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MUSIKSTUNDE mit Trüb Freitag, 14. 1. 2011

„Gibt es 'lustige' Musik?“ (5)

MUSIK: INDIKATIV, NACH CA. ... SEC AUSBLENDEN

Der letzte Tag einer Musikstundenwoche ist immer eine gute Gelegenheit, aufzumoppen, was während der Woche liegenblieb. Und das ist zu unserem Thema, ob es „lustige“ Musik gibt, einiges. Vor allem: einiges Wichtige. Wir hatten noch keine Operette und kein Musical, kein Chanson, keinen novelty rag und keinen späten Rossini, weder eine Parodie noch eine unfreiwillige Parodie. Und wir hatten noch nicht Camille Saint-Saens' „Karneval der Tiere“. Die Frage, warum vieles in dieser Gelegenheitskomposition so lustig ist, ist relativ simpel zu beantworten: weil sie völlig ohne Ambition entstand, ohne inneren Druck, lediglich als Spielerei. Saint-Saens soll diesen „Karneval“ komponiert haben am Strand von Deauville, in einem jener gestreiften Badeanzüge, wie Männer sie damals trugen, mit einem riesigen Strohhut auf dem Kopf, spielenden Kindern am und im Meer zuschauend. Notiert wurde die Komposition auf Manschetten, Briefumschlägen und eben allem, was man so zufällig in einer Strandtasche alles findet. Wie unambitioniert das alles war, zeigt das Testament des Komponisten: Auch nach seinem Tod dürfe der „Karneval der Tiere“ nicht veröffentlicht werden. Irgendjemand setzte sich darüber hinweg und tat es trotzdem – woraufhin der „Karneval“ Saint-Saens' beliebteste und am wenigsten sterbliche Komposition wurde. Das ist natürlich nicht lustig, darin steckt eher eine bittere Pointe. Aber vieles im „Karneval der Tiere“ ist lustig, ergo fangen wir damit an. Mir gefallen zum Beispiel besonders gut die Can-Can tanzenden „Schildkröten“, die sich an Tonleitern abhechelnde Affenherde der „Pianisten“, die nach Millionen von Jahren wieder lebendig werdenden „Fossilien“ - und natürlich das „Finale“. Hier die kleine Auswahl, Charles Dutoit schwingt den Stab über all dem.

MUSIK: SAINT-SAENS, KARNEVAL DER TIERE, TRACKS 4, 11, 12 + 14 (6:51)

Camille Saint-Saens, vier Stücke aus seinem „Karneval der Tiere“, mit Pascal Rogé und Cristina Ortiz als den seltsamen Pianisten-Tieren, dazu die Sinfonietta, der Dirigent war Charles Dutoit.

Das Wort „Operette“ bedeutet nicht einfach nur „kleine Oper“, sondern eben auch „lustige Oper“, denn unlustige Operetten gibt es keine, sieht man einmal ab von Franz Lehárs spätem „Land des

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Lächelns“, das viel lieber eine Oper wäre (aber weder das eine noch das andere wurde). Ich möchte Ihnen nun aber als Operette nicht die weidlich bekannte österreich-ungarisch-deutsche Tradition vorstellen, ja nicht einmal den ebenso vertrauten Offenbach-Stil. Für mich kommen die lustigsten Operetten aus dem viktorianischen Großbritannien, von dem dream team William Schwenck Gilbert und Arthur Sullivan, beide in London geboren, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wenn man in der Oper eine ähnlich kongeniale Partnerschaft wie Gilbert & Sullivan finden will, muss man schon zu Arrigo Boito und Giuseppe Verdi greifen, oder zu Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss; oder meinetwegen zu Richard und Wagner. Gemeinsam schufen Gilbert & Sullivan 14 klassische Operetten, die man im Angelsächsischen nicht operettas nennt, sondern comic operas – aber die hierzulande einzig bekannte dürfte „Der Mikado“ sein. Das hat damit zu tun, dass der satirische Stil von W. S. Gilbert praktisch unübersetzbar ist, selbst im „Mikado“ wird auf deutsch viel Schwachsinn verschwafelt. Eine der lustigsten dieser comic operas ist die erste große des Teams, „H. M. S. Pinafore“, auf deutsch ungefähr: Ihrer Majestät Dampfschiff „Schlabberlatz“.

