Plenarprotokoll 19/68

Deutscher

Stenografischer Bericht

68. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- in Verbindung mit neten Dr. . 7691 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Tagesordnungspunkt 25: nung...... 7691 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Absetzung der Tagesordnungspunkte 23, 25 a, Ausschusses für Bildung, Forschung und 25 b und 29 d...... Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag 7694 D der Abgeordneten Dr. , Birke Bull-Bischoff, , weite- Feststellung der Tagesordnung. 7694 D rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kooperationsverbot in der Bil- dung vollständig aufheben Zusatztagesordnungspunkt 2: Drucksachen 19/13, 19/6143, 19/6172. 7695 B a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des in Verbindung mit Grundgesetzes (Artikel 104c, 104d, 125c, 143e) Tagesordnungspunkt 10: Drucksachen 19/3440, 19/6144. 7694 D a) Zweite und dritte Beratung des von der b) Beschlussempfehlung und Bericht des Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Haushaltsausschusses eines Gesetzes zur Errichtung des Sonder- – zu dem Antrag der Abgeordneten vermögens „Digitale Infrastruktur“ (Digi- Dr. Götz Frömming, , talinfrastrukturfondsgesetz – DIFG) , weiterer Abgeord- Drucksachen 19/4720, 19/6139. 7695 B neter und der Fraktion der AfD: Bil- dungsföderalismus stärken b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- – zu dem Antrag der Abgeordneten frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- , , Dr. Jens ten , , Tabea ­ (Rhein-Neckar), weite- Rößner, weiterer Abgeordneter und der rer Abgeordneter und der Fraktion der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: FDP sowie der Abgeordneten Katja Breitband für alle – Digitale Infrastruk- Dörner, , Margit Stumpp, tur flächendeckend ausbauen weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksachen 19/5306, 19/6142. 7695 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bessere Bildung durch einen modernen Bil- Olaf Scholz, Bundesminister BMF. 7695 C dungsföderalismus Dr. Götz Frömming (AfD) . 7697 A Drucksachen 19/4543, 19/4556, 19/6144. 7695 A (CDU/CSU). 7698 A II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung , Donnerstag, den 29 November 2018

Christian Lindner (FDP). 7699 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . 7700 C Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Mit dem Globalen Pakt für eine si- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ chere, geordnete und reguläre Migration DIE GRÜNEN). 7701 D die internationale Zusammenarbeit in der Dr. (SPD) . 7703 A Migrationspolitik stärken und Migration besser regeln und steuern (AfD) . 7704 C Drucksache 19/6056. 7733 B (CDU/CSU). 7705 C

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ in Verbindung mit DIE GRÜNEN). 7706 C Katja Suding (FDP)...... 7707 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE). 7708 D Antrag der Abgeordneten Dr. , Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ Gökay Akbulut, , weiterer Abgeord- DIE GRÜNEN). 7709 C neter und der Fraktion DIE LINKE: Völker- rechtliche Standards durch Global Compact Dr. (SPD). 7710 C for Migration wahren – International Rech- (AfD). 7711 B te für Migrantinnen und Migranten stärken Drucksache 19/6101. 7733 C Ulrich Lange (CDU/CSU) . 7712 B Johannes Kahrs (SPD) . 7713 A in Verbindung mit (CDU/CSU). 7713 C Alois Rainer (CDU/CSU). 7714 D Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Namentliche Abstimmung . 7715 C schusses für Inneres und Heimat zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan ­Thomae, Alexander Ergebnis . 7716 D Graf Lambsdorff, Dr. Jens ­Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Geordnete Zuwande- Tagesordnungspunkt 5: rung erfordert mehr als den UN-Migrati- onspakt – Entwurf eines Einwanderungsge- Antrag der Abgeordneten Jimmy Schulz, setzbuches vorlegen , , weiterer Abge- Drucksachen 19/5534, 19/6100 . 7733 C ordneter und der Fraktion der FDP: Recht auf Verschlüsselung – Privatsphäre und Sicher- heit im digitalen Raum stärken in Verbindung mit Drucksache 19/5764. 7716 D Jimmy Schulz (FDP). 7720 A Zusatztagesordnungspunkt 6: (CDU/CSU). 7721 C Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (AfD). 7723 A wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten , , (SPD). 7724 D (Augsburg), weiterer Abgeord- Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE). 7726 A neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umsetzung des Global Compact Dr. (BÜNDNIS 90/ for Migration – Globale Standards für die DIE GRÜNEN). 7726 D Rechte von Migrantinnen und Migranten (CDU/CSU) . 7727 C stärken Drucksachen 19/5547, 19/6141 . 7733 C (DIE LINKE) . 7728 C , Bundesminister AA. 7733 D (SPD) . 7729 A Dr. (AfD). 7736 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7730 B (CDU/CSU) . 7738 C (CDU/CSU). 7731 A (AfD) . 7739 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU). 7731 D Stephan Thomae (FDP). 7740 D Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 III

Petra Pau (DIE LINKE). 7741 C in Verbindung mit (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7742 D Tagesordnungspunkt 24: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und (CDU/CSU) . 7744 B SPD: Klimakonferenz von Katowice – Martin Hebner (AfD) . 7745 A Pariser Klimaabkommen entschlossen umsetzen Alexander Graf Lambsdorff (FDP). 7746 D Drucksache 19/6052. 7754 D (SPD). b) Antrag der Abgeordneten Lorenz Gösta 7747 D Beutin, , Dr. Gesine Lötzsch, (AfD). 7748 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Klimagerechtigkeit global Gabriela Heinrich (SPD). 7749 B stärken – Energiewende und Kohleaus- stieg in Deutschland sozial gestalten Dr. (CDU/CSU). 7749 C Drucksache 19/6058. 7754 D (AfD). 7750 D in Verbindung mit Dr. (fraktionslos). 7752 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU). 7752 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Lukas Köhler, Namentliche Abstimmung . 7753 D , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die 24. UN-Klimakonferenz für Weiterentwick- Ergebnis . 7761 D lung marktbasierter Klimaschutzmechanis- men nutzen Drucksache 19/6053. 7755 A Tagesordnungspunkt 7:

a) Antrag der Abgeordneten , in Verbindung mit , Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wirksa- Zusatztagesordnungspunkt 8: mes Klimaschutzgesetz vorlegen – Maß- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- nahmen und Regelungen für alle Sekto- schusses für Umwelt, Naturschutz und nu- ren kleare Sicherheit zu dem Antrag der Abge- Drucksache 19/6103. 7754 C ordneten , Dr. , Dr . Rainer Kraft, weiterer Abgeordneter und b) Antrag der Abgeordneten Lisa Badum, der Fraktion der AfD: Aufgabe der Energie- Annalena Baerbock, Oliver Krischer, und Klimaschutz-Zwischenziele 2030 des weiterer Abgeordneter und der Fraktion Energiekonzeptes 2010 – Für eine faktenba- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der sierte Klima- und Energiepolitik Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin, Ralph Drucksachen 19/2998, 19/6133 . Lenkert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Ab- 7755 A geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Dr. (BÜNDNIS 90/ UN-Klimakonferenz in Katowice 2018 – DIE GRÜNEN). 7755 B Pariser Klimaabkommen international unterstützen und in Deutschland umset- Dr . (CDU/CSU). 7756 A zen Karsten Hilse (AfD). 7757 C Drucksache 19/6104. 7754 D (BÜNDNIS 90/ c) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE GRÜNEN). 7758 C Ausschusses für Wirtschaft und Energie Ralph Lenkert (DIE LINKE) . 7760 B zu dem Antrag der Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin, Dr. Gesine Lötzsch, Heidrun Karsten Hilse (AfD). 7761 A Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Svenja Schulze, Bundesministerin BMU. 7765 A Fraktion DIE LINKE: Klimaziel 2020 einhalten – Zwanzig älteste Braunkohle- Frank Sitta (FDP). 7766 A kraftwerke unverzüglich abschalten Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 19/830, 19/1897. 7754 D DIE GRÜNEN). 7767 A IV Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Frank Sitta (FDP). 7767 C hier: a) Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Arti- Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE). 7767 D kel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ. 7769 C b) Politischer Dialog mit den EU-Institutionen Dr. Lukas Köhler (FDP). 7770 B Mehr Verbraucherschutz und längere Haltbarkeiten durch verbesserte Ge- Dr. (SPD). 7771 C währleistungsfristen Drucksache 19/6105. 7778 A Dr. Rainer Kraft (AfD). 7772 B Lisa Badum (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7773 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU). 7773 C a) Antrag der Abgeordneten Karsten Hilse, Dr . Heiko Wildberg, Dr. Rainer Kraft, wei- (fraktionslos). 7774 C terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Für eine kraniologische Tiefenprü- (SPD). 7775 A fung der sächsischen Canidenschädel im (Rostock) (CDU/CSU). 7776 A Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz Drucksache 19/6063. 7778 A Tagesordnungspunkt 29: b) Antrag der Abgeordneten Alexander Müller, Alexander Graf Lambsdorff, a) Antrag der Abgeordneten Zaklin Nastic, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordne- Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, weite- ter und der Fraktion der FDP: rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Gerechtig- keit bei Verleihung von Einsatzmedail- LINKE: Den Staat Palästina anerkennen len der Bundeswehr herstellen und Waffenlieferungen in den Nahen Drucksache 19/6055. Osten stoppen 7778 B Drucksache 19/3906. 7777 C c) Antrag der Abgeordneten , Dr . Jürgen Martens, Katja Suding, weiterer c) Antrag der Abgeordneten Dr. Irene Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Etablierung eines Presseauskunftsgeset- Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der zes auf Bundesebene Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Drucksache 19/6054. 7778 B Für aussagekräftige Dunkelfeld-Opfer- befragungen d) Antrag der Abgeordneten Agnieszka Drucksache 19/5894. 7777 C Brugger, , Dr. , weiterer Abgeordneter und der e) Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: , Markus Kurth, weiterer Den Friedensprozess zwischen Äthiopi- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- en und fördern, schwere Men- NIS 90/DIE GRÜNEN: Bundesteilhabe- schenrechtsverletzungen in Eritrea beim gesetz nachbessern und volle Teilhabe Namen nennen und ahnden ermöglichen Drucksache 19/6109. 7778 B Drucksache 19/5907. 7777 D e) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-­ f) Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, Dr. , Dr. Bettina weiterer Abgeordneter und der Fraktion Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Si- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cherheitsrabatt – Abschaltung der belgi- zu dem geänderten Vorschlag für eine schen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 Richtlinie des Europäischen Parlaments weiterhin notwendig und des Rates über bestimmte vertrags- Drucksache 19/6107. 7778 C rechtliche Aspekte des Warenhandels, f) Antrag der Abgeordneten Cornelia zur Änderung der Verordnung (EG) Möhring, , , Nr. 2006/2004 des Europäischen Parla- weiterer Abgeordneter und der Frakti- ments und des Rates und der Richtlinie on DIE LINKE: Medizinische Kinder- 2009/22/EG des Europäischen Parla- wunschbehandlungen umfassend er- ments und des Rates sowie zur Aufhe- möglichen bung der Richtlinie 1999/44/EG des Eu- Drucksache 19/5548. 7778 C ropäischen Parlaments und des Rates KOM(2017) 637 endg;, Ratsdok. g) Antrag der Abgeordneten , Jörg 13927/17 Schneider, Norbert Kleinwächter, weiterer Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 V

Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon Sofortprogramm Zentralstatistik Woh- (Grundsätze der Subsidiarität nungs- und Obdachlosigkeit und der Verhältnismäßigkeit) Drucksache 19/6064. 7778 D Unvereinbarkeit des Verordnungsent- wurfs des Europäischen Parlaments und h) Antrag der Abgeordneten Sylvia des Rates zur Verhinderung der Verbrei- ­Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina tung terroristischer Online-Inhalte mit Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der dem Subsidiaritätsprinzip Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Drucksache 19/6065. 7780 C Mehr Partizipation bei der Zwischenla- gerung hochradioaktiver Abfälle b) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Drucksache 19/6127. 7778 D Katharina Dröge, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: G20-Gipfel in Tagesordnungspunkt 29: Buenos Aires – Multilateralismus vertei- digen, Globalisierung nachhaltig gestal- b) Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine ten Lötzsch, Matthias Höhn, Lorenz Gösta Drucksache 19/6110. 7780 D Beutin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Deutsche Einheit c) Antrag der Abgeordneten , vollenden – Bundesregierung vollstän- Lisa Badum, , weiterer Abge- dig in der Hauptstadt ansiedeln ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/4562. 7779 A DIE GRÜNEN: Klimaschutz im Luft- verkehr – Formalen Vorbehalt gegen ­CORSIA einlegen Tagesordnungspunkt 30: Drucksache 19/6108. 7780 D a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Zusatztagesordnungspunkt 11: eines Gesetzes zur ergänzenden Rege- lung der statistischen Verwendung von Wahl des Bundesbeauftragten für den Da- Verwaltungsdaten und zur Regelung tenschutz und die Informationsfreiheit der Übermittlung von Einzelangaben zu multinationalen Unternehmensgruppen Wahl . 7781 A an statistische Stellen Drucksachen 19/5315, 19/6132. 7779 B Ergebnis . 7784 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ulrich Kelber (SPD). 7784 A Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvF 2/18 Drucksache 19/6136. 7779 C Zusatztagesordnungspunkt 12: c)–j) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl ei- Beratung der Beschlussempfehlungen des ner Stellvertreterin des Präsidenten Petitionsausschusses: Sammelübersich- Drucksache 19/6015 . 7781 B ten 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143 und 144 zu Petitionen Wahl . 7781 C Drucksachen 19/5930, 19/5931, 19/5932, 19/5933, 19/5934, 19/5935, 19/5936, 19/5937. 7779 D Ergebnis . 7796 D

Zusatztagesordnungspunkt 10: Zusatztagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten , Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Tobias Matthias Peterka, Marc Bernhard, DIE LINKE: Steuerbetrug in Deutschland weiterer Abgeordneter und der Fraktion der durch Cum-Fake-Geschäfte unterbinden AfD zu dem Vorschlag für eine Verord- (DIE LINKE). 7781 D nung des Europäischen Parlaments und (CDU/CSU). 7783 A des Rates zur Verhinderung der Verbrei- tung terroristischer Online-Inhalte (AfD). 7784 C KOM(2018) 640 endg.;, Ratsdok. 12129/18 (SPD). 7785 C hier: Begründete Stellungnahme ge- mäß Artikel 6 des Protokolls Dr . (FDP). 7786 C VI Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. (BÜNDNIS 90/ (AfD) DIE GRÜNEN). 7787 C (Erklärung nach § 30 GO). 7815 A (CDU/CSU) . 7788 D (DIE LINKE). 7815 B (AfD). 7790 B (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7816 B (SPD) . 7791 B Dr. (CDU/CSU) . 7817 B Jörg Cezanne (DIE LINKE). 7792 B Uli Grötsch (SPD). 7818 A (CDU/CSU). 7793 B (CDU/CSU) . 7819 A (Heidelberg) (SPD). 7794 B (CDU/CSU). 7795 D Tagesordnungspunkt 8: a) Zweite und dritte Beratung des von der Tagesordnungspunkt 6: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Rege- – Zweite und dritte Beratung des von der lungen über die zulässige Miethöhe bei Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Mietbeginn und zur Anpassung der Re- eines Gesetzes zur steuerlichen Förde- gelungen über die Modernisierung der rung des Mietwohnungsneubaus. Mietsache (Mietrechtsanpassungsgesetz Drucksachen 19/4949, 19/5417, 19/5647 – MietAnpG) Nr. 15, 19/6140. 7797 A Drucksachen 19/4672, 19/5415, 19/5647 – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Nr. 13, 19/6153. 7819 D § 96 der Geschäftsordnung. b) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 19/6154. 7797 A Ausschusses für Recht und Verbraucher- Cansel Kiziltepe (SPD). 7797 B schutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Udo Theodor Hemmelgarn (AfD)...... 7798 A Lay, Dr. Gesine Lötzsch, , Olav Gutting (CDU/CSU)...... 7799 B weiterer Abgeordneter und der Frakti- on DIE LINKE: Mieterhöhungsstopp (FDP). 7800 D jetzt – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren (DIE LINKE) . 7801 C Lay, Dr. Gesine Lötzsch, Pascal Meiser, Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN). 7802 D DIE LINKE: Mietenanstieg stoppen, Mieterinnen und Mieter schützen, Mario Mieruch (fraktionslos). 7803 D Verdrängung verhindern (SPD). 7804 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Canan Dr. h. c. (CDU/CSU). 7805 A Bayram, Daniela Wagner, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Mietrecht Namentliche Abstimmung . 7806 C jetzt wirksam reformieren – Bezahl- bares Wohnen sichern Ergebnis . 7806 C Drucksachen 19/4829, 19/4885, 19/2976, 19/6153. 7820 A Dr. (SPD). 7820 B Tagesordnungspunkt 9: Jens Maier (AfD) . 7821 A Erste Beratung des von dem Abgeordneten Roman Johannes Reusch und der Fraktion der Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU). 7822 B AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Daniel Föst (FDP). 7823 C zur Entpolitisierung der Justiz und Sicher- heitsbehörden Caren Lay (DIE LINKE) . 7824 C Drucksache 19/6022. 7809 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ Roman Johannes Reusch (AfD). 7810 A DIE GRÜNEN). 7825 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU). 7811 A Dr. Katarina Barley, Bundesministerin BMJV. 7827 A Dr . Jürgen Martens (FDP). 7812 D Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD). 7814 A (CDU/CSU). 7827 D Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 VII

Michael Groß (SPD). 7828 C (CDU/CSU). 7846 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU). 7829 A (AfD). 7851 A Dr. (SPD). 7851 D Namentliche Abstimmungen. 7830 B, 7830 C (SPD). 7852 D

Ergebnisse. 7830 D, 7834 C Detlev Spangenberg (AfD). 7853 B (FDP). 7854 D Dr. André Hahn (DIE LINKE). Tagesordnungspunkt 11: 7855 C a) Zweite und dritte Beratung des von den Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- DIE GRÜNEN). 7856 B brachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes Marian Wendt (CDU/CSU). 7857 B zur Änderung des Tierschutzgesetzes Drucksachen 19/5522, 19/6000. 7837 C (CDU/CSU). 7858 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- Tagesordnungspunkt 13: schaft – zu dem Antrag der Abgeordneten a) – Zweite und dritte Beratung des von , , der Bundesregierung eingebrachten , weiterer Abgeord- Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur neter und der Fraktion der AfD: Lokal­ Änderung des Elften Buches Sozial- anästhesie bei der Ferkelkastration gesetzbuch – Beitragssatzanpassung. ermöglichen Drucksachen 19/5464, 19/6013, – zu dem Antrag der Abgeordneten Carina 19/6148 . 7859 A Konrad, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Hocker, weiterer Abgeordneter und der mäß § 96 der Geschäftsordnung . Fraktion der FDP: Planungssicherheit Drucksache 19/6149 . 7859 B für Sauenhalter herstellen – Abwan- derung ins Ausland verhindern b) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 19/5533, 19/4532, 19/6000. 7837 D Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten , (CDU/CSU) . 7838 A , Matthias W. Birkwald, Stephan Protschka (AfD) . 7839 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Pflege solidarisch finanzie- (SPD)...... 7839 D ren – Beitragserhöhungen stoppen (FDP). 7841 B Drucksachen 19/5525, 19/6148. 7859 B Dr . (DIE LINKE). 7842 A Dr. , Parl. Staatssekretär BMG. 7859 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7843 A Dr. (AfD). 7860 A Mario Mieruch (fraktionslos). 7844 A (FDP). 7861 B Hermann Färber (CDU/CSU). 7844 D Tagesordnungspunkt 14: Namentliche Abstimmung . 7845 D a) Antrag der Abgeordneten Dr. Axel ­Gehrke, Marc Bernhard, , wei- Ergebnis . 7847 D terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Beseitigung von Teilhabebeein- trächtigungen aufgrund von Sehschwä- Zusatztagesordnungspunkt 14: chen durch Erweiterung der Versorgung gesetzlich Versicherter mit Sehhilfen Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksache 19/4316. 7862 C schusses für Inneres und Heimat zu dem An- trag der Abgeordneten , Dr. André b) Antrag der Abgeordneten Dr. Achim Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter Kessler, Susanne Ferschl, Matthias W. und der Fraktion DIE LINKE: Sofortiger Ab- Birkwald, weiterer Abgeordneter und der schiebestopp und Schutz für Geflüchtete Fraktion DIE LINKE: Gesundheitsver- aus Afghanistan sorgung für alle sichern Drucksachen 19/1369, 19/4610 . 7846 C Drucksache 19/6057. 7862 D VIII Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. (AfD). 7862 D Tagesordnungspunkt 19: Dr. Roy Kühne (CDU/CSU). 7864 A Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dr. (FDP). 7864 D Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) Dr. (DIE LINKE). 7866 A 2016/2341 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 über Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von DIE GRÜNEN). 7867 A Einrichtungen der betrieblichen Altersver- sorgung (EbAV) (Neufassung) Drucksachen 19/4673, 19/5418, 19/5647 Tagesordnungspunkt 15: Nr. 16, 19/6135. 7877 D Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Dr. (AfD). desregierung eingebrachten Entwurfs eines 7878 A Gesetzes zur fortgesetzten Beteiligung Dr. (CDU/CSU) . 7878 C des Bundes an den Integrationskosten der Länder und Kommunen und zur Regelung Frank Schäffler (FDP). 7879 D der Folgen der Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“ Drucksachen 19/5465, 19/6090, 19/6145. 7868 A Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- in Verbindung mit schusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung zu dem Antrag der Abge- ordneten , Jan Korte, Dr. Petra Zusatztagesordnungspunkt 15: Sitte, weiterer Abgeordneter und der Frak- Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- tion DIE LINKE: Einführung eines Rudi-­ haltsausschusses zu der Unterrichtung durch Dutschke-Stipendiums für kritische Sozial- die Bundesregierung: Bericht der Bundesre- wissenschaften gierung über Maßnahmen des Bundes zur Drucksachen 19/2591, 19/6170 . 7880 D Unterstützung von Ländern und Kommu- nen im Bereich der Flüchtlings- und Inte- Dr. (AfD). 7881 A grationskosten und die Mittelverwendung Dr. (SPD) . 7882 C durch die Länder im Jahr 2017 Drucksachen 19/2499, 19/6145 . 7868 B Nicole Gohlke (DIE LINKE). 7883 C Bernhard Daldrup (SPD). 7868 B Peter Boehringer (AfD). 7869 A Tagesordnungspunkt 17: (CDU/CSU) . 7869 D Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (FDP). 7870 D desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Gesetzes zur Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/ Einführung des Rechts auf Eheschließung DIE GRÜNEN). 7871 C für Personen gleichen Geschlechts Drucksachen 19/4670, 19/5413, 19/5647 Nr . 11, 19/6137. 7884 D Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten (AfD). 7885 A (Südpfalz), Katja Suding, Nicola Beer, weite- Axel Müller (CDU/CSU). rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: 7885 D Technologischen Fortschritt nicht aufhalten (DIE LINKE). 7887 A – Neue Verfahren in der Gentherapie ein- setzen Drucksache 19/5996. 7872 C Tagesordnungspunkt 20: Mario Brandenburg (Südpfalz) (FDP) . 7872 D Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (CDU/CSU). 7873 C desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dr. Götz Frömming (AfD) . 7874 B Gesetzes zur Stärkung des Rechts des An- geklagten auf Anwesenheit in der Verhand- René Röspel (SPD). 7875 B lung Dr. Petra Sitte (DIE LINKE). 7876 D Drucksachen 19/4467, 19/6138 . 7887 D Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 IX

Tagesordnungspunkt 21: Anlage 4 Antrag der Abgeordneten Filiz Polat, Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- Dr. Konstantin von Notz, Kai Gehring, weiterer chen Abstimmung über den Antrag der Frak- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ tionen der CDU/CSU und SPD: Mit dem DIE GRÜNEN: Ausbildungsprogramme für Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und Imame und islamische Religionsbedienstete reguläre Migration die internationale Zusam- in Deutschland fördern menarbeit in der Migrationspolitik stärken und Drucksache 19/6102. 7888 B Migration besser regeln und steuern (Zusatztagesordnungspunkt 3). 7926 C (CDU/CSU). 7926 C in Verbindung mit Christoph Bernstiel (CDU/CSU) . 7927 D Nikolas Löbel (CDU/CSU). 7928 A Zusatztagesordnungspunkt 16: (CDU/CSU) . 7928 B Antrag der Abgeordneten , Dr. Gottfried Curio, Dr. , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Anlage 5 Selbstbestimmungsrecht religiöser Verbän- de, Vereine und Gemeinden sichern – Fi- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten nanzierung durch auswärtige, autoritäre Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Regime unterbinden NEN) zu der Abstimmung über den Antrag Drucksache 19/6059. 7888 B der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Gökay Akbulut, Jan Korte, weiterer Abgeordneter Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 7888 C und der Fraktion DIE LINKE: Völkerrecht- liche Standards durch Global Compact for Beatrix von Storch (AfD). 7889 B Migration wahren – International Rechte für Linda Teuteberg (FDP). 7891 A Migrantinnen und Migranten stärken (Zusatztagesordnungspunkt 4). 7928 C

Nächste Sitzung . 7892 C Anlage 6 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- Anlage 1 schen Bundestages, die an der Wahl des Bun- Entschuldigte Abgeordnete. 7923 A desbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit teilgenommen haben (Zusatztagesordnungspunkt 11) . 7928 B Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Anlage 7 und Dr. (beide CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- über den von der Bundesregierung eingebrach- schen Bundestages, die an der Wahl einer ten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stellvertreterin des Präsidenten des Deutschen Grundgesetzes (Artikel 104c, 104d, 125c, Bundestages teilgenommen haben 143e) (Zusatztagesordnungspunkt 12). 7932 A (Zusatztagesordnungspunkt 2 a). 7923 C Anlage 8 Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. , , Lothar Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- Binding (Heidelberg), , chen Abstimmung über den von der Bundes- Dr. , , Timon regierung eingebrachten Entwurf eines Geset- Gremmels, Michael Groß, Rita Hagl-Kehl, zes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel Metin Hakverdi, , Gabriela 104c, 104d, 125c, 143e) Heinrich, , Elisabeth (Zusatztagesordnungspunkt 2 a). 7924 C ­Kaiser, , Ulrich Kelber, Cansel Kiziltepe, , Dr. Bärbel Kofler, Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU). 7924 C , Kirsten Lühmann, (CDU/CSU) . 7925 B , , Klaus Mindrup, , , Ulli Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU). 7925 D Nissen, , Sönke Rix, René X Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Röspel, Dr. , Dr. Ernst Dieter Anlage 11 Rossmann, Bernd Rützel, , Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: , , Uwe – des von der Bundesregierung eingebrach- Schmidt, , Dr. Manja Schüle,­ ten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur , , Martina Änderung des Elften Buches Sozialgesetz- Stamm-Fibich, , , buch – Beitragssatzanpassung , Markus Töns, Carsten Träger, – der Beschlussempfehlung und des Be- Dirk Vöpel und (alle SPD) zu richts des Ausschusses für Gesundheit der namentlichen Abstimmung über den von zu dem Antrag der Abgeordneten Pia den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- Zimmermann, Susanne Ferschl, Matthias gebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und Änderung des Tierschutzgesetzes der Fraktion DIE LINKE: Pflege solida- (Tagesordnungspunkt 11 a). 7935 A risch finanzieren – Beitragserhöhungen stoppen (Tagesordnungspunkt 13 a und b). 7948 D Anlage 9 (CDU/CSU). 7948 D Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung über den von den Fraktio- Erwin Rüddel (CDU/CSU). 7949 B nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten (SPD) . 7950 A Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes Dirk Heidenblut (SPD). 7950 C (Tagesordnungspunkt 11 a). 7936 B Pia Zimmermann (DIE LINKE). 7951 A Heike Baehrens (SPD) . 7936 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ Dr. (SPD). 7937 A DIE GRÜNEN). 7951 D (SPD). 7937 D Dr. (SPD). 7938 C Anlage 12 Veronika Bellmann (CDU/CSU). 7939 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: (SPD). 7939 C – des Antrags der Abgeordneten Dr. Axel Gehrke, Marc Bernhard, Stephan Brandner, Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD). 7940 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. Daniela De Ridder (SPD). 7940 C der AfD: Beseitigung von Teilhabebeein- trächtigungen aufgrund von Sehschwächen Saskia Esken (SPD). 7941 A durch Erweiterung der Versorgung gesetz- lich Versicherter mit Sehhilfen (SPD). 7941 C – des Antrags der Abgeordneten Dr. Achim Angelika Glöckner (SPD). 7941 D Kessler, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Gabriele Hiller-Ohm (SPD). 7942 B Fraktion DIE LINKE: Gesundheitsversor- Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . 7942 D gung für alle sichern (Tagesordnungspunkt 14 a und b). 7952 C Helge Lindh (SPD). 7942 D Erich Irlstorfer (CDU/CSU). 7952 C Susanne Mittag (SPD). 7943 B Martina Stamm-Fibich (SPD). (SPD) . 7944 A 7953 C Sylvia Pantel (CDU/CSU). 7944 C (SPD). 7944 D Anlage 13 Dr. Nina Scheer (SPD). 7945 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- (Wetzlar) (SPD). 7946 D ten Entwurfs eines Gesetzes zur fortgesetz- (SPD) . 7947 C ten Beteiligung des Bundes an den Inte­ grationskosten der Länder und Kommunen und zur Regelung der Folgen der Abfinan- zierung des Fonds „Deutsche Einheit“ Anlage 10 – der Beschlussempfehlung und des Berichts Neudruck: Antwort des Parl. Staatssekretärs des Haushaltsausschusses zu der Unter- auf die Frage der Abgeord- richtung durch die Bundesregierung: Be- neten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE richt der Bundesregierung über Maßnah- GRÜNEN) (Drucksache 19/5983, Frage 60) men des Bundes zur Unterstützung von (67. Sitzung, Anlage 3). 7948 B Ländern und Kommunen im Bereich der Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 XI

Flüchtlings- und Integrationskosten und Dr. (Rhein-Neckar) die Mittelverwendung durch die Länder im (FDP) . 7962 B Jahr 2017 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ (Tagesordnungspunkt 15 und Zusatztagesord- DIE GRÜNEN). 7962 D nungspunkt 15). 7954 B Alois Rainer (CDU/CSU). 7954 C Anlage 17 Martin Gerster (SPD). 7955 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (DIE LINKE). 7955 D des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Ehe- Anlage 14 schließung für Personen gleichen Geschlechts (Tagesordnungspunkt 17). 7963 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Mario Brandenburg Dr. (CDU/CSU) . 7963 D (Südpfalz), Katja Suding, Nicola Beer, weite- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD). 7964 C rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Technologischen Fortschritt nicht aufhalten – Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) Neue Verfahren in der Gentherapie einsetzen (FDP) . 7965 A (Tagesordnungspunkt 16). 7956 C (BÜNDNIS 90/ Dr . (CDU/CSU). 7956 C DIE GRÜNEN). 7965 C Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7957 B Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Anlage 15 Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in des von der Bundesregierung eingebrachten der Verhandlung Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der (Tagesordnungspunkt 20). 7966 A Richtlinie (EU) 2016/2341 des Europäischen Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . 7966 A Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 über die Tätigkeiten und die Beaufsichti- Axel Müller (CDU/CSU). 7966 C gung von Einrichtungen der betrieblichen Al- Dr. Johannes Fechner (SPD) . 7967 B tersversorgung (EbAV) (Neufassung) (Tagesordnungspunkt 19). 7958 A Roman Johannes Reusch (AfD) . 7967 D Sebastian Brehm (CDU/CSU). 7958 B Dr . Jürgen Martens (FDP). 7968 A Sarah Ryglewski (SPD). 7958 D Friedrich Straetmanns (DIE LINKE). 7968 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE). 7959 B Canan Bayram (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7968 D Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 7960 A Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Anlage 16 – des Antrags der Abgeordneten Filiz Polat, Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Dr. Konstantin von Notz, Kai Gehring, der Beschlussempfehlung und des Berichts weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Ausschusses für Bildung, Forschung und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ausbil- Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag dungsprogramme für Imame und islami- der Abgeordneten Nicole Gohlke, Jan Korte, sche Religionsbedienstete in Deutschland Dr . Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der fördern Fraktion DIE LINKE: Einführung eines Rudi-­ – des Antrags der Abgeordneten Beatrix Dutschke-Stipendiums für kritische Sozialwis- von Storch, Dr. Gottfried Curio, Dr. Bernd senschaften Baumann, weiterer Abgeordneter und der (Tagesordnungspunkt 18). 7960 D Fraktion der AfD: Selbstbestimmungsrecht religiöser Verbände, Vereine und Gemein- (CDU/CSU). 7960 D den sichern – Finanzierung durch auswär- (CDU/CSU)...... 7961 C tige, autoritäre Regime unterbinden (Tagesordnungspunkt 21 und Zusatztagesord- Dr. (SPD). 7962 A nungspunkt 16). 7969 B XII Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU). 7969 C Dr. Lars Castellucci (SPD). 7972 A (CDU/CSU). 7970 A (DIE LINKE). 7972 D (CDU/CSU). 7971 A Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7691

(A) (C)

68. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Boehringer, weiterer Abgeordneter und Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte der Fraktion der AfD nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Bildungsföderalismus stärken Vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich unse- rem Kollegen Dr. Hermann Otto Solms nachträglich – – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja umso herzlicher – zu seinem 78. Geburtstag. Alle guten Suding, Nicola Beer, Dr. Jens ­Brandenburg Wünschen im Namen des ganzen Hauses! (Rhein-Neckar), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Ab- (Beifall) geordneten Katja Dörner, Kai Gehring, Margit Stumpp, weiterer Abgeordneter Für die heutige 68. und die morgige 69. Sitzung konnte und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zwischen den Fraktionen im Ältestenrat keine Tagesord- NEN nung vereinbart werden. Die Fraktion der AfD hat dem (B) Vorschlag der anderen Fraktionen widersprochen. Also Bessere Bildung durch einen modernen (D) habe ich den Bundestag mit der von den anderen Frak- Bildungsföderalismus tionen vorgeschlagenen Tagesordnung einberufen. Nach § 21 Absatz 3 der Geschäftsordnung ist für die Genehmi- Drucksachen 19/4543, 19/4556, 19/6144 gung der Tagesordnung ein Plenarbeschluss erforderlich. ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die noch CSU und SPD nicht beschlossene Tagesordnung um die in der Zusatz- punkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: Mit dem Globalen Pakt für eine sichere, ge- ordnete und reguläre Migration die internati- ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen onale Zusammenarbeit in der Migrationspoli- der CDU/CSU und SPD: tik stärken und Migration besser regeln und steuern Digital-Gipfel 2018 – Digitale Zukunft erfolg- reich gestalten Drucksache 19/6056 (siehe 67. Sitzung) ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten ZP 2 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Dr. Dietmar Bartsch, Gökay Akbulut, Jan Korte, desregierung eingebrachten Entwurfs eines weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes LINKE (Artikel 104c, 104d, 125c, 143e) Völkerrechtliche Standards durch den Global Drucksache 19/3440 Compact for Migration wahren – Internatio- nal Rechte für Migrantinnen und Migranten Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- stärken haltsausschusses (8. Ausschuss) Drucksache 19/6101 Drucksache 19/6144 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- richts des Ausschusses für Inneres und Heimat schuss) (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Thomae, Alexander Graf Lambsdorff, – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Götz Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Frömming, Marc Bernhard, Peter Abgeordneter und der Fraktion der FDP 7692 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Geordnete Zuwanderung erfordert mehr als Gerechtigkeit bei Verleihung von Einsatz- (C) den UN-Migrationspakt – Entwurf eines Ein- medaillen der Bundeswehr herstellen wanderungsgesetzbuches vorlegen Drucksache 19/6055 Drucksachen 19/5534, 19/6100 Überweisungsvorschlag: ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Verteidigungsausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Filiz c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Polat, Luise Amtsberg, Claudia Roth (Augsburg), Thomas Hacker, Dr. Jürgen Martens, Katja weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Suding, weiterer Abgeordneter und der Frak- NIS 90/DIE GRÜNEN tion der FDP Umsetzung des Global Compact for Migra- Etablierung eines Presseauskunftsgesetzes tion – Globale Standards für die Rechte von auf Bundesebene Migrantinnen und Migranten stärken Drucksache 19/6054 Drucksachen 19/5547, 19/6141 Überweisungsvorschlag: ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios Ausschuss für Kultur und Medien Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ausschuss Digitale Agenda tion der FDP d) Beratung des Antrags der Abgeordne- Die 24. UN-Klimakonferenz für Weiterent- ten Agnieszka Brugger, Margarete Bause, wicklung marktbasierter Klimaschutzmecha- Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter nismen nutzen und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/6053 Den Friedensprozess zwischen Äthiopien Überweisungsvorschlag: und Eritrea fördern, schwere Menschen- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit rechtsverletzungen in Eritrea beim Namen nennen und ahnden ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- Drucksache 19/6109 schutz und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss) Überweisungsvorschlag: (B) zu dem Antrag der Abgeordneten Karsten Hilse, Auswärtiger Ausschuss (f) (D) Dr . Heiko Wildberg, Dr. Rainer Kraft, weiterer Ausschuss für Inneres und Heimat Abgeordneter und der Fraktion der AfD Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Aufgabe der Energie- und Klimaschutz-Zwi- Entwicklung schenziele 2030 des Energiekonzeptes 2010 – e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Für eine faktenbasierte Klima- und Ener- Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina giepolitik Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der Drucksachen 19/2998, 19/6133 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ZP 9 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Kein Sicherheitsrabatt – Abschaltung der fahren belgischen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 weiterhin notwendig (Ergänzung zu TOP 29) Drucksache 19/6107 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karsten Hilse, Dr. Heiko Wildberg, Dr. Rainer Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- Kraft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion heit (f) der AfD Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Für eine kraniologische Tiefenprüfung der Union sächsischen Canidenschädel im Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Harald Weinberg, Katrin Drucksache 19/6063 Werner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Überweisungsvorschlag: on DIE LINKE Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- heit (f) Medizinische Kinderwunschbehandlungen Ausschuss für Inneres und Heimat umfassend ermöglichen Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 19/5548 b) Beratung des Antrags der Abgeordne- Überweisungsvorschlag: ten Alexander Müller, Alexander Graf Ausschuss für Gesundheit (f) Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7693

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Klimaschutz im Luftverkehr – Formalen (C) Witt, Jörg Schneider, Norbert Kleinwächter, Vorbehalt gegen CORSIA einlegen weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Drucksache 19/6108 ZP 11 Sofortprogramm Zentralstatistik Woh- Wahl des Bundesbeauftragten für den Daten- nungs- und Obdachlosigkeit schutz und die Informationsfreiheit Drucksache 19/6064 ZP 12 Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Überweisungsvorschlag: Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Drucksache 19/6015 Kommunen ZP 13 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE h) Beratung des Antrags der Abgeordneten LINKE: Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Steuerbetrug in Deutschland durch Cum-Fa- Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der ke-Geschäfte unterbinden Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ZP 14 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Mehr Partizipation bei der Zwischenlage- richts des Ausschusses für Inneres und Heimat rung hochradioaktiver Abfälle (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Drucksache 19/6127 Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, Überweisungsvorschlag: weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Si- LINKE cherheit Sofortiger Abschiebestopp und Schutz für Ge- ZP 10 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- flüchtete aus Afghanistan sprache Drucksachen 19/1369, 19/4610 (Ergänzung zu TOP 30) ZP 15 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Corinna Miazga, Tobias Matthias Peterka, zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Marc Bernhard, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Bericht der Bundesregierung über Maß- (B) nahmen des Bundes zur Unterstützung von (D) zu dem Vorschlag für eine Verord- Ländern und Kommunen im Bereich der nung des Europäischen Parlaments und Flüchtlings- und Integrationskosten und die des Rates zur Verhinderung der Ver- Mittelverwendung durch die Länder im Jahr breitung terroristischer Online-Inhalte 2017 KOM(2018) 640 endg.; Ratsdok. 12129/18 Drucksachen 19/2499, 19/6145 hier: Begründete Stellungnahme gemäß Arti- kel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beatrix von Lissabon (Grundsätze der Subsidia- von Storch, Dr. Gottfried Curio, Dr. Bernd rität und der Verhältnismäßigkeit) Baumann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der AfD Unvereinbarkeit des Verordnungsentwurfs des Europäischen Parlaments und des Ra- Selbstbestimmungsrecht religiöser Verbände, tes zur Verhinderung der Verbreitung ter- Vereine und Gemeinden sichern – Finanzie- roristischer Online-Inhalte mit dem Subsi- rung durch auswärtige, autoritäre Regime diaritätsprinzip unterbinden Drucksache 19/6065 Drucksache 19/6059 Überweisungsvorschlag: b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Ausschuss für Inneres und Heimat Trittin, Katharina Dröge, Uwe Kekeritz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ZP 17 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- NIS 90/DIE GRÜNEN neten , Johannes Vogel, , weiteren Abgeordneten und der Fraktion G20-Gipfel in Buenos Aires – Multilatera- der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes lismus verteidigen, Globalisierung nachhal- zur Senkung des Beitragssatzes in der Arbeits- tig gestalten losenversicherung Drucksache 19/6110 Drucksache 19/434 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Daniela Wagner, Lisa Badum, Ingrid ­Nestle, ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/877 7694 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) ZP 18 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Einheitliche Messverfahren für Stickoxide (C) richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales durchsetzen – Fahrverbote wirksam verhin- (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten dern Pascal Meiser, Susanne Ferschl, Fabio De Masi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Drucksache 19/6060 LINKE Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- Streikrecht bei Ryanair durchsetzen – Mitbe- heit (f) stimmungsrechte bei Luftfahrtunternehmen Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur stärken ZP 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kamann, Joana Cotar, , weiterer Ab- Drucksachen 19/5055, 19/6134 geordneter und der Fraktion der AfD ZP 19 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Künstliche Intelligenz – Forschung und richts des Ausschusses für Ernährung und Land- Anwendung für den Innovationsstandort wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Deutschland und zum Wohl unserer Gesell- Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine schaft fortentwickeln Lötzsch, Lorenz Gösta Beutin, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie Drucksache 19/6062 der Abgeordneten , Harald Überweisungsvorschlag: Ebner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schätzung (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Hofabgabeklausel endgültig abschaffen Federführung strittig Drucksachen 19/4856, 19/5139 ZP 24 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der AfD: ZP 20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gottfried Curio, Marc Bernhard, Peter Parlamentarische Kontrolle gewährleisten – Boehringer, weiterer Abgeordneter und der Frak- Keine vorgezogene Annahme des Globalen tion der AfD Paktes zu Flüchtlingen in Marrakesch Aufforderung zur Abgabe einer Protokoller- Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- (B) klärung zur völkerrechtlichen beziehungs- weit erforderlich, abgewichen werden. (D) weise rechtlichen Unverbindlichkeit des „Glo- Der Tagesordnungspunkt 23 – Antrag zur Meister- bal Compact for Safe, Orderly and Regular pflicht im Handwerk – soll abgesetzt und stattdessen ein Migration“ für die Bundesrepublik Deutsch- Antrag der Fraktion der AfD zum „Global Compact for land durch die deutsche Bundesregierung bei Safe, Orderly and Regular Migration“ auf der Drucksa- der Unterzeichnung des Paktes im Dezember che 19/6061 bei einer unveränderten Debattendauer von in Marrakesch – Die Bundesrepublik Deutsch- 60 Minuten aufgerufen werden. land als „permanent objector“ Des Weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 25 a – Drucksache 19/6061 das ist ein Antrag zum Kooperationsverbot in der Bil- dung –, 25 b – ein Antrag zur Förderung des sozialen ZP 21 Beratung der Beschlussempfehlung und des Wohnungsbaus – und 29 d – ein Antrag zur Beschaffung Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge – abgesetzt schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter werden. Boehringer, Dr. Bruno Hollnagel, Dr. Bernd Baumann, weiterer Abgeordneter und der Frak- Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkte- tion der AfD liste dargestellten weiteren Veränderungen des Ablaufs. zu der Empfehlung für einen Beschluss Wir kommen nun zur Feststellung der Tagesord- des Europäischen Parlaments und des Ra- nung der heutigen 68. und der morgigen 69. Sitzung mit tes zur Änderung des Artikels 22 der Satzung den eben genannten Ergänzungen. Wer stimmt dafür? – des Europäischen Systems der Zentralban- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die ken und der Europäischen Zentralbank Tagesordnung gegen die Stimmen der AfD mit den Stim- Ratsdok. 10850/17; 2017/0810 (COD) men der übrigen Fraktionen angenommen. Damit rufe ich die Zusatzpunkte 2 a und 2 b sowie die Das Vermögen der Deutschen Bundesbank Tagesordnungspunkte 25 c,10 a und 10 b auf: schützen – Target-Forderungen besichern ZP 2 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Drucksachen 19/4544, 19/6150 desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ZP 22 Beratung des Antrags der Abgeordneten Marc (Artikel 104c, 104d, 125c, 143e) Bernhard, Leif-Erik Holm, Peter Boehringer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Drucksache 19/3440 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7695

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- einbezogen: zum einen den Antrag der Fraktion der AfD (C) haltsausschusses (8. Ausschuss) auf der Drucksache 19/4543 mit dem Titel „Bildungsfö- deralismus stärken“ und den Antrag der Fraktionen der Drucksache 19/6144 FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache b) Beratung der Beschlussempfehlung und des 19/4556 mit dem Titel „Bessere Bildung durch einen Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- modernen Bildungsföderalismus“. Diese Anträge sollen schuss) ebenfalls jetzt beraten werden. Sind Sie damit einver- standen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Götz so beschlossen. Frömming, Marc Bernhard, Peter Boehringer, weiterer Abgeordneter und Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än- der Fraktion der AfD derung des Grundgesetzes werden wir später namentlich abstimmen. Bildungsföderalismus stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsan- Suding, Nicola Beer, Dr. Jens Branden- trag der Fraktion Die Linke vor. burg (Rhein-Neckar), weiterer Abgeord- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für neter und der Fraktion der FDP sowie der die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Auch dagegen Abgeordneten Katja Dörner, Kai Gehring, höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Margit Stumpp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem NEN Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Bessere Bildung durch einen modernen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bildungsföderalismus der CDU/CSU) Drucksachen 19/4543, 19/4556, 19/6144 Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen: 25. c) Beratung der Beschlussempfehlung und Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen des Berichts des Ausschusses für Bildung, und Herren! Wir diskutieren heute über eine ganze Rei- Forschung und Technikfolgenabschät- he von Veränderungen des Grundgesetzes. Das ist kein zung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der selbstverständlicher Vorgang; denn immerhin handelt Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Birke Bull-­ es sich um das Basisgesetz, das uns alle, unsere Demo- Bischoff, Brigitte Freihold, weiterer Abge- (B) kratie und wie wir arbeiten, zusammenhält. Das macht (D) ordneter und der Fraktion DIE LINKE man nicht mal einfach so; sondern die Grundlage solcher Kooperationsverbot in der Bildung voll- Veränderungsbestrebungen muss immer sein, dass wir ständig aufheben tatsächlich etwas verändern wollen, das über einfache Gesetzgebung hinausgeht. Drucksachen 19/13, 19/6143, 19/6172 Es gibt eine ganze Reihe von Fragestellungen, die uns 10. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- in den letzten Jahren bewegt haben und die mit diesen desregierung eingebrachten Entwurfs eines Verfassungsveränderungen auch bewegt werden, so zum Gesetzes zur Errichtung des Sonderver- Beispiel die Frage, wie wir es hinbekommen können, mögens „Digitale Infrastruktur“ (Digital­ dass der Wohnungsbau in Deutschland vorangebracht infrastrukturfondsgesetz – DIFG) wird und es wieder und weiterhin sozialen Wohnungsbau Drucksache 19/4720 gibt. Das ist keine selbstverständliche Sache; denn es hat darüber schon Verständigung gegeben, dass sich die Bun- Beschlussempfehlung und Bericht des desrepublik Deutschland, also der Bund, 2019 aus der Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) finanziellen Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus Drucksache 19/6139 zurückzieht. Das ist angesichts der gegenwärtigen Lage auf dem Wohnungsmarkt kein akzeptabler Gang der Din- b) Beratung der Beschlussempfehlung und ge. Deshalb ist es eine gute Entscheidung, die heute vor- des Berichts des Ausschusses für Verkehr bereitet wird, dass auch in den 20er-Jahren der Bund den und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Ländern und Gemeinden Hilfe geben kann, wenn es um zu dem Antrag der Abgeordneten Margit den Ausbau und die Förderung des sozialen Wohnungs- Stumpp, Oliver Krischer, Tabea Rößner, baus geht. Das war eine notwendige Entwicklung. weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) Breitband für alle – Digitale Infrastruk- Das gilt auch für die Frage, wie wir die Verkehrsinfra- tur flächendeckend ausbauen strukturen in unseren Ballungsräumen besser entwickeln können. Das ist ein großes Thema. Denn wir diskutieren Drucksachen 19/5306, 19/6142 gegenwärtig zu Recht über die Folgen des menschen- Der Haushaltsausschuss hat in seine Beschlussemp- gemachten Klimawandels; wir diskutieren darüber, wie fehlung zum Gesetzentwurf zur Änderung des Grundge- wir es schaffen können, die Erderwärmung aufzuhalten, setzes auf der Drucksache 19/6144 zwei weitere Anträge und wir diskutieren darüber, wie wir die Mobilität so 7696 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Bundesminister Olaf Scholz (A) weiterentwickeln können, dass nicht immer größere Ver- Ich bin deshalb dankbar für die sehr konstruktiven und (C) kehrsstaus auf den Autobahnen das Leben unserer Bürge- detailreichen Gespräche mit FDP und Grünen. Ich bin rinnen und Bürger und vieler Pendlerinnen und Pendler auch dankbar dafür, dass ich die Vorstellung der Bundes- prägen. Das funktioniert nur, wenn wir den schienenge- regierung auf Einladung der Partei Die Linke darstellen bundenen Nahverkehr ausbauen können. Dies kann nicht und erläutern konnte. Ich glaube, das ist ein ganz guter nur eine Sache der Kommunen oder Länder sein. Das ist Beitrag für eine ordentliche Debatte in diesem Haus, für ein nationales Anliegen, und deshalb ist die Veränderung, Dinge, die uns alle angehen und die letztendlich immer die jetzt hier mitdiskutiert wird, notwendig. Die Bundes- etwas ganz Essenzielles berühren, nämlich unsere Ver- republik Deutschland kann dann viel stärker als in den fassung. Mit dieser kann man nicht dilatorisch umgehen, letzten Jahrzehnten in die Förderung des Ausbaus des sondern muss immer versuchen, dass sie über einzelne schienengebundenen Nahverkehrs einsteigen; auch das Parteigrenzen hinweg etwas ist, das uns und unser Land ist ein wichtiger und ein notwendiger Fortschritt. zusammenhält. Schönen Dank dafür! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- der CDU/CSU) wie bei Abgeordneten der FDP) Ein paar der Dinge, die jetzt zu bewegen und zu ver- Deshalb will ich auch über den Fortgang unserer ändern sind, haben gar nichts mit dem Grundgesetz zu Verfassungsdebatte noch ein, zwei Worte verlieren. Ein tun; das muss man sagen. Sie haben etwas damit zu tun, Teil der Regelungen, die heute hier beschlossen werden, dass die heute bestehenden Gesetze ein paar Restriktio- sind ein dringender Wunsch ziemlich vieler Abgeordne- nen vorsehen, die auf Kritik gestoßen sind. Deshalb ist ter ziemlich vieler Parteien hier im Deutschen Bundes- es wichtig, hier klar zu sagen, dass zusammen mit der tag, nämlich darüber zu diskutieren, wie eigentlich das Verfassungsänderung die Verständigung besteht – mit Verhältnis bei Finanzhilfen zwischen Bund und Ländern den Grünen und der FDP haben wir bereits darüber ge- ausgestaltet ist. Als jemand, der auf verschiedenen Bän- sprochen –, dass man Möglichkeiten suchen soll, wie ken gesessen hat, also schon einmal in der Bundesregie- es in irgendeiner Weise gelingen kann, auch sehr kleine rung war und jetzt wieder ist, der lange Abgeordneter des Projekte zu fördern, oder wie es zum Beispiel gelingen Deutschen Bundestages war, der aber auch über viele kann, eine komplexe Mobilitätsförderung zustande zu Jahre Bürgermeister eines der Länder in Deutschland bringen, die sich nicht nur auf die konkrete Straßenbahn, war, weiß ich, dass die Zusammenarbeit besser ist als ihr die konkrete S‑Bahn oder die konkrete U‑Bahn bezieht. Ruf, und ich weiß, dass man sich auch besser versteht, als Ich glaube, es ist wichtig, dass wir das hier festhalten. das gelegentlich behauptet wird. Trotzdem gibt es einige Was heute ansteht, ist nur die Verfassungsänderung; aber Fragen, die miteinander zu diskutieren wären. der Konsens reicht weiter. Deshalb wollte ich das hier (B) auch erwähnen. Mit seinen Veränderungsvorschlägen gegenüber dem (D) ursprünglichen Regierungsantrag, die der Deutsche Bun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten destag hier auf den Weg bringt, will er, dass klar ist, dass der CDU/CSU) es, wenn der Bund Mittel gibt, auch eine finanzielle Be- Das dritte große Thema, mit dem wir uns hier beschäf- teiligung der Länder gibt. Das ist der Kern des Vorschla- tigen werden, ist die Frage: Wie kriegen wir es hin, dass ges der Zusätzlichkeit, den der Bundestag hier macht. unsere Schulen die Standards erfüllen, die wir uns für ein Ich würde die Länder bitten, sich das einmal ohne große Land wie die Bundesrepublik Deutschland vorstellen? Aufregung anzuschauen. Das sind Vorschläge, die durch- Die Vorstellung ist ziemlich klar: Wir wollen Schulen, aus nicht so weitreichend sind, wie der eine oder andere die am besten ausgestattet sind, nicht nur, was die bau- befürchtet. liche Qualität, sondern auch, was zum Beispiel Fragen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der digitalen Infrastruktur und der Anbindung unserer der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Schulen betrifft. Das alles sind ganz wichtige Dinge, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) über die überall immer wieder diskutiert wird. Deshalb ist es wichtig, dass neben den unglaublich hohen Mit- Vielleicht ist die notwendige Debatte, die wir vor der teln, die die Länder und Gemeinden für unsere Schulen endgültigen Beschlussfassung gemeinsam mit dem Bun- bereitstellen, auch der Bund sich daran beteiligt, damit desrat noch führen werden, auch eine Möglichkeit, sich diese wichtigste Zukunftsentwicklung in unserem Land einmal alles zu sagen, was bei dieser Gelegenheit zu sa- nach vorne bewegt werden kann. Wir wollen, dass das gen ist. jetzt möglich wird. ( [Erfurt] [SPD]: Ja!) (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Das ist ja auch nicht schlecht. Dann aber möchte ich so- Abgeordneten der CDU/CSU) wohl die hier versammelten Abgeordneten als auch die Es gelingt. Und dass es hier gelingt – das will ich an Vertreter der Länder und die Ministerpräsidentinnen und dieser Stelle auch sagen –, ist durchaus eine ambitio- Ministerpräsidenten sowie die Bürgermeister bitten, sich nierte demokratische Veranstaltung. Denn wir brauchen auch zusammenzuraufen. Die Verfassungsänderungen, im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit, und um die es hier geht, sind wichtig genug, um bei der Fra- wir werden sie – dazu sage ich gleich noch etwas – auch ge, wie wir das gemeinsam machen – denn das ist ja das noch einmal im Bundesrat benötigen; sonst können Ver- Thema von Finanzhilfen –, sehr wohl auch ein gemeinsa- fassungsänderungen in diesem Lande zu Recht nicht be- mes Ergebnis erzielen zu müssen. Das werden wir schaf- schlossen werden. fen. Ich bin sehr froh darüber, dass diese Verfassungsän- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7697

Bundesminister Olaf Scholz (A) derungen nun so weit gediehen sind, dass wir sie bald im 5 Milliarden Euro für den DigitalPakt, gestreckt auf fünf (C) Grundgesetz wiederfinden können. Jahre und verteilt auf 33 000 Schulen – man muss kein Mathematiklehrer sein, um auszurechnen, was da vor Ort Schönen Dank. ankommt: pro Schule nur wenige zehntausend Euro. Was (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem machen die Schulen damit? Sie kaufen ein paar Laptops, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- es gibt vielleicht ein bisschen mehr Internet, und in fünf geordneten der LINKEN) Jahren sind die Geräte veraltet. Aber das ist dann egal, die schönen Fotos haben die Herren Politiker mit den Schülern und ihren Laptops gemacht. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dr. Götz Frömming, AfD, ist der nächste Redner. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Meine Damen und Herren, die Kritik wächst, nicht nur in den Reihen der AfD, die Kritik wächst auch in den Ländern. Die Länder wachen langsam auf. Auch das ist Dr. Götz Frömming (AfD): Teil unserer Oppositionsarbeit. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich müsste die AfD-Fraktion heute (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, hier die vierfache Redezeit bekommen; denn wie es aus- der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- sieht, sind wir – auch bei diesem Thema – wieder einmal SES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-­ die einzige wirkliche Opposition im Hause. Brömer [CDU/CSU]: Da müssen Sie selber lachen!) (Beifall bei der AfD) – Hören Sie mal gut zu! – Das führt zu bemerkenswerten Meine Damen und Herren, das, was Sie hier praktisch Allianzen: über Nacht zusammengezimmert haben, ist wirklich un- glaublich. Schauen Sie nach Baden-Württemberg. Dort gibt es ein interessantes Bündnis. Wer sich die Debatte im Land- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben tag von Baden-Württemberg einmal angehört hat, der hat Sie die letzten zwei Jahre verpasst?) feststellen können, dass Grüne, CDU und AfD gemein- sam geschlossen gegen diese wahnsinnige Grundgesetz- Einen solchen Murks hat die Welt noch nicht gesehen. änderung stehen. Man muss kein Jurist sein, um das zu erkennen. Bei dem, worüber wir heute sprechen – der Finanzminister ist ja (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) schön ruhig geblieben –, was Sie hier heute vornehmen, NEN]: Meinen Sie den Gedeon, oder wen?) (D) handelt es sich um einen Frontalangriff auf die föderalen Strukturen unseres Staates. Hören Sie sich die Debatten an! (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Dr. [FDP]: Da merken Sie, wie falsch das ist!) Der vielbeschworene DigitalPakt, den Sie hier alle gerne loben und herausstellen, ist in diesem Zusammenhang Aber es geht noch weiter, meine Damen und Herren. nichts weiter als ein trojanisches Pferd, um den Ländern Langsam kriegen Sie das Zittern; denn auch Schles- das abzunehmen, was seit 1949 in ihren Hoheitsbereich wig-Holstein schwenkt um. Ich zitiere die dortige Bil- gehört, nämlich die Hoheit über die Bildung. dungsministerin, wieder CDU. Sie sagte: Das, was im ersten Entwurf schon schlimm war, ist Eine solch einschneidende Grundgesetzänderung, jetzt unter Mithilfe von FDP und Grünen noch schlimmer heimlich und leise quasi als Gegenleistung für den geworden. Worum geht es? Im ursprünglichen Entwurf Digitalpakt, das ist kein gutes Verfahren im Umgang zu Artikel 104c Grundgesetz sollte der Bund direkt in die mit dem Grundgesetz und ein zu hoher Preis. Bildungsinfrastruktur der Länder, und zwar nicht nur in Schon bei unserer Expertenanhörung im Haushalts- die der finanzschwachen Kommunen, hineinfinanzieren ausschuss am 8. Oktober war die Mehrheit der Experten können. Mit der neuen Regelung könnte der Bund sich äußerst kritisch. Eigentlich müssten Sie diese Anhörung nun auch an Personalkosten und der Entwicklung ge- jetzt wiederholen, die Experten würden dann nämlich meinsamer, also nationaler Bildungsstandards beteiligen, ihre Kritik verschärfen. Diejenigen, die sich zu der Neu- wie wir in den Erläuterungen zum Gesetzentwurf lesen fassung geäußert haben, finden deutliche Worte. Ich können. Anders ausgedrückt: Der Bund will den Län- weiß, dass Sie das alles nicht hören wollen, müssen Sie dern die Mitsprache in der Bildungspolitik abkaufen und aber. Ich zitiere den Hauptgeschäftsführer des Deutschen legt dafür die „Axt“ an unser „Grundgesetz“, wie es die Landkreistages. Professor Henneke sagte zu Ihrem vor- „FAZ“ zu Recht formulierte. liegenden Entwurf: Meine Damen und Herren, die Finanzlage der Länder Koalition und Opposition haben hier Verfassungs- ist in Wahrheit besser als hier oft suggeriert; der Kollege schrott fabriziert. Eckhardt Rehberg gibt dazu sicherlich gerne Auskunft. Das ist Verfassungsschrott, was Sie hier vorlegen. (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Wenn Sie es nicht können!) (Beifall bei der AfD) 7698 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Götz Frömming (A) Ganz zu Recht warnt auch der Ministerpräsident von sozialen Fragen unserer Zeit ist, bei der es um gleichwer- (C) Baden-Württemberg vor einer – Zitat – schrittweisen tige Lebensverhältnisse und den Zusammenhalt unserer Aushöhlung der Gestaltungsmacht der Länder, die zu Gesellschaft geht. Deshalb ist es richtig, dass der Bund Verwaltungsprovinzen des Bundes degradiert werden. sich zu dieser Aufgabe bekennt. Bezahlbaren Wohnraum und neue Wohnungen zu schaffen, ist nicht nur eine Auf- Meine Damen und Herren, die AfD-Fraktion macht gabe für die Privatwirtschaft. Diese wollen wir durch bei diesem Projekt nicht mit. Für uns ist Bildung Sache steuerliche Vorteile begünstigen, das entsprechende Ge- der Länder. Wir hatten eine solche Situation schon ein- setz soll diese Woche beschlossen werden. Es ist nicht mal: Nach dem Ersten Weltkrieg haben die Sozialdemo- nur eine Aufgabe für Kommunen und Länder, sondern kraten versucht, die Bildung zu zentralisieren. es ist auch eine gemeinsame Verantwortung, zu der der (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Es reicht!) Bund in Zukunft ebenfalls seinen Beitrag leisten wird. Deshalb ist die Grundgesetzänderung notwendig und Nach wenigen Jahren lag das Bildungssystem danieder, richtig. und man ist wieder umgeschwenkt auf die bewährten föderalen Strukturen. Die AfD steht zum Föderalismus. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Die AfD stellt sich vor unser Grundgesetz. Wir machen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei Ihrer Verfassungsänderung nicht mit. Ich stelle fest, dass es ein hohes Maß an Überein- Vielen Dank. stimmung gibt, dass das, was wir im Koalitionsvertrag angekündigt haben, richtig ist, nämlich das Gemeinde- (Beifall bei der AfD) verkehrsfinanzierungsgesetz nicht nur fortzuführen. Es ist richtig, dass der Bund sich in Zukunft weiterhin nicht Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nur zu seiner Verantwortung bekennt. Vielmehr ist es gut, Nächster Redner ist Andreas Jung, CDU/CSU. dass wir hier in Zukunft mit 1 Milliarde Euro zusätzlich pro Jahr und einer Dynamisierung der Mittel mehr tun (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- werden. ordneten der SPD) Das aber würde im Widerspruch zu den jetzigen Fest- Andreas Jung (CDU/CSU): legungen des Grundgesetzes stehen. Deshalb ist auch hier eine Grundgesetzänderung notwendig und aus mei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ner Sicht richtig. Sie wird einen wichtigen Beitrag zum ist ganz sicher, dass die Debatte über Digitalisierung und nachhaltigen Verkehr in den Kommunen und damit auch Schule, über den sozialen Wohnungsbau, über nachhalti- zum Klimaschutz und zu guter Mobilität in Deutschland gen Verkehr in den Kommunen nach dem heutigen Tag leisten. Es ist eine richtige Maßnahme. (B) weitergehen wird. Das ist eine Daueraufgabe. (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich will anschließen an das, was der Bundesminister gesagt hat. Es ist heute eine wichtige Wegmarke, weil Nun ist uns bewusst, dass die Frage der Grundge- sich CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne auf einen gemein- setzänderung für die Bildung bzw. Digitalisierung der samen Vorschlag zu Grundgesetzänderungen geeinigt Schulen zu den meisten Debatten und Nachfragen führt. haben, und zwar an den Stellen, wo wir es für notwendig Deshalb ist es uns zunächst einmal wichtig, zu sagen, halten, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Das ist, wie dass für uns völlig selbstverständlich und unumstößlich er es auch schon gesagt hat, gar nicht so selbstverständ- ist, was im Grundgesetz festgeschrieben ist: Bildung ist lich. Ich finde, es ist gut, und es ist Grundlage für die Ländersache. Die Kultushoheit bleibt bei den Ländern. weitere Debatte. Das steht im Grundgesetz. Das steht im Koalitionsver- trag. Und das wird immer unsere Leitlinie als überzeugte Diese Debatte führen wir selbstverständlich in dem Föderalisten sein. Bewusstsein, dass es eine genauso breite Mehrheit auch im Bundesrat brauchen wird und dass diese genauso (Beifall bei der CDU/CSU) wenig selbstverständlich ist wie die Mehrheit in diesem Das ist auch der Ausgangspunkt der Überlegungen Haus. Dass auch eine Mehrheit dort notwendig ist, ergibt zum DigitalPakt. Deshalb möchte ich zunächst einmal sich aus dem Grundgesetz. Es entspricht aber auch unse- sagen, worum es hier nicht geht. Es geht selbstverständ- rer Überzeugung als überzeugte Föderalisten. In diesem lich nicht darum, dass der Bund darüber entscheidet und Geiste werden wir die Debatte heute führen, aber auch befindet, welches die richtigen Konzepte sind und wie in die Debatte nach dem heutigen Tag mit den Ländern, den Schulen gelernt werden soll. Das bleibt die Aufgabe also konstruktiv, aber auch zielorientiert, vor allem aber der Länder. Selbstverständlich bleibt es auch die Aufgabe in der gemeinsamen Überzeugung, dass wir die großen der Länder, darüber zu bestimmen, wer in den Schulen Herausforderungen in den beschriebenen Bereichen nur unterrichtet. Sie werden auch in Zukunft die Verantwor- gemeinsam bewältigen können. tung für die Auswahl, für die Einstellung und die Finan- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zierung der Lehrer tragen. Daran wird nicht gerüttelt. ordneten der SPD und der FDP) Wir alle sind der Meinung, dass vergleichbare Bil- Und ich stelle fest, dass wir bei den Herausforderun- dungsstandards richtig sind. Aber wir haben Zutrauen in gen des sozialen Wohnungsbaues ein hohes Maß an Ei- die Länder und deren Vereinbarungen in der Kultusmi- nigkeit haben. Wir haben gemeinsam festgestellt, dass nisterkonferenz. Wir empfinden Wettbewerb dabei nicht die Frage des bezahlbaren Wohnraums eine der zentralen als Nachteil, sondern als Vorzug. Auch daran wird nicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7699

Andreas Jung (A) gerüttelt. Ich will es zusammenfassen: Der Bund ist nicht drittelmehrheit. Dann werden wir über diesen Vorschlag (C) der bessere Schulmeister. Der Bund will gar nicht Schul- mit den Ländern diskutieren. Dort werden wir ebenfalls meister sein, und er soll es nicht sein. Es geht hier um um Zustimmung werben. Wir werden dies, wie vorhin Infrastruktur. Dabei ist der Bund aber auch nicht Bau- gesagt, konstruktiv tun, im gemeinsamen Geiste, dass meister; das sind die Kommunen in Zusammenarbeit mit wir unser Land voranbringen und Verbesserungen für die den Ländern. Der Bund wird also nicht Schulmeister und Menschen erreichen wollen. auch nicht Baumeister. Diese Aufgaben sind in guten Händen bei den Kommunen und den Ländern. Herzlichen Dank.

Es geht einzig darum, wie wir Finanzhilfen möglich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie machen können, die, glaube ich, alle gemeinsam für rich- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- tig halten. Das will ich in den Mittelpunkt stellen. Der NISSES 90/DIE GRÜNEN) Weg ist umstritten. Über den Weg müssen wir reden und diskutieren. Es gibt aber ein gemeinsames Ziel, nämlich dass wir bei der Digitalisierung der Schulen besser vo- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rankommen müssen. Dazu kann der Bund in Zukunft Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der FDP, einen Beitrag leisten. Die Schultür darf nicht das Stopp- . schild für notwendige Investitionen sein. Darum ringen wir jetzt. Es geht um den richtigen gemeinsamen Weg. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wie bei Abgeordneten der FDP) Christian Lindner (FDP): Das tun wir mit dem Vorschlag für eine Grundgesetz- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die änderung, der vorsieht, dass der Passus „finanzschwach“ Große Koalition hatte die Tür zu einer Reform des Bil- gestrichen wird. Das zeigt schon, dass es in diesem Punkt dungsföderalismus bereits einen Spalt geöffnet. Das ist keine Grundsatzfrage ist. Schon bisher sind Investitionen auch gewürdigt worden. In den gemeinsamen Verhand- des Bundes in die kommunale Bildungsinfrastruktur lungen der vier Fraktionen konnte diese Tür zur Reform möglich. Das gilt aber nur für finanzschwache Kommu- des Bildungsföderalismus noch ein Stück weiter geöff- nen. net werden. Das ist eine gute Botschaft, nicht nur in der Wir sind der Überzeugung, dass das für alle Kommu- Sache, sondern es ist auch eine gute Botschaft für das nen möglich sein soll. Wir schlagen deshalb die Strei- Zentrum unseres politisch-parlamentarischen Systems. (B) chung dieses Passus vor. Das Ergebnis der – auch das Die staatstragenden Parteien sind in der Lage, zu Kom- (D) darf man ja sagen – schwierigen Beratungen der vier promissen zu finden, die das Leben der Menschen in Fraktionen ist, dass in Zukunft nicht nur ganz konkre- Deutschland verbessern. Das ist eine gute Nachricht über te Investitionen möglich sein sollen, sondern auch die das Thema hinaus. Übernahme von Kosten, die konkret und unmittelbar mit diesen Investitionen verbunden sind, möglich wird. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dabei geht es aber nicht um langfristig anfallende Be- triebskosten und auch nicht um Personalkosten für Leh- Der Kollege Jung hat das Verhandlungsergebnis so rer . Die Sorge bei manchen war, dass der Bund hierbei dargestellt, dass es doch recht klein erscheint. Ich glau- in eine langfristige Finanzierung einsteigen könnte. Dass be, wir können etwas selbstbewusster über das sprechen, das nicht der Fall sein wird, zeigt sich schon daran, dass was hier an Weiterentwicklung möglich geworden ist; wir die Befristung der Mittel ausdrücklich festschreiben. denn tatsächlich können die Finanzhilfen des Bundes an Es geht um die Investitionen, um die Nutzbarmachung die Länder jetzt auch in verlässlichen Jahreszahlungen dieser Investitionen und damit um die Frage, wie wir erfolgen. Sie müssen nicht degressiv ausgestaltet werden. einen Beitrag dazu leisten können, dass Digitalisierung insgesamt in unserem Land und auch in den Schulen vo- Es wird möglich, dass eben nicht nur in Kabel – um rankommt. nicht Beton zu sagen –, sondern, mindestens zu Beginn Ich kann übrigens den Widerspruch zwischen Beton eines Programmes, auch in personelle Unterstützung in- und Köpfen, der manchmal angesprochen wird, nicht er- vestiert werden kann; sei es durch Systemadministrato- kennen. Es gibt ihn schon deshalb nicht, weil es sich bei rinnen und -administratoren, pädagogische Coaches oder digitaler Infrastruktur erkennbar nicht um Beton handelt. auch Lehrkräfte, je nachdem, wie ein Programm gestaltet Vielmehr geht es um andere Investitionen. Diese Inves- wird. titionen sollen besserem Lernen dienen, und man lernt Besonders wichtig ist für uns: Im Grundgesetz werden mit dem Kopf. Damit gibt es hier keinen Widerspruch die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems und die Si- zwischen Beton und Köpfen. Vielmehr haben wir das ge- cherstellung der Qualität des Bildungssystems ausdrück- meinsame Ziel, durch eine bessere Infrastruktur besseres lich genannt. Es sind nur Programmsätze. Ich will noch Lernen zu ermöglichen. Dafür wollen wir jetzt einen ge- meinsamen Weg suchen. nicht von einem Staatsziel sprechen; aber dass Qualität und Leistungsfähigkeit des Bildungssystems für den Wir machen heute diesen Vorschlag und werben um verfassungsändernden Gesetzgeber Kategorien werden, Zustimmung des Bundestages. Wir hoffen auf eine Zwei- ist schon eine Zäsur. Deshalb ist das, was wir heute be- 7700 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Christian Lindner (A) schließen, eine gute Nachricht für die Schülerinnen und Wir werden uns auch ansehen, was die Bundesregie- (C) Schüler und ein echter Schritt nach vorn. rung aus den jetzt veröffentlichten Möglichkeiten macht; denn bisher ändern wir nur das Grundgesetz aus Anlass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des angekündigten DigitalPaktes. Was dann die Große der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Koalition konkret daraus macht, wird sich zeigen. Frau SES 90/DIE GRÜNEN) Karliczek jedenfalls musste erst noch von der Nennung Nun ist Kritik geäußert worden, beispielsweise von von Bildungsstandards überzeugt werden. Frau Karliczek Herrn Kretschmann, der die Bildungshoheit berührt musste überzeugt werden, dass auch in Köpfe investiert sieht. Er sieht in der Bildungshoheit das verfassungspo- werden kann und nicht nur in Kabel. Und deshalb, Frau litische Hausgut der Länder, das nicht tangiert werden Ministerin, nutzen Sie bitte die Möglichkeiten, von de- dürfe. Sein Plädoyer für den Bildungsföderalismus wäre nen Sie der Deutsche Bundestag überzeugen musste, noch überzeugender, wenn unter seiner Verantwortung in die nicht aufgrund Ihrer Initiative in das Grundgesetz Baden-Württemberg die Qualität des dortigen Bildungs- geschrieben werden, trotzdem entschlossen im Interesse systems besser geworden wäre. Leider ist diese, seit er der Weiterentwicklung unseres Bildungssystems. regiert, schlechter geworden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Insofern ist er nicht der beste Anwalt des Bildungsfö- deralismus. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Das, was wir von der AfD gehört haben, ist ganz be- Dr . Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke, ist die nächs- sonders amüsant. Sie scheinen die Rechtslage bis 2005 te Rednerin. überhaupt nicht zu kennen; denn bis 2005 gab es dieses Kooperationsverbot, das wir jetzt lockern, gar nicht. In (Beifall bei der LINKEN) der Schweiz, in der Musterföderation der Welt, gibt es seit 2005 ein Kooperationsgebot, Herr Kollege, zwi- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): schen den Kantonen. Sonst nehmen Sie sich doch an der Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Schweiz immer gerne ein Beispiel. Warum nicht in dieser Herren! Im Jahr 2006 – das ist schon erwähnt worden – Frage? haben CDU/CSU und SPD das Kooperationsverbot be- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schlossen. Die Linke war dagegen. Wenn jetzt ein Fehler der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- korrigiert wird, dann werden wir uns dem nicht entge- SES 90/DIE GRÜNEN) genstellen. Darum werden wir der Grundgesetzänderung (B) auch zustimmen; denn dieses Kooperationsverbot muss (D) Deshalb ist die Auseinandersetzung, die wir hier führen, vollständig aufgehoben werden, meine Damen und Her- nicht eine zwischen guten und schlechten Föderalisten, ren. sondern nur zwischen modernen und total altbackenen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Föderalisten. In diese Kategorie haben Sie sich ja gerade neten der SPD) eingeordnet. Ein solches Verbot ist natürlich ein Anachronismus. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Wie kann man in einer Zeit, in der eigentlich nur globale ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Zusammenarbeit unser Überleben ermöglicht, Koopera- GRÜNEN) tionen zwischen Bund und Ländern verbieten wollen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen dieses Pa- Wenn diese Weltfremdheit jetzt beseitigt wird, sind wir kets, das wir im Bildungsbereich geschnürt haben, wird dabei, meine Damen und Herren. die FDP-Bundestagsfraktion der Grundgesetzänderung (Beifall bei der LINKEN) insgesamt zustimmen. Ich will allerdings gleich sagen, dass es andere Aspekte gibt, bei denen wir fachpolitisch Wir werden der Grundgesetzänderung zustimmen, auch Bedenken angemeldet haben, die wir wegen der er- weil wir alle Initiativen unterstützen, die dazu beitragen, reichten Einigung im genannten Feld zurückstellen. Es den Bildungs- und Wohnungsnotstand in unserem Land liegt jetzt an den Ländern, im Gespräch mit Bundestag zu beenden. Allerdings – das sagen wir Ihnen auch ganz und Bundesregierung Stellung zu dieser Grundgesetzän- deutlich – reicht es nicht aus, das Kooperationsverbot derung zu nehmen. Es werden Bedenken geäußert, die aufzuheben. Wir müssen mehr in Bildung investieren. sich insbesondere auf die Zusätzlichkeit der Bundes- Mit dem Haushalt, den wir in der vergangenen Woche mittel zu den Landesmitteln beziehen. Quer durch alle beschlossen haben, haben Union und SPD die Investiti- Parteien gibt es diese Diskussion. Insbesondere von Uni- onsbremse angezogen. Diese Bremse muss gelöst wer- onsseite ist das aufgerufen worden. Es war ein besonde- den, meine Damen und Herren. res Anliegen der Haushälter der CDU/CSU-Bundestags- (Beifall bei der LINKEN) fraktion, die diese Initiative ergriffen haben und zunächst die SPD-Bundestagsfraktion überzeugt haben. Von daher Wenn wir darüber reden, was wir der nächsten Ge- gibt es jetzt auch eine besondere Verantwortung für die neration hinterlassen, dann ist es doch unsere erste Auf- CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das Gespräch mit den gabe, dafür zu sorgen, dass die nächste Generation gut B‑Ländern zu suchen, um sie für die Regelung bei der ausgebildet ist, dass sie alle Bildungschancen hat. Es gibt Zusätzlichkeit zu gewinnen. doch keine schlimmere Hypothek, als unseren Kindern Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7701

Dr. Gesine Lötzsch (A) und Enkelkinder zu verwehren, eine gute Bildung be- Die Kosten und Risiken liegen immer bei den Steuerzah- (C) kommen. Dass sie diese bekommen, dafür müssen wir lern, und die Gewinne landen immer bei den Unterneh- sorgen, und dafür kämpfen wir. men. Das können wir nicht hinnehmen, das müssen wir ändern, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, was aber auch zur Wahr- heit gehört: Der Kampf gegen den Bildungsnotstand Es ist schon angesprochen worden, dass von den Län- ist wieder verschoben worden. Wir hatten im Haushalt dern neue Kritik geäußert worden ist, insbesondere nach 2 Milliarden Euro für die Ganztagsschulen vorgesehen. der gestrigen Sitzung des Haushaltsausschusses. Ich wür- Diese Investitionshilfe ist verschoben worden – ich hof- de es gut finden, wenn es gelingt, im weiteren Verfahren fe, nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag; denn dieses dafür zu sorgen, dass es nicht Gewinner und Verlierer Geld wird dringend gebraucht, damit in den Ländern in gibt, dass keines der Länder den Eindruck haben muss, die Schulen investiert werden kann, um den Kindern dort in der letzten Minute über den Tisch gezogen worden zu größere Chancen zu geben. Das wollen wir doch alle ge- sein; denn das wäre etwas, wie ich glaube, was nieman- meinsam; das dachte ich zumindest. dem nutzt. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir als Linke stimmen heute der Aufhebung des Kooperationsverbotes zu, auch Die Linke hat schon 2006 gesagt, dass auch die Ver- wenn es nur ein halber Schritt im Kampf gegen Bil- antwortung des Bundes für den sozialen Wohnungsbau dungs- und Wohnungsnotstand ist. Aber wir als Linke erhalten bleiben muss. Ich will daran erinnern, dass wir werden allen vernünftigen Vorschlägen zustimmen; denn bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen ent- Die Linke ist die Partei der Vernunft. sprechenden Antrag zur Änderung des Grundgesetzes eingebracht haben. Wenn Sie jetzt diesen Schritt gehen, (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abge- den wir vorgeschlagen haben, finden wir das natürlich ordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP gut und werden das unterstützen, meine Damen und Her- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ren. Christian Lindner [FDP]: Oh!) (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Man muss sich mal vor Augen halten: Die Zahl der So- Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende von zialwohnungen hat sich in den letzten 15 Jahren halbiert. Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt. Heuschrecken haben den Wohnungsmarkt unter sich auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) geteilt. – Wir brauchen also nicht nur Sozialwohnungen, (D) sondern wir brauchen ein öffentliches Wohnungsbaupro- gramm, und wir brauchen ein Programm für preiswerte Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wohnungen und eine Mietpreisbremse, die die Mieten NEN): wirklich bremst und nicht nur diesen Namen trägt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! (Beifall bei der LINKEN) Wir schließen heute einen bemerkenswerten Vorgang ab. Aus einem Vorschlag der Regierungskoalition ist eine Wichtig ist auch, zu betonen, dass Bildungs- und Initiative aus der Mitte des Hauses geworden. Das ist gut, Wohnungsnot Folgeschäden des Kooperationsverbotes und das ist ein Erfolg. Das ist ein Erfolg insbesondere und der schwarzen Null sind. Ich will noch einmal sagen: in Zeiten, in denen es unfassbar viel Polarisierung gibt, Schwarze Null ist eigentlich ein anderes Wort dafür, dass unfassbar viel Aufeinanderdraufhauen. Ich bin deswegen man nicht über ein gerechtes Steuersystem in unserem froh, dass das gelungen ist. Deswegen bedanke ich mich Land diskutieren will. Wenn wir mehr Einnahmen hät- bei allen, die dabei mitgeholfen haben, meine Damen ten, wenn wir die großen Vermögen besser in Anspruch und Herren. nehmen würden, dann müssten wir überhaupt nicht über die schwarze Null diskutieren; dann hätten wir sie auto- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN matisch. Wir müssen also unser Steuersystem gerechter sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der gestalten, meine Damen und Herren. SPD und der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Da es um ein Signal von Zusammenarbeit statt Polarität geht, hoffe ich sehr, dass wir dieses Signal auch über die Doch ein unsinniges Verbot aufzuheben, ist für uns Länderkammern hinwegtragen können. nicht genug. Die Linke will folgende Ziele im Grundge- Ich bin ehrlich: Wenn es nach mir gegangen wäre, setz verankern: eine umfassende Gemeinschaftsaufgabe dann hätten wir heute die vollständige Abschaffung des für Bildung und für ländliche Entwicklung und für Kul- Kooperationsverbotes beschlossen. tur und Sport als Staatsziel. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wir wollen aber nicht – auch das ist ein Kritikpunkt SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Michael an dieser Änderung, den ich hier vortragen will –, dass Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Macht nichts!) mit Steuergeldern die Renditewünsche von Unternehmen erfüllt werden. Die Rechnungshöfe der Länder und auch Das haben wir nicht geschafft. Wir haben hier schlicht des Bundes machen doch deutlich, dass öffentlich-priva- und ergreifend keine Mehrheit dafür. Es liegt ein Kom- te Partnerschaften keine ehrlichen Partnerschaften sind. promiss vor. Dieser Kompromiss ist aber einer, der trägt, 7702 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Katrin Göring-Eckardt (A) und es ist einer, der die Botschaft aussendet: Der Bund die das schon jetzt regelmäßig tun, sondern ich meine (C) kann jetzt in klaren Grenzen in Köpfe und nicht nur in Medienpädagogen, ich meine technischen Support, ich Beton und in Kabel investieren. Das ist besser, das ist meine Weiterbildungen für Lehrerinnen und Lehrer. Ich gerechter, das ist ein Zeichen von Gemeinsamkeit, und meine, dass beim DigitalPakt besonders gut zu sehen ist, das ist gut für die Kinder in diesem Land, meine Damen dass zur Hardware auch die Kompetenz kommen muss. und Herren. Wir erleben heute doch an vielen Schulen, dass die Leh- rerinnen und Lehrer das gar nicht können können oder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine Zeit dafür haben. Daher ist das Verhandlungsergeb- sowie bei Abgeordneten der SPD und der nis gut und richtig. An diesem Beispiel sieht man ganz FDP) genau, warum man beides braucht: die Technik auf der Wir haben diese Verhandlungen geführt, weil wir der einen Seite, versierte Köpfe auf der anderen Seite, meine Auffassung sind, dass man eine Grundgesetzänderung Damen und Herren. nicht nur wegen eines aktuellen Projektes wie dem sinn- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vollen und wichtigen DigitalPakt macht. Unser Grund- gesetz betrifft das Grundsätzliche. Und nein, das ist nicht Ich hoffe sehr, dass, nachdem wir die Grundlage ge- das Ende des Föderalismus. Im Gegenteil: Das ist moder- schaffen haben, die Länder dieses Signal der Zusammen- ner Bildungsföderalismus. Wir ermöglichen Zusammen- arbeit und Kooperation aufnehmen, dass sie zustimmen arbeit. Das ist Kooperation. In den Zeiten, in denen wir bzw. verhandeln und dann zustimmen. Das ist übrigens jetzt leben, in denen es um Globalisierung und ein ge- eigentlich etwas ganz Normales in unserem Land: Der meinsames Europa geht, ist Kooperation in der Bildung Bundestag beschließt etwas und, wenn eine Zustim- doch eine Grundlage. Das ist modern, das ist gut, das ist mungspflicht der Länder besteht, dann wird darüber ver- richtig, und deswegen streiten wir dafür, meine Damen handelt. Wir nennen das Vermittlungsausschuss. Schon und Herren. der Name „Vermittlungsausschuss“ besagt ja, dass es sinnvoll ist, dass man vermittelt. Wenn also eine Zustim- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mung so nicht möglich ist, dann können wir verhandeln – Wir erleben jetzt mit dem DigitalPakt das erste Projekt, selbstverständlich, gerne –; denn wir wollen ja, dass wir das auf dieser Grundlage geschaffen werden kann. Es einen wichtigen, einen großen Schritt machen, damit wir gibt andere Baustellen, die schon warten, aus unserer gemeinsam in der Bildung vorankommen und auch in an- Sicht auf alle Fälle das Thema Ganztagsschule. deren Fragen, die von der Grundgesetzänderung umfasst sind. Natürlich gibt es Länder, die gern mehr leisten wür- den, aber nicht können. Hier ermöglichen wir Unterstüt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) zung. Warum machen wir das? Weil wir finden, dass die (D) Ich weiß, dass sich viele Sorgen machen wegen der Zukunft eines Kindes eben nicht davon abhängen darf, Zusätzlichkeit; darüber ist eben schon gesprochen wor- in welchem Bundesland oder in welcher Region es lebt. den. Aber eines ist klar: Der Bund will Zusätzliches fi- Weil wir finden, dass das selbstverständlich sein muss. nanzieren und nicht einfach Vorhandenes ersetzen. Ja, natürlich, die Länder bilden den Bund; aber zugleich geht es um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in unserem Land. Das ist ein Grundgesetzauftrag, und sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und den erfüllen wir mit dieser Grundgesetzänderung. Des- der SPD) wegen bitte ich dafür um Zustimmung, meine Damen und Herren. Aber anders als von manchen befürchtet, geht es nicht darum, dass jetzt Router um Router, WLAN um WLAN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass jede Ausgabe zur Hälfte gegenfinanziert werden sowie bei Abgeordneten der FDP) muss, mit dem Bleistift gerechnet, sondern es geht um gleichwertige Ausgaben in diesem Bereich. Darum geht Es geht schlicht und ergreifend darum, ob man in diesem es. Land tatsächlich gleiche Chancen hat – gleiche Chancen, egal ob ich in Bautzen lebe, in Bielefeld oder in Baunatal. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie sehr herzlich, dieser Änderung hier zuzustimmen, und ich bitte die Län- ( [CDU/CSU]: Bielefeld ist der sehr herzlich, dafür zu sorgen, dass wir einen großen, gut!) einen guten Schritt vorankommen, was die Gleichwertig- So einfach ist das, so klar ist das, so gut ist das, und des- keit der Lebensverhältnisse angeht. wegen lohnt es sich, diese Anstrengung zu unternehmen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit diesem Kompromiss gibt es WLAN, Whiteboards sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der und Tablets an Schulen. Das ist gut, das ist richtig. Das SPD und der FDP) ist jetzt sogar noch besser geworden; denn aufgrund des Verhandlungsergebnisses, das die FDP und wir gemein- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sam mit der Union und der SPD erzielen konnten, ist es Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Dr. Katarina jetzt möglich, dass das Ganze am Ende auch wirklich Barley, SPD. bedient werden kann. Nein, damit meine ich nicht beson- ders talentierte und versierte Schülerinnen und Schüler, (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7703

(A) Dr. Katarina Barley (SPD): nisse in den Schulen dringend verbesserungsbedürftig (C) Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin- sind. – Wir sehen das, und wir werden das auch ändern. nen und Kollegen! Wenn das Grundgesetz geändert wird, (Beifall bei der SPD) dann ist das in der Regel ein sehr wichtiger Tag für das Parlament. Ich freue mich, dass wir heute hier zusam- Wir beschließen heute eine wirklich wichtige Grund- mengekommen sind, um diese Grundgesetzänderung zu gesetzänderung, die es dem Bund erlaubt, künftig mehr in beschließen. Bildung, in sozialen Wohnungsbau und in kommunalen Nahverkehr zu investieren. Das ist eine wirklich wichti- Im Jahr 2006 wurde im Grundgesetz ein sehr strik- ge Unterstützung für viele Menschen in unserem Land, tes Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in zum Beispiel für die vielen Pendlerinnen und Pendler, der Bildungspolitik festgeschrieben. Dem Bund wurde die jeden Tag mit Bus und Bahn zur Arbeit fahren, für im Wesentlichen quasi verboten, Geld in Bildung, Geld Mieterinnen und Mieter, die bezahlbaren Wohnraum su- in die Schulen zu investieren. Die Jahre danach haben chen, und auch für Lehrerinnen und Lehrer, die künftig gezeigt, dass das zu weitgehend war. Ich darf zwei Sätze mit modernerer Technik unterrichten können. aus dem Jahr 2012 aus diesem Hause zitieren: Mehr Bil- dung geht nicht mit weniger Zusammenarbeit, erst recht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nicht mit dem Verbot dazu! – Das Kooperationsverbot war ein Irrtum, den müssen wir bereinigen, und das geht Wir stärken damit den sozialen Zusammenhalt in unse- nur gemeinsam! rem Land. Wir sorgen auch für gleichwertigere Lebens- verhältnisse. Dafür übernimmt der Bund eine Verantwor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tung, und dafür ändern wir unser Grundgesetz. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP]) Dafür, um unser Grundgesetz zu ändern, gibt es hohe demokratische Hürden. Das ist gut und richtig so. Dass Diese beiden Sätze, liebe Kolleginnen und Kollegen, uns heute in einer durchaus grundlegenden Frage diese stammen vom damaligen Vorsitzenden der SPD-Bun- Einigung gelingt, bedeutet, dass unsere parlamentarische destagsfraktion und heutigen Bundespräsidenten, Demokratie gut funktioniert. Es ist ein gutes Zeichen, Frank-Walter Steinmeier, nachdem die SPD erstmals ei- dass wir uns über Parteigrenzen hinweg einigen können, nen Antrag zur Abschaffung des Kooperationsverbots in wenn es um die großen Fragen, die großen Herausforde- dieses Haus eingebracht hatte – vor sieben Jahren. rungen unserer Zeit geht. Das ist keine Selbstverständ- Seitdem setzen wir uns im Bund und in den Ländern lichkeit. Um das zu erkennen, muss man nur mal einen für genau die Grundgesetzänderungen ein, die uns heu- Blick in die Parlamente anderer Länder werfen. Diesen (B) te zur Beschlussfassung vorliegen. Das war eine unse- Geist der Zusammenarbeit brauchen wir in Deutschland, (D) rer zentralen Forderungen im Bundestagswahlkampf, aber auch in Europa. Wir können Dinge verändern, wenn und die SPD-geführten Länder haben schon im Septem- wir zusammenarbeiten. Auch dafür steht der heutige Tag. ber 2017 einen entsprechenden Antrag in den Bundesrat Ich finde, das ist auch und gerade deshalb ein wich- eingebracht. Ich darf festhalten: Die SPD ist die einzige tiges Signal, weil heutzutage Kompromissfähigkeit und Partei, die auf Bundes- und Landesebene seit vielen Jah- das Schließen von Kompromissen in manchen Teilen der ren geschlossen für die Abschaffung des strikten Koope- Bevölkerung fast als Beleidigung aufgefasst wird, jeden- rationsverbotes im Bildungsbereich eintritt. falls nicht als einer Demokratie zugehörig empfunden (Beifall bei der SPD – Jan Korte [DIE wird. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Das Finden von LINKE]: Wir auch!) Kompromissen im Dienste aller, im Sinne aller, genau das ist das Wesen von Demokratie. – „Geschlossen“, habe ich gesagt. – Ich bin froh, dass es uns nun gelingt, das Grundgesetz zu ändern; denn die (Beifall bei der SPD) Abschaffung des Kooperationsverbotes ist wichtig. Was steht konkret im Bereich Bildung an? Mit dem Für uns ist klar: Gerechte Bildungschancen dürfen DigitalPakt werden wir zusätzlich 5,5 Milliarden Euro in nicht davon abhängen, wo man lebt oder wie viel Geld die Schulen unseres Landes investieren, damit sie tech- man hat, und gerechte Bildungschancen für alle dürfen nisch auf die Höhe der Zeit kommen. Es geht um moder- nicht daran scheitern, dass wir vorhandenes Geld nicht ne IT, schnelles Internet, neue Tablets. ausgeben dürfen. Das wäre absurd. (Dr. [AfD]: Hauptsache Tab- Es ist schon interessant, dass die AfD die einzige Par- lets!) tei in diesem Hause ist, die das nicht verstehen will, Es geht um Bildung. Es darf nicht sein, dass wir ausge- (Lachen des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD]) rechnet in der Schule unzureichende Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer haben. Wir können nicht warten, die offensichtlich das Ohr nicht an den Sorgen der Bürge- bis wir genügend junge Lehrerinnen und Lehrer haben, rinnen und Bürger hat. die Digital Natives sind. Wir müssen in Weiterbildung (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das sagt die investieren. SPD!) Bei Ihnen treten offensichtlich keine Bürger in der Bür- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gersprechstunde auf, die Ihnen sagen, dass die Verhält- Frau Barley? 7704 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Dr. Katarina Barley (SPD): Albrecht Glaser (AfD): (C) Ich würde gerne im Zusammenhang sprechen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Die Bundesregierung wünscht eine Änderung meh- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rerer Artikel der Finanzverfassung, in erster Linie zur Verteilung von Geld an die Länder. Es soll dabei um die Sie möchten keine Zwischenfrage zulassen? Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens gehen, wie es heißt, die Gemeinde- Dr. Katarina Barley (SPD): verkehrsinfrastruktur und den sozialen Wohnungsbau. Nein. – Genauso sieht es beim sozialen Wohnungsbau Wie man sieht: Kernaufgaben der Länder, die im föde- aus. Es bestreitet doch niemand, dass in vielen Städten ralen Staatsaufbau diesen zur eigenen Erledigung zuge- und Gemeinden bezahlbare Wohnungen fehlen. Wir ha- wiesen sind. ben dazu viele Maßnahmen ergriffen. Es ist so wichtig, dass der Bund weiter auch in den sozialen Wohnungsbau Wie allgemein bekannt, ist ein lebendiger Föderalis- investieren darf und das nicht 2020 enden muss. mus unabänderbares Verfassungsgebot – Artikel 79 Ab- satz 3, Sie kennen das. Die Finanzverfassung des Grund- (Beifall bei der SPD) gesetzes zieht daraus seit 1969 die logische und rationale Konsequenz – ich zitiere Artikel 104a Grundgesetz –: Wir nehmen in den Jahren 2020 und 2021 jeweils 1 Mil- liarde Euro für den sozialen Wohnungsbau in die Hand. Der Bund und die Länder tragen gesondert die Aus- gaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufga- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Die lernen nichts ben ergeben … mehr in der Schule, aber Tablets!) Das ist eine gute Nachricht für Mieterinnen und Mieter; Hinter dieser Regelung steckt die kluge staatstheoreti- denn wenn mehr günstige Wohnungen auf dem Markt sche und verwaltungswissenschaftliche Erkenntnis, dass zur Verfügung stehen, dann entspannt das natürlich die Aufgabenträgerschaft und Finanzverantwortung auf der Lage auf dem gesamten Wohnungsmarkt und dämpft den gleichen staatlichen Ebene angesiedelt werden müssen. Preisanstieg. Das nennt man Good Governance. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD) Wir wollen mehr in Busse und Bahnen investieren und Ein Verfassungsrechtler hat bei der Anhörung zu der den Menschen die Möglichkeit geben, Autos auch mal geplanten Rechtsänderung ausgeführt: stehen zu lassen. Viele Menschen, gerade im ländlichen Die Frage, wer in der Sache entscheiden soll, muss (B) Raum, wo auch ich herkomme, haben nicht wirklich über die Zuordnung der Sachkompetenz geregelt (D) eine Wahl. Gestern erst habe ich den Tweet einer jungen werden. Die Finanzkompetenz muss dann folgen. Frau aus einer ländlich geprägten Region, aus einem sehr schönen Bundesland gelesen, in dem es darum ging, dass Dies sieht der Bundesrechnungshof auch so. Und die ihr der Bus vor der Nase weggefahren ist. In Berlin ist Bundesregierung, die in gleicher Mannschaftsaufstel- das ärgerlich, in Köln auch; aber auf dem Land heißt das lung wie heute zur Stärkung dieses Prinzips 2006 eine möglicherweise, dass man an dem Tag überhaupt nicht große Föderalismusreform gemacht und dafür 25 Artikel mehr wegkommt. Und es leben viel mehr Leute im länd- des Grundgesetzes geändert hat, hat diese Änderungen lichen Raum als in der Stadt. Deswegen ist die Stärkung seinerzeit so begründet: von Mobilität, sind Investitionen in Mobilität auch durch den Bund im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse Die bundesstaatliche Ordnung … leidet an einer unglaublich wichtig. übermäßigen institutionellen Verflechtung von Bund und Ländern … (Beifall bei der SPD) Und: Diese Änderungen des Grundgesetzes sind gut, sie sind richtig, sie sind notwendig. Wir wollen, dass am Mischfinanzierungen verschränken Aufgaben- und Ende wirklich mehr Geld vor Ort ankommt. Deswegen Ausgabenzuständigkeiten und engen zugleich die sehen wir vor, dass die Investitionen des Bundes zusätz- Spielräume für eigenverantwortliche Aufgaben- lich zu den Investitionen der Länder im gleichen Bereich wahrnehmung beider staatlicher Ebenen ein. fließen. Das sorgt für einen starken Anreiz zu mehr In- Eine kluge Bundesregierung, die das damals ins Werk vestitionen. Ich freue mich sehr, dass wir parteiübergrei- gesetzt hat – eine Große Koalition. fend, fraktionsübergreifend diesen Beschluss heute fas- sen werden. (Beifall bei der AfD) Herzlichen Dank. Als im Jahre 2017 wiederum eine CDU/CSU/SPD-Re- gierung dieses früher für so wichtig gehaltene Prinzip der (Beifall bei der SPD) Staatsorganisation verwässert hat, haben unter anderem die beiden Ministerpräsidenten Dreyer und Kretschmann Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schärfsten Protest erhoben. Albrecht Glaser, AfD, ist der nächste Redner. (Christian Lindner [FDP]: Frau Dreyer aus (Beifall bei der AfD) anderen Gründen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7705

Albrecht Glaser (A) Das war vorgestern. Das Ergebnis der Verhandlungen Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): (C) erhalte „eine sachlich eben gerade nicht zu begründen- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich de Unwucht zu Gunsten des Bundes“, sagte Dreyer, und hoffe, dass wir uns in diesem Hohen Hause einig sind, Kretschmann sprach von der „Grenze des Zumutbaren, dass man, wenn man eine Zuständigkeit hat, zumal dann, insbesondere … bei den Kontrollrechten des Bundes im wenn sie einem von der Verfassung zugewiesen wird, Bereich der Finanzhilfen“. Das war vorgestern richtig, dann auch die Verantwortung dafür trägt, auch die Fi- das ist heute noch richtig. nanzverantwortung. (Beifall bei der AfD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund war und Der ganze jetzt ins Werk gesetzte Angriff gegen den ist nicht für den sozialen Wohnungsbau zuständig, der Föderalismus und gegen eine rationale Staatsorganisation Bund war und wird nicht für die Bildung zuständig sein, geht zudem von einer überbordenden Leistungsfähigkeit der Bund war und wird nicht für Kindertagesstätten zu- des Bundes und der Armut der Länder aus. Schon die- ständig sein – dafür zuständig sind weiter Länder und se Annahme ist unrichtig, wie die Haushaltsüberschüsse Kommunen. Ich sage das deswegen, weil immer so ge- zeigen. Der Kollege Rehberg ist immer bereit, als Zeuge fragt wird, wenn wir da als Bund reingehen und mögliche dafür zur Verfügung zu stehen. Und wenn diese Annah- Missstände beheben: Warum passiert dann an der ande- me stimmen würde, dann gäbe es die hierfür, meine Da- ren Stelle nichts? men und Herren, geschaffene einfachgesetzliche Lösung nach Artikel 106 Grundgesetz, worauf ebenfalls in der (Zuruf von der CDU/CSU: Gute Frage!) Anhörung hingewiesen wurde. Dort wird die Aufteilung Früher war immer die Entschuldigung: Die Länder und aller wesentlichen Steuern geregelt; damit soll sicherge- Kommunen haben nicht genug Geld. – Wie sehen die Re- stellt werden, dass – Zitat – Bund und Länder ihre not- alitäten hier und heute aus? Im letzten Jahr hatte die Ge- wendigen Ausgaben decken können und bei Änderung samtheit der Länder einen Überschuss von über 14 Mil- der Verhältnisse entsprechende Anpassungen erfolgen. liarden Euro, in diesem Jahr läuft der Überschuss der So einfach könnte man das Problem lösen – wenn es ein Länder auf 20 Milliarden Euro zu, der Überschuss der Finanzproblem der Länder gäbe. Kommunen auf über 10 Milliarden Euro. Davon träumt (Beifall bei der AfD) der Bund. Eine Verfassung, meine Damen und Herren, ist keine (Zuruf von der FDP: Nein!) Geschäftsordnung der Bundesregierung, die wegen einer Tages- oder Nachtlaune von Koalitionären mal so eben Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Beispiel „so- zialer Wohnungsbau“ will ich deutlich machen, warum (B) geändert wird. Theoretisch ist das mal so gesagt worden (D) vom Herrn Finanzminister – in praxi wird es völlig an- wir eine Grundgesetzänderung vornehmen und warum ders gemacht. Dass die Oppositionsparteien, die diesen es, glaube ich, auch notwendig ist, das Prinzip der Zu- Übergriff in die Verfassung hätten verhindern können, sätzlichkeit für den Investitionsbereich einzuführen. Es nun auch mitmachen, führt zu der Feststellung: Außer kann nämlich nicht sein, dass der Bund seit Jahren, seit der AfD gibt es im Deutschen Bundestag keine Opposi- Jahrzehnten Geld für den sozialen Wohnungsbau gibt, tion. Alle anderen sind sich fast immer einig – eine fröh- diese Mittel aber nicht für sozialen Wohnungsbau oder liche Demokratie! wenigstens zweckentsprechend eingesetzt werden und auch kein einziger Cent aus Landesmitteln mehr für die (Beifall bei der AfD – Lachen der Abg. Leni Förderung sozialen Wohnraums in die Hand genommen Breymaier [SPD] – Michael Grosse-Brömer wird. [CDU/CSU]: Stimmt doch überhaupt nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wenn man wüsste, wie die Wurst hergestellt wird, ordneten der SPD und der FDP) würde niemand sie essen, sagt der Volksmund. So stellen wir die Demokratie, den Föderalismus in (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie zitieren Deutschland infrage. doch sonst immer Bismarck!) Ähnliches gilt wohl auch für Gesetze und Verfassungsän- Ja, im Rahmen der Föderalismuskommission I wurde derungen. Und dabei geht es um die Kostbarkeit des Res- 2006 eine Entflechtung vorgenommen, auch in diesem pekts vor dem Rechtsstaat, die hier so gerne beschworen Bereich. Der Bund hat dann für den sozialen Wohnungs- wird. – Mal wieder ein schlechter Tag für diese Republik! bau jedes Jahr 518 Millionen Euro gegeben, allein in der Zeit zwischen 2007 und 2013 3,6 Milliarden Euro. Dafür Herzlichen Dank. hätte man 50 000 Sozialwohnungen bauen können. Jeder kann die Liste, was die Länder gemacht haben, bei mir (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer abrufen. Einige Länder haben in dieser Zeit keine einzi- [CDU/CSU]: Wegen Ihrer Rede oder warum?) ge Sozialwohnung gebaut, auch nicht das Land, in dem sich der Deutsche Bundestag befindet, Berlin, und, liebe Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Kolleginnen und Kollegen, ich könnte noch ein halbes Jetzt hat das Wort Eckhardt Rehberg, CDU/CSU. Dutzend Länder dazu nennen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Das sind ordneten der SPD) doch Ihre!) 7706 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Eckhardt Rehberg (A) Das ist – das sind nicht meine Worte, das sagte mal je- Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den sozialen (C) mand – sehr unmoralisch. Wohnungsbau wurden bzw. werden in den Jahren 2014 bis 2019 noch unter der jetzigen Rechtsetzung vom Bund Auf jeden Fall finde ich: Nachdem die Länder diese 6,6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Aufgabe 2006 vollständig übertragen bekommen haben, haben sie gegen das Grundgesetz verstoßen; das, finde ich, muss an dieser Stelle auch einmal gesagt werden. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Rehberg, die Kollegin Hajduk würde (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gerne eine Zwischenfrage stellen. ordneten der SPD) (CDU/CSU): Das ist dann geändert worden im Zusammenhang mit Eckhardt Rehberg dem Fiskalpakt; daraus wurden dann Entflechtungs- Gerne. mittel, nur noch investiv gebunden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gucken Sie sich bitte einmal an – sozialer Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wohnungsbau, Hochschulbau, Bildungsplanung, kom- Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die munaler Straßenbau, ÖPNV –, was einige Länder mit Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade darauf ver- diesen Entflechtungsmitteln gemacht haben! wiesen, dass es zukünftig um eine Kofinanzierung durch die Länder im Verhältnis eins zu eins gehen soll, und Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen, glaube auch den Begriff „Investitionsbereich“ betont. Sie ha- ich, muss hier schon ein enger Zusammenhang bestehen, ben gerade ebenfalls darauf verwiesen, dass in Zukunft damit wir den Finanzstrom im Bereich „sozialer Woh- die Länder durchaus wachsende Steuereinnahmen haben nungsbau“ regeln können, dass wir ihn auch überprüfen werden. können – da greift Artikel 114 Grundgesetz, Stichwort „Bundesrechnungshof“ – und dass wir, glaube ich, auch Ich komme auf diesen Punkt noch mal zu sprechen, in diesem Bereich von den Ländern verlangen können, weil einige Vorredner in dieser Debatte auf den Umstand dass ab 2020 – früher greift das Prinzip der Zusätzlich- verwiesen haben, dass wir am Ende bei dieser Grundge- keit ja nicht – neben der 1 Milliarde Euro, die der Bund setzänderung eine gemeinsame Lösung zwischen Bund gibt, auch Geld von den Ländern für diesen Investitions- und Ländern brauchen. Deswegen möchte ich fragen, ob bereich zur Verfügung gestellt wird; denn es kann nicht Sie die Einschätzung teilen, dass wir gestern im Haus- sein, dass Sozialwohnungen nur mit Bundesgeld gebaut haltsausschuss gemeinsam Wert darauf gelegt haben, werden. Das bleibt in der Zuständigkeit der Länder, das dass diese Erwartung einer Eins-zu-eins-Finanzierung bleibt in der Verantwortung der Länder. Deswegen wird für zukünftige Programme ab 2020 gilt, aber dass wir (B) das eine gesamtstaatliche Aufgabe nur dann, wenn beide auch anerkennen, dass der Bund bereit ist, in bestimm- (D) ihren Beitrag leisten. ten Bereichen sogar mehr als 50 Prozent dauerhaft zu fi- nanzieren. Das wird im Wissenschaftsbereich so sein und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bleiben. Das wird bei dem laufenden Schulsanierungs- ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- programm, das wir mit Bundesmitteln bis 2023 in teil- NISSES 90/DIE GRÜNEN) weise viel größerem Ausmaß fördern, auch so bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Finanzsituati- Mir ist es wichtig, zu betonen – auch im Sinne des on der Länder wird sich in den nächsten Jahren deutlich gemeinsamen föderalen Gedankens –, dass wir als Grüne verbessern. Nicht nur die Jahresüberschüsse zeigen das, die Festschreibung der Zusätzlichkeit der Bundesmittel sondern auch die letzte Steuerschätzung. Wir werden im für eine sinnvolle Verstärkung – insbesondere mit Blick Jahr 2023 bei den Ländern zum ersten Mal mehr Ein- auf die Inhalte – halten, dass wir aber den Ländern an nahmen durch die Gemeinschaftsteuern haben als beim dieser Stelle auch die Hand reichen. Es ist mir wichtig, Bund. Dieses Jahr haben wir beim Bund noch einen das noch mal gemeinsam festzuhalten. Vorsprung von etwa 10 Milliarden Euro gegenüber den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ländern.

Die großen Sprünge werden zwischen den Jahren 2019 Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): und 2020 kommen. Jeder soll sich diese Steuersprünge Vielen Dank, Kollegin Hajduk, für die Frage. Der mal in Ruhe angucken. Bei der Gesamtheit der Länder Kollege Lindner wollte mir ja die Verantwortlichkeit sind das durch den Bund-Länder-Finanzausgleich über für das Thema Zusätzlichkeit ganz alleine in die Schuhe 18 Milliarden Euro. Das heißt, wenn wir Bundesfinanz- schieben. Erst einmal muss man deutlich machen, dass hilfen für Investitionen einsetzen, die der Bund als ge- der Bundesrechnungshof zum Regierungsentwurf eine samtstaatliche Aufgabe ansieht, dann, glaube ich, werden Stellungnahme abgegeben und gesagt hat, dass er beide die Länder auch in Zukunft an dieser Stelle in der Lage Grundgesetzänderungen, also die beim sozialen Woh- sein, eine 50‑prozentige Kofinanzierung vorzunehmen; nungsbau und im Bildungsbereich, ablehnt und hochkri- nicht in den jeweiligen Programmen, sondern in dem tisch sieht. Er hat aber ausgeführt: Wenn man das macht entsprechenden Investitions- bzw. Förderbereich. und das als gesamtstaatliche Aufgabe ansieht, dann bitte eine mindestens hälftige Finanzierung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Zu Ihrer Frage: Die Finanzierung von Forschungsein- NEN und des Abg. [SPD]) richtungen im Rahmen des Wissenschaftsfreiheitsgeset- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7707

Eckhardt Rehberg (A) zes zählt nicht zu den Finanzhilfen des Bundes. Das sind richt zur Verwendung von Umsatzsteuerpunkten für die (C) Zuweisungen an die Forschungseinrichtungen. Das trifft Integrationskosten durchzulesen. nicht auf alle laufenden Programme zu, also nicht auf die 3,5‑Milliarden-Euro-Pakete für die Kommunalinvestitio- Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Länder sind nen, und nicht auf das dritte und vierte Investitionspro- nicht mal bereit, über die Mittelverwendung Rechen- gramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“. schaft abzulegen. Diese Länder sagen: Wenn wir die Ein- nahmen aus Umsatzsteuerpunkten in einem Bereich be- Ich nenne mal ein Beispiel: die Städtebauförderung. kommen, dann sind das Steuermehreinnahmen. Das sind Auf neue Verwaltungsvereinbarungen wird das zutreffen. dann bei dir, Bund, Steuermindereinnahmen. Wir haben Aber wer sich hier ein bisschen auskennt, der sieht, dass politisch in diesem Bereich zwar etwas abgesprochen, es im Kostenbereich schon heute eine 50 : 50-Finanzie- aber was wir mit dem Geld machen, geht dich, Bund, rung zwischen Bund und Ländern gibt. nichts an. In diesem Zusammenhang werden immer die deut- Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Schluss meines schen Seehäfen angesprochen, bei denen es eine Redebeitrages komme ich zu dem, was mir wichtig ist 90 : 10-Förderung gibt. Allein das Land Mecklen- und was ich immer wieder vor Ort erlebe: Wenn wir als burg-Vorpommern gibt mehr als 38 Millionen Euro für Bund sagen: „Für Wohnungsbau, für Bildung, für kom- seine Häfen aus; denn das ist die Summe, die grundge- munalen Straßenbau stellen wir den Ländern und Kom- setzlich festgelegt ist. Der entsprechende Investitionsbe- munen Geld zur Verfügung“, und wenn die Länder das reich wären hier die Seehäfen insgesamt. So ist es auch Geld nicht an die Kommunen weiterreichen und das Geld in allen anderen Bereichen. nicht zweckentsprechend verwendet wird, dann werden wir alle miteinander unglaubwürdig. Die Menschen vor Zum DigitalPakt Schule – die Verhandlungen sind Ort interessiert nur eines: dass sich in der Sache was be- noch nicht zu Ende – sage ich nur: Aktuell liegt ein Vor- wegt und dass Probleme gelöst werden. schlag für eine 90 : 10-Finanzierung vor. Aber wenn ich hier die Länderhaushalte für den entsprechenden Investi- Herzlichen Dank. tionsbereich sehe, dann wird es doch wohl möglich sein, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem dass sich die Länder im Hinblick auf die rund 730 Milli- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- onen Euro, die der Bund zur Verfügung stellt – das wären geordneten der FDP) für mein Heimatland rund 2 Prozent, nämlich 15 Milli- onen Euro –, in diesem Bereich selber mit 15 Millionen Euro engagieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. An Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dieser Stelle wird die Sinnhaftigkeit der Zusätzlichkeit Katja Suding, FDP, ist die nächste Rednerin. (B) (D) der Bundesmittel deutlich, dass nämlich dann, wenn der (Beifall bei der FDP) Bund etwas gibt, die Länder nicht aus ihrer Verantwor- tung entlassen werden. Ich glaube, dass wir das mit Blick auf die gesamtstaatliche Verantwortung auch so machen Katja Suding (FDP): müssen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verhandlungen zur Grundgesetzänderung haben sehr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- spät begonnen. Sie waren auch an manchen Stellen zäh. ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Aber sie haben sich gelohnt, wie das Ergebnis zeigt. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben jetzt einen gemeinsamen Antrag vorgelegt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier wurden viele Wir, das sind FDP und Grüne einerseits und die die Re- Bereiche angesprochen. Ich will noch etwas deutlich ma- gierung tragenden Fraktionen andererseits. Das zeigt, chen, weil immer wieder die Frage gestellt wird: Haben dass die demokratische Mitte in diesem Hause sehr gut wir das heimlich, still und leise gemacht? Nein, ganz im in der Lage ist, Antworten auf die Herausforderungen Gegenteil: Sowohl Johannes Kahrs als auch ich haben in Deutschland zu geben und gemeinsame Lösungen zu hier zur ersten Lesung deutlich gemacht, dass uns das erarbeiten. Das ist deshalb ein guter Tag für die Schüle- Thema Zusätzlichkeit ein wichtiges Thema ist. Wir ha- rinnen und Schüler, für die Eltern und für die Lehrkräfte ben das bei der Anhörung angesprochen, und der Bun- in Deutschland. Dafür möchte ich allen beteiligten Frak- desrechnungshof hat, wie angemerkt, seine Stellungnah- tionen ganz herzlich danken. me abgegeben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Ich kenne die Kritik von Professor Henneke. Professor ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Henneke, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Land- GRÜNEN) kreistages, lehnt das ab. Er will einen anderen Weg, den auch Ministerpräsident Kretschmann will, und zwar das Die Chancen auf beste Bildung müssen für jedes Kind Ganze über Umsatzsteuerpunkte machen. gleichermaßen zugänglich und unabhängig von der sozi- alen Herkunft, aber auch vom Bundesland sein, in dem (Johannes Kahrs [SPD]: Nie wieder!) das Kind aufwächst. Dazu ist eine nationale Kraftanstren- gung notwendig, die wir nur bewältigen können, wenn Ich rate jedem – das hatten wir gestern im Haus- wir sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachten. haltsauschuss auf der Tagesordnung –, sich die Prüfbe- richte des Bundesrechnungshofes zur Verwendung von Was haben wir in dieser Hinsicht erreicht? Drei Punk- Umsatzsteuerpunkten anzugucken, sich den BMF-Be- te sind meiner Fraktion besonders wichtig. 7708 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Katja Suding (A) Erstens ist vorgesehen, dass der Bund künftig nicht nur Unterrichtsqualität dürfen nicht der Wohnort und damit (C) in Technik und Gebäude investieren kann, sondern auch auch der Zufall entscheiden. in Personal und dessen Fortbildung, also in die Köpfe. Das ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass die Schu- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Britta len die Infrastrukturinvestitionen des Bundes überhaupt Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sinnvoll nutzen können. Für den DigitalPakt Schule zum Den DigitalPakt jetzt nach so langer Zeit auf den Weg Beispiel heißt das konkret: Der Bund könnte IT-Admi- zu bringen, das war für die Koalition, vor allen Dingen nistratoren und Schulungen des pädagogischen Personals aber für die Union, der einzige Anlass, das Grundgesetz finanzieren. Darauf warten die Schulen schon seit Jahren. zu ändern. FDP und Grünen war das zu wenig. Wir wol- (Beifall bei der FDP) len mit der Grundgesetzänderung nicht allein den Digi- talPakt möglich machen. Wir wollen mehr Qualität in der Zweitens muss die Bundesförderung künftig im Zeit- Bildung und das Tor auch für weitere Kooperationen im verlauf nicht mehr abnehmen. Wir hätten uns zwar mehr Bildungsbereich öffnen. gewünscht – nämlich auch die Entfristung –, mit der ge- fundenen Lösung wird aber zumindest für die gesamte (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Projektdauer Planungssicherheit vor Ort geschaffen, und DIE GRÜNEN sowie der Abg. das ist auch schon ein Erfolg, meine Damen und Herren. [SPD]) Die nun erzielte Einigung macht das möglich. Das Tor (Beifall bei der FDP) ist offen. Wir erwarten von der Bildungsministerin jetzt Drittens soll der Bund Finanzhilfen zur Sicherstellung aber auch, dass sie durch dieses Tor hindurchgeht. Ist von Qualität und Leistungsfähigkeit gewähren dürfen. Frau Ministerin Karliczek noch da? Dieser Punkt ist uns Freien Demokraten besonders wich- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Schon weg!) tig. Denn das bedeutet, dass der Bund die Entwicklung und Durchsetzung von Qualitäts- und Bildungsstandards – Das ist schade. Sie hat sich auch in die Verhandlungen an seine Finanzhilfen knüpfen kann. Das ist wirklich ein zur Grundgesetzänderung nicht eingebracht. Nun könnte großer Fortschritt, meine Damen und Herren. man zwar sagen: Geschenkt, es hat ja auch so mit einer Einigung im Bundestag geklappt. – Jetzt aber muss die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Bundesbildungsministerin mehr bringen. Sie muss sich des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einbringen, wohlgemerkt, mit bildungspolitischen Kon- zepten. Denn eines muss klar sein: Die Grundgesetzän- Was heißt das konkret? Wenn der Bund die Schulen (B) derung und der DigitalPakt dürfen nicht das Ende des (D) mit dem DigitalPakt Schule unterstützt, dann könnte er Engagements des Bundes sein, sondern sie müssen der die Entwicklung gemeinsamer Standards für eine infor- Auftakt für weiteres Engagement sein. matorische Grundausbildung zusammen mit den Ländern unterstützen und die Finanzhilfen an deren Durchsetzung Der Bedarf ist groß: von der Ausstattung der Schulen koppeln. Und wenn der Bund darüber hinaus zum Bei- mit digitalen Lernmitteln über den Ausbau des Ganztags spiel irgendwann eine MINT-Offensive an den Schulen bis hin zu einer Exzellenzinitiative für die berufliche Bil- plant, dann können Bund und Länder Festlegungen von dung. Das sind wir den Schulen, den Lehrkräften, aber Bildungsstandards in Mathematik, Informatik, Naturwis- vor allen Dingen den Schülerinnen und Schülern schul- senschaften und Technik unterstützen und diese einfor- dig. Deswegen bitte ich Sie heute um Zustimmung und dern. Das wäre ein ganz wichtiger Schritt zu gleichen werbe auch bei den Kollegen im Bundesrat um Zustim- Chancen in ganz Deutschland, meine Damen und Herren. mung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vielen Dank. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Unser Ziel bleiben allerdings bundesweit einheitliche Abg. Ulli Nissen [SPD]) und ambitionierte Bildungsstandards für alle Fächer. Wie diese Standards erreicht werden, soll in der Autonomie

der Schulen liegen, die ja vor Ort am besten wissen, wel- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: che Konzepte erfolgreich sind. Das ist dann wirklich ein Birke Bull-Bischoff, Fraktion Die Linke, ist die nächs- moderner Bildungsföderalismus. te Rednerin.

(Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen, dass das Abitur in Bremen genauso viel Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE): wert ist wie ein Abitur in Bayern. Umzüge in ein anderes Bundesland wären dann für Familien mit Kindern keine Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Zumutung mehr. Präsident! Ich glaube, viele Leute – Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler bzw. alle, die beste 90 Prozent der Bundesbürger wollen eine grundle- Bildung in unserem Land wollen – können heute aufat- gende Reform des Bildungsföderalismus. Denn über die men, und sie werden es tun. Denn ich finde, das, was das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7709

Birke Bull-Bischoff (A) Parlament mehrheitlich zustande gebracht haben wird, ist Aber spannend wird es erst jetzt. Denn der Investitions- (C) auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. stau muss abgebaut werden. Ganztagsschulen müssen gefördert werden. Die digitale Bildung muss endlich in (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Gang kommen. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dennoch ist meine Freude ein wenig schaumgebremst, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai weil wir, Die Linke, finden, dass es noch reichlich Luft Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nach oben gibt. Das haben wir von Anfang an in unse- Meine Damen und Herren, aus dem „kann“ – und ren Anträgen dazu gefordert, und wir bleiben dabei: Die mehr ist es nicht – muss ein „muss“ werden. Ich will es Zukunft in der Bildungspolitik muss in einer Gemein- ganz klar sagen: Ich wünschte mir eine ambitionierte Bil- schaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz liegen. dungspolitik im Bund. Bildungsland Deutschland: Das (Beifall bei der LINKEN) müssen wir erst noch werden. Das Kooperationsverbot ist von vielen in unserem Wir brauchen gerechte Bildung für alle Kinder, und Land als Ausdruck von Kleinstaaterei und einer Barriere damit meinen wir, Die Linke, ausdrücklich auch die hinsichtlich der Mobilität von Schülerinnen und Schü- Kinder, die meist genannt, aber sehr oft nicht gemeint lern empfunden worden, und in einer globalisierten Welt sind. Das ist und bleibt unsere Prämisse. Bildungsland ist das als Bremsklotz für die gemeinsame Finanzierung Deutschland heißt immer auch gerechte Bildung für alle von guter Bildung empfunden worden. Kinder. Ich will aber gleichfalls sagen, meine Damen und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Herren: Die Lockerung des Kooperationsverbotes, so neten der SPD) wichtig sie ist, löst keinesfalls alle Probleme in unserem Land, und es ist auch nicht das einzige Grundübel für den Bildungsnotstand in Deutschland. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste (Beifall bei der LINKEN) Rednerin. Das ist zum einen die Verweigerung der Politik, Länder und Kommunen – dazu gehören auch die Landkreise – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) finanziell vernünftig auszustatten, sodass Lehrkräfte und andere pädagogische Profis wirklich für beste Bildung Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Schülerinnen und Schüler sorgen und sie auch finan- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- (B) zieren können. (D) be Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute über einen (Beifall bei der LINKEN) gemeinsamen Entwurf von Union, SPD, Grünen und FDP abstimmen. Denn es ist uns Grünen gemeinsam mit Zum anderen sind es aber auch Strukturen und Ver- der FDP gelungen, den Vorschlag der Großen Koalition teilungsmechanismen – Stichwort „heimliche Lehrplä- ein ganzes Stück besser zu machen. ne“ –, die soziale Ungleichheit in diesem Land immer wieder zur Tradition haben werden lassen. Dort, wo die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Probleme am größten sind, sind meistens die finanziellen sowie bei Abgeordneten der FDP) Mittel am kleinsten. Vor allem Brennpunktschulen wer- den vernachlässigt. Und eines will ich ganz klar sagen: Wir haben gesagt, es reicht uns nicht, dass der Bund Für uns als Linke ist nach wie vor das gegliederte Schul- Beton und Tablets bezahlt; wir wollen, dass er auch in system in unserem Land ein Grundübel an sich. Köpfe investieren kann. In Köpfe investieren, das heißt: auch in pädagogisches Personal. Das wird der Bund zu- (Beifall bei der LINKEN) künftig können, und das ist ein sehr gutes Ergebnis, liebe Bildung ist in Deutschland – das kann man nicht oft Kolleginnen und Kollegen. genug sagen – eben nicht die Nummer eins in der politi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen Wertehierarchie. Wir haben einen eklatanten Man- sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP gel an Lehrkräften. Es gibt einen Investitionsstau von fast und der LINKEN) 48 Milliarden Euro – das hat uns die Kreditanstalt für Wiederaufbau erst neulich mitgeteilt –; er ist also gestie- Der Bundestag macht heute den Weg für den Digital- gen. Pakt frei. Das ist sehr gut, und es wäre doch mehr als Auch in Sachen Bildung für eine digitale Gesellschaft seltsam, wenn das jetzt an den Bundesländern scheitern muss man sagen: Deutschland ist ein Entwicklungsland. sollte. 720 Millionen Euro, die für Schulen und Berufsschulen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Verfügung stehen, sind eine beinahe zu vernachlässi- gende Größe im Vergleich zu dem, was notwendig wäre. Aber wir haben nicht nur wegen des DigitalPakts wo- Meine Damen und Herren, zwölf Jahre Kooperations- chenlang mit Union und SPD über eine Grundgesetzän- verbot haben die Probleme größer gemacht. derung verhandelt. Wir haben um eine Grundgesetzän- derung gerungen, damit Bund und Bundesländer ganz (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) grundsätzlich in der Bildung enger zusammenarbeiten 7710 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Katja Dörner (A) können, und das geht eben weit über den DigitalPakt hi- Wir alle – im Bund, in den Bundesländern und in den (C) naus. Kommunen – sind in der Pflicht, unser Bildungswesen und eben auch die Zuständigkeiten so zu organisieren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass wir allen Kindern und Jugendlichen die bestmögli- NEN sowie des Abg. Dr. Marco Buschmann chen Bedingungen bieten, ihre Potenziale voll ausschöp- [FDP]) fen zu können. Das müsste doch unser gemeinsames Ziel Wir haben jetzt neue Möglichkeiten beispielsweise für sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. den Ganztagsausbau geschaffen, der laut Koalitionsver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trag von Union und SPD noch in dieser Legislaturperi- sowie bei Abgeordneten der SPD und der ode auf dem Plan steht, und das auch völlig zu Recht, FDP) weil der Bedarf riesig ist. Der Bund wird zukünftig nicht nur Mensen bauen können; er wird zum Beispiel auch Ich werbe heute für die Zustimmung zum interfrakti- Schulsozialarbeiter bezahlen können. Das ist ein enormer onellen Antrag und dann natürlich auch zum Gesetzent- Fortschritt, und dafür haben sich aus unserer Sicht die wurf. Wir nähern uns diesem Ziel ein gutes Stück. Ein Verhandlungen sehr gelohnt. großer Schritt hin zu einem moderneren Bildungsfödera- lismus wird gemacht. Aber wir Grünen bleiben natürlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- am Ball, und wir knabbern weiter, weil die Kinder in un- NEN sowie des Abg. Dr. Marco Buschmann serem Land das in unser Hausaufgabenheft geschrieben [FDP]) haben. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, zukünftige Bun- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. desregierungen werden sich mit den Ländern vielleicht und hoffentlich auch auf ganz andere Programme ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ständigen können. Ich persönlich wünsche mir beispiels- sowie bei Abgeordneten der SPD und der weise eines zur Beförderung der Inklusion an unseren FDP) Schulen. Dazu hat der Bund nämlich die UN-Behinder- tenrechtskonvention unterschrieben und bei der Umset- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zung die Länder, gerade im Bildungsbereich, ganz schön Dr. Karl Lauterbach, SPD, ist der nächste Redner. im Regen stehen lassen. (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zukünftig wird es auch hier neue Möglichkeiten geben. Dr. Karl Lauterbach (SPD): (B) Die muss man nicht nutzen, aber die wird man nutzen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu- (D) können. Dafür haben wir die Tür aufgemacht. Deshalb nächst einmal: Es geht heute nicht nur um Bildung, aber, freue ich mich auch auf zukünftige Programme zwischen ich glaube, die Änderungen im Bildungssystem sind von Bund und Bundesländern in hoffentlich zukünftigen Ko- dem, was wir heute beschließen, langfristig der wichtig- alitionsverträgen. ste Teil. Es ist ein großer Tag für die Bildung. In der Tat – es kam bereits zur Sprache – ist in unserem Bildungssys- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tem nicht alles schlecht, aber wir haben Probleme, deren Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, jetzt jubelt die Lösung wichtig ist. Und ich nenne hier nur drei, die wir Union, das Kooperationsverbot sei nicht abgeschafft nur gemeinsam lösen können und nicht allein. worden. Ich würde sagen: Wir haben es sehr umfassend Ein Problem ist: Wir geben nach wie vor für Bil- angeknabbert, aber abgeschafft ist es leider tatsächlich dung zu wenig aus. Wir liegen nach wie vor unter dem nicht. – Und das zeigt, dass wir weiter sehr klar darauf OECD-Durchschnitt. hinweisen müssen, vor welchen Herausforderungen wir in Deutschland im Bildungsbereich tatsächlich ste- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!) hen. Studie über Studie – auch die der Bundesregierung Wir müssten darüber liegen; wir liegen aber darunter. selbst – dokumentieren, wie ungerecht die Chancen in Wir liegen beim Bildungsaufstieg unter dem Schnitt. In unserem Bildungssystem verteilt sind, wie hoch auch der Deutschland haben nur 25 Prozent derjenigen, die eine Finanzierungsbedarf ist oder wie schwer für viele Schü- Bildung bekommen, eine bessere Bildung als ihre El- lerinnen und Schüler beispielsweise ein Umzug zwischen tern. Im europäischen und im OECD-Durchschnitt ist die den Bundesländern ist oder zumindest sein kann. Und Quote höher. Im OECD-Durchschnitt sind es 40 Prozent. da muss ich wirklich sagen: Da kann ich dieses ewige Wir haben einen viel zu geringen Bildungsaufstieg. „Das haben die Bundesländer schon immer ganz allein entschieden“, „Das haben wir immer schon so gemacht“, Und wir geben insbesondere zu wenig aus für den Be- „Das hat der Bund noch nie mitfinanziert“, ehrlich ge- reich, den wir heute besprechen, nämlich für Kitas, aber sagt, überhaupt nicht mehr hören. Ich bin mir sicher, dass auch für Schulen. Dort geben wir nur etwa 4 bis 4,2 Pro- alle Eltern in diesem Land das auch nicht mehr hören zent des Bruttoinlandsprodukts aus. Wenn wir das um nur können, 1 Prozentpunkt erhöhen würden, auf den Durchschnitt der OECD, dann würde das 30 Milliarden Euro kosten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Daher ist diese Leistung nur gemeinsam zu erreichen – ordneten der FDP) nur durch Bund und Länder gemeinsam. weil es an der Problemlage völlig vorbeigeht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7711

Dr. Karl Lauterbach (A) Wir dürfen diese Diskussion nicht kleinkariert füh- Bundesregierung. In der Analyse des Grünenantrags kön- (C) ren, indem wir sagen: Im Moment haben die Länder nen wir grundsätzlich mitgehen. Allerdings sehen wir in mehr Geld. – Das kann sich ändern. Wir können diese den Handlungsempfehlungen aus der Schlussfolgerung Diskussion auch nicht grobschlächtig diskutieren nach heraus so gut wie keine Gemeinsamkeiten. Grundsätzlich dem Motto: „Das Föderalismusverbot muss abgeschafft weist Ihr Antrag kaum zielorientierte Lösungsvorschläge werden, der Föderalismus kommt zum Ende“, sondern aus. wir müssen sie mit Augenmaß führen. Wir werden die- ses spezifische Problem, die wichtigen Probleme bei (Beifall bei der AfD) Bildung und Schule, woran die Zukunft unseres Landes Aber ich picke mal einige Highlights heraus: Sie for- hängt, nur durch eine bessere Kooperation von Ländern dern von der Bundesregierung, den Stromverbrauch für und Bund lösen. Daher ist dies heute ein sehr wichtiger den Ausbau des 5G-Netzes und die Auswirkung dessen Tag für unsere Bildung, ein sehr wichtiger Tag für unser auf Rechenzentren zu validieren. Wenn diese dann hö- Land insgesamt. her ausfallen, als es ideologisch akzeptierbar ist, was ist dann? Wollen Sie dann wie beim Schadstoffausstoß des (Beifall bei der SPD) Diesels willkürliche Grenzwerte festlegen, oder wollen Es kam schon zur Sprache: Es geht nicht nur um Ta- Sie gar ganze Rechenzentren stilllegen? blets. Es geht nicht nur um Kabel. Es geht nicht nur um Dann noch ein origineller Gedanke: Sie wollen, dass Beton, sondern es geht auch darum: Wenn ich hier inves- die Bundesnetzagentur die Versorgung in unterversorg- tiere, dann müssen die Dinge auch nutzbar sein. Heute ten Gebieten per Ausschreibung sicherstellt. Soll die ist es so, dass sich die 10- bis 12‑jährigen Kinder zum Bundesnetzagentur jetzt eine Einkaufsgesellschaft wer- Teil besser mit Blockchains auskennen als die Lehrer, die den? Die Agentur kann einen Rahmen schaffen, aber die Kenntnisse darüber vermitteln sollen. Wir können die nicht marktwirtschaftlich agieren. Das müsste doch auch Digitalisierung nicht an der Kreidetafel erklären. Dafür Ihnen von den Grünen einleuchten. Wir sind ja bei Ihnen, brauchen wir Geräte. Dafür brauchen wir aber auch die dass schnelles Internet eine Daseinsvorsorge ist und in Lehrer, die die Fortbildung haben, um das zu nutzen. Wir der Verantwortung des Staates liegen muss. Aber doch brauchen auch eine funktionierende Systemadminist- nicht so, liebe Kolleginnen und Kollegen. Doch nicht mit ration, sodass die Geräte ständig zum Einsatz kommen einer Umlagefinanzierung, die die Netzbetreiber erbrin- können. Das hilft insbesondere den bildungsschwäche- gen müssen, gewissermaßen als Solidaritätszuschlag. ren Kindern. Genau diese Kinder brauchen wir aber, und von diesen Kindern gibt es immer mehr, und zwar des- (Johannes Kahrs [SPD]: Zu welchem Thema halb, weil wir überproportional viele Kinder haben, die reden Sie? Wir sind hier gerade bei der Grund- (B) in bildungsschwächeren und auch in sozial schwächeren gesetzänderung! Sie auch?) (D) Familien geboren werden. Für diese Kinder ist das heute ein großer Tag. Daher bin ich dankbar. – Schauen Sie sich einmal die KoMbO an. Das ist ja ge- nau der Grund. Ich möchte mich ausdrücklich für die sehr gute kolle- giale Zusammenarbeit in dieser wichtigen Frage bei den (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist ein Grund?) Grünen, bei der FDP und natürlich auch bei den Kolle- Hier gibt es intelligentere Lösungen. ginnen und Kollegen der CDU bedanken. Das war eine Zusammenarbeit, wie ich sie mir tatsächlich gewünscht Schlussendlich wollen Sie den Zugang zum Breit- hatte, wie ich sie mir aber nicht vorstellen konnte. Daher band-Universaldienst zu einem erschwinglichen Preis appelliere ich hier an die Länder, über den Schatten zu sichergestellt haben. Sie wollen also der Industrie hohe springen. Wir können es nur gemeinsam schaffen. Wir Investitionen abverlangen und zugleich geringe Einnah- haben heute die Möglichkeit, dem Land einen Ruck nach men diktieren. Welches Unternehmen würde da nicht vorne zu geben. Dafür stehen wir. Beifall klatschen? Da kommt Freude auf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Der schnelle Breitbandausbau, die Flächenversorgung ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE mit LTE und demnächst 5G, den die Regierung immer GRÜNEN) nur scheibchenweise vorantreibt, meine Damen und Her- ren, müssen als Gesamtkonzept angesehen werden. Bitte betrachten Sie es endlich als ganzheitliches Ökosystem Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: für die digitale Infrastruktur in diesem Lande, auch wenn Nächster Redner ist der Kollege Uwe Kamann, AfD. es Ihnen schwerfällt. 2,5 Prozent Glasfaseranschlüsse bei der stationären Breitbandanbindung: Da können wir froh (Beifall bei Abgeordneten der AfD) sein, dass wir nur circa 10 Prozentpunkte hinter den USA liegen – um von den 60 Prozentpunkten hinter Lettland Uwe Kamann (AfD): gar nicht zu sprechen. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- (Beifall bei der AfD) nen und Kollegen! Liebe Besucher! Diese Beschlussde- batte zeigt mir aufgrund der unterschiedlichen Anträge, Ein Blick auf die Eckdaten zum Ausbau des 4G-Net- dass dieses Hohe Haus und die KoMbO noch hohes Op- zes lässt mich für die Ziele, die Sie für das 5G-Netz in Ih- timierungspotenzial zum Thema Digitalisierung haben. rem Strategiepapier aufgeführt haben, nichts Gutes erah- Die digitale Infrastruktur – ich komme auf das Thema der nen. Für Sie mag es das Licht am Ende des Tunnels sein; Grünen zu sprechen – ist ein leidiges Thema für unsere für mich ist es eher ein entgegenkommender Zug. Glau- 7712 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Uwe Kamann (A) ben Sie wirklich, dass man mit dieser bisher vollkommen Wohnraumpolitik auch in den Bundesländern gestalten (C) fehlgeschlagenen Strategie beim 4G-Netz erfolgreich ein kann. 5G-Netz an den Start bringen und damit zum Leitmarkt werden kann? Aber Sie machen weiter wie bisher, frei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nach dem Motto: Ich habe zwar die erste Million nicht geschafft, fange ich halt mal mit der zweiten an. Dass wir in den Bereichen „Bildung, Wohnen, Mobi- lität“ vor großen Herausforderungen stehen, ist, glaube Mit der am Montag vom Beirat beschlossenen Vorlage ich, unbestritten. Deswegen gehen wir mit dieser Än- für den Ausbau des 5G-Netzes werden die angestrebten derung des Grundgesetzes in einen Spagat, nämlich in Zielsetzungen nicht erreicht werden. Die dort aufgeführ- den Spagat zwischen Verantwortlichkeiten: Eigenverant- ten Rahmenbedingungen sind in keinster Weise ambi- wortung von Ländern und Kommunen und Übernahme tioniert, nicht rechtssicher und schon gar nicht wettbe- von Verantwortung durch den Bund. Dieser Spagat muss werbsfördernd. wohlaustariert sein. Ich glaube, mit dem, was wir heute vorlegen, ist uns das – da sage ich auch ein Dankeschön (Beifall bei der AfD) an die Kolleginnen und Kollegen von FDP und Grünen, Der von den Konzernen bereits angekündigte juris- die mitverhandelt haben – doch ganz sinnvoll gelungen. tische Widerstand gegen die Vergaberegelung birgt die große Gefahr, dass der Beginn des 5G-Ausbaus noch in (Zuruf von der AfD: Nein!) weite Ferne rücken kann. Warum nicht querdenken, zum Beispiel mittels einer Public-private-Partnership, die die Wir investieren zukünftig in den sozialen Wohnungs- Investitionskosten auf mehrere Schultern verteilt, eine bau. Ja, hier haben wir einen Bedarf. Hier stellen wir Flächendeckung viel wahrscheinlicher werden lässt und Milliarden bereit. Aber ich möchte da schon auch noch die Nutzung des Netzes durch eine Vielzahl von Anbie- mal an Ecki Rehberg erinnern: Dafür wäre in den Län- tern möglich macht? Hierdurch hätte man Wettbewerb dern schon Geld da gewesen. Man hätte es nur auch dafür und eine hohe Wahrscheinlichkeit, kostengünstige Preise ausgeben müssen; dann hätten wir das Problem jetzt so für unsere Bürgerinnen und Bürger zu erzielen. nicht. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte zum Abschluss noch „Die Zeit“ zitieren, Wir sind bereit, und wir ändern die Förderung und Fi- die treffend titelte: „Kein Anschluss unter dieser Regie- nanzierung über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsge- rung“. setz. Auch hier gilt zunächst einmal die Grundaussage: (B) Der ÖPNV ist Sache der Länder. Wir hatten ihn deshalb (D) Herzlichen Dank. ja auch nicht ohne Grund schon mal begrenzt. Wir öffnen (Beifall bei der AfD) das Ganze. Wir geben ab 2021 1 Milliarde Euro, und wir dynamisieren. Ja, wir wollen Mobilität gewährleis- ten, Mobilität in den Ballungsräumen. Wir wollen Stadt- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: bahnen, U‑Bahnen, S‑Bahnen fördern, weil wir natürlich Ulrich Lange, CDU/CSU, ist der nächste Redner. erkennen, dass diese Leistungen bei Ausbau und Neubau nicht vor Ort geleistet werden können. Da kommen wir (Beifall bei der CDU/CSU) unserer Verantwortung nach. Wir entlasten damit Städte vom Individualverkehr. Wir sorgen für bessere Anbin- Ulrich Lange (CDU/CSU): dungen zu den Arbeitsplätzen. Das ist eine zukunftsge- richtete Verkehrspolitik. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, unsere Aufgabe als Bund ist es, Verantwortung zu über- (Beifall der Abg. Dr. Katarina Barley [SPD]) nehmen. Wir sind auch gerne bereit, diese Verantwortung in einigen Bereichen stärker zu übernehmen, stoßen aber – Danke, Frau Kollegin Barley. derzeit an die Grenzen des Grundgesetzes. Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Än- Nachdem ich diese Debatte ein bisschen verfolgt habe, derungen am Grundgesetz sind immer schwierig, und wir muss ich aber noch zwei, drei Sätze zum Föderalismus müssen damit auch in Zukunft sehr vorsichtig umgehen. sagen. Liebe Kollegen der Linken, Föderalismus ist kei- Es bedarf schon wirklich eines wichtigen Grundes, eine ne Kleinstaaterei. Föderalismus ist Teil unserer Identität Änderung des Grundgesetzes vorzunehmen. Hier kön- und wesentliches Erfolgsmodell unseres Landes in den nen wir einer solchen zustimmen. Wir unterstützen die letzten Jahrzehnten gewesen. Länder. Ich kann jetzt nur an die Länder appellieren, in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – diesem Spagat zu bleiben, diese Unterstützung anzuneh- Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Uns jetzt men und den Bogen auch nicht zu überspannen. Denn zu kritisieren, ist ein bisschen gefährlich für das ist am Ende eine Gemeinschaftsaufgabe – das müs- die Abstimmung!) sen die Länder auch wissen –; es kann nicht immer nur mehr sein. Kein Zentralstaat macht etwas automatisch besser oder angeblich gerechter. Viele erfolgreiche Bundesländer Wir sind stolz auf unseren Föderalismus in Deutsch- zeigen, wie man sehr gute Bildungs-, Infrastruktur- und land. Wir wollen diesen Föderalismus stärken, auch mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7713

Ulrich Lange (A) dieser Änderung. Wir wollen in diesem Föderalismus le- kutieren, und ich weiß auch, wie viel da missverstanden (C) ben, wir, Bund und Länder, wollen ihn gemeinsam leben. wird. Es würde helfen, wenn die Sitze des Bundesrates, der Länder, nicht nur bei solchen Debatten, sondern auch Herzlichen Dank. bei den ersten Lesungen gut besetzt wären; dann hätte (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. man dieses gutgehütete Geheimnis von Anfang an mit- Dr. Karl Lauterbach [SPD] und Katrin Gö- bekommen können. ring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: NISSES 90/DIE GRÜNEN) Johannes Kahrs, SPD, ist der nächste Redner. Ich glaube, dass wir hier gemeinsam als Bund, als (Beifall bei der SPD) Land, als Kommune etwas dafür tun, dass die Bildung in diesem Land besser funktioniert, dass wir hier etwas für den sozialen Wohnungsbau und den Verkehr tun. Das Johannes Kahrs (SPD): ist gute Politik; das ist auch gute sozialdemokratische Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Politik. Deswegen danke ich der Union für ihre Unter- und Kollegen! Ich war vor kurzem in der Ilse-Löwen- stützung. stein-Stadtteilschule bei mir im Wahlkreis. Wir haben über das Thema „Digitalisierung, Netze“ diskutiert und Vielen Dank. darüber, wie man das Ganze gemeinsam hinkriegt. Das (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eckhardt Verständnis der Frage, wer jetzt wofür zuständig ist, war Rehberg [CDU/CSU]) relativ unausgeprägt. Der Wunsch, dass es funktionieren- de Strukturen, Netze, IT in den Schulen gibt, war hin- gegen ausgeprägt. Es ist eben so, dass wir in Hamburg Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: auch im Bereich Schulbau sehr weit sind; Olaf Scholz Tankred Schipanski, CDU/CSU, ist der nächste Red- als Bürgermeister sei gedankt. Wir sind da viele Wege ner. gegangen; aber man kann immer besser werden. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU) das Angebot, das der Bundestag den Ländern macht. Wir wollen gemeinsam im Interesse der Wählerinnen und (CDU/CSU): Wähler besser werden. Tankred Schipanski Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) len mit der Änderung des Artikels 104c und der Ergän- zung des Artikels 104b Absatz 2 Satz 5 des Grundgeset- (B) Wir haben das hier in allen Fraktionen unterstützt. Wir (D) zes den kooperativen Föderalismus unserer Verfassung alle wollen mehr Geld ausgeben für Bildung, für Infra- im Bildungsbereich weiterentwickeln. Das hat nicht das struktur und für den sozialen Wohnungsbau. Ich habe der Geringste mit Aushöhlung des Föderalismus zu tun, wie Kollegin Gesine Lötzsch eben versprochen, dass ich sie in dieser Debatte behauptet wurde. kritisiere. Gesine, du hast ja gesagt, dass gerade ihr Lin- ken für sozialen Wohnungsbau steht. Das freut uns. Dann Was hier auch behauptet wurde: Es gibt ein Koopera- müsstet ihr ihn in Berlin aber auch fördern und nicht lau- tionsverbot. – Meine Damen und Herren, dies kennt die fend verhindern. Verfassung nicht; das ist eine falsche Tatsachenbehaup- tung, die hier immer wieder wiederholt wird. Wir haben (Beifall bei Abgeordneten der SPD und ein Bundesstaatsprinzip. Daraus ergibt sich ein Koopera- der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE tionsgebot, und wir kooperieren auch sehr aktiv. LINKE]: Machen wir auch!) Unsere Verfassung kennt klare Zuständigkeiten und Wir haben seit Anbeginn dieser Debatte hier im Deut- Verantwortlichkeiten. Für den Bildungsbereich sind das schen Bundestag immer gefordert, dass es die Zusätz- die Länder. Das heißt, die Länder tragen nicht nur für die lichkeit geben muss, dass Bund und Länder die Frage Bildungsinhalte Verantwortung, sondern insbesondere gemeinsam angehen. Ecki, keiner will das allein dir in auch für die Finanzierung von Infrastruktur und Lehrper- die Schuhe schieben. Das waren wir schon gemeinsam; sonal. das muss man eben sagen. Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle auch bei Anja Hajduk, Otto Fricke und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gesine Lötzsch bedanken; wir haben das im Haushalts- Dafür, meine Damen und Herren, haben die Länder aus- ausschuss und in den Fraktionen gemeinsam so bespro- reichend Finanzmittel. Ecki Rehberg hat das deutlich chen. Das haben wir auch nicht überfallartig getan, son- gemacht; die Sachverständigenanhörung am 8. Oktober dern wir haben von Anfang an immer wieder betont, dass im Haushaltsausschuss hat das deutlich gemacht, und das wir als Bundestag das, was der Bundesrechnungshof vor- zeigt auch die Milliardenentlastung der Länder beim neu- geschlagen hat, nämlich den Maßstab der Zusätzlichkeit en Bund-Länder-Finanzausgleich ab 2020. und die Stärkung der Steuerungs- und Kontrollrechte des Bundes, ernst nehmen, umsetzen und mit einbringen. Da Wir schaffen durch diese Verfassungsänderung heute bin ich Olaf Scholz und der Bundesregierung dankbar, keine neuen Zuständigkeiten oder Verantwortlichkei- dass sie das mit aufgenommen haben, dass sie den Bun- ten, sondern wir ändern das Grundgesetz im Bereich der destag in dieser Frage mitgenommen haben. Ich weiß, Finanzverfassung; dort sind die Artikel 104b und 104c Olaf, wie schwierig es ist, das mit den Ländern zu dis- systematisch beheimatet. Wir konkretisieren mit dieser 7714 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Tankred Schipanski (A) Änderung die Möglichkeit des Bundes, befristet Finanz- diesem Platz aus in die Landesregierungen hinein berich- (C) hilfen an die Bundesländer und die Gemeinden zu geben, tet wird, wie die politische Position des Bundes in diesen und wir führen dazu neue Tatbestandsmerkmale ein, die Fragestellungen ist. den Anwendungsbereich klar begrenzen. Es herrscht ein breiter Konsens in diesem Haus, dass Artikel 104c in der nun vorgeschlagenen Fassung es nicht sein kann, dass der Bund Finanzhilfen gewährt sagt: Wir geben die Finanzhilfen nur, wenn es um die Si- und sich die Bundesländer mit ihrem Finanzierungsanteil cherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit im dann zurückziehen. Der Bund hat verschiedene Erfah- Bildungswesen geht. – Die Gesetzesbegründung macht rungen mit der Kreativität der Länder in unserem föde- deutlich, was wir hierunter verstehen. Die Qualitäts- und ralen System gemacht, wenn es um Finanzhilfen, Ent- Bildungsstandards wurden angesprochen. Ich glaube, da lastungen, Mitfinanzierungssachen geht, und daher legen brauchen wir als Union keine Belehrung vonseiten der wir auf dieses Zusätzlichkeitskriterium äußersten Wert. FDP. Das ist eine seit langem erhobene Forderung der Wir konkretisieren damit das föderale Miteinander und Union im Bund und in den Ländern. Wir haben im Ko- die gelebte Verfassungswirklichkeit in unserer Bundes- alitionsvertrag den Bildungsrat vereinbart, in dem Bund republik. und Länder diese Standards gemeinsam ausarbeiten wer- Ich bitte die Mitglieder des Bundestages, aber auch des den. Bundesrates herzlich, dieser Verfassungsänderung zuzu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stimmen. Bitte ohne Vermittlungsausschuss! Machen Sie den Weg frei für den DigitalPakt Schule! Machen Sie den Das zweite neue Tatbestandsmerkmal wird sein, dass Weg frei für digitale Bildung in Deutschland! wir nicht nur bei Investitionen helfen können, sondern auch – sehr eingeschränkt – im Bereich der Kosten. Ich Vielen Dank. will sehr deutlich machen, dass dieser Kostenbegriff sehr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- eng zu verstehen ist. Das ergibt sich aus der systemati- ordneten der SPD) schen Auslegung mit Blick auf Artikel 104a Absatz 1 und Absatz 5 des Grundgesetzes so wie auch aus der Geset- zesbegründung. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem letz- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten Redner in dieser Debatte das Wort erteile, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen und die Gespräche einzustellen. Wir ziehen mit der vorgeschlagenen Änderung von Artikel 104b ganz klare Grenzen. Die Finanzhilfen müs- Jetzt hat das Wort der Kollege Alois Rainer, CDU/ (B) sen befristet sein. Von daher sind die Behauptungen, die CSU. (D) hier gemacht wurden, dass wir unbefristet in Personal in- vestieren, schlichtweg falsch. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Alois Rainer (CDU/CSU): Die Finanzhilfen müssen des Weiteren zusätzlich sein, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und zwar aufgebracht im Verhältnis 50 : 50 zwischen Kollegen! Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch- Bund und Ländern. Was in den Länderanteil hineinzu- land wurde der Föderalismus als staatliches Organisati- rechnen ist, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung. onsprinzip verfassungsrechtlich verankert. Besonders im Mittelpunkt steht dabei auch die Kooperation zwischen Für den DigitalPakt Schule will ich festhalten: Wir dem Bund und den Ländern. Auch ist unsere Verfassung schaffen eine Übergangsregelung. Wir haben hier die kein System und kein Gesetz, das man ständig anpassen „90 : 10“-Finanzierung. Lassen Sie mich klarstellen: sollte – wenn, dann soll man besonnen und mit Weitsicht Änderungen mit Blick auf die Ausgestaltung des Digital- an die Änderungen herangehen. Ich möchte daher an die- Pakts auch beim Finanzierungsanteil wird es nicht geben. ser Stelle ausdrücklich den Gedanken der Kooperation zwischen Bund und Ländern hervorheben. Wir müssen die Grundgesetzänderung für diese Fi- nanzhilfen also im Gesamtpaket von Artikel 104b und Mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung des 104c betrachten. Nur so führt das zu einem sinnvollen Grundgesetzes ebnen wir nun den Weg für eine Auswei- Ergebnis. tung der Mitfinanzierungsmöglichkeiten des Bundes bei Aufgaben in Trägerschaft von Ländern und Kommunen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie- Unter anderem betrifft das zum Beispiel die Digitalisie- ßend noch etwas mit Blick auf die Bundesratsbank sa- rung im Schulbereich. Hierbei handelt es sich um eine gen. Ich kann die Überraschung der Bundesratsmitglie- Herausforderung, die Länder und Kommunen unter opti- der mit Blick auf das Kriterium der Zusätzlichkeit nicht malen Finanzbedingungen und den derzeitigen ökonomi- nachvollziehen. Ecki Rehberg hat es gesagt: Wir haben schen Gesichtspunkten durchaus allein hätten meistern das in der Anhörung ausgiebig erörtert, und wir haben in können. diesem Hohen Hause in jeder Debatte, die den kooperati- ven Föderalismus betroffen hat, dazu gesprochen, ob das Trotz dieses erfreulichen Zustandes ist es uns beson- Haushaltsdebatten, Bildungsdebatten oder Baudebatten ders wichtig, gerade im Wohnungsbau und im Bildungs- waren. Die Vertreter des Bundesrates haben hier im Haus wesen zu unterstützen. Daher begrüßen wir grundsätzlich ihren eigenen Platz, und ich gehe davon aus, dass von den Ansatz unserer Bundesbildungsministerin, den Län- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7715

Alois Rainer (A) dern und Kommunen mit dem DigitalPakt in den kom- gesetzes – das sind die Artikel 104c, 104d, 125c, 143e – (C) menden fünf Jahren 5 Milliarden Euro zur Verfügung zu auf der Drucksache 19/3440. stellen. Das ist ein wichtiges Signal für Eltern und Schul- kinder, aber auch für Länder und Kommunen. Es liegen zur Abstimmung mehrere Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor.1) Gleichzeitig ist es aber gut, dass mit der vereinbar- ten Formulierung sichergestellt wird, dass die Länder Der Haushaltsausschuss empfiehlt unter Buchsta- mindestens die Hälfte der öffentlichen Investitionen im be a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksa- jeweiligen Investitionsbereich selbst tragen. Das heißt, che 19/6144, den Gesetzentwurf der Bundesregierung wenn der Bund die Länder durch Finanzhilfen unter- in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte dieje- stützt, müssen die Länder mindestens die Hälfte zur nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung Mitfinanzierung in dem entsprechenden Förderbereich zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt beisteuern und können sich nicht ihrer Verantwortung dagegen? – Wer enthält sich? – Soweit es bei dieser et- entziehen. Damit verankern wir den für die Union wich- was unübersichtlichen Lage festzustellen ist, hat die AfD tigen Punkt der Zusätzlichkeit fest im Grundgesetz. dagegengestimmt. Die übrigen Fraktionen haben dafür- gestimmt – bei einigen Enthaltungen. Dann ist der Ge- Gleichwohl einigten wir uns darauf, dass die Bun- setzentwurf in zweiter Beratung angenommen. desunterstützung im Bildungsbereich weiterhin zeitlich befristet bleibt, während das Kooperationsverbot nicht Wir kommen damit zur angefasst wird und damit bestehen bleibt. dritten Beratung Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Länder und Kommunen investieren circa 130 Milliarden Euro und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur im Jahr in die Bildung. Wenn wir jetzt wieder mithelfen Annahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit von zwei mit 5 Milliarden Euro bei der Digitalisierung, ist das in Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestags erfor- Ordnung und beileibe keine Aufgabe, die unter das Stich- derlich ist. Das sind mindestens 473 Stimmen. wort „Kooperationsgebot“ fällt. Es ist uns klar: Bei der Digitalisierung geht es auch um die Mitfinanzierung von Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich Systemadministratoren. Wenn wir bei der Ausbildung ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die von Lehrerinnen und Lehrern, die in dieser Angelegen- vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an heit tätig sind, mithelfen, ist das auch noch in Ordnung. den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich Aber darüber hinaus sehen wir in diesem Gesetzentwurf die namentliche Schlussabstimmung über den Gesetzent- (B) (D) keine Möglichkeit, Kosten zu übernehmen. Meine Da- wurf. men und Herren, es ist und bleibt weiterhin so: Bildung ist Ländersache. Vizepräsidentin Claudia Roth: Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Wor- Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es noch jeman- te zum Föderalismus sagen. Viele von Ihnen wissen: den, der oder die nicht abgestimmt hat? – Ich glaube, Ich bin ein großer Freund des Föderalismus in unserem niemand regt sich auf. Dann gehe ich davon aus, dass Land. Wir unterstützen die Länder und die Kommunen die Kolleginnen und Kollegen abgestimmt haben. Ich sehr gerne. Hier und heute schaffen wir nun eine weitere schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- Regelung zur Unterstützung der Länder und Kommunen, nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2) der im Bundesrat noch zugestimmt werden muss. Aber Alle anderen bitte ich, Platz zu nehmen, weil jetzt weite- ich finde, meine sehr verehrten Damen und Herren, nun re Abstimmungen folgen. muss es einmal gut sein. Wir brauchen auch als Bund die Luft, um atmen zu können, und den Spielraum für die Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/6169 ab. Wer Es gäbe viele Dinge, über die man hier sprechen könnte. stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Ich freue mich, dass heute eine große Mehrheit in diesem sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zuge- Haus dieser Grundgesetzänderung zustimmen wird, und stimmt hat die Fraktion Die Linke, dagegen waren die hoffe auf einen positiven Ausgang im Bundesrat. Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ Vielen herzlichen Dank. CSU, FDP und AfD.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Zusatzpunkt 2 b. Wir setzen die Abstimmungen zur ordneten der SPD) Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 19/6144 fort.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Damit schließe ich die Aussprache.

1) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz- Anlagen 2 und 3 entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Grund- 2) Ergebnis Seite 7716 D 7716 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Fraktion der AfD auf Drucksache 19/4543 mit dem Titel Dritte Beratung (C) „Bildungsföderalismus stärken“. Wer stimmt für diese und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe- tungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenom- ben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der men. Zugestimmt haben die Fraktionen von FDP, CDU/ Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und der Linken. Die Fraktionen von FDP, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grü- Gegenstimmen kamen von der Fraktion der AfD. nen, SPD und der Linken. Enthalten hat sich die Fraktion (Unruhe) der AfD. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Tagesordnungspunkt 10 b. Abstimmung über die Be- – Es wäre echt super, wenn Sie draußen reden würden. schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und Das gilt für alle, auch für die Ministerin. Es ist wirklich digitale Infrastruktur auf Drucksache 19/6142. Der Aus- nervig. Wir wollen hier abstimmen. schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Die schämen nen auf Drucksache 19/5306 mit dem Titel „Breitband sich gar nicht! Das ist doch keine Milchkanne für alle – Digitale Infrastruktur flächendeckend ausbau- hier!) en“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Be- Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- schlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben fiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktionen der FDP die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Die und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/4556 mit Gegenstimmen kamen von der Linken und von Bünd- dem Titel „Bessere Bildung durch einen modernen Bil- nis 90/Die Grünen. dungsföderalismus“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Ich rufe den nächsten Tagesordnungspunkt auf, und zwar Tagesordnungspunkt 5: (Saskia Esken [SPD]: Sogar die AfD stimmt zu!) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jimmy Schulz, Stephan Thomae, Renata Alt, weiterer Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Wer beteiligt Abgeordneter und der Fraktion der FDP sich nicht? Recht auf Verschlüsselung – Privatsphäre und Sicherheit im digitalen Raum stärken (Heiterkeit) (B) Drucksache 19/5764 (D) Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Tagesordnungspunkt 25 c. Abstimmung über die Be- Ausschuss Digitale Agenda (f) schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz schung und Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Ausschuss für Wirtschaft und Energie Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kooperationsverbot Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung in der Bildung vollständig aufheben“. Der Ausschuss Federführung strittig empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- chen 19/6143 und 19/6172, den Antrag der Fraktion Die Dafür sind 60 Minuten vorgesehen. Ich gehe davon Linke auf Drucksache 19/13 abzulehnen. Wer stimmt für aus, dass Sie damit einverstanden sind. – Dann ist das so diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – beschlossen. Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange- Bevor ich den ersten Redner aufrufe, möchte ich Ih- nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, nen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern CDU/CSU, FDP und AfD. Dagegengestimmt hat die ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstim- Fraktion der Linken. Enthalten haben sich Bündnis 90/ mung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung Die Grünen. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgeset- zes“ bekannt geben. Mitgliederanzahl in unserem Haus – Tagesordnungspunkt 10 a. Wir kommen nun zur Sie wissen, wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit – Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- 709. Abgegebene Stimmen 670. Mit Ja haben gestimmt gebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung des Sonder- 580 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt vermögens „Digitale Infrastruktur“. Der Haushaltsaus- 87 Kolleginnen und Kollegen, 3 haben sich enthalten. schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Für die Annahme des Gesetzentwurfs ist gemäß Arti- Drucksache 19/6139, den Gesetzentwurf der Bundesre- kel 79 Absatz 2 des Grundgesetzes die Zustimmung von gierung auf Drucksache 19/4720 anzunehmen. Ich bitte zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, erforderlich. Das wären 473 Stimmen. Wir hatten 580 Ja- um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- stimmen. Damit ist der Gesetzentwurf mit der erforderli- hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- chen Zweidrittelmehrheit angenommen. ratung angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen der Linken, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, CSU und FDP. Dagegen war niemand. Enthalten hat sich der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE die Fraktion der AfD. GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7717

(A) Endgültiges Ergebnis Dr . Thomas Gebhart Eckhardt Rehberg (C) Abgegebene Stimmen: 668; Ulrich Lange davon Dr. Silke Launert Johannes Röring ja: 578 Ursula Groden-Kranich Dr. Norbert Röttgen nein: 87 Hermann Gröhe Dr. enthalten: 3 Klaus-Dieter Gröhler Dr. Erwin Rüddel Michael Grosse-Brömer Dr. Ja Astrid Grotelüschen Anita Schäfer (Saalstadt) Markus Grübel CDU/CSU Andrea Lindholz Dr . Wolfgang Schäuble Dr. Stephan Albani Norbert Maria Altenkamp Monika Grütters Nikolas Löbel Tankred Schipanski Fritz Güntzler Dr. Olav Gutting Dr. Jan-Marco Luczak Christian Schmidt (Fürth) Christian Haase Nadine Schön Dorothee Bär Jürgen Hardt Yvonne Magwas Matthias Hauer Dr . Thomas de Maizière Dr. Klaus-Peter Schulze (Börde) Dr. Dr . (Weil am Rhein) Dr . André Berghegger Hans-Georg von der Marwitz Torsten Schweiger () Christoph Bernstiel (Altötting) Dr. Dr. Patrick Sensburg Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Dr. Mathias Middelberg Björn Simon (B) (D) Dietrich Monstadt Dr. Alexander Hoffmann Karsten Möring Michael Brand (Fulda) Katrin Staffler Dr. Dr. Silvia Breher Erich Irlstorfer Dr. Gerd Müller Dr . Wolfgang Stefinger Sebastian Brehm Axel Müller Andreas Jung Sepp Müller Ralph Brinkhaus Carsten Müller Dr. Carsten Brodesser (Braunschweig) Peter Stein (Rostock) Stefan Müller (Erlangen) Christian Frhr. von Stetten Torbjörn Kartes Dr. Dr. Stefan Kaufmann Marie-Luise Dött Dr . Georg Nüßlein Hansjörg Durz Michael Kießling Dr . Florian Oßner Michael Stübgen Hermann Färber Josef Oster Dr . Hermann-Josef Tebroke Uwe Feiler Hans-Jürgen Thies Alexander Throm Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Land) Carsten Körber Dr. Alexander Krauß Dr. Christoph Ploß Dr . Volker Ullrich Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Günter Krings Thomas Rachel (Hof) Rüdiger Kruse Michael Kuffer Alexander Radwan (Kleinsaara) Hans-Joachim Fuchtel Dr. Roy Kühne Alois Rainer Christoph de Vries Ingo Gädechens Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Dr. 7718 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Metin Hakverdi (C) Sebastian Hartmann Andreas Rimkus Nicola Beer Dr. h. c. (NUACA) Albert H. Dirk Heidenblut Sönke Rix Dr. Jens Brandenburg Weiler (Peine) (Rhein-Neckar) (Hamburg) Gabriela Heinrich Dr. Martin Rosemann Mario Brandenburg Dr . Anja Weisgerber René Röspel (Südpfalz) Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Barbara Hendricks Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Marco Buschmann Sabine Weiss (Wesel I) Gustav Herzog Michael Roth (Heringen) Gabriele Hiller-Ohm Susann Rüthrich Carl-Julius Cronenberg Marian Wendt Bernd Rützel Britta Katharina Dassler Sarah Ryglewski Bijan Djir-Sarai Annette Widmann-Mauz Johann Saathoff Christian Dürr Bettina Margarethe Axel Schäfer (Bochum) Wiesmann Oliver Kaczmarek Dr. Nina Scheer Dr. Klaus-Peter Willsch Johannes Kahrs Daniel Föst Elisabeth Winkelmeier- Udo Schiefner Otto Fricke Becker Ralf Kapschack Dr. Thomas Hacker Katrin Helling-Plahr Markus Herbrand Ulrich Kelber (Aachen) Paul Ziemiak Cansel Kiziltepe Dagmar Schmidt (Wetzlar) Dr. Arno Klare Carsten Schneider (Erfurt) Manuel Höferlin Johannes Schraps Dr. Christoph Hoffmann SPD Dr. Bärbel Kofler Ingrid Arndt-Brauer Dr. Manja Schüle Heike Baehrens Ursula Schulte Ulrike Bahr Christine Lambrecht Dr. Katarina Barley Christian Lange (Backnang) (Spandau) Dr. Doris Barnett Dr. Karl Lauterbach Frank Schwabe Thomas L. Kemmerich Dr. Matthias Bartke Helge Lindh (B) Sören Bartol Burkhard Lischka (D) Dr. Bärbel Bas Kirsten Lühmann Rita Schwarzelühr-Sutter Lothar Binding (Heidelberg) Heiko Maas Pascal Kober Leni Breymaier Dr. Lukas Köhler Dr. Karl-Heinz Brunner Martina Stamm-Fibich Carina Konrad Christoph Matschie Sonja Amalie Steffen Martin Burkert Hilde Mattheis Mathias Stein Dr. Lars Castellucci Dr. Matthias Miersch Kerstin Tack Alexander Graf Lambsdorff Bernhard Daldrup Klaus Mindrup Susanne Mittag Michael Thews Dr. Daniela De Ridder Christian Lindner Markus Töns Dr. Karamba Diaby Carsten Träger Claudia Moll (Heilbronn) Sabine Dittmar Siemtje Möller Marja-Liisa Völlers Dr . Wiebke Esdar Detlef Müller (Chemnitz) Dirk Vöpel Saskia Esken Michelle Müntefering Dr . Jürgen Martens Dr. Rolf Mützenich Bernd Westphal Dr. Johannes Fechner Dietmar Nietan Alexander Müller Dr. Ulli Nissen Roman Müller-Böhm Gülistan Yüksel Dagmar Freitag Frank Müller-Rosentritt Sigmar Gabriel Josephine Ortleb Dr. Mahmut Özdemir (Duisburg) Stefan Zierke (Lausitz) Martin Gerster Aydan Özoğuz Dr. Jens Zimmermann Angelika Glöckner FDP Dr. Sabine Poschmann Grigorios Aggelidis Dr . h. c. Michael Groß Renata Alt Christian Sauter Uli Grötsch (Minden) Christine Aschenberg- Dr . Wieland Schinnenburg Dugnus Jimmy Schulz Rita Hagl-Kehl Dr. Matthias Seestern-Pauly Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7719

(A) Frank Sitta Oliver Krischer Joana Cotar (C) Cornelia Möhring Stephan Kühn (Dresden) Dr. Gottfried Curio Dr. Hermann Otto Solms Niema Movassat Christian Kühn (Tübingen) Bettina Stark-Watzinger Norbert Müller (Potsdam) Renate Künast Thomas Ehrhorn Dr. Marie-Agnes Strack- Zaklin Nastic Markus Kurth Berengar Elsner von Gronow Zimmermann Dr . Alexander S. Neu Dr. Sven Lehmann Peter Felser Katja Suding Linda Teuteberg Sören Pellmann Dr . Dr . Michael Theurer Dr. Stephan Thomae Tobias Pflüger Claudia Müller Dr. Götz Frömming Beate Müller-Gemmeke Dr. Dr . Florian Toncar Dr. Konstantin von Notz Dr . Axel Gehrke Dr . Eva-Maria Schreiber Albrecht Glaser Dr. Petra Sitte Friedrich Ostendorff Franziska Gminder Johannes Vogel (Olpe) Helin Cem Özdemir Friedrich Straetmanns Kay Gottschalk Nicole Westig Dr . Kirsten Tackmann Filiz Polat Armin-Paulus Hampel Tabea Rößner Mariana Iris Harder-Kühnel Claudia Roth (Augsburg) DIE LINKE Dr. Manuela Rottmann Dr. Dr . Corinna Rüffer Doris Achelwilm Harald Weinberg Ulle Schauws Gökay Akbulut Martin Hebner Katrin Werner Dr. Gerhard Schick Udo Theodor Hemmelgarn Sabine Zimmermann Dr. Dr. Dietmar Bartsch Lars Herrmann (Zwickau) Stefan Schmidt Lorenz Gösta Beutin Kordula Schulz-Asche Matthias W. Birkwald Karsten Hilse BÜNDNIS 90/ Dr . Wolfgang Strengmann- DIE GRÜNEN Kuhn Dr. Bruno Hollnagel (B) Christine Buchholz Luise Amtsberg Margit Stumpp (D) Leif-Erik Holm Birke Bull-Bischoff Jörg Cezanne Lisa Badum Jürgen Trittin Sevim Dağdelen Annalena Baerbock Dr . Uwe Kamann Fabio De Masi Margarete Bause Daniela Wagner Dr. Dr. Beate Walter-Rosenheimer Anke Domscheit-Berg Canan Bayram Agnieszka Brugger Fraktionslos Jörn König Susanne Ferschl Dr . Anna Christmann Marco Bülow Brigitte Freihold Ekin Deligöz Steffen Kotré Dr. Rainer Kraft Katja Dörner Nein Nicole Gohlke Katharina Dröge Rüdiger Lucassen Dr. CDU/CSU Dr . André Hahn Dr. Hans-Jürgen Irmer Heike Hänsel Kai Gehring Jens Maier Sylvia Pantel Matthias Höhn Dr . Birgit Malsack- Albert Rupprecht Ulla Jelpke Katrin Göring-Eckardt Winkemann Dr . Dietlind Tiemann Kerstin Kassner Corinna Miazga Dr . Achim Kessler Anja Hajduk AfD Britta Haßelmann Volker Münz Jan Korte Dr . Anton Hofreiter Dr. Bernd Baumann Sebastian Münzenmaier Marc Bernhard Caren Lay Dieter Janecek Dr. Kirsten Kappert-Gonther Peter Boehringer Ralph Lenkert Uwe Kekeritz Stephan Brandner Jürgen Braun Tobias Matthias Peterka Dr. Gesine Lötzsch Sven-Christian Kindler Marcus Bühl Paul Viktor Podolay Maria Klein-Schmeink Matthias Büttner Jürgen Pohl Pascal Meiser Sylvia Kotting-Uhl Stephan Protschka 7720 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Martin Sichert Dr . Christian Wirth Fraktionslos (C) Martin Erwin Renner Detlev Spangenberg Uwe Witt Mario Mieruch Roman Johannes Reusch René Springer Dr. Frauke Petry Ulrike Schielke-Ziesing Beatrix von Storch Enthalten Dr. Robby Schlund Dr . Alice Weidel Jörg Schneider Dr . CDU/CSU Uwe Schulz Veronika Bellmann Dr . Heiko Wildberg

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der ent- schuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Jetzt kommen wir zum Tagesordnungspunkt 5. Das ein zugeklebter Briefumschlag mit Siegel. In der analo- Wort hat Jimmy Schulz für die FDP-Fraktion. gen wie in der digitalen Welt brauchen wir die gleichen Rechte und Möglichkeiten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der AfD und des (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jimmy Schulz (FDP): Die Privatsphäre im digitalen Raum zu schützen, ist Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- seit 30 Jahren eine Herzensangelegenheit von mir. Mei- legen hier im Saal! Ich begrüße ganz besonders auf der ne Diplomarbeit habe ich vor 20 Jahren als Politikwis- Tribüne meinen Sohn: Herzlich willkommen! senschaftler über das Thema „Kryptografie im Internet“ (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten geschrieben. der CDU/CSU, der SPD, der AfD, der LIN- Das Thema hat mich mein Leben lang verfolgt; denn KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- ich habe noch dieses Klicken im Ohr, dieses Klicken, NEN) wenn sie mitgehört haben. Meine Mutter war Republik- Ich begrüße auch diejenigen, die vergeblich versuchen, flüchtling, sie ist kurz vorm Mauerbau aus der damaligen an Bewegtbildempfängern, Tablets, Computern, Smart- DDR geflohen und hat einen Großteil ihrer Familie zu- (B) phones mit der ständig abstürzenden Bundestags-App rückgelassen. Und jedes Mal, wenn wir angerufen haben, (D) diese Debatte zu verfolgen. waren wir uns sicher, dass sie mithören. Jedes Mal wenn wir meine Cousins, Tanten, Onkel, meinen Urgroßvater (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten besucht haben, waren wir uns sicher, dass sie mithören. der AfD) Wir mussten in die Waschküche oder Küche gehen und Jetzt legen mal alle die Federhalter und Hefte beiseite den Wasserhahn aufdrehen, damit wir uns sicher waren, und hören mir gerne zu! dass sie nicht mithören. Ich bin in einer Zeit aufgewach- sen, in der jedes Telefonat von uns abgehört wurde. Dass wir hier die Möglichkeit haben, diese Flure, die- Was macht dieses Abgehörtwerden? Es macht Angst; es se Hallen entlangzulaufen, uns frei in diesem Haus zu macht Angst, frei und offen zu sprechen, seine Meinung bewegen, Teil der Demokratie zu sein – wofür jahrhun- zu äußern, und man hat Angst vor den Folgen von dem, dertelang Menschen gekämpft und ihr Leben gelassen was man gesagt hat. So etwas darf nie wieder passieren. haben, um für diese Kleinigkeiten, Grundrechte, Privat- sphäre, zu kämpfen –, ist ein ungeheures Privileg für uns. (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, einmal Hand aufs Es gibt bereits seit Jahrzehnten Technologien, die Herz: Wer von Ihnen würde seinem besten Freund oder vertrauliche Kommunikation leisten können. Nur, nicht seiner besten Freundin Intima, Geschäftsgeheimnisse jeder kann sie nutzen. Sie sind teilweise kompliziert, teil- an einen Arbeitskollegen, Klatsch und Tratsch an einen weise schwer benutzbar, und das wollen wir mit diesem Parteifreund per Postkarte verschicken, die im Zwei- Antrag, mit diesem Vorschlag ändern. Denn wenn wir felsfall jeder lesen kann? Niemand würde das tun. Das alle Anbieter dazu verpflichten, dass die Standardvari- ist ja schon mal sehr erfreulich. Aber trotzdem tun die ante einer Kommunikation verschlüsselt abläuft, Ende meisten dies, wenn auch häufig nicht bewusst. Denn wir zu Ende, abhörsicher, dann können sich auch diejenigen versenden unverschlüsselte E‑Mails wie Postkarten, die sicher sein, vertraulich zu kommunizieren, die eben nicht im Zweifel jeder mitlesen kann, aus dem Privat-, aus dem die technischen Fertigkeiten haben. Arbeitsleben. Und das gilt auch für die hier beliebten Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verschlüsselung ist Messenger-Systeme. ein fundamentaler Pfeiler für die Gewährleistung unse- In der analogen Welt lässt sich das ganz einfach durch rer Grundrechte. Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes einen Briefumschlag verhindern, in der digitalen Welt besagt, dass das Briefgeheimnis sowie das Post- und durch Verschlüsselungstechnologien. Sie stellen sicher, Fernmeldegeheimnis unverletzlich sind. Dieser Grund- dass nur Sie und Ihr Gesprächspartner den Inhalt einer satz muss auch für die elektronische Kommunikation Nachricht lesen können. Sie fungieren damit quasi wie gelten. Das sagen nicht nur wir, sondern im Übrigen sagt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7721

Jimmy Schulz (A) das auch das Bundesverfassungsgericht. Wir haben ein Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Kommen Sie bitte zum Schluss. Integrität von IT-Systemen, also ein IT-Grundrecht, das insbesondere auch der Staat schützen muss. Deswegen fordern wir Freie Demokraten ein Recht auf Verschlüs- Jimmy Schulz (FDP): selung und wollen, dass Telekommunikations- und Tele- medienanbieter ihre Dienste standardmäßig verschlüsselt Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns nutzt anbieten – von mir aus übrigens auch gerne anonym. Handy, Tablet, Laptop – wir organisieren unser Leben mithilfe von Apps und Programmen. Wir arbeiten digital, Verschlüsselung schützt nicht nur unsere Privatsphä- kommunizieren digital, und genau deswegen geht Ver- re, sondern auch den Wirtschaftsstandort: In den letzten schlüsselung uns alle an. Lassen Sie uns Verschlüsselung Jahren waren laut Studien sieben von zehn Unternehmen stärken, lassen Sie uns unsere Sicherheit, unsere Privat- von Wirtschaftsspionage, Sabotage und Datendiebstahl sphäre und unsere Grundrechte stärken – durch ein Recht betroffen. Laut einer Bitkom-Studie hat das in den letz- auf Verschlüsselung! ten zwei Jahren einen Schaden von 43 Milliarden Euro angerichtet. Verschlüsselung kann helfen, diesen Scha- Vielen, vielen Dank. den einzudämmen, da Datendiebe mit den verschlüssel- ten Daten nichts anfangen können. Verschlüsselungen zu (Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei knacken, ist schwer, und das ist ja auch Sinn und Zweck Abgeordneten der SPD, der AfD, der LIN- der Sache. Seit Jahren gibt es immer wieder Forderun- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- gen, Verschlüsselung zu schwächen, insbesondere im NEN und des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/ Kontext der Strafverfolgung. CSU]) Einige Beispiele: Sicherheitsbehörden entdecken Si- cherheitslücken in IT-Produkten, Software oder erfahren Vizepräsidentin Claudia Roth: über andere Wege davon, geben diese aber nicht an die Vielen Dank, Jimmy Schulz. – Der nächste Redner in betroffenen Unternehmen weiter. Diese Sicherheitslü- der Debatte: Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion. cken können dann von allen möglichen Kriminellen aus- genutzt werden, und das ist das Problem. Das gilt übri- (Beifall bei der CDU/CSU) gens auch für den sogenannten Staatstrojaner, mit dem Sicherheitslücken geheim gehalten werden und der damit eine Gefahr für alle darstellt. Marian Wendt (CDU/CSU): (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (D) der AfD, der LINKEN und des BÜNDNIS- Kollegen! Lieber Herr Schulz, es ist schön, dass wir Sie SES 90/DIE GRÜNEN) wieder hier im Plenum dabei haben. Es ist schön, zu se- hen, dass es Ihnen allmählich besser geht. Hersteller von IT-Produkten sollen Strafverfolgungs- behörden durch Hintertüren Zugang zu IT-Systemen und (Beifall) verschlüsselter Kommunikation gewähren. Das ist nicht nur ein Angriff auf unsere Privatsphäre und Bürgerrechte, Ich muss ehrlich sagen: Als ich den Antrag las, traute sondern auch auf die IT-Sicherheit generell. Sogenannte ich so recht meinen Augen nicht. So wenig passt er doch Backdoors stehen im Zweifelsfall nicht nur dem Staat, aus meiner Sicht zum traditionellen Leitbild der FDP. sondern eben auch Kriminellen offen. Dies wollen wir Da spricht nicht mehr eine linksliberale FDP, welche durch ein Recht auf Verschlüsselung schließen. Sicher- die individuelle Freiheit und Privatsphäre verabsolutiert heitslücken wissentlich zurückzuhalten oder sogar aktiv und jegliche staatliche Einmischung ablehnt. Auf einmal einbauen zu lassen, hat gravierende Folgen für uns alle, soll laut FDP der Staat, insbesondere im Internetbereich, unsere IT-Sicherheit und auch unsere Bürgerrechte. eine übergeordnete Rolle spielen und Kontroll- und sogar Garantiefunktionen übernehmen. Ich war wirklich über- Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, sich rascht. erstens gegen gesetzliche Beschränkungen oder Verbote kryptografischer Sicherungssysteme auszusprechen und Die Liberalen schlagen etwas nebulös ein „Recht auf sich für offene Verschlüsselungsstandards einzusetzen; Verschlüsselung“ vor. Mir stellt sich die Frage, wie und zweitens den Einsatz von Backdoors zu verurteilen und wem gegenüber diese neue Rechtsposition in einem glo- sich nicht an digitalen Grau- oder Schwarzmärkten für balen Netz durchzusetzen ist. Wem gegenüber soll dieser Sicherheitslücken zu beteiligen und drittens Sicherheits- Rechtsanspruch entstehen? Das alles ist aus meiner Sicht lücken unverzüglich an das BSI zu melden, damit diese nicht nur diffus, sondern sieht vor allem nach zusätzli- in Kooperation mit den betroffenen Unternehmen ge- chem bürokratischem und unnötigem Aufwand aus. Ein schlossen werden können. Mehr an Bürokratie – auch das sind neue Töne aus der Die Geschichte der Grundrechte ist eine Geschichte FDP. der Einschränkung dieser Rechte. Das wollen wir jetzt ändern! (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn! – Tabea Rößner (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch der AfD) nicht unnötig!) 7722 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Marian Wendt (A) Dabei ist es gerade die Große Koalition und insbeson- Sie stellen die Sicherheit durch Verschlüsselung in (C) dere die Union, zuständig für das Innenressort, die nach den Vordergrund. Dabei ist vor allen Dingen auch Sicher- wie vor die digitale Sicherheit maßgeblich vorantreiben. heit trotz Verschlüsselung ein Bestandteil der Cybersi- cherheitsdebatte. Denn ja, die Strafverfolgungsbehörden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – müssen unter strengen gesetzlichen Voraussetzungen im Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Einzelfall befugt sein, verschlüsselte Kommunikation zu GRÜNEN]: Schön wär’s!) entschlüsseln und zu umgehen. Das dient unserer Sicher- Bereits die Digitale Agenda 2014-2017 hat das Ziel ver- heit in Deutschland. ankert: Deutschland soll Verschlüsselungsstandort Num- mer eins auf der Welt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Das Beispiel mit der DDR ist natürlich sehr kompli- GRÜNEN]: Aber Sie machen das nicht! – ziert. Ich selber bin 1985 in Torgau in Sachsen geboren. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Durch familiäre Bindungen kenne ich die Eingriffe des NEN]: Das ist eine Lachnummer! – Niema Staatsapparates. Movassat [DIE LINKE]: Aber Sie machen das Gegenteil! – Dr. Konstantin von Notz [BÜND- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ach so! – Jimmy NIS 90/DIE GRÜNEN]: Papier ist geduldig!) Schulz [FDP]: Als Vierjähriger!) Insofern ist es konsequent, dass wir uns im Koalitionsver- Der Vergleich hinkt massiv. Denn wenn bei uns Polizei- trag sehr deutlich für eine elektronische Identifizierung behörden, Strafverfolgungsbehörden in die Rechte der und eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aussprechen. Bürger, in ihre Kommunikation eindringen, dann wird Wir wollen ein Recht auf Verschlüsselung; wir wollen es das kontrolliert, dann brauche ich dazu einen richterli- aber einfach und vor allen Dingen für jedermann verfüg- chen Beschluss, bar machen. Eine verschlüsselte und somit sichere Kom- munikation zwischen Bürgern und Verwaltung ist ganz (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Es geht doch klar unser Ziel. auch um Hacker!) In der Cybersicherheitsstrategie des Innenministeri- dann gibt es dazu parlamentarische Kontrolle, auch in ums spielt das Thema Verschlüsselung eine ganz wich- den Gremien, in denen auch Ihre Kolleginnen und Kolle- tige Rolle. gen sitzen. Deswegen hinkt der Vergleich. Denn bei uns wird jeder Eingriff in die Bürgerrechte kontrolliert und (Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie machen zwar das überwacht – anders als im totalitären System. Gegenteil, aber egal! „Ganz wichtige Rolle“!) (B) (Beifall bei der CDU/CSU – Jimmy Schulz (D) Darin verpflichtet sich die Bundesregierung, spezifische [FDP]: Sie machen das Scheunentor auf, so- Hemmnisse beim Einsatz von Verschlüsselungslösungen dass alle durchgeschoben werden!) zu untersuchen und Initiativen zum Abbau dieser Hemm- nisse zu fördern. Meine Damen und Herren der FDP, Sie Meine Damen und Herren, die digitale Sicherheit ist sehen: Wir streben nach vorn, wir haben bereits viel ge- ein zentrales Thema für uns in der Union, und das fassen leistet; Ihr Antrag war also gar nicht nötig. wir viel weiter und sehen nicht nur die Verschlüsselung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Dr. Alice Weidel [AfD]: Das merken wir! Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie machen nämlich genau das Gegenteil von NEN]: Guter Witz!) dem, was Sie sagen!) Sie sprechen in Ihrem Antrag auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik an – aus meiner Als Präsident der THW-Bundesvereinigung kann ich das Sicht eine Schlüsselbehörde im Bereich der Internetsi- Vorbild der neugeschaffenen Fachgruppe N im THW cherheit. Auch hier sind wir Ihnen voran. Das BSI haben nennen. Bei etwaigem Ausfall kritischer Infrastruktu- wir mit weitreichendsten Kompetenzen im Präventions- ren, beispielsweise durch einen IT-Angriff, kümmert sich und Aufklärungsbereich ausgestattet. Sie wollen das BSI diese schnell und unbürokratisch um die Versorgung und zum Verwalter von IT-Sicherheitslücken herunterqualifi- Behebung der Schäden der Bevölkerung. zieren. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Na klar!) (Jimmy Schulz [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!) Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, fassen wir das Thema viel weiter! Nehmen wir die Bürger, die Verwal- Wir hingegen wollen das BSI als nationale Cybersicher- tung insgesamt mit! Werben wir dafür, dass jeder Einzel- heitsbehörde ausbauen und in seiner Rolle als unabhän- ne stärker auf seine Sicherheit und auf die Informationen, gige, neutrale und nutzerfreundliche Beratungsstelle die er preisgibt, achtet, und beraten wir dies gemeinsam für Fragen der IT-Sicherheit stärken. Zertifizierung und im Ausschuss weiter! Standardisierung, IT-Gütesiegel und Verbraucherschutz sind weitere Themen aus dem Arbeitsportfolio des BSI. Vielen herzlichen Dank. (Beifall des Abg. Dr. Mathias Middelberg (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alice Weidel [CDU/CSU] – Gegenruf des Abg. Mario [AfD]: Staatstrojaner, vor! So ein Quatsch! Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Kraftvoll!) Furchtbar!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7723

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: gien ein Muss. Quantencomputer werden Probleme in (C) Vielen Dank, Marian Wendt. – Nächste Rednerin: einer Geschwindigkeit lösen können, die jeden heutigen Joana Cotar für die AfD-Fraktion. Supercomputer in den Schatten stellt. Viele heute als sicher eingestufte Verschlüsselungssysteme können in (Beifall bei der AfD) Zukunft geknackt werden, und zwar auch rückwirkend. China hat die Chancen und Risiken der Quantentech- Joana Cotar (AfD): nologie längst erkannt; auch die USA sind uns wieder Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! In der meilenweit voraus. Deutschland muss einen ordentlichen heutigen Debatte zum Thema „Recht auf Verschlüsse- Sprint hinlegen, um hier wieder aufzuholen. Stattdessen lung“ geht es um Vertrauen und Freiheit: Vertrauen der geben wir allzu oft den Fußkranken. Bürger in die Digitalisierung, Vertrauen darauf, dass die eigenen Daten geschützt sind, Vertrauen auch darauf, (Beifall bei der AfD) dass die Politik die Freiheit der Bürger nicht mehr und mehr aushöhlt. Im Zeitalter der Digitalisierung, in dem wir über auto- nomes Fahren, über das Internet der Dinge, über E-He- Im Jahr 2008 stellte das Bundesverfassungsgericht alth, über E-Government, über Industrie 4.0 – all die fest, dass der Staat die Vertraulichkeit und Integrität von schönen Schlagwörter, die so gut wie jeder Kollege hier IT-Systemen als Grundrecht zu gewährleisten hat. Die in seine Rede einpflegt – reden, in so einem Zeitalter ist Verschlüsselung von Daten stellt, gemäß dieser Entschei- alles hinfällig ohne die Sicherheit der Daten. Die öffent- dung, eine staatliche Schutzpflicht dar. Ein Nichthandeln liche Verwaltung kann hier mit einem guten Beispiel vo- durch die Bundesregierung kommt damit einer Nichter- rangehen. Dem Vorschlag, dass sie die Verwendung von füllung dieser Pflicht gleich. Verschlüsselungstechnologien fördern soll, können wir (Beifall bei der AfD) gerne folgen. Das kann auch das Vertrauen der Bürger stärken, die völlig zu Recht sehr vorsichtig mit ihren per- Natürlich: Eine hundertprozentige digitale Sicherheit sönlichen Daten umgehen. Denn immer wieder hört und gibt es nicht. Trotzdem muss die Regierung hier eine Vor- liest man von schweren Sicherheitslücken bei Anwen- reiterrolle einnehmen und Anstrengungen unternehmen, dungen, die die Datensicherheit der Bürger bedrohen. die erforderlichen Technologien zu entwickeln, bereitzu- Der Spruch der FDP „Bedenken second“ ist daher nicht stellen und Anwendungen zu unterstützen. Effektive und immer angebracht. Auch ich trete für mehr Innovation, sichere Verschlüsselungstechnologien sind schon seit für eine Änderung der Denkweise ein: Nicht immer nur Jahren auf dem Markt und vielfach erprobt. Ende-zu-En- das Risiko, nicht immer nur die Gefahr sehen, sondern de-Verschlüsselungen sind bereits technischer Standard auch mal eine Chance. Aber in Sachen Datensicherheit, (B) und für die private Kommunikation im Internet der ein- gerade wenn es um private Informationen geht, sollte (D) zig sinnvolle Weg. Das Problem ist die konsequente An- man keine Kompromisse eingehen. Hier geht der Schutz wendung von Verschlüsselungssystemen, und hier hakt der Bürger vor. es. Hier muss mehr passieren. Wir brauchen eine digitale Aufklärung. Wir brauchen den mündigen Nutzer. Hier (Beifall bei der AfD) kann und sollte die Politik mehr leisten. Doch der Bürger muss nicht nur vor den Kriminellen (Beifall bei der AfD) beschützt werden: Leider greift der Staat mehr und mehr Alle Telekommunikationsanbieter nun aber zu ver- in die Freiheitsrechte und die digitale Privatsphäre der pflichten, ihre Kommunikationsdienste Ende-zu-En- Menschen ein. Die Regierung möchte sich gerne soge- de-verschlüsselt anzubieten, liebe FDP, darüber sollten nannte Backdoors offenhalten. Die Industrie soll sich ver- wir noch einmal diskutieren; denn so liberal kommt mir pflichten, in ihre Produkte Hintertüren einzubauen und dieser Vorschlag tatsächlich nicht vor. Ich bin aber völlig diese den Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen, bei Ihnen, wenn es darum geht, gesetzliche Beschränkun- sodass Pkws, Computer oder sogar Unterhaltungs- und gen und Verbote von Verschlüsselungen zu verhindern. Haushaltsgeräte zur umfassenden Überwachung genutzt Denn es ist noch nicht so lange her, da sprachen sich werden können. Politiker in Deutschland gegen Verschlüsselungen aus. Wir erinnern uns an Herrn de Maizière: Der Staat sollte Gleiches gilt für die Zero-Day-Exploits, Schwachstel- allzeit vollen Zugriff auf alle Daten bekommen. – Ein len in IT-Systemen, die die Regierung der Öffentlichkeit interessantes Verständnis von Freiheit, meine Damen und und sogar den Herstellern verschweigen möchte, um sie Herren. Dabei zeigen Sie doch immer so gern mit dem selbst zu nutzen. Der Handel mit solchen Sicherheitslü- Finger auf andere Länder und mahnen zu Demokratie cken ist mittlerweile ein lukratives Geschäft geworden. und zu Moral. Was passieren kann, wenn solche Schwachstellen nicht öffentlich gemacht werden, das haben wir vor kurzem (Beifall bei der AfD) beim „WannaCry“-Erpressungstrojaner gesehen. Dieser Liebe Regierungsparteien, zeigen Sie, dass Sie besser Trojaner hat eine Schwachstelle im Windows-System sind als die Staaten, die Sie ständig kritisieren, und ertei- ausgenutzt und Hunderttausende Rechner befallen. Der len Sie Verschlüsselungsbeschränkungen eine endgültige Schaden wird auf circa 4 Milliarden Dollar geschätzt. Absage! Die NSA wusste von dieser Schwachstelle, und sie hat sie verschwiegen. Gerade auch im Hinblick auf Quantencomputer ist eine Weiterentwicklung der Verschlüsselungstechnolo- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Genau!) 7724 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Joana Cotar (A) Das sollte uns eigentlich Mahnung genug sein, doch Verdächtigen macht, während Überwachungen an ande- (C) nein: Gerade der Kauf, die Entwicklung und die Nutzung ren wichtigen, neuralgischen Stellen völlig fehlen. von solchen Sicherheitslücken durch Strafverfolgungs- (Beifall bei der AfD) und Sicherheitsbehörden werden von der Bundesregie- rung aktuell untersucht. Die AfD fordert die Regierung Freiheit im Netz bedeutet für uns als Alternative noch auf, aus den gemachten Fehlern zu lernen: Sicherheits- mehr. Denn im Deutschland von Merkel und Maas wer- lücken und Schwachstellen sind sofort nach Entdeckung den selbst Meinungen in sozialen Netzwerken kontrol- öffentlich zu machen, Backdoors ist eine Absage zu er- liert und überwacht. Wer falsch denkt, ist schnell ge- teilen. löscht. (Beifall bei der AfD) (Marian Wendt [CDU/CSU]: Wer hetzt, wird gelöscht! Nur der! Wer Fake News verbrei- Wir fordern die Regierung auch auf, sich vehement tet! Hetzen hat nichts mit Meinungsfreiheit zu Bestrebungen der Nachrichtendienste entgegenzustellen, tun!) Spionage-Schnittstellen im Internet zu verankern. Denn was nützen die besten Verschlüsselungssysteme, wenn Das Ergebnis ist eine vorauseilende Selbstzensur, und Behörden mithilfe von Nachschlüsseln jede vertrauliche das bedeutet nichts anderes als eine Einschränkung der Mitteilung und private Nachricht mitlesen können? Meinungsfreiheit. (Beifall bei der AfD) Das Standardisierungsgremium der Internet-Ingenieu- re hat den Vorschlag der Sicherheitsbehörden abgelehnt. Die AfD steht für ein freies Internet ohne Meinungs- Diese wollen jetzt allerdings über das Europäische In- zensur, ohne NetzDG und ohne Upload-Filter. Das stitut für Telekommunikationsstandards gehen und ihre Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit Ideen so doch noch durchbringen. Und wenn die EU ein- muss geschützt werden. Die Gesellschaft und die Bürger mal involviert ist, geht es in der Regel nicht gut aus für in diesem Land haben ein garantiertes Recht darauf. uns Bürger. Vielen Dank. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der AfD) Stimmt doch gar nicht! So ein Quatsch!) Selbstverständlich müssen wir unsere Sicherheitsbe- Vizepräsidentin Claudia Roth: hörden in die Lage versetzen, auch tatsächlich für unse- Vielen Dank, Kollegin Cotar. – Nächster Redner: ren Schutz zu sorgen, gerade in Zeiten des weltweiten Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion. (B) (D) und aktiven Terrorismus. Eingriffe des Staates in die (Beifall bei der SPD) Rechte der Bürger dürfen aber nur bei unabweisbarer Notwendigkeit und unter richterlicher Kontrolle erfol- gen. Das heißt nicht, dass der Staat jeden Bürger bis ins Sebastian Hartmann (SPD): kleinste Detail ausspionieren darf. Und warum sollen für Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegin- Zugriffe in der digitalen Welt andere, geringere Anforde- nen und Kollegen! Die Frage der Verschlüsselung unse- rungen gelten als in der analogen? Nicht alles, was mög- rer digitalen Kommunikation ist sehr zentral. Tatsächlich lich ist, sollte man auch machen. haben wir Bürgerinnen und Bürger ein Grundrecht auf si- chere Kommunikation; Artikel 10 Grundgesetz ist schon (Beifall bei der AfD) erwähnt worden. Wir müssen darauf vertrauen können, dass dieses Grundrecht auch im Internet und bei neuen Apropos „nicht machen“: Zur digitalen Jagd zu blasen Anwendungen gewahrt und geschützt wird. Aber auch und Dieselfahrer per Massenüberwachung besser zu kon- die Wirtschaft braucht eine sichere und vertrauensvolle trollieren und zu verfolgen als so manchen Verbrecher in Kommunikation, um sich vor allen Dingen vor Wirt- diesem Land: ganz dumme Idee, Herr Scheuer! schaftskriminalität zu schützen. (Beifall bei der AfD) Ich erinnere daran, was wir zu Beginn dieser neuen Koalition gesagt haben, nämlich dass wir in dieser Regie- Die AfD sagt ganz klar Nein zu einer solch anlasslosen rungskoalition anders arbeiten werden. Das gilt auch für Überwachung aller Pkws und Nein zu den Träumen eines unser Verhältnis zu den sogenannten Oppositionspartei- solchen Überwachungsstaates. en. Deswegen gehört es sich als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, auch deutlich zu sagen: Dies ist ein sehr (Beifall bei der AfD) guter Antrag. Es ist ein sehr gutes Thema, das von der Liebe Bundesregierung, werden Sie sich Ihrer Verant- FDP und Ihnen, lieber Herr Kollege Schulz, aufgerufen wortung bewusst! Schützen Sie Ihre Bürger, und lassen worden ist. Das verdient eine vernünftige, konstruktive Sie ihnen gleichzeitig die Freiheit, die sie brauchen und Beratung im Innenausschuss. die in einer Demokratie selbstverständlich ist! Eine frei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heitliche Gesellschaft braucht die Privatheit. der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Die AfD steht für vernünftigen Datenschutz und den Schutz der Bürger. Wir wehren uns gegen eine flächen- Ich möchte aber auch klar sagen, um jetzt nicht der Ge- deckende Überwachung, die alle Bürger zu potenziellen fahr der Gleichmacherei zu erliegen, dass wir das auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7725

Sebastian Hartmann (A) ganz anders von der FDP kennen. Ich denke nur an das Weg alle Anstrengungen unternehmen, liebe Kolleginnen (C) verkorkste Polizeigesetz in Nordrhein-Westfalen, dessen und Kollegen. erster Entwurf schon so verfassungswidrig gewesen war, dass er zurückgezogen werden musste. (Beifall bei der SPD)

(Konstantin Kuhle [FDP]: Ich dachte, ihr Wir wollen die Verbreitung sicherer Produkte und stimmt zu! – Christian Lindner [FDP]: Stimmt des Entwicklungsprinzips „Security by Design“ fördern. Herr Kutschaty da nicht zu? – Konstantin Auch das haben wir im Koalitionsvertrag festgeschrie- Kuhle [FDP]: Ruft mal in Niedersachsen an! ben; denn wir können nicht immer darauf vertrauen, dass Fragt mal, was Pistorius macht!) jedes Unternehmen eine eigene große, selbstständige IT-Abteilung hat, auch wenn wir das gerne einfordern. – Der getroffene Hund scheint heute Morgen laut zu bel- Aber insbesondere im Verhältnis zu den Bürgerinnen und len, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Bürgern müssen wir dafür sorgen, dass sie in die Lage versetzt werden, Sicherheitstechnologien auch anzuwen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian den. Das BSI – es ist schon erwähnt worden – hat dem Lindner [FDP]: Herr Kutschaty ist da weiter Gedanken des Verbraucherschutzes Rechnung zu tragen als Sie!) und hat auch eine Bedeutung, wenn es darum geht, Bür- gerinnen und Bürger auf sichere Verschlüsselungstech- Hier vielleicht der Brückenbau zur FDP: Halten wir nologien vorzubereiten. es doch gemeinsam mit Willy Brandt: Im Zweifel für die Freiheit! Ich freue mich als Abgeordneter des Rhein-Sieg- Kreises, dass auch der wichtige Standort Bonn/Rhein- Die Digitalisierung kann also ein Mehr an Freiheit, Sieg durch BSI und Bundesdatenschutzbeauftragten Transparenz und sozialem Fortschritt bedeuten. Darum ordentlich gestärkt wurde. Auch das ist eine Investition haben wir als Politik den Auftrag, dieses Feld gemein- in unsere Sicherheit, die dadurch zum Ausdruck kommt, sam in unserem Land zu gestalten. Schauen wir uns aber dass wir entsprechende Stellen und Haushaltsmittel zur die Wahlprogramme zur letzten Bundestagswahl an, so Verfügung stellen. Das haben wir als neue Koalition in sehen wir, dass bei der CDU das Wort „Verschlüsselung“ diesem Hause auf den Weg gebracht, liebe Kolleginnen genau null Mal vorkam. Bei der CSU kam dieses Wort und Kollegen. nur dann vor, wenn es darum ging, Nachrichtendiensten Zugriff auf die verschlüsselte Kommunikation zu gewäh- (Beifall bei der SPD) ren. Die SPD hat sich bei diesem Thema wieder einmal Es geht uns darum, technischen und wirtschaftlichen (B) durchgesetzt und wesentliche Teile des Koalitionsvertra- Fortschritt zu gestalten. Wenn wir Kommunikation ver- (D) ges hierzu geschrieben. Und das bedeutet, dass wir die schlüsseln wollen, so ist unser Anspruch, dass IT-Sicher- Verschlüsselung der Ende-zu-Ende-Kommunikation, die heit made in Germany zu einem wichtigen Standort- und Verschlüsselung von Anfang bis Ende, durchsetzen, nicht Wettbewerbsvorteil für Deutschland werden wird. Dieser nur im öffentlichen Bereich, sondern auch im privaten. Anspruch bedeutet, dass Investitionen in die Forschung Dafür wollen wir als Staat alles Erforderliche tun, liebe in diesem Bereich bei uns stattfinden müssen; ich habe Kolleginnen und Kollegen. meine Heimatregion Bonn/Rhein-Sieg schon angespro- chen. Es ist eine Investition in die entsprechenden Lehr- (Beifall bei der SPD) stühle in Hochschulen, in das Fraunhofer-Institut, aber In der Regierungserklärung in der letzten Sitzungs- auch in private Unternehmen, wenn sie Verantwortung woche wurde zu Recht genau auf dieses ambitionierte übernehmen wollen. Sie müssen sich auf der anderen Programm ein Schwerpunkt gesetzt; denn die Grundlage Seite darauf verlassen können, dass wir als Staat alles für neue Innovationen, für neue Investitionen in diesen dafür tun, keine Backdoors zu erhalten. Darauf müssen Bereich und für das Vertrauen der Bürger ist, dass wir sich auch die Bürgerinnen und Bürger verlassen können. Vertrauen und Sicherheit in der Kommunikation sicher- Es wird aktiv daran gearbeitet, dass IT-Sicherheit stellen. Nur dann werden die Bürger tatsächlich darauf made in Germany ein deutscher Markenkern bleibt. Das vertrauen, dass das auch funktioniert. Das gelingt nur mit haben wir in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. einer starken Verschlüsselung. Wenn die Union, lieber Kollege Wendt, ein wenig mehr in Richtung der Liberalen und der Sozialdemokraten Das Beispiel mit der Postkarte ist schon genannt wor- rückt, dann ist uns nicht bange, sondern wir bringen es den. Wenn wir einen Brief schreiben und ihn analog per gemeinsam voran. Sie haben es, weil es dazu in Ihren Post versenden, können wir sicher sein, dass niemand Programmen nur Leerstellen gab, mit der SPD in den mitliest. Aber wir wollen uns auch darauf verlassen, dass Koalitionsvertrag aufgenommen. Lassen Sie uns jetzt bei digitaler Kommunikation – nicht nur mit dem Staat, gemeinsam daran arbeiten! Ich freue mich auf gute Be- sondern auch unter uns Bürgern – niemand mitliest. ratungen im Innenausschuss und bin mir sicher, dass wir Deswegen müssen wir als Staat dafür sorgen, dass Ver- breite Mehrheiten für dieses zukunftsweisende Thema schlüsselungstechnologien gefördert werden und dass organisieren werden. wir, dass die Bundesrepublik Deutschland, wie wir das in der letzten Wahlperiode vereinbart haben, zum Stand- Herzlichen Dank. ort Nummer eins für Verschlüsselungstechnologien wird. Das haben wir festgeschrieben. Wir werden auf diesem (Beifall bei der SPD) 7726 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Linke fordert daher, dass alle in Behörden bekannten (C) Vielen Dank, Sebastian Hartmann. – Nächste Redne- Sicherheitslücken gemeldet werden müssen, um sie zu rin: Anke Domscheit-Berg für die Fraktion Die Linke. schließen; das will ja auch die FDP. Wir wünschen uns auch mehr staatliche Förderung an- (Beifall bei der LINKEN) wenderfreundlicher Verschlüsselungssoftware, vor allem für Open-Source-Lösungen; denn sie sind transparent Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): und überprüfbar, was Vertrauen und Akzeptanz erhöht. Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. legen! Lieber Jimmy Schulz, eine Debatte um das Recht Jimmy Schulz [FDP]) auf Verschlüsselung sollte eigentlich so lächerlich sein wie die Forderung – wir haben es schon gehört –, nicht Viele Softwareentwickler arbeiteten nach Snowden mit nur Postkarten, sondern auch verschlossene Briefe ver- unbezahltem Engagement an solchen Open-Source-Lö- senden zu dürfen. Anders als in der Papierwelt ist das sungen. Ich möchte ihnen allen herzlich dafür danken. Briefgeheimnis in der digitalen Welt aber kein selbstver- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. ständliches Grundrecht mehr; denn dazu braucht es ein Jimmy Schulz [FDP]) Recht auf Verschlüsselung. Erst verschlüsselt verwandelt sich eine E-Mail in einen Brief mit Sicherheitsbriefum- Ihre Programme sollten aber auch Behörden häufiger ein- schlag. Den hätte ich mir in der DDR auch gewünscht; setzen. Es ist doch ein Witz, dass es fast unmöglich ist, meine Briefe kamen damals aufgeschlitzt an. als Bürger oder Bürgerin auf elektronischem Weg ver- schlüsselt mit einer Behörde zu kommunizieren, wenn es (Marian Wendt [CDU/CSU]: Fragen Sie doch um etwas anderes geht als um eine Steuererklärung. mal die Kollegen, warum sie die aufgeschlitzt haben!) Das Recht auf Verschlüsselung für elektronische Kommunikation muss kommen. Staatliches Handeln Für Die Linke steht der Schutz der Privatsphäre im darf niemals zur Schwächung der IT-Sicherheit beitra- Vordergrund – und das Briefgeheimnis als Abwehrrecht gen. Daher begrüße ich den Antrag der FDP. gegen den Staat. Wir wissen alle seit Edward Snowden, dass Überwachungsbegehrlichkeiten staatlicher Geheim- Und leider muss ich noch immer sagen, dass ich im dienste keine Fantasien geblieben sind und Konsequen- Übrigen der Auffassung bin, dass Informationen zu zen für nachgewiesene staatliche Rechtsbrüche bis heute Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verlo- ausblieben. Als wäre das nicht schlimm genug, werden ren haben. § 219a Strafgesetzbuch muss weg! (B) zunehmend IT-Sicherheitskräfte vom Staat dafür einge- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea (D) setzt, unser aller Sicherheit zu gefährden. Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der jüngste BSI Lagebericht spricht von 800 Millio- nen bekannten Schadprogrammen, und jeden Tag kom- Vizepräsidentin Claudia Roth: men 390 000 dazu. Um ihre Verbreitung frühzeitig zu Vielen Dank, Anke Domscheidt-Berg. – Nächster stoppen, müssen entdeckte Sicherheitslücken sofort ge- Redner: Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grü- meldet und geschlossen werden. nen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber die Bundesregierung schafft Behörden wie ZITiS, Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wo ohne ausreichende Rechtsgrundlage Sicherheitslü- NEN): cken entdeckt und geheim gehalten werden sollen, um sie irgendwann für Überwachungszwecke einzusetzen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Jimmy (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Schulz! Im Bereich der IT-Sicherheit brennt die Hütte GRÜNEN]: Ungeheuerlich!) lichterloh. Wir wissen es seit langem: Der Bundesregie- rung kommt im Bereich der digitalen Infrastruktur eine Man stelle sich vor: Ein Polizist entdeckt in einer Sied- direkte, sich aus unserer Verfassung ergebende Schutz- lung unzähliger gleichartiger Häuser, dass sich alle Haus- verantwortung zu. Das haben wir und viele Fraktionen türen mit einem kleinen Trick öffnen lassen, aber er warnt hier Dutzende Male thematisiert; die GroKo weiß das niemanden, damit er einfach in jedes Haus eindringen seit langem. kann, falls irgendwann einmal zufällig in einem dieser Häuser eine Straftat begangen werden sollte. – Genauso (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- soll es mit unser aller Handys und Computer laufen. SES 90/DIE GRÜNEN) Die gesamtgesellschaftlichen und weltweiten Risiken Aber dieser Schutzverantwortung werden Sie nicht ge- eines derartigen staatlichen Handelns sind so gravierend, recht, meine Damen und Herren. dass die Behauptung, man täte das im Interesse unserer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheit, eine Beleidigung des gesunden Menschen- sowie bei Abgeordneten der FDP) verstandes ist. Wenn Sie sich nicht fundamental bewegen, sind Sie (Beifall bei der LINKEN) Mitverursacher, ja sogar Teil dieses massiven Sicher- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7727

Dr. Konstantin von Notz (A) heitsproblems, das wir konfrontieren, und zwar – es Beenden Sie das cyberpolitische Bullshit-Bingo, das wir (C) wurde angesprochen – durch den staatlichen Handel mit immer wieder hören und bald auf dem nächsten IT-Gipfel Sicherheitslücken, durch die Weigerung, eine umfassen- bestaunen können! Legen Sie das überfällige IT-Sicher- de Meldepflicht einzuführen, die wir übrigens in den Ja- heitsgesetz 2.0 vor! Einen langen Maßnahmenkatalog maika-Sondierungen längst verhandelt hatten, aber auch haben wir Ihnen hier vor Monaten vorgelegt. durch Ihre Totalverweigerung beim digitalen Verbrau- (Marian Wendt [CDU/CSU]: Nein! Der war cherschutz und beim Setzen von Sicherheitsstandards nicht gut, auch wenn er lang ist!) und schließlich durch Ihre völlig unklare Haltung bei dem wichtigen Thema der Verschlüsselung und Krypto- Sie sind blank. Das ist unverantwortlich. grafie, meine Damen und Herren. Ganz herzlichen Dank. Statt den hoch kriminellen Schwarzmarkt für Si- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cherheitslücken mit öffentlichen Geldern zusätzlich zu und bei der FDP) befeuern, was Sie tun, und statt rechtlich im luftleeren Raum schwebende Einrichtungen wie ZITiS zu schaf- fen, brauchen wir eine echte Kehrtwende im Bereich der Vizepräsidentin Claudia Roth: IT-Sicherheit. Kryptografie ist ein ganz zentraler Bau- Vielen Dank, Konstantin von Notz. – Nächster Red- stein, und deswegen danken wir Jimmy Schulz und der ner: Christoph Bernstiel für die CDU/CSU-Fraktion. FDP-Fraktion für diesen guten Antrag, meine Damen (Beifall bei der CDU/CSU) und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Christoph Bernstiel (CDU/CSU): und bei der FDP) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Der Großen Koalition kann man nur sagen: Nehmen Kollegen! Liebe Gäste! Der vorliegende Antrag der FDP Sie sich endlich selbst beim Wort! Fragen Sie sich, wa- zeigt, dass das Bewusstsein für Bedrohungen im digi- rum eigentlich alle großen IT-Infrastrukturprojekte der talen Raum wächst und dass das mittlerweile auch bei letzten Jahre mit Milliardenkosten gefloppt sind! Ma- der Opposition angekommen ist. Das ist positiv und sehr chen Sie Deutschland endlich tatsächlich zum Verschlüs- zu begrüßen; denn inzwischen beziffert der Digitalver- selungsland Nummer eins auf der Welt und die durch- band Bitkom den Schaden der deutschen Unternehmen gehende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zum absoluten durch Cyberkriminalität – da habe ich andere Zahlen als Standard bei allen IT-Projekten! Das, Marian Wendt, er- die FDP – auf 55 Milliarden Euro. Experten gehen sogar reicht man nicht durch Reden. Dazu müssen Sie hier im davon aus, dass jedes vierte Unternehmen in unserem (B) Haus Gesetze machen. Land schon einmal Opfer einer Cyberattacke geworden (D) ist. Doch nicht nur Unternehmen sind zur Zielscheibe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – von Cyberkriminalität geworden; auch Privathaushal- Marian Wendt [CDU/CSU]: Haben wir ja! te und somit Kinder, Jugendliche und Senioren geraten IT-Sicherheitsgesetz! Es ist noch ein zweites zunehmend in den Fokus. Das BKA spricht von circa in Arbeit, Konstantin! Da musst du mal mit- 86 000 Fällen von Cyberkriminalität allein im Jahr 2017. stimmen!) Es besteht also unzweifelhaft Handlungsbedarf. Papier ist geduldig. Sie müssen Gesetze machen. Ich wage jedoch, zu bezweifeln, dass ein Recht auf Verschlüsselung dazu beitragen kann, die individuelle Si- Unterstützen Sie die Kryptografieforschung! cherheit im digitalen Raum zu verbessern. Unserer Mei- (Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir nung nach sollte jeder Mensch frei und selbst entschei- doch!) den, welche Daten er verschlüsselt und welche nicht. Es sollte schon noch unterschieden werden, ob jemand nied- Lösen Sie die IT-Sicherheit aus dem Zuständigkeitsbe- liche Videos, beispielsweise von Katzenbabys, hochlädt reich des Innenministeriums! oder ob er gerade ein Aktienpaket ordert. Die bewusste Entscheidung, Daten zu verschlüsseln, ist für uns ein Teil (Marian Wendt [CDU/CSU]: Sicherheit und des gelebten Rechts auf informationelle Selbstbestim- Innenministerium ist eine Kombination!) mung. Stellen Sie das BSI endlich unabhängig, meine Damen (Beifall bei der CDU/CSU) und Herren! Im Übrigen nutzen schon heute viele Menschen ganz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN selbstverständlich verschlüsselte Kommunikation im sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Alltag. Messengerdienste wie WhatsApp, Threema oder Niema Movassat [DIE LINKE]) die preisgekrönte App Chiffry, die in meinem Wahlkreis, Beenden Sie Ihre nicht nur beim Thema „Verschlüsse- Halle an der Saale, entwickelt wurde, gehören längst zur lung“ hoch widersprüchliche Digitalpolitik, deren Motto gängigen Praxis. Nicht so gut – da gebe ich Ihnen expli- ist: Ich hätte es gern vegetarisch, aber mit ordentlich viel zit recht – sieht es hingegen mit der Verschlüsselung von Fleisch. – Das geht am Ende des Tages nicht auf. E-Mails aus. Laut einer aktuellen Telekom-Studie sagen zwei Drittel der befragten Personen, dass ihnen die Ver- (Marian Wendt [CDU/CSU]: Genau! Fleisch schlüsselung ihrer E-Mails sehr wichtig ist; aber nur ein ist unser Gemüse!) Bruchteil nutzt auch entsprechende Programme. 7728 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Christoph Bernstiel (A) Der Knackpunkt ist die Anwenderfreundlichkeit. Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Technische Lösungen können nur dann erfolgreich sein, Vielen Dank, Christoph Bernstiel. – Nächster Redner: wenn sie auch Akzeptanz beim Nutzer finden. In diesem Niema Movassat für die Fraktion Die Linke. Zusammenhang möchte ich auch mit ein paar Vorurtei- len aufräumen. Sie sagen: Die Bundesregierung macht (Beifall bei der LINKEN) da nichts. – Das ist schlichtweg falsch; denn das BMWi und das Innenministerium fördern bereits seit Jahren bei- Niema Movassat (DIE LINKE): spielsweise das Programm GNU Privacy Guard, das ex- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re- plizit für die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von E-Mails den über ein wichtiges Thema: das Recht auf Verschlüs- sorgt. Darüber hinaus fördert das hier angesprochene BSI selung und den Schutz der digitalen Kommunikation. Wo das Projekt EasyGPG, ein nutzerfreundliches, da weit- man früher Briefe schrieb, werden heute E-Mails oder gehend automatisiertes Verfahren für eine Ende-zu-En- WhatsApp-Nachrichten verschickt. Unsere Kommuni- de-Verschlüsselung der E-Mail-Kommunikation. Beide kation hat sich grundlegend verändert, und die digitale Programme, die die Bundesregierung unterstützt, sind Kommunikation ist die Kommunikationsform geworden. sehr sinnvoll. Im internationalen Ranking der Länder Das Bundesverfassungsgericht hat dem Rechnung getra- rangiert Deutschland zudem unter den Top Ten, wenn es gen, indem es schon 2008 das IT-Grundrecht entwickel- um Datenschutz und IT-Sicherheit geht. te. Dieses besagt, dass der Staat die Vertraulichkeit der (Marian Wendt [CDU/CSU]: Hört! Hört!) digitalen Kommunikation gewährleisten und schützen muss. Eingriffe in das Grundrecht sind nur ausnahms- Doch Datenschutz, liebe FDP, ist nur eine Seite der weise erlaubt, um etwa Verbrechen aufzuklären. Verschlüsselungsmedaille. Es ist auch eine der wichtigs- ten Aufgaben des Staates, seine Bürger vor Kriminalität Man kann die Relevanz des IT-Grundrechts nicht zu schützen. Das gilt sowohl in der realen als auch in der genügend betonen; denn eine freiheitliche Demokratie digitalen Welt. Leider müssen wir jedoch mit Sorge fest- braucht die Möglichkeit der vertraulichen Kommunika- stellen, dass sich die Technik viel schneller entwickelt tion der Bürgerinnen und Bürger untereinander. Um das hat als unsere Gesetze zur Strafverfolgung. Kriminelle IT-Grundrecht verwirklichen zu können, braucht es die setzen heutzutage vermehrt auf verschlüsselte Kommu- Verschlüsselung. Nur wer seine digitalen Nachrichten nikation und machen es unseren Sicherheitsbehörden verschlüsselt, kann sicher sein, dass nur der Empfänger und Nachrichtendiensten damit sehr schwer, Verbrechen diese Nachrichten liest. aufzuklären oder zu verhindern. Wer mehr Verschlüsse- Doch der Schutz der digitalen Kommunikation ist ge- lung fordert, der muss auch immer die damit einherge- fährdet, weil es – erstens – ein riesiges Kompetenzger- (B) henden Nachteile für unsere Ermittlungsbehörden mit angel gibt. Eine Vielzahl von Behörden – BKA, Verfas- (D) einkalkulieren. Meine Damen und Herren, die Sicher- sungsschutz, BND, um nur einige zu nennen – sollen für stellung der Vertraulichkeit von Kommunikationsdaten die Cybersicherheit sorgen; aber bekanntlich verderben ist ein ebenso hohes Gut wie der Schutz der Bevölkerung viele Köche den Brei. vor Kriminalität. Beides darf nicht gegeneinander ausge- spielt werden. Zweitens. Ein relevanter Teil der zuständigen Behör- den – das ist ein großes Problem – ist nicht nur dafür (Beifall bei der CDU/CSU) zuständig, die Daten zu schützen, sondern soll die Da- ten auch abgreifen. So soll der Verfassungsschutz nicht Liebe FDP, so gut das Ansinnen Ihres Antrages auch nur vor Datenangriffen schützen, sondern, wenn es nach sein mag: Mit den darin enthaltenen Forderungen schüt- Herrn Seehofer geht, gleichzeitig demnächst Trojaner zen Sie eben nicht unsere Bürger, sondern kriminelle einsetzen dürfen, um zum Beispiel WhatsApp-Nachrich- Strukturen im Internet. ten mitlesen zu können. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Marian Wendt [CDU/CSU]: Bei schwersten GRÜNEN]: So ein Unsinn!) Straftaten! Bei Terroristen und Mördern! Mit Sie fördern damit die Ausbreitung von rechtsfreien Räu- Richtervorbehalt! Bleiben Sie mal bei der men im Internet. Ihren Antrag müssen wir daher ableh- Wahrheit!) nen. Entweder schützt eine Behörde die Kommunikation der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bürger, oder sie greift in diese ein. Aber beides geht nicht, weil das Vertrauen zerstört. Zum Schluss möchte ich die amtierende Europol-Che- fin De Bolle zitieren, die uns gestern hier, im Deutschen (Beifall bei der LINKEN) Bundestag, besucht hat. Sie hat darauf hingewiesen, dass Drittens will die Bundesregierung Verschlüsselungen Ermittlungsergebnisse aus dem Cyberraum bei der Auf- erschweren. Seit April 2017 gibt es die Zentrale Stelle für klärung von nahezu allen Kriminalitätsfällen hilfreich Informationstechnik im Sicherheitsbereich. Diese Behör- sind. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam daran arbeiten, de hat vor allem einen Job, nämlich Verschlüsselungsme- die Cyberfähigkeiten unserer Sicherheitsbehörden zu thoden zu brechen und Sicherheitslücken zu finden, nicht stärken und nicht zu schwächen! um die Sicherheitslücken zu schließen, sondern um sie zu Herzlichen Dank. nutzen, damit der Staat E-Mails und digitale Kommuni- kation bequem mitlesen kann. Wer Verschlüsselungsme- (Beifall bei der CDU/CSU) thoden zerstört, der trifft nicht nur ein paar Verbrecher, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7729

Niema Movassat (A) sondern alle Menschen in diesem Land. Diese Behörde sonenbezogene Daten vor fremdem Zugriff zu schützen. (C) ist ein Frontalangriff auf das IT-Grundrecht und gehört Wenn ich personenbezogene Daten in einer verschlüs- schnellstens aufgelöst. selten E-Mail versende und irgendwer greift mithilfe ei- nes Trojaners darauf zu, vielleicht sogar mithilfe eines (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Staatstrojaners, habe ich dann die DSGVO verletzt, eine Jimmy Schulz [FDP]) meldepflichtige Datenpanne erlitten? Das ist eine Frage, Meine Damen und Herren, der vorliegende FDP-An- die wir einmal im Innenausschuss diskutieren sollten. trag geht in die richtige Richtung. Es fehlen aber auch Die ePrivacy-Verordnung in der Fassung des Euro- Punkte. So brauchen wir – wie beim Bundesbeauftragten päischen Parlaments wäre da wahrlich ein großer Fort- für Datenschutz – einen unabhängigen Bundesbeauftrag- schritt. Sie definiert das Recht auf verschlüsselte Kom- ten für Informationssicherheit. Es gibt auch schon die munikation und setzt auf Privacy by Default, also auf passende Behörde. Das Bundesamt für Sicherheit in der privatsphärenfreundliche Voreinstellungen. Der Nutzer Informationstechnik könnte dazu umgebaut werden, aber soll so verhindern können, dass sein Surfverhalten ver- dafür muss es vom Innenministerium unabhängig sein. folgt wird und die verschiedensten Tracker ein lückenlo- Dann hätten wir endlich eine Stelle in diesem Land, die ses Profil anlegen können, sei es nun für gezielt persona- die Kernaufgabe wahrnimmt, die digitale Sicherheit, das lisierte Werbung, zur politischen Manipulation oder für IT-Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger, zu schützen. einen Score, wenn nach dem Willen der Konzerne smarte Diese Aufgabe hat uns das Bundesverfassungsgericht Tarife in unser Solidarsystem einbrechen. Leider ist es mitgegeben. Es wird Zeit, dass wir das endlich umsetzen. der Bundesregierung nicht gelungen, die Ratseinigung Danke schön. zur ePrivacy-Verordnung voranzubringen. Nun ist damit in der laufenden Legislatur kaum mehr zu rechnen. Eine (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- verpasste Chance, die wir womöglich bald mit einer No- neten der FDP) velle von TMG und TKG heilen müssen! Datenschutz, Verschlüsselung und Privatsphäre also! Vizepräsidentin Claudia Roth: Was aber, wenn sich Cyberkriminelle in die Systeme ha- Vielen Dank, Niema Movassat. – Nächste Rednerin cken und all diese Schutzrechte umgehen? Gilt das Recht für die SPD-Fraktion: Saskia Esken. auf die Integrität der IT-Systeme eigentlich nur gegen- (Beifall bei der SPD) über dem Staat, oder ist ein Cyberangriff so etwas wie ein digitaler Hausfriedensbruch? Gibt es eigentlich ein Recht auf IT-Sicherheit? Die Sozialdemokraten sind zumindest Saskia Esken (SPD): (B) der Überzeugung, dass es eine staatliche Verantwortung (D) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und und Pflicht dafür gibt. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Jimmy Schulz! Mit der zunehmenden Digitalisierung, Datafizie- Die Bundesregierung hat in der vergangenen Legis- rung und Vernetzung unserer Welt gerät die Privatsphäre latur das IT-Sicherheitsgesetz mit seinen Melde- und gehörig unter Druck. Dazu kommt die Gefahr durch un- Grundschutzpflichten für Institutionen der kritischen sichere Software und Geräte. Der Mensch und die Infor- Infrastruktur entsprechend der europäischen NIS-Richt- mationsgesellschaft sind verletzlich geworden. Sie brau- linie umgesetzt. In der aktuellen Legislatur steht eine chen unseren Schutz. Zu Recht – das haben der Kollege Weiterentwicklung an, ebenso wie der weitere Ausbau Schulz und viele andere deutlich gemacht – machen wir des BSI, das sich von einer feinen, aber ziemlich klei- uns dabei Gedanken über den allzu neugierigen Staat. nen Behörde zum großen Dienstleister für IT-Sicherheit gemausert hat. Aber auch im privaten Bereich gibt es mittlerweile viel über uns zu wissen. Was immer wir online erledi- Weil auch die Kompetenzen des BSI immer weiter gen, ob wir etwas suchen, kaufen oder Serien schauen: ausgebaut werden, auch in den Verbraucherschutz hi- Wir hinterlassen Spuren im Netz. Privatsphäre ade? Die nein, sind wir der Auffassung, dass die Behörde, wie Menschen sind eher hilflos, als dass sie sorglos wären. es der Kollege Movassat angesprochen hat, nach dem Sie erwarten, dass der Staat ihre Grundrechte nicht nur Muster der Bundesdatenschutzbeauftragten unabhängig wahrt, sondern auch schützt und durchsetzt. Zum Postge- sein sollte. Ich würde mir von dieser Behörde auch ein heimnis, das heute eigentlich Kommunikationsgeheim- Höchstmaß an Unabhängigkeit von der Wirtschaft wün- nis heißen müsste, sind das Recht auf informationelle schen. Selbstbestimmung und das Grundrecht auf Vertraulich- keit und Integrität von IT-Systemen hinzugekommen; ei- Auf Herstellerseite wollen wir die Unternehmen durch nige Redner haben bereits darauf hingewiesen. Ein Recht ein IT-Sicherheitskennzeichen in die Verantwortung neh- auf Verschlüsselung ist dafür unerlässlich, liebe Kolle- men; der Cybersecurity Act der EU-Kommission weist ginnen und Kollegen, und zwar ohne Hintertüren oder ja auch in diese Richtung. Damit diese Verantwortung Zweitschlüssel. Wer wollte uns denn garantieren, dass wirksam wird, wollen wir zu klaren Haftungsregeln die nicht auch von Unbefugten missbraucht werden, von bei Schäden durch mangelhafte IT-Sicherheit kommen. Kriminellen, von Wirtschaftsspionen oder von fremden IT-Sicherheit muss vom „nice to have“ zur Pflicht wer- Mächten? den – by design. Wir brauchen also sichere Geräte, damit aus dem Internet of Things kein Internet of Silly Things Die europäische Datenschutz-Grundverordnung ent- wird. Wir brauchen aber auch unseren gesunden Men- hält kein Recht auf Verschlüsselung, aber die Pflicht, per- schenverstand, der uns davon abhält, alles und jeden zu 7730 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Saskia Esken (A) vernetzen und das Netz zu einem Internet of Everything digitalpolitischen Kolleginnen und Kollegen von SPD (C) zu machen. Braucht irgendjemand einen vernetzten Toas- und Union ja auch ein Klagelied singen. ter oder Staubsaugerroboter? Ich glaube kaum. Mit dem vorliegenden Antrag will die FDP in Erinne- Damit IT-Sicherheitslücken erkannt werden, ha- rung rufen, dass sie verantwortungsbewusste Digitalpo- ben wir Meldepflichten eingeführt. Jetzt braucht es ein litik kann. Schwachstellenmanagement, aber eines, das der staatli- (Jimmy Schulz [FDP]: So ist es!) chen Verantwortung für die IT-Sicherheit gerecht wird und dafür sorgt, dass die Lücken schnellstmöglich ge- Ich hoffe, dass das auch beim Fraktionsvorsitzenden an- schlossen werden. Die Offenhaltung und Nutzung von gekommen ist. Schwachstellen durch den Staat lehnen wir ab. (Beifall der Abg. Dr. Anna Christmann Viel wird darüber diskutiert, wie wir auf Cyberangrif- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Christian fe aus dem Ausland reagieren sollen, Stichwort „Hack- Lindner [FDP]: Aber hallo!) back“. Angriffe im Cyberraum lassen sich nicht durch einen Gegenschlag heilen oder gar vergelten, und gestoh- Gerade die vertrauliche Kommunikation ist nämlich be- lene Daten kann man nicht zurückholen. Statt den Weg sonders wichtig. Der folgenschwerste Angriff auf den einer neuen, jetzt digitalen Aufrüstungsspirale zu be- Bundestag beispielsweise erfolgte 2015 über Mails. Da schreiten, sollten wir Cyberangriffen auf diplomatischem befand sich die FDP bekanntlich im Bildungsurlaub. Weg begegnen. Die Cyber Diplomacy Toolbox der Euro- Monatelang flossen Daten ab. Diese Angriffe auf die päischen Union weist da in eine gute Richtung. Wenn ein Infrastruktur von Bundestag und Bundesregierung sind solcher Angriff von einem fremden Territorium ausgeht, Angriffe auf unsere Demokratie, die es zu schützen und dann muss der Staat des Angreifers, notfalls unter An- zu verteidigen gilt. drohung von Sanktionen, dazu verpflichtet werden, dafür (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu sorgen, dass dieser Angriff schnellstens unschädlich sowie des Abg. Jimmy Schulz [FDP]) gemacht wird. Vertrauliche Kommunikation ist aber nicht nur für uns Insgesamt will ich Jimmy Schulz und der FDP gerne notwendig. Eine Journalistin zum Beispiel muss genauso danken, dass sie die Regierung in den Fragen von Ver- vertraulich mit einem Informanten kommunizieren kön- schlüsselung, Privatheit und IT-Sicherheit vorantreiben. nen wie wir. Dafür brauchen beide einen sicheren Weg. Mit der Umsetzung des Koalitionsvertrages und seiner Aber E-Mails sind im Moment – das wurde schon ge- Vorhaben in enger Kooperation mit der europäischen sagt – wie Postkarten und nicht wie im Briefumschlag Ebene sind wir auf einem guten Weg. Die SPD-Bundes- verschlossene Briefe, solange sie nicht verschlüsselt (B) tagsfraktion wird sich dabei für eine strikt defensive Aus- sind. Und wenn Menschen sich nicht trauen, in E-Mails (D) richtung unserer Cybersicherheitsstrategie einsetzen. oder Chats ihre Meinung zu äußern aus Angst, dass je- mand mitliest, dann rührt das an unseren demokratischen Vielen Dank. Grundfesten wie Presse- und Meinungsfreiheit oder das (Beifall bei der SPD) Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Diese Grundrechte muss der Staat sichern. Das ist unsere Auf- gabe, liebe Kolleginnen und Kollegen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Saskia Esken. – Nächste Rednerin: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen. Ich denke, Sie alle wollen nicht, dass kompromit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tierende Fotos von Ihnen in Umlauf kommen oder Ihre IoT-Geräte Hackern Auskunft darüber geben, wann Sie zu Hause sind oder was Sie Alexa gestern alles gefragt Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haben. Last, but not least geht es hier ja auch um den Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann Schutz vor Industriespionage und Sabotage, also um mich noch gut erinnern: 2013 hat Jimmy Schulz zur ers- knallharte Wirtschaftsinteressen am Industriestandort ten Kryptoparty im Bundestag eingeladen und immer Deutschland. Das müsste doch auch im Interesse von wieder ein Recht auf verschlüsselte Kommunikation ge- Union und SPD sein. fordert. Er hat bei diesem Thema also zweifellos Street Credibility. (Sebastian Hartmann [SPD]: Ist es!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Laut ihrer Digitalen Agenda wollte die Große Koaliti- und bei der FDP sowie bei Abgeordneten on Deutschland zum Verschlüsselungsland Nummer eins der SPD und der Abg. Anke Domscheit-Berg machen. Das ist an und für sich eine tolle Idee; aber auf [DIE LINKE]) die Umsetzung warten wir schon lange. Fangen Sie doch bei sich mal an: E-Government – das ist eh ein trauri- Umso irritierender war dann der Wahlkampfslogan der ges Kapitel bei der Bundesregierung – könnten Sie mit FDP: „Digital first. Bedenken second.“ Da kann ich nur der Verschlüsselung richtig voranbringen. Dafür müssten sagen: Es hilft alles nichts, wenn die Fachpolitikerinnen Sie aber jetzt die Weichen stellen und die Ende-zu-En- und Fachpolitiker sich abrackern und gute Arbeit ma- de-Verschlüsselung endlich zum Standard machen. Viele chen, die Partei- oder Fraktionsspitze dann aber nicht weitere Empfehlungen für eine sichere Kommunikation hinter den guten Vorschlägen steht. Davon können die finden Sie übrigens im inzwischen fünf Jahre alten Be- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7731

Tabea Rößner (A) richt der Enquete-Kommission „Internet und digitale Ge- gerade hier klare Strukturen und sichere technische Lö- (C) sellschaft“ und, wie Konstantin von Notz schon gesagt sungen notwendig. Deshalb ist hier in besonderer Weise hat, in unserem Grünenantrag vom März. Unterstützung geboten. Im FDP-Antrag ist viel Schönes drin. Deshalb unter- Meine sehr geehrten Damen und Herren, von größ- stützen wir ihn. ter Wichtigkeit ist natürlich auch die Sicherheit unserer Netze. Zahlreiche Angriffe auf Netzwerke in den vergan- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. genen Jahren zeigen, dass das weiterhin eine gewaltige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herausforderung ist. Da bildet leider auch der Deutsche sowie bei Abgeordneten der FDP) Bundestag selbst keine Ausnahme. Einerseits geht es um ein Höchstmaß an Datensicherheit für Bürger, Verwal- Vizepräsidentin Claudia Roth: tung und Wirtschaft gleichermaßen, andererseits spielt bei der Ausgestaltung von Verschlüsselungstechnologi- Vielen Dank, Tabea Rößner. – Nächster Redner für die en aber auch die Kriminalitätsbekämpfung eine wichti- CDU/CSU-Fraktion: Josef Oster. ge Rolle. Mit staatlichen Vorgaben oder Standards darf (Beifall bei der CDU/CSU) keinesfalls organisierte Kriminalität erleichtert werden. Sicherheit im digitalen Raum darf keine Schutzräume für Josef Oster (CDU/CSU): Straftäter zulassen. Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU) Kollegen! Die Digitalisierung erfasst zunehmend alle Lebensbereiche der Arbeitswelt und des Privatlebens. Nicht zuletzt müssen wir immer auch einen Blick auf Datenaustausch, Datentransport sind Voraussetzungen den Technologiestandort Deutschland werfen. Ich denke für eine funktionierende Gesellschaft im digitalen Zeit- dabei auch an unsere Kryptobranche. Die Bedeutung die- alter. Die Bundesregierung investiert deshalb allein im ser Verschlüsselungsunternehmen ist schon heute groß, nächsten Jahr 2,4 Milliarden Euro in den Ausbau der di- und sie wird weiter wachsen. Wir wollen hier auch in Zu- gitalen Infrastruktur. Das ist viel, und das ist wichtig. kunft Innovationen zulassen und fördern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Darüber hinaus sind wir eine weltweit führende In- dustrienation. Deutsche Technologie ist begehrt. Dieser Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Wissensvorsprung muss geschützt werden. Das ist eine Antrag befasst sich mit dem wichtigen Aspekt der Daten- wesentliche Voraussetzung für den Erfolg unserer Un- verschlüsselung. Dieser Antrag enthält durchaus wichti- ternehmen und damit auch Voraussetzung für den Erhalt ge Aspekte; das will ich gar nicht verhehlen. Worum geht unseres Wohlstands. (B) es? Warum ist Datenverschlüsselung so wichtig? Wir alle (D) nutzen das Internet. Wir alle telefonieren. Wir senden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und empfangen täglich private und sensible Nachrichten Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend und vertrauen darauf, dass diese sicher übertragen wer- bleibt festzuhalten, dass wir bei Fragen der Sicherheit im den. Steuererklärung, Meldebescheinigung, Versiche- digitalen Raum auf einem vernünftigen Weg sind. Klar rungsdaten und medizinische Befunde – kaum ein Le- ist aber auch: Es ist und bleibt ein hochdynamischer Pro- bensbereich, der nicht davon betroffen ist. Dabei – das zess, und es bleibt hier weiter viel zu tun. Die Bundesre- müssen wir einräumen – unterschätzen wir noch immer gierung ist da, wie ich finde, auf einem sehr guten Weg. die Gefahr durch Hackerangriffe. Auch wenn der vorliegende Antrag einige Aspekte Meine sehr geehrten Damen und Herren, drei Bereiche ausblendet, ist er eine gute Grundlage, um die Thematik sind in diesem Zusammenhang für mich wichtig: Erstens in den Ausschüssen weiter zu beraten. geht es für mich um Vertrauen, um das Vertrauen der Menschen in den Veränderungsprozess der Digitalisie- Vielen Dank. rung, zweitens geht es für mich um eine sichere digitale (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kommunikation und drittens um den Technologiestand- ordneten der SPD) ort Deutschland. Im Verhältnis Bürger – Staat stehen viele Veränderun- Vizepräsidentin Claudia Roth: gen an. Als ehemaliger Bürgermeister greife ich mir hier Vielen Dank, Josef Oster. – Der letzte Redner in dieser mal den Aspekt der öffentlichen Verwaltung heraus. Wir Debatte: Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Frak- wollen und müssen viele Verwaltungsdienstleistungen tion. vereinfachen. Fast 600 Verfahren werden auf der Basis des Onlinezugangsgesetzes sehr bald digitalisiert wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den. Erfolgreich kann dieser Weg aber nur sein, wenn die Menschen Vertrauen haben, Vertrauen in die Sicherheit Alexander Hoffmann (CDU/CSU): ihrer Daten und Vertrauen in die Sicherheit der Kommu- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- nikationswege. Ein Großteil der Verfahren betrifft kom- nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und munale Dienstleistungsangebote. Bei unseren Städten Herren! Es ist gut, dass Ihr Antrag sich mit den Gefah- und Gemeinden müssen wir daher den Grundstein für ren auseinandersetzt, die es in der digitalen Welt gibt. diesen gewaltigen Veränderungsprozess legen. Vor allem Sie weisen zu Recht auf die Risiken der Sabotage hin, dort muss Vertrauen aufgebaut werden. Deswegen sind auf die allgegenwärtige Gefahr der Spionage, der Wirt- 7732 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Alexander Hoffmann (A) schaftsspionage, und auch auf das Phänomen des Daten- wegen bin ich ein Freund davon, dass wir uns mit den (C) diebstahls, der täglich hundertfach, ja tausendfach, in der Gefahren auseinandersetzen, die die neuen Möglichkei- digitalen Welt stattfindet. Wir leben in einer Zeit, in der ten des Internets eröffnen – dann aber, liebe Kolleginnen Daten einen wirtschaftlichen Wert haben. Und immer, und Kollegen, ungeschont, mit offenem Visier und sehr, wenn etwas einen wirtschaftlichen Wert hat, sind natür- sehr ehrlich. Und dann müssen wir sehr wohl über die lich kriminelle Umtriebe nicht weit. Wir reden von einer Frage reden: Wie können wir im Internet, in der digita- Zeit, in der Informationen gezielt genutzt und abgefischt len Welt ermitteln? Dann müssen wir sehr wohl über die werden, als Mittel der Auseinandersetzung. Frage reden: Wie können wir Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass wir auch, zum Beispiel, Kinderporno- Sie sollten in Ihrem Antrag allerdings nicht den Ein- grafie im Netz effektiv bekämpfen können? Sonst führen druck erwecken, dass elektronische Kommunikation wir diese Debatte nicht ehrlich. heute vonseiten des Gesetzgebers nicht ausreichend ge- schützt wäre. So schreiben Sie in Ihrem Antrag – Herr Am Ende will ich noch eine Zahl mitgeben, die mich Schulz, Sie haben das vorhin auch in Ihrer Rede so for- bis heute bewegt: Im Jahr 2017 – ich habe es hier schon muliert; ich darf zitieren –: mehrmals gesagt; das hat das BKA geschildert – konnten 8 400 Fälle von Kinderpornografie nicht weiter verfolgt Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes schreibt fest, werden, weil uns dazu die Verbindungsdaten gefehlt dass das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fern- haben. Das sollte uns zu denken geben! Ich würde mir meldegeheimnis unverletzlich sind. Dieser Grund- wünschen, dass diese Fragestellung auch in der weiteren satz muss auch für die elektronische Kommunika- Beratung zu Ihrem Antrag, bitte, eine Rolle spielt. tion gelten … Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Dazu schreibt aber das Bundesverfassungsgericht in genau der Entscheidung, die Sie angeführt haben, näm- (Beifall bei der CDU/CSU) lich in der vom 27. Februar 2008 – Frau Präsidentin, ich zitiere –: Vizepräsidentin Claudia Roth: Der Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG erfasst Telekom- Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Ich schließe die munikation, einerlei, welche Übermittlungsart (Ka- Aussprache. bel oder Funk, analoge oder digitale Vermittlung) … Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Darüber hinaus ist es so, dass elektronische Kommu- Drucksache 19/5764 an die in der Tagesordnung aufge- nikation auch mit Mitteln des Strafrechts geschützt ist. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung E-Mail-Verkehr fällt nämlich auch in den Schutzbereich ist aber strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD (B) des § 206 StGB. Um einem weiteren Missverständnis wünschen Federführung beim Ausschuss für Inneres und (D) vorzubeugen, sage ich: Das Bundesverfassungsgericht Heimat. Die Fraktion der FDP wünscht Federführung hat zwar gesagt, dass die Schutzaufgabe des Staates be- beim Ausschuss Digitale Agenda. steht; aber es gibt keine Formulierung in die Richtung, Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- dass hier der Gesetzgeber, zum Beispiel grundgesetzlich, vorschlag der Fraktion der FDP, Federführung beim Aus- nachbessern müsste. schuss Digitale Agenda. Wer stimmt für diesen Überwei- Der Blick in die digitale Welt – da haben Sie vollkom- sungsvorschlag? men recht – zeigt, dass nur circa 15 Prozent der Anwen- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE der Verschlüsselungssoftware nutzen. Das bedeutet, es GRÜNEN]: Klare Mehrheit!) gibt sehr wohl ein Recht auf Verschlüsselung; es machen aber zu wenige Gebrauch davon, sodass wir unser Haupt- Wer stimmt dagegen? augenmerk darauf richten sollten: Wie können wir ermu- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Klare tigen, dass diejenigen, die Verschlüsselung brauchen, die Mehrheit! – Dr. Konstantin von Notz [BÜND- Verschlüsselung wollen, wissen, es gibt diese Technolo- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube nicht, gien und man kann diese Technologien ohne großen Auf- dass die Bundeskanzlerin jetzt kommt! Noch wand zum Einsatz bringen? nicht mal eine Kanzlerinnenmehrheit!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir Wer enthält sich? – Moment! Jetzt müssen wir beraten. als zuständigem Berichterstatter im Rechtsausschuss am Ende, den Bogen ein bisschen weiter zu spannen. Es ist (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- richtig, dass wir uns mit den Gefahren der digitalen Welt NEN]: Wir machen jetzt keinen Hammel- auseinandersetzen. Wir müssen uns aber auch vergegen- sprung wegen so was! Kann doch nicht sein, wärtigen, dass das Internet ganz neue Möglichkeiten er- Leute!) öffnet für den Datenklau, aber auch für die organisierte Darf ich Sie bitten – es war wirklich nicht einfach zu Kriminalität und eben auch, zum Beispiel, für den Han- erkennen –, aufzustehen? Dann können wir es vielleicht del mit Kinderpornografie. Und da steigen die Zahlen. ein bisserl klarer erkennen. Wer stimmt für den Überwei- Die Zahlen sind erschreckend: 2017 gab es 35 000 Hin- sungsvorschlag der FDP? – Wer stimmt dagegen? – weise auf den Besitz kinderpornografischer Schriften im Internet. Im Hellfeld haben wir in diesem Bereich von (Die Mitglieder der Bundesregierung begeben 2016 auf 2017 einen Zuwachs von 14,5 Prozent, im Be- sich in die Reihen der Fraktionen – Heiter- reich der Jugendpornografie sogar von 25 Prozent. Des- keit – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7733

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) NEN]: Die Regierungsbank leert sich gerade! nal Rechte für Migrantinnen und Migranten (C) Ist das peinlich! – Stephan Thomae [FDP]: stärken Das letzte Aufgebot der Koalition!) Drucksache 19/6101 – Wir sind hier oben übereinstimmend der Meinung, dass ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- man so – offensichtlich – zu Mehrheiten kommt; durch richts des Ausschusses für Inneres und Heimat die rege Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen von (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten der Regierungsbank hat sich eine knappe Mehrheit er- Stephan Thomae, Alexander Graf Lambsdorff, geben. Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer (Die Mitglieder der Bundesregierung begeben Abgeordneter und der Fraktion der FDP sich zurück zur Regierungsbank) Geordnete Zuwanderung erfordert mehr als Jetzt lasse ich aber abstimmen über den Überwei- den UN-Migrationspakt – Entwurf eines Ein- sungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, wanderungsgesetzbuches vorlegen Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Drucksachen 19/5534, 19/6100 Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des (Stephan Thomae [FDP]: Minderheit!) Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Wer stimmt dagegen? schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Filiz Polat, Luise Amtsberg, Claudia Roth (Augsburg), (Stephan Thomae [FDP]: Mehrheit! – Tabea weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NIS 90/DIE GRÜNEN Mehrheit! – Heiterkeit – Die Mitglieder der Bundesregierung begeben sich erneut in Umsetzung des Global Compact for Migra- die Reihen der Fraktionen – Steffi Lemke tion – Globale Standards für die Rechte von [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was werdet Migrantinnen und Migranten stärken ihr nur ohne die Kanzlerin machen!) Drucksachen 19/5547, 19/6141 – Es hat schon eine gewisse Ironie, wie hier Mehrheiten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für organisiert werden. – Also, noch mal: Wer stimmt für den die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu Überweisungsvorschlag der Großen Koalition, der SPD keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. und der CDU/CSU? – Wer stimmt dagegen? – Gut. Dann ist der Überweisungsvorschlag so angenommen, und Sie Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundesmi- (B) (D) können wieder die ursprünglichen Plätze einnehmen; nister Heiko Maas. sonst ist es auf der Regierungsbank ein bisserl arg leer. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Rüdiger der CDU/CSU) Lucassen [AfD]: Das schönste Bild: eine leere Regierungsbank!) Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Im Moment sind wir regierungslos. – Gefällt es Ihnen da Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! unten besser? – Gut. Beinahe die ganze Weltgemeinschaft verständigt sich auf (Die Mitglieder der Bundesregierung begeben ein gemeinsames Vorgehen, sich zurück zur Regierungsbank) (Lachen bei der AfD – Martin Hebner [AfD]: – Vielen herzlichen Dank. Nein! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Schon der erste Satz ist falsch!) Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 3 bis 6 auf: nach jahrelangen Verhandlungen, und das bei einem so ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ kontroversen Thema wie Migration. Wenn wir heute also CSU und SPD über den Globalen Pakt für sichere, geordnete und regu- Mit dem Globalen Pakt für eine sichere, ge- läre Migration sprechen, dann reden wir vor allen Din- ordnete und reguläre Migration die internati- gen über einen bemerkenswerten Erfolg internationaler onale Zusammenarbeit in der Migrationspoli- Zusammenarbeit. tik stärken und Migration besser regeln und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- steuern wie bei Abgeordneten der LINKEN und des Drucksache 19/6056 BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Zeiten, in denen weltweit Nationalismus gepredigt ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten wird Dr. Dietmar Bartsch, Gökay Akbulut, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE (Zuruf von der AfD: Oh!) LINKE und bewährte Prinzipien und Grundlagen unserer inter- Völkerrechtliche Standards durch Global nationalen Zusammenarbeit und unserer Beziehungen in- Compact for Migration wahren – Internatio- frage gestellt werden, setzt der Globale Pakt ein mutiges 7734 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Bundesminister Heiko Maas (A) und ein ermutigendes Zeichen für ein funktionierendes Das können Sie nachlesen: In den sozialen Medien, im (C) multilaterales Handeln. Internet, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Im Hinterzimmer!) Meine Damen und Herren, der Globale Pakt ist die überall sind dieser Pakt und die Verhandlungen darüber Antwort der Staatengemeinschaft auf eine Herausfor- sehr offen dargestellt worden. Bei mehreren hochrangi- derung, für die es eben keine rein nationalen Lösungen gen Konferenzen zur Migration haben wir über die Ver- gibt. Migration ist so alt wie die Menschheit. Migration handlungen informiert. ist ihrem Wesen nach global. Sie betrifft uns alle. Sie ge- meinsam steuern und regulieren zu wollen, liegt in unse- (Zurufe von der AfD) rem ureigenen Interesse. Der Inhalt des Globalen Paktes unterstreicht dies; er ist deshalb richtig und wichtig für Auch der Bundestag war eingebunden und hat schon uns alle. im April dieses Jahres über den Pakt diskutiert. Vor Be- ginn der eigentlichen Verhandlungen gab es fünf große (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Beratungs- und Anhörungsrunden auch für nichtstaatlich CSU und der FDP) Interessierte bei den Vereinten Nationen. Bedauerlicher- Meine Damen und Herren, bei den Wortbeiträgen in weise haben nicht alle Fraktionen davon Gebrauch ge- den letzten Wochen und auch noch einigen, die heute fol- macht. Jetzt raten Sie mal, welche nicht. gen werden, scheint mir hingegen das Empörungspoten- zial größer zu sein als das Lesevermögen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP -bemerkung von Herrn Hebner von der AfD-Fraktion? und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Ein lächerlicher Auftritt! Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Ein ganz und gar lächerlicher Auftritt von Ih- nen!) Nein, aber ich will zumindest darauf hinweisen, dass wir selbst im Auswärtigen Amt so weit gegangen sind, Tatsachen werden gezielt verdreht und Behauptungen dass wir einen Abgeordneten der AfD-Fraktion im Aus- aufgestellt, die an Böswilligkeit nicht zu überbieten sind, wärtigen Amt zweimal über den Verhandlungsstand bei etwa jene, dass der Pakt das Recht souveräner Staaten bei dem Pakt und auch über die Ergebnisse informiert haben. Migrationsfragen einschränke und ungeregelte Massen- einwanderung zur Folge hätte. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ach!) (B) (D) Wahr ist – und das steht ganz deutlich schon in der Zugegebenermaßen: völlig erfolglos. Präambel dieses Paktes –: Die nationalen Hoheitsrechte werden weder eingeschränkt, noch werden sie irgendwo- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei hin übertragen. Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Wer denn? CSU und der FDP – Dr. Alexander Gauland Wer war das denn?) [AfD]: Ja, ja!) Meine Damen und Herren, auch das will ich an die- Das muss man mal zur Kenntnis nehmen, auch wenn es ser Stelle sagen: Ähnlich transparent wie im Bundestag in die eigene Diktion nicht passt. haben wir übrigens auch die Öffentlichkeit über die Ver- Meine sehr verehrten Damen und Herren, was der handlungen, die Ergebnisse und den Inhalt informiert, im Globale Pakt aber auch deutlich macht, ist, dass Men- Übrigen auch eine Vielzahl von Medienvertretern auf die schenwürde unteilbar ist. Dies gilt für jeden, auch für die Verhandlungen hingewiesen. Es ist nicht so, dass alles, über 250 Millionen Migranten, die es auf der Welt gibt. was wir dorthin weitergegeben haben, seinen Nieder- Sich dazu zu bekennen, das sollte doch eigentlich eine schlag in der Berichterstattung gefunden hat. Deshalb Selbstverständlichkeit sein. will ich dem einen oder anderen, der in den Medien be- hauptet, dass darüber nicht ausreichend informiert oder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geschrieben worden ist, sagen: Wenn man mit dem Fin- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des ger auf andere zeigt, dann gibt es noch mehrere Finger, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die auf einen selber zurückzeigen, meine sehr verehrten Behauptet irgendjemand, dass es für manche Menschen Damen und Herren von den Medienvertretern. die Menschenwürde gibt und für andere nicht? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren, der Bundesregierung wur- der CDU/CSU) de und wird auch heute mangelnde Transparenz vorge- worfen. Ich will diesem Vorwurf auch von dieser Stelle Wenn wir von einem Erfolg sprechen, dann hat das eindrücklich widersprechen: Die Bundesregierung hat auch damit zu tun, dass wir, wie ich finde, selbstbewusst die Öffentlichkeit von Anfang an in die Aushandlung des auf die Ergebnisse des Paktes schauen können. Globalen Paktes eingebunden. (Martin Hebner [AfD]: Dann lassen Sie Zwi- (Lachen bei der AfD) schenfragen zu! Trauen Sie sich doch!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7735

