ZWG 9_2 Umschlag 13.10.2008 16:09 Uhr Seite 1

Zeitschrift für Weltgeschichte Zeitschrift für

Weltgeschichte (Hg.) Hans-Heinrich Nolte Zeitschrift für Weltgeschichte Interdisziplinäre Perspektiven

Die ZWG hat sich zum Forum einer neuen, umfassenden ZWG Herausgegeben 9|2 Jahrgang 9 Betrachtung von Geschichte, Sozial- und Kulturwissenschaften von Hans-Heinrich Nolte Heft 2 entwickelt. Wichtige Beiträge aus der englischen, russischen, Für den Verein (Herbst 2008) für Geschichte des Weltsystems französischen, spanischen und chinesischen Diskussion sind für deutschsprachige Leser übersetzt worden. Es finden sich aber auch Forschungen und Beiträge aus der deutschen Debatte und gelegentlich die Publikation von Quellen.

ISBN 978-3-89975-143-7

Martin Meidenbauer ZWG 9_2 Umschlag 13.10.2008 16:09 Uhr Seite 1

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Weltgeschichte (Hg.) Hans-Heinrich Nolte Zeitschrift für Weltgeschichte Interdisziplinäre Perspektiven

Die ZWG hat sich zum Forum einer neuen, umfassenden ZWG Herausgegeben 9|2 Jahrgang 9 Betrachtung von Geschichte, Sozial- und Kulturwissenschaften von Hans-Heinrich Nolte Heft 2 entwickelt. Wichtige Beiträge aus der englischen, russischen, Für den Verein (Herbst 2008) für Geschichte des Weltsystems französischen, spanischen und chinesischen Diskussion sind für deutschsprachige Leser übersetzt worden. Es finden sich aber auch Forschungen und Beiträge aus der deutschen Debatte und gelegentlich die Publikation von Quellen.

Martin Meidenbauer ZWG

ZEITSCHRIFT FÜR WELTGESCHICHTE

Zeitschrift für Weltgeschichte

Herausgeber: Hans-Heinrich Nolte Für den Verein für Geschichte des Weltsystems

Redaktion: Dariusz Adamczyk, Ellen Baumann, Jens Binner, Christian Lekon, Udo Obal, Gerhard Schmidt

Wissenschaftlicher Beirat: Maurice Aymard, Aleksandr Boroznjak, Helmut Bley, Luigi Cajani, Gita Dharampal-Frick, Shmuel N. Eisenstadt, Hartmut Elsenhans, Jürgen Elvert, Peter Feldbauer, Stig Förster, Claus Füllberg-Stolberg, Marina Fuchs, Carsten Goehrke, Uwe Halbach, Carl-Hans Hauptmeyer, Andrea Komlosy, Klaus Kremb, Gesine Krüger, Rudolf Wolfgang Müller, Christiane Nolte, Pavel Poljan, Joachim Radkau, Dominic Sachsenmaier, Adelheid von Saldern, Karl-Heinz Schneider, Gerd Stricker, Beate Wagner-Hasel, Irmgard Wilharm

Manuskripte bitte an den Herausgeber: Prof. Dr. Hans-Heinrich Nolte, Bullerbachstr. 12, 30890 Barsinghausen. Manuskripte bitte als Disketten (rtf) sowie in zwei Ausdrucken; Manuskripte, die nicht als Datei vorgelegt werden, können leider nicht bearbeitet werden. Manuskripte sollen die Länge von 20 Seiten DIN A4 pt. 14 einzeilig in Times Roman beschrieben nicht überschreiten. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.

Zeitschrift für

Weltgeschichte

(ZWG)

Interdisziplinäre Perspektiven

9. Jg. 2008, Heft 2

Herausgegeben von Hans-Heinrich Nolte

Für den Verein für Geschichte des Weltsystems

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2008 Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, München

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urhebergesetzes ohne schriftliche Zustimmung des Verlages ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Nachdruck, auch auszugsweise, Reproduktion, Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung sowie Digitalisierung oder Einspeicherung und Verarbeitung auf Tonträgern und in elektronischen Systemen aller Art.

ISSN 2199-8086 ISBN 978-3-89975-143-7

Verlagsverzeichnis schickt gern: Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung Erhardtstr. 8 D-80469 München www.m-verlag.net

Inhalt

Andrea Komlosy Habsburgermonarchie, Osmanisches Reich und Britisches Empire – Erweiterung, Zusammenhalt und Zerfall im Vergleich...... 9 Stefan Meisterle Country trade unter kaiserlicher Flagge: William Bolts und die zweite österreichische Ostindienkompanie...... 63 Hans-Heinrich Nolte Zum Stand der Weltgeschichtsschreibung im deutschen Sprachraum...... 89 Richard Albrecht „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“ Kommentierte Wiederveröffentlichung der Erstpublikation von Adolf Hitlers Geheimrede am 22. August 1939 ...... 115 Sabine Wussow-Klingebiel Das deutsch-französische Verhältnis – unausweichliche „Erbfeindschaft“ oder unnötig provozierte Gesichtsverluste? ...... 133 Rainer Strzolka NS-Raubgut in Bibliotheken – Impressionen vom 3. Hannoverschen Symposium...... 141 Rezensionen ...... 169 Bibliographische Notizen...... 191 Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren...... 211 Demnächst in der ZWG...... 213

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STEFAN MEISTERLE Country trade unter kaiserlicher Flagge: William Bolts und die zweite österreichische Ostindienkompanie

„So war es für Oesterreich ein glückliches Ereignis in so kurzem Zeitraum so gelegen- same Besitzungen und Niederlagen zu erhalten, welche in das künftige die Standörter wichtiger Kolonien werden dürften.“, proklamierte der Wiener Schriftsteller Jo- hann Michael von Schweighofer in seinem Werk „Versuch über den gegen- wärtigen Zustand der österreichischen Seehandlung“ im Jahr 1782.1 Die Ereignisse, die Schweighofer in euphemistischer Weise seinen Zeitgenossen zur Kenntnis bringen wollte, waren das Resultat einer ebenso außerge- wöhnlichen wie kurzen Episode kolonialer habsburgischer Aktivitäten in Außereuropa. Als Vehikel, Projektionsfläche und Initiator dieser Aktivitä- ten fungierte die zweite österreichische Ostindienkompanie, die 1775 ge- gründet wurde und während der Dauer ihres zehnjährigen Bestehens eine bemerkenswerte Eigendynamik entwickelte. Ausschlaggebend dafür war die schillernde Persönlichkeit William Bolts’, eines ehrgeizigen Unternehmers, der nicht nur den Wiener Hof zur Gründung einer Kompanie bewegen konnte, sondern auch die erste und folgenreichste Expedition der Ostin- dienkompanie nach Asien leitete. Als „a European adventurer par excel- lence of the mid-eighteenth century […]“2 verfolgte Bolts im Zuge dieser Unternehmung allerdings in erster Linie die Realisierung persönlicher kommerzieller Perspektiven, die der Indische Ozean in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dem europäischen Privathandel bot. Die monopolistischen Ostindienkompanien und der Freihandel Knapp ein Jahrhundert nach der Entdeckung des Seeweges nach Indien durch Vasco da Gama wurde die europäische Präsenz am Indischen Ozean durch die Errichtung der englischen und niederländischen Ostindienkom- panien zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf eine neue organisatorische

1 Johann Michael von SCHWEIGHOFER: Versuch über den gegenwärtigen Zustand der österreichischen Seehandlung, Wien 1782, S. 92. 2 Holden FURBER: In the footstepts of a German ‚nabob’: William Bolts in the Swed- ish archives, in: ders.: Private Fortunes and Company Profits in the Trade in the 18th Century, Aldershot 1997, Kapitel 7, S. 7-18, hier S. 7.

63 Stefan Meisterle

Grundlage gestellt.3 Der Erfolg der englischen (E.I.C.) und der niederländischen Verenigde Oost Indische Compagnie (V.O.I.C.) mündete in die Bestrebungen weiterer europäischer Länder, vergleichbare Organisationen für den Handel mit Ostindien ins Leben zu rufen. Als halb- öffentliche4 Handelsgesellschaften konnten die Ostindienkompanien einer- seits auf staatliche Protektion und Unterstützung zählen, andererseits ka- men sie in den Genuss von Exklusivprivilegien, die diesen Unternehmen die nationalen Monopole für den Handel mit Ostindien garantieren sollten. Da diese Monopole allerdings nur mit hohem Kostenaufwand zu verteidi- gen waren, bot sich europäischen Händlern und Angestellten der Ostin- dienkompanien insbesondere am Indischen Ozean die Möglichkeit, sich im country trade, also dem Binnenhandel zwischen asiatischen bzw. afrikani- schen Häfen, als Privatkaufleute zu betätigen. Während die V.O.I.C., die im 17. Jahrhunderts die Kontrolle über den Seehandel am Indischen Ozean er- ringen konnte, diesen privaten Freihandel als Bedrohung ihres Monopols wahrnahm und vehement bekämpfte, machte sich die E.I.C. diesen Handel zunutze: Man unterstützte den privaten country trade in der Hoffnung, auf diese Weise das niederländische (Binnen-)Handelsmonopol aushöhlen zu können.5 Die Unterstützung, die die E.I.C. dem privaten Freihandel am Indischen Ozean angedeihen ließ, beschleunigte den Niedergang der V.O.I.C. und den Aufstieg der E.I.C. zur dominanten Handelsmacht am Indischen Ozean in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.6 Ungeachtet dessen vertrat

3 Unter dem Begriff Ostindien, der die ideelle Nähe zum karibischen Westindien ver- deutlichte, fasste man die Küsten und Länder östlich des Kaps der Guten Hoff- nung, also den indischen Subkontinent, Südostasien, die Inseln im Indischen Ozean und je nach Definition zuweilen auch die ostafrikanischen Küsten, den Golf von Persien und sogar und China zusammen. Aus der Fülle an Literatur über das europäische Vordringen in den Indischen Ozean seien hier folgende Werke ge- nannt: Peter FELDBAUER: Estado da India. Die Portugiesen in Asien 1498–1620, Wien 2003; Michel MORINEAU: Les grandes Compagnies des Indes Orientales. XVIe-XIXe siècles, Paris 1994; Holden FURBER: Rival Empires of Trade in the Orient 1600-1800, Minnesota 1976. 4 Vgl. Louis DERMIGNY: L’Organisation et le Rôle des Compagnies, in: Michel Mol- lat (ed.): Sociétés et compagnies de commerce en Orient et dans l’océan indien. Actes du huitième Colloque International d’Histoire Maritime, Paris 1970, S. 443- 451, hier 449. 5 FURBER: Rival Empires (wie Anm. 3), S. 273. 6 EBD.: S. 181-183.