Darin wird gezielt der damals immer noch virulente Stolz der Briten auf ihre Kriegsmarine attackiert - „Britannia Rule the Waves!“ -, indem der oberste Chef der Admiralität selbst fröhlich zugibt, dass er auf diesen exaltierten Posten nur durch völliges Unwissen gelangte: Angefangen hatte er als Klinkenputzer in einer Anwaltskanzlei, „and this partnership“, schreibt Gilbert in Sir Joseph Porters Liedtext, „was the only ship I had ever seen!“ Man muss noch hinzufügen, dass der in Leipzig ausgebildete Sullivan eine sehr komische Entsprechung dafür fand, was Toscanini mal das „Rossini-Maschinchen“ nannte – ein eleganteres humta-humta, das sich dem Parlando von Gilbert anpasste wie ein feiner Lederhandschuh einer schlanken Hand. Hören wir also jetzt die sehr lustige Lebensbeichte von The Rt. Hon. Sir Joseph Porter, Beherrscher der königlichen Flotte!

MUSIK: GILBERT & SULLIVAN, H. M. S. PINAFORE, TRACKS 13 + 14 (3:14)

Lieblingsoperette: „H. M. S. Pinafore“ von Gilbert & Sullivan, mit Richard Stuart als einstigem Büroboten, der so beflissen die Klinken putzte, dass er inzwischen der Oberadmiral der britischen Flotte und von der Queen – also damalos: Victoria – geadelt ist. Chor und Orchester der Welsh National Opera unterstützten tatkräftig, den Stab schwang Sir Charles Mackerras.

Eines der lustigsten und in den USA populärsten Musicals ist „The Music Man“, getextet und komponiert 1957 von Meredith Willson, der als Flötist in John Philip Sousas Band begann, dann dasselbe bei den New Yorker Philharmonikern unter Arturo Toscanini machte, schließlich für Radio,

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Film und Fernsehen komponierte – und eben für die Bühne. In jüngerer Vergangenheit hat ein Aspekt von „The Music Man“ eine Aktualität bekommen, die (im Gegensatz zu dem Werk) schon nicht mehr lustig ist. Die Titelfigur ist ein gewisser Harold Hill, den alle Welt „Professor“ nennt, obwohl er lediglich Vertreter für Musikinstrumente ist. Vor allem glaubt alle Welt, dass er eine Musik-Koryphäe sei und will die Kinder Unterricht bei ihm nehmen lassen – dabei hat er in Wahrheit von Musik keine Ahnung, er kann nicht einmal Noten lesen. Trotzdem ist er „Professor Harold Hill“, der „Music Man“. Um seine Unfähigkeit zu kaschieren, spielt Hill sich gerne als Super-Bigottist auf, der vermeintliche Missstände anprangert, wo immer er sie findet. In dem Städtchen River City beispielsweise entdeckt er in einem Café einen nagelneuen pool table, einen Billardtisch. Sofort lässt er darüber ein hochheiliges (und sehr virtuoses) Donnerwetter herabregnen, worin er die Gefährdung der Jugend durchs Billardspielen heraufbeschwört, die fürchterliche Faulheit und Gottlosigkeit, die dieser Billardtisch dem Städtchen gewiss bald bescheren würde! Es ist die Bigotterie und Selbstgerechtigkeit, die einer spielt, um von seinen eigenen Fehlern abzulenken. Und wer dächte dabei nicht an eine reaktionäre Bewegung in den USA von heute, die sich in völliger Verkennung der historischen Wahrheit nach der ersten großen Freiheitsbewegung des Landes nennt ...?

MUSIK: WILLSON, THE MUSIC MAN, TRACK 5 (3:56)

Graswurzel-Bewegung von unten: In Meredith Willsons in den USA eminent populärem Musical „The Music Man“ lenkt ein hochstaplerischer Instrumentenvertreter davon ab, dass er von Musik keine Ahnung hat, indem er einen bigotten Sturm im Wasserglas entfacht – wegen eines Billardtisches! Timothy Noble sang diesen Hallodri, die Indiana University Singing Hoosiers waren die River City Townspeople, das Orchester die Cincinnati Pops, der Dirigent Erich Kunzel.