Bundesminister Heiko Maas (A) Erstmals gibt es mit ihm eine internationale Absichtser- darum geht, kriminelle Schleuserbanden zu bekämpfen, (C) klärung zur Regulierung der Migration. wenn es darum geht, Rückführungen zu erleichtern. (Martin Hebner [AfD]: Erzählen Sie doch Wenn alle beim Thema Migration so weit wären wie keinen Nonsens!) wir – viele haben sich in ihrer politischen Absichtser- Wir definieren gemeinsame Ziele, die insbesondere der klärung dazu bereit erklärt –, dann würde es bei diesem Reduzierung – noch mal, damit Sie es verstehen: Redu- Thema in Zukunft auf der Welt weniger Probleme geben. zierung – von irregulärer Migration und ihren negativen (Martin Hebner [AfD]: Das ist doch Unsinn! Auswirkungen dienen. Nordamerika ist raus! Australien ist ausgestie- (Jürgen Braun [AfD]: Das ist eine pure Er- gen!) findung von Ihnen! – Weitere Zurufe von der AfD) Deshalb sollten wir diesen Pakt und damit auch alle, die sich bereit erklärt haben, auf diese Ziele hinzuwirken, Dies ist ausdrückliches Leitprinzip des Paktes. Deshalb unterstützen. profitieren auch wir in Deutschland davon, dass er ver- abschiedet wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU, der FDP und des BÜND- (Martin Hebner [AfD]: Lassen Sie eine Zwi- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander schenfrage zu! Trauen Sie sich doch mal!) Gauland [AfD]: Sind die alle irre? Sind Aus­ Dieser Pakt ist auch im deutschen Interesse – im deut- tralien und die USA Verrückte?) schen Interesse. Verstanden? Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP will ich noch sagen: Es geht auch um so was wie Glaub- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) würdigkeit. Es gibt Länder, die sich zwar nicht aus der Verhandlung, aber letztlich aus der Zustimmung verab- Es geht nämlich auch darum, dass Migranten in ihren schiedet haben. Heimatregionen besser versorgt werden, (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja, ja!) (Martin Hebner [AfD]: Ja, viele!) dass Fluchtursachen bekämpft werden, Das muss jeder mit sich selber ausmachen. (Martin Hebner [AfD]: Das ist doch Unsinn! – (Siegbert Droese [AfD]: Peinlich, sich so was Dr. Alexander Gauland [AfD]: Eritrea nimmt anzuhören! Das ist Unfug, was Sie erzählen!) (B) unsere Sozialpolitik auf – ja, ja!) (D) Wie glaubwürdig ist es, an den Verhandlungen teilzu- dass Menschen dort, wo sie leben, unterstützt werden; nehmen, den Text dieses Paktes mitzuschreiben und sich eine Forderung, die wir als deutsche Bundesregierung dann aufgrund einer schnell geführten und nicht unbe- von Anfang an erhoben und in die Verhandlungen einge- dingt von Fakten geprägten innenpolitischen Debatte bracht haben. Deshalb ist ein Ziel dessen, was dort nie- aus diesem Pakt zu verabschieden? Ich verstehe das bei dergeschrieben ist, dass Menschen in ihrer Heimat eine einigen nicht. Aber ich muss es auch nicht unbedingt ver- Lebensperspektive haben. Die Konsequenz ist, dass es stehen. nicht mehr, sondern weniger Migration auf der Welt gibt. (Martin Hebner [AfD]: Unsinn!) Ich weiß nur eines: Es ist höchste Zeit für diesen Pakt. Die Probleme der Welt wachsen immer weiter zusam- Aber auch das scheint für den einen oder anderen zu men. Die Augen davor zu verschließen, ist nichts anderes schwer zu verstehen zu sein. als naiv. Der Globale Pakt ist keine internationale Ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schwörung. Er ist ein Akt der Vernunft. Deshalb verdient der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- er unsere Zustimmung. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren, auch das will ich sagen: Es der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des gibt kaum ein Land auf der Welt, das von internationaler BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zusammenarbeit und von multilateralem Handeln mehr profitiert als Deutschland. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Martin Hebner [AfD]: Die Nachbarländer Vielen Dank, Heiko Maas. – Ich möchte Ihnen mit- sind ausgestiegen!) teilen, dass auf Antrag der AfD über diesen Punkt, also Deshalb sollten doch gerade wir wissen, dass die großen die Vorlage von CDU/CSU und SPD zum Globalen Pakt Herausforderungen – die Migration gehört zweifelsohne für eine sichere, geordnete und reguläre Migration, na- dazu – eben nur im globalen Zusammenwirken bewältigt mentlich abgestimmt wird. Das ist kurzfristig, aber es ist werden können. Deshalb fordern wir auch von anderen möglich. Ländern ein Bekenntnis zum multilateralen Handeln und (Beifall bei der AfD) fordern sie auf, vieles von dem, was wir in Deutschland beim Thema Migration längst zur Realität gemacht ha- Eine Fraktion kann das beantragen. Also wird es am Ende ben, auch zu ihrer Realität werden zu lassen, wenn es der Debatte dazu eine namentliche Abstimmung geben. 7736 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Nächster Redner: Dr. Gottfried Curio für die Voraussetzungen nie, sondern von Chaos, Gewalt und (C) AfD-Fraktion. Verdrängung. (Beifall bei der AfD – Jürgen Braun [AfD]: (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Erhard Die anderen Fraktionen können sich alle bei Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo- Herrn Maas bedanken!) raus zitieren Sie?) Humanitär ist an Massenwanderungen nichts. Entlas- Dr. Gottfried Curio (AfD): tung der Wunschzielländer? Unsinn! Andere Länder sind Sehr geehrter Präsident! Geehrte Abgeordnete! Dieser weder willens noch in der Lage, Standards der Versor- Pakt ist ein Trojanisches Pferd. gung vergleichbar den deutschen einzuführen. Aber bei kritischer Berichterstattung droht der Pakt mit finanziel- (Widerspruch bei der SPD – Michel Brandt len Sanktionen, also Zensur. Nichts zeigt besser den Cha- [DIE LINKE]: Ihr seid ein Trojanisches Pferd! rakter dieses Abkommens und seiner undemokratischen, Faschisten!) ja diktatorischen Akteure. Er soll die Beendigung chaotischer Zustände suggerieren (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) und birgt in seinem Innern unzählige neue Probleme. In Deutschland ist man da mit Herrn Maas’ Zensurgesetz Frau Merkel, die sich gerade davonstiehlt, will ihre schon mal mutig vorangegangen. Urkatastrophe von 2015 in einem globalen Migrations- plan verstecken und nachträglich rechtfertigen und vor (Marian Wendt [CDU/CSU]: Hören Sie doch allem für die Zukunft auf Dauer stellen. auf!) (Michel Brandt [DIE LINKE]: Sie haben Bei der Regierung heißt das dann: Wir erfüllen die Zie- keine Ahnung, was eine Urkatastrophe ist!) le doch schon. – Ja, schlimm genug, meine Damen und Herren. Deutschland war maßgeblich federführend. (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Sie Der Pakt transportiert unter falschen Etiketten das sind schlimm genug!) Gegenteil dessen, was er vorgibt. Er ordnet und steuert Migration nicht, sondern weitet sie uferlos und chaotisch Laut Pakt bekommt jeder, der irgendwie nach aus. Alle bisher ordnenden Instrumente entfallen ersatz- Deutschland kommt, Zugang zum Sozialsystem, ohne je los. etwas beigetragen zu haben. Und wir alle sollen diesen Wahnsinn bezahlen. (Beifall bei der AfD) (B) (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das stimmt (D) Kein Fluchtgrund, kein Asylgrund, keine Qualifikation doch überhaupt nicht! – Marian Wendt [CDU/ sind mehr nötig, um einzuwandern; keine Papiere, ja kei- CSU]: Alles Lüge! – Ulrich Lechte [FDP]: Das ne Legalität – nichts. ist doch absoluter Unsinn! So ein Schmarrn!) (Christoph de Vries [CDU/CSU]: Sie erzählen Unbegrenztes Zuzugsrecht für jeden als Anspruchsrecht das Blaue vom Himmel, Herr Curio! Das ist ja für „Klimaflüchtlinge“. unglaublich!) (Ulrich Lechte [FDP]: Absoluter Unsinn, Er propagiert die „voraussetzungslose Migration“. Er ist Herr Kollege! So ein Schmarrn!) nichts anderes als eine verantwortungslose Einladung zur weltweiten Völkerwanderung nach Deutschland ohne Die Migranten müssen bis zum Zielland optimal be- Obergrenze. gleitet und versorgt werden. Hunderttausende illegale Migranten genießen hierzulande schon jetzt, wovon der (Beifall bei der AfD – Frank Müller-Rosentritt normale Bürger nur träumen kann: das bedingungslose [FDP]: Quatsch! So ein Quatsch! – Weitere Grundeinkommen. Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Dr. Jens Zimmermann Weitere falsche Etiketten: „Positive Auswirkungen“, [SPD]: Dann ziehen Sie doch mal in eine heißt es da. Flüchtlingsunterkunft!) Mit fataler Sogwirkung: Millionen wanderwillige Afri- Vizepräsidentin Claudia Roth: kaner sitzen auf ihren Koffern. Herr Dr. Curio, erlauben Sie eine Zwischenfrage? (Michel Brandt [DIE LINKE]: Sie sind nur am Rumlügen! Eine Lüge nach der anderen!) Dr. Gottfried Curio (AfD): Nein, grundsätzlich nicht. Der Pakt verheißt denen die soziale Hängematte, und wir sollen sie aufspannen, moralisch geknebelt durch eine (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Konstantin vorgebliche humanitäre Verpflichtung. Kuhle [FDP]: Weil er ihn nicht gelesen hat!) (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unverträglichkeiten, sozial und kulturell, werden von NEN]: Das ist intellektuell so unwürdig, was Ihnen komplett ignoriert, wie in Deutschland üblich. Sie hier abziehen! – Zuruf von der LINKEN: Eine Quelle von Wohlstand ist Migration unter solchen Eine Lüge an der nächsten!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7737

Dr. Gottfried Curio (A) Bei uns darf der Rentensatz ins Bodenlose fallen, bing gegen Andersgläubige, Gewalt und Terror. Braucht (C) irgendjemand mehr davon in Deutschland? Ich denke, (Marian Wendt [CDU/CSU]: Das stimmt auch nein. nicht! Er wird jetzt stabilisiert bei 48 Prozent!) aber 50 Milliarden Euro pro Jahr für Asylforderer, und (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Sie brau- diese Ausbeutung wird jetzt globalisiert, unendlich ver- chen den Ariernachweis, Herr Curio! Sie brau- vielfacht. chen den Ariernachweis!) (Beifall bei der AfD) Kein Wort davon im Text. Dieser Pakt will betrügen. Von Frau Merkel aber wird Souveränität und Interes- (Beifall bei der AfD) senvertretung des eigenen Landes, eigentlich ihr Amts- Deutschland muss seine Entscheidungshoheit wahren; eid, als Nationalismus verleumdet. selbst bestimmen, wer herkommt. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Wer sind denn die Spender, deren Interessen Sie vertreten?) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Es sollen welche herkommen? Sie haben gerade gesagt, Sie arbeitet gegen die eigene Bevölkerung. Wer diesen es sollen keine herkommen! Was denn nun?) Pakt unterschreibt, gehört abgewählt. Dieses gigantische Umsiedlungsprogramm für Migran- (Beifall bei der AfD) ten jeder Art muss verhindert werden. Überall wird da von Selbstverpflichtung gesprochen, Von Zurückweisung an den Grenzen finden Sie im zur Überwachung noch gar Kontrollinstitutionen. Ille- Text kein Wort. Die Sicherung der EU-Außengrenzen gale Migration wird zum irregulären Status weißgewa- kann man sich dann sparen. Der Pakt will sogar durch schen, soll entkriminalisiert werden. Das erinnert an Frau Grenzmanagement Grenzübertritte erst gewährleisten. Merkels Rechtsbruchmentalität: (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Quatsch! (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ekel- Alles Quatsch!) haft!) Sanktionen gegen illegale Migranten sollen revidiert Illegalität zu Legalität machen, wie sich jeder Berufskri- werden, ob sie nicht diskriminierend seien. minelle wünscht. Wieder soll Politik über dem Gesetz stehen, wie 2015. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Solche Reden machen einen nur stärker in der Überzeugung!) (B) Wirtschaftsmigranten sollen politisch Verfolgten und (D) Kriegsflüchtlingen gleichgestellt werden. Wahrscheinlich ist ein Abschiebeknast einfach diskrimi- nierend. Dafür soll es einen Spurwechsel geben, irregulär (Marian Wendt [CDU/CSU]: Das stimmt doch nach regulärer Migrant. gar nicht! Das sind zwei verschiedene Sachen! Da schmerzt einem der Kopf!) (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Glauben Sie eigentlich selbst, was Sie da erzählen?) Nach Status des Migranten soll nicht mehr unterschie- den werden. Sozialleistungen für alle. Negative Effekte Die Unterscheidung zwischen Illegalität und Legalität, werden planvoll ausgeblendet. Migration sei Quelle von die Sie verwischen wollen, muss erhalten bleiben in ei- Wohlstand und Innovation. nem Rechtsstaat. Illegaler Grenzübertritt ist strafbar. Da- bei muss es bleiben. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Bei der Wahrheit bleiben!) (Beifall bei der AfD – Marian Wendt [CDU/ Dieser Wohlstand beläuft sich auf Kosten von bis zu CSU]: Reden Sie zum Thema!) 50 Milliarden Euro pro Jahr. Dieser Pakt ist, wie wenn eine Regierung Einbrüche (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ganz bekämpfen will, indem sie sie grundsätzlich legalisiert, vorlesen!) aber nur nachts zwischen 22 Uhr und 6 Uhr geordnet, si- cher und regulär eingebrochen werden darf. So wird dann Als Innovation haben wir die neu grassierende Mes- auch Einbruch endlich geordnet und gesteuert. serkriminalität und Gruppenvergewaltigungen. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Elende Hetzerei!) Gegen Schlepper will man vorgehen, aber die Ge- schleppten als Opfer straffrei stellen. Sie sind aber krimi- Nirgends Hinweise auf die massiven sozialen Verwer- nelle Auftraggeber ihrer kriminellen Lieferanten. fungen von Migration: Kontrollverlust des Rechtsstaats, explodierende Kriminalität, Neue Papiere will man ausstellen, stellt sich damit aber nur in den Dienst des Identitätsbetrugs Hundert- (Ulrich Lechte [FDP]: Die Kriminalitätsrate tausender Passvernichter. Migranten von Deutschland geht zurück, nach allen Statistiken!) weglenken will man durch höhere Sozialleistungen für Plünderung der Sozialsysteme, uferlose Integrations- Migranten weltweit. Aber andere Länder werden nicht kosten, verfassungsferne Parallelgesellschaften, Mob- Leistungsstandards auf deutschem Niveau einführen. 7738 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Gottfried Curio (A) Der Pakt bringt keine Entlastung Deutschlands. Er nächste Rednerin auf. Das ist Andrea Lindholz für die (C) bekennt sich zur Förderung von Migration. Migranten CDU/CSU-Fraktion. sollen Unterstützung bekommen. Migration sei zu ge- währleisten. Migration an sich: Sie ist kein Wert an sich, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- oft ein Unwert. ordneten der SPD)

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Sind Sie schon Andrea Lindholz (CDU/CSU): jemals in Ihrem Leben umgezogen?) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Und die Migranten sollen sofort Zugang zum Arbeits- Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! markt haben, mittels – man höre! – Anerkennung nicht Jetzt kochen wir das Ganze erst mal wieder ein bisschen formal erworbener Fertigkeiten. herunter und beschäftigen uns mit den Fakten. Mal zulangen in Afrika ist keine deutsche Ausbildung, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP aber dafür Zugang zu Sozialschutz und Grundleistungen: und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Freizügigkeit für Wanderarbeiter dieser Art bringt Im- bei Abgeordneten der LINKEN) port unzähliger Sozialfälle. Für den Pakt heißt Integra- Wir stimmen heute unter anderem über einen Antrag tion wohl, dass Migranten Hartz IV ohne Dolmetscher der Koalitionsfraktionen zum globalen Migrationspakt beantragen können. ab, in dem wir als Parlament unsere Erwartungen for- mulieren. Wir verfolgen ein klares Ziel, und das heißt: (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Eine Migration ordnen, steuern, begrenzen. Dieser Pakt kann Aneinanderreihung von Lügen ist das!) uns dabei auch auf internationaler Ebene helfen. Das Ganze ist eine politische Aufrüstung der Migran- Auch ich habe in den vergangenen Wochen viele ten gegen den Aufnahmestaat. Der Pakt spricht den An- E-Mails und Briefe dazu erhalten und viele Gespräche sässigen Pflichten zu gegen die Migranten, den Migran- geführt. Ich weiß, dass ein Teil der Bevölkerung beunru- ten nur Rechte, beides ohne Grund. higt ist und dass wir in den vergangenen Jahren auch ein Muss das alles eigentlich noch irgendwer erarbeiten? Stück weit Vertrauen in die Migrationspolitik verloren Ach ja, der dumme Deutsche. Er wird doch kein rassisti- haben. scher Nazi sein und sein Erspartes diskriminierenderwei- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) se nicht herausgeben wollen für die ganze schöne bunte Vielfalt. Wir nehmen als Parlamentarier diese Bedenken sehr (B) ernst und reagieren auch darauf. In Deutschland zeigen (D) (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Hass­ wir seit 2015 mit verschiedenen Maßnahmen kontinu- prediger!) ierlich, dass wir uns in unserem Land den Herausforde- rungen stellen und dass die Asylzahlen sinken. In diesem Bezeichnenderweise sind die meisten Zustimmungslän- Jahr beraten wir das Fachkräftezuwanderungsgesetz, der keine Zielländer der Migration. ein weiteres Gesetz zur konsequenten Durchsetzung der (Beifall bei der AfD) Ausreisepflicht. Wir haben AnKER-Zentren eingerichtet und den Familiennachzug eingeschränkt. Dieser von Frau Merkel angestoßene Pakt, minuti- Wir haben auf nationaler Ebene viel getan, aber ös geplant bei der UN, bei den „Verneinten Nationen“. Migration ist und bleibt nun mal ein globales Phänomen, Es heißt, er sei ein Meilenstein, aber noch nicht der das man nur global, nicht allein national lösen kann. Endpunkt. Das steht da. Wohin geht denn die Reise? Was lesen wir? In einer EU-Studie von 2010 heißt es: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Deutschland könne bis zu 274 Millionen Einwohner ha- wie bei Abgeordneten der FDP) ben. – Schöne neue Welt. Das schaffen wir auch nicht alleine, auch wenn es so (Marian Wendt [CDU/CSU]: So ein Blöd- schön einfach wäre, zu sagen: Das kann man alles nur sinn!) bei uns regeln. Der Pakt verschafft uns dann ein alljährliches 2015, ganz Dieser Pakt soll erstmals einen unverbindlichen Rah- unverbindlich; denn so soll es in der Union jetzt weiter- men schaffen, der eine internationale Zusammenarbeit in gehen: mit einem ab Dezember kontinuierlichen Wei- der Migrationspolitik dokumentiert. Wie man sich über ter-so, der absolut konstanten Katastrophe, kurz: AKK. einen unverbindlichen Rahmen so aufregen kann, darü- ber kann ich mich, ehrlich gesagt, nur wundern. (Beifall bei der AfD – Abgeordnete der AfD erheben sich – Abgeordnete der AfD gratulie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- ren dem Redner – Zurufe von der SPD: Pfui!) ruf von der AfD: Erfahrungen!) Wir wollen ganz klar auch bei uns die Trennung von Vizepräsidentin Claudia Roth: legaler und illegaler Migration. Dürfte ich die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Be- (Abg. Martin Hebner [AfD] meldet sich zu geisterung bitten, wieder Platz zu nehmen? – Ich rufe die einer Zwischenfrage) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7739

Andrea Lindholz (A) Wir wollen, dass andere Staaten ihren Bürgern Pässe aus- res Antrags sprechen Sie über den „Globalen Pakt für (C) stellen und sie zurücknehmen. Wir wollen das Schleuser- Flüchtlinge“. Warum wird darüber nicht berichtet? tum bekämpfen und Fluchtursachen beheben. Wir wol- (Zuruf von der CDU/CSU: Stellen Sie dazu len, dass andere Länder bei der Arbeitsmigration bessere doch einmal einen Antrag! – Alexander Graf Standards setzen und auch mehr Verantwortung für die Lambsdorff [FDP]: Ist das eine Frage oder Migration übernehmen. eine Rede?) (Abg. Martin Sichert [AfD] meldet sich zu Es läuft hinter dem Globalen Pakt für Migration, im einer Zwischenfrage) Windschatten, ein zweiter Pakt. Darüber wird der Öf- fentlichkeit nichts berichtet – man hat aus dem Kommu- All das adressiert dieser Pakt. Auf all das hat man sich nikationsdesaster offensichtlich nichts gelernt –, und der dort verständigt, und das ist gut so, auch für unser Land. zweite Pakt wird dann hinterhergezogen. Warum berich- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten Sie darüber nicht? (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Claudia Roth: NEN]: Lesen Sie einmal Zeitung oder irgend- was!) Frau Lindholz, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Hebner von der AfD-Fraktion? Warum wird darüber nicht öffentlich gesprochen? Herr Maas hat gesagt, er hätte informiert, was nicht rich- (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: tig ist. Warum hat er sich hier nicht gebessert? Warum Nein!) hat er sich in diesem Falle nicht am Riemen gerissen und etwas mehr investiert? Bitte beantworten Sie, warum das – In der Regel beantwortet das die Gefragte selber. – Frau Thema in der Bevölkerung nicht aktiv adressiert wurde, Lindholz. und warum das in diesem Falle so lange verschwiegen wurde. (Konstantin Kuhle [FDP]: Es wird nur gelo- gen! Lassen Sie es sein!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der AfD) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Ja, ich lasse die Zwischenfrage zu. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Also, Herr Kollege, ich stehe hier als Vertreterin des (B) (Beifall bei der AfD) Parlaments und nicht als Vertreterin der Regierung. (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsidentin Claudia Roth: ordneten der FDP) Bitte, Herr Hebner. – Nicht Sie, Herr Sichert. Herr Ich will mich auch nicht in die Öffentlichkeitsarbeit der Hebner war zuerst dran. Regierung einmischen. Es ist vieles kommuniziert wor- den, aber wir müssen konstatieren: Es ist in der Bevölke- rung nicht alles angekommen. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Ich lasse eine Zwischenfrage zu. Sie dürfen sich ent- (Zuruf von der AfD: Gar nichts!) scheiden, wer. Ich lasse eine Zwischenfrage zu. – Nein, es ist nicht richtig, wenn Sie sagen: „Gar nichts!“ – Es ist durch die Netzwerke eine unglaubliche Vizepräsidentin Claudia Roth: Politik auch der Falschberichterstattung gegangen. Bitte. (Beifall bei der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Martin Hebner (AfD): Wir als Parlamentarier von der Koalitionsfraktion – Herzlichen Dank für die Erlaubnis, eine Zwischenfra- ich habe das auch in den Zuschriften erlebt, die ich be- ge stellen zu können. – Sie sagten gerade, wir beschäfti- kommen habe – haben uns ganz klar die Frage gestellt: gen uns als Parlament damit. Frau Lindholz, man muss Was können wir machen, was können wir tun, um der ganz klar sagen: Wir haben hier einen aus unserer Sicht Bevölkerung die Ängste zu nehmen und ihnen zu erklä- reinen Erfolg der Opposition zu verbuchen, dass endlich ren, was wir unter dem Pakt verstehen, wie wir ihn als die Regierung zu einem in diesem Fall Deutschland mas- nationaler Gesetzgeber verstehen und welche Migrati- siv ändernden Pakt Stellung nimmt. Warum haben Sie onspolitik wir als Parlamentarier verfolgen? nicht frühzeitig darüber informiert? Warum so kurz vor zwölf vor der Annahme? Warum stellen Sie jetzt einen Wenn Sie meine Rede bis zum Ende hören, dann wer- Antrag, wenn das Ganze so unverbindlich ist, das Ganze den Sie darauf eine Antwort finden. Es gibt nämlich nur noch zu verbessern? ein einziges Mittel, mit dem dieser Bundestag und diese Parlamentarier sagen können, wie sie sich die Migrati- Ein ganz großer Punkt: Sie sprechen hier gerade über onspolitik der Bundesregierung, wie sie sich diesen Pakt den „Globalen Pakt für Migration“; ganz am Ende Ih- vorstellen und wie sie ihn interpretieren. Das tun wir mit 7740 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Andrea Lindholz (A) diesem Antrag; deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Gesetzgeber, der Deutsche Bundestag, möchte und er- (C) Sie unserem Antrag einfach zustimmen könnten, der wartet. nämlich genau von Ordnung, Steuerung und Begrenzung spricht (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP]) (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es!) Abschließend noch: Wer uns vorgaukelt, andere Staa- und der auch davon spricht, dass man die Öffentlichkeit, ten würden aus dem Pakt austreten, der muss sich damit ich betone jetzt: noch besser aufklären sollte. Ich muss ja einmal genauer beschäftigen. Aus dem Pakt tritt man aus, konstatieren: Wenn sich die Bevölkerung teilweise nicht wenn man aus der UN-Generalversammlung austritt. Die aufgeklärt fühlt, hat man vielleicht etwas versäumt. Resolution wird im Januar als unverbindliche UN-Reso- (Martin Hebner [AfD]: Oh ja!) lution angenommen. Dafür reicht eine einfache Mehr- heit. Da sind alle Staaten mit im Boot. Sie glauben doch Wir wollen frühzeitig unterrichtet werden. All das nicht allen Ernstes, dass Österreich zum Beispiel aus den steht in unserem Antrag drin. Deswegen ist unser Antrag Vereinten Nationen aussteigt? ein guter Antrag. Es ist unser Instrument als Parlamenta- rier, der Regierung unsere Grundsätze mit auf den Weg (Martin Hebner [AfD]: Das ist falsch, was zu geben. Genau das wollen wir heute tun. Sie sagen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Sämtliche Austrittsbekundungen und Austrittserklä- wie bei Abgeordneten der FDP) rungen sind schlicht und ergreifend Falschbehauptun- Ich kehre kurz zurück. Ich habe gerade vieles ausge- gen, sie sind Augenwischerei. Das einzig geeignete In­ führt, was in diesem Pakt drinsteht und was gut wäre, strument des Parlaments ist unser Antrag, und deshalb wenn es alle Länder auch so erfüllten. Natürlich kann man bitte ich auch um Zustimmung. sich über die eine oder andere Formulierung unterhalten. Danke schön. Man kann auch sagen: Ist das vielleicht etwas zu posi- tiv, nur im Sinne einer „positiven“ Migration formuliert, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ohne Grenzen und Risiken genau genug zu beschreiben? bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Darüber kann man sich unterhalten; das ist korrekt. Aber GRÜNEN) der Punkt ist: Er adressiert international erstmals Rege- lungen. Es wäre auch für uns gut, wenn sich alle Länder

dazu entschließen könnten, das umzusetzen. Damit kom- Vizepräsidentin Claudia Roth: me ich jetzt zum Umsetzen. Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Stephan ­Thomae. Was können wir als Parlament tun? Ich habe es gerade ausgeführt. Wir können mit diesem Antrag – das wissen (Beifall bei der FDP) Sie, wenn Sie ihn gelesen haben, und das haben Sie of- fensichtlich – ganz klar sagen: Das sind unsere Ziele in der Migrationspolitik: ordnen, steuern und begrenzen. Stephan Thomae (FDP): Und unsere nationale Souveränität steht nicht zur Dispo- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen sition – heute nicht, morgen nicht und auch nicht durch und Kollegen! Meine Damen und Herren! Migration ist diesen Migrationspakt. eine globale Herausforderung, ein globales Phänomen. Deswegen ist es doch zunächst einmal richtig und wich- (Beifall bei der CDU/CSU – Martin Hebner tig, dass sich die Vereinten Nationen mit diesem Phäno- [AfD]: Natürlich! – Weiterer Zuruf von der men befassen, sich dieser Herausforderung annehmen AfD: Dann gehen Sie doch nach Marrakesch!) und dieses Thema auch behandeln. Ganz sicher wäre Unsere Gesetzgebung, unsere Gesetze stehen nicht zur vor wenigen Jahren, vor fünf Jahren, dieses Thema ganz Disposition, heute nicht, morgen nicht und auch nicht sachlich und unaufgeregt hier im Bundestag behandelt durch diesen Pakt, es sei denn, dieses Parlament ändert worden. Nur in Zeiten, in denen der US-Präsident eine sie. Mauer zu Mexiko errichten will und wir unter dem Ein- druck einer Flüchtlingsbewegung stehen, unter solchen (Martin Hebner [AfD]: Das ist völlig falsch!) Vorzeichen haben wir diese aufgeregte, nervöse Debatte Und mit diesem Antrag geben wir zum einen ein Si- bei uns. gnal nach außen, in die Welt. Wir geben der Bundesre- gierung unsere Vorstellung, unseren Auftrag mit auf den Sicher wäre es die Aufgabe der Bundesregierung ge- Weg. Wir können damit international Einfluss nehmen. wesen, frühzeitig, National richten wir unsere Vorstellungen ganz genau (Beifall des Abg. Martin Hebner [AfD]) auch an unsere Gerichte und an unsere Institutionen. Damit kann niemand einfach nur den Pakt heranziehen, von sich aus, proaktiv die Öffentlichkeit zu informieren. sondern es muss immer auch unser Antrag berücksichtigt Denn spätestens seit TTIP wissen wir: Wenn man das werden. Das ist weit mehr als eine Protokollerklärung, nicht tut, überlässt man Populisten von rechts und von die man irgendwo bei den Vereinten Nationen an die Re- links die Deutungshoheit, und sie werden diese Felder solution hinten anhängt. Das ist das, was der deutsche besetzen, werden die Öffentlichkeit mit Halbwahrheiten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7741

Stephan Thomae (A) und Unwahrheiten verunsichern und die Vorhaben ver- rum geht, die Bindungswirkung eines völkerrechtlichen (C) unglimpfen. Vertrages zu modifizieren oder zu reduzieren. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Exakt!) Deswegen muss man solche Dinge von sich aus und pro- Wenn wir das täten, gingen wir gerade denen auf den aktiv angehen. Leim, die die falsche These vertreten, dass es sich um eine Bindungswirkung handle. Deswegen ist auch eine Ich will nur einmal ein Beispiel geben, wo mit sol- Vorbehaltserklärung hier völlig fehl am Platz. chen Unwahrheiten und Halbwahrheiten gearbeitet wird. Wir haben hier gerade wieder gehört, dass der Eindruck (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) erweckt werden soll, Deutschland gehe zahlreiche Ver- Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ste- pflichtungen ein, verpflichte sich, mehr Flüchtlinge auf- hen wir von der FDP zu diesem Pakt. Er enthält zahlrei- zunehmen. che Ziele, zu denen auch wir stehen, viele Standards, die wir ohnehin schon erfüllen. Deswegen wäre es richtig, Mich hat eine E-Mail erreicht, in der jemand die Worte wenn diese Standards internationale Standards würden. „sich verpflichten“ in der deutschen Übersetzung gezählt hat: 89-mal würden die Worte „sich verpflichten“ auftau- Vielen Dank. chen. Das hat übrigens auch etwas mit der Übersetzung zu tun. Das englische Original verwendet nicht das Wort (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der „obligation“, sondern das „commitment“ und „commit“. SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- „to commit“ bedeutet eigentlich nicht „sich verpflich- SES 90/DIE GRÜNEN) ten“, es bedeutet vielmehr „anstreben“. Auch damit hat es zu tun, aber auf das wollte ich gar nicht hinaus. Es soll Vizepräsidentin Claudia Roth: der Eindruck erweckt werden, als könne auch durch eine Vielen Dank, Stephan Thomae. – Nächste Rednerin: solche unverbindliche Erklärung, einen solchen Pakt, Petra Pau für die Fraktion Die Linke. eine Art Völkergewohnheitsrecht entstehen. Völkerge- wohnheitsrecht, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ent- (Beifall bei der LINKEN) steht bei übereinstimmender, gemeinsamer Rechtspraxis, getragen von der Überzeugung der rechtlichen Verbind- Petra Pau (DIE LINKE): lichkeit. Genau das ist in diesem Pakt doch nicht der Fall. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Nummer 7 des Pakts besagt ganz ausdrücklich, dass die- nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir ser Pakt rechtlich nicht verbindend ist. Klarer kann man reden heute über einen globalen Pakt für Migration. Er (B) es doch gar nicht mehr sagen. ist seit Wochen in den Medien, mal erhellend und mal (D) finster. Er soll in wenigen Tagen von Repräsentanten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so- möglichst vieler Staaten weltweit unterzeichnet werden. wie bei Abgeordneten der SPD) Umso wichtiger ist es, dass wir hier im Bundestag da- Es kann doch kein Völkergewohnheitsrecht entstehen, rüber diskutieren. Natürlich haben die Bürgerinnen und wenn klar gesagt wird: Es soll rechtlich nicht verbindlich Bürger unseres Landes ein Anrecht darauf, zu erfahren, sein. – Man kann es nicht klarer sagen. wie die unterschiedlichen Fraktionen dazu stehen. Das gehört zur Demokratie. Ganz im Gegenteil formuliert dieser Pakt zahlreiche Ziele und setzt Standards, die wir doch auch zu unse- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ren Zielen erklärt haben, Standards, die wir auch haben. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Ich will nur ein paar vorlesen – es ist zum Teil schon GRÜNEN) genannt –: Ursachen irregulärer Migration reduzieren, Wenn wir über Migration sprechen, dann sprechen Schleuserbekämpfung, Grenzmanagement, Freiheits- wir über Menschen, über Menschen mit Würde und An- entzug als Ultima Ratio, die bessere Anerkennung von spruch auf Freiheit. Bildungsstandards, die Aushandlung von Abkommen zur Rücknahme abgelehnter Flüchtlinge und Asylbewerber, (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem bessere Zusammenarbeit bei der Ausstellung von Passer- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- satzpapieren, um Rücküberstellungen und Abschiebun- geordneten der CDU/CSU) gen möglich zu machen. – Das sind doch alles unsere Das sollten wir bei allem Politdeutsch nicht vergessen. Standards; das sind doch unsere Ziele, und wenn sich andere dazu auch bekennen, dann senkt das doch den Migration ist übrigens kein neues Thema, sondern Migrationsdruck auf Deutschland. Wir müssen doch uralt. Wir debattieren hier in Berlin. So will ich daran dieses Abkommen wollen, meine verehrten Kolleginnen erinnern: Ohne Migration vor 1 200 Jahren würde es die- und Kollegen. se Stadt überhaupt nicht geben. Erst kamen die Slawen, dann die Friesen, später die Hugenotten. Heute ist Berlin (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so- eine weltoffene, multikulturelle, international gefragte wie bei Abgeordneten der SPD) Metropole, und das ist auch gut so. Deswegen halte ich auch nichts davon, das Abkom- (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie men mit einem Vorbehalt zu versehen. Eine Vorbehalts- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE erklärung gibt man im Völkerrecht dann ab, wenn es da- GRÜNEN) 7742 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Petra Pau (A) Migration ist nicht nur eine alte, sondern zugleich rechtlichen Umgang mit Migrantinnen und Migranten, (C) auch eine weltweite Herausforderung, und deshalb kann einschließlich ihrer Kinder und Familien, sie auch nur global geregelt werden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- bis hin zur Verhinderung von Missbrauch von Migran- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE tinnen und Migranten in der Arbeitswelt, etwa durch den GRÜNEN) Ausschluss von Dumpinglöhnen. Es gibt übrigens eine ganze Reihe weiterer Aufgaben, (Beifall bei der LINKEN) die nur gemeinsam und international gelöst werden kön- nen. Ich verweise nur auf den Klimawandel. Wer indes Die Linke ist auch der Auffassung, dass die unsägliche meint, auf globale Fragen könne man national borniert Praxis, wonach Seenotrettung kriminalisiert wird, umge- antworten, hat entweder die Zeichen der Zeit nicht ver- hend beendet werden muss. standen, oder er schlafwandelt im Gestern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Und: Wir sind der Auffassung, dass eine tatsächliche geordneten der CDU/CSU) Bekämpfung von Fluchtursachen, wozu übrigens Kriege und Rüstungsexporte ebenso gehören wie die drohende Zurück zum Gegenstand der heutigen Debatte. Wir Klimakatastrophe, an der Zeit ist. haben es mit einem der wenigen Fälle zu tun, wo unter dem Dach der UNO versucht wurde, etwas Wegweisen- (Beifall bei der LINKEN) des zu verabreden. 190 Staaten waren am Entwurf des Kurzum, wir plädieren dafür, dass die Bundesregie- globalen Migrationspaktes beteiligt. Auch hier sagt Die rung dem globalen Migrationspakt zustimmt. Linke: Ein solches Herangehen ist wichtig und richtig. (Zuruf von der AfD: Ihr habt die Mauer ge- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. baut!) Ulrich Lechte [FDP]) Sie sollten es aber keineswegs dabei belassen, sondern Übrigens – man kann es ja nicht oft genug sagen –: sich auch mit den weiter gehenden Forderungen beschäf- Kein Staat verliert durch den Globalpakt seine Hoheit, tigen. keine Grenze wird abgeschafft, kein Migrant wird ge- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der schleust. Wer anderes behauptet, der irrt oder, schlimmer AfD: unter sich!) (B) noch, verwirrt die Öffentlichkeit. (D) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Vizepräsidentin Claudia Roth: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Vielen Dank, Petra Pau. – Nächste Rednerin: geordneten der CDU/CSU und der FDP) Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen. Es geht vor allem darum, Menschen in ihren Her- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kunfts‑, Ziel- und Transitländern vor Entrechtung, Aus- beutung und unmenschlichen Bedingungen zu schützen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dieses Anliegen unterstützt Die Linke und mithin auch NEN): etliche der 23 Vorhaben, die in diesem Globalen Pakt for- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und muliert sind. Herren! Heute und in den vergangenen Jahrhunderten ha- (Beifall bei der LINKEN) ben viele Deutsche ihr Zuhause verlassen und ihr Glück woanders gesucht. Viele Menschen von anderswo haben Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, miss- in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Es gab, es lich ist: Wir stimmen heute nicht über den Globalpakt ab, gibt und es wird immer Migration geben. Das ist einfach sondern über Ihren Antrag. ein ganz normaler Fakt. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Der ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, noch besser! Zustimmung empfohlen!) bei der SPD und der LINKEN) Natürlich hat Migration viele Chancen, sie birgt aber Ihre Begründung, dass Sie Migration mit den unter- auch Herausforderungen. Die Frage ist doch: Wie gehen schiedlichsten Mitteln begrenzen wollen, können wir so wir damit um? Wie gestalten wir diesen Prozess? Die nicht mittragen, und deshalb können wir Ihrem Antrag Aufgabe von Politik ist doch, aus der Realität das Best- heute nicht zustimmen. mögliche für alle zu machen, Chancen zu nutzen und (Beifall bei der LINKEN) Probleme zu lösen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Linke hat auch deshalb einen eigenen Antrag vor- gelegt, weil uns im Migrationspakt etliche Punkte noch Genau das ist auch die Idee des Migrationspaktes. Es zu vage und unverbindlich sind. Wir stellen in 16 Punk- geht um klare und faire Leitlinien. Es geht darum, Men- ten konkrete und weiter gehende Forderungen zur Ab- schenschmuggel zu unterbinden. Es geht darum, Men- stimmung. Sie reichen von einem durchweg menschen- schenrechte zu schützen. Ich finde es schon traurig, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7743

Agnieszka Brugger (A) man hier stehen und betonen muss, dass Menschenrech- finden, dass Migrantinnen und Migranten keine Men- (C) te, wie der Name sagt, für alle Menschen gelten. schenrechte haben sollen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der bei Abgeordneten der CDU/CSU) SPD, der FDP und der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Pakt ist Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich in dieser auch eine Chance für mehr globale Zusammenarbeit. Debatte zeitweilig wirklich sehr besorgt hat, war, dass Das hysterische Geschrei der Nationalisten dagegen ist ich kurz das Gefühl hatte, dass jemand, der sich um den auch eine Gefahr für die internationale Ordnung. Donald CDU-Vorsitz bewirbt, anfängt, sich auf diese Diskussion Trump versucht gerade, Migrantinnen und Migranten einzulassen, oder dass es Linke gibt, die von „Aufstehen“ mit Mauern, mit Kindern in Käfigen und mit Tränen- sprechen und den Rechten nach dem Mund reden. gas zu bekämpfen. Dabei wird ja nicht nur deutlich, wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unmenschlich das ist, sondern eben auch, dass das null und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der funktioniert. Migration kann man eben nur gemeinsam LINKEN) mit anderen Staaten aus der Kooperation heraus gestal- ten. Aber ich finde, es gibt auch eine gute Nachricht. Ich bin jetzt ein bisschen beruhigter. In Estland hat die Re- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gierung auch darüber nachgedacht, diesem Pakt nicht und bei der LINKEN) beizutreten. Das Parlament hat diskutiert, und sie haben Einige freuen sich ja jetzt über Sebastian Kurz. Ös- sich zum Migrationspakt bekannt. Nach den Diskussio- terreich war der Wortführer der 27 EU-Staaten, und jetzt nen in der Linkspartei und in der CDU muss man sagen: wird da Stimmung gegen diese Vereinbarung gemacht. Wenn man sich mit der Materie beschäftigt, dann siegt Das ist doch völlig verrückt. Das zeigt aber auch, wel- am Ende einfach der gesunde Menschenverstand. che Instabilität in der Außenpolitik damit verbunden ist, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenn die Rechtspopulisten mitregieren. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SPD – Jürgen Braun [AfD]: Die FDP ist be- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten geistert von Ihnen! Frau Brugger, die FDP bie- der CDU/CSU, der SPD und der FDP) tet sich Ihnen als Bräutigam an!) An Frau Wagenknecht, aber auch an Herrn Ramsauer – Hand in Hand mit dieser rechten Allianz – das passt er ist der Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche perfekt –, inklusive Identitären, abstrusen esoterischen (B) Zusammenarbeit und Entwicklung – kann ich nur appel- (D) Verschwörungstheorien, kruden Umvolkungsthesen, be- lieren – ich habe gedacht, ich würde so etwas nie sagen –: wegt sich die AfD. Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an Herrn Dobrindt! (Jürgen Braun [AfD]: Esoterik ist doch bei Der hat sich von Anfang an klar zum Migrationspakt be- Ihnen! Das gehört doch schon fast zum Pro- kannt. gramm bei Ihnen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich muss Ihnen von der AfD auch sagen: Nicht Sie ha- Da muss man schon sagen: Die CSU hat wohl sehr ben dieses Thema hier aufgesetzt; es stand schon lange schmerzhaft lernen müssen, dass es am Ende nur den zur Debatte. Der erste Antrag dazu kam übrigens von uns Rechten hilft, wenn vernünftige Parteien auf sie zugehen, Grünen; das können Sie einfach am Datum nachlesen. ihre Sprache und ihre Angstmache übernehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie aus der Im Pakt wird gefordert, dass Migrantinnen und Defensive! Machen Sie den Rücken gerade! Bleiben Sie, Migranten sicheren Zugang zu Grundleistungen erhal- bleiben wir doch einfach cool, klar und menschlich und ten sollen. Herr Gauland hat sich in der letzten Debatte kontern die Verschwörungstheorien mit Sachlichkeit, mit hierhingestellt und das mit den Worten verspottet – ich Menschenverstand und mit Empathie! zitiere –: „Weniger empfindsame Gemüter nennen das Einwanderung in die Sozialsysteme.“ Ich frage Sie: Was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heißt das eigentlich in der Konsequenz? Ist es Ihre Po- sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- sition, dass Kinder mit Migrationshintergrund keinen KEN – Jürgen Braun [AfD]: Und mit Esoterik, Zugang zu Bildung und keinen Zugang zur Gesundheit jawohl!) erhalten sollen? Meine Damen und Herren, die Vereinten Nationen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und der Multilateralismus, das sind Werte an sich. Das ist bei der LINKEN und der SPD sowie bei Ab- unsere einzige Möglichkeit, diese Welt so zu gestalten, geordneten der FDP – Lachen bei der AfD) dass man Entwicklungen nicht einfach nur ausgeliefert ist, sondern dass am Ende alle gewinnen und die Rechte Lassen Sie doch mal Ihre Maske fallen! Zeigen Sie Ihr von allen geschützt werden können. Die Vereinten Na- wahres, hässliches Antlitz! Trauen Sie sich das mal! Stel- tionen und der Multilateralismus, das ist auch zutiefst len Sie sich hierhin, und sagen Sie eben auch, dass Sie in unserem eigenen Interesse; denn wer glaubt, dass ein 7744 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Agnieszka Brugger (A) Staat allein der ganzen Probleme Herr werden kann, der ist und nach jetzigem Stand der Dinge auch der Zukunft (C) ist einfach nur dumm. sein wird. (Abg. Martin Hebner [AfD] meldet sich zu Wir stellen heute mit diesem Antrag ausdrücklich einer Zwischenfrage) klar: Die Grenzen der Integrationsfähigkeit sind auch in unserem Land sichtbar. Wir wollen eine faire Verteilung der Lasten der Migration auf alle Länder. Und: Die nati- Vizepräsident : onale Souveränität Deutschlands steht nicht ansatzweise Frau Kollegin Brugger, erlauben Sie eine Zwischen- zur Disposition. Wir wollen allen Menschen, die zu uns frage aus der AfD-Fraktion? kommen, abverlangen, nicht nur unsere Sprache zu ler- nen, sondern sich an Recht und Gesetz zu halten. Von Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- denjenigen, die hierbleiben, erwarten wir, dass sie sich NEN): integrieren. Nein, die kriegen von mir keine zusätzliche Redezeit. (Zurufe von der AfD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wir wollen, dass dieser Pakt uns hilft, dass nicht mehr, SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) sondern dass weniger Menschen sich auf den Weg nach Europa und nach Deutschland machen. Wenn wir ins Klein-Klein zurückfallen und Menschen- gruppen gegeneinander ausspielen, dann gibt es keine (Beifall bei der CDU/CSU) Gewinner, sondern am Ende nur Verlierer. Wir wollen den Menschenschmuggel wirksam bekämp- Viele der Maßnahmen in diesem Pakt – deshalb ver- fen, und wir wollen Staaten verpflichten, dass sie ihre stehe ich auch die Aufgeregtheit in der Debatte nicht – eigenen Staatsangehörigen wieder zurücknehmen, wenn sind in Deutschland schon lange Gesetz, Alltag und Re- diese illegal in unser Land gekommen sind oder aufgrund alität. Das Einwanderungsgesetz ist der nächste Schritt. einer Gerichtsentscheidung in einem Rechtsstaat unser Wir werden auch sehr genau prüfen, ob Sie dort diese Land wieder verlassen müssen. Vereinbarungen umsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Deshalb kann ich an Sie alle nur appellieren: Lassen Zuruf von der AfD) Sie uns zusammen für unsere gemeinsame Ordnung, für – Ich höre Sie hier vorn so schlecht. Ich weiß nicht, wie unsere grundlegenden Werte einstehen! Gerade wenn alte Sie in der Fraktion miteinander umgehen, aber hören Sie Partner und Rechtspopulisten unsere gemeinsame Ord- doch erst mal zu; dann lernen Sie etwas über unseren An- nung und die Menschenrechte unter Beschuss nehmen, (B) trag, und dann können wir darüber diskutieren. (D) braucht es eine klare Haltung, braucht es Anstand und ein ganz deutliches Signal dafür aus der Mitte Europas. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Ja, es stimmt: Dieser Pakt ist nicht verbindlich. Aber er setzt Ziele. Wir haben in den letzten Wochen und Mo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN naten, übrigens auch in den letzten Jahren, immer wie- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der der eine Debatte über internationale Ziele gehabt. Herr SPD, der FDP und der LINKEN) Dr. Gauland sagt, wenn es um das Klima, um den Kli- maschutz geht: 2 Prozent des CO2-Ausstoßes entfällt auf Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Deutschland. Wir müssen europäisch denken, wir müssen Herzlichen Dank, Frau Kollegin Brugger. – Als global denken, wenn wir über den Klimaschutz sprechen. Nächster hat das Wort der Kollege Paul Ziemiak, CDU/ (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- CSU-Fraktion. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir über Energiepolitik sprechen, sagen wir: Wir müssen als Europäer bei der Energiepolitik mit einer Paul Ziemiak (CDU/CSU): Stimme sprechen. Frau Kollegin Brugger, da wollten Sie Herrn Dobrindt in der CSU mit Ihren Lobesworten einen richtigen Ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: fallen tun. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag Paul Ziemiak (CDU/CSU): von CDU/CSU und SPD ist die richtige und notwendige Wenn wir über Handel sprechen, dann sagen wir: Wir Klarstellung des Globalen Paktes für sichere, geordnete brauchen Freihandelsabkommen, wir brauchen Verein- und auch reguläre Migration. Wir wollen die internati- barungen bei der Welthandelsorganisation für die ganze onale Zusammenarbeit in der Migrationspolitik stärken, Welt, weil das im Interesse Deutschlands liegt. – Wenn und wir wollen Migration besser regeln, steuern und auch wir über Frieden und die Frage von Krieg und Frieden begrenzen. Es ist doch selbst in diesem Haus bei allen sprechen, gibt es manche in diesem Haus, die nicht nur Fraktionen unbestritten, dass die weltweite Migration sagen: „Wir brauchen Verbündete in Europa und in der eine der größten Herausforderungen unserer Gegenwart Welt“, sondern auch sagen: Ohne Russland ist Krieg und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7745

Paul Ziemiak (A) Frieden nicht zu gestalten und Frieden nicht zu schaf- Rechtspopulisten sind! Uns können Sie be- (C) fen. – Meine Damen und Herren, beim Klima, beim Han- schimpfen, aber die Kroaten und Ungarn kön- del, bei Energie, bei all den Fragen zu sagen: „Wir brau- nen Sie nicht beschimpfen!) chen mehr internationale Zusammenarbeit“, dann aber zu Es kommen noch mehr Länder dazu, die aus dem Globa- sagen: „Bei der Frage von Migration reichen Beschlüsse len Pakt für Migration aussteigen. Wie wollen Sie denn in einzelnen Nationalstaaten“, das ist naiv, und das ist eine faire Verteilung überhaupt noch realisieren? Das sogar ziemlich dumm – mit Verlaub, Herr Präsident. wird nicht funktionieren. Wir sind als Deutschland mit (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der wenigen anderen allein, – FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Abg. Martin Hebner [AfD] meldet sich zu ei- Paul Ziemiak (CDU/CSU): ner Zwischenfrage) Ich habe die Frage verstanden, Herr Kollege.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Martin Hebner (AfD): Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus – und dort wollen Sie dann die Menschen alle aufneh- der AfD-Fraktion? men. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Paul Ziemiak (CDU/CSU): Ja, selbstverständlich. Paul Ziemiak (CDU/CSU): Ich habe die Frage verstanden. – Wenn Sie sich mit all Martin Hebner (AfD): diesen Leuten unterhalten haben, Ich habe eine Frage, Herr Ziemiak. Sie sagen gera- de: Man muss in diesem Fall mit anderen Ländern ko- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- operieren. – Ich habe auch die Frau Merkel im Ohr, es NEN]: Hat er aber nicht!) müsse eine europäische Lösung geschaffen werden. Jetzt dann werden Sie doch gemerkt haben, dass es in die- schauen wir uns doch mal die europäische Landkarte der sen Ländern genauso viele Leute gibt, die wie die AfD Zielländer an. Übrigens: Russland ist kein Zielland die- Falsch­informationen verbreiten ser Migration. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Marian Wendt [CDU/CSU]: Ja, warum der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE nicht?) GRÜNEN – Lachen bei der AfD) (B) (D) Russland würde dann übrigens auch aussteigen. – Aber und – Sie wissen es doch – einen unglaublichen innenpo- schauen wir uns die anderen Länder an. litischen Druck erzeugen. Ich habe viele Gespräche mit Botschaftern europä- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Herr ­Ziemiak, ischer Länder und auch mit Parlamentariern geführt. das glauben Sie doch selber nicht! Das ist Schauen wir uns doch die Landkarte um Deutschland he- doch köstlich!) rum mal an: Dänemark wird rausgehen, Herr Dr. Curio, das war ja ein Sammelbecken von Ge- (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Die stei- rüchten, Falschbehauptungen. gen nicht aus! – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Schon wieder gelogen! – Agnieszka (Zurufe von der AfD) Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lü- – Ja, Sie leben in Ihrer eigenen Welt; da kennt man Sie genfraktion!) gut. Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Bulgari- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Reichs- en, Österreich, Italien. bürger!) (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: So ein Aber wir sind hier in der öffentlichen Debatte, und die Quatsch! – Weitere Zurufe von der CDU/ Leute werden merken, woran sie bei Ihnen sind. CSU – Marianne Schieder [SPD]: Diesen Un- fug kann man sich nicht anhören, Herr Präsi- (Jürgen Braun [AfD]: Der Außenminister hat dent!) die Unwahrheit gesagt, der Herr Maas! Nie- mand sonst!) Ich habe vor zwei Wochen Gespräche in der Schweizer Botschaft geführt. Sie machen jetzt auch ein Moratorium. – Sie haben eine Frage gestellt. Sie wollen doch jetzt meine Antwort hören, auf die Sie sich so freuen. – An- Sehen Sie sich doch mal die Lage an! Sie wollen fair dere in anderen Ländern haben das so gesehen, auch aus verteilen, und die Länder in Europa sind weg. Es gibt innenpolitischen Erwägungen. keine europäische Lösung dazu. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Herr ­Ziemiak, (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU – wir müssen viele Verbündete haben! Es ist Gegenruf des Abg. Dr. Alexander Gauland geradezu lustig! – Marianne Schieder [SPD]: [AfD]: Das passt Ihnen nicht, dass die Länder Die wollen nur hetzen, hetzen, hetzen! Infor- mal aufgezählt werden, weil das nicht alles mationen interessieren die nicht!) 7746 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Paul Ziemiak (A) Aber ich sage Ihnen, meine Damen und Herren der AfD: Migrantinnen und Migranten, schafft Frieden. Ich habe (C) Ich bin Abgeordneter des deutschen Volkes, und man es vorhin gesagt: Wir sind hier als Vertreter des deut- erwartet von uns, dass wir, wenn wir sagen, dass etwas schen Volkes. richtig ist und diesem Land dient, dafür stehen, egal wie andere Länder entscheiden. Wir müssen uns gerade ma- (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Verhalten chen. Sie sich so!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Deshalb müssen wir im Sinne der Frage beraten: Was und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dient unserem Land? Aber wir dürfen im Deutschen Ich kann doch meine Entscheidung nicht von anderen Bundestag nie vergessen, dass wir das auch im Sinne der Ländern abhängig machen. Präambel des Grundgesetzes tun, dass wir vor Gott und den Menschen dem Frieden in der Welt dienen. Und des- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Aber Sie kön- wegen bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. nen mal darüber nachdenken, warum die an- deren Nein sagen!) Danke schön. Wir müssen für die Zusammenarbeit werben. Aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wer werben will, der muss auch von seiner eigenen Posi- ordneten der SPD und der FDP) tion überzeugt sein; sonst wird er keinen dafür gewinnen, internationale Migrationspolitik gemeinsam auch im Sin- ne Deutschlands zu gestalten. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Vielen Dank, Herr Kollege Ziemiak. – Liebe Kolle- bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- ginnen und Kollegen, ich verstehe selbstverständlich die NISSES 90/DIE GRÜNEN) Emotionalität der Debatte. Ich möchte darauf hinweisen, dass das Präsidium nicht dazu da ist, eine Wertung vorzu- Meine Damen und Herren, die Frage der Verbesserung nehmen. Solange sich Ihre Beiträge im Rahmen der Ge- der Lebensverhältnisse in den einzelnen Ländern, sowohl setze halten, sind sie zu tragen – manche sind zu ertragen. in den Herkunftsländern als auch in den Transitländern, Aber ich habe bisher nicht feststellen können, dass der liegt auch in unserem eigenen Interesse. Wenn Menschen rechtliche Rahmen überschritten worden ist. Wir nehmen keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben, wenn hier keine inhaltliche Zensur vor. Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser haben, wenn Menschen in einigen Staaten in Afrika oder Asien gehal- Als Nächstes spricht der Kollege Alexander Graf ten werden – ich will es so sagen, wie es ist – wie Skla- Lambsdorff zu uns. (B) ven: Meine Damen und Herren, wer glaubt denn, dass (D) sich dadurch weniger Menschen auf den Weg machen? (Beifall bei der FDP) Keine Mutter und kein Vater in einem Lager irgendwo im Libanon oder in Libyen, ohne Trinkwasser und ohne Gesundheitsversorgung für das eigene Kind, wird sagen: Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Ich mache mich nicht auf den Weg nach Deutschland, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stehe weil Deutschland den Global Compact nicht unterschrie- vor Ihnen als jemand mit Migrationshintergrund. ben hat. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der LINKE]) SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Im Jahr 1248 machte sich Johann von Lambsdorff aus Natürlich werden die Menschen kommen. Wer glaubt, der Nähe von Dortmund auf und ließ sich in Reval, dem dass wir dadurch irgendetwas erreichen, der irrt. heutigen Tallinn, nieder. Vor ungefähr hundert Jahren kehrte mein Großvater nach Deutschland zurück. Migra- Meine Damen und Herren, es sind Ziele, und wir sind tion ist eine Realität. Ich bin ja auch nicht der einzige auf einem Weg. Ich erinnere mich an die Falschinfor- Abgeordnete mit Migrationshintergrund. Frau Weidel ist mationen – es ist angesprochen worden – zu TTIP, als zum Beispiel irgendwann einmal in die Schweiz migriert hier Tausende vor dem Brandenburger Tor demonstriert haben. Übrigens: Diejenigen, die damals auf der Straße (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und waren, damit wir kein Freihandelsabkommen hinbekom- der SPD) men, sind diejenigen, die sich heute über die Handelspo- litik des Donald Trump beschweren. Das sind die Rich- und migriert irgendwann hoffentlich sicher, geordnet und tigen! regulär nach Deutschland zurück. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Dünner geht’s wie bei Abgeordneten der SPD) nimmer! – Jürgen Braun [AfD]: Sie sind so Das sind diejenigen, die heute mehr internationale Ver- peinlich!) einbarungen wollen. Vielleicht hat die „Initiative gegen Massenzuwande- Meine Damen und Herren, Menschenrechte und die rung“, die Ihre Freunde von der Schweizerischen Volks- Versorgung von Menschen, die auf der Flucht sind, von partei gestartet haben, ja etwas damit zu tun, weil sie sich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7747

Alexander Graf Lambsdorff (A) insbesondere gegen Deutsche richtete, die in die Schweiz Migration – nächste Lüge der AfD – soll „erleichtert“ (C) wollten. werden. Sie können in den Text schauen. Da steht aus- drücklich: Migration soll zurückgedrängt werden. Die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Menschen sollen zu Hause ihr Leben aufbauen, wenn es ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- denn irgendwie geht. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Jürgen Braun [AfD]: Kehren Sie in Ihre Frau Weidel, Sie sind uns herzlich willkommen in Märchenwelt zurück, Herr Lambsdorff!) Deutschland. Aber ich will Ihnen hier eines sagen: Diese Debatte ist ein Musterbeispiel dafür, wie Sie, die Feinde Dann kommt noch die Behauptung – leider auch in der offenen Gesellschaft, arbeiten. den Medien aufgegriffen –, der Pakt unterscheide nicht so recht zwischen Migranten und Flüchtlingen, das gehe (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten durcheinander und das sei eine Gleichsetzung von Migra- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ tion und Flucht. Meine Damen und Herren, schon in der DIE GRÜNEN) Präambel – im Mathematikunterricht in der Grundschule Diese Feinde verwandeln nämlich die Stärke der offenen ist das sozusagen vor der Klammer, Herr Gauland – Gesellschaft, den demokratischen, offenen, ehrlichen, (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP, der faktenbasierten Streit, in eine Schwäche, indem sie vor- CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des geben, ständig irgendwelche Dinge zu „enthüllen“, „auf- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall zudecken“, die in den Mainstream-Medien nicht vorge- bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) kommen sind. Das ist das System der AfD. Eine Lüge wird in den Raum gestellt. Natürlich hat über die vorher steht: Flüchtlinge und Migranten sind verschiedene keiner berichtet – weil es ja eine Lüge ist. Ist ja logisch, Gruppen, die separaten Rechtsrahmen unterliegen. Le- ist ja klar! diglich Flüchtlinge haben ein Anrecht auf den spezi- fischen internationalen Schutz, den das internationale (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, Flüchtlingsrecht vorsieht. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ist der Pakt eine Lüge, Herr Lambsdorff? Das ist doch dummes Zeug, was Sie da reden! – Kommen Sie bitte zum Schluss, Kollege Graf Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Herr Gauland, Lambsdorff. so ist die Welt!) Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Wir sollen uns ja bei Ihnen bedanken, dass wir das (B) Deswegen gibt es einen zweiten Pakt, den Globalen (D) heute hier debattieren dürfen, Herr Gauland. Klar: Die Pakt für Flüchtlinge. Hier und jetzt reden wir über Migra- Mainstream-Medien haben auch noch nicht über die Ge- tion. Reden wir unter Demokraten darüber, streiten wir fahren von Chemtrails berichtet. Die Mainstream-Medien unter Demokraten darüber, aber gehen wir denen, die haben auch noch nicht darüber berichtet, dass Deutsch- nicht demokratisch sind, nicht auf den Leim. land nach Ansicht einiger Ihrer Anhänger immer noch ein besetztes Land ist. Was ist das für eine Verschwörung, Herzlichen Dank. Herr Gauland? Das ist ja eine Verschwörung gegen die Wahrheit. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wenn wir diesen Feinden Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der offenen Gesellschaft auf den Leim gehen, dann geht Vielen Dank, Graf Lambsdorff. Ich bin sicher, dass es unsere Demokratie wirklich einen schweren Weg. Das auch im 13. Jahrhundert schon Zahlen gegeben hat. Je- dürfen wir nicht tun. Wir Demokraten müssen faktenba- denfalls kann man diese beachten, wenn die Lampe am siert, evidenzbasiert und konstruktiv miteinander strei- Rednerpult aufleuchtet. ten. Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Gabriela (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, Heinrich, SPD-Fraktion. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD) GRÜNEN) Am Globalen Pakt für Migration können wir das ja Gabriela Heinrich (SPD): durchexerzieren. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Minister! Angeblich verlieren wir unsere Souveränität. Im Pakt Meine Damen und Herren! Überall auf der Welt verlas- steht: Der Globale Pakt für Migration bekräftigt das sou- sen Menschen ihre ursprüngliche Heimat. Sie versuchen, veräne Recht der Staaten, ihre Entscheidungen so zu tref- eine neue zu finden, um ihre Lebensperspektive zu ver- fen, wie sie es für richtig halten. bessern. Das war immer so, und das wird auch immer so sein. Migration findet statt. Migration ist Realität. Und Er wird angeblich „zwingendes Recht“. Im Text steht weil das so ist, hat sich die Weltgemeinschaft zusammen- klar: Nein, er ist rechtlich eben nicht bindend. getan und den Globalen Pakt für Migration formuliert. 7748 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Gabriela Heinrich (A) Damit wird erstmals Migration weltweit geordnet, und Sie setzen Mitarbeiterinnen des Petitionsausschusses (C) das ist ein Riesenfortschritt. ganz bewusst Hassreden aus. Wer so etwas tut, der spaltet und hetzt Menschen gegeneinander auf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- wie bei Abgeordneten der LINKEN und des Im Text des Abkommens stehen ganz konkrete Schrit- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) te, die die ganze Welt gehen soll. Erwerbsmigration ist doch nicht nur ein Thema in Deutschland oder Europa Dieser Migrationspakt ist ein Lösungsansatz, um glo- oder in den USA. Menschen migrieren ganz selbstver- bale Probleme global zu lösen – in einem Miteinander. ständlich auch innerhalb von Afrika, lange Jahre nach Wie soll das anders auch gehen? Jeder Versuch, sich als Libyen, heute nach Angola, nach Kenia, nach Äthiopien. Nationalstaat abzusondern, sich mit nationalen Gesetzen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate abzuschirmen, ist zum Scheitern verurteilt. gehören zu den Top Ten der Einwanderungsländer. In (Beifall bei Abgeordneten der SPD) vielen Ländern werden Migrantinnen und Migranten aber auch als Arbeitssklaven missbraucht. Frauen sind Die einen setzen auf Mauern und Abschottung, die SPD der sexuellen Ausbeutung ausgesetzt, ihre Pässe ver- setzt auf Zusammenarbeit – auf internationale Zusam- schwinden. Sie können ihren Lohn nicht einklagen und menarbeit. dürfen ihre Arbeitgeber nicht wechseln. Sie haben kei- (Beifall bei der SPD) nen Zugang zu Gesundheitsversorgung, und ihre Kinder können nicht zur Schule gehen. Auch darum geht es in Noch eines zum Schluss. Ich höre auch heute wieder: dem Pakt: Egal wo auf der Welt sich Migranten befinden, Wenn der Pakt nicht verbindlich ist, warum braucht es sie sollen sich auf Regeln verlassen können, darauf, dass ihn dann? Liebe Kolleginnen und Kollegen, übernächs- sie nicht ausgebeutet werden, und darauf, dass sie ihre te Woche jährt sich die Allgemeine Erklärung der Men- Rechte durchsetzen können. schenrechte zum 70. Mal. (Beifall bei der SPD) (Martin Hebner [AfD]: Ist auch unverbind- lich!) Es geht nicht darum, dass jedes Land solche Standards entwickelt, wie wir sie hier in Deutschland haben. Über- Diese Erklärung ist auch unverbindlich, setzt aber welt- haupt Standards zu schaffen, darum geht es. Und das ist weit Standards, die eine gute Politik zum Wohle der eine weltweite Aufgabe, bei der wir zusammenarbeiten Menschen befolgt. müssen und wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) der CDU/CSU und der LINKEN – Zurufe von (D) Beim Migrationspakt geht es aber noch um vieles der AfD) mehr. Es geht um eine leichtere Klärung der Identität von Migranten, um die grenzüberschreitende Bekämpfung Deshalb sollten wir dem Migrationspakt genauso zustim- von Schleppern. Es geht auch um die Stärkung regulärer men wie der Menschenrechtserklärung. Ich bin froh, dass Zuwanderungswege, zum Beispiel das Fachkräftezuwan- wir heute darüber namentlich abstimmen können. derungsgesetz, das wir gerade umsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des DIE GRÜNEN) Kollegen Sichert, AfD-Fraktion? Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gabriela Heinrich (SPD): Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort für eine Kurz- Nein. – Und es geht um die Minderung irregulärer intervention erhält der Kollege Sichert, AfD-Fraktion. Migration und darum, wie Menschen in ihrer Heimat bleiben können. Martin Sichert (AfD): Meine Damen und Herren, gerade weil alles so klar im Sie haben gesagt, es wäre ein Missbrauch des Petiti- Text des Abkommens zu lesen ist, ärgere ich mich über onsrechts. Genau das Gegenteil ist der Fall: Die Petiti- all diejenigen, die hier die Fakten verdrehen, onen sind dafür da, dass die Bürger in diesem Land die Möglichkeit haben, mit dem Parlament zu kommunizie- (Beifall bei der SPD) ren die so tun, als handele es sich um eine große Verschwö- (Beifall bei der AfD – Dr. Anton Hofreiter rung, damit Deutschland noch mehr Flüchtlinge und [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bürger, Migranten aufnehmen muss, die hier in diesem Haus das aber nicht die Abgeordneten! – Konstantin Petitionsrecht missbrauchen, um Unwahrheiten zu trans- Kuhle [FDP]: Ja, die Bürger, aber doch nicht portieren und Unfrieden zu stiften. die Mitarbeiter!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und ihre Anliegen vorzubringen. Wenn eine ganze Rei- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des he von Petitionen vorliegt, dann ist es die Pflicht dieses BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bundestages und aller Abgeordneten, sich mit den Anlie- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7749

Martin Sichert (A) gen der Menschen auseinanderzusetzen. Dann darf man Zum Petitionsrecht. Das Petitionsrecht ist ein demo- (C) im Petitionsausschuss nicht das Wort „Dreck“ benutzen, kratisches Recht der Bürgerinnen und Bürger unseres und dann sollte man hier auch nicht von einem Miss- Landes. brauch der Petitionen sprechen. (Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, genau das ist es!) Es ist kein Instrument, mit dem Mitarbeiter und Mitar- beiterinnen Ihrer Fraktion hier ihre Kampagnen starten Aber ich hatte mich eigentlich gemeldet, weil mich und damit die Leute in diesem Land verhetzen. etwas ganz anderes interessiert. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, (Dr. Nina Scheer [SPD]: Das ist doch keine der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Fragestunde jetzt!) GRÜNEN) Ich höre von den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen immer wieder das Wort „unverbindlich“, während ich auf Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der anderen Seite höre, es werden Standards gesetzt, und Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster spricht es soll etwas international geordnet werden. zu uns der Kollege Dr. Mathias Middelberg, CDU/ (Ulrich Lechte [FDP]: Ziele!) CSU-Fraktion. – Ich höre hier auch wieder „Ziele“. – Ich stelle mir eine (Beifall bei der CDU/CSU) Frage, die sich draußen in diesem Land auch Millionen Menschen stellen. Aus dem Antrag der Grünen entnehme Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): ich, dass die Fraktion – Marrakesch ist noch nicht mal vorbei – sagt: Der Migrationspakt beinhaltet verschiede- Verehrtes Präsidium! Meine Damen und Herren! Lie- ne Punkte, wir wollen diesen und jenen Artikel umsetzen. be Kollegen! Ich will den Ball, der hier zuletzt gespielt wurde, gleich mal aufgreifen. Wir als Hauptzielland der Deswegen die ganz klare Frage an die Vertreter der Migration haben das Ziel, die Dinge zu steuern und zu Koalitionsfraktionen mit der Bitte, Farbe zu bekennen: begrenzen. Wir sehen außerdem, dass Migration nicht in Wollen Sie diese Ziele umsetzen? Sollen die dort Recht jeder Hinsicht nur ein positives Ereignis ist, sondern dass werden, sie auch Probleme mit sich bringt. (Zurufe von der CDU/CSU: Ja! – Michael (B) (Zurufe von der AfD: Aha!) (D) Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das Meiste ist doch Grundgesetz!) Deshalb haben wir ein Interesse daran, die Dinge zu re- geln. wo sie noch nicht Recht sind? Oder sagen Sie: „Nein, es ist alles unverbindlich; wir machen da zwar mit, aber Wie geht man das an? Man stellt zunächst einmal fest, letztlich ändert sich nichts“? Denn wenn sich überhaupt dass wir die Dinge rein national gar nicht in den Griff nichts ändert, können wir es uns als Land sparen, dem bekommen können. Wir sind in unserem ganzen politi- Migrationspakt beizutreten. schen Ansatz auf allen Politikfeldern auf internationale Kooperation angewiesen. Unser ganzer Wohlstand, die (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder Substanz dieses Landes, basiert auf internationaler Zu- [SPD]: Aber es macht doch nichts, wenn man sammenarbeit und Kooperation. unterschreibt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin Heinrich, möchten Sie antworten? Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gabriela Heinrich (SPD): Herr Kollege Dr. Middelberg, erlauben Sie eine Zwi- schenfrage aus der AfD-Fraktion? Zum Grünenantrag werde ich hier nicht Stellung neh- men. Verzeihen Sie mir; das ist eine Verwirrung des gan- zen Hauses. Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Die Standards, die hier gesetzt werden sollen, sind Im Moment noch nicht. – Wir sind der drittgrößte Ex- Standards, die bei uns längst gelten. Wir verhandeln ein- porteur der Welt. 50 Prozent unserer Wirtschaftsleistung dringlich miteinander, und wir ringen miteinander um fließen in den Export. Es gibt kaum ein anderes Land auf unsere Standards, aber keiner unserer Standards herrscht dieser Welt, das eine so hohe Exportquote hat. Damit gibt tatsächlich woanders. Wir wollen, dass die Standards es auch kaum ein anderes Land auf dieser Welt, das ein so verbessert werden. Das habe ich in meiner Rede deutlich großes Interesse an freiem Handel, an offenen Grenzen, gemacht. an freiem Güter- und Warenverkehr, an Dienstleistungs- freiheit und anderem hat. Daraus folgt eine Erkenntnis: (Martin Sichert [AfD]: Wollen Sie die ande- Wir werden alle relevanten politischen Fragen – auch die ren Standards hier auch haben?) der Migration – nicht im nationalen Alleingang und nicht 7750 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Mathias Middelberg (A) mit Abschottung, sondern nur mit internationaler Zusam- Von der Verpflichtung zur Rücknahme und Rückkehr (C) menarbeit lösen können. habe ich bereits gesprochen. Nun geht es um Rechte von Migranten. Es wurde zu Recht erwähnt: Migranten sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Menschen, und ihnen stehen Menschenrechte zu. Und ordneten der SPD und der FDP) diesen Menschenrechten sind wir als Bundesrepublik Egal ob wir mit Herkunftsländern, Transitländern, den Deutschland ohnehin verpflichtet. Anrainern der EU, den Partnern in der EU an Dingen wie den Ausschiffungsplattformen in Nordafrika, Fron- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU tex, dem Ausbau der Grenzpolizei, einem gemeinsamen und der FDP – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Asylsystem in Europa arbeiten – das alles ist nur erreich- Amen!) bar im internationalen Kontext, in der Zusammenarbeit mit anderen. Dieses Mindestmaß an Rechten gewähren wir jedem. Wir haben – das sage ich Ihnen ausdrücklich; deswe- Nun wird die Besorgnis vorgetragen, es gehe im Pakt gen ist für mich die Unverbindlichkeit des Paktes nicht um Rechte von Migranten, woraus Rechtsänderungen in entscheidend – ein Interesse daran, dass wir in mehreren unserem nationalen Rechtssystem abzuleiten seien. Mir Punkten, die in diesem globalen Pakt angesprochen wer- hat noch keiner einen konkreten Punkt aus dem Pakt nen- den, eine Verbindlichkeit erzielen. nen können, der nicht bereits in unseren nationalen recht- lichen Standards erfüllt ist oder zu dem wir nicht bereits Einer der Kollegen hat es eben schon angesprochen: durch andere internationale rechtliche Vereinbarungen Die Lektüre hilft manchmal weiter. verpflichtet sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich nenne nur zwei Beispiele. In jeder Phase sollen Lesen wir einfach mal in diesem Pakt. Darin steht aus- die Migranten ein Recht auf Rechtsberatung erhalten. drücklich, dass die Herkunftsstaaten alle Staatsange- Das steht im Pakt drin; das wird von Kritikern vorge- hörigen mit Nachweisen ihrer Staatsangehörigkeit und tragen. Diese Rechte werden bei uns erfüllt, etwa durch relevanten Dokumenten auszustatten haben, die es natio- Rechtsberatung durch das BAMF bei der Einreise nach nalen und lokalen Behörden ermöglichen, die rechtliche Deutschland. Im Übrigen ist dieser Punkt im Pakt nur Identität von Migranten bei der Einreise, während des ganz konkret im Zusammenhang mit möglichem Frei- Aufenthalts und zum Zwecke der Rückkehr festzustellen. heitsentzug angesprochen. Zu einer solchen Rechtsbera- tung sind wir schon seit 1952 verpflichtet, weil wir die (Armin-Paulus Hampel [AfD]: 2015!) Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben (B) Was könnte denn mehr im Interesse der Bundesre- haben. (D) publik Deutschland als Zielland der Migration sein? Wir haben häufig Probleme, dass wir Menschen, deren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Asylbegehren wir ablehnen, eben nicht zurückbringen ordneten der SPD und der FDP) können, weil Identitätspapiere fehlen, weil die Identität ungeklärt ist. Dieses Ziel zu verwirklichen, ist doch in Wir werden hier zu nichts Weiterem verpflichtet. unserem ureigenen Interesse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ordneten der SPD) Herr Kollege Middelberg, erlauben Sie eine Zwi- Ebenso verhält es sich – das ist eben vom Kollegen schenfrage eines AfD-Abgeordneten? Lambsdorff, glaube ich, erwähnt worden – beim Thema „Bekämpfung von Schleusung und Menschenhandel“. Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Auch das ist in unserem ureigenen Interesse. Genauso ist das Thema „Management der nationalen Grenzen“ Ja. – Es gibt aber keinen Fragesteller. in unserem Interesse – das ist von Paul Ziemiak, glau- be ich, angesprochen worden. Im Migrationspakt steht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ausdrücklich, dass die Staaten verpflichtet sind, das Ma- nagement ihrer nationalen Grenzen zu koordinieren und Doch, er ist gerade auf dem Weg zum Mikrofon. irreguläre Migration zu verhindern. Ich nenne Ihnen noch einmal ein konkretes Beispiel Petr Bystron (AfD): dafür . Die Vereinbarung, die die Frau Bundeskanzlerin Herr Dr. Middelberg, vielen Dank, dass Sie mir das mit der Türkei in die Wege geleitet hat, ist ein Muster- Wort geben. Ich möchte den Ball aufnehmen. Sie haben beispiel für ein koordiniertes Grenzmanagement, das im gleich am Anfang gesagt, Sie möchten die Migrations- Übrigen funktioniert. Denn: Seit diese Vereinbarung be- frage international lösen. Wir hatten schon internationale steht, gibt es keine Menschen mehr, die im Mittelmeer Verträge: Dublin war geltendes Recht. ertrinken. (Beifall bei der CDU/CSU) (Marian Wendt [CDU/CSU]: Dublin ist immer noch geltendes Recht! Falschinformation! – Das ist doch mehr als ein Beleg dafür, dass wir an dieser Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Hier geht es Art von Zusammenarbeit interessiert sind. um Migration!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7751

Petr Bystron (A) Und Sie – das war Ihre Politik, Ihre Regierung, Ihre Par- Meine Kollegin Andrea Lindholz hat es ja schon ge- (C) tei – haben die Migranten nach Deutschland gelassen. Sie sagt: Der vorliegende Antrag stellt, glaube ich, in sehr haben diese internationalen Verträge nicht eingehalten. ausgewogener und auch abgewogener Weise zutreffend die Position dieses Hauses dar. Ich werbe um Zustim- (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das stimmt mung. Ich sage Ihnen abschließend: Ich würde mich doch nicht! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE freuen, wenn wir demnächst, wenn wir über Migration GRÜNEN) diskutieren, nicht nur eine sachlichere Debatte anschla- Und jetzt versuchen Sie, ein neues Vertragswerk in die gen und das Thema nicht zur Angst- und Panikmache Welt zu setzen, und argumentieren hier mit diesem Ver- nutzen, sondern uns auch den konkreten Themen, die die tragswerk. Menschen wirklich interessieren und mit denen wir un- mittelbar Politik beeinflussen können, zuwenden. Ich sage Ihnen eins: Da gibt es einen fundamentalen Unterschied. Die früheren Verträge, die die Migration ge- Damit wende ich mich der anderen Seite des Hauses regelt haben, waren alle restriktiver Natur; sie haben ver- zu. Ich würde mir von der anderen Seite des Hauses mehr sucht, Migration zu begrenzen. Dieser Vertrag – da haben Bewegung beim Thema „Erweiterung der Liste der si- die Kollegen von den Linken und den Grünen recht – ist cheren Herkunftsstaaten“ wünschen, also dass wir die- ein Paradigmenwechsel. Hier wird schon in der Präambel se Liste um Staaten, bei denen die Anerkennungsquote postuliert, dass Migration etwas Gutes ist und dass wir deutlich unter 5 Prozent liegt – teilweise sind es 0,x Pro- sie jetzt verwalten sollen. zent –, erweitern. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Waren Ihre (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Eltern eigentlich Flüchtlinge oder Migranten?) ordneten der FDP) Also bitte: Warum wollen Sie jetzt von Restriktion auf Das wäre eine wesentliche Verbesserung in der Praxis, offene Grenzen umschwenken? Das ist die Frage. die unmittelbare Wirkung hätte. Das Gleiche trifft auf Themen wie verbesserte Möglichkeiten bei Abschiebung (Beifall bei der AfD) und Rückführung zu. Ich nenne ein Zitat aus der rot-rot- grünen Koalitionsvereinbarung hier in Berlin: Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Die Koalition hält Abschiebehaft und Abschiebe- Also, irgendwie sind Sie da nicht zutreffend im Bilde. gewahrsam grundsätzlich für unangemessene Maß- Die Dublin-Vereinbarungen gelten nach wie vor, nahmen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (B) (Lachen bei der AfD – Dr. Alexander Gauland (D) [AfD]: Bitte verkaufen Sie uns nicht für LINKEN) dumm!) und wird sich deshalb auf Bundesebene für deren und die Frau Bundeskanzlerin hat auf dem Europäischen Abschaffung einsetzen. Rat im Sommer noch mal ganz konkrete Vereinbarungen (Marian Wendt [CDU/CSU]: Das ist Rechts- dazu getroffen, dass die Partnerstaaten in Europa auch bruch!) tatsächlich nach den Dublin-Verfahren handeln, dass also Menschen, die bei uns ankommen und in anderen Da – das darf ich Ihnen mitteilen – sind wir komplett europäischen Ländern schon Anträge gestellt oder wo- anderer Auffassung. möglich schon ganze Verfahren durchlaufen haben, auch zurückgenommen werden. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Deswegen sind Sie auch abgewählt worden in Berlin!) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Drei!) Ich würde mich freuen, wenn wir mal bei diesen kon- Dazu hat das Bundesinnenministerium mittlerweile meh- kreten Fragen vorankämen und darüber hier im Haus dis- rere konkrete Vereinbarungen verhandelt. Das ist Ihnen kutieren würden; möglicherweise entgangen. Ich kann Ihnen sagen, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe des Abg. sich die Rückführungsquote nach Dublin in den letzten Stefan Liebich [DIE LINKE]) zwei Jahren – wir waren da bei einer zugegeben niedri- gen Quote von 12, 13 Prozent – auf aktuell über 25 Pro- denn das sind die Dinge, die wir unmittelbar entscheiden zent erhöht hat. und beeinflussen können, und das interessiert die Men- schen. (Sebastian Münzenmaier [AfD]: 25 von 100!) (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Quote beabsichtigen wir weiter zu erhöhen. Wir beabsichtigen, an den Dublin-Verfahren festzuhalten. Wir wollen darüber hinaus auch noch weitergehen; denn Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wir wollen ein gemeinsames europäisches Asylsystem Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Middelberg. – Das einrichten. Das muss das Ziel sein. Wir wollen nicht zu- Wort hat nun die fraktionslose Abgeordnete Dr. Frauke rück zum Nationalen, sondern wir wollen mindestens Petry. zum Europäischen und besser noch darüber hinaus. (Beifall des Abg. Mario Mieruch [fraktions- (Beifall bei der CDU/CSU) los]) 7752 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Dr. Frauke Petry (fraktionslos): che Verbindlichkeit. Ihr Antrag dagegen ist international (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten wirkungslos, und Sie wissen es auch. Selbst die EU-Ge- Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat: richtshöfe haben bereits geurteilt, dass sie nationales Recht direkt außer Kraft setzen können. Warum sollte Europa diesen Pakt der Wölfe unter- zeichnen, wie sie mit den Schafen umgehen wollen? Die Bundesregierung behauptet dagegen, dass es sich um einen Vertrag ohne rechtliche Bindung handelt. Da- So hat ein Berater des Ministerpräsidenten Netanjahu den raus muss man schließen: Entweder wissen Sie es nicht Pakt abgewiesen. Auch Australien, die USA, Ungarn, besser, dann sind Sie ahnungslos und außenpolitisch in- Österreich, Bulgarien, Tschechien, Polen und neun wei- kompetent, oder Sie wissen sehr genau, was Sie tun, und tere europäische Länder lehnen den Migrationspakt ab. belügen die Bürger. Sie missbrauchen die Solidarität und Alles Verschwörungstheoretiker und Ignoranten? Heute den guten Willen der Bürger. Ihr Pakt gründet zudem auf legen uns CDU und SPD mit ihrem Antrag ein Gewand der falschen Annahme, dass es global gemeinsame Inte- für den Pakt der Wölfe vor. ressen gibt. Die gibt es nicht. Krisenländer mit Überbe- Die ganze Welt redet von Fake News; lassen Sie mich völkerung entledigen sich gern eines Teils ihrer Bürger; also von Fakten reden. reiche Länder werden zum Einwanderungsmagneten. (Marianne Schieder [SPD]: Meinen Sie das

wirklich?) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Liebe Frau Petry, kommen Sie bitte zum Schluss. Fakten, die Sie in Ihrem Antrag, sehr geehrte Koalitions- fraktionen, entweder ausgelassen, verdreht oder konter- Dr. Frauke Petry (fraktionslos): kariert haben. Sie sprechen davon, Migration begrenzen zu wollen; dann zeigen Sie mal die Textstelle im Migra- Sie haben bereits 2015 großen Schaden angerichtet; tionspakt dazu. Tatsächlich findet man die Wörter „kon- Sie versuchen ihn jetzt über die UNO zu legitimieren. trollieren“ oder „begrenzen“ im Pakt nicht. Der Begriff Schenken Sie den Bürgern endlich reinen Wein ein, an- „Grenzkontrolle“ kommt nur an einer einzigen Stelle statt sie für unmündige Schafe zu verkaufen. vor, und zwar um diese – Zitat – zu „überprüfen“ oder (Beifall der Abg. Paul Viktor Podolay [AfD] gar zu „revidieren“. Stattdessen ist von einem effektiven und Mario Mieruch [fraktionslos]) Grenzmanagement die Rede. Dieses soll der Sicherheit der Migranten dienen und nicht primär dem Schutz der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Zielländer. Vielen Dank. – Als letzter Redner spricht zu uns der (B) Gesteuert wird der sichere Migrationsstrom, selbst Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. (D) Sanktionen gegen illegale Migration stehen auf dem Prüfstand. Polizeiliche Täterprofilerstellung aufgrund (Beifall bei der CDU/CSU) von Ethnie und Religion sollen abgeschafft werden. Es wäre schön, wenn die Kolleginnen und Kollegen Der Pakt ächtet Freiheitsentzug bei illegaler Einreise, ihr Gemurmel einstellen und dem Kollegen entsprechend was ihn angesichts des internationalen Terrorismus zu ei- Aufmerksamkeit widmen würden, sei es, weil er der letz- nem Sicherheitsrisiko in Papierform macht. te Redner ist.

Der Pakt verlangt kulturelle Anpassung unserer Ge- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): sellschaft zugunsten von Migranten und vollen Zugang Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- zum Gesundheitssystem und verhindert die Kürzung von ren! Vor 70 Jahren hat sich die Weltgemeinschaft nach Sozialleistungen, selbst für illegale Migranten. bitteren historischen Erfahrungen auf die Allgemeine (Marian Wendt [CDU/CSU], an die AfD ge- Erklärung der Menschenrechte verständigt. Freiheit, wandt: Hier müssen Sie klatschen!) Selbstbestimmung, Schutz vor Diskriminierung und Würde sind bestechende Ideen, die damals und die heute Drittens greift der Pakt offen die Grundrechte an. Kri- eine unabdingbare Gültigkeit besitzen. Das gilt auch für tik an der These, dass massenhafte Armutsmigration eine Migranten. Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhal- tigen Entwicklung sein soll, wird als falsches Narrativ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- abgestempelt. Wer dagegen eine migrationsfreundliche ordneten der SPD) Haltung einnimmt, soll finanzielle Unterstützung erhal- Es gibt kein Recht, sich sein Zielland auszusuchen, ten. Kurz: Es wird definiert, was Wahrheit und Lüge ist, und kein Recht auf Migration; aber es gelten die Men- und die Presse- und Meinungsfreiheit somit untermi- schenrechte und es gibt die Pflicht, dass Migranten über- niert. Im Notfall greifen Straftatbestände – neue wohlge- all auf der Welt ihre Menschenrechte einfordern können merkt – zum Schutz der Migranten vor Hassverbrechen. und dass Menschen menschenwürdig behandelt werden. Die Spitze aber ist die dauernde Wiederholung der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Dummheit, wie es Franz Josef Strauß gesagt hätte. In- SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE ternationale Beziehungen, meine Damen und Herren, GRÜNEN) fußen auf Gewohnheitsrecht: Aus weichem Recht wird über die Zeit hartes Recht. Wenn man also dem Migrati- Davon spricht dieser Pakt. Er spricht vom Kampf gegen onspakt zustimmt, dann verleiht man ihm bereits rechtli- Menschenhandel und Menschenschmuggel. Er spricht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7753

Dr. Volker Ullrich (A) über den Schutz vor Diskriminierungen. Er spricht vom auf der Welt, egal wo er sich befindet, ein Mindestmaß (C) Recht auf Gesundheitsleistungen. Er spricht davon, dass an Sicherung und menschenwürdigem Umgang haben weltweite Missstände in einer globalen Perspektive be- sollte. Da lassen wir nicht mit uns reden. Die Menschen- seitigt werden müssen. Die Perspektive hört nicht an un- rechte gelten, und wir werden sie überall einfordern. seren Grenzen auf; sondern sie umfasst alle Menschen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- auf der Welt: Wanderarbeiter in Katar, in Saudi-Arabien ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- genauso wie Menschen aus den Philippinen, in südostaf- NISSES 90/DIE GRÜNEN) rikanischen oder südostasiatischen Städten oder Flücht- lingsbewegungen in Südamerika. Es geht um alle Men- Es ist bitter, dass Europa nicht mit einer Stimme spre- schen. Ich bitte Sie, dass Sie diese globale Perspektive chen kann. Und ja, für diesen Pakt gilt im Grunde ge- zur Kenntnis nehmen. nommen, dass er auch ein Lackmustest ist, wie freie und offene Gesellschaften mit schwierigen Fragen umgehen. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Ich sage Ihnen ehrlich: Wer Verantwortung gegen kurz- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- fristigen taktischen Applaus, Demagogie gegen Vernunft ten der SPD) und Aufrichtigkeit gegen die Lüge eintauscht, der wird Viel von diesem Pakt ist übrigens gerade, was die un- seiner Aufgabe nicht gerecht, und der ist kein Patriot, und abdingbaren Rechte der Menschen betrifft, schon längst der handelt nicht im Interesse unseres Landes. in deutsches und europäisches Recht umgesetzt worden. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Wir stehen zur Europäischen Menschenrechtskonvention NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- und zur EU-Grundrechtecharta, weil wir wissen, dass es ten der SPD und der FDP – Zurufe von der ohne diese Menschenrechte nicht geht. Und wir haben AfD) die Verpflichtung, diese Menschenrechte auch aus unse- rem Menschenbild heraus weltweit einzufordern. Es geht hier um mehr. Es geht darum, dass wir in dem Bewusstsein handeln, dass Probleme sich nur internati- onal lösen lassen. Wenn alle sagen: „Wir alleine“ oder

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: „Wir zuerst“, dann besteht die Gefahr, dass aus Zusam- Herr Kollege Dr. Ullrich, erlauben Sie eine Zwischen- menarbeit und Kooperation ein Nebeneinander und ein frage aus der AfD-Fraktion? Gegeneinander wird. Das wollen wir vor dem Hinter- grund der Erfahrungen unserer Geschichte vermeiden. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung. Nein. – Es liegt auch in unserem Interesse, meine Da- Herzlichen Dank. (B) men und Herren, dass Menschen besser versorgt werden, (D) dass sie Perspektiven in ihrem Heimatland haben, dass in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den Transitstaaten eine bessere Gesundheitsversorgung ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ herrscht, weil Menschen dann weniger Anreize haben, DIE GRÜNEN) sich auf den Weg zu machen. Das mindert den Migrati- onsdruck, das ordnet und steuert die Migration, und das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: begrenzt Migration. Vor diesem Hintergrund ist das eine Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ullrich. – Damit schlie- sehr sinnvolle Maßnahme, dass in diesem Pakt auch auf ße ich die Aussprache. Transit- und Herkunftsstaaten deutlich Bezug genommen wird. Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be- kannt, dass zum Zusatzpunkt 3 drei Erklärungen zur (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vorlie- ordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE gen.1) GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Es liegt auch in unserem Interesse, dass Menschen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/ eine Identität bekommen und Papiere besitzen, dass es CSU und SPD auf Drucksache 19/6056 mit dem Titel: ein reguläres Grenzmanagement gibt, dass zwischen irre- „Mit dem Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und gulärer und regulärer Migration unterschieden wird und reguläre Migration die internationale Zusammenarbeit in dass die Staaten auch die Pflicht haben, ihre Staatsbürger der Migrationspolitik stärken und Migration besser re- zurückzunehmen. Auch das wird angesprochen, und das geln und steuern“. Wir stimmen über diesen Antrag auf bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen. Verlangen der Fraktion der AfD namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- Und ja, durch diesen Pakt wird die nationale Souve- nen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Ur- ränität nicht angetastet. Aber es handelt sich eben doch nen besetzt? – Das ist erkennbar der Fall. Dann eröffne um eine politische Absichtserklärung, dass wir uns ge- ich die Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der meinsam auf den Weg machen wollen, die Probleme der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/6056. Migration weltweit zu lösen, Ich frage, ob noch Abgeordnete im Raum sind, die (Martin Hebner [AfD]: Das ist doch ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? – Es muss Schmarrn!) die Union vielleicht den Platz für die FDP räumen; sonst weil wir eben doch dafür eintreten, dass vor dem Hinter- grund der Geltung von Menschenrechten jeder Mensch 1) Anlage 4 7754 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) kommen deren Abgeordnete nicht an die Urne. – Ich Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c, 24 a und (C) wiederhole meine Frage: Ist noch ein Abgeordneter oder 24 b sowie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: eine Abgeordnete im Saal, die die Stimme noch nicht ab- 7. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten gegeben haben? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Ich Lisa Badum, Annalena Baerbock, Oliver schließe nunmehr die Abstimmung und bitte die Schrift- Krischer, weiterer Abgeordneter und der führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wirksames Klimaschutzgesetz vorlegen – Maßnahmen und Regelungen für alle Wir setzen die Abstimmungen fort. Dazu darf ich um Sektoren Aufmerksamkeit bitten. Liebe Kolleginnen und Kolle- gen, bitte nehmen Sie Platz, wir wollen weiter abstim- Drucksache 19/6103 men. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Zusatzpunkt 4. Abstimmung über den Antrag der Sicherheit (f) Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/6101 mit dem Ti- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft tel „Völkerrechtliche Standards durch Global Compact Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur for Migration wahren – International Rechte für Migran- Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und tinnen und Migranten stärken“. Wer stimmt für diesen Kommunen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Kei- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten ne. Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen von SPD, Lisa Badum, Annalena Baerbock, Oliver CDU/CSU, FDP und AfD gegen die Stimmen der Frak- Krischer, weiterer Abgeordneter und der tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- abgelehnt.2) wie der Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin, Zusatzpunkt 5. Abstimmung über die Beschlussemp- Ralph Lenkert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer fehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat zu dem Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Geordnete UN-Klimakonferenz in Katowice 2018 – Zuwanderung erfordert mehr als den UN-Migrations- Pariser Klimaabkommen international pakt – Entwurf eines Einwanderungsgesetzbuches vor- unterstützen und in Deutschland umset- legen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- zen empfehlung auf Drucksache 19/6100, den Antrag der Drucksache 19/6104 (B) Fraktion der FDP auf Drucksache 19/5534 abzulehnen. (D) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist ja c) Beratung der Beschlussempfehlung und des gemein. Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin, der SPD und der FDP) Dr. Gesine Lötzsch, Heidrun Bluhm, wei- Wer stimmt dagegen? – Damit ist diese Beschlussemp- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE fehlung gegen die Stimmen der FDP mit den Stimmen LINKE der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Klimaziel 2020 einhalten – Zwanzig ältes- Zusatzpunkt 6. Abstimmung über die Beschluss- te Braunkohlekraftwerke unverzüglich empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- abschalten trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel Drucksachen 19/830, 19/1897 „Umsetzung des Global Compact for Migration – Glo- 24. a) Beratung des Antrags der Fraktionen der bale Standards für die Rechte von Migrantinnen und CDU/CSU und SPD Migranten stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6141, den Klimakonferenz von Katowice – Pariser Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- Klimaabkommen entschlossen umsetzen sache 19/5547 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Drucksache 19/6052 b) Beratung des Antrags der Abgeordne- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten Lorenz Gösta Beutin, Ralph Lenkert, NEN]: Das ist gemein!) Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die- se Beschlussempfehlung bei Enthaltung der Fraktionen Klimagerechtigkeit global stärken – der FDP und der Linken gegen die Stimmen der Frakti- Energiewende und Kohleausstieg in on Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen von CDU/ Deutschland sozial gestalten CSU, SPD und AfD angenommen. Drucksache 19/6058

1) Ergebnis Seite 7761 D ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten 2) Anlage 5 Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7755

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- Seit dem Bericht des Weltklimarates zum 1,5‑Grad- (C) tion der FDP Ziel müsste doch eigentlich allen klar sein, wie nah die Menschheit inzwischen am Abgrund entlang schlafwan- Die 24. UN-Klimakonferenz für Weiterent- delt. wicklung marktbasierter Klimaschutzmecha- nismen nutzen (Stephan Brandner [AfD]: Wir sind schon einen Schritt weiter, Herr Hofreiter!) Drucksache 19/6053 Seit vielen Jahren erzählt auch die Kanzlerin der Gro- Überweisungsvorschlag: ßen Koalition, dass dringend gehandelt werden muss. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Denn wenn nicht gehandelt wird, dann wird sich die Welt ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des in eine Welt verwandeln, wie wir sie uns nicht wünschen, Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- dann wird sich die Welt verwandeln in eine Welt, in der schutz und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss) Dürren noch häufiger auftreten werden, in der Stürme zu dem Antrag der Abgeordneten Karsten Hilse, noch heftiger werden, in eine Welt, in der der Meeres- Dr . Heiko Wildberg, Dr. Rainer Kraft, weiterer spiegel unkontrolliert steigt, in eine Welt, in der die Un- Abgeordneter und der Fraktion der AfD wetter unkontrollierte Ausmaße annehmen. Aufgabe der Energie- und Klimaschutz-Zwi- (Lachen des Abg. Karsten Hilse [AfD]) schenziele 2030 des Energiekonzeptes 2010 – Das ist eine Welt, die wir weder für uns noch für unsere Für eine faktenbasierte Klima- und Ener- Kinder und Kindeskinder wünschen. giepolitik (Stephan Brandner [AfD]: Sie schüren Ängs- Drucksachen 19/2998, 19/6133 te, Herr Hofreiter! Sie instrumentalisieren den Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Klimawandel!) die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ich höre hierzu Das Entstehen einer solchen Welt wollen wir verhindern. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Als ersten Redner rufe ich auf den Kollegen Dr. Anton sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen. Stephan Brandner [AfD]: Partei der Angst: Die Grünen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was das volkswirtschaftlich bedeuten würde, hat vor kurzem erst eine große Kommission von Wissenschaft- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) lern in den USA – selbst die Trump-Regierung ist da auf (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wissenschaftlicher Ebene weiter – ausgerechnet. Sie hat Kollegen! Am Sonntag beginnt die Weltklimakonferenz festgestellt, dass, wenn es mit der Klimakrise so weiter- in Katowice. Diese Bundesregierung hat sich auf dem geht, 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA ver- Weg zu dieser Weltklimakonferenz sauber verstolpert. loren gehe. Sie hat sich die Einigung in der Kohlekommission von drei Ministerpräsidenten zerschießen lassen. Es wäre (Stephan Brandner [AfD]: Nein!) einfach ein Zeichen gewesen, wenn die viertgrößte In- Glaubt hier denn irgendjemand ernsthaft – außer ein paar dustrienation, der größte Braunkohleverstromer der Welt Rechtsextremen –, dass die Klimakrise auf die USA be- gezeigt hätte, dass der Kohleausstieg möglich ist – ge- schränkt bleibt, dass die Klimakrise auf die kleinen Insel- meinsam mit Umweltverbänden, gemeinsam mit der staaten beschränkt bleibt? Wirtschaft, gemeinsam mit den Menschen in den Regio- nen. Aber Sie haben das verstolpert. (Stephan Brandner [AfD]: Sie haben eine Wahrnehmungskrise, Herr Hofreiter! – Wei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – terer Zuruf von der AfD: Die Krise sind Sie!) Zuruf von der AfD: Vielleicht ist das Realis- mus!) Nein, die Klimakrise wird bei uns ankommen, wenn wir nicht tatkräftig handeln. Es wäre ein supergutes Zeichen an die Welt gewesen, wenn diese große Industrienation gezeigt hätte, wie man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen solchen Strukturwandelprozess sozial gerecht un- und bei der LINKEN) ter Einbindung aller vernünftig umsetzen kann. Doch Schauen wir uns jetzt einmal an, was diese Bundes- was ist jetzt die Situation? Sie fahren mit leeren Händen regierung gemacht, wie sie gehandelt hat: Sie haben als zur Klimaschutzkonferenz. erstes das Klimaziel für 2020 aufgegeben. Aber was ehrlich gesagt noch schlimmer ist, ist, dass (Widerspruch der Abg. Dr. Anja Weisgerber Sie jenseits der Kohlekommission im Klimaschutz nahe- [CDU/CSU]) zu überhaupt nichts anzubieten haben. Die Umweltver- bände haben deshalb zu Recht den Klimaschutzbericht Als Nächstes haben Sie sich, anstatt die Verkehrswen- dieser Bundesregierung in Klimakatastrophenbericht de anzugehen, anstatt dafür zu sorgen, dass die Bahn umgetauft. endlich pünktlich wird, anstatt dafür zu sorgen, dass es endlich emissionsfreie Fahrzeuge gibt, im Dieselchaos (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) verheddert. Was haben Sie dann gemacht? Im Landwirt- 7756 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Anton Hofreiter (A) schaftsministerium glaubt man ernsthaft, dass das biss- nationalen Klimaverhandlungen der UN so wahnsinnig (C) chen Düngeverordnung ausreicht, um die Klimakrise im wichtig, und es ist entscheidend, dass wir aus Katowice Bereich der Landwirtschaft zu bekämpfen. mit einem Erfolg nach Hause gehen, also auf internatio- naler Ebene. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Da sind Sie nicht auf dem letzten Stand!) Worum wird es in Katowice gehen? Es wird darum Im Bereich Wärme kommen Sie vielleicht im Schne- gehen, robuste Regeln für die Umsetzung des Pariser ckentempo voran. Beim EEG handeln Sie zwar, machen Abkommens zu verabschieden. Es gilt, sicherzustellen, es aber durch Ihr Handeln schlimmer. So machen Sie dass die Anstrengungen, die die Staaten machen wollen, zum Beispiel das Mieterstrommodell kaputt. Ich verste- dass die Ziele, die sie sich gegeben haben, transparent he ehrlich gesagt nicht, was die SPD da eigentlich treibt. und vergleichbar sind. Das ist unglaublich wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit, für das Level Playing Field. Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir eine Bun- Außerdem soll der Talanoa-Dialog angestoßen werden desregierung hätten, die dafür sorgt, dass die Bundesre- mit dem Ziel, den internationalen Klimaschutz zu ver- publik Deutschland in Katowice nicht Nachzügler ist, bessern, indem sich die Staaten immer weiter verbessern sondern dass die Bundesrepublik Deutschland wieder und ambitioniert vorangehen; denn die Beiträge – das ge- Vorreiter wird. Das würde ich mir von dieser Bundesre- hört auch zur Wahrheit – reichen noch nicht, gierung erwarten. (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank. NEN]: In Deutschland geht es nicht voran!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um das 2-Grad-Ziel zu erreichen und erst recht nicht, um und bei der LINKEN) das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Nicht alle Staaten schaffen den Klimaschutz aber aus eigener Kraft. Seit Paris ist die Trennung zwischen den Vielen Dank, Herr Dr. Hofreiter. – Als Nächstes Industrieländern und den Entwicklungs- und Schwellen- spricht zu uns die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/ ländern aufgegeben worden. Auch die Entwicklungs- CSU-Fraktion. und Schwellenländer haben sich eigene Ziele gesetzt, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die sie erreichen wollen. Gerade in diesen Ländern steckt ordneten der SPD) enormes Potenzial. In Afrika haben im Moment nur 20 Prozent der Menschen Zugang zu Elektrizität. Wenn Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): es mehr werden, wird der Stromverbrauch zunehmen und (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und der CO2-Ausstoß immens ansteigen. (D) Kollegen! Die Bewältigung des Klimawandels ist für Deswegen müssen wir genau hier mit der internati- uns eine zentrale Herausforderung, vielleicht sogar die onalen Klimafinanzierung ansetzen. Mit ihr leisten wir zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Dieses einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Wirtschaft der Thema ist gerade durch die Extremwetterereignisse im ärmsten Länder der Welt von Anfang an klimafreundlich Sommer in der Mitte der Gesellschaft angekommen. aufgebaut wird. Nur so können wir die internationalen Deswegen sagen auch wir: Ja, wir müssen Klimaschutz Klimaziele schaffen. voranbringen. Wir müssen den Weg der Treibhausgasre- duzierung kraftvoll beschreiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Jeder in den Entwicklungs- und Schwellenländern GRÜNEN]: Warum geht ihr ihn dann nicht?) zielgerichtet eingesetzte Euro trägt zum Klimaschutz bei, hilft den Menschen vor Ort und auch dabei, klimabe- Wir sind gefordert, die entscheidenden Stellschrau- dingte Fluchtursachen zu bekämpfen. Das ist doch das ben in die richtige Position zu drehen. Wir sagen aber, Entscheidende. dass wir das nicht nur national machen können – das hat man gerade an der Rede von Herrn Hofreiter gemerkt –, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sondern wir, sehr geehrter Herr Kollege Hofreiter, alle Ebenen brauchen, die internationale Ebene, auch die eu- An dieser Stelle möchte ich Gerd Müller für seine her- ropäische Ebene. Dass wir unsere Hausaufgaben machen vorragende Arbeit in diesem Zusammenhang wirklich müssen, ist keine Frage, aber Klimapolitik nur durch die danken; denn er steht genau für diese Projekte. Dafür ein nationale Brille zu betrachten, das ist nicht die Art, wie herzliches Dankeschön an Gerd Müller. wir Klimapolitik machen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Julia Von der internationalen Ebene zu Europa: Herz- Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: stück der europäischen Klimapolitik ist der europäische Sollen wir Vorreiter sein oder nicht?) Emissionshandel. Wir haben jüngst eine Reform verab- Denn wir wissen, dass Klimawandel nur wirksam be- schiedet, die den Emissionshandel stärkt. Sie beinhaltet kämpft werden kann, wenn wir ihm weltweit entge- Verschärfungen für die vierte Handelsperiode. Aber die gentreten. Wir müssen Vorbild sein, wir müssen unsere Reform wird schon jetzt antizipiert. Der Preis ist inner- Hausaufgaben machen, aber wir brauchen auch die an- halb eines Jahres deutlich auf derzeit rund 20 Euro an- deren Staaten der Welt. Deshalb ist der Prozess der inter- gestiegen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7757

Dr. Anja Weisgerber (A) Das hat jetzt schon Auswirkungen auf den Preis der Vielen herzlichen Dank. (C) Kohle. Braun- und Steinkohle werden auch durch die Stärkung des Emissionshandels immer unattraktiver. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Dieses funktionierende marktwirtschaftliche Instrument ordneten der SPD) muss exportiert werden. Wir brauchen ein globales oder zumindest auf G-20-Ebene bestehendes umfassendes Vizepräsident Wolfgang Kubicki: CO2-Bepreisungssystem im Sinne einer Vernetzung der Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht zu uns der Emissionshandelssysteme, die es schon gibt. Kollege Karsten Hilse, AfD-Fraktion. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD) NEN]: Fangen Sie an!) Karsten Hilse (AfD): Da gibt es im Textentwurf für Katowice gute Anknüp- fungspunkte in Artikel 6. Das ist gut so; denn wir müssen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zu- den Emissionshandel auf die internationale Ebene expor- schauer! Da wir die Forderungen in den Anträgen der tieren, meine Damen und Herren. Altparteien schon mehrmals diskutiert haben, gehe ich jetzt nicht extra darauf ein. Worauf ich aber eingehen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. muss und will, ist das gestrige öffentliche Fachgespräch. Klaus Mindrup [SPD]) Das unsägliche Verhalten von Professor Levermann, dem Sachverständigen der SPD, und des Herrn Lenkert von Auch auf der nationalen Ebene den Linken, hat Professor Shaviv von der Hebräischen Universität in Jerusalem sehr deutlich gezeigt, wie man (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE hier in Deutschland mit Wissenschaftlern umgeht, die GRÜNEN]: Na, jetzt sind wir gespannt!) sich nicht dem Mainstream unterwerfen. Ein für einen müssen wir unsere Ziele konsequent weiterverfolgen. Bundestagsabgeordneten so unwürdiges Verhalten hätte Die angestrebte Zielgröße von 40 Prozent bis 2020 haben ich selbst einem Linken nicht zugetraut. wir nicht aufgegeben. (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Das muss gerade die AfD sagen!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die wollen Sie 2030 erreichen, oder Wenn ein Abgeordneter der AfD sich nur ansatzwei- wie?) se so unverschämt gegenüber einem Professor aus Israel verhalten hätte, wäre er mit Antisemitismusvorwürfen Sie fordert uns heraus, beherzt und gleichzeitig mit Au- (B) konfrontiert gewesen. Ich erspare mir das an dieser Stel- (D) genmaß diese Ziele weiter anzustreben, auch wenn wir le, weil ich mich nicht auf Ihr Niveau herunter begebe. die Punktlandung bis 2020 nicht schaffen; das ist ganz klar. (Beifall bei der AfD – Stephan Brandner [AfD]: Pfui!) (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber stets bemüht!) Dieses Fachgespräch hat außerdem sehr deutlich ge- zeigt, dass das Pariser Klimaübereinkommen und die Aber wir wollen das 2020-Ziel so schnell wie möglich ihm zugrundeliegende Hypothese auf tönernen Füßen in den Jahren nach 2020 erreichen; denn wir müssen doch stehen. Wenn dann auch noch konkrete Fakten und Zah- jetzt schon die Weichen für 2030 stellen. Dafür brauchen len ins Spiel kommen, gerät das Ganze in eine ordentli- wir alle Sektoren. Daran arbeiten die Ministerien gerade. che Schieflage. Das Wirtschafts- und Energieministerium, das Landwirt- Auf die mehrmals nicht beantwortete Frage nach dem schaftsministerium, das Verkehrsministerium und auch konkreten Temperaturausgangswert, von welchem aus das Bauministerium erarbeiten Beiträge für Maßnahmen eine Erwärmung um 2 Grad nicht überschritten werden im jeweiligen Sektor, um die Klimaziele zu erreichen. soll, Wir müssen es aber intelligent machen. Wir müssen (Klaus Mindrup [SPD]: Die ist beantwortet die soziale Marktwirtschaft zur ökologisch-sozialen worden! Sie lügen!) Marktwirtschaft weiterentwickeln. Dafür brauchen wir Anreize und Technologieoffenheit. Wir wollen die steu- antwortete Professor Levermann dann doch, dass der erliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung Wert aus dem Jahre 1850 gelte, das seien 15 Grad Celsius. endlich auf dem Tisch haben. Da werden wir bei Finanz- Die NASA, die NOAA und die Weltorganisation für Me- minister Scholz nicht lockerlassen. teorologie bezeichneten das Jahr 2016 mit einer durch- schnittlichen Temperatur von 14,8 Grad Celsius aber als das wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn. Wir hätten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dann also einen Temperaturrückgang von 0,2 Grad. Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte. (Beifall bei der AfD) Bei der nächsten Fragerunde, quasi im selben Atem- Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): zug, behauptete Herr Levermann, dass die Temperatur Wir brauchen an dieser Stelle auch die Länder, die seit 1850 um 1,1 Grad Celsius gestiegen sei. Auf meinen dem zustimmen und das dann auch umsetzen. deutlich vernehmbaren Zwischenruf – er saß direkt vor 7758 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Karsten Hilse (A) mir –, dass wir dann ja jetzt eine Durchschnittstemperatur diese völlig unsinnigen Maßnahmen. Für alle Menschen, (C) von 16,1 Grad haben müssten, sagte er gar nichts mehr. die ihre fünf Sinne noch beieinander haben, kann es nur Er sagte nur, dass die These vom menschengemachten eine einzige sinnvolle Schlussfolgerung geben, nämlich Klimawandel felsenfest stehe – mehr nicht. Eine reine diesen verschwenderischen Unsinn einzustellen. Behauptung ohne jeden wissenschaftlichen Beweis. (Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der AfD) GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfra- ge) Noch einmal: Es gibt keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis, kein Experiment, keinen Versuch, der die Hypo- – Ja, ich beantworte die Zwischenfrage, falls es ge- these eines Ursache-Wirkung-Zusammenhangs zwischen wünscht ist, jederzeit. CO2 und Klima beweist. Nichts, es gibt gar nichts. (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: stimmt nicht!) Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? Ich möchte noch einmal kurz auf unseren Antrag zum sofortigen Stopp der Klimaschutzbemühungen „wegen erwiesener Nutz- und Wirkungslosigkeit“ eingehen. Karsten Hilse (AfD): Ja, das mache ich, wenn Sie die Uhr anhalten. (Zuruf von der LINKEN)

Er steht ja heute zur Abstimmung. Der Kollege Jung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: behauptete in der ersten Lesung steif und fest, dass die Ich halte die Zeit immer an. Keine Sorge. AfD den Klimawandel leugne, obwohl von Klimawandel kein Wort im Antrag steht. Richtig allein ist, dass wir den menschengemachten Anteil daran infrage stellen. Karsten Hilse (AfD): Aber natürlich. (Beifall bei der AfD) Sie, werte Frau Dr. Scheer, beanstandeten in der ers- Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ten Lesung Tabellen im Antrag, obwohl es da gar kei- Sehr geehrter Herr Kollege, ich höre Ihnen sehr inte- ne gibt. Sie beanstandeten Quellenangaben, die von der ressiert zu. Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen stammen. Das ist sozusagen die Quelle der Quellen, der Goldstandard für (Stephan Brandner [AfD]: Immer!) offizielle Zahlen zu Energieerzeugung und -verbrauch in (B) Ich bin auch der Meinung, wir sollten mit der AfD sehr (D) Deutschland. Dass Sie diese AG Energiebilanz nicht ken- viele Diskussionen im Deutschen Bundestag zum The- nen, ist eigentlich schon schlimm genug. Dass Sie diese ma Klimapolitik führen. Denn ich glaube, dass Sie gegen Unkenntnis hier am Rednerpult auch noch der Öffent- die große Mehrheit der Bevölkerung stehen und es Ihnen lichkeit preisgeben, ist – na ja – peinlich. schaden wird, solche Verschwörungstheorien von sich zu Hier noch einmal die wichtigsten Inhalte unseres sehr geben. detailliert begründeten Antrags. Die Bemühungen der Ich stelle Ihnen eine ganz konkrete Frage. Vor weni- Bundesregierung, die deutschen CO2-Emissionen zu sen- gen Tagen hat die US-Administration – 13 der führenden ken, erbrachten seit 2008 keine merkbaren Ergebnisse, Bundesbehörden inklusive der NASA – US-Präsident sind also rundherum gescheitert. Die klar formulierten Trump einen 1 556 Seiten langen Bericht ausgehändigt Zwischenziele des Klimaschutzplans 2050 und seiner je- und der Öffentlichkeit übergeben, in dem im Kern gesagt weiligen Unterpläne im Bereich des Anteils erneuerbarer wird: Der Klimawandel ist erstens menschengemacht, Energien am Energieendverbrauch bis 2020 werden weit zweitens sind die wirtschaftlichen Schäden heute zu spü- verfehlt. Die geplanten Absenkungen sowohl des Primär­ ren, drittens werden wir, wenn wir jetzt nicht handeln, energie- als auch des Energieverbrauchs liegen uneinhol- in ein ökonomisches und natürlich auch klimapolitisches bar weit unter den klar formulierten Zielen 2020 bzw. Desaster rennen. 2030. Die ebenfalls geplante Umstellung des Individu- alverkehrs auf E‑Mobilität verschiebt sie noch weiter ins Ich frage Sie als AfD: Sitzen in der US-Administra- Land Absurdistan, obwohl wir uns in diesem ja sowieso tion die Klimaleugner und diejenigen, die diese Thesen befinden. infrage stellen? Was sind das für Leute? Sind das Leute, denen Sie zustimmen können? Wenn wir alle CO2-Emissionen in allen Bereichen auf null brächten – wenn man dieser absurden Hypothe- (Stephan Brandner [AfD]: Stimmen Sie se glaubte –, würde das eine Temperaturminderung von Trump zu?) nur 0,000653 Grad Celsius bewirken. Dafür nur auch nur Oder ist das alles eine Verschwörungstheorie auf der gan- einen einzigen Cent auszugeben, ist wirtschaftlicher Irr- zen Welt? sinn. (Beifall bei Abgeordneten des BÜND- (Beifall bei der AfD) NISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- Dies alles ist auch der Bundesregierung bekannt oder KEN – Dr. Rainer Kraft [AfD]: Sie sind ja müsste es sein. Trotz totaler Zielverfehlung, trotz völligen Trump-Versteher! – Stephan Brandner [AfD]: Versagens pumpen Sie weiterhin Hunderte Milliarden in Die Grünen auf Trump-Kurs!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7759

(A) Karsten Hilse (AfD): Die Linken und ihre Antifa tragen ihren Deutschland- (C) Gut, ich kann Ihnen nicht sagen, wie sich diese Kom- hass wenigstens offen vor sich her. Sie verstecken sich mission zusammensetzt. Sie wird sich wahrscheinlich hinter der fast täglichen Postulierung von neuen Kata- aus denselben Leuten zusammensetzen, die Sie als die strophen: Waldsterben, Insektensterben, Untergang der 97 Prozent, was gar nicht stimmt, bezeichnen, die einen ganzen Welt durch die vermeintlich menschengemach- Konsens bezüglich des menschengemachten Klimawan- te Klimakatastrophe. Sie sollen ablenken von Ihrem dels haben. eigentlichen Ziel: die Abschaffung des Nationalstaates Deutschland. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sehr schwach, die Antwort!) (Beifall bei der AfD – Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Das ist immer noch Hetze! – – Ja, ja, schreien Sie ruhig, schreien Sie ruhig. Michael Schrodi [SPD]: Jetzt reicht es aber! – Ich sage Ihnen nur eines: Zu Zeiten von Kopernikus Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜND- sind hundert Prozent davon ausgegangen, dass die Erde NIS 90/DIE GRÜNEN) im Mittelpunkt steht. – Dass die SPD mitmarschiert, ist klar. Sie haben in Ihrer (Michael Schrodi [SPD]: Was jetzt? Galileo Geschichte Deutschland nicht nur einmal verraten. Galilei haben Sie vergessen! – Helin Evrim (Zurufe von der SPD – Katharina Dröge Sommer [DIE LINKE]: Die Erde ist eine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ja Scheibe! – Weitere Zurufe von der SPD und nicht wahr sein! – Stephan Brandner [AfD]: dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!) Bis 1930 sind hundert Prozent aller Wissenschaftler da- Die FDP heißt nicht umsonst im Sprachgebrauch au- von ausgegangen, dass es keine Kontinentaldrift gibt. Es ßerhalb dieses Hauses Steigbügelhalterpartei, weil sie kann sich auch die Mehrheit irren. Außerdem ist Wis- sich seit Jahrzehnten jeder Partei anbiedert, um auch senschaft keine Demokratie, sondern basiert auf wissen- ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Aber dass die schaftlichen Fakten und nicht auf Mehrheitsverhältnis- CDU mit diesen Ideologen in das parlamentarische Bett- sen. chen steigt, ist ein Zeichen dafür, dass die Zeiten von (Beifall bei der AfD – Katharina Dröge Adenauer, Strauß und Kohl endgültig vorbei sind. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) ein bisschen wirr, was Sie hier vortragen! – Michael Schrodi [SPD]: Wie peinlich! Kein Ich weiß, dass es in der CDU einige Kollegen gibt, die (B) Wort zum Bericht! Sie haben die Frage nicht sich ihren gesunden Menschenverstand bewahrt haben, (D) beantwortet!) in der FDP auch. – Ja, ja. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nur in der AfD gibt es keinen! – Herr Präsident, wissen Sie, dass ich acht Minuten Re- Stephan Brandner [AfD]: Aber sehr verein- dezeit habe und nicht nur fünf? Die Uhr ist schon ziem- zelt!) lich abgelaufen, aber es ist egal. – Okay. Ich kenne einige von ihnen. Aber ich spreche hier die (Michael Schrodi [SPD]: Sie könnten die Kollegen der CDU explizit an. Sie wissen, dass diese Frage beantworten!) Bundesregierung falsch liegt. Sie haben einfach zu viel Die hysterischen Zwischenrufe in der letzten Woche, Platz im Schritt, um gegen diesen ideologischen Irrsinn als ich ausführte, dass jährlich Hunderttausende Greifvö- offen zu opponieren. gel und Fledermäuse Ihren so geliebten Windkraftanla- (Michael Schrodi [SPD]: Sexistischer Müll! gen zum Opfer fallen, haben eindeutig gezeigt, dass die Unglaublich! Das kann nicht wahr sein!) Grünen mit Tierschutz nichts am Hut haben. Das ist sym- ptomatisch für den Großteil der Grünen. Sie sind ideo- Seit Merkels Machtübernahme in der CDU wird diese logiegetrieben, und da haben ehrlicher Natur- und Um- geflutet von roten und grünen Systemlingen, die die noch weltschutz keinen Platz. Eigentlich ein Verrat an allen verbliebenen konservativen Werte, die Sie einmal ausge- Menschen, die Sie wählen, weil sie wirklich ein grünes macht haben, von innen wie ein Krebsgeschwür auffres- Herz haben. sen. (Beifall bei der AfD) (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Was ist das denn für ein Niveau? – Weitere Zurufe von Sie aber verstecken sich unter Ihrem grünen Mäntelchen der CDU/CSU und der SPD) und sind darunter tiefrot. Unter diesem grünen Mäntel- chen haben sich in der Geschichte Ihrer Partei Pädophi- Die letzte verbliebene konservative Partei ist die AfD. le, Inzestverharmloser, Kommunisten, Maoisten und bis (Beifall bei der AfD) zum heutigen Tag Deutschlandhasser und Deutschland- abschaffer versteckt. In dieser versammeln sich aufrechte Patrioten, die ihre Heimat wirklich lieben und schützen. (Beifall bei der AfD – Stephan Brandner [AfD]: Koksnasen! – Lorenz Gösta Beutin (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE [DIE LINKE]: Das ist Hetze!) GRÜNEN]: Pfui!) 7760 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Karsten Hilse (A) Ich schließe mit den Zeilen eines Kinderliedes: Jetzt möchte ich mich bei diesem Herrn entschuldi- (C) gen, dass ich dann die Frage gestellt habe: Wer bezahlt Und wir lieben die Heimat, die schöne, und wir so etwas? schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie un- serem Volke gehört. (Karsten Hilse [AfD]: Wer bezahlt Sie?) Vielen Dank. Das tut mir leid, aber diese Frage ist mir so herausge- (Beifall bei der AfD – Katharina Dröge rutscht. Das kann einem ja einmal passieren. Wenn man [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine so etwas hört, was jeder wissenschaftlichen Praxis wider- widerliche Rede!) spricht, dass man die Faktenbereiche wegschneidet, die einem nicht passen,

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie Herr Kollege Hilse, unter der Voraussetzung, dass bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE die Uhr wirklich geht – davon gehe ich aus –, haben Sie GRÜNEN) exakt acht Minuten gesprochen plus Beantwortung der dann muss ich ganz klar sagen, dass eine emotionale Re- Zwischenfrage. aktion für mich zumindest nachvollziehbar ist. (Karsten Hilse [AfD]: Dann entschuldige ich Ich erinnere Sie daran, wie Ihr Kollege Kraft die mich!) NGOs angegriffen und die Bezahlung der NGOs in einer Wir sind sehr sorgsam bei der Überwachung der Zeitnah- Art und Weise in Zweifel gezogen hat, die meine Wort- me. Es ist wie beim Fußball. wahl bei weitem übertroffen hat, und muss sagen: Schau- en Sie einmal in Ihren eigenen Reihen nach. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Mindestens acht Minuten zu viel! – Ulli Nissen [SPD]: Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt zu spre- Acht Minuten zu viel! – Weiterer Zuruf von chen kommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Es wird der SPD: Können Sie das nicht einmal rügen, immer gesagt, der Anteil Deutschlands sei minimal, wir Herr Kubicki!) seien unschuldig. Hier fühle ich mich angegriffen: – Ich habe den Zwischenruf leider nicht verstanden, aber (Jan Ralf Nolte [AfD]: Armer Kerl!) es war wahrscheinlich nicht so wichtig. Wir sind für 6 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen (Heiterkeit) zuständig, und zwar seit Entwicklung der Industrialisie- (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächste spricht rung. (D) zu uns die Bundesministerin Svenja Schulze. Ein weiterer Punkt: Wir machen 1 Prozent der Weltbe- (Beifall bei der SPD) völkerung aus, verursachen aber 2 Prozent des weltwei- ten CO2-Ausstoßes. Das heißt, wir leben deutlich über Entschuldigung, Frau Ministerin, Sie müssen einen unsere Verhältnisse. Das auszublenden, ist unverantwort- ganz kleinen Moment Geduld haben. Sie können auf dem lich. Wenn Sie nach Brandenburg fahren – Sie kommen Stuhl der Kanzlerin Platz nehmen, wenn ich einmal die- aus Brandenburg –, sehen Sie die Dürreschäden dieses sen Vorschlag machen darf. Sommers. (Heiterkeit) (Zuruf von der SPD: Sachsen! – Gegenruf des Der Kollege Ralph Lenkert hat um eine Kurzinterven- Abg. Stephan Brandner [AfD]: Ist das Glei- tion gebeten, weil er sich persönlich angegriffen fühlt che!) durch den Beitrag des Kollegen Hilse. – Aus Sachsen kommen Sie, okay. Da ist man blind, wenn man durch Brandenburg fährt. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Hilse, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wenn Sie etwas darstellen, sollten Sie es vollständig dar- Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen. stellen. Ich erinnere an das Fachgespräch am Mittwoch. Ihr Sachverständiger hat dargestellt, dass der durch- schnittliche Temperaturanstieg nicht so hoch sei, dass die Ralph Lenkert (DIE LINKE): Dürren nicht zugenommen hätten und der Meeresspiegel Aber wenn Sie sich die Dürreschäden ansehen, wenn auch nicht so stark angestiegen sei. Er hat das explizit Sie sich das Niedrigwasser ansehen, wenn Sie sich heute für die Jahre 1900 bis 2000 ausgeführt. Er hat also die die Probleme am Rhein ansehen und dann immer noch kälteren Jahre vor der Industrialisierung Europas und sagen: „Wir müssen nichts machen“, dann sind Sie verlo- der Welt weggeschnitten, und er hat die neun von zehn gen und schaden den Menschen dieser Gesellschaft. wärmsten Jahre nach 2000 weggeschnitten. Selbst wenn man dann eine Linie gezogen hat, konnte man den An- (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie stieg nachvollziehen. Nur durch grobwilliges Betrachten bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ war es möglich, daraus zu interpretieren: Es gibt keinen DIE GRÜNEN – Udo Theodor Hemmelgarn Temperaturanstieg. [AfD]: Das ist Wetter, nicht Klima!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7761

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Und niemand in der Welt folgt uns. (C) Herr Kollege Hilse, möchten Sie antworten? (Dr. Nina Scheer [SPD]: Ihnen folgt niemand mehr!) Karsten Hilse (AfD): Es werden 1 600 Kohlekraftwerke gebaut. Das einzige Natürlich möchte ich antworten. – Herr Lenkert, ich Land, das uns gefolgt ist, das uns quasi sogar überholt begrüße es und finde es gut, dass Sie sich im Nachhinein hat, das ist Australien. entschuldigen. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das ist Ich möchte ganz kurz auf das Diagramm eingehen, das einfach nicht wahr!) Herr Lenkert angeführt hat. Es sollte weder zeigen, dass Aber die Australier können – leider, aus Sicht der Aust- sich der Meeresspiegel nicht erhöht, noch dass sich die ralier – nicht auf ein System zurückgreifen, in das Koh- Temperatur nicht erhöht. Es hat einfach nur den Zusam- le- und Kernkraftwerke Energie einspeisen. Australien menhang zwischen solarer Aktivität und Meeresspiegel- hat mit großflächigen und langen Blackouts zu kämpfen. anstieg respektive Temperaturanstieg gezeigt. Er ist auch Wenn Sie Ihre Politik weiterführen, droht uns genau das- darauf eingegangen – ich weiß nicht, ob Sie es dann nicht selbe. mehr mitbekommen haben –, dass ab dem Jahr 2000 Satellitendaten verwendet wurden, die die gleichen Er- Vielen Dank. gebnisse gebracht haben. Aber diese Daten stammen aus anderen Messreihen. Deswegen enden sie im Jahr 2000. (Beifall bei der AfD)