64 Die zweite österreichische Ostindienkompanie die englische Kompanie in Bezug auf den transkontinentalen Handel zwi- schen Ostindien und Europa durchwegs monopolistische Grundsätze, be- kämpfte den – häufig unter fremden Flaggen betriebenen – Schmuggel7 und wehrte sich gegen Forderungen der englischen Öffentlichkeit nach ei- ner Aufhebung des Handelsmonopols.8 Auf die Durchsetzung der Exklusivprivilegien drängte die E.I.C. darüber hinaus auch am indischen Subkontinent. Nachdem die englische Kompanie im indischen Überlandhandel lange auf private Handelsinitiativen gesetzt hatte9, zeitigte der Siebenjährige Krieg ein Erstarken monopolistischer Ten- denzen innerhalb der E.I.C. Ausschlaggebend dafür war der Aufstieg der Kompanie zu einer territorialen Macht in Bengalen nach der Schlacht von Plassey im Jahr 1757. Als primär kommerziell ausgerichtete Organisation verfügte die Kompanie zunächst nicht über ein geeignetes bürokratisches Korsett, das eine effiziente Verwaltung Bengalens erlaubt hätte.10 Das dar- aus resultierende administrative Vakuum11 rief britische Kaufleute und Angestellte der E.I.C. auf den Plan, die sich privaten Geschäften im Lan- desinneren Bengalens zuwandten und dabei nicht selten die politische Au- torität der E.I.C. nutzten.12 Indische Kaufleute sahen sich ebenso wie lokale Potentaten dem wachsenden Druck zunehmend autonom agierender briti- scher Händler ausgesetzt, die beispielsweise den Ankauf ihrer Waren zu überhöhten Preisen erzwangen oder gegen den Widerstand indischer Herr- scher im Landesinneren mit Land spekulierten.13 Um die Zügellosigkeit des

7 Beispielsweise setzte England die Auflösung der kaiserlichen Kompanie zu Ostende durch, da man diese Handelsgesellschaft des Teeschmuggels nach England bezich- tigte. Siehe dazu Sven H. CARLSON: Trade and dependency. Studies in the expan- sion of Europe, Uppsala 1984, S. 61-87. 8 Vgl. Philip LAWSON: The East India Company. A History, London u. New York 1993, S. 39 bzw. 53. 9 Vgl. Sudipta SEN: Empire of Free Trade. The East India Company and the Making of the Colonial Marketplace, Philadelphia 1998, S. 79. 10 LAWSON: The East India Company (wie Anm. 8), S. 103. Vgl. auch FURBER: Rival Empires (wie Anm. 3), S. 169. 11 Vgl. LAWSON: The East India Company (wie Anm. 8), S. 108. 12 Zu den Eigenmächtigkeiten englischer Privatiers in der zweiten Hälfte des 18. Jahr- hunderts in Indien siehe Michael MANN: Bengalen im Umbruch. Die Herausbil- dung des britischen Kolonialstaates 1754-1793, Stuttgart 2000, S. 81-91 bzw. FURBER: Private Fortunes and company profits (wie Anm. 2). 13 Norman L. HALLWARD: William Bolts. A dutch adventurer under John Company, Cambridge 1920, S. 6-15.

65 Stefan Meisterle privaten Handels einzuschränken, strebte die E.I.C. folglich im indischen Binnenhandel die Erneuerung und Festigung ihres Handelsmonopols an.14 Das daraus resultierende Ringen zwischen Apologeten des Freihandels und den Monopolisten der E.I.C. war bereits in vollem Gange, als William Bolts im Jahr 1760 als Angestellter der englischen Kompanie Indien erreichte. William Bolts Die Nationalität des am 7. Februar 1738 als Sohn von Sarah und William in Amsterdam geborenen15 Bolts war bereits zu dessen Lebzeiten ungewiss.16 Zwar berichtete der Gesandte Österreichs am britischen Hof, Graf Barbi- ano de Belgiojoso, am 1. November 1774 nach Wien, „[…] ein von deutschen Eltern gebohrner Engländer […]“ namens William Bolts sei mit ihm in Kontakt getreten17, als gesichert gilt abgesehen von Bolts’ Geburtsort bislang jedoch lediglich die deutsche Herkunft seines Vaters.18 Nach einer mehrjährigen Kaufmannsausbildung in London und Lissabon trat Bolts 1759 in den Dienst der E.I.C. ein, um bereits im folgenden Jahr in der Funktion eines Handelsagenten nach Bengalen zu reisen. Der zum Zeitpunkt seiner An- kunft erst 22-jährige Bolts begriff die Situation erstaunlich rasch und machte es sich zur Gewohnheit, den Namen und das Prestige der E.I.C. zur Beförderung seiner persönlichen Geschäfte einzusetzen. Nur wenige Monate nach seiner Ankunft wurde Bolts Partner der angesehenen und er- fahrenen Kaufleute John Johnstone und William Hay, zwei entschiedener Vertreter des Freihandels. Als das Londoner Direktorium der E.I.C. ange- sichts der schwindenden Kontrolle ihrer Organisation über britische Händler in Bengalen Gegenmaßnahmen ergriff und den Gouverneur

14 Vgl. SEN: Empire of Free Trade (wie Anm. 9), S. 81. 15 Gemeentearchief Amsterdam, Arch., nr. 5001, Inv. nr. 137A, page 33. 16 Der Autor der bislang einzigen umfassenden Biographie Bolts’, Norman Leslie Hallward, schenkte dieser Problematik keine Beachtung und konstatierte: „Willem [sic] Bolts was a Dutchman by birth […].“, HALLWARD: Bolts (wie Anm. 13), S. 3. 17 Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Staatenabteilung, Ostindische Kompagnie Triest und Antwerpen K 4 (=OIK 4), Diplomatische Korrespondenzen der Staats- kanzlei 1774-1776, Konv. 1 (1-8), fol. 2r. 18 Vgl. Patrick TUCK: Introduction, in: ders. (ed.): The East India Company 1600- 1858 Vol. III, London 1998, S. IX; ferner Franz von POLLACK-PARNAU: Eine ös- terreichisch-ostindische Handelscompagnie, 1775-1785. Ein Beitrag zur österreichi- schen Wirtschaftsgeschichte unter Maria Theresia und Joseph II., Stuttgart 1927, S. 18. Furber schloss sich Pollack-Parnaus Ansicht an und attestierte William Bolts eine deutsche Herkunft. Vgl. FURBER: William Bolts (wie Anm. 2), S. 16, Anm. 18.

66 Die zweite österreichische Ostindienkompanie

Henry Vansittart mit der Wiederherstellung des Handelsmonopols beauf- tragte, formierte sich um jene drei Personen Johnstone, Hay und Bolts der Widerstand der britischen Freihändler in Bengalen.19 In erster Linie auf pri- vaten Profit bedacht, der zumeist über ausländische Kanäle nach Europa transferiert wurde20, war es zahlreichen Kaufleuten gelungen, hier in kürzester Zeit umfassende Vermögen anzuhäufen, die es nun gegen die Ansprüche der E.I.C. zu verteidigen galt. Auch Bolts, „entirely unembarassed by any scruples in his methods of trading“21, verfügte bereits sechs Jahre nach sei- ner Ankunft in Bengalen über ein im country trade erworbenes Privatver- mögen von 90.000 Pfund22 und bot der EIC, die ihm irreguläre Handelspraktiken vorwarf, in Indien die Stirn. Erst die Rückkehr von Robert Clive als neuer Gouverneur der E.I.C. in Bengalen im Jahr 1765 änderte das Kräfteverhältnis. Angetreten mit dem Versprechen, die allzu großen Freiheiten der Privatiers in Indien zu be- schneiden, entschied Clive, an Bolts, dem prominenten Proponenten des Freihandels, ein Exempel zu statuieren. Nach einem mehrjährigen Rechts- streit, der Bolts selbst von strikt untersagten kommerziellen Kontakten mit holländischen Kaufleuten im holländisch-bengalischen Chinsura nicht ab- zuhalten vermochte23, erzwang Clive schließlich im September 1768 die ge- waltsame Festsetzung und Überführung Bolts’ nach England. Nach seiner Rückkehr nach London startete Bolts eine groß angelegte Kampagne gegen die EIC. Mit mehreren Streitschriften, darunter die äußerst populären Considerations on India affairs, particularly respecting the present state of and its dependencies. By William Bolts, 1772, Merchant and Al- derrman, or Judge of the Mayor’s Court of Calcutta (1772), heizte Bolts in der Öf- fentlichkeit die Stimmung gegen die E.I.C. an.24 Auf dem Gerichtsweg ge- lang es ihm darüber hinaus, einen Teil des in Bengalen zurückgelassenen Vermögens zu erstreiten, so dass die E.I.C. eine empfindliche Beschädi- gung ihrer Reputation hinnehmen musste. Die Kampagne gegen die E.I.C. forderte jedoch ihren Preis: Im Oktober 1773 sah sich Bolts gezwungen,

19 MANN: Bengalen (wie Anm. 12), S. 89. 20 MORINEAU: Les grandes Compagnies (wie Anm. 3), S. 89. 21 HALLWARD: Bolts (wie Anm. 13), S. 5. 22 EBD.: S. 3. 23 EBD.: S. 65. 24 TUCK: Introduction (wie Anm. 18), S. VIII.

