenau, indem er seinen Helden die Frage stellen lässt, wer „die besessenen Hengste seines Triumphwagens“, „die wilden Hengste des düsteren Schicksals“ aufgehalten habe.

8 Modern Austrian Literature 30, 3-4, Special Issue: „ in Literature“, S.71-74. 9 Staitscheva, Emilia: Österreichische Dichter in der bulgarischen Dichter der Moderne, Zeitschrift „Modern Austrian Literature“ 30, 3-4, Special Issue: „Austria in Literature“, S.71-74.

16 Die Werke, auf die Trajanov seine Dichtung aufbaut, sind Lenaus Epen „Don Juan“ und „Faust“. Der Trajanovsche Lenau ruft in seiner eigenen Brust Don Juan und Faust an, sie sollen dem Triumphwagen nachjagen und den Tod, „den schrecklichen Feind der Erde“, treiben… Don Juan und Faust sind im Bewusstsein Lenaus dadurch differenziert, dass das erste Sinnbild des Herzens wird, der zweite die Seele symbolisiert. Trajanov konstruiert die Rezeption von etwas Rezipiertem. Denn es geht im Grunde um seine Ausnahme der Konkretisierung, welche die „ewigen Gestalten“ Don Juan und Faust bei Lenau gefunden haben. Lenaus Don Juan in der Vision Trajanovs findet trotz des Chaos, das im mitternächtlichen Dunkel aufklaffen wird, die Lösung seiner Liebessehnsucht in der „ewigen Trauer“, im Tod. Der Bezug zum Slavejkovs „ Zur Ruhe Gekommenen“ liegt auf der Hand. Trajanov lässt Lenau, Faust von Don Juan, als seinen Zwillingsbruder anreden. Mit Faust wird neben dem Leben- und- Tod- Thema das immer wieder in der Lenau- Forschung diskutierte Freiheitsthema aufgenommen. Trajanov streift die Religionskritik Lenaus. Die Freiheit zu erreichen, setzt voraus, sich gegen Gott aufzubäumen. Wenn Faust im gleichnamigen Lenauschen Epos die Bibel ins Feuer wirft, soll er hier das Siegel Gottes von seinem Mund nehmen. Im Zusammenhang mit der Freiheit lässt Trajanov das Schlüsselwort „Wahnsinn“ fallen. Die erreichte Freiheit ist gleich Wahnsinn…Das Schicksal ist vom Tod bestimmt…“ 10 Emilia Stajtscheva schuf mit ihrer Forschung über „Triumphwagen des Wahnsinnigen“ im Vergleich zu Slavejkovs Werk einen genialen Überblick auf die Perspektive, von der die Persönlichkeit Lenaus als Inspirationsquelle betrachtet wurde. Eine der wahrscheinlich wichtigsten Synthesen der Vergleichsanalyse war, dass bei Trajanov der von beiden Autoren mit dem lyrischen „Ich“ verbundene einen Schritt weiterging und somit den Tod als eines der wichtigsten Symbole der bulgarischen Kunst festlegte- die Freiheit als Folge des Todes. Schmerz, Tod und Freiheit bilden somit einen ewigen Kreis, der den bulgarischen Symbolismus stark auch in weiterer Folge prägte.

10 Ebenda. 17 2.5. Venceslav Konstantinov und seine Übersetzungstätigkeit im Bezug auf Lenau

Konstantinow wurde als Sohn eines Musikprofessors am 14.09.1940 in Sofia geboren. Er studierte Germanistik und Philosophie und machte eine Dissertation über Einwirkungen des deutschen literarischen Expressionismus auf die bulgarische Dichtkunst der Zwischenkriegszeit. Seit 1987 war er Lehrbeauftragter für Übersetzung deutschsprachiger Dichtung an der Universität Sofia.

1991-1992 hielt sich Konstantinow in Berlin im Rahmen des Berliner Künstlerprogramms des DAAD auf. 1993-1994 verbrachte er in SUNY Geneseo, New York. Konstantinow hatte Gastvorträge und Konferenzteilnahmen in Berlin, Leipzig, Marburg, Wien, Prag, Bern, Zürich, und Lausanne.

Er veröffentlichte Aufsätze und Hörfunkbeiträge zur deutschen, österreichischen, schweizerischen und bulgarischen Literatur sowie Publikationen über , Goethe, Schiller, Hölderlin, E.T.A. Hoffmann, Nikolaus Lenau, , , , , , , Öden von Horvath, , , Friedrich Dürrenmatt, Heinrich Böll, Alfred Andersch, , Hans Magnus Enzensberger und, Christoph Meckel.

Konstantinow lebt in Sofia und dem Dorf Solischta im Rhodopen-Gebirge als freischaffender Schriftsteller und Übersetzer. 11

Der Grund, warum ich meine Aufmerksamkeit auch auf die Übersetzung von diesem jungeren Lenauschen Übersetzer in der bulgarischen Literatur widmen möchte, ist die Tatsache, dass Konstantinow einerseits, wie aus seiner Biographie ersichtlich, die deutsche Sprache perfekt beherrscht und andererseits ein starkes Interesse für die Lyrik Lenaus äußert. Er übersetzte eines der wichtigsten Gedichte in der gesamten Lyrik Lenaus, auf dessen Übersetzungsanalyse ich mich in weiterer Folge im letzten Kapitel konzentrieren möchte- „An meine Gitarre“.

11 http://de.wikipedia.org/wiki/Wenzeslaw_Konstantinow 18 Im folgenden Kapitel werde ich die Problematik der Symbolik in den Übersetzungen von Originalwerken Lenaus näher betrachten um feststellen zu können, welche Elemente der Lyrik dieses Genies tatsächlich in ewige Symbole mit übergeordneter Bedeutung von den bulgarischen Dichtern umgewandelt wurden.

3. Vergleichende Textanalyse von Originalwerken Lenaus mit ihren bulgarischen Übersetzungen

3.1. Analysen der Übersetzungen von Pen čo Petkov Slavejkov

3.1.1. „Bitte“

Bitte

Weil auf mir du dunkles Auge, Übe deine ganze Macht, Ernste, milde, träumerische, Unergründlich süße Nacht!

Nimm mit deinem Zauberdunkel Diese Welt von hinnen mir, Dass du über meinem Leben Einsam schwebest für und für. 12

Молба

Спри над мене тъмен поглед И всичката си дивна мощ , Ти таинствена и кротка , И вълшебна тиха нощ .

12 Lenau, Nikolaus: Gedichte. Bibliographisch ergänzte Ausgabe, 2005, S. 27 19 Пребули и скрий пред мене Тоя свят во свойта тма , Остани да бдиш и владиш Над живота ми сам a.13

Übersetzung des Sekundärtextes

Bitte

Halte über mich den dunklen Blick Und deine ganze zauberhafte Macht, du geheimnisvolle und zahme und zauberhafte stille Nacht.

Umhülle und verstecke vor mir Diese Welt in deiner Dunkelheit. Bleibe, um zu wachen und zu herrschen Über meinem Leben ganz allein.

Diese zwei Texte sind ein sehr deutlicher Beweis dafür, dass Lenau in seinem Werk seine Sensibilität ganz in Richtung Romantik und romantische Motive wendet, während P.Slavejkov bereits zu einer sehr starken Symbolisierung der Darstellung neigt. Die erste Zeile des Gedichtes beginnt bei Lenau mit den Worten:

Weil auf mir, du dunkles Auge…

Er wendet sich an die Nacht und bezeichnet sie als „dunkles Auge“. Diese Wendung ist sehr bildhaft und typisch für die Zeit der Romantik. Bei P. Slavejkovs Übersetzung hingegen beginnt die erste Strophe mit der Zeile:

Halte über mich den dunklen Blick…

13 Slavejkov, Pen čo: S ăbrani s ăč inenija v osem toma. Tom 7, Sofia 1959, S. 161 20 Bereits in dieser ersten Zeile ist eine Tendenz zur Symbolisierung der Nacht festzustellen. Der dunkle Blick, nach dem sich das lyrische „Ich“ sehnt, ist nicht identisch mit dem eher passiven Bild des Weilens, das durch den Originaltext vermittelt wird. Die Nacht in P. Slavejkovs Text ist im wahrsten Sinne des Wortes lebendig. Slavejkov beginnt die Übersetzung mit einem dynamischen, emotionsgeladenen Bild, bei dem die Nacht als aktives Subjekt handelt. Das „Ich“ konzentriert sich nicht auf das Weilende, Ruhende. In der zweiten Zeile des Gedichtes folgt ebenso eine leichte Diskrepanz zwischen Original und Übersetzung. Während Lenaus lyrisches Subjekt die Macht der Nacht konstant ersehnt, ist die zweite Zeile in Slavejkovs Übersetzung eher eine Fortsetzung des ersten Satzes im Gedicht. Die Nacht soll auf das „Ich“ nicht nur kurz ihren dunklen Blick anhalten, sondern auch ihre ganze zauberhafte Macht ganz bewusst und aktiv auf es richten. Slavejkov dreht den Winkel der Betrachtung von ruhend und konstant zu einer dynamischen Dichtung, in der viele Symbole festzustellen sind und schafft zugleich eine sehr lebendige, zauberhafte Atmosphäre. Lenau bezeichnet die Nacht als „träumerisch“ und „mild“. Der Leser bekommt durch diese Beschreibung ein Bild voll Frieden vermittelt. Eine andere Hintergrundsbotschaft liest man durch die Beschreibung von Pen čo Slavejkov. Er wendet sich erneut an die Nacht mit der direkten Ansprache „du“ und den darauf folgenden „geheimnisvolle, zahme und zauberhafte stille Nacht“. Diese Beschreibung unterscheidet sich stark von Lenaus Original. Während Lenau eine zarte und romantische Darstellung der Nacht liefert, schafft Slavejkov durch seine Beschreibung ein Bild einer lebendigen Gestalt, in der auch Gegensätze vereint werden können. Die Nacht ist zugleich geheimnisvoll und zahm, noch dazu ist sie zauberhaft. Diese Beschreibungen bilden eine diabolische Einheit. Das Geheimnisvolle trägt in sich zugleich das Unbekannte, das immer mit etwas Gefährlichem und Unergründlichem verbunden ist. Die Zahmheit hingegen, die das lyrische „Ich“ in der nächtlichen Gestalt entdeckt, ist eine sehr konträre Eigenschaft, die viel Ruhe und zugleich bewusste Unterordnung mit sich bringt. Daher kann man hier von einer diabolischen Vereinigung sprechen. Die zweite Strophe im Originaltext mit dem bildhaften Appell:

Nimm mit deinem Zauberdunkel Diese Welt von hinnen mir…

Das ist nicht nur ein Appell, sondern fast ein Schrei nach Befreiung. Der Romantiker sieht, fühlt und ersehnt nichts als die nächtliche Ruhe und Geborgenheit. Das „Ich“ in der Übersetzung von Pen čo Slavejkov sucht eine ähnliche Geborgenheit in dem Bild der Nacht.

21 Es kommen bei der Übersetzung jedoch drei wichtige Motive vor, die für eine Symbolisierung sprechen und auf die ich meine Aufmerksamkeit detaillierter wenden möchte. Das erste Motiv ist das Motiv des Umhüllens. Das lyrische „Ich“ wendet sich an die Nacht mit den Worten:

Umhülle und verstecke vor mir Diese Welt in deiner Dunkelheit.

Das Umhüllen ist mit einer starken Mystifikation verbunden. Dieses Motiv deutet auf einen mystischen Aspekt hin, der bereits in der bulgarischen Folklore zu finden ist. Das Umhüllen der Braut hat in vielen bulgarischen Werken die Bedeutung einer Trennung. Es handelt sich dabei um eine Trennung von dem Zuhause, von allem Vertrauten. Und genau so eine Trennung von der äußeren, bekannten Welt ersehnt das „Ich“ in Slavejkovs Text. Es stellt sich als eine „Braut“ der Nacht dar, die sich der Nacht total hingibt. Das lebendige Subjekt „Nacht“ soll, gleich wie ein Bräutigam über seine Braut wacht, über das Leben der lyrischen Person gleichzeitig wachen und herrschen. Bei diesem Motiv ist erneut eine Diabolisierung festzustellen. Diese Vereinigung von ursprünglich konträren Eigenschaften oder Taten spricht stark für die Tendenz der Symbolisierung, bei der schon der Diabolismus eine große Rolle spielt.

3.1.2. „An den Tod“

An den Tod

Wenn’s mir einst im Herzen modert, Wenn der Dichtkunst kühne Flammen, Und der liebe Brand verlodert, Tod, dann brich den Leib zusammen!

Brich ihn schnell, nicht langsam wühle, Deinen Sänger lass entschweben, Düngen nicht das Feld dem Leben

22 Mit der Asche der Gefühle. 14

На смъртта

Сърцето ми когато се смрази И пламъка на мойте смели песни , И огъня на любовта изчезне - О, смърт , тогава ти ме порази .

Не се бави , недей ти на света Певеца твой оставя на несгода И не тори полето на живота На чувствата му с пепелта .15

Übersetzung des Sekundärtextes

An den Tod

Mein Herz, sobald es erfriert, und die Flamme meiner tapferen Lieder und das Feuer der Liebe erlöscht- Ach Tod, dann schlage mich nieder.

Weile nicht, lasse nicht auf der Welt Deinen Sänger in der Not Und dünge nicht das Feld des Lebens Mit der Asche seiner Gefühle.

Diese Übersetzungsvariante von P.P. Slavejkov unterscheidet sich eher wage von dem Primärtext Lenaus. Bei dieser Übersetzung beobachtet man erstens den Rheimunterschied. Während Lenau das Schema ABAB für seine Dichtung gewählt hat, hat sich Pen čo Slavejkov für die Variante ABBA entschieden, was zu einem leichten Unterschied im Klang des

14 Lenau, Nikolaus: Gedichte. Erweiterte und ergänzte Ausgabe, Reclam, Stuttgart 2005, S. 77 15 Slavejkov, P.: S ăbrani s ăč inenija v osem toma. Tom 7: Prevodi. Sofia 1959, S. 162 23 Gedichtes geführt hat. Dieser Formunterschied führt aber nicht zu einem Sinnesunterschied. Trotzdem möchte ich die beiden Werke im Detail analysieren und ihre Besonderheiten herausstreichen, um festzustellen, ob es bei der Sekundärvariante zu einer Symbolisierung gekommen ist oder nicht.

Lenau beginnt die erste Reihe seines Gedichtes mit den Worten:

Wenn’s mir einst im Herzen modert…

Diese Beschreibung des psychischen Zustandes des lyrischen Subjektes zeigt bildhaft einen langsamen, schleichenden Verfall der Gefühle. Dass der Dichter genau das Wort „modert“ ausgewählt hat, um den Grad der Hoffnungslosigkeit, die erreicht werden muss, zu beschreiben, setzt automatisch ein langsames, quälendes Leiden voraus. Slavejkov hingegen übersetzt diese Zeile mit einem anders nuancierten Sinn:

Mein Herz, sobald es erfriert…

Bereits in dieser ersten Zeile des Gedichtes bemerke ich, dass Slavejkov einen anderen Zugang zur emotionalen Welt seines lyrischen Subjektes hat als Lenau und ein anderes Ziel als der österreichische Dichter verfolgt. Lenaus lyrisches „Ich“ möchte dann vom Tod erreicht werden, sobald sein Herz zu modern beginnt, sprich, sobald sein psychisches Gleichgewicht außer Kontrolle gebracht wird. Es sind aber trotzdem die Gefühle im Herzen des Subjektes vorhanden, Gefühle der Verzweiflung, vielleicht der Enttäuschung. Aber das Herz ist nicht tot, es verfault langsam unter dem Druck der Traurigkeit. Das lyrische „Ich“ ergibt sich bewusst diesem Leiden und möchte, als einziger Ausweg, durch den Tod errettet werden. Dieses Motiv ist typisch für den Romantismus, wo der Tod als erlösender Helfer gesehen wird in der Welt, die vom tiefsten Herzensschmerz dominiert wird. Der Romantiker ahnt das kommende Leiden und will bewusst mit dem Schmerz in seinem Herzen vom Tode erlöst werden. Slavejkovs lyrisches „Ich“ hingegen spricht definitiv darüber, dass es sich dann für den Tod entscheiden will, sobald sein Herz erfroren ist. Das Motiv des Erfrierens, der inneren Kälte, ist ganz typisch für den Frühsymbolismus, der von der sog. Lunaren Welt dominiert wird.