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: NEN]: Ja, ja!) Bevor die Bundesministerin das Wort erhält, unter- Zum Temperaturwert. Es ist nun einmal so. Sie kön- breche ich die Aussprache kurz, um das Ergebnis der nen die jährlichen CO2-Emissionen Deutschlands ein- namentlichen Abstimmung bekannt zu geben. Das von fach halbieren, weil man davon ausgeht, dass circa die den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Er- Hälfte des CO2 in der Atmosphäre verbleibt. Das fügen gebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag Sie dann in die IPCC-Formel ein und nehmen sogar den der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel schlechtesten Equilibrium Climate Sensitivity, 3,2 Grad „Mit dem Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und bei Verdoppelung, und dann kommt genau dieser Wert reguläre Migration die internationale Zusammenarbeit heraus: 0,000653 Grad Celsius. in der Migrationspolitik stärken und Migration besser (B) regeln und steuern“, Drucksache 19/6056: abgegebene (D) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Stimmen 666. Mit Ja haben gestimmt 372, mit Nein ha- GRÜNEN]: Machen Sie hier keine Wissen- ben gestimmt 153, Enthaltungen 141. Der Antrag ist da- schaftssatire!) mit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Sybille Benning Hermann Färber Monika Grütters Abgegebene Stimmen: 666; Dr . André Berghegger Uwe Feiler Fritz Güntzler davon Melanie Bernstein Enak Ferlemann Olav Gutting ja: 372 Peter Beyer Dr. Maria Flachsbarth Christian Haase Marc Biadacz Florian Hahn nein: 153 Thorsten Frei Steffen Bilger Dr. Hans-Peter Friedrich Jürgen Hardt enthalten: 141 Peter Bleser (Hof) Matthias Hauer Norbert Brackmann Michael Frieser Mark Hauptmann Ja Dr. Reinhard Brandl Hans-Joachim Fuchtel Dr. Matthias Heider CDU/CSU Michael Brand (Fulda) Ingo Gädechens Mechthild Heil Silvia Breher Dr . Thomas Gebhart Thomas Heilmann Stephan Albani Sebastian Brehm Alois Gerig Frank Heinrich (Chemnitz) Norbert Maria Altenkamp Heike Brehmer Eberhard Gienger Rudolf Henke Peter Altmaier Ralph Brinkhaus Eckhard Gnodtke Michael Hennrich Philipp Amthor Dr. Carsten Brodesser Ursula Groden-Kranich Marc Henrichmann Artur Auernhammer Gitta Connemann Hermann Gröhe Ansgar Heveling Peter Aumer Astrid Damerow Klaus-Dieter Gröhler Dr. Heribert Hirte Dorothee Bär Alexander Dobrindt Michael Grosse-Brömer Christian Hirte Thomas Bareiß Michael Donth Astrid Grotelüschen Alexander Hoffmann Norbert Barthle Marie-Luise Dött Markus Grübel Karl Holmeier Maik Beermann Hansjörg Durz Manfred Grund Dr. Hendrik Hoppenstedt Manfred Behrens (Börde) Thomas Erndl Oliver Grundmann Erich Irlstorfer 7762 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Hans-Jürgen Irmer Karsten Möring Thomas Silberhorn Dr. Katarina Barley (C) Thomas Jarzombek Marlene Mortler Björn Simon Doris Barnett Andreas Jung Elisabeth Motschmann Tino Sorge Dr. Matthias Bartke Ingmar Jung Dr. Gerd Müller Jens Spahn Sören Bartol Alois Karl Axel Müller Katrin Staffler Bärbel Bas Anja Karliczek Sepp Müller Frank Steffel Lothar Binding (Heidelberg) Torbjörn Kartes Carsten Müller Dr . Wolfgang Stefinger Leni Breymaier Volker Kauder (Braunschweig) Albert Stegemann Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Stefan Kaufmann Stefan Müller (Erlangen) Andreas Steier Katrin Budde Dr. Andreas Nick Johannes Steiniger Martin Burkert Roderich Kiesewetter Petra Nicolaisen Peter Stein (Rostock) Dr. Lars Castellucci Michael Kießling Michaela Noll Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Dr . Georg Kippels Dr . Georg Nüßlein Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Volkmar Klein Wilfried Oellers Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby Florian Oßner Axel Knoerig Stephan Stracke Esther Dilcher Josef Oster Jens Koeppen Max Straubinger Sabine Dittmar Henning Otte Markus Koob Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr . Wiebke Esdar Sylvia Pantel Carsten Körber Hans-Jürgen Thies Saskia Esken Martin Patzelt Alexander Krauß Alexander Throm Yasmin Fahimi Dr. Joachim Pfeiffer Gunther Krichbaum Dr . Dietlind Tiemann Dr. Johannes Fechner Stephan Pilsinger Dr. Günter Krings Antje Tillmann Dr. Fritz Felgentreu Dr. Christoph Ploß Rüdiger Kruse Markus Uhl Dagmar Freitag Eckhard Pols Michael Kuffer Dr . Volker Ullrich Sigmar Gabriel Thomas Rachel Dr. Roy Kühne Oswin Veith Michael Gerdes Kerstin Radomski Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Kerstin Vieregge Martin Gerster Alexander Radwan Katharina Landgraf Volkmar Vogel (Kleinsaara) Angelika Glöckner Alois Rainer Ulrich Lange Christoph de Vries Timon Gremmels Dr. Peter Ramsauer (B) Jens Lehmann Kees de Vries Kerstin Griese (D) Eckhardt Rehberg Paul Lehrieder Marco Wanderwitz Michael Groß Lothar Riebsamen Dr. Katja Leikert Kai Wegner Uli Grötsch Josef Rief Dr. Andreas Lenz Dr. h. c. (NUACA) Albert H. Bettina Hagedorn Johannes Röring Dr. Ursula von der Leyen Weiler Rita Hagl-Kehl Dr. Norbert Röttgen Antje Lezius Marcus Weinberg (Hamburg) Metin Hakverdi Stefan Rouenhoff Andrea Lindholz Dr . Anja Weisgerber Sebastian Hartmann Erwin Rüddel Dr. Carsten Linnemann Peter Weiß (Emmendingen) Dirk Heidenblut Albert Rupprecht Patricia Lips Sabine Weiss (Wesel I) Hubertus Heil (Peine) Stefan Sauer Nikolas Löbel Ingo Wellenreuther Gabriela Heinrich Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Jan-Marco Luczak Marian Wendt Wolfgang Hellmich Dr . Wolfgang Schäuble Kai Whittaker Daniela Ludwig Andreas Scheuer Dr. Barbara Hendricks Annette Widmann-Mauz Karin Maag Jana Schimke Gustav Herzog Yvonne Magwas Tankred Schipanski Bettina Margarethe Gabriele Hiller-Ohm Wiesmann Dr . Thomas de Maizière Dr. Claudia Schmidtke Thomas Hitschler Klaus-Peter Willsch Gisela Manderla Christian Schmidt (Fürth) Frank Junge Elisabeth Winkelmeier- Dr . Astrid Mannes Patrick Schnieder Josip Juratovic Becker Matern von Marschall Nadine Schön Thomas Jurk Oliver Wittke Hans-Georg von der Marwitz Felix Schreiner Oliver Kaczmarek Emmi Zeulner Andreas Mattfeldt Dr. Klaus-Peter Schulze Johannes Kahrs Paul Ziemiak Stephan Mayer (Altötting) Uwe Schummer Elisabeth Kaiser Dr. Matthias Zimmer Dr. Michael Meister Armin Schuster (Weil am Ralf Kapschack Dr . Rhein) Gabriele Katzmarek Jan Metzler Detlef Seif SPD Ulrich Kelber Dr. h. c. Hans Michelbach Johannes Selle Ingrid Arndt-Brauer Cansel Kiziltepe Dr. Mathias Middelberg Reinhold Sendker Heike Baehrens Arno Klare Dietrich Monstadt Dr. Patrick Sensburg Ulrike Bahr Lars Klingbeil Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7763

(A) Dr. Bärbel Kofler Dagmar Schmidt (Wetzlar) Siegbert Droese Jürgen Pohl (C) Elvan Korkmaz Carsten Schneider (Erfurt) Thomas Ehrhorn Stephan Protschka Anette Kramme Johannes Schraps Berengar Elsner von Gronow Martin Reichardt Christine Lambrecht Michael Schrodi Dr. Michael Espendiller Martin Erwin Renner Christian Lange (Backnang) Dr. Manja Schüle Peter Felser Roman Johannes Reusch Dr. Karl Lauterbach Ursula Schulte Dietmar Friedhoff Ulrike Schielke-Ziesing Helge Lindh Martin Schulz Dr . Anton Friesen Dr. Robby Schlund Burkhard Lischka Swen Schulz (Spandau) Markus Frohnmaier Jörg Schneider Kirsten Lühmann Frank Schwabe Dr. Götz Frömming Uwe Schulz Heiko Maas Stefan Schwartze Dr. Alexander Gauland Thomas Seitz Caren Marks Andreas Schwarz Dr . Axel Gehrke Martin Sichert Katja Mast Rita Schwarzelühr-Sutter Albrecht Glaser Detlev Spangenberg Christoph Matschie Rainer Spiering Franziska Gminder René Springer Hilde Mattheis Svenja Stadler Wilhelm von Gottberg Beatrix von Storch Dr. Matthias Miersch Martina Stamm-Fibich Kay Gottschalk Dr . Alice Weidel Klaus Mindrup Sonja Amalie Steffen Armin-Paulus Hampel Dr . Harald Weyel Susanne Mittag Mathias Stein Mariana Iris Harder-Kühnel Wolfgang Wiehle Falko Mohrs Kerstin Tack Verena Hartmann Dr . Heiko Wildberg Claudia Moll Claudia Tausend Dr. Roland Hartwig Dr . Christian Wirth Siemtje Möller Michael Thews Jochen Haug Uwe Witt Detlef Müller (Chemnitz) Markus Töns Martin Hebner Michelle Müntefering Carsten Träger Udo Theodor Hemmelgarn DIE LINKE Dr. Rolf Mützenich Ute Vogt Lars Herrmann Doris Achelwilm Dietmar Nietan Marja-Liisa Völlers Martin Hess Gökay Akbulut Ulli Nissen Dirk Vöpel Karsten Hilse Simone Barrientos Thomas Oppermann Gabi Weber Martin Hohmann Dr. Dietmar Bartsch Josephine Ortleb Bernd Westphal Dr. Bruno Hollnagel Lorenz Gösta Beutin (B) Mahmut Özdemir (Duisburg) Dirk Wiese Leif-Erik Holm Matthias W. Birkwald (D) Aydan Özoğuz Gülistan Yüksel Johannes Huber Heidrun Bluhm Christian Petry Dagmar Ziegler Fabian Jacobi Michel Brandt Detlev Pilger Stefan Zierke Uwe Kamann Christine Buchholz Sabine Poschmann Dr. Jens Zimmermann Jens Kestner Birke Bull-Bischoff Florian Post Stefan Keuter Jörg Cezanne Achim Post (Minden) Nein Enrico Komning Sevim Dağdelen Florian Pronold Jörn König Fabio De Masi CDU/CSU Dr. Sascha Raabe Steffen Kotré Dr. Diether Dehm Martin Rabanus Dr. Silke Launert Dr. Rainer Kraft Anke Domscheit-Berg Andreas Rimkus Torsten Schweiger Rüdiger Lucassen Klaus Ernst Sönke Rix Karin Strenz Frank Magnitz Susanne Ferschl Dennis Rohde Arnold Vaatz Dr. Lothar Maier Brigitte Freihold Dr. Martin Rosemann Jens Maier Sylvia Gabelmann René Röspel AfD Dr . Birgit Malsack- Nicole Gohlke Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Bernd Baumann Winkemann Dr . André Hahn Michael Roth (Heringen) Marc Bernhard Corinna Miazga Heike Hänsel Bernd Rützel Andreas Bleck Andreas Mrosek Matthias Höhn Sarah Ryglewski Peter Boehringer Volker Münz Ulla Jelpke Johann Saathoff Stephan Brandner Sebastian Münzenmaier Kerstin Kassner Axel Schäfer (Bochum) Jürgen Braun Christoph Neumann Dr . Achim Kessler Dr. Nina Scheer Marcus Bühl Jan Ralf Nolte Katja Kipping Marianne Schieder Matthias Büttner Ulrich Oehme Jan Korte Udo Schiefner Petr Bystron Gerold Otten Jutta Krellmann Dr. Nils Schmid Tino Chrupalla Frank Pasemann Caren Lay Uwe Schmidt Joana Cotar Tobias Matthias Peterka Sabine Leidig Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Gottfried Curio Paul Viktor Podolay Ralph Lenkert 7764 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Stefan Liebich Jens Beeck Roman Müller-Böhm Katrin Göring-Eckardt (C) Dr. Gesine Lötzsch Nicola Beer Frank Müller-Rosentritt Erhard Grundl Thomas Lutze Dr. Jens Brandenburg Dr. Martin Neumann Anja Hajduk Pascal Meiser (Rhein-Neckar) (Lausitz) Britta Haßelmann Amira Mohamed Ali Mario Brandenburg Hagen Reinhold Dr . Anton Hofreiter (Südpfalz) Cornelia Möhring Bernd Reuther Dieter Janecek Dr. Marco Buschmann Niema Movassat Dr. Stefan Ruppert Dr. Kirsten Kappert-Gonther Karlheinz Busen Norbert Müller (Potsdam) Dr . h. c. Thomas Sattelberger Uwe Kekeritz Carl-Julius Cronenberg Christian Sauter Zaklin Nastic Katja Keul Britta Katharina Dassler Frank Schäffler Dr . Alexander S. Neu Sven-Christian Kindler Bijan Djir-Sarai Dr . Wieland Schinnenburg Thomas Nord Sylvia Kotting-Uhl Christian Dürr Matthias Seestern-Pauly Petra Pau Oliver Krischer Hartmut Ebbing Frank Sitta Sören Pellmann Christian Kühn (Tübingen) Dr. Marcus Faber Judith Skudelny Victor Perli Renate Künast Daniel Föst Dr. Hermann Otto Solms Tobias Pflüger Markus Kurth Otto Fricke Bettina Stark-Watzinger Martina Renner Monika Lazar Thomas Hacker Dr. Marie-Agnes Strack- Bernd Riexinger Sven Lehmann Katrin Helling-Plahr Zimmermann Eva-Maria Schreiber Steffi Lemke Markus Herbrand Benjamin Strasser Dr. Petra Sitte Dr . Tobias Lindner Torsten Herbst Katja Suding Helin Evrim Sommer Dr. Irene Mihalic Katja Hessel Linda Teuteberg Friedrich Straetmanns Claudia Müller Dr. Stephan Thomae Dr . Kirsten Tackmann Beate Müller-Gemmeke Manuel Höferlin Manfred Todtenhausen Jessica Tatti Dr. Konstantin von Notz Dr. Christoph Hoffmann Dr . Florian Toncar Alexander Ulrich Omid Nouripour Reinhard Houben Dr . Andrew Ullmann Kathrin Vogler Friedrich Ostendorff Ulla Ihnen Johannes Vogel (Olpe) Dr . Sahra Wagenknecht Cem Özdemir (B) Olaf In der Beek Sandra Weeser (D) Lisa Paus Harald Weinberg Gyde Jensen Nicole Westig Filiz Polat Katrin Werner Dr. Christian Jung Katharina Willkomm Tabea Rößner Pia Zimmermann Thomas L. Kemmerich Claudia Roth (Augsburg) Sabine Zimmermann Karsten Klein BÜNDNIS 90/ (Zwickau) DIE GRÜNEN Dr. Manuela Rottmann Dr. Marcel Klinge Corinna Rüffer Daniela Kluckert Luise Amtsberg Fraktionslos Ulle Schauws Pascal Kober Kerstin Andreae Dr. Gerhard Schick Mario Mieruch Dr. Lukas Köhler Lisa Badum Dr. Frithjof Schmidt Dr. Frauke Petry Carina Konrad Annalena Baerbock Stefan Schmidt Wolfgang Kubicki Margarete Bause Kordula Schulz-Asche Enthalten Konstantin Kuhle Dr. Danyal Bayaz Dr . Wolfgang Strengmann- Alexander Kulitz Canan Bayram CDU/CSU Kuhn Alexander Graf Lambsdorff Dr. Franziska Brantner Margit Stumpp Veronika Bellmann Ulrich Lechte Agnieszka Brugger Markus Tressel Christoph Bernstiel Christian Lindner Dr . Anna Christmann Jürgen Trittin Michael Georg Link Ekin Deligöz Dr . Julia Verlinden FDP (Heilbronn) Katja Dörner Daniela Wagner Grigorios Aggelidis Oliver Luksic Katharina Dröge Beate Walter-Rosenheimer Renata Alt Till Mansmann Harald Ebner Christine Aschenberg- Dr . Jürgen Martens Matthias Gastel Dugnus Christoph Meyer Kai Gehring Fraktionslos Nicole Bauer Alexander Müller Stefan Gelbhaar Marco Bülow

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7765

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Nun treten wir wieder in die Aussprache ein. – Frau dass Schwellen- und Entwicklungsländer auf ihrem Weg (C) Bundesministerin, Sie haben das Wort. Bitte. unterstützt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU) der CDU/CSU) Man muss es noch einmal ganz klar sagen: Wir In- Svenja Schulze, Bundesministerin für Umwelt, Na- dustrieländer haben der Welt das ganze Problem über- turschutz und nukleare Sicherheit: haupt erst eingebrockt. Wir, die Industrieländer, haben Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren uns in der Zeit einen großen Wohlstand aufgebaut. Es ist Abgeordneten! Ich denke, es ist gut, wenn wir uns die doch wohl das Mindeste, wenn den Entwicklungs- und Fakten einfach noch mal ansehen: In den vergangenen Schwellenländern jetzt geholfen wird. Die haben kaum Wochen sind im Zuge von Waldbränden ganze Ortschaf- etwas dazu beigetragen, leiden aber am meisten unter den ten in Kalifornien abgebrannt; die schweren Unwetter in Klimafolgen. Auch um diese Hilfe wird es in Katowice Italien in diesen Tagen haben mehrere Todesopfer gefor- gehen. Deswegen ist es gut und richtig, dass Minister dert; im Sommer haben wir hier in Deutschland eine Dür- Müller für Deutschland gestern zugesagt hat, unseren re erlebt; wir haben erlebt, wie sehr unsere Wälder unter Beitrag zum Green Climate Fund von 750 Millionen auf Druck geraten sind; wir sehen, wie unsere Flüsse heute 1,5 Milliarden Euro zu verdoppeln. Das ist ein richtiges aussehen. Deswegen ist es wichtig, dass die Weltgemein- Signal. Ich hoffe, dass dem viele folgen. schaft jetzt in Katowice zusammenkommt und deutlich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sagt, wie wir diesen Klimawandel begrenzen wollen. Das ist eine enorm wichtige Konferenz, die jetzt ansteht. Es gibt gute Gründe dafür, dass wir die Vorreiterrolle übernehmen und dass wir, nachdem die USA schon sehr Wir müssen zeigen, wie wir das im Kleingedruckten klargemacht haben, wo sie stehen, zeigen, wie man das regeln wollen. Wir haben uns große Ziele gesetzt, und machen kann. Wir gehen nicht mit leeren Händen nach jetzt müssen wir die Regeln dafür klarziehen. Wir müs- Katowice. Wir können hier in Deutschland zeigen, wie sen zum Beispiel genau sagen, wie wir als Staaten un- wirtschaftlicher Erfolg und engagierter Klimaschutz zu- sere nationalen Beiträge vergleichbar machen, wie wir sammengehen. Die Zahlen werden jedes Jahr im Green- sie transparent machen wollen, weil jeder einzelne Staat Tech-Atlas veröffentlicht. Daran können Sie ganz genau natürlich die Gewissheit braucht, dass nicht nur er selber sehen, was für einen wirtschaftlichen Erfolg wir mit dem etwas tut, sondern auch die Wettbewerber ambitionier- Klimaschutz haben, mit dem, was wir als Wirtschaft in ten Klimaschutz betreiben. Das wird es insgesamt allen diesem Bereich voranbringen. erleichtern, und wenn alle nach den gleichen Regeln (B) spielen, werden wir auch als Staatengemeinschaft voran- Sie können auch die Strukturwandelkommission als (D) kommen. Beispiel nehmen. Dass es so eine Kommission überhaupt gibt, dass es uns gelingt, zivilgesellschaftliche Organi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sationen, die Wissenschaft, die Wirtschaft, die Gewerk- der CDU/CSU) schaften, alle an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam Auch wenn der eine oder andere das nicht wahrhaben an Lösungen zu arbeiten, das ist genau das richtige Si- will, werden die nächsten zehn Jahre darüber entschei- gnal. Wir werden den Strukturwandel so gestalten, dass den, was für eine Zukunft die kommenden Generationen er mit sozialer Gerechtigkeit Hand in Hand geht. Wir haben werden. Ich höre hier im Haus oft das Argument, werden den Regionen Perspektiven aufzeigen. Und wenn dass Deutschland alleine den Klimawandel nicht stoppen wir dafür etwas länger brauchen, dann brauchen wir halt kann. Klar, Deutschland alleine kann das nicht; aber es etwas länger; aber das Signal ist genau das richtige. ist völlig falsch, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, (Beifall bei der SPD) dass Deutschland die Hände in den Schoß legen könnte und wir gar nichts tun könnten. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/ Kollegen Krischer? DIE GRÜNEN: Dann tun Sie was!) Deutschland ist in absoluten Zahlen der weltweit Svenja Schulze, Bundesministerin für Umwelt, Na- sechstgrößte Emittent von Treibhausgasen. Auch bei turschutz und nukleare Sicherheit: den Pro-Kopf-Emissionen liegt Deutschland weit vorne: Nein. – Meine Damen und Herren, wenn wir das nicht knapp 9 Tonnen pro Jahr und damit auf Platz 12, noch machen, wenn wir nicht vorangehen, ein kerngesunder vor China und Indien. Deswegen freue ich mich sehr Staat mit Innovationen, mit technischem Know-how, über den Antrag der Koalitionsfraktionen. Die darin ent- wer soll das dann tun? Ich bin fest davon überzeugt, dass haltene Aufforderung an das Parlament nehme ich natür- wir zeigen können, wie diese Transformation, wie dieser lich gerne mit nach Katowice. Ich werde mich mit der Strukturwandel wirklich funktionieren kann, und zwar ganzen Delegation dafür einsetzen, dass alle Langfrist- nicht nur in der Energiewirtschaft, sondern eben auch in ziele verankert werden und dass wir gute Umsetzungs- den Bereichen Verkehr, Gebäude und auf vielen weiteren regeln für das Abkommen von Paris treffen. Wir werden Feldern. Das wird in Deutschland gezeigt werden kön- international für den Ausbau der erneuerbaren Energien nen. Aber wir werden das im Sinne einer Just Transition werben, genauso wie wir uns dafür einsetzen werden, tun, also soziale Gerechtigkeit mitdenken und die Men- 7766 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Bundesministerin Svenja Schulze (A) schen mitnehmen. Das ist auch das Signal, das wir auf ist? Solche Reden werden in 190 Ländern ge- (C) der COP geben können. halten, und dann ändert sich nichts!) Ich werde mit einer ganzen Reihe von Abgeordneten Dann könnten auch radikale Kräfte morgen verlangen, in Katowice sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dass wir zukünftig die Wohnungen nur noch bis 15 Grad unsere Verantwortung für die Welt von heute und von heizen oder dass Nahrungsmittel rationiert werden. morgen dort wahrnehmen werden. (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Die Idee finde ich Herzlichen Dank. super!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie müssen in Ihrer Argumentation aber unterstellen, der CDU/CSU) dass Deutschland allein etwas am Klimawandel ändern kann, weil Sie eine Rechtfertigung brauchen, die jegli- chen staatlichen Eingriff in die Freiheit der Bürger und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Wirtschaft rechtfertigt. Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Frank Sitta, FDP-Fraktion. (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Haben Sie mal die Studie gelesen? Sie (Beifall bei der FDP) sind ja so was von nicht im Thema!) Ihnen sollte aber auch klar sein, dass diese Argumentati- Frank Sitta (FDP): on Kompromisse eigentlich gar nicht zulässt und gerade- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wegs zu quasi totalitären Ansprüchen führt. Kollegen! Es gibt zwei Möglichkeiten, die CO2-Ziele zu erreichen: Es gibt den marktwirtschaftlichen Ansatz, (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den wir verfolgen, und den planwirtschaftlichen, den die NEN) Grünen hier heute erneut vorgelegt haben. Was Sie etwa Sie wünschen sich mehr konkrete Maßnahmen. Ja, das zum Emissionshandel vorschlagen, läuft auf eine Um- tun auch wir. Nur sollten über diese konkreten Maßnah- wandlung in eine CO2-Steuer hinaus. Sie mögen das; das men die Bürger und die Unternehmen entscheiden und weiß ich. Sie konterkarieren damit aber die marktwirt- eben keine Bürokraten. schaftlichen Mechanismen des ETS – mal wieder, muss man sagen, so, wie Sie das beim EEG schon einmal ge- (Beifall bei der FDP – Zurufe vom BÜND- macht haben. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir werben für technologieoffene Verfahren. (B) (D) der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wir sind als Deutsche eben nicht allein in der Lage, Entscheidend muss doch sein, auf welchem Weg wir einen entscheidenden Beitrag zum globalen Klimaschutz am kostengünstigsten die Vorgaben des festgelegten zu leisten, wie Sie das formuliert haben. Da hilft es auch CO2-Deckels erfüllen, den wir im Übrigen nicht infrage nicht, wenn man ganz fest daran glaubt. Der deutsche stellen. Es geht doch nicht darum, was am besten klingt Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß ist mit 2,37 Prozent oder Ihnen am besten gefällt. relativ gering. Auch wenn „sechstgrößter Emittent“ an- ders klingt, bleiben es 2,37 Prozent. (Beifall bei der FDP) Leider hat sich die Große Koalition auf diesen plan- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wirtschaftlichen Ansatz eingelassen, NEN]: Das ist wieder die Botschaft der FDP! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ (Heike Brehmer [CDU/CSU]: Was?) DIE GRÜNEN) da sie jetzt per staatlichem Dekret die Braunkohlever- Deswegen verfolgen wir eine globale Lösung. stromung beenden will. Das, was die Kohlekommission bisher als Ergebnis eines pseudodemokratischen Dialogs Sie behaupten, dass es schon entscheidend ist, was wir vorgelegt hat, kann uns keineswegs überzeugen. dazu beitragen. Aber Sie wissen, dass das nicht stimmt. (Beifall bei der FDP) (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Doch! Der Weltklimarat hat das gesagt!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wenn diese Behauptung in der Debatte verfängt, be- Herr Kollege Sitta, erlauben Sie eine Zwischenfrage deutet das nämlich: Es kann nie genug sein, was wir in der Kollegin Baerbock? Deutschland national tun. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir allein würden am Klimawandel prak- Frank Sitta (FDP): tisch nichts ändern, selbst wenn wir hier in Deutschland auf der Stelle sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten ein- Nein. Gerne am Ende. stellen würden. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ Die Braunkohleländer Brandenburg, Sachsen und DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, was das Problem Sachsen-Anhalt haben bereits ihre Erfahrungen mit dem Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7767

Frank Sitta (A) Zusammenbruch einer Planwirtschaft gemacht. Dieses Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Rezept soll nun weiteren Ländern erneut verabreicht Herr Kollege Sitta, Sie wollen antworten; das ist werden, obwohl diese Länder ihren Anteil am Erreichen schön. der gesamtdeutschen CO2-Ziele bereits mehr als erbracht haben. Dieses Rezept, meine Damen und Herren, wird Frank Sitta (FDP): nicht dadurch besser, dass nun auch NRW diese Erfah- rung machen soll. Vielen Dank, Herr Präsident. Ich bitte, zu Protokoll zu nehmen: Ich meinte natürlich eine Kurzintervention und (Beifall bei der FDP) keine Frage am Ende meiner Rede. Liebe Frau Kollegin Baerbock, ich habe – und das Ganz zum Schluss: Lieber Herr Hilse, dass Sie hier kennen Sie – in kurzer Redezeit nur gestreift, dass wir das DDR-Pionierlied zitieren, das spricht für sich. die planwirtschaftlichen Methoden, die Sie Ordnungspo- (Beifall bei der FDP) litik nennen, ablehnen. Wir vertrauen tatsächlich auf den Markt; das unterscheidet uns ein Stück weit. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: NEN]: Wettbewerbspolitik!) Vielen Dank, Herr Kollege Sitta. Wir sind der Meinung, dass die Klimaziele eingehal- Ich darf geschäftsleitend darauf hinweisen, dass eine ten werden sollen – es ist eine andere Fraktion hier, die Zwischenfrage nur während der Rede gestellt werden das ablehnt –, wir sind nur der Meinung, dass ein Preis, kann und nicht am Ende; dann wäre es eine Endfrage. der sich am Markt bildet, die Stelle findet, wo CO2 am kostengünstigsten eingespart wird. Entschuldigen Sie (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) bitte, für das Klima ist es völlig irrelevant, an welcher Stelle das ist. Aber ich erlaube der Kollegin Baerbock eine Kurzin- tervention. (Beifall bei der FDP) Vielleicht ist es der Braunkohletagebau in Sachsen-An- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- halt oder in Brandenburg, vielleicht aber auch nicht. Wir NEN): glauben an die Innovationskraft, die sich entwickelt, wenn Dinge einen Preis bekommen. Das ist unser An- Vielen Dank, Herr Präsident. Vielleicht hat Herr Sitta gebot: ein marktwirtschaftliches Konzept des Emissions- danach dann Lust, darauf zu antworten. handels. (B) (D) Sie haben ja darauf hingewiesen, dass Sie das Pariser (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Klimaschutzabkommen eigentlich schon einhalten wol- Natürlich ist eine globale Lösung das eigentliche Ziel. len. Aber Sie haben mit keinem Wort erwähnt, wie Sie Wir fangen damit auch auf europäischer Ebene an. Wir das tun wollen. Meine Frage an Sie wäre gewesen: Ist möchten nur darauf hinweisen, dass zu starke nationalis- Ihnen bewusst, dass alle 192 Staaten einen Klimaschutz- tische klimapolitische Alleingänge einfach nichts bringen plan bzw. einen nationalen Beitrag vorlegen müssen, in dem sie ganz genau, für jeden Sektor, auflisten, wie sie (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ihre Treibhausgase bis 2050 um mindestens 95 Prozent und im Zweifel hier die Wirtschaft zerstören. reduzieren wollen? Vielen Dank. Sie haben gesagt, Sie wollen kein Ordnungsrecht. Das heißt, Sie wollen alles über den Preis regeln. Wenn Sie (Beifall bei Abgeordneten der FDP) den Kohleausstieg über den Preis regeln wollen, dann bräuchten Sie einen CO2-Preis von mindestens 50 Euro Vizepräsident Wolfgang Kubicki: pro Tonne. Ansonsten werden Sie das nicht über den Vielen Dank. – Als Nächster spricht zu uns der Kolle- Preis gestalten können. Große Teile des BDI sagen der- ge Lorenz Gösta Beutin, Fraktion Die Linke. zeit: Das geht nicht, das können sich die energieinten- siven Unternehmen – Stahl und Aluminium – gar nicht (Beifall bei der LINKEN) leisten. Deswegen brauchen wir ordnungspolitische Maßnahmen. Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Frage also an Sie: Wollen Sie den Preis auf Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Als neugewählter mindestens 50 Euro pro Tonne CO2 festlegen? Oder Abgeordneter konnte ich im letzten Jahr am Weltklima- wie soll Ihr CO2-Preis aussehen, mit dem Sie zu einer gipfel in Bonn teilnehmen. Dort habe ich live hören kön- CO2-neutralen Wirtschaft in den nächsten Jahren kom- nen, wie unsere Bundeskanzlerin verkündet hat: Wir als men wollen? Und sagen Sie jetzt bitte nicht: Das regelt Deutschland werden die Klimaziele für 2020 einhalten. der Weltmarkt. – Denn der Emissionshandel ist europä- isch zu regeln, und da muss auch Deutschland seinen Nach Katowice wird unsere Bundeskanzlerin nicht Beitrag leisten. anreisen. Sie sagt, sie habe Terminprobleme. Aber seien wir mal ehrlich: Mit dieser Blamage in der Klimapolitik (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) anzureisen, geht einfach nicht; das können wir auch ver- 7768 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Lorenz Gösta Beutin (A) stehen. Deswegen sage ich ganz klar: Diese Bundeskanz- Oder sprechen wir über die Energie der Zukunft. Auch (C) lerin ist in der Klimapolitik eine Kanzlerin der gebroche- in der Zukunft wird der Strom immer noch aus der Steck- nen Versprechen. dose kommen, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Karsten Hilse [AfD]: Genau, da kommt er neten der FDP – Zuruf von der AfD) her: aus der Steckdose!) Es ist ja so: Sitzungswoche für Sitzungswoche trage so weit ist es klar. Aber ist es nicht ein viel schöneres ich vor, was notwendig wäre und was möglich wäre. Teil- Gefühl, wenn Sie beispielsweise in der Stadt wohnen und weise könnte ich hier massenweise Aluhüte nach rechts Mieterstrom sowie Solaranlagen auf dem Dach haben, verteilen. aus deren Energie Ihr Stromnetz gespeist wird, (Lachen des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD] – (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Nachts vor al- Karsten Hilse [AfD]: Behalten Sie den Aluhut lem! – Karsten Hilse [AfD]: Genau: vor allem mal lieber für sich!) nachts!) Herr Sitta, Sie haben sich heute auch einen Aluhut ver- oder wenn Sie auf dem Dorf wohnen und Sie hinter dem dient. Deich eine Windkraftanlage haben (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und (Karsten Hilse [AfD]: Die die ganzen Möwen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) killt!) Aber ich stehe hier nicht nur als Politiker, sondern ich und diese Windkraftanlage Ihrer Kommune gehört oder stehe hier auch als Mensch, und solange ich politisch ak- der Genossenschaft gehört, an der Sie beteiligt sind? Da tiv bin, setze ich mich für eine bessere Zukunft der Men- ist die Energiewende demokratisch. schen ein. (Beifall bei der LINKEN – Karsten Hilse (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Da haben Sie eine [AfD]: Sozialistische Wunschträume!) Wunschvorstellung!) Das heißt, wir brauchen bezahlbaren Strom. Wenn wir uns damit einmal auseinandersetzen, sehen (Beifall des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD] – wir: Es geht beim Klimawandel nicht nur ums Bangema- Dr. Rainer Kraft [AfD]: Ja! Bezahlbaren!) chen, es geht darum, aufzuzeigen, dass wir etwas ändern können. Das bedeutet, gegen den Klimawandel einzutre- Wir brauchen Sozialtarife beim Strom. Wir müssen uns ten und für eine bessere Zukunft zu kämpfen. gegen Stromsperren einsetzen, damit Familien nicht im Dunkeln sitzen. (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) (Karsten Hilse [AfD]: Das ist doch wegen Ich will das an einigen Beispielen vorstellen. Stellen eurer Politik, eurer Forderungen!) Sie sich vor – viele von Ihnen werden das kennen –, Sie stehen morgens im Stau, kommen schon gestresst zur Und wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Vergünsti- Arbeit, oder Sie stehen mit dem Fahrrad an der Ampel, gungen bei den Stromtarifen für Großkunden nicht zulas- Sie atmen Abgase ein und kommen auch gestresst, mög- ten der Verbraucherinnen und Verbraucher gehen. licherweise noch mit gesundheitlichen Belastungen, auf (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rainer Kraft der Arbeit an. Aber wenn wir ernst machen mit einer so- [AfD]: Sozialistische Wunschträume!) zial-ökologischen Verkehrswende, Schauen wir uns ganz konkret den Kohleausstieg in (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Dann gehen wir alle den Regionen an. Da gibt es zwei Seiten: Zum einen zu Fuß!) würde ein rascher Kohleausstieg den Menschen in den dann wird es anders aussehen – vielleicht in 10, vielleicht Regionen nützen, in 20 Jahren –, dann haben wir einen gut ausgebauten, (Karsten Hilse [AfD]: Ganz genau: bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr, dann haben wir 30 000 Arbeitsplätze weg, super!) Städte, die vor allem für die Menschen da sind, nicht für die Autos, er würde den Menschen nützen, denen die Kohlebagger nicht mehr die Dörfer wegbaggern, er würde den Men- (Lachen des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD]) schen nützen, deren Wälder erhalten bleiben. dann haben wir Vorrang für Radfahrerinnen und Fußgän- (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Das ist doch nicht gerinnen, dann haben wir durch Klimaschutz lebenswer- ihr Wald, der gehört doch RWE!) tere Städte. Zum anderen haben wir auch noch Beschäftigte in (Beifall bei der LINKEN) der Kohleindustrie, wir haben Regionen, um die wir uns kümmern müssen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Karsten Hilse [AfD]: Herzhaftes Lachen!) Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sitta? Das Rheinland mag es mir nachsehen, wenn ich über die Situation in den ostdeutschen Ländern rede. Den Men- Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): schen ist jahrelang erzählt worden: Ihr bekommt blü- Nein; es gibt ja die Möglichkeit der Kurzintervention. hende Landschaften. – Was sie bekommen haben, waren Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7769

Lorenz Gösta Beutin (A) eher verwelkte Blumen. Das heißt, in dieser Situation ist Insofern hat der nächste Redner das Wort. Das ist der (C) es unsere Pflicht und unsere Aufgabe, uns um den Struk- Bundesminister Dr. Gerd Müller. turwandel auch in diesen Regionen zu kümmern, ist es (Beifall bei der CDU/CSU) unsere Aufgabe, den Beschäftigten in der Kohleindustrie eine Beschäftigungsgarantie zu geben, Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche (Beifall bei der LINKEN) Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben der für Einkommen, für Beschäftigung. Dieser Kohleaus- Ernährungsfrage ist der Klimaschutz die Überlebensfra- stieg wird gelingen, wenn wir die Menschen mitnehmen, ge der Menschheit. Die Treibhausgasemissionen steigen wenn wir ihn sozial gerecht machen; das ist unsere Per- weltweit. Das ist dramatisch. Deshalb muss Kattowitz spektive. eine Trendwende sein. Meine Damen und Herren, die (Beifall bei der LINKEN) Weltgemeinschaft muss die Vorgaben des Pariser Ab- kommens verbindlich einhalten und umsetzen. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal kurz sagen: Wir können auch den Blick weiten, wir können dorthin (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schauen, wohin möglicherweise der eine oder die andere der SPD – Lachen bei Abgeordneten der AfD) in den Urlaub fährt. Dort gibt es Palmenstrände, Sand- Derzeit erfüllen von 187 Ländern nur 17 ihre Zusagen. strände und azurblaues Wasser, aber auch negative Sei- Auch Deutschland liegt zurück. Es gibt keinen Zweifel, ten: Die Menschen in diesen Regionen haben teilweise dass wir hier ehrgeizig aufholen müssen. Probleme infolge des Klimawandels, sie haben Proble- me, weil ihr Wasser versalzt, weil sie kein Grundwasser (Beifall der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/ haben, sie haben Probleme, weil die Korallenriffe abster- CSU]) ben und die Fischbestände verschwinden. Wenn wir nicht Meine Damen und Herren, Deutschland und Europa – aufpassen, wenn wir jetzt nicht handeln, entziehen wir deshalb spreche ich als deutscher Entwicklungsminis- diesen Menschen die Grundlage, entziehen wir diesen ter –, die Industrieländer insgesamt machen 10 Prozent Menschen ihre Kultur, ihre Heimat, ihre Tradition, ihre der Menschheit aus und tragen zu 50 Prozent zu den Sprache. Auch das müssen wir verhindern. Treibhausgasemissionen bei. Von den Folgen sind die Ärmsten auf dem Planeten am stärksten betroffen, die (Beifall bei der LINKEN – Jan Ralf Nolte Entwicklungsländer. Wenn Sie mal wie ich an der soma- [AfD]: Sie entziehen uns kostbare Lebens- lischen Grenze sind – dort sterben Pflanzen, Tiere und zeit!) Menschen – und mit Klimaflüchtlingen zusammensitzen (B) (D) Deshalb bin ich so froh, dass wir heute das erste Mal und ihnen in die Augen schauen, dann möchten Sie nicht gemeinsam mit den Grünen einen großen Klimaantrag zum Klimaflüchtling werden, liebe Kollegen von der eingebracht haben, zum Weltklimagipfel in Katowice. AfD. Denn auch wenn wir Unterschiede haben, müssen wir Meine Damen und Herren, , die Tschad-Re- bei diesem Ziel ein Stück des Weges gemeinsam gehen, gion, Bangladesch: drei Jahre ohne Regen. In der Regi- müssen wir klarmachen: Wir brauchen echten Klima- on gibt es bereits über 20 Millionen Klimaflüchtlinge. schutz, wir brauchen den Kohleausstieg. Deshalb übernehmen wir in Deutschland Verantwortung in der Klimapolitik. Das ist einer der zentralen Schwer- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. punkte deutscher Entwicklungspolitik. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb: Kommen Sie gemeinsam mit uns am Sams- Ich werde deshalb in Kattowitz – ihn möchte ich hier tag zu den Klimademos in Berlin und Köln! Lassen Sie im Deutschen Bundestag einführen – einen Sieben-Punk- uns Druck machen für einen Kohleausstieg, für einen te-Plan zum internationalen Klimaschutz vorstellen. Herr echten Klimaschutz. Lindner, Sie haben da einige wichtige Impulse gesetzt. Daran knüpfe ich direkt an. Vielen Dank. Die staatlichen Vorgaben von Paris allein reichen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nicht aus. Es wird ein riesiges Gap bleiben, selbst wenn neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) alle Staaten diesen Pariser Klimavertrag einlösen. Wir müssen mehr tun. Wir müssen die Wirtschaft mitneh- men. Deshalb freue ich mich, dass ich gestern den Start- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schuss für die Allianz für Entwicklung und Klima geben Vielen Dank, Herr Kollege Beutin. – Herr Kollege Sit- konnte. Bereits 70 Firmen, Verbände, Institutionen wie ta, nein, ich lasse die Kurzintervention nicht zu. Erstens SAP, die Munich Re, der NABU und hoffentlich auch haben Sie bereits geredet, zweitens ist das eine beliebte bald der Deutsche Bundestag, streben an, sich klimaneu- Methode, die Redezeit auszuweiten, wenn die Fraktion tral zu stellen und, nachdem sie ihren CO2-Ausstoß redu- nur drei Minuten Redezeit angemeldet hat. Ich will da- ziert und vermieden haben, in den Entwicklungsländern rauf hinweisen, dass wir bereits in erheblichem Zeitver- zu kompensieren und zu investieren: in den Aufbau von zug sind. Ich habe heute Abend Nachtschicht. Ich geden- erneuerbaren Energien, in Waldschutzprogramme, in Re- ke nicht, sie bis in den morgigen Tag hinein auszudehnen. genwaldprogramme, um dort den Einstieg in die Kohle 7770 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) zu verhindern und die Förderung von erneuerbaren Ener- nächste Jahr gepackt haben; denn das zeigt doch, dass (C) gien nach vorne zu bringen. es Ihnen um die Frage des nationalen und nicht des in- ternationalen Klimaschutzes geht. Das ist tatsächlich das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Problem. der SPD – Karsten Hilse [AfD]: Damit sie ja keine Energie haben, damit sie keine Konkur- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Anja renten auf dem Weltmarkt sind! Das ist Ihr Weisgerber [CDU/CSU] – Widerspruch beim Ziel! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen zusätzlich private Investments in erneu- Lassen Sie mich dazu drei Worte sagen. Ja, es ist rich- erbare Energie in Entwicklungs- und Schwellenländern, tig: Wir werden nächstes Jahr höchstwahrscheinlich über in die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe. Meine ein Klimaschutzgesetz verhandeln. Damen und Herren, der Klimaschutz entscheidet sich (Zuruf der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜND- in Indien, Afrika, in den Schwellenländern, auch in Chi- NIS 90/DIE GRÜNEN]) na – jede zweite Woche wird dort ein Kohlekraftwerk in Betrieb genommen – und in Brasilien. Ja, wir werden als Serviceopposition eine ganze Rei- he von wichtigen Punkten mitbegleiten: die Frage der Weil hier die Steckdose angesprochen wurde: Sollte marktwirtschaftlichen Orientierung, die Frage der Tech- jeder Haushalt in Afrika und in Indien – wer kann das den nologieoffenheit. Ja, wir werden – das ist übrigens im Menschen dort verwehren – einen Anschluss an elektri- IPCC-Sonderbericht mit seiner Zielmarke von 1,5 Grad sche Energie bekommen – das wollen wir alle –, wären aufgezeigt – über CO -Speicherung, über Abscheidung nach derzeitigem Stand mehr als 1 000 Kohlekraftwerke 2 und über Geoengineering sprechen müssen. Das werden notwendig. Diese Länder setzen, so wir sie nicht unter- wir im nächsten Jahr mit Ihnen gemeinsam machen. stützen, auf Kohle, Öl und Gas. (Beifall bei der FDP – Annalena Baerbock (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Und nuklear!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, wirk- Dann gehen im Bundestag, Herr Präsident, bildlich ge- lich?) sprochen, die Lichter aus. Über den Klimaschutz wird in Aber darum geht es doch heute nicht. Heute geht es diesen Staaten entschieden. Wir entscheiden darüber, wie um die nächste Woche beginnende COP in Kattowitz. Ich stark wir uns dort engagieren. glaube, das ist die richtige und wichtige Frage, über die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der wir uns hier unterhalten müssen. Da ist die ganz kon- SPD und der FDP) krete Frage des „Rule Book“ das absolut Entscheiden- de. Wir sprechen im Zusammenhang mit der COP ganz (B) Afrika sollte nicht der schwarze, sondern der grüne Kon- gerne mal darüber, dass jetzt ein wichtiges Signal über (D) tinent der Bio- und erneuerbaren Energien werden. die Frage der Finanzen in die Weltgemeinschaft gehen (Karsten Hilse [AfD]: Ganz genau!) muss. Aber eigentlich tut die COP etwas ganz Zentrales: Sie wird darüber entscheiden, wie das sogenannte „Rule Dieser Sieben-Punkte-Plan setzt auf globale Energie- Book“ aufgebaut ist. wende, Ausbau der erneuerbaren Energien, Technologie- transfer, Waldschutz, Stärkung der Klimarisikoversiche- (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung und die Verdoppelung des deutschen Beitrages für Dieses „Rule Book“, meine Damen und Herren von den Green Climate Fund auf 1,5 Milliarden Euro. Des- den Grünen, wird die Frage der Standards, der Transpa- halb reise ich mit Kollegin Schulze nach Kattowitz. Wir renz und des Reportings festlegen. Das ist der zentrale kämpfen gemeinsam für diese Ziele. Teil, wenn wir über internationalen Klimaschutz spre- Herzlichen Dank. chen; denn Klimaschutz wird nur dann funktionieren, wenn wir ihn transparent machen und wenn er vor allen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Dingen international vergleichbar wird, meine Damen ordneten der SPD) und Herren. (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Müller. – Als Nächs- Nur dann werden wir es schaffen, dass wir Indust- tes spricht zu uns für die FDP-Fraktion der Kollege rieschutz, Arbeitsplätze und auch die gesamte Klimaver- Dr. Lukas Köhler. antwortung hier in Deutschland umgesetzt bekommen. (Beifall bei der FDP) Herr Beutin, Sie haben Marktwirtschaft und Ver- schwörungstheorien zusammengebracht – das halte ich Dr. Lukas Köhler (FDP): schon für schwierig –, als Sie unserem Kollegen Sitta vorwarfen, einen „Aluhut“ zu verdienen. Ich halte das Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr ge- für eine, sagen wir mal, sehr steile These. ehrter Herr Präsident! Ich muss nun sagen: Ich wunde- re mich. Ich wundere mich ein bisschen über die Rede Nichtsdestotrotz, das „Rule Book“ wird entscheidend von Anton Hofreiter und auch über Ihre Zwischenfrage, sein. Da muss ich mal die Bundesregierung loben, das Frau Baerbock. Vor allen Dingen aber wundere ich mich tue ich ja nicht so oft: Bei allem, was wir von den Ver- darüber, dass Sie in dieses Gesamtpaket der Anträge zu handlungen hören, setzen Sie sich stark dafür ein, dass COP 24 einen Antrag zum Klimaschutzgesetz für das die Frage der Standards im „Rule Book“ wirklich gut Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7771

Dr. Lukas Köhler (A) ausverhandelt wird und dass sich auch China als Schwel- Dr. Nina Scheer (SPD): (C) lenland nicht herausreden kann, um für unterschiedliche Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Geschwindigkeiten zu sorgen, sondern es will mit uns Kollegen! Zunächst möchte ich noch einmal eine Sache gemeinsam für wirklichen Klimaschutz kämpfen. klarstellen. Wenn hier in diesem Haus in Richtung der SPD-Bundestagsfraktion von Verrat am Volke gespro- (Beifall bei der FDP) chen wird, Jetzt habe ich die Bundesregierung gelobt. Jetzt muss (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Stephan ich sie aber noch mal kritisieren, so leid es mir tut. Meine Brandner [AfD]: Dann ist das wichtig und Damen und Herren, es kann doch nicht sein, dass wir in richtig!) der Frage des Artikel 6 des Pariser Abkommens so am- bitionslos vorgehen. Das klingt jetzt ein bisschen tech- auf eine plumpe Art und Weise, und wenn Sie angesichts nisch. Aber die Frage, wie wir die Marktmechanismen der gesamten Erfolge, die die Sozialdemokratie über ausgestalten werden, die Frage, wie wir das internationa- 150 Jahre im Dienst des Volkes bewiesen hat, le ETS ausgestalten, wie wir über Standards bei den ein- zelnen Pflichten und Rechten zum marktwirtschaftlichen (Zuruf von der AfD: Wir sind aber heute!) Klimaschutz vorgehen, ist ganz zentral. Hier tun Sie viel, ob Gleichberechtigungspolitik, Frauenwahlrecht, Arbeit- viel zu wenig; nehmerrechte oder Friedenspolitik, (Beifall bei der FDP) (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Sie kön- nen sich für die Vergangenheit nichts kaufen!) denn nur mit einem internationalen Preis, der auch für den Carbon-Leakage-Schutz sorgen wird, werden wir trotzdem dieses Vokabular uns gegenüber in den Mund den internationalen Klimaschutz wirklich umgesetzt be- nehmen, dann zeigt das eigentlich nur eines: dass Sie kommen. Das ist die große Frage, vor der wir stehen. Feinde der Verfassung sind. Um den großen Philosophen Christian Lindner zu zi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tieren: Wer die Lippen spitzt, der muss auch pfeifen. – der LINKEN – Zuruf von der AfD: Und was seid ihr heute? – Stephan Brandner [AfD]: (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) Gegner des SPD-Grundsatzprogramms!) Meine Damen und Herren, Sie pfeifen nicht. Sie pfeifen Ich möchte jetzt gerne weiterreden, ohne ständig un- nicht das Lied des internationalen Klimaschutzes. terbrochen zu werden. Können Sie dafür sorgen, Herr Präsident? (B) (Beifall bei der FDP – Zurufe vom BÜND- (D) NIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sie pfeifen nicht das Lied einer gemeinsamen Klimapoli- Frau Kollegin, reden Sie weiter. Wenn es zu laut wird, tik, die sich auf internationaler Ebene gewaschen hat und woher auch immer, werde ich eingreifen. die dazu führt, dass wir den 1 Euro wirklich da ausgeben, wo er den Klimaschutz am besten und effizientesten fi- nanziert. Es muss doch das Ziel sein, dass wir für jeden Dr. Nina Scheer (SPD): eingesetzten Euro das Beste herausholen können. Das Es war zu laut. – Ich möchte jetzt gerne zu dem Thema wird nur über marktwirtschaftliche Regulierung funkti- kommen, das wir heute hier behandeln: den Klimaschutz onieren. Das wird nur klappen, wenn wir in Kattowitz im Zeichen dessen, was uns in Katowice bevorsteht. Es dafür sorgen, dass das was wird. ist eine wichtige internationale Ebene, um die sich zu- spitzende Problematik des weltweiten Klimawandels (Beifall bei der FDP) anzugehen. Insofern ist es auch immer wieder ein Grad- Ein letzter Punkt zum Thema internationale Ebene. Es messer dafür, wo wir jeweils vor Ort stehen und wo wir wäre schön gewesen – darüber hätten wir uns gefreut –, international stehen. wenn Sie Ihren Koalitionsvertrag und auch diesen Antrag Klimawandel steht für das Armutsrisiko des 21. Jahr- umsetzen würden und in Argentinien beim G-20-Gipfel hunderts. Er steht aber auch gleichzeitig für Arbeit mit dafür sorgen würden, dass die internationale CO2-Be- Zukunft. Denn Klimaschutz bedeutet Energiewende, und preisung auf der Tagesordnung steht. Lassen Sie uns das Energiewende heißt, dass wir in sehr vielen Bereichen ei- Lied des Klimaschutzes gemeinsam pfeifen. nen Wandel vornehmen und damit Zukunft und Chancen verbinden können. Vielen lieben Dank. (Beifall bei der SPD – Karsten Hilse [AfD]: (Beifall bei der FDP) Welche?) Insofern ist bei der Betrachtung dessen, was wir ins

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Zentrum rücken sollten, die ganze Abwehrhaltung, die Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Köhler. – Als Nächstes ich leider jetzt auch bei der FDP wahrnehmen musste die Kollegin Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das ist doch (Beifall bei der SPD) Quatsch!) 7772 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Nina Scheer (A) – es geht immer nur darum, bloß zu verhindern, dass man national tun kann und auch tun muss. Es ist mit der (C) man vor Ort etwas machen muss –, zum einen wirt- Energiewende bisher gelungen – das habe ich schon an schaftspolitischer Blödsinn, und zum anderen ist sie anderer Stelle erwähnt –, dass wir allein mit den hiesigen auch geschichtsvergessen hinsichtlich der Historie der Maßnahmen schon über 1 Milliarde Tonnen CO2 einge- internationalen Klimaschutzpolitik. Denn die internati- spart haben. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass, um onale Klimaschutzpolitik hat immer davon gelebt, dass das 2-Grad-Ziel zu erreichen, ein Minus von 8,8 Milliar- man einerseits versucht, gemeinsame Wege zu gehen, den Tonnen CO2 pro Jahr weltweit erforderlich ist, dann damit man möglichst an einem Strang zieht und kei- zeigt das die Dimension, die allein deutschlandweit er- nen Verdrängungswettbewerb und dergleichen hat, aber reichbar ist. Zudem ist die Ausstrahlungswirkung hervor- andererseits – und das ist explizit der Geist des Pariser zuheben, die von nationalen Maßnahmen ausgeht. Klimaschutzabkommens – lokal vor Ort und national Maßgaben setzt und in einer Vorreiterfunktion voran- Es ist jetzt alles ein bisschen durcheinandergegangen, geht, statt aufeinander warten zu müssen. Natürlich muss was die Zeit angeht; meine Redezeit ist jetzt um. Ich will auch jeder vor Ort das Möglichste und Nötigste tun. Das aber ganz zuletzt noch ein paar Punkte ansprechen, die ist der Geist internationaler Klimaschutzpolitik, den Sie ich zurzeit schwierig finde, auch in der Großen Koalition. offenbar nicht verstanden haben. Wir haben morgen über ein Energiepaket bzw. über (Beifall bei der SPD) ein Mantelgesetz zu entscheiden.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus Frau Kollegin, Sie haben zu Recht darauf hingewie- der AfD-Fraktion? sen, dass die Zeit jetzt überschritten ist.

Dr. Nina Scheer (SPD): Dr. Nina Scheer (SPD): Gut, wenn es sein muss. Darf ich den Satz noch ausführen?

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das entscheiden Sie. Einen Satz dürfen Sie noch sagen.

Dr. Nina Scheer (SPD): Dr. Nina Scheer (SPD): (B) Doch, das muss jetzt sein. Ich will mir nicht vorwerfen (D) lassen, dass ich das nicht aushalten könnte. Ich finde es schwierig, wenn wir einerseits kurz vor ei- ner Klimakonferenz diese wichtigen Fragen hier behan- deln und andererseits die Gesetzgebungsprozesse in die- Dr. Rainer Kraft (AfD): sem so wichtigen Themenkontext Energiewende zeigen, Vielen Dank, Frau Scheer. Vielen Dank, Herr Präsi- dass von einer Seite sehr stark gebremst wird. Ich möchte dent. – Sie haben von den Chancen gesprochen, die sich in Richtung Koalitionspartner sagen, dass es mich sehr aus diesem Segment ergeben. Es ist circa 16 bis 18 Jahre betrübt, dass die Sonderausschreibungen so lange nicht her, als ein grüner Umweltminister uns 1 Million Jobs umgesetzt worden sind und dass es jetzt im Zuge dieser versprochen hat, die in dem Sektor erneuerbare Energi- Energiegesetzgebung auch Diskussionen wie die über en auf uns warten. Er hat gesagt, es werde lediglich eine Sonderdegressionen geben musste. Kugel Eis im Monat kosten. Ich finde das bedauerlich. Das muss an dieser Stelle Beides hat sich im Nachhinein als eine, sagen wir, auch einmal gesagt werden. überoptimistische Empfehlung entpuppt. Wie sehen denn nach 16 Jahren des Herumwurstelns mit sehr, sehr teuren (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ein Satz, Stromrechnungen für die Verbraucher und einem Joban- Herr Präsident!) gebot, das negativ ist, die Chancen in diesem Sektor aus? Wenn Sie mal konkret werden könnten, bitte. Wenn man in einer Koalition zusammenarbeiten möchte und muss, gehört es dazu, dass man die Ziele, die man (Beifall des Abg. Jürgen Braun [AfD]) sich gemeinsam steckt, in der Umsetzung wirklich vo- ranbringt und nicht immer verzögert. Das muss einfach Dr. Nina Scheer (SPD): mal gesagt werden. Das tue ich sehr gerne, und zwar sieht das so aus, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir bis dato schon über 400 000 Jobs im Bereich der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) erneuerbaren Energien geschaffen haben. Die Frage ist beantwortet. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank, Frau Kollegin. Im Zuge der Solidarität der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der dürfen Sie jetzt dem Kollegen Klaus Mindrup erklären, AfD: Und wie viele sind weg seitdem?) warum er nur 3 Minuten reden darf. Denn Sie haben Ich komme zurück zu den Fragen, die noch anstehen. 1 Minute 13 Sekunden überzogen. Wir ziehen also dem Es ist auch wichtig, noch einmal hervorzuheben, was Kollegen Mindrup einfach 1 Minute ab. – Als Nächste Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7773

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) spricht zu uns Lisa Badum, Fraktion Bündnis 90/Die und das, obwohl die Menschen weltweit an einem Strang (C) Grünen. ziehen, wenn es darum geht, ihre Heimat und ihre Le- bensgrundlagen zu erhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wäre eine globale Menschheitsaufgabe, diese Men- Lisa Badum (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schen zusammenzuführen, und es wäre Ihre Aufgabe. Nehmen Sie diese Verantwortung endlich wahr! Leiten Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Sie den Kohleausstieg ein! Beenden Sie Ihre Behinde- Kollegen! Schöne Reden von der Regierung, aber wie rung der erneuerbaren Energien! Dann können Sie mit sieht die Realität aus? Gestern wurde das Energiesam- Stolz zu einer Klimakonferenz fahren. melgesetz im Ausschuss beschlossen. Es ist nicht nur ein Antienergiewendegesetz, ein Antiklimagesetz, sondern – Vielen Dank. insbesondere wenn wir das Thema Mieterstrom anschau- en – ein Antibürgerinnen- und -bürgergesetz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben das Vorlegen des Schlussberichts der Kohle- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kommission auf Februar verschoben und fahren ohne ihn Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster spricht zur Klimakonferenz nach Kattowitz. Das ist das Gastge- zu uns der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/ schenk des größten Braunkohleverstromers Deutschland CSU-Fraktion. an das Kohleland Polen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Europäische Energiepolitik im Jahr 2018 kann doch Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin mehr. Das zeigen andere Länder in Europa, und das zei- Schulze! Sehr geehrter Herr Bundesminister Müller! Lie- gen auch globale Trends. Der Kapitalverwalter Black- be Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Da- Rock ist derzeit aufgrund eines politischen Wiedergän- men und Herren! Nachdem wir viel zu globalen Dingen gers stark in den Medien präsent. Selbst die haben ihren gehört haben, möchte ich auf die lokale Ebene zurück- Anlegern schon vor Jahren empfohlen, nicht in fossile kommen. Herr Hofreiter hat unsere drei Ministerpräsi- Energien zu investieren. Auf wen wollen Sie eigentlich denten dafür kritisiert, dass sie bei der Kohlekommission noch warten, um vernünftige Klimapolitik zu machen? vorstellig geworden sind und darum gebeten haben, die (B) Auf Donald Trump? Dinge nachzuarbeiten. Zu dieser Forderung der Minister- (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten präsidenten sage ich: Das ist genau richtig. Warum? Ich der LINKEN – Zuruf von der AfD: Ja!) möchte an einem lokalen Beispiel erläutern, wie kom- plex das gesamte System ist. Sie fahren zur Klimakonferenz der Vereinten Natio- nen. Handeln und denken Sie endlich lokal und global! Wenn ich den Antrag der Linken lese, in dem sie for- Das hat Ihre eigene Bundeskanzlerin gefordert. Ich habe dern, 20 Kohlekraftwerke sofort zu schließen und den letzte Woche Maina Talia aus dem Inselstaat Tuvalu ge- Tagebau bis 2030 sozusagen einzudampfen, dann frage troffen, dem aufgrund der Klimakatastrophe der Unter- ich mich, ob denn alle damit verbundenen Fragen in der gang droht. Er kann nicht entscheiden, ob und welchen Kohlekommission auch ausreichend betrachtet worden Strukturwandel er durchmacht: Er kommt als Katastro- sind. phe über ihn. Bei den Papieren, die ich manchmal in der U‑Bahn Meine Damen und Herren, es ist ein Zeichen schlech- finde und dann lesen kann – offiziell kennen wir sie ja ter Politik, wenn man die Einwohnerinnen und Einwoh- nicht –, habe ich den Eindruck, dass noch einiges zu tun ner von Tuvalu beispielsweise gegen die Einwohnerin- ist. Ich will das einmal am Beispiel des Gewässerschut- nen und Einwohner der Lausitz ausspielt. zes vortragen; denn Umweltschutz ist nicht nur Klima- schutz, sondern da gehört noch eine ganze Menge mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dazu. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vielmehr wäre es Ihre Aufgabe, intelligente Ideen zum ordneten der AfD) Strukturwandel vorzulegen Wir hatten zwischen 1990 und 1995 schon einen (Karsten Hilse [AfD]: Was sind das für Ide- Braunkohleausstieg in der Lausitz und in Mitteldeutsch- en? Geben Sie doch mal Ihre Idee preis!) land. Allein in der Lausitz wurden 14 Tagebaue geschlos- und diesen übrigens auch mal in der Regierung zu koor- sen. Der damalige Umweltminister Klaus Töpfer hat sehr dinieren – das schaffen Sie nicht –, statt sich zwischen schnell erkannt, dass damit eine Katastrophe für die Einzelinteressen zerreiben zu lassen. Das erleben wir bei Oberflächengewässer entstehen wird. Warum? Weil bei- der Kohlekommission und auch beim Ausbremsen der spielsweise der Rhein pro Sekunde – jetzt einmal von der Windkraft, konkreten Situation abgesehen – etwa 2 000 Kubikmeter Wasser mit sich führt, die Spree 14 Kubikmeter und die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mulde auch 14 Kubikmeter. 7774 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) Deshalb haben die Umweltminister Ostdeutschlands Mario Mieruch (fraktionslos): (C) und das Bundesumweltministerium umfangreiche Stu- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und dien erstellt, mehrere Konferenzen einberufen und dann Herren! Klimaschutz, Umweltschutz, sorgsamer Umgang ein langfristiges Konzept dafür entwickelt, wie man die- mit Ressourcen – wer will dagegen etwas sagen? Das ist ses Problem lösen könnte. sinnvoll, und das kann keiner negieren. Die Frage ist al- Wenn ich jetzt dort eingreife und die Betriebsdauer lerdings, wie man so etwas formuliert. Wenn man in den der Tagebaue um 10, 15 oder 20 Jahre verkürze, brauche vorliegenden Anträgen Beispiele liest – ich zitiere das –: ich ein neues Konzept. Dieses Konzept liegt der Kom- „Bereits bei einer Erhitzung um zwei Grad drohen irre- mission nicht vor, und wir können darüber nicht beraten. versible Kipppunkte, wie zum Beispiel das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes. In der Folge droht eine Was bedeutet das eigentlich? Wenn wir hinausschau- „Heißzeit“ mit 4-5 C globaler Erderhitzung und einem en, dann sehen wir: Am Bundeskanzleramt fließt die Anstieg des Meeresspiegels um zehn bis 60 Meter“, dann Spree vorbei. Dabei muss sich jeder vorstellen, dass stellt sich mir die Frage: Warum diese Hysterie in dieser etwa 70 Prozent des Wassers der Spree gehobenes Sümp- Form? Denn Grönland heißt „Grünland“; und das heißt fungswasser aus den Tagebauen ist. Wenn wir die Tage- es nicht, weil das einfach mal eben einer erfunden hat, baue runterfahren, fehlen diese 70 Prozent. Das ist nicht sondern wenn man in Bohrkernen Bäume, Schmetterlin- nur ein lokales Problem für den Spreewald; das trifft zum ge und Insekten findet, dann muss es ja einmal eine Zeit Beispiel auch für das Wasserwerk Friedrichshagen hier gegeben haben, in der das Eis, das wir dort heute haben, in Berlin zu, wo jeden Tag 100 000 Kubikmeter aus dem nicht dagewesen ist. Und dann stellt sich die Frage, wie Uferfiltrat entnommen werden: Wenn das Wasser nicht irreversibel dieses Eis dort eigentlich hingekommen ist. mehr kommt, wird es an der Stelle ein Problem geben. Dann ist heute auch die Dürre angesprochen wor- Diese ganzen komplexen Zusammenhänge sind aus den. – Ja, wir hatten Dürrephasen. Wir haben in Europa meiner Sicht nicht ausreichend betrachtet, und ich möch- aber auch um 1540 eine Dürre gehabt, die um ein Viel- te hier auf EU-Vorgaben hinweisen: Wir haben eine faches extremer ausgeprägt war. Wir hatten aber nur ein EU-Gewässerrahmenrichtlinie, die bis 2027 umgesetzt Achtel der Weltbevölkerung, und es stellt sich die Fra- werden muss. An dieser Stelle frage ich mich: Wie be- ge: Sind die damals zu viel Diesel gefahren? Jetzt sagen kommen wir dann das Thema der Gewässerqualität in natürlich wieder welche – das kommt jetzt auch gleich den Griff? Wir können zurzeit in Ostsachsen und in Süd- wieder –: dass man das leugnet und dass man den Fakten brandenburg beobachten, dass wir, wenn wir so einen nicht glaubt. unkoordinierten Ausstieg in die Wege leiten, erhebliche Probleme mit der Gewässerqualität haben. Das kostet Und dann wird auf Seiten verwiesen wie klimafakten. (B) den Bund über die LMBV übrigens jedes Jahr 10 Mil- de. Da kann man schön draufschauen; da reicht ein Blick (D) lionen Euro, die dafür aufgebracht werden müssen. Das ins Impressum, um zu sehen, wem so eine Seite eigent- sollte man alles mit berücksichtigen. lich gehört. Das ist nämlich SEFEP GmbH. Und wer hat SEFEP ins Leben gerufen? Der frühere Staatssekretär im Ich möchte nicht, dass wir uns in einigen Jahren die Wirtschaftsministerium und vormalige Geschäftsführer gleichen Fragen stellen müssen, wie wir es beim EEG der Deutschen Umwelthilfe, Rainer Baake, zu dessen von März 2000 tun müssen: Mit dem EEG haben wir die Zeit im Ministerium ausgerechnet die DUH einen mil- Biogasanlagen anständig gefördert und stellen jetzt mit lionenschweren Dienstleistungsvertrag abgriff. Das ist Erschrecken fest, dass ein Insektensterben eingesetzt hat schon ein klein wenig seltsam. und dass die ökologischen Agrarsysteme in Qualität und Quantität deutlich geschrumpft sind. Das müssen wir in Damit könnten wir stundenlang weitermachen, aber Zukunft verhindern. ich habe noch ein paar einfache, richtige, reale Fakten – das hat insbesondere die Gäste, die oben auf den Tribü- Zur Strukturentwicklung ist heute hier wenig gesagt nen sitzen, sicherlich gerade wieder ereilt, wie auch mich worden, weil ja die Kollegen aus dem Wirtschaftsaus- selbst –: Vor zwei Tagen kam das Schreiben von meinem schuss als Redner nicht zum Zuge kamen. Ich sage: Wir Strompreisanbieter: plus 25 Prozent in der Kilowattstun- können in einer Region nicht immer nur meckern, son- de und im Grundpreis. Das sind die realen Auswirkun- dern wir müssen auch ganz konkrete Vorschläge machen. gen, die die Menschen hier spüren. Ich glaube, da werden wir in den nächsten Wochen und Monaten mit Vorschlägen kommen, die auch vom Bund (Klaus Mindrup [SPD]: Wechseln Sie doch! relativ schnell umgesetzt werden können, ohne dass da- Ökostrom ist billiger!) mit erhebliche finanzielle Aufwendungen erforderlich sind. Wenn wir sagen, dass wir vernünftige Klimaschutz- politik machen wollen, dann sollte das vielleicht ein Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. sinnvolles bzw. ein vernünftiges Geschäft sein, das sich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht im Geldbeutel der Steuerzahler abspielt und halt ordneten der SPD) eben nicht in Form von modernem Ablasshandel oder CO2-Abscheidungen stattfindet, für die es noch gar keine sinnvollen Technologien gibt. Die Steuergeschenke un- Vizepräsident Thomas Oppermann: serer Regierung sind dagegen leider völlig wirkungslos; Vielen Dank. – Nächster Redner ist der fraktionslose denn am Ende wird den Menschen auf diese Art und Wei- Abgeordnete Mario Mieruch. se das Geld entzogen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7775

Mario Mieruch (A) Vielen Dank. euch auch fair um. Wir haben das Klimaziel 2020 nicht (C) aufgegeben, Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Danke. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Klaus der CDU/CSU) Mindrup für die Fraktion der SPD. sondern wir haben gesagt, dass wir es so schnell wie (Beifall bei der SPD sowie des Abg. möglich erreichen wollen. Das haben wir gemeinsam mit Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) unserem Koalitionspartner vereinbart. Und es ist wirklich nicht trivial, was wir hier vor uns haben: Wir haben einen grundlegenden Umbau unserer Industriegesellschaft vor Klaus Mindrup (SPD): uns, und dafür brauchen wir eine breite gesellschaftliche Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Akzeptanz, und dafür nehmen wir uns Zeit, auch wenn Kollegen! Beim Klimaschutz geht es um Solidarität. Es die nächsten zehn Jahre entscheidend sind. Aber die Vo- geht um Solidarität mit den Menschen des globalen Sü- raussetzungen sind wichtig! dens; das ist hier eben schon deutlich gemacht worden. Diese leiden bereits heute erheblich unter den Folgen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des menschengemachten Klimawandels. Aber es geht der CDU/CSU) auch um Solidarität mit den zukünftigen Generationen. Wir werden hier morgen einen Beschluss fassen, mit Es geht auch um unser Land. Nach der hervorragenden dem wir die Ausbaumengen für die erneuerbaren Ener- Rede unseres Bundespräsidenten Dr. Steinmeier am gien deutlich erhöhen. Und wir werden etwas für die 9. November sind hier alle aufgestanden und haben die Kraft-Wärme-Kopplung tun. Nationalhymne gesungen, auch die Passage: „... blühe, deutsches Vaterland!“ (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist doch Quatsch! Das reicht über- Aber das deutsche Vaterland hat im letzten Sommer haupt nicht aus!) nicht geblüht, weil wir eine Dürre hatten, und die Klima- wissenschaftler sagen, dass das die ersten Vorboten einer – Lieber Toni Hofreiter, wenn es – – Wer war es? – Ach, Entwicklung sind, vor der wir uns fürchten und gegen die du warst es, okay. wir vorgehen müssen. Wer diese Hymne also zukünftig (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit Überzeugung singen will, der muss etwas gegen den NEN]: Genau!) menschengemachten Klimawandel tun. Das ist eine Fra- ge der Solidarität. Ich habe gehört: Es reicht nicht. – (B) (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber nehmt doch bitte zur Kenntnis, dass die SPD an die- der CDU/CSU) ser Stelle für den Klimaschutz kämpft, dass wir für neue Investitionen in die Erneuerbaren kämpfen, und nehmt Es ist eine Frage der Solidarität mit den Menschen an bitte auch zur Kenntnis, dass die Jahre 2014 bis 2018 den Küsten – auch bei uns: mit den Ostfriesen, mit den Rekordjahre für den Ausbau von Windenergie waren – Nordfriesen, mit Hamburg, mit Bremen, mit Rostock, mit Stralsund und mit Emden. Das kann man nicht ein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fach leugnen. der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) und das haben wir gemacht. Dabei sind gleichzeitig die Kosten gesunken. Wir haben dafür gekämpft, dass der Ich werde an dieser Stelle den Satz wiederholen, den zu niedrige Korridor im EEG – da waren wir uns doch ich hier schon mal gesagt habe: Jeder hat ein Recht auf einig – jetzt erhöht wird. Das machen wir über die Son- eigene Meinung, aber niemand hat ein Recht auf eigene derausschreibungen. Fakten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des der CDU/CSU) Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE]) Wir haben hier zusammen mit der Union einen Antrag Ich möchte daran erinnern, dass „Monitor“ kürzlich vorgelegt, die gemeinsam mit uns handelt. Ich weiß, dass einen Bericht gebracht und darüber berichtet hat, wie in das nicht einfach ist, weil es auch in der Union unter- den USA die Meinung durch Öl- und Gasmultis mani- schiedliche Positionen gibt. Dieser Antrag benennt, was puliert wird, die Desinformationskampagnen verbreiten, wir international tun müssen, was wir europäisch tun und dass in der Zwischenzeit klar ist, dass dieses Geld müssen und was wir national tun müssen. auch nach Deutschland fließt. Ich habe jetzt wenig Zeit, aber wir werden uns genau angucken, wer hier wen für Wir wollen einen Anteil der Erneuerbaren von 65 Pro- Desinformation bezahlt. Das ist nicht erträglich. zent. Wir wollen Nutzen statt Abriegelung. Wir wollen die Quartierslösung. Wir wollen Power‑to‑X, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir GRÜNEN]: Dann stimmen Sie unseren Anträ- müssen auch fair miteinander umgehen. Ich gehe mit gen zu!) 7776 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Klaus Mindrup (A) und wir wollen den Umbau unserer Industriegesellschaft. wicklungen. Gerade hier brauchen wir deutlich mehr Au- (C) Und wir tun es! genmerk, mehr Forschung und mehr Entwicklung. Danke schön. Das gilt auch für Klimaanpassungs- und Resilienz- maßnahmen. Es geht hier der Dank an die Bundesre- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gierung und besonders an Entwicklungsminister Müller der CDU/CSU) dafür, dass sie im Rahmen der Allianz für Entwicklung und Klima den deutschen Beitrag zur Klimafinanzie- Vizepräsident Thomas Oppermann: rung durch Verdoppelung auf 4 Milliarden erhöht haben. Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der Denn: Klimafolgen treffen meist die Schwächsten, und Kollege Peter Stein für die Fraktion der CDU/CSU. die Millionen in den Slums sind die Migranten von mor- gen. Wir müssen die Städte als Bindekraft in ihrer Hei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mat entwickeln und gleichzeitig Lebensperspektiven auf dem Land erhalten. Zur Entlastung der auch klimapoli- tisch nicht mehr steuerbaren Megacitys ist die Stärkung Peter Stein (Rostock) (CDU/CSU): der Klein- und Mittelständler unabdingbar. Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol- legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Deutschen verbrauchen doch nur 2 bis 3 Prozent der Res- der SPD) sourcen und retten das Klima nicht, wenn wir uns ein- schränken“, hört man immer wieder. Aber es geht nicht Vizepräsident Thomas Oppermann: um Einschränken; es geht um viel mehr: Es geht um In- Herr Stein, gestatten Sie eine Zwischenfrage von den telligenz. Wir Deutschen verbrauchen pro Kopf momen- Grünen? tan Ressourcen, als ob wir drei Erden hätten. Wir haben aber nur diese eine, und wir müssen lernen – ob wir wol- len oder nicht –, diese eine zukünftig mit 11 Milliarden Peter Stein (Rostock) (CDU/CSU): Menschen zu teilen. Also müssen wir unsere Intelligenz Ich gebe ihnen nachher Zeit, sich zu äußern. – Danke einsetzen, um unseren eigenen Verbrauch von Ressour- schön. cen auf ein Drittel zu reduzieren – ohne uns allzu sehr Wir brauchen, wie gesagt, ressourcenschonenden einschränken zu müssen, ohne unsere Menschen durch Städtebau. Fahrverbote, Essverbote, Tütenverbote, Spaßverbote ständig zu gängeln. Wir brauchen viel mehr, vor allem Thema Mobilität: Ich plädiere für Technologieoffen- (B) zwei Dinge: Verständnis in der Bevölkerung, deren Ak- heit, für den Wettkampf der Technologien um die beste, (D) zeptanz, und den Einsatz unserer Intelligenz. effizienteste und ressourcenschonendste Lösung. Ich plä- diere für vernetzte, moderne Mobilitätsformen, für einen Es zeugt eben nicht von Intelligenz, den Menschen leistungsstarken Modal Split für Jung und Alt, sportlich immer nur Vorschriften machen zu wollen, um Probleme oder auch gehandicapt. Ich plädiere für autonomes und zu lösen. Es zeugt auch nicht von Intelligenz, mit Soft- automatisiertes Fahren, das neben der Digitalisierung die ware zu betrügen, um Probleme zu lösen. Es zeugt auch Möglichkeit für Leben und Arbeiten auf dem Land er- nicht von Intelligenz, den Klimawandel zu leugnen. höht. Das verringert Pendlerströme und nimmt den Sied- (Beifall der Abg. Dr. Manuela Rottmann lungsdruck aus den Ballungsgebieten. Das gebietet uns [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) übrigens auch unser Grundgesetz. Wir brauchen ressour- censchonende Mobilität. Den Einfluss des Menschen auf Klimaveränderungen zu leugnen, zeugt vielmehr von höchster Ignoranz und Für all dieses vernetzte Organisieren einer nachhal- Dummheit. Unsere Verantwortung für einen um zwei tigen Lebensstruktur brauchen wir neben unserer per- Drittel zu hohen Konsum nicht zu sehen, zeugt von der sönlichen auch die künstliche Intelligenz. Wir brauchen Verweigerung, die Zukunft der einen Welt für unsere En- Digitalisierung. Wir brauchen leistungsfähige Daten­ kel zu erhalten. strukturen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verwei- gerung, den Ausbau des schnellen 5G-Mobilfunkes nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- flächendeckend, nicht schnellstmöglich und nicht an je- wie der Abg. Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE der Milchkanne vorzusehen, ist nicht intelligent und nach GRÜNEN]) meiner festen Überzeugung auch klimapolitisch töricht. Ich greife jetzt einmal in aller Kürze zwei Bereiche Herzlichen Dank. heraus, in denen wir Deutsche höchste Kompetenz be- sitzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Beispiel Städtebau. Wenn wir weiterhin in dem Maße Vizepräsident Thomas Oppermann: wie bisher weltweit mit Beton und Asphalt bauen, dann Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht erreichen wir alleine durch Herstellung dieser Baustoffe vor. Deshalb beende ich die Aussprache. den in Paris vereinbarten CO2-Deckel. Der Einsatz erneu- erbarer Baustoffe, ressourcenschonende Bauweisen und Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf auch die Rückbesinnung auf traditionelle Bauformen, da den Drucksachen 19/6103 und 19/6053 an die in der Ta- liegt der globale Schlüssel für nachhaltige Siedlungsent- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7777

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) nehme an, Sie sind damit einverstanden. – Ich sehe kei- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a, 29 c, 29 e und (C) nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. 29 f sowie die Zusatzpunkte 9 a bis 9 h auf. Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7 b. Abstim- ohne Debatte. mung über den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Drucksache 19/6104 mit dem Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- Titel „UN-Klimakonferenz in Katowice 2018 – Pari- sungen: ser Klimaabkommen international unterstützen und in 29. a) Beratung des Antrags der Abgeordne- Deutschland umsetzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – ten Zaklin Nastic, Heike Hänsel, Sevim Das sind die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Linke. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind alle Fraktion DIE LINKE übrigen Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? – Ich sehe keine. Damit ist der Antrag abgelehnt. Den Staat Palästina anerkennen und Waffenlieferungen in den Nahen Osten Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7 c. Abstim- stoppen mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Drucksache 19/3906 Die Linke mit dem Titel „Klimaziel 2020 einhalten – Überweisungsvorschlag: Zwanzig älteste Braunkohlekraftwerke unverzüglich ab- Auswärtiger Ausschuss (f) schalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfehlung auf Drucksache 19/1897, den Antrag der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/830 abzulehnen. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, die Fraktionen SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Wer Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen Die Linke der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Ich sehe keine. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen Für aussagekräftige Dunkelfeld-Opfer- und der Antrag abgelehnt. befragungen Tagesordnungspunkt 24 a. Abstimmung über den An- Drucksache 19/5894 trag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Druck- Überweisungsvorschlag: sache 19/6052 mit dem Titel „Klimakonferenz von Kato- Ausschuss für Inneres und Heimat (f) wice – Pariser Klimaabkommen entschlossen umsetzen“. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (B) (D) Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen e) Beratung des Antrags der Abgeordne- der SPD und der CDU/CSU. Wer stimmt gegen diesen ten Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Markus Antrag? – Das sind die Fraktionen Die Linke, AfD und Kurth, weiterer Abgeordneter und der Frak- die Grünen. Wer enthält sich? – Das ist die Fraktion der tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN FDP. Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Antrag angenommen. Bundesteilhabegesetz nachbessern und volle Teilhabe ermöglichen Tagesordnungspunkt 24 b. Abstimmung über den An- trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/6058 mit Drucksache 19/5907 dem Titel „Klimagerechtigkeit global stärken – Energie- Überweisungsvorschlag: wende und Kohleausstieg in Deutschland sozial gestal- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) ten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die Frak- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend tion Die Linke. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das Ausschuss für Gesundheit sind die Fraktionen SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Wer Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit gibt es f) Beratung des Antrags der Abgeordneten eine Mehrheit für die Ablehnung des Antrags; der Antrag Tabea Rößner, Dr. Manuela Rottmann, ist abgelehnt. Dr. Bettina Hoffmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Zusatzpunkt 8. Abstimmung über die Beschlussemp- GRÜNEN fehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zu dem Antrag der Fraktion der zu dem geänderten Vorschlag für eine AfD mit dem Titel „Aufgabe der Energie- und Klima- Richtlinie des Europäischen Parlaments schutz-Zwischenziele 2030 des Energiekonzeptes 2010 – und des Rates über bestimmte vertrags- Für eine faktenbasierte Klima- und Energiepolitik“. Der rechtliche Aspekte des Warenhandels, Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf zur Änderung der Verordnung (EG) Drucksache 19/6133, den Antrag der Fraktion der AfD Nr. 2006/2004 des Europäischen Par- auf Drucksache 19/2998 abzulehnen. Wer stimmt für laments und des Rates und der Richt- diese Beschlussempfehlung? – Das sind alle Fraktionen linie 2009/22/EG des Europäischen des Hauses mit Ausnahme der AfD. Wer stimmt gegen Parlaments und des Rates sowie zur Auf- diese Beschlussempfehlung? – Das ist die AfD. – Keine hebung der Richtlinie 1999/44/EG des Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung an- Europäischen Parlaments und des Rates genommen und der Antrag abgelehnt. KOM(2017) 637 endg.; Ratsdok. 13927/17 7778 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) hier: a) Stellungnahme gegenüber der Überweisungsvorschlag: (C) Bundesregierung gemäß Artikel 23 Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Absatz 3 des Grundgesetzes Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe b) Politischer Dialog mit den EU-­ Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Institutionen Mehr Verbraucherschutz und längere e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Haltbarkeiten durch verbesserte Ge- Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina währleistungsfristen Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/6105 Kein Sicherheitsrabatt – Abschaltung der Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz belgischen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 weiterhin notwendig ZP 9 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karsten Hilse, Dr. Heiko Wildberg, Dr. Rainer Drucksache 19/6107 Kraft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Überweisungsvorschlag: der AfD Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- heit (f) Für eine kraniologische Tiefenprüfung Ausschuss für Wirtschaft und Energie der sächsischen Canidenschädel im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Senckenberg Museum für Naturkunde in Union Görlitz f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/6063 Cornelia Möhring, Harald Weinberg, Katrin Überweisungsvorschlag: Werner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- on DIE LINKE heit (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Medizinische Kinderwunschbehandlungen Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft umfassend ermöglichen b) Beratung des Antrags der Abgeordne- Drucksache 19/5548 ten Alexander Müller, Alexander Graf Überweisungsvorschlag: Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer Ausschuss für Gesundheit (f) (B) Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (D) Gerechtigkeit bei Verleihung von Einsatz- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend medaillen der Bundeswehr herstellen g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Drucksache 19/6055 Witt, Jörg Schneider, Norbert Kleinwächter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Überweisungsvorschlag: AfD Verteidigungsausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Sofortprogramm Zentralstatistik Woh- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten nungs- und Obdachlosigkeit Thomas Hacker, Dr. Jürgen Martens, Katja Drucksache 19/6064 Suding, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Etablierung eines Presseauskunftsgesetzes Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und auf Bundesebene Kommunen Drucksache 19/6054 h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Mehr Partizipation bei der Zwischenlage- d) Beratung des Antrags der Abgeordne- rung hochradioaktiver Abfälle ten Agnieszka Brugger, Margarete Bause, Drucksache 19/6127 Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Si- Den Friedensprozess zwischen Äthiopien cherheit und Eritrea fördern, schwere Menschen- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an rechtsverletzungen in Eritrea beim Namen die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu nennen und ahnden überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Drucksache 19/6109 Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7779

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt (C) Federführung strittig ist, und zwar betrifft das den Tages- in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6132, ordnungspunkt 29 b: den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- che 19/5315 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Beratung des Antrags der Abgeordneten Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- Dr. Gesine Lötzsch, Matthias Höhn, Lorenz chen. – Das sind die Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Gösta Beutin, weiterer Abgeordneter und der Grünen, CDU/CSU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Fraktion DIE LINKE Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktionen Die Deutsche Einheit vollenden – Bundesregie- Linke und AfD mit der Mehrheit des Hauses in zweiter rung vollständig in der Hauptstadt ansiedeln Beratung angenommen. Drucksache 19/4562 Dritte Beratung Überweisungsvorschlag: und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – munen (f) Haushaltsausschuss (f) Dann bitte ich diejenigen, die dagegenstimmen wollen, Ausschuss für Inneres und Heimat sich zu erheben. – Und wer enthält sich? Auch dafür Federführung strittig muss man aufstehen; vielen Dank. – Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Bera- Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der tung angenommen. Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/4562 mit dem Titel „Deutsche Einheit vollenden – Bundesregierung Tagesordnungspunkt 30 b: vollständig in der Hauptstadt ansiedeln“ an die in der Ta- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- rung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwick- cherschutz (6. Ausschuss) lung und Kommunen. Die Fraktion Die Linke wünscht zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver- Federführung beim Haushaltsausschuss. fassungsgericht 2 BvF 2/18 Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Drucksache 19/6136 Fraktion Die Linke, also Federführung beim Haushalts- ausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überwei- Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- sungsvorschlag? – Das sind die Fraktion Die Linke, die fiehlt in seiner Beschlussempfehlung, in dem Streitver- Grünen, die FDP und die AfD. Wer stimmt gegen diesen fahren vor dem Bundesverfassungsgericht, Aktenzei- (B) Vorschlag? – Das sind die Fraktionen der SPD und CDU/ chen 2 BvF 2/18, eine Stellungnahme abzugeben und den (D) CSU. Das Zweite war die Mehrheit. Damit ist der Über- Präsidenten zu bitten, einen Prozessbevollmächtigten zu weisungsvorschlag abgelehnt. bestellen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen SPD und CDU/CSU. Wer stimmt Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Federführung von AfD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und von der Mehrheit des Hauses angenommen. Kommunen – abstimmen. Wer stimmt für diesen Über- weisungsvorschlag? – Das sind die Fraktionen der SPD Tagesordnungspunkte 30 c bis 30 j. Wir kommen zu und der CDU/CSU. Wer stimmt dagegen? – Das sind die den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Fraktion Die Linke, die Grünen, die FDP und die AfD. Tagesordnungspunkt 30 c: Damit ist der Überweisungsvorschlag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 j sowie Zusatzpunkte 10 a bis 10 c auf. Es handelt sich um die Sammelübersicht 137 zu Petitionen Beschlussfassung zu Vorlagen, bei denen keine Aus- Drucksache 19/5930 sprache vorgesehen ist. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Tagesordnungspunkt 30 a: tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 137 einstimmig Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- angenommen. regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Tagesordnungspunkt 30 d: zur ergänzenden Regelung der statistischen Verwendung von Verwaltungsdaten und zur Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Regelung der Übermittlung von Einzelanga- onsausschusses (2. Ausschuss) ben zu multinationalen Unternehmensgrup- Sammelübersicht 138 zu Petitionen pen an statistische Stellen Drucksache 19/5931 Drucksache 19/5315 Wer stimmt dafür? – Das sind die Fraktionen SPD, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- CDU/CSU, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Das ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) ist die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Bündnis 90/ Drucksache 19/6132 Die Grünen. Von der Mehrheit des Hauses angenommen. 7780 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Tagesordnungspunkt 30 e: Wer stimmt dafür? – Das sind die Fraktionen der SPD (C) und CDU/CSU. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und onsausschusses (2. Ausschuss) AfD. Das Erste war die Mehrheit. Damit ist die Sammel- Sammelübersicht 139 zu Petitionen übersicht 144 angenommen. Drucksache 19/5932 Zusatzpunkt 10 a: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Beratung des Antrags der Abgeordneten Corinna tungen? – Bei Gegenstimmen der AfD von der Mehrheit Miazga, Tobias Matthias Peterka, Marc Bernhard, des Hauses angenommen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Tagesordnungspunkt 30 f: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Euro- päischen Parlaments und des Rates zur Verhinde- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- rung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte onsausschusses (2. Ausschuss) KOM(2018) 640 endg.; Ratsdok. 12129/18 Sammelübersicht 140 zu Petitionen hier: Begründete Stellungnahme gemäß Arti- Drucksache 19/5933 kel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiarität und Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- der Verhältnismäßigkeit) tungen? – Bei Gegenstimmen von AfD und Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen von der Mehr- Unvereinbarkeit des Verordnungsentwurfs heit angenommen. des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhinderung der Verbreitung terroristi- Tagesordnungspunkt 30 g: scher Online-Inhalte mit dem Subsidiaritäts- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- prinzip onsausschusses (2. Ausschuss) Drucksache 19/6065 Sammelübersicht 141 zu Petitionen Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die Fraktion Drucksache 19/5934 der AfD. Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Mit der Mehrheit des Hauses gegen die Stimmen der AfD ist Wer stimmt dafür? – Das sind alle. Gegenstimmen? – der Antrag abgelehnt. Enthaltungen? – Einstimmig angenommen. (B) (D) Tagesordnungspunkt 30 h: Zusatzpunkt 10 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen onsausschusses (2. Ausschuss) Trittin, Katharina Dröge, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Sammelübersicht 142 zu Petitionen DIE GRÜNEN Drucksache 19/5935 G20-Gipfel in Buenos Aires – Multilateralis- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- mus verteidigen, Globalisierung nachhaltig tungen? – Bei Gegenstimmen der AfD von der Mehrheit gestalten des Hauses angenommen. Drucksache 19/6110 Tagesordnungspunkt 30 i: Wer stimmt für diesen Antrag? – Bündnis 90/Die Grü- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- nen. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, CDU/CSU, onsausschusses (2. Ausschuss) FDP und AfD. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Die Linke. Damit ist der Antrag mit der Mehrheit abgelehnt. Sammelübersicht 143 zu Petitionen Zusatzpunkt 10 c: Drucksache 19/5936 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Wer stimmt dafür? – Das sind die Fraktion SPD, Wagner, Lisa Badum, Ingrid Nestle, weiterer Ab- Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP. Wer geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen Die Linke GRÜNEN und AfD. Enthaltungen? – Keine. Von der Mehrheit des Hauses angenommen. Klimaschutz im Luftverkehr – Formalen Vor- behalt gegen CORSIA einlegen Tagesordnungspunkt 30 j: Drucksache 19/6108 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind Bündnis 90/ Sammelübersicht 144 zu Petitionen Die Grünen und Die Linke. Wer stimmt gegen diesen An- trag? – SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Damit ist der Drucksache 19/5937 Antrag mit dieser Mehrheit abgelehnt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7781

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 11 auf: Wahlumschlag erhalten Sie von den Schriftführerinnen (C) und Schriftführern an den Ausgabetischen neben den Wahl des Bundesbeauftragten für den Daten- Wahlkabinen. Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie Ihre schutz und die Informationsfreiheit Stimmkarte nur in der Wahlkabine ankreuzen und müs- Die Bundesregierung hat mit Schreiben vom 28. No- sen die Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in vember 2018 Herrn Ulrich Kelber für die Wahl vorge- den Umschlag legen. Die Schriftführerinnen und Schrift- schlagen. führer sind verpflichtet, jeden, der seine Stimmkarte au- ßerhalb der Wahlkabine kennzeichnet oder in den Um- Für die Wahl ist die Mehrheit der Stimmen der Mit- schlag legt, zurückzuweisen. Die Stimmabgabe kann in glieder des Bundestages erforderlich, das heißt mindes- diesem Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. tens 355 Stimmen. Sie benötigen eine grüne Stimmkarte sowie den grünen Wahlausweis aus Ihrem Stimmkarten- Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei fach. Kontrollieren Sie bitte, ob der Wahlausweis auch „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“. Ungültig sind Stim- Ihren Namen trägt. Die Stimmkarte erhalten Sie jetzt men auf nicht amtlichen Stimmkarten sowie Stimmkar- hier im Saal. Die Wahl ist nicht geheim. Sie können die ten, die mehr als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namen Stimmkarte deshalb an Ihren Plätzen ankreuzen. oder Zusätze enthalten. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen, „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“. Ungültig sind Stim- müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer an men auf nicht amtlichen Stimmkarten sowie Stimmkar- der Wahlurne Ihren gelben Wahlausweis übergeben. Die ten, die mehr als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namen Abgabe des Wahlausweises dient als Nachweis für die oder Zusätze enthalten, also bitte nichts draufmalen. Beteiligung an der Wahl. Kontrollieren Sie daher bitte, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer- fen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis den Schrift- Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, führern. Die Abgabe des Wahlausweises gilt als Nach- die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist jetzt of- weis für die Teilnahme an der Wahl. fenbar der Fall. Dann eröffne ich den Wahlgang und bitte Sie, zu den Ausgabetischen zu gehen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist geschehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage jetzt noch Dann eröffne ich den Wahlgang. einmal, ob alle ihre Stimmkarte abgegeben haben. – Das ist offenkundig der Fall. Dann schließe ich die Wahl und Haben alle Mitgliedes des Hauses, auch die Schrift- bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der führerinnen und Schriftführer, ihre Stimmkarte abgege- Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird (B) ben? – Das ist offensichtlich der Fall. Ich schließe die Ihnen später bekannt gegeben.2) (D) Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Wahlergebnis wird Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 13 auf: Ihnen später bekannt gegeben.1) Aktuelle Stunde Wir setzen jetzt die Beratungen fort. Dazu rufe ich den auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Zusatzpunkt 12 auf: Steuerbetrug in Deutschland durch Cum-­ Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Fake-Geschäfte unterbinden Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten Ich bitte Sie, bevor ich den ersten Redner aufrufe, Platz zu nehmen und die Gespräche einzustellen; denn Drucksache 19/6015 wir fahren jetzt mit der Debatte fort, und zwar mit der Ich bitte um etwas mehr Ruhe und Konzentration, da- Aktuellen Stunde. mit wir das hier ordnungsgemäß über die Bühne bringen Erster Redner ist Fabio De Masi für die Fraktion Die können. Linke. Die Fraktion der AfD schlägt auf Drucksache 19/6015 (Beifall bei der LINKEN) die Abgeordnete Mariana Iris Harder-Kühnel als Stell- vertreterin des Präsidenten vor. Fabio De Masi (DIE LINKE): Ich gebe jetzt einige Hinweise zum Ablauf der Wahl: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Be- reits vor drei Wochen debattierten wir hier über den größ- Die Wahl erfolgt mit verdeckten Stimmkarten, dies- ten Steuerbetrug der Geschichte: Cum/Ex- und Cum/ mal also geheim. Gewählt ist, wer die Stimmen der Cum-Deals. Heute geht es um Cum-Fake. Man fragt Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält. Für die sich: Wo ist eigentlich der Finanzminister? Wahl benötigen Sie Ihren gelben Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, den Stimmkartenfächern in (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- der Lobby entnehmen können. Bitte kontrollieren Sie, ob neten der FDP) der Wahlausweis auch tatsächlich Ihren Namen trägt. Die Vor drei Wochen war der häufigste Satz der GroKo-Par- für die Wahl gültige gelbe Stimmkarte und den amtlichen teien in dieser Debatte: Es gibt kein Problem; es gibt

1) Ergebnis Seite 7784 A 2) Ergebnis Seite 7796 D 7782 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Fabio De Masi (A) nichts Neues. – In Prozenten ausgedrückt würde ich sa- um die digitale Erstattung der Kapitalertragsteuern aus. (C) gen: Da lagen Sie 100 Prozent daneben. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder hat das Fi- nanzministerium vom Settlement der Deutschen Bank (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nichts gewusst, oder es hat erst gehandelt, als die „Tages- neten der FDP) schau“ vor dem Ministerium stand. Offenbar gibt es aber Es dauerte zwei Wochen bis zu den Cum-Fake-Ent- weiterhin ein Problem. Sonst hätten Sie diese Maßnahme hüllungen. Cum-Fake ist aber noch dreister als Cum/Ex, nicht ergriffen. Wir haben daher Fragen. weil es um Betrug mit Phantomaktien geht, auf Deutsch: mit Aktien, die es gar nicht gibt. Vereinfacht gesprochen Erstens. Warum verfügt das Bundeszentralamt für wird bestimmten Investoren bei Dividendenausschüttung Steuern angeblich über keine Zahlen zu Steuererstattun- die Kapitalertragsteuer erstattet, weil auf diese Gewinne gen wegen ADRs? Das ist ein digitales Verfahren, wo auch Unternehmensteuer fällig ist. Bei den Cum/Ex-De- Banken das Kontrollkästchen „ADR“ anklicken. Ich fin- als haben sich Gangster in Nadelstreifen Kapitalertrag- de, das ist überhaupt nicht nachvollziehbar. steuern mehrfach erstatten lassen, die sie nur einmal (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- gezahlt hatten. Der größte Dieb, der Brite und Hedge- NIS 90/DIE GRÜNEN) fondsmanager Sanjay Shah, hat angeblich seine Jacht auf den Namen Cum/Ex getauft. Zweitens. Warum behaupten Sie, dass Cum-Fake seit 2012 nicht mehr möglich sei, obwohl die Deutsche Bank (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Oh!) in ihrem Vergleich mit den US-Behörden solche Geschäf- Auf Cum/Ex-Partys scherzten Finanzmafiosi, dass doch te bis 2014 einräumte? Der Chef der Steuergewerkschaft jene den Raum verlassen sollten, die ein Problem damit sagte, die Steuerverwaltung sei auf dem Fahrrad unter- hätten, wenn jetzt weniger Kindergärten gebaut würden. wegs, aber die Steuerdiebe mit dem Ferrari. Deswegen Wenn Geld stinkt, ist Cum/Ex ein großer Misthaufen. ist es Zeit für die Kavallerie. Wir brauchen eine Bundes- finanzpolizei und eine Taskforce aus Finanzaufsicht und (Beifall bei der LINKEN) Steuerverwaltung. Die Erstattung von Kapitalertragsteu- Es dauerte zehn Jahre, bis Finanzminister das Cum/ ern muss jetzt systematisch analysiert werden. Ex-Schlupfloch schlossen. Zuvor ließ man die Banken- lobby an Gesetzen rumschrauben. Die Cum/Ex-Party (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- der Bankster kostete uns laut Professor Christoph Spen- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gel bis zu 32 Milliarden Euro hier in Deutschland. Das Drittens. Erstattungen darf es nur noch für echte Ak- sind 1 Million Euro für jede Schule in Deutschland oder tien, nicht für Fake-Aktien, nicht für Phantomaktien und 400 Euro für jeden Bundesbürger. Bei den neuen Enthül- auch nicht für ADRs geben. (B) lungen über Cum-Fake geht es um sogenannte American (D) Depositary Receipts, kurz ADRs. Das sind handelbare (Beifall bei der LINKEN) Wertpapiere, die von Banken in den USA begeben wer- den und mit ausländischen Aktien bei einer Depotbank Viertens. Wir müssen in spezielle Staatsanwaltschaf- hinterlegt werden müssen. ADRs kann man aber vorab ten investieren. Wir brauchen ein Unternehmensstraf- begeben, wenn Aktien noch überhaupt nicht geliefert recht. Wir brauchen Waffengleichheit mit den Bankstern wurden. Dadurch werden Steuererstattungen erworben, made in Germany. ohne dass Steuern gezahlt wurden. Das ist so, als ob ich (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- mir zu Hause Pfandbons drucken, aber keine Flaschen NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- abgeben würde und dann zur Supermarktkasse ginge, ten der SPD) um die Hand aufzuhalten. Wo leben wir eigentlich? Eine Kassiererin in Deutschland verliert ihren Job, weil sie Dänemark erwägt, Finanzinstituten die Geschäftsli- Pfandbons im Wert von 2 Euro einsteckt, während Bank- zenz zu entziehen. Das können wir in Deutschland auch. ster, die Pfandbons in Millionenhöhe drucken, noch im- Die Deutsche Bank hat eine kriminelle Unternehmens- mer auf freiem Fuß sind. kultur . Am Ende haften die Steuerzahler für die Strafen, wenn die Bank wegen lauter Strafzettel pleitegeht. In ei- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- nem Rechtsstaat entscheiden Gerichte. Aber es herrscht NIS 90/DIE GRÜNEN) auch Meinungsfreiheit. Meine Meinung ist: Cum-Fa- Die US-Börsenaufsicht SEC ermittelte seit 2014 ge- ke-Bankster gehören in den Knast. gen die Deutsche Bank – bei der heute eine Razzia we- gen des Verdachts auf Geldwäsche stattfand – wegen (Beifall bei der LINKEN) Cum-Fake-Deals. 2016 berichtete das „Wall Street Jour- nal“ im Internet über diese Ermittlungen. Ich vermute, Vizepräsident Thomas Oppermann: dass es Internet auch im Finanzministerium gibt. Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Redner auf- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wer rufe, teile ich mit, dass bei der Wahl des Datenschutzbe- weiß!) auftragten zwei Geldscheine – Euro-Währung – vor der Lobby gefunden worden sind. Am 18. Juli informierte die Deutsche Bank die hiesige Finanzaufsicht über den 75-Millionen-Dollar-Vergleich (Heiterkeit – Dr. Florian Toncar [FDP]: Steht mit den US-Behörden. Aber erst im November, nachdem da der Name drauf? – Matthias Hauer [CDU/ Journalisten Cum-Fake entdeckten, setzte das Ministeri- CSU]: Wie viel?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7783

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Ich glaube, dass ein Zusammenhang mit dieser Wahl in Der Sachverhalt wird nun untersucht, sowohl von der (C) keiner Weise gegeben sein kann. Wenn sich kein Besitzer BaFin wie auch vom Bundeszentralamt für Steuern und meldet, beabsichtige ich, das Geld in die Kaffeekasse für vom Bundesministerium der Finanzen. Und wenn sich den Plenardienst zu stecken. herausstellen sollte, dass in Einzelfällen Steuerbeschei- nigungen für ADRs, für Aktien ausgestellt wurden, die (Beifall) nicht wirklich im Depot der Banken waren, dann – das ist Wenn sich jetzt noch jemand traut, sich zu melden, dann völlig klar – müssen die Institute selbstverständlich für hat er natürlich das Recht, das Geld hier abzuholen. den möglicherweise entstandenen Schaden haften. Wir können dann auf diese Institute auch zugreifen, wenn sie (Heiterkeit) in Deutschland sind. Der nächste Redner ist Olav Gutting für die Fraktion Der Sachverhalt muss jetzt schonungslos aufgeklärt der CDU/CSU. werden, und zwar im Geschäftsbereich des Finanzminis- teriums, aber auch und gerade durch die Justiz. Im Kampf (Beifall bei der CDU/CSU) gegen Betrüger – und da sind wir uns im Haus, denke ich, alle einig – stehen wir zusammen. Aber ich glaube, dass Olav Gutting (CDU/CSU): es der falsche Weg ist, wenn wir hier verfrüht und unse- riös über dieses Thema debattieren und wenn wir die Se- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mantik der Linken verwenden. Da wird jetzt von einem Leider müssen wir uns heute an dieser Stelle schon wie- Unternehmensstrafrecht gesprochen, um die kriminelle der mit kriminellem Steuerbetrug auseinandersetzen. Kultur in den Vorstandsetagen auszumerzen. Ich glaube, Diesmal geht es um die inzwischen angelaufene Prü- das ist zu allgemein. fung, ob es Geschäfte mit sogenannten Phantomaktien in Deutschland gegeben haben könnte. Die Frage, ob es ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) neues System von einigen Banken und Investoren gibt, um den Staat mit unechten Aktien um Steuergeld zu prel- Mit Pauschalvorwürfen, dass Vorstandsetagen in Unter- len, steht im Raum. Die Antwort – das muss man offen nehmen grundsätzlich kriminell sind und die Bundesre- sagen – steht noch nicht fest. Deshalb ist die heutige De- gierung nicht in der Lage wäre, das zu bekämpfen und batte für eine seriöse Analyse dieses Problems eigentlich nicht willens wäre, das aufzuklären, liegen Sie einfach viel zu früh. falsch. Wenn einige heute eine Show abziehen und sich als die Rächer der Enterbten darstellen wollen, Herr De Masi, es ist, glaube ich, nicht zulässig, dass Sie hier Cum/Ex mit Cum-Fake vermischen, die Schäden (B) (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Sie haben vor (D) einfach zusammenwerfen. Das sind zwei Paar Schuhe. drei Wochen noch gesagt, da gibt es keine Pro- Wenn man das seriös diskutieren will, dann kann man das bleme! Darüber müssen wir sprechen!) nicht zusammenwerfen. Was man allerdings sicher sagen kann, egal ob Cum/Ex oder Cum-Fake mit Phantom­ dann mögen sie das tun; aber das bringt uns nicht wirk- aktien: Es geht hier nicht um Steuersparmodelle, nicht lich weiter in der Bekämpfung unseres gemeinsamen um Steuern sparen, sondern es geht um kriminelle Ma- Feindes, und das sind diese Betrüger. chenschaften, um Betrug mit Kapitalertragsteuerbeschei- nigungen. Es gibt in allen gesellschaftlichen Bereichen Betrüger. Das muss man wissen. Es gibt sie in der Wirtschaft, aber (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auch bei Hartz‑IV-Empfängern.

Aber der Reihe nach. Bisher gehen Staatsanwaltschaf- (Widerspruch von der LINKEN – Lothar ten einer bislang unbekannten Masche nach, mit der ein- Binding [Heidelberg] [SPD]: Das passt jetzt zelne Banken, einzelne Aktienhändler möglicherweise schlecht!) deutsches Steuergeld ergaunert haben könnten. Ja, es soll Auffälligkeiten bei Geschäften mit American Depo- So etwas gibt es. Es gibt Betrüger immer wieder. Das sitary Receipts, ADR, gegeben haben; das ist richtig. Das jetzt nur auf Banker zu beziehen, ist einfach unredlich. sind von amerikanischen Banken ausgegebene Hinterle- Betrug zulasten der Allgemeinheit muss konsequent be- gungsscheine nichtamerikanischer und damit natürlich kämpft werden. Er muss konsequent aufgeklärt und kon- möglicherweise auch deutscher Aktien, die an US-Bör- sequent verfolgt werden. Das tun wir, und das machen sen gehandelt werden. auch unsere Justizbehörden.

Offensichtlich ist auch, dass es nach ersten Untersu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) chungen so aussieht, als ob Millionen dieser ADRs, die in den USA herausgegeben wurden, eben nicht mit ech- Wir brauchen Seriosität bei der Aufklärung dieses neuen ten Aktien hinterlegt waren. Und wenn das so ist, dann Sachverhaltes. Alles andere, was hier teilweise gerade wurden diese wahrscheinlich genutzt, um unberechtig- von der Linken behauptet wird, spaltet die Gesellschaft, te Steuervorteile außerhalb der USA zu erlangen, und und das können wir alle nicht wollen. dazu gehört wahrscheinlich auch Deutschland. Ob dieser Missbrauch aber auch dazu genutzt wurde, deutsche Ka- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – pitalertragsteuer zu erschleichen, das wissen wir noch Fabio De Masi [DIE LINKE]: Das spaltet die nicht; das muss erst aufgeklärt werden. Gesellschaft!) 7784 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: Kay Gottschalk (AfD): (C) Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Redner auf- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! rufe, möchte ich das von den Schriftführerinnen und Liebe Steuerzahler da draußen, oder besser gesagt: Lie- Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl des Daten- ber geprellter Bürger! Wieder einmal sind es die ehrli- schutzbeauftragten bekannt geben: Von den 709 Mit- chen Steuerzahler, die betrogen werden, wieder einmal gliedern des Bundestages haben 658 ihren Stimmzettel hat diese glorreiche Regierung zugeschaut. Und, Herr abgegeben, ungültige Stimmzettel 1. Mit Ja haben ge- Gutting, was Sie gesagt haben, das trägt nicht: Sie tra- stimmt 444, mit Nein haben gestimmt 176, Enthaltun- gen nun einmal Regierungsverantwortung. Da kann man gen 37. Der Abgeordnete Uli Kelber hat die erforderliche sich nicht immer wegducken, wenn es unangenehm wird, 1) Mehrheit von mindestens 355 Stimmen erreicht. insbesondere wenn man die Debatte zu Cum/Ex vor drei (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der Wochen dazu gehört hat. FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ Diesmal heißt der Skandal: Cum-Fake, eine perfide DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jürgen Braun Weiterentwicklung der Cum/Ex-Geschäfte, über die wir [AfD]) hier schon diskutiert haben. Hierbei handelt es sich – die Wenn Sie mit den Glückwünschen noch einen Mo- Kollegen haben es eben ausgeführt – um, neudeutsch ment warten können. – Ich würde gerne feststellen, dass ausgedrückt, ADR-Papiere, bei denen Kunden Steuerer- der Abgeordnete Kelber gemäß § 11 Absatz 1 Bundesda- stattungen für Aktien erhalten, die nie vorhanden waren tenschutzgesetz zum Bundesbeauftragten für den Daten- und auf die auch nie Steuern gezahlt worden sind. Man schutz und die Informationsfreiheit gewählt worden ist. möchte meinen, es ist die Maschine des endlosen Reich- Herr Kelber, nehmen Sie die Wahl an? tums, die Sie hier zulassen. Und nochmals: Fake News? Nein, diese neue Affäre, die diese Regierung mit zu ver- antworten hat, heißt: Cum-Fake. Ulrich Kelber (SPD): Ich nehme die Wahl an, Herr Präsident. Da ich aus der Versicherungswirtschaft komme, möchte ich Ihnen – das war ja eben ein bisschen sehr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verklausuliert; Sie auf den Zuschauertribünen denken der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- wahrscheinlich: was ist das? – das an einem Beispiel aus NISSES 90/DIE GRÜNEN) der Versicherungswirtschaft klarmachen.