67 Stefan Meisterle mit kolportierten Gesamtschulden in Höhe von 150.000 Pfund seinen Bankrott zu erklären.25 Bolts und der Wiener Hof Angesichts seiner finanziellen Verpflichtungen aber auch aufgrund seines Plans, sein nach wie vor in Indien ruhendes Vermögen zu restituieren26, wählte Bolts den Gang ins Exil. Da ihm die Rückkehr nach Bengalen von Seiten der E.I.C. untersagt worden war, bedurfte Bolts der politischen Protektion eines anderen europäischen Staates. Nachdem Bolts’ Anträge in Lissabon und Paris zurückgewiesen worden waren, fand er schließlich in Wien jene Unterstützung, die ihm die Rückkehr nach Indien ermöglichen sollte. Mit dem Vorschlag, unter kaiserlicher Flagge einen Handel nach Asien einzuleiten und damit an jene wirtschaftlich erfolgreiche Episode der ersten österreichischen Ostindienkompanie oder Kompanie zu Ostende anzuknüpfen27, gelang es Bolts, hochrangige Persönlichkeiten am Wiener Hof – darunter Maria Theresia – für sich zu gewinnen. Nach Bolts’ Vereidigung als Untertan der Krone erhielt er – nach mehr- wöchigen Verhandlungen – am 5. Juni 1775 ein von Maria Theresia unter- zeichnetes kaiserliches Patent, das als Gründungsurkunde der zweiten ös- terreichischen Ostindienkompanie die Modalitäten und gegenseitigen Ver- pflichtungen der Vereinbarung zwischen Bolts und dem Wiener Hof bein- haltete. Neben der offiziellen, zunächst für einen Zeitraum von zehn Jah- ren erteilten Bewilligung, unter kaiserlicher Flagge Schiffe für den Handel nach Asien ausrüsten zu dürfen, erklärte sich der Wiener Hof auch zu ma-

25 OIK 5, Korrespondenz der HK mit der Kompagnie 1778-1781, Konv. D – Korres- pondenz mit der Sozietät und selbe betreffende Akten 1779, fol. 14v. 26 Vgl. Karl Otmar Freiherr von ARETIN: Fürst Kaunitz und die österreichisch- ostindische Handelskompagnie von 1775. Ein Beitrag zur Geschichte des österrei- chischen Staatsbewußtseins unter Kaiser Joseph II., in: Vierteljahresschrift für So- zial- und Wirtschaftsgeschichte XLVI, 1959, S. 361-377, hier 364. 27 Abgesehen von älteren Arbeiten zur Kompanie zu Ostende wie etwa J. DULLINGER: Die Handelskompagnien Österreichs nach dem Orient und nach Ostindien in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte 7, 1900, S. 44-83 bzw. Michel HUISMAN: Michel, La Belgi- que commerciale sous l’empereur Charles VI. La Compagnie d’Ostende, Brüssel 1902, erläutert v.a. das von der internationalen Historiographie weitgehend ver- nachlässigte Werk von Sven Carlson in überzeugender Weise die Kontinuität des österreichischen Ostindienhandels im 18. Jahrhundert, vgl. CARLSON: Trade and dependency (wie Anm. 7).

68 Die zweite österreichische Ostindienkompanie teriellen Hilfeleistungen in Form von Waren bereit. Bemerkenswert sind darüber hinaus zwei erteilte Privilegien, die in einem wenige Wochen älte- ren Verhandlungspapier fehlten28, also in vollem Bewusstsein beider Par- teien in die endgültige Fassung aufgenommen wurden: einerseits wurde Bolts zur Errichtung von kaiserlichen Niederlassungen und Stützpunkten in Übersee ermächtigt und andererseits wurde ihm explizit der Handel mit Sklaven gestattet.29 Offenbar hatte Bolts demnach bereits zu diesem Zeit- punkt ein klar umrissenes kommerzielles Konzept vor Augen, das er nach seiner Rückkehr in den Indischen Ozean in die Tat umzusetzen gedachte. Die Gründung einer Gesellschaft für den Handel nach Ostindien Zunächst musste sich Bolts, der – wenngleich er sich gegenüber den öster- reichischen Autoritäten stets als wohlhabender Mann präsentierte30 – hoch verschuldet war, auf die Suche nach Geldgebern machen. Über die Ver- mittlung staatlicher Behörden wurde der Kontakt zu dem Antwerpener Bankier Graf Charles Melchior André Proli hergestellt, „[…] one of the most ambitious and energetic capitalists of the Habsburg Monarchy […]“31, der seit der Beteiligung seines Vaters an der Kompanie von Ostende auch in einem familiären Nahverhältnis zum Ostindienhandel stand.32 Als Vertreter eines Antwerpener Klüngels, dem neben Proli die beiden Kaufleute Chevalier Borrekens und Dominic Nagels angehörten, schloss Proli mit Bolts einen formellen Vertrag ab. Darin kam man überein, eine Gesellschaft für den Ostindienhandel zu gründen, deren Startkapital grundsätzlich zu gleichen Teilen von den beiden Geschäftspartnern eingebracht werden sollte. Als rechtliche Grundlage für diese Gesellschaft fungierte das kaiserliche Patent im Besitz Bolts’. Die erste Expedition sollte im Februar 1776 starten und von Bolts nach Indien geführt werden, die Antwerpener verpflichteten sich

28 Hofkammerarchiv Wien (HKA), Kommerz Litorale, Fasz. 104, Dokument vom 15. Mai 1775, fol. 181-188. 29 Hofkammerarchiv Wien (HKA), Kommerz Litorale, Fasz. 104, Oktroi, fol 195r- 198r. 30 HKA, Kommerz Litorale, Fasz. 104, Brief von Barbiano de Belgiojoso vom 11. März 1775, fol. 130r. 31 Franz A. J. SZABO: Kaunitz & enlightened absolutism 1753-1780, Cambridge 1994, S. 144. 32 Vgl. CARLSON: Trade and dependency (wie Anm. 7), S. 67-69.

69 Stefan Meisterle ferner, inzwischen weitere Schiffe auszurüsten und in Bolts’ Abwesenheit nach Asien zu expedieren.33 Diese Partnerschaft, die im wesentlichen bis 1785 Bestand hatte, wies allerdings von Beginn an tiefe Risse auf. Die Formulierung des ersten ge- meinsamen Vertrags deutet zunächst darauf hin, dass Bolts seine Antwer- pener Associés über seine Absichten im Unklaren ließ, in Indien zum einen eine Einforderung seines Vermögens anzustreben und am Indischen Ozean zum anderen private Handelsgeschäfte zu initiieren. Auch der im Vertrag geregelte Zugriff der beiden Parteien auf die zu erwartenden Ein- künfte liefert einen Hinweis auf den fundamentalen Interessensgegensatz. Während sich die Antwerpener – im Glauben, Bolts werde das erste Schiff auf direktem Wege nach Indien und von dort zurück nach Europa führen – eine Provision auf die in Europa zu verkaufenden Waren sicherten, veran- kerte Bolts das Recht auf eine Provision auf alle in Asien getätigten An- und Verkäufe.34 Bolts gelang es damit, die Antwerpener de facto vom Zugriff auf Einkünfte fernzuhalten, die aus binnenasiatischen Handelsakti- vitäten herrühren würden und von denen sich Bolts, der in diesem Han- delssektor bereits Jahre zuvor ein großes Vermögen erwirtschaften konnte, einzigartige Gewinne versprach. Gänzlich anderer Natur waren hingegen die Zielsetzungen der Antwerpener, für die Sven Carlson eine einleuch- tende Erklärung anbietet. Demnach repräsentierten Proli, Borrekens und Nagels das Erbe der längst eingestellten Kompanie zu Ostende, die im Di- rekthandel zwischen Europa und China große Profite abgeworfen hatte.35 So zeigten auch Bolts’ Partner aus Antwerpen primär Interesse an der Etablierung eines Direkthandels mit China, den sie allerdings nicht ohne das auf Bolts ausgestellte kaiserliche Patent, das allein politischen und dip- lomatischen Schutz gewährleistete, realisieren konnten. Zum Leidwesen der Antwerpener konnte Bolts dem Direkthandel mit China jedoch wenig ab- gewinnen, zumal er die Auffassung vertrat, der Handel mit China wäre nur in Verbindung mit einer soliden Handelsbasis in Indien lukrativ zu gestal- ten.36 Aus diesem Grund war die Vereinbarung zwischen Bolts und den

33 William BOLTS: Recueil de pieces authentiques, relatives aux Affaires de la ci-devant Société Impériale Asiatique de Trieste, gerées à Anvers, 1787, S. 50. 34 EBD. 35 Vgl. CARLSON: Trade and dependency (wie Anm. 7), S. 104. 36 OIK 6, Fasz. Korrespondenz der Staatskanzlei mit der Kompagnie 1784-1787, Konv I – Correspondenz mit der Compagnie, Brief von Bolts an Kaunitz vom 20. Oktober 1784, unfol.

70 Die zweite österreichische Ostindienkompanie

Antwerpenern bereits eine Weichenstellung, die es einerseits Bolts gestat- tete, seinen privaten kommerziellen Ambitionen in Asien nachgehen zu können, während andererseits die Antwerpener in dessen Abwesenheit di- rekte Handelsfahrten nach Asien organisieren konnten – legitimiert durch die Vereinbarung mit Bolts, dessen Patent ihnen gleichzeitig die Nutzung der wertvollen neutralen37 kaiserlichen Flagge erlaubte. Die Expedition der „Joseph und Theresa“ Die Ausrüstung der ersten Expedition nahm Bolts selbst in die Hand. Mit dem in England gekauften, 680 Tonnen fassenden Schiff „Earl of Lincoln“ segelte er über Lissabon nach , wo die bereits vorbereiteten Waren (im wesentlichen Kupfer und Gewehre) und die vom Wiener Hof bereitge- stellten Soldaten und Kanonen aufgenommen werden sollten. Das Hissen der kaiserlichen Flagge und die Umbenennung des Schiffes auf „Joseph und Theresa“ auf hoher See rief allerdings diplomatische Turbulenzen her- vor. Bolts und der Wiener Hof, die der Geheimhaltung des Projekts insbe- sondere gegenüber englischen Behörden größte Bedeutung beigemessen hatten, mussten zur Kenntnis nehmen, dass das Gerücht von einer öster- reichischen Asienexpedition sowohl über diplomatische Kanäle als auch über Zeitungen die europäische Öffentlichkeit erreicht hatte.38 Erst Ende Juli konnte die „Joseph und Theresa“ in Livorno anlegen39, die anvisierte Abreise des Schiffes nach Asien war damit nicht mehr im Frühjahr 1776 zu bewerkstelligen. Diese Verspätung war nicht zuletzt ei- nem neuerlichen Disput zwischen Bolts und den Antwerpenern geschuldet,

37 Gerade in Kriegszeiten standen kaiserliche, schwedische, dänische, preußische und polnische Flaggenpatente hoch im Kurs, da sie es britischen, holländischen oder französischen Privatiers in Asien erlaubten, weitgehend unbehelligt von politischen Konflikten, aber auch außerhalb der jeweiligen nationalen Handelsreglementierun- gen operieren zu können. Vgl. FURBER: Rival Empires (wie Anm. 3), S. 145 bzw. 226. 38 Brief des englischen Gesandten in Lissabon vom 4. April 1776, abgedr. in HALLWARD: Bolts (wie Anm. 13), S. 135-137; OIK 3, Fasz. Korrespondenz der k. k. Staatskanzlei mit dem Gouvernement in Brüssel gehörige Proli und Bolts betref- fend, Brief an Starhemberg aus Wien vom 14. September 1776, fol. 71-72. 39 OIK 4, , Fasz. Diplomatische Korrespondenzen der Staatskanzlei 1774-1776, Konv. Relationen 1776, fol. 129r.