24 Diese Lunare Welt steht unter dem Zeichen einer statischen Analytik, Reflexivität und Negativität. 16

Die Tatsache, dass das lyrische Subjekt solange wartet, bis es bereit ist, den Tod anzunehmen, bedeutet, dass es in der Rolle eines Betrachters von sich selbst den Prozess des Erfrierens beobachtet und durch die Negation des innerlichen Sterbens des Herzens, also, der künstlerischen Inspiration, zu einer höheren Stufe der inneren Befriedigung gebracht wird. Der Übersetzer Slavejkov hat in der zweiten Zeile des Gedichtes noch einen weiteren Schritt zur radikalen Darstellung des inneren Konfliktes und der innerlichen Zerstörung seines lyrischen „Ich“ erreicht, indem er die von Lenau im Original beschriebene „Dichtkunst“ nicht als solche übersetzt hat, sondern als „tapfere Lieder“, deren Flamme erlischt. Hierbei trifft man auf drei wichtige Motive für den Symbolismus in der bulgarischen Literatur. Die Flamme, die in der Übersetzung nicht als „kühne Flammen“ beschrieben wurde, sondern einfach als „die Flamme meiner tapferen Lieder“, ist eines der wichtigsten Symbole in der gesamten literarischen Kunst in Bulgarien in den Anfängen der Moderne. Die Flamme ist ein Symbol erstens für die Erkenntnis. Diese Erkenntnis kann noch auf die Urwurzeln der Mythologie zurückgeführt werden. Prometheus hat durch die Flamme die Erkenntnis in die Welt gebracht. Daher ist die Flamme ein Symbol für das Wissen, für die Weiterentwicklung und indirekt für das Leben. Da ein Individuum, das künstlerische Begabung hat, ohne die innere Flamme nicht im Stande ist, neue künstlerische Welten zu erschaffen, egal ob durch seine Musik oder Wort, bedeutet das Verschwinden, also, das Erlöschen der Flamme oder der Muse, einen definitiven Tod für das Herz des Künstlers. Slavejkov übersetzte das Wort „Dichtkunst“ bestimmt bewusst als „tapfere Lieder“, weil das Lied ebenfalls ein Symbol in der bulgarischen Literatur ist. Das Lied begleitet die bulgarische Literatur als eines der Hauptmotive in allen historischen und psychologischen Umständen. Durch das Lied wird die materielle Welt überwunden, der Geist steigt durch das bewusste Erheben seiner Stimme in die metaphysische Welt, in die Transzendenz, wo das Alter ego erreicht werden kann, wo nicht vereinbare Einheiten ihre Konturen verlieren und miteinander verschmelzen, wo alle Grenzen, die von der vergänglichen, materiellen, gefallenen Welt errichtet wurden, endlich fallen können. Das Lied ist ein Symbol für die Brücke zu dieser transzendenten Welt, die von dem hochsensiblen „Ich“ des Künstlers durch seine Kunst erreicht wird. Das Erlischen der Flamme der tapferen Lieder, also der Tod der Muse in der Kunst, ist auch ein Symbol für die Erstarrung, für die Stummheit, die der Künstler empfindet, sobald sein Herz kalt ist. Dieses

16 Hansen-Löve Aage. A. Der russische Symbolismus. System und Entfaltung der poetischen Motive. 1. Band: Diabolischer Symbolismus, Wien 1989, S. 56. 25 Erstarren ist jedoch zu einem hohen Grad die Frucht einer bewussten Entscheidung des lyrischen Subjektes, nicht mehr erschaffen zu wollen. Die Lustlosigkeit, in die er sich begibt, ist ein Zustand, der auch mit dem Schicksal des Übermenschen verglichen werden kann. Der Übermensch ist dazu verurteilt, Welten zu erschaffen und seine eigenen Kreationen wieder zu zerstören, weil sie nicht der permanent wachsenden Perfektion seines Empfindens entsprechen. Das künstlerische „Ich“ in Slavejkovs Übersetzung vereint das Gefühl des Erfrierens seines Herzen mit dem Erlöschen der Flamme der Lieder, also der Kunst und setzt danach fort, dass sobald auch das Feuer der Liebe erlischt, es vom Tod ereilt werden möchte. Diese lyrische Person beschreibt ansteigend, die Stufen des innerlichen Sterbens des Seins, des Geistes und des Eros als Grundleitmotiv, bevor dann die (auf dem ersten Blick betrachtet) letzte Stufe erreicht wird, nämlich die Stufe des körperlichen Sterbens. Während im Originaltext der Tod als ein richtiger Ausweg aus dem weltlichen Schmerz gesehen wird und sehnlich gerufen wird (durch die Verwendung des Rufzeichens in der vierten Zeile), wird der Tod in der Übersetzungsvariante eher lustlos eingeladen. Diese Einladung klingt nicht wie ein Hilfeschrei. Das lyrische „Ich“ von Pen čo Slavejkov hat bereits die Stufen des innerlichen, geistigen Todes durch die Sinnlosigkeit dieser Welt und durch den Mangel an Inspiration und Liebe auf dieser Welt durchlaufen und möchte durch den körperlichen Tod seinen Geist in die geistige Welt befördern, wo es wieder auf einer höheren Ebene von der Asche wie ein Phoenix wiedergeboren werden kann, um wieder Wärme, Inspiration und Liebe zu empfinden und neue Anfänge zu erschaffen. Slavejkov übersetzt die zweite und letzte Strophe des Gedichtes Lenaus mit den Worten:

Weile nicht, lasse nicht auf der Welt Deinen Sänger in der Not Und dünge nicht das Feld des Lebens Mit der Asche seiner Gefühle.

Anstatt des Doppelappells an den Tod im Originaltext, wo die erste Zeile der letzten Strophe eine Wiederholung der letzten Zeile der ersten Strophe ist, übermittelt Slavejkov in seiner Übersetzung einen leichten Sinnesunterschied zur Hintergrundsbotschaft. Während Lenau in der zweiten Zeile schreibt:

Deinen Sänger lass entschweben

26 nennt Slavejkov ganz klar und deutlich das Hauptproblem für das lyrische Subjekt- dass der Sänger (ein Symbol für den freien, schaffenden Künstler) in dieser Welt nicht in der Lage ist, zu schaffen, weil es auf dieser Welt keinen Raum mehr für seine künstlerische Entfaltung gibt. Auf dieser Welt des Materiellen, des Vergänglichen, des Verfaulenden, kann die Kunst nicht die Maßstäbe erreichen, die in dem Raum des Transzendenten möglich sind. Daher schreibt Slavejkov in der dritten und vierten Zeile der zweiten Strophe:

Und dünge nicht das Feld des Lebens Mit der Asche seiner Gefühle.

Mit diesen Worten zeichnet das lyrische Subjekt die Sinnlosigkeit dieser menschlichen Welt. Der Künstler, der ein Wesen mit dämonischen, übermenschlichen Begabungen des Schaffens ist, kann in dieser materiellen Welt, in dem Gefängnis seines Körpers, sich nicht weiter entfalten. Selbst die Asche seiner Gefühle ist jedoch für diese Welt ein Dünger, der aber keinen Sinn hat. Der Tod soll einfach vorkommen und somit die Barriere für den Künstler, die ihm durch seine materielle Hülle gestellt wurde, brechen. Dadurch aber, dass die Kunst im transzendenten Raum lebt und dass die absolute Freiheit nach dem körperlichen Tod erreicht wird, bedeutet für das lyrische „Ich“ von Slavejkov der Tod nicht ein trauriges Ende, sondern den Übergang in die ewige Freiheit.

„Aus!“

Aus!

Ob jeder Freude seh ich schweben Den Geier bald, der sie bedroht. Was ich geliebt, gesucht im Leben, es ist verloren, oder tot.

Fortriss der Tod in seinem Grimme Von meinem Glück die letzte Spur: Das Menschenherz hat keine Stimme Im finstern Rate der Natur.

27 Ich will nicht länger töricht haschen Nach trüber Fluten hellem Schaum, Hab aus den Augen mir gewaschen Mit Tränen scharf den letzten Traum. 17

Свършено

Над всяка радост ази видех Зловещо да се вият врани ; Това , що любех и желаех , То червеите в гроба храни .

Смъртта и мойто сетнйо щастие В безжалостний си гняв отвлече , Сърцето ми не дава отзив В природата на нищо вече .

Из тъмните вълни не искам Да гребя вече светла пяна - Че нито блян , дори ни сянка От блян в душа ми не остана .18

Übersetzung des Sekundärtextes

Beendet

Über jeder Freude sah ich Grimmige, kreisende Raben; Das, was ich liebte und ersehnte, füttert die Würmer in dem Grab.

Der Tod sogar mein letztes Glück In seiner gnadenlosen Wut entführte,

17 Lenau, Nikolaus: Gedichte. Bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 2005, S. 62 18 Slavejkov, Pen čo: Izbrani sa činenija v osem toma. Tom 7, Prevodi. Sofia 1959, S. 162 28 mein Herz gibt keine Antwort in der Natur zu gar nichts mehr.

Aus den dunklen Fluten will ich nimmer Hellen Schaum herausschaufeln- Da weder Traum, noch Schatten Eines Traumes in meiner Seele blieb.

Dieses Gedicht Lenaus ist sehr bedeutsam sowohl im Original, als auch in der Übersetzungsvariante von P.P. Slavejkov.

Der erste Unterschied ist bereits bei dem Titel bemerkbar. Lenau betitelt sein Gedicht „Aus!“. Dieser Schrei ist eine tiefe Entscheidung der lyrischen Person, die sich im Laufe der Dichtung bestätigt. „Aus!“ mit dem interpunktuellen Rufzeichen bedeutet, dass ein Ende gewünscht wird, dass die Entscheidung bereits getroffen wurde, nicht weiterzumachen. Pen čo Slavejkov gibt seiner Übersetzung des Originals den Titel „Sv ăršeno“, was direkt übersetzt „Beendet“ bedeutet. Der Sinnesakzent ist somit geändert. „Beendet“ ist eine reine Feststellung eines bestimmten Zustandes. Es bedeutet, dass sich das Gedicht nicht auf den Prozess konzentrieren wird, bei dem das „Ich“ den Schlussstrich unter etwas ziehen wird, sondern mit dem bereits erreichten Endzustand. Der Titel trägt automatisch die Semantik des bereits erreichten Endes, also der Trennung bzw. des Todes.

Die erste Strophe des Originals zeigt weiterhin den Aspektunterschied zur Übersetzung. Lenau beginnt sein Werk mit den Worten:

Ob jeder Freude seh ich schweben Den Geier bald, der sie bedroht.

Das lyrische Subjekt erkennt zum Zeitpunkt seiner Aussage, dass alles, was ihm Freude bereitet, unentwegt bedroht ist. Diese Aussage, die im Präsens gemacht wird, kann durchaus als eine Konstante interpretiert werden. Wenn die Interpretation des Textes auf der stets bedrohten Freude des lyrischen „Ich“ basiert, dem die Freude immer, von Lenau bildhaft ausgedrückt, wie von einem Geier bedroht wird, kann man diese Beschreibung erneut auf die

29 pure Romantik zurückführen. Es handelt sich um aufbrausende und steigende Emotionen des lyrischen Subjektes, die im Finale kulminieren.

Die Übersetzung hingegen wirkt in Bezug auf die Gefühle der lyrischen Person eher verfremdet. Slavejkov beginnt seiner Übersetzung mit der Strophe:

Über jeder Freude sah ich Grimmige, kreisende Raben; Das, was ich liebte und wünschte, füttert die Würmer in dem Grab.

Der erste bemerkbare Unterschied ist, dass Slavejkovs Subjekt bereits in der ersten Zeile über die Vergangenheit spricht und nicht über seine Gegenwart oder über konstante Empfindungen. Die so bildhaft beschriebenen „grimmigen, kreisenden Raben“ sind nicht nur die Frucht einer sehr bildhaften Dichtung, sondern sind bereits ein Symbol für den kommenden Tod. Die Raben haben in der bulgarischen Kunst und Literatur eine wichtige Rolle. Sie werden in verschiedenen Werken als „Botschafter des Todes“ literarisch verwendet. In dem Text von P. Slavejkov bestätigt sich diese symbolische Darstellung. Der Übersetzer setzt in der dritten Zeile fort:

Das, was ich liebte und ersehnte, füttert die Würmer in dem Grab.

Im Gegensatz zu Lenaus Original, bei dem der Dichter eine traurige Feststellung des Geschehenen liefert:

Was ich geliebt, gesucht im Leben, Es ist verloren, oder tot.

Slavejkovs Übersetzung unterscheidet sich in dieser Strophe vom Originalwerk nicht nur durch den zeitlichen Aspekt der Betrachtung, sondern auch durch die Beschreibung des Verlustes. Das lyrische „Ich“ ist direkt mit der Tatsache konfrontiert, dass die Liebe gestorben ist. Die Darstellung des Todes durch die Würmer im Grab ist sehr symbolisch und geht sogar schon einen Schritt weiter in Richtung Dekadenz.

30

Die zweite Strophe vertieft weiterhin den Unterschied zwischen Original und Übersetzung. Der Tod in Slavejkovs Übersetzung ist im Gegensatz zu Lenau nicht nur grimmig, sondern gnadenlos, der Dichter hat dem Tod menschliche Eigenschaften verliehen, um noch mehr auf das symbolische Ergebnis zu verweisen: das Herz des lyrischen „Ich“ gibt keine Antwort auf die Geschehnisse in der Natur. Diese Zeile des Gedichtes unterscheidet sich von dem Original dadurch, dass dort nur ein Aspekt der Natur unterstrichen wird:

Im finstern Rate der Natur…

Die Übersetzung hingegen besagt, dass das Herz des „Ich“ überhaupt keine Antwort mehr auf die Reize der Natur gibt, d.h., egal, ob es sich um traurige Naturbilder handelt, oder um wunderschöne, Freude ausstrahlende Geschehnisse. Das Herz des Künstlers ist geschlossen. Es ist nicht eingeschüchtert oder wütend durch den Tod, sondern hat bereits die Stufe der totalen Gleichgültigkeit erreicht, die wiederum in Richtung Dekadenz schwankt. Die letzte Strophe beider Werke zeigt einen wesentlichen Unterschied. In den ersten zwei Zeilen ist der Sinn ziemlich der gleiche. Lenau schreibt:

Ich will nicht länger töricht haschen Nach trüber Fluten hellem Schaum

Die Übersetzung von Slavejkov ist im Einklang mit dem Primärtext, wobei in der Übersetzung die dunklen Fluten im Vordergrund stehen. Bei Lenau rückt das lyrische Subjekt die Entscheidung in den Vordergrund, dass es sich hastig gegen das Suchen der Freude entscheidet. Slavejkov beginnt die letzte Strophe mit den Zeilen:

Aus den dunklen Fluten will ich nimmer Hellen Schaum herausschaufeln-

Ein wichtiger, jedoch nicht auf den ersten Blick bemerkbarer Unterschied zum Originaltext besteht durch die Verwendung des Langstriches als Sinnesfortsetzung in der nächsten Reihe. Dort folgt die Erklärung für die verlorene Freude am Leben, die durch das Schaufeln nach hellem Schaum dargestellt wurde:

31 Da weder Traum, noch Schatten Eines Traumes in meiner Seele blieb.

Hierbei wurde erneut eine Symbolisierung erschaffen, die auch im Diabolismus ihre Wurzeln hat. Das diabolische Paradigma der Welt als „Schatten“ ihrer selbst (bzw. der Erkenntnis als Reflexion der Reflexion ohne Referenz) sowie der „Schattenwelt ohne Selbst“ (d.h. der „Sich- Welt“) ist bei allen Vertretern des Frühsymbolismus stark vertreten. 19 Bei der Übersetzung von Slavejkov betont das lyrische Subjekt, dass sowohl der Traum, der ein Symbol für den transzendenten Übergang, für das Entkommen aus der Welt des Vergänglichen ist, als auch der Schatten eines Traumes, d.h., der diabolische Gegensatz des Traumes als Negation des Nicht- Seins als Begleiter des Seins, aus der Seele des „Ich“ verschwunden sind. Slavejkov setzt somit die Betonung nicht auf die Aktivität des Subjektes, das bewusst den Traum als solches wegwischt, sondern auf die Tatsache, dass die zwei wichtigsten diabolischen Motive aus der Seele des Betrachters verschwunden sind. Somit wurde bei dem Sekundärtext der Punkt erreicht, in dem man von einem Nichts sprechen kann. Das Nichts ist mächtiger als das Dasein, es ist wie ein dämonisches Wesen dargestellt, dass sogar die Brücke zur transzendenten Welt durch das Verschwinden des Traumes und seines Schattens zerstört hat.

„Herbst“

Herbst

Nun ist es Herbst, die Blätter fallen, Den Wald durchbraust des Scheidens Weh; Den Lenz und seine Nachtigallen Versäumt ich auf der wüsten See.

Der Himmel schien so mild, so helle, Verloren ging sein warmes Licht; Es blühte nicht die Meereswelle, Die rohen Winde sangen nicht.

19 Aage A. Hansen- Löve: Der russische Symbolismus. System und Entfaltung der poetischen Motive. 1. Band: Diabolischer Symbolismus Wien 1989, S. 256 32 Und mir verging die Jugend traurig, Des Frühlings Wonne blieb versäumt; Der Herbst durchweht mich trennungsschaurig, Mein Herz dem Tod entgegenträumt. 20

Есен

Дойде есен , листи брули хала , Пей гората песен за раздяла ; А пък аз ни пролетта , ни май Не видях , далеч от роден край .