Vizepräsident Thomas Oppermann: Nehmen Sie da draußen also an, Sie haben einen (B) Kumpel, der Versicherungsagent bei der La Banania (D) Herzlichen Glückwunsch und eine erfolgreiche Amts- ist – verwechseln Sie das nicht mit der Regierung oder ausübung, ein glückliches Händchen! mit dem Bundesfinanzministerium –, und Sie haben bei Da Sie – das verlangt die Gewaltenteilung –, bevor Sie dieser La Banania rein zufällig eine Hausratversiche- Ihren Dienst in Bonn antreten, Ihr Mandat niederlegen rung. Nun stellt dieser Kumpel Ihnen einen Scheck über müssen, möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie 18 Jah- 10 000 Euro aus, weil angeblich Ihr teurer Flachbild- re lang Mitglied dieses Hauses gewesen sind. schirm geklaut wurde. Allerdings gab es weder diesen Einbruch noch hat je dieser Flachbildschirm existiert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der LINKEN und des BÜNDNIS- Meine Damen und Herren, der Flachbildschirm ist SES 90/DIE GRÜNEN) die Phantomaktie, der Kumpel ist die Bank, die dafür sicherlich, ebenso wie der Kumpel, auch noch einen Sie waren immer ein streitbarer, ein kompetenter und Tausender kassiert hat, und die Versicherung, meine auch – wenn man darauf schaut, wie die Bundesstadt Damen und Herren, sind Sie. Sie sind nämlich die Ge- Bonn blüht und prosperiert – ein erfolgreicher Abgeord- prellten und werden zur Kasse gebeten. Und das passiert neter. alles unter den Augen dieser Regierung, die Sie gewählt (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) haben. Das kann man mit Recht so sagen; das ist auch kein Populismus. Die Wahrheit stempeln Sie in diesem Dafür möchte ich im Namen des ganzen Hauses danken. Hause ja gern als Populismus ab, liebe Kollegen. Sie haben damals gelacht, und Sie haben auch einen Unter- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, suchungsausschuss – dazu komme ich gleich noch – zu der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE dieser sogenannten Affäre ins Leben gerufen. Ich hoffe, GRÜNEN) Ihre Zwischenrufe von vor drei Wochen bleiben Ihnen im Jetzt dürfen alle gratulieren, aber wir fahren trotzdem mit Halse stecken. der Debatte fort. Die Citibank hat übrigens nach den Ermittlungen der Nächster Redner ist der Abgeordnete Kay Gottschalk SEC einem Vergleich über 38,7 Millionen US-Dollar zu- für die AfD. gestimmt. Auch zwei Töchter der Deutschen Bank – ja, wieder einmal die Deutsche Bank – haben im Juli einem (Beifall bei der AfD) solchen Vergleich zugestimmt. Da waren es 75 Millionen Dollar. Ich denke, meine Damen und Herren, das ist erst 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 6 die Spitze des Eisberges. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7785

Kay Gottschalk (A) Wenn ich an die Debatte vor drei Wochen, die Zwi- Es ist Ihr Geld, meine Damen und Herren. Seien Sie (C) schenrufe und den Untersuchungsausschuss denke, da kritisch! Schauen Sie genau hin! Wir werden uns be- dann halte ich es schon für ziemlich keck, wie Sie, Herr teiligen. Gutting, sich hier wegducken. Der Untersuchungsaus- schuss zu der Affäre, zu den Cum/Ex-Papieren, liebe Herzlichen Dank. Damen und Herren auf den Tribünen, kam damals, von (Beifall bei der AfD – Sebastian Brehm [CDU/ CDU/CSU und SPD dominiert, zu dem Ergebnis, dass CSU]: Machen Sie mal einen Vorschlag! Kon- ein solcher Untersuchungsausschuss gar nicht nötig ge- struktiv! Können Sie gar nicht!) wesen wäre, weil es die Cum/Ex-Geschäfte seit 2012 faktisch nicht mehr gibt. Nochmals: Die Cum-Fake-Ge- schäfte sind die perfide Weiterentwicklung; es gibt sie Vizepräsident Thomas Oppermann: offenbar doch weiterhin unter Ihrer Regentschaft. Meine Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Cansel Kiziltepe Damen und Herren, ich sage es noch mal: Sie haben uns für die Fraktion der SPD. damals Populismus vorgeworfen, und das ist Ihr Umgang (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mit der Wahrheit. der CDU/CSU) Beim jüngsten Skandal muss ich dieser Regierung konstatieren, dass sie wohl mit einem hochanstecken- Cansel Kiziltepe (SPD): den Virus infiziert ist. Die Symptome sind ein patholo- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gisches Nicht-eingestehen-Wollen von Fehlern und ein Schon wieder müssen wir uns mit einem Fall von Steuer- fieberhaftes „Weiter so, wir schaffen das“ – Frau Merkel trickserei im Finanzsektor beschäftigen. Cum/Ex, Cum/ ist leider nicht da –; keine Spur, aus Fehlern zu lernen Cum, Cum-Fake – wenn das so weitergeht, dann kom- und den deutschen Steuerzahler zu schützen. Ein wei- men wir allein bei der Benennung der Tricks bald nicht teres Phantom scheint der Gedächtnisverlust zu sein. mehr hinterher. Was kommt als Nächstes? Cum-Selbst- Mit der Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich noch mal bedienung? Dr. ­Spengel, der sich zu diesem Ausschuss geäußert hat: Das Ignorieren dieser Cum/Ex-Geschäfte führten die Ex- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist es perten auf ein „Desinteresse der politischen Führungs- doch!) ebene“ – eben der Regierung – und eine nicht implemen- Eines will ich klar und deutlich sagen: Der Staat ist kein tierte Governance­ zurück. Selbstbedienungsladen, und das werden diese kriminel- len Banden auch zu spüren bekommen. Diese fehlende Führung im BMF kann man auch hier (B) sehr gut erkennen; denn laut Artikel in der „Wirtschafts- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) woche“ vom 22. November 2018 wurden jetzt hektische Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Fall Prüfanträge an die Finanzämter verschickt. Man höre und zeigt: Es ist möglich, mit Phantompapieren Steuergelder staune! Man ist also offenbar nicht mehr Herr der Situati- zu ergaunern. Ob und wie das passiert ist, wird momentan on und hinkt den Problemlösungen wie so oft weit hinter- von der Staatsanwaltschaft Köln im Falle einer deutschen her, weil hier überhaupt keine Waffengleichheit herrscht Bank geprüft. Doch die meisten Täter sitzen vermutlich oder weil sie sich eventuell von den falschen Wirtschafts- gar nicht in Deutschland wie in diesem Fall, sondern an beratungsgesellschaften diese Gesetze schreiben lassen, der Wall Street; denn dort wurden die Phantompapiere in denen dann schon die Hintertüren implementiert sind. emittiert – weit weg vom Finanzministerium und unserer (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Staatsanwaltschaft. Deswegen wird es vermutlich noch etwas dauern, bis Meine Damen und Herren, Gott sei Dank gibt es die wir alles erfahren; aber eines wissen wir: Es lässt sich AfD, eine blaue Medizin. noch Schlimmeres vermuten. Die amerikanische Börsen- aufsicht hat die Citibank und die Deutsche Bank für die (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Das ist Gift!) Ausstellung dieser Phantompapiere zur Rechenschaft ge- Wir helfen Ihnen gern in den nächsten Wochen und Mo- zogen. Das betraf allerdings nur die Ausstellung der Pa- naten bei der Aufarbeitung. Wir als AfD werden uns hier piere, weil allein die Ausstellung an der amerikanischen konstruktiv Börse verboten ist. Ob und in welchem Umfang diese Papiere genutzt wurden, um sich unrechtmäßig Steuern (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Nicht einen in Deutschland zurückerstatten zu lassen, muss noch ge- einzigen Vorschlag haben Sie gemacht! Nicht klärt werden. einen einzigen!) Heute gab es eine Tickermeldung über eine Razzia bei der Deutschen Bank. Das Bundeskriminalamt und und gemeinsam mit den anderen Oppositionsparteien da- die Staatsanwaltschaft Frankfurt prüfen das ab heute bei für einsetzen, dass dieser Skandal lückenlos aufgedeckt der Deutschen Bank. Ich frage mich, ehrlich gesagt: Was wird, die Verantwortlichkeiten offengelegt werden und muss die Deutsche Bank noch machen, um die Bankli- nicht wieder in einer Schublade eines Untersuchungsaus- zenz zu verlieren? schusses verschwinden, wo Sie erneut zu dem Ergebnis kommen: Dieser Untersuchungsausschuss wäre nicht nö- (Uwe Feiler [CDU/CSU]: Da geht es um die tig gewesen. Panama Papers!) 7786 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Cansel Kiziltepe (A) Einen Kinderpornoring finanzieren? Oder was muss Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) noch geschehen? Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Dr. Florian Toncar. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Matthias Hauer [CDU/CSU]: For- (Beifall bei der FDP) dern Sie das?) Klar ist: Wir reden hier nicht über Kavaliersdelikte, son- Dr. Florian Toncar (FDP): dern über Kriminalität im Nadelstreifenanzug. Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte heute zum mutmaßlichen Betrug Dieser Fall könnte sogar noch aggressiver als Cum/Ex mit falschen Wertpapieren, mit denen ungerechtfertig- sein; das werden wir sehen. In diesem Fall wurden näm- te Steuererstattungen in Deutschland beantragt werden lich Aktien mehrfach verwendet, um Steuern zurückzu- konnten, ist wichtig. Denn es geht bei dieser Frage auf fordern. Bei Cum-Fake muss die Aktie noch nicht einmal den ersten Blick um Geld der Steuerzahlerinnen und vorhanden sein; das ist das Perfide. Liebe Kolleginnen Steuerzahler; aber es geht im Kern eigentlich um et- und Kollegen, das ist Umverteilung par excellence, von was noch Wichtigeres und Kostbareres: Es geht um das den Steuerzahlern zur Finanzindustrie. Oder in anderen Grundvertrauen in der Mitte unserer Gesellschaft, dass es Worten: Statt Kindergärten für alle gibt es jetzt Jachten in diesem Land fair zugeht, dass Anstrengung und nicht und Sportautos für wenige. Das stellt den Zusammenhalt Ruchlosigkeit belohnt wird, dass der Staat in der Lage in unserer Gesellschaft infrage. Deswegen werden wir ist, Regeln durchzusetzen, und sich nicht einfach ausneh- Tricks wie Cum/Ex und Cum-Fake nicht hinnehmen. men lässt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es kann nicht sein, dass unser Staat im Kleinen akku- der LINKEN) rat ist, im Alltag der Bürger aber mit den wirklich großen Fragen, die er zu lösen hat, überfordert ist, liebe Kolle- Ein Schritt, den wir bereits in Angriff genommen ha- ginnen und Kollegen. ben, ist die Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle. Diese werden wir noch in dieser Legislaturperiode bzw. (Beifall bei der FDP) bis zum Ende des nächsten Jahres einführen. Damit soll Genau deshalb fordern wir Aufklärung vom Bun- endlich die Grauzone zwischen Steuergestaltung und desministerium der Finanzen. Gab es Betrug mit diesen Steuerhinterziehung genauer durchleuchtet werden. Wir American Depositary Receipts zulasten der Steuerzahle- als SPD-Fraktion sind der Meinung, dass diese Anzei- rinnen und Steuerzahler in Deutschland, und, wenn ja, gepflicht sowohl für grenzüberschreitende Modelle als seit wann ist das in Ihrem Ministerium, Frau Staatssekre- auch für nationale Steuergestaltung gelten muss. (B) tärin, bekannt? Wie hoch ist der mutmaßliche Schaden? (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Und was wurde in den letzten Jahren unternommen, um des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Betrugsanfälligkeit der Kapitalertragsteuererstattung, die ja leider kein neues Thema ist, wirklich zu untersu- Wir dürfen uns aber nichts vormachen: Das wird ver- chen und Lücken zu schließen? Was ist da in den letzten mutlich nicht reichen; dafür ist die Fantasie zu groß. We- Jahren passiert? Das möchten wir von Ihnen wissen. der wird es die Täter davon abhalten, sich noch mal daran zu versuchen, noch werden die Bürgerinnen und Bürger (Beifall bei der FDP) das Gefühl los, die Banker und Reichen kommen eh da- Niemand wird heute vorverurteilt, auch nicht Bundesmi- von. Deswegen müssen wir uns Gedanken machen, wie nister Scholz, auch nicht Sie, Frau Staatssekretärin. Ich wir die Täter und deren Gehilfen stärker und schneller finde bemerkenswert, wie die Fraktion der Sozialdemo- bestrafen – mit einem Unternehmensstrafrecht zum Bei- kraten heute hier aufgetreten ist, Frau Kollegin Kiziltepe, spiel. und wie zahm sie gestern im Finanzausschuss bei diesem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Thema gewesen ist, als die Staatssekretärin berichtet hat. Niemand wird vorverurteilt, aber es müssen alle Fakten Das wird nur klappen, wenn wir die internationale auf den Tisch. Ich sage auch, weil der Herr Minister ges- Zusammenarbeit zwischen den Behörden weiter ausbau- tern nicht im Ausschuss war und weil er heute nicht in en. Wenn sich gierige Hände aus der Finanzindustrie am dieser Debatte ist: Frau Staatssekretärin, Ihre Anwesen- Geld der Steuerzahler selbst bedienen, darf es keine Rol- heit in Ehren, aber das Thema Betrug im Steuersystem le spielen, wo diese Hände herkommen. muss spätestens seit der letzten Woche zur Chefsache in der Bundesregierung und im Finanzministerium werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Unsere Steuerfahnder und Staatsanwaltschaften müssen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) überall auf die relevanten Informationen Zugriff haben; denn wer den Staat als Selbstbedienungsladen betrachtet, Der bisherige Umgang Ihres Hauses ist unbefriedi- hat nichts anderes verdient als die volle Härte des Ge- gend und unzulänglich, weil die wichtigsten Fragen nicht setzes. ansatzweise geklärt worden sind. Noch letzten Freitag sagte der Bundesfinanzminister in der Haushaltsdebatte Vielen Dank. zu diesem Thema, übrigens an diesem Pult – ich zitiere –: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es darf nicht sein, dass diese Dinge lässlich und di- der LINKEN) latorisch behandelt werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7787

Dr. Florian Toncar (A) So der Bundesfinanzminister vor wenigen Tagen. Genau zwei Haushaltsplänen insgesamt fast 3 000 zusätzliche (C) das scheint momentan zu passieren. Es gibt bisher kei- Stellen in Ihrem Geschäftsbereich bekommen. Nehmen ne öffentliche Erklärung der Bundesregierung und des Sie 20 davon und setzen Sie sie hin und überprüfen Sie Bundesfinanzministeriums. Was wissen Sie? Was ist der auch die Einzelfälle von Kapitalertragsteuererstattungen Sachstand? Wie geht es weiter? daraufhin, ob es noch mehr Betrugsfälle gegeben hat oder nicht. Mit diesen 20 Menschen könnten Sie tatsächlich (Beifall bei der FDP) nicht nur viel Geld zurückholen, sondern auch Vertrauen Es ist gestern im Finanzausschuss in nichtöffentli- wiederherstellen. Genau das erwarten wir von Ihnen und cher Sitzung etwas erklärt worden – ich komme gleich Herrn Minister Scholz in den nächsten Wochen. darauf –, heute wiederum keine Erklärung der Bundes- regierung. Sie hätte die Möglichkeit, in dieser Debatte (Beifall bei der FDP) zu sprechen. Sie scheut sich offensichtlich, der Öffent- lichkeit zu sagen, was sie heute weiß und was sie zu tun Vizepräsident Thomas Oppermann: gedenkt. Das ist ein völlig unangemessener Umgang mit Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerhard Schick diesem Problem, Frau Staatssekretärin. für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das, was gestern im Ausschuss vorgetragen wor- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den ist, hat die wesentlichen Fragen nicht beantwortet, sondern hat bei mir eher weitere Nachfragen ausgelöst. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach mehreren Nachfragen unserer Fraktion und auch Wir haben schon in der letzten Sitzungswoche über die der Grünen – Kollege Schick ist hier – wurde dargestellt, Frage von Cum/Ex gesprochen. Deswegen ist jetzt die dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Frage: Warum ist das noch einmal notwendig? Der ent- die deutsche Bankenaufsicht, am 18. Juli dieses Jahres scheidende Punkt ist, dass uns die Hinweise, die wir erfahren hat, dass es ein Settlement, einen Vergleich, gibt von Journalisten über einen neuen möglichen Trick be- zwischen der amerikanischen Aufsichtsbehörde SEC und kommen, zeigen, dass die Probleme, die zu dem großen einem deutschen Kreditinstitut, in dem die Möglichkeit Steuerskandal Cum/Ex geführt haben, womöglich heute eines Missbrauchs – so steht es in dem Vergleich – von noch nicht überwunden sind, sodass wir jederzeit damit American Depositary Receipts angegeben worden ist. rechnen können, dass wieder Betrügerinnen und Betrü- Das haben Sie gestern irgendwann gesagt. Folgende Fra- ger am Finanzmarkt mit ihren Tricks durchkommen zum gen sind aber bis heute nicht beantwortet worden: Was ist Schaden von uns allen. Das muss man verhindern. (B) (D) mit dieser Information passiert? Wer hat sie wann wei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tergegeben? Wann hat sie das Bundesfinanzministerium sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Gesine erreicht? Hat sie die Ebene der Staatssekretäre oder die Lötzsch [DIE LINKE]: In der Regel sind es Ebene des Ministers erreicht? Was waren die Folgen die- Betrüger und keine Betrügerinnen!) ser Information? Was wurde damit gemacht? Was wurde veranlasst? Das ist doch politische Verantwortung. Es ist – Es gab sogar einzelne Frauen. doch nicht zu viel verlangt, diese Informationen von Ih- nen einzufordern. Was wir jetzt beobachten, ist, dass auf die konkrete Anfrage der Journalisten das Bundesfinanzministerium (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ relativ zügig mit einer Veränderung des Verfahrens re- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der agiert hat und Anweisungen an die Steuerbehörden gege- LINKEN) ben hat. Es hat an dieser Stelle schnell agiert. Richtig so. Nachdem das Ministerium gesagt hat, sie meinen, Aber es stellt sich, wenn man sich die Prozesse genauer das – diese spezielle Betrugsmasche – geht seit 2011 anschaut, die Frage: Warum nicht schon früher? Denn nicht mehr, haben Sie am 15. November, vor wenigen eigentlich ist die Informationskette in einer ordentlichen Tagen, als Sie eine Medienanfrage dazu bekommen ha- Verwaltung nicht, dass man über Anfragen von Journalis- ben, plötzlich im Eilverfahren das sogenannte Datenträ- ten auf große Probleme stößt, sondern es müsste eigent- gerverfahren für die Erstattung von Kapitalertragsteuer lich aus den nachgeordneten Behörden kommen, aus dem ausgesetzt. Ja, wenn das System so sicher ist und Sie Haus selber. Es kann nicht dem Zufall überlassen sein, sich diese Aussage zutrauen: Warum muss dann das Ver- dass eine solche Information die Hausspitze erreicht. fahren doch irgendwie gestoppt werden? Das ist wider- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sprüchlich. Da hätten wir gern eine bessere Erklärung. sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- (Beifall bei der FDP) KEN) Wir meinen, meine Damen und Herren, der Minister Das genau hat der Untersuchungsausschuss gezeigt: muss jetzt der Öffentlichkeit erklären, was heute bekannt Die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Finanz- ist, und er muss erklären, was er auf welche Weise he- marktzuständigen, also insbesondere der Finanzaufsicht, rausfinden will und bis wann. Es braucht einen struk- und den Steuerbehörden hat dazu geführt, dass die Fi- turierten Prozess zur Aufklärung dieser Vorwürfe. Wir nanzaufsicht gesagt hat: „Da sind wir nicht zuständig, schlagen dazu vor, dass es einen Sonderbeauftragten da geht es um Steuer“, und dass Steuerleute bei diesen gibt. Frau Staatssekretärin, Sie haben im Jahr 2018 in Finanzmarkttricks nicht wussten, was wirklich passiert. 7788 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Gerhard Schick (A) Deswegen ist es so wichtig, dass zusammengearbeitet Die Finanzaufsicht muss für einen sauberen Finanzmarkt (C) wird. Jetzt schauen wir uns die neuen Ergebnisse in Be- sorgen. Dafür ist sie da. zug auf diese Frage an und stellen fest: Das Bundeszen- tralamt für Steuern hat sich, so die Auskunft, die wir be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kommen haben, schon seit 2015 mit diesem Thema grob sowie des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE]) beschäftigt. Wir stellen fest, die Finanzaufsichtsbehörde Wir müssen dafür sorgen, dass das, was in Sachen BaFin hat in ihrer Eigenschaft als Mitwirkende in der Steuern passiert, wo Auszahlungen und Erstattungen neuen europäischen Aufsichtsstruktur seit einer ganzen stattfinden, systematisch analysiert wird im Hinblick da- Zeit, spätestens im Juli dieses Jahres, genaue Hinweise rauf, dass wir Fehlentwicklungen erkennen können. Da gehabt, dass die Deutsche Bank und andere Banken mit muss man dann auch – das ist ein weiterer Punkt – sinn- den amerikanischen Aufsichtsbehörden in Konflikt wa- voll mit den Finanzmarktakteuren zusammenarbeiten. ren. Aber diese Informationen sind wieder nicht zusam- Ein Steuerspezialist kennt sich nicht unbedingt mit Ame- mengeführt worden, sondern sie haben erst eine Reaktion rican Depositary Receipts aus. Das ist doch normal. Aber ausgelöst, als die Journalisten kamen. Da genau ist der wenn man es so organisiert, wie es in einer modernen Fehler. Das heißt, das Strukturproblem im Bundesmi- Verwaltung sein müsste, dann würde man die Leute in ei- nisterium der Finanzen ist seit Beendigung des Cum/ ner Taskforce zusammenbringen, damit der Staat endlich Ex-Tricks nicht überwunden worden. Wir müssen damit auf Augenhöhe mit den Kriminellen ist. Das ist unsere rechnen, dass so etwas jederzeit wieder passieren kann. Aufgabe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. der FDP) Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Da müssen Sie und auch wir jetzt handeln. Das Euro- Es gibt eine europäische Dimension: Die mangelnde päische Parlament hat uns gezeigt, dass Parlamente bei Zusammenarbeit innerhalb Europas hat es den Betrügern solchen Sachen durchaus schnell reagieren können. Es leicht gemacht. Deswegen müssen wir auf europäischer hat beschlossen, dass die europäischen Finanzaufsichts- Ebene stärker zusammenarbeiten. Wir schlagen eine eu- behörden eine Sektoruntersuchung machen, um heraus- ropäische Finanzpolizei vor. Wir sollten Finanzkrimina- zufinden, was eigentlich los ist in Sachen Finanzbetrug. lität endlich so bekämpfen, wie wir Kriminalität an ande- Meine Bitte ist, dass der Deutsche Bundestag sich mit rer Stelle auch bekämpfen. Der frühere Abteilungsleiter genau derselben Tatkraft der Finanzkriminalität widmet Steuern hat das, was bei Cum/Ex passiert ist, organisierte und dafür sorgt, dass auch unsere Aufsichtsbehörden Kriminalität genannt. Dann lassen Sie uns endlich auch endlich so fit sind, dass sie solche Betrügereien aufde- (B) so auf diese Kriminalität reagieren, wie das notwendig (D) cken. ist, und nicht so tun, als seien das Kinkerlitzchen. Es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN viel Geld für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ver- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten loren gegangen. der FDP) Danke schön. Ich finde, daran haben wir ein gemeinsames Interes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) se. Ich habe konzediert, dass das Bundesfinanzministe- rium an einer Stelle schnell reagiert hat. Ich will auch konzedieren, dass der neue Bundesfinanzminister, der Vizepräsident Thomas Oppermann: noch kein Jahr im Amt ist, nicht alle Versäumnisse aus Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege der Schäuble-Zeit zu verantworten hat. Lassen Sie uns Sebastian Brehm für die Fraktion der CDU/CSU. jetzt doch einmal zusammenarbeiten. Es ist nicht gerade vertrauensbildend, wenn die Antworten auf die von mir (Beifall bei der CDU/CSU) gestellten Fragen gestern im Ausschuss zugesagt werden und dann nur an die Koalitionsfraktionen geschickt wer- den. Lassen Sie uns bitte einmal sauber arbeiten. Sebastian Brehm (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heutige Aktuelle Stunde ist ein weiterer Beweis dafür, sowie bei Abgeordneten der FDP – Lothar wie Politik nicht funktionieren sollte. Die Linken werfen Binding [Heidelberg] [SPD]: Das kann ja gar wieder einmal alle Betrugsfälle in einen Topf – Cum/Ex, nicht stimmen!) Cum-Fake, Betrug in Vorstandsetagen –, rühren kräftig um und versuchen, einen großen politischen Skandal da- – So ist es aber. raus zu machen. Das Entscheidende, was zu tun ist, ist, dass die Fi- (Zurufe von der LINKEN) nanzaufsicht die klare Anweisung vom Bundesministe- rium der Finanzen erhält, dass Steuerfragen – soweit sie Und die AfD bedient sich genau derselben Rhetorik in Finanzkriminalität sind –, die am Finanzmarkt stattfin- diesem Hause. den, etwas sind, wofür auch die Finanzaufsichtsbehörde zuständig ist. Es kann doch nicht sein, dass die sagen: (Karsten Hilse [AfD]: Maximal der gleichen, Kriminalität ist uns Wurst, wenn es um Steuern geht. – nicht derselben!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7789

Sebastian Brehm (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit einher geht Vielleicht muss man mal erklären, weil Sie alle immer (C) dann noch die große Keule gegen alles und jeden, gegen von ADR sprechen, um was es dabei geht. jeden Berater, gegen die Banken, gegen die Unternehmer. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Worum (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Quatsch!) geht’s?) Der alte Klassenkampf gegen den Kapitalismus, – Worum geht’s? Genau. – Man muss sich die ADR-Pa- piere anschauen. Das sind Hinterlegungsscheine für nicht (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Quatsch! amerikanische Aktien. Will heute eine deutsche Kapital- Das ist doch lächerlich!) gesellschaft in den USA auf den Markt gehen, dann hat sie zwei Möglichkeiten: Eine Möglichkeit ist die Listung ohne diejenigen explizit zu nennen, die wirklich den an der US-Börse. Das ist mit vielen schwierigen Pro- Betrug begangen haben, weil Sie sie gar nicht benennen zessen verbunden, mit internationaler Bilanzierung, mit können, weil das noch nicht feststeht, liebe Kolleginnen amerikanischer Börsenaufsicht und mit vielem anderen. und Kollegen. Oder man wählt den Weg der Hinterlegungsscheine, der sogenannten ADRs: Der amerikanische Kunde kauft eine (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Weinberg deutsche Aktie, zumindest mit dem Hinterlegungsschein, [DIE LINKE]: Hat nicht zugehört, das ist das und im gleichen Atemzug wird eine deutsche Aktie bei Problem!) einer Depotbank hinterlegt. Es gibt in unserem Land viele rechtschaffene Unter- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Eben nicht!) nehmer. Es gibt rechtschaffene Banken. Es gibt viele rechtschaffene Steuerzahler. Die dürfen Sie hier nicht in – Doch, eben schon. – Und dann kommt es zu Dividen- einen Topf schmeißen. Das ist fahrlässig. Das ist nicht in denzahlungen. Die Kapitalertragsteuer wird abgeführt, Ordnung. und der amerikanische Kunde kann die im Rahmen des Doppelbesteuerungsabkommen nach § 50d Einkommen- (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Weinberg steuergesetz wieder zurückholen. Das ist ein ganz nor- [DIE LINKE]: Quatsch! – Fabio De Masi maler Prozess, der tausendfach gemacht wird. Auch da [DIE LINKE]: Wir haben einen Anspruch da- wieder alles in einen Topf zu schmeißen, ist völlig falsch. rauf!) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie stellen damit alle unter Generalverdacht, und das Es gibt aber eben auch welche, wo keine Aktien hin- sollte man nicht machen. terlegt worden sind (B) (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Exakt!) (D) NEN]: Ein bisschen flexibler sein! Mann, Mann, Mann!) und wo es fälschlich wohl zu einer Erstattung deutscher Kapitalertragsteuer gekommen ist. Das ist klar rechts- Hören Sie auf mit diesem Klassenkampf! widrig, (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Quatsch!) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein!?) In meiner Rede zu Cum/Ex in der vorletzten Sitzungs- und das ist klar nach amerikanischem und deutschem woche habe ich schon ausgeführt: Wir werden alles un- Recht Steuerhinterziehung. ternehmen, um Steuerbetrug international und national (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach!) zu bekämpfen. Deshalb hat die US-Aufsichtsbehörde im Jahr 2018 Er- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Was denn?) mittlungen eingeleitet. Deswegen hat auch die Staatsan- waltschaft Köln Ermittlungen eingeleitet, um genau die- Deutschland ist Vorreiter im BEPS-Prozess. Deutschland sen Fall aufzuklären. hat viele Maßnahmen ergriffen, viel mehr als alle ande- ren Länder. Doch wir werden es nie vermeiden können, Das Bundesfinanzministerium hat gehandelt und hat dass es zu einem Betrugsfall kommt. das elektronische Datenträgerverfahren eingestellt. Jetzt ist es eben so, dass Kapitalertragsteuern nur erstattet (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ah!) werden, wenn eine entsprechende Kapitalertragsteuer- bescheinigung vorliegt. Ohne Bescheinigung keine Er- Meines Erachtens ist der richtigere und der bessere Weg, stattung, und ohne Hinterlegung keine Bescheinigung. dass man, wenn man einen Betrugsfall hat, klug, sach- Insofern ist dieses Modell in Deutschland jetzt nicht lich, ohne zu skandalisieren die Problemstellung analy- mehr möglich, zumindest nicht zur Erstattung deutscher siert und dann die Schwachstellen aufdeckt und vor al- Steuern. lem die Ermittlungen abwartet. (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Das sieht das (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Finanzministerium aber anders!) GRÜNEN]: Abwarten, bis es verjährt ist, oder? – Fabio De Masi [DIE LINKE]: Kom- Ob und wie der deutsche Staat geschwächt worden ist, men Sie mal zur Sache!) wissen wir ja noch gar nicht. Das werden erst die Ermitt- lungen zeigen. Deswegen sollte man keine Mutmaßun- Das genau hat das Finanzministerium getan. gen anstellen und sagen: Der Deutschen Bank soll die 7790 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Sebastian Brehm (A) Banklizenz entzogen werden, das sind alles Verbrecher So sehe ich das, wenn ich es kurz zusammenfasse. (C) usw. Bei der ersten Aktion, bei den sogenannten Cum/Ex, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist ging es um Leerverkäufe. Die Aktie wurde hin- und her- doch eine Verbrecherorganisation!) geschoben, bis keiner mehr so richtig durchsah. Dann wurden die Begriffe „wirtschaftlicher Eigentümer“ und – Ja, genau, die „Verbrecherorganisation Deutsche Bank“ „tatsächlicher Eigentümer“ bemüht. So konnte man die (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die hat Kapitalertragsteuer, die man eigentlich nur einmal zu- Auschwitz finanziert!) rückfordern kann, gleich mehrfach zurückfordern. Das betrachte ich als Kassieren. Das ist eindeutig Steuerbe- wird gerade erwähnt. – Das sollte man in einem Rechts- trug. Das ist der erste Fall. staat nicht machen, sondern es wird erst ermittelt, und dann wird überprüft, wer was begangen hat, und dann (Beifall bei Abgeordneten der AfD) kommt es zu einer Verurteilung. Wenn es eine deutsche Der zweite Fall – Cum/Cum – lässt sich am besten so Bank war, muss sie auch entsprechend verurteilt werden, erklären: Ein ausländischer Anteilseigner an einem deut- aber nicht schon vorher hier im Hause. schen Unternehmen – er hat eine deutsche Aktie –, ist (Beifall bei der CDU/CSU) nicht bereit, die Kapitalertragsteuer zu zahlen. Er verleiht quasi seine Aktie an jemanden, der berechtigt ist, die Ka- Bitte erlauben Sie mir eine Abschlussbemerkung, pitalertragsteuer einzunehmen. Anschließend nimmt er liebe Frau Kiziltepe. Eine Anzeigepflicht für nationale die Aktie zurück. Die eingesparte Kapitalertragsteuer des Steuergestaltungsmodelle würde genau diesen Fall nicht eigentlichen Eigentümers teilt man sich dann. So ver- abdecken. Das wäre genauso, wie wenn ein Sparkas- meidet man Steuern und ist glücklich dabei. In diesem senräuber vorher bei der Sparkasse anruft und sagt: Ich Fall, muss ich sagen, kann man nicht direkt von Betrug mache morgen einen Banküberfall. – Glauben Sie denn sprechen. Hier hat man eine Steuerlücke ausgenutzt. Mo- wirklich, dass einer, der Steuerbetrug begeht, vorher eine ralisch ist das natürlich nicht gerade positiv; aber es steht Anzeige macht? Genau das ist damit nicht abgedeckt. in Zweifel, ob das Betrug ist. Auf jeden Fall hat man hier (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ha!) herumgetrickst. Die Finanzverwaltung ist zuständig. Sie muss dafür sorgen, dass so etwas nicht möglich ist. Dann Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung – die meine müssen Sie eben bessere Gesetze machen, mehr Leute ich in allem Ernst –: Mit dieser Debatte hier versuchen einsetzen, kontrollieren, dann kann dieser Fall nicht pas- Sie, die Bundesregierung, die Finanzverwaltung, den Fi- sieren. nanzminister in ein schlechtes Licht zu rücken. Das ha- ben sie nicht verdient. Der dritte Fall – das haben wir gerade gehört – ist noch (B) gar nicht ausgestanden, die Sache mit den American De- (D) (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Sie rücken positary Receipts oder wie das heißt, also mit diesen Hin- sich in ein Licht!) terlegungsscheinen. Allerdings ist der Betrug in diesem Wir tun alles, um Missbrauch in Deutschland zu verhin- Fall besonders deutlich, wenn es sich so bestätigt. dern, und die Finanzverwaltung tut das auch. Deswegen (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Ich habe breche ich eine Lanze für die Finanzverwaltung. Wir doch erklärt, wie es funktioniert!) sollten sie lieber unterstützen, anstatt sie an den Pranger zu stellen. Dafür werden wir uns in den nächsten Wochen Hier wurden Aktien ausgegeben, die es gar nicht gibt. und Monaten einsetzen, um hier Aufklärung zu betreiben Das ist der absolute Hammer. und das Ganze dann auch einer gerechten Strafe zuzu- (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Sie haben führen. nichts verstanden! Hätten Sie mal zugehört, Herzlichen Dank. hätten Sie etwas lernen können!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Betrug kann man, glaube ich, gar nicht besser beschrei- Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) ben. Die „Wirtschaftswoche“ hat ja geschrieben – das wur- Vizepräsident Thomas Oppermann: de vom Vorredner schon bestätigt –, dass der Minister Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete hektisch reagiert hat und das digitale Erstattungsverfah- Detlev Spangenberg für die Fraktion der AfD. ren sofort gestoppt hat. Das war natürlich ein bisschen spät. Da hätte man vielleicht mal eher gucken sollen. Es (Beifall bei der AfD) gibt ja auch eine Vereinbarung, dass sich die einzelnen Staaten über derartige Tricks untereinander informieren. Detlev Spangenberg (AfD): Das scheint, offen gesagt, hier nicht passiert zu sein. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir Meine Damen und Herren, das Schlimmste sind die haben es hier mit drei verschiedenen Arten einer krimi- Folgen für das Vertrauen in die Steuergerechtigkeit; auch nellen Finanztransaktion zu tun: Die erste Aktion ist Kas- das wurde hier schon angesprochen. Der Spruch „Die sieren, die zweite ist Vermeiden, und die dritte ist wieder Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ kommt Kassieren. hier leider zum Tragen. Bei einer Steuerberatung im ein- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Da kennen fachen Bereich hatte ich einmal eine Serviererin, die ger- Sie sich ja aus!) ne ihren schwarzen Rock und ihre Bluse als Werbungs- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7791

Detlev Spangenberg (A) kosten nach § 9 Einkommensteuergesetz absetzen wollte. ADRs können übrigens ganz sinnvoll sein: Deutsche (C) Das war ein Riesentheater. Nein, das könnte sie ja auch Aktien können über den Umweg der ADRs auch auf dem draußen auf der Straße anziehen, darum sei das nicht ab- amerikanischen Finanzmarkt gehandelt werden, ohne setzbar. Ich bin gespannt, wie ich ihr das hier jetzt er- selbst dort gelistet sein zu müssen. klären soll. Bei ihr ging es um lächerliche Beträge von 50, 60 Euro. Hier sind wir im Milliardenbereich. Meine (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Vielen Damen und Herren, so schafft man kein Vertrauen. Dank!) ADRs gelten in den USA als amerikanische Wertpapiere. (Beifall bei der AfD) Amerikanische Pensionsfonds können deshalb auf diese Das nächste Thema. Es ist nicht logisch, dass in den Weise ausländische Aktien kaufen, was sie direkt nicht Finanzverwaltungen Personal fehlt. Wenn ich ein Un- dürften. Und: ADRs berechtigen, die Dividende einzu- ternehmen führe, verdiene ich als Unternehmer an jeder streichen, einzelnen Arbeitskraft, wenn ich vernünftig führe. Das (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Genau!) ist auch Sinn und Zweck. Die Finanzverwaltung würde durch jeden zusätzlich eingestellten Mitarbeiter mehr die für die zugrundeliegende Aktie in Deutschland aus- von den ausstehenden Steuern bekommen. Warum wird geschüttet wird. das nicht gemacht? Das kann ich nicht nachvollziehen. Und da beginnt das Problem: Dividendenzahlung in Stellen Sie die Leute ein! Dann haben wir auch die Steu- Deutschland und Doppelbesteuerung. Sobald die Divi- ern. Vor allen Dingen, meine Damen und Herren: Unter dende in Deutschland auf eine Aktie ausgeschüttet wird, dem Strich ist es ein Armutszeugnis der Finanzbehör- gehen davon sofort 25 Prozent Kapitalertragsteuer an den den – durch alle Behörden –, die anscheinend nur bei den deutschen Fiskus. Zwischen den USA und Deutschland kleinen Leuten sehr genau hinschauen, weil es nicht so besteht Gott sei Dank ein Doppelbesteuerungsabkom- kompliziert ist; bei den großen ist es anscheinend zu an- men. Genau deshalb kommt es in den USA hinsichtlich strengend. dieser Aktie nun zu einem Steuergestaltungswettbewerb Vielen Dank. in Form von ADRs. Gewonnen hat diesen Wettbewerb, wer ADRs emittiert, die es dem Inhaber ermöglichen, (Beifall bei der AfD) möglichst viel von den 25 Prozent zurückerstattet zu be- kommen. Vizepräsident Thomas Oppermann: Diese Steuergestaltungen waren auch schon in der Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Vergangenheit zum Teil illegal. Aber diese Gestaltun- (B) der SPD der Kollege Metin Hakverdi. gen, also diese ADRs, die die Rückerstattung möglich (D) machten, hatten wenigstens noch eine Aktie bei einem (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Verwahrer in Deutschland, und es wurden tatsächlich zu- nächst 25 Prozent der Dividende an den Fiskus abgeführt. Metin Hakverdi (SPD): Was aber der neueste Clou ist – also, so neu ist der Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe auch nicht, ist aber superdreist –: Es gibt gar keine Ak- Kolleginnen und Kollegen! Teile der Finanzindustrie, tie, diese ADRs sind Phantompapiere. Es wurden auch so müssen wir heute verbittert feststellen, haben nie die nie 25 Prozent Kapitalertragsteuer gezahlt. Deshalb wird notwendigen Konsequenzen aus dem Beinahekollaps auch nichts zurückerstattet, es wird einfach direkt in die von vor knapp zehn Jahren gezogen. Man gewinnt fast Steuerkasse gegriffen, ein Raubzug. den Eindruck, dass die Geschäftsmodelle einiger Akteure ausschließlich darin bestehen, sich auf Kosten der Allge- Diese Scheingeschäfte sind natürlich verboten. Ban- meinheit, auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuer- ken in den USA haben diese Phantompapiere trotzdem zahler zu bereichern. Vor 2008 wurden mit extrem speku- ausgegeben, auch die US-Tochter der Deutschen Bank. lativen Geschäften riesige Boni eingestrichen, Gewinne Dafür wurden sie in den USA belangt. Mit solchen wurden privatisiert, Verluste sozialisiert. Mit Cum/Ex- Schein-ADRs konnten sich die Inhaber online an die und Cum/Cum-Geschäften wurde direkt ins Portemon- deutschen Steuerbehörden wenden und eine „Erstattung“ naie des Steuerzahlers gegriffen. beantragen; das sogenannte Datenträgerverfahren. Nun haben wir es mit Cum-Fake zu tun. Die Vermu- Wir wissen noch nicht, ob tatsächlich mit solchen tung liegt nahe, dass auch diesmal durch Steuererstat- Scheinpapieren Steuererstattungen beantragt wurden. tungstricks der Fiskus geprellt wurde. Zur Vollständig- Bisher gibt es keinen bestätigten Fall. Können wir uns keit gehört hier auch, dass wir es bisher noch nicht sicher deshalb zurücklehnen? Ich denke, nein. Im globalisierten wissen. Mit sogenannten American Depositary Receipts, Finanzmarkt wird alles, alles was möglich ist, um Steu- abgekürzt ADRs, könnte der Fiskus durch rechtswidri- ern zu hinterziehen oder erstattet zu bekommen, auch ge Erstattung von Kapitalertragsteuer geprellt worden gemacht. Wozu sonst sollte man solche Phantompapiere sein. ADRs selbst sind keine Aktien, ADRs sind so etwas überhaupt herausgeben, wenn man nicht anschließend Ähnliches wie Verbriefungen von Aktien. Man erwirbt rechtswidrige Erstattung betreiben will? lediglich die Rechte und Pflichten aus der Aktie, die Ak- (Zuruf von der LINKEN: Genau!) tie selbst wird hinterlegt und lagert dann in Depots von sogenannten Verwahrern; das sind üblicherweise Ban- Die Feststellung ist bitter: Wir können einem Teil un- ken. serer Finanzelite schlicht und einfach nicht vertrauen. 7792 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Metin Hakverdi (A) Es reicht nicht, die Tür mit klaren Regeln zu schließen – Ja, zurzeit lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob (C) man muss alle Türen und Fenster doppelt und dreifach dem deutschen Staat durch solche Geschäfte ein Schaden verriegeln. entstanden ist. (Beifall der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) (Beifall des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU]) Diese Leute agieren wie Einbrecher, die jedes Loch, jede Das Bundesfinanzministerium spricht aber von einem noch so kleine Lücke nutzen, um unser Regelsystem zu ernsten Vorgang und hat das vorgesehene automatisier- unterlaufen. te Erstattungsverfahren vorerst gestoppt – spät, aber erst mal gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Das ganze Vorgehen zeigt aber, Herr Brehm, die un- GRÜNEN) endliche kriminelle Energie, mit der hier findige Steuer- berater und Finanzjongleure vorgehen. In der globalisierten und digitalisierten Welt der Fi- nanzmärkte gleichen einige Finanzakteure Hackern, die (Sepp Müller [CDU/CSU]: Falsch!) wir aus der IT-Welt kennen: Sie sind spezialisiert darauf, Das ist genau der Klassenkampf, über den wir Ihrer Mei- Schadsoftware zu erstellen und unser Finanzsystem mit nung nach nicht reden sollen. Das ist Klassenkampf von einem Virus zu infizieren und zu fluten. Unsere Aufgabe oben, wird sein, das Betriebssystem unserer Finanzwelt immer wieder zu aktualisieren. Deshalb halte ich wenig davon, (Beifall bei der LINKEN) sich jetzt nur auf die Finanzverwaltung zu stürzen. Das das ist Klassenkampf im Interesse von Vermögenden und wäre Wasser auf die Mühlen derjenigen, die das Geld der Besitzenden gegen die Mehrheit der Steuerzahlerinnen Steuerzahler stehlen. Noch im letzten Monat wurde hier und Steuerzahler auf dieser Erde. im Deutschen Bundestag ein Antrag der FDP wie folgt begründet – Herr Präsident, ich zitiere –: (Beifall bei der LINKEN) Nach der Finanzkrise hat die Politik die Finanz- Was sich auch noch sagen lässt, Herr Gutting, seriös märkte deutlich stärker reguliert. Das muss jetzt sagen lässt: Alle diese Betrugsfälle der vergangenen Jah- sinnvoll zurückgestutzt werden … re sind keineswegs durch die Steuerbehörden aufgedeckt worden. Wir können zusätzlich sagen: Alle diese Be- (Frank Schäffler [FDP]: Wo ist eigentlich der trugsfälle waren keine Ausrutscher einzelner irgendwie Finanzminister?) abgedrehter Mitarbeiter dieser Institutionen. Sie waren (B) immer in der Struktur dieser Institutionen verankert, sie (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in Zukunft sind von Unternehmensberatungen und Anwaltskanzlei- sind wir gut beraten, die Fenster und Türen unseres Fi- en, die auch völlig seriöse Geschäfte gemacht haben, mit nanzsystems doppelt und dreifach zu sichern, zu regu- angeboten worden und waren Teil ihrer Strategie. Hier lieren, wo zu regulieren ist. Mit einer Entfesselung der liegt das Problem. Finanzmärkte ist unserem Land nicht gedient. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Ich kann es gar nicht alles aufzählen: 2007, UBS-Bank (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schweiz: Eine bankinterne Spezialgruppe in der Genfer der CDU/CSU und des Abg. Fabio De Masi Niederlassung organisiert den Übertritt von US-Milli- [DIE LINKE]) onären, die ihr Vermögen vor dem US-Fiskus schützen wollen, auf Schweizer Nummernkonten. 2013, Offshore-­ Vizepräsident Thomas Oppermann: Leaks: Nur das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten konnte das aufdecken. 2014, Luxemburg Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Leaks: Zwei interne Mitarbeiter des Beratungsunterneh- Die Linke der Abgeordnete Jörg Cezanne. mens PricewaterhouseCoopers weisen darauf hin, wie (Beifall bei der LINKEN) die Luxemburger Regierung Unternehmen hilft, ihre Steuerbelastung auf null herunterzufahren. Panama Pa- pers, Paradise Papers – ich könnte hier noch eine ganze Jörg Cezanne (DIE LINKE): Reihe weitermachen. Das ist der Kern des Problems, und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Allein der wenn wir da nicht rankommen, dann werden wir das alles Vorgang ist schon schwer zu verdauen: Betrügerische nicht wirklich in den Griff bekommen. Unternehmen oder betrügerische reiche Privatleute – (Beifall bei der LINKEN) „betrügerische“, Herr Brehm – lassen sich von Banken Ersatzpapiere über Aktieneigentum ausstellen, das sie Was muss also getan werden? gar nicht besitzen – sogenannte Vorab-Hinterlegungs- scheine. Und mit diesen Hinterlegungsscheinen beantra- Erstens. Aufklärung im konkreten Fall; darauf ist von gen sie dann die Erstattung von Kapitalertragsteuer, die einigen Vorrednern schon hingewiesen worden. Herr sie gar nicht bezahlt haben. Ein wirklich unfassbarer Vor- Scholz wird im Dezember im Finanzausschuss dazu Stel- gang, der dringend aufgeklärt werden muss! lung nehmen. Auch muss geklärt werden, was eigentlich passiert ist zwischen dem 18. Juni, als der Vergleich, den (Beifall bei der LINKEN) die Deutsche Bank in den USA geschlossen hat, bekannt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7793

Jörg Cezanne (A) wurde, und dem 16. November, als dieses automatisierte Blicken wir also noch einmal auf die Cum/Ex-Ge- (C) Erstattungsverfahren endlich geschlossen worden ist. schäfte, die mittlerweile besser bekannt sind. Kriminelle hatten dabei Aktiengeschäfte rund um den Dividenden- Zweitens. Wir müssen die deutsche Steuerverwaltung termin allein mit dem Ziel gemacht, sich Kapitalertrag- stärken; zu den Bruchstellen bei der wirksamen Bekämp- steuer zweimal erstatten zu lassen, obwohl sie nur einmal fung internationaler Kriminalität und des Steuerbetrugs gezahlt wurde. Die Gier mancher machte auch vor unse- gehört eben auch der Finanzföderalismus der deutschen ren Gesetzen nicht halt. Steuerverwaltung. Das war damals weder legitim noch rechtmäßig. Es (Beifall bei der LINKEN) war schlichtweg kriminell. Aber es war bis 2011 mög- Wir Linke haben bereits vor einiger Zeit vorgeschla- lich, weil unterschiedliche Stellen handelten: die eine, gen, eine Bundesfinanzpolizei einzurichten. Wenn Ihnen die den Steuerabzug vornahm, und die andere, die die das zu weit geht – mein Gott, wir sind ja nicht so –, dann Steuerbescheinigung ausstellte. Beides wurde mit der bilden Sie eine Taskforce im Ministerium. Holen Sie die OGAW-IV-Umsetzung in eine Hand gelegt. Spätestens Leute zusammen, die Sie dafür brauchen. Statten Sie seit 2012 sind die Cum/Ex-Geschäfte nicht mehr mög- die Taskforce mit dem nötigen Personal und der nötigen lich. Die steuerliche Systematik wurde verändert. Unter Technik aus, und gehen Sie da ran. Das Personal in der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wurde damit Steuerverwaltung muss so aufgestockt werden, dass die den Cum/Ex-Geschäften die Grundlage entzogen. Ein notwendigen Prüfungen tatsächlich durchgeführt werden Teil des entstandenen Schadens konnte mittlerweile zu- können, rückgeführt werden. Staatsanwaltschaften und Gerichte sind immer noch tätig. Es bleibt zu hoffen, dass mög- (Beifall bei der LINKEN – Uwe Feiler lichst viele Profiteure dieser kriminellen Geschäfte be- [CDU/CSU]: In Brandenburg anfangen!) straft werden. Offensichtliche Schlupflöcher sind zu schließen. Die Die Bundesregierung hat hier nicht weggeschaut, auch Kapitalertragsteuererstattungen durch ausländische In- wenn Sie versuchen, das zu suggerieren, sondern sie hat vestoren sind ja kein Nebenthema, das eine große Aus- gehandelt. Keine Bundesregierung, kein Finanzminister nahme darstellt. Sie sind eigentlich die Regel. Deshalb hat ein Interesse daran, Steuereinnahmen durch Betrüge- muss dringend geprüft werden – da sind Sie hoffentlich reien zu verlieren. wirklich dran –, ob die seit 2012 geltende Neuregelung, mit der die Zurechnung von gezahlter Ertragsteuer zu (Beifall bei der CDU/CSU) den Dividenden- und Aktienhaltern erreicht werden soll, Es gab – das stimmt auch – immer Steuerbetrug und überhaupt ausreichend ist. Steuerhinterziehung. Wir finden uns damit nicht ab. (B) Wir bekämpfen das. Wir wollen, dass jeder einen ange- (D) Letzte Sache: Das Unternehmensstrafrecht ist ange- messenen Beitrag leistet, damit die Einnahmen unseres sprochen worden. Die Spaltung der Gesellschaft kommt Staates gesichert bleiben und damit am Ende der Ehr- daher, dass das Gemeinwesen finanziell massiv geschä- liche nicht der Dumme ist. Gegen Steuerhinterziehung digt wird und dass staatliche Stellen offensichtlich nicht hilft vor allem Transparenz. Es hilft auch internationale ausreichend in der Lage oder willens sind, dem entge- Zusammenarbeit. Daran arbeitet die Große Koalition mit genzuwirken. Hochdruck. Ich danke Ihnen. Seit einer Woche reden wir nun über die US-Phantom­ (Beifall bei der LINKEN) aktien, über Cum-Fake. Dabei geht es um sogenannte ADRs. Das sind Hinterlegungsscheine, die von US-Ban- ken ausgestellt werden, stellvertretend für ausländische,

Vizepräsident Thomas Oppermann: zum Beispiel deutsche Aktien. Auf diesem Wege sind Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Aktien indirekt in Dollar und an US-Börsen handelbar. Matthias Hauer von der Fraktion CDU/CSU. Das erleichtert US-Anlegern ein Investment in auslän- (Beifall bei der CDU/CSU) dische Aktien, zum Beispiel auch in deutsche Aktienge- sellschaften, die eben an keiner US-Börse notiert sind. Einige US-Großinvestoren, vor allem Pensionskassen, Matthias Hauer (CDU/CSU): können aufgrund bestimmter Vorgaben nur auf diesem Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Wege in deutsche Aktiengesellschaften investieren. Herren! In den letzten drei Jahren haben wir uns mit den Cum/Ex-Geschäften intensiv befasst: heute wie auch in An sich sind solche Hinterlegungsscheine also erst den vergangenen Jahren hier im Plenum, aber auch in einmal keine schlechte Sache. Normalerweise müssen zu einem eigens dafür eingerichteten Untersuchungsaus- den ADRs Aktien hinterlegt sein, und zwar bei einer De- schuss. potbank im Heimatland des Unternehmens. (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Genau!) Heute in der Aktuellen Stunde diskutieren wir über das Thema Cum-Fake. Wieder geht es um angebliches Einigen Großbanken und Aktienhändlern wird nun Dividendenstripping. Es geht um Kapitalertragsteuer, vorgeworfen, vor dem Dividendentermin missbräuchlich diesmal Phantomaktien in den USA. Weil das Thema erst massenhaft ADRs herausgegeben zu haben, für die eben vor wenigen Tagen bekannt geworden ist, liegen dazu noch keine Aktien hinterlegt waren. Entsprechende Er- bislang wenig gesicherte Informationen vor. mittlungen der US-Börsenaufsicht laufen. Es kam auch 7794 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Matthias Hauer (A) bereits zu Vergleichszahlungen; wir haben das gehört. und dort Rede und Antwort steht. Das halte ich für einen (C) Auch die Deutsche Bank muss in diesem Zusammenhang viel intensiveren Austausch, als dass er hier drei Minuten noch einige Fragen zu ihren US-Töchtern beantworten, redet und von uns hört, was er sowieso schon weiß. sicherlich ebenso zu der heute laufenden Razzia, auch wenn das in einem anderen Zusammenhang war. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ob im Zusammenhang mit amerikanischen ADRs dem deutschen Fiskus ein Schaden entstanden ist, wird Also, von daher ist diese Kritik, glaube ich, falsch. aktuell untersucht. Es ist gut, dass die Bundesregierung Gerhard Schick hat gesagt: Wir müssen die Fehlent- den Sachverhalt sehr ernst nimmt und angekündigt hat, wicklungen kennen. – Ich finde es sehr gut, die inneren die Aufklärung mit Nachdruck zu verfolgen – in enger Strukturdefizite zu kennen. Aber man darf jetzt nicht so Abstimmung mit den Ermittlungsbehörden und mit den tun, als ob das wirklich möglich wäre. Wir werden diese obersten Finanzbehörden der Länder. Wir brauchen dazu Defizite nie richtig kennen. völlige Klarheit. Das ist auch meine Erwartungshaltung an den Bundesfinanzminister und die Bundesregierung Gerhard Schick hat auch gesagt: Wir dürfen nicht so insgesamt. tun, als seien das Kinkerlitzchen. Für konstruktive Vorschläge der Opposition haben (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE wir – das wissen Sie – immer ein offenes Ohr. Konstruk- GRÜNEN]: Das war die Zusammenfassung tive Vorschläge, zumindest von der Linken und der AfD, des Untersuchungsausschusses!) waren heute völlige Fehlanzeige. Das klingt ein bisschen so, als ob hier jemand so täte, als (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) seien das Kinkerlitzchen. Keiner hier im Raum tut so. – Sie lachen. Sie hätten die Vorschläge gerade präsentie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ren können. Ich habe genau zugehört. Dieses Vorgehen ist kriminell. Das ist ein Vergehen am (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Das habe Steuerzahler. Das ist ein Vergehen an unserem Staatswe- ich!) sen, an unserer Rechtsordnung. Das sind keine Kinker- litzchen. Da kam von Ihnen nur heiße Luft. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE Wir werden das Thema, wenn mehr Informationen GRÜNEN]: Lies doch mal, was ihr damals vorliegen, im Finanzausschuss und sicherlich auch hier im Untersuchungsausschuss aufgeschrieben (B) im Plenum weiter beraten. Ihnen geht es um Skandalisie- habt!) (D) rung. Uns geht es um Aufklärung und Bekämpfung von Steuerbetrug. Selbst wenn es nicht gleich um Beträge von 30 Milliar- den Euro geht: Ich finde, auch ein paar Hundert Millio- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. nen Euro sind keine Kinkerlitzchen. Ich glaube, dass die- (Beifall bei der CDU/CSU – Fabio De Masi se Maßstäbe durch die Sprache durcheinanderkommen. [DIE LINKE]: Von mir kamen fünf!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Natürlich, wir dürfen den Banken nicht automatisch Der nächste Redner ist der Kollege Lothar Binding, vertrauen; das haben wir bestimmt gelernt. Aber wir dür- SPD-Fraktion. fen auch, meine ich, keine Kultur des Misstrauens ent- (Beifall bei der SPD) wickeln. (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: So ist es!) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wir müssen nicht allen mit Misstrauen begegnen, bloß Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! weil es Betrüger gibt. Da, glaube ich, würden wir uns et- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade nach der lan- was antun, was unsere Gesellschaft in einer neuen Weise gen Debatte über Cum/Ex und Cum/Cum irritieren mich justieren, eine neue Kultur entwickeln würde. einige Äußerungen, die hier formuliert werden, auch die Frage nach der Anwesenheit des Ministers. Christine Es gibt auch manchmal Verwechslungen. Fabio De Lambrecht ist hier, das Ministerium ist vertreten. Masi hat gesagt – ich zitiere ihn –: Cum-Fake, hätten wir gesagt, sei seit 2012 nicht mehr möglich. – Das stimmt (Dr . Florian Toncar [FDP]: Sie sagt nichts! – aber gar nicht. Wir haben gesagt: Das gilt für Cum/Ex. Frank Schäffler [FDP]: Und der Minister?) Cum-Fake ist eben nicht Cum/Ex. Cum/Ex ist nach bes- Und: Wir haben in der Obleutebesprechung verabredet, tem Wissen und Gewissen – das haben wir oft vorge- dass der Minister – das ist mir viel mehr wert – persön- tragen – schon dichtgemacht. Die Kollegen Brehm und lich in den Ausschuss kommt Metin Hakverdi haben erklärt, dass Cum-Fake etwas anderes ist und wie es funktioniert. Insofern: Wenn wir (Dr . Florian Toncar [FDP]: In nichtöffentli- das alles durcheinandermischen, wird alles unklar. Aus cher Sitzung!) dieser Unklarheit entsteht Misstrauen, und die Analyse Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7795

Lothar Binding (Heidelberg) (A) wird unmöglich. Wenn ich alles durcheinanderwerfe, nicht in Anspruch nehmen, gesammelt wurden und je- (C) dann stehe ich mir selbst im Weg. mand anderem diese Erstattung zugesprochen wurde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Da merkt man schon: Es wurde zwar eine Steuer ge- der CDU/CSU) zahlt, aber die Erstattung ging quasi an den Falschen. Das war sozusagen der Betrug von Steuerbürgern unter Übrigens, dass die Staatsanwaltschaft Köln und be- Steuerbürgern. Das Dumme ist nur: Die einen haben das sonders der WDR und die „Süddeutsche Zeitung“ uns System verstanden und ausgenutzt, und die anderen wa- wichtige Hinweise gegeben haben, dafür können wir ren gutmütig und sagten: Ich lasse das der Gemeinschaft. dankbar sein. Diese Aufmerksamkeit ist so etwas wie so- ziale Kontrolle. Da merkt man, wie hinterhältig das System funktio- niert. Deshalb ist es klar, dass es gut ist, dass das BMF (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Länder beauftragt hat, über die Oberfinanzdirektio- Wenn die fünfte Gewalt, die Medien, diese Aufgabe er- nen dort sofort aktiv zu werden, und dass Analysen lau- füllen, finde ich das ganz großartig. fen sollen. Es gibt eine ganze Reihe von Aktivitäten, die das BMF schon unternommen hat. Der BMF hat dann in kurzer Zeit diese Hinweise auf- gegriffen. Übrigens haben wir von der entsprechenden Bei ein paar Dingen verstehe ich auch, dass uns nicht Abteilung im Ministerium gelernt, dass diese Geschäfte alles so offen erzählt wird. Es ist vielleicht ganz gut, schon lange in Beobachtung sind, der BMF aber noch wenn ich dem Dieb nicht sage, an welcher Stelle ich keinen Anlass hatte, diesem Verdacht konkret nachzuge- nächste Nacht auf ihn warte. hen, weil es überhaupt keinen Fall gab. Worüber reden (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir eigentlich? Über nicht existente Fälle. Also geht es im Moment darum, etwas prophylaktisch zu tun. Wir Das ist doch klug, wenn ich das nicht mache. Es ist doch hätten ein Gesetz gemacht; wir haben ja auch § 50j in geradezu dumm, so zu tun, als ob Transparenz an sich in Verbindung mit § 36a EStG geregelt. Das sind aber alles diesem Geschäft einen Eigenwert hätte. Dinge, die jetzt erledigt sind. Jetzt reden wir über das Insofern sind wir, glaube ich, noch nicht auf einem Neue. guten Weg. Wir haben noch keine richtigen Antworten, Ich habe übrigens in einer meiner letzten Reden – ich wissen aber auch noch gar nicht, wovon wir reden. glaube, in einer kurzen Auseinandersetzung im Dialog Schönen Dank. mit Gerhard Schick – gesagt, dass wir auch jetzt nicht wissen, was in dieser Sekunde passiert. Das kann etwas (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (B) ganz Neues sein. (D) Ich habe damals gesagt: Wer in dieser Sekunde weiß, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: was jetzt passiert, der möge es sagen. – Das wiederhole Der letzte Redner ist der Kollege Uwe Feiler, CDU/ ich. Wer jetzt weiß, was demnächst das neue Neue sein CSU-Fraktion. wird, der möge es jetzt sagen. Dann gehen wir der Sache (Beifall bei der CDU/CSU) sofort nach. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Uwe Feiler (CDU/CSU): CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- Nein, es wird immer vorkommen, dass etwas Neues nen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie Ihre Erfahrungen entdeckt wird. Deshalb sind wir auch dankbar für die Un- in den Wahlkreisen sind. Wenn ich in Bürgergesprächen tersuchungen von Journalisten, die sich da einarbeiten, auf die Finanzwirtschaft zu sprechen komme – das lässt und wir sind alarmiert. Dieses Alarmiertsein hat einen sich als Finanzpolitiker nur selten vermeiden –, fällt das hohen Eigenwert. Urteil meiner Gesprächspartner häufig wenig schmei- chelhaft aus. Dabei sind die meisten Kunden mit ihren Aber wenn noch keine Erkenntnisse vorliegen, sollte Kreditinstituten vor Ort durchaus zufrieden. man auch nicht ganz ausführlich über die nicht vorhande- nen Erkenntnisse reden. Gewiss hat das Image der Banken sich gewandelt, und dem Trend, dass das Investmentgeschäft das klassi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sche Einlagengeschäft längst überholt hat, konnten und wollten sich auch die deutschen Institute nicht entzie- Prophylaktisch ist natürlich etwas möglich. Dieses Da- hen. Aber während vor 30 Jahren der örtliche Bank- oder tenträgerverfahren bedeutete ja, dass ausländische Ban- Sparkassendirektor noch zu den Honoratioren der Stadt ken mit digitalen Sammelaufträgen zur Erstattung beim oder Gemeinde gehörte, sieht sich diese Berufsgruppe BZSt, beim Bundeszentralamt für Steuern, vorsprechen nunmehr einer Vertrauenskrise gegenüber, obwohl sich konnten und das Geld bekommen haben. an der Rechtschaffenheit der Akteure vor Ort in der Re- Es ist nicht ganz klar, ob in diesen Sammelinformati- gel überhaupt nichts geändert hat. onen nicht etwas versteckt ist, was man nicht erkennen (Beifall bei der CDU/CSU) konnte, zum Beispiel, dass tatsächlich bezahlte Steuern von Leuten nicht zurückgezahlt wurden und dann plötz- Neben Cum/Cum- und Cum/Ex-Geschäften setzen Fi- lich dieser Bodensatz, wie jemand sagte, möglicherweise nanzinstitute mit einem starken Engagement in den USA von Kleinaktionärsdividenden, die die Rückerstattung auch auf Cum-Fake-Gestaltung. Aber was genau ist das, 7796 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Uwe Feiler (A) und wie ist es in Deutschland passiert? Hier laufen jetzt Aber der erste und zweite Punkt alleine reichen nicht. (C) gerade die Ermittlungen. Meine Vorredner haben ge- Es kommt noch ein dritter wichtiger und wesentlicher schildert, wie diese Fälle praktiziert werden. Vielleicht Punkt hinzu, und das ist die Frage nach Personal. hat das BMF bisher noch nichts gesagt, weil es dafür ermittlungstaktische Gründe gibt. Das mag ja durchaus (Beifall des Abg. Fabio De Masi [DIE sein. LINKE]) Herr De Masi, Sie haben Cum/Ex angesprochen und Meine Damen und Herren, wenn wir die notwendi- von 30 Milliarden Euro Schaden gesprochen. Ich halte gen Stellen beim Bundeszentralamt für Steuern sowie mich lieber an die Zahlen des Bundesfinanzministeri- in den Finanzbehörden in den Ländern nicht mit Men- ums, das von 5,3 Milliarden Euro ausgeht. Das ist immer schen besetzen, also nur diese Stellen haben, dann wer- noch eine stattliche Summe, ein hoher Betrag. den wir unsere Aufgaben nicht erfüllen können. Unsere Finanzbeamten sind hochqualifiziert und machen einen (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE hervorragenden Job. Jedoch kann ich als Mitglied der GRÜNEN]: Mehr, als Sie im Ausschuss zuge- Steuer-Gewerkschaft meinem Bundesvorsitzenden geben haben!) Thomas Eigenthaler nur beipflichten, wenn er sagt, dass man einen Ferrari nicht mit dem Fahrrad verfolgen kann. 2,4 Milliarden Euro sind bereits zurückgefordert, und 80 Prozent Personalbesetzung in den Finanzämtern der 1,1 Milliarden Euro sind entsprechend zurückgezahlt Länder! worden. Übrigens, Herr De Masi: In Brandenburg ist ein Lin- Bei Cum-Fake wird von einem Schaden von rund ker Finanzminister. Der ist nicht gerade Vorreiter und 100 Millionen Euro – vielleicht auch ein wenig mehr – stellt sich nicht an die Spitze der Bewegung für mehr gesprochen, obwohl wir überhaupt keine Hinweise ha- Personalausstattung. ben. Wir haben nicht einen einzigen Fall. Wir wissen gar nicht, was los ist. Hier laufen die Ermittlungen, und es (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE werden Zahlen in den Raum gestellt. GRÜNEN]: Da sitzen aber keine Großban- ken!) Dem Bundesfinanzminister und seinem Vorgänger wird Untätigkeit vorgeworfen. Ich nenne nur ein paar Meine Damen und Herren, noch einmal: Wir müssen Stichworte aus der letzten Legislaturperiode – da mag als Bund und insbesondere auch in den Ländern unsere der eine oder andere von Ihnen mit dabei gewesen sein –: Finanzverwaltung mit mehr Personal stärken, weil nur BEPS, automatischer Informationsaustausch, Aufhebung Kontrolle einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung (B) des Bankgeheimnisses, Steuerumgehungsbekämpfungs- von Steuerkriminalität und Steuerhinterziehung leisten (D) gesetz mit Befugnissen für die Finanzbehörden und An- kann. zeigepflichten der Banken. Das alles und vieles mehr haben wir in der letzten Legislatur auf den Weg gebracht. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der SPD) ordneten der SPD) Jetzt hat der Bundesfinanzminister – das ist auch rich- tig so – das automatisierte Erstattungsverfahren für die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Kapitalertragsteuer gestoppt und die Länderfinanzbehör- Vielen Dank, Herr Kollege. – Das war der letzte Red- den über den Sachverhalt informiert. Meine Damen und ner. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Herren, Untätigkeit sieht in meinen Augen anders aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Er- der SPD) gebnis der Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten des Deutschen Bundestages bekannt – der Bundestag hat Mit diesen Behauptungen und nicht belegten Zahlen 709 Mitglieder –: abgegebene Stimmzettel 654. Mit Ja schüren gewisse Leute hier in diesem Hause Ungewiss- haben gestimmt 223 Abgeordnete, mit Nein haben ge- heit und spalten unsere Gesellschaft, wie es eigentlich stimmt 387 Abgeordnete, 44 Enthaltungen. Die Abge- nur die Damen und Herren von der rechten Seite tun. ordnete Mariana Iris Harder-Kühnel hat die erforderli- Aber welche Lehren sollten wir eigentlich aus dieser De- che Mehrheit von mindestens 355 Stimmen damit nicht batte ziehen? erreicht, und sie ist damit nicht zur Stellvertreterin des 1) Wir müssen erstens weiter wachsam sein im Kampf Präsidenten gewählt. gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, und wenn Für diesen Fall hat die Fraktion der AfD eine Unter- es den Gesetzgeber fordert, dann müssen wir als Gesetz- brechung der Sitzung für eine Fraktionssitzung bean- geber natürlich auch entsprechend tätig werden. tragt. – Die übrigen Fraktionen sind damit einverstanden. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ja! Schrei- Ich unterbreche die Sitzung. ten Sie voran!) (Unterbrechung von 17.18 bis 18.00 Uhr) Zweitens müssen wir unsere Finanzbehörden und die Finanzverwaltung technisch besser ausstatten. 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 7 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7797

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: len Mietrechts mit stärkerem Kündigungsschutz wird auf (C) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die unter- die sozialen Träger ausgeweitet. Das ist ein Riesenerfolg. brochene Sitzung fort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Nissen [SPD]: Klasse!) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund macht regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- aber noch mehr. Wir wollen mehr Geld in den sozialen zes zur steuerlichen Förderung des Mietwoh- Wohnungsbau stecken, insgesamt 5 Milliarden Euro in nungsneubaus dieser Legislatur. Dazu haben wir heute die Grundge- setzänderung beschlossen. Ab nächstem Jahr besteht also Drucksachen 19/4949, 19/5417, 19/5647 Nr. 15 keine Befristung der Fördermöglichkeit sozialen Woh- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- nungsbaus durch den Bund mehr, sondern es wird ent- ausschusses (7. Ausschuss) fristet, weil das Grundgesetz geändert wird. Drucksache 19/6140 (Beifall bei der SPD) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Wir haben aber auch die Bundeshaushaltsordnung gemäß § 96 der Geschäftsordnung geändert, sodass öffentliche Liegenschaften in Zukunft nicht mehr meistbietend veräußert werden können, wie Drucksache 19/6154 das in meinem Wahlkreis beim Dragoner-Areal der Fall Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen war und wo der Vertrag jetzt rückabgewickelt wird. Nein, ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- in Zukunft sollen öffentliche Liegenschaften des Bundes nen sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion der verbilligt an die Kommunen abgegeben werden können, FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über wenn sozialer Wohnungsbau geplant ist. den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- (Frank Schäffler [FDP]: Steht das im Ge- nen werden wir später namentlich abstimmen. setz?) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Wir werden auch das Wohngeld reformieren. Darüber nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. hinaus – auch ein ganz besonderes Anliegen von mir – sollen die Share Deals abschafft werden, die es ermögli- Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin ist die chen, die Grunderwerbsteuer zu umgehen; das haben wir Kollegin Cansel Kiziltepe. uns ebenfalls vorgenommen. (B) (D) (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles sind Projek- Cansel Kiziltepe (SPD): te der Koalition, die in der Summe den Namen „Wohn- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! raumoffensive“ verdienen. Die Mieten in unserem Land explodieren, und bezahlba- rer Wohnraum wird immer knapper. Genau aus diesem (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Grund ist einer der Schwerpunkte der Arbeit dieser Koa- GRÜNEN]: Leider nicht!) lition eine Wohnraumoffensive. Aber heute, in dieser Debatte, geht es auch um ein Heute ist ein besonderer Tag, weil wir heute den weiteres Instrument. Der vorliegende Gesetzentwurf Schutz für Mieterinnen und Mieter ausbauen. Einige möchte zudem einen steuerlichen Anreiz setzen, um den Punkte möchte ich hier herausgreifen. Mietwohnungsneubau anzukurbeln. Damit diese Förde- rung nicht aus der Spur läuft, damit also nicht nur Luxus- Die Modernisierungsumlage wird begrenzt. In Zu- wohnungen entstehen, haben wir verschiedene Leitplan- kunft sind statt 11 Prozent nur noch 8 Prozent der Kos- ken gezogen. ten umlegbar, und die Modernisierungskosten werden gekappt, insbesondere für günstige Wohnungen, damit Die Herstellungskosten sollen auf 3 000 Euro pro Mieterinnen und Mieter nicht herausmodernisiert wer- Quadratmeter begrenzt werden, ansonsten gibt es keine den. Förderung. Die Bemessungsgrundlage für die Sonderab- schreibung wird auf maximal 2 000 Euro pro Quadratme- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ter begrenzt, damit keine teuren Wohnungen entstehen Wer gezielt herausmodernisiert, der soll in Zukunft mit können. Außerdem müssen die geförderten Wohnungen einem Bußgeld von bis zu 100 000 Euro bestraft werden. für eine gewisse Zeit vermietet werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli (Beifall bei der SPD) Nissen [SPD]: Super!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht alles, Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ganz besonderer was wir in diesem Gesetzentwurf erreicht haben. Auch Punkt, für den ich mich schon seit längerem einsetze, ist, für Genossenschaften beinhaltet er einen Punkt. Wir dass die Schutzlücke für soziale Träger geschlossen wird. haben erreicht, dass Wohnungsgenossenschaften in Zu- Das ist notwendig. Hier soll zukünftig nicht mehr das kunft in ihrem Vermietungsgeschäft auch dann steuerfrei Gewerbemietrecht gelten, sondern der Schutz des sozia- bleiben, wenn ihre anderen Einnahmen die bisherige 7798 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Cansel Kiziltepe (A) 10-Prozent-Grenze überschreiten, weil wir diese schäd- Sie gut zu – in der letzten Woche konnte kein Experte (C) liche Grenze auf 20 Prozent angehoben haben. Ihrem Gesetzesvorschlag etwas Positives abgewinnen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD) Wohnungsgenossenschaften können in Zukunft Mieter- Mit dem Mietrechtsanpassungsgesetz, das heute noch strom herstellen, auch wenn das bis zu 20 Prozent an behandelt wird, und dem hier vorliegenden sprechen Sie den Gesamteinnahmen ausmacht. Das ist, glaube ich, beide Mal die gleiche Klientel an: den privaten Investor. eine gute Nachricht für die Genossenschaften in unserem Durch das eine erhält er Zuckerbrot, durch das andere Land. die Peitsche. Was ist das für eine Logik? Dass Sie mit Ihrem Handeln die Immobilien- und Mietpreise weiter Vielen Dank. nach oben treiben, ist beschämend. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Die angesetzten Kostengrenzen für die Schaffung von Wegner [CDU/CSU]) Wohnraum sind mit 3 000 Euro pro Quadratmeter gerade in den Hotspots, dort wo die Wohnungen gebraucht wer- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: den, viel zu niedrig angesetzt. Sollten größere Investoren wider Erwarten doch in der Lage sein, mit niedrigeren Der nächste Redner für die AfD-Fraktion: der Kollege Kosten auszukommen, scheitern diese mit Sicherheit an . der De-minimis-Grenze von 200 000 Euro innerhalb von (Beifall bei der AfD) drei Veranlagungszeiträumen. Hier noch ein ganz besonderes Schmankerl. Gemäß Udo Theodor Hemmelgarn (AfD): dem vorliegenden Gesetzentwurf soll der Bau von Woh- nungen in jedem Staat, der Mitglied im Europäischen Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Wirtschaftsraum ist, gefördert werden. Ich frage mich nen und Kollegen! Liebes Publikum auf den Tribünen! ernsthaft: Warum? Mit dem Geld des deutschen Steuer- Die letzte wichtige Gesetzesinitiative im Wohnungsbau- zahlers würden dann nicht nur Wohnungen in Griechen- bereich war die Abschaffung der Eigenheimzulage durch land, Spanien oder Italien steuerlich gefördert, sondern die rot-grüne Regierung Schröder im Jahr 2004. auch in Island oder Norwegen. Welches Interesse hat der In der Zeit der Merkel-Regierungen, also seit 2005, deutsche Steuerzahler an der Errichtung von Mietwoh- hat sich in diesem Bereich nichts, aber auch gar nichts nungen in Reykjavik, Pisa, am Ballermann oder in Fran- getan. zösisch-Guayana? (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der AfD) Vor den Auswirkungen der stetigen Landflucht, der Es liegt auf der Hand, dass die deutsche Wohnraummi- EU-Osterweiterung und der Migrationswelle wurden die sere, die Sie verursacht haben, damit nicht gelöst werden Augen fest verschlossen. Seitdem hat sich insbesondere kann. in den Metropolen ein Wohnungsmangel aufgebaut, der Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, in mehr als nur besorgniserregend ist. dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnun- gen zu bauen; in diesem Jahr werden es gerade einmal (Sepp Müller [CDU/CSU]: Reichsbürger!) 300 000 Wohnungen. Ihr Ziel ist eine Illusion und bleibt Die Erwartungen an den vorgelegten Gesetzentwurf wa- eine Illusion. ren deshalb von unserer Seite hoch. Doch es ist kaum zu Die Nachfrageseite wird von Ihnen erst gar nicht be- fassen, welcher Murks dem Parlament hier zur Abstim- handelt. Welche Maßnahmen wären zu ergreifen, um den mung vorgelegt wird. Nachfragedruck zu reduzieren? Die Bauwirtschaft in unserem Land ist zu fast 100 Pro- Erstens. Die Infrastruktur auf dem Land muss dringend zent ausgelastet, und auch mit richtigen Ideen lässt sich nachhaltig verbessert werden – über- und unterirdisch. höchstens ein Neubauzuwachs von einigen Prozenten er- Um auf eine aktuelle politische Äußerung zu reagieren: zielen. Wir haben Ihnen doch vernünftige Vorschläge zur Jawohl, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch Behebung der Wohnraummisere gemacht: Reduktion der die letzte Milchkanne braucht schnelles Internet. Nur so Grunderwerbsteuer, Aussetzen der Energieeinsparver- kann sie von modernen, digital operierenden Transport- ordnung, Aufhebung der Mietpreisbremse, Erhöhung der systemen abgeholt werden. Nur so entsteht neben ihr eine linearen Abschreibung auf 3 Prozent per anno. Molkerei mit neuen, trendigen Angeboten. Was die Bundesregierung hier jedoch vorlegt, ist ein Zweitens. Frau Bundeskanzlerin Merkel, nehmen Sie Witz. Wie man in einen heißgelaufenen Markt auch noch endlich den Migrationsdruck von diesem Land. Selbst Steuergeld hineinwerfen kann, ist mir ein Rätsel. Das Ihre politische Weggefährtin und frühere amerikanische entspricht in keinster Weise den Marktgesetzen. Ihr blan- Außenministerin Hillary Clinton hat das in dieser Woche ker Aktionismus und die kopflose Reaktion liegen einzig gefordert. und allein darin begründet, dass Ihre Zustimmungswer- te bei den Bürgern derzeit schmelzen wie Schnee in der (Ulli Nissen [SPD]: Wir haben uns schon Sonne. Selbst in der Sachverständigenanhörung – hören gewundert, wann das kommt!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7799

Udo Theodor Hemmelgarn (A) Schieben Sie endlich abgelehnte Asylbewerber konse- wird, ist in Erfüllung gegangen. Ich möchte mich dafür (C) quent ab. ganz herzlich bei meinen Kollegen in der eigenen Frak- tion, aber auch beim Koalitionspartner SPD bedanken. (Beifall bei der AfD) Vielen Dank, für die Arbeit, die wir in vielen Bericht- Dort, wo es möglich ist, sind subsidiär Schutzberechtigte erstattergesprächen, in Einzelgesprächen geleistet haben. in ihre Heimat zurückzuführen. Ich glaube, wir haben in diesem Fall alle Punkte und alle möglichen Problemstellungen ausgiebig und ausreichend Ich habe im März Syrien besucht, und ich kann Ihnen diskutiert. Der Dank gilt natürlich auch dem Ministeri- sagen: Über 90 Prozent des Landes sind befriedet. um, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMF für (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Unterstützung, die Hilfestellung in vielen Bereichen NEN]: Waren Sie auch dabei?) und für die Zurverfügungstellung von Umdrucken und weiteren Erläuterungen. Immer mehr syrische Flüchtlinge kehren aus dem Aus- land in ihre Heimat zurück. Die UN spricht von mehr als (Frank Schäffler [FDP]: So geht die Redezeit 1 Million seit Anfang dieses Jahres. Nur aus Deutschland auch rum!) wird nicht zurückgeführt. Kolleginnen und Kollegen, gegen die angespannte (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: „Steuerliche Lage auf vielen Wohnungsmärkten in Deutschland hel- Förderung des Mietwohnungsneubaus“ ha- fen aus meiner Sicht drei Dinge: erstens bauen, zweitens ben wir als Thema! Falsche Rede! Kommen bauen und drittens Sie zum Thema! – Zuruf des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) (Cansel Kiziltepe [SPD]: Bauen!) – Das sage ich Ihnen im Anschluss. Sie können mich ja noch mehr bauen. Dieses Gesetz wird dabei helfen. Es ist gleich fragen. – Sollte diese Regierung am 10. Dezember ein Baustein unserer Wohnraumoffensive, und ich glau- auch noch den Global Compact for Migration unterzeich- be, wir sollten hier nicht so tun, als ob es das Einzige nen, werden Sie das genaue Gegenteil erreichen: eine wäre, das wir tun, als ob es die einzige Maßnahme wäre, Erhöhung des Migrationsdrucks zum Nachteil unseres die wir derzeit auf den Weg bringen. Landes und unserer Bürgerinnen und Bürger. Die GroKo tut im Bereich Wohnraum viel mehr: Bau- (Beifall bei der AfD – Sebastian Brehm kindergeld, Stärkung des sozialen Wohnungsbaus, För- [CDU/CSU]: Sie halten die falsche Rede!) derung des altersgerechten Umbaus, Fortführung der Sie haben vermutlich nicht annähernd eine Vorstellung Städtebauförderung, Baulandmobilisierung, Weiterent- (B) davon, wie sich der deutsche Wohnungsmarkt dann dar- wicklung des Bauordnungsrechts und die Verbesserun- (D) stellen wird. gen bei der Wohnungsbauprämie, die anstehen, und, und, und. Das ist viel, und man muss sich schon die Mühe Insgesamt lässt sich feststellen: Das Gesetz zur steu- machen, diese steuerliche Förderung des Mietwohnungs- erlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus ist völlig neubaus im Kontext dieses Gesamtpaketes zu sehen. unsinnig und das Papier nicht wert, auf dem es steht. Ihr Gesetz ändert nichts an den bestehenden Problemen. Wir Lassen Sie mich noch kurz die Eckpunkte dieses lehnen es ab. Gesetzes skizzieren. Es handelt sich um eine befristete Sonderabschreibung, um dem Neubau von bezahlbaren Vielen Dank. Mietwohnungen einen zusätzlichen Impuls zu geben. Sie (Beifall bei der AfD – Christian Kühn [Tü- beträgt zusätzlich zur linearen Abschreibung über vier bingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Jahre 5 Prozent pro Jahr; das ist ohne Frage ein Anreiz Hemmelgarn, im Ausschuss sind Sie viel zah- für viele private Investoren. mer als hier bei der Rede!) (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Wohl nicht!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU Und um die Förderung zielgenau auf bezahlbaren Wohn- der Kollege Olav Gutting. raum auszurichten, haben wir hier festgelegt, dass die Anschaffungs- und Herstellungskosten ohne Grund und (Beifall bei der CDU/CSU) Boden 3 000 Euro pro Quadratmeter nicht übersteigen dürfen. (CDU/CSU): Olav Gutting Es haben viele Fachgespräche im Verlauf der letzten Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Tage und Wochen stattgefunden, und da gab es auch ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist vollbracht: Kritik hinsichtlich dieser 3 000 Euro. Man muss schon Der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzent- zugeben: Diese 3 000 Euro in den nächsten Jahren ein- wurf zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneu- zuhalten, wird sportlich sein. Aber sie sind eben auch der baus wird heute im zweiten Anlauf, nachdem wir uns notwendige Anreiz, um innovativ und kostengünstig zu schon in der letzten Legislaturperiode daran versucht bauen; denn wir wollen keinen Luxuswohnraum, son- haben, endlich angenommen. Mein Wunsch, mein Ap- dern wir wollen bezahlbaren Wohnraum. pell aus der ersten Lesung – es ist gerade mal sechs Wo- chen her –, dass der Gesetzentwurf schnell verabschiedet (Beifall bei der CDU/CSU) 7800 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Olav Gutting (A) In den Gesprächen gab es die einen, die sagen: Die ses Gesetz gegebenenfalls anzupassen, die Förderung (C) Grenze ist zu niedrig. – Die anderen sagen: Die Grenze eventuell zu verlängern oder weitere flankierende Maß- ist zu hoch. – Meine Erfahrung der letzten Jahre zeigt, nahmen zu ergreifen. Wir müssen unabhängig von dem dass wir in der Argumentation, wenn sie so läuft wie hier, heutigen Schritt darüber nachdenken, wie wir die steu- genau richtig liegen: Wir liegen in der Mitte, und deswe- erlichen Rahmenbedingungen beim Mietwohnungsbau gen sind die 3 000 Euro auch vertretbar und richtig. insgesamt auf neue Füße stellen können. Ein Aspekt da- bei ist die Abschreibungsdauer von aktuell 50 Jahren; sie Ich bin nach der Anhörung bestärkt, dass diese Son- wird heute von vielen Sachverständigen als viel zu lang derabschreibung genutzt werden wird. Jede einzelne zu- erachtet. Der wirtschaftliche Verbrauch bei Mietobjekten sätzliche Wohnung zählt. Steuerliche Anreize haben in geht in der Realität oft viel schneller vonstatten. Deswe- Deutschland schon immer ihre Wirkung gezeigt; deswe- gen sollten wir darüber nachdenken, ob wir mit einer An- gen bin ich zuversichtlich, dass dieses Gesetz Wirkung hebung der linearen Abschreibung von 2 auf 3 Prozent zeigen wird. einen weiteren nachhaltigen Anreiz für Investitionen im Im Übrigen: Zu dem Quatsch vom Bau von Wohnun- Mietwohnungsneubau schaffen. gen in Reykjavik, den Sie von der AfD gerade erzählt (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. haben, sage ich: Erstens ist die Förderung des Baus von Frank Schäffler [FDP] – Frank Schäffler Ferienwohnungen durch dieses Gesetz ausgeschlos- [FDP]: Das kostet genauso viel!) sen, zweitens muss derjenige, der diese Förderung in Anspruch nehmen will, deutscher Steuerbürger sein, er Aber das ist hier heute nicht das Thema; darum geht muss hier einen Wohnsitz haben. es heute nicht. (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Ich habe (Markus Herbrand [FDP]: Doch!) nicht von Ferienwohnungen gesprochen!) Wir wollen jetzt schnell und befristet einen zusätzlichen Deswegen ist das, was Sie gerade erzählt haben, schlicht Anreiz schaffen. Und das können wir mit dem heutigen nicht richtig. Gesetz; deswegen können Sie hier heute auch zustim- men. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Erwähnenswert ist, dass diese Sonder-AfA auch mit Bernhard Daldrup [SPD]) anderen Wohnungsneubauförderungen kombiniert wer- den kann. Das heißt, die Sonder-AfA ist immer auch kumulativ nutzbar. Das ist ein wichtiger Aspekt in der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege (B) Diskussion darum, dass wir hier keine Mietpreisbindung (D) haben. Wenn zum Beispiel eine soziale Wohnungsbauför- Markus Herbrand. derung mit einer Mietpreis- oder Belegungsbindung mit (Beifall bei der FDP) dieser Sonder-AfA kombiniert wird, dann bleibt selbst- verständlich diese Mietpreisbindung bestehen. Das heißt, (FDP): die Sonder-AfA kann zusätzlich zur sozialen Wohnungs- Markus Herbrand bauförderung mit Mietpreisbindung oder auch zusätzlich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und zu möglichen Förderprogrammen für die Aufstockung Herren! Der hier zur Debatte stehende Gesetzentwurf zur von Gebäuden bzw. Dachgeschossaufbauten genutzt Förderung des Mietwohnungsneubaus gehört aus unserer werden. Auch hier ist eine kumulative Nutzung möglich. Sicht eindeutig in die Kategorie „Gesetze, die die Welt Und das ist wichtig, weil wir damit gerade diese Maß- nicht braucht.“ nahmen, die ja kein zusätzliches Bauland verbrauchen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- noch mal extra fördern können. Das hat auch einen öko- ten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE logischen Aspekt; deswegen ist diese Sonder-AfA mit GRÜNEN) der Möglichkeit, sie mit anderen Fördermaßnahmen zu kombinieren, goldrichtig. Und wer das vorher nicht geglaubt hat, dem muss spätes- tens die dazu im Bundestag durchgeführte Expertenan- Uns ging es in den Beratungen vor allem auch da- hörung die Augen geöffnet haben. Dort haben alle ge- rum, dass wir das Gesetz nicht mit unnötiger zusätzlicher ladenen Experten den Gesetzentwurf in wirklich selten Bürokratie überfrachten. Das Gesetz ist so, wie es jetzt gehörter Einigkeit und Eindeutigkeit regelrecht ausein- vorliegt, effektiv, praxistauglich, und mit ihm kann das andergenommen. Ziel, dem Mietwohnungsneubau zusätzliche Impulse zu geben, unbürokratisch erreicht werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU) Einigkeit bestand vor allem darin, dass dieses Gesetz Allen kritischen Stimmen sei gesagt: Dieses Gesetz ist vollkommen ungeeignet ist, das Problem anzugehen, ja nicht für die Ewigkeit. welches es vorgibt lösen zu wollen: den Mangel an be- (Markus Herbrand [FDP]: Hoffentlich!) zahlbarem Wohnraum. Dafür müsste nämlich bestenfalls sehr viel Wohnraum in sehr kurzer Zeit möglichst unbü- Dieses Gesetz haben wir ganz bewusst beschränkt und rokratisch geschaffen werden. Genau das schaffen wir begrenzt auf Baumaßnahmen, die bis 2021 begonnen mit diesem Gesetzentwurf nicht – darin waren sich alle werden. Niemand hindert uns im Übrigen daran, die- Experten einig. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7801

Markus Herbrand (A) Frau Kollegin Kiziltepe, Sie haben bewusst oder un- setzentwurf durch eine einfache, aber sinnvolle Alterna- (C) bewusst in der Anhörung für einen starken Moment ge- tive. Wir helfen Ihnen dabei gerne. sorgt, als Sie in die Runde der Experten fragten: Gibt es denn hier überhaupt niemanden, der irgendetwas Gutes (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Udo über dieses Gesetz sagen kann? – Da war betretenes Theodor Hemmelgarn [AfD]) Schweigen im Raume. Niemand konnte etwas Gutes zu Stimmen Sie also unserem Entschließungsantrag zu, dem Gesetzentwurf sagen, weder die Experten noch die in dem wir fordern – ganz einfach, ganz unbürokratisch, Parlamentarier. dafür aber umso effizienter –, die bisher 2‑prozentige li- Das Gesetz ist auch deshalb so unbrauchbar, weil sein neare Abschreibung durch eine 3‑prozentige zu ersetzen. Anwendungsbereich so begrenzt ist: Nicht nur die abso- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) lute Höhe der Herstellungskosten soll begrenzt werden, sondern zusätzlich auch die Bemessungsgrundlage der Die Haushaltswirkungen wären überschaubar, wie mein förderfähigen Herstellungskosten, und es soll auch noch Kollege Schäffler über eine Anfrage ermitteln konnte. zeitlich befristet werden. Wir hätten dann mehr Planungssicherheit für Unterneh- mer und Bauherren, wirklich wirksame Anreize für In- Das alles und noch viel mehr macht das Gesetz wirk- vestitionen und nicht noch mehr unnötige bürokratische lich zu einem praxisuntauglichen Bürokratiemonster. Hürden, als wir sie ohnehin schon in unseren Gesetzen Nicht nur Steuerberater, Steuerbürger und Finanzäm- haben – eine dauerhafte Lösung zur Bekämpfung der ter dürfen zukünftig die Einhaltung der verschiedenen Wohnungsnot in Ballungszentren. Höchstgrenzen und Haltungsdauern überwachen und bis zu neun oder zehn Jahre rückwirkende Änderungen vor- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. nehmen. Dieser Bürokratiewahnsinn passt eins zu eins (Beifall bei der FDP) zu den jetzt bekanntgewordenen Vorstellungen des Fi- nanzministers zur Reform der Grundsteuer. Die beiden Gesetze alleine sind geeignet, alle Bürokratieabbaube- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: strebungen der letzten Jahre zunichte zu machen, liebe Nächste Rednerin ist die Kollegin Caren Lay, Fraktion Kolleginnen und Kollegen. Die Linke. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sollen wissen: Wenn dieses Gesetz so kommt, dann können wir uns zu- Caren Lay (DIE LINKE): künftig eigentlich auch die Anhörungen im Ausschuss Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (B) (D) ersparen. Es kann einfach nicht sein, dass ein so eindeu- Herren! Was wir heute verhandeln, ist ein politisches tiges Expertenurteil von der Großen Koalition ignoriert Tauschgeschäft, ein Deal: Jetzt bekommt die Union ihre wird, Steuergeschenke für die Immobilienwirtschaft, in einer (Frank Schäffler [FDP]: Das war vernich- Stunde dann die SPD die Mini-Nachbesserung bei der tend!) Mietpreisbremse. nur weil das nicht zum Koalitionsvertrag passen würde. (Ulli Nissen [SPD]: Mini? Eine Super-Nach- besserung!) (Beifall bei der FDP) In der letzten Legislatur haben sich Union und SPD bei Stellvertretend für die Meinungen der vielen Exper- den beiden Gesetzesvorhaben noch wechselseitig blo- ten möchte ich nur aus einer Stellungnahme zitieren, und ckiert. Heute sollen wir zwei ausgesprochen schlechte zwar aus der Stellungnahme des Bundesrechnungshofs, Gesetze beschließen. Das ist nun wahrlich kein Fort- der wirklich nicht zur FDP gehört: schritt, meine Damen und Herren. Der Bundesrechnungshof bezweifelt, dass die Ziel- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- setzung mit dem Entwurf effektiv und effizient um- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gesetzt werden kann. Schon vor einigen Jahren wollte die Union großzügi- Weiter heißt es dort: ge Steuergeschenke an Investoren verteilen, damit die- Ohne wesentliche Nachbesserungen hält er es des- se Wohnungen bauen. Was ist daran falsch? Es fehlt auf halb nicht für empfehlenswert, die Gesetzesinitiati- dem deutschen Wohnungsmarkt nun wahrlich nicht an ve weiter zu verfolgen. Geld. Es gibt genug – man könnte auch sagen: zu viel – privates Kapital auf dem Wohnungsmarkt. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dem schließen wir uns an. Es fehlt auch nicht an Investitionen in irgendwelche Deshalb, liebe Koalitionäre: Nehmen Sie bitte Ab- Wohnungen. Der Wohnungsmarkt boomt schon seit lan- stand von diesem Gesetzentwurf. Springen Sie über Ihren gem, auch ohne Sonderabschreibung. Es fehlt an bezahl- Schatten, damit eine vernünftige Regelung in das Gesetz baren Wohnungen, und zwar in den Ballungszentren. implementiert wird, die dauerhaft die Rahmenbedingun- gen dafür schafft, dass mehr Wohnraum geschaffen wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ersetzen Sie diesen in allen Bereichen ungeeigneten Ge- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 7802 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Caren Lay (A) Aber an dieser Lücke fördert dieser Gesetzentwurf ziel- Das gute Beispiel der Stadt Wien zeigt doch, dass eine (C) sicher vorbei; hohe Zahl städtischer Wohnungen der beste Garant für günstige Mieten ist. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Dann machen Sie mal einen Vorschlag!) (Beifall bei der LINKEN – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Schauen Sie mal nach Nürn- denn die Steuerabschreibungen sollen ja auch dort gel- berg! Da läuft das auch gut!) ten, wo es schon jetzt zu viele Wohnungen gibt. Eine Mietobergrenze ist nicht vorgesehen. Genau das schlagen wir als Linke als Alternative vor. Wir brauchen ein öffentliches Wohnungsprogramm nach Nehmen wir mal ein Beispiel: die Stadt Hoyerswerda Wiener Vorbild. Das ist der richtige Weg. in meinem Wahlkreis. (Beifall bei der LINKEN) (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Gehen Sie In der letzten Legislatur hat die SPD dieses ebenso nach München oder Hamburg oder Nürn- teure wie nutzlose Gesetz, das damals wie heute bei Ex- berg!) pertinnen und Experten durchgefallen ist, noch verhin- dert. Jetzt stimmen Sie zu, auch ohne Mietobergrenze, Dort gibt es jetzt schon eine Leerstandsquote von 10 Pro- damit es im Gegenzug zu minimalen Verbesserungen im zent. Dort kann man jetzt mit Baukosten von bis zu Mietrecht kommt. Ich finde, das ist ein wirklich schlech- 3 000 Euro pro Quadratmeter ziemlich teure zusätzliche ter Deal. Das ist ein politischer Kuhhandel im Interesse Wohnungen bauen, sie teuer vermieten, dann auch noch der Bauwirtschaft, ohne nennenswerten Nutzen für die zu einem Drittel von der Steuer absetzen und sie nach Mieterinnen und Mieter und zulasten der Kommunen. zehn Jahren in Eigentumswohnungen umwandeln. Mei- Das kann man wirklich nur ablehnen. ne Damen und Herren, das muss ja nun wirklich niemand verstehen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) (Beifall bei der LINKEN)

Die Zuschüsse reichen für die Metropolen hingegen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nicht. „Die Zeit“ prognostizierte deswegen unter Beru- Der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen: der fung auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Kollege Christian Kühn. einen Bauboom für teure Wohnungen in ländlichen Ge- bieten. Sie sprach von „Steuererleichterungen für Luxus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) wohnungen“, und die brauchen wir wirklich nicht. (D) Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) GRÜNEN): Ohne eine Mietobergrenze verfehlt dieses Gesetz sein Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wirklich kom- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Gro- plett; denn ohne eine Mietobergrenze wird die Förderung ßen Koalition, angesichts dieses Gesetzes fragt man sich abgestaubt und hinterher die Wohnung möglichst teuer schon, für wen Sie eigentlich Wohnungspolitik und Bau- vermietet. Das ist doch wirklich völlig nutzlos. politik machen. Wenn ich mir das Gesetz anschaue, dann erkenne ich, dass es eine Subvention für die Bauwirt- (Beifall bei der LINKEN) schaft und die Immobilienlobby ist, aber sicherlich kein Gesetz für die Mieterinnen und Mieter da draußen, die im Sie entlarven sich ja selbst: Dieses Gesetz soll rück- Augenblick händeringend nach bezahlbarem Wohnraum wirkend gelten, Steuererleichterungen also für Bauanträ- suchen. ge ab dem 1. September 2018 geltend gemacht werden können. Das heißt, es geht gar nicht um zukünftige Woh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nungen, sondern Sie subventionieren die Wohnungen, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die jetzt schon geplant und finanziert sind. Das führt zu Die Sonderabschreibung sorgt nicht für bezahlbaren teuren Mitnahmeeffekten und zu einem Anstieg der Bau- Wohnraum. Das ist ein wohnungspolitischer Blindflug, preise. Das ist einfach nur absurd. der auch steuerpolitisch abzulehnen ist. In einer Zeit, in der die Investoren Panzerschränke voller Geld haben, (Beifall bei der LINKEN) ihnen auch noch Geld hinterherzuwerfen, obwohl die Und wem nutzt das alles? Nicht umsonst sprach ein Wohnungsmärkte eh schon überhitzt sind, ist vollkom- Vertreter der Immobilienwirtschaft von einem Geschenk. men absurd. Es ist ja auch bald Weihnachten. Es handelt sich um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Geschenk, das zulasten der Länder und Kommunen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) geht. Auf meine Kleine Anfrage hin gab die Regierung zu, dass dem Bund und den Ländern dadurch jeweils Was wir stattdessen bräuchten, wären Investitions- 1,5 Milliarden Euro und den Kommunen 800 Millionen zulagen für die Kommunen oder für Genossenschaften, Euro an Steuern entgehen – Gelder, mit denen sie selbst aber sicher nicht für diejenigen, die von der vorgesehe- Wohnungen bauen könnten. nen Sonderabschreibung profitieren würden. Die haben Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7803

Christian Kühn (Tübingen) (A) wirklich genug Geld. Ich sage mal so: Ohne Mietpreis- auch in der SPD wäre dieser VWL-Grundkurs mal drin- (C) bindung macht solch ein Gesetz wirklich keinen Sinn. gend notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der FDP und des Abg. Martin Sichert [AfD]) Was mich letzte Woche wirklich zur Weißglut getrie- ben hat, war die Anhörung, die wir im Finanzausschuss Wir haben einen Vorschlag gemacht für eine Miet- hatten. Herr Gutting, Sie haben gesagt, nach dieser An- obergrenze. Ich sage das auch an die Adresse der SPD. hörung seien Sie bestärkt. Ich glaube, Sie sind der Ein- In der letzten Wahlperiode haben Sie dieses Gesetz noch zige gewesen, der aus dieser Anhörung diese Haltung abgelehnt mit der Begründung, es habe keine Mietober- mitgenommen hat. grenze. Nun bringen wir hier einen Gesetzentwurf mit ein, der diese Mietobergrenze einzieht. Ich erwarte von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN denjenigen, die ihre Zustimmung zur Mietobergrenze in sowie bei Abgeordneten der LINKEN) den letzten Jahren immer wieder betont haben, dass sie heute unserem Gesetzentwurf für eine Mietobergrenze Diese Anhörung war eine schallende Ohrfeige für die zustimmen. Große Koalition und dieses Gesetz. Alle Sachverständi- gen waren sich einig, dass dieses Gesetz in dieser Form (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) niemand braucht, auch die Sachverständigen von der Nur mit einer Mietobergrenze wird es zu bezahlbarem Großen Koalition. Die Kollegen von der SPD haben in Wohnraum kommen, sonst nicht; denn ansonsten ist es der Anhörung gefragt, welcher Sachverständige dieses ein reiner Mitnahmeeffekt und eine reine Subvention Gesetz gut findet. Da hat kein einziger Sachverständiger derjenigen, die sich eh schon gerade auf den Wohnungs- die Hand gehoben. Dass Sie nun hier herausgehen und märkten eine goldene Nase verdienen. sagen, dass Sie sich nach dieser Anhörung bestärkt füh- len, kann ich nicht nachvollziehen und finde es hanebü- Danke schön. chen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Michael Theurer [FDP]: Das war aber im sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Grundkurs VWL nicht enthalten!) FDP) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Noch mal: Eine Anhörung ist dafür da, dass man Ex- Der nächste Redner: Der Kollege Mario Mieruch. (B) perten anhört. Was man da hört, muss man auch in sich (D) wägen und überlegen, ob man vielleicht irgendetwas an- ders macht. Mario Mieruch (fraktionslos): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen (Manfred Grund [CDU/CSU]: Waren Sie bei und Herren! Dies ist eine spannende Diskussion. Ich der Anhörung?) war nicht in der Ausschusssitzung, und ich bin ganz weit davon entfernt, mich als Sachverständigen zu bezeich- Aber dass Sie das komplett ignorieren, zeigt, wie Sie nen. Aber nachdem ich mich mit dem Thema beschäftigt mit diesem Parlament umgehen und wie Sie selber mit habe, bin auch ich zu dem Schluss gekommen, dass die- diesen Anhörungen umgehen. Sie sind Ihnen im Kern ses Gesetz nicht so richtig sinnvoll ist. doch eigentlich egal, weil Sie nur den Koalitionsvertrag durchpauken wollen, den Sie mal in der Nacht geschlos- Wenn wir uns die Praxis einmal genau anschauen sen haben. Aber gute Ideen müssen in dieser Nacht nicht und die Zahlen der Tabelle aus der entsprechenden Be- entstanden sein. Diese Idee hätte keiner gebraucht. schlussempfehlung zusammenaddieren, kommen wir auf 810 Millionen Euro Steuermindereinnahmen, die für drei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahre prognostiziert werden. Wenn wir das durch die ge- sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der wünschte Anzahl von 1,5 Millionen Wohnungen dividie- FDP – Ulli Nissen [SPD]: Unfug!) ren, kommen wir auf 540 Euro pro Wohnung. Ich schät- ze, die Investoren werden Schlange stehen. Das Grundproblem dieses Gesetzes ist doch, dass Sie nicht erkennen, dass Baukosten nicht Marktmieten Wenn man das Ganze mal mit dem zukünftigen Bau- sind. Ich habe die Bundesregierung gefragt: Wie entsteht volumen, welches das Deutsche Institut für Wirtschafts- ein Mietpreis für eine neugebaute Wohnung auf einem forschung in Berlin vorhersagt, verknüpft und den Anteil Markt? Hat er etwas mit den Baukosten zu tun? Da wur- der Sonderabschreibungen ausschließlich für den Woh- de ganz klar gesagt: Die Marktmiete wird genommen. – nungsneubau berechnet, dann reduzieren sich die Ge- Es ist also egal, ob ich für 1 500 Euro oder 3 000 Euro samtbaukosten in 2020 um sage und schreibe einen hal- pro Quadratmeter bauen kann. Es ist die Frage, welchen ben Cent pro eingesetztem Euro, in 2021 um 9 Cent und Preis ich auf dem Markt erzielen kann. Ich sage Ihnen in 2022 um 28 Cent. Meine Damen und Herren, wenn eines: Ich habe in VWL in der 11. Klasse gelernt, dass in China ein Sack Reis umfällt, dann fällt hier eine Tür man in einer Hochkonjunkturphase nicht noch mehr Geld ins Schloss. Sich zu erhoffen, dass dadurch 1,5 Millionen in den Markt reinschütten soll; denn dann erzeugt man neue Wohnungen gebaut werden, ist etwas naiv oder es Mitnahmeeffekte. Ich sage Ihnen eines: In der CDU und ist Symbolpolitik zur Wählertäuschung. 7804 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Mario Mieruch (A) Wenn wir also ernsthaft günstigen Wohnraum schaf- Wohngipfel beschlossen, die wir konkret umsetzen. Das (C) fen wollen, dann müssen vernünftige Anreize gesetzt zusammengenommen nennt man eine Wohnraumoffensi- werden – das haben wir beim letzten Mal schon disku- ve, zu der wir uns bekennen. tiert –: Abbau bürokratischer Hürden, Wegfall staatlich induzierter Verteuerung von Bauvorhaben und eine Sen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kung des Risikos für Unternehmen, dass die Bauvorha- der CDU/CSU) ben durch einen immer öfter emotional entscheidenden Bundestag ex post unrentabel werden. Kurzum: Wir Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: müssen dafür sorgen, dass unser Land nicht zu einem Ri- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? sikoinvestitionsland wird. Vielen Dank. Bernhard Daldrup (SPD): Nein. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: In diesem Bündel von Maßnahmen ist die steuerliche Der nächste Redner: der Kollege Bernhard Daldrup, Förderung durch eine Sonder-AfA eingebunden. Sie ist SPD-Fraktion. also ein Element. Zugegeben: Es ist ein Kompromiss, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der viel Kritik auf sich gezogen hat. Das ist gar nicht zu der CDU/CSU) bestreiten. Wir verstehen die Sonder-AfA dennoch als einen Mosaikstein, jetzt hoffentlich privates Kapital zu- sätzlich zu mobilisieren. Bernhard Daldrup (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Uns wäre die Kopplung mit einer Mietobergrenze lie- gibt bestimmte Stereotypen bei Reden, die man immer ber gewesen. Ich will das gar nicht bestreiten. Allerdings wieder findet. Das wissen wir alle. Bei der AfD sind es sind die Baukostenobergrenze mit 3 000 Euro und die die antieuropäische Haltung und Flüchtlinge, bei der Bemessungsgrenze der Förderung mit 2 000 Euro mit der FDP ist es regelmäßig das Bürokratiemonster. Dabei ha- zeitlichen Eingrenzung bis zum Jahr 2021 mit einer Fest- ben die einen keine Ahnung von Europa und die anderen legung der Mieten auf zehn Jahre und mit der Rückfor- keine Ahnung von Bürokratie. Denn wo immer Sie von derungsoption gekoppelt. Das alles sind Bedingungen, der FDP beteiligt sind, haben Sie zum Aufbau von Büro- die mietpreisbegrenzend wirken. Wir haben zwar keine kratie beigetragen, aber nie zum Abbau. Obergrenze durchgesetzt – das stimmt –, aber einen ge- wissen Mietendeckel haben wir durchaus dabei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hätten wir alternativ die lineare Abschreibung erhöht, (D) wären solche zusätzlichen Anforderungen nicht möglich Ich glaube, dass ich mittlerweile sagen kann, dass kei- gewesen, und der zeitnahe Impuls wäre jedenfalls nicht ne Sitzungswoche hier im Deutschen Bundestag vergeht, erfolgt. Abgesehen davon war für uns der Grund, wes- in der wir nicht über Wohnen, über Bauen oder über Mie- halb wir die lineare Abschreibung nicht verfolgt haben, ten reden. dass sie schlussendlich um ein Vielfaches teurer gewesen (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ wäre. Stattdessen haben wir an die Sonder-AfA andere DIE GRÜNEN]: Das ist auch richtig so!) Bedingungen gestellt. Eben ist etwas zur räumlichen Wirkung gesagt worden. Ich finde es interessant, dass – Genau. Du hast recht, Chris. – Das ist ein Indiz da- einige das alles schon vorher wissen. Natürlich kann das für, dass wir in der Großen Koalition dieses Thema ernst auch für Dachgeschosswohnungen in verdichteten Re- nehmen, dass wir handeln und dass wir liefern, und zwar gionen eine Rolle spielen. nicht mit Leerformeln, sondern mit konkreten Entschei- dungen. Mit Blick auf die zusätzlichen Bedingungen will ich noch mal das besonders betonen, was von meiner Kol- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten legin Kiziltepe schon genannt worden ist, nämlich die der CDU/CSU) verbesserte Förderung des Mieterstroms. Dazu will ich Da gibt es ein breites Spektrum. Dieses breite Spek- eines sagen, Chris: Wenn du uns jetzt festnageln willst trum ist bei uns jedenfalls noch immer von unserer poli- und sagst: „Ihr macht keine Mietobergrenze mit“, dann tischen Zielsetzung getragen, bezahlbaren Wohnraum für sage ich: Ihr macht doch diese Verbesserung des Mie- alle zu schaffen. Ja, das ist die Zielsetzung. terstroms für die Wohnungsgenossenschaften auch nicht mit, wenn ihr dieses Gesetz ablehnt. Da können wir offen (Beifall bei der SPD) und klar drüber reden. Ich will an dieser Stelle noch kurz sagen: Wir machen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heute ein wirksames Mietenpaket. Aber es schafft noch der CDU/CSU) keinen Wohnraum. Deshalb machen wir etwas für den sozialen Wohnungsbau, deshalb machen wir das Bau- Also: Innerhalb eines vierjährigen Zeitraums kön- kindergeld. Das soll auch für die Wohnungsgenossen- nen insgesamt 28 Prozent der förderfähigen Kosten ab- schaften gelten, da sind wir, glaube ich, einer Meinung. geschrieben werden. Im Kern ist das ein Vorzieheffekt Wir fördern die kommunalen Wohnungsgesellschaften – steuerlicher Abschreibungen, der es uns jedenfalls wert angefangen vom Bauplanungsrecht bis zum Gebäude- sein sollte, wenn es darum geht, zusätzlichen Wohnraum energiegesetz. Wir haben fast 30 Maßnahmen auf dem zu ermöglichen. Das wollen wir, und das machen wir üb- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7805

Bernhard Daldrup (A) rigens auch durch die Unterstützung einer guten Grund- leistet dieses Gesetz einen wichtigen und konkreten Bei- (C) steuerreform und nicht durch ein Bürokratiemonster. trag, meine Damen und Herren. Herr Herbrand, darauf können Sie sich verlassen. Wir le- gen Wert darauf, handlungsfähige Kommunen zu haben. Bei der Lösung der Wohnungsnot ist aber – das sollte heute deutlich werden – nicht nur der Bund gefordert; Herzlichen Dank. gefragt sind auch die Kommunen. Sie müssen zügig aus- reichend günstiges Bauland ausweisen. Sie müssen das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Planungsrecht verbessern und die Genehmigungszeiträu- der CDU/CSU) me wesentlich verkürzen. Die Kommunen müssen bei der Festlegung der Grundsteuerhebesätze auch die Inte- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ressen der Mieter im Auge behalten. Der letzte Redner: Dr. Hans Michelbach, CDU/ Es gibt Kommunen in unserem Land, die zusätzliche CSU-Fraktion. Sozialmodelle ohne jede gesetzliche Grundlage erfinden, (Beifall bei der CDU/CSU) meine Damen und Herren. Das heißt, für diese Model- le ist eigentlich der Bund als Gesetzgeber zuständig. So bringt man preisgünstiges Wohnen zum Scheitern. Die- Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): se Maßnahmen müssen austariert sein; denn natürlich Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! führen sie zwangsläufig zu höheren Nettomietpreisen, Heute ist ein guter Tag für neue Investitionen in den Woh- insbesondere für die Mieter, die nicht am Sozialmodell nungsbau. Heute ist damit auch ein guter Tag für Woh- teilhaben können. Im schlimmsten Fall führen sie zu nungssuchende und für die Bekämpfung der Wohnungs- einem Attentismus, weil sich die Investition nicht mehr not. Unser Ziel ist es, mit der steuerlichen Förderung die darstellen lässt. Wer sich danach hinstellt und lautstark hohe Nachfrage nach preisgünstigen Wohnungen durch über Wohnungsmangel, über Wohnungsnot klagt, han- zusätzlichen Mietwohnungsbau stärker zu decken. delt nach meiner Ansicht unredlich. Die Einführung einer Sonderabschreibung ist dabei Dies alles gilt auch bei der anstehenden Grundsteu- der marktwirtschaftliche Anreiz für verstärkte Investiti- erreform. Hier kommt es darauf an, letztendlich eine onen in den Wohnungsbau. Ohne räumliche Begrenzung vernünftige Lösung zu schaffen. Ein Modell, das letzten wird in einem Zeitraum von vier Jahren ein Abschrei- Endes zu deutlichen Mietpreiserhöhungen in Ballungs- bungsvorteil auf die förderfähigen Anschaffungs- und gebieten führt, ist nach unserer Auffassung inakzeptabel. Herstellungskosten von immerhin 28 Prozent gewährt. Das bislang vom Bundesfinanzministerium vorgelegte Das ist ein echter Anreiz, um privates Kapital in den Reformmodell einer wertabhängigen Grundsteuer wäre (B) Wohnungsbau zu steuern, meine Damen und Herren. unter diesem Gesichtspunkt nicht nur ein Bürokratie- (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und monster, sondern bedeutete Miet- und Steuererhöhungen der SPD) auf breiter Front, meine Damen und Herren. Deswegen sagen wir: Das ist mit uns nicht zu machen. Wir wollen Insgesamt wollen wir mit unserer Wohnoffensive den keine Steuer- und Mieterhöhungen in den Ballungszen- Bau von 1,5 Millionen neuen Mietwohnungen in dieser tren. Legislaturperiode sicherstellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Illusion!) Gefragt sind aber auch die Länder. In den vergan- Öffentliche Mittel alleine reichen dazu natürlich nicht genen Jahren haben die Länder gewissermaßen einen aus. Deshalb, meine Damen und Herren, ist es richtig und Wettbewerb um die Höhe der Grunderwerbsteuer veran- wichtig, auch privates Kapital für dieses Ziel zu mobili- staltet. Zum Teil wurde die Grundsteuer verdoppelt. Das sieren. Ohne geht es nicht. sind Kosten, die am Ende die Neubaumieten in die Höhe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) treiben. Wenn in Berlin ein Grunderwerbsteuersatz von 6,5 Prozent erhoben wird, während dieser in Bayern und Die Opposition hat wieder einmal nicht mit Kritik ge- Sachsen bei 3,5 Prozent liegt, dann ist das in Berlin na- spart in dieser Debatte. türlich eine Mietpreiserhöhung durch die Hintertür. Auch (Markus Herbrand [FDP]: Das ist unsere das gehört zur Wahrheit und muss hier ausgesprochen Aufgabe!) werden. Wir sind das gewohnt. Wenn es um die Privatwirtschaft (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geht, kommen bekanntlich alle Ideologen aus ihrer Und auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes müs- Traumwelt heraus. Die Grünen träumen von Panzer- sen wir weiter über Wohnungsbau reden, auch darüber, schränken voller Geld, aber eine zielführende Alternative wie wir mittel- und langfristig noch mehr Investitionen habe ich von den Oppositionsbänken leider nicht gehört, in den Wohnungsbau auf neuem Niveau erreichen. Ich meine Damen und Herren. halte deshalb unter diesem Aspekt eine Anhebung der (Beifall bei der CDU/CSU) linearen Abschreibung von derzeit 2 Prozent auf min- destens 3 Prozent jährlich in der Zukunft langfristig für Die Alternative kann in jedem Fall nicht sein, die Hän- unabdingbar erforderlich. Dabei würden wir eine Anglei- de in den Schoß zu legen. Wir müssen für den Neubau chung der AfA an den tatsächlichen Werteverzehr errei- von Wohnungen vielmehr alle Kräfte mobilisieren. Dazu chen und langfristige Impulse setzen. Ein Werteverzehr 7806 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) von heute 50 Jahren allein bei der Haustechnik ist auf Ich eröffne die Abstimmung über den Änderungsan- (C) 30 Jahre zu kürzen. Deswegen ist es notwendig, dass wir trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- auch hier weiter voranschreiten. che 19/6156. In diesem Sinne darf ich Sie bitten, diesem Gesetz Ist noch ein Mitglied dieses Hauses anwesend, das sei- heute zuzustimmen, im Interesse der Menschen, im Inte- ne Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich resse der Bekämpfung der Wohnungsnot und damit die- nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die ser Tag ein guter Tag für Wohnungssuchende in Deutsch- Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung land wird, meine Damen und Herren. zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der na- mentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) (Unterbrechung von 18.52 bis 18.58 Uhr)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Michelbach. – Ich schließe Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 6. Sitzung ist wieder eröffnet. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen. Ich glaube, wir desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur steuerli- alle haben ein gemeinsames Interesse, dass es möglichst chen Förderung des Mietwohnungsneubaus. Der Finanz- zügig weiter in den Abend geht. ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6140, den Gesetzentwurf der Bundesre- Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- gierung auf den Drucksachen 19/4949 und 19/5417 in führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- der Ausschussfassung anzunehmen. mung über den Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- Bundesregierung mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes nis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/6156 vor, über zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus“ den wir zuerst abstimmen. Es ist dazu eine namentliche bekannt: abgegebene Stimmen 639. Mit Ja haben ge- Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen stimmt 118, mit Nein haben gestimmt 521 Kolleginnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. und Kollegen, enthalten hat sich niemand. Damit ist der Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Änderungsantrag abgelehnt.

(B) (D) Endgültiges Ergebnis Sylvia Gabelmann Tobias Pflüger Agnieszka Brugger Abgegebene Stimmen: 639; Nicole Gohlke Martina Renner Dr . Anna Christmann davon Dr . André Hahn Eva-Maria Schreiber Ekin Deligöz ja: 118 Heike Hänsel Dr. Petra Sitte Katja Dörner nein: 521 Matthias Höhn Helin Evrim Sommer Katharina Dröge enthalten: 0 Ulla Jelpke Friedrich Straetmanns Harald Ebner Kerstin Kassner Dr . Kirsten Tackmann Matthias Gastel Ja Dr . Achim Kessler Jessica Tatti Kai Gehring Katja Kipping Alexander Ulrich Stefan Gelbhaar DIE LINKE Jan Korte Kathrin Vogler Katrin Göring-Eckardt Doris Achelwilm Jutta Krellmann Dr . Sahra Wagenknecht Erhard Grundl Gökay Akbulut Caren Lay Harald Weinberg Anja Hajduk Simone Barrientos Sabine Leidig Katrin Werner Britta Haßelmann Lorenz Gösta Beutin Ralph Lenkert Pia Zimmermann Dr . Anton Hofreiter Matthias W. Birkwald Stefan Liebich Sabine Zimmermann Ottmar von Holtz Michel Brandt Dr. Gesine Lötzsch (Zwickau) Dieter Janecek Christine Buchholz Thomas Lutze Dr. Kirsten Kappert-Gonther Birke Bull-Bischoff Pascal Meiser BÜNDNIS 90/ Uwe Kekeritz DIE GRÜNEN Jörg Cezanne Amira Mohamed Ali Katja Keul Sevim Dağdelen Cornelia Möhring Luise Amtsberg Sven-Christian Kindler Fabio De Masi Niema Movassat Kerstin Andreae Maria Klein-Schmeink Dr. Diether Dehm Norbert Müller (Potsdam) Lisa Badum Sylvia Kotting-Uhl Anke Domscheit-Berg Zaklin Nastic Annalena Baerbock Oliver Krischer Klaus Ernst Thomas Nord Margarete Bause Christian Kühn (Tübingen) Susanne Ferschl Sören Pellmann Dr. Danyal Bayaz Renate Künast Brigitte Freihold Victor Perli Canan Bayram Markus Kurth Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7807

(A) Monika Lazar Michael Brand (Fulda) Erich Irlstorfer Dr. Gerd Müller (C) Sven Lehmann Dr. Helge Braun Hans-Jürgen Irmer Axel Müller Steffi Lemke Silvia Breher Thomas Jarzombek Sepp Müller Dr . Tobias Lindner Sebastian Brehm Andreas Jung Carsten Müller Dr. Irene Mihalic Heike Brehmer Ingmar Jung (Braunschweig) Claudia Müller Ralph Brinkhaus Alois Karl Stefan Müller (Erlangen) Dr. Konstantin von Notz Dr. Carsten Brodesser Anja Karliczek Dr. Andreas Nick Omid Nouripour Gitta Connemann Torbjörn Kartes Petra Nicolaisen Friedrich Ostendorff Astrid Damerow Volker Kauder Michaela Noll Cem Özdemir Alexander Dobrindt Dr. Stefan Kaufmann Dr . Georg Nüßlein Lisa Paus Michael Donth Ronja Kemmer Wilfried Oellers Filiz Polat Marie-Luise Dött Roderich Kiesewetter Florian Oßner Tabea Rößner Hansjörg Durz Michael Kießling Josef Oster Claudia Roth (Augsburg) Thomas Erndl Dr . Georg Kippels Henning Otte Dr. Manuela Rottmann Hermann Färber Volkmar Klein Sylvia Pantel Corinna Rüffer Uwe Feiler Axel Knoerig Martin Patzelt Ulle Schauws Enak Ferlemann Jens Koeppen Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Gerhard Schick Dr. Maria Flachsbarth Markus Koob Stephan Pilsinger Dr. Frithjof Schmidt Thorsten Frei Carsten Körber Dr. Christoph Ploß Stefan Schmidt Dr. Hans-Peter Friedrich Alexander Krauß Eckhard Pols Kordula Schulz-Asche (Hof) Gunther Krichbaum Thomas Rachel Dr . Wolfgang Strengmann- Michael Frieser Rüdiger Kruse Kerstin Radomski Kuhn Hans-Joachim Fuchtel Michael Kuffer Alexander Radwan Margit Stumpp Ingo Gädechens Dr. Roy Kühne Alois Rainer Markus Tressel Dr . Thomas Gebhart Katharina Landgraf Eckhardt Rehberg Dr . Julia Verlinden Alois Gerig Ulrich Lange Lothar Riebsamen Daniela Wagner Eberhard Gienger Dr. Silke Launert Josef Rief Beate Walter-Rosenheimer Eckhard Gnodtke Jens Lehmann Johannes Röring (B) Ursula Groden-Kranich Paul Lehrieder Dr. Norbert Röttgen (D) Fraktionslos Hermann Gröhe Dr. Katja Leikert Stefan Rouenhoff Klaus-Dieter Gröhler Dr. Andreas Lenz Erwin Rüddel Marco Bülow Michael Grosse-Brömer Antje Lezius Albert Rupprecht Astrid Grotelüschen Andrea Lindholz Stefan Sauer Nein Markus Grübel Dr. Carsten Linnemann Anita Schäfer (Saalstadt) Manfred Grund Patricia Lips Andreas Scheuer CDU/CSU Oliver Grundmann Nikolas Löbel Jana Schimke Stephan Albani Fritz Güntzler Bernhard Loos Tankred Schipanski Norbert Maria Altenkamp Olav Gutting Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Claudia Schmidtke Philipp Amthor Christian Haase Daniela Ludwig Christian Schmidt (Fürth) Artur Auernhammer Florian Hahn Karin Maag Patrick Schnieder Peter Aumer Dr. Yvonne Magwas Nadine Schön Dorothee Bär Jürgen Hardt Dr . Thomas de Maizière Felix Schreiner Thomas Bareiß Matthias Hauer Gisela Manderla Dr. Klaus-Peter Schulze Norbert Barthle Mark Hauptmann Dr . Astrid Mannes Uwe Schummer Maik Beermann Dr. Matthias Heider Matern von Marschall Armin Schuster (Weil am Manfred Behrens (Börde) Mechthild Heil Hans-Georg von der Marwitz Rhein) Veronika Bellmann Thomas Heilmann Andreas Mattfeldt Torsten Schweiger Sybille Benning Frank Heinrich (Chemnitz) Stephan Mayer (Altötting) Detlef Seif Dr . André Berghegger Rudolf Henke Dr. Michael Meister Johannes Selle Melanie Bernstein Michael Hennrich Jan Metzler Reinhold Sendker Christoph Bernstiel Marc Henrichmann Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Patrick Sensburg Peter Beyer Ansgar Heveling Dr. Mathias Middelberg Thomas Silberhorn Marc Biadacz Dr. Heribert Hirte Dietrich Monstadt Björn Simon Steffen Bilger Christian Hirte Karsten Möring Tino Sorge Peter Bleser Alexander Hoffmann Marlene Mortler Katrin Staffler Dr. Reinhard Brandl Karl Holmeier Elisabeth Motschmann Frank Steffel 7808 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Dr . Wolfgang Stefinger Lothar Binding (Heidelberg) Caren Marks Martina Stamm-Fibich (C) Albert Stegemann Leni Breymaier Katja Mast Sonja Amalie Steffen Andreas Steier Dr. Karl-Heinz Brunner Christoph Matschie Mathias Stein Johannes Steiniger Katrin Budde Hilde Mattheis Kerstin Tack Peter Stein (Rostock) Dr. Lars Castellucci Dr. Matthias Miersch Claudia Tausend Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Klaus Mindrup Michael Thews Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Susanne Mittag Markus Töns Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby Falko Mohrs Carsten Träger Stephan Stracke Esther Dilcher Claudia Moll Ute Vogt Max Straubinger Sabine Dittmar Siemtje Möller Marja-Liisa Völlers Karin Strenz Dr . Wiebke Esdar Detlef Müller (Chemnitz) Dirk Vöpel Michael Stübgen Saskia Esken Michelle Müntefering Gabi Weber Dr . Hermann-Josef Tebroke Yasmin Fahimi Dr. Rolf Mützenich Bernd Westphal Hans-Jürgen Thies Dr. Johannes Fechner Dietmar Nietan Dirk Wiese Alexander Throm Dr. Fritz Felgentreu Ulli Nissen Gülistan Yüksel Dr . Dietlind Tiemann Dagmar Freitag Josephine Ortleb Dagmar Ziegler Antje Tillmann Sigmar Gabriel Mahmut Özdemir (Duisburg) Stefan Zierke Markus Uhl Michael Gerdes Aydan Özoğuz Dr. Jens Zimmermann Dr . Volker Ullrich Martin Gerster Christian Petry Arnold Vaatz Angelika Glöckner Detlev Pilger AfD Oswin Veith Timon Gremmels Sabine Poschmann Dr. Bernd Baumann Kerstin Vieregge Kerstin Griese Florian Post Marc Bernhard Volkmar Vogel (Kleinsaara) Michael Groß Achim Post (Minden) Andreas Bleck Christoph de Vries Uli Grötsch Florian Pronold Peter Boehringer Kees de Vries Bettina Hagedorn Dr. Sascha Raabe Stephan Brandner Marco Wanderwitz Rita Hagl-Kehl Martin Rabanus Jürgen Braun Kai Wegner Metin Hakverdi Andreas Rimkus Dr. h. c. (NUACA) Albert H. Sebastian Hartmann Sönke Rix Marcus Bühl (B) Weiler Dirk Heidenblut Dennis Rohde Matthias Büttner (D) Marcus Weinberg (Hamburg) Hubertus Heil (Peine) Dr. Martin Rosemann Petr Bystron Dr . Anja Weisgerber Gabriela Heinrich René Röspel Joana Cotar Peter Weiß (Emmendingen) Wolfgang Hellmich Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Gottfried Curio Sabine Weiss (Wesel I) Dr. Barbara Hendricks Michael Roth (Heringen) Siegbert Droese Ingo Wellenreuther Gustav Herzog Bernd Rützel Thomas Ehrhorn Marian Wendt Gabriele Hiller-Ohm Sarah Ryglewski Berengar Elsner von Gronow Kai Whittaker Thomas Hitschler Johann Saathoff Dr. Michael Espendiller Annette Widmann-Mauz Frank Junge Axel Schäfer (Bochum) Peter Felser Bettina Margarethe Josip Juratovic Dr. Nina Scheer Dietmar Friedhoff Wiesmann Thomas Jurk Marianne Schieder Dr . Anton Friesen Klaus-Peter Willsch Oliver Kaczmarek Udo Schiefner Dr. Alexander Gauland Elisabeth Winkelmeier- Johannes Kahrs Uwe Schmidt Dr . Axel Gehrke Becker Elisabeth Kaiser Ulla Schmidt (Aachen) Albrecht Glaser Oliver Wittke Ralf Kapschack Dagmar Schmidt (Wetzlar) Franziska Gminder Emmi Zeulner Gabriele Katzmarek Carsten Schneider (Erfurt) Wilhelm von Gottberg Paul Ziemiak Ulrich Kelber Johannes Schraps Kay Gottschalk Dr. Matthias Zimmer Cansel Kiziltepe Michael Schrodi Armin-Paulus Hampel Arno Klare Dr. Manja Schüle Mariana Iris Harder-Kühnel SPD Lars Klingbeil Ursula Schulte Verena Hartmann Ingrid Arndt-Brauer Dr. Bärbel Kofler Martin Schulz Dr. Roland Hartwig Heike Baehrens Elvan Korkmaz Swen Schulz (Spandau) Jochen Haug Ulrike Bahr Christine Lambrecht Frank Schwabe Martin Hebner Dr. Katarina Barley Christian Lange (Backnang) Stefan Schwartze Udo Theodor Hemmelgarn Doris Barnett Dr. Karl Lauterbach Andreas Schwarz Lars Herrmann Dr. Matthias Bartke Helge Lindh Rita Schwarzelühr-Sutter Karsten Hilse Sören Bartol Burkhard Lischka Rainer Spiering Martin Hohmann Bärbel Bas Heiko Maas Svenja Stadler Dr. Bruno Hollnagel Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7809

(A) Leif-Erik Holm Jörg Schneider Daniel Föst Alexander Müller (C) Johannes Huber Uwe Schulz Otto Fricke Roman Müller-Böhm Fabian Jacobi Thomas Seitz Thomas Hacker Frank Müller-Rosentritt Uwe Kamann Martin Sichert Katrin Helling-Plahr Dr. Martin Neumann Jens Kestner Detlev Spangenberg Markus Herbrand (Lausitz) Stefan Keuter René Springer Torsten Herbst Hagen Reinhold Enrico Komning Beatrix von Storch Katja Hessel Bernd Reuther Jörn König Dr . Alice Weidel Dr. Gero Clemens Hocker Dr. Stefan Ruppert Steffen Kotré Dr . Harald Weyel Manuel Höferlin Dr . h. c. Thomas Sattelberger Dr. Rainer Kraft Wolfgang Wiehle Dr. Christoph Hoffmann Christian Sauter Rüdiger Lucassen Dr . Heiko Wildberg Reinhard Houben Frank Schäffler Frank Magnitz Dr . Christian Wirth Ulla Ihnen Dr . Wieland Schinnenburg Dr. Lothar Maier Uwe Witt Olaf In der Beek Matthias Seestern-Pauly Jens Maier Gyde Jensen Frank Sitta Dr . Birgit Malsack- FDP Dr. Christian Jung Judith Skudelny Winkemann Grigorios Aggelidis Thomas L. Kemmerich Bettina Stark-Watzinger Corinna Miazga Renata Alt Karsten Klein Dr. Marie-Agnes Strack- Andreas Mrosek Christine Aschenberg- Dr. Marcel Klinge Zimmermann Volker Münz Dugnus Daniela Kluckert Katja Suding Sebastian Münzenmaier Nicole Bauer Pascal Kober Linda Teuteberg Christoph Neumann Jens Beeck Dr. Lukas Köhler Michael Theurer Jan Ralf Nolte Dr. Jens Brandenburg Carina Konrad Stephan Thomae Ulrich Oehme (Rhein-Neckar) Konstantin Kuhle Manfred Todtenhausen Gerold Otten Mario Brandenburg Alexander Kulitz Dr . Florian Toncar Frank Pasemann (Südpfalz) Alexander Graf Lambsdorff Dr . Andrew Ullmann Tobias Matthias Peterka Dr. Marco Buschmann Ulrich Lechte Johannes Vogel (Olpe) Paul Viktor Podolay Karlheinz Busen Christian Lindner Sandra Weeser Jürgen Pohl Carl-Julius Cronenberg Michael Georg Link Nicole Westig (B) Stephan Protschka Britta Katharina Dassler (Heilbronn) (D) Katharina Willkomm Martin Erwin Renner Bijan Djir-Sarai Oliver Luksic Roman Johannes Reusch Christian Dürr Till Mansmann Ulrike Schielke-Ziesing Hartmut Ebbing Dr . Jürgen Martens Fraktionslos Dr. Robby Schlund Dr. Marcus Faber Christoph Meyer Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Fraktion der FDP und die Fraktion der AfD. Dagegenge- Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzei- stimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der und Die Linke. Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Zu- gestimmt haben die Fraktionen von SPD und CDU/CSU, Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- dagegen haben die Fraktionen der Linken, von Bünd- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/6164. nis 90/Die Grünen, der FDP und der AfD gestimmt. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Der Entschließungsantrag Dritte Beratung ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen Bünd- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem nis 90/Die Grünen und Die Linke. Dagegengestimmt ha- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer ben SPD-, CDU/CSU-, FDP- und AfD-Fraktionen. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- wurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: von CDU/CSU und SPD. Dagegen waren die Fraktionen AfD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Erste Beratung des von dem Abgeordneten Roman Johannes Reusch und der Fraktion der Wir kommen zu den Entschließungsanträgen. Abstim- AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur mung über den Entschließungsantrag der Fraktion der Entpolitisierung der Justiz und Sicherheitsbe- FDP auf Drucksache 19/6163. Wer stimmt dafür? – Wer hörden stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Ent- schließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Drucksache 19/6022 7810 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Überweisungsvorschlag: Als hätte es eines Wahrheitsbeweises bedurft, hat die- (C) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) ses Hohe Haus in der letzten Woche mit großer Mehrheit Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- nung einen aktiven Berufspolitiker in das Bundesverfassungs- Ausschuss für Inneres und Heimat gericht gewählt. Das erweckt einen bösen Anschein. Da kann der Kollege untadelig sein, wie er will; das hat ein Ich bitte Sie, die Plätze zügig einzunehmen bzw. zu Geschmäckle. Es erweckt den Anschein einer politisier- wechseln. ten Justiz.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der AfD) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Herr Eine politische Justiz wäre aber sehr gefährlich; denn sie Reusch, wir warten noch, bis Ruhe eingekehrt ist. fällt nicht mehr der Regierung in den Arm, sondern sie Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Roman bekämpft die Opposition. Reusch für die AfD-Fraktion. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das (Beifall bei der AfD) ist doch Unsinn! Die Rechtsanwaltskammer wollte das so!)

Roman Johannes Reusch (AfD): Die Antwort kann nur sein: Die Politik sollte ihre Fin- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wa- ger raus aus der Justiz nehmen. rum Entpolitisierung der Justiz? Relativ einfach: Herr- scher dieser Welt haben schon immer dazu tendiert, ihre (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Min- Herrschaft zu festigen, möglichst noch auszudehnen und derheitsmeinung AfD!) Hemmnisse auf diesem Weg zu beseitigen, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Wir stellen uns vor – das ist Inhalt unseres Gesetzent- wurfs –, dass die Richterschaft beim Bundesverfassungs- (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wie der gericht künftig aus Bundesrichtern, Bundesanwälten und Trump!) Hochschullehrern besteht, nicht mehr teilweise aus Poli- tikern; dass die Richter gewählt werden von einem aus Im Laufe der Zeit wurde deswegen die Gewaltenteilung Richtern des Bundesverfassungsgerichts, Bundesrichtern entwickelt, wobei insbesondere der unabhängigen Justiz und Bundesanwälten bestehenden Wahlausschuss und die Aufgabe zukam, die Gewalt der Herrscher im Zaum dass dieser auch über Ernennungen und Beförderungen zu halten, die Bürger vor ihnen zu schützen. zu entscheiden hat. (B) (D) Nun ist das mit der Unabhängigkeit der Justiz so eine Sache. Als sie in Preußen eingeführt wurde, soll der da- (Beifall bei der AfD) malige Justizminister gesagt haben, die Richter könnten Das hat auch zu gelten für die sonstigen Bundesrich- von ihm aus gerne unabhängig sein, solange er es sei, ter. Diese Kandidaten haben ausschließlich aus der Jus- der über ihre Beförderung entscheide. An dieser Lage hat tiz zu kommen. Vergleichbares hat für die Besetzung der sich bis heute nichts geändert, und wir haben nicht nur Oberlandesgerichte zu gelten. die damalige Herrscherschicht entsorgt – wir haben eine neue –, wir haben sogar ein politisches System neu ein- Die Generalstaatsanwälte sollte man auch nicht ver- geführt, die Parteiendemokratie. gessen – ohne Kläger kein Richter –: Sie sollten von dem (Niema Movassat [DIE LINKE]: Genau! Weisungsrecht der Justizminister befreit werden. Sie Demokratie!) sollten richterliche Unabhängigkeit bekommen, Gleichwohl ist das frühere, sagen wir mal, königliche (Lachen des Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP] – Privileg heute unter der Flagge der demokratischen Legi- Dr . Jürgen Martens [FDP]: Ja, das hätten Sie timation fröhlich am Leben. gern!) Genauso am Leben ist die frühere Sitte, dass man die und sie sollten ebenfalls nach den Grundsätzen der Rich­ absolut entscheidenden Spitzenämter in der Justiz mit terwahl gewählt werden. den eigenen Leuten besetzt, also mit den Angehörigen des Herrscherkreises. Nicht zu vergessen die politischen Beamten! Es gibt nur für sehr wenige politische Beamte eine Rechtferti- (Ulli Nissen [SPD]: Wovon redet der Mann? – gung: für Parlamentarische Staatssekretäre, die absolu- Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Wovon ten Spitzen der Ministerien und Regierungssprecher. Alle reden Sie da?) anderen Beamten müssen nicht ständig mit der Regie- Ein früherer Chef von mir, seinerzeit Generalstaatsan- rungslinie übereinstimmen. Sie sollten Beamte auf Le- walt beim Landgericht Berlin, meinte mal, bezogen auf benszeit sein. Ein solcher Beamter auf Lebenszeit hat die die Richter am Bundesverfassungsgericht, das seien doch Möglichkeit, auch mal Nein zu sagen. Das ist übrigens alles mehrheitlich nur als Richter verkleidete Politiker. auch die Pflicht eines Behördenleiters. Wer von heute auf morgen seines Amtes enthoben werden kann, dem wird (Beifall bei der AfD – Uli Grötsch [SPD]: Au! es sehr schwer gemacht, auf Recht und Gesetz und seiner Au! – Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Uiuiui!) Auffassung zu bestehen. Der Fall Maaßen hat im gesam- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7811

Roman Johannes Reusch (A) ten Staatsapparat eine unrühmliche Wirkung entfaltet. Da Oder der Vorsitzende des Rechtsausschusses des (C) können Sie sicher sein. Deutschen Bundestages, Stephan Brandner, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Stephan Brandner [AfD]: Das bin ja ich!) NEN]: Wo sich jetzt der Herr Roewer für ihn am 22. November auf Twitter, zur Wahl des Kollegen ausgesprochen hat!) Stephan Harbarth Wir sehen uns im Ausschuss. (Zuruf von der AfD: Ganz schwach!) (Beifall bei der AfD) ans Bundesverfassungsgericht – ich zitiere –: „Anschlag auf den Rechtsstaat“. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Stephan Brandner [AfD]: Genau das war es, Vielen Dank, . – Nächster Redner: Herr Ullrich! Nicht weit von einem Skandal Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. entfernt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, das sind besorgniserregen- de und bittere Zitate. Ich sage Ihnen: Es geht nicht um Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): eine „Entpolitisierung“ der Justiz, sondern es geht da- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und rum, dass Sie sich endlich klar und deutlich zur freiheit- Herren! Der Titel der Vorlage der AfD lautet: „Entwurf lich-demokratischen Grundordnung und zum Rechtsstaat eines Gesetzes zur Entpolitisierung der Justiz und Sicher- bekennen. heitsbehörden“. Ein entlarvender Satz (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Stephan Brandner [AfD]: Oh nein! Nicht SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE schon wieder!) GRÜNEN) Da haben Sie Nachholbedarf, meine Damen und Herren. findet sich auf Seite 8 des Gesetzentwurfs. Dort steht ge- schrieben – ich zitiere –: Wenn man sich ansieht, in welche Richtung Sie wol- len, dann wird klar und deutlich, dass Sie das System Wesentlicher Inhalt des Entwurfs ist die Beseitigung einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht der Wahl … durch Politiker … verstanden haben und nicht verstehen wollen. „Beseitigung der Wahl“ – treffender könnte man Ihre Ab- (Thomas Ehrhorn [AfD]: Das müssen gerade sichten nicht auf den Punkt bringen. (B) Sie sagen! – Stephan Brandner [AfD]: Erklä- (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der ren Sie es uns!) SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden NEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: „Durch durch den Bundestag in geheimer Wahl mit der Mehr- Politiker“! Mann! – Matthias W. Birkwald heit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages [DIE LINKE]: Wenn man Deutsch nicht ver- gewählt, mindestens mit Kanzlermehrheit. nünftig schreiben kann!) (Stephan Brandner [AfD]: Vorher von den Es geht Ihnen darum, den Rechtsstaat und die parlamen- Fraktionsspitzen ausgemauschelt! Nichts an- tarische Demokratie zu diskreditieren. deres ist es!) (Lachen des Abg. Dr. Alexander Gauland Ich glaube, eine stärkere demokratische Legitimation hat [AfD] – Dr. Alexander Gauland [AfD]: So dieses Haus gar nicht, ein Unsinn! – Stephan Brandner [AfD]: Das schaffen Sie ganz allein, Herr Ullrich! Das (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des schaffen Sie ganz allein!) Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der AfD: Wenn ich mir ansehe, was Mitglieder Ihrer Fraktion zu Nein!) den Themen Rechtsstaat und Justiz allein in den letzten Monaten gesagt haben, dann wird dieses Bild dadurch als dass in geheimer Wahl in Wahlkabinen ein Richter untermauert: Beatrix von Storch am 13. März 2018 auf des Bundesverfassungsgerichts gewählt wird. Twitter zu einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Han- Was wollen Sie dagegen? Sie wollen, dass die Rich- nover – ich zitiere –: ter des Bundesverfassungsgerichts – eines Verfassungs- Diesen Richter sollten wir gleich mit abschieben. organs, das höchstes Vertrauen in der Bevölkerung ge- Mindestens Berufsverbot. Oder ist der ein Fall für nießt – zukünftig durch einen Richterwahlausschuss von betreutes Wohnen? nur zwölf Mitgliedern gewählt werden, der selber nur aus Richtern und Staatsanwälten besteht. Meine Damen und (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herren, das ist nicht demokratisch, das ist eigentlich eine NEN]: Hört! Hört!) Idee des Ständestaates, das ist vordemokratisch, Oder Frank Pasemann am 10. Juli 2018 auf Twitter (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem zum Thema NSU-Prozess; er spricht von einem – ich zi- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- tiere – „Schauprozess“. geordneten der FDP) 7812 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Volker Ullrich (A) und das passt nicht zur freiheitlichen Ordnung des und Demokratie, Herablassung, Misstrauen. Dem stellen (C) Grundgesetzes. wir entgegen: das Vertrauen in die Demokratie und das Vertrauen in den Rechtsstaat. Im Übrigen: Ihr Antrag atmet den Geist, dass Sie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nicht in dem Maße Herzlichen Dank. würdigen, wie es eigentlich für Angehörige eines ande- ren Verfassungsorganes angemessen wäre. Ihr Antrag (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP negiert auch, dass die Justiz in Deutschland nicht eine und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Organisation ist, die man mit Misstrauen und mit Häme überschütten sollte. Stattdessen sollten wir uns einmal Vizepräsidentin Claudia Roth: klar und deutlich zu unseren Sicherheitsbehörden und Vielen Dank, Dr. Ullrich. zur Justiz bekennen. (Stephan Brandner [AfD]: Bekennen Sie Herr Brandner, Ihre Wortwahl hat mit allem anderen, sich!) nur nicht mit der Würde dieses Hauses zu tun. Wenn Sie Kontroversen austragen wollen, dann erwarte ich von Wir haben einen starken Rechtsstaat, wir haben eine un- Ihnen, dass Sie sich zumindest bemühen, sich zivilisiert abhängige Justiz, auszudrücken. So geht man mit Kollegen nicht um! Sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der können eine andere Meinung haben; aber diese Zwi- SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE schenrufe – das geht nicht. Und wenn Sie Weihnachts- GRÜNEN) karten schreiben wollen, dann machen Sie das vielleicht in Ihrem Büro und nicht hier in der Debatte. wir haben Polizeibeamte, die das Vertrauen dieses Hauses genießen und die wissen sollten, dass sich die Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, neten dieses Hauses auch hinter sie stellen und dass sie der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE nicht mit Missgunst und Herablassung behandelt werden. GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Das entspannt mich hier ein bisschen! – Burkhard (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Lischka [SPD]: Das sind die Karten an die SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Spender!) NEN) Nächster Redner: Dr. Jürgen Martens für die Wir setzen gegen Ihren Antrag der Verächtlichma- FDP-Fraktion. chung von Rechtsstaat und Demokratie (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (B) (Stephan Brandner [AfD]: Erzählen Sie doch (D) nicht so einen Scheiß, Herr Ullrich! Was soll denn das? – Gegenruf des Abg. Ingmar Jung Dr. Jürgen Martens (FDP): [CDU/CSU]: Bitte! – Weiterer Gegenruf der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE ren! Wie die Debatte gerade eben schon gezeigt hat, ist GRÜNEN]: Hat der was getrunken?) dieser Gesetzentwurf, der von Herrn Reusch so freund- einen Pakt für den Rechtsstaat. lich vorgetragen wurde, in Wahrheit doch ein ziemlich vergiftetes Geschenk, das hier eingebracht wird.