Doch nun ein kleines Zwischenspiel mit Gioacchino Rossini, dessen Opern wir in dieser Woche vermissten, der jetzt aber immerhin mit den „Sünden seines Alters“ zitiert werden soll. Vierzig Jahre vor seinem Tod hörte der weltberühmte Opernkomponist, der einen „Barbier von Sevilla“ in gerade mal knapp zwei Wochen zu Papier brachte, einfach auf mit dem Komponieren für die Bühne. Und diese „Sünden des Alters“, kleine Klavierstücke von lustig bis skurril bis wehmütig, hätte er „nur zum Zeitvertreib“ komponiert, quasi als „Handgelenksübungen“. Viele davon nennt er auch schlicht „Un rien“, ein Nichts; wieder andere tragen Titel wie „Uff! Schon wieder Erbsen!“, „Krampfiges Präludium“ oder „Ein Bedauern“. Paolo Giacometti spielt Ihnen jetzt „Hachis

4 romantique“, eine Parodie romantischer Virtuosität um ihrer selbst willen, Perpetuum-mobile-haft um sich selbst kreisend, und zwar auf einem Pleyel-Flügel von 1858, wie Rossini in seiner späten Pariser Zeit auch einen besaß.

MUSIK: ROSSINI, HACHIS ROMANTIQUE, TRACK 12 (4:41)

Eine von Gioacchino Rossinis „Sünden des Alters“: In diesem „Romantischen Hatschi“ verselbständigt sich pure Klaviervirtuosität, wird sie zum satirischen Selbstzweck. Paolo Giacometti spielte auf einem Pleyel-Flügel von 1858.

Und wenn wir jetzt schon bei den Parodien sind, dann ist auch Gerard Hoffnung nicht weit, der wahrscheinlich größte Musikhumorist des 20. Jahrhunderts. Viel Zeit hatte er nicht dazu. 1925 wurde er in als Sohn deutsch-jüdischer Eltern geboren, damals hieß er noch Gerhard. 1939 dann – also ziemlich spät – emigrierte die Familie nach London, wo aus dem knapp Fünfzehnjährigen ein echter englischer Exzentriker wurde, voll hintersinnigem Witz, den er als Zeichner, Tubaspieler, Impresario, Dirigent, als Radio- und Fernsehgröße ausleben sollte, 20 Jahre lang, dann verstarb er an einer Hirnblutung. Berühmt sind die drei „Hoffnung's Music Festivals“, die er in ausrichtete, das dritte noch ganz kurz vor seinem Tod. Dafür hatte er jeweils an „seriöse“ Komponisten Aufträge vergeben wie das Concerto für Gartenschlauch und Streicher (angeblich von Leopold Mozart) oder das Concerto popolare von Franz Reitzenstein, „Ein Klavierkonzert, um alle andern Klavierkonzerte überflüssig zu machen“, weil sich Solist und Orchester nicht einig werden, ob sie Grieg oder Tschaikowsky spielen, und über Beethoven, Rachmaninow, Gershwin und Addinsell landen sie dann irgendwo im Niemandsland der reinen „großen Geste“.

Um die geht es auch in Malcolm Arnolds „A Grand Grand Overture“, deren einsame Größe auch in der Besetzung liegt; neben dem konventionellen Orchester treten auf drei Staubsauger (zwei in h- moll, einer in C-dur, wie das Programmheft informiert), eine elektrische Bodenpoliermaschine in Es-dur sowie drei Gewehre in nicht-spezifischer Tonart. Das Werk ist „Präsident Hoover“ gewidmet, womit nicht der US-Präsident zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemeint ist, , sondern der Präsident der gleichnamigen Staubsaugerfabrik. Live also jetzt, aus dem Jahr 1956: „A Grand Grand Overture“ von !

MUSIK: ARNOLD, A GRAND GRAND OVERTURE, CD 1, TRACK 3 (8:09)

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„A Grand Grand Overture“ für Orchester, drei Staubsauger, eine Parkettpoliermaschine und drei Schießgewehre, komponiert und dirigiert von Malcolm Arnold für das Gerard Hoffnung Music Festival Concert von 1956.