Небесата ясни и спокойни , Веч изчезна блясъка им знойни ; Не цъфтяха морските вълни , Глухо тътнат вихри в далнини .

В скръб на младост , младост аз не зная И не сетих пролетна омая - За раздяла шепне есента И сърце мечтае за смъртта .21

Übersetzung des Sekundärtextes Herbst

Es kam der Herbst, eine Furie reißt die Blätter, der Wald singt ein Lied der Trennung; Aber ich sah weder den Frühling, noch den Mai, weit weg von meinem Heimatort.

Die Himmelsweiten klar und ruhig, verschwand schon ihr heißer Glanz; Es blühten nicht die Meereswellen,

20 Lenau, Nikolaus: Gedichte, Stuttgart 2005, S. 57-58 21 Slavejkov, P.P.: S ăbrani s ăč inenija v osem toma. Tom 7: Prevodi, Sofia 1959, S.162-163 33 Es schallen dumpf Stürme in der Weite.

In Jugendtrauer kenne ich keine Jugend Und ich spürte keinen Frühlingszauber - Über Trennung flüstert der Herbst Und das Herz ersehnt den Tod.

Dieses Gedicht Nikolaus Lenaus wurde im Bezug auf Melodie und Rhythmus des Originals sehr gut und treffend übersetzt. Slavejkov hat sich im Gegensatz zu Lenau für die Variante AABB entschieden, während Lenau in seinem Text den Kreuzreim ABAB gewählt hat. Dieser Unterschied führt aber keineswegs zu Verlusten in Bezug auf den poetischen Klang des Gedichts.

Der erste Übersetzungsunterschied ist in der ersten Zeile der ersten Strophe bemerkbar. Lenau beschreibt die herbstliche Stimmung mit den Worten:

Nun ist es Herbst, die Blätter fallen…

Diese recht nüchterne Betrachtung unterscheidet sich von der stürmischen, mythisch angehauchten Darstellung des Herbstes, die P. Slavejkov in seiner Übersetzung geliefert hat:

Es kam Herbst, eine Furie reißt die Blätter…

Diese „Furie“ ist keine einfache Feststellung des Naturbildes. Das ist eine mystische Figur, die in der bulgarischen Folklorekunst vielfach vorkommt, als Vorbote des Endes. Die Tatsache, dass Pen čo Slavejkov dieses Folkloremotiv für seine Übersetzung ausgewählt hat, spricht dafür, dass er seiner Dichtung eine mystische Note verleihen wollte, die für die bulgarische Literatur typisch ist. Ebenso wichtig zu erwähnen ist der Stimmungsunterschied, der durch die erste Zeile dem Leser übermittelt wird. Lenaus Original strahlt eine Apathie des Bildes aus, die dem Herbst entspricht. Das lyrische Subjekt scheint die Geschehnisse der Natur wie ein außen stehender Betrachter zu beobachten, wobei dieser Betrachter langsam und schleichend von der Traurigkeit der Natur überwältigt wird. Slavejkov hingegen beginnt mit einer wirklich stürmischen Beschreibung, die Furcht und Kälte hervorruft. Bei der

34 Übersetzung ist die Natur zum Leben erweckt worden. Slavejkov schuf durch seine Darstellung in der zweiten Strophe ein Bild, das ebenso aus der Folklore bekannt ist:

Der Wald singt ein Lied der Trennung…, im Gegensatz zur Originalvariante von Lenau:

Den Wald durchbraust des Scheidens Weh…

Das Original entfaltet sich immer mehr in Richtung auswegsloser Romantik. Das Leitmotiv dabei ist der Trennungsschmerz. Dieser Schmerz ist so stark, dass das lyrische Subjekt das Gefühl hat, dass sein Leid durch den Wald braust. Es fehlt jedoch diese Lebendigkeit des Waldes, die bei P. Slavejkovs Übersetzung zu entdecken ist. Slavejkov stellt das lebende Naturbild in den Mittelpunkt der Darstellung. Diese metaphorische Beschreibung des innerlichen Zustandes des lyrischen „Ich“ weist einen symbolistischen Zugang zu der Darstellung auf. Der Wald ist ein typisches Symbol für das menschliche Leben. Der Herbst hingegen ist ein Symbol für den kommenden Tod. Das lyrische Subjekt ahnt den brausend kommenden Tod. Die Metapher des singenden Waldes ist ein sehr häufig verwendetes Motiv in der bulgarischen Literatur. Die nächste Zeile des Gedichtes setzt in der Übersetzung mit einer sozialen Problematik fort, die typisch für die Romantik ist. Das lyrische Subjekt hat weder seine Jugend bewusst erlebt, die symbolisch durch das Wort „Frühling“ dargestellt wurde, noch empfand es die so süße und ersehnte Jugendfreude, die sich in der Zeile:

Ich aber sah weder den Frühling, noch den Mai… als Hauptbedeutung verbirgt. Die soziale Problematik besteht darin, dass das „Ich“ unglücklich ist, weil es von seinen Wurzeln weggerissen wurde. Lenaus Originaltext ist in der Beschreibung der Gefühle des lyrischen Subjektes in der dritten und vierten Strophe noch bildhafter und tragischer:

Den Lenz und seine Nachtigallen Versäumt ich auf der wüsten See.

35 Lenau vergleicht die Ferne, die Kälte und generell die Fremde, in dem sich sein lyrischer Held befand, mit einer wüsten See. Dieser Zugang zu der Problematik der Empfindungen spricht für eine sehr hohe Sensibilität des Lyrikers, der durch sein lyrisches Subjekt treffend seine eigenen Gefühle zum Ausdruck brachte. Die zweite Strophe des Gedichts beinhaltet sowohl im Originaltext, als auch in der Übersetzungsvariante, ein Naturbild, dass nicht treffender den seelischen Schmerz des „Ich“ ausdrücken könnte. In beiden Texten hat der Dichter bzw. der Übersetzer durch das Naturbild der sterbenden oder bereits gestorbenen Natur ein Spiegelbild der Seele des Leidenden geschaffen. Durch die vierte Zeile in der Übersetzungsvariante wird die Vorstellung der schallenden Stürme in der Ferne als eine Assoziation des kommenden Endes geweckt und das stärkt nur noch mehr den Sinn des Ursprungstextes, in dem die seelische Melancholie durch das eher „verstummte“, ruhig gestellte Naturbild ausgedrückt wurde. Die letzte Strophe des Gedichts stellt zweifellos eine Kulmination der Gefühle der lyrischen Person dar. Das „Ich“ in Lenaus Text und auch in der Übersetzung von Slavejkov befindet sich am Rande aller negativen Gefühle, die ein Mensch nur empfinden kann. Das Allertraurigste ist, dass eine Seele, die die Blüte ihres Lebens erleben sollte, diese völlig teilnahmslos an sich vorbeigehen ließ und im Text nur eine apathische Feststellung macht:

Und mir verging die Jugend traurig, Des Frühlings Wonne blieb versäumt…

Bzw.

In Jugendtrauer kenne ich keine Jugend Und ich spürte keinen Frühlingszauber… (aus der Übersetzung des Sekundärtextes v. P.P. Slavejkov)

Eine Seele, die die Freude des Frühlings nicht empfunden hat, die für sich selber feststellte, dass sie sich auf den Tod freute und nicht über das Leben - das ist ein allgemein gültiges Motiv sowohl für den Romantiker Lenau, als auch für den Symbolisten Slavejkov. Hierbei sollte wieder das Problem des Leidens des Künstlers erwähnt werden. Dieses Wesen, das in seiner materiellen Hülle „festgehalten“ wird, kann während seines menschlichen Lebens keine Freude empfangen, weil es permanent die starke Sehnsucht nach der transzendenten Welt empfindet. Diese schmerzhafte Sehnsucht an sich kann nicht überwunden werden, solange der

36 Künstler auf dieser Welt der Vergänglichkeit und Eitelkeit noch lebt. Die Sehnsucht nach dem Tod ist so stark, dass das lyrische „Ich“ fast einen Hilfeschrei aus seiner Seele lässt:

Mein Herz dem Tod entgegenträumt…

Einzig und alleine durch den Tod kann das „Ich“ seine Grenzen überwinden, Grenzen, die von der Materie bestimmt sind, die es unmöglich machen, dass das mit einer Übersensibilität gesegnete künstlerische „Ich“ in dieser Welt und in seiner Jugend irgendeine Form von Freude und Glücksgefühlen erleben darf. Es scheint, dass jede wirklich sensible Seele auf dieser Welt keinen Frieden finden kann, bis der rettende Tod kommt. Dieses Gedicht Lenaus ist ein extrem bezeichnendes Werk für seine gesamte literarische Tätigkeit, in dem man als Leser die wichtigsten Motive und Ideen, mit denen sich der österreichische Dichter befasst hat, in einer konzentrierten Form herauslesen kann und sich dadurch einen Gesamtüberblick über Lenaus Werk verschaffen kann.

„Das Mondlicht“

Das Mondlicht

Dein gedenkend, irr ich einsam Diesen Strom entlang; Könnten lauschen wir gemeinsam Seinem Wellenklang!

Könnten wir zusammen schauen In den Mond empor, Der da drüben aus den Auen Leise taucht hervor!

Freundlich streut er meinem Blicke Aus dem Silberschein Stromhinüber eine Brücke Bis zum stillen Hain. -

37 Wo des Stromes frohe Wellen Durch den Schimmer ziehn, Seh ich, wie hinab die schnellen Unaufhaltsam fliehn.

Aber wo im schimmerlosen Dunkel geht die Flut, Ist sie nur ein dumpfes Tosen, Das dem Auge ruht.

Dass doch mein Geschick mir brächte Einen Blick von dir! Süßes Mondlicht meiner Nächte, Mädchen, bist du mir!

Wenn nach dir ich oft vergebens In die Nacht gesehn, Scheint der dunkle Strom des Lebens Trauernd still zu stehen;

Wenn du über seinen Wogen Strahlest zauberhell, Seh ich sie dahingezogen, Ach! nur allzuschnell! 22

Месечина

Край реката ази бродя ,

В блян унесен , сам ;

Как би заедно шумът й

Слушали ний там !

22 Lenau, Nikolaus: Gedichte. Reclam, Stuttgart 2005, S. 13 38

Гледали би ясний месец

Двама ний тогаз ,

В далнините как възлиза

В тихий нощен час .

Над реката мост премята

Той от бряг на бряг ,

Чак отсреща до гората

Глуха в нощний мрак -

Там вълните осветлени

Дето се струйът ,

Аз ги гледам как надолу

Бързат в своя път .

По -нататък тъмен мрак е

И до моя слух

Смътно в тъмнини долита

Само ромон глух .-

39 Откакто ме остави

Нежна дружке , ти ,

Месеца ми грей утеха

В тъните нощи .

Колчем се за тебе вгледам

В тъмни нощи сам ,

Струва ми се , че живота

Застоян е там .

А вълните му кога се

В погледа ти осветлйът ,

Аз ги виждам , ах , как бързо

Чезнат в своя път .23

Übersetzung des Sekundärtextes

Mond

Um den Fluss wandere ich

23 Slavejkov, P. P.: S ăbrani s ăč inenija v osem toma. Tom 7: Prevodi. Sofia 1959, S. 163-164 40 In meinem Traum vertieft, alleine;

Wie würden wir zusammen

Seinen Klang dort hören!

Wir würden uns den klaren Mond

Zusammen dann ansehen, wie er in die Weite aufgeht in der stillen nächtlichen Stunde.

Über dem Fluss wirft er hin und her

Eine Brücke von Ufer zu Ufer, bis am Ende des drüberen Waldes verstummt in der nächtlichen Finsternis-

Dort, wo sich die erleuchteten Wellen

Versammeln, sehe ich ihnen zu, wie sie auf ihrem Weg hinunter eilen.

Weiter drüben ist dunkle Finsternis

Und zu meinen Ohren

41 Kommt wage durch die Dunkelheit

Nur ein stummer Klang-

Seit du mich verlassen hast, zarte Freundin, du, leuchtet mir der Mond meinen Trost in den dunklen Nächten.

Wenn ich mich nach dir umsehe

In den dunklen Nächten ganz allein

Hab ich das Gefühl, dass mein Leben dort stehen blieb.

Und sobald seine Wellen in deinem Blick erleuchten, ich sehe sie, ach, wie schnell, verschwinden auf ihrem Weg.

Dieses Gedicht sowie seine Übersetzungsvariante durch Slavejkov zeigt erneut ganz deutlich, dass sowohl der österreichische Romantiker, als auch der Symbolist aus Bulgarien auf eine sehr bildhafte Art und Weise die wichtigsten Motive der Romantik im Text verwendet haben. Bei Slavejkovs Übersetzung tritt darüber hinaus ein symbolistischer Aspekt auf- das Motiv des Traumes. Als erster und sehr wichtiger Punkt sollte die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Form beider Gedichte gelenkt werden. Hierbei fällt sofort auf, dass der Übersetzer des

42 Originalgedichtes den ursprünglichen Klang des Werkes in seinem Text ganz genau wiedergegeben hat. Der Text klingt sowohl auf Deutsch, als auch auf Bulgarisch, genau gleich, ebenso besteht kein Unterschied bei der Reimordnung. Die globale Botschaft des Originalgedichtes Lenaus wurde von Slavejkov ebenfalls sehr treffend übersetzt.

Die erste Strophe des Originals beginnt mit den Worten:

Dein gedenkend, irr ich einsam Diesen Strom entlang; Könnten lauschen wir gemeinsam Seinem Wellenklang!

Slavejkov übersetzt diese Strophe relativ genau, obgleich hier der wichtigste Unterschied im ganzen Gedicht zu finden ist. Während Lenaus lyrische Person sich direkt an die Geliebte mit den Worten:

Dein gedenkend, irr ich einsam…

wendet, schrieb Slavejkov im Sekundärtext:

Um den Fluss wandere ich

In meinem Traum vertieft, alleine;

Hierbei entdeckt man den Unterschied zwischen dem romantischen Original und der (durchaus romantischen) Übersetzung, die aber ein wichtiges symbolistisches Merkmal trägt. Das Thema des Traumes ist eines der Wichtigsten in der gesamten symbolistischen Literatur. Der Traum ist meistens ein Zeichen der lunaren Schattenwelt in Opposition zur Alltagswelt 24 .

Anders als das passive Eintauchen und Versinken in den Träumen, das vergleichbar ist mit einer Art „Ertrinken“, verbindet sich mit dem vom lyrischen Subjekt der Übersetzung beschriebenen Traum die Assoziation der Liebe. Dieser Traum ist eine ersehnte, wunderschöne Wunschvorstellung der lyrischen Person, die durch den Traum die Grenzen des Materiellen, der fesselnden Alltagswelt überwindet und die Ebene des Imaginären erreicht. Durch den Traum bricht das „Ich“ die Grenze der traurigen Realität. Diese Variante der Übersetzung zeigt eine leichte Diskrepanz im Vergleich mit dem Original, da im Original die

24 Hansen- Löve, Aage- A: Der russische Symbolismus, Wien 1989, S. 269 43 Betonung mehr auf das „Gedenken“ gesetzt wurde. Das Wort „Gedenken“ ist mit dem Tod verbunden. Das lyrische „Ich“ gedenkt seiner Geliebten, wobei das Gefühl des Verlustes über der Möglichkeit des Wiedersehens im transzendenten Raum überwiegt. In der Übersetzung hingegen widmet sich die lyrische Person dem Traum, da dieser eben die Tür zur metaphysischen Welt darstellt, zur Welt, wo der einsame Mensch seine Liebe wieder finden kann. Das „Ich“ betont, dass sich im Traum (ganz deutlich ausgedrückt mit dem Wort„dort“) beide Seelen wieder vereinen können. Lenaus lyrische Person hingegen zeigt mehr eine Verzweiflung, weil das Zusammenkommen nicht möglich ist:

Könnten lauschen wir gemeinsam Seinem Wellenklang!

Die Konjunktivform impliziert die Unmöglichkeit, dass die Barriere der Realität überwunden wird. Bei Slavejkovs Text hingegen trägt die Zeile die Bedeutung des Wiedersehens im transzendenten Raum. Mit dieser Hintergrundbedeutung setzt der Übersetzer auch in der zweiten Strophe fort. Die dritte Strophe des Gedichtes drückt ebenso in beiden Texten die gleiche Stimmung aus- sogar die ausgewählten Übersetzungsworte sind mit dem Original fast identisch. Der einzige markante Unterschied in der Übersetzung entdeckt man in der fünften Strophe beider Gedichte. Lenaus lyrisches Subjekt träumt davon, dass sein Geschick ihm nur einen einzigen Blick von der Geliebten bringt. Die Verwendung des Konjunktivs deutet jedoch auf eine Unmöglichkeit hin, dass dieser Herzenswunsch jemals erfüllt werden kann. In Slavejkovs Übersetzung ist durchaus eine ähnliche Gefühlslage zu beobachten, das lyrische „Ich“ wendet sich aber auf eine ganz andere Art und Weise an die verlorene Geliebte. In dieser Übersetzungsstrophe wird klar und deutlich ausgedrückt, dass das lyrische Subjekt seine große Liebe verloren hat. Dabei ist der Mond der einzige Trost des Leidenden. Slavejkov übersetzt das folgendermaßen:

Leuchtet mir der Mond

Meinen Trost in den dunklen Nächten.