Vizepräsidentin Claudia Roth: In der Tat sieht man, wenn man sich den Gesetzent- Ich sage gleich etwas; keine Angst. wurf anschaut: Es geht im Kern darum, die Justiz insge- samt zu diskreditieren, und zwar mit der Behauptung, wir haben es hier mit einer politischen Justiz – der Ausdruck Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): ist gefallen – zu tun. Herr Kollege Brandner, Sie haben „Anschlag auf den Rechtsstaat“ zur Wahl eines Richters am Bundesverfas- Die Frage dagegen muss lauten: Wo gibt es eine solche sungsgericht gesagt. Jetzt haben Sie hier unflätige Worte Politisierung in der deutschen Justiz? Der Gesetzentwurf gebraucht. Ich glaube, das ist nicht die Art und Weise, behauptet das zwar, allerdings entgegen den Tatsachen, wie wir hier umgehen sollten, das ist unwürdig. etwa wenn es heißt, dass bei den Wahlen zum Bundesver- fassungsgericht „nur“ – ich zitiere: „nur“ – solche Rich- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ ter eine Chance haben, die den großen Parteien CDU und DIE GRÜNEN]: Ist das peinlich!) SPD nahestehen. Das ist schlicht falsch; das Bundesver- Ich sage das mal ganz persönlich, fassungsgericht hat in seinen Urteilen und seiner Arbeit seit über sechzig Jahren bewiesen, dass diese Unterstel- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, lung nicht zutrifft. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie und das ist mein letzter Satz: bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch (Stephan Brandner [AfD]: Ist gut so!) des Abg. Stephan Brandner [AfD]) Das passt in die Strategie von Rechtspopulisten überall Zu den Staatsanwaltschaften wird behauptet – ich zi- in Europa: Verächtlichmachung von Rechtsstaatlichkeit tiere wieder aus dem Gesetzentwurf –: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7813

Dr. Jürgen Martens (A) Eingriffe von „Hoher Hand“ in einzelne Verfahren Die Vorschläge, die Sie bringen, mit denen Sie diese (C) aus Gründen politischer Opportunität sind keine angeblichen, selbst herbeigelogenen Probleme bekämp- Seltenheit. fen wollen, (Stephan Brandner [AfD]: Genau! Ist so!) (Stephan Brandner [AfD]: Darf man denn „gelogen“ sagen, Frau Präsidentin?) Das ist falsch, es ist eine glatte Lüge, Herr Brandner, auch wenn Sie immer wieder das Gegenteil behaupten. diese Vorschläge sind untauglich. Die Wahl von Richtern am Bundesverfassungsgericht soll jetzt durch Richter- (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD wahlausschüsse erfolgen; aber die Besetzung soll nach und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Listen erfolgen, die beim Bundesjustizministerium ge- führt werden. Das heißt, das Eingangstor, der Flaschen- Nennen Sie ein Verfahren! Nennen Sie Beweise! Nennen hals – das liegt bei der Verwaltung, nicht einmal beim Sie Zahlen! Das können Sie nicht. Parlament. Die Verwaltung entscheidet, wer auf die Liste kommt. Und dann darf gewählt werden? Und das soll (Stephan Brandner [AfD]: Ich kann das nicht eine größere demokratische Legitimation von Richtern sagen, Herr Martens! Ich würde es Ihnen gern bewirken, als gegenwärtig gegeben ist? Das glauben Sie sagen! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ doch selber nicht. DIE GRÜNEN]: Kann er ja nicht! Niveaulos der Typ!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Im Jahr 2016 sind in Deutschland über 5 Millionen SES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch des Strafverfahren von den Staatsanwaltschaften erledigt Abg. Stephan Brandner [AfD]) worden, 5 Millionen Verfahren. Sagen Sie es! Nennen Sie es! Sie können keinen Beleg dafür bringen. Natürlich kann man sich darüber unterhalten, das Wei- sungsrecht gegenüber den Generalstaatsanwaltschaften (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ nach § 147 Gerichtsverfassungsgesetz zu beseitigen. Ich CSU und der SPD) bin auch dafür. Ich habe selbst als Justizminister in fünf Jahren nicht ein (Stephan Brandner [AfD]: Immerhin!) einziges Mal von irgendeinem Weisungsrecht Gebrauch gemacht, und das gilt für die ganz, ganz überwiegende Aber was machen Sie? Sie schieben gleich hinten nach, Mehrzahl meiner Kollegen gleichermaßen. dass sofort alle Staatsanwälte die gleiche Unabhängigkeit wie Richter im Sinne des § 26 Absatz 1 Deutsches Rich- (B) (D) (Stephan Brandner [AfD]: Warum gibt es das tergesetz genießen müssten, wonach der Richter nichts dann? Schaffen Sie es doch ab!) unterworfen ist, was seine Unabhängigkeit irgendwie beeinträchtigen könnte. Das heißt, der Staatsanwalt be- Meine Damen und Herren, das müssen sich die Staatsan- stimmt in Zukunft, was er erledigt, in welcher Geschwin- wälte in Deutschland nicht vorwerfen lassen: dass sie – digkeit, wann er zur Arbeit kommt, wann er wieder geht, „keine Seltenheit“, das heißt laufend – aus politischer und versetzen kann man ihn nicht; man kann dienstauf- Opportunität irgendwelchen Weisungen unterliegen. Das sichtlich überhaupt nichts machen. ist schlicht falsch. (Stephan Brandner [AfD]: Klappt doch bei (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ Richtern auch!) CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Das sind nichts weiter als die feuchten Träume von Fragen Sie die Staatsanwälte!) Staatsanwälten, Weiter heißt es dann, die vorgeschlagene Änderung (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜND- hätte „im Bereich der Bekämpfung von Korruptions-, NISSES 90/DIE GRÜNEN – Canan Bayram Wirtschafts- und organisierter Kriminalität nicht zu un- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind die terschätzende Auswirkungen“. Träume von Herrn Reusch!) Was soll denn das heißen? Soll das heißen, dass gegen- wenn man sie mal laufen lässt, meine Damen und Her- wärtig, ohne diese Änderungen, die Bekämpfung solcher ren, das hat aber mit einem funktionierenden Rechtsstaat Kriminalität nicht oder nur schlecht funktioniert? Was herzlich wenig zu tun. unterstellen Sie eigentlich an politischen Absichten da- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hinter? Das ist das Infame: dieser Subtext hintendran, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dass bei uns nicht ermittelt würde, weil es diese Ände- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rungen, die die AfD hier vorschlägt, nicht gibt, meine Damen und Herren, und dem setzen wir uns nicht wehr- los aus. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Martens. – Nächster Redner: Karl- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Heinz Brunner für die SPD-Fraktion. der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 7814 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Gefühl der Straße, nicht der öffentlichen Meinung oder (C) Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ver- gar dem Volksempfinden nachgibt. ehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Wäre es nicht so bit- (Beifall der Abg. Dr. Manuela Rottmann ter, könnte man bei der Überschrift, die gewählt wurde, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sagen: Sie wollen Vertrauen in die Richtigkeit richter- licher, staatsanwaltschaftlicher und behördlicher Ent- Wer daraus jedoch Reformbedarf bei der Bundesrichter- scheidungen herstellen – angeblich, um den Rechtsstaat wahl konstruiert, der hat unser Rechtssystem, jedenfalls zu stärken. Dann müsste man sagen: Schön, dass Sie in das der Bundesrepublik Deutschland, nicht verstanden. Deutschland angekommen sind; willkommen im Rechts- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten staat! der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Nach Religion, Minderheiten, Schwulen und Lesben BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Ihrem Lieblingsthema, den Flüchtlingen, soll es nun Meine Damen und Herren, denn so kritisch diese Ur- der Rechtsstaat sein, an den Hand gelegt wird. teile in der Gesellschaft aufgenommen wurden: Es ist (Stephan Brandner [AfD]: Och nee! Herr nicht zu erkennen, dass sie das Grundvertrauen in die Brunner!) deutsche Justiz erschüttern.

Ich könnte jetzt sagen, dass der erste Blick täuscht. Nun Vizepräsidentin Claudia Roth: ja, lassen Sie uns doch mal schauen, von wem diese De- batte angestoßen wird: von einem Ex-Staatsanwalt, der Herr Kollege, eine Sekunde. – Ich will ankündigen, seinen Beamtenstatus verloren hat, da er die Pflicht zur dass ich heute angesichts der langen Tagesordnung, die Verfassungstreue verletzt hat, indem er den deutschen wir noch vor uns haben, und angesichts der Verantwor- Staat, für den auch wir hier stehen, als „Unterdrückungs- tung, die wir nicht nur gegenüber uns selber haben, son- instrument“ bezeichnete; dern auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern des Hauses, der Verwaltung, unseren Protokollanten, (Stephan Brandner [AfD]: Herr Brunner, Sie unseren Parlamentsassistenten, dem Personal des Res- verwechseln da was!) taurants, keine Zwischenfragen und keine Kurzinterven- tionen mehr zulasse. von einer ehemaligen Richterin, die in ihrer Rede be- hauptet, dass dem Gesundheitssystem Milliardenkosten (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und entstünden, weil Flüchtlinge ihre Beipackzettel nicht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lesen könnten – ein Faktencheck zeigt: die Behauptung (B) (D) ist dreist konstruiert –; von einem Ex-Oberstaatsanwalt, Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): der sagt – ich zitiere –: „Wenn die Blockparteien so wei- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Dies wird im Übri- termachen können wie bisher, dann hat unser Land in gen entgegen der ganzen politischen Schaumschlägerei 20 Jahren fertig, wir wären wirtschaftlich ruiniert, von vonseiten der AfD hier durch statistische Daten belegt. einer nicht-deutschen Mehrheit besiedelt und auf dem Die Frage „Wie sehr vertrauen Sie der Justiz bzw. dem besten Weg in die islamische Republik“; deutschen Rechtssystem?“ haben 72 Prozent mit „Eher (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Völki- vertrauen“ beantwortet, und die Tendenz ist steigend. scher Unsinn!) Das hat seinen Grund. Er heißt auch: demokratische oder von einem Ex-Richter am Landgericht, der sich sol- Legitimation, die Legitimation, die sich mit der Parla- che rassistischen Äußerungen wie „kleiner Halbneger“ mentsbeteiligung bei der Richterwahl bewährt, die Legi- erlaubt. timation, die Hauptmotiv für die Regelungen zur Rich­ terwahl war: ja, auch für eine aufgrund ihrer Verstrickung (Abg. Jens Maier [AfD] meldet sich zu einer in die Nazigewaltherrschaft diskreditierte Justiz in der Zwischenfrage) Bevölkerung wieder Vertrauen herzustellen. Übrigens: Die Lektüre der „Akte Rosenburg“ dazu hilft Ihnen da Ist das das Vertrauen, das Sie in den Rechtsstaat her- weiter. stellen wollen? Mit den Unterzeichnern gelingt Ihnen dies jedenfalls nicht. Noch dazu, meine Damen und Herren, dienen die Richterwahlen ja auch dem Zweck, die Kandidatinnen (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ und Kandidaten für ein Richteramt auf ihre Eignung zu CSU und der FDP) prüfen, nicht allein nach ihrer Platzziffer und juristischen Brillanz, sondern vor allen Dingen hinsichtlich ihrer Ver- Zugegeben: Es gibt Gerichtsurteile, die große öffentli- fassungstreue. che Aufmerksamkeit auf sich ziehen: das Wegsperren des Herrn Mollath, der Prozess gegen Uli Hoeneß. Die öf- Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns fentliche Meinung und die Entscheidungen klaffen aus- beim bewährten Prozedere verbleiben! Um den Rechts- einander . Sie befördern öffentliche Zweifel an der Justiz, staat zu stärken, braucht es mehr, nämlich eine gute Aus- ihrer Unabhängigkeit und ihrem Realitätssinn. Ja, Zwei- stattung mit Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern, fel! Doch dies war schon immer so, und es wird immer so Amtsanwälten und engagierten Justizbediensteten, die sein; denn dafür haben wir unser Recht, ein geschriebe- allesamt fest und unverrückbar dort stehen, wo sie hinge- nes Recht, ein Recht, das nicht Stimmungen, nicht dem hören: auf dem Boden unseres Grundgesetzes. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7815

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) Herzlichen Dank. und so eine stärkere Eigenverantwortung ermöglichen. (C) Das ist aus unserer Sicht erforderlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Wir stellen dieses Thema aber gerade nicht unter den DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Jürgen Begriff „Entpolitisierung“, weil uns sehr wohl bewusst Martens [FDP]) ist: Justiz ist, auch wenn man kein Parteibuch unter der Robe trägt, immer ein Stück weit politisch; denn vor Ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: richt werden wesentlich Entscheidungen über die Ausle- gung und Anwendung von hier beschlossenen Gesetzen Vielen Dank, Kollege Brunner. – So, es gibt jetzt kei- getroffen. ne Zwischenfrage und keine Kurzintervention. Aber nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat Herr Maier kurz das (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Wort. Stephan Brandner [AfD]) (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auf dem Gebiet des Sozialrechts kann ich aus mei- NEN]: Persönliche Erklärung: Ich habe keine ner langjährigen richterlichen Erfahrung hierzu vieles Twitter-Nachricht geschrieben!) berichten. Natürlich sind die Frage der Anwendung von Sanktionen und der Streit um die Höhe des Regelsatzes bei Hartz IV auch immer eine politische Angelegenheit; Jens Maier (AfD): und das ist auch gut so. Recht lebt gerade von den wider- Herr Dr. Brunner, ich muss hier vielleicht etwas rich- sprechenden politischen Auffassungen, und diese bilden tigstellen: Ich habe Herrn Noah Becker nicht persönlich sich in den Gesetzen ab. als „Halbneger“ bezeichnet. Es gibt eine Verfügung der Staatsanwaltschaft Dresden, wo das Verfahren eingestellt Nun zur AfD selber. Sie geben sich als Biedermänner, wurde – wegen erwiesener Unschuld; das möchte ich sind aber Brandstifter. hier einmal ganz deutlich sagen. Ich führe zurzeit mehre- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- re Rechtsstreitigkeiten gegen Zeitungen, die was anderes neten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und behaupten. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist gefährlich, weil viele von Ihnen aus der Justiz Das war ein Mitarbeiter!) kommen und dort eher durch vollkommene Unfähigkeit Das wollte ich Ihnen nur mal mitteilen. zur politischen Mäßigung aufgefallen sind. (Beifall bei der AfD) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (B) So ist es!) (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: Es wurde eben zitiert: Herr Reusch, in Ihrem Beruf als Gut. Danke schön, Herr Maier. – Nächster Redner: Staatsanwalt sind Sie nicht nur einmal mit politischen Friedrich Straetmanns für die Fraktion Die Linke. Äußerungen in der Öffentlichkeit aufgefallen, die die ganze Berliner Staatsanwaltschaft in ein schlechtes Licht (Beifall bei der LINKEN) gerückt haben. (Stephan Brandner [AfD]: Sie rücken alle Po- Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): litiker in ein schlechtes Licht! Das ist doch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Unsinn!) nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Zuhörertribünen! Zur Beratung steht der Gesetzent- Aber in Ihrer Truppe finden sich noch viel schlimmere wurf der AfD über die „Entpolitisierung der Justiz und Fälle. Ihr Fraktionskollege Thomas Seitz verlor kürzlich Sicherheitsbehörden“, ein Entwurf, der nach eigener Be- seinen Beamtenstatus, da er sich, obwohl er Staatsanwalt gründung – ich zitiere – „eine Stärkung des Vertrauens war, zu Äußerungen verstieg, die jedes Maß vermissen der Bürger in die Richtigkeit richterlicher, staatsanwalt- ließen. schaftlicher bzw. behördlicher Entscheidungen und da- Herr Maier, in Ihrem Beruf als Richter am Landgericht mit in den Rechtsstaat“ erreichen will. Dresden haben Sie Ihren Kollegen allerlei Ärger bereitet, Vorab gesagt: Es ist dreist, dass gerade Sie von der weil Sie sich – ich muss es ganz klar sagen – einfach AfD dieses Thema aufgreifen; dazu später mehr. nicht im Griff haben und das öffentliche Vertrauen in Ihre Kammer gefährdet haben. Ihr Gericht musste Ihnen nach (Beifall bei der LINKEN – Stephan Brandner Ihrer rechtsradikalen Brauhaustirade die Zuständigkeit [AfD]: Wir sind ganz Ohr!) für Verfahren im Ehrschutz entziehen. Einen Verweis ha- Meine Fraktion, Die Linke, hat in der 17. Wahlperiode ben Sie dafür ebenfalls kassiert. einen Gesetzentwurf zur „Herstellung der institutionellen (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Unabhängigkeit der Justiz“ eingebracht. DIE GRÜNEN: Hört! Hört!) (Stephan Brandner [AfD]: Toll!) Eigenartig: Mir ist es in vielen Jahren der Tätigkeit als Richter am Sozialgericht nie gelungen, so auffällig zu Dieser Entwurf sollte unter anderem über die stärkere werden. Stellung von Richterwahlausschüssen die schon bisher dort teilweise bestehende Selbstverwaltung ausbauen (Heiterkeit bei der LINKEN) 7816 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Friedrich Straetmanns (A) Ich werde Ihnen auch sagen, warum. fürs Nichtstun hat bezahlen lassen, sagt auch sehr viel (C) über Ihre Referenzen aus. (Stephan Brandner [AfD]: Weil Sie so ein blasses Licht sind!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weil es zum Berufsethos jedes Richters und Staatsan- sowie bei Abgeordneten der SPD – Britta walts gehören muss, seine eigene politische Meinung Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: maßvoll und mit Rücksicht auf das Amt zu äußern. Doppelt kassiert!)

(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der Der Gesetzentwurf hat aber einen Teil, über den wir SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE reden können. Da geht es darum, ob die Richterwahl, GRÜNEN) wie sie derzeit durchgeführt wird, optimal ist oder ob Da Sie das nicht können, gehen Sie einfach davon aus, wir dort etwas reformieren können. Wir als Bündnis 90/ dass andere dazu ebenfalls nicht in der Lage sind. Die Grünen haben hierzu schon Verbesserungsvorschlä- ge gemacht. In der Tat kann man sich in den Ländern Auf Ihre Ausführungen über politische Spitzenbeamte ein Bild davon machen. Ich selbst war lange in Berlin will ich nicht groß eingehen. Es geht Ihnen ja, wie aus- im Richterwahlausschuss. Da wurde mehr diskutiert, da gedrückt, ganz offensichtlich um die Ehrenrettung von wurden Stellen ausgeschrieben, und wir haben tatsäch- Hans-Georg Maaßen, der als Verfassungsschutzchef ge- lich in einer transparenteren Art und Weise die Richter hen musste, weil er sich, trunken von Ihrem Beifall, ins ausgewählt. Dazu bin ich gerne bereit. Wir haben in der Tagesgeschäft der Bundesregierung eingemischt hat. Vergangenheit Anträge dazu geschrieben, die wir disku- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tieren können. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der AfD) Insbesondere wäre herauszustellen, dass wir die Stel- len ausschreiben, damit transparent ist und jeder weiß, Wenn Sie den Mann so gerne feiern möchten, verleihen dass eine Stelle frei wird. Darüber ließe sich reden. Sie ihm doch einfach eine Ehrenmitgliedschaft. Insgesamt taugt für uns Ihr Entwurf nicht dazu, sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einem ernsten Thema angemessen zu nähern. Wir wer- sowie des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE den ihn daher ablehnen. LINKE])

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Auch das Anforderungsprofil für die Stellen könnte (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- transparent dargestellt werden. Aber das würde bedeuten, (B) (D) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE dass wir bei dem Profil deutlicher machen müssten, dass GRÜNEN) wir im Sinne der Gleichstellung diese Positionen auch mit Frauen besetzen wollen. Dazu lese ich in Ihrem Ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: setzentwurf kein Wort; ehrlich gesagt wundert mich das noch nicht mal. Vielen Dank, Friedrich Straetmanns. – Nächste Red- nerin: Canan Bayram für Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD] und Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nun zum letzten Punkt, zur Weisungsgebundenheit Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen bzw. -freiheit gegenüber der Staatsanwaltschaft. Man und Kollegen! Wir behandeln heute einen Antrag, der fragt sich wirklich, wie sehr Sie in Ihrem alten Job gelit- wieder einmal aus der AfD-Giftküche kommt, mit dem ten haben, Herr Reusch, und wie gut es Ihnen dann wohl Ziel einer Verächtlichmachung des Staates und alles Po- hier geht, wenn Sie, wie der Kollege Martens es gesagt litischen. hat, Zeit für feuchte Träume haben. Die AfD macht das hier nicht zum ersten Mal. (Stephan Brandner [AfD]: Er hat das etwas (Stephan Brandner [AfD]: Und nicht zum anders formuliert, der Herr Martens!) letzten Mal!) Ich kann insoweit an das anknüpfen, was der Vorredner Der Punkt ist, dass Ihre Vorschläge gegen Grundprinzipi- gesagt hat: Sie sind verärgert darüber, wie Herr Maaßen en, sowohl das Demokratieprinzip als auch das Minister- entlassen wurde, nachdem er nachweisbar seine Dienst- verantwortlichkeitsprinzip, verstoßen. Wollen Sie, dass pflichten verletzt hat. Dass das eine Konsequenz haben die Staatsanwälte machen können, was sie wollen? Wen musste und dass es eine hatte, finden wir richtig. Deswe- ziehen wir denn dann zur Verantwortung? Es ist doch gen wollen wir das auch nicht ändern. der Minister, der dafür geradestehen muss, wenn etwas nicht läuft. Es ist der Minister, der eingreifen muss, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN etwas total schiefläuft. Wenn wir dieses Weisungsrecht sowie bei Abgeordneten der LINKEN) abschaffen, haben wir die Situation, dass wir niemanden Dass Sie sich bei dieser Forderung auch noch auf Herrn dafür verantwortlich machen können. Sie würden dann Wendt berufen, der sich bekanntermaßen monatelang wahrscheinlich Ihr wildes AfD-Treiben sozusagen in die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7817

Canan Bayram (A) Staatsanwaltschaft überführen. Das wollen wir nicht. Frage, wie es mit politischen Beamten, unseren Spitzen- (C) Das werden wir verhindern. beamten, aussieht. Der dritte Punkt ist die Richterwahl.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beim Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwalt- sowie bei Abgeordneten der SPD und der schaft hat das Grundgesetz in Artikel 97 eine ganz klare LINKEN) Entscheidung getroffen: Richter sind unabhängig. Diese Wozu wir aber auch einen Antrag eingebracht haben Entscheidung ist ganz bewusst getroffen worden. Denn und worüber wir gerne diskutieren, ist, dafür zu sorgen, bei der Abwägung, die damals stattgefunden hat und auch dass die politische Einflussnahme nicht möglich ist. Das immer wieder in den Diskussionen stattfindet, wird ganz heißt, beim Weisungsrecht muss deutlich sein: Es gibt klar auf der einen Seite die Freiheit der Justiz angeführt, keine Einzelweisungen, sondern ein maßvolles Nutzen auf der anderen Seite aber auch, dass es Verantwortung der Instrumente. Ehrlich gesagt habe ich, als ich Ihren für Entscheidungen geben muss. Gesetzentwurf zum ersten Mal gelesen habe, gedacht: Entpolitisierung? Das meint die AfD doch wohl nicht Die Staatsanwaltschaft besteht aus Exekutivbeamten ernst. im Strang, und der Chef ist der Justizminister, ebenso wie der Chef der Polizisten der Innenminister ist. Er muss für (Uwe Kamann [AfD]: Doch!) die Arbeit geradestehen. Das ist im Umkehrschluss ein Sie wollen die Politisierung der Justiz und der Sicher- Schutz für Staatsanwälte, weil sie wissen, dass Sie die heitsbehörden in Ihrem Sinne, und das werden wir ganz Deckung ihrer Führung, ihres Ministers, haben. Daher bestimmt verhindern. rührt die Entscheidung, dass Staatsanwälte weisungsge- bunden sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Nur in ganz wenigen Fällen tritt wirklich einmal eine Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Situation auf, in der das problematisch ist. Wir denken an Dr . Jürgen Martens [FDP]) die Diskussion um die Weisung an den Generalbundes- anwalt Range durch den damaligen Justizminister Maas. Vizepräsidentin Claudia Roth: Das wird sofort öffentlich. Das wird diskutiert. Ich hätte mir das damals anders gewünscht, okay; aber das sind Vielen Dank, Canan Bayram. – Nächster Redner: Einzelfälle, die dann auch wirklich in den Fokus geraten. Dr. Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion. Dass ein Minister dann irgendwann eine Entscheidung (Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Brandner trifft, wenn er meint, dass er sie treffen muss, liegt dann [AfD]: Seien Sie nicht so hart mit uns, Herr auch in seiner Verantwortung. Von daher ist, glaube ich, (B) Kollege!) das Recht der Weisung gegenüber Staatsanwälten richtig. (D) Das unterscheidet sie eben von den Richtern. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Der zweite Punkt, den Sie angeführt haben, sind die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und politischen Beamten, die Sie gerne abschaffen möchten, Kollegen! Lieber Herr Brandner, ich sage nur, wie es die Spitzenbeamten, den Bundespolizeipräsidenten, den ist. – Ihr Gesetzentwurf zur Entpolitisierung der Justiz BND-Präsidenten, den Verfassungsschutzpräsidenten. und Sicherheitsbehörden erweckt den Eindruck, als hät- Sie sollen keine politischen Beamten mehr sein. Das hat ten wir eine politische Justiz und politische Sicherheits- aber zwei Seiten. Auf der einen Seite müssen sie politisch behörden. Mitnichten! Das ist nicht der Fall. sein. Wir erwarten von ihnen politische Statements, dass (Thomas Ehrhorn [AfD]: Genau das haben sie uns ihre Meinung sagen und Bewertungen abgeben. wir!) Auf der anderen Seite erwarten wir auch, dass man mit ihnen überparteilich, über die Fraktionsgrenzen hinweg Wir haben Sicherheitsbehörden, die die freiheitlich-de- vertrauensvoll zusammenarbeiten kann. mokratische Grundordnung schützen. Wir haben keine politische Justiz. Ich kann nicht sehen – das ist meine Meinung –, dass (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Maaßen – er wurde eben angesprochen – eine Viel- NEN]: Wie in Russland!) zahl von Fehlern gemacht hat. Im Nachhinein hat sich vieles als nicht richtig erwiesen, was die Vorwürfe be- Sie suggerieren dies erst mit Ihrem Gesetzentwurf, und trifft. Aber wir müssen sehen, dass eine vertrauensvolle eigentlich – es ist gerade gesagt worden; ich kann dem Zusammenarbeit über die Fraktionen nach dem, was dort nur zustimmen – wünschen Sie es sich ja durch Ihre Bril- diskutiert worden ist, nicht mehr möglich war, und dann le, und das ist traurig. muss es auch eine Möglichkeit geben, einen Neuanfang (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. zu machen. Deswegen sind politische Beamte eben poli- Dr. Nina Scheer [SPD]) tische Beamte. So kann man, zum Beispiel bezogen auf den Sachverhalt des Verfassungsschutzes, sagen: Wir Ihr Gesetzentwurf hat im Kern drei Themen, über die fangen mit einem neuen Chef an. man zwar diskutieren kann. Aber wenn man das tut, wird man sehr schnell zu dem Schluss kommen, dass man Ih- Der letzte Punkt ist die Richterwahl. Ich habe Ihren ren Gesetzentwurf und die darin enthaltenen Punkte ab- Gesetzentwurf mehrmals gelesen und festgestellt: Sie lehnen muss. Der erste Punkt ist das Weisungsrecht ge- wollen eine demokratisch legitimierte Wahl durch den genüber der Staatsanwaltschaft. Der zweite Punkt ist die Bundestag, durch Vertreter des Volkes, durch eine Wahl 7818 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Patrick Sensburg (A) im Hinterzimmer von Richtern ersetzen, die nicht demo- Gesetzentwurfs heißt, ist völlig aus der Luft gegriffen. (C) kratisch legitimiert und nicht transparent ist. Es hat einfach mit Haltung zu tun, mit Grundeinstellung und korrekter Amtsführung, die der Dienstherr von Spit- (Stephan Brandner [AfD]: Die Hinterzimmer zenbeamten erwarten kann, aber ganz gewiss nicht mit wären wesentlich besser!) Willkür. Was da besser werden soll, müssen Sie mir mal in einer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mußestunde erklären. Ihrem Gesetzentwurf ist das nicht zu entnehmen. Ich bezweifle außerdem stark, dass Beamte auf Le- benszeit per se eine bessere Arbeit machen, nur weil Ich kann nur sagen: Alle drei Punkte und damit der sie Beamte auf Lebenszeit sind. Den Nachweis für Gesetzentwurf insgesamt sind abzulehnen. Die Themen diese Behauptung bleiben Sie in Ihrem Gesetzentwurf sind schon lange diskutiert worden. Bringen Sie gerne schuldig. Die Behördenchefs gewinnen unser aller Ver- neue Themen, über die wir diskutieren können. Aber so trauen, wenn sie gegenwärtige Gefahren erkennen und kann man nur sagen: Das ist nichts. Der Gesetzentwurf aufdecken. Sie schaffen kein Vertrauen mit der Art ihres muss abgelehnt werden. Arbeitsvertrages. Ich bin daher ganz im Gegenteil der Danke schön. Meinung, dass Ihr Vorschlag einer lebenslangen Garantie auf einen Chefposten dazu führen würde, Vertrauen der (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bürgerinnen und Bürger in staatliche Institutionen abzu- Otto Fricke [FDP]) bauen und nicht aufzubauen. (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Sensburg. – Nächster Redner: Uli Und würde man es so machen, wie es in Ihrem Ge- Grötsch für die SPD-Fraktion. setzentwurf steht, dann wäre auch die Benennung eines solchen Beamten auf Lebenszeit eine politische Ent- (Beifall bei der SPD) scheidung. Was sonst wäre es, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ich sage Ihnen: Die Sicherheitsbehörden in Uli Grötsch (SPD): diesem Land sind und sollen keine freischwebenden Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Strukturen sein, deren Amtsleitungen quasi keine Re- und Kollegen! Herr Reusch, nachdem ich Ihren Gesetz- chenschaft mehr ablegen müssen, weil sie Beamte auf entwurf gelesen habe, war mein erster Gedanke, dass Lebenszeit sind. Es ist richtig und wichtig, dass Kontrol- Sie ihn vermutlich deshalb einbringen, weil Sie es nicht le stattfindet, damit es in den Behörden kein Eigenleben geben kann. (B) besser wissen, als es in Ihrem Gesetzentwurf steht. Das (D) könnte vielleicht damit zu tun haben, dass Ihre Fraktion Vielleicht einmal ein ganz hypothetisches Beispiel: noch nicht lange – und wenn es nach mir geht, hoffent- Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe einen Präsidenten lich auch nicht mehr lange – dem Deutschen Bundestag des Bundesamtes für Verfassungsschutz, auf Lebenszeit angehört. ernannt, der die Bekämpfung des Rechtsextremismus auf (Dr. Heiko Heßenkemper [AfD]: Da müssen null herunterfährt. Das kann doch von niemandem hier wir Sie enttäuschen!) gewollt sein. Es ist gut, dass der Dienstherr die Möglich- keit hat, mit einer neuen Personalie das Vertrauen in die Nach Ihrer Rede will ich aber eines sagen: Wer die Behörde wiederherzustellen, wo es notwendig ist. Unabhängigkeit der deutschen Justiz und des Bundes- verfassungsgerichts infrage stellt, der legt die Axt an die Sie präsentieren mit Ihrem Gesetzentwurf eine schein- Wurzeln des Rechtsstaates. bare Lösung für ein nur scheinbares Problem. Wenn es Ihnen wirklich um eine bessere Arbeit unserer Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem heitsbehörden geht, dann sollten wir darüber reden: Wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. können wir nach den Pannen der letzten Jahre und ganz Dr . Jürgen Martens [FDP] – Zuruf von der aktuell nach der neuerlichen Aufdeckung eines rechts- AfD: Das ist eine Floskel!) extremen Netzwerkers das Vertrauen der Bürger wieder Mir ist es schleierhaft, wie Sie zu der Annahme kommen, zurückgewinnen? Wie erreichen wir mehr Bürgernähe, dass die Präsidenten der Nachrichtendienste unabhän- mehr Akzeptanz? Wie können wir Missstände künftig giger seien und – ich zitiere – nicht befürchten müssen, vermeiden? – Ihr Gesetzentwurf gibt keine Antworten „ohne Angabe irgendwelcher Gründe in den ‚einstweili- auf all diese Fragen und verbessert die Situation der Be- gen Ruhestand‘ versetzt“ zu werden, wenn sie Beamte hörden ganz bestimmt nicht. auf Lebenszeit sind. Ich kann mich beim besten Willen Vielen Dank. an keinen Behördenchef erinnern, der nicht wusste, wa- rum er gehen musste, wenn er gehen musste. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie haben eben gesagt: Behördenleiter müssen auch einmal Nein sagen können. – Das können auch politische Vizepräsidentin Claudia Roth: Beamte; und wenn Sie mich fragen, sagen Behördenlei- Vielen Dank, Uli Grötsch. – Letzter Redner in der De- ter uns gegenüber manchmal sogar zu oft Nein, wenn es batte: Dietrich Monstadt für die CDU/CSU-Fraktion. um unsere Arbeit geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Willkür, wie es in der Problembeschreibung Ihres (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7819

(A) Dietrich Monstadt (CDU/CSU): In Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie vom verloren- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und gegangenen Vertrauen in die Politik. Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Wenn man sich (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es! mit dem vorgelegten Gesetzentwurf auseinandersetzt, Hört! Hört!) dann kann man nur zu einem abwertenden Ergebnis kommen: Dieser Gesetzentwurf ist schlicht und einfach Ja, das gibt es. Die Politik hat in der Vergangenheit nicht Unfug. Es ist Unfug, wenn Sie bemängeln, dass ehemali- alles richtig gemacht, sonst säße mit Ihnen auch keine ge Politiker nach ihrer politischen Tätigkeit Richterämter Protestpartei in diesem Parlament. Aber dass Richter- antreten. Gerade die Erfahrung als Teil der Gesetzgebung wahlen politisiert seien, hat mich als Kritik noch nicht befähigt ehemalige Mitglieder der Parlamente doch in be- erreicht, zumindest nicht von Demokraten. Ich kann ja sonderem Maße, diese Erfahrung in der Rechtsprechung verstehen, dass Sie selbst eine Zweidrittelmehrheit als und Rechtsfortbildung gerade auch an Obergerichten ein- Legitimation nicht überzeugt, in Ihrem Fall aber offen- zubringen. Richter kann nur werden, wer die Befähigung sichtlich nur dann, wenn man zu dem verbleibenden Drit- zum Richteramt hat. Dass Sie ehemaligen Politikern mit tel gehört. dieser Befähigung den Weg in die Justiz versperren wol- len, kommt einem Berufsausübungsverbot gleich und ist Die Antragsteller prangern an, sie fordern, sie kritisie- damit auch verfassungsrechtlich mehr als fragwürdig. ren. Gehen Sie doch einmal mit gutem Beispiel voran! Sie selbst haben Staatsanwälte und Richter in Ihren eige- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nen Reihen. Mir ist nicht bekannt, dass nur ein einziges der SPD) Ihrer Fraktionsmitglieder die Rückkehr in die Justiz frei- Meine Damen und Herren, Unfug ist auch, dass Sie willig ausgeschlossen hat, weil diese dadurch politisiert diese herbeigeredete Politisierung durch Ihren Richter- würde. Das wäre immerhin konsequent. wahlausschuss durchbrechen wollen. Interessant ist aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, vor allem, wie Sie diesen zusammengesetzt sehen wol- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE len. Die Besetzung Ihres Wahlausschusses soll aus den GRÜNEN) gewählten Richtern des Bundesverfassungsgerichts, de- nen der obersten Gerichte des Bundes sowie gewählten Statt die etablierten und anerkannten demokratischen Staatsanwälten der Generalbundesanwaltschaft bestehen. Prozesse zu bekämpfen, sollten Sie sich lieber konstruk- Übersetzt heißt das: Sie wollen quasi eine eigene „Rich- tiv einbringen. Ihren Gesetzentwurf müssen wir leider terkaste“, eine Richterkaste, die sich dann auch selbst er- ablehnen. nennt. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Richter ohne (B) demokratische Legitimation, die aufgrund ihres Status Herzlichen Dank. (D) dem Staat besonders verpflichtet sind, sollen sich dann (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- gegenseitig selbst wählen? Von Demokratie ist das weit NIS 90/DIE GRÜNEN) entfernt. Es stellt im Übrigen auch einen Verfassungsver- stoß gemäß Artikel 94 Grundgesetz dar. Das haben Sie erkannt; also wollen Sie die Verfassung gleich mit än- Vizepräsidentin Claudia Roth: dern, sicher ist sicher. Gott sei Dank fehlt Ihnen dafür die Vielen Dank, Dietrich Monstadt. – Damit schließe ich Zweidrittelmehrheit. die Aussprache. (Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs [CDU/CSU]) auf Drucksache 19/6022 an die in der Tagesordnung In ihrem Gesetzentwurf schreiben die Antragsteller aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Fe- von der „Entpolitisierung“. Sagen Sie doch, was Sie ei- derführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucher- gentlich umsetzen wollen: Sie wollen eine Entdemokra- schutz liegen soll. – Dazu gibt es keine anderweitigen tisierung der Justiz. Sie wollen eine Entdemokratisierung Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. der Sicherheitsbehörden. Das ist die eigentliche Wahr- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf: heit. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- der SPD) zes zur Ergänzung der Regelungen über die Meine Damen und Herren, Artikel 94 Grundgesetz zulässige Miethöhe bei Mietbeginn und zur bestimmt eine Besetzung des Bundesverfassungsgerichts Anpassung der Regelungen über die Moder- jeweils zur Hälfte durch den Bundesrat und den Bundes- nisierung der Mietsache (Mietrechtsanpas- tag. Das ist keine Politisierung; das ist gelebter Födera- sungsgesetz – MietAnpG) lismus. Darüber hinaus bedarf die Wahl gemäß § 6 und § 7 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes einer Zwei- Drucksachen 19/4672, 19/5415, 19/5647 Nr. 13 drittelmehrheit, einer Mehrheit, die alleinig durch die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- aktuelle Regierungskonstellation gar nicht darstellbar ist. ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- Das aktuelle Wahlverfahren spiegelt nicht nur den aktu- schuss) ellen Wählerwillen wider, sondern ist aufgrund der erfor- derlichen Zweidrittelmehrheit auch höchst demokratisch. Drucksache 19/6153 7820 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- 2 Euro. Damit sichern wir, dass die Mieten trotz Moder- (C) richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- nisierungen bezahlbar bleiben – gerade für junge Fami- cherschutz (6. Ausschuss) lien, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ganz wichtiger Schritt. – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Gesine Lötzsch, Pascal Meiser, weiterer (Beifall bei der SPD) Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wenn etwa eine Familie eine 100-Quadratmeter-Woh- Mieterhöhungsstopp jetzt nung zu 6 Euro pro Quadratmeter angemietet hat, dann – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, hat sie durch unser Gesetz jetzt die Garantie, dass die Dr. Gesine Lötzsch, Pascal Meiser, weiterer Miete wegen Modernisierungen innerhalb von sechs Jah- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE ren nur um 200 Euro und somit nur auf 800 Euro steigen darf. Eine Familie, die 9 Euro pro Quadratmeter für ihre Mietenanstieg stoppen, Mieterinnen und 100-Quadratmeter-Wohnung bezahlt, hat durch dieses Mieter schützen, Verdrängung verhindern Gesetz die Garantie, dass die Miete wegen Modernisie- – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian rungen innerhalb von sechs Jahren nur auf 1 200 Euro Kühn (Tübingen), Canan Bayram, Daniela steigen darf. Das zeigt, dass wir mit diesem Gesetz gegen Wagner, weiterer Abgeordneter und der Frak- höhere Mieten durch Modernisierungen vorgehen, und tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zwar effektiv. Mietrecht jetzt wirksam reformieren – Be- (Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: zahlbares Wohnen sichern Sehr gut!) Drucksachen 19/4829, 19/4885, 19/2976, Ganz wichtig dabei ist, dass die SPD die bundeswei- 19/6153 te Geltung dieses Gesetzes durchgesetzt hat und dass es eben nicht, wie bei der Mietpreisbremse, davon abhängt, Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ob Landesregierungen willig oder fähig sind, die entspre- zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke und drei chenden Regelungen auch zur Geltung zu bringen. Auch Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das ist ein ganz wichtiger Schritt. vor. Über einen Änderungsantrag der Fraktion Die Linke und einen Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Bundesweit gelten wird auch die zweite wichtige Neu- Grünen werden wir später namentlich abstimmen. erung: dass wir die Möglichkeit der Umlage von Moder- nisierungskosten von 11 Prozent pro Jahr auf 8 Prozent Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für reduzieren. Das ist ein weiterer Schritt, um Mieterinnen (B) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und und Mieter vor explodierenden Mieten durch Moderni- (D) sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- sierungen zu schützen. Auch dadurch verhindern wir, sen. dass Mieten infolge von Modernisierungen unbezahlbar Ich gebe das Wort als erstem Redner in dieser Debatte werden. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ja, wir hätten auch gerne in diesem Gesetz geregelt, dass die Mietpreisbremse bundesweit gilt; denn bei allen Dr. Johannes Fechner (SPD): richtigen und wichtigen Investitionsmaßnahmen, die wir Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! beschlossen haben – von der steuerlichen Abschreibung Liebe Gäste auf den Tribünen! Heute ist ein guter Tag für über das Baukindergeld bis hin zu den 5 Milliarden Euro, alle Mieterinnen und Mieter; die wir für sozialen Wohnungsbau geben –, wird es eine Weile dauern, bis aufgrund dieser Gelder und Hilfen be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zahlbarer Wohnraum geschaffen ist. Darauf können wir denn mit diesem Mieterschutzgesetz sorgen wir dafür, nicht warten. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die dass die Mieten wegen Modernisierungen bei weitem Mieten nicht mehr so stark steigen können. nicht mehr so stark steigen können wie bisher. Das ist (Beifall bei der SPD) eine gute Nachricht für alle Mieterinnen und Mieter, lie- be Kolleginnen und Kollegen. Eigentlich müsste die Mietpreisbremse bundesweit gel- ten. Das war leider nicht möglich. Aber für uns ist klar: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Die Mietpreisbremse muss bundesweit gelten, liebe Kol- CDU/CSU) leginnen und Kollegen. Die SPD-Fraktion hat dabei durchgesetzt, dass der (Beifall bei der SPD) gute Gesetzentwurf von Ministerin Barley – an der Stelle herzlichen Dank dafür – an mehreren Stellen noch besser Noch eine Neuregelung will ich hier nennen: Für geworden ist: Erstmals wird es durch dieses Gesetz einen viele soziale Träger wie die Caritas, die AWO oder die Deckel für Mieterhöhungen infolge von Modernisierun- PROWO – ich freue mich, heute hier zwei Vertreter der gen geben. Zukünftig darf die Miete wegen Moderni- PROWO begrüßen zu können –, die soziale Wohnpro- sierungen innerhalb von sechs Jahren nur um maximal jekte betreiben, wird zukünftig nicht mehr das Gewerbe- 3 Euro pro Quadratmeter steigen und bei Mieten unter- mietvertragsrecht gelten, sondern das soziale Mietrecht. halb von 7 Euro pro Quadratmeter sogar nur um maximal Wenn die Mietverträge auslaufen, dann stehen die Mieter Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7821

Dr. Johannes Fechner (A) in sozialen Wohnprojekten wie betreutes Wohnen für Be- Herr Fechner hat es hier vorgestellt –, dass die Sozialde- (C) hinderte oder Frauenhäuser nicht auf der Straße; das ver- mokraten die treibende Kraft waren. hindern wir mit diesem Gesetz. Zukünftig wird für diese (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) Wohnprojekte das soziale Wohnraumrecht gelten. Denn auch in diesem Entwurf sucht man das Heil in der (Beifall bei der SPD) Marktregulierung, wobei sich das Ganze in einem Klein- Sie sehen, wir haben sehr viele wichtige Verbesserun- Klein ergeht; Herr Fechner hat das ja gerade vorgestellt. gen für Mieterinnen und Mieter durchgesetzt. An man- Es wird an verschiedenen Stellschrauben, also mal hier chen Stellen hätten wir uns mehr vorstellen können. Aber und mal da, gedreht. es ist ein gutes Gesetz. Stimmen wir diesen Verbesserun- (Ulli Nissen [SPD]: Hahaha!) gen für die Mieter deshalb zu! Da wird die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Pro- Vielen Dank. zent herabgesetzt. Kappungsgrenzen werden verschärft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ein bisschen Bürokratie wird draufgepackt usw. Grund- der CDU/CSU) sätzlich Neues ist einem nicht eingefallen bzw. war wohl auch nicht durchsetzbar, was daran liegen mag, dass die- se Koalition in dem Zustand, in dem sie sich befindet, Vizepräsidentin Claudia Roth: ohnehin nichts Bedeutsames mehr zustande bringt und Vielen Dank, Johannes Fechner. – Nächster Redner: endlich beendet werden sollte. Jens Maier für die AfD-Fraktion. (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Wie unsinnig dieser Weg ist, der da beschritten wird, zeigt sich, wenn man die Bilder Revue passieren lässt, Jens Maier (AfD): die bei einer Wohnungsbesichtigung, zum Beispiel hier Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und in Berlin, zu sehen sind. Da stehen bis zu 100 Perso- Herren! Wenn man den Mietern helfen will, dann hat nen in einer Reihe und wollen sich eine Wohnung, die man zwei Möglichkeiten: Man kann das Richtige tun zu vermieten ist, anschauen. Nur einer von denen kann oder das Falsche. die Wohnung bekommen. Meinen Sie im Ernst, dass dem vom Vermieter Auserwählten als Erstes einfällt, in das (Ulli Nissen [SPD]: Wir tun das Richtige, Gesetz zu schauen und nachzulesen, welche Rechte er Herr Kollege!) gegenüber dem Vermieter hat? Meinen Sie nicht, dass bei Hier wird erkennbar der falsche Weg beschritten. einer so angespannten Lage auf dem Mietmarkt, wie wir (B) sie in den großen Städten vorfinden, die Rechtslage nicht (D) (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) das entscheidende Kriterium für einen Mieter ist, sich für Das, was die Links-Grünen hier vorlegen, braucht ei- den Abschluss des Mietvertrages zu entscheiden oder Är- gentlich nicht weiter kommentiert zu werden. ger mit dem Vermieter zu riskieren? (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Dann Das Herumjonglieren am bestehenden Mietrecht lassen Sie es doch!) bringt gar nichts. Das, was hier gemacht worden ist, was hier als Entwurf vorgelegt wurde, ist Aktionismus mit Nach den Vorstellungen der Linken – etwa die ihrer der Zielstellung, den Leuten draußen vorzumachen, man Meinung nach erforderlichen drastischen Marktregulie- habe irgendetwas Sinnvolles getan. In Wahrheit hat man rungen durch eine unbefristete Mietpreisbremse, Mieten- überhaupt nichts erreicht. Das ganze Paket ist eine einzi- stopp etc. – kämen wir mit großen Schritten dem näher, ge Mogelpackung und wird genauso wirkungslos bleiben was die Linken sich offenbar erhoffen: einer bundesweit wie die Versuche davor, über das Mietrecht eine Kosten- ausgedehnten Renaissance der DDR. explosion zu verhindern. (Heiterkeit und Beifall bei der AfD – Lachen (Beifall bei der AfD) bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W. Steigende Mieten kann man unter marktwirtschaft- Birkwald [DIE LINKE]: Ach, Blödsinn!)) lichen Bedingungen nicht über das Mietrecht wirksam Die DDR war offenbar nicht genug. Man will jetzt ganz in den Griff bekommen. Sinnvoller ist es demgegen- Deutschland herunterwirtschaften. über – das ist der richtige Weg –, das Angebot auf dem Mietmarkt deutlich zu erhöhen. Das Bauprogramm der (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Die Reden Bundesregierung weist da in die richtige Richtung. Es ist müssen frei gehalten werden! Nicht ablesen! richtig, die Investitionen in der Bauwirtschaft zu fördern. Das ist keine frei gehaltene Rede!) Das Baukindergeld ist eine gute Sache. Das ist nämlich das, was bei sozialistischer Wohnraum- (Klaus Mindrup [SPD]: Sie haben doch gegen bewirtschaftung herauskommt. die Grundgesetzänderung gestimmt, gegen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) den sozialen Wohnungsbau!) – „In die richtige Richtung“, habe ich gesagt. Zustim- Näherer Betrachtung bedarf daher allein der Entwurf, mungsfähig war das noch lange nicht. den die Regierungskoalition schlussendlich hier vorge- legt hat. Hier fällt auf – das haben wir gerade gesehen; (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) 7822 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Jens Maier (A) Die steuerliche Entlastung und der Abbau von büro- Wir machen mit diesem Gesetz einen gewaltigen (C) kratischen Hindernissen müssen großzügig erfolgen, weil Schritt in Richtung mehr Mieterschutz. das die Investitionsbereitschaft verbessert. Wofür sich die AfD einsetzt, ist die Stärkung des ländlichen Raums. (Zuruf von der AfD: Sozialismus!) Wenn auf dem Land eine vernünftige Infrastruktur eta- Ich muss sagen: Es waren wirklich schwierige Beratun- bliert ist, werden junge Familien dort ihr Glück suchen. gen, und zwar nicht nur, weil wir so unterschiedliche Ziele haben. Wir, die SPD genauso wie die Union, sind (Beifall bei der AfD) völlig einer Meinung: Wir wollen nicht, dass irgendje- Dafür muss Geld aufgewandt werden. mand aus seiner Wohnung verdrängt wird, weil er sich die Miete nicht mehr leisten kann. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haha!) (Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört!) Eines möchte ich hier auch noch mal loswerden: Die Das war für uns ganz klar. Erhöhung des Angebots an bezahlbarem Wohnraum bringt nur dann etwas und führt nur dann zu einer Ent- Schwierig waren die Beratungen vor allen Dingen, spannung auf dem Mietmarkt, wenn nicht zeitgleich die weil wir verschiedene Ziele in Einklang bringen müs- Nachfrage erhöht wird; dann nämlich wird die Erhö- sen, nämlich auf der einen Seite die Bezahlbarkeit von hung des Angebots neutralisiert. Daher kann man nicht Wohnen, auf der anderen Seite auch unsere gesamtge- Abertausende von Menschen in das Land lassen, ohne sellschaftlichen Ziele, die wir uns gesetzt haben, wie ein Konzept zu haben, wie man diese Leute bezahlbar den Klimaschutz, den wir nur erreichen können, wenn unterbringen will. wir mehr energetische Modernisierung vornehmen. Das Gleiche gilt im Übrigen für den altersgerechten Um- (Beifall bei der AfD) bau. Wir werden im Jahr 2030 6 Millionen Menschen Das ist ein Thema, das hier immer ausgeklammert wird. in unserem Land haben, die über 80 Jahre alt sind. Die brauchen einen altersgerechten Umbau. Die brauchen ein (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Zu Recht!) seniorengerecht gestaltetes Bad. Das war die Schwierig- keit in der Debatte: diese unterschiedlichen Ziele zuein- Ich kann nur sagen: Hören Sie auf, Vermieter-Bashing anderzubringen. zu betreiben! Beschäftigen Sie sich mal mit den wirkli- chen Ursachen! Der Gesetzentwurf ist abzulehnen. Ich finde, das macht gerade die Stärke des deutschen Mietrechts aus: dass man die vorhandenen Interessen Danke. nicht gegeneinander ausspielt, sondern versucht, sie in einen guten, in einen angemessenen Ausgleich zu brin- (B) (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald (D) gen. [DIE LINKE]: Haha!) (Beifall des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/ CSU]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nächster Redner: Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/ Ich finde, das ist mit unserem Gesetzentwurf, den wir CSU-Fraktion. hier heute beschließen wollen, gelungen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben die Kernpunkte schon genannt bekommen. Wir werden vor allen Dingen an die Modernisierungsum- lage rangehen. Wir werden sie von 11 Prozent auf 8 Pro- Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): zent absenken. Das machen wir bundesweit. Wir machen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und es unbefristet. Zu der bundesweiten Absenkung: Wir Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Maier, ich kann ehr- haben in den Beratungen miteinander sehr klar gesehen, lich gesagt nicht ganz nachvollziehen, was für Sie und dass natürlich auch die Mieter, die nicht in Ballungszen- Ihre Fraktion an dieser Debatte so lustig war, tren, die nicht in den großen Städten wohnen, bei einer Modernisierung in einer bestimmten Größenordnung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Schwierigkeiten haben, die Miete noch zu tragen. Des- SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- wegen, glaube ich, ist es vernünftig, dass wir das bundes- NISSES 90/DIE GRÜNEN) weit klar und einheitlich haben. wieso Sie hier vorne am Pult gestanden und gelacht ha- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ben. Ich glaube, die Menschen draußen, die Mieter in der SPD) unserem Land, die zum Teil wirklich große Probleme haben, ihre Mieten zu bezahlen, und zum Teil verdrängt Zur Kappungsgrenze. Dazu haben wir im Koalitions- werden, finden diese Debatte alles andere als lustig. Des- vertrag schon gesagt: Wir wollen 3 Euro pro Quadratme- wegen kann ich nur sagen: Wenn Sie sich hier als Partei ter als maximale Grenze für die Erhöhung. – Wir haben der kleinen Leute darstellen, dann haben Sie damit genau aber gesehen, dass für viele Mieter in günstigen Miet- das Gegenteil bewiesen, meine Damen und Herren. verhältnissen – bis 7 Euro pro Quadratmeter – auch die- se 3 Euro eine erhebliche Belastung darstellen können. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Deswegen haben wir gesagt: Dort gibt es ein besonderes KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN soziales Schutzbedürfnis. Wir senken an dieser Stelle die sowie bei Abgeordneten der FDP) Kappungsgrenze von 3 Euro auf 2 Euro ab, um dort so- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7823

Dr. Jan-Marco Luczak (A) ziale Härten abzumildern. – Das ist, glaube ich, auch ein Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) vernünftiger und guter Gedanke. Vielen Dank, Dr. Luczak. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Daniel Föst. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP) Was uns als Union bei dem Thema Modernisierungen ganz besonders wichtig war: Wir wollten vor allen Din- Daniel Föst (FDP): gen gegen diejenigen vorgehen, die Modernisierungen Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! ganz bewusst und zielgerichtet missbrauchen, um Men- Als wir über dieses Gesetz in erster Lesung beraten schen aus ihrer Wohnung herauszumodernisieren. Wir haben, zitierte ich zu Beginn meiner Rede den Wissen- haben gesagt: Was diese schwarzen Schafe dort auf dem schaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums. Der Wohnungsmarkt machen, dulden wir nicht. Wir werden sagte: ein klares Stoppsignal setzen. – Deswegen ist es gut und richtig, dass das zukünftig ordnungswidrig ist. Wer be- Die Mietpreisbremse sollte ersatzlos gestrichen wusst und zielgerichtet Menschen herausmodernisiert, werden, da sie weitgehend wirkungslos ist und dort, der wird zukünftig mit einem Bußgeld belegt, und das ist wo sie wirkt, den Abbau von Wohnungsknappheit gut und das ist richtig so an dieser Stelle, behindert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Ulli Nissen [SPD]: Unfug!) der SPD) – Dass Sie ein gespaltenes Verhältnis zu den Wissen- schaftlichen Beiräten haben, ist mir aufgefallen. und zwar auch deswegen, weil diese schwarzen Schafe, diese Fälle, von denen wir alle in der Zeitung lesen, die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – gesellschaftliche Debatte und auch die politische Debatte Klaus Mindrup [SPD]: Überhaupt nicht! – Ulli ein Stück weit vergiftet haben. Deswegen ist es für uns so Nissen [SPD]: Ich bin auf der Seite der Miete- wichtig gewesen, zu differenzieren zwischen denjenigen, rinnen und Mieter!) die wirklich Schindluder treiben mit den Möglichkeiten, die der angespannte Wohnungsmarkt ihnen gibt, und den Ich könnte mir das jetzt zur Tradition machen und nach vielen anderen, auch der überwiegenden Zahl gerade von diesem Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsminis- privaten Kleinvermietern, die sehr gut, sehr ordentlich teriums auch Ihre Wirtschaftsweisen zitieren. mit ihren Mieterinnen und Mietern umgehen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal das Gutach- (B) Um denen auch ein Stück weit entgegenzukommen (D) und auch für sie etwas zu tun, haben wir als Union ein ten!) vereinfachtes Verfahren bei den Modernisierungsmaß- Man kann es sich hier zur Tradition machen, die wissen- nahmen durchgesetzt, ein kleines Verfahren, wo es um schaftlichen Ergüsse Ihrer Beiräte zu zitieren. Die Wirt- keine große Investitionssumme geht. Das soll einfacher schaftsweisen haben die treffendste Beschreibung für das werden, das soll bürokratieärmer werden, und das soll ganze Thema „Wohnungspolitik der Großen Koalition“ vor allen Dingen dazu beitragen, dass wir bei der ener- gefunden: Symptomtherapie mit gefährlichen Nebenwir- getischen Modernisierung, beim altersgerechten Um- kungen. bau, wo in der Vergangenheit bei den kleinen privaten Vermietern nicht so viel passiert ist, einen ordentlichen (Beifall bei der FDP) Schub bekommen. Ich glaube, es ist auch sehr gut und Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, trifft den Nagel auf sehr richtig, dass wir an dieser Stelle etwas gemacht ha- den Kopf. Aber völlig unbeirrt davon machen SPD, CDU ben. und CSU weiter. Sie sammeln vernichtende Gutachten Ich glaube, am Ende ist es ein ausgewogenes Paket. ihrer Experten; sie sammeln sie wie Trophäen. Die Stärke des deutschen Mietrechts wird gewahrt: die Seit drei Jahren gibt es jetzt die Mietpreisbremse – Interessen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern ei- drei Jahre, in denen die Mieten in den Städten unbeein- nen sozialen Ausgleich zu finden. druckt gestiegen sind, weil Sie am Symptom rumdoktern, Mit Blick auf die Zukunft – wir werden hier noch wei- aber die Ursache der Wohnkosten nicht beheben. tere Debatten über das Mietrecht haben – sage ich: Wir (Beifall bei Abgeordneten der FDP) müssen sehr aufpassen, dass die soziale Balance, die wir hier gewahrt haben, in Zukunft nicht durch überbordende Sie von der GroKo glauben oder hoffen, das Mietpro- Forderungen, wie wir sie jetzt etwa von der Opposition blem einfach wegregulieren zu können, und Sie drehen hier gehört haben, gefährdet wird. Deswegen: Es ist gut, jetzt an allen rechtlichen Schrauben, die Sie finden. Da- was wir heute hier vorliegen haben. Da können wir be- mit wird die Wohnungssituation aber weiter verschlim- wusst sagen: Wir stimmen zu. – Aber bei allen weiteren mert, weil Sie Investitionen hemmen und Vermieter aus Forderungen müssen wir sehr aufpassen. Das lehnen wir dem Markt drängen. Ihre Wissenschaftlichen Beiräte ha- als Union ab. ben das erkannt. Also machen Sie sich bitte endlich ehr- lich, und schaffen Sie Ihre Wohnraumbremse einfach ab! Vielen Dank. (Beifall bei der FDP – Ulli Nissen [SPD]: Das (Beifall bei der CDU/CSU) werden wir ganz bestimmt nicht machen!) 7824 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Daniel Föst (A) Solange die Menschen weiter in die Städte und in die Vielen Dank. (C) Ballungsräume drängen und dort nicht in gleichem Maße neuer Wohnraum entsteht, werden die Mieten weiter stei- (Beifall bei der FDP) gen. An dieser einfachen Wahrheit kommt man einfach nicht vorbei. Vizepräsidentin Claudia Roth: Der GroKo fällt aber nichts Besseres ein, als Vermie- Vielen Dank, Kollege Föst. – Nächste Rednerin: Caren ter an den Pranger zu stellen und so die Situation insbe- Lay für die Fraktion Die Linke. sondere für die Mieter weiter zu verschlimmbessern. Sie zielen mit Ihrer Politik auf die scheinbar bösen Immobi- (Beifall bei der LINKEN) lienhaie, treffen aber in Wirklichkeit die vielen Kleinver- mieter, die die allermeisten Wohnungen in Deutschland (DIE LINKE): bereitstellen, Caren Lay Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der FDP) Herren! Von einem bin ich wirklich überzeugt: dass die- übrigens zu hervorragenden Konditionen und mit gutem ses Gesetz die Mieten genauso wenig bremsen wird wie Verhältnis zu den Mietern. das bisherige Gesetz. Diese angebliche Nachbesserung der Mietpreisbremse (Klaus Mindrup [SPD]: Dann haben sie ja keine Angst vor den Gesetzen!) (Ulli Nissen [SPD]: Nicht so kritisch, bitte!) Diese kleinen Vermieter drängen Sie aus dem Markt. Die ist reiner Etikettenschwindel. tun sich das irgendwann nicht mehr an. Die verkaufen ihre Wohnung. Damit sind noch weniger Mietwohnun- (Beifall bei der LINKEN) gen am Markt, und die Mieten steigen weiter. So eine Kurzsichtigkeit und, ehrlich, so eine Ignoranz gegenüber Kleine Verbesserungen im Detail – da sind auch wir als den einfachsten wirtschaftlichen Zusammenhängen habe Linke dafür – wird es geben. Doch abgesehen von die- ich selten gesehen. sen doch eher kosmetischen Veränderungen wird an den Grundfehlern der Mietpreisbremse nichts geändert. (Beifall bei der FDP – Christian Kühn [Tübin- gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eins zu Die zahlreichen Ausnahmen bleiben auch weiter beste- eins Haus & Grund!) hen. Man kann die Mietpreisbremse aus vielen Gründen ganz legal umgehen. Daran ändert auch die Auskunfts- Liebe Kollegen von CDU und CSU, Sie haben sich (B) pflicht zur Höhe der Vormiete nichts, mit der Sie sich hier (D) von der SPD sauber über den Tisch ziehen lassen. Aller- so rühmen. Der Vermieter muss es zwar in Zukunft bes- dings werden nicht Sie die Konsequenzen tragen müs- ser belegen, wenn er diese Ausnahme ziehen will; sie gilt sen, sondern die Mieterinnen und die Mieter, auch bei aber weiterhin, und das ist das Problem. Wir als Linke den Modernisierungen. Wenn die Vermieter bei den Mo- wollen eine Mietpreisbremse, die ohne Ausnahmen gilt. dernisierungen draufzahlen müssen, dann kommen diese Modernisierungen einfach nicht. Dann wird der Aufzug (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco nicht gebaut, und die Seniorin im dritten Stock darf wei- Luczak [CDU/CSU]: Da sieht man, dass Sie terhin die Treppe hochsteigen und muss in ihre Dusche das nicht verstanden haben!) klettern. Sie nennen das „soziale Politik“; ich nenne das grotesk. Die Mietpreisbremse gilt ja ohnehin nur bei Neu- vermietungen, also nur für Mieterinnen und Mieter, die (Beifall bei der FDP – Ulli Nissen [SPD]: Und umziehen. Für Bestandsmieter, also für Leute mit ganz wenn die Mieter sich das nicht mehr leisten normalen alten Mietverträgen, tun Sie heute gar nichts. können, was ist dann?) (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Da gibt Liebe Kollegen, Sie können es sich sicherlich den- es ja eine Kappungsgrenze! Es gibt doch eine ken – ich merke es auch an der Begeisterung der SPD –: Kappungsgrenze, Frau Kollegin!) (Klaus Mindrup [SPD]: Amüsiert, nicht be- geistert!) Ich meine, man muss wirklich mit Scheuklappen durch dieses Land laufen, um diese Mietenexplosion bei den Wir Freie Demokraten lehnen dieses Gesetz ab. Es löst Altmietverträgen nicht zu sehen und nichts dagegen zu nämlich keine Probleme; es schafft aber neue. Ihre Miet- tun. Das ist wirklich völlig peinlich. preisbremse ist eine Wohnraumbremse. Sie wollen den Mangel verwalten; wir Freie Demokraten wollen den (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Mangel beheben. Deswegen müssen wir mehr bauen, Luczak [CDU/CSU]: Wir haben doch gerade schneller bauen und günstiger bauen und dürfen vor al- die Modernisierungsumlage diskutiert!) lem nicht länger den ländlichen Raum vergessen; denn nur so entsteht günstiger Wohnraum für alle. Wer den Die Mietpreisbremse wird nach diesem Tag auch nicht Mietern Macht geben will, der muss mehr Wohnungen flächendeckend gelten. Momentan gilt sie praktisch nur bauen. So einfach ist das. noch in der Hälfte der Bundesländer. Woanders wurde sie gar nicht erst eingeführt oder in der Zwischenzeit von (Ulli Nissen [SPD]: Super Idee!) Gerichten wegen falscher Umsetzung kassiert. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7825

Caren Lay (A) Nächster Punkt: Verstöße gegen die Mietpreisbremse Jahren der Fall. Entschuldigung, das ist wirklich kein (C) bleiben sanktionsfrei. Vor kurzem war davon schon ein- großer Wurf. mal die Rede. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Lesen Luczak [CDU/CSU]: Rechnen müssen Sie Sie doch mal das Gesetz!) schon können, Frau Kollegin!) Wer ein paarmal ohne Fahrschein in der U-Bahn erwischt Meine Damen und Herren, die Modernisierungsumla- wird, der kann im Zweifel im Knast landen, ge als dauerhaftes Mietsteigerungsinstrument lehnen wir als Linke ab. Wir wollen sie abschaffen. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie wollen doch Straffreiheit!) (Beifall bei der LINKEN) Zu guter Letzt: Der Kündigungsschutz fehlt in diesem aber wer gegen die Mietpreisbremse verstößt, der muss Gesetz komplett. Angesichts der Tatsache, dass 70 Pro- kein Bußgeld fürchten. Entschuldigung, hier läuft ja zent der Städter inzwischen Angst haben, ihre Wohnung wohl wirklich etwas schief. zu verlieren, halte ich das für einen großen Skandal. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-­Marco (Beifall bei der LINKEN) Luczak [CDU/CSU]: Sie wollen doch Schwarzfahren entkriminalisieren! Das passt doch nicht zusammen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Kommen Sie bitte zum Schluss. Das Schärfste ist: Die Mietpreisbremse ist ja von vorn- herein nur auf fünf Jahre angelegt. Das heißt, in andert- halb Jahren läuft sie in den ersten Bundesländern schon Caren Lay (DIE LINKE): wieder aus. Wie absurd ist das denn? Sie machen hier Meine Damen und Herren, diese Mietpreisbremse viel Tamtam und sagen, Sie stellen sich vor die Rech- verdient ihren Namen nicht. Sie ist reiner Etiketten- te der Mieterinnen und Mieter, und in anderthalb Jahren schwindel. Wir als Linke haben viele Anträge vorgelegt, gilt das Gesetz gar nicht mehr. Das ist doch wirklich ein die die Rechte von Mieterinnen und Mietern tatsächlich Stück aus dem Tollhaus, meine Damen und Herren. schützen. Ich bitte Sie um Zustimmung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Vielen Dank. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN – Stephan Brandner (B) Die Mietpreisbremse muss nachgebessert werden, [AfD]: Es lebe der Sozialismus!) (D) und zwar richtig. Das Wichtigste wäre, dass sie jetzt erst einmal entfristet wird. Darüber wollen wir heute auch Vizepräsidentin Claudia Roth: abstimmen lassen, und zwar namentlich; denn im Koali- Vielen Dank, Caren Lay. – Nächster Redner für Bünd- tionsvertrag konnten Sie sich nicht einigen. Jetzt ist auch nis 90/Die Grünen: Chris Kühn. nichts dabei herausgekommen. Kein Mensch glaubt, dass es Ihnen gelingt, sich noch zu einigen. Ich bin wirklich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gespannt, ob Sie dieses Instrument überhaupt wollen oder ob es Ihnen nur um Kosmetik und um Wählertäu- (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE schung geht. Das braucht wirklich kein Mensch. Christian Kühn GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich war letzte Wo- Meine Damen und Herren, wir Linke fordern eine che mit meiner Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-­ Mietpreisbremse ohne Ausnahmen, flächendeckend und Eckardt und dem sozialpolitischen Sprecher Wolfgang unbefristet und mit einem richtigen Deckel. Wir wollen Strengmann-­Kuhn hier in Berlin-Kreuzberg in einer auch die Bestandsmieten deckeln. Keine Mieterhöhung Notunterkunft für Familien, die wohnungslos geworden über dem Inflationsausgleich: Ich freue mich sehr, dass sind. Ein Teil der Familien, die dort klingeln und nach ei- die SPD diese Forderung von uns in ihr Zwölf-Punk- ner Wohnung fragen, sind zwangsgeräumt worden. Diese te-Papier übernommen hat. Ich bin aber auch gespannt, Familien sind zwangsgeräumt worden, weil sie, obwohl ob Sie denn gleich in der Abstimmung auch dazu stehen sie das Geld nachzahlen wollten, nicht in der Lage waren, oder ob das nur wieder eine Forderung für den Presse- eine außerordentliche Kündigung zu heilen. Das müssen verteiler war. wir dringend ändern. Hier bedarf es einer Korrektur am Kündigungsschutz. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei der Absenkung der Modernisierungsumlage läuft das Spiel ja so: Der Mieter bezahlt die Modernisierung Denn die sozialpolitischen Folgen dieser Räumung, alleine. Wenn sie abbezahlt ist, zahlt er weiter eine über- den Verlust der Wohnung, das Trauma der Kinder, dürfen höhte Miete und der Vermieter kassiert nur noch. Nach wir nicht zulassen. Wenn wir nicht wollen, dass Kinder in altem Recht war das schon nach neun Jahren der Fall. Deutschland zwangsgeräumt werden, müssen wir beim Nach der neuen Regelung ist das dann erst nach zwölf Kündigungsschutz anfangen. – Herr Luczak, ich sehe 7826 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Christian Kühn (Tübingen) (A) schon, wie Sie den Kopf schütteln. Sie tragen das C in fen. Die Mietpreisbremse wird in eineinhalb Jahren in (C) Ihrem Parteinamen, nicht wir Grünen. den ersten Städten auslaufen, zum Beispiel hier in Ber- lin. Dann wird in der Stadt Berlin bei Neuvertragsmieten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – die Mietpreisbremse nicht mehr gelten. Dann kann man Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Zu Recht wieder eine Miete über der ortsüblichen Vergleichsmiete tragen wir das auch!) plus X nehmen. Dann wird das in den Mietspiegel ein- Wir haben eine Anhörung zu diesem Gesetzentwurf fließen. Und dann werden alle Mieten ordentlich nach durchgeführt. Die Experten haben gesagt, dass wir den oben gehen. Die Mietenexplosion, die dann kommen Kündigungsschutz voranbringen müssen. Wir haben das wird, ist die Mietenexplosion dieser Großen Koalition. beantragt. Die SPD hat ja versucht, das durchzusetzen; aber Sie haben es blockiert, Herr Luczak. Das müssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie sich einfach anhören. Beim Kündigungsschutz zei- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gen Sie den Menschen die kalte Schulter. Das geht ein- fach nicht. Das ist einfach unsozial, es ist nicht christlich, Wir finden es sehr gut, dass die SPD das Thema der und es führt in Städten wie Berlin und Frankfurt und sozialen Träger in diese Gesetzesnovelle hineinverhan- Stuttgart und anderswo zu sozialen Härten. Das ist nicht delt hat länger hinzunehmen. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nur die SPD!) Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Seien Sie froh, dass ich keine Zwischenfrage stellen und dass nun Wohngruppen für Menschen mit Handicap darf!) nicht mehr verdrängt werden können. Dass sie geschützt werden wie andere Menschen, die eine Wohnung haben, Dieser Gesetzentwurf ist kein großer Wurf; das muss ist richtig. Aber dass die Kita weiter heraussaniert wer- man sagen. Ich finde die Begrenzung der Modernisie- den kann, dass andere soziale Einrichtungen nicht diesen rungsumlage auf 2 Euro, die die SPD verhandelt hat, Schutz genießen, ist ein sozialpolitischer Skandal. Des- richtig. wegen brauchen wir dringend ein Gewerbemietrecht, das (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Klaus eben nicht auf dem sozialen Auge blind ist. Mindrup [SPD]: Danke!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber warum gelten diese 2 Euro nicht flächendeckend, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) überall? Das erschließt sich mir nicht. Das verstehe ich nicht. Dass man eine willkürliche Grenze bei einer Miete Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) von 7 Euro pro Quadratmeter einzieht, bei der der Wert (D) von 2 Euro noch gilt, aber bei 7 Euro und 1 Cent dann Denken Sie bitte an die Redezeit. 3 Euro gelten, macht keinen Sinn, hat nichts Systemati- sches, ist einfach ein fauler Deal der Großen Koalition. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE 2 Euro flächendeckend, das wäre richtig gewesen. GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Abschluss. Ich glaube, dass die CDU diese Ungleichbehandlung deswegen in dieses Gesetz gebracht hat, weil sie dieses Vizepräsidentin Claudia Roth: Gesetz eigentlich auf lange Strecke hin kaputtmachen will. Ja, aber schnell. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das sind aber Verschwörungstheorien, Herr Kühn!) Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Denn genau diese Ungleichbehandlung haben wir ja auch bei der Mietpreisbremse erlebt. Deswegen wird es auch Zum Abschluss: Die SPD will den Mietenstopp. Wir zu Klagen vor den Gerichten kommen. Ich sage Ihnen: beantragen hier eine Absenkung der Kappungsgrenze. Mit diesem Gesetz und dieser willkürlichen Grenze von Jetzt können Sie zeigen, ob Sie nicht nur Wahlkampfpa- 7 Euro schaffen Sie am Ende mehr Unsicherheit bei der piere schreiben, sondern hier heute auch Farbe bekennen Modernisierungsumlage. Ich glaube, darum wird am können. Ende dieses Gesetz wieder abgeschafft werden. Hier Danke. wären klare und einheitliche Regeln viel besser gewe- sen und hätten zu einer viel größeren Rechtssicherheit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geführt. Ich finde es traurig, dass die Juristen der CDU so etwas durchwinken und sozusagen so konstruieren, dass es am Ende eben nicht funktioniert. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, Chris Kühn. – Nächste Rednerin in der Debatte: Bundesministerin Dr. Katarina Barley. Aber das Schlimmste an diesem Gesetz ist ja eigent- lich, dass diese Mietrechtsnovelle dazu führt, dass wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Mietpreisbremse durch die Hintertür wieder abschaf- der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7827

(A) Dr. Katarina Barley, Bundesministerin der Justiz und Sachverständigenrat zu zitieren, der ja nicht wusste, dass (C) für Verbraucherschutz: die Mietpreisbremse nicht für Neuvermietungen gilt. Schönen guten Abend! Frau Präsidentin! Liebe Kolle- (Daniel Föst [FDP]: Das war der Wirtschafts- ginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich freue mich sehr, beirat! Ihre Wirtschaftsweisen wussten das dass wir heute das Mietrecht erneut ändern werden. Wir sehr wohl!) werden den Schutz der Mieterinnen und Mieter weiter stärken. Wenn es der FDP zu viel und den Linken zu we- Insofern lasse ich die Kritik in weiten Teilen einfach im nig ist, dann wissen wir, glaube ich, dass wir ziemlich Raum stehen. gut dabei sind. Das ist ein Riesenschritt, den wir hier zum Schutz von (Beifall bei der SPD – Dr. Florian Toncar Mieterinnen und Mietern tun. Aber das ist natürlich nicht [FDP]: Das ist ja ganz stark! – Daniel Föst alles, was wir unternehmen; das behauptet ja auch keiner. [FDP]: Das ist eine krasse Logik!) Wir wissen auch, dass wir mit diesen Gesetzen alleine die explodierenden Mieten nicht in den Griff bekommen. – So ist es oft: Ihnen ist es zu viel Regulierung, und den Aber wir machen ja noch viel mehr: Wir investieren in Linken ist es nicht genug. Genau so ist es. Die Grünen den sozialen Wohnungsbau, wir geben Anreize für den haben ja immerhin einige positive Effekte herausgestellt. privaten Wohnungsbau. Und auch aus meinem Haus wird Das finde ich schon einmal sehr konstruktiv. es noch mehr geben, nämlich eine neue Regelung zu den (Dr . Florian Toncar [FDP]: Sie sind ja sehr Mietspiegeln. sachlich! Starke Argumente! Reine Polemik!) (Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübin- Einiges, was neu hinzugekommen ist, ist eine echte gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann Verbesserung. Dafür bedanke ich mich bei allen Beteilig- denn?) ten: Ich sehe Klaus Mindrup, Michael Groß und Johannes Jeder Mensch muss die Chance auf eine bezahlbare Fechner. Eva Högl, die leider krank zu Hause ist – gute Wohnung haben, und zwar in der Nähe des Arbeitsplat- Besserung von hier aus! – zes oder da, wo man schon viele Jahre wohnt, sodass man (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Die dort auch alt werden kann. Bezahlbarer Wohnraum ist die CDU/CSU können Sie ruhig auch erwähnen!) soziale Aufgabe unserer Zeit. Ich danke deswegen allen, die an dem Gesetz beteiligt waren, ausdrücklich auch den hat entscheidend dazu beigetragen, dass die sozialen Kollegen und Kolleginnen aus der Union, für die sehr Träger in das Kündigungsschutzrecht mit einbezogen konstruktive Zusammenarbeit und freue mich über die- werden. Das ist eine Verbesserung, die ich sehr begrüße. sen guten Tag für Mieterinnen und Mieter. (B) (D) (Beifall des Abg. Andreas Rimkus [SPD] – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: der CDU/CSU) Da sind wir uns einig!) Der AfD kann ich heute zum zweiten Mal sagen, dass Vizepräsidentin Claudia Roth: sie das Ohr offensichtlich nicht bei den Bürgerinnen und Vielen Dank, Dr. Katarina Barley. – Nächste Rednerin: Bürgern hat, vor allen Dingen nicht in den Ballungs- Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Frakti- zentren. Für diese Menschen wollen Sie nämlich offen- on. sichtlich gar nichts tun, um die Mieten nicht weiter ex- plodieren zu lassen. Da wundert mich auch nicht, dass (Beifall bei der CDU/CSU) Sie bei Ihrem Landtagswahlkampf in Berlin noch damit geworben haben, dass Sie die kommunalen Wohnungen Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): verscherbeln, sprich privatisieren, wollen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir debattieren hier Guck mal einer an!) oft über das Problem der steigenden Mieten in den gro- ßen Städten; aber auch in den Speckgürteln ist das ein Gerade junge Familien und Alleinerziehende – das bekanntes Phänomen. Die steigenden Mieten sind der wissen wir – haben große Probleme, überhaupt Wohn- Grund dafür, dass wir heute mehrere Gesetze verabschie- raum zu finden, vor allem bezahlbaren. Deswegen müs- den, um in diesem Bereich Verbesserungen zu erzielen. sen wir den Mieterschutz weiter voranbringen. Zum einen haben wir heute schon die steuerliche Ich bin vor allen Dingen über die soziale Komponente Sonderabschreibung beschlossen, zum anderen heute sehr froh. Wir staffeln bei der Modernisierungsumlage Morgen die Grundgesetzänderung, die uns als Bund die noch mal zwischen niedrigen Mieten und hohen Mieten. Möglichkeit gibt, über das Jahr 2020 hinaus Gelder für Klar, wenn wir absolute Beträge nehmen, ist es richtig, den sozialen Wohnungsbau in den Bundesländern beizu- dass wir für niedrigere Mieten auch niedrigere Erhöhun- steuern. Außerdem gibt es das Baukindergeld, das schon gen vorsehen. gut nachgefragt wird. All das sind Maßnahmen, um an dem strukturellen Grund und dem Urproblem dieser Mie­ Übrigens, Herr Kühn, die Kappung bei 2 Euro gilt flä- tenentwicklung zu arbeiten: Wir müssen mehr Wohn- chendeckend. Ich weiß nicht, wo da das Missverständ- raum schaffen. nis herkommt; aber es ist ja anscheinend der Tag der Missverständnisse. Herr Föst wird auch nicht müde, den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 7828 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) Aber heute Abend geht es um den Beitrag der Rechts- Vielen Dank. (C) politik. Ich glaube, dass wir in diesem Bereich Wichtiges (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- leisten. Neben den Korrekturen an der Mietpreisbremse ordneten der SPD) sind vor allem die neuen Kappungsgrenzen bei den Mo- dernisierungsmieterhöhungen wichtig. Sie helfen gerade bei den Bestandsmieten, bei den Bestandsverträgen. Das Vizepräsidentin Claudia Roth: ist ein ganz wichtiger Hebel; denn die Modernisierung ist Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker. häufig der Grund für sehr hohe Mieterhöhungen. Wenn (Unruhe) der Vermieter alleine darüber entscheiden kann, inwie- weit der Mieter die Kosten, die durch eine Modernisie- – Wir haben jetzt noch zwei Redebeiträge. Ich würde rung entstehen, finanzieren muss, kommt es teilweise zu Sie bitten, den beiden Kollegen Ihre Aufmerksamkeit Mieterhöhungen von 50 Prozent und mehr. Das ist im zu schenken. Es herrscht hier ein unglaublich lauter Prinzip das strukturelle Problem bei Modernisierungs- Geräusch­pegel. Ich bitte Sie, die beiden Redner zu res- mieterhöhungen: Der eine entscheidet, und der andere pektieren und ihnen zuzuhören. bezahlt. Michael Groß ist der Nächste für die SPD-Fraktion. Deshalb ist es richtig, dass wir an diesem Punkt anset- (Beifall bei der SPD) zen. Wir senken die Umlage der Modernisierungskosten von 11 Prozent auf 8 Prozent im Jahr und haben ganz Michael Groß (SPD): bewusst darauf verzichtet, das zeitlich oder regional zu Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und begrenzen. Wir haben darauf verzichtet, es den Landes- Kollegen! Sehr geehrte Zuhörer und Zuhörerinnen! Der regierungen zu überlassen, ob das in dem jeweiligen vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster wichtiger und Bundesland gilt oder nicht. Wir haben es schlichtweg ins richtiger Schritt für die Mieter und Mieterinnen, weil Gesetz geschrieben – bundesweit geltend und ohne Be- damit die soziale Funktion des Mietrechts gestärkt wird. grenzung. Wir haben in der Koalition dafür gearbeitet, und – ich spreche insbesondere die Kollegen der Union an – wir Neu ist der absolute Deckel von 3 Euro pro Quadrat- haben mehr erreicht, als im Koalitionsvertrag steht. meter für sechs Jahre. Das lässt sich zum ersten Mal an die Angaben eines Vertrages knüpfen. Bisher ging es (Beifall bei Abgeordneten der SPD) immer nur darum, die Kosten umzulegen. Jetzt geht es Und es tat nicht weh, sondern wir haben mehr geschafft. auch darum: Welche Größe hat die Mietwohnung? Was kann bei welcher Größe umgelegt werden? – Das schafft Ich möchte insbesondere der Ministerin und ihrem (B) (D) Sicherheit. Bei einer Wohnung von 50 Quadratmetern Haus, aber auch uns allen danken, die an dem Gesetz- kann eben innerhalb von sechs Jahren nur ein Betrag von entwurf mitgearbeitet haben. Dass wir nach sechs Mona- monatlich 150 Euro dazukommen oder bei 80 Quadrat- ten Regierungszeit einen solchen Gesetzentwurf auf den metern von 240 Euro. Weg gebracht haben, ist ganz wichtig für die Mieterinnen und Mieter in diesem Land. Uns war wichtig, uns ganz gezielt auch um das un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tere Marktsegment zu kümmern. Denn hier ist oft das der CDU/CSU) kleine Budget der Grund dafür, dass man mit einfachen Wohnungen zufrieden ist. In diesem Marktsegment sind Es wurde schon auf vieles eingegangen, zum Beispiel hohe Mietsteigerungen ganz besonders belastend für die auf die vorvertragliche Transparenz. Ich will noch mal Mieter. Deshalb haben wir eine zusätzliche Grenze bei auf die Modernisierungsumlage eingehen. Das bedeutet einer Miete von unter 7 Euro pro Quadratmeter gezogen. beispielsweise, dass Mieter und Mieterinnen nach einer Unterhalb dieser Grenze können nur 2 Euro pro Quadrat- Modernisierung nicht mehr 180 Euro pro Monat dauer- meter an Modernisierungskosten umgelegt werden. Das haft mehr zahlen müssen. Vielmehr senken wir das auf hat im Übrigen für alle Mieter Vorteile; denn es wirkt 130 Euro pro Monat dauerhaft ab. Ich glaube, das ist mittelbar über den Mietspiegel auf das, was in den übri- ein Riesenschritt für diejenigen, die ihre Wohnung nicht gen Mietverhältnissen an Erhöhungen möglich ist. verlassen wollen oder die in eine neue Wohnung ziehen wollen. Auch für die ist wichtig, dass die Miete der neuen Uns ist wichtig, auch an die kleinen privaten Vermie- Wohnung nicht angehoben wird. ter zu denken. Für sie führen wir mit diesem Gesetz ein (Beifall bei der SPD) neues, vereinfachtes Verfahren ein, damit sie kleinere Maßnahmen durchführen können, ohne im Sumpf der Lassen Sie mich zum Schluss – zwei Minuten Rede- Bürokratie und des Rechnens unterzugehen. Eine einfa- zeit sind sehr kurz – auf einige Dinge eingehen, die hier che Maßnahme, die sie ermutigen soll, ihre Wohnungen immer wieder vorgetragen werden: Der Markt soll es re- modern und on top zu halten. geln. – Der Markt wird es nicht regeln. (Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] Uns war außerdem – da waren wir uns einig – der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf des Schutz der sozialen Mietverhältnisse wichtig. Denn da, Abg. Daniel Föst [FDP]) wo gewohnt wird, muss überall der gleiche Schutz gel- ten. Es ist also ein rundherum gutes Gesetz für viele Mie- Grund und Boden sind begrenzt, weshalb der Markt es ter in diesem Land. nicht regeln wird. Wir brauchen Korrektive. Deswegen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7829

Michael Groß (A) hat die Koalition in einem Entschließungsantrag zum 8 Prozent jetzt deutschlandweit gilt; denn das Mietver- (C) Wohngeld- und Mietenbericht zum Beispiel auch ange- hältnis, egal ob in der Stadt oder auf dem Land, ist über- kündigt, Unterstützung zu leisten, damit Genossenschaf- all gleichermaßen schutzwürdig. Wir schützen damit ten, kommunale Wohnungsunternehmen, Stiftungen, auch die Miete in den ländlichen Gegenden. Das war uns gemeinnützige Unternehmen sich gründen und bauen ein wichtiges Anliegen, meine Damen und Herren. können. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Schritt für die (Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] Zukunft. Daran müssen wir weiter arbeiten. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herzlichen Dank. Mit der Senkung der Kappungsgrenze auf 2 Euro für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mietverhältnisse unter 7 Euro pro Quadratmeter nehmen der CDU/CSU) wir auch einen besonderen Schutzauftrag wahr. Wir neh- men den Schutzauftrag wahr für die Menschen, die sich eben nicht viel leisten können, deren Mieten noch bei 5 Vizepräsidentin Claudia Roth: oder 6 Euro pro Quadratmeter liegen. Für diese Men- Vielen Dank, Michael Groß. Danke auch, dass Sie die schen ist jeder Euro nach der Modernisierung ein Euro, „üppige“ Redezeit korrekt eingehalten haben. Es waren den sie erst einmal aufbringen müssen. Deswegen ist es wirklich zwei Minuten. – Letzter Redner in der Debatte: richtig und sozial angemessen, hier eine Begrenzung in Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, Augsburg. Höhe von 2 Euro festzulegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Unruhe) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und – Darf ich Sie noch mal darauf hinweisen, dass wir noch der SPD) einen Redebeitrag haben. Ich bitte, die Gespräche einzu- Jetzt haben manche eingewandt: Durch Mietrecht stellen und Herrn Kollegen Ullrich zum Abschluss der allein wird kein neuer Wohnraum geschaffen. – Das ist Debatte zuzuhören. Vielen Dank. richtig. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Herr Kollege Ullrich, Sie haben das Wort. Große Koalition im Bereich Miete und Bauen ziemlich viel geleistet hat. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- Daniel Föst [FDP]: Das verpufft! Seit drei ten Damen und Herren! Die Höhe der Miete und bezahl- Jahren ist nichts passiert!) bares Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen unserer Ich spreche vom Baukindergeld, der Sonder-AfA, von Zeit. Die Menschen fragen sich: Finde ich eine Woh- unseren Bemühungen, die Bauvorschriften zu entschla- (B) (D) nung? Kann ich mir die Wohnung leisten? Was passiert cken und Bauland vermehrt zur Verfügung zu stellen. bei einer Eigenbedarfskündigung? Oder: Was muss ich Heute Morgen wurde die Grundgesetzänderung be- bezahlen, wenn ich zukünftig eine Modernisierungserhö- schlossen. Danach sind auch die Länder nach wie vor in hung bekomme? Dieser Gesetzentwurf gibt Antworten der Pflicht, sozialen Wohnungsbau zu leisten. auf diese Fragen. Es ist ein Gesetz zur Verbesserung des Mieterschutzes; es ist ein Gesetz zum sozialen Ausgleich (Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] zwischen Vermietern und Mietern, und ich meine, es ist [SPD]) ein faires, sicheres und soziales Gesetz. Erst diese Maßnahmen zusammen ergeben unsere Ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) pflichtung, für bessere Bedingungen im Bereich Wohnen zu sorgen. Auf der einen Seite kümmern wir uns nach wie vor da- rum, dass Modernisierungen aus vielen guten Gründen – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Klimaschutz, energetische Sanierung, altersgerechtes ordneten der SPD) Wohnen – nach wie vor möglich sind. Auf der anderen Meine Damen und Herren, jeder Bestandteil steht für Seite sorgen wir dafür, dass die Kosten statt mit 11 Pro- sich, gemeinsam nehmen wir die Verantwortung wahr, zent nur noch mit 8 Prozent umgelegt werden können, für bezahlbaren Wohnraum in diesem Land zu sorgen. dass schlichtweg die Mieten nicht überhitzen, dass durch Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung. eine Dämpfungsfunktion die Mieten letzten Endes weni- ger stark ansteigen. Ich glaube, das ist auch notwendig. Herzlichen Dank. Das ist deswegen notwendig, weil in den letzten Jahren (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die Mieten bereits viel stärker gestiegen sind als die Ein- kommen. Wir brauchen eine Bremse, weil es nicht sein Vizepräsidentin Claudia Roth: kann, dass immer mehr von dem, was Menschen verdie- nen, gerade in den Ballungszentren, für die Miete drauf- Vielen Dank, Volker Ullrich. – Damit schließe ich die geht. Hier haben wir eine soziale Verantwortung. Aussprache. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Tagesordnungspunkt 8 a. Wir kommen zur Abstim- der SPD) mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ergänzung der Regelungen über die Und ja, wir dürfen nicht nur auf die Ballungszen- zulässige Miethöhe bei Mietbeginn und zur Anpassung tren schauen. Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass der Regelungen über die Modernisierung der Mietsache. die Absenkung der Modernisierungsumlage von 11 auf Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- 7830 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Darf ich fragen: Gibt es noch Kolleginnen oder Kol- (C) Drucksache 19/6153, den Gesetzentwurf der Bundesre- legen, die ihre Stimme nicht abgegeben haben? – Wir gierung auf Drucksachen 19/4672 und 19/5415 in der sehen und hören nichts. Dann schließe ich die Abstim- Ausschussfassung anzunehmen. mung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.1) Hierzu liegen uns insgesamt fünf Änderungsanträge vor. Wir stimmen zunächst über drei Änderungsanträge Dann kommen wir zur zweiten namentlichen Abstim- per Handzeichen ab. mung: Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Wir fangen mit dem Änderungsantrag der Fraktion Die Grünen auf Drucksache 19/6161. Sind die Plätze an den Linke auf Drucksache 19/6158 an. Wer stimmt für die- Urnen nach wie vor besetzt? – Ja. Dann eröffne ich die sen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – zweite namentliche Abstimmung, und zwar über den Än- Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben derungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf die Fraktionen der Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Drucksache 19/6161. Dagegengestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/ Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich fragen: CSU, FDP und AfD. Gibt es noch Kolleginnen oder Kollegen, die ihre Stim- Der zweite Änderungsantrag, über den wir abstimmen, me noch nicht abgegeben haben? – Das ist nicht der Fall. ist der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift- Drucksache 19/6159. Wer stimmt für diesen Antrag? – führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. beginnen.2) Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass gleich eine kurze Dagegen waren die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Unterbrechung der Sitzung folgt. Weil es offensichtlich FDP und AfD. mit den SMS-Nachrichten nicht so ganz funktioniert, sage ich Ihnen: Wir haben unmittelbar nach der Abstim- Der dritte Antrag, über den wir abstimmen, ist der Än- mung über diesen Tagesordnungspunkt die Debatte zur derungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Ferkelkastration. Nach dieser Debatte kommt unmittel- Drucksache 19/6160. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt bar eine namentliche Abstimmung. Bevor Sie sich also dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist jetzt ins Berliner Nachtleben verabschieden, hier auch abgelehnt. Zugestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen. Da- der Hinweis: Nach der namentlichen Abstimmung im gegengestimmt haben die SPD, CDU/CSU, FDP und die Anschluss an die Debatte zur Ferkelkastration haben wir AfD. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten. noch weitere Punkte auf der Tagesordnung. (B) (D) Wir kommen jetzt zu zwei Änderungsanträgen, zu de- Die Sitzung ist unterbrochen, bis die Ergebnisse der nen namentliche Abstimmung verlangt wurde. Ich weise namentlichen Abstimmungen vorliegen. darauf hin, dass nach den namentlichen Abstimmungen die Sitzung bis zum Vorliegen der Ergebnisse unterbro- (Unterbrechung von 20.47 bis 20.55 Uhr) chen wird. Nach der Unterbrechung folgen mehrere ein- fache Abstimmungen. Ich weise ferner darauf hin, dass wir – ich habe es schon erwähnt – angesichts der wie- Vizepräsidentin Claudia Roth: der sehr langen Plenarzeit heute und mit Rücksicht auf Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene die Personalsituation bei unseren Beschäftigten des Ple­ Sitzung ist wieder eröffnet. nardienstes für diese und für alle weiteren namentlichen Abstimmungen, die heute noch folgen, nur vier Urnen im Ich möchte Ihnen die von den Schriftführerinnen und Einsatz haben. An den Abstimmungstüren in der West- Schriftführern ermittelten Ergebnisse der beiden na- lobby steht jetzt nur noch eine Urne, hier vorne gibt es mentlichen Abstimmungen bekannt geben. auch nur eine Urne, rechts und links bleibt es dabei. Zur ersten namentlichen Abstimmung, nämlich über Wir kommen zur ersten namentlichen Abstimmung: den Änderungsantrag der Linken zur zweiten Beratung Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- des Gesetzentwurfs der Bundesregierung: abgegebene che 19/6157. Dazu bitte ich die Schriftführerinnen und Stimmen 645. Mit Ja haben gestimmt 121, mit Nein ha- Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – ben gestimmt 524. Es gab keine Enthaltung. Sind Sie komplett? – Die Plätze sind besetzt. Ich eröffne die erste namentliche Abstimmung, und zwar über den 1) Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- Ergebnis Seite 7830 D che 19/6157. 2) Ergebnis Seite 7834 C

Endgültiges Ergebnis Ja Dr. Dietmar Bartsch Jörg Cezanne Abgegebene Stimmen: 645; Lorenz Gösta Beutin Sevim Dağdelen DIE LINKE davon Matthias W. Birkwald Fabio De Masi ja: 121 Doris Achelwilm Michel Brandt Dr. Diether Dehm nein: 524 Gökay Akbulut Christine Buchholz Anke Domscheit-Berg enthalten: 0 Simone Barrientos Birke Bull-Bischoff Susanne Ferschl Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7831

(A) Brigitte Freihold Agnieszka Brugger Fraktionslos Klaus-Dieter Gröhler (C) Sylvia Gabelmann Dr . Anna Christmann Marco Bülow Michael Grosse-Brömer Nicole Gohlke Katja Dörner Astrid Grotelüschen Dr . André Hahn Katharina Dröge Markus Grübel Nein Heike Hänsel Harald Ebner Manfred Grund Matthias Höhn Matthias Gastel CDU/CSU Monika Grütters Ulla Jelpke Kai Gehring Fritz Güntzler Stephan Albani Kerstin Kassner Stefan Gelbhaar Olav Gutting Norbert Maria Altenkamp Dr . Achim Kessler Katrin Göring-Eckardt Christian Haase Philipp Amthor Katja Kipping Erhard Grundl Florian Hahn Artur Auernhammer Jan Korte Dr. Stephan Harbarth Anja Hajduk Peter Aumer Jutta Krellmann Jürgen Hardt Britta Haßelmann Dorothee Bär Caren Lay Matthias Hauer Dr . Anton Hofreiter Norbert Barthle Sabine Leidig Mark Hauptmann Ottmar von Holtz Maik Beermann Ralph Lenkert Dr. Matthias Heider Dieter Janecek Manfred Behrens (Börde) Stefan Liebich Mechthild Heil Dr. Kirsten Kappert-Gonther Veronika Bellmann Dr. Gesine Lötzsch Thomas Heilmann Uwe Kekeritz Sybille Benning Thomas Lutze Katja Keul Frank Heinrich (Chemnitz) Dr . André Berghegger Rudolf Henke Amira Mohamed Ali Sven-Christian Kindler Melanie Bernstein Michael Hennrich Cornelia Möhring Maria Klein-Schmeink Christoph Bernstiel Marc Henrichmann Niema Movassat Sylvia Kotting-Uhl Peter Beyer Ansgar Heveling Norbert Müller (Potsdam) Oliver Krischer Marc Biadacz Dr. Heribert Hirte Zaklin Nastic Stephan Kühn (Dresden) Steffen Bilger Christian Hirte Dr . Alexander S. Neu Christian Kühn (Tübingen) Peter Bleser Alexander Hoffmann Thomas Nord Renate Künast Dr. Reinhard Brandl Karl Holmeier Petra Pau Markus Kurth Michael Brand (Fulda) Dr. Hendrik Hoppenstedt Sören Pellmann Monika Lazar Dr. Helge Braun Erich Irlstorfer Victor Perli Sven Lehmann (B) Silvia Breher Hans-Jürgen Irmer (D) Tobias Pflüger Steffi Lemke Sebastian Brehm Thomas Jarzombek Martina Renner Dr . Tobias Lindner Heike Brehmer Andreas Jung Eva-Maria Schreiber Dr. Irene Mihalic Ralph Brinkhaus Ingmar Jung Dr. Petra Sitte Claudia Müller Dr. Carsten Brodesser Alois Karl Helin Evrim Sommer Beate Müller-Gemmeke Gitta Connemann Anja Karliczek Friedrich Straetmanns Dr. Konstantin von Notz Astrid Damerow Torbjörn Kartes Dr . Kirsten Tackmann Omid Nouripour Alexander Dobrindt Volker Kauder Jessica Tatti Friedrich Ostendorff Michael Donth Dr. Stefan Kaufmann Alexander Ulrich Cem Özdemir Marie-Luise Dött Ronja Kemmer Kathrin Vogler Lisa Paus Hansjörg Durz Roderich Kiesewetter Dr . Sahra Wagenknecht Filiz Polat Thomas Erndl Michael Kießling Harald Weinberg Tabea Rößner Hermann Färber Dr . Georg Kippels Katrin Werner Claudia Roth (Augsburg) Uwe Feiler Volkmar Klein Pia Zimmermann Dr. Manuela Rottmann Enak Ferlemann Axel Knoerig Sabine Zimmermann Corinna Rüffer Dr. Maria Flachsbarth Jens Koeppen (Zwickau) Ulle Schauws Thorsten Frei Markus Koob Dr. Gerhard Schick Dr. Hans-Peter Friedrich Carsten Körber BÜNDNIS 90/ Dr. Frithjof Schmidt (Hof) Alexander Krauß DIE GRÜNEN Stefan Schmidt Michael Frieser Gunther Krichbaum Luise Amtsberg Kordula Schulz-Asche Hans-Joachim Fuchtel Dr. Günter Krings Kerstin Andreae Dr . Wolfgang Strengmann- Ingo Gädechens Rüdiger Kruse Lisa Badum Kuhn Dr . Thomas Gebhart Michael Kuffer Annalena Baerbock Margit Stumpp Alois Gerig Dr. Roy Kühne Margarete Bause Markus Tressel Eberhard Gienger Katharina Landgraf Dr. Danyal Bayaz Dr . Julia Verlinden Eckhard Gnodtke Ulrich Lange Canan Bayram Daniela Wagner Ursula Groden-Kranich Dr. Silke Launert Dr. Franziska Brantner Beate Walter-Rosenheimer Hermann Gröhe Jens Lehmann 7832 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Paul Lehrieder Dr. Norbert Röttgen Dr . Anja Weisgerber Hubertus Heil (Peine) (C) Dr. Katja Leikert Stefan Rouenhoff Peter Weiß (Emmendingen) Gabriela Heinrich Dr. Andreas Lenz Erwin Rüddel Sabine Weiss (Wesel I) Wolfgang Hellmich Antje Lezius Albert Rupprecht Ingo Wellenreuther Dr. Barbara Hendricks Andrea Lindholz Stefan Sauer Marian Wendt Gustav Herzog Dr. Carsten Linnemann Anita Schäfer (Saalstadt) Kai Whittaker Gabriele Hiller-Ohm Patricia Lips Jana Schimke Annette Widmann-Mauz Thomas Hitschler Nikolas Löbel Tankred Schipanski Bettina Margarethe Frank Junge Bernhard Loos Dr. Claudia Schmidtke Wiesmann Josip Juratovic Dr. Jan-Marco Luczak Christian Schmidt (Fürth) Klaus-Peter Willsch Thomas Jurk Daniela Ludwig Patrick Schnieder Elisabeth Winkelmeier- Oliver Kaczmarek Karin Maag Nadine Schön Becker Johannes Kahrs Yvonne Magwas Felix Schreiner Oliver Wittke Elisabeth Kaiser Dr . Thomas de Maizière Dr. Klaus-Peter Schulze Emmi Zeulner Ralf Kapschack Gisela Manderla Uwe Schummer Paul Ziemiak Gabriele Katzmarek Dr . Astrid Mannes Armin Schuster (Weil am Dr. Matthias Zimmer Ulrich Kelber Matern von Marschall Rhein) Cansel Kiziltepe Hans-Georg von der Marwitz Torsten Schweiger SPD Arno Klare Andreas Mattfeldt Detlef Seif Lars Klingbeil Ingrid Arndt-Brauer Dr. Bärbel Kofler Stephan Mayer (Altötting) Johannes Selle Heike Baehrens Elvan Korkmaz Dr. Michael Meister Reinhold Sendker Ulrike Bahr Anette Kramme Jan Metzler Dr. Patrick Sensburg Dr. Katarina Barley Christine Lambrecht Dr. h. c. Hans Michelbach Thomas Silberhorn Doris Barnett Christian Lange (Backnang) Dr. Mathias Middelberg Björn Simon Dr. Matthias Bartke Dr. Karl Lauterbach Dietrich Monstadt Tino Sorge Sören Bartol Helge Lindh Karsten Möring Katrin Staffler Bärbel Bas Burkhard Lischka Marlene Mortler Frank Steffel Lothar Binding (Heidelberg) Heiko Maas Elisabeth Motschmann Dr . Wolfgang Stefinger Leni Breymaier Caren Marks (B) Dr. Gerd Müller Albert Stegemann (D) Dr. Karl-Heinz Brunner Katja Mast Axel Müller Andreas Steier Katrin Budde Christoph Matschie Sepp Müller Peter Stein (Rostock) Martin Burkert Hilde Mattheis Carsten Müller Christian Frhr. von Stetten Dr. Lars Castellucci Dr. Matthias Miersch (Braunschweig) Dieter Stier Bernhard Daldrup Klaus Mindrup Stefan Müller (Erlangen) Gero Storjohann Dr. Daniela De Ridder Susanne Mittag Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Dr. Karamba Diaby Falko Mohrs Petra Nicolaisen Max Straubinger Esther Dilcher Claudia Moll Michaela Noll Karin Strenz Sabine Dittmar Siemtje Möller Dr . Georg Nüßlein Michael Stübgen Dr . Wiebke Esdar Detlef Müller (Chemnitz) Wilfried Oellers Dr . Hermann-Josef Tebroke Saskia Esken Michelle Müntefering Florian Oßner Hans-Jürgen Thies Yasmin Fahimi Dr. Rolf Mützenich Josef Oster Alexander Throm Dr. Johannes Fechner Dietmar Nietan Henning Otte Dr . Dietlind Tiemann Dr. Fritz Felgentreu Ulli Nissen Sylvia Pantel Antje Tillmann Dr. Thomas Oppermann Martin Patzelt Markus Uhl Dagmar Freitag Josephine Ortleb Dr. Joachim Pfeiffer Dr . Volker Ullrich Michael Gerdes Mahmut Özdemir (Duisburg) Stephan Pilsinger Arnold Vaatz Martin Gerster Aydan Özoğuz Dr. Christoph Ploß Oswin Veith Angelika Glöckner Christian Petry Eckhard Pols Kerstin Vieregge Timon Gremmels Detlev Pilger Thomas Rachel Volkmar Vogel (Kleinsaara) Kerstin Griese Sabine Poschmann Kerstin Radomski Christoph de Vries Michael Groß Florian Post Alexander Radwan Kees de Vries Uli Grötsch Achim Post (Minden) Alois Rainer Marco Wanderwitz Bettina Hagedorn Florian Pronold Eckhardt Rehberg Kai Wegner Rita Hagl-Kehl Dr. Sascha Raabe Lothar Riebsamen Dr. h. c. (NUACA) Albert H. Metin Hakverdi Martin Rabanus Josef Rief Weiler Sebastian Hartmann Andreas Rimkus Johannes Röring Marcus Weinberg (Hamburg) Dirk Heidenblut Sönke Rix Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7833

(A) Dennis Rohde Stephan Brandner Gerold Otten Dr. Christoph Hoffmann (C) Dr. Martin Rosemann Jürgen Braun Frank Pasemann Reinhard Houben René Röspel Marcus Bühl Tobias Matthias Peterka Ulla Ihnen Dr. Ernst Dieter Rossmann Matthias Büttner Paul Viktor Podolay Olaf In der Beek Michael Roth (Heringen) Petr Bystron Jürgen Pohl Gyde Jensen Bernd Rützel Joana Cotar Stephan Protschka Dr. Christian Jung Sarah Ryglewski Dr. Gottfried Curio Martin Reichardt Thomas L. Kemmerich Johann Saathoff Siegbert Droese Martin Erwin Renner Karsten Klein Axel Schäfer (Bochum) Berengar Elsner von Gronow Roman Johannes Reusch Dr. Marcel Klinge Dr. Nina Scheer Dr. Michael Espendiller Ulrike Schielke-Ziesing Daniela Kluckert Marianne Schieder Peter Felser Dr. Robby Schlund Pascal Kober Udo Schiefner Dietmar Friedhoff Jörg Schneider Dr. Lukas Köhler Dr. Nils Schmid Dr . Anton Friesen Uwe Schulz Carina Konrad Uwe Schmidt Markus Frohnmaier Thomas Seitz Konstantin Kuhle Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Götz Frömming Martin Sichert Alexander Kulitz Dagmar Schmidt (Wetzlar) Dr. Alexander Gauland Detlev Spangenberg Alexander Graf Lambsdorff Carsten Schneider (Erfurt) Dr . Axel Gehrke René Springer Ulrich Lechte Johannes Schraps Albrecht Glaser Beatrix von Storch Christian Lindner Michael Schrodi Franziska Gminder Dr . Alice Weidel Michael Georg Link Dr. Manja Schüle Wilhelm von Gottberg Dr . Harald Weyel (Heilbronn) Oliver Luksic Ursula Schulte Kay Gottschalk Wolfgang Wiehle Till Mansmann Martin Schulz Armin-Paulus Hampel Dr . Heiko Wildberg Dr . Jürgen Martens Swen Schulz (Spandau) Mariana Iris Harder-Kühnel Dr . Christian Wirth Christoph Meyer Frank Schwabe Verena Hartmann Uwe Witt Alexander Müller Stefan Schwartze Dr. Roland Hartwig Roman Müller-Böhm Andreas Schwarz Jochen Haug FDP Frank Müller-Rosentritt Rita Schwarzelühr-Sutter Martin Hebner Grigorios Aggelidis Dr. Martin Neumann Rainer Spiering Udo Theodor Hemmelgarn Renata Alt (Lausitz) (B) Svenja Stadler Lars Herrmann Christine Aschenberg- (D) Hagen Reinhold Martina Stamm-Fibich Martin Hess Dugnus Bernd Reuther Sonja Amalie Steffen Karsten Hilse Nicole Bauer Dr. Stefan Ruppert Mathias Stein Martin Hohmann Jens Beeck Christian Sauter Kerstin Tack Leif-Erik Holm Nicola Beer Frank Schäffler Johannes Huber Dr. Jens Brandenburg Claudia Tausend Dr . Wieland Schinnenburg Fabian Jacobi (Rhein-Neckar) Michael Thews Matthias Seestern-Pauly Markus Töns Uwe Kamann Mario Brandenburg (Südpfalz) Frank Sitta Carsten Träger Jens Kestner Dr. Marco Buschmann Judith Skudelny Ute Vogt Stefan Keuter Enrico Komning Karlheinz Busen Bettina Stark-Watzinger Marja-Liisa Völlers Jörn König Carl-Julius Cronenberg Dr. Marie-Agnes Strack- Dirk Vöpel Zimmermann Steffen Kotré Britta Katharina Dassler Gabi Weber Katja Suding Dr. Rainer Kraft Bijan Djir-Sarai Bernd Westphal Linda Teuteberg Frank Magnitz Christian Dürr Dirk Wiese Stephan Thomae Dr. Lothar Maier Hartmut Ebbing Gülistan Yüksel Manfred Todtenhausen Jens Maier Dr. Marcus Faber Dagmar Ziegler Dr . Florian Toncar Dr . Birgit Malsack- Daniel Föst Stefan Zierke Dr . Andrew Ullmann Winkemann Otto Fricke Dr. Jens Zimmermann Johannes Vogel (Olpe) Corinna Miazga Thomas Hacker Sandra Weeser Andreas Mrosek Katrin Helling-Plahr AfD Nicole Westig Volker Münz Markus Herbrand Katharina Willkomm Dr. Bernd Baumann Sebastian Münzenmaier Torsten Herbst Marc Bernhard Christoph Neumann Katja Hessel Andreas Bleck Jan Ralf Nolte Dr. Gero Clemens Hocker Fraktionslos Peter Boehringer Ulrich Oehme Manuel Höferlin Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. 7834 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Zur zweiten namentlichen Abstimmung, nämlich men 640. Mit Ja haben gestimmt 121, mit Nein haben (C) über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die gestimmt 519. Enthaltungen gab es keine. Grünen zum gleichen Gesetzentwurf: abgegebene Stim-

Endgültiges Ergebnis Petra Pau Oliver Krischer Sybille Benning Abgegebene Stimmen: 640; Sören Pellmann Stephan Kühn (Dresden) Dr . André Berghegger davon Victor Perli Christian Kühn (Tübingen) Melanie Bernstein ja: 121 Tobias Pflüger Renate Künast Christoph Bernstiel nein: 519 Martina Renner Markus Kurth Peter Beyer Monika Lazar enthalten: 0 Eva-Maria Schreiber Marc Biadacz Dr. Petra Sitte Sven Lehmann Steffen Bilger Helin Evrim Sommer Steffi Lemke Peter Bleser Ja Friedrich Straetmanns Dr . Tobias Lindner Dr. Reinhard Brandl DIE LINKE Dr . Kirsten Tackmann Dr. Irene Mihalic Michael Brand (Fulda) Jessica Tatti Claudia Müller Dr. Helge Braun Doris Achelwilm Alexander Ulrich Beate Müller-Gemmeke Silvia Breher Gökay Akbulut Kathrin Vogler Dr. Konstantin von Notz Sebastian Brehm Simone Barrientos Dr . Sahra Wagenknecht Omid Nouripour Heike Brehmer Dr. Dietmar Bartsch Harald Weinberg Friedrich Ostendorff Ralph Brinkhaus Lorenz Gösta Beutin Katrin Werner Cem Özdemir Dr. Carsten Brodesser Matthias W. Birkwald Pia Zimmermann Lisa Paus Gitta Connemann Michel Brandt Sabine Zimmermann Filiz Polat Astrid Damerow Christine Buchholz (Zwickau) Tabea Rößner Alexander Dobrindt Birke Bull-Bischoff Claudia Roth (Augsburg) Michael Donth Jörg Cezanne BÜNDNIS 90/ Dr. Manuela Rottmann Marie-Luise Dött Sevim Dağdelen DIE GRÜNEN Corinna Rüffer Hansjörg Durz Fabio De Masi Luise Amtsberg Ulle Schauws Thomas Erndl Dr. Diether Dehm (B) Kerstin Andreae Dr. Gerhard Schick Hermann Färber (D) Anke Domscheit-Berg Lisa Badum Dr. Frithjof Schmidt Uwe Feiler Susanne Ferschl Annalena Baerbock Stefan Schmidt Enak Ferlemann Brigitte Freihold Margarete Bause Kordula Schulz-Asche Dr. Maria Flachsbarth Sylvia Gabelmann Dr. Danyal Bayaz Dr . Wolfgang Strengmann- Thorsten Frei Kuhn Nicole Gohlke Canan Bayram Dr. Hans-Peter Friedrich Dr . André Hahn Dr. Franziska Brantner Margit Stumpp (Hof) Markus Tressel Heike Hänsel Agnieszka Brugger Michael Frieser Dr . Julia Verlinden Matthias Höhn Dr . Anna Christmann Hans-Joachim Fuchtel Daniela Wagner Ulla Jelpke Katja Dörner Ingo Gädechens Beate Walter-Rosenheimer Kerstin Kassner Katharina Dröge Dr . Thomas Gebhart Dr . Achim Kessler Harald Ebner Alois Gerig Fraktionslos Katja Kipping Matthias Gastel Eberhard Gienger Jan Korte Kai Gehring Marco Bülow Eckhard Gnodtke Jutta Krellmann Stefan Gelbhaar Ursula Groden-Kranich Caren Lay Katrin Göring-Eckardt Nein Hermann Gröhe Sabine Leidig Erhard Grundl Klaus-Dieter Gröhler Ralph Lenkert Anja Hajduk CDU/CSU Michael Grosse-Brömer Stefan Liebich Britta Haßelmann Stephan Albani Astrid Grotelüschen Dr. Gesine Lötzsch Dr . Anton Hofreiter Norbert Maria Altenkamp Markus Grübel Thomas Lutze Ottmar von Holtz Philipp Amthor Manfred Grund Amira Mohamed Ali Dieter Janecek Artur Auernhammer Monika Grütters Cornelia Möhring Dr. Kirsten Kappert-Gonther Peter Aumer Fritz Güntzler Niema Movassat Uwe Kekeritz Dorothee Bär Olav Gutting Norbert Müller (Potsdam) Katja Keul Norbert Barthle Christian Haase Zaklin Nastic Sven-Christian Kindler Maik Beermann Florian Hahn Dr . Alexander S. Neu Maria Klein-Schmeink Manfred Behrens (Börde) Dr. Stephan Harbarth Thomas Nord Sylvia Kotting-Uhl Veronika Bellmann Jürgen Hardt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7835

(A) Matthias Hauer Dr . Thomas de Maizière Dr. Klaus-Peter Schulze Emmi Zeulner (C) Mark Hauptmann Gisela Manderla Uwe Schummer Paul Ziemiak Dr. Matthias Heider Dr . Astrid Mannes Armin Schuster (Weil am Dr. Matthias Zimmer Mechthild Heil Matern von Marschall Rhein) Thomas Heilmann Hans-Georg von der Marwitz Torsten Schweiger SPD Frank Heinrich (Chemnitz) Andreas Mattfeldt Detlef Seif Ingrid Arndt-Brauer Rudolf Henke Stephan Mayer (Altötting) Johannes Selle Heike Baehrens Michael Hennrich Dr. Michael Meister Reinhold Sendker Ulrike Bahr Marc Henrichmann Jan Metzler Dr. Patrick Sensburg Dr. Katarina Barley Ansgar Heveling Dr. h. c. Hans Michelbach Thomas Silberhorn Doris Barnett Dr. Heribert Hirte Dr. Mathias Middelberg Björn Simon Dr. Matthias Bartke Christian Hirte Dietrich Monstadt Tino Sorge Sören Bartol Alexander Hoffmann Karsten Möring Katrin Staffler Bärbel Bas Karl Holmeier Marlene Mortler Frank Steffel Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Hendrik Hoppenstedt Elisabeth Motschmann Dr . Wolfgang Stefinger Leni Breymaier Erich Irlstorfer Dr. Gerd Müller Albert Stegemann Katrin Budde Hans-Jürgen Irmer Axel Müller Andreas Steier Martin Burkert Thomas Jarzombek Sepp Müller Peter Stein (Rostock) Dr. Lars Castellucci Andreas Jung Carsten Müller Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Ingmar Jung (Braunschweig) Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Alois Karl Stefan Müller (Erlangen) Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby Anja Karliczek Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Esther Dilcher Torbjörn Kartes Petra Nicolaisen Max Straubinger Sabine Dittmar Volker Kauder Michaela Noll Karin Strenz Dr . Wiebke Esdar Dr. Stefan Kaufmann Dr . Georg Nüßlein Michael Stübgen Saskia Esken Ronja Kemmer Wilfried Oellers Dr . Hermann-Josef Tebroke Yasmin Fahimi Roderich Kiesewetter Florian Oßner Hans-Jürgen Thies Dr. Johannes Fechner Michael Kießling Josef Oster Alexander Throm Dr. Fritz Felgentreu (B) Dr . Georg Kippels Henning Otte Dr . Dietlind Tiemann (D) Dr. Edgar Franke Volkmar Klein Sylvia Pantel Antje Tillmann Dagmar Freitag Axel Knoerig Martin Patzelt Markus Uhl Michael Gerdes Jens Koeppen Dr. Joachim Pfeiffer Dr . Volker Ullrich Martin Gerster Markus Koob Stephan Pilsinger Arnold Vaatz Angelika Glöckner Carsten Körber Dr. Christoph Ploß Oswin Veith Timon Gremmels Alexander Krauß Eckhard Pols Kerstin Vieregge Kerstin Griese Gunther Krichbaum Thomas Rachel Volkmar Vogel (Kleinsaara) Michael Groß Dr. Günter Krings Kerstin Radomski Christoph de Vries Uli Grötsch Rüdiger Kruse Alexander Radwan Kees de Vries Bettina Hagedorn Michael Kuffer Alois Rainer Marco Wanderwitz Rita Hagl-Kehl Dr. Roy Kühne Eckhardt Rehberg Kai Wegner Metin Hakverdi Katharina Landgraf Lothar Riebsamen Dr. h. c. (NUACA) Albert H. Ulrich Lange Josef Rief Weiler Sebastian Hartmann Jens Lehmann Johannes Röring Marcus Weinberg (Hamburg) Dirk Heidenblut Paul Lehrieder Dr. Norbert Röttgen Dr . Anja Weisgerber Hubertus Heil (Peine) Dr. Katja Leikert Stefan Rouenhoff Peter Weiß (Emmendingen) Gabriela Heinrich Dr. Andreas Lenz Erwin Rüddel Sabine Weiss (Wesel I) Wolfgang Hellmich Antje Lezius Albert Rupprecht Ingo Wellenreuther Dr. Barbara Hendricks Andrea Lindholz Stefan Sauer Marian Wendt Gustav Herzog Dr. Carsten Linnemann Anita Schäfer (Saalstadt) Kai Whittaker Gabriele Hiller-Ohm Patricia Lips Jana Schimke Annette Widmann-Mauz Thomas Hitschler Nikolas Löbel Tankred Schipanski Bettina Margarethe Frank Junge Bernhard Loos Dr. Claudia Schmidtke Wiesmann Josip Juratovic Dr. Jan-Marco Luczak Christian Schmidt (Fürth) Klaus-Peter Willsch Thomas Jurk Daniela Ludwig Patrick Schnieder Elisabeth Winkelmeier- Oliver Kaczmarek Karin Maag Nadine Schön Becker Johannes Kahrs Yvonne Magwas Felix Schreiner Oliver Wittke Elisabeth Kaiser 7836 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Ralf Kapschack Uwe Schmidt Dr . Axel Gehrke Dr . Harald Weyel (C) Gabriele Katzmarek Ulla Schmidt (Aachen) Albrecht Glaser Wolfgang Wiehle Ulrich Kelber Dagmar Schmidt (Wetzlar) Franziska Gminder Dr . Heiko Wildberg Cansel Kiziltepe Carsten Schneider (Erfurt) Wilhelm von Gottberg Dr . Christian Wirth Arno Klare Johannes Schraps Kay Gottschalk Uwe Witt Lars Klingbeil Michael Schrodi Armin-Paulus Hampel Dr. Bärbel Kofler Dr. Manja Schüle Mariana Iris Harder-Kühnel FDP Elvan Korkmaz Ursula Schulte Verena Hartmann Grigorios Aggelidis Anette Kramme Martin Schulz Dr. Roland Hartwig Renata Alt Christine Lambrecht Swen Schulz (Spandau) Jochen Haug Christine Aschenberg- Christian Lange (Backnang) Martin Hebner Frank Schwabe Dugnus Dr. Karl Lauterbach Udo Theodor Hemmelgarn Stefan Schwartze Nicole Bauer Helge Lindh Lars Herrmann Andreas Schwarz Jens Beeck Burkhard Lischka Martin Hess Rita Schwarzelühr-Sutter Nicola Beer Heiko Maas Karsten Hilse Rainer Spiering Dr. Jens Brandenburg Caren Marks Svenja Stadler Martin Hohmann (Rhein-Neckar) Katja Mast Leif-Erik Holm Martina Stamm-Fibich Mario Brandenburg Christoph Matschie Sonja Amalie Steffen Johannes Huber (Südpfalz) Hilde Mattheis Mathias Stein Fabian Jacobi Dr. Marco Buschmann Dr. Matthias Miersch Kerstin Tack Uwe Kamann Karlheinz Busen Klaus Mindrup Claudia Tausend Jens Kestner Carl-Julius Cronenberg Susanne Mittag Michael Thews Stefan Keuter Britta Katharina Dassler Falko Mohrs Enrico Komning Markus Töns Bijan Djir-Sarai Claudia Moll Jörn König Carsten Träger Christian Dürr Siemtje Möller Steffen Kotré Ute Vogt Hartmut Ebbing Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Rainer Kraft Marja-Liisa Völlers Dr. Marcus Faber Michelle Müntefering Frank Magnitz Dirk Vöpel Daniel Föst Dr. Rolf Mützenich Dr. Lothar Maier Gabi Weber Otto Fricke (B) Dietmar Nietan Jens Maier (D) Dirk Wiese Thomas Hacker Ulli Nissen Dr . Birgit Malsack- Gülistan Yüksel Katrin Helling-Plahr Thomas Oppermann Winkemann Dagmar Ziegler Markus Herbrand Josephine Ortleb Corinna Miazga Stefan Zierke Torsten Herbst Mahmut Özdemir (Duisburg) Andreas Mrosek Dr. Jens Zimmermann Aydan Özoğuz Volker Münz Katja Hessel Christian Petry Sebastian Münzenmaier Dr. Gero Clemens Hocker AfD Detlev Pilger Christoph Neumann Manuel Höferlin Sabine Poschmann Dr. Bernd Baumann Jan Ralf Nolte Dr. Christoph Hoffmann Florian Post Marc Bernhard Ulrich Oehme Reinhard Houben Achim Post (Minden) Andreas Bleck Gerold Otten Ulla Ihnen Florian Pronold Peter Boehringer Frank Pasemann Olaf In der Beek Dr. Sascha Raabe Stephan Brandner Tobias Matthias Peterka Gyde Jensen Martin Rabanus Jürgen Braun Paul Viktor Podolay Dr. Christian Jung Sönke Rix Marcus Bühl Jürgen Pohl Thomas L. Kemmerich Dennis Rohde Matthias Büttner Stephan Protschka Karsten Klein Dr. Martin Rosemann Petr Bystron Martin Reichardt Dr. Marcel Klinge René Röspel Joana Cotar Martin Erwin Renner Daniela Kluckert Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Gottfried Curio Roman Johannes Reusch Pascal Kober Michael Roth (Heringen) Siegbert Droese Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Lukas Köhler Bernd Rützel Thomas Ehrhorn Dr. Robby Schlund Carina Konrad Sarah Ryglewski Berengar Elsner von Gronow Jörg Schneider Konstantin Kuhle Johann Saathoff Dr. Michael Espendiller Uwe Schulz Alexander Kulitz Axel Schäfer (Bochum) Peter Felser Thomas Seitz Alexander Graf Lambsdorff Dr. Nina Scheer Dietmar Friedhoff Martin Sichert Ulrich Lechte Marianne Schieder Dr . Anton Friesen Detlev Spangenberg Christian Lindner Udo Schiefner Dr. Götz Frömming René Springer Michael Georg Link Dr. Nils Schmid Dr. Alexander Gauland Beatrix von Storch (Heilbronn) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7837