71 Stefan Meisterle der erst in einer zweiten gemeinsamen Erklärung im Sommer beigelegt werden konnte.40 Nachdem die Beladung des Schiffes abgeschlossen und die 25 kaiserli- chen Soldaten41 einquartiert worden waren, legte die „Joseph und Theresa“ am 26. September 1776 unter Bolts’ Kommando mit mehrmonatiger Ver- spätung endlich aus Livorno ab. Gemäß der den Antwerpener Partnern an- vertrauten Reiseroute wollte Bolts das Schiff durch die Meerenge von Gib- raltar zunächst nach Madeira führen, um von dort durch den Atlantik zu segeln und das Kap zu umrunden.42 Bereits bei der ersten Station auf Ma- deira, wo Bolts Wein und Tauwerk an Bord schaffen wollte, wurde man je- doch mit dem Widerstand Portugals bzw. Englands konfrontiert. Die EIC, die weder Bolts’ Rückkehr nach Indien noch – nach den schlechten Erfah- rungen mit der Kompanie zu Ostende43 – einen neuen unliebsamen Konkurrenten auf den asiatischen Märkten hinzunehmen gewillt war, ließ ihre Bereitschaft erkennen, „to counteract this scheme in the beginning, because if the adventurers meet with but indifferent success in this first essay, it may discourage them from future attempts.“44 Unter dem Druck englischer Agenten45 untersagte der portugiesische Gouverneur Madeiras Bolts die Ladung der bereits gekauf- ten Waren, die dieser bei der Abfahrt des Schiffes auf der Insel zurücklas- sen musste.

40 Um sich die Möglichkeit privater Handelsaktivitäten offen zu halten, rangen die Antwerpener Bolts die Erklärung ab, „Il est clair […] que Mr. Bolts n’a jamais cher- ché aucun privilége exklusif [...]“. Vertrag zwischen William Bolts und Charles de Proli, abgedr. in BOLTS: Recueil (wie Anm. 33), S. 53. 41 Das vom Hof bereitgestellte Militärpersonal umfasste 20 Soldaten und fünf Artilleristen. OIK 3, Fasz. Korrespondenz der Staatskanzlei mit den Hofstellen 1781-1786, Konv. Ostindische Compagnie Correspondenz mit den k. k. Hofstellen 1781, Nota des Hofkriegsratspräsidenten vom 4. September 1781, fol. 43r. 42 OIK 6, Fasz. 1776-1785: miscellanea, Briefkonv. von Charles Proli vom 18. Okto- ber 1776, unfol. 43 Siehe dazu CARLSON: Trade and dependency (wie Anm. 7), S. 74-86. 44 Weisung des Londoner Direktoriums an Warren Hastings vom 24. Dezember 1776, abgedr. in HALLWARD: Bolts (wie Anm. 13), S. 140. 45 OIK 4, Fasz. Diplomatische Korrespondenz der Staatskanzlei 1777-80, 1782-86, Konv. 1777, Brief des österreichischen Gesandten in Lissabon, Adam Freiherr von Lebzeltern nach Wien vom 29. April 1777, fol. 18v.

72 Die zweite österreichische Ostindienkompanie

Die Delagoabay Nach einem mehrtätigen Aufenthalt in erreichte die „Joseph und Theresa“ am 28. Februar 1777 das Kap der Guten Hoffnung. Von dort wurde ein Kurs eingeschlagen, der das Schiff durch die inner passage und damit westlich von Madagaskar entlang der Küste Südostafrikas nach Indien führen sollte. Die bis 150 leagues46 östlich des Kaps schwer berechenbaren Winde47 er- fassten jedoch nach Bolts’ Darstellung auch die „Joseph und Theresa“, die angeblich hunderte Meilen vom Kurs abgetrieben wurde und schließlich Ende März in der Delagoabay (im heutigen Moçambique) auf eine Sand- bank lief.48 Angesichts des drohenden Verlusts der Ladung hätte er Francis Ryan, einen seiner Offiziere, beauftragt, auf einem fremden Schiff die Reise nach Bombay fortzusetzen, um dort ein zusätzliches Gefährt für den Wei- tertransport der Mannschaft und Waren der „Joseph und Theresa“ an die indische Malabarküste zu organisieren.49 Auf welchem country vessel50 Ryan nach Indien gelangte, ist unbekannt; dass er innerhalb kürzester Zeit – Ryan reiste noch vor der ersten Flut ab, die das Schiff im übrigen von der Sandbank zu lösen vermochte51 – eine andere Möglichkeit zur Überfahrt fand, verdeutlicht jedoch, wie häufig die Bucht zu dieser Zeit von europäi- schen Schiffen frequentiert wurde.52

46 Das britische Längenmaß league bezeichnet pauschal eine Einheit von drei (Londo- ner oder Nautischen) Meilen. Vgl. Helmut KAHNT/Bernd KNORR: Alte Maße, Münzen und Gewichte. Ein Lexikon, Mannheim u. Wien 1987, S. 159. 47 The Oriental Navigator or New Directions for Sailing to and from the East Indies. Also for use of the Country ships, trading in the Indian and China Seas, to New Holland etc., London 1794, S. 54. 48 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv C - Correspondenz mit der Sozietät und dieselbe betreffende Acte von 1778, Brief- sammlung von Bolts mit unbekanntem Datum nach Wien, fol. 44r-44v. 49 Da Bolts keine Unterstützung von Seiten der E.I.C. zu erwarten hatte, wies er Ryan explizit an, nach Bombay zu fahren, „pour y chercher un vaisseau de particuliers“. Vgl. OIK 4, Diplomatische Korrespondenz der Staatskanzlei 1777-80, 1782-86, Konv. 1778, Brief von Belgiojoso an Kaunitz vom 13. Februar 1778, fol. 6r. 50 Das in einem Bericht des President and Council of Bombay vom 16. Juli 1777 ge- nannte country-vessel, also ein Schiff, das zum innerasiatischen Binnenhandel zwi- schen Stützpunkten am Indischen Ozean eingesetzt wurde, ist namentlich nicht be- kannt; abgedr. in HALLWARD: Bolts (wie Anm. 13), S. 141. 51 OIK 6, Correspondenz mit der Companie 1778, 1779, Brief von Bolts an Ryan vom 6. September 1777 aus , unfol. 52 Vgl. auch CARLSON: Tade and dependency (wie Anm. 7), S. 132-135.

73 Stefan Meisterle

Zwar verfügte – abgesehen von einem kleinen englischen Warenlager53 – keine europäische Macht seit dem Rückzug der holländischen Verenigde Oost Indische Compagnie über eine dauerhafte Präsenz in der Bucht, je- doch waren in erster Linie britische Kaufleute spätestens seit den 1750er Jahren hier im Handel mit ansässigen afrikanischen Völkern aktiv54, zumal man in der Delagoabay die am indischen Subkontinent begehrten „[...] dents d’élephant en assez grand abondance“55 vorfinden konnte. Die Anbindung der Region an den innerasiatischen Schiffsverkehr war also in jedem Fall be- reits vor der Ankunft der „Joseph und Theresa“ gewährleistet, was sich der Freihändler Bolts durchaus zunutze zu machen wusste. Ein Brief des österreichischen Gesandten in London Graf Barbiano de Belgiojoso informierte den Wiener Hof indes von Gerüchten über den vermeintlichen Schiffbruch Bolts’. Der ebenfalls übermittelte Hinweis, „Ces naufrages sont fort rares et il est bien malheureux d’en avoir essuyé un dans la première expedition.“56, den Belgiojoso in Zusammenhang mit den navigatorischen Bedigungen der inner passage in Erfahrung brachte, weckt hingegen berech- tigten Zweifel an Bolts’ Aussage, durch widrige Winde in die Delagoabay getrieben worden zu sein. In Anbetracht der Quellen ist die Darstellung ei- nes Schiffbruchs, die von der – im übrigen äußerst spärlichen – Literatur zumeist unkritisch übernommen wurde57, nicht haltbar, vielmehr findet sich darin der Hinweis auf den Plan des Freihändlers, ein bis zu diesem

53 Dieses Magazin wurde 6-7 mal jährlich von englischen Privatiers mit Holz aufge- füllt, das fremde Schiffe hier für Reparaturarbeiten ankaufen konnten. OIK 4, Fasz. Diplomatische Korrespondenz der Staatskanzlei 1777-80, 1782-86, Konv. 1778, Brief von Graf Barbiano de Belgiojoso, fol. 13r. 54 Siehe dazu Malyn NEWITT: A history of Mozambique, London 1995, S. 151-159. Ferner Alan SMITH: The trade of Delagoa Bay as a factor in Nguni politics in Africa 1750-1835, in: Leonard THOMPSON (ed.): African Societies in Southern Africa, London 1969, S. 171-189, hier 173. 55 EBD.: „The Trade of these rivers consists in elephant teeth.” konstatiert auch der Oriental Navigator, vgl. The Oriental Navigator (wie Anm. 47), S. 82. 56 OIK 4, Fasz. Diplomatische Korrespondenz der Staatskanzlei 1777-80, 1782-86, Konv. 1778, Brief von Graf Barbiano de Belgiojoso, fol. 2v. 57 Eine in dieser Hinsicht löbliche Ausnahme stellt Carlsons Arbeit dar, der – aller- dings ohne dem Verdacht weiter nachzugehen – zumindest konstatierte, „Because of a chance circumstance (a grounding), or perhaps because of Bolt’s secret plans, the ship entered the Bay.“ Vgl. CARLSON: Trade and dependency (wie Anm. 7), S. 147.

74 Die zweite österreichische Ostindienkompanie

Zeitpunkt keiner europäischen Macht untertäniges Gebiet für den (Privat-) Handel zu erschließen. Übereinstimmend berichteten der President and Council of Bombay58 und der Verfasser eines aus Indien an Charles Proli adressierten Briefes, dass Bolts, „[...] voulant entrer dans la riviere de Lagoa“59, das Schiff in die Dela- goabay geführt hätte. Auch der auf dem Schiff mitgereiste Arzt Niccolo Fontana notierte, dass man am 6. März 1777 das Kap St. Lucia erreicht hätte, „Von da mußten wir, um das Land von Delagoa zu erreichen, bis den 25. [März, S.M.] längst der Küste hinauf fahren.“60 Schließlich revidierte sogar Bel- giojoso seine Aussage über einen Schiffbruch der „Joseph und Theresa“: In einer Mitteilung an den Wiener Hof wusste er stattdessen zu berichten, dass sich Bolts in der Delagoabay aufhielt, um mit afrikanischen Herr- schern Verhandlungen über die Gründung einer Niederlassung zu führen.61 Landerwerb in der Delagoabay Gegen Ende April 1777 ließ Bolts die Mannschaft und Waren der „Joseph und Theresa“ an Land setzen. Die Wahl der Delagoabay als Standort für eine Niederlassung war aus mehreren Gründen nachvollziehbar. Eine ex- ponierte Insel namens Iniâca liegt ca. zwanzig Meilen62 in südöstlicher Richtung vor dem Eingang der geschützten Bucht. Zwei von Bolts im Juni

58 Bericht vom 16. Juli 1777, abgedr. in HALLWARD: Bolts (wie Anm. 13), S. 142. 59 OIK 5, Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv C - Cor- respondenz mit der Sozietät und dieselbe betreffende Acte von 1778, Briefsamm- lung von Charles Proli vom 4. Juli 1778, Brief vom 12. Juni 1778 aus Bombay, fol. 11r. 60 Niccolo FONTANA: Maria Teresa e le Indie Orientali. La spedizione alle Isole Nico- bare della nave „Joseph und Theresia“ e il diario del chirurgo di bordo, übers. von Joseph Eyerel 1782, hg. von Gerd Pilleri, Bern 1982, S. 10. Der nördliche Punkt der Delagoabay ist immerhin 62 leagues vom Kap St. Lucia entfernt; vgl. Oriental Na- vigator (wie Anm. 47), S. 81. 61 OIK 4, Fasz. Diplomatische Korrespondenz der Staatskanzlei 1777-80, 1782-86, Konv. 1778, fol. 12-13. 62 Nach Darstellung Bolts’ befindet sich die Insel 20 geographische Meilen von der in der Mündung der Bucht gelegenen Sandbank entfernt. Vgl. OIK 5, Fasz. Korres- pondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv C - Correspondenz mit der Sozietät und dieselbe betreffende Acte von 1778, Briefsammlung von Bolts mit un- bekanntem Datum nach Wien, fol. 42-43.