An dieser Stelle ist wichtig zu bemerken, dass die Naturerscheinung Mond an ganz anderen Parametern gewinnt und menschliche Eigenschaften verliehen bekommt.

Die restlichen Strophen des Originals und der Übersetzung weisen keine wesentlichen Unterschiede auf, was wiederum dafür spricht, dass Slavejkov dieses romantische Gedicht

44 möglichst genau und ohne Abweichungen von den Kanonen der Romantik wiedergeben wollte.

„Die drei Zigeuner“

Die drei Zigeuner

Drei Zigeuner fand ich einmal Liegen an einer Weide, Als mein Fuhrwerk mit müder Qual Schlich durch sandige Heide.

Hielt der eine für sich allein In den Händen die Fiedel, Spielte, umglüht vom Abendschein, Sich ein feuriges Liedel.

Hielt der zweite die Pfeif' im Mund, Blickte nach seinem Rauche, Froh, als ob er vom Erdenrund Nichts zum Glücke mehr brauche.

Und der dritte behaglich schlief, Und sein Cimbal am Baum hing, Über die Saiten der Windhauch lief, Über sein Herz ein Traum ging.

An den Kleidern trugen die drei Löcher und bunte Flicken, Aber sie boten trotzig frei Spott den Erdengeschicken,

45

Dreifach haben sie mir gezeigt, Wenn das Leben uns nachtet, Wie man's verraucht, verschläft, vergeigt, Und es dreimal verachtet.

Nach den Zigeunern lang noch schaun Mußt' ich im Weiterfahren, Nach den Gesichtern dunkelbraun, Den schwarzlockigen Haaren. 25

Трима цигани

Пусто поле , през полето полека

Моята бричка се влачи едвам ,

Насред полето върба - и троица

Цигани видех излегнати там .

Къдра глава бе отпуснал едина ,

Сграбчил цигулк в извита ръка ,

Буйна и весела песен подкарал

И като вихър премята лъка .

Другия къса лулица засмукал ,

Гледа из нея как пушек се вий ,

Сякаше всичко световно блаженство -

25 Lenau Nikolaus: Gedichte. Stuttgart 2005, S. 87-88 46 Заради него се в пушека крий .

Третий цимбал окачил на върбата ,

Спи там , извърнал нагоре лице ,

Вятъра глухо струните подрънва ,

Блян му вълшебен витай над сърце .

Нищо и никакви , дрипави , голи

Тям изпод дрипи месата лъщйът ,

Хич и не искат да знаят - с усмивка

Гледат презрително те на светът .

Те ме научиха тройна наука -

Тоя безмилостен жовот на света

Как се просвирва , пропушва , проспива

Гордо , с презрителен смях на уста .

Тримата цигани ... татък далеко

Моята бричка в полето изви :

Дълго се ази извръщах и взирах

47 В техните рошави , мурги глави .26

Übersetzung des Sekundärtextes

Drei Zigeuner

Ein wüstes Feld, durch das Feld

Schleicht mein Auto ganz langsam dahin, mitten im Felde steht eine Weide- und drei

Zigeuner sah ich liegend dort.

Einer hatte seinen Lockenkopf gestützt, hielt die Geige fest in seinem gebogenen Arm, sang ein wildes und fröhliches Lied und zog wie ein Wind die Fiedel.

Der andere zog an seiner kurzen Pfeife,

Sah durch den Rauch, wie er sich erhob, als ob die ganze Seeligkeit der Welt- sich hinter dem Rausch verborg.

26 Slavejkov, P.P.: Izbrani sa činenija v osem toma. Sofia 1959, S. 165-166 48 Der Dritte hatte seine Geige an die Weide gehängt, schläft dort, hat sein Gesicht nach oben gerichtet, der Wind berührt stumm die Saiten, ein Zaubertraum liegt nach dem Herzen (des Zigeuners).

Nichtig, abgerissen und nackt

Dort unter den Fetzen leuchtet ihr Leib, sie wollen nichts davon wissen- mit Lächeln schauen sie der Welt erniedrigend zu.

Sie haben mir dreifache Wissenschaft beigebracht-

Dieses sinnlose Weltleben

Wie man es verraucht, verschläft und vertrinkt

Mit einem abfälligen Lächeln am Munde.

Die drei Zigeuner… Dort in der Ferne

Bog mein Auto in das Feld hinein:

Ich drehte mich lange um und schaute

Nach ihren zersausten dunklen Köpfen.

Diese Übersetzung von P. Slavejkov ist nicht nur sehr treffend und dem Original vom Rhythmus fast ident, sondern auch für die eigene Lyrik von P.P. Slavejkov deshalb sehr wichtig, weil Lenaus Originaltext sichtlich als Vorbild für ein späteres Werk Slavejkovs selbst gedient hat, bei dem es genau um die oben erwähnte soziale Problematik geht- „Katunari“:

Край брега на тиха Струма спре се закъснял керван ; скитниците катунари

49 ще стануват тука стан .

Ето лумнаха огньове ; сенки трепнаха край тях . И далеч в полето екна врява и безгрижен смях .

Пламъци се борят в мрака , свет и мрак - и в мрака свет - тук изпъква лик разчорлен , татък дрипав силует .

Мудно отстрана цигулка пробуча и сръчно сви в миг - чевръст и кръшен танец като вихър се изви :

повъзпре и пак залюшнат свий , извий и полети - глухо татък топот сепнат като под земя ехти .

Я с усмивка благодушна гледат старци отстрана и лулите им светулкат в околната тъмнина .

Днес са тук . А бо `зна утре де глава ще прислонят ... За задомните безгрижност прави лек световний път .27

27 http://slovo.bg/old/slaveykov/katunari.htm 50 „Winternacht“

Winternacht

1.

Vor Kälte ist die Luft erstarrt, Es kracht der Schnee von meinen Tritten, Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart; Nur fort, nur immer fortgeschritten!

5 Wie feierlich die Gegend schweigt! Der Mond bescheint die alten Fichten, Die, sehnsuchtsvoll zum Tod geneigt, Den Zweig zurück zur Erde richten.

Frost! friere mir ins Herz hinein, 10 Tief in das heißbewegte, wilde! Dass einmal Ruh mag drinnen sein, Wie hier im nächtlichen Gefilde!

2.

Dort heult im tiefen Waldesraum Ein Wolf; – wie's Kind aufweckt die Mutter, Schreit er die Nacht aus ihrem Traum Und heischt von ihr sein blutig Futter.

5 Nun brausen über Schnee und Eis Die Winde fort mit tollem Jagen, Als wollten sie sich rennen heiß: Wach auf, o Herz, zu wildem Klagen!

51

Lass deine Toten auferstehn! Und deiner Qualen dunkle Horden! Und lass sie mit den Stürmen gehn, Dem rauhen Spielgesind aus Norden! 28

Ленау

Зимна нощ

Един вълк вие в нощния покой И сепва горската тъма , Като дете от майка иска той От нея кървава кърма .

И сякаш те се гонят -ветрове Фучат в простора заридал , Размахнати далеч по снегове Сърце , излей се в луда жал !

И нека гмежът мъртъвци - На тъмни сенки стръвен гмеж - Кат северните ветрища с венци От тръните на блеснал скреж .

Лъхни в сърцето ми , о зимен мраз , И угаси стихийния му плам ! Като полята помъртвели - аз Поне минута мир желая там ... 29

28 http://www.gedichte-lyrik-poesie.de/Lenau_Winternacht/index.html 29 Javorov, Pejo: Săbrani sa činenija, tom 5, Sofia 1959/1960, S. 27. 52 Übersetzung des Sekundärtextes

Lenau

Winternacht

Ein Wolf heult in der nächtlichen Ruhe, und bricht die Waldes Dunkelheit, wie Kind von Mutter verlangt er nach ihrer blutigen Milch.

Wie auf der Jagd- die Böen, stürmen in die Ferne, schreiende, vergreifend weit in Schnee… Mein Herz, entleere dich in wilder Trauer!

Und möge Riesenmenge Toter Der dunklen Schatten Horden werden Wie Nordesstürme mit dem Kranz Aus Dörnern Eis in seinem Glanz.

Weh in mein Herz hinein, du Winterfrost, und stille seinen stürmischen Brand, Wie die verstorbenen Felder ersehne ich auch Wenigstens einen Augenblick Frieden dort.

Bei dieser Übersetzungsvariante von Pejo Javorov ist auf den ersten Blick ersichtlich, dass der bulgarische Lyriker das Original gekürzt hat. Die Übersetzung besteht aus nur 4 von möglichen 6 Strophen. Javorov hat die ersten zwei Strophen komplett ausgelassen und erst bei der ersten Strophe des zweiten Teils vom Original mit der Übersetzung begonnen. Die letzte Strophe des ersten Teils hat der Übersetzer wiederum ganz zum Schluss des Sekundärtextes versetzt, was an sich zu einer Versetzung der Hauptbotschaft geführt hat.

Lenau baute sein Werk zuerst mit einem recht lebendigen Bild der nächtlichen Kälte:

53 Vor Kälte ist die Luft erstarrt, Es kracht der Schnee von meinen Tritten, Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart; Nur fort, nur immer fortgeschritten!

Lenau beginnt den Aufbau seiner Fabel mit diesem Bild, das Javorov wiederum in seiner Übersetzungsvariante ganz ausgelassen hat. Über den Grund, warum der bulgarische Lyriker die Übersetzung ohne die Naturbilder dargestellt hat, lässt sich diskutieren. Wahrscheinlich ist der Grund seiner Entscheidung in der Tatsache zu suchen, dass Javorov den Hauptakzent am Anfang des Gedichtes auf einige wichtige Symbole setzen wollte. Der Wolf, der in der nächtlichen Stille heult, ist ein Symbol für den Tod. Jedoch malte Javorov kein Bild der wunderschönen, fast feierlichen majestätischen Ruhe des Waldes, die im Originaltext aus der Sicht des Romantikers gezeichnet wurde, sondern konzentrierte sich auf das Symbol des Grauenvollen- der Wolf, der die Stille mit seiner schrecklichen Stimme schnitt. Die Natur in dieser Strophe lebt im wahrsten Sinne des Wortes- die Dunkelheit wird nicht bloß beschrieben und die Naturerscheinungen sind nicht einfach präsent. Um die lyrische Person herum existiert ein mystisches, unbegreifliches Wesen. Das lyrische Subjekt „erschrickt“ vor dem einsamen Heulen des Wolfes. Dieses Tier, das auch die Einsamkeit symbolisiert. Ein weiteres Element, welches für die Javorovsche Übersetzung wesentlich ist, ist die Übersetzung „blutige Milch“. Der Lyriker hat bei dieser Übersetzung etwas ganz Bestimmtes betont- das Problem für das Nachfolgende. Der Wolf als Symbol für die einsame, verzweifelte Seele, suchte die Nahrung von seiner Mutter, damit schloss sich der Ring der Verbundenheit zwischen zwei Generationen. Das Blut, ein Symbol für den Tod, machte in erster Linie das Bild der grausamen nächtlichen Einsamkeit ganz lebendig.

In der zweiten Strophe geht die Beschreibung der „lebenden“ Natur weiter. In Javorovs Übersetzung scheinen die Windböe einander zu jagen und durch die weinende Ferne zu stürmen. Lenaus Originalbild :

Nun brausen über Schnee und Eis Die Winde fort mit tollem Jagen, Als wollten sie sich rennen heiß: Wach auf, o Herz, zu wildem Klagen! ist zweifellos sehr aussagekräftig präsentiert worden, jedoch fehlt bei dieser Darstellung das Gefühl vom Sekundärtext, dass alles um das lyrische „Ich“ herum mit ihm leidet und mitfühlt.

54 Der wütende und zugleich hilflose Schrei zum Herzen in der Übersetzung (wörtl.):

…Mein Herz, entleere dich in wilder Trauer!

Ist wahrscheinlich der stärkste Ausdruck des Weltschmerzes in der ganzen Lyrik des Dichters. Das ist ein Hilfeschrei des Schaffenden, sein Herz erträgt den Schmerz einfach nicht mehr. Das ist nicht das eingeschlafene Herz von Lenaus Original, das vom „Ich“ geweckt wird, damit es wild zu klagen beginnt. Das Herz von Javorovs Text ist hellwach und nimmt alle Reize des Umfeldes wahr und das Mitspiel der Natur kann in diesem Fall eher als Widerspiegelung des psychischen Zustandes der Persönlichkeit gesehen werden als einfach als eine stürmische Erscheinung. In Javorovs Text lebt das gesamte Bild. Die psychologische Steigerung ist besonders bemerkbar bei der dritten Strophe der Übersetzung:

Und möge Riesenmenge Toter Der dunklen Schatten Horden werden Wie Nordesstürme mit dem Kranz Aus Dornen Eis in seinem Glanz.

(direkte Übersetzung) Lenaus Text hingegen lautet:

Und deiner Qualen dunkle Horden! Und lass sie mit den Stürmen gehn, Dem rauen Spielgesind aus Norden!

Bei der Originaldarstellung dieses Bildes ist der Sinn auf den Herzensschmerz bezogen. Bei der Übersetzung von Pejo Javorov wird mit dieser Strophe ein ganz neues Bild aufgedeckt. Der Akzent fällt dabei auf die lebenden Horden Tote, die direkt als die Horden dunkler Qualen gesehen werden. Das darauf folgende Bild der gekränzten nördlichen Böe malt ein weiteres Symbol des Todes- Die Kränze und die Dornen aus glänzendem Eis. Die Kränze leiten gedanklich zu dem Bild vieler Gräber, wo die Zeichen des Gedenkens liegen.

Die letzte von Javorov übersetzte Strophe dieses Gedichts gibt den ursprünglichen Sinn des Originals relativ genau wieder, nur, wie bereits erwähnt, wurde als letzte Strophe in der Übersetzung die letzte Strophe des ersten Teils gewählt. Das führt natürlich zu einem anderen

55 Kontext am Ende des Werkes. Während Lenau das Gesamtbild wie in einem Kreis durch die harmonische Bezeichnung der Natur, wird bei Javorov in der letzten Strophe die Kulmination der Gefühle erreicht. Das Herz des „Ich“ brennt und soll durch die eiserne Kälte gestillt werden. Diese eiserne Kälte ist noch ein Symbol für den Tod. Die Verbindung ist ganz klar durch den Vergleich mit den „verstorbenen Feldern“ hergestellt worden. Durch dieses Finale des Gedichtes übermittelte Javorov eine der wichtigsten Botschaften des Symbolismus- die Ruhe kommt mit dem Tod, der teilweise durch erschreckende und „dunkle“ Symbole präsentiert wird und teilweise durch Bilder der herrlichen ewigen Ruhe, in der die Seele endlich ihren Frieden über Raum und Zeit finden kann.

3.3. Übersetzungsanalysen von Originalwerken Lenaus im Vergleich zu den Sekundärtexten von Nikolaj Liliev

3.3.1. „Die Drei“

Die Drei

Drei Reiter nach verlorner Schlacht, Wie reiten sie so sacht, so sacht!

Aus tiefen Wunden quillt das Blut, Es spürt das Ross die warme Flut.

Vom Sattel tropft das Blut, vom Zaum, Und spült hinunter Staub und Schaum.

Die Rosse schreiten sanft und weich, Sonst flöß das Blut zu rasch, zu reich.

Die Reiter reiten dicht gesellt, Und einer sich am andern hält.

Sie sehn sich traurig ins Gesicht, Und einer um den andern spricht:

56 "Mir blüht daheim die schönste Maid, Drum tut mein früher Tod mir leid."

"Hab Haus und Hof und grünen Wald, Und sterben muss ich hier so bald!"

"Den Blick hab ich in Gottes Welt, Sonst nichts, noch schwer mir's Sterben fällt."

Und lauernd auf den Todesritt Ziehn durch die Luft drei Geier mit.

Sie teilen kreischend unter sich: "Den speisest du, den du, den ich." 30

Тримата

(След боя )

Ездачи трима в равний път ,

Как бавно , бавно те вървят !

Избликналата кръв от тях

Облива конските гърди

И заличава пот и прах

По техните седла , юзди .

30 Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart 2005, S. 122-123 57

Конете движат се едвам .

Застива буйна кръв и плам .

Сближени воините бдят .

Едни о други се крепят .

Печално вглеждат се в очи .

Поредом техний глас звучи :

- Дома за мен мома цъфти ,

Затуй ме ранна смърт гнети !

-Аз имам дом , дворец и лес ,

Смъртта ме чака тука днес !