(A) Oliver Luksic Hagen Reinhold Judith Skudelny Dr . Andrew Ullmann (C) Till Mansmann Bernd Reuther Bettina Stark-Watzinger Johannes Vogel (Olpe) Dr . Jürgen Martens Dr. Stefan Ruppert Dr. Marie-Agnes Strack- Sandra Weeser Christoph Meyer Zimmermann Christian Sauter Nicole Westig Alexander Müller Katja Suding Frank Schäffler Katharina Willkomm Roman Müller-Böhm Linda Teuteberg Dr . Wieland Schinnenburg Frank Müller-Rosentritt Stephan Thomae Fraktionslos Dr. Martin Neumann Matthias Seestern-Pauly Manfred Todtenhausen (Lausitz) Frank Sitta Dr . Florian Toncar Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der reformieren – Bezahlbares Wohnen sichern“. Wer stimmt Bundesregierung in der Ausschussfassung zustimmen für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter angenommen. Zugestimmt haben SPD, CDU/CSU, FDP Beratung angenommen. Zugestimmt haben SPD und und AfD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grü- CDU/CSU, dagegengestimmt haben FDP und AfD, und nen und Die Linke. enthalten haben sich die Fraktionen der Linken und der Bündnisgrünen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Dritte Beratung nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem wurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Tierschutzgesetzes Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- Drucksache 19/5522 wurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Fraktionen von FDP und AfD, und enthalten haben sich ses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Aus- (B) die Linken und Bündnis 90/Die Grünen. schuss) (D) Tagesordnungspunkt 8 b. Wir setzen die Abstimmun- Drucksache 19/6000 gen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 19/6153 richts des Ausschusses für Ernährung und Land- fort. wirtschaft (10. Ausschuss) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- – zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Protschka, Peter Felser, Franziska Gminder, tion Die Linke auf Drucksache 19/4829 mit dem Titel weiterer Abgeordneter und der Fraktion der „Mieterhöhungsstopp jetzt“. Wer stimmt für diese Be- AfD schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Lokalanästhesie bei der Ferkelkastration Zugestimmt haben SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, da- ermöglichen gegengestimmt hat die Fraktion Die Linke, und enthalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Carina hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Konrad, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Immer noch Tagesordnungspunkt 8 b. Unter Buch- Hocker, weiterer Abgeordneter und der Frak- stabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Aus- tion der FDP schuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Lin- Planungssicherheit für Sauenhalter herstel- ke auf Drucksache 19/4885 mit dem Titel „Mietenanstieg len – Abwanderung ins Ausland verhindern stoppen, Mieterinnen und Mieter schützen, Verdrängung verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Drucksachen 19/5533, 19/4532, 19/6000 lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt ha- CSU und der SPD werden wir später, wie angekündigt, ben CDU/CSU, SPD, FDP und AfD, dagegengestimmt namentlich abstimmen. hat die Fraktion Die Linke, und enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen. Zum Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aus- Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sprache 27 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es keinen sache 19/2976 mit dem Titel „Mietrecht jetzt wirksam Widerspruch. 7838 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Silvia und letztendlich dafür, dass die Landwirte diese selber (C) Breher für die CDU/CSU-Fraktion. anwenden dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Also auch wenn es uns nicht gefällt, müssen wir uns die Frage stellen: Was sollen denn unsere Sauenhalter Silvia Breher (CDU/CSU): in Deutschland machen? Sie stehen ganz am Ende der Kette. Auch wenn sie es theoretisch könnten, es funkti- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi- oniert praktisch nicht; sie haben keine Wahl. Mit diesem nisterin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute Gesetzentwurf verlängern wir eben nicht nur die Frist. beraten wir in zweiter und dritter Lesung eine Änderung Nein, wir sorgen mit dem Gesetzentwurf und mit dem des Tierschutzgesetzes, mit der wir die Frist zum Aus- Entschließungsantrag, dort noch einmal detaillierter ge- stieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration um zwei regelt, dafür, dass der Ausstieg gelingt. Jahre verlängern. Und ich sage schon jetzt, zu Beginn, ganz deutlich: letztmalig um zwei Jahre verlängern. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das BMEL wird bis Ende Mai eine Rechtsverordnung Oh! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: vorlegen und uns dann alle halbe Jahre über die Herstel- Das haben Sie das letzte Mal auch gesagt!) lung und Anwendbarkeit der Isofluran-Narkose durch Auch mich ärgert es wie viele von Ihnen, dass die jetzt den Landwirt berichten. Die Schulung der Landwirte auslaufende Übergangsfrist nicht besser genutzt worden muss vorbereitet werden, damit sie sachkundig vorgehen ist. Wir können jetzt lange über das Wieso, Weshalb, Wa- können. Die Anwendersicherheit der Geräte muss sicher- rum debattieren; aber wir ändern daran nichts. Das bringt gestellt sein. Wir brauchen ein Förderprogramm für die uns und unsere Landwirte jetzt eben nicht weiter. Anschaffung der Geräte und – ganz wichtig – eine Infor- mationskampagne zu den Alternativen, damit wir endlich (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Akzeptanz erreichen. NEN]: Das ist ja ein guter Trick!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir haben am Montag eine öffentliche Anhörung zu ordneten der SPD) dem Thema gehabt. Eines haben uns die Sachverständi- gen einvernehmlich bestätigt: Damit unsere Betriebe den Wichtig ist: Wir müssen nicht die Landwirte von den Ausstieg erfolgreich schaffen, brauchen wir diese Frist- Alternativen überzeugen. Wenn wir die Ebermast und die verlängerung. Mit „erfolgreich“ meine ich, dass insbe- Immunokastration voranbringen wollen, dann brauchen sondere unsere kleinen landwirtschaftlichen Betriebe in wir die Bereitschaft der gesamten Lebensmittelkette. (B) Deutschland nicht aufgeben müssen, und Ferkel zukünf- Deshalb freue ich mich, dass unsere Ministerin diese Ge- (D) tig, kastriert mit Methoden, die bei uns nicht zugelassen spräche bereits aufgenommen hat. sind, nicht aus dem Ausland importiert werden. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- NEN]: Vorgestern! Nach fünf Jahren Nicht- ordneten der SPD) stun!) Denn die bekannten Alternativen – auch das haben Ich freue mich auch, dass die Branche, von der Schlach- uns die Sachverständigen gesagt – sind derzeit einfach tung über die Vermarktung bis zum LEH, ihre Bereit- noch nicht ausreichend akzeptiert. Die Ebermast sollte schaft erklärt hat. die Alternative sein. Die Landwirte sind wirklich eupho- risch und mit gutem Mut in die Ebermast gestartet. Unse- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) re Landwirte können das. Aber der Markt nimmt die Eber Jetzt heißt es dranbleiben, diese Bereitschaft auch nicht auf. Aktuell werden nur 10 Prozent abgenommen; wirklich einfordern, es verbindlich machen und die es gibt Preisabschläge von 6 Prozent. Branche wirklich unterstützen, wo es notwendig ist. Das (Gitta Connemann [CDU/CSU]: So ist es! gilt zum Beispiel für die Exportzertifikate. Mit all diesen Das gehört leider zur Wahrheit!) Alternativen und der Bereitschaft aller Beteiligten wird unseren Ferkelerzeugern in Deutschland der endgültige Die Impfung, also die Immunokastration, ist möglich. Ausstieg in den nächsten beiden Jahren erfolgreich ge- Aber von einem kleinen Sektor im Biobereich abgesehen, lingen. Dafür gewähren wir ihnen diese letzte Fristver- werden die Tiere am Markt – Stand heute – nicht abge- längerung. nommen. Außerdem gibt es die Alternative der Inhalati- onsnarkose mit Isofluran. Auch hier zeigt sich, dass jetzt Vielen Dank. endlich etwas in Bewegung kommt; denn Isofluran ist für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Schweine zugelassen worden. Alles, was bislang ange- ordneten der SPD) wendet worden ist, war immer eine Umwidmung durch den einzelnen Tierarzt für den Einzelfall, aber eben nicht in der Breite anwendbar. Aber das alleine reicht nicht; Vizepräsidentin Petra Pau: so kommen wir noch nicht weiter. Auch für diesen soge- Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für nannten dritten Weg brauchen wir die Fristverlängerung: die AfD-Fraktion. für die Weiterentwicklung und die Anerkennung der Nar- kosegeräte, für die Sicherstellung des Anwenderschutzes (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7839

(A) Stephan Protschka (AfD): und dazu noch Gesundheitsschäden bei Mensch und Tier (C) Habe die Ehre, Frau Präsidentin! Servus, liebe Kolle- hinterlässt, meine Damen und Herren. Und das nennen ginnen und Kollegen! Grüß Gott, liebe Zuhörer auf den Sie vernünftige Politik? Ich nicht, meine Damen und Tribünen und liebe Zuschauer an den Fernsehern! Ich Herren. habe mir gerade die Rednerliste angeschaut. Ich musste (Beifall bei der AfD) feststellen: Ich bin der einzige Mann, der zur Kastrati- on spricht. Alle anderen sind ausschließlich Frauen. Aber Aber vielleicht steckt doch etwas anderes dahinter, bei mir geht noch alles. Ich weiß also, worüber ich rede. liebe Bundesregierung, weil, wie wir am Montag in der Anhörung gehört haben, die Kosten für die circa 10 000 (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – benötigten Geräte für die Isofluranbetäubung – ich finde Heiterkeit bei der AfD – Amira Mohamed Ali die Zahl von 10 000 etwas hoch, aber es wurde uns am [DIE LINKE]: Das ist überhaupt nicht lustig! Montag bestätigt – etwa 100 Millionen Euro betragen. Das kann ja wohl nicht angehen!) Aber das ist ein nettes Konjunkturprogramm von der Re- Die dänischen Ferkelerzeuger haben sich schon die gierung für die Hersteller. Ein Schelm, wer Böses dabei Hände gerieben. Ohne die Verlängerung der Übergangs- denkt, ob nicht vielleicht das eine oder andere dabei ge- frist müssten nämlich Tausende deutsche Ferkelerzeuger wesen ist. ihre Hoftore schließen. Warum fängt eigentlich die Bun- Von den Linksgrünen ist natürlich wieder die typische desregierung erst kurz vor Ende der Frist der betäubungs- Heuchelei zu hören. Wenn es nach Ihnen ginge, dann losen Ferkelkastration an, panisch nach Alternativlösun- sollten Ferkel am besten gar nicht mehr kastriert werden. gen zu suchen? Schwarz-Rot hat fünf Jahre Zeit gehabt, den deutschen Bauern eine tierschutzgerechte Alternati- (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das ist ve zur betäubungslosen Ferkelkastration zur Verfügung auch richtig so!) zu stellen. Aber was ist passiert, liebe Regierung? Gar nichts haben Sie gemacht. Sie haben unter Herrn Schmidt Dabei wissen Sie selbst, liebe Grünen, dass es für diese nichts gemacht, und unter Frau Klöckner ist bis dato auch Verfahren keinen Absatzmarkt gibt. Abgesehen davon noch nichts passiert. will ich Sie dann hören, wenn die ersten Bilder von der Ebermast kommen, wenn es zum Beispiel Penisbisse und (Beifall bei der AfD) Schwanzabbisse gibt. Dabei hat die Schweinehochburg Dänemark doch aber vorgemacht, wie vernünftige landwirtschaftliche Politik Vizepräsidentin Petra Pau: funktionieren kann. Dort wurde in Windeseile in Zusam- Herr Protschka, achten Sie bitte auf die Zeit. (B) menarbeit von Wirtschaft, Politik und Tierschutz die Lo- (D) kalanästhesie ermöglicht. Dabei handelt es sich um ein (AfD): Verfahren, dem viele Experten bescheinigen – wir ha- Stephan Protschka ben schon gehört, dass wir am Montag eine Anhörung Jawohl, Frau Präsidentin. – Wenn es die ersten Bilder hatten –, dass es für die beste und wirksamste Schmerz- von den Ferkeln gibt – Sie wissen genau, dass sich Eber ausschaltung sorgt. Warum ist das in Deutschland nicht gegenseitig beißen –, dann heißt es wieder: Ach, die ar- möglich? men Tiere. – Das hat nichts mit Tierschutz zu tun, was Sie machen. (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Stimmt nicht!) (Beifall bei der AfD – Renate Künast [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht nichts – Doch! Sogar das Klinikum rechts der Isar sagt das. mehr, Frau Pau!) (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das Wir werden der Fristverlängerung zustimmen, aber auch sind die Einzigen!) nur mit Bauchschmerzen, besser ein bisschen als gar – Nein, sie sind nicht die Einzigen. Auch die TU Mün- nichts. chen und viele andere sagen, dass die Lokalanästhesie Danke, meine Damen und Herren. wirksam ist. (Beifall bei der AfD) (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Ja, das ist auch richtig!) Vizepräsidentin Petra Pau: Von der Bundesregierung hört man nur, dass die Zulas- Susanne Mittag hat nun für die SPD-Fraktion das sung des Betäubungsmittels Lidocain fünf Jahre Zeit be- Wort. nötigen würde. Ja, liebe Regierung, Sie hatten fünf Jahre Zeit. Was haben Sie denn in diesen fünf Jahren gemacht? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie haben nichts gemacht. (Beifall bei der AfD – Carina Konrad [FDP]: Susanne Mittag (SPD): Da hat er recht!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Die kommenden zwei Jahre werden Stattdessen soll künftig die Betäubung mit Isofluran nicht mit den letzten fünf Jahren zu vergleichen sein. durchgeführt werden. Das ist ein Betäubungsmittel, wel- ches nicht für eine wirksame Schmerzausschaltung sorgt (Beifall bei der SPD) 7840 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Susanne Mittag (A) Und warum nicht? Weil wir als Gesetzgeber im Nach- mit der unangenehme Ebergeruch gar nicht erst auftritt. (C) gang endlich das regeln, was das Landwirtschaftsminis- Auch in Deutschland ist ja der herrliche Schinken aus terium schon längst hätte regeln müssen. Spanien sehr beliebt. Es scheint also zu funktionieren. Die Jung­ebermast muss also auch für Deutschland eine (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Option sein. Die Tiere mit Geruch, falls er überhaupt auf- NEN]: Ja, hätte es mal!) tritt – das ist ein nicht so hoher Prozentsatz, wie es immer Wir sorgen dafür, dass mit der Isofluran-Narkose eine gesagt wird –, sind ohne Weiteres im Schlachtvorgang tierschutzgerechte Methode zur Verfügung steht – der zu identifizieren und herauszunehmen. Allerdings ist Eingriff am Ferkel findet unter Schmerzausschaltung nicht nachvollziehbar, wenn Schlachtunternehmen schon statt und nicht unter Schmerzminderung –, einmal im Vorgriff auf diese Maßnahmen die Preise für junge Eber sicherheitshalber senken. Das läuft nämlich (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auf Markbeeinflussung hinaus, und das bestimmt nicht NEN]: Was braucht es danach noch eine im positiven Sinne. Schmerzbehandlung?) (Beifall bei der SPD) dass nach den zwei Jahren das deutsche Tierschutzgesetz in diesem Bereich endlich den höchsten Standard hat, Es liegt nach dieser Gesetzesänderung auch in der und zwar europaweit. Verantwortung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, die festgeschriebene Verordnung umgehend zu erlassen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Carina Konrad [FDP]: Es liegt nur in seiner In keinem anderen Land ist die Schmerzausschaltung Verantwortung!) vorgeschrieben. Alle Versuche, auch hier aus diesem Be- reich, das Gesetz in dieser Begrifflichkeit zu unterwan- und die im Entschließungsantrag – er liegt draußen vor dern, sind zum Glück fehlgeschlagen. und kann gerne noch einmal gelesen werden – aufge- führten Handlungskataloge umzusetzen sowie die dort (Beifall bei der SPD) gesetzten Fristen zu wahren. Es sind jede Menge Fristen Das Ministerium muss bis Ende Mai 2019 eine Ver- festgeschrieben worden, die es einzuhalten gilt. ordnung vorlegen, die die Isofluran-Narkose praxistaug- (Beifall bei der SPD) lich macht. Das ist schon erwähnt worden. Das Gesetz stellt aber auch klar, dass es drei verschiedene tierschutz- Es liegt nicht nur in der Verantwortung der Landwirte, gerechte Verfahren gibt. Das geht in der Diskussion ge- die gesetzlichen Möglichkeiten – drei verschiedene – legentlich unter. Wir reden über drei Verfahren. Die Mast endlich zu nutzen, sondern auch am Einzelhandel. Auch junger Eber und die Eberimpfung sind auch schon er- die Schlachtunternehmen müssen endlich tierschutzge- (B) wähnt worden. recht gemästete Tiere vermarkten. (D) (Carina Konrad [FDP]: Sie reden über drei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Verfahren!) der CDU/CSU) Die öffentliche Anhörung im Bundestag hat aber auch Das war in den letzten fünf Jahren leider nicht der deutlich gemacht, dass alle drei Verfahren noch nicht Fall. Da gab man wieder einmal die Schuld dem legen- vollkommen gangbar sind. dären Verbraucher, der das alles nicht will. Aber – das ist schon einmal positiv – seit einigen Tagen gibt es ers- (Zuruf von der FDP: Ja, was kritisieren Sie te Zugeständnisse in diesen Bereichen hinsichtlich der denn da?) Machbarkeit und Notwendigkeit, auch aus dem Bereich – Einmal abwarten, und die Nerven bewahren. der Schlachtindustrie und des Einzelhandels. Wir werden genau beobachten, ob wieder versucht wird, den Tier- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schutz zu unterwandern oder ob diese Versprechungen der CDU/CSU) wirklich eingehalten werden; denn es ist wichtig, dass Die Geräte für die Isofluran-Narkose sind noch nicht der Tierschutz auch in diesen Bereichen endlich realisiert ausreichend auf dem Markt vorhanden. Nicht jeder Tier- wird. halter kann von heute auf morgen sein Haltungsmanage- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ment im Stall auf die Jungebermast umstellen. Und die der CDU/CSU) Schweinemäster werden momentan ihre geimpften Tiere nicht oder kaum los. Was in den letzten fünf Jahren im Landwirtschafts- ministerium gelaufen ist oder leider nicht gelaufen ist, Für das erste Problem bezüglich der Isofluran-Narko- darf sich nicht wiederholen. Es wurde Vertrauen in die se schaffen wir mit der Gesetzesänderung eine Lösung. Verlässlichkeit politischer Entscheidungen, die wir hier Bald kann der Tierhalter nach einer Schulung die Narko- einmal gefasst haben, und in den Tierschutz in Deutsch- se eigenständig durchführen. Das war bislang nicht so. land allgemein verspielt. Dieses Vertrauen gilt es wieder- Das ist für die Praktikabilität unheimlich wichtig, weil herzustellen. Das wird allerdings dauern. für die Menge die Tierärzte fehlen. Es braucht dazu ein- fach Zeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch die Jungebermast wollen und müssen wir wei- ter fördern. Länder wie Spanien mästen ausschließlich Überzeugt werden kann nur durch ein positives Er- junge Eber bei einem niedrigen Schlachtgewicht, da- gebnis. Wir haben deshalb im Entschließungsantrag, der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7841

Susanne Mittag (A) dem Gesetz anhängt, neun Vorhaben genauer beschrie- Frau Klöckner, als Sie angetreten sind, haben Sie ver- (C) ben, wie das befristet in den zwei Jahren umgesetzt sprochen, das Spannungsfeld zwischen Verbrauchern werden kann. Wer gerne weiterliest: Dort sind 15 wei- und Landwirten zu überbrücken. Sie haben versprochen, tere Forderungen im Nutz- und Heimtierbereich formu- dass Sie die Landwirte aus dieser Defensivhaltung her- liert. Auch das ist Tierschutz, der letztendlich umgesetzt ausbringen wollen. Am heutigen Tage muss ich feststel- werden muss, weil er schon Jahre in der Besprechung, len: Das ist gescheitert. in der Wertung, in der Prüfung usw. liegt. Es wird Zeit, (Beifall bei der FDP) dass das einmal umgesetzt wird. Zum Beispiel: Wir brauchen einen Tierschutz-TÜV für Ställe, Regelungen Wie kann man die Landwirte durch diese Entscheidung für nichtkurative Eingriffe, weitere Maßnahmen beim noch mehr in die Defensive bringen? Wer die öffentliche Thema Tiertransporte. Wir brauchen eine Verordnung, Debatte – in allen Zeitschriften natürlich befeuert von die den Verkauf von Tieren auf Börsen und im Internet unseren Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen – in den regelt, Regelungen zu Tierheimen und zur Qualzucht. letzten Tagen verfolgt hat, muss sehen: Es gibt im Mo- Wir brauchen die Videoüberwachung an Schlachthöfen. ment keine Debatte, die emotionalisierter geführt wird Das sind noch nicht alle Punkte, die aufgeführt sind. Das als die Debatte um die Zukunft der Ferkelkastration in ist ein Handlungskatalog, der direkt an Frau Ministerin Deutschland. Klöckner geht. Es gibt also jede Menge zu tun, damit die Es hätte nicht nur eine Möglichkeit gegeben. Es hätte vielen Missstände im deutschen Tierschutzrecht nicht vier Möglichkeiten gegeben. mehr weiter fortgeführt werden. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: So ist Die Frist in allen Fällen endet 2019. Dann überprüfen es! – Susanne Mittag [SPD]: Nein!) wir unseren Koalitionsvertrag. Ich bin optimistisch, dass wir viele Regelungen haben. Für die letzten fünf Jahre Frau Mittag, Sie wissen das sehr genau. Anstatt sich auf kann Frau Klöckner wenig. Das muss man einmal deut- den Weg zu machen und in Verbindung mit dieser Frist- lich sagen. verlängerung ein deutliches Signal zu senden, dass Sie sich auf den Weg machen, all diese Möglichkeiten für (Stephan Protschka [AfD]: Aber die SPD!) die Landwirte möglich zu machen, verkünden Sie ges- Sie war weder im Deutschen Bundestag noch war Frau tern über „agrarheute“, dass der Weg, der in Dänemark Klöckner Ministerin. Aber in den kommenden zwei Jah- gängige Praxis ist, der in der Humanmedizin gängige ren müssen Sie als Ministerin dafür Sorge tragen, dass Praxis ist, dass der Weg der Lokalanästhesie kategorisch Deutschland wirklich eine vorbildliche Position im Tier- ausgeschlossen ist. Und das ist falsch. schutz einnimmt, unabhängig davon, was Verbände mei- (Beifall bei der FDP – Dr. Gero Clemens nen, wie Tierschutz zu funktionieren hat. (B) Hocker [FDP]: Bravo!) (D) Danke schön. Stattdessen machen Sie sich jetzt auf den Weg, die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Vollnarkose zur Marktreife bringen zu wollen. Völlig Ulli Nissen [SPD]: Gute Rede!) überraschend wurde in der letzten Woche in einem An- flug von Hyperaktivität das Mittel Isofluran zugelassen. Vizepräsidentin Petra Pau: (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Wort hat die Kollegin Carina Konrad für die NEN]: Da würde ich jetzt echt mal auf die FDP-Fraktion. Fachleute hören!) (Beifall bei der FDP) Das wird enorme Kosten bei den Betrieben auslösen. Das ist in der Anhörung am Montag deutlich geworden. Alle Carina Konrad (FDP): Betriebe werden Geräte anschaffen müssen. Egal ob klei- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Her- ne oder große Betriebe, für jeden Betrieb fallen Kosten ren! Frau Mittag, bitte erklären Sie mir eines: Warum und in der gleichen Höhe an. Man muss kein Hellseher sein, wie soll jetzt in zwei Jahren etwas umgesetzt werden, um zu sehen, dass das besonders die kleinen Landwirte was in den letzten fünf Jahren nicht gelingen konnte? nicht leisten können. Dafür gibt es keine vernünftige Erklärung. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Der vielgepriesene bäuerliche Familienbetrieb, liebe ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, steht damit vor Albert Stegemann [CDU/CSU]: Sie müssen dem Aus, weil ihm schlichtweg die Möglichkeiten feh- erst einmal zuhören!) len. Sie hatten fünf Jahre Zeit, liebe GroKo und liebes Bun- Wir haben schon vor einiger Zeit einen Antrag einge- deslandwirtschaftsministerium, bracht, in dem wir aufzeigen, wie es geht, und vor allen Dingen aufzeigen, was noch alles für Herausforderungen (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Nein, da war auf die Landwirtschaft und speziell auf die Sauenhalter auch Schwarz-Gelb dabei!) zukommen. Sei es der Kastenstand, sei es die TA Luft und 33 Tage vor Toresschluss wollen Sie uns erklären, oder seien es die vielfältigen anderen gesellschaftlichen dass es keine andere Lösung gibt, als allein die Frist zu Anforderungen, vor denen die Sauenhalter stehen – kein verlängern. Wort darüber ist zu finden in dem Entschließungspapier, 7842 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Carina Konrad (A) das Frau Mittag hier eben gepriesen hat; stattdessen nur Mit Erlaubnis der Präsidentin möchte ich aus einer (C) weitere Anforderungen, weitere Bürden, weitere Auf- Rede vom Dezember 2012 zitieren: lastungen. Das ist unverantwortlich. Das ist Politikver- sagen. Hieran trägt keiner die Schuld, außer den politi- Dabei gibt es längst zig Alternativmethoden: Eber- schen Vertretern in diesem Haus. Das muss ganz deutlich mast, Improvac, Isofluran. Der Impfstoff Impro- gesagt werden. vac ist in über 50 Ländern zugelassen, wird dort täglich angewendet und hat sich bestens bewährt. (Beifall bei der FDP – Dr. Gero Clemens Warum nehmen Sie nicht endlich die Wirklichkeit Hocker [FDP]: Bravo!) zur Kenntnis? Warum leugnen Sie wider besseres Das Parlament hat seine Hauptaufgabe in den letzten Wissen? Sie lassen weiterhin millionenfache Tier- fünf Jahren sträflich vernachlässigt. quälerei zu. Unerträglich! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Laut Protokoll: Beifall von SPD, Grünen und Linken. Kollegin Konrad, bitte achten Sie auf die Zeit. Der Redner war damals Heinz Paula von der SPD. Er war damals Opposition, und er hatte vollkommen recht. Carina Konrad (FDP): Ich komme zum Ende. – Die Hauptaufgabe ist die (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kontrolle der Regierung. Das müssen auch Sie von Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bündnis 90/Die Grünen, die Sie sich hier als Haupttier- Auch 2016 hat die Bundesregierung in einer offiziel- schützer hinstellen, verantworten. len Unterrichtung an den Bundestag festgestellt, dass es (Beifall bei der FDP – Renate Künast Alternativen gibt, und zwar verfügbare. Durch die Eber- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sitze!) mast oder die sogenannte Impfung gegen Ebergeruch kann man sogar gänzlich auf eine schmerzhafte chirur- gische Kastration verzichten, wobei die sogenannte Imp-

Vizepräsidentin Petra Pau: fung die tierschutzgerechteste und auch zukunfts- und Dr . Kirsten Tackmann hat für die Fraktion Die Linke rechtssicherste Möglichkeit ist. das Wort. (Beifall bei der LINKEN – Carina Konrad (Beifall bei der LINKEN) [FDP]: Die von den Schlachtern nicht ange- nommen wird!) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): (B) Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen Das zuständige Friedrich-Loeffler-Institut hat das bestä- (D) und Kollegen! Liebe Gäste! Heute geht es um die Frage, tigt. Nach einer Studie des Thünen-Instituts ist diese Me- ob Ferkel weitere zwei Jahre ohne Betäubung kastriert thode sogar fast kostenneutral. werden dürfen oder eben nicht. Eigentlich muss bei je- (Carina Konrad [FDP]: Aber nur, wenn das dem schmerzhaften Eingriff der Schmerz ausgeschaltet Fleisch auch zu vermarkten ist!) werden. Nur mit Ausnahmegenehmigung dürfen männ- liche Ferkel ohne Betäubung – noch – kastriert werden. Warum also soll jetzt doch die Verlängerung kom- men? Weil die Schlachtkonzerne und Supermarktkonzer- So weit, so schlecht. Als Tierärztin weiß ich sehr ge- ne schlicht seit fünf Jahren mit vorgeschobenen Gründen nau, was das heißt. Ich musste Ferkel so kastrieren, und verweigern, unkastrierte oder immunokastrierte Schwei- ich sage Ihnen: Ich habe das gehasst. ne anzunehmen. Sie boykottieren quasi die Durchsetzung (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) des gesetzlichen Verbots der betäubungslosen Kastration. Ich finde das ungeheuerlich. Dass so junge Ferkel keine Schmerzen spüren, ist ein Märchen aus einer anderen Welt. Und das alles nur, weil (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- 5 Prozent der Eber Ebergeruch entwickeln, der unange- NIS 90/DIE GRÜNEN) nehm ist, oder weil sich die Fleischqualität verändert. Aber einen so schmerzhaften Eingriff damit zu rechtfer- Damit erpressen die Konzerne mutmaßlich sogar einen tigen, ist einfach nicht mehr akzeptabel. Verfassungsbruch. Ich finde das absolut absurd. Warum sind die eigentlich so mächtig? Weil eben nur noch drei (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Großkonzerne den gesamten Markt beherrschen, und sie NIS 90/DIE GRÜNEN) haben Buddies in der Union, die heute die SPD in Geisel- Doch die Union tritt wieder einmal heftig auf die haft nehmen. Ich finde beides erschreckend. Bremse. Nur der große öffentliche Druck zwang im De- (Beifall bei der LINKEN) zember 2012 die Koalition aus FDP und Union, das Ver- bot für Ende 2016 zu beschließen. In letzter Minute wur- Sie fallen den Betrieben, die uns als Gesetzgeber ernst de es dann auf Anfang 2019 verschoben. Dieses Verbot genommen haben und sich auf den Weg gemacht haben, hätte eigentlich schon 2012 kommen können. Ich sage: heute in den Rücken. Ich finde, das ist ein rabenschwar- Es hätte kommen müssen. zer Tag für den Tierschutz und für die Demokratie. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7843

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Friedrich-Loeffler-Institut, eines der führenden Institute (C) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, für Tiergesundheit, ist immer noch dieser Meinung, mei- dass schon so viele Kolleginnen und Kollegen hier der ne Damen und Herren. Ich weiß gar nicht, warum dann Debatte folgen, bevor wir demnächst namentlich abstim- dieser Gesetzentwurf. Jede und jeder wusste, was am men. Ich bitte, die notwendige Aufmerksamkeit für die 1. Januar 2019 passieren muss. folgenden Rednerinnen und Redner herzustellen. Dazu gehört auch: Wir haben genügend Sitzplätze für alle ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wählten Mitglieder des Deutschen Bundestages. Erfah- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Carina rungsgemäß hört es sich so auch besser zu. Ich bitte also, Konrad [FDP]: Wie ist denn Ihre Lösung?) Platz zu nehmen und notwendige Gespräche aus dem Ihr Gesetzentwurf ist das Ergebnis von Lobbydruck, Plenum in einen anderen Raum zu verlagern. meine Damen und Herren, und Sie treten das Grundge- Nun hat das Wort die Kollegin Renate Künast für die setz mit Füßen. Sie verlängern jetzt. Da gucken wir uns Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. mal an, was passiert: Also, Sie wollen um zwei Jahre verlängern. Zeitgleich gibt es eine Presseerklärung der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ministerin, in der sie sagt, es gibt drei praxistaugliche Alternativen: die Ebermast, die Impfung, die chirurgi- Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sche Kastration unter Betäubung. – Warum verlängern Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wir dann, meine Damen und Herren? Frau Ministerin, dieses Gesetz ist verfassungswidrig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Carina Konrad [FDP]: Das stimmt nicht!) Zu dieser Verlängerung gibt es jetzt aber eine neue Stu- So einfach ist es. Seit 2002 steht in Artikel 20a des die zum Thema „lokale Betäubung“; sie hat die Minis- Grundgesetzes, dass der Tierschutz Staatsziel ist. Das terin am Dienstag vorgestellt. Fragen wir im Ausschuss ist ein formulierter Auftrag für alle staatlichen Organe nach, wann denn das Ergebnis kommt, heißt es: im Som- und für alles staatliche Handeln. Tiere ohne Betäubung mer 2021. 2021 ist erkennbar nach 2019/2020, meine schmerzhaft zu behandeln, ist eine Straftat. Die Amputa- Damen und Herren. Ich vertraue Ihnen nicht, dass Sie tion, also auch die Kastration, ist eine Straftat. Meine Da- nicht noch mal verlängern. men und Herren, eine Straftat! Nur dazu haben wir eine Ausnahmeregelung gemacht. Diesem ganzen Konstrukt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (B) werden Sie an keiner Stelle gerecht. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dann würde dieses Gutachten aber ein Fall für den Bun- und bei der LINKEN) desrechnungshof sein. Sie hatten fünf Jahre Zeit, meine Damen und Herren, Sie sind, meine Damen und Herren, doch der parla- und haben nichts gemacht. Das muss man so sagen. mentarische Arm von Bauernverband und Schlachtindus- (Carina Konrad [FDP]: Sie haben auch nichts trie. Sie fahren die deutsche Landwirtschaft tatsächlich in gemacht!) die Sackgasse. Das waren die Vorgänger von Frau Klöckner, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Wer war denn der Vorgänger?) Sie treten den Tierschutz hier mit Füßen, meine Damen Herr Schmidt – ich sehe ihn nicht; irgendwann wird er und Herren. Warum? Die Eigentumsgarantie zieht hier ja kommen müssen –, oder Frau Aigner. Dafür trägt Frau nicht. Klöckner keine Verantwortung, aber für alles, was jetzt passiert. (Carina Konrad [FDP]: Wo ist denn Ihre Lö- sung?) Zur Frage, was jetzt passieren muss, der kleine recht- liche Hinweis an Frau Konrad: Schmerzausschaltung, Die Berufsfreiheit zieht hier nicht, weil die Rechtspre- nicht Schmerzlinderung muss jetzt passieren. Sie müssen chung sagt, dass künftige Erwerbsmöglichkeiten gar bei Ihren Vergleichen aufpassen. nicht geschützt sind. Und den Tierschutz, Artikel 20a GG, wägen Sie überhaupt nicht ab. Sie laden zu einem (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Treffen; da sitzt – bildhaft – der Handel, da sitzt die SES 90/DIE GRÜNEN – Carina Konrad Schlachtindustrie und, und, und. Und wenn man genau [FDP]: Das ist eine Frage des Einsatzes der schaut, wer fehlt, stellt man fest: die Tierschutzverbände. Mittel und der Wirkungstiefe!) Da oben sitzen sie. Sie machen also etwas zum Thema 2016 hat die Bundesregierung einen Bericht aufge- Ferkelkastration ohne die Tierschutzverbände. Stattdes- legt, in dem sie geschrieben hat: Es gibt Alternativen, sen sitzen dort, meine Damen und Herren, Vertreter der die Alternativen sind wirtschaftlich, und die lokale Be- Großen Koalition aus dem Ausschuss. Die Opposition, täubung ist wenig effektiv. Dieser Bericht der Bundes- meine Damen und Herren, wird nicht eingeladen. Das regierung wurde zu keinem Zeitpunkt widerrufen. Das ist ein Fall für den Bundestagspräsidenten; es geht näm- 7844 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Renate Künast (A) lich um die Rechte der Abgeordneten, meine Damen und Nehmen wir ein Beispiel aus der Praxis, worüber wir (C) Herren. heute reden: Ein mittlerer Betrieb im Münsterland mit 1 800 Sauen ferkelt jede Woche circa 80-mal, pro Wurf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Schnitt 7 Eber; macht dann pro Woche 560 Kastratio- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) nen, die erforderlich sind. Die Variante mit dem Isofluran kommt gerade auch bei den Jungbauern nicht so richtig Vizepräsidentin Petra Pau: gut an; denn sie birgt die Gefahr des Auskühlens oder Kollegin. die, dass die Tiere unter das Muttertier rollen – beides nicht wirklich erstrebenswert. Die Lokalanästhesie wäre Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): eine Möglichkeit; aber die Tierärzte können sie in die- ser Quantität nicht mal annähernd leisten. Also wäre zu Letzter Satz. – Fazit, meine Damen und Herren: Bei überlegen, ob man den Bauern, wie beim Kälberenthor- Ihnen, bei Ihrem Gesetzentwurf ist es so, dass der Tier- nen, nicht auch eine Ausnahmeregelung zukommen lässt. schutz vollständig hinter wirtschaftlichen Interessen zurücktreten muss. Sie treten die Staatszielbestimmung Gleichwohl stehen die Jungbauern aber allen Ansät- mit Füßen. Sie denken nur an die Profite der Schlacht­ zen und möglichen Lösungen völlig offen gegenüber. Sie industrie und der Ferkelzüchter. Diese Koalition ist der wollen nur eine Lösung; die brauchen sie wirklich drin- Albtraum aller Tiere. Wir werden Ihrem Gesetzentwurf gend. Und sie brauchen mit dieser Rechtssicherheit eben nicht zustimmen. auch Planungssicherheit. Bevor wir hier weiter untätig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bleiben und die ganze Debatte auf dem Rücken ebenjener sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf Bauern austragen, wäre es einfach sinnvoll, sie mal zu von der SPD: Was haben Sie denn als Minis- fragen, was sie selber gerne wollen. terin gemacht?) Vielen Dank.

Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Abgeordnete Mario Mieruch. Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Hermann Färber für die CDU/CSU. Mario Mieruch (fraktionslos): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner und Herren! Vorweg noch mal eine kleine Korrektur: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch ein Lieber Kollege Protschka, auf der Rednerliste sind Sie Mann!) (B) dann heute doch nicht der einzige Mann. Meine Cojones (D) sind auch noch da. Das habe ich sogar bewiesen, indem Hermann Färber (CDU/CSU): ich ausgetreten bin. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch (Lachen bei Abgeordneten der AfD – Heiter- wenn wir hier heute über die Verlängerung der Frist für keit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/ die betäubungslose Ferkelkastration reden und abstim- CSU und der FDP) men, möchte ich vorab eines klarstellen: Das bedeutet natürlich nicht, dass die Ferkel bisher oder auch in den Aber gut, zum Thema. In dieser Debatte geht es um nächsten zwei Jahren ohne schmerzstillende Mittel kas- eine schwierige Rechtsgüterabwägung: Auf der einen triert werden. Denn schon heute wird mit dem Mittel Seite stehen die Bauern, denen es nicht einfach immer Metacam ein Medikament angewendet, das schmerzlin- nur um den Profit, sondern an vielen Stellen einfach nur dernd und entzündungshemmend wirkt. um den Lebensunterhalt geht. (Carina Konrad [FDP]: Schlimmer geht es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU nicht!) sowie der Abg. Susanne Mittag [SPD]) Auf der anderen Seite steht der Tierschutz, der natürlich Wenn wir ein Verfahren anbieten wollen, das zur voll- fordert, dass keinem Tier ohne Grund Schmerzen zuge- ständigen Schmerzausschaltung während der Kastration fügt werden sollen. führt, benötigen wir aber eine Verlängerung dieser Über- gangsfrist, weil wir für einige bisher ungeklärte Fragen Ich habe mit vielen Jungbauern im Münsterland ge- nach Lösungen suchen müssen. Das haben uns auch – sprochen, die gerne Höfe übernehmen und weiterführen das wurde schon erwähnt – in der Anhörung am Montag wollen. Sie versicherten mir wirklich sehr, sehr glaub- acht von neun Experten so bestätigt. haft, dass sie kein Interesse daran haben, einem Tier Schmerzen zuzufügen, wenn sich das entsprechend ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und meiden lässt. Die meisten Bauern halten weder schwarze der SPD) Schafe, noch sind sie selber welche. In den vergangenen fünf Jahren wurden die Ebermast Dass die Bundesregierung es in den letzten zwei Jah- und die Impfung gegen den Ebergeruch als beste Lö- ren nicht geschafft hat, weder kostengünstige noch all- sung angestrebt. Leider wird das Fleisch dieser Tiere in gemein umsetzbare Lösungen zu präsentieren, ist ein Deutschland aber kaum gekauft. Dafür fehlen vertragli- Armutszeugnis; das stimmt. Es wäre wirklich spannend, che Grundlagen zwischen den Höfen, der Schlachtindus- einmal zu ergründen, woran das lag. trie, aber auch dem Lebensmitteleinzelhandel. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7845

Hermann Färber (A) Seit Freitag der vergangenen Woche ist jetzt das Nar- Sie müssen sich noch nicht beeilen und hier quer durch (C) kosemittel Isofluran zugelassen; damit können die Ferkel den Plenarsaal laufen. Ich bitte nämlich jetzt diejenigen, bei der Kastration in Vollnarkose versetzt werden. Jetzt die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand- müssen die Narkosegeräte in ausreichender Menge zur zeichen. – Es lässt sich im Moment schwer feststellen, Verfügung gestellt werden. Dabei gibt es auch noch Be- inwieweit das in Fraktionen – – denken vonseiten der Sozialversicherung im Hinblick auf den Anwenderschutz, die es zu klären gilt. Isofluran (Widerspruch des Abg. Paul Lehrieder [CDU/ hat die Eigenschaften, dass es bei Menschen fötusschädi- CSU]) gend wirken kann. Oftmals sind aber gerade junge Frau- – Na ja, auch die CDU stimmt hier mit maximal sechs en mit der Tätigkeit als Tierärztin beschäftigt. Wir tragen Leuten ab; der Rest hat im Moment keine Meinung. hier bei der Gesetzgebung auch Verantwortung für die Sicherheit und für die Gesundheit der Anwenderinnen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sie müssen eine Brille aufsetzen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es scheint jetzt auch in der CDU/CSU-Fraktion ange- Auf der anderen Seite – auch das wurde schon ge- kommen zu sein, dass wir in einer Abstimmung sind. sagt – gibt es nicht genügend Tierärzte, die diese Narkose auf den Höfen durchführen können. Deshalb benötigen Ich wiederhole die Frage: Ich bitte diejenigen, die wir noch eine Verordnung, die es ermöglicht, dass die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- Landwirte diese Behandlung, diese Narkotisierung selber chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der durchführen können. Dann brauchen wir dazu die Schu- Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der Fraktion Die lungen und die Lehrgänge für den Sachkundenachweis. Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent- haltung der FDP-Fraktion mit den Stimmen der Koaliti- Meine Damen und Herren, es ist wichtig, zu wissen: onsfraktionen und der AfD-Fraktion angenommen. Die Ferkelzüchter würden liebend gerne auf die Kastrati- on ihrer Tiere verzichten. Sie müssen sich aber auch nach (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Wünschen ihrer Kunden richten. Wenn wir die Frist NEN]: Und einer Gegenstimme aus der SPD!) nicht verlängern, dann werden unsere heimischen Fer- – Und eine Gegenstimme aus der SPD. Das nehmen wir kelzüchter ihre Betriebe schließen müssen – ihnen bleibt auch noch zu Protokoll. Und bei der Union gab es eine ja gar nichts anderes übrig –, und die Schweinemäster Enthaltung. werden die Jungtiere dann aus dem Ausland beziehen, vorzugsweise aus Dänemark. Dort werden die Tiere (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ändert am Er- aber selbstverständlich auch kastriert. Dazu werden sie gebnis nichts!) (B) noch 1 000 Kilometer über viele Stunden hinweg auf den (D) Transport geschickt. Das kann wirklich niemand wollen; Das ist schwer zu erkennen, wenn Sie alle hier vorne ste- das kann auch nicht Tierschutz sein. hen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dritte Beratung Deshalb ist der vorliegende Entwurf zur Änderung des und Schlussabstimmung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Tierschutzgesetzes ein notwendiger Schritt, und ich bitte Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte um Ihre Zustimmung. die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- nen Plätze einzunehmen. – Sind alle Schriftführerinnen Vielen Dank. und Schriftführer am Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich mache da- rauf aufmerksam, dass wir nach der Absolvierung dieser Vizepräsidentin Petra Pau: namentlichen Abstimmung noch nicht am Ende dieses Tagesordnungspunktes sind, sondern noch weitere Ab- Ich schließe die Aussprache. stimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt stattfinden. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge- Jetzt stelle ich die obligatorische Frage: Gibt es ein setzentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes. Der Mitglied des Hauses, welches seine Stimme noch nicht Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt abgeben konnte? – Haben auch alle Schriftführerinnen unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf und Schriftführer ihre Stimme abgeben können? – Ich Drucksache 19/6000, den Gesetzentwurf der Fraktionen schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/5522 anzu- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. nehmen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass mir mehrere Ich bitte jetzt die verbliebenen Kolleginnen und Kol- Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu diesem Tagesordnungspunkt vorliegen. Wir nehmen sie legen, Platz zu nehmen, sodass wir zweifelsfrei die fol- entsprechend unserer Regeln zu Protokoll.1) genden Abstimmungsergebnisse feststellen können.

1) Anlagen 8 und 9 2) Ergebnis Seite 7847 D 7846 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag Ich rufe den Zusatzpunkt 14 auf: (C) der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- che 19/6106 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungs- richts des Ausschusses für Inneres und Heimat antrag? – Also offensichtlich stimmen nur einige Abge- (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten ordnete der SPD-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, für den Entschließungsantrag dieser Fraktionen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Alle!) LINKE – Wir stellen hier das fest, was wir sehen, und nichts an- Sofortiger Abschiebestopp und Schutz für Ge- deres. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Darf flüchtete aus Afghanistan ich erfahren, wie die AfD abgestimmt hat? Drucksachen 19/1369, 19/4610 (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Dafür!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Gut, wir müssen die Abstimmung offensichtlich wie- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. derholen. Vielleicht ist jetzt die notwendige Aufmerk- samkeit in allen abstimmenden Fraktionen hergestellt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- Es hilft vielleicht auch, wenn sich die restlichen CDU/ ordnete Alexander Throm für die CDU/CSU-Fraktion. CSU-Kollegen hinsetzen. In der FDP könnte das auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – helfen. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Guter Mann!) Ich wiederhole ein letztes Mal die Frage: Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen Alexander Throm (CDU/CSU): auf der Drucksache 19/6106? – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In großer Regelmäßigkeit beantragen die Lin- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ken einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan – NEN]: Na, geht doch!) auch dieses Mal wieder. Wenn man dem Antrag etwas Das sind die SPD-Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion und Positives abgewinnen will, dann ist es die Hartnäckig- die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Dies sind die keit, mit der die Linksfraktion dies hier beantragt. Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Machen wir Grünen. Wer enthält sich? – Das ist die FDP-Fraktion. gern!) Der Entschließungsantrag ist also mit den Stimmen der (B) Koalitionsfraktionen und der AfD-Fraktion angenom- Aber das war es auch schon an Positivem, und deswegen (D) men. werden wir ihn auch dieses Mal ablehnen. Denn er sendet ein falsches Signal in die Welt und vor allem nach Afgha- Wir sind noch immer beim Tagesordnungspunkt 11, nistan, und er würde all jenen schaden, die zu Recht in und zwar Tagesordnungspunkt 11 b, und setzen die Deutschland Schutz suchen und erhalten. Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Ernährung und Landwirtschaft auf Druck- (Beifall bei der CDU/CSU) sache 19/6000 fort. Sie wollen ja mehr als einen Abschiebestopp: Sie wol- len allen aus Afghanistan aus humanitären Gründen eine Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- Daueraufenthaltserlaubnis geben. schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion der AfD auf Drucksache 19/5533 mit dem Titel „Lo- (Beifall bei der LINKEN) kalanästhesie bei der Ferkelkastration ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Ähnliches hatten auch schon die Grünen im April 2017 dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- beantragt, indem sie zumindest einen subsidiären Schutz lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der für alle forderten. Da passt kein Blatt zwischen Grüne Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Sie bedenken in keinster Weise die Folgen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der AfD-Frak- einer solchen Politik. Das käme quasi einer Aufforderung tion angenommen. an alle in Afghanistan Lebenden gleich, den Weg nach Deutschland anzutreten. Das können wir nicht zulassen. Wir sind immer noch beim Tagesordnungspunkt 11 b. Wie ist die Ausgangslage, liebe Kolleginnen und Kol- Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- legen? Die Bundesregierung analysiert regelmäßig die fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Situation in den Herkunftsländern anhand vielfältiger Fraktion der FDP auf Drucksache 19/4532 mit dem Titel Quellen: Berichte aus dem Auswärtigen Amt und des „Planungssicherheit für Sauenhalter herstellen – Abwan- UNHCR sowie von anderen wie NGOs und dem EASO. derung ins Ausland verhindern“. Wer stimmt für diese Man kann sagen: Es gibt deutliche Unterschiede in den Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Regionen bzw. Provinzen in Afghanistan zwischen den enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den städtischen Zentren und dem zentralen Hochland. Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Lin- ke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Der Staat selbst übt, anders als etwa in Syrien, kei- Stimmen der FDP-Fraktion und der AfD-Fraktion ange- ne organisierte Gewalt gegen seine Bevölkerung aus; nommen. es handelt sich um eine demokratisch gewählte Regie- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7847

Alexander Throm (A) rung. Auch die Lage der Zivilisten ist in keiner Weise Ihre Fraktionsvorsitzende, Frau Wagenknecht, ist Ihrer (C) mit der in Syrien vergleichbar. Man macht das nun mal, Fraktion offensichtlich schon voraus. Deshalb wollen Sie indem man das ins Verhältnis setzt. Die tatsächliche Ge- sie auch loswerden, wie ich vernehme. fährdungsquote ist wesentlich geringer: in Afghanistan Die zeitweilige Einschränkung auf Rückführungen 0,04 Prozent, in Syrien 10 Prozent. von Straftätern, Gefährdern und Identitätstäuschern, die Wie viele andere Länder in der Welt erfüllt auch Af- wir in den letzten anderthalb Jahren gemacht haben, war ghanistan die Standards an Sicherheit und Ordnung, wie durch die verringerten Kapazitäten an der deutschen Bot- wir sie in Deutschland gewohnt sind, nicht. Aber wir schaft in Kabul bedingt. Jetzt ist diese Einschränkung können auch nicht unsere Maßstäbe dafür anlegen, wenn nicht mehr notwendig. Die Botschaft ist wieder einiger- es darum geht, ob eine Rückführung in die Herkunftslän- maßen arbeitsfähig. Deswegen müssen wir sagen – wir der tatsächlich möglich ist. dürfen es nicht falsch verstehen –: Es war keine Ein- schränkung wegen einer Einschätzung der Sicherheitsla- Alles was wir tun – das ist der nächste Punkt –, sendet ge, sondern wir haben lediglich die Fälle aufgrund der Signale in die Welt. Abschiebestopps sind ein eindeuti- geringen Kapazitäten in Kabul danach organisiert, wel- ges Signal. Die Linken und die Grünen sagen in ande- che Dringlichkeit es bei den abzuschiebenden Personen ren Anträgen: Wer es hierher schafft, der bleibt, egal was gab. das geltende Asyl- und Flüchtlingsrecht in Deutschland sagt. – Wenn wir aber den Anspruch haben – das sagen (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ja auch Sie –, dass wir Migration in Deutschland und Eu- NEN]: Was hat das denn mit Rückführungen ropa ordnen und steuern, dann muss die Nachricht hei- zu tun?) ßen: Wer nach Deutschland kommt und einen berechtig- Es gibt einige Bundesländer in Deutschland, die nach ten Schutzanspruch hat, der darf bleiben; der bekommt wie vor nicht nach Afghanistan abschieben. Das ist Schutz. Wer nicht schutzbedürftig ist, der muss wieder nicht in Ordnung. Das entspricht nicht unserer gelten- gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. den Rechtslage. Es kommt quasi einem Boykott unseres (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Asylsystems in Deutschland gleich. ordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn rechtskräftig festgestellt ist, dass ein Schutzbe- Letzter Satz: Wer ein humanitäres und hilfsbereites darf nicht gegeben ist, dann muss die Entscheidung Kon- Asylsystem auf der einen Seite haben will, der muss auch sequenzen haben. Ansonsten können wir uns den ganzen die andere Seite der Medaille erfüllen, das heißt Rück- Aufwand mit Anhörungen, Dolmetschern, Bescheiden und führung in die Heimatländer, wenn kein Schutzanspruch (B) Rechtsmitteln sparen. Vielleicht ist das genau das, was Sie besteht. (D) wollen. Und wer so handelt, der legt langfristig die Axt an ein von Humanität und Hilfsbereitschaft geprägtes Schutz- (Beifall bei der CDU/CSU) system und gefährdet die dankenswerterweise überwie- gende grundsätzliche Akzeptanz in unserer Bevölkerung. Vizepräsidentin Petra Pau: Da würde ich schon erwarten, dass auch die Links- Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das fraktion aus den letzten Jahren so langsam mal ihre Leh- von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte ren zieht. Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzge- (Marian Wendt [CDU/CSU]: Da passiert setzes bekannt: abgegebene Stimmen 652. Mit Ja haben nichts mehr! – Zuruf der Abg. Christine gestimmt 422 Abgeordnete, mit Nein 142. 88 haben sich Buchholz [DIE LINKE]) enthalten. Der Gesetzentwurf ist angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dorothee Bär Dr. Helge Braun Enak Ferlemann Abgegebene Stimmen: 650; Thomas Bareiß Silvia Breher Dr. Maria Flachsbarth davon Norbert Barthle Sebastian Brehm Thorsten Frei ja: 421 Maik Beermann Heike Brehmer Dr. Hans-Peter Friedrich nein: 142 Manfred Behrens (Börde) Ralph Brinkhaus (Hof) enthalten: 87 Sybille Benning Dr. Carsten Brodesser Michael Frieser Dr . André Berghegger Gitta Connemann Hans-Joachim Fuchtel Ja Melanie Bernstein Astrid Damerow Ingo Gädechens Christoph Bernstiel Alexander Dobrindt Dr . Thomas Gebhart CDU/CSU Peter Beyer Michael Donth Alois Gerig Stephan Albani Marc Biadacz Marie-Luise Dött Eberhard Gienger Norbert Maria Altenkamp Steffen Bilger Hansjörg Durz Eckhard Gnodtke Philipp Amthor Peter Bleser Thomas Erndl Ursula Groden-Kranich Artur Auernhammer Dr. Reinhard Brandl Hermann Färber Hermann Gröhe Peter Aumer Michael Brand (Fulda) Uwe Feiler Klaus-Dieter Gröhler 7848 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Michael Grosse-Brömer Dr. Andreas Lenz Stefan Sauer Marian Wendt (C) Astrid Grotelüschen Antje Lezius Anita Schäfer (Saalstadt) Kai Whittaker Markus Grübel Andrea Lindholz Jana Schimke Annette Widmann-Mauz Manfred Grund Dr. Carsten Linnemann Tankred Schipanski Bettina Margarethe Oliver Grundmann Patricia Lips Dr. Claudia Schmidtke Wiesmann Monika Grütters Nikolas Löbel Christian Schmidt (Fürth) Klaus-Peter Willsch Fritz Güntzler Bernhard Loos Patrick Schnieder Elisabeth Winkelmeier- Olav Gutting Dr. Jan-Marco Luczak Nadine Schön Becker Christian Haase Daniela Ludwig Felix Schreiner Oliver Wittke Florian Hahn Karin Maag Dr. Klaus-Peter Schulze Emmi Zeulner Jürgen Hardt Yvonne Magwas Uwe Schummer Paul Ziemiak Matthias Hauer Dr . Thomas de Maizière Armin Schuster (Weil am Dr. Matthias Zimmer Mark Hauptmann Gisela Manderla Rhein) Dr. Matthias Heider Dr . Astrid Mannes Torsten Schweiger SPD Detlef Seif Mechthild Heil Matern von Marschall Ingrid Arndt-Brauer Johannes Selle Thomas Heilmann Hans-Georg von der Marwitz Heike Baehrens Reinhold Sendker Frank Heinrich (Chemnitz) Andreas Mattfeldt Ulrike Bahr Dr. Patrick Sensburg Rudolf Henke Stephan Mayer (Altötting) Dr. Katarina Barley Michael Hennrich Thomas Silberhorn Dr. Michael Meister Doris Barnett Marc Henrichmann Björn Simon Jan Metzler Dr. Matthias Bartke Ansgar Heveling Dr. h. c. Hans Michelbach Tino Sorge Sören Bartol Dr. Heribert Hirte Dr. Mathias Middelberg Katrin Staffler Bärbel Bas Christian Hirte Dietrich Monstadt Frank Steffel Lothar Binding (Heidelberg) Alexander Hoffmann Karsten Möring Dr . Wolfgang Stefinger Leni Breymaier Karl Holmeier Marlene Mortler Albert Stegemann Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Hendrik Hoppenstedt Elisabeth Motschmann Andreas Steier Katrin Budde Erich Irlstorfer Dr. Gerd Müller Johannes Steiniger Martin Burkert Hans-Jürgen Irmer Sepp Müller Peter Stein (Rostock) Dr. Lars Castellucci (B) Thomas Jarzombek Carsten Müller Christian Frhr. von Stetten (D) Bernhard Daldrup Andreas Jung (Braunschweig) Dieter Stier Dr. Karamba Diaby Ingmar Jung Stefan Müller (Erlangen) Gero Storjohann Esther Dilcher Alois Karl Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Sabine Dittmar Anja Karliczek Petra Nicolaisen Max Straubinger Dr . Wiebke Esdar Torbjörn Kartes Michaela Noll Karin Strenz Saskia Esken Volker Kauder Dr . Georg Nüßlein Michael Stübgen Yasmin Fahimi Dr. Stefan Kaufmann Wilfried Oellers Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr. Johannes Fechner Ronja Kemmer Florian Oßner Hans-Jürgen Thies Roderich Kiesewetter Josef Oster Alexander Throm Dr. Fritz Felgentreu Michael Kießling Henning Otte Dr . Dietlind Tiemann Dr. Edgar Franke Dr . Georg Kippels Martin Patzelt Antje Tillmann Michael Gerdes Volkmar Klein Dr. Joachim Pfeiffer Dr . Volker Ullrich Martin Gerster Axel Knoerig Stephan Pilsinger Arnold Vaatz Timon Gremmels Jens Koeppen Dr. Christoph Ploß Oswin Veith Kerstin Griese Markus Koob Eckhard Pols Kerstin Vieregge Michael Groß Carsten Körber Thomas Rachel Volkmar Vogel (Kleinsaara) Uli Grötsch Alexander Krauß Kerstin Radomski Christoph de Vries Bettina Hagedorn Gunther Krichbaum Alexander Radwan Kees de Vries Rita Hagl-Kehl Dr. Günter Krings Alois Rainer Marco Wanderwitz Metin Hakverdi Michael Kuffer Eckhardt Rehberg Kai Wegner Sebastian Hartmann Dr. Roy Kühne Lothar Riebsamen Dr. h. c. (NUACA) Albert H. Dirk Heidenblut Katharina Landgraf Josef Rief Weiler Hubertus Heil (Peine) Ulrich Lange Johannes Röring Marcus Weinberg (Hamburg) Gabriela Heinrich Dr. Silke Launert Dr. Norbert Röttgen Dr . Anja Weisgerber Wolfgang Hellmich Jens Lehmann Stefan Rouenhoff Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Barbara Hendricks Paul Lehrieder Erwin Rüddel Sabine Weiss (Wesel I) Thomas Hitschler Dr. Katja Leikert Albert Rupprecht Ingo Wellenreuther Frank Junge Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7849

(A) Thomas Jurk Dr. Nils Schmid Armin-Paulus Hampel Nein (C) Oliver Kaczmarek Uwe Schmidt Mariana Iris Harder-Kühnel Johannes Kahrs Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Roland Hartwig CDU/CSU Elisabeth Kaiser Dagmar Schmidt (Wetzlar) Martin Hebner Veronika Bellmann Ralf Kapschack Carsten Schneider (Erfurt) Udo Theodor Hemmelgarn Sylvia Pantel Gabriele Katzmarek Johannes Schraps Lars Herrmann Ulrich Kelber Michael Schrodi Martin Hess SPD Cansel Kiziltepe Dr. Manja Schüle Karsten Hilse Angelika Glöckner Arno Klare Ursula Schulte Martin Hohmann Gustav Herzog Lars Klingbeil Martin Schulz Dr. Bruno Hollnagel Gabriele Hiller-Ohm Dr. Bärbel Kofler Swen Schulz (Spandau) Fabian Jacobi Anette Kramme Elvan Korkmaz Frank Schwabe Jens Kestner Detlef Müller (Chemnitz) Christine Lambrecht Stefan Schwartze Christian Petry Christian Lange (Backnang) Andreas Schwarz Stefan Keuter Florian Post Dr. Karl Lauterbach Rita Schwarzelühr-Sutter Enrico Komning Dr. Nina Scheer Helge Lindh Rainer Spiering Jörn König Ute Vogt Burkhard Lischka Svenja Stadler Steffen Kotré Kirsten Lühmann Martina Stamm-Fibich Frank Magnitz AfD Heiko Maas Sonja Amalie Steffen Dr. Lothar Maier Caren Marks Mathias Stein Jens Maier Andreas Bleck Katja Mast Kerstin Tack Dr . Birgit Malsack- Joana Cotar Christoph Matschie Claudia Tausend Winkemann Jochen Haug Hilde Mattheis Michael Thews Corinna Miazga Uwe Kamann Dr. Matthias Miersch Markus Töns Andreas Mrosek Jan Ralf Nolte Klaus Mindrup Uwe Schulz Carsten Träger Volker Münz Susanne Mittag Martin Sichert Marja-Liisa Völlers Christoph Neumann Falko Mohrs Dirk Vöpel Ulrich Oehme Claudia Moll FDP Gabi Weber Gerold Otten Siemtje Möller (B) Bernd Westphal Till Mansmann (D) Michelle Müntefering Frank Pasemann Dirk Wiese Roman Müller-Böhm Dr. Rolf Mützenich Paul Viktor Podolay Dagmar Ziegler Dietmar Nietan Jürgen Pohl Stefan Zierke DIE LINKE Ulli Nissen Stephan Protschka Dr. Jens Zimmermann Thomas Oppermann Martin Reichardt Doris Achelwilm Josephine Ortleb Martin Erwin Renner Gökay Akbulut AfD Mahmut Özdemir (Duisburg) Roman Johannes Reusch Simone Barrientos Dr. Bernd Baumann Dr. Dietmar Bartsch Aydan Özoğuz Dr. Robby Schlund Marc Bernhard Lorenz Gösta Beutin Detlev Pilger Jörg Schneider Peter Boehringer Matthias W. Birkwald Sabine Poschmann Thomas Seitz Achim Post (Minden) Jürgen Braun Michel Brandt Detlev Spangenberg Florian Pronold Marcus Bühl Christine Buchholz René Springer Dr. Sascha Raabe Matthias Büttner Birke Bull-Bischoff Beatrix von Storch Martin Rabanus Dr. Gottfried Curio Jörg Cezanne Dr . Alice Weidel Andreas Rimkus Siegbert Droese Sevim Dağdelen Sönke Rix Berengar Elsner von Gronow Dr . Harald Weyel Fabio De Masi Dennis Rohde Dr. Michael Espendiller Wolfgang Wiehle Dr. Diether Dehm Dr. Martin Rosemann Peter Felser Dr . Heiko Wildberg Anke Domscheit-Berg René Röspel Dietmar Friedhoff Dr . Christian Wirth Klaus Ernst Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr . Anton Friesen Uwe Witt Susanne Ferschl Michael Roth (Heringen) Markus Frohnmaier Brigitte Freihold Bernd Rützel Dr. Alexander Gauland FDP Sylvia Gabelmann Sarah Ryglewski Dr . Axel Gehrke Nicole Gohlke Dr. Christoph Hoffmann Johann Saathoff Albrecht Glaser Dr . André Hahn Axel Schäfer (Bochum) Franziska Gminder Heike Hänsel Fraktionslos Marianne Schieder Wilhelm von Gottberg Matthias Höhn Udo Schiefner Kay Gottschalk Mario Mieruch Ulla Jelpke 7850 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Kerstin Kassner Katharina Dröge Fraktionslos Torsten Herbst (C) Dr . Achim Kessler Harald Ebner Marco Bülow Katja Hessel Katja Kipping Matthias Gastel Dr. Gero Clemens Hocker Jan Korte Manuel Höferlin Kai Gehring Enthalten Jutta Krellmann Stefan Gelbhaar Reinhard Houben Caren Lay Katrin Göring-Eckardt CDU/CSU Ulla Ihnen Olaf In der Beek Sabine Leidig Erhard Grundl Rüdiger Kruse Gyde Jensen Ralph Lenkert Anja Hajduk Axel Müller Dr. Christian Jung Stefan Liebich Britta Haßelmann Markus Uhl Dr. Gesine Lötzsch Ottmar von Holtz Thomas L. Kemmerich Karsten Klein Thomas Lutze Dieter Janecek SPD Amira Mohamed Ali Dr. Marcel Klinge Dr. Kirsten Kappert-Gonther Dr. Daniela De Ridder Cornelia Möhring Daniela Kluckert Uwe Kekeritz Dagmar Freitag Niema Movassat Pascal Kober Katja Keul Josip Juratovic Norbert Müller (Potsdam) Dr. Lukas Köhler Sven-Christian Kindler Gülistan Yüksel Zaklin Nastic Carina Konrad Maria Klein-Schmeink Dr . Alexander S. Neu Konstantin Kuhle Sylvia Kotting-Uhl AfD Thomas Nord Alexander Kulitz Oliver Krischer Petra Pau Stephan Brandner Alexander Graf Lambsdorff Stephan Kühn (Dresden) Sören Pellmann Petr Bystron Ulrich Lechte Christian Kühn (Tübingen) Victor Perli Thomas Ehrhorn Christian Lindner Renate Künast Tobias Pflüger Dr. Götz Frömming Michael Georg Link Markus Kurth (Heilbronn) Martina Renner Verena Hartmann Monika Lazar Leif-Erik Holm Oliver Luksic Eva-Maria Schreiber Sven Lehmann Dr. Rainer Kraft Dr . Jürgen Martens Dr. Petra Sitte Steffi Lemke Sebastian Münzenmaier Christoph Meyer Helin Evrim Sommer Dr . Tobias Lindner Ulrike Schielke-Ziesing Alexander Müller Friedrich Straetmanns Dr. Irene Mihalic Frank Müller-Rosentritt (B) Dr . Kirsten Tackmann (D) Claudia Müller FDP Dr. Martin Neumann Jessica Tatti (Lausitz) Alexander Ulrich Beate Müller-Gemmeke Grigorios Aggelidis Hagen Reinhold Kathrin Vogler Dr. Konstantin von Notz Renata Alt Bernd Reuther Dr . Sahra Wagenknecht Omid Nouripour Christine Aschenberg- Dr. Stefan Ruppert Harald Weinberg Friedrich Ostendorff Dugnus Nicole Bauer Christian Sauter Katrin Werner Cem Özdemir Jens Beeck Frank Schäffler Pia Zimmermann Lisa Paus Dr . Wieland Schinnenburg Filiz Polat Nicola Beer Sabine Zimmermann Matthias Seestern-Pauly (Zwickau) Tabea Rößner Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) Frank Sitta Claudia Roth (Augsburg) Mario Brandenburg Judith Skudelny BÜNDNIS 90/ Dr. Manuela Rottmann (Südpfalz) Bettina Stark-Watzinger DIE GRÜNEN Corinna Rüffer Dr. Marco Buschmann Dr. Marie-Agnes Strack- Luise Amtsberg Ulle Schauws Karlheinz Busen Zimmermann Kerstin Andreae Dr. Gerhard Schick Carl-Julius Cronenberg Katja Suding Lisa Badum Dr. Frithjof Schmidt Britta Katharina Dassler Linda Teuteberg Annalena Baerbock Stefan Schmidt Bijan Djir-Sarai Michael Theurer Margarete Bause Kordula Schulz-Asche Christian Dürr Stephan Thomae Dr. Danyal Bayaz Dr . Wolfgang Strengmann- Hartmut Ebbing Manfred Todtenhausen Canan Bayram Kuhn Dr. Marcus Faber Dr . Florian Toncar Dr. Franziska Brantner Margit Stumpp Daniel Föst Dr . Andrew Ullmann Agnieszka Brugger Markus Tressel Otto Fricke Johannes Vogel (Olpe) Dr . Anna Christmann Dr . Julia Verlinden Thomas Hacker Sandra Weeser Ekin Deligöz Daniela Wagner Katrin Helling-Plahr Nicole Westig Katja Dörner Beate Walter-Rosenheimer Markus Herbrand Katharina Willkomm

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7851

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir kehren nun zu der Debatte zum Zusatzpunkt 14 Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen (C) zurück. Das Wort hat der Abgeordnete Lars Herrmann 21-jährigen afghanischen Flüchtling. aus der AfD-Fraktion. Und im Stadtpark in Ochtrup, so berichtet die Polizei in (Beifall bei der AfD) Münster, kamen zwei Männer in Streit, in dessen Verlauf mehrfach mit einer abgebrochenen Flasche auf das Op- Lars Herrmann (AfD): fer eingestochen wurde, das letztendlich noch am Tatort verstarb. Der mutmaßliche Täter war auch hier ein junger Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und afghanischer Flüchtling. Und für diese Leute möchte die Herren! Die Linke beantragt einen sofortigen Abschie- Fraktion der Linken nun einen Abschiebestopp erreichen bestopp nach Afghanistan. und sogar noch eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitä- (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Bis jetzt war ren Gründen – unfassbar, meine sehr verehrten Damen es richtig!) und Herren. Dabei irren die Kollegen der Linken sowohl beim Per- (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. sonenkreis, der davon betroffen ist, als auch bei der Si- Dr. Daniela De Ridder [SPD]) cherheitslage. Jetzt zur Sicherheitslage in Afghanistan. Es ist doch An diesem Pult wurden schon öfter tragische Schick- gar keine Frage, dass die Sicherheitslage in Afghanistan sale geschildert. Ich möchte heute auch einige Beispiele weiterhin angespannt bleibt und es zahlreiche Gefechte nennen. und Attentate gab und gibt. (Zurufe von der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Zunächst geht es mir um die Flüchtlinge, die für eine Herr Herrmann, ich habe die Uhr angehalten. Gestat- Abschiebung infrage kommen. Hier ist nüchtern fest- ten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der SPD-Frakti- zustellen, dass es seit einem Jahr ausschließlich um ab- on? gelehnte Asylbewerber geht, die in Deutschland bereits Straftaten begangen haben oder als Gefährder gelten, oder eben um sogenannte hartnäckige Identitätsverwei- Lars Herrmann (AfD): gerer. Nur wenn ich hier nicht gegen Regeln verstoße, weil es vorhin hieß, dass keine zugelassen würden. Aber wenn (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Stimmt doch Sie damit einverstanden sind, von mir aus gern. gar nicht!) (B) Ausschließlich dieser Personenkreis wurde nach Afgha- Vizepräsidentin Petra Pau: (D) nistan abgeschoben, Wir sind uns hier einig, dass jeweils der amtierende (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Stimmt lei- Präsident oder die Präsidentin entscheidet. Also wenn Sie der nicht!) es zulassen, okay. – Bitte. und Die Linke setzt sich nun dafür ein, dass ausgerechnet Dr. Daniela De Ridder (SPD): diese Kriminellen in den Genuss eines Abschiebeverbots kommen. Vollkommen absurd, meine sehr verehrten Da- Herr Herrmann, – men und Herren! Lars Herrmann (AfD): (Beifall bei der AfD) Ja. Ich möchte Ihnen noch mal verdeutlichen, welche Leute von einem derartigen Abschiebestopp profitieren wür- (Heiterkeit) den. Dr. Daniela De Ridder (SPD): So wurde vor wenigen Tagen einem Rentner in Wit- – ist Ihnen klar, dass 80 Prozent der Frauen, die ver- tenburg um 2 Uhr nachts heimtückisch mit einem Messer gewaltigt werden, von Tätern aus ihrem Nahfeld verge- die Kehle durchgeschnitten. Dringend tatverdächtig ist waltigt werden und keineswegs von den Tätern, die Sie ein Flüchtling aus Afghanistan, der in Deutschland nur beschreiben? Es sind keineswegs Taten – – geduldet wurde. (Zurufe von der AfD: Was hat das damit zu Nach einem Bericht der Polizei in München haben tun? – Sie relativieren das!) sechs Geflüchtete, um mal in Ihrem Sprech zu bleiben, im September dieses Jahres ein 15-jähriges Mädchen – Schreien Sie doch nicht so; auf dem rechten Ohr bin über einen Zeitraum von vier Tagen vergewaltigt. Die ich eh taub. mutmaßlichen Täter sind afghanische Asylbewerber. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ein Blick nach Königs Wusterhausen in Brandenburg: Ist Ihnen klar, dass das, was Sie beschreiben, eher die Vergangene Woche soll dort Mohammad F. eine 15-Jäh- Minderheit ist, Sie hier aber ein Bild evozieren, als wären rige in der Nähe eines Spielplatzes auf eine öffentliche alle Afghanen potenzielle Vergewaltiger? Wenn Sie aber Toilette gezerrt und brutal vergewaltigt haben. die empirischen Daten und Zahlen zur Kenntnis nehmen, (René Röspel [SPD]: „Soll“ oder „hat“?) müssten Sie doch, in Evidenz dieser Daten, zur Kenntnis 7852 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Daniela De Ridder (A) nehmen, dass die meisten Täter, vor denen sich Frauen in eben nicht der Zivilbevölkerung, sondern insbesondere (C) diesem Land ganz gewaltig fürchten müssen, deutscher den Liegenschaften und Checkpoints der Afghan Nati- Staatsangehörigkeit sind onal Defense and Security Forces. Gleichwohl werden dabei natürlich Opfer in der Zivilbevölkerung billigend (Lachen bei der AfD) in Kauf genommen. und obendrein auch noch zu ihrem Nahfeld gehören. Ist Ihnen das klar, und sind Sie bereit, dies zur Kenntnis zu Dennoch gehen die Taliban nicht planlos vor. Sie füh- nehmen? ren ganz gezielte und koordinierte Angriffe auf Check- points und sonstige Regierungseinrichtungen durch. Der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Personenkreis, von dem wir hier reden, welcher von LINKEN) Deutschland nach Afghanistan abgeschoben werden soll, gehört nachweislich nicht zu den Anschlagszielen der Ta- Lars Herrmann (AfD): liban. Die jungen Männer sind jedoch gern dazu aufge- Frau Kollegin, erst einmal vielen Dank für die Fra- rufen, in ihrer Heimat gegen die menschenverachtenden ge. Wo fange ich an? Wir reden hier über einen Abschie- Taliban zu kämpfen und ihr Land gegen Terroristen zu bestopp nach Afghanistan. Es geht um Afghanistan und verteidigen, statt in Deutschland Tee zu trinken. um Flüchtlinge. (Beifall bei der AfD) (Gustav Herzog [SPD]: Nein! Sie reden über Vergewaltigung!) Ein weiterer Beleg dafür, dass ein Neuanfang in Af- ghanistan möglich ist, zeigen die Zahlen der freiwilligen Sagt Ihnen der Begriff „Kausalität“ irgendetwas? Wissen Ausreisen. So nutzten im Jahr 2017 immerhin 1 125 af- Sie, was Kausalität bedeutet? ghanische Staatsangehörige die Programme für eine ge- (Beifall bei der AfD) förderte Ausreise zur freiwilligen Rückkehr. Die Opfer dieser Straftäter, die ich gerade genannt habe, Darüber hinaus: Wir können uns gar keinen Abschie- hätten keine Opfer sein müssen, wenn die Täter vorher bestopp leisten. Wir haben fast 15 000 ausreisepflichtige abgeschoben worden wären. Das ist das Problem an der afghanische Flüchtlinge in Deutschland. Im Jahr 2018 ganzen Geschichte. wurden bisher erst 639 Straftäter, Gefährder und Iden- titätsverweigerer nach Afghanistan abgeschoben. Dazu (Beifall bei der AfD) kommt, dass afghanische Asylbewerber weiterhin ver- Ich will ja keine Volksgruppe denunzieren. Schauen stärkt über die ostmediterrane Route nach Deutschland Sie aber einmal in die Kriminalstatistik von Afghanistan, kommen. Die meisten Afghanen stellen in den Transit- (B) ländern sogar einen Asylantrag, verlassen diese jedoch (D) (Gökay Akbulut [DIE LINKE]: Es gibt auch noch vor Beendigung des Verfahrens in Richtung Öster- eine deutsche Kriminalitätsstatistik!) reich und Deutschland. Ein Abschiebestopp wäre daher dann wird Ihnen auffallen, dass gerade die afghanischen ein verheerendes Signal und ist entschieden abzulehnen. Staatsangehörigen bei der Kriminalität – wie gesagt, Vielen Dank. noch einmal vielen Dank für die Frage – auf Platz drei rangieren. (Beifall bei der AfD – Filiz Polat [BÜND- (Ulli Nissen [SPD]: Das ist aber nicht die NIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sind sie ja Frage! – Weitere Zurufe von der SPD) schutzbedürftig!) – Wollen Sie die Frage beantwortet haben? Ich beantwor- te noch Ihre Frage. Sie hatten doch gefragt, ob ich in der Vizepräsidentin Petra Pau: Lage bin, die Zahlen zu nennen. Das Wort hat Helge Lindh für die SPD-Fraktion. (Gustav Herzog [SPD]: Nein! – Ulli Nissen (Beifall bei der SPD) [SPD]: Sie beantworten nicht die Frage! Un- fug!) Helge Lindh (SPD): – Okay, gut. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Herrmann, ich weiß nicht nur, was das Vizepräsidentin Petra Pau: Wort „Kausalität“ bedeutet. Ich kenne auch die Bedeu- Gut, ich schalte die Uhr wieder ein. tung der Wörter „Infamie“ und „Limitiertheit“; und bei- des beschreibt ziemlich genau Ihre Argumentation. Lars Herrmann (AfD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Gut, machen wir weiter – mit der Sicherheitslage in LINKEN) Afghanistan. Jedoch bleibt die Bedrohungslage in Af- ghanistan eben regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Ich finde es keineswegs verwerflich, es ist auch völlig Trotz der Tatsache, dass manche Distrikte nicht kontrol- legitim, dass Sie sich mit Verbrechen oder mutmaßlichen lierbar sind, gilt die Sicherheitslage in Nordafghanistan Verbrechen von mutmaßlich geflüchteten Tätern ausei- als insgesamt ausreichend kontrollierbar. Auch gelten die nandersetzen. Ich würde mir nur wünschen, einmal zu Angriffe und Anschläge der Anti Government Elements erleben, dass Sie sich annähernd so viel mit Straftaten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7853

Helge Lindh (A) von deutschen Tätern aus dem Nah- oder Fernfeld ausei- Es geht darum, dass wir nicht zusätzlich zu unseren (C) nandersetzen würden. eigenen deutschen Kriminellen noch Fremde ins Land holen und behalten. Vielleicht denken wir noch einmal (Beifall bei der SPD und der LINKEN – darüber nach, wenn Sie das nächste Mal einmal selbst Jürgen Braun [AfD]: Sie lenken vom Thema Opfer sind, was ich nicht hoffe. Vielleicht bekommen Sie ab! Das ist nicht das Thema! Es geht um Ab- dann eine andere Meinung. schiebungen nach Afghanistan!) Vielen Dank. Und zum Zweiten würde ich mich fast noch mehr freuen, wenn Sie sich mit gewissen Laxheiten in Bezug (Beifall bei der AfD) auf das Recht in Ihren eigenen Reihen so intensiv befas- sen würden. Helge Lindh (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Bei der Qualität und Menschenfeindlichkeit von ein- LINKEN) zelnen Vorträgen der AfD bedauere ich es manchmal, dass wir nicht die Möglichkeit haben, deutsche Staats- Sie sollten diese Logik, die Sie in der ernsten Frage des bürger abzuschieben, die sich in solcher Weise gegen Abschiebestopps anwenden, auf sich selbst anwenden. Menschen vergehen. (Jürgen Braun [AfD]: Sie haben es ja nicht so (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der mit den Fakten!) LINKEN – Zurufe von der AfD: Pfui!) Wenn wir uns ein Beispiel an Ihnen nehmen würden, Denn wir sprechen hier im Übrigen, auch wenn wir von dann dürften wir gar keinen Parlamentarismus praktizie- geflüchteten Gefährdern und Straftätern sprechen, von ren. Zum Glück tun wir das nicht. Menschen. Wenn Sie das nicht begriffen haben, haben Sie in einem demokratischen Parlament nichts zu suchen. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Das hat keiner vor!) (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das war Kommen wir aber zum Thema: Wir sind uneins. Ges- eine blöde Antwort! – Zurufe von der AfD) tern sprach Boris Pistorius als Sprecher der A-Länder im Rahmen der Innenministerkonferenz einen Satz, den ich Ich war aber dabei, auszuführen, dass ich mit Freu- eigentlich nicht schätze, aber es gibt Situationen, in de- de festgestellt habe, dass Boris Pistorius deutlich ge- nen ich mich freue, ihn nicht mit Genugtuung, aber doch macht hat, dass die A-Länder, also die sozialdemokra- mit Beruhigung zu hören. tisch geführten Bundesländer, einer Ausweitung der (B) Abschiebung von Afghanen nicht zustimmen, sondern (D) die Beschränkung nach bisherigem Stand, nämlich auf Vizepräsidentin Petra Pau: Straftäter und terroristische Gefährder, präferieren. Das Kollege Lindh, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten ist – das sage ich auch deutlich, deshalb werden wir Ih- Sie eine Frage oder Bemerkung von Herrn Curio? rem Antrag nicht zustimmen – kein genereller Abschie- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist bestopp, sondern es ist eine Beschränkung, die ich aber aber nicht Curio! Das ist der Spangenberg! für richtig und notwendig halte. Das – ich denke, das zu Die sind zwar beide kurios, es ist aber der sagen, gebietet die Ehrlichkeit – sehen nicht alle so. Das Spangenberg!) sehen auch die B-Länder nicht so, wie wir gestern und heute feststellen konnten. Dort weist die Tendenz in die Richtung, alle Afghanen prinzipiell für eine Abschie- Helge Lindh (SPD): bung vorzusehen. Unsere Position ist an diesem Punkt Ach, eigentlich habe ich heute Lust, zu gestatten. Des- ganz klar: Wir halten das nicht für vernünftig, nicht für halb werde ich gestatten, auch wenn das sozusagen das verantwortbar und einfach nicht für richtig, zum jetzigen Gesamtkunstwerk der Rede unterbricht. Er schenkt mir Zeitpunkt schon gar nicht. jetzt noch mehr Redezeit, also soll er sich ruhig melden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir können aus unserer Sicht nämlich nicht ernsthaft Entschuldigung, das war nicht Herr Curio, aber begründen, warum beispielsweise Menschen, die sich trotz alledem gibt es das Begehr einer Frage. – Herr nichts haben zu Schulden kommen lassen, oder auch Fa- Spangenberg. milien mit Kindern in der jetzigen Situation, unter den gegebenen Bedingungen nach Afghanistan abgeschoben werden sollen; denn dieses Land ist kein sicheres Land. Detlev Spangenberg (AfD): Da nützen uns auch keine Quoten und Berechnungen Sehr verehrter Herr Kollege Lindh, ist Ihnen bekannt, oder Vergleiche mit Syrien. dass wir deutsche Straftäter nicht abschieben können, weil wir unsere deutschen Kriminellen nicht anderen Wenn wir uns die Lageberichte und andere Berichte Bürgern aufs Auge drücken können? Mit denen müssen ansehen, ist die Wahrheit, dass die Lage äußerst volatil wir alleine klarkommen hier in Deutschland. ist, sehr unterschiedlich nach Regionen; aber nicht nur nach Regionen, sondern man müsste im Grunde immer (Zuruf von der SPD: Sollen wir die AfD ab- individuell insbesondere nach Ethnie und Konfession schieben?) schauen. Daher ist das Ergebnis, das der Lagebericht, den 7854 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Helge Lindh (A) wir alle – wie auch andere Berichte – mehr oder weniger engagieren, die zu Wahlen antreten. Beides müssen wir (C) präzise kennen, liefert, nicht eindeutig. zusammendenken und ertragen, und wir dürfen nicht das eine gegen das andere ausspielen. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Den kann man im Menschenrechtsausschuss einse- Deshalb gebührt auch all denjenigen Organisationen, hen! – Marian Wendt [CDU/CSU]: Den muss die dort Friedens- und Aufbauarbeit leisten und die er- man nur lesen!) möglichen wollen, dass künftig Menschen – auch viele, die momentan vielleicht in Deutschland leben – wieder Dieser Bericht begründet aus unserer Sicht eben nicht die sicher und mit Perspektive in Afghanistan leben können, Möglichkeiten, generell abzuschieben. unsere Unterstützung. Das gilt im Übrigen auch für die Ich habe diesen Montag mit Herrn Wolfgang Grenz, bis zu 1 300 deutschen Soldatinnen und Soldaten, die dort gegenwärtig im Einsatz sind, um Friedensarbeit zu (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Guter leisten. Mann!) (Beifall bei der SPD) dem ehemaligen Generalsekretär von Amnesty Interna- tional Deutschland, auf einem Podium sitzen dürfen. Er Ich wollte aber noch im Rahmen dessen, weil – – ist einer der Pioniere der Flüchtlingsbewegung und der Menschenrechte in Deutschland. Er hat sehr konstruktiv Vizepräsidentin Petra Pau: auch die sozialdemokratische Haltung in Bezug auf ein Kollege Lindh, das wird jetzt nichts mehr. Sie müssen Einwanderungsgesetz, in Bezug auf unabhängige Verfah- bitte zum Schluss kommen. rensberatung unterstützt, und gleichzeitig unterstützt er in dem Fall nicht unsere Position, sondern die der Lin- ken. Das halte ich auch nicht für ein großes Problem; Helge Lindh (SPD): Dann komme ich jetzt, wie geplant, zum Schluss. Frau (Marian Wendt [CDU/CSU]: Doch!) Präsidentin, ich schätze Ihre Strenge. Es ist auch richtig denn ein Parlament lebt davon, dass es auch durch andere so; sonst würde ich gar nicht mehr aufhören. Meinungen herausgefordert wird. Jedenfalls wir können Abschließend möchte ich noch feststellen, dass die in unserer Souveränität gut damit leben, ohne uns dem Fragen, die auch in diesem Antrag genannt sind, etwa anzuschließen. Fragen von Kontingenten, auch Fragen des Bleiberechts, Es ist meines Erachtens auch notwendig, sich ganz aus unserer Sicht nicht solche sind, die wir jetzt entlang deutlich den Ernst und das bewusst zu machen, was für der Afghanistan-Frage diskutieren können; es sind aber eine fundamentale Entscheidung wir treffen. Es ist nicht sehr wohl sinnvoll zu diskutierende Fragen im Rahmen (B) ein Moment der Genugtuung, sondern eher ein Moment eines europäischen Asylsystems, so auch die Frage nach (D) der Bescheidenheit, Sachlichkeit und Demut, wenn wir Aufnahmen auf Grundlage von § 23 Absatz 1 des Aufent- feststellen, dass wir aus gegebenen Gründen – weil wir haltsgesetzes. In diesem Sinne freue ich mich auf weitere das Recht umsetzen – abschieben. Darüber braucht man konstruktive Diskussionen im Namen der Menschlich- sich nicht zu freuen, weder an Geburtstagen noch außer- keit und nicht der Menschenfeindlichkeit. halb von Geburtstagen. Es ist schlicht und einfach die Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Konsequenz des Asylrechts, so wie wir es praktizieren. (Beifall bei der SPD) Dass wir vonseiten der SPD uns entschieden haben, bei Gefährdern und bei Straftätern Abschiebungen zu un- terstützen und für akzeptabel zu halten, ist Ergebnis einer Vizepräsidentin Petra Pau: Güterabwägung – zwischen dem Abschiebeinteresse des Das Wort hat Linda Teuteberg für die FDP-Fraktion. Staates einerseits und dem Bleibeinteresse der Person an- (Beifall bei der FDP) dererseits. Diese Abwägung muss man in einer bestimm- ten Situation treffen, und wir treffen sie gegenwärtig so und nicht anders. Linda Teuteberg (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt viele gute Gründe, den Antrag, den und Kollegen, wenn wir von Afghanistan sprechen, be- die Kollegen und Kolleginnen der Linksfraktion vorge- wegen wir uns in einer Situation der Gleichzeitigkeit des legt haben, entschieden abzulehnen, und das werden wir Ungleichzeitigen. Liberalen im Anschluss auch tun. (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Zu Beginn möchte ich allerdings einen Punkt her- Ich glaube, diese Komplexität müssen wir uns zumuten. vorheben, in dem ich die Einschätzung der Linken teile. Wir haben nämlich einerseits – das werden auch ande- Diese Einschätzung gerät durch ihre marktschreierische re beschreiben – eine in den letzten Monaten – ich sage Forderung nach einem Abschiebestopp leider ins Hinter- das ganz deutlich – unsicherer gewordene Lage in Af- treffen. ghanistan und andererseits womöglich so viel Hoffnung (Michel Brandt [DIE LINKE]: Das ist keine auf Frieden wie noch nie zuvor. Heiko Maas hat das ges- marktschreierische Forderung!) tern zu Recht im Rahmen der Afghanistan-Konferenz er- wähnt. Wir erleben so viele Frauen in Afghanistan wie Gemeint ist die Forderung nach der Wiedereröffnung noch nie, die sich glücklicherweise zivilgesellschaftlich der Visastelle an der Botschaft in Kabul. Dass die dor- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7855

Linda Teuteberg (A) tige Dienststelle nach dem Anschlag im Mai 2017 ihre Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Arbeit immer noch nicht wieder aufgenommen hat und Für Die Linke hat der Kollege Dr. André Hahn das nach Auskunft der Bundesregierung auch auf absehbare Wort. Zeit nicht aufnehmen wird, das ist ein Trauerspiel; um es höflich zu sagen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Matthias W . Birkwald [DIE LINKE] – Matthias W. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Birkwald [DIE LINKE]: Da können auch wir Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Afgha- mal applaudieren!) nistan ist nach wie vor alles andere als sicher, und des- halb dürfen Menschen dorthin auch nicht abgeschoben – Genau. werden. Dass Menschen, die legal nach Deutschland reisen (Beifall bei der LINKEN) möchten oder einen rechtmäßigen Anspruch auf einen Familiennachzug haben, erst nach Neu-Delhi reisen Die Lage hat sich zuletzt eher noch verschlechtert. müssen, um überhaupt ein Visum beantragen zu können, Bei einem Anschlag in Kabul am Dienstag vergangener das ist nicht tragbar, und es ist das Gegenteil dessen, was Woche wurden mindestens 50 Menschen getötet; weite- auch die Bundesregierung angeblich anstrebt, nämlich re 83 wurden verletzt. Am Freitag letzter Woche starben die Stärkung legaler regulärer Migration. Hier muss die bei einem Anschlag im Osten Afghanistans 27 Soldaten; Bundesregierung endlich handeln, und hier könnte übri- mehr als 50 Menschen wurden verletzt. Am Montag die- gens auch der SPD-Außenminister einmal ganz prakti- ser Woche gab es in Westafghanistan erneut ein Attentat. sche humanitäre Hilfe leisten. 22 Polizisten wurden getötet, und gestern starben in Ka- bul 10 Menschen durch eine Autobombe. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Dann können ja Menschen in Deutschland sterben! Das An diesem Punkt legt die Linksfraktion zu Recht den macht ja nichts!) Finger in die Wunde, mit Ihrer Forderung nach einem vollständigen Abschiebestopp langen Sie jedoch voll da- Das ist die Chronologie nur der vergangenen Tage. Sie neben. zeigt deutlich: Afghanistan ist nicht sicher – nirgendwo. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Marian (Beifall bei der LINKEN) Wendt [CDU/CSU] – Matthias W. Birkwald Deshalb fordern wir mit unserem Antrag eine Neube- (B) [DIE LINKE]: Dann können Sie sich ja ent- (D) halten!) wertung der Sicherheitslage und endlich eine realistische Beurteilung. Die Abschiebeflüge nach Afghanistan müs- Denn natürlich ist die Sicherheitslage in Teilen Af- sen endlich gestoppt werden. ghanistans – das wird hier niemand bestreiten – äußerst bedenklich, und die Zunahme von Anschlägen auf Schu- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise len und Bildungseinrichtungen in Teilen des Landes ist Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) eine traurige Entwicklung. Aber gleichzeitig gibt es auch Afghanistan ist eines der gefährlichsten Länder der Welt. Regionen, die seit Jahren befriedet sind und in die eine Der jahrzehntelange Krieg hat das Land völlig zerstört. Abschiebung sehr wohl möglich ist. Taliban und Warlords terrorisieren die Bevölkerung, und (Michel Brandt [DIE LINKE]: Welche? Wo der Bundesregierung sind diese Zustände durchaus be- denn?) kannt. Das Auswärtige Amt warnt dringend vor Reisen nach Afghanistan – Zitat –: Selbstverständlich ist auch eine differenzierte und humane Abschiebepraxis schon heute möglich. Sie wird Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch auch umgesetzt. Unser Minister in Nordrhein-Westfalen terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte etwa, Joachim Stamp, macht es vor. Das Land Nord- einschließlich Entführungen bewusst sein. rhein-Westfalen schiebt ausschließlich Straftäter und Ge- fährder nach Afghanistan ab, und das ausschließlich in Allein im ersten Halbjahr 2018 wurden in Afghanis- die sicheren Regionen. tan mindestens 1 692 Zivilisten getötet, berichtet die UN-Mission UNAMA. Seit Beginn der Aufzeichnungen (Beifall bei der FDP) 2009 gab es noch nie so viele zivile Opfer. Anschläge können jederzeit und überall passieren, auch in Kabul, Die Politik, die wir hier verfolgen, liebe Kolleginnen das angeblich eine inländische Ausweichmöglichkeit und Kollegen, ist humanitäre Politik mit Vernunft und darstellt, in die abgelehnte Asylbewerber aus Sicht der Augenmaß, und wir werden sie weiter verfolgen. Darum Bundesregierung gebracht werden können. lehnen wir diesen Antrag mit seinen in der Sache voll- kommen unverhältnismäßigen Forderungen ab. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat dazu im Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. August eindeutig festgestellt: Angesichts der gegenwärti- gen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald ist in Kabul so etwas wie eine interne Schutzalternative [DIE LINKE]: Ihr hättet euch doch enthalten nicht vorhanden. Wer zur Arbeit fährt, in die Schule geht, können, wo so viel Gutes drinsteht!) ein Krankenhaus oder einen Markt aufsuchen möchte, 7856 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. André Hahn (A) riskiert, einem Anschlag zum Opfer zu fallen. – Dies Botschaft in Kabul begründet hat. Das erinnern wir an- (C) sollte die Bundesregierung endlich zur Kenntnis nehmen. ders. Wir haben seit 2005 faktisch keine Abschiebungen nach Afghanistan gehabt. 2017 – das war die eigentliche (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Debatte – gab es trotz der Zerstörung der Botschaft in Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kabul die Forderung der Großen Koalition, die Gruppe Meine Damen und Herren, trotz der dramatischen Ver- der Abzuschiebenden um die Straftäter, Gefährder zu er- schlechterung der Lage wurde 2017 nur noch der Hälfte weitern und auch solche Personen abzuschieben. Flan- der afghanischen Flüchtlinge ein Schutzstatus zugespro- kiert wurde das durch die Äußerung der Kanzlerin im chen, während die Quote 2015 noch bei fast 80 Prozent Juni, sozusagen gar keine Beschränkung mehr für Ab- lag. Der Grund dafür liegt aus unserer Sicht vor allem schiebungen nach Afghanistan vorzunehmen. Also, die bei politischen Vorgaben aus dem Hause Seehofer. Die Historie ist eine komplett andere. Bundesregierung will mehr Menschen nach Afghanistan abschieben. Wir als Linke wollen das nicht. Das heißt, die Frage, die wir uns heute hier stellen müssen, ist: Was hat sich eigentlich in diesem Jahr ge- (Beifall bei der LINKEN) genüber den Jahren davor an der Sicherheitslage in Af- ghanistan geändert, sodass wir diese Abschiebepolitik so Meine Damen und Herren, seit der Wiederaufnah- rechtfertigen können? Das ist die zentrale Frage, um die me der Abschiebungen nach Afghanistan sind bislang es hier geht. in 18 Flügen 425 Menschen dorthin gebracht worden. Diese Zahl mag angesichts von mehreren Tausend aus- Wenn man den Ausführungen heute hier folgt, dann reisepflichtigen afghanischen Bürgern vielleicht gering muss man wirklich die Frage stellen: Reden wir eigent- erscheinen; lich vom gleichen Afghanistan? Wir haben komplett (Zuruf von der AfD: Sie ist gering!) andere Erkenntnisse. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Afghanistan aufgrund der aktuellen Ent- die Folgen dieser Abschreckungspolitik sind jedoch ver- wicklung wieder als Krisenland eingestuft, also von heerend. „Post-conflict state“ in „State in conflict“. UN OCHA schreibt – ich zitiere –, zunehmend gebe es Anzeichen Im Januar kam ein 22-jähriger Flüchtling durch den dafür, dass der ehemalige Konflikt niedriger Intensität Sprung aus dem Fenster einer bayerischen Gemein- jetzt zu einem Krieg eskaliert, und hält darüber hinaus schaftsunterkunft ums Leben. Ende Oktober hat sich ein fest, dass die Zahl der stark von Konflikten betroffenen junger Afghane aus Angst vor der Abschiebung in Frank- Distrikte um 50 Prozent gestiegen ist. furt durch einen Sprung in den Main das Leben genom- men. Sein Asylantrag war kurz zuvor abgelehnt worden. Fast täglich gibt es Meldungen über neue Anschläge (B) Immer mehr Asylsuchende flüchten aus Angst vor der in Afghanistan. Die Sicherheitslage, sie scheint so fragil (D) Abschiebung in den Suizid. Das darf uns nicht kaltlassen. zu sein wie seit Jahren nicht mehr. Selbstmordanschlag Diese inhumane Politik muss endlich beendet werden. in einer Militärbasis in Ostafghanistan: 27 tote Soldaten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Anschlag auf eine Versammlung religiöser Führer in Ka- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bul: 43 Tote, 83 Verletzte. Mindestens 6 Tote, als sich ein Attentäter vor einer Schule im Zentrum von Kabul in die Nicht nur Flüchtlingsinitiativen, sondern auch Kir- Luft sprengte. Gestern Nacht haben die Taliban in Kabul chen, Wohlfahrtsverbände oder Amnesty International – ein britisches Sicherheitsunternehmen angegriffen. Der sie alle kritisieren Abschiebungen nach Afghanistan, weil Angriff dauerte zehn Stunden. 15 Menschen sind tot, 30 dadurch Gesundheit und Leben von Menschen gefährdet verletzt. – Das ist die Bilanz der letzten zwei Wochen. werden. Deshalb brauchen wir einen sofortigen Stopp der Abschiebungen und einen sicheren Aufenthaltsstatus Wer ernsthaft sagt: „Dieses Land ist sicher; wir kön- für die Betroffenen. Stimmen Sie unserem Antrag zu! nen Menschen dorthin zurückführen; es gibt sozusagen keine direkte Bedrohung für sie“, der lebt weit weg von Herzlichen Dank. der Realität. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Bundesregierung behauptet, das Land sei jetzt Das Wort hat Luise Amtsberg für die Fraktion Bünd- sicherer als zuvor. Sie ist der Auffassung, dass man die nis 90/Die Grünen. bisherigen Beschränkungen aufheben kann und künftig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) jeden nach Afghanistan abschieben kann, der hier abge- lehnt wurde. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir finden, das entbehrt jeder Grundlage. Um die- Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! se Abschiebungspolitik überhaupt zu rechtfertigen, hat Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss erst mal auf sich die Bundesregierung eines weiteren Mittels bedient, die Ausführungen meines Kollegen Throm antworten; nämlich der inländischen Fluchtalternativen, was auch wir haben darüber gerade noch mal ausführlich debattiert. immer das heißen mag. Wir haben mehrfach nachgefragt. Die Darstellung war, dass der faktische Abschiebestopp, Man konnte uns nie sagen, wo diese inländischen Flucht- das faktische Nichtabschieben erst 2017 eingeführt wur- alternativen in Afghanistan sind. Das ist eine Behaup- de und dass man das mit der Zerstörung der deutschen tung, die dazu dienen soll, diese Politik zu rechtfertigen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7857

Luise Amtsberg (A) Eine Grundlage dafür gibt es nicht. Kabul kann schon gar Migrationspolitik. Sie sind für die Glaubwürdigkeit un- (C) nicht eine solche inländische Fluchtalternative sein; das seres Rechtsstaats mehr als notwendig. hat auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Natio- nen gerade jüngst wieder in seinen Guidelines lückenlos Ihr Antrag ist voll von gefährlichen Pauschalisierun- klargestellt. Aber auch das interessiert die Große Koa- gen. Mehrmals, auch bei anderen Anlässen, und insbe- lition nicht. Sie ignoriert diesen Beschluss einfach und sondere in diesem Antrag haben Sie die Abschiebungen bezieht ihn nicht in den Lagebericht des Auswärtigen als solche pauschalisierend angegriffen. Dabei sind Ab- Amtes ein. Ich finde, so kann man keine Außenpolitik schiebungen nicht per se inhuman, sondern eine notwen- betreiben, meine Damen und Herren. dige Maßnahme einer menschlichen Asylpolitik. Wer kein Bleiberecht hat, muss das Land wieder verlassen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damit wir den wirklich Schutzbedürftigen helfen können. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. André Hahn Zu dem Lagebericht vielleicht noch einen einzigen [DIE LINKE]: Er muss in Sicherheit kom- Gedanken. Dieser Bericht soll die abschiebungsrelevan- men!) ten Tatsachen darlegen und dem BAMF und den Be- hörden in Deutschland einen Leitfaden bieten, wie die Es wäre aus meiner Sicht schön, wenn wir auf Abschie- Situation ist, um einschätzen zu können, ob man in die bungen verzichten könnten und jeder Ausreisepflichtige Region abschieben kann oder nicht, ob das vertretbar ist. seiner Ausreisepflicht freiwillig nachkommen würde. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn man diesen Bericht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- liest – das können nur wir Abgeordnete tun; er ist sonst wie des Abg. Lars Herrmann [AfD] – Matthias verschlossen; die Öffentlichkeit kann nicht nachvollzie- W. Birkwald [DIE LINKE]: Lebensgefahr! hen, wie diese neue Politik inhaltlich begründet wird –, Geht’s noch?) dann merkt man ganz schnell: Dieser Bericht ist euphe- mistisch, und er verwässert. Er spricht von „vergleichs- Zweitens versuchen Sie, die Arbeit des BAMF pau- weise stabil“. Er spricht von bestimmten Provinzen, die schalisierend zu diskreditieren, und nennen die Asylent- sicherer sind als andere, führt aber zum Beispiel nicht scheidungspraxis „Resultat politischer Vorgaben“. Das aus, dass es bevölkerungsarme Provinzen sind. Man hat ist eine Unterstellung, das Gefühl: Die Komplexität der Konflikte wird über- (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die Wahr- haupt nicht abgebildet; ein Trend, ein sicherheitspoliti- heit! Einfach die Wahrheit!) scher Trend wird nicht beschrieben. die Sie nicht mal zu belegen versuchen. Sie wissen selbst, dass, insbesondere auch im Fall Afghanistans, je- Vizepräsidentin Petra Pau: (B) der Einzelfall in langen Interviews geprüft wird. Und ja, (D) Kollegin Amtsberg, Sie müssen bitte zum Schluss die Worte von Dr. de Maizière, die Sie zitieren: „Bleibt kommen. dort! Wir führen euch ... direkt nach Afghanistan zu- rück!“, sind nach wie vor richtig. Selbstverständlich sol- Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): len gesunde junge Männer in sicheren Teilen des Landes Ich muss zum Schluss kommen, ja. Entschuldigen Sie Schutz suchen. bitte, dass ich überzogen habe. (Michel Brandt [DIE LINKE]: Sie sagen: Es Fakt ist: Dieser Bericht wird der Realität in Afghanis- gibt keine politischen Vorgaben! Das ist wohl tan nicht gerecht. Aber er ist die Grundlage, auf der wir ein Witz!) darüber entscheiden, ob es vertretbar ist, Menschen dort- Wir wollen keine Anreize für eine weitere irreguläre hin zurückzuschicken, ohne ihr Leben zu riskieren. Das Migration auch noch aus Afghanistan schaffen. Und wie sehen wir bei dieser ganzen Angelegenheit zum Thema wäre es um die Zukunft Afghanistans bestellt, wenn alle Afghanistan nicht gewährleistet. Insofern: volle Unter- dieses Land verlassen? stützung für den Antrag der Linken. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die dritte Pauschalisierung ist die Erzählung von einer angeblich hoffnungslos desaströsen Lage in Afghanistan. Vizepräsidentin Petra Pau: (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist ein- Für die CDU/CSU hat nun Marian Wendt das Wort. fach so!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Mehrmals in den vergangenen Monaten wurde in diesem sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP]) Saal, auch durch die Bundeskanzlerin und den Bundes- außenminister, die Lage ausführlich dargelegt. Ja, Afgha- Marian Wendt (CDU/CSU): nistan ist nicht die Schweiz. Aber Afghanistan ist eben auch nicht Syrien. Wir haben in Afghanistan eine konti- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nuierliche Entspannung. Hierzu leisten unsere Soldatin- Kollegen! Liebe Kollegen von der Linken, damit eins nen und Soldaten einen großen Beitrag. Ein herzlicher von vornherein klar ist: Abschiebungen und Rückführun- Gruß gilt ihnen von dieser Stelle! gen sind ein zulässiges, verfassungsrechtlich unbedenk- liches Instrument des Rechtsstaats in seiner Asyl- und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 7858 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Marian Wendt (A) Es gibt in Afghanistan regionale Unterschiede. Die Unsere Soldatinnen und Soldaten – meine Vorredner ha- (C) Sicherheitslage ist in den meisten Großstädten ausrei- ben es angesprochen –, denen ich an dieser Stelle noch- chend kontrollierbar. Das bestätigt auch das Auswärtige mals sehr herzlich für ihren Einsatz danken und ihnen Amt unter Führung von SPD-Minister Maas. Insgesamt alles Gute in ihrem Einsatz wünschen möchte, leben in den Großstädten zwei Drittel der Bevölkerung. Der Asyllagebericht zeigt eindeutig: Ein völliger Ab- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schiebestopp kommt nicht infrage, und die Zahlen bele- ordneten der FDP) gen es. 2016 sind 1 Million Afghanen aus dem Iran und wissen dies nur zu gut. aus Pakistan freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. 2017 waren es 610 000 freiwillige Rückkehrer nach Af- Es gibt aber auch Regionen – das verschweigen Sie ghanistan. leider –, in denen die Sicherheitslage kontrollierbar ist. (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!) Wo denn?) Allein in den letzten 17 Jahren sind 5,6 Millionen Afgha- Die Bewertung ist an der Stelle klar. Richtig ist auch, nen nach Afghanistan zurückgekehrt. dass in der Sicherheitsbeurteilung Unterscheidungen zu (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: machen sind zwischen der Sicherheitsgefährdung für Aber nicht freiwillig!) ausländische Akteure, die deutlich höher ist, und der für die inländische Bevölkerung, liebe Kolleginnen und Kol- Das wäre sicherlich nicht der Fall, wenn die Sicherheits- legen. lage sich verschlechtert hätte. Nein, sie wird besser. Das Gesundheitssystem stabilisiert sich. Die durchschnitt- Entscheidend ist: Im Grunde vernebeln Sie mit der liche Lebenserwartung in Afghanistan ist in den letzten Debatte über die allgemeine Sicherheitslage den Blick 17 Jahren von 50 auf 63 Jahre gestiegen. Meine Damen auf das Wesentliche. Das Auswärtige Amt hält in seinem und Herren, das sind Fakten. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage näm- (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich fest: Es gibt „keine systematische, staatlich organi- NEN]: Unsere Soldaten lachen sich kaputt sierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung“. Wir haben über Ihren Beitrag!) es in der Regel mit individueller Verfolgung zu tun. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss die Richtschnur Aber das interessiert Sie von der Linken nicht. Warum für unser Handeln sein. Wir können nicht die allgemeine auch? In Berlin zum Beispiel, der rot-rot-grün regierten Sicherheitslage in den Herkunftsländern zum Maßstab Bundeshauptstadt, werden Abschiebungen ja pauschal (B) unseres Handelns machen. Die allgemeine Sicherheits- (D) abgelehnt. Das ist vor allen Dingen kein Beweis für einen lage ist Teil der Lebensumstände, die auch national zu Rechtsstaat. Abschiebungen – das zum Schluss – sind ein gestalten sind. Als eines der sichersten Länder auf der wichtiges Mittel, um den Rechtsstaat durchzusetzen, um Welt können wir als Bundesrepublik Deutschland nicht Glaubwürdigkeit in der Asyl- und Migrationspolitik zu die Verantwortung für all jene übernehmen, die unsiche- gewinnen. Insofern lehnen wir Ihren Antrag ab. rer leben als wir. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU) der AfD) Ich möchte Ihnen im Zusammenhang mit der Bewer- Vizepräsidentin Petra Pau: tung von Afghanistan einige andere Staaten nennen, wo Letzter Redner in dieser Debatte ist Michael Kuffer wir dann in ähnlicher Weise Verantwortung übernehmen für die CDU/CSU-Fraktion. müssten: Südsudan, , Jemen, Somalia, Libyen, aber zum Beispiel auch die Ukraine oder dann in der nächsten (Beifall bei der CDU/CSU) Kategorie die Philippinen, Pakistan, Libanon, auch die Türkei oder Ägypten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Michael Kuffer (CDU/CSU): deshalb bleibe ich dabei: Wir müssen uns in dieser De- Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir batte immer wieder darauf besinnen, was unser Ziel ist. haben in Afghanistan vieles erreicht; das steht außer Unser Ansatz, die klare Trennung zwischen Nothilfe auf Frage. Wahr ist leider auch, dass wir, was die Wieder- der einen Seite und Einwanderung auf der anderen Seite, aufbaubemühungen angeht, heute nicht dort stehen, wo gilt – das sage ich für die CDU/CSU – ungebrochen. Das wir es uns als internationale Staatengemeinschaft erhofft hat auch etwas mit der Frage der Aufenthaltsbeendigung haben. Der Anschlag auf die deutsche Botschaft in Ka- zu tun. Unser Ziel und unser Handlungsgrundsatz bleibt bul im Jahr 2017 hat uns gezeigt, dass wir immer wieder die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Dazu schwere Rückschläge erleben und dass die Sicherheits- gehört die konsequente Rückführung von Menschen lage nicht pauschal zu beurteilen ist. Aber genau diese ohne Asylgrund und die Aufenthaltsbeendigung für Men- Pauschalisierung, liebe Kolleginnen und Kollegen von schen, die keiner individuellen Verfolgung unterliegen. den Linken, nimmt Ihr Antrag vor, und deshalb lehnen wir ihn auch ab. Vielen Dank. Es steht außer Frage, dass es sicherere Staaten als Af- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ghanistan gibt. Ich will hier nichts anderes behaupten. ordneten der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7859

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: ganz viele Kolleginnen und Kollegen in ähnlicher Weise (C) Ich schließe die Aussprache. getan, und vermutlich kennen auch viele von uns – die al- lermeisten – die Pflegesituation aus dem eigenen Umfeld, Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- aus dem Bekanntenkreis, aus dem Familienkreis sehr gut. empfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat zu Deswegen bin ich mir sicher, dass Sie mir zustimmen, dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „So- wenn ich sage, dass die Pflegekräfte und die pflegenden fortiger Abschiebestopp und Schutz für Geflüchtete aus Angehörigen Enormes leisten – Woche für Woche, Tag Afghanistan“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- für Tag, Stunde für Stunde. Ich habe allergrößten Res- schlussempfehlung auf Drucksache 19/4610, den Antrag pekt vor dieser Leistung. Meine Damen und Herren, sie der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1369 abzuleh- sind die Heldinnen und Helden des Alltags. Und ich sage nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer auch: Ich ziehe meinen Hut vor dieser Leistung. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nen, der AfD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- DIE GRÜNEN) nis 90/Die Grünen angenommen. Wir alle wissen aber auch: Wir stehen in der Pflege Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: vor ganz besonderen Herausforderungen. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (Otto Fricke [FDP]: Das ist aber neu!) desregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften Die Menschen werden älter – Gott sei Dank. Damit geht Buches Sozialgesetzbuch – Beitragssatzan- einher, dass die Zahl der Pflegebedürftigen zunimmt und passung auch die Bedarfe weiter zunehmen. Wir haben bereits in der letzten Legislaturperiode den neuen Pflegebedürftig- Drucksachen 19/5464, 19/6013 keitsbegriff eingeführt, und wir haben die Leistungen der Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Pflegeversicherung erheblich ausgeweitet. Davon profi- schusses für Gesundheit (14. Ausschuss) tieren inzwischen 700 000 Pflegebedürftige zusätzlich, vor allem Demenzkranke und ihre pflegenden Angehöri- Drucksache 19/6148 gen. Viele erhalten deutlich höhere Leistungen als vorher. – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Wir haben vor wenigen Tagen hier im Deutschen Bun- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung destag das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz beschlossen, ein ganz wichtiger Schritt für mehr Pflegestellen und für (B) Drucksache 19/6149 bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. (D) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall bei der CDU/CSU) richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Und, meine Damen und Herren, es werden weitere Zimmermann, Susanne Ferschl, Matthias W. Schritte folgen. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Wir sind im Moment dabei, die Konzertierte Aktion on DIE LINKE Pflege durchzuführen. Es geht unter anderem um Fragen Pflege solidarisch finanzieren – Beitragserhö- wie diese: Wie schaffen wir es, dass mehr Menschen sich hungen stoppen entscheiden, den Pflegeberuf zu erlernen? Wie schaffen wir es, dass Menschen, die den Pflegeberuf erlernt ha- Drucksachen 19/5525, 19/6148 ben, auch in der Pflege bleiben? Und wie schaffen wir Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein es, dass Menschen, die den Pflegeberuf erlernt haben, Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. aber aus der Pflege herausgegangen sind, wieder in die Pflege zurückkehren? Wir werden im Sommer 2019 die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Ergebnisse auf dem Tisch haben. Dann werden weitere die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- wichtige Weichen gestellt werden. Wir werden weitere nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, wobei ich Maßnahmen über die genannten hinaus ergreifen, jetzt schon voraussage, dass wir keine 38 Minuten benö- tigen werden. (Otto Fricke [FDP]: Nach dem Sommer!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla- die im Koalitionsvertrag vereinbart sind, wie etwa die mentarische Staatssekretär Dr. Thomas Gebhart. Entlastung der pflegenden Angehörigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das alles ist im wahrsten Sinne des Wortes notwendig, aber das kostet natürlich auch Geld. Dr. Thomas Gebhart, Parl. Staatssekretär beim Bun- (Otto Fricke [FDP]: Aha, wir kommen end- desminister für Gesundheit: lich zum Punkt!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich war in den vergangenen Wochen und Mona- Die Leistungsausgaben in der Pflegeversicherung sind ten sehr viel unterwegs und habe mir verschiedene Pfle- seit 2009 von knapp 20 Milliarden Euro auf 35 Milliar- geeinrichtungen angesehen und mir ein persönliches Bild den Euro angestiegen. Man muss kein Prophet sein, um von der Pflegesituation verschafft. Vermutlich haben das zu sagen: Die Ausgaben werden weiter steigen. 7860 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Parl. Staatssekretär Dr. Thomas Gebhart (A) Meine Damen und Herren, wenn man all dies zusam- Dies sollte direkt durch Steuermittel finanziert werden. (C) mennimmt, stellt man fest, dass es völlig klar und logisch ist: Der Pflegebeitrag wird steigen. Daher ist der Schritt, (Otto Fricke [FDP]: Das habt ihr nicht im den Pflegeversicherungsbeitrag um 0,5 Prozentpunkte Haushaltsausschuss gesagt!) zu erhöhen, ein absolut notwendiger Schritt. Gute Pflege Die soziale Pflegeversicherung muss vom direkten muss uns etwas wert sein. Arbeitsverhältnis abgekoppelt werden; denn sie hat dort Wir wollen eine menschliche Gesellschaft. Dazu ge- so wenig zu suchen wie die Kfz-Vollkaskoversicherung. hört, dass pflegebedürftige Menschen in unserem Land Übrigens schlägt auch die Bundesvereinigung der Deut- die Hilfe bekommen, die sie benötigen. Deswegen bitte schen Arbeitgeberverbände, BDA, diese Abkopplung ich Sie heute, dieser Erhöhung des Pflegeversicherungs- vor. beitrags um 0,5 Prozentpunkte zuzustimmen – für eine menschliche Gesellschaft in Deutschland. (René Röspel [SPD]: Warum wohl?) Herzlichen Dank. Wir dürfen nicht zulassen, dass unter den Beitragsstei- gerungen die Wettbewerbsfähigkeit und Exportdynamik (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der deutschen Wirtschaft leidet. ordneten der SPD) (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist Vizepräsidentin Petra Pau: ja wie die „Sendung mit der Maus“!) Das Wort hat Dr. Robby Schlund für die AfD-Frak- Mit jedem weiteren Beitragssatzpunkt stünden langfristig tion. 90 000 Jobs auf dem Spiel, so Dr. Hansen von der BDA. (Beifall bei der AfD) Wenn 90 000 Jobs auf dem Spiel stehen, dann kann ich Ihnen jetzt schon ganz genau sagen, liebe Kollegen, dass das nur die Spitze des Eisberges sein wird; Dr. Robby Schlund (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Werte Gäs- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wel- te! Wir haben zwei Gäste auf den Rängen! 7,6 Milliarden cher Eisberg?) Euro Mehreinnahmen jährlich, gespült direkt in die Kas- sen der angespannten sozialen Pflegeversicherung: Wow, denn viele Arbeitgeber werden auf die preiswerten Ge- was für ein genialer Wurf! ringverdiener ausweichen. Das müssen Sie den Men- schen in diesem Land erklären. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wow!) (Beifall bei der AfD – Karin Maag [CDU/ (B) Keine weiteren Beitragsanpassungen bis 2022 ver- (D) CSU]: Können wir! – Michael Brand [Fulda] sprach uns die Bundesregierung 2017. Dabei war da [CDU/CSU]: Gerne!) schon abzusehen, dass trotz dieser Erhöhung die Pfle- gekassen mit einem Defizit abschließen würden. Das ist Erklären Sie ihnen bitte auch, dass sie mehr und mehr Ende 2017 dann auch eingetreten: ganze 2,4 Milliarden gezwungen sein werden, zwei oder drei Minijobs anzu- Euro Defizit. nehmen, um ihre Familie überhaupt ernähren zu können. Es ist unverständlich, meine Damen und Herren, wa- Das, meine Damen und Herren, ist absolut unsozial. rum Sie fehlgeschlagene Lösungsversuche mit weiteren (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] neuen Beitragserhöhungen heilen wollen. Das ist unge- [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! – Weiterer fähr so, als ob ein Schüler mit falschem Lösungsansatz Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Un- für eine Sachaufgabe den gleichen Lösungsansatz noch sinn!) einmal verwendet, obwohl er bereits eine Sechs bekom- men hat, meine Damen und Herren. Die gerade beschriebene Veränderung im Arbeitsmarkt (Beifall bei der AfD – Zuruf von der CDU/ führt Ihre Berechnung von 7,6 Milliarden Euro Mehrein- CSU: Was ist denn Ihr Lösungsansatz?) nahmen bereits heute ad absurdum. Ich sage Ihnen offen und ehrlich: Wir sprechen uns in ein, zwei Jahren hier in Durch die Anhebung der Beiträge zur Pflegeversiche- diesem Haus wieder, wenn es erneut um die Defizite in rung um 0,5 Prozentpunkte steigen ab Januar 2019 die der Pflegekasse gehen wird. Wir, die AfD-Bundestags- Beiträge auf 3,05 Prozent bzw. für kinderlose Beitrags- fraktion, lehnen deshalb den Gesetzentwurf der Bundes- zahler sogar auf 3,3 Prozent des Bruttolohns. Doch der regierung ab. ständige Griff in die eh schon dramatisch leeren Taschen der Arbeitnehmer ist absolut der falsche Lösungsweg für (Beifall bei der AfD – Andreas Mattfeldt diese Sachaufgabe. [CDU/CSU]: Das hättest du auch in 30 Se- kunden sagen können! – Zurufe von der SPD) (Beifall bei der AfD) – Es kommt noch ein bisschen was. – Aus unserer Sicht Wir fordern, dass Sie zunächst die Ausgabeseite be- wäre Folgendes überlegenswert und kalkulatorisch zu grenzen und die Pflegekasse von Zuschüssen zu Kran- prüfen: Die Pflegeversicherung sollte vor allem solida- ken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung für die pfle- rische, soziale und demografische Faktoren berücksich- genden Angehörigen befreien. tigen. Neben einem allgemeinen Beitragssatz, einem (Otto Fricke [FDP]: Und wer zahlt das alles?) einkommensabhängigen Zusatzbeitrag, auch unter Ein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7861

Dr. Robby Schlund (A) beziehung der Kapitaleinkünfte, meine Damen und Her- Schon der vorige Gesundheitsminister Hermann (C) ren von den Linken, Gröhe (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Es geht (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr guter nichts über Experten im Bundestag!) Mann!) wäre ein steuerfreier Zuschuss zum Bruttolohn des Ar- hat bei der letzten Erhöhung von Beitragssatzstabilität beitnehmers bei gleichzeitiger Aufhebung der Beitrags- bis zum Jahr 2022 gesprochen. bemessungsgrenze die richtige Ergänzung. Ab drei Kin- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) dern sollte der Zusatzbeitrag für die Eltern entfallen. Das war 2017. Minister Spahn verspricht nun das Glei- Allerdings sehen wir die Überleitung aller bisher pri- che. Das klingt wie das Blüm’sche „Die Rente ist sicher“. vat Pflegeversicherten in die soziale Pflegeversicherung, Nur, glauben wird das niemand mehr. wie im Antrag der Partei Die Linke gefordert, eher kri- tisch. Es ist eine kalte Einführung in die Bürgerversiche- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ar- rung durch die Hintertür. Darum stimmen wir dem An- min-Paulus Hampel [AfD]) trag „Pflege solidarisch finanzieren – Beitragserhöhung Dabei weiß der Minister genau, was zu tun ist. Er stoppen“ nicht zu. Wir enthalten uns, weil er trotz einiger hat sich dafür ausgesprochen, mehr in den Pflegevor- sozialer Aspekte falsche Wettbewerbsanreize setzen will. sorgefonds zu zahlen, um Rücklagen für die Pflege der geburtenstarken Jahrgänge zu bilden. Er hat sich dafür Vielen Dank. ausgesprochen, die Förderung der privaten Vorsorge wei- (Beifall bei der AfD) ter auszubauen. Aus dem Ministerium heißt es hingegen, es sei dazu nichts geplant: kein Reformbedarf bei der Ausgestaltung der staatlichen Förderung zur Pflegevor- Vizepräsidentin Petra Pau: sorge, kein Bedarf einer Umgestaltung des Pflegevorsor- Es ist vereinbart, die Rede von Heike Baehrens, gefonds. 1) SPD-Fraktion, zu Protokoll zu nehmen. Jetzt ist der Minister bei diesem wichtigen Thema lei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ der nicht da. Das finde ich sehr schade; denn ich woll- CSU und der FDP) te etwas aufgreifen, was er letzte Woche anlässlich der Haushaltsberatung gesagt hat. Das Wort hat die Kollegin Nicole Westig für die (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das (B) FDP-Fraktion. ist ein guter Mann! – Weiterer Zuruf von der (D) (Beifall bei der FDP) CDU/CSU: Können Sie trotzdem machen!) – Mache ich auch. – Er hat nämlich den Wunsch geäu- Nicole Westig (FDP): ßert, eine Debatte über die künftige Finanzierung der Sozialversicherung im Sinne der jüngeren Generation Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! führen zu wollen. Das gilt auch für die Pflege. Wir Freie Alle Jahre wieder kommt die Beitragserhöhung. Auch Demokraten sind bereit, diese Debatte zu führen; denn wenn bald Weihnachten ist, mag ich in dieses Lied nicht sie ist überfällig. einstimmen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Rich- Dabei erkennen wir als Freie Demokraten an, dass tig!) gute Pflege kostet. Die Menschen in Deutschland sind bereit, in ihre Gesundheit und Pflege zu investieren. Die Deshalb haben wir einen Entschließungsantrag einge- alternde Gesellschaft fragt: Gibt es künftig noch genug bracht, mit dem wir mehr Kapitaldeckung in der Pfle- Menschen, die uns pflegen? Und: Wer soll das bezahlen? gefinanzierung erreichen wollen. So können wir einen Beitrag zur Generationengerechtigkeit leisten. Immer mehr alten und pflegebedürftigen Menschen (Beifall bei der FDP) stehen immer weniger junge Beitragszahler gegenüber. Wir wissen das seit langem. Das war bereits klar, als die Wir wollen eine Reform des Pflegevorsorgefonds. Pflegeversicherung in den 90er-Jahren eingeführt wurde. Wir wollen zusätzliche Modelle zur Förderung der Pfle- Heute wissen wir, dass dieses Umlagesystem nicht mehr gevorsorge, zum Beispiel im Rahmen der betrieblichen trägt. Spätestens wenn meine Generation, die Babyboo- Altersvorsorge oder der steuerlichen Berücksichtigung. mer, pflegebedürftig wird, droht der Kollaps. Deshalb Natürlich kann nur derjenige privat vorsorgen, der sich müssen wir bei der Finanzierung der Pflege dringend das auch leisten kann – das ist uns bewusst –, aber auch umsteuern. Um dem demografischen Wandel gerecht zu diese Menschen tun es aktuell zu wenig. Wenn wir es werden, brauchen wir strukturelle Veränderungen, schaffen, das zu ändern, dann steht auch mehr Geld für diejenigen zur Verfügung, die staatliche Unterstützung (Beifall bei der FDP) dringend benötigen, nämlich Geringverdiener, seien es sonst drohen uns immer neue Beitragserhöhungen. Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose oder Erwerbsge- minderte.