75 Stefan Meisterle

1777 gefertigten Karten63 ist zu entnehmen, dass dieser Eingang zunächst in einen Kanal führt64, der das Meer und die eigentliche, wenige Meilen im Landesinneren gelegene Bucht verbindet. In diese Bucht münden ihrerseits nicht weniger als drei größere Flüsse, von denen der größte, Masoûmo ge- nannt, durchaus auch von größeren Gefährten bis ins Landesinnere be- schiffbar war.65 Die demnach für einen Handel mit dem Hinterland vorteil- haften Bedingungen und die darüber hinaus reichlich vorhandenen Süß- wasservorkommen machten die Bucht zu einer idealen Station für Han- delsschiffe im Indischen Ozean.66 Bolts bezeugte, dass bei der Ankunft der „Joseph und Theresa“ die afrikanischen Einwohner des Landes Herrscher über die Bucht gewesen wären67 und keine andere europäische Macht die Souveränität über dieses Gebiet hätte beanspruchen können. Folglich wandte sich Bolts an drei lokale afrikanische Potentaten, mit denen er am 3. und 7. Mai 1777 Verträge abschloss, die Bolts in Stellvertretung der Habs- burgermonarchie weit reichende Privilegien und Rechte garantierten. Die Originaldokumente weisen weitgehend identische Klauseln auf und wurden von den drei Potentaten Mohaâr Capêll, Herrscher über Tembè, dem Prin- zen Chibanzaân Matôla und Bilêne Masoûmo, dem Matôla unterstellten Tributärherrscher des Landes Masoûmo unterzeichnet.68 Grundsätzlich klärten diese Verträge die Modalitäten des Verkaufs einzelner Territorien an Bolts und die Habsburgermonarchie; nach Erhalt kleinerer Geschenke traten die afrikanischen Potentaten die Souveränität über West- und Ost- küste der Einfahrt in die Bucht an Bolts ab. Die Rivalitäten zwischen den ansässigen Volksgruppen blieben Bolts nicht verborgen, der diese zur Ar-

63 Im Original erhalten sind die Karten ebd.; in abgedruckter Form finden sie sich bei Fulvio BABUDIERI: Trieste e gli interessi austriaci in asia nei secoli XVIII e XIX, Padova 1966, S. 51-52. 64 Die Breite dieses Kanals wird im Oriental Navigator mit 5 Meilen angegeben; vgl. Oriental Navigator (wie Anm. 47), S. 81. 65 EBD.: S. 82. 66 OIK 4, Fasz. Korrespondenz der Staatskanzlei 1777-80, 1782-86, Konv. 1778, Brief von Belgiojoso vom 12. Mai 1778, fol. 8-11; die Vorteile der Delagoabay rühmte Bolts mehrfach, u.a. im ersten Brief an die Kaiserin nach Festsetzung in der Dela- goabay, vgl. OIK 2, Fasz. Vorträge 1774-80, Konv. 3 (1-37), Brief von Bolts an Ma- ria Theresia vom 28. Oktober 1777 aus Goga, fol. 12r. 67 OIK 1, Fasz. E – Bolts an Kaunitz 20. August 1782, fol. 238r. 68 Die auf Pergament gefertigten Originalverträge befinden sich inmitten anderer Archivalien zur Ostindischen Compagnie in OIK 2, Vorträge 1774-80, Konv. 2 (1- 22).

76 Die zweite österreichische Ostindienkompanie rondierung des Territoriums einzusetzen wusste: Bilêne Masoûmo wurde überzeugt, sich aus der Abhängigkeit Matôlas zu lösen und in die „protection of Her Most Sacred Imperial Royal and Apostolick Majesty“69 zu begeben. Einen Angriff auf die eigene Souveränität mussten jedoch auch die anderen bei- den Herrscher angesichts der Formulierung der Verträge befürchten. Die Erlaubnis zur Errichtung befestigter Anlagen auf dem erworbenen Territo- rium, das den kaiserlichen Untertanen garantierte Zutrittsrecht zu den Ge- bieten Matôla und Tembè, das der kaiserlichen Niederlassung zugesicherte Exklusivankaufsrecht auf Elfenbein und insbesondere das vertraglich ver- ankerte Privileg, bei Bedarf gegen die Entrichtung eines geringen Pachtzin- ses Ländereien im Herrschaftsbereich der beiden Könige kultivieren zu dürfen, sind als Eingriffe in die Selbstbestimmung der afrikanischen Herr- scher zu werten, zugleich aber auch Ausdruck der Bereitschaft Bolts’, eine Niederlassung größeren Umfangs zu schaffen, die sich nicht allein mit kommerziellen Tätigkeiten begnügen sollte. Der Aufbau der Kolonie in der Delagoabay Mit dem Bau der ersten k. k. Warenlager und Unterkünfte dürfte schon im April, also vor Unterzeichnung der Verträge durch die afrikanischen Machthaber begonnen worden sein.70 Die geplanten Stützpunkte östlich und westlich der Einfahrt in die Bucht wurden allerdings nur zum Teil rea- lisiert. Zwar ließ Bolts auf der westlichen Seite der Flußmündung das Fort St. Joseph errichten, der projektierte Bau des Forts St. Maria an der Ost- küste wurde jedoch bald aufgegeben. Stattdessen beschloss Bolts, weitere Anlagen auf der Insel Iniâca anlegen zu lassen, die dem Deutschen Andreas Daniel Pollet, von Bolts auserwählter erster Siedler der Niederlassung, als Wohnstätte und Warenmagazin dienen sollten.71

69 OIK 2, Vorträge 1774-80, Konv. 2 (1-22), Originalvertrag zwischen Bolts und Mo- haâr Capêll vom 3. Mai 1777, fol. 12r. 70 In Artikel 3 des Vertrages wird den Afrikanern gestattet, die „towns and Factories (the Fortifications being allways excepted) established within the Dominions of her Imperial Majesty and her Successors“ zu betreten. Ferner wird bestätigt, dass „that Land on the Western side of the River called Tembè […] where the Imperial Camp is now pitched“ fortan Bolts, seinen Assoziierten und ihren Nachfahren zustehe. Ebd., fol. 4r bzw. 11r. 71 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv C - Correspondenz mit der Sozietät und dieselbe betreffende Acte von 1778, Instrukti- onen für Daniel Pollet vom 1. Juli 1777, fol. 48-54.

77 Stefan Meisterle

Pollet nahm in der Planung, die Bolts für die Delagoabay ausarbeitete, eine zentrale Rolle ein. Als Leiter der Niederlassung überantwortete ihm Bolts nicht nur die Etablierung von Handelsverbindungen mit dem Lan- desinneren, sondern auch die Leitung von Geschäften mit europäischen und indischen country traders. Um eine möglichst effiziente Nutzung des Stützpunktes in der Delagoabay zu gewährleisten, hinterließ Bolts dem Deutschen detaillierte Instruktionen72, aus denen die intendierte Konzep- tion und Funktion der Niederlassung hervorgehen. In erster Linie sollte die Delagoabay demnach zu einem Umschlagplatz für Elfenbein ausgebaut werden, das Bolts auf eigenen und fremden Schiffen an die westindische Küste zu exportieren plante. Zu diesem Zweck erteilte er Pollet eindeutige Anweisungen für den Umgang mit Afrikanern und Europäern. Zwar dürfe Pollet keine unautorisierte fremde europäische Präsenz auf dem kaiserli- chen Territorium dulden, gleichzeitig müsse er aber den Schiffen aller be- freundeten Nationen „assistance & refreshment“73 angedeihen lassen. Gegen- über den afrikanischen Nachbarn und Partnern dürfe man keineswegs Hochmut oder Überheblichkeit an den Tag legen, vielmehr gelte es, mit diesen ein positives Einvernehmen zu suchen, was auch eine allzu heraus- fordernde Umsetzung der Verträge ausschließen würde. Stattdessen wäre es vorteilhaft, mit den afrikanischen Nachbarn partnerschaftliche Kontakte zu pflegen, weshalb man auch die Errichtung von Häusern und Hütten für af- rikanische Bewohner in der Nachbarschaft des Fort St. Joseph ins Auge fassen sollte. Auf diese Weise wäre nach Ansicht Bolts’ die Versorgungssi- cherheit der kleinen Kolonie gewährleistet. Der Bezeichnung einer kleinen Kolonie wurde die Niederlassung im übri- gen durchaus gerecht, wie die weiteren Anweisungen Bolts’ dokumentier- ten. Demnach sollte die Delagoabay nicht nur als Warenlager für Elfenbein dienen, sondern auch die Kultivierung von Nutzpflanzen in Angriff neh- men. Bolts beauftragte Pollet aus diesem Grund, so bald wie möglich „50 Men slaves & as many Women slaves“74 herbeizuschaffen, die einerseits für den Bau der Hütten und anderer Anlagen herangezogen werden sollen, ande- rerseits landwirtschaftliche Arbeit zu verrichten hätten. Für den Anbau von

72 Die im folgenden wiedergegebenen Instruktionen befinden sich im HHStA, OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv C - Cor- respondenz mit der Sozietät und dieselbe betreffende Acte von 1778, Instruktionen für Daniel Pollet vom 1. Juli 1777, fol. 48-55. 73 EBD.: fol. 48r. 74 EBD.: fol. 49r.