-Аз нямам нищо на света ,

Ала и мен тежи смъртта .

А дебном , след победний ход

На властна Смърт - в небесний свод ,

58 Картали три поделят с глас :

- Изяж тоз ти , тоз ти - тоз аз !31

Übersetzung des Sekundärtextes

Die Drei (Nach dem Kampf)

Drei Reiter auf einem glatten Weg, Wie langsam, langsam sie gehen!

Der Blut, aus ihnen fließend, Begießt die Pferdebrust

Und löscht den Schweiß und Staub Auf ihren Satteln und Zäumen.

Die Pferde bewegen sich kaum. Erstarrt die heiße Blut, die Flamme.

Nah aneinander wachen die Kämpfer. Stützen sich aneinander. Schauen traurig einander in die Augen. Danach erklingt ihre Stimme:

- Daheim für mich ein Mädchen blüht, deswegen droht mir der frühe Tod!

- Ich habe ein Zuhause, ein Palast und einen Wald, der Tod erwartet mich heute hier!

31 Liliev, Nikolaj: Izbrani prevodi, Sofia 1985, S. 173-174 59

- Ich habe nichts auf der Welt, aber mir fällt der Tod auch schwer.

Und schleichend, nach dem Siegesmarsch Des Todes- in dem Himmelsraum,

Drei Geier teilen mit ihren Stimmen: - Iss du den, den du- den ich!

Dieses Gedicht Lenaus sowie seine Übersetzungsvariante durch Nikolaj Liliev stellen eines der Hauptprobleme der menschlichen Existenz dar- das schmerzhafte und langsame Eintreffen des Todes. Lenau beginnt sein Werk mit dem Titel „Die Drei“. Noch ist es durch diesen Titel unklar, worum es sich genau in dem darauf folgenden Text handeln könnte. Die Zahl „drei“ kann auf viele mögliche Interpretationen hindeuten. Liliev hingegen betitelte den Sekundärtext mit dem Untertitel „Nach dem Kampf“, was zu einer Erläuterung der Hauptidee führte. Den ersten Unterschied bei der Übersetzung des Originals beobachtet man in der ersten Zeile der ersten Strophe. Lenau erwähnt ganz definitiv:

Drei Reiter nach verlorner Schlacht, womit er klar und deutlich den Leser auf ein negativ ausgehendes Finale vorbereitet.

Liliev hingegen schuf in der ersten Strophe ein Bild der drei Reiter, das jedoch nichts über die späteren Geschehnisse im Gedicht aussagt. Als Leser ist man zwar durch den Untertitel darauf vorbereitet, dass in diesem Gedicht drei Personen vorkommen werden, die gekämpft haben, man kann allerdings noch nichts über den möglichen Ausgang ahnen. Die Originalvariante von Nikolaus Lenau hingegen zeichnet ein vorbestimmtes, negatives Bild des verlorenen Kampfes.

Diesen leichten Sinnesunterschied kann man auch weiterhin in der zweiten Strophe der Übersetzung feststellen. Während Lenau in seiner Dichtung festlegt:

60 Aus tiefen Wunden quillt das Blut, Es spürt das Ross die warme Flut, ist aus Lilievs Text immer noch unklar, welchen Ausgang die drei Reiter erwarten können.

Der bulgarische Dichter setzt in seiner Dichtung mit den Worten fort:

Избликналата кръв от тях

Облива конските гърди …

Aus dieser Übersetzung kann man als Leser immer noch nicht vorahnen, ob die drei Reiter als Sieger nach einem schweren Kampf durch den Weg gehen oder ob sie verletzte Verlierer sind, die ihren Tod auf diesem Weg finden sollen.

Einen weiteren markanten Unterschied zwischen dem Original und der Übersetzung entdecke ich in der vierten Strophe des Gedichtes. Lenau schrieb:

Die Rosse schreiten sanft und weich,

Sonst flöss’ das Blut zu rasch, zu reich.

Liliev hingegen schuf in dieser Strophe seiner Übersetzung erstmals ein Bild des langsam kommenden Todes durch die Worte:

Конете движат се едвам .

Застива буйна кръв и плам .

Lenaus Beschreibung der Pferde liefert eine äußerst spürbare Ruhe. Die Worte „sanft und weich“ implizieren etwas Positives, als ob die Pferde ihre Reiter liebevoll stützen würden, damit ihr Blut nicht allzu schnell fließt. In Lilievs Text hingegen wird in dieser vierten 61 Strophe erstmals ein fast erstarrendes Bild des Leidens geliefert. Die Pferde bewegen sich kaum mehr; Das Blut, einst heiß, erstarrt. Die Flamme erlischt. In dieser Strophe wird das Problem des Todes ganz deutlich entfaltet. Die Reiter, drei Kämpfer, haben nicht nur den Kampf verloren, sondern auch ihr inneres Feuer, ihre Kraft und Hastigkeit. Das Erstarren des hastigen Blutes und das Erlöschen der Flamme sind Symbole für den eintreffenden Tod. Dieser Tod ist nicht der ersehnte, einzig mögliche Ausweg aus der materiellen Welt der Eitelkeit. Im Gegenteil- in diesem Text „klammern“ die drei zentralen Personen an das Leben hier, auf dieser Welt. Lenau schreibt in der sechsten und siebten Strophe seines Gedichtes:

Sie sehn sich traurig ins Gesicht, Und einer um den andern spricht:

"Mir blüht daheim die schönste Maid, Drum tut mein früher Tod mir leid."

Dieser erste lyrische Sprecher äußert sein Bedauern, sterben zu müssen, da er auf dieser Welt die Liebe erfahren durfte. In Lilievs Übersetzung nehme ich jedoch einen wichtigen Sinnesunterschied wahr:

Schauen traurig einander in die Augen. Danach erklingt ihre Stimme:

- Daheim für mich ein Mädchen blüht, deswegen droht mir der frühe Tod!

Erstmals wird in dieser siebten Strophe der Übersetzung der Tod als ein heimtückisches Wesen dargestellt, das gerade dann, wenn man etwas Positives erlebt hat oder erlebt, einen hinterlistig trifft. Das Wort „deswegen“ ist wahrscheinlich das wichtigste Merkmal, anhand wessen man den Unterschied zwischen dem romantischen Ursprungstext und der späteren Übersetzung feststellen kann. Dem lyrischen Subjekt aus dem Original tut der Tod leid, weil er die Liebe noch erleben und genießen möchte. Das lyrische Subjekt aus der Übersetzung

62 hingegen, stellt einfach nur mit einer Verzweiflung und Hass fest, dass es vom Tod deswegen getroffen wird, weil es die Liebe erfahren hat.

Die nächste Strophe baut die Idee des ungewollten Todes sowohl im Original, als auch im Sekundärtext weiter auf. In dieser Strophe sind keine wesentlichen Unterschiede zwischen Original und Übersetzung feststellbar. Beide Texte konzentrieren sich durch die Aussage des zweiten lyrischen Subjektes auf den scherzhaften Verlust der materiellen Hab und Gut auf dieser Welt. Alles, was diese lyrische Person besessen hat, möchte sie fast klammernd behalten. Für dieses lyrische „Ich“ scheint der Tod ein gemeiner Richter zu sein, der es von allen schönen Dingen trennen möchte, die es auf dieser materiellen Welt besessen hat.

Die nächste Strophe beider Texte weist wieder einen Unterschied zwischen Original und Sekundärtext auf. Im Original wird durch die dritte lyrische Person folgende Idee vermittelt:

Den Blick hab ich in Gottes Welt, Sonst nichts, doch schwer mir's Sterben fällt.

Dieses lyrische „Ich“ hat, im Gegensatz zum Sprecher, der sein Hab und Gut in dieser Welt nicht verlieren möchte, nur „den Blick in Gottes Welt“, es wurde also mit der Gabe beschert, zu erblicken und zu erkennen. Sonst hat diese lyrische Person keinen materiellen Besitz. Die Übersetzungsvariante präsentiert, im Gegensatz zu dieser wichtigen Idee, ein Bild von einer Person, die absolut nichts auf dieser Welt hat:

-Аз нямам нищо на света ,

Ала и мен тежи смъртта .

Lilievs Text orientiert sich in Richtung Dekadenz, wobei man die Dekadenzliteratur schwer vom Symbolismus oder vom Realismus trennen kann. Abgesehen von der thematischen Klammer des Wechselspiels von Lebenslust und -überdruss arbeitet Dekadenzdichtung häufig

63 mit der Zerstörung traditioneller narrativer Strukturen und ersetzt deren Kohärenz durch eine bewusst künstliche Totalität, die sich durch Verrätselung von Handlung und Figuren, sowie häufige Motivwiederholungen äußert. 32

Diese bewusste künstliche Totalität wird ganz deutlich durch die letzten zwei Strophen beider Texte erreicht. Lenau schreibt in seinem Originalgedicht:

Und lauernd auf den Todesritt Ziehn durch die Luft drei Geier mit.

Sie teilen kreischend unter sich: “ Den speisest du, den du, den ich.

Lilievs Übersetzung weist einen kleinen Unterschied zum Original auf:

Und schleichend, nach dem Siegesmarsch Des herrischen Todes- in dem Himmelsraum,

Drei Geier teilen mit ihren Stimmen: - Iss du den, den du- den ich!

Die Übersetzung spricht bereits von einem stattgefundenen Siegesmarsch des Todes. Der Tod wird im Sekundärtext als ein lebendiges Wesen präsentiert, als ein herrischer Despot, der seinen Sieg endlich erreicht hat. Der weitere Unterschied zum Original ist in der letzten Strophe festzustellen. Während die Geier in Lenaus Text, noch bevor der Tod eingetroffen war, ihre Opfer unter sich teilten und dadurch ein weiteres Bild der Vorahnung des kommenden Todes schufen, wurde in Lilievs Übersetzung durch die Verwendung der Imperativform die Finalität des Textes erreicht. Die Kulmination in der vorletzten Strophe, die durch den Siegesmarsch des herrischen Todes erreicht wurde, wurde von einem traurigen, grausamen Bild der Speisung gefolgt. Dieses Bild ist sehr wichtig für den gesamten Kontext des Werkes.

Abschließend sollte man einen Blick auf die Hauptidee beider Texte werfen: Obwohl Lenaus Text ein romantischer ist, bei dem der Hauptakzent auf den Schmerz der Trennung liegt, und

32 http://de.wikipedia.org/wiki/Dekadenzdichtung 64 Lilievs Übersetzung eher zu einer symbolistisch-dekadenten Variante der Dichtung tendiert, liefern beide Texte die Idee, dass der Tod sehr grausam und ungewollt sein kann, unabhängig davon, welche materiellen Voraussetzungen auf dieser Welt für die jeweilige Person erfüllt sind oder nicht.

3.3.2. „Schilflieder“

1.

Drüben geht die Sonne scheiden, Und der müde Tag entschlief; Niederhangen hier die Weiden In den Teich, so still, so tief

Und ich muß mein Liebstes meiden! Quill, o Träne, quill hervor! Traurig säuseln hier die Weiden, Und im Winde bebt das Rohr.

In mein stilles, tiefes Leiden Strahlst du, Ferne! süß und mild, Wie durch Binsen hier und Weiden Strahlt des Abendsternes Bild.

2.

Trübe wird's, die Wolken jagen, Und der Regen niederbricht, Und die lauten Winde klagen: "Teich, wo ist dein Sternenlicht?"

Suchen den erloschnen Schimmer Tief im aufgewühlten See.

65 Deine Liebe lächelt nimmer Nieder in mein tiefes Weh!

3.

Auf geheimem Waldespfade Schleich' ich gern im Abendschein An das öde Schilfgestade, Mädchen, und gedenke dein!

Wenn sich dann der Busch verdüstert, Rauscht das Rohr geheimnisvoll, Und es klaget und es flüstert, Dass ich weinen, weinen soll.

Und ich mein', ich höre wehen Leise deiner Stimme Klang, Und im Weiher untergehen Deinen lieblichen Gesang. 33

Песни на тръстиката

Тъне слънце в далнините

И замира морний ден .

Кротко свеждат се върбите

Над кристалний вир студен .

Любовта си в младините

Насълзен напущам аз ,

33 Lenau, Nikolaus: Gedichte, Stuttgart 2005, S. 35 66 Тъжно шепнат тук върбите

И трепти развений саз .

На скръбта ми в тишините

Ти , далечна , бдиш всегда ,

Както тука през върбите

Бди вечерница - звезда .

2.

Тъмно . Облаците скитат ,

Дъжд неспирен зареди

И бездомни вихри питат :

- Вир , де твоите звезди ?

На отблясъци стъмени

дирят притаений зов .

Няма да изгрей над мене

Нивга твоята любов .

Свети слънчев зрак ,

Бродят вредом тми ,

О, как болно пак

Близкий лес шуми !

67 Мълний блестят -

Лудо всеки миг -

Техний тленен лик

Трепне в моя път .

Волний вихър вей -

В тъжни дървеса -

Виждам как пилей

Твоята коса .

3.

Щом над глъхнали падини

Вечер нежна прелети ,

Сред пустинните градини

В моя дух живееш ти .

А когато се здрачава

Низ потайний горский кът

И тръстта с печал запява -

Моите сълзи текат .

Сякаш аз ловя унесен

Вссеки звук на твоя глас -

И замира твойта песен

68 Там над разлюлений саз .

Кроткий месец отразен е

Над затихнали води

И до тръстики зелени

Бели рози той реди .

Горе там елен се вглежда ,

В полумрака на нощта,

Птица прелети и свежда

Вейки сребърни тръстта .

Аз вървя , навел главата ,

А в сърдечни глъбини

Чист като молитва свята

Твоят спомен ми звъни .34

Übersetzung des Sekundärtextes

Schilflieder

Die Sonne geht in den Weiten runter

Und es stirbt der ermüdete Tag.

34 Liliev, Nikolaj: Izbrani prevodi, Sofia 1985, S. 175 69 Zahm verbeugen sich die Weiden

Über die kristalle kalte Quelle.

Meine Liebe in der Jugend

Verlasse ich mit Tränen,

Traurig flüstern hier die Weiden

Und es zittert der wehende Schilf.

Über meine Trauer in der Stille

Wachst du, weite, immer, so wie hier durch die Weiden wacht der Abendstern.

2.

Dunkel. Die Wolken streunen, ein unendlicher Regen begann und die obdachlosen Stürme fragen:

- Quelle, wo sind deine Sterne?

Sie suchen den verborgenen Ruf

Vom verdunkelten Schein.

Es wird nie über mich

Deine Liebe auf gehen.

70 Es leuchtet der Sonnenuntergang,

Nebeneinander wandern dunkle Wolken,

Ach, wie schmerzhaft wieder

Der nahe Wald rauscht!

Blitze glitzern-

Verrückt jeden Augenblick-

Zittert ihr vergängliches Bild

Auf meinem Weg.

Der freie Wind weht-

In den traurigen Wäldern-

Ich sehe, wie er saust, in deinen Haaren.

3.

Sobald über die verstummten Täler

Zärtlicher Abend fliegt, mitten in den wüsten Gärten lebst du in meinem Geiste.

Und wenn es dämmert

Über den verborgenen Wald

Und der Schilf mit Trauer singt-

71 Meine Tränen fließen.

Als ob ich verträumt finge

Jeden Laut von deiner Stimme-

Und dein Lied verstirbt

Dort hinter dem wehenden Schilf.

Zahmer Mond ist widerspiegelt

Hinter den beruhigten Wässern

Und neben die grünen Schilfe

Reiht er weiße Rosen.

Dort oben schaut ein Hirsch

In die Dunkelheit der Nacht

Ein Vogel fliegt und beugt nieder

Die silbernen Stiele der Schilfe.

Ich gehe, meinen Kopf verbeugt, und in den Herzenstiefen rein wie ein heiliges Gebet dein Gedenken läutet mir.

Die Übersetzung durch N. Liliev zeigt einige wichtigen Unterschiede zum Originalgedicht, wobei ich im Vorab betonen möchte, dass der Gesamtsinn beider Werke ident ist.

Bereits in der ersten Strophe des ersten Teils bemerkt man einen Unterschied zum Primärtext, der für den Symbolismus wesentlich ist. Liliev schreibt:

72

Die Sonne geht in den Weiten runter

Und es stirbt der ermüdete Tag.

Zahm verbeugen sich die Weiden

Über die kristalle kalte Quelle.

Im Gegensatz zu Lenau, der das Wasser als „Teich“ bezeichnet hatte, übersetzte Liliev dieses Wort als „kristalle kalte Quelle“. Diese Interpretationsvariante ist stark mit dem russischen diabolischen Symbolismus verbunden. Kristalline Struktur und anorganisch-tote Farblosigkeit verbinden die Sphäre der Edelsteine und der Schnee- und Eiswelt mit dem Lunaren. 35

Es besteht kein Zweifel, dass Lilievs Text sich ganz stark an den diabolischen Symbolismus gerichtet hat.