Und nun wieder ein kleines Intermezzo mit dem novelty rag, einer witzigen Erweiterung und Visualisierung des guten alten Ragtime, US-Amerika Anfang des 20. Jahrhunderts: Zez Confrey war damals der Beste im Genre, und sein berühmtestes Klavierstück heißt „Kitten on the Keys“ - ein Kätzchen auf der Klaviatur.

MUSIK: CONFREY, KITTEN ON THE KEYS, CD 1, TRACK 8 (2:29)

Kätzchenpfoten patschen über die Klaviatur in Zez Confreys novelty rag „Kitten on the Keys“ vom Beginn des 20. Jahrhunderts; Ivan Davis spielte.

Vor einigen Jahren gab es hier im Hause eine Live-Diskussion über die Pressefreiheit; wenn ich mich recht erinnere, saßen fünf Musikkritiker an einem runden Tisch im Studio, ich war einer davon. Diskutiert wurde anhand eines Falles, in dem die Chefredaktion einer Tageszeitung sich öffentlich entschuldigt hatte für einen Verriss eines ihrer Kritiker (und diesen dann gefeuert), inwieweit ein Verleger hinter seinen Autoren stehen müsse - oder eben nicht. Die Diskussion unter den fünf Kritikern verlief lebhaft, man war sich natürlich ziemlich einig, Gegenstimmen gab es keine. Das lustigste Ereignis aber während dieser Live-Sendung bekamen die Hörer an ihren Radioapparaten gar nicht mit: In der Nachrichten-Unterbrechung, als die Mikrofone im Studio fünf Minuten lang abgeschaltet waren – brachen die fünf Musikkritiker in die heimliche Hymne ihrer Zunft aus: Sie sangen unisono das Couplet „Der Musikkritiker“ von Georg Kreisler!

MUSIK: G. KREISLER, DER MUSIKKRITIKER, CD 1, TRACK 10 (6:54)

Das war die inoffizielle Nationalhymne der Rezensenten: Georg Kreislers Klassiker „Der Musikkritiker“, der in schon angeheiterten Kritikerrunden gerne grölend erklingt.

Ein nicht zu verachtender Quell musikalischen Frohsinns ist auch die unfreiwillige Parodie, mit der ich diese Woche beschließen möchte. Friedel Hensch und die Cyprys – für Kinderlieder nannten sie sich: „Tante Fröhlich und die Hutzelmännchen“ - waren so etwas wie die musikalische quinta

6 essentia der 50er-Jahre-Wirtschaftswunder-Bundesrepublik mit ihren Nierentischen, den knallroten Mopedrollern und den Elvis-Schmalzfrisuren. Ein Schlager wie „Die alte Kuckucksuhr“ ist für das Genre ungefähr das, was Richard Wagner für die deutsche romantische Oper war – lauschen Sie! Und lachen Sie ruhig herzhaft! Denn das ist wahrhaft lustige Musik ...

MUSIK: HENSCH/CYPRYS, DIE ALTE KUCKUCKSUHR, TRACK 5 (3:12; ACHTUNG! BEI BEDARF BITTE AUF ZEIT FAHREN!)

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MUSIKLAUFPLAN

1) SAINT-SAENS, Karneval der Tiere; Rogé, Ortiz, London Sinfonietta, Dutoit; Decca 414 460-2 (LC 0171) 2) GILBERT & SULLIVAN, H. M. S. Pinafore; Suart, Welsh National Opera Orchestra & Chorus, Mackerras; Telarc/in-akustik 80374 (LC IN-AKUSTIK!) 3) WILLSON, The Music Man; Noble, Cincinnati Pops, Kunzel; Telarc/in-akustik 80276 (LC IN-AKUSTIK!) 4) ROSSINI, Hachis romantique; Paolo Giacometti; Channel Classics 12398 (KEIN LC!) 5) HOFFNUNG/ARNOLD, A Grand Grand Overture; Hoffnung Symphony Orchestra, Arnold; EMI 7 63302 2 (LC 0110) 6) CONFREY, Kitten on the Keys; Ivan Davis; Music Masters 60113 (KEIN LC!) 7) G. KREISLER, Der Musikkritiker; Georg Kreisler; Preiser Records 90306 (LC 00992) 8) HENSCH + CYPRYS, Die alte Kuckucksuhr; duoton 05 60 3 (LC 12000)

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