78 Die zweite österreichische Ostindienkompanie

Feldfrüchten stellte Bolts eine Sammlung von in Livorno erworbenen Sa- men zur Verfügung, die Kürbisse und Wassermelonen ebenso umfasste wie verschiedene Gemüsesorten, Ingwer, Süßkartoffel, Orangen, Zitronen und Weine aus Madeira, für deren Qualität ein mitgereister Gärtner zu sorgen hatte. Darüber hinaus wies er Pollet an, weitere Pflanzenarten wie Weizen, Indigo, Kaffee und Pfeffer zu beschaffen, für die der Boden seiner Ansicht nach geeignet wäre. Nach der Einweisung Pollets ließ Bolts die Abreise der „Joseph und Theresa“ vorbereiten. Zur Befestigung der Niederlassung wurden neben Pollet zehn weitere, mehrheitlich nicht dem Militär angehörige75 Personen aus der Besatzung des Schiffes in der Delagoabay zurückgelassen, ferner ordnete Bolts an, das Fort St. Joseph mit zehn Kanonen aus der Artillerie des Schiffes zu bestücken. Als Bolts Ende Juli 177776 die Delagoabay auf der „Joseph und Theresa“ verließ, war der Stützpunkt weitgehend ausge- baut und die Grundlage für in weiterer Folge profitable kommerzielle Akti- vitäten geschaffen. Die Etablierung eines asiatischen Handelsnetzes unter kaiserlicher Flagge Nach einer sechswöchigen Fahrt erreichte die „Joseph und Theresa“ An- fang September 1777 das im englischen Einflussbereich77 zu verortende Su- rat an der indischen Westküste. Die englischen Autoritäten der Stadt waren jedoch bereits vor der Ankunft Bolts’ gewarnt worden und vereitelten Bolts’ Versuch, das Schiff in den Hafen zu steuern. Folglich blieb Bolts nichts anderes übrig, als nach Norden zu segeln und den englischen Machtbereich zu verlassen. In der Bucht von Cambay konnte schließlich ein geeigneter Ankerplatz gefunden werden; die dem Pundit von Ahmada- bad78 unterstellte Hafenstadt Goga gestattete nicht nur die Ladung frischen

75 Aus der 1782 gefertigten Aufstellung Bolts’ über das Schicksal der auf der „Joseph und Theresa“ mitgereisten Soldaten geht hervor, dass höchstens vier Soldaten in der Delagoabay stationiert wurden. OIK 3, Fasz. Korrespondenz der Staatskanzlei mit den Hofstellen 1781-1786, Konv. Ostindische Compagnie Correspondenz mit den k. k. Hofstellen 1782, Brief von Bolts an den Hofkriegsrat vom 15. März 1782, fol. 68-69. 76 FONTANA: Maria Teresa e le Indie Orientali (wie Anm. 60), S. 13. 77 Vgl. Christopher A. BAYLY: Indian Society and the making of the British Empire (=The new Cambridge history of India Vol. II, part 1), Cambridge 1988, S. 63. 78 Vgl. HALLWARD: Bolts (wie Anm. 13), S. 143. Die Herrscher Ahmadabs waren seit dessen Eroberung 1758 die Marathen, siehe dazu Andrea HINTZE: The Mugal em-

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Wassers, sondern erlaubte Bolts auch, die erkrankten Seeleute an Land zu setzen.79 Wenngleich sich Bolts’ Plan, eine direkte Handelsverbindung zwischen der Delagoabay und Surat etablieren zu können, angesichts des englischen Widerstandes nicht realisieren ließ, begriff er rasch, dass sich Goga für die Umsetzung seiner Strategie geradezu anbot. Außerhalb des englischen Ein- flussbereiches gelegen, verfügte es über eine Anbindung an die Textilzent- ren Gujarats, wo die in Südostafrika begehrten Baumwollstoffe80 verfügbar wären. Gleichzeitig versprach sich Bolts von der geographischen Nähe zu Surat Absatzmöglichkeiten für das aus der Delagoabay stammende Elfen- bein. In Anbetracht dieser Perspektiven erwarb Bolts vom Pundit von Ahmadabad die Befugnis, eine Faktorei in Goga errichten zu dürfen. Im Gegensatz zur Kolonie in der Delagoabay sollte dieser Handelsstützpunkt zunächst jedoch nicht unter den Schutz der kaiserlichen Flagge gestellt werden.81 Vielmehr ging Bolts eine private geschäftliche Partnerschaft mit einem portugiesischen Kaufmann namens Manuel Simon dos Santos ein, der den Überseehandel zwischen der Delagoabay und dem Golf von Cam- bay administrieren sollte. Die private Vereinbarung, die dieser Partnerschaft zugrunde lag, sollte vor dem Wiener Hof geheimgehalten werden, aller- dings gelangte dank der Vermittlung des portugiesischen Privatiers Louis Cantoser eine Abschrift des Vertrags nach Wien.82 Noch deutlicher als aus den Instruktionen an Daniel Pollet geht aus dieser Vereinbarung die Vision hervor, die Bolts am Indischen Ozean realisieren wollte. Die Geschäftsfel- der der Partnerschaft zwischen Bolts und dos Santos, in der im übrigen weder die Antwerpener noch der Wiener Hof in irgendeiner Weise berück- sichtigt wurde, umfassten sowohl den Handel mit Baumwollstoffen und

pire and its decline. An interpretation of the sources of social power, Aldershot u.a. 1997, S. 228. 79 FONTANA: Maria Teresa e le Indie Orientali (wie Anm. 60), S. 14. 80 Vgl. CARLSON: Trade and dependency (wie Anm. 7), S. 135. 81 Die von Pollack-Parnau erhobene Behauptung, bei der Faktorei hätte es sich um eine kaiserliche Niederlassung gehandelt, ist durch keinerlei Hinweis archivalisch belegt und wäre angesichts der Faktenlage auch unrealistisch, zumal Bolts in einen Brief an Maria Theresia aus Goga nichts davon erwähnt. Vgl. POLLACK-PARNAU: Handelscompagnie (wie Anm. 18), S. 42; OIK 2, Fasz. Vorträge 1774-80, Konv. 3 (1-37), Brief von Bolts an Kaiserin vom 28. Oktober 1777 aus Goga, fol. 14v. 82 Vgl. OIK 4, Fasz. Diplomatische Korrespondenz der Staatskanzlei 1777-80, 1782- 86, Konv. 1778, Briefsammlung von Lebzeltern vom 12. November 1778, fol. 20- 30.

80 Die zweite österreichische Ostindienkompanie

Elfenbein als auch den Ankauf von Sklaven in der Delagoabay und deren Weiterverkauf auf Mauritius. Teil der Vereinbarung war ferner der Erwerb und die Ausrüstung von drei Schiffen, die – unter kaiserlicher Flagge se- gelnd – den Warentransport abwickeln sollten. In den folgenden Monaten wurden diese Schiffe in den Dienst des von Bolts lancierten innerasiatischen Handelsnetzes gestellt. Das in Bombay erworbene Schiff „Le Comte de Proli“ befuhr bereits im Dezember 1777 erstmals die Route Cambay-Delagoabay, im Frühjahr 1778 lief „L’Ottino“ in Surat aus und kurz danach wurde das Schiff „Ferdinand“ in die Delago- abay expediert, um dort als „factoire flotant“83 in der Flußmündung vor Anker zu gehen. Der auf diese Weise konsolidierte country trade unter kaiserlicher Flagge zeitigte bald die ersten Erfolge. Planmäßig ankerte die „Ferdinand“ in der Bucht von Delagoa, um den Handel mit dem Landesinneren zu befördern. Im Oktober 1778 kehrte „Le Comte de Proli“ mit einer reichen Elfenbein- ladung an die indische Westküste zurück und schließlich kehrte auch „L’Ottino“ an die indische Westküste zurück, um 1779 neuerlich Kurs auf die Delagoabay zu nehmen. Dort wurden indes Bolts’ Pläne schrittweise umgesetzt, so dass in der Kolonie bald ein Personenstand von insgesamt 155 Männern und einer nicht ergründbaren Anzahl von Frauen verzeichnet wurde. Dabei handelte es sich größtenteils um Sklaven, die aus dem Landesinneren Südostafrikas in die Niederlassung verschleppt worden waren.84 Die von Bolts eingeleite- ten Maßnahmen erwiesen sich ungeachtet dessen als überaus effizient, v.a. der unter kaiserlicher Flagge etablierte Elfenbeinhandel über den Indischen Ozean kam zum Erblühen: The Austrian factory was by no means unsuccessful, trading on average 75 000 pounds of ivory a year, vastly more than the unsuccessful Dutch station fifty years ear- lier.85 Das auf Basis der Verträge mit den afrikanischen Königen etablierte Handelsmonopol auf Elfenbein erwies sich für die Niederlassung als äu- ßerst profitabel, sollte zudem aber auch durch die Anbindung an die nörd-

83 OIK 5, Fasz. Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv. C - Correspondenz mit der Sozietät und dieselbe betreffende Acte von 1778, Brief von Bolts an Pierre Proli vom 21. Jänner 1778, fol. 8v. 84 NEWITT: Mozambique (wie Anm. 54), S. 159. 85 EBD.

81 Stefan Meisterle lich gelegenen Sklavenmärkte in Inhamabane abgestützt werden.86 Der Er- folg des als „extremely large“87 bezeichneten Handels ließ sich allerdings nicht allein mit den drei in Bolts bzw. dos Santos Besitz befindlichen Schiffen bewerkstelligen. Vielmehr integrierte Bolts private (englische und indische) country traders, die die Delagoabay weiterhin frequentierten, um mit der kaiserlichen Kolonie Handel zu treiben, in sein Handelsnetz: „[…] English ships continued to visit the Bay in the late 1770s, and one is known to have shipped 100 000 pounds of ivory“.88 Dabei konnte die Niederlassung weitere Abgaben und Zölle gewinnen, die in den Ausbau der Handelsverbindungen mit dem Landesinneren investiert wurden.89 Die Kolonie, die den Handel in der Delagoabay vollständig unter Kontrolle gebracht hatte, firmierte zwar unter dem Namen „österreichisches Etablissement“, operierte jedoch als überna- tionales Wirtschaftsunternehmen, das auch die Initiativen englischer, fran- zösischer oder indischer Kaufleute einzubinden verstand. Solange es die Autorität Bolts’ und seiner Geschäftspartner nicht bedrohte, wurde sogar die Errichtung permanenter Warenlager gestattet, wie die Verpachtung ei- nes Landstreifens an den englischen Privatier John McKensey dokumen- tiert.90 Am Wiener Hof hatte man indes an der eigenmächtigen Vorgehensweise Bolts’ in Südostafrika wenig auszusetzen. Zwar waren einzelne kritische Stimmen zu vernehmen, wie etwa jene des Präsidenten der böhmisch-ös- terreichischen Hofkanzlei Graf von Blümegen, der mahnte, „Bolts habe seine Rechtschaffenheit durch sein bisheriges Betragen verdächtig gemacht […], als ob er dabay blos seinen privat-Nutzen zum Gegenstand hätte und vielleicht mit den Engländern in einiger Verbindung stünde.“91 Die ungleich gewichtigere Stimme des Staatskanzlers und wichtigsten Beraters der Kaiserin, Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg, sicherte Bolts jedoch den politischen Rückhalt am Wie- ner Hof. Indem die Haus,- Hof- und Staatskanzlei unter Kaunitz, die noch im Jahr 1778 über die Sklavenwirtschaft und Handelsaktivitäten der Dela-

86 Vgl. CARLSON: Trade and dependency (wie Anm. 7), S. 152. 87 SMITH: The trade of Delagoa Bay (wie Anm. 54), S. 174. 88 NEWITT: Mozambique (wie Anm. 54), S. 159. 89 Vgl. CARLSON: Trade and dependency (wie Anm. 7), S. 152. 90 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv C - Correspondenz mit der Sozietät und dieselbe betreffende Acte von 1778, Instrukti- onen für Daniel Pollet vom 1. Juli 1777, fol. 55v. 91 OIK 3, Fasz. Korrespondenz der Staatskanzlei mit Hofstellen 1774-1776, 1778-80, Konv. 5 (1-29), Nota von Blümegen vom 6. Oktober 1779 an die Kaiserin, fol. 12r.