Bereits in der zweiten Übersetzungsstrophe bemerkt man ein weiteres, für den Symbolismus wichtiges Motiv- das Motiv des Flüsterns. Das šepot- Paradigma zählt zu den produktivsten und homogensten der diabolischen Symbolik- auch nach 1900: es bleibt die klare Zweiteilung bestehen zwischen šepot als Sprache der (unerlösten, diabolischen) Natur (immer im Kontext von luna, trava, kamyš, boloto) und als „diabolisches Reden“ (eines Versuchers, eines Bösen, einer Bedrohung). Dasselbe Paradigma wird im Rahmen des mythopoetischen Symbolismus zur Sprache der (geheimnisvollen, apokalyptischen, messianischen) Vorzeichen kommmender Erlösung bzw. drohenden Weltuntergangs umgedeutet.36

Lilievs lyrisches Subjekt beobachtete das Flüstern der Weiden und das Schwingen der wehenden Schilfe und empfand durch seine auditive Wahrnehmung die Herzenstrauer.

Bei der Übersetzung der nächsten Strophe ist kein wesentlicher Unterschied feststellbar. Beide Dichter haben die Vorstellung der Hoffnung durch die transzendente Begegnung mit der Geliebten auf ähnliche Weise geschaffen.

35 Hansen-Löve, Aage A: Der russische Symbolismus. System und Entfaltung der poetischen Motive, Wien 1989, S. 229 36 Ebenda, S. 211 73 Der nächste bemerkbare Unterschied befindet sich in der Übersetzung der ersten Strophe im zweiten Teil des Gedichts. Während Lenau schreibt:

Trübe wird’s…,

übersetzte Liliev:

Dunkel…

D.h., in Lilievs Text wurde im Kontext eine bereits vorhandene Dunkelheit festgestellt, eine Dunkelheit, die im Hintergrund der gesamten Dichtung steht und die Atmosphäre prägt. Die Dunkelheit ist ebenso ein unentbehrlicher Teil der lunaren Welt. Sowohl Lenau, als auch Liliev, haben auf eine spürbare Art und Weise ein trauriges, dunkles Naturbild erschaffen, das den inneren psychischen Zustand des lyrischen Subjektes widerspiegelt. Durch den Aufbau der Dichtung wurde eine langsame Steigerung der Emotionen des lyrischen „Ich“ geschafft.

Der wohl wichtigste Unterschied zwischen Original und Übersetzung besteht aber darin, dass Liliev den vierten Teil vom Original als Teil drei übersetzt hat und dafür das dritte und fünfte Teil vom Primärtext in ein letztes drittes Üersetzungsteil zusammengefügt hat. Dies führt logischerweise zu einer Änderung der emotionalen Betonung. Während Lenau die Dichtung bereits im dritten Teil mit einer starken Betonung auf dem psychischen Zustand seines lyrischen Subjektes aufbaute, setzte Liliev den Hauptakzent auf das diabolische Naturbild und schuf dafür im letzten Teil eine derartig stark emotional geladene Kulmination der Dichtung, dass man als Leser richtig bildhaft mit dem lyrischen „Ich“ mitleiden muss. Bei der Übersetzung treten einige symbolische Elemente auf. Der Titel beider Werke ist zweifellos ein Symbol für den Menschen, der, laut der allgemein bekannten Definition von B. Pascale „denkendes Schilf“ ist. Lenaus Zyklus folgt der von Hegel formulierten Hierarchie des Schönen in der Natur und verbindet die Schönheit mit den Hauptmotiven, die besonders für die romantische Kunst ganz wichtig sind. Aus diesem Grund ist es auch kein Zufall, dass ausgerechnet der Text von Nikolaus Lenau „Schilflieder“ von N. Liliev übersetzt wurde. Das ist eine Art Bestätigung des Lenauschen Einflusses auf den bulgarischen Dichter in Bezug auf das sog. philosophische Naturbild. Das Naturbild in „Schilflieder“ ist im Einklang mit dem emotionalen Zustand des lyrischen Subjektes. Dieser Einklang äußert sich explizit- durch das Naturbild, das durch die Augen und durch das Gehör wahrgenommen wird, als eine Projektion des traurigen Seelenklanges. Die Seele leidet, weil sie die Liebe verloren hat, aber gleichzeitig, durch die Erinnerung an die Liebe, wird das psychische Gleichgewicht wieder

74 hergestellt. Das Hauptelement der Handlung ist mit dem Wandern des lyrischen Subjektes in seinen eigenen Erinnerungen, gleichzeitig aber auch mit seiner Bewegung im Chaos und der Ordnung der Natur als Projektion der eigenen Emotionen verbunden. So werden die Klänge der Seele als Folge des Geistes betrachtet. Genau der Geist verleiht der Naturwelt Ordnung und Harmonie, auch wenn objektiv gesehen keine Harmonie in der Welt vorhanden ist. Wichtig ist nur die menschliche Vorstellung und sie bezieht sich in diesem Fall auf die Absolute Idee der Liebe, im konkreten Fall, die Liebe zur Frau. Laut Lenau ist diese Liebe, wenn sie wahr ist, ein Weg zur Erlösung, ein permanenter Zustand der menschlichen Seele ist. Liebe ist ein Zustand, der erhoben, ausgeglichen und harmonisch ist und der sich Alpha und Omega, Gott annähert. Liebe ist ein Zustand, der keine Folge der Realität ist, auch keine Folge der Natur als Teil dieser Realität. Sogar die unteren Ebenen der Naturschönheit rufen in der emotionalen Wahrnehmung des lyrischen Subjektes übergeordnete Formen der Schönheit durch die Projektion der wiederhergestellten Liebe durch die Erinnerung. Dies wurde ganz deutlich in dem Monolog des lyrischen Subjektes in der Übersetzung ausgedrückt:

Щом над глъхнали падини Вечер нежна прелети , Сред пустинните градини В моя дух живееш ти .37

Übersetzung Sobald über den verstummten Pfaden Zarter Abend überfliegt, in den Wüstengärten lebst du in meinem Geist.

Es besteht kein Zweifel, dass wenn die Natur rein als Wahrnehmungsspiegelbild gesehen wird, sie genau die umgekehrten emotionalen Empfindungen hervorrufen sollte. Der Geist ist aber derjenige, der die Korrektur hineinbringt und eine neue Nuance in Folge der Wiedergeburt des verlorenen Liebesglücks für das lyrische Subjekt schafft. Durch die Wahrnehmung der Natur hat das lyrische „Ich“ bereits diese Wiedergeburt erlebt, auf einer besonderen, neuen Ebene. Diese Ebene ist unabhängig von der Natur als Realität und bezieht

37 Liliev, Nikolaj: Izbrani prevodi, Sofia 1985, S. 177 75 sich rein auf die Vorstellung von der Natur, auf die Ideale und die Idee, deren Form die Natur ist. Natürlich passiert das aufgrund des bestimmten Einklangs in der Natur. Aus diesem Grund wird die auditive Entdeckung dieses Natureinklangs außerhalb des Menschen umso wichtiger. Genau das wurde durch das Lied des Schilfs ausgedrückt. Das Lied ist eine Anspielung auf den Mythos über Pan und Siringa („Siringa“ bedeutet auf Altgriechisch „Schilf“), für jene, fast unerreichbare aber unüberwindbare Liebesleidenschaft, die durch den Einklang der Schilfflötte ausgedrückt wurde. Genau diesen Einklang hörte das lyrische Subjekt in Lilievs Übersetzung und nicht nur das Rauschen der Schilfe.

Diese Art der Wahrnehmung der Naturbilder ist typisch für die Lyrik Lilievs selbst, eine Tatsache, die allein durch sein Pseudonym deutlich wird. Die Annahme Lenaus als literarisches Vorbild ist zweifellos durch das persönliche Interesse Lilievs für Lenaus Literatur bedingt. Es sollte allerdings jene Basis nicht außer Acht gelassen werden, die durch P. P. Slavejkov geschaffen wurde. Als eine Art Bestätigung der Tatsache, dass genau Slavejkov den ursprünglichen Einfluss Lenaus auf die bulgarische Literatur bedingte, kann die erste Strophe von Lilievs Übersetzung von „Schilflieder“ gesehen werden:

Тъне слънце в далнините И замира морний ден . Кротко свеждат се върбите Над кристалний вир студен .38

Diese Übersetzungsvariante von N. Liliev erinnert stark an das lyrische Fragment aus dem Zyklus „S ăn za štastie“ von P.P. Slavejkov:

Спи езерото ; белостволи буки ...

Übersetzung

Die See schläft; weiße Buchen…

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass beide bulgarische Dichter einem gemeinsamen Vorbild und zwar Lenau gefolgt haben. Was N. Liliev betrifft, ist Lenaus Einfluss, aufgrund des zu

38 Liliev, Nikolaj: Izbrani prevodi, Sofia 1985, S. 175 76 übersetzenden Originaltextes unerlässlich, ganz besonders unter Berücksichtigung der Einstellung Lilievs zu seinen Übersetzungen. Er setzte voraus, dass bei der Transformation des Originals in die Übersetzungssprache keine für den Originaltext untypischen Begriffe oder Bilder verwendet werden dürfen. 39 . In diesem Sinne ist die Übersetzung Lilievs eher ein Zeichen dafür, dass P.P. Slavejkov in vielen Werken den Einfluss Lenaus gefolgt hat, die ihm im Original bekannt waren, auch wenn er diese selber nicht übersetzt hatte.

Dasselbe gilt auch für Nikolaj Liliev, aber genau seine Übersetzungen sind ein direkter Hinweis auf den Lenauschen Einfluss. Dies betrifft besonders stark die besondere Sinneswahrnehmung der Natur, der damit verbundenen Naturbilder, die durch das Gehör die seelische Stimmung und somit eine Harmonie mit der Seele erreichen. Einen Beweis dafür stelle ich im letzten Teil von „Pesni na tr ăstikata“ fest:

... А когато се здрачава Низ потайний горски кът И тръстта с печал запява - Моите сълзи текат . Сякаш аз ловя унесен Всеки звук на твоя глас - И замира твойта песен Там зад разлюлений саз ...... Аз вървя , навел главата , А в сърдечни глъбини Чист като мoлитва свята Твоя спомен ми звъни .40

Genau dieses Bild, das durch das lyrische Subjekt vermittelt wurde, ist eine Folge der auditiven Wahrnehmung einer Stimme, ein Eindruck, der mit einem anderen „Sinnesorgan“ verbunden ist- mit dem Herzen.

39 Vgl. Liliev, Nikolaj: Poezija, Sofia 1968, S. 17-18 40 Liliev, Nikolaj: Izbrani prevodi, Sofia 1985, S. 177-178 77 3.4.Übersetzungsanalyse von Lenaus Poem „An meine Gitarre“ und „Na mojata kitara“ von Venceslav Konstantinov

An meine Gitarre

Gitarre, wie du hängst so traurig! Die Saiten tönen nimmermehr, Die längst zerrißnen wanken schaurig Im Abendwinde hin und her.

Auch deine Saiten sind zerrissen, Es schweigt dein süßer Liederklang, Seit in des Busens Finsternissen Mir jede frohe Saite sprang.

Mir sank der Freund voll Jugendblüte Hinunter in die Todesflut; Die meiner Lieb entgegenglühte, Nun bei den kalten Toten ruht.

Doch will ich euch nun frisch besaiten, Dich, meine Leier! dich, mein Herz! Rückbannen die entflohnen Zeiten, Die alte Lust, den alten Schmerz.

Hinaus ins Dunkel jener Eichen! Dort findet sich der alte Lauf; Dort stören wir die Liederleichen Aus ihren stillen Gräbern auf.

Wenn erst die Lieder nur erwachen, Dann ruft, dann zieht ihr lauter Chor Die Lieben all in meinen Nachen Aus dunkler Todesflut empor.

78

Es klingt! – doch fliehn im scheuen Fluge Die Töne auf von meiner Hand; So eilt, verspätet, nach dem Zuge Das Vöglein übers Heideland.

Jetzt bin ich meines Herzens Meister! Nun rauscht wie einst der Sturmakkord! Schon springen die versunknen Geister Herauf, herauf an meinen Bord!

O du, mein Freund, so treu und bieder! Wohl mir, du bist mir wieder nah! Dein süßes Wort auch hör ich wieder: Mein holdes Mädchen, bist du da? –

Doch nein! mich höhnten finstre Mächte! Wo ist der Freund? das blonde Kind? Der Nebel reicht mir keine Rechte; Durch blonde Disteln saust der Wind! 41

Николаус Ленау

НА МОЯТА КИТАРА

Китаро , как висиш печално ! Ах , струните ти не звънтят И скъсани отдавна , жално В зефира вечерен трептят .

Мълчиш ! Скръбта и теб целуна ; Звукът ти сладък не ехти ,

41 Lenau, Nikolaus: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 34-36

79 Откакто всяка ведра струна Се скъса в моите гърди .

Приятелят ми в цвят и сила Пое с вълните на смъртта ; И пламенната моя мила Лежи студена под пръстта .

Днес нови струни ще обтегна На тебе , лиро , в тебе , гръд , Та спомените да досегна , Да звъннат горестта , смехът .

Ще идем в тъмната дъбрава , Там дните пазят своя лик ; Ще вдигнем песните тогава От гробовете им за миг .

Те с хора си ще ни обгърнат , Екът им ще ни разтуши ; От тъмните вълни ще върнат Обратно свидните души .

Звънтиш ! И с порив плах полита От дланите ми пак звукът ; В степта тъй птичка упорита Догонва ятото на път .

ПАК господар съм на сърцето ! Ах , гръмва бурният акорд ! Изплуват духовете , ето - Покачват се на моя борд .

Приятелю , тъй прям и верен ,

80 Пак виждам твоите черти , Пак чувам глас добронамерен ... Момиче дивно , где си ти?

Уви ! Лъстят ме мрачни сили ! Приятел ? Русото дете ? Мъглата скрива мойте мили , А вятър тръните мете !42

1832 Превод от немски : © ВЕНЦЕСЛАВ КОНСТАНТИНОВ

Nikolaus Lenau An meine Gitarre (Übersetzung des Sekundärtextes)

Gitarre, wie du traurig hängst, und deine Saiten läuten nicht, zerrissen, heulen längst, im Abendwinde leise schwingst.

Du schweigst! Dich küsste auch die Trauer; Dein süsser Klang erläut’ nicht mehr, Seitdem auch jede frohe Saite in meiner Brust zerriss.

Mein Freund, in seiner Kraft und Jugend, ging mit den Todesfluten; Und meine heißgeliebte Holde Liegt kalt unter Erden.

Heute werd ich neue Saiten spannen

42 http://vkonstantinov.hit.bg/dichter/lenau_n/05.htm 81 Dir, meine Leier, in dir, Brust, Damit ich die Erinnerungen anfass, Damit erläuten die Tränen, das Lachen.

Wir werden in den dunklen Eichenwald gehen, Dort bewahren die Tagen ihr Gesicht; Ort werden wir die Lieder erheben Aus ihren Gräbern für einen Augenblick.

Sie werden uns mit ihrem Klang umschlingen, ihr Schall, der schenkt uns Trost; Aus den dunklen Fluten werden sie bringen, zurück die geliebten Seelen.

Du läutest! Und mit scheuem Drang Aus meinen Händen fliegt erneut der Klang; In der Steppe so ein stürmender Vogel Erreicht die fliegende Schar auf ihrem Weg.

WIEDER bin ich Herr über meinem Herz! Ach, es erklingt der stürmische Akkord! Die Geister schweben auf, da, sie steigen auf über meinen Bord.

Mein Freund, so treu und ehrlich, ich sehe wieder dein Gesicht, ich höre wieder wohl gesonnene Stimme… Wunderschönes Mädchen, wo bist du?

Vergeblich! Es versuchen mich dunkle Mächte! Ein Freund? Das blonde Kind? Der Nebel verdeckt meine geliebten, Und der Wind die Dörner kehrt!

82 Dieses Gedicht Nikolaus Lenaus ist eines der emotionalsten in seiner literarischen Tätigkeit. Hier treffen einige der wichtigsten Motive der gesamten Romantik zusammen: die Trauer der Seele, die mit einer verstummten Gitarre verglichen wird, der Verlust der geliebten Menschen, der erschreckende, mythisch dargestellte Tod und das Wiedererwachen des Herzens in der Kunst durch die Musik. Im Originalwerk beginnt Lenau die erste Strophe mit einem Bild der traurig hängenden Gitarre. Die romantische Darstellung der Seele durch das Musikinstrument ist ein sehr beliebtes Motiv in der Literatur und Musik. Der Übersetzer des Originals wählte tatsächlich für seine Variante des Textes fast eine identische Aufbauweise der ersten Strophe:

Gitarre, wie du traurig hängst, und deine Saiten läuten nicht, zerrissen, heulen längst, im Abendwinde leise schwingen.