1) Anlage 11 (Beifall bei der FDP) 7862 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Nicole Westig (A) Es gibt eine Menge zu tun. Wir Freie Demokraten for- Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- (C) dern einen Neustart in der Pflegefinanzierung und sind tionsfraktionen, der Fraktionen Die Linke und Bünd- dialogbereit. Aber wir sind nicht bereit, weiter in Sozial- nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion versicherungssysteme zu investieren, die nicht zukunfts- bei Enthaltung der AfD-Fraktion abgelehnt. fest sind. Auch die Beitragszahler von heute und morgen Tagesordnungspunkt 13 b. Wir setzen die Abstim- haben ein Recht auf gute Pflege, wenn sie diese übermor- mung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses gen benötigen. für Gesundheit fort. Der Ausschuss empfiehlt unter (Beifall bei der FDP) Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 19/6148 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Wir sollten endlich damit beginnen, Politik für Generati- Die Linke auf Drucksache 19/5525 mit dem Titel „Pfle- onen und nicht nur für eine Legislaturperiode zu machen. ge solidarisch finanzieren – Beitragserhöhungen stop- (Beifall bei der FDP) pen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Die Beschlussemp- Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Beitragserhöhung fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, zeigt keinerlei Ansätze für eine nachhaltige Finanzie- der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- rung; deshalb lehnen wir ihn ab. nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ent- (Beifall bei der FDP) haltung der AfD-Fraktion angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: Vizepräsidentin Petra Pau: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Axel Die Reden der Kolleginnen Pia Zimmermann, Gehrke, Marc Bernhard, Stephan Brandner, wei- Kordula Schulz-Asche und der Kollegen Erwin Rüddel, terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Dirk Heidenblut und Erich Irlstorfer nehmen wir zu Pro- tokoll.1) Beseitigung von Teilhabebeeinträchtigungen aufgrund von Sehschwächen durch Erweite- (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN rung der Versorgung gesetzlich Versicherter und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie mit Sehhilfen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drucksache 19/4316 Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- Überweisungsvorschlag: brachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Elften Ausschuss für Gesundheit (B) Buches Sozialgesetzbuch – Beitragssatzanpassung. Der b) Beratung des Antrags der Abgeordneten (D) Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a Dr. Achim Kessler, Susanne Ferschl, Matthias W. seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6148, Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- on DIE LINKE sachen 19/5464 und 19/6013 anzunehmen. Ich bitte die- jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um Gesundheitsversorgung für alle sichern das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Drucksache 19/6057 sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Überweisungsvorschlag: mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Ausschuss für Gesundheit Stimmen der Fraktion Die Linke, der FDP-Fraktion und der AfD-Fraktion Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- (Stephan Brandner [AfD]: Die Mehrheit war nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. dagegen! Ich habe es genau gesehen! – Ge- genruf der Abg. Marianne Schieder [SPD]: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Professor Dieses Großmaul soll still sein!) Dr. Axel Gehrke für die AfD-Fraktion. bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an- (Beifall bei der AfD) genommen. (AfD): Dritte Beratung Dr. Axel Gehrke Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Herren! Es gibt 41,2 Millionen Menschen in der Bundes- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – republik, fast die Hälfte der Bevölkerung, die tagtäglich Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- mit einer Behinderung zu kämpfen haben, die ihre Regie- entwurf ist damit angenommen mit dem Stimmverhältnis rung für unerheblich hält. der zweiten Beratung. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 13 a. Wir gibt es doch wohl nicht!) stimmen nun über den Entschließungsantrag der Frak- tion der FDP auf Drucksache 19/6165 ab. Wer stimmt – So ist es. – Sie sind sehbeeinträchtigt und damit auf dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der eine Brille angewiesen. (Zuruf von der CDU/CSU: Ich komme ganz 1) Anlage 11 gut zurecht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7863

Dr. Axel Gehrke (A) Auch als Erwachsener ist man der gesunden anderen Bürger und insbesondere über Altersarmut geflissentlich (C) Hälfte trotz Brille unterlegen: Beschlagene Gläser bei hinwegsieht. Temperaturwechsel, Beeinträchtigung im Straßenver- kehr, erhöhte Verletzungsgefahr. Umso erstaunlicher ist (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] es, dass dieser Mangel von der Regierung bei Menschen [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das mit einer Sehschärfe ist auch unwahr!) Das sind alles Menschen, denen es sehr wohl wehtut, den (Zuruf von der CDU/CSU: Ist das jetzt Ihr Ausgleich der Beeinträchtigung der Sehfähigkeit ihrer Ernst? Bekomme ich jetzt einen Behinderten- Augen mit dem wenigen Geld, das ihnen zur Verfügung ausweis, weil ich eine Brille trage?) steht, bezahlen zu müssen. Ich fand es beschämend, als 2003 die SPD und die Grünen erklärten, dass Versicherte – langsam; ich fange ja gerade erst an – über 30 Prozent finanziell nicht überfordert seien, wenn sie sich die not- unbekümmert in den Bereich der kosmetischen Versor- wendige Brille auf eigene Kosten besorgen. gung abgeschoben wird. (Zuruf von der AfD: Pfui Teufel!) 41,2 Millionen Menschen werden letzten Endes für ihren Mangel bestraft; das haben sie nun davon, dass sie Das mag von den Kosten her möglich sein. Im Internet nicht die richtigen Augen haben. Diese Menschen haben kann man sich Brillen schon zum Preis von 50 Euro kau- offenbar keine Lobby. Die Regierung hilft ihnen nicht, fen, und auf dem Flohmarkt geht es mit Ramschware die gesetzlichen Krankenkassen zahlen erst, wenn sie noch billiger. Aber das trifft nicht den Kern der Sache. fast blind sind Es handelt sich bei einer Sehbeeinträchtigung um eine Krankheit. Deswegen ist es auch falsch, die Brille – wie (Zuruf von der CDU/CSU: Zwei Drittel, die im Antrag der Linken – in einem Zug mit kosmetischem hier sitzen, haben eine Brille. Dann muss die Zahnersatz oder Lifestylemedikamenten zu nennen. Lobby ja riesengroß sein! Das ist Unsinn, was (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Peinlich!) Sie sagen!) Die Brille ist eben keine kosmetische Leistung. – ja, das sage ich Ihnen doch gerade –, und dann auch nur die Gläser, aber nicht das Gestell. Das muss man sich (Beifall bei der AfD) einmal vorstellen. Das müssen Sie einmal erklären; das Fehlende Zähne sehen in der Tat nicht schön aus. Aber ist wirklich unglaublich. sie müssen nicht im Führerschein eingetragen werden. (Beifall bei der AfD – Zuruf von der CDU/ (Marianne Schieder [SPD]: Aber beißen kann (B) (D) CSU: Das interessiert niemand, was Sie er- man auch nicht ohne sie! – Zuruf vom BÜND- zählen!) NIS 90/DIE GRÜNEN: Was?)

Von den Optikerverbänden hört man auch nichts, sie – Mussten Sie schon einmal fehlende Zähne im Führer- bleiben lieber auf der kosmetischen Schiene. Nur die schein eintragen? Ich noch nicht! – Für Lifestylemedika- ärztlichen Fachverbände weisen zumindest auf die Miss- mente wäre es besser, Vergnügungsteuer zu zahlen. Aber stände hin. Eine Petition der Betroffenen im Jahr 2017 zur Not kommt man auch ohne sie aus. wurde vom Bundestag abgelehnt. Stattdessen wird lieber (Marianne Schieder [SPD]: Da reden wir mal die Gesundheitssystementwicklung in Saudi-Arabien, drüber, warum!) China, der Schweiz, den USA und Frankreich unterstützt, wie dem jüngsten Haushaltsplan zu entnehmen war. In unserem Antrag geht es darum, eine vorliegende Sehschwäche im Rahmen einer ausreichenden, zweck- (Beifall bei der AfD) mäßigen und wirtschaftlichen Versorgung auszugleichen.

Nein, meine Damen und Herren, so kann es nicht (Beifall bei der AfD) weitergehen. Die gesetzliche Krankenversicherung dient Mit wenig Aufwand und Kosten kann die Teilhabe von der Absicherung der Versicherten und ihrer Familien im 41,2 Millionen Sehbehinderten verbessert werden. Das Falle einer Krankheit, also dann, wenn ein regelwidriger muss doch für einen Sozialstaat das Mindeste sein, was Zustand vorliegt, der eine Krankenbehandlung notwen- er seinen Bürgern schuldet. dig macht, egal wie kostenträchtig diese Behandlung ist. (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Hört! Hört!) [CDU/CSU]: Die Rede sollte man auf Rezept kriegen!) In keinem anderen Bereich ist man so knauserig; selbst die Globuli beim Heilpraktiker werden bezahlt. Wir beantragen daher, (Marianne Schieder [SPD]: Dass fehlende (Beifall bei der AfD) Zähne in den Führerschein eingetragen wer- den, oder?) Nein, meine Damen und Herren, wir werden das nicht hinnehmen. Wir staunen über eine Regierung, die sich dass sich die gesetzliche Krankenversicherung wieder berufen fühlt, Verantwortung für die Gesundheit aller bei allen Versicherten – auch bei denen mit über 30 Pro- Menschen in der Welt zu übernehmen, aber über eigene zent Sehstärke – an den Kosten für ärztlich verordnete 7864 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Axel Gehrke (A) Brillengläser einschließlich Brillengestelle in vernünfti- Hornhautverkrümmung sowie Einstärken-, Zweistär- (C) gem Ausmaß beteiligt. ken- oder Dreistärkengläsern – bei dem zu kalkulieren- den durchschnittlichen Festbetrag von 50 Euro pro Bril- Vielen Dank. lenglas und Versicherten gingen in die Milliardenhöhe. (Beifall bei der AfD) Im HHVG haben wir uns aus verschiedenen Gründen dazu entschieden, eine ganz bewusste Entlastung der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Versicherten mit extremen Sehschwächen durchzufüh- ren. Dies haben wir auch beschlossen. Seit letztem Jahr Vielen Dank. – Als Nächstes spricht zu uns für die können Versicherte einen Zuschuss in Anspruch nehmen, CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Roy Kühne. wenn sie nach ICD-10-GM 2017 aufgrund ihrer Sehbe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- einträchtigung oder Blindheit bei bestmöglicher Brillen- ordneten der SPD) korrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträch- tigung mindestens der Stufe 1 oder einen verordneten Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Fernkorrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie bzw. Hyperopie oder Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismus aufweisen. Die- und Herren! Sehr geehrte Kollegen! Mit den vorliegen- ser Schritt war wichtig, um Versicherte, die aufgrund den Anträgen setzen wir eine Diskussion fort, die wir einer extremen Sehschwäche ohnehin mit finanziellen schon mehrfach geführt haben. Bereits 2004 haben wir Belastungen zu rechnen haben, nicht mit der Gesamtlast im Zusammenhang mit dem GMG, dem GKV-Moderni- zu überfordern. sierungsgesetz, darüber gesprochen, wie wir mit diesen Kosten umgehen werden. Zuletzt haben wir im vergan- Für die Koalition steht – das muss man klar betonen – genen Jahr explizit über Beitragszuschüsse bei Sehhil- der Patient im Mittelpunkt. fen und Brillen im Zusammenhang mit dem Gesetz zur (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ach! Hört! Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung, HHVG, Hört!) diskutiert, ein Gesetz, das ich als Mitberichterstatter massiv mit vorangetrieben habe und das wir zu einem Jetzt genauso wie zukünftig müssen wir aber auch die guten Ende gebracht haben. Sicherlich stellen Gesetze Ressourcen im Auge behalten. Das bedeutet ein verant- zum Schluss immer Kompromisse dar. Da geht es auch wortungsvoller Umgang mit dem wertvollen Geld der um Kostenfragen. Ich habe damals – davon bin ich noch Patientinnen und Patienten; es sind Beiträge. heute überzeugt – gesagt: Eine Wiedereinführung von Sehhilfen in die Abrechenbarkeit kann es aus verschiede- Nur zur Betonung: Menschen mit extremer Sehschwä- che werden entsprechend unterstützt. Aber wir sehen, (B) nen Gründen nicht hundertprozentig geben. Ich möchte (D) kurz einige Gründe dafür nennen. Sie wurden in der Ver- dass Brille heutzutage auch Mode ist. Es gibt verschie- gangenheit schon mehrfach genannt. denste Möglichkeiten – Gläser, Tönung usw. –, diese zu variieren. Diese Kosten sollten wir im Blick haben. Das Warum haben wir Sehhilfen aus dem Leistungskata- ist unsere Gesamtverantwortung für das Gesamtsystem. log umfänglich voll gestrichen? Trotz verschiedenster Reformen – das ist ein kleiner Rückblick in die Ver- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. gangenheit – ist es damals den regierenden Parteien (Beifall bei der CDU/CSU) SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht gelungen, den stetigen Anstieg der Beitragssätze der Krankenkassen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zu stoppen. Auch bedingt durch die damals allgemein Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster spricht zu ungünstige konjunkturelle Entwicklung und steigende uns der Kollege Dr. Wieland Schinnenburg, FDP. Arbeitslosenzahlen stieg der Beitragssatz auf 14 Prozent im Jahr 2002. Ulla Schmidt hat daraufhin, umfassende (Beifall bei der FDP) Gesundheitsreformen durchgeführt. Diese bestanden ebenfalls aus zahlreichen Kompromissen. Einige davon Dr. Wieland Schinnenburg (FDP): waren – das muss man zugeben – nicht leicht. Aber sie Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kein waren damals notwendig, um das Ganze wieder nach Zufall, dass die beiden radikalen Fraktionen in diesem vorne zu bringen. Sinn und Zweck war, massiv Kosten Haus, die AfD und Die Linke, einzudämmen. Dazu gehörte auch die Sehhilfe. Wir wis- sen, dass heutzutage viele Menschen bereit sind, dort ei- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Na, na, gene Investitionen zu tätigen. Im Bereich der Sehhilfen – na!) das sehe ich heute noch genauso – und mit Blick auf die uns Anträge vorlegen, die zu drastischen Mehrausga- Einnahmesituation des GKV-Systems in Zukunft besteht ben im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung momentan keine Möglichkeit, die Uhr zurückzudrehen führen würden. Das ist Teil ihrer Strategie. Diese be- und den Status vor 2004 wiederherzustellen. steht aus zwei Punkten: zum einen aus dem Schüren von (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Da sollten wir Ressentiments – die einen gegen Ausländer, die anderen die Sporttherapie auch unter Beobachtung gegen Unternehmer – und zum anderen aus unhaltbaren stellen!) Versprechen, um Menschen in diesem Land von sich zu überzeugen. Das ist unseriös. Wir lehnen so etwas ab. In Deutschland gibt es ungefähr 20 Millionen kurz- sichtige Personen. Die Kosten – je nach Sehschwäche, (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7865

Dr. Wieland Schinnenburg (A) Diese Anträge geben aber einmal Anlass, darüber kein Wort dazu verlieren, was das alles kostet, was sie (C) nachzudenken, welche Bedeutung unsere Solidarge- hier beantragen. Wir haben es einmal ausgerechnet. Die meinschaft hat. Ich möchte Ihnen in diesem Zusammen- AfD würde Kosten in Höhe von etwa 600 Millionen Euro hang fünf Leitlinien nennen. Die erste Leitlinie besagt: verursachen, die Linksfraktion Kosten in Höhe von min- Wer sich in diesem Land nicht alleine helfen kann, hat destens 12 Milliarden Euro. Es ist unverantwortlich, die Anspruch auf Schutz und Hilfe der Gemeinschaft. Summe noch nicht einmal zu nennen, geschweige denn einen Finanzierungsvorschlag vorzulegen. So etwas leh- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Hört! Hört!) nen wir ab. Das folgt nicht nur aus dem Solidarstaatsprinzip des (Beifall bei der FDP) Grundgesetzes. Das ist auch eine Selbstverständlichkeit. Die FDP steht dafür. Wir unterstützen das. Ich fasse zusammen. Auch in wirtschaftlich guten Zei- ten ist keine Zeit für „Freibier für alle!“, sondern Zeit für (Beifall bei der FDP) verantwortungsvolle Politik. Zweitens. Daraus folgt im Umkehrschluss aber auch: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war Wer sich alleine helfen kann, sollte nicht die Solidarge- jetzt aber super! Noch nicht mal ein Klatscher! meinschaft für sich in Anspruch nehmen. Schauen wir Sie müssen sich einmal mehr Mühe geben! uns in diesem Zusammenhang den Antrag der AfD ge- Schmeißen Sie die Kalauermaschine an!) nauer an. Sehhilfen bei geringer und mittlerer Sehstörung Verantwortungsvolle Politik bedeutet, sozial verantwort- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: 6 Dioptrien!) lich und wirtschaftlich vertretbar zu arbeiten und auf Ressentiments zu verzichten. Genau das ist die Politik können Sie im Supermarkt für wenige Euro erstehen. der Freien Demokraten. Wir lehnen beide Anträge ab. Diese Kosten treten relativ selten auf. Sie kann, glaube Vielen Dank. ich, jeder selber tragen. Niemand sollte dafür die Solidar- gemeinschaft in Anspruch nehmen. (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war echt nichts!) Dritter Punkt. Wir müssen darauf achten, dass unsere Solidargemeinschaft nicht überbeansprucht wird. Im Mo- ment, nach jahrelangem wirtschaftlichem Aufschwung in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: diesem Land, sind die Kassen der Sozialversicherung ge- Vielen Dank, Herr Kollege Schinnenburg. füllt. Wir müssen aber damit rechnen, dass es zu einem Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich wirtschaftlichen Abschwung kommt. Ich gebe zu: Wenn darauf hinweisen, dass der Kollege Brandner, AfD-Frak- (B) die FDP mit absoluter Mehrheit regieren würde, hätten tion, aus der laufenden Tagung ein Foto geschossen und (D) wir keinen wirtschaftlichen Abschwung zu befürchten. auf Twitter oder Facebook veröffentlicht hat Bei der GroKo muss man aber damit rechnen. Im Fall eines wirtschaftlichen Abschwungs sind dann die Soli- (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: darkassen nicht mehr so gefüllt. Daher wäre es unver- Twitter! – Der hat keinen Anstand!) antwortlich, in den jetzigen Zeiten zu viele Leistungs- – einen Moment, darf ich kurz zu Ende ausführen? –, be- ausweitungen vorzunehmen. Auch dies spricht gegen die zogen auf die Fraktion Die Linke, mit der Bemerkung: beiden vorliegenden Anträge. Zwei Linke da. – Das Präsidium des Deutschen Bundes- tages ist sich einig, dass dies mit der Würde und der Ord- (Beifall bei der FDP) nung des Hohen Hauses nicht vereinbar ist. Ich behalte Die vierte Leitlinie ist: Die Ausgaben der Solidarge- mir ausdrücklich eine Ordnungsmaßnahme vor. meinschaft sollten für die Menschen, für die Bedürftigen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, da sein und nicht zur Deckung von Verwaltungskosten. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Schauen wir auf die Sehhilfen. Es geht zumeist um Leis- GRÜNEN – Marianne Schieder [SPD]: So ei- tungen im Wert von nur wenigen Euro. Aber die Ver- ner ist Rechtsausschussvorsitzender! – Beifall waltungskosten wären mindestens genauso hoch, wenn bei Abgeordneten der SPD) eine Kostenerstattung durch die GKV in diesem Bereich erfolgen sollte. So dürfen wir mit den Geldern der Versi- – Worauf bezog sich jetzt das Klatschen? Dass er Rechts- cherten nicht umgehen. ausschussvorsitzender ist? (Beifall bei der FDP) Die Kollegin Martina Stamm-Fibich hat, wie ich fin- de, bemerkenswerterweise ihre Rede zu Protokoll gege- Fünfter Punkt. Wir sollten der Versuchung widerste- ben.1) Das kann auch Nachahmer finden. hen, als Politiker zulasten der Beitragszahler große Ver- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der sprechungen zu machen. Wenn wir das schon tun, dann FDP) sollten wir wenigstens sagen, was es kostet. Es ist kein Wunder, dass die beiden radikalen Fraktionen Nächster Redner ist der Kollege Dr. Achim Kessler, Die Linke. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Kollege, Sie müssen da etwas auseinander- (Beifall bei der LINKEN) halten! Rot und Braun sind unterschiedliche Farben!) 1) Anlage 12 7866 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Dr. Achim Kessler (DIE LINKE): men. Dort prangt in großen Buchstaben: „Schrott muss (C) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In man können“. der letzten Woche in der Debatte über den Bundeshaus- (Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD) halt war Gelegenheit, umfassend über das zu reden, was wichtig in der Gesundheitspolitik ist. Die AfD hielt es Diese Selbsteinschätzung der AfD teile ich zu hundert aber offenbar für falsch, über hohe Beiträge für Gering- Prozent. verdiener, über den Pflegenotstand oder über den Ärz- temangel auf dem Land zu reden. All das sind Themen, (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie die für die Menschen in Deutschland wichtig sind. Nein, bei Abgeordneten der CDU/CSU) sie nutzte ihre Redezeit, um gegen den Migrationspakt, gegen HIV-infizierte Geflüchtete zu hetzen und Zwangs- Eine weitere Fußnote führt nicht zum Nachweis der tests zu fordern. Ausgerechnet diese Partei, deren Ziel es schlechten Versorgung mit Brillen, sondern auf ein Ver- auch hier im Bundestag ständig ist, die Bevölkerung zu gleichsportal für die billigste Krankenkasse. Ich muss sa- spalten, ganze Gruppen von jeder Teilhabe auszuschlie- gen: In einem Vergleichsportal für die billigsten Anträge ßen, und die gegen Arme hetzt, sie als Faulenzer, Drü- hätte die sogenannte Alternative für Deutschland zwei- ckeberger und Sozialschmarotzer beschimpft, hat nun fellos den Spitzenplatz inne. angeblich Interesse an der Teilhabe sehbehinderter Men- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem schen. Das ist leicht zu durchschauen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Die Linke fordert in ihrem Antrag, Leistungskürzun- neten der SPD) gen des GKV-Modernisierungsgesetzes von 2004 voll- Denn die Forderung nach Kostenübernahme bei Brillen ständig zurückzunehmen. ist nur symbolisch. Sonst hätte die AfD nicht nur diese Forderung bei uns abschreiben müssen, sondern auch (Beifall bei der LINKEN) die Rücknahme der übrigen Leistungskürzungen in der Wir wollen eine sozial gerechte Gesundheitsversorgung Krankenversicherung aus dem Jahr 2004, wie es Die Lin- für alle Menschen, die in Deutschland leben. ke seit Jahren fordert. (Dr. Axel Gehrke [AfD]: Für Lifestylemit- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Axel Gehrke tel! – Gegenruf der Abg. Marianne Schieder [AfD]: Sie haben es nicht verstanden!) [SPD]: Für Schrott!) Selbst dieses Abschreiben dauerte bei Ihnen ein Jahr. Ich Deshalb möchten wir außerdem, dass Asylsuchende warte noch immer, dass irgendwann einmal etwas Eigen- (B) in die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen (D) ständiges von Ihnen zur Gesundheitspolitik kommt. werden. Momentan erhalten sie nämlich in den ersten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- 15 Monaten nur Akut- und Schmerzbehandlungen. neten der SPD – Dr. Axel Gehrke [AfD]: Das war eigenständig!) (Beifall bei der LINKEN) Das Einzige, was im Grundsatzprogramm der AfD zu Meine Fraktion hat eine klare Haltung: Teilhabe ist ein behinderten Menschen zu finden ist, ist die Forderung Menschenrecht. nach dem Ausschluss behinderter Kinder aus der Regel- (Dr . Axel Gehrke [AfD]: Also!) schule. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Pfui!) Wir sind leider weit davon entfernt, allen in Deutschland lebenden Menschen eine echte Teilhabe zu ermöglichen. Menschen mit Behinderung sind der AfD schlicht egal. (Dr . Axel Gehrke [AfD]: Also!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD – Zuruf von der AfD: Blöd- Der Zugang zu einer sozial gerechten Gesundheitsversor- sinn!) gung ist dafür ein notwendiger Schritt. Wir wollen eine Gesundheitsversorgung, die Barrieren abbaut, benach- Aus dem Mund dieser Rechtspopulisten ist selbst das teiligte Menschen nicht ausschließt und Besserverdiener Wort „Teilhabe“ nichts anderes als ein unaufrichtiges angemessen an der Finanzierung beteiligt. Ich bitte Sie Versprechen, das mit Sehnsüchten und Ängsten der Men- um Zustimmung zu unserem Antrag. schen spielt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Axel Gehrke [AfD]: Lenken Sie doch nicht ab! Das ist doch (Beifall bei der LINKEN) Quatsch!) Erlauben Sie mir noch einen Kommentar zur hand- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: werklichen Qualität des Antrags der AfD. In der zweiten Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kessler. – Als nächste Fußnote führt der Verweis www.bdsv.de nicht wie an- Rednerin hat das Wort Maria Klein-Schmeink, Fraktion gegeben zum Deutschen Blinden- und Sehbehinderten- Bündnis 90/Die Grünen. verband, sondern zur Homepage der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunterneh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7867

(A) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kleine Verbesserung vorgenommen hat. Wir müssen im­ (C) NEN): mer noch feststellen, dass diejenigen, die überhaupt Zu- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- gang zu einem Zuschuss durch die GKV haben, sozusa- nen und Kollegen hier im Saal! Als Erstes ist zu sagen: gen fast blind sind. Die Hürde, dass Leistungen erst ab Die Menschen mit Sehbeeinträchtigung und Sehbehinde- 6 Dioptrien erbracht werden – das bedeutet eine deutli- rung haben andere Reden verdient als die Reden, die in che Sehbeeinträchtigung –, ist sehr hoch. diesem Hause zur Einführung zu diesem Thema gehalten wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und was erhalte ich dann an Leistungen? Ich erhalte je Ich finde es bedauerlich, dass ein berechtigtes Anliegen in einen solchen falschen Kontext gestellt worden ist. nach Schweregrad 10 Euro pro Brillenglas, zahle aber auch noch eine Zuzahlung für mein Rezept. Ich muss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen: Das ist keine solidarische Unterstützung für die sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Betroffenen. Dieses Verfahren muss auf den Prüfstand. der SPD) Als Zweites möchte ich an die Adresse der FDP sagen: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Bezug auf einen Anspruch auf eine Leistung geht es nicht nur darum, ob sich jemand alleine helfen kann oder Wir müssen überlegen: Wen wollen wir entlasten? nicht. In welchen Schritten tun wir das? Können wir uns das (Dr. Axel Gehrke [AfD]: Ach! – Michael finanziell erlauben? Wir wissen derzeit nicht, welches Theurer [FDP]: Solidarität nennt man das!) Finanzvolumen auf uns zukäme, wenn wir beispielswei- se Leistungen schon ab 3 Dioptrien oder ab 5 Dioptri- Es geht auch nicht um Freibier für alle, sondern es geht darum, wie wir Gesundheitsrisiken solidarisch absi- en – was immerhin das Kennzeichen für eine schwere chern. Das ist das grundsätzliche Leistungsversprechen Sehbeeinträchtigung nach WHO-Klassifikation wäre – der GKV, der gesetzlichen Krankenversicherung, und das anbieten würden. Es ist aber das Mindeste, dass wir uns sollten wir durchaus ernst nehmen. Wir sollten die zu er- wenigstens für die Gruppe, die nachweislich erstens bringende Leistung nicht nur daran messen, wie groß das teure und aufwendige Brillengläser braucht und zwei- Portemonnaie des Einzelnen ist. tens deshalb oft viel aufwendigere Brillengestelle, weil (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner Billigprodukte nicht über Fachhändler zu erhalten sind, (B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Ulli überlegen, was wir tun können. (D) Nissen [SPD])

Es gibt natürlich Themen, die wir ansprechen müssen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zum Beispiel dass damals in Zeiten der Agenda 2010 empfindliche Einschnitte im Leistungskatalog der GKV Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. getätigt worden sind. Aber wir müssen auch zugestehen: Das war in einer wirtschaftlichen Situation, die ernsthaft von Krise, von hoher und bisher historisch höchster Ar- Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- beitslosigkeit und von massiven Defiziten sowohl in der NEN): gesetzlichen Krankenversicherung, in der Arbeitslosen- versicherung, in der Pflegeversicherung als auch zusätz- Ja, ich komme zum Schluss. – Wir müssen uns überle- lich in den kommunalen Haushalten geprägt war. Das gen, was wir tun können. Und an die Adresse – – waren die Ausgangsbedingungen dafür, dass empfindli- che Einschnitte gemacht worden sind. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gleichzeitig muss man zugestehen: Die Einschnitte haben die Versicherten empfindlich getroffen. Das hat Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss. Noch einen sich auf die Lebensqualität ausgewirkt und bedeutete Satz und ich entziehe Ihnen das Wort! eine stärkere Belastung des Einkommens, wenn eine notwendige Sehhilfe auf eigene Kosten beschafft wer- den musste. Man muss ganz klar sagen: Dieser Eingriff Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- war aus der Zeit heraus verständlich, sollte aber heute NEN): überprüft werden; denn die wirtschaftlichen Bedingun- An die Adresse der Linken: Es wäre schön, wenn wir gen sind jetzt andere. Deshalb müssen wir genauer hin- nicht immer nur Forderungen bezogen auf die Finanzie- schauen. rung stellten, sondern uns auch überlegten, wie wir das (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- finanzieren. Gemeinsam werden wir für die Bürgerver- SES 90/DIE GRÜNEN) sicherung kämpfen. Dann schaffen wir auch die Finan- Es reicht nicht, meine lieben Kolleginnen und Kolle- zierung. gen von der Regierungskoalition, darauf zu verweisen, dass man im letzten Jahr eine kleine, eine wirklich sehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 7868 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: – Das sehen die nicht anders. Ganz im Gegenteil: Wir (C) Mit diesen Worten schließe ich die Aussprache, weil haben hinreichende Nachweise dafür. Die kann ich Ihnen der Kollege Erich Irlstorfer – wie ich finde: vorbildlich – gerne zeigen. seine Rede zu Protokoll gegeben hat.1) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Wir reden nämlich mit den Kommunen und nicht über SPD und der FDP – Rudolf Henke [CDU/ die Kommunen. CSU]: Ich hätte ihn gerne gehört!) Wir lassen Länder und Kommunen nicht allein. Das Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen gilt nicht nur für die Infrastrukturförderung, sondern auch auf den Drucksachen 19/4316 und 19/6057 an den Aus- für die Finanzierung der Integration. Die Fortsetzung der schuss für Gesundheit vorgeschlagen. Sind Sie damit Integrationspauschale in Höhe von 2 Milliarden Euro einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die sollte den Kommunen tatsächlich zugutekommen. Sie ist Überweisungen so beschlossen. ein weiterer Beweis dafür, dass wir die Kommunen nicht allein lassen. Das zeigen auch die 435 Millionen Euro Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 sowie Zusatz- für eine verbesserte Kinderbetreuung im Rahmen der punkt 15 auf: Flüchtlingsaufnahme. Gleichermaßen bleibt die Forde- rung, dass die Länder die Mittel ungeschmälert tatsäch- 15. Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- lich an die Kommunen weiterleiten. Nordrhein-Westfa- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- len ist ein Beispiel dafür. Sie können gerne Ihren Einfluss zes zur fortgesetzten Beteiligung des Bundes dort geltend machen. an den Integrationskosten der Länder und Kommunen und zur Regelung der Folgen der (Otto Fricke [FDP]: Sie glauben noch an den Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“ Weihnachtsmann!) Drucksachen 19/5465, 19/6090 Das wäre nicht schlecht; das wäre ganz gut. Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- Der Bund steht zu seinen Verpflichtungen. Das gilt für haltsausschusses (8. Ausschuss) die Entlastungspauschale für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Diese Art der Unterstützung von Ländern Drucksache 19/6145 und Kommunen in dieser Situation ist ein Beitrag zum sozialen Frieden in Deutschland und kein Beitrag zu ZP 15 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Hass und Fremdenfeindlichkeit. richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) (B) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) Bericht der Bundesregierung über Maß- Deswegen bedanke ich mich sehr beim Bundesfinanzmi- nahmen des Bundes zur Unterstützung von nister, dass diese Finanzierungsmöglichkeiten bestehen. Ländern und Kommunen im Bereich der Ohne auf alle Einzelheiten des Gesetzentwurfs einzu- Flüchtlings- und Integrationskosten und gehen, will ich aber die wichtige Entlastung von Ländern die Mittelverwendung durch die Länder im und Kommunen durch die Abfinanzierung des Fonds Jahr 2017 „Deutsche Einheit“ thematisieren; denn dadurch erhalten Drucksachen 19/2499, 19/6145 die Länder künftig rund 2,2 Milliarden Euro zusätzlich aus dem Umsatzsteuervolumen. Die Kommunen – das Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ist wichtig, weil es einen Teil der Gewerbesteuerumlage die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu betrifft – werden um 500 Millionen Euro entlastet. Das keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Geld kommt auch konkret bei den Kommunen an. Das ist ausgesprochen gut. Damit das so bleibt, müssen wir Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem den Blick in die Zukunft richten. Dazu gehört, dass die Redner das Wort dem Kollegen Bernhard Daldrup, für 2020 vorgesehene Absenkung der erhöhten Gewer- SPD-Fraktion. besteuerumlage, die für die Kommunen wahrscheinlich mehr als 3 Milliarden Euro ausmacht, tatsächlich auch (Beifall bei der SPD) dort ankommt und nicht zu Begehrlichkeiten der Länder führt. Bernhard Daldrup (SPD): (Otto Fricke [FDP]: Dann doch!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht bei diesem Tagesordnungspunkt einmal mehr um – Dann doch? Das führte schon immer zu Begehrlichkei- den Nachweis, dass wir seitens der Großen Koalition an ten der Länder. Schönen Gruß an Herrn Bouffier, der das der Seite der Kommunen stehen und dass wir verlässli- Thema auf andere Weise angesprochen hat. che Partner der Kommunen sind. (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) (Otto Fricke [FDP]: Komisch, dass die das Die den Kommunen zugesagte jährliche Entlastung in anders sehen!) Höhe von 5 Milliarden Euro darf dauerhaft nicht nach Verteilungskriterien erfolgen, die die finanz- und struk- 1) Anlage 12 turschwachen Kommunen zu wenig berücksichtigen, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7869

Bernhard Daldrup (A) weil die Schwelle zur Bundesauftragsverwaltung bei den Die Perspektive der Länder und Kommunen ist durch- (C) Kommunen nicht überschritten werden soll. aus verständlich. Das mit den Flüchtlingen, Frau Bun- deskanzlerin, war Ihre Idee, also bezahlen Sie gefälligst (Beifall des Abg. Otto Fricke [FDP]) dafür. Sie kann durchaus überschritten werden. Aber wir müs- Wie lässt sich das Dilemma also lösen? Nun, richtig sen hier Klarheit schaffen, wenn wir uns für gleichwer- wäre schlichtweg ein grundlegender Politikwechsel: Wer tige Lebensbedingungen in unserem Land starkmachen nicht asylberechtigt ist, der kommt nicht ins Land. Das wollen, und das wollen wir. senkt die Kosten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Und wer nicht bleibeberechtigt ist, muss leider gehen. Das senkt wiederum die Kosten.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der AfD) Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster spricht zu uns der Kollege Peter Boehringer, AfD-Fraktion. Damit ist das Problem auch nicht mehr so groß. Populis- mus? – Nein, reine Logik und Mathematik. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Peter Boehringer (AfD): Richtig wäre, die Fluchtursachen abzustellen. Die größ- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! te aller Ursachen für die Flucht nach Deutschland sind Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es um das Sonder- neben der demografischen Katastrophe aufgrund der vermögen Fonds „Deutsche Einheit“, dessen Schulden Bevölkerungsexplosion in Afrika und Arabien die So- nun absehbar getilgt sein werden. Als Folge sind daher zialleistungen, die hierzulande für Migranten bereitge- Anpassungen bei der Aufteilung von Steuermitteln vor- stellt werden. Aber diese Ursachen werden im vorliegen- zunehmen. Das ist nur logisch. Da können wir einen den Gesetzentwurf nicht angegangen. Darum muss die Haken dranmachen. Den Ländern stehen diese Mittel AfD-Fraktion ihn leider ablehnen. einfach zu. Zudem sollen die Länder auch bei den Integ- Herzlichen Dank. rationskosten entlastet werden. (Beifall bei der AfD) Zu beanstanden ist, dass die Umwidmung von Um- satzsteuerpunkten gerade die finanzschwachen Länder Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (B) und Kommunen kaum entlastet, zum Teil sogar zusätz- (D) lich belastet – wir haben entsprechende Schreiben erhal- Vielen Dank, Herr Kollege Boehringer. – Und nun der ten –, denn die absolut berechnete Bundesbeteiligung an Kollege Christian Haase, CDU/CSU-Fraktion. den Kosten der Unterkunft und Heizung für Flüchtlinge (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wird zurückgefahren, während der Umsatzsteueranteil der Kommunen erhöht wird. Insgesamt werden damit Christian Haase (CDU/CSU): besonders finanzstarke Kommunen entlastet. Das ist die Soziallogik ausgerechnet eines SPD-geführten Ministeri- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten ums. Zudem erkauft sich die Bundesregierung auch hier Damen und Herren! Der Bund hat in den vergangenen mal wieder die Kooperation der Länder; darüber haben drei Jahren den Ländern und Kommunen Aufwendungen wir heute Vormittag schon bei der Debatte über die ent- in Höhe von gut 43 Milliarden Euro rund um das Thema sprechende Grundgesetzänderung geredet. Die Änderung „Asyl und Flüchtlinge“ erstattet. Die Bundesunterstüt- wurde übrigens gegen den Rat der meisten Sachverstän- zung wird mit diesem Gesetz über 2018 hinaus verlän- digen auch mit FDP- und Grünenstimmen verabschiedet. gert. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Ulli (Otto Fricke [FDP]: Für ein Jahr!) Nissen [SPD]: Sie und Ihre Sachverständi- Das ist vor allem für die Kommunen ein wichtiges und gen!) richtiges Signal. Aber die Regelung gilt zunächst nur für 2019. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir bald anfangen, Die Versorgung der Flüchtlinge ist für die Länder sehr über die Nachfolge zu sprechen; denn die Kommunen teuer . Teilweise werden ganze Wohngebäude völlig neu brauchen Planungssicherheit und Verlässlichkeit. errichtet. Weil das nicht reicht, wird vor die Wohnungs- tür noch ein Fahrrad gestellt. Deutsche Familien träumen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nur von so einem Steuerservice. Diese Politik wäre al- der SPD) leine wegen der Kosten bei Lokalpolitikern schon lange nicht mehr mehrheitsfähig. Der Bund erkauft sich hier Die Länder erhalten dabei einen großen Teil der Zu- die Zustimmung der Länder und Gemeinden zu einer von wendungen über pauschale Anteile am Umsatzsteuerauf- Eliten in Marrakesch, in Brüssel und hier im Berliner kommen. Das heißt, der Bund hat keine Kontrolle mehr Raumschiff erdachten Migrationspolitik, die ohne Kom- darüber, ob die Länder und dann im Nachgang die Kom- pensation und Schweigegeld in bürgernahen Kommunen munen das Geld tatsächlich zum Beispiel für flüchtlings- schon lange nicht mehr durchsetzbar wäre. bezogene Kinderbetreuung und andere Integrationsleis- tungen ausgeben. Das Risiko steigt vor allem, dass die (Beifall bei der AfD) Mittel nicht ungekürzt und zusätzlich vor Ort ankommen. 7870 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Christian Haase (A) Kollege Daldrup hat eben gesagt, in Nordrhein-Westfa- – Richtig, Herr Fricke, nur die westdeutschen Kommu- (C) len geschehe das nicht. Nordrhein-Westfalen leitet die nen profitieren davon; denn nur sie haben sie auch ge- Integrationsmittel – im Gegensatz zur alten Landesregie- zahlt. Alles andere wäre nicht denklogisch. – Wir müssen rung – zu 100 Prozent an die Kommunen weiter. jetzt aufpassen, dass das Geld wirklich zusätzlich und tatsächlich bei den Kommunen verbleibt (Bernhard Daldrup [SPD]: Zum ersten Mal!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich möchte an etwas anderes erinnern. Wir als Bund der FDP sowie der Abg. Bernhard Daldrup entlasten in diesem Jahr die Kommunen um 5 Milliarden [SPD]) Euro, und Länder nicht wieder auf die Idee kommen, das ir- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gendwo direkt oder indirekt abzuziehen. 1 Milliarde Euro davon auf Wunsch der Länder über ihre Wir fangen da jetzt mit einem kleinen Teil an. Das, Haushalte. Sie haben uns versprochen, dass sie es an die was jetzt abfinanziert wird, entspricht einer um 4,3 Pro- Kommunen weitergeben. zent erhöhten Gewerbesteuerumlage. Im nächsten Jahr, (Otto Fricke [FDP]: Das glaubt doch keiner!) Ende 2019, geht es um den Anteil am Solidarpakt. Da geht es um einen Umsatzsteueranteil von 29 Prozent, den Leider gibt es Länder wie Brandenburg und Rhein- die Kommunen leisten. Da sprechen wir von 3,5 Milliar- land-Pfalz, die das nicht machen. Meine Damen und den Euro. Auch da müssen wir aufpassen, dass das Geld Herren, Mittel, die wir für die Kommunen vorsehen, sind tatsächlich bei den Kommunen verbleibt. Wir dürfen kein Beitrag zur Konsolidierung von Landeshaushalten. nicht auf die Idee kommen – weder hier im Bund noch direkt oder indirekt auf Länderseite –, dieses Geld nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bei den Kommunen zu belassen. ordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Bernhard Daldrup [SPD]: (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie Das stimmt! – Otto Fricke [FDP]: Genau!) der Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU] und Bernhard Daldrup [SPD]) Jetzt setzen die Länder noch einen obendrauf. Um die Grenze der Bundesauftragsverwaltung bei den Kos- Sie haben es mittlerweile in ihren Haushalten eingeplant. ten der Unterkunft nicht zu überschreiten, wird ein Teil Das hat auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun. Wir haben der Kommunalentlastung über die Umsatzsteuer an die es vor 20 Jahren versprochen und sollten es heute auch Kommune verteilt. Wir erhöhen deshalb den Gemein- einhalten. Lassen Sie uns daran denken. deanteil am Umsatzsteueraufkommen. Jetzt gibt es den (B) Vorschlag aus dem Bundesrat, den Länderanteil am Um- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (D) satzsteueraufkommen zu erhöhen. Damit geht nicht nur sowie des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) 1 Milliarde Euro, sondern gehen schon 2 Milliarden Euro über die Landeshaushalte. Meine Damen und Herren, das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ist ein Programm für klebrige Finger von Länderfinanz- Vielen Dank, Herr Kollege Haase. – Jetzt spricht zu ministern, nicht für die Kommunen. uns der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der FDP) der FDP sowie des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) Otto Fricke (FDP): Richtig ist aber die Kritik, dass die Verteilung über die Herr Vizepräsident, beste Wünsche für Ihre Gesund- Umsatzsteuer nicht so zielgenau ist wie über die Kos- heit! – Meine Damen und Herren! Es geht bei diesem Ge- ten der Unterkunft. Deshalb müssen wir uns schon über- setz und um diese Uhrzeit um Milliarden. Dieses Gesetz legen, ob wir bei der Verteilung über die Umsatzsteuer und die Grundgesetzdebatte, die wir heute Morgen ge- nicht einen Soziallastenfaktor mit aufnehmen, damit das führt haben, hätten eigentlich – wenn wir ehrlich sind – Geld wirklich da ankommt, wo es tatsächlich gebraucht zusammengehört. Denn der Gesetzgeber verpflichtet sich wird. Es gibt einen Vorschlag des Deutschen Landkreis- hier – man erkennt es, wenn man genau hinguckt –, noch tages zu dem Thema, über den wir ernsthaft diskutieren mehr Mittel in die Umverteilung fließen zu lassen. Kolle- sollten. ge Haase, ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie schon sehr viel zu den hier vorgesehenen kleinen Schweinereien ge- Meine Damen und Herren, ich will zu einem weite- sagt haben, die von der natürlich wieder mal unbesetzten ren Punkt kommen. Der zweite wichtige Baustein, der Länderbank ausgehen. mit diesem Gesetz geregelt wird, ist die Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“. Er wird Ende des Jahres (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Heiter- getilgt sein. Das heißt, die Länder bekommen eine zu- keit des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]) sätzliche Entlastung von 2,2 Milliarden Euro jährlich. Auch die Kommunen partizipieren daran, da gleichzeitig Wer sich einmal angucken will, wie Länder denken, die kommunale Beteiligung im Wege einer erhöhten Ge- der muss sich nur die Stellungnahme des Bundesrates werbesteuerumlage an die Länder in Höhe von ungefähr zum Gesetzentwurf der Bundesregierung angucken. Da 516 Millionen Euro entfällt. wird gefeilscht und gesagt: Wir wollen nicht nur 49 Pro- zent haben – nach der Verfassung dürfen es bis zu 50 Pro- (Otto Fricke [FDP]: Aber nur im Westen!) zent sein –, nein, 49,9 Prozent müssten es dann schon Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7871

Otto Fricke (A) sein. – Es wird um jeden Cent gefeilscht, und es wird – Herzlichen Dank. (C) Kollege Haase hat das richtig beschrieben – nichts für die Kommunen getan. Das verstehe ich nicht. (Beifall bei der FDP)

Die Stellungnahmen des Deutschen Landkreistages Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und der Gemeindeverbände machen doch eines deut- Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Die Kollegin lich – deswegen kann ich nicht verstehen, dass die SPD Kerstin Kassner, Fraktion Die Linke, hat dankenswerter- sagt, die Kommunen seien damit einverstanden –: Wir weise ihre Rede zu Protokoll gegeben.1) wollen diesen Gesetzentwurf so nicht haben, sondern wir wollen einen, der Sicherheit gibt. – Da stimme ich dem Als letzter Redner: Stefan Schmidt, Fraktion Bünd- Kollegen Haase durchaus zu: Sicherheit für die Kom- nis 90/Die Grünen. munen wird es auf Dauer nur geben, wenn wir bei der Steuer, bei der die gleichmäßigsten Einnahmen zu ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zeichnen sind, ansetzen, um ein hohes Maß an Berechen- barkeit für die Kommunen zu gewährleisten, und das Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist die Umsatzsteuer. Wenn selbst der Landkreistag von Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- den klebrigen Fingern der Länder spricht, dann sollte die nen und Kollegen! Ich bin froh, dass wieder mehr über SPD irgendwann mal bei diesem Thema an eine Umkehr Föderalismus gesprochen wird. Bei diesen Diskussionen denken. wird allerdings häufig eine Ebene vergessen, nämlich die kommunale Ebene, also die Städte, die Gemeinden, die (Beifall bei der FDP – Bernhard Daldrup Landkreise und – als Bayer möchte ich sie nicht verges- [SPD]: Die SPD? Schwarz-Gelb!) sen – die Bezirke. Sie alle sollten bei diesem Gesetz, das Meine Damen und Herren, im Endeffekt geht es bei wir heute beraten, im Mittelpunkt stehen. diesem Gesetz – das muss man den Bürgern sagen – doch (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kap- wieder mal nur um die Frage: „Wer kriegt welchen Teil pert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vom Schokoladenkuchen?“, nach dem Motto: „Ich hätte NEN]) gern was, du hättest gern was, wir hätten gern was“, Denn sie sind es, die am Ende Geflüchtete versorgen und (Beifall bei der FDP) integrieren. Daher stimmen wir heute Abend auch zu, das und am Ende ist keiner damit zufrieden, was die Politik allerdings mit Bauchschmerzen; denn die Bundesregie- liefert. rung macht es sich zu einfach. Sie möchte alles, was es an Förderung bereits gibt, fortschreiben. Das ist gut, aber (B) Meine Damen und Herren, ich will eines deutlich ma- das reicht bei weitem nicht aus. (D) chen: Ich habe das Gefühl, dass wir auftretende Proble- me mit immer neuen Regelungen zukleistern, die dann Das Gesetz ist auf ein Jahr befristet. Damit fehlt irgendwann auslaufen. Nachher streiten wir uns dann den Städten und Gemeinden wieder mal das Wichtigs- wieder über absolute Zahlen, Prozentsätze oder Ähnli- te, nämlich Verlässlichkeit und Planungssicherheit, und ches. Wir müssen erkennen, dass dieses Land bei den das, obwohl die Kosten für Integration in Zukunft wahr- Fragen der Verteilung der Finanzaufwendungen, der Er- scheinlich eher noch ansteigen werden. Außerdem sehen mächtigung zur Erhebung von Steuern und der Zustän- die Kommunen beispielsweise für geduldete Menschen digkeiten nicht mehr mit dem auskommen kann, was mal keinen einzigen Cent, weder von den Ländern noch vom vor 70 Jahren klugerweise beschlossen worden ist. Wenn Bund. Die Gesamtheit ihrer Ausgaben spiegelt das Ge- wir weiterhin nur Stückwerk machen, dann ist es wie setz also überhaupt nicht wider. Das kann doch so nicht beim Brandrodungsfeldbau: Wenn hier und da Löcher richtig sein. auftreten, zieht man weiter und hofft, dass später alles (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wieder vergessen ist. Der Bundesrat und die kommunalen Spitzenverbän- Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss kurz de – es wurde bereits angesprochen – haben außerdem etwas dazu sagen, welchen Weg das vorliegende Gesetz festgestellt, dass gar nicht alle versprochenen Mittel voll- geht. Es ist ein Zustimmungsgesetz. Die Länder ha- ständig gezahlt werden. Das ist doch eine Schwachstelle ben klar gesagt, dass sie es so nicht haben wollen. Wir des Gesetzes. Das sollte behoben werden; denn der Bund werden erleben, dass dieses Gesetz gemeinsam mit der muss hier zu seinen Zusagen stehen. heute Morgen beschlossenen Grundgesetzänderung im Vermittlungsausschuss landet. Dann werden wir wieder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schauen: „Wer kriegt welches Stück vom Schokoladen- Zu den Kosten der Unterkunft. Das Geld muss direkt kuchen?“, bei den Kommunen ankommen. Es ist gut, dass es da kei- nen Zahlungsumweg über die Länder gibt. Aber von den (Beifall der Abg. Katja Hessel [FDP]) Entlastungen profitieren vor allem die wirtschaftsstarken aber am Ende wird keiner zufrieden sein. Das kann nicht Kommunen, und das ist nicht gerecht. Bund, Länder und die Herangehensweise dieses Parlamentes und auch nicht Kommunen müssen die Versorgung und die Integration der Koalition sein. Ich bitte Sie, an der Stelle genau auf- von Geflüchteten gemeinsam meistern. Dazu braucht es zupassen, worauf es im Vermittlungsausschuss hinaus- läuft. 1) Anlage 13 7872 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Stefan Schmidt (A) eine dauerhafte, verlässliche und aufgabengerechte Fi- wird im Protokoll festgehalten, wenn Sie nicht zustim- (C) nanzausstattung vor Ort. men wollen. – Sie wollen nicht zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Viele Städte verwenden aber bereits all ihre Mittel, um Okay. Dann frage ich: Wer stimmt dagegen? – Dann ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen. Sie verwenden sie, um stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf gegen die Stim- Schulgebäude instand zu halten, für einen funktionie- men der AfD-Fraktion und bei Enthaltung des Kollegen renden ÖPNV zu sorgen und zum Beispiel eine gerechte Fricke medizinische Versorgung auch im ländlichen Raum si- cherzustellen. Wir müssen wieder mehr Handlungsspiel- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – räume für die Kommunen schaffen, auch gerade bei den Jürgen Braun [AfD]: Woher wissen Sie, dass freiwilligen Aufgaben. Dazu müssen wir die Kommunen er sich enthalten will?) strukturell entlasten. – er ist die ganze Zeit sitzen geblieben, insofern hat er Stärken wir also die Handlungsfähigkeit von Städten sich enthalten – mit den Stimmen aller anderen Fraktio- und Gemeinden über das absolute Mindestmaß hinaus. nen des Hauses angenommen ist. Sorgen wir für ein sinnvolles Fördersystem, in dem Mit- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: tel auch abgerufen werden. Finden wir schleunigst eine Anschlussregelung für das vorliegende Gesetz, auf die Beratung des Antrags der Abgeordneten Mario sich die Kommunen dann auch verlassen können. Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Nicola Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) FDP Damit schaffen wir gleichwertige Lebensverhältnisse – Technologischen Fortschritt nicht aufhalten – da sind wir dann tatsächlich bei der Diskussion von heute Neue Verfahren in der Gentherapie einsetzen Morgen. Drucksache 19/5996 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schätzung (f) Herr Kollege Schmidt, herzlichen Dank. – Damit Ausschuss für Gesundheit schließe ich die Aussprache, nicht ohne die Kollegen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Martin Gerster von der SPD-Fraktion und Alois Rainer die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- (B) von der CDU/CSU-Fraktion in besonderer Weise zu wür- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (D) digen, die ihre Reden zu Protokoll gegeben haben.1) Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Wort dem Kollegen Mario Brandenburg, FDP-Fraktion. wie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP) – So viel Beifall hätten sie wahrscheinlich nach ihren Re- den gar nicht gekriegt. Mario Brandenburg (Südpfalz) (FDP): Tagesordnungspunkt 15 und Zusatzpunkt 15. Wir Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- kommen zur Abstimmung über den von der Bundesre- be Kollegen! Wir reden heute über einen Antrag der Frei- gierung eingebrachten Gesetzentwurf zur fortgesetzten en Demokraten, der ein hochsensibles Thema behandelt. Beteiligung des Bundes an den Integrationskosten der Wir reden über moderne Technologien in der Genthera- Länder und Kommunen und zur Regelung der Folgen pie und die Chancen, die eventuell bei der Behandlung der Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“. Der von Erbkrankheiten und sonstigen Erkrankungen daraus Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- erwachsen können. fehlung auf Drucksache 19/6145, in Kenntnis der Un- terrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksa- Bisher waren sich vermutlich nur die wenigsten Men- che 19/2499 den Gesetzentwurf der Bundesregierung schen der Fortschritte bei der Technologie CRISPR/ auf Drucksachen 19/5465 und 19/6090 anzunehmen. Cas bewusst; aber seit der Behauptung des chinesischen Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Forschers He Jiankui, zwei genetisch veränderte Babys wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – hervorgebracht zu haben, wurde die Weltöffentlichkeit Enthaltungen? – Keine. Dann ist der Gesetzentwurf in mit dem technisch Machbaren konfrontiert. Aus genau zweiter Beratung gegen die Stimmen der AfD-Fraktion diesem Grund ist es gut, dass wir dies heute trotz später mit den Stimmen aller anderen Fraktionen des Hauses Stunde im Deutschen Bundestag diskutieren. angenommen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Dritte Beratung Keine Frage: Der chinesische Forscher hat Grenzen und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem überschritten. Ein Eingriff in die Keimbahn der Embryo- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – nen und somit das Vererben der gentechnischen Verän- Herr Kollege Fricke, Sie wollen nicht zustimmen? Es derungen gilt als internationaler Tabubruch. Uns fehlt Wissen und Gewissheit. Trotzdem hält die Genschere 1) Anlage 13 CRISPR/Cas in vielen Ländern bereits Einzug in den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7873

Mario Brandenburg (Südpfalz) (A) Alltag. Im Internet kann man sich für 200 US-Dollar so- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) genannte Genetic Engineering Kits bestellen und bereits Vielen Dank, Herr Kollege Brandenburg. – Als Nächs- eine Hefe genetisch manipulieren. Während solche Ex- tes der Kollege Stephan Albani, CDU/CSU-Fraktion. perimente in den USA bereits Einzug in den Alltag erhal- ten, sind sie in Deutschland schlichtweg verboten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Frage, ob wir dürfen, was wir können, ist es nicht mehr getan. Richard Stephan Albani (CDU/CSU): von Weizsäcker sagte in seiner Rede zum 40-jährigen Bestehen des Grundgesetzes in Bezug auf die Verselbst- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ständigung der Wissenschaft: ren! Zu später Stunde ein durchaus schweres Thema. Bevor ich mich dem Antrag der FDP widme, möchte Wir werden das Problem nicht lösen, indem wir ich in eigener Sache einen kurzen Gedanken vorwegschi- die Menschenwürde gegen die Freiheit der Wis- cken. Ich bin Sohn eines Kinderarztes, und ich erinnere senschaft und Forschung ins Feld führen. Es wäre mich noch sehr genau daran, wie ich in den 80er-Jahren so unrealistisch wie ethisch vage. Wichtig ist eine von meinem Vater auf Station mitgenommen wurde und ungehinderte Information und eine breite Bewusst- ein in meinen Augen vermeintlich gesundes Kind dort seinsbildung. Möglichst viele sollten möglichst viel liegen sah, einen kleinen Jungen. Ich fragte: Papa, wa- wissen. rum liegt der da? Er sieht doch gesund aus. – Mein Vater antwortete: Er leidet an einer genetisch bedingten Stoff- Aktuell finden gentherapeutische Studien in den USA, wechselkrankheit. – Dann sagte er noch etwas, woran ich China und Großbritannien statt. Die jüngste Welle der di- mich bis heute erinnere: Er wird sterben, und wir können gitalen Revolution, die Verschmelzung von Biotechnolo- ihm nicht helfen. gie und Datenverarbeitung zur Verbesserung der Gesund- heit und der Lebensdauer, zieht in Teilen an uns vorbei. An die verzweifelte Aussichtslosigkeit dieser Worte Die Selbstverständlichkeit, mit der Technologiefirmen meines Vaters habe ich mich wieder erinnert, als ich mich versuchen, mal eben die Medizin zu verändern, hat als Bundestagsabgeordneter zum ersten Mal vor einigen Spreng-, aber auch Symbolkraft. Wollen wir Deutschen Jahren mit dem Thema CRISPR/Cas9 auseinandersetzen wirklich riskieren, dass die Amerikaner oder Chinesen, durfte. Hier haben wir zum ersten Mal die Chance, den ähnlich wie in der Digitalindustrie, auch die Genindust- Saum, den Zipfel der Möglichkeiten zu ergreifen, diesen rie monopolisieren und wir nur noch Konsumenten ohne Menschen vom Grunde her helfen zu können. Das ist gut, und dafür müssen wir investieren. Das ist keine Frage. (B) Gestaltungsanspruch werden? (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der FDP) ordneten der SPD und der FDP) Das kann und darf nicht unser Ziel als Technologienation Aber Achtung! Auf der Zielgeraden können leicht sein. Denn nur, wer führend in Forschung und Anwen- Fehler geschehen. Unter diesem Aspekt setze ich mich dung einer Technologie ist, kann auch die damit verbun- mit Ihrem Antrag auseinander. Sosehr ich Ihre Begeiste- denen ethischen Maßstäbe bestimmen. Wir müssen uns rung für die Technik teile, so sehr muss man sagen, dass fragen, ob der aktuelle Rechtsrahmen für gentechnische schon die erste Forderung ein Problem für mich ist: „... Verfahren noch umfassend, konsistent und zeitgemäß ist. die Chancen vor den Risiken ... zu sehen“. Deutsche Forscher forderten bereits mehrfach, das (Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE Embryonenschutzgesetz aus den 1990ern zu novellieren, LINKE]) um einerseits zu enge Grenzen der Forschung verantwor- Das ist nicht richtig. Chancen und Risiken müssen glei- tungsbewusst zu lockern, andererseits aber auch Lücken chermaßen und angemessen wissenschaftlich bewertet in Bezug auf Keimbahntherapien zu schließen und beste- werden. Es geht hier nicht um ein Mehr oder Weniger, hende Inkonsistenzen mit Blick auf das Stammzellgesetz es geht auch nicht darum, Risiken höher zu bewerten als zu vermeiden. Chancen, sondern darum, sie in angemessener Art und Weise zu bewerten, trotz aller Euphorie für das Verfah- (Beifall bei der FDP) ren. Mutmaßliche Verfehlungen wie die des chinesischen (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Forschers dürfen nicht zu einer generellen Verteufelung Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) von Ansätzen wie CRISPR/Cas führen. Denn was wäre, wenn der chinesische Forscher tatsächlich ein Leben Der zweite Punkt. Eine Studie, die von einer Arbeits- ohne Aids ermöglicht hätte? Wir müssen uns daher im- gruppe der Charité vor vier Wochen veröffentlicht wor- mer wieder von neuem fragen: Kann ein falscher Weg den ist, zeigt, dass der menschliche Körper gegen das in vielleicht durch gute Ergebnisse gerechtfertigt werden? CRISPR/Cas9 enthaltene Eiweißmolekül Cas9, das aus Streptokokken oder auch aus Staphylokokken gewonnen Danke. wird, eine Immunreaktion zeigen kann. Das verdeutlicht an dieser Stelle: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Hier ist (Beifall bei der FDP) Forschung noch notwendig. Das tut diese Arbeitsgruppe, 7874 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Stephan Albani (A) und das muss man machen. Da sollte man nicht zu eu- Die jüngste Generation gentechnischer Verfahren, ins- (C) phorisch glauben, dass man das Ziel schon erreicht hat. besondere das sogenannte Genome Editing – der Kollege von der FDP hat ein spezielles Verfahren hier schon vor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gestellt –, hat aufgrund ihrer einfachen und vielfältigen der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE Anwendbarkeit seit einigen Jahren einen Forschungs- LINKE] – Zuruf von der FDP: Das hat er ge- boom sowohl in der Pflanzen- und Tierzucht als auch in sagt!) der Humanmedizin ausgelöst. Viele Forschende erwarten – Ja, aber dann ist die siebte Forderung hinsichtlich der durch die größere Präzision und die nun möglich werden- Konkretisierung des Rahmenprogramms Gesundheits- de Modifikation endogener, das heißt zelleigener, Gene forschung unnötig. Denn im Rahmenprogramm steht, eine relevante Verminderung unerwarteter und uner- dass wir seitens des BMBF die interdisziplinäre Grund- wünschter Nebeneffekte, die im Bereich der somatischen lagenforschung im Bereich der Gentechnik und die Ge- Gentherapie die Entwicklung bislang stark gebremst ha- sundheitsforschung zur nutzbringenden Anwendung des ben. Genome Editing fördern wollen und nicht zuletzt die Re- flexion über die Forschungsergebnisse unterstützen und Bei der ethischen Bewertung der zu diskutierenden einen Anreiz zur gesellschaftlichen Debatte geben wol- Verfahren sollte grundsätzlich differenziert werden, ob len. Das ist gut und richtig so. Das steht da alles drin; das wir über Eingriffe in die Keimbahn sprechen oder über muss man gar nicht fordern. Lektüre hilft da. die somatische Gentherapie. Im ersten Fall, bei der Keimbahntherapie, werden sich die im embryonalen Ent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU wicklungsstadium veränderten Gene später in allen Zel- sowie des Abg. René Röspel [SPD]) len des Organismus wiederfinden. Sie können also auch vererbt werden. Der nächste Punkt ist die Frage einer ethischen Debat- te, die Transparenz schafft. Auch die ist notwendig; das Beim zweiten Fall, der somatischen Gentherapie, wer- hat das Experiment in China gezeigt. Auch hier ist wiede- den veränderte Gene in Körperzellen und nicht in Keim- rum Vorsicht geboten; denn ob das alles so stattgefunden zellen eingebracht. Die veränderten Zellen können also hat und dergleichen mehr, ist noch völlig ungeklärt. Was dann nicht an die Nachkommen vererbt werden. Wenn es aber stattgefunden hat – und das ist richtig so –, ist, dass also Ihnen, werte Kollegen von der FDP, darum geht, die die wissenschaftliche Community klar gesagt hat: Das Forschungs- und Entwicklungsförderung somatischer geht so nicht. Gentherapieansätze, zum Beispiel in der Krebstherapie, Insofern müssen wir hier, zurück zum Anfang kom- voranzubringen, dann sind wir an Ihrer Seite. mend, sagen: Chancen und Risiken müssen wir gleicher- Etwas anders sieht es bei Eingriffen in die Keimbahn (B) maßen bewerten. Das Verfahren ist eine große Chance. aus. Hier stehen für uns als AfD-Fraktion die ethischen (D) Wir müssen hier wissenschaftlich investieren, die besten Aspekte zunächst an erster Stelle, was jetzt nicht heißen Forscher daransetzen. soll, dass wir hier nicht auch über die Forschung spre- Bezüglich Ihres Antrages sage ich: Ich teile Ihre Be- chen müssen. Kein Mensch weiß, wie sich genmanipu- geisterung. Am Anfang sind Sie aber zu euphorisch, in lierte Keimzellen in der nächsten oder übernächsten Ge- der Mitte steht Unnötiges, und am Ende gehen Sie zu neration verhalten, wenn sie mit anderen gewissermaßen weit. Deswegen lehnen wir ihn ab. Entschuldigung. zusammengewürfelt werden. Wer kann für mögliche Langzeitfolgen die Verantwortung übernehmen? Ich habe drei Minuten für den Nachtschlaf gerettet. Zu Recht haben die Experimente eines chinesischen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Forschers – sie wurden schon erwähnt –, der das Erbgut ordneten der SPD) von zwei Babys verändert haben soll, weltweit für Em- pörung gesorgt. In Deutschland legten im Sommer 2015 Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zuerst die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Gentechnolo- Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner der giebericht“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Kollege Dr. Götz Frömming, AfD-Fraktion. Wissenschaften und danach gemeinsam die Nationale Akademie der Wissenschaften – Leopoldina –, die Deut- (Beifall bei der AfD) sche Akademie der Technikwissenschaften – acatech –, die Akademienunion sowie die Deutsche Forschungsge- Dr. Götz Frömming (AfD): meinschaft Stellungnahmen zu einer ersten Bewertung Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und zum weiteren Umgang mit Genome Editing beim und Herren! Als im Jahre 1953 die beiden US-Amerika- Menschen vor und sprachen sich für ein internationales ner Watson und Crick die Struktur des menschlichen Ge- Moratorium für Keimbahninterventionen aus. Das unter- noms entschlüsselt haben, konnten sie sich wahrschein- stützen wir, meine Damen und Herren. lich kaum vorstellen, was für Möglichkeiten sich über (Beifall bei der AfD) ein halbes Jahrhundert später daraus entwickeln würden. Und die Gentechnik entwickelt sich rasant weiter. Wir Ein generelles Forschungsmoratorium wurde aller- müssen als Politiker dafür sorgen, mit dieser Entwick- dings nicht gefordert, sondern vielmehr die weitere Ab- lung Schritt zu halten. Deshalb begrüßen wir grundsätz- klärung möglicher Chancen und Risiken des Verfahrens lich den Antrag der FDP-Fraktion, der uns dazu bringt, sowie eine gesellschaftliche Debatte über die ethischen hier wieder anzuknüpfen. und rechtlichen Fragen der Keimbahntherapie. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7875

Dr. Götz Frömming (A) Noch ein Wort zu Ihrem Antrag, werte Kollegen von ropäische Gerichtshof hat entschieden: Es ist Gentech- (C) der FDP. Es ist ein bisschen schade, dass Sie den For- nologie. – Die Europäische Richtlinie 2001/18 gilt und derungskatalog aus meiner Sicht etwas überladen haben ebenso das Gentechnikgesetz. Ich kann zwar nicht für die mit 22 Einzelforderungen, die nicht alle zum Wesentli- Bundesregierung sprechen. Aber da ich nichts anderes chen hinführen und teilweise auch vom Wesentlichen gehört habe, ist offenbar die Position der Bundesregie- wegführen. Wir brauchen aus unserer Sicht vor allem rung, dass es Gentechnologie ist. ein neu zu schaffendes und am aktuellen Stand der Wis- senschaft ausgerichtetes Fortpflanzungsmedizingesetz. (Carina Konrad [FDP]: Das ist falsch!) Die diesbezüglich geltenden Gesetze, die wir bereits ha- ben, regeln jeweils nur bestimmte Teilbereiche, sodass Es gibt auch keinen Widerspruch gegen dieses Urteil. niemand wirklich einen zusammenfassenden Überblick haben kann. Ich erinnere zum Beispiel an das Gendiag- Eine Erfahrung, die ich mit der FDP gemacht habe, ist, nostikgesetz, das die Anwendung von genetischen vorge- dass etwas aufgebaut wird, wo eigentlich die letzte Kon- burtlichen Untersuchungen regelt, oder auch an das Em- sequenz fehlt. Ich habe das im Frühjahr 2009 schon mal bryonenschutzgesetz, das den Schutz des menschlichen erlebt. Da hat nämlich die damalige CSU-Verbraucher- Embryos zum Gegenstand hat. schutzministerin Ilse Aigner die Aussaat von MON 810, einem gentechnisch veränderten Mais, verboten. Das gab Meine Damen und Herren, was unsere Nation am heftige Proteste bei der FDP, eine Kleine Anfrage und all dringendsten braucht, sind keine Designerbabys, die das Gedöns. zum Glück noch gar nicht möglich sind. Aber wir wol- len Krankheiten heilen, und zwar mit Methoden, die wir (Carina Konrad [FDP]: Das ist doch kein ethisch und gesellschaftlich verantworten können. Gedöns!)

Vielen Dank. Sechs Monate später waren Sie in der Regierung und aus (Beifall bei der AfD) dem lauten Rufen wurde Stille im Saal. Sie hätten es da- mals wenigstens auf die Tagesordnung setzen können.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das zeigt: Wenn Sie Opposition sind, stellen Sie schar- Vielen Dank, Herr Dr. Frömming. – Als nächstem Red- fe Forderungen auf. Wenn Sie an der Regierung sind, ist ner erteile ich dem Kollegen René Röspel, SPD-Fraktion, die Sache damit vergessen. das Wort. (Marianne Schieder [SPD]: Darum wollen sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) wahrscheinlich nicht mehr regieren! – Zuruf (D) der CDU/CSU) der Abg. Carina Konrad [FDP])

René Röspel (SPD): Das kann ich Ihnen, Herr Brandenburg, nicht vorwerfen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Aber es gäbe eine Möglichkeit: Machen Sie in Nord- ren! „Technologischen Fortschritt nicht aufhalten – Neue rhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative zur Änderung Verfahren in der Gentherapie einsetzen“. Als ich diesen des Gentechnikgesetzes. Dann können wir hier wirklich Titel las, war ich zugegebenermaßen sehr gespannt, was diskutieren. Das wäre mal konsequent. da kommt und in welche Richtung das geht. Aber als ich dann den Antrag gelesen habe, war ich eher enttäuscht (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan oder verwirrt, weil Sie nicht wirklich Position beziehen Albani [CDU/CSU] – Zuruf von der FDP: und eine Menge Dinge durcheinanderbringen, die eigent- Okay, das lässt sich machen!) lich sortiert gehören. Am Ende wusste ich nicht wirklich, Der zweite Bereich ist die Keimbahnintervention. Das wofür die FDP in dieser Frage steht und was sie mit dem ist genau das, was wir jetzt in China erleben – wenn es Antrag will. Ich muss daher zu dem Schluss kommen: denn wirklich zutrifft. Das heißt, es gibt Eingriffe in die Offenbar geht es Ihnen erst mal darum, zu unterscheiden Keimzellen, also Ei- und Samenzellen, um die Genetik zwischen der fortschrittsorientierten FDP und den ande- an einigen Stellen so zu verändern, dass bestimmte Ei- ren, die Fortschritt irgendwie behindern. Ich versuche, zu genschaften gefördert und andere verhindert werden. Die belegen, dass das falsch ist, um Ihre Position zu wider- Begründung aus China war, dass man das Kind resistent legen. gegen Aids machen wollte. Das ist aus meiner Sicht nicht Ich habe mir Ihre unterschiedlichen Forderungen an- nur hanebüchen – man rasiert da sozusagen eines der ent- geschaut. Was Gentherapie aus Ihrer Sicht ist, ist nicht scheidenden Membranproteine heraus –, sondern kann so richtig klar geworden. Es geht um die drei Bereiche auch zu Konsequenzen für das betroffene Kind führen, Agrogentechnik oder grüne Gentechnik, Keimbahninter- die überhaupt noch nicht vorhersehbar sind, weil das Pro- vention und somatische Gentherapie. Sie sprechen die tein, das dort verändert worden ist, letztlich aus Entzün- Agrogentechnik bzw. grüne Gentechnik an und stellen dungsreaktionen bekannt ist. Die beiden Kinder, die ge- die Forderung auf, dass die Bundesregierung Position be- boren wurden, werden wahrscheinlich Einschränkungen ziehen möge zu dem jüngst ergangenen Urteil des EuGH, im Hinblick auf Entzündungsreaktionen haben. Ich weiß also des Europäischen Gerichtshofs, über die Einordnung nicht, ob das im Sinne des Erfinders ist. Das werden wir der neuen Technologie CRISPR/Cas mit Blick auf die sehen. Aber es ist ein Experiment, das ich nicht für ver- Frage: Ist das jetzt Gentechnologie oder nicht? Der Eu- antwortbar halte, auf Kosten zweier Menschen, die das 7876 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

René Röspel (A) nicht beeinflussen können und die möglichen gesund- Stephan Albani hat dankenswerterweise einen Artikel (C) heitlichen Konsequenzen selbst tragen müssen. in „Nature Medicine“ von vorletzter Woche erwähnt. Man hat – es wird darauf hingewiesen, dass Cas9 in der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Natur vorkommt, was dazu führt, dass wir das Bakterium BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kennenlernen – tatsächlich festgestellt, dass bei gesunden Aus dem Antrag ist nicht herauslesbar, was Sie ei- Probanden sowohl eine Antikörper- als auch eine zellver- gentlich wollen. Sie sprechen an zwei Stellen davon, mittelte Immunität in dem Moment auftreten, indem man dass Sie § 5 des Stammzellengesetzes ändern wollen. ihnen solche durch Genschere behandelten Zellen verab- Darin sind die Anforderungen festgelegt, die es ermög- reicht. Es geht darum, bei solchen Verfahren sicherzu- lichen, embryonale Stammzellen oder Stammzelllinien stellen, dass sie nicht zum Schaden, sondern zum Nutzen nach Deutschland zu importieren. Was wollen Sie dort des Patienten wirken. ändern? Wollen Sie mehr mit embryonalen Stammzellen Wenn ich das alles bilanziere, muss ich sagen: Ihr An- arbeiten, oder wie soll das aussehen? Keine Ahnung. Ich trag ist bei den wesentlichen und zentralen ethischen Fra- bin mal gespannt, welche Antworten noch kommen. gen völlig unpräzise und lässt große Fragezeichen stehen. Der andere Punkt ist, dass Sie ausdrücklich erwäh- (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther nen, dass Sie das Präimplantationsdiagnostik- und das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Embryonenschutzgesetz den technologischen Verände- rungen anpassen wollen. Sie schreiben an anderer Stelle An den anderen Stellen sind wir uns einig. Wir sagen: noch, dass Sie wissenschaftliche Evidenz in die ethische Für uns ist die Patientensicherheit viel wichtiger als der Debatte einbringen wollen. Wenn ich das Ganze unter Glaube, man müsse den Fortschritt deutlich beschleuni- der Überschrift „Neue Verfahren in der Gentherapie“ gen. sehe – CRISPR/Cas ist eine Genschere, mit der ich Gene Deswegen, glaube ich, kann man schon jetzt sagen, oder DNA-Sequenzen verändern kann –, dann bleibt aus dass Ihr Antrag in dieser Frage auch im Ausschuss keine meiner Sicht nur der Schluss, dass Sie über das Embryo- gute Perspektive haben wird. nenschutz- und das Präimplantationsdiagnostikgesetz tatsächlich Keimbahninterventionen erlauben wollen, Vielen Dank. also das chinesische Modell irgendwie in Deutschland einführen wollen. Da hätte ich mir mal eine eindeutige (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Position der FDP gewünscht. Was wollen Sie eigentlich? CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Wollen Sie das, oder wollen Sie es nicht? Oder wollen NEN) Sie es über die Hintertür? Das finde ich eben auch nicht (B) (D) konsequent, und deswegen müssen wir das an anderer Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Stelle, vielleicht noch mal im Ausschuss, erörtern. Wir Vielen Dank, Herr Kollege Röspel. – Als letzte Red- warten auf Ihre Einschätzung. nerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke. Der dritte Bereich ist die somatische Gentherapie, bei der es eigentlich darum geht, betroffenen Menschen (Beifall bei der LINKEN) durch die Infusion von veränderten Zellen zu helfen. Stephan Albani hat das ja schon ein bisschen angespro- (DIE LINKE): chen. Dr. Petra Sitte Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, es Ich habe jahrelang ein Kind, das an Muskeldystrophie ist wohl so: Als vor sechs Jahren die neue Genschere Duchenne litt und mit 14 Jahren daran gestorben ist, und CRISPR/Cas9 entwickelt wurde, hat kaum jemand von vor allen Dingen dessen Eltern begleitet. Der Tod ist eine uns geahnt, welche neuen Fenster für gentherapeutische sehr häufige Prognose bei dieser Erkrankung. Ich hätte Anwendungen sich auftun würden – insbesondere in der mir sehr gewünscht, dass wir in der Lage gewesen wä- Medizin. Natürlich hoffen viele, wie das hier schon an- ren, eine Gentherapie anzuwenden, mit der das fehlende gedeutet worden ist, dass bislang gar nicht behandelbare Protein – das war der Grund für die Dystrophie – sta- Krankheiten und auch Krankheiten, für die bisher nur bil hätte verabreicht werden können, meinethalben auch andeutungsweise ein solches Fenster geöffnet werden durch ständige Impfungen oder so was. Ich sehe eigent- konnte, behandelt werden können. lich niemanden in diesem Hause, der tatsächlich gegen eine solche Verfahrensweise – wenn nicht durch ein zu- Gentherapeutische Medikamente, beispielsweise zur gelassenes Medikament, so doch wenigstens als Heilver- Behandlung der Blutererkrankung, hochaggressiver For- such – wäre. men der Leukämie oder des Non-Hodgkin-Lymphoms, sind entwickelt worden. Die somatische Gentherapie Unterschiedliche Erfahrungen mit der somatischen ermöglicht nun die Gentransplantation in Körperzellen Gentherapie gibt es tatsächlich weltweit. Die so geprie- und eben auch die Abschaltung von Genen. Mir scheint – senen Amerikaner in den USA sind da sehr schnell vor- insbesondere auch mit Blick auf viele Diskussionen hier gesprengt und haben die somatische Gentherapie mit im Haus –, dass sich gerade bei monogenetischen Er- Adenoviren durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass – ein krankungen – also Erkrankungen, die auf nur ein Gen zu- Beispiel ist Jesse Gelsinger – eine ganze Reihe von Men- rückzuführen sind – ein neues Fenster auftun könnte. Ich schen gestorben ist. Das ist aus meiner Sicht eben auch denke, wie auch René Röspel gerade gesagt hat, dass das unverantwortlich. Das kann man nicht machen. hier in diesem Haus kaum umstritten sein dürfte. Und ich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7877

Dr. Petra Sitte (A) gehe sogar davon aus, dass wir dafür nicht mal Gesetze was die spätere Nutzung der einzelnen Behandlungs- (C) ändern müssten. möglichkeiten angeht. (René Röspel [SPD]: So ist das!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Aber obwohl ich der Thematik aufgeschlossen ge- Frau Sitte, kommen Sie bitte zum Schluss. genüberstehe, finde ich den Antrag wenig hilfreich. Lie- be Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich muss (DIE LINKE): schon sagen: Mit der Holzkeule und ohne eine nähere Dr. Petra Sitte Begründung wird die Änderung von Gesetzen wie dem Jawohl. – Darüber haben wir im Ausschuss zu disku- Embryonenschutzgesetz und dem Präimplantationsdia­ tieren – offen und ideologiefrei. Sie schreiben ja, dass gnostikgesetz oder der Leitlinien der Zentralen Ethik- man das ideologiefrei tun soll. Ganz bestimmt, aber eben kommission der Stammzellenforschung gefordert. Genau nicht wertefrei! zu diesen Themen haben wir hier im Haus umfangreiche (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- bioethische Debatten geführt, und wir haben mit der ge- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sellschaftlichen Öffentlichkeit diskutiert. und des Abg. René Röspel [SPD]) Ich bin sehr dafür, in der Diskussion zu bleiben – auch wieder über Fraktionsgrenzen hinweg –, aber ich sehe Vizepräsident Wolfgang Kubicki: derzeit wesentlich mehr Fragen, und ich finde, wir haben Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache, erheblichen Klärungsbedarf, sodass man das nicht sozu- aber nicht, ohne mich ausdrücklich bei dem Kollegen sagen schlankweg unter den Punkten 21 und 22 fordern Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/CSU-Fraktion, und der kann. Kollegin Dr. Anna Christmann, Bündnis 90/Die Grünen, zu bedanken, die ihre Reden zu Protokoll gegeben ha- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ben.1) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. René Röspel [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Die Forderung des Deutschen Ethikrates, internatio- geordneten der FDP) nale Vereinbarungen zu treffen – wie vorhin schon ange- deutet –, sollte eben nicht, wie in Ihrem Antrag geschrie- Ich darf zudem darauf hinweisen, dass wir erstens den ben, durch nationale Alleingänge vom Tisch gewischt neuen Tag begrüßen – es ist der 30. November 2018 – werden. Erst vorgestern – das haben alle Kollegen hier (Marian Wendt [CDU/CSU]: Wir haben gar (B) erwähnt – ist bekannt geworden, dass in China Änderun- nicht die Nationalhymne gehört!) (D) gen am Erbgut zweier Embryonen in einem frühen em- bryonalen Stadium vorgenommen wurden und dass das und dass wir es zweitens mit etwas Disziplin schaffen Zwillingspärchen nunmehr über die Eigenschaft verfü- könnten, kurz nach 1 Uhr fertig zu sein. Deshalb werde gen soll, sich nicht mit HIV infizieren zu können. ich sorgfältig darauf achten, dass die Redezeiten nicht überschritten werden. Was mich in dieser Debatte vor allem beruhigt hat, ist, dass selbst in der chinesischen Community eine scharfe Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell wird Kritik an dieser Praxis geübt worden ist und dass 122 Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/5996 an chinesische Wissenschaftler diese Kritik in einem Pro- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- testbrief zum Ausdruck gebracht haben. Ich zitiere: schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Aber die potenziellen Risiken und Schäden für die gesamte Menschheit, die durch einen ungerechtfer- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: tigten Einsatz des Verfahrens in der Zukunft entste- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- hen können, sind unermesslich. regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Darin sind wir uns hier einig. Wir wissen zu wenig zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2341 über das Zusammenspiel von Genen, und deshalb glaube des Europäischen Parlaments und des Rates ich, dass wir auch hier darüber zu reden haben. Keim- vom 14. Dezember 2016 über die Tätigkeiten bahninterventionen sind in Deutschland nach wie vor und die Beaufsichtigung von Einrichtungen nicht zulässig. der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) (Neufassung) (René Röspel [SPD]: Das ist so!) Drucksachen 19/4673, 19/5418, 19/5647 Nr. 16 Anders als bei der somatischen Gentherapie wird hier Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- eben in das vererbbare Erbgut eingegriffen. ausschusses (7. Ausschuss) Wir sind auch verantwortlich für nachfolgende Gene- Drucksache 19/6135 rationen, und deshalb müssen wir die verschiedenen Per- spektiven übernehmen – sowohl die der Erkrankten und Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein ihrer Familien als auch die der Wissenschaftler bezogen Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. auf die Forschungsfreiheit. Es geht aber auch um Rah- menbedingungen bis hin zu kartellrechtlichen Fragen, 1) Anlage 14 7878 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für kannt ist. Eine solche Blankounterschrift wäre grob fahr- (C) die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- lässig und ist deswegen ebenso abzulehnen. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der AfD) Ich eröffne die Aussprache und darf sofort darauf Ich erinnere daran, dass die Anlagen für erneuerba- hinweisen, dass die erste Rednerin, die Kollegin Sarah re Energien ohne Subventionen oftmals nicht rentabel Ryglewski von der SPD, ihre Rede zu Protokoll gege- sind. Dient eine solche Anlage als Altersvorsorge, dann ben hat.1) zahlt sich der Anleger, der ja zugleich auch Steuerzahler (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und Stromabnehmer ist, seine Rendite praktisch selbst. der CDU/CSU) Wissen Sie, was das ist? Das ist eine Münchhausen-Ge- schichte. Deshalb hat nun der Kollege Dr. Bruno Hollnagel, AfD-Fraktion, das Wort. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder (Beifall bei der AfD) [SPD]: Er kann doch auch zu Protokoll ge- ben!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hollnagel. – Als Dr. Bruno Hollnagel (AfD): Nächstes der Kollege Dr. Carsten Brodesser, CDU/ Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten CSU-Fraktion. Damen und Herren! Wir reden hier über eine EU-Richt- (Beifall bei der CDU/CSU) linie, die die Anlagen betrieblicher Altersversorgung regeln soll. Die Vermögenswerte und Anlageentschei- dungen sollen insbesondere nachhaltige ökologische und Dr. Carsten Brodesser (CDU/CSU): soziale Faktoren berücksichtigen. Das klingt ja ganz gut. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Doch schauen wir etwas genauer hin. Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren vor den Bildschirmen! Hätten wir vor wenigen Jahren gemäß dieser EU-Richtlinie in vorgeblich nachhaltige Branchen inves- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten tiert, so wären wir zu folgenden möglichen Investitions- der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Braun entscheidungen gekommen: Wir hätten in die Solon SE, [AfD]) in die Q-Cells SE, in First Solar, in Solarworld, in die (B) WindSolar AG, in die Innovative Windpower AG und in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (D) viele mehr investieren können. Alle diese Investitionen Es wird nicht mehr übertragen, Herr Dr. Brodesser. wären nachhaltig schiefgegangen.

(Beifall bei der AfD) Dr. Carsten Brodesser (CDU/CSU): Die EU will Investitionen durch Richtlinien lenken, Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Um- übernimmt im Falle von Fehlentscheidungen und Fehl- setzung der EU-Richtlinie über die Tätigkeiten und die schlägen aber nicht die Verantwortung; sie zahlt also Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Al- nicht die Verluste. Deswegen hat sich die EU aus den tersversorgung, kurz „EbAV II“ genannt, ist weiß Gott Anlageentscheidungen für die Altersvorsorge gefälligst kein Tagesordnungspunkt in dieser Bundestagssitzung, herauszuhalten. der viel Attraktives verspricht. Ich kann aber all dieje- nigen beglückwünschen, die, anstatt „The Voice of Ger- (Beifall bei der AfD) many“ auf Pro7 zu sehen, jetzt Phoenix eingeschaltet Wir sagen: Wer Verantwortung trägt, darf nicht gegängelt haben; denn hinter diesem sperrigen Titel verbergen sich werden, sondern muss zwingend entsprechende Freiräu- viele Regelungen, die eine wichtige Leistung vieler Mil- me haben. lionen Menschen in Europa transparenter, sicherer und effektiver gestalten werden. Was die EU-Kommission praktizieren will, ist eine ideologisch geprägte Planwirtschaft. Durch Richtlinien Es geht um die sogenannte zweite Säule der Alters- soll Kapital nach politischer Opportunität gelenkt wer- vorsorge, nämlich die betriebliche Altersvorsorge, die den. Nein, eine verantwortungsvolle Altersvorsorge für die gesetzliche Rente ergänzt und so zu einer besseren Millionen von Menschen ist auf ideologischer Basis Versorgung im Alter beiträgt. Allein in Deutschland nicht zu bekommen und deswegen ungeeignet. sind 136 Pensionskassen und 31 Pensionsfonds auf dem Markt tätig; sie werden von dieser gesetzlichen Regelung (Beifall bei der AfD) tangiert. Von diesen Einrichtungen der betrieblichen Al- Es kommt aber noch schlimmer. Die Richtlinie enthält tersvorsorge profitieren sage und schreibe 9,55 Millio- nämlich eine Blackbox in Form von Begriffen, die nicht nen deutsche Bürgerinnen und Bürger. eindeutig definiert sind. Was mit diesen Begriffen genau Doch nicht nur in Deutschland spielen Pensionskassen gemeint ist, sollen wir erst später erfahren. Wir sollen und Pensionsfonds eine wichtige Rolle bei der Altersvor- also ein Gesetz mittragen, dessen Inhalt uns gar nicht be- sorge. Auch in anderen Ländern Europas sind die Leis- tungen der Pensionskassen und Pensionsfonds ein zen- 1) Anlage 15 traler Pfeiler in der Ruhestandsplanung. Nimmt man das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7879

Dr. Carsten Brodesser (A) Volumen der verwalteten Kapitalanlagen zum Maßstab, nen wichtigen Schritt getan, um sichere und europaweit (C) so dominieren Deutschland, Großbritannien, die Nieder- anwendbare Standards zu definieren, und somit diesem lande und die Schweiz dieses Segment. Nimmt man hin- Thema auf europäischer Ebene die notwendige Bedeu- gegen die bloße Anzahl der Einrichtungen als Maßstab, tung gegeben, die es verdient. so sind Irland und Frankreich bedeutend, da sie 94 Pro- zent aller Einrichtungen beheimaten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sehen also, dass nicht nur das Thema inhaltlich Inhaltlich konnten wir Sorgen ausräumen, dass durch komplex ist, sondern auch die jeweiligen Marktgegeben- das Gesetz falsche Anreize entstehen und letztendlich heiten in Europa sehr heterogen sind: einige große Ein- unnötige finanzielle Risiken zu falschen strategischen richtungen hier, viele kleine Einrichtungen dort. Es liegt Entscheidungen führen. Unsere nationalen Aufsichtsbe- also auf der Hand, dass es in einem zusammenwachsen- hörden sind natürlich weiterhin im Prozess der europä- den Europa Mindeststandards bei der Beaufsichtigung ischen Aufsicht verzahnt und werden nur die europäi- von EbAVs geben sollte. schen Regeln zur Anwendung bringen, die sinnvoll für unser Altersversorgungssystem der zweiten Säule sind. Der demografische Wandel und das anhaltende Nied- Ein starkes Zeichen also, dass die gewachsenen Beson- rigzinsumfeld sind weitere wichtige Faktoren, die das derheiten in diesem Bereich respektiert und geschützt Geschäft der Pensionskassen und Pensionsfonds nach- werden! haltig belasten und eine stärkere Beaufsichtigung recht- fertigen. Im Endergebnis haben wir einen Gesetzentwurf vorge- legt, der Deutschland und Europa im Bereich der Alters- In vielen Bereichen der Finanzaufsicht ist die EU seit vorsorge sicherer machen wird. Wir stärken die Aufsicht, Ausbruch der Finanzkrise eng zusammengerückt, und bewahren den nationalen Charakter der Altersvorsorge das ist auch gut so. Daten zu möglichen Risiken werden und erhöhen die Transparenz gegenüber Versorgungs- heute sehr viel systematischer gesammelt und geprüft anwärtern und Leistungsempfängern. Wir bringen somit und führen letztendlich auf europäischer Ebene zu einer Europa einen Schritt weiter nach vorne und bewahren besseren und sichereren Aufsicht als zuvor. In allen Re- gleichzeitig das wichtige Subsidiaritätsprinzip. Insofern gulierungsvorhaben gilt der Ansatz: Wer regelt was für bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesem wen? Gesetzentwurf zuzustimmen. So einfach dieser Ansatz ist, so differenziert müssen Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit trotz später wir uns bei jedem neuen Regulierungsvorhaben anschau- Stunde. en, welche Vor- und Nachteile im Raum stehen und was (B) notwendig ist und was nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) (D) EIOPA, die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversor- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gung, möchte gerne die Aufsicht über die betrieblichen Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brodesser. – Und nun Einrichtungen unter ihrem Dach vereinen. Aufgrund der Frank Schäffler, FDP-Fraktion. unterschiedlichen Ausprägungsgrade der EbAVs in eini- gen EU-Ländern ist es wichtig und richtig, dass wir im (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Rahmen dieses Gesetzesvorhabens nur eine Mindesthar- der CDU/CSU) monisierung anstreben und dabei Spielraum lassen für nationale Besonderheiten in der Aufsicht und im Arbeits- Frank Schäffler (FDP): und Sozialrecht. Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfah- legen! Dieser Gesetzentwurf wird in einem Umfeld be- rens geht es im Wesentlichen um die Fragen der Infor- raten, in dem es betriebliche Altersversorgungseinrich- mationspflichten gegenüber EIOPA und der Bewertung tungen in Europa schwerhaben. Sie haben es schwer, von Risiken. Es gab von vielen Marktakteuren, insbeson- weil das Niedrigzinsumfeld der EZB dazu führt, dass Al- dere bei der öffentlichen Anhörung, Rückmeldungen zu tersversorgungseinrichtungen es generell schwerhaben, diesem Thema, die insbesondere überbordende Kosten die notwendigen Erträge zu erwirtschaften. und finanzielle Risiken aus falschen Risikobewertungen Sie haben es aber auch schwer, weil staatliche Ebenen auf sich zukommen sahen. Diese Sorgen muss man ernst diese Einrichtungen mit immer mehr Bürokratie belasten nehmen, und das haben wir auch getan. und überfrachten. Die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (Beifall des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) sind Institutionen mit einer langen Tradition. Sie die- nen einem sozialen Zweck und werden zum Wohle der An dieser Stelle ist es wichtig, zu betonen, dass diese Angestellten von den Tarifpartnern gesteuert. Sie unter- Regierung es versäumt hat, hier Freiräume für die na- scheiden sich damit fundamental von gewinnmaximie- tionalen Versorgungseinrichtungen zu schaffen. Mit der renden Finanzkonzernen. Sie sind weder börsennotiert, Umsetzung der EbAVs-Richtlinie wird dafür gesorgt, noch haben sie Gewinnabführungsverträge, noch zahlen dass die betrieblichen Altersversorgungseinrichtungen sie große Managerboni. Es ist also richtig, dass wir mit in Deutschland zusätzlich mit Bürokratie überfrachtet dem vorliegenden Gesetzentwurf nur eine europäische werden; denn hier wird eine Vollharmonisierung durch Mindestharmonisierung anstreben. Wir haben damit ei- die Hintertür betrieben, die dazu führen wird, dass die 7880 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Frank Schäffler (A) deutschen betrieblichen Altersversorgungseinrichtungen zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf (C) künftig noch stärker mit Bürokratie belastet werden. zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist dieser Gesetzent- (Beifall bei der FDP) wurf mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bünd- Sie haben es als Regierung versäumt, in diesem Ge- nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP- und der setzentwurf die notwendigen Bremsen einzurichten. Wir AfD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke an- haben im Gesetzgebungsverfahren versucht, die Beden- genommen. ken, die die Branche geäußert hat, mit aufzunehmen. Sie Dritte Beratung haben das schlicht ignoriert, und das ist eigentlich ein Skandal, auch für die Altersversorgungseinrichtungen in und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Deutschland. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die- (Beifall bei der FDP) ser Gesetzentwurf in der dritten Beratung und Schluss- Sie haben die Bedenken, die der Bundesrat formu- abstimmung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD liert hat, gänzlich ignoriert. Der Bundesrat hat in seiner und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Stellungnahme deutlich gemacht, dass nur 1,01 Prozent FDP-Fraktion und der Fraktion der AfD bei Enthaltung der Leitlinien, die die EIOPA, die Europäische Versi- der Fraktion Die Linke angenommen. cherungsaufsicht, erlässt, von der BaFin nicht umgesetzt Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag der werden. Die BaFin ist letztendlich ein Erfüllungsgehilfe Fraktion der FDP auf Drucksache 19/6166. dieses Bürokratiemonsters, und dafür tragen Sie die Ver- antwortung. (Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP] hebt Die Solvency-II-Verfahren mit über 5 000 Seiten einen Finger) Standards werden künftig sehr wahrscheinlich auch auf – Graf Lambsdorff, was bedeutet der Finger? die betrieblichen Altersversorgungseinrichtungen ange- wandt werden, und das wird dazu führen, dass die Kosten (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Meine dieser Einrichtungen weiter steigen, was am Ende zulas- Fraktion wird zustimmen!) ten der Versicherten geht, die dann sehr wahrscheinlich – Dazu brauchen Sie Ihren Finger? Wissen sie das nicht weniger an Rente beziehen werden. Deshalb ist das ein von alleine? Skandal. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Werbung an alle!) Lassen Sie mich mit meinem Kollegen Karlheinz Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag der Fraktion (B) Busen schließen, der gesagt hat: Das betrifft auch Ein- (D) richtungen wie das Warenhaus Lafayette und andere mit- der FDP? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? telständische Unternehmen in Deutschland, und deshalb (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ableh- sollten wir das alles möglichst verhindern. nung!) Vielen Dank. – Sie müssen sich jetzt schon entscheiden. Die Hälfte Ih- (Beifall bei der FDP) rer Fraktion hat sich gerade enthalten. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Sie ha- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ben keinen Daumen da drüben!) Vielen Dank, Herr Kollege Schäffler. – Die Kollegen Ich wiederhole die Abstimmung. Wer stimmt für die- Matthias W. Birkwald, Die Linke, Dr. Gerhard Schick, sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen, und Sebastian Brehm, CDU/ Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Entschließungs- CSU, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) antrag mit den Stimmen der FDP- und der AfD-Fraktion (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- gegen die Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Grünen und Linken abgelehnt. sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Ihnen gebührt mein besonderer Dank. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Ich schließe damit die Aussprache. richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset- Jan Korte, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter zung der Richtlinie (EU) 2016/2341 des Europäischen und der Fraktion DIE LINKE Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrich- Einführung eines Rudi-Dutschke-Stipendi- tungen der betrieblichen Altersversorgung. Der Finanz- ums für kritische Sozialwissenschaften ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6135, den Gesetzentwurf der Bundes- Drucksachen 19/2591, 19/6170 regierung auf Drucksachen 19/4673 und 19/5418 an- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- 1) Anlage 15 nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7881

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- die völlig unterschlägt, dass von der 68er-Studentenbe- (C) ner nicht der Kollegin Yvonne Magwas, CDU/CSU-Frak- wegung ein direkter Weg zum Terror und zu den Morden tion, das Wort – weil sie ihre Rede zu Protokoll gegeben der RAF führt. hat –,1) (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Und es ist natürlich auch historisch falsch, den Studen- tenführer und Möchtegernrevolutionär Rudi Dutschke sondern dem Kollegen Dr. Marc Jongen, AfD-Fraktion. als eine Art sanften Friedensengel darzustellen. (Beifall bei der AfD) (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Jetzt ha- ben Sie es uns aber gegeben!) Dr. Marc Jongen (AfD): Dutschke setzte sich immer für die deutsche Einheit Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Zu sehr ein; das ist ihm immerhin zugutezuhalten. später Stunde beraten wir heute über einen feuchten (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Genau der Traum der Linken. gleiche Text wie im Ausschuss!) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Wie hielt er es aber mit der Gewalt? Originalton GRÜNEN]: Das ist so unterirdisch!) ­Dutschke – ich zitiere –: Ihr Antrag will den langen Marsch durch die Institutionen, Die volle Identifikation mit der Notwendigkeit des den die Sozial- und Kulturrevolutionäre des Jahres 1968 revolutionären Terrorismus … in der Dritten Welt begonnen haben, mit einem Rudi-Dutschke-Stipendium ist unerlässliche Bedingung für die Entwicklung der für kritische Sozialwissenschaften krönen, gewisserma- Formen des Widerstandes bei uns, die im Wesentli- ßen symbolisch besiegeln. Es wäre natürlich der ultima- chen gewaltsamen Charakter tragen. tive Triumph der Kulturrevolution von 68, wenn sie das von ihr so bezeichnete „Schweinesystem“ dazu bringen (Jürgen Braun [AfD]: Pfui!) könnte, ein Stipendium zu stiften, das nach jemandem benannt ist, der diesen Staat und seine Institutionen, die Abmildernd fügt er noch hinzu: er faschistisch nannte, zerstören wollte. Aber ohne diesen schlimmen Aspekt des Hasses und (Beifall bei der AfD) des revolutionären Terrors. (Katrin Werner [DIE LINKE]: Mit Hass ken- (B) Den Staat zu zwingen, seine Verächter zu prämieren – (D) nen Sie sich ja aus! – Michel Brandt [DIE Deutschland schafft sich intellektuell ab –: Das ist die LINKE]: Hätten Sie mal bloß zu Protokoll wahre Absicht Ihres Antrags. Diesen Gipfel von Staats- gegeben!) verhöhnung werden wir Ihnen aber nicht durchgehen las- sen, werte Genossen. Ein Terrorismus der Liebe schwebte ihm vielleicht vor; man kennt das ja von den Linken. DDR-Stasichef (Beifall bei der AfD – Lachen bei der LIN- Erich Mielke liebte doch bekanntlich auch alle Men- KEN) schen, nicht wahr? Als im Mai 1968 Geborener rätsele ich ja immer noch (Beifall bei der AfD) über den Sinn dieses symbolisch aufgeladenen Geburts- datums. Ich glaube, er liegt in einem Auftrag zur Konter- Zu diesem Gewaltbekenntnis passt, dass Dutschke am revolution. Grab des RAF-Terroristen Holger Meins mit erhobener Faust ausrief: Holger, der Kampf geht weiter! – Das ist (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Katja das, was Jürgen Habermas zu Recht „Linksfaschismus“ Kipping [DIE LINKE]: Oijoijoi!) genannt hat, meine Damen und Herren. Der Antrag der Linken singt ein Loblied der 68er-Be- (Beifall bei der AfD) wegung und tut so, als hätte es der „Ho, Ho, Ho Chi Minh“ brüllenden Studenten bedurft, um gesellschaftli- Vor diesem linksfaschistischen Hintergrund will das che Modernisierung und Demokratisierung in der Bun- Dutschke-Stipendium – ich zitiere – „Studierende und desrepublik Deutschland einzuführen. Promovierende dabei unterstützen, durch ihr wissen- schaftliches Arbeiten und ihr gesellschaftliches Engage- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Durch Sie kam ment positive Beiträge gegen alle Formen des Chau- sicherlich nichts zustande! Das ist schon mal vinismus, von Unterdrückung und Ausbeutung sowie sicher!) ideologischer und gesellschaftlicher Ausgrenzung und Abschottung zu leisten“. Das ist eine dreiste Geschichtsklitterung, (Michel Brandt [DIE LINKE]: Das klingt (Lachen bei der LINKEN – Nicole Gohlke gut! Da stimme ich zu!) [DIE LINKE]: Damit kennen Sie sich aus!) Mit anderen Worten: Es soll staatlich finanzierte Prämien 1) Anlage 16 für politisch korrekte Elaborate im linksradikalen Sinn 7882 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Dr. Marc Jongen (A) geben, die die gute Gesinnung im Kampf gegen rechts an Dr. Marc Jongen (AfD): (C) den Tag legen – – ich komme zum Schluss – und lassen sich als nütz- liche Idioten einspannen, die die Kulturrevolution von (Beifall bei der AfD – Dr. Kirsten Tackmann 1968 vollenden. [DIE LINKE]: Jawohl!) (Beifall bei der AfD) wobei für die Linke schon alles rechts ist, was in der ver- nünftigen bürgerlichen Mitte steht. Mit dem Auftreten der AfD hat die Demaskierung der Linken und ihrer hohlen Phrasen begonnen. (Widerspruch bei der LINKEN) (Das Mikrofon wird abgeschaltet) Und Sie bemühen sich hier nicht einmal, Ihre wah- ren ideologischen Absichten durch den Verweis etwa auf

wissenschaftliche Qualitätskriterien zu verschleiern. Sie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: stellen sie ganz offen zur Schau. Es ist nur folgerichtig, Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzo- dass das Stipendium für kritische Sozialwissenschaften gen, weil Sie meiner Aufforderung, zum Schluss zu kom- vergeben wird, eine Disziplin, der die ideologische Kon- men, nicht Folge geleistet haben. taminierung schon im Titel eingeschrieben ist. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der AfD – Lachen bei der LIN- KEN) Dr. Marc Jongen (AfD): Objektive Maßstäbe für Kritik gibt es nicht. Kritik Wir lehnen diesen Antrag selbstredend ab. ist immer abhängig von einer vorgängigen Werteorien- (Beifall bei der AfD) tierung. Und wie die in Ihrem Falle aussieht, lernt man am besten von Herbert Marcuse, dem geistigen Ziehva- ter von Rudi Dutschke und Protagonisten der kritischen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Theorie. Als Nächster spricht zu uns der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann. Nach Marcuse bedeutet „befreiende Toleranz“ in schöner Offenheit „Intoleranz gegenüber Bewegungen (Beifall bei der SPD) von rechts … und Duldung von Bewegungen von links“. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): (Michel Brandt [DIE LINKE]: Ja, selbstver- (B) ständlich! Was denn sonst?) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Er- (D) lauben Sie nach diesem abgründigen Beitrag drei Gedan- Die parteiische Toleranz verlange – Zitat –, „dass Grup- ken an Rudi Dutschke. pen und Bewegungen die Rede- und Versammlungsfrei- (Lachen des Abg. Jürgen Braun [AfD]) heit entzogen wird, die eine aggressive Politik, Aufrüs- tung, Chauvinismus und Diskriminierung aus rassischen Der erste Gedanke bezieht sich auf unseren Umgang und religiösen Gründen befürworten oder sich der Aus- mit dem, was 1968/69 in Deutschland und in der Welt weitung öffentlicher Dienste, sozialer Sicherheit, medizi- passiert ist. Das war im Wesentlichen – um das auf den nischer Fürsorge usw. widersetzen“. Punkt zu bringen –, dass die Unkultur des Gehorsams ge- brochen wurde. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ich glaube, es reicht jetzt bei Ihnen, oder?) (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Ein Anhänger von Dik- Kritik an der Massenmigration, am Islam oder am aus- tatur war er!) ufernden Sozialstaat wäre demnach verboten, meine Da- men und Herren. Dies hat zu wichtigen Impulsen für Frieden, Gerech- tigkeit und Umweltvorsorge geführt. Das hat auch zu Der Antrag der Linken atmet diesen zutiefst antilibe- Partizipation, Weltverantwortung und Menschlichkeit ralen, latent totalitären Geist, beigetragen. Gretchen Dutschke, die sich in ihrem 2018 erschienen Buch „1968: Worauf wir stolz sein dürfen“ an (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Liberal! Als damals erinnert, verschweigt nicht – weil sie nicht dog- ob Sie sich damit auskennen würden!) matisch verblendet ist –, nur dass seit dem Scheitern der 68er-Revolution mit ih- (Jürgen Braun [AfD]: Sie ist ein linker Revi- ren terroristischen Ausläufern und seit dem Ende des real sionist!) existierenden Sozialismus Die Linke von revolutionärer Rhetorik auf einen pseudostaatstragenden Diskurs umge- was damals durch autoritätsgläubiges Sektierertum, an- stellt hat. Leider sind ihr viel zu viele Bürgerliche dabei maßendes Auftreten und auch durch Gewalt geschehen auf den Leim gegangen – ist und was das Bild der 68er so gestaltet hat, dass wir keinen Grund haben, es auf einen Sockel zu stellen, auch nicht auf den Sockel eines Stipendiums. Wir haben viel- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mehr zu diskutieren, zu reflektieren und zu bewerten, Bitte kommen Sie zum Schluss. was dort als neue Kultur in der Folge von freiem Denken Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7883

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) und der Suche nach Freiheit und Glück entstanden ist. Auch das ist eine Antwort auf die Forderung nach einem (C) Das ist der erste Gedanke. Staatsstipendium. (Beifall bei der SPD) (Das Mikrofon wird abgeschaltet)

Der zweite Gedanke. Lernunfähigkeit und Egozentrik Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gibt es auf Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Frau von Storch, ich fand Ihre Bemerkung – – Herr AfD, nicht zu knapp. Das hat es bei Rudi Dutschke nicht Kollege Rossmann, Sie hört keiner mehr. Ich habe Ihnen gegeben. gerade das Wort entzogen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Jürgen Braun [AfD]) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Das war der dritte Gedanke zu Dutschke. Bei Rudi Dutschke hat es Irrtümer gegeben. Es hat bei Rudi Dutschke eine Weiterentwicklung im Denken ge- Danke schön. geben. (Beifall bei der SPD) (Jürgen Braun [AfD]: Wer soll Sie noch ernst nehmen?) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Der Kollege Dr. Jens Brandenburg hat seine Rede zu Es hat bei Rudi Dutschke auch eine andere Wahrneh- Protokoll gegeben, wofür wir ihm danken.1) mung gegeben – die Grünen wissen das seit ihrem Bre- mer Parteitag – und ein erneutes Heranrobben an Basis- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP demokratie als Ausdruck eines anderen Verständnisses und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von Parlamentarismus. Auch dies haben wir zu bewerten, Die Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke, ist genauso wie die Tatsache, dass sich Rudi Dutschke si- die nächste Rednerin. cherlich nicht – weil er sich als Teil einer Bewegung der Gleichgesinnten sah – Anfechtungen wegen Heldenver- (Beifall bei der LINKEN) ehrung oder Egozentrik ausgesetzt sah. Sein großer Bio- graf hat in seinem Buch „Rudi Dutschke“ zum Schluss Nicole Gohlke (DIE LINKE): geschrieben: „Rudi Dutschke lebt hier nicht mehr – Ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gen unbefugte Vereinnahmungen“. Auch dies ein Gedan- politische Bewegung des Jahres 1968 hat einen Prozess ke zu Rudi Dutschke. der politischen und kulturellen Erneuerung in Gang ge- (B) (D) (Beifall bei der SPD) setzt, von dem unsere Gesellschaft bis heute profitiert. (Beifall bei der LINKEN) Der dritte Gedanke betrifft die Wissenschaft. Was die damalige Bewegung in die deutsche Diskussion einge- Vieles, was uns heute ganz selbstverständlich erscheint, bracht hat, war auch Ausdruck eines anderen Wissen- wurde durch die 68er und die Folgezeit erkämpft und schaftsverständnisses. Es war emanzipatorisch und kri- erstritten. Es ist höchste Zeit, dass auch der Deutsche tisch gerade im Hinblick auf die Sozialwissenschaften. Bundestag diesen gesellschaftlichen Fortschritt und Es hinterfragte Interessen, stellte vermeintliche Objek- den Einsatz der 68er-Generation für Emanzipation und tivität infrage und stellte sich dem wissenschaftlichen Selbstbestimmung würdigt. Streit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Vizepräsident Wolfgang Kubicki: GRÜNEN) Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. Zum Beispiel die Auflehnung gegen die rückwärts- gewandte Epoche der Nachkriegszeit. Die Revolte von Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): 1968 richtete sich gegen die unsägliche Haltung, einfach einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der Gräuel Es war ein gutes Streben nach Wissenschaft in Wahr- der Nazizeit zu ziehen, und legte die Kontinuitäten in der heit und Wahrhaftigkeit. Es war ein Streben danach, Gesellschaft im Hinblick auf die NS-Diktatur offen, wie Wissenschaft kritisch, plural und wertegebunden zu be- sie gerade in der Professorenschaft und im Beamtenap- treiben. Aber es gab nicht die Vorstellung, – parat bestanden haben. Der Kampf für Frauenrechte und Gleichberechtigung wurde durch die 68er zu einem dau- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: erhaften politischen Thema. Herr Kollege, noch einen Satz. (Beifall bei der LINKEN) Seit 1977 brauchen Ehefrauen nicht mehr das Einver- Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): ständnis ihres Mannes, um arbeiten zu gehen, und sind – dass der Wissenschaft diese Qualitäten staatlich ver- nicht mehr gesetzlich verpflichtet, den Haushalt zu füh- ordnet werden sollten. ren. Das war nämlich bis dahin die geltende Gesetzesla-

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) 1) Anlage 16 7884 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Nicole Gohlke (A) ge in der Bundesrepublik. 1997 wurde endlich die Ver- Lassen Sie uns der Generation von 1968 Respekt zollen, (C) gewaltigung in der Ehe zu einem Straftatbestand, nach indem wir den kritischen Geist fördern an den Hochschu- Kämpfen, die in den frühen 70er-Jahren angefangen ha- len und in der Gesellschaft. ben. Dafür gebührt ihnen unser Respekt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) GRÜNEN) Die Liste der politischen Erfolge geht weiter. Weil Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sich die 68er für antiautoritäre Erziehungsstile eingesetzt Vielen Dank, Frau Kollegin Gohlke. – Euphorische haben, wurde 1973 endlich die Prügelstrafe abgeschafft. Zustimmung bei der Linken, wie es nicht anders zu er- warten war. (Beifall bei der LINKEN) Wegen der Umweltbewegung existiert heute das Wis- Der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, sen – natürlich mit Ausnahme am rechten Rand des Hau- die Kollegin Katrin Staffler, CDU/CSU-Fraktion, und der Kollege Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion, haben ses –, dass der Klimawandel nicht einfach ein Naturer- 1) eignis ist. Weil die damalige Generation den Mut hatte, ihre Reden zu Protokoll gegeben. sich mitten im Kalten Krieg für Abrüstung einzusetzen, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem gibt es bis heute in der Gesellschaft eine klare Haltung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gegen Krieg, gegen Auslandseinsätze und gegen Rüs- tungsexporte. Für diese Haltung und für dieses Bewusst- Damit ist die Aussprache geschlossen. sein sollten wir dankbar sein. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- (Beifall bei der LINKEN) empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Es wird Zeit, dass der Deutsche Bundestag die Errun- Fraktion Die Linke mit dem Titel „Einführung eines genschaften der 68er-Generation ehrt. Deswegen bean- Rudi-­Dutschke-Stipendiums für kritische Sozialwissen- tragt Die Linke, ein Rudi-Dutschke-Stipendium einzu- schaften“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- richten, mit dem Studierende der Sozialwissenschaften empfehlung auf Drucksache 19/6170, den Antrag der gefördert werden, die emanzipatorische und kritische Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/2591 abzuleh- Theorieansätze verfolgen. nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer (Zuruf von der AfD: Genderoffenbarung!) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist bei Ent- (B) haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und den (D) Es sind nämlich vor allem die kritischen Ansätze und die Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen kritischen Studiengänge gewesen, die unter dem neolibe- der anderen Fraktionen des Hauses diese Beschlussemp- ralen Umbau der Hochschulen und unter der Fixierung fehlung angenommen. auf Wettbewerbsfähigkeit und Vermarktung zu leiden hatten. Das ist wirklich eine beängstigende Entwicklung; Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: denn auf die großen gesellschaftlichen Herausforderun- gen unserer Zeit braucht es ein Mehr an kritischem Geist. Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Es braucht die Förderung des Geistes und der Sozialwis- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes senschaften. zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen (Beifall bei der LINKEN) gleichen Geschlechts Wir schlagen vor, für das Rudi-Dutschke-Stipendium Drucksachen 19/4670, 19/5413, 19/5647 Nr. 11 die Mittel des Deutschlandstipendiums umzuwidmen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- CDU/CSU) schuss) Denn nach acht erfolglosen Jahren Deutschlandstipendi- um wollen wir die Mittel endlich sinnvoll einsetzen, und Drucksache 19/6137 zwar zur Förderung des kritischen Denkens. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der LINKEN) die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Denn eines ist doch klar: Eine Demokratie, die nicht nur einfach marktkonform sein will, sondern auch wider- Ich eröffne die Aussprache und erteile nicht dem Kol- standsfähig sein will, wenn rechte Hetzer die Beschrän- legen Dr. Karl-Heinz Brunner von der SPD-Fraktion das kung von Demokratie und Vielfältigkeit fordern, braucht Wort – er hat seine Rede zu Protokoll2) gegeben –, Kritik und Reflexion. Nur Methodenvielfalt sichert echte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Erkenntnisse der gesellschaftlichen Verhältnisse. Gesell- der CDU/CSU) schaftlicher Fortschritt ist nur möglich, wo das Bestehen- de auch hinterfragt wird. 1) Anlage 16 (Beifall bei der LINKEN) 2) Anlage 17 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7885

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) sondern dem Kollegen Thomas Ehrhorn, AfD-Fraktion. stand unserer Nation sichern, und wenn Herr Kahrs dann (C) sagt, das sei Unsinn, dann bleibt mir nur der eine Rat: (Beifall bei der AfD) Herr Kahrs, schließen Sie sich doch einmal am nächsten Wochenende mit Ihrem Mann im Schlafzimmer ein, und Thomas Ehrhorn (AfD): versuchen Sie, neues Leben zu zeugen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frak- (Lachen der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE tion der AfD lehnt – das wissen Sie – die Ehe für alle LINKE]) und alle damit verbundenen Gesetzesanpassungen ab. Die Begründung ist denkbar einfach. Da sie aber vom Wenn Ihnen das gelungen ist, dann lassen Sie es mich Kollegen Kahrs und von anderen nicht verstanden wur- wissen. de, erkläre ich es gerne noch einmal. (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: Was für ein Blödsinn! – Widerspruch bei der Es ist einfach gestrickt! Das ist der Unter- CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) schied!) Ich werde dann öffentlich alles zurücknehmen, was ich je Was habe ich in meiner letzten Rede dazu gesagt? Ich zu diesem Thema gesagt habe. habe davon gesprochen, dass die Väter unseres Grundge- (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: setzes im Gegensatz zu Linken- und Grünen-Politikern Das ist ihren eigenen Leuten peinlich!) den Fortbestand unserer Nation nicht nur für etwas Er- strebenswertes, sondern für ein herausragendes Staats- Ich ahne allerdings, dass bei diesem Versuch nicht sehr ziel gehalten haben. Ich habe davon gesprochen, dass viel herauskommen wird. die Voraussetzung für den Fortbestand einer Nation eine ausreichende Zahl von Nachkommen ist, Nachkommen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die wie wir wissen, nur aus der Verbindung von Mann und Frau hervorgehen. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

(Beifall bei der AfD) Thomas Ehrhorn (AfD): Ich habe versucht, verständlich zu machen, dass dies Vielen Dank. der Grund dafür ist, dass nicht die Ehe zwischen irgend- (Beifall bei der AfD – Dr. Jens Brandenburg wem, sondern die Ehe zwischen Mann und Frau eine be- [Rhein-Neckar] [FDP]: Da schämen sich die sondere Bedeutung hat, woraus sich staatliche Förderung eigenen Leute!) (B) und besondere Rechte ableiten lassen. Ich habe aber auch (D) unmissverständlich klargemacht, dass es niemanden, aber wirklich niemanden gibt, der Anstoß daran nimmt, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wenn schwule oder lesbische Paare ein anderes Lebens- Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie einfach modell bevorzugen, das aber gleiche Rechte nur derjeni- zur Ruhe. Auch die AfD muss zur Kenntnis nehmen, dass ge einfordern kann, der auch die gleichen Leistungen für die Ehe für alle Gesetz ist. Wir sind es doch gewohnt, uns die Gesellschaft erbringt. an Gesetze zu halten. (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Was genau meinen Sie mit „Leistungen“? – wie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Beleidigen Sie nicht die Kinderlosen!) Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Axel Müller, CDU/CSU-Fraktion. An dieser Stelle kam dann der Zwischenruf von Herrn (Beifall bei der CDU/CSU) Kahrs, das alles sei rechtsradikaler Unsinn. Da Herr Kahrs solche Begrifflichkeiten schon häufiger in dieser unreflektierten Weise verwendet hat, lautet meine Ant- Axel Müller (CDU/CSU): wort wie folgt: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Eigentlich sollte diese Rede zu Protokoll gegeben Erstens. Wenn man einer Partei angehört, deren Mit- werden. Aber nach dem, was Sie gerade gebracht haben, glieder teilweise offen mit der linksradikalen Antifa oder Herr Ehrhorn, geht das einfach nicht. der Interventionistischen Linken zusammenarbeiten, ei- ner Organisation, die zu Recht vom Verfassungsschutz (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der beobachtet wird, sollte man mit Begriffen wie „radikal“ FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nicht ganz so inflationär umgehen. Der Verfassungs- SES 90/DIE GRÜNEN) schutz könnte nämlich jederzeit auf die Idee kommen, sich diese Verflechtungen etwas näher anzusehen, was Ich habe schon einmal zu diesem Thema nach Ihnen ge- im Übrigen längst fällig wäre. sprochen, und ich habe Ihnen schon damals ins Stamm- buch schreiben lassen, dass das Fass, das Sie heute wie- (Beifall bei der AfD) der aufmachen, zu ist. Aber Sie verstehen es nicht und akzeptieren eine demokratische Beschlusslage nicht. Zweitens. Wenn ich sage, dass die Ehe zwischen Mann und Frau deshalb den Status des Besonderen hat, weil (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nur aus ihr die Nachkommen entstehen, die den Fortbe- der SPD) 7886 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Axel Müller (A) Gleich ob man für oder gegen die Ehe für alle ist: Dieses Ich komme auf die Ehe für alle und auf den von mir (C) Parlament hat mehrheitlich beschlossen, ab 1. Oktober genannten Wermutstropfen zurück. Es gibt also Le- 2017 die Ehe für alle einzuführen. benspartnerschaften, die vor dem 1. Januar 2005 ge- schlossen wurden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zu- ruf von der AfD: Das ist doch nicht in Stein (Zurufe von der AfD und der LINKEN) gemeißelt!) Damals galten nicht alle Regelungen des Lebenspartner- Dem haben Sie sich unterzuordnen, auch wenn Ihnen das schaftsgesetzes. schwerfällt. Sie, die Sie das ganze Jahr von Disziplin und (Jürgen Braun [AfD]: Untertanengeist des Ob- Ordnung sprechen, sind offenbar nicht in der Lage, de- rigkeitsstaates! – Weitere Zurufe von der AfD mokratische Spielregeln zu akzeptieren. und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, – Mein Großvater war im KZ, und er hat mir eines mit- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE gegeben: Wenn solche Kräfte wieder in ein Parlament GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Akzeptieren einziehen, verteidige die Demokratie mit allem, was du Sie doch mal, dass es eine andere Meinung hast, notfalls mit deinem Leben! gibt, Herr Müller! So einfach ist das!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Neben zahlreichen, im Wesentlichen nur redaktionel- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE len Anpassungen im Abgabenrecht, im Steuerrecht und GRÜNEN – Abgeordnete von CDU/CSU, im Strafrecht sowie im Gesetz über die freiwillige Ge- SPD, FDP, der LINKEN und BÜNDNIS 90/ richtsbarkeit sieht nunmehr das Bürgerliche Gesetzbuch DIE GRÜNEN erheben sich – Lachen bei Ab- die notwendigen redaktionellen Änderungen vor, die aus geordneten der AfD) dem Beschluss vom 1. Oktober 2017 hervorgegangen sind. Zurück zu dem genannten Wermutstropfen. Die vor dem 1. Januar 2005 geschlossenen Lebenspartnerschaf- (Jürgen Braun [AfD]: Sie sind der Mann des ten mussten optieren. Es galten nicht alle Regelungen der Obrigkeitsstaates! Das merkt man! Kein ei- Ehe. genständiges Denken!) (Jürgen Braun [AfD]: Untertäniger Blöd- Das betrifft im Wesentlichen zwei Punkte: Das Gesetz sinn!) zielt auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ab. Die- se zwei Punkte werden erreicht, insbesondere durch Leider Gottes werden die Regelungen nun automatisch eine Novellierung des Lebenspartnerschaftsgesetzes. auch für diese Lebenspartnerschaften in Kraft gesetzt, (B) Im Lebenspartnerschaftsgesetz betrifft das die zentra- ohne dass ein entsprechender Hinweis ergangen ist. Aber (D) len Normen in § 20a und im ehemaligen § 21. Hier ist das kann man in der Praxis über die Standesämter in den eine Generalklausel verfasst, die vorsieht, dass alle Le- Griff bekommen. benspartnerschaftsverträge im Falle einer Änderung der Insgesamt wird dieses Gesetz dazu beitragen, dass Lebenspartnerschaft in eine Ehe weiterhin Gültigkeit ha- nunmehr endgültig Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ben. Die Notare werden das nicht so sehr begrüßen, weil bei denen entsteht, die eine Lebenspartnerschaft haben die Lebenspartnerschaftsverträge nunmehr nicht mehr und nun eine Ehe miteinander eingehen. neu notariell beurkundet werden müssen. Die Rechts- wirkung geschieht ex tunc, also von Anfang an, rückwir- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und kend zum Zeitpunkt des Abschlusses des Lebenspartner- der SPD) schaftsvertrages. Von daher verdient der vorliegende Gesetzentwurf un- Der einzige Wermutstropfen, den die gesetzliche No- sere Zustimmung und Ihre völkischen Gedanken unsere velle enthält – das will ich nicht verschweigen –, betrifft Ablehnung. Lebenspartnerschaften, die vor dem 1. Januar 2005 ge- Danke schön. schlossen wurden. Zu diesem Zeitpunkt galten viele Normen, die die Lebenspartnerschaft einer Ehe rechtlich (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, gleichstellen, noch nicht. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Jürgen Braun [AfD]: Axel Müller, auch ge- nannt „Der Untertan“! – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Müller. – Es ist doch schön, dass – Den Film „Der Untertan“ habe ich mir vorher ange- um diese Tageszeit die Diskussion noch so lebhaft ist. guckt, aber eher mit Blick auf meine morgige Rede. Da werden Sie noch etwas vom „Untertan“ hören, mit Ihrem Der Kollege Dr. Jens Brandenburg, FDP-Fraktion, hat ewigen Nationalismus, mit dem Sie meinen dieses Land seine Rede zu Protokoll gegeben, wofür ich ihm beson- als Geisel nehmen zu können. ders danke.1) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- FDP) wie bei Abgeordneten der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Meinungsfreiheit!) 1) Anlage 17 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7887

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Die Kollegin Doris Achelwilm von der Fraktion Die tatsächlich gerecht und diskriminierungsfrei ausgestaltet (C) Linke hat jetzt das Wort. Meinen herzlichen Glück- wird. Auch die Grundrechte von Personen, die „inter“, wunsch zu Ihrem heutigen Geburtstag! „divers“ und „nicht-binär“ sind, müssen gewahrt werden. (Beifall) In diesem Sinne gilt es, weiter dafür einzutreten, dass wir in den nächsten Jahren neue Schritte nach vorne ma- chen, statt in alte Geschlechter- oder Familienordnungs- Doris Achelwilm (DIE LINKE): muster zurückzufallen. Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 25 Jahre lang wurde hier im Hause und in wei- Vielen Dank allerseits und noch einen schönen Abend. ten Teilen der Gesellschaft diskutiert, ob das Rechtsinsti- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- tut der Ehe ausschließlich für Mann und Frau vorgesehen NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- sein soll. Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Part- ten der SPD) nerschaften leben, hatten keine Wahl, einander zu hei- raten oder nicht. Ganz besonders hart haben gesetzliche Regelungen bis in das Jahr 2008 Ehen getroffen, in denen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: eine Person eine Transition nach dem sogenannten Trans- Vielen Dank, Frau Kollegin Achelwilm. – Die Kolle- sexuellengesetz durchlaufen hat. Hier verlangten unsere gin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, und Dr. Silke Vorgängerinnen und Vorgänger in der Gesetzgebung – Launert, CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Reden zu Pro- weil sie keinesfalls Ehen in einer gleichgeschlechtlichen tokoll gegeben1), sodass die Aussprache beendet ist. Kombination akzeptieren wollten –, dass die Ehe vor (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Änderung des Geschlechtseintrages aufgehoben wurde. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Glück stehen wir heute woanders. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Da sich die Situation grundlegend ändert, war das über- Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts. Der fällig und ein Erfolg vorausgegangener Kämpfe. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6137, Die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- 2001 gehörte als Zwischenstufe dazu. Trotzdem müssen wir sachen 19/4670 und 19/5413 in der Ausschussfassung noch 2018 erleben, dass Mitglieder des Bundestages und anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- leider auch der Regierung Vorurteile gegenüber schwulen, wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um (B) lesbischen, bisexuellen und transgeschlechtlichen Men- das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält (D) schen schüren und auf eine Art und Weise fortsetzen, die sich? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit teilweise auf eine Verschlimmerung der Situation hinweist. den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grü- Angesichts dessen, was wir auf diesem Politikfeld in sehr nen und FDP gegen die Stimmen der AfD bei Enthaltung maßvollem Tempo nach vorne gebracht haben, ist eine sol- der Fraktion Die Linke angenommen. che Realitätsverweigerung überaus ärgerlich, und wir wer- den sie mit allen Kräften zurückweisen. Dritte Beratung (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem neten der SPD und der Abg. Ulle Schauws Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) genstimmen? – Wer enthält sich? – In dieser Debatte behandeln wir einen Gesetzentwurf, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der rechtliche Ergänzungen oder Anpassungen im Zuge NEN], an die AfD gewandt: Ihr müsst mal der Eheöffnung vornimmt, es geht also um das Klein- ganz still sein! – Gegenruf des Abg. Karsten gedruckte zur Ehe für alle. Es ist gut, dass wir an dieser Hilse [AfD]: Warum soll ich still sein? – Zu- Stelle stehen, dass wir so weit sind. Gleichzeitig ist die- rufe von der CDU/CSU und der FDP: Wo ist ses Gesetz natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Frau Weidel?) Wir wollen grundsätzlich inhaltlich und auch jenseits der Dann ist auch die Schlussabstimmung mit den Stimmen formalen Ebene, dass Elternschaft in gleichgeschlecht- von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP lichen Ehen rechtlich voll anerkannt wird. Mit der Ein- erfolgreich gewesen gegen die Stimmen der AfD bei Ent- führung der Ehe für alle ist das noch nicht der Fall. Die haltung der Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist Diskriminierung lesbischer Elternschaft ist leider nach damit angenommen. wie vor gegeben. Lesbische Mütter müssen nach wie vor das Kind ihrer Ehefrau als Stiefkind adoptieren, statt au- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: tomatisch als Mutter oder Co-Mutter anerkannt zu wer- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- den. Hier könnte man aus unserer Sicht deutlich weiter regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- sein, zumal der Arbeitskreis Abstammungsrecht 2017 zes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten beim Justizministerium die sogenannte Mitmutterschaft auf Anwesenheit in der Verhandlung ausdrücklich begrüßt und befürwortet hat. Beim Thema Elternschaft wünschen wir uns außerdem, dass der Ge- Drucksache 19/4467 schlechtseintrag von Transelternteilen respektiert wird. Wir fordern, dass die Ehe für alle ihrem Namen „für alle“ 1) Anlage 17 7888 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C) ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- schuss) nen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Drucksache 19/6138 Ich eröffne die kurze Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Filiz Polat, Bündnis 90/Die Grünen. Dankenswerterweise haben alle Fraktionen erklärt, dass auf Redebeiträge verzichtet wird, weshalb wir direkt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung kommen.1) Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes Kollegen! In Deutschland leben über 4,5 Millionen Mus- zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesen- lime, viele davon sind deutsche Staatsbürgerinnen und heit in der Verhandlung. Der Ausschuss für Recht und Staatsbürger. Sie sind selbstverständlicher Teil unseres Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussemp- sozialen und kulturellen Miteinanders: in Vereinen, an fehlung auf Drucksache 19/6138, den Gesetzentwurf der Schulen und Universitäten, am Arbeitsplatz. Jahrzehn- Bundesregierung auf Drucksache 19/4467 anzunehmen. telang spielte sich das religiöse muslimische Leben in Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Deutschland oft erzwungenermaßen abseits der Öf- wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- fentlichkeit in Hinterhofmoscheen ab. Doch Muslime haltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Be- möchten gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben in ratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU, Deutschland teilhaben. AfD und SPD bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und der Freien Demokraten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Dritte Beratung LINKEN