82 Die zweite österreichische Ostindienkompanie goabay informiert worden war, die Gründung und Aufrechterhaltung der kleinen Kolonie begrüßte und auf diplomatischer Ebene unterstützte, posi- tionierte sie sich zugleich als Schirmherr und Befürworter der kolonialisti- schen Tätigkeit Bolts’ am Indischen Ozean – eine Tatsache, der die öster- reichische Historiographie bislang allerdings kaum Rechnung getragen hat.92 Bolts war es bis 1778 gelungen, auf Grundlage des kaiserlichen Privilegs seine Intentionen am Indischen Ozean weitgehend umzusetzen. Immerhin waren seine Vorbereitungen umfassend gewesen und hatten sich als ziel- führend erwiesen. Die Formulierung des kaiserlichen Patents im Jahr 1775, der geplante Aufenthalt der „Joseph und Theresa“ in der Delagoabay, die ausgehandelten Verträge mit den afrikanischen Herrschern, die Mitführung von Samen für Feldfrüchte, die exakten und elaborierten Anweisungen an Daniel Pollet, der Aufbau einer indischen Faktorei als Gegenstück zur afri- kanischen Niederlassung und die Stationierung eines Schiffes in der Fluss- mündung der Delagoabay veranschaulichten, was der Wiener Hof nicht er- kannte oder erkennen wollte: Bolts realisierte das seit längerem geplante Unterfangen, sich in der Delagoabay unter der Schirmherrschaft einer eu- ropäischen Macht festzusetzen, um von dort, in erster Linie zum persönli- chen Profit, einen einträglichen Handel zu etablieren. Während ihm das kaiserliche Patent die notwendige politische Protektion gegen etwaige An- sprüche anderer europäischer Mächte auf das Territorium garantierte, hatte ihm die Kooperation mit den Antwerpener Geschäftspartnern den finan- ziellen Spielraum eröffnet, dessen er zur Verwirklichung seiner Ideen be- durfte. Die Errichtung weiterer Niederlassungen Zur Konsolidierung seines innerasiatischen Handelsnetzes – und wohl auch um seinem offiziellen Auftrag eines asiatisch-europäischen Direkt- handels nachzukommen, dessen Ausführung die Antwerpener inzwischen vehement einforderten – strebte Bolts die Schaffung weiterer Handels- stützpunkte an der indischen Malabarküste an.93 Für Errichtung größerer

92 Vgl. Walter SAUER: Jenseits der „Entdeckungsgeschichte“: Forschungsergebnisse und Perspektiven, in: ders. (Hg.): K. u. k. kolonial. Habsburgermonarchie und eu- ropäische Herrschaft in Afrika, Wien 2002, S. 7-16, hier 7-8. 93 Bereits zuvor war Bolts und der österreichischen Gesellschaft von den portugiesi- schen Behörden in Goa gestattet worden, in Daman Warenlager zu errichten und einen Handelsagenten einzusetzen. OIK 4, Fasz. Diplomatische Korrespondenz der

83 Stefan Meisterle

Warenlager wandte sich Bolts an , den mit England verfeindeten Herrschers über die Malabarküste. Mit der Übersendung der aus Livorno mitgeführten Gewehre erkaufte sich Bolts von Hyder Ali das Privileg, in den drei Küstenstädten , Karwar und Balliapatam unbefestigte Handelsniederlassungen unter kaiserlicher Flagge errichten zu dürfen.94 Diesen Stützpunkten waren in Anbetracht der Stärke der Herrschaft Hyder Alis keinerlei koloniale Funktionen zugedacht, vielmehr sollten sie sowohl als Warenlager für den transkontinentalen Handel mit Europa fungieren als auch in Bolts’ innerasiatischem country trade die Rolle zusätzlicher Stapel- plätze einnehmen. In jeder Hinsicht kolonialistischer war hingegen der Versuch, eine Nie- derlassung auf den Nikobaren, einer ehemals von Dänemark okkupierten Inselgruppe im Golf von Bengalen95, zu errichten. Während seines Aufent- halts bei Hyder Ali im Sommer 1778 sandte Bolts mehrere seiner Offiziere mit der „Joseph und Theresa“ auf die Nikobaren. Ihr Auftrag war die Inbe- sitznahme der mittleren Inselgruppe, die in mehreren Verträgen, die lokale Autoritäten der nikobarischen Bevölkerung mit Kreuzen unterzeichneten96, besiegelt wurde. Wie in der Delagoabay sollte ein Vertrauter Bolts’ als dau- erhafter Siedler die Geschicke der Kolonie leiten, auch der zu diesem Zweck auserkorene Gottfried Stahl wurde mit umfassenden Instruktionen versehen.97 Pflichtet man Sven Carlson bei, der die Errichtung der Kolonie auf den Nikobaren als Bolts’ Versuch interpretiert, das in der westlichen

Staatskanzlei 1777-80, 1782-86, Konv. 1778, Briefsammlung von Lebzeltern vom 12. November 1778, fol. 23r-v. 94 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv C - Correspondenz mit der Sozietät und dieselbe betreffende Acte von 1778, Firman von Haydar Alli Khan vom 21. August 1778, fol. 89v. 95 Zur kolonialen Vergangenheit der Nikobaren vor der Ankunft der Österreicher siehe Franziska KASPER: Die österreichischen Kolonien auf den Nikobaren 1778- 1783, eine ethnohistorische Untersuchung des kolonisatorischen Unternehmens Österreichs im Indischen Ozean Ende des 18. Jahrhunderts mit einer Bewertung der Ethnographica aus dem 19. Jahrhundert, 2 Bde., Wien 2002, Univ. Diss., hier Bd. 1, S. 73-107. 96 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv. D – Korrespondenz mit der Sozietät und selbe betreffende Akten 1779, fol. 164r. Vgl. auch Kasper, Nikobaren, Bd. 1, S. 190. 97 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv. D – Korrespondenz mit der Sozietät und selbe betreffende Akten 1779, Instruktionen von Bolts an Gottfried Stahl aus Madras vom 16. Juli 1779, fol. 166-169.

84 Die zweite österreichische Ostindienkompanie

Sphäre des Indischen Ozeans etablierte Handelsnetz in östlicher Richtung bis nach China auszudehnen98, so ist zu resümieren, dass dieser Versuch gründlich misslang. Zwar konnten die Inseln die in China begehrten Schwalbennester und Kokosnüsse liefern99, das Vorhaben, Nahrungsmittel ebenso wie Pfeffer- und Zimtkulturen anzulegen, wurde jedoch bald aufge- geben. Trotz der Anstrengungen Bolts’, die Nikobaren mit Wasser und Nahrungsmitteln aus Madras und Pegu zu versorgen100 und ungeachtet der Versuche, mit Hilfe malabarischer Arbeitskräfte und afrikanischer Sklaven die Kolonie einer autarken und überlebensfähigen Bewirtschaftung zuzu- führen101, konnte die kaiserliche Niederlassung auf den Nikobaren nie stabilisiert werden. Als Dänemark, das unter Berufung auf frühere koloniale Projekte auf den Nikobaren im Jahr 1784 ein Kriegsschiff gegen die öster- reichische Kolonie entsandte, das die formelle Oberherrschaft Dänemarks wiederherstellen sollte, fand man keine lebenden kaiserlichen Siedler mehr vor. Überlebt hatten allerdings zwei Sklaven, die die Ankunft der Dänen als Rettung feierten.102 Der Niedergang der Kompanie Erfolglos blieben auch Bolts’ Bemühungen, das von der E.I.C. in Bengalen beschlagnahmte Vermögen einzufordern. Nachdem er in Bombay die zwei Schiffe „Le Prince de Kaunitz“ und „Le Comte de Kollowrath“ erworben und ausgerüstet hatte, begab er sich auf der „Joseph und Theresa“ gegen Ende des Jahres 1779 nach Bengalen. Während „Le Prince de Kaunitz“ nach Kanton segelte, um von dort auf direktem Weg nach Europa zurück- zukehren, sollte „Le Comte de Kollowrath“ Bolts nach Bengalen und von dort nach Livorno begleiten. Die Antwerpener Geschäftspartner blieben im Übrigen jedoch auch bei diesen Handelsfahrten unberücksichtigt, da der Erwerb beider Schiffe aus Vereinbarungen zwischen Bolts und privaten Kaufleuten resultierte, die ihr Kapital in Form von Waren in Zeiten des

98 CARLSON: Trade and dependency (wie Anm. 7), S. 112. 99 KASPER: Nikobaren (wie Anm. 95), Bd. 1, S. 129. 100 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv. D – Korrespondenz mit der Sozietät und selbe betreffende Akten 1779, Instruktionen von Bolts an Gottfried Stahl aus Madras vom 16. Juli 1779, fol. 166-169. 101 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv. F – Korrespondenz mit der Sozietät und selbe betreffende Akten 1781, Brief von Bolts an Kaunitz vom 27. März 1781, fol. 31r. 102 KASPER: Nikobaren (wie Anm. 95), Bd. 1, S. 202.