Diese klare Assoziation für die trauernde menschliche Seele wird in der zweiten Strophe der Übersetzung noch klarer ausgedrückt. Während im Original von Lenau der Zustand im Herzen des lyrischen „Ich“ eher von der betrachtenden, inaktiven Seite angesprochen wird:

Auch deine Saiten sind zerrissen, Es schweigt dein süßer Liederklang, Seit in des Busens Finsternissen Mir jede frohe Saite sprang, wendet sich die lyrische Persönlichkeit des Übersetzers in der Sekundärvariante offensiv an die Seele. Mit dem Ruf „Du schweigst! Dich küsste auch die Trauer…“ lässt sich der erste deutliche Unterschied zwischen dem rein romantisch aufgebauten Original und der mit symbolischen Motiven ergänzten Übersetzung erkennen. Obwohl Venceslav Konstantinov in den 80er und 90er Jahren des 20. Jh. seine übersetzungstechnische Tätigkeit ausübte, lassen sich in seinen Werken einige symbolische Elemente feststellen. So wie oben erwähnt, ist dieser „Kuss der Trauer“ kein romantischer Zugang zur Beschreibung des seelischen Zustandes. Das „Ich“ ruft zu der Gitarre. Die Gitarre ist nicht einfach ein Symbol der Seele. Sie ist ein Symbol für die Kunst und für das Schaffen. Die Musik verstamm, als alle fröhlichen Saiten im Herzen des Musikers zerrissen. Alleine durch diese Kontrastdarstellung

83 des Seelenzustandes des lyrischen „Ich“ stelle ich als Leser einen wichtigen Unterschied fest: Das Original beschreibt die Brust, also das Herz des lyrischen Subjekts als „finster“, „in des Busens Finsternissen“. Das heißt also, dass das Herz von Grund auf voller Finsternis war. Die Übersetzung hingegen schreibt nichts von einem „finsteren“ Herzen. Sie stellt den Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der Freude, und dem Verstummen der Gitarre, also dem Verlust der künstlerischen Inspiration, zustande kam. Dieses Element des Schaffens, durch Musik oder durch Wort, ist ein wichtiges philosophisches Problem. Der Künstler und seine Seele sind ein Ganzes, wo auf überdimensionaler Ebene das menschliche „Ich“ der Seele auf das übermenschliche Wesen des Künstlerischen trifft. Der wahre Künstler ist dazu verurteilt, einsam zu sein und seine eigenen Kreaturen zu zerstören. Diese zerstörerische Natur wurde bereits von Friedrich Nietzsche in seinem Werk „Also sprach Zaratustra“ angesprochen. Das Bild des von dem Philosophen beschriebenen „Übermenschen“ ist und war in der Zeit des Symbolismus und auch danach eines der wichtigen Motive in der modernen Literatur, bei der der Akzent nunmehr auf den psychischen Ursprung des „Ich“ konzentriert wird. Die von der Epoche der Romantik bekannten tragischen und aussichtslosen Darstellungen der hilflosen leidenden menschlichen Seele, die mit den Umständen fertig werden muss, wurden bereits durch ein anderes Bild ersetzt. Wenn das romantische lyrische „Ich“ in einer kompletten Dimension erfasst werden kann, dann möchte ich behaupten, dass das symbolistische lyrische „Ich“ zwei- bis dreidimensional ist. Einerseits sind die Motive des Leidens in der Gegenwart sehr wohl präsent, andererseits wird in die zweite Dimension des Transzendentellen ein Sprung hinein geschaffen, bei dem die Grenzen des Vergänglichen überwunden werden und somit die Dimension des Metaphysischen erreicht wird.

Die dritte Strophe des Sekundärtextes von Venceslav Konstantinov ist, so wie auch im Originaltext, eine Art Erklärung für den Seelenzustand des lyrischen Subjektes. Der einzige wesentliche Unterschied zwischen beiden Texten besteht darin, dass im Sekundärtext die „heiß geliebte …kalt unter der Erde ruht“ und im Original ruht die Geliebte „bei den kalten Toten“. Bei der Beschreibung im Sekundärtext wird die Bedeutung der Kälte gewendet. Die für das romantische „Ich“ „Lieb entgegenglühte“ scheint nicht eine kalte Tote zu sein, während der Sekundärtext die Bezeichnung ganz deutlich umdreht, wobei zwei auf den ersten Blick unvereinbare Zustände vereinbart werden- die entgegenglühende Liebe „liegt kalte unter Erden“. Allein der Begriff „unter Erden“ deutet auf die symbolische Bedeutung der Erde hin. Die Erde ist zugleich Anfang und Ende. Konstantinov Akzent liegt nicht auf den Toten, sondern auf der Erde. Das ist zugleich ein Motiv aus der bulgarischen

84 Folkloretradition. Die Erde hat in der bulgarischen Volksgeschichte eine ganz besondere Rolle. Sie wird oft mit einer Mutter verglichen, die ihre Kinder nährt (in diversen Volksliedern). In anderen Fällen wird die Erde als das zugrunde liegende Wesen des Weiblichen gesehen und nicht zuletzt ist die Erde in der bulgarischen Folklore eine dunkle Kluft des Todes. Diese mystischen Aspekte sind vom Übersetzer ganz klar angesprochen worden. Die vierte Strophe des Gedichtes ist sehr expressiv in Bezug auf den innerlichen Kampf des lyrischen „Ich“, das sich wieder für den Klang der Musik entscheidet und den Mut findet, die Saiten der zerrissenen Seele wieder zu spannen. Der Unterschied zwischen Original und Übersetzung ist bei dieser Strophe auf den ersten Blick nicht so stark bemerkbar, jedoch gibt es hier einige Elemente, die Diskrepanzen zeigen und nennenswert sind. Während die erste Zeile der Strophe in dem Original mit den Worten beginnt: „Doch will ich euch nun frisch besaiten…“, ist im Sekundärtext die klare Entscheidung des lyrischen „Ich“ ersichtlich: „Heute werd ich neu besaiten…“. Das Subjekt will nicht nur die zerrissenen Saiten der Leier und des Herzens wiederherstellen, sondern sucht dadurch die Verbindung zu den Erinnerungen: „…damit ich die Erinnerungen anfasse…“. Das Problem für die Erinnerungen, durch die auf transzendentaler Ebene die Freude und die Trauer wieder erklingen können ist ganz deutlich gemalt: „…damit die Trauer und das Lachen erläuten…“.

In der nächsten Strophe wird im Sekundärtext der Gang in den „dunklen Eichenwald“, Hand in Hand mit den Erinnerungen als ein Symbol für den Tod dargestellt, wobei auf ein wichtiges mystisches Element hingewiesen wird. Dieser mystische Wald ist zugleich ein Ort, wo Leben und Tod zusammentreffen. Dort „bewahren die Tage ihr Gesicht“. Alleine diese Beschreibung in der Übersetzung zeigt diese von mystischem Leben angehauchte Atmosphäre. Dort, in diesem dunklen Ort werden die Lieder, die gestorbenen, wieder kurz zum Leben erweckt. Dies ist ein klarer Ausdruck des Erweckens der Seele des Künstlers. Das „Ich“, das sich gegen das Schaffen entschieden hatte, findet durch die Erinnerungen an dem dunklen Ort die Lieder seiner ehemaligen Inspiration.

Die nächste Strophe ist ein klarer Übersprung ins Metaphysische, wo im Sekundärtext, im Gegensatz zum Original, auf die Freude akzentuiert wird, die durch den Klang der verlorenen Lieder empfunden wird. Durch diese Lieder, also, durch die Erinnerungen, werden die geliebten verlorenen Menschenseelen wieder zum Leben erweckt. Das Lied als ein Symbol für das Leben ist vom Übersetzer zweifellos ausdrucksstark gemalt worden. Im Gegensatz

85 zum Original, wo kein Wort von Freude erwähnt wird, wo nur auf die Lieder als solche hingedeutet wird, ist die Übersetzung eine Stufe weiter gegangen und hat ein weiteres Element in sich geborgen- den seelischen Trost durch die Kunst für den Künstler.

Die siebte Strophe beider Texte zeigt wieder eine leichte Diskrepanz zwischen Original und Übersetzungsvariante. Das Original lautet:

Es klingt! – doch fliehn im scheuen Fluge Die Töne auf von meiner Hand; So eilt, verspätet, nach dem Zuge Das Vöglein übers Heideland…, während die direkte Variante der Übersetzung folgendermaßen klingt:

Du läutest! Und mit scheuem Drang Aus meinen Händen fliegt erneut der Klang; In der Steppe so ein unermüdlicher Vogel Erreicht die Schar auf ihrem Weg.

Bei der Übersetzungsvariante wendet sich das lyrische „Ich“ an die eigene Seele, während im Original nur festgestellt wird, dass der Klang der Gitarre wieder erläutet hat. Der Übersetzer setzt außerdem den Akzent auf die erneute Entscheidung des Künstlers, Kunst durch die Musik zu schaffen. Die Musik ist zuerst scheu, jedoch kommt sie mit einem „Drang“. Und der Vergleich mit dem „unermüdlichen“ Vogel, der die Schar auf ihrem Weg erreicht, ist ein Sinnbild für den erwachten Geist, der wieder der Inspiration folgt und diese in der Tat erreicht.

Die nächste Strophe der Übersetzung stellt wieder leichte Sinnesunterschiede mit dem Original dar. Während Lenau in seinem Werk durch die lyrische Person aufschreit: „Jetzt bin ich meines Herzens Meister!...“ und somit die Hauptbetonung auf das momentane Erreichen der Herrschaft über dem Herzen setzt, schreibt der Übersetzer am Anfang der Strophe: „WIEDER bin ich Herr über meinem Herz!“ Somit ist der Unterschied bereits auf den ersten Blick ersichtlich. Während das „Ich“ aus der romantischen Ursprungsvariante durch das Erklingen der Musik zum „Herrn des Herzens“ wird, ist das „Ich“ aus der Übersetzung durch

86 das Erreichen seiner Inspiration, von der in dem Kommentar über die vorhergehende Strophe die Rede war, wieder Herr über seinem Herzen. In dieser Strophe geht es um etwas ganz Wesentliches: Durch die erweckte Musik wird die transzendentale Ebene erreicht, bei der die Geister aus der Vergangenheit wieder „den Bord“ des „Ich“ erreichen, also, von seinem Geist wieder zugelassen werden. Diese seelische Überwindung der eigenen Persönlichkeit, die durch den Schmerz geprägt wurde, ist ebenso ein wesentliches philosophisches Problem, das sowohl von dem Autor des Originals, als auch vom Übersetzer treffend weitergegeben wurde und zugleich wurde die Kulmination in dem ganzen Gedicht erreicht. Die emotionale Steigerung beginnt langsam bei der nächsten Strophe nachzulassen, wo das lyrische „Ich“ der Übersetzung bereits auf der metaphysischen Ebene das Gesicht des Freundes sehen kann. In dem Original hingegen, wird das Bild für das Wiedererreichen der geliebten Verlorenen durch die Feststellung: „ Wohl mir, du bist mir wieder nah…“ geschaffen. Der nächste Unterschied zwischen den beiden Texten besteht in der Frage: „ Mein holdes Mädchen, bist du da? -…“, wie im Original, im Gegensatz zur Übersetzung: „…Wunderschönes Mädchen, wo bist du?“ angeführt Das „Ich“ aus dem Original sucht durch die Frage nach der Bestätigung der Geliebten, dass sie präsent ist. Das lyrische „Ich“ aus der Übersetzung hingegen wendet sich an die Muse. Es besteht kein Zweifel, dass sie nicht da ist. Das „Ich“ scheint auch nicht unbedingt eine Antwort zu erwarten. Sie, die Geliebte, oder die verlorene Muse für die Kunst des Künstlers, wird von ihm einfach mit letzter Hoffnung gesucht.

Die letzte Strophe des Gedichtes zeigt bei beiden Varianten die verlorene Hoffnung der menschlichen Seele. Im Original wird durch das „-„ Zeichen am Ende der vorletzten Strophe ein sichtlicher Übergang zum Finale geschaffen. Der Beginn der letzten Strophe im Original bestätigt nur die Tatsache, dass die geliebten Menschen verloren sind. Die vom Dichter gezeichneten „finstren Mächte“ werden nicht mit den Bildern der Geliebten gleichgestellt. Die Übersetzung hingegen setzt einen wichtigen Sinnesunterschied:

„Vergeblich! Es versuchen mich dunkle Mächte! Ein Freund? Das blonde Kind ? Der Nebel verdeckt meine geliebten, Und der Wind die Dörner kehrt!“

87 So übersetzt, bedeutet die zweite Zeile der Strophe, dass die dunklen Mächte zugleich die Bilder des Freundes und der Geliebten sein können. Diese Darstellung ist bereits mit einer anderen Bedeutung angehaucht, wo man den Ursprung in der Psychologie und der Psychoanalyse des Bewusst- und Unterbewusstseins finden kann. Die Übersetzung unterscheidet sich vom Original vor allem durch die angewendeten, teilweise symbolischen, teilweise psychoanalytischen Motive, die erst im Laufe des 20 Jh. ihren Höhepunkt erreichten. Im Allgemeinen kann ich jedoch auch bei dieser Übersetzungsvariante feststellen, dass der Übersetzer mit der deutschen Sprache sehr vertraut war und dadurch es geschafft hat, den ursprünglichen Rhythmus und die Melodie des Originals zu bewahren.

4. Zusammenfassung

4.1. „Nikolaus Lenau in der bulgarischen Moderne“

In der Entwicklung der literarischen Prozesse, besonders in der sog. modernen Kunst, wurde der gegenseitige Einfluss verschiedener Kulturen und Traditionen immer ausgeprägter. In Bulgarien begann die Fromierung der modernen Kunst und Literatur erst im dritten Viertel des 19. Jh, wobei, aus historischen Gründen, nach „fremden“ Vorbildern gesucht wurde. So entstand bereits in den 80- er Jahren des 19. Jh ein ausgeprägtes Interesse für die deutschsprachige Literatur. Einer der bulgarischen Dichter, die sich für die deutsche Literatur interessiert haben, war P.P. Slavejkov.

Slavejkov war derjenige, der praktisch den Anfang der neuen bulgarischen Literatur stellte und zugleich viele Autoren des 19. Jh direkt beeinflusste. Dieser bulgarische Autor erweckte das Interesse anderer Dichter und Schriftsteller für die Lyrik Nikolaus’ Lenaus. Slavejkov selbst übersetzte ganze sieben Werke des österreichischen Dichters und widmete Lenau das Poem „Uspokoenija“, in dem Lenau als „Sänger der Trauer und der Liebe“ dargestellt wurde.

Nicht nur Slavejkov konnte sich mit dem Wesen des österreichischen Dichters gut identifizieren. P.K. Javorov zählte zu jenen bulgarischen Dichtern, die stark unter dem Einfluss von P. Slavejkov sowie vom literarischen Kreis „Mis ăl“ standen. Da Slavejkov eine Art Vorbild für den jungen Javorov war, übertrug sich Slavejkovs Interesse für die Lyrik Lenaus auch auf ihn. In der Lyrik Lenaus entdeckte Javorov viele Motive sowie Problemkreise, die er in seiner eigenen Lyrik entfaltete.

88 Javorov übersetzte eines der wichtigsten Werke Lenaus: „Winternacht“. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass der bulgarische Dichter für seine Übersetzung Sekundärtexte aus dem Französischen verwendet hat, da er der deutschen Sprache nicht mächtig war. Trotz der vorhandenen Sprachbarriere sollte erwähnt werden, dass Lenau und Javorov in Bezug auf ihre poetischen Vorlieben miteinander verbunden waren.

Der nächste bulgarische Dichter, der sich fpür die Lyrik Lenaus interessierte, war Nikolaj Liliev. Er zählte zu jener Generation Dichter, die eine fast vollkommen vollendete poetische Tradition genossen. Ein unmittelbarer Teil dieser Tradition war die Vorliebe für „fremde“, nicht- bulgarische Vorbilder. N. Liliev widmete Lenaus Lyrik seine besondere Aufmerksamkeit. Der bulgarische Dichter übersetzte aus dem Original eines der wichtigsten Werke des Österreichers: „Schilflieder“. Liliev und Lenau waren stark durch die Fähigkeit, ein sog. inneres Naturbild zu schaffen, verbunden. D.h, die Naturbilder in der Lyrik beider Dichter dienten als Ausdruck des Seelenzustandes des lyrischen Subjekts.

In der bulgarischen Literatur gab es noch einen Dichter, der mit der Lyrik Lenaus stark verbunden war: Teodor Trajanov. Obwohl er kein einziges Werk übersetzt hatte, widmete Trajanov dem österreichischen Dichter eines seiner wichtigsten Werke in dem Zyklus „Panteon“: „Den Triumphwagen des Wahnsinnigen“.

In der Lyrik Trajanovs und Lenaus bestehen einige Gemeinsamkeiten. Abschließend sollte erwähnt werden, dass beide Dichter das Problem des Todes als einziger Ausweg aus der materiellen Realität als das wohl wichtigste für ihre Literatur empfanden. Des Weiteren war für beide Lyriker die Verbindung zu der Heimat die Hauptquelle zur Schöpfung von Lebensenergie.

Zum Abschluss möchte ich feststellen, dass nicht nur Teodor Trajanov, sondern auch alle in der Diplomarbeit erwähnten bulgarischen Symbolisten, durch ihre Kunst das Gleichgewicht zwischen der materiellen Welt und dem metaphysichen Absolut anstrebten.

4.2.„Николаус Ленау в българската модерна “

В развитието на литературните процеси , особено в рамките на така нареченото модерно изкуство , взаимното влияние между отделните национални традиции, както и между

89 отделните автори , започва да става всеобхватно и интензивно . Обикновено този вид процеси е едностранен . Т.е., по - силните литератури влияят върху тези , които са по - слабо развити или едва започват своето развитие . Точно такава е ситуацията в третата четвърт на 19. в., когато в България започва формирането на модерното изкуство . То практически не е предшествано от значима национална традиция . Пораи тази причина , то се нуждае от образци , които , поне първоначално , няма как да не бъдат чужди . Разбира се , тяхното възприемане става най - вече на основата на преводи , особено на онези езици , които традиционно са слабо познати , още в прехода на Възраждането и преди Освобождението . Единият от тях е немският , който е слабо разпространен , за разлика от френския , гръцкия или руския , които са изучавани от българите , още докато те са изцяло във властта на Отоманската империя .

Така , още в осемдесетте години на по - миналия век , започва да се проявява интерес към немската литература , от една страна , защото тя до този момент е била относително непозната , а от друга и заради някои български автори , които проявяват към нея личен интерес . Единият от тях е Пенчо Петков Славейков .

4.2.1. Пенчо Славейков и неговият интерес към творчеството и личността на Ленау

Той е авторът , който практически поставя началото на българското модерно изкуство , на новата българска литература и пряко въздейства върху много автори от третата четвърт на 19. в. И първата половина на 20. в. До голяма степен точно той способства за формирането на интереса към творчеството на Николаус Ленау и по този начин е предпоставил неговото влияние върху лириката на някои български поети , свързани с модерното изкуство . Разбира се , в началото на 20. в., някои от тях , които знаят добре немски ( като Теодор Траянов например ), се запознават директно с творчеството на Ленау . Все пак първоначалният тласък към този изразен интерес към лириката и личността на австрийския поет е даден от П.П. Славейков . Точно поради тази причина , неговата гледна точка за Ленау следва да бъде приета като водеща . А тя е пряко формулирана в статията , или по - скоро очеркът , озаглавен : „ Николаус Ленау ( Нимбш фон Щреленау )”:

90 „Особено на онези млади хора , като на мене едно време , Ленау ще се хареса със своята меланхолия и с вълшебната музикалност на стихът , с която е въсъздал в слово меланхолията си тоя вечен безпокойник , роден в унгарската меланхолна Пуста . Неговите пейзажи са едни от най - дивните в немската лирика и темперамента на Ленау е добил може би най - добър израз в тях . Не една от неговите песни е бисер ... Той отражава боите и движенията на външния свят , но с някакво безмълвие и меланхолия . Рожби на болка , никой не може да заподозре песните на Ленау в неискренос , в това , в което винаги е подозрителна меланхолията , особено у младите хора , у ония , които са влюбени и любовта капризничи с тях , с бледността на лицето им и с израза на погледа им... В онова време , когато Ленау е живял , меланхолията е била на мода . Но самият негов живот , тъй поетичен и огрян , пред залязване , от любовта на неговата избраница , София Лйовентал , хвърля още една поетическа сянка на неговите тъжни перли . И който знае нея, ще обикне и заобича завинаги и другите песни на то я злочестник . Тя ги разхубавява и кара нас , огрените от радостта на живота , да чувстваме и проникваме в тяхната особена прелест .” 43

Безпорно , Пенчо Славейков е прав , твърдейки , че лириката на Ленау или една част от нея , ще бъде харесана от онези поети , които са склонни към меланхолия или поне много често са й подвластни . Сред тях са и П.К. Яворов , и Теодор Траянов , и Николай Лилиев . Те , в частност са и сред тези български поети , които са наистина майстори на съчетаването на лирически текст със звученето , присъщо за музиката . Също така имат особена чувствителност по отношение на природата .

Но интересът на П.П. Славейков към Николаус Ленау не се свежда само до този очерк , към който са приложени и няколко преводни творби („ Молба ”, „ Свършено ”, „ На смъртта ”, „ Есен ”, „ Месечина ”, „ Тежка нощ ”, „ Трима цигани ”), а му отделя специиално внимание в една от своите най - значими поетически книги - „ Епически песни ”. Там на него е посветена отделна поема , озаглавена „ Успокоения ”, в която Ленау е определен като певец на „ скръбта и любовта ”. Същевременно е обърнато внимание на неговия особен копнеж за смъртт , съчетан със странното съвместяване едновременно на слабост и сила , изразени в поемата . Тази склонност към болезнена и практически непреодолима меланхолия е един от белезите , присъщи на т.нар . поети на Мировата скръб , един от които е и Пейо Яворов .

43 Славейков , Пенчо : Събрани съчинения , Том 7, София , 1959, стр . 160-161 91

4.2.2. Влияние на Ленау върху лириката на Пейо Яворов

На всички е известен фактът , че Пею Крачолов Яворов , започвайки своите творчески изяви в деветдессетте години на 19 в., е под силното въздействие на П.П. Славейков и въобще на литературния кръг „ Мисъл ”, с който е свързан . Славейков е яворовият наставник в областта на поетическото изкуство . В този смисъл Яворов се повлиява силно от вкусовете и интересите на Славейков . Поради тази причина и лириката на Николаус Ленау представлява особен интерес за младия български поет , който в нея открива много близки за самия него мотиви и проблемни нива .

Яворов се изявява като преводач на едно от най - значимите произведения на Ленау : „Зимна нощ ”. Не бива да бъде пренебрегнат фактът , че Яворов не владее немски език , а използва вторични текстове в превод на френски език . Въпреки езиковата бариера , преводът на „ Зимна нощ ” дава да стане ясно , че двамата поети са силно свързани помежду си от гледна точка на своята поетическа насоченост .

И двамата са подвластни на една непреодолима меланхолия , от която единственият възможен изход е смъртта . И двамата поети са обединени и от обща емоционална предопределеност - в живота и на двамата присъства така наречената фатална жена , която е недостижима и за двамата . И Ленау , и Яворов се чувстват не на място в обществото , в което са принудени да живеят и изпитват същевременно засилен интерес към национално - освободителните движения в своето съвремие . Всички тези обединяващи фактори няма как да не доведат до сходства , респ . до влияние на по - ранния и известния от двамата върху творчеството на по - младия поет .

Допълнителна причина , поради която Пейо Яворов отделя внимание на Ленау като значим творчески еталон е отношението на П.П. Славейков към австрийския поет , който гореспоменатата си статия описва Ленау като от явно значимите поети на 19. в.

Яворов е свързан с лириката на Ленау не само по отношение на неповторимата нежна меланхоличност , която е предадена в много от творбите и на двамата автори , но и на умението да съчетава лириката с музика и на невероятната му спосообност да изгражда

92 представата за природата като външна проекция за състоянието на човешката душа , както и на интереса му към героическия тип личности .

4.2.3. Влияние на лириката на Николаус Ленау върху поезията на Николай Лилиев

Николай Лилиев ( Николай Михайлов Попиванов ), роден 1885 година , принадлежи към онова поколение български поети , които получават от предхождащото ги поколение творци една вече изцяло формирана поетическа традиция . Една неотделима част от тази наследена традиция е силният интерес към чужди , „ небългарски ” образци , които служат като предпоставка за личното творчество в различни аспекти . В случая нв става дума за плагиатство или сляпо подражение , а за взаимстване на идеи и мотиви , които по същество обогатяват и усъвършенстват собствената лирика и й създават възможност за развитие на поетическия изказ . Точно поради тази причина това младо и до голяма степен подвластно на чужди еталони общество поети и писатели се концентрира съзнателно през точи период върху преводите на чуждоезикови текстове . Николай Лилиев отделя специално внимание на лириката на Николаус Ленау , превежда от оригинал един от най - значимите текстове на австрийския поет : „ Песни на тръстиките ”, и проявява и в собственото си творчество склонност към една изключително силно изявена болезнена меланхолия , за която няма обективно обяснение . Лилиев , както и Ленау , съумява да създаде чрез лириката си т. нар . интериорен пезаж , т.е., природата служи като израз на емоционалното състояние на лирическия „ Аз ”. „ Аз ”- ът в повечето случаи е идентичен със самия автор . Ленау и Лилиев са обединени и от своята особена нагласа спрямо изкуството като възможност за бягство от заобикалящата ги реалност . В много случаи и двамата поети се затварят в идеалния свят на изкуството , респ . на природата като израз на съответното психическо състояние . От една страна и двамата творци изпитват желание за бродене , странстване , от друга страна изразяват стремежа си за намиране на покой на онова място , където ще намерят най - сетне успокоение и пристан . И Ленау , и Лилиев , са обединени от силната и сякаш непреодолима тъга , както и от умението да изграждат така наречения звуков пейзаж в произведенията си . Гласът на Родината , който е присъщ за творчеството и на двамата поети , поражда силна носталгия , почти на подсъзнателно ниво . Тази носталгия обаче дава на индивида същевременно и енергия , и сила за живот . Енергия , за да може индивидът да възвърне способността си да търси и намира , да очаква и да се надява .

93

4.2.4. Влияние на Николаус Ленау върху творчеството на Теодор Траянов

Теодор Василев Траянов е един от българските поети , които са силно свързани с немскоезичната културна традиция . Българският поет произхожда от високопоставено семейство , благодарение на което получава възможността да продължи образованието си във Виенската политехника . Именно във Виена , Траянов се запознава от непосредствена близост с творчеството на редица немскоезични поето и философи , които в последствие повлияват неговото соствено изкуство .

По отношение на творчеството на Николаус Ленау , може да бъде с основание изказано твърдението , че Траянов е силно повлиян от австрийския поет . Не като преводач на неговите първични текстове , а като автор , посветил му едно от най - значимите свои произведения в цикъла „ Пантеон ”: „ Колесницата на безумния ”. Траянов е единственият автор , на когото обръщам внимане в настоящата дипломна работа , който не се изявява като преводач на лириката на Николаус Ленау и въпреки това има силно изразена връзка с австрийския поет . Тази връзка се проявява от една страна чрез доминацията на романтичните елементи в творчеството на Траянов , от друга страна , чрез влечението му към онези поети , които са непосредствено свързани с Мировата скръб и въобще чрез присъщото за романтистите и символистите сливане между лирика и музика . Природата на Теодор Траянов го доближава много силно до личността на самия Ленау , който е музикален в изказа си , но не е до такава степен патетичен , че стиховете му да звучат гръмливо .

Друг важен свързващ елемент между лириката на Ленау и Траянов е водещото слухово възприятие на природата , като пейзажът е преди всичко интериорен , точно както и в лириката на Николай Лилиев и отчасти на Пейо Яворов . Сходства огат да бъдат наблюдавани и по отношение на съответствието смърт - есен , което е присъщо както за лириката на австрийския , така и за българския поет .

Друг изключително емблематичен елемент , обединяващ творчеството на двамата поети , е представата за завръщането към природата като първоначало , независимо колко са се отдалечили от него .

94

Следващ обединяващ елемент в лириката на Траянов и Ленау е общият интерес към проблема за т.нар . славянски месизнизъм , на който и двамата посвещават свои творби .

В лириката на Николаус Ленау и Теодор Траянов се наблюдават редица сходни елементи . В заключение би трябвало да бъде споменато , че и двамата поети изтъкват като най - важни в творчеството си мотива за смъртта като единствена възможност за бягство от тленната реалност , както и за свързаността с природата и родината като източник на жизнена енергия .

Тези особености на лириката на Николаус Ленау са послужили като очевидна база за творчеството не само на Теодор Траянов , но и на останалите , разглеждани в настоящата работа , български символисти , които , чрез собственото си творчество , са се стремили да постигнат баланс между тленния материален свят и метафизичния Абсолют .

95 Literaturangaben

Primärliteratur

Lenau, Nikolaus: Gedichte. Bibliographisch ergänzte Ausgabe, Reclam, Stuttgart 2005

Lenau, Nikolaus: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a. M. 1970

Javorov, Pejo: Sabrani s ăčinenija, tom 5, Sofia 1959/1960

Slavejkov, Penčo: Sabrani sa činenija v osem toma, Sofia 1959

Liliev, Nikolaj: Izbrani prevodi, Narodna Kultura, Sofia 1985

Liliev, Nikolaj: Poezija, B ălgarski pisatel, Sofia 1986

Trajanov, Teodor: Sa činenija, tom 3, Panteon, Sofia 1934

Konstantinov, Venceslav: http://vkonstantinov.hit.bg/dichter/lenau_n/lenau.htm#x (15.02.2008) http://de.wikipedia.org/wiki/Wenzeslaw_Konstantinow (20.05.2008) http://de.wikipedia.org/wiki/Dekadenzdichtung (15.07.2008) http://www.gedichte-lyrik-poesie.de/Lenau_Winternacht/index.html (12.02.2008) http://slovo.bg/old/slaveykov/katunari.htm (01.07.2008)

Sekundärliteratur

Hansen- Löve, Aage.A: Der russische Symbolismus. System und Entfaltung der poetischen Motive. 1. Band: Diabolischer Symbolismus, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien 1989.

Deliivanova, Božidara: Das Lenau- Bild in Bulgarien um 1900, Lenau- Forum, N.F. 3, 1986/1987

96 Stai čeva, Emilia: Pörträts österreichischer Dichter in der bulgarischen Lyrik der Moderne, Modern Austrian Literature 30,Special Issue: Austria in Literarture 1987

Stan čev, Stefan: Lenau- Rezeption in Bulgarien, Lenau- Forum 2 , 1970

Istorija na b ălgarskata literatura, tom 3, B ălgarska akademija na naukite, Sofia 1970 „Wörterbuch für neue bulg. Literatur- 1978-1992“, Hemus, 1994

Lebenslauf

Persönliche Daten:

Name: Misheva- Franta

Vorname: Ilijana

Geburtsdatum: 26.06.1983

Geburtsort: Sofia

Nationalität: Bulgarien

Arbeitserlaubnis für Österreich: ja, unbefristet

Familienstand: verheiratet mit Markus Franta, geb. am 04. 03. 1981

Kinder: Tochter Theodora Elisa, geb. am 20. 08. 2004.

Privatadresse: Reisenbauerring 4/3/3, 2351 Wr. Neudorf

Telefon: 0676/3854338 (tagsüber erreichbar)

E- Mail: [email protected]

Ausbildung:

1990- 1994: 31. Volksschule, Sofia

1994- 1997: 31. Gymnasium für Fremdsprachen und Management, Sofia

97 1997- 2002: 12. Allgemeinbildende Höhere Schule, Sofia

Juni 2002: Matura mit ausgezeichnetem Erfolg bestanden.

Seit WS 02/03: Ordentliches Studium an der Universität Wien, Studienrichtung Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

Seit WS 04/05: Ordentliches Studium der Slawistik an der Universität Wien

10. 07. 2006: Erfolgreiche Ablegung der ersten Diplomprüfung

Zusatzausbildungen:

1992- 2002: Privatschule AVO- 3 für Englisch

April 1998: Auslandsaufenthalt in St. Giles College, London

Juni 1998: Cambridge FCE

Juni 2001: Cambridge CAE

November 2001: Stipendium für Bell Educational Trust, Malta

Juni 2002: Cambridge CPE

Berufserfahrung:

1999- 2002: Ferialpraktika bei Canberra Packard Bulgaria GmbH.

02.2003- 06. 2004: selbständige Tätigkeit im Finanzdienstleistungsbereich

20.08.2004- 19. 02. 2007: In Karenz

01.04.2007-1.10.2008: Kundenbetreuungstätigkeit im Customer Relations Center der Firma EVN Seit 1.10.2008: Teamassistenz für die Abteilung Customer Relations, Firma EVN

Besondere Kenntnisse:

Sprachen: Bulgarisch - Muttersprache Englisch - sehr gut in Wort und Schrift (Muttersprachniveau) Deutsch - sehr gut in Wort und Schrift Russisch - sehr gut in Wort und Schrift Macedonisch - sehr gut Kroatisch (Bosnisch ,Serbisch ) – gut Slowakisch - Anfängerkenntnisse, da ich mich momentan in einer intensiven Ausbildung befinde.

98 EDV- Kenntnisse: Sehr gute MS Office und Internet Kenntnisse sowie SAP Anwenderkenntnisse

Empfehlungen: Auszeichnung von O. Prof. Dr. Thomas A. Bauer im Bereich Kommunikationspädagogik und -Training

Interessen/ Hobbys: Musik, Lesen, Mode, Werbung, Schwimmen, Skaten, Skifahren, Kochen, Malen…

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