85 Stefan Meisterle zwischen England und Frankreich tobenden Krieges auf sicherem Wege nach Europa schaffen wollten. Neben dem erwähnten John McKenysey fi- nanzierten daher zwei in Bombay ansässige Engländer namens Mr. Hey und Henry Crook die Fahrt des „Le Prince de Kaunitz“103, auf „Le Comte de Kollowrath“ hingegen schiffte sich der Franzose Louis Bremont in Madras mit einer Ladung Stoffe ein.104 In Bengalen hielt sich Bolts nur wenige Monate auf, zumal ihm hier we- nig Erfolg beschieden war. Zumindest hier war es der E.I.C. gelungen, Bolts’ Aktionsradius einzuschränken: „The English thwart him as much as they can, and look upon him as one of their greatest enemies.“105 Allen Engländern wurde unter Strafandrohung untersagt, mit Bolts in Kontakt zu treten, doch auch militärisch ging man gegen Bolts’ Schiffe vor.106 Dieser konnte sich zunächst in die holländische Faktorei in Chinsura flüchten, um dort mit Unterstützung des holländischen Gouverneurs ein weiteres, im country trade einzusetzendes Schiff namens „Grand Duc de Toscane“ auszurüsten. Spätestens im Frühjahr 1780, nachdem er kurzzeitig in Kalkutta inhaftiert worden war, musste Bolts jedoch die Hoffnung auf eine Rückgabe seines Vermögens aufgeben. Auf der „Joseph und Theresa“, die von „Le Comte de Kollowrath“ begleitet wurde, segelte Bolts über Madras, die Île de France – wo er französischen Kaufleuten weitere kaiserliche Seebriefe und Flaggenpatente verkaufte107 – und das Kap zurück nach Livorno. Nach seiner Rückkehr nach Europa stellte er fest, dass die Antwerpener während seiner Abwesenheit mehrere Schiffe nach China expediert und ihre Position am Wiener Hof gegenüber Bolts allmählich ausgebaut hatten.

103 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv. E - Korrespondenz mit der Societät und dieselbe betreffende Acten nämlich 1780, Brief von Charles Proli an Kaunitz vom 10. Jänner 1780, fol. 2v. 104 Vgl. Paul BUTEL: French traders and India at the end of the eighteenth century (übers. v. Cyprian P. Blamires), in: Sushil Chaudhuri (ed.): Merchants, companies and trade. Europe and Asia in the early modern era, Cambridge 1999, S. 287-299, hier 289. 105 Brief des Anquetil de Briancourt, zit. nach: HALLWARD: Bolts (wie Anm. 13), S. 157. 106 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv. F – Korrespondenz mit der Sozietät und selbe betreffende Akten 1781, Brief von Bolts an Kaunitz vom 27. März 1781, fol. 33r. 107 OIK 5, Fasz. Korrespondenz der HK mit der Kompagnie, 1778-1781, Konv. F – Korrespondenz mit der Sozietät und selbe betreffende Akten 1781, Brief von Bolts an Kaunitz, fol. 31-35.

86 Die zweite österreichische Ostindienkompanie

Eine neuerliche Expedition unter der Leitung Bolts’ schien schwierig, da mittlerweile auch der Wiener Hof dem von den Antwerpenern präferierten Direkthandel zwischen China und Europa mehr Interesse entgegenbrachte. Den entscheidenden Schlag versetzte dem von Bolts etablierten binnenasi- atischen Handelsnetz unter kaiserlicher Flagge jedoch ein Ereignis in Süd- ostafrika. Während die kaiserliche Kolonie in der Delagoabay prosperierte, hatte die nicht weit entfernte portugiesische Niederlassung auf der Ilhâ de Moçambique beträchtliche Einbußen im Elfenbeinhandel hinnehmen müs- sen. Ein allzu selbstbewusstes Vorgehen der kaiserlichen Kolonie gegen portugiesische Versuche, in der Delagoabay Handel zu treiben108, lieferte Portugal schließlich den entscheidenden Vorwand, einzugreifen. In einer von Goa und der Ilhâ de Moçambique aus konzertierten Aktion vernich- tete ein portugiesisches Kriegsschiff die kaiserliche Kolonie und beschlag- nahmte in der Bucht liegende Schiffe. Mit der Zerstörung der Niederlas- sung wurde das gesamte innerasiatische Handelsnetz, das Bolts wenige Jahre zuvor aufgebaut hatte, seines Knotenpunktes beraubt und brach zu- sammen. Im diplomatischen Nachspiel zwischen dem Wiener und Lissa- boner Hof fand der Konflikt um die Delagoabay zwar auf anderer Ebene seine Fortsetzung, Portugal sorgte jedoch mit der Errichtung eines perma- nenten Stützpunktes in der Bucht für klare Verhältnisse: Das zweite ostin- dische Abenteuer der Habsburgermonarchie, das auf Bolts’ Initiative zu- rückgegangen war, fand damit ihr Ende. Selbst wenn der Wiener Hof mit beträchtlichem diplomatischen Einsatz den Weiterbestand der nikobari- schen Kolonie abzusichern versuchte109, war der schrittweise Verlust der Nikobaren und der indischen Handelsstützpunkte in den folgenden Jahren nur eine selbstverständliche Konsequenz des Zusammenbruchs eines von Anfang an auf die Delagoabay ausgerichteten Handelssystems.

108 Vgl. CARLSON: Trade and dependency (wie Anm. 7), S. 149. 109 OIK 4, Fasz. Diplomatische Korrespondenz der Staatskanzlei 1777-80, 1782-86, Konv. 1784, fol. 1-28, Berichte von Collenbach aus dem Jahr 1784, fol. 4-26.

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Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren

Richard Albrecht (*1945), Ph.D. (1976); Dr. rer. pol. habil. (1989); Wissenschafts- publizist & Fachbuchautor, Bad Münstereifel. Letzte Veröffentlichungen: Ter- tium: Ernst Blochs foundation of the Utopian Paradigm, München 2005, GRIN (vgl. [email protected]) Genozidpolitik im 20. Jahrhundert (Aachen: Shaker, 2006/07, drei Bände: 1. Völkermord(en); 2. Armenozid; 3. Hitlerrede); e-Post- adresse/please, mailto: [email protected] Andrea Komlosy, geb. 1957, Ao. Universitätsprofessorin am Institut für Wirt- schafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Herausgeberin der Reihe „Edition Weltregionen“, zuletzt Ostsee 700-2000, Wien 2007. Publikationen zur Textilgeschichte: Waldviertler Textilstraße. Reisen durch Geschichte und Ge- genwart einer Region. Waidhofen 1990, 2. verb. Auflage Wien 1994; Chinesische Seide, indische Kalikos, Maschinengarn aus Manchester. „Industrielle Revolu- tion“ aus globalhistorischer Perspektive, in: Margarete Grandner / Andrea Komlosy (Hg.): Vom Weltgeist beseelt. Globalgeschichte 1700-1815. Wien 2003, S. 103-134; Spatial Division of Labour, Global Inter-Relations, and Imbalances in Regional Development, in: Lex Heerma van Voss / Els Hiemstra / Elise van Nederveen Meerkerk (eds.): A world history of textile workers, 1650-2000 (im Druck); Die österreichische Baumwollindustrie im internationalen Wettbewerb, in: Leopoldine Hokr (Hg.): Schwechat – Groß-Siegharts – Waidhofen/Thaya. Das Netzwerk der frühen niederösterreichischen Baumwollindustrie. Frankfurt am Main 2007. Stefan Meisterle, geb. 1982, Redakteur und Historiker in Wien. Studium der Geschichte an der Universität Wien und der Universidad de Valladolid. Beiträge u.a. Die koloniale Ostindienpolitik des Wiener Hofes in den Jahren 1775-1785, in: Wiener Geschichtsblätter 4/2007 (62); "Unsere" Kolonie in Maputo, in: INDABA. Magazin für das Südliche Afrika, 54/07. Mitgestaltung der Ausstel- lung "SMS Novara" im Heeresgeschichtlichen Museum Wien. Hans-Heinrich Nolte, geb. 1938, O. Universitätsprofessor für Osteuropäische Ge- schichte an der Universität Hannover i. R., Gastlektor für Globalgeschichte an der Universität Wien. Herausgeber der Zeitschrift für Weltgeschichte, der Reihe „Zur Kritik der Geschichtsschreibung“ – zuletzt Bd.11: Il’ja Al’tman: Opfer des Hasses, Der Holocaust auf dem Gebiet der UdSSR 1941-1945, Gleichen 2008; Mitherausgeber der Reihe „Studien zur Weltgeschichte“, zuletzt Bd. 4: „Impe- rien“, Schwalbach 2008. Monographien u. a.: Religiöse Toleranz in Russland, Göttingen 1969; »Drang nach Osten« in der sowjetischen Historiographie, Frankfurt 1975; Gruppeninteressen in der sowjetischen Außenpolitik, Göttingen

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1979; Die eine Welt, Hannover 1982; Kleine Geschichte Russlands (= Reclam 9696), Stuttgart 42008; Weltgeschichte. Imperien, Religionen und Systeme, Wien 2005. Zeitschriftenaufsätze in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas; Canadian Journal of Slavic Studies; Classical Russia; Review. The Fernand Braudel Insitute; Zeitschrift für Weltgeschichte. Beiträge zu mehreren russisch- und englisch- sprachigen Sammelbänden, u.a. zu Roger Chickering (Hg.): „Total War“; sowie zu Bänden von Reihen – Andrea Komlosy u. a. Hg.: „Weltregionen“ und Peter Feldbauer u. a. Hg.: „Globalgeschichte, Die Welt 1000-2000“. Lemmata in Friedrich Jäger Hg.: „Enzyklopädie der Neuzeit.“

Rainer Strzolka, geb. 1956 in Berlin, Dr.phil., ist Bibliothekar an der Univer- sitätsbibliothek Hannover und Autor zahlreicher Publikationen zu Fragen von Buch- und Bibliotheksgeschichte sowie zu Informationskompetenz- förderung; weiterhin literaturwissenschaftliche Abhandlungen. Buchpubli- kationen u.a. Informationsspezi oder Bücherwurm, Berlin 2008; Das Inter- net als Weltbibliothek, Berlin 2008; Suchmaschinenkunde, Hannover 2006, Abriss zur Geschichte des Hörspiels in der Weimarer Republik, Hannover 2004, Roman als Geschichte, Hannover 2002; Bibliotheken in Afrika, Han- nover 2000; Repertorium der Bibliothekswissenschaft, Hannover 1998; Oskar Panizza, Fremder in einer christlichen Gesellschaft, Berlin 1993; Lib- rary services in change, Hannover 1986; Eine Zensur findet nicht statt? Hannover 1984; weiterhin zahlreiche Ausstellungprojekte zur Ikonographie des deutschen Alltagslebens. Sabine Wussow-Klingebiel, geb. 1976, Studienrätin für Geschichte und Englisch am Hannover-Kolleg, einem Gymnasium für Erwachsene, in Hannover. 2004 Pro- motion in Alter Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; 2005- 2007 Lehrbeauftragte für Alte Geschichte und Didaktik der Geschichte an der Leibniz Universität Hannover; Seit 2008 Lehrbeauftragte für Alte Geschichte an der Stiftung Universität Hildesheim. Publikationen zur Geschichtsdidaktik in 'Praxis Geschichte'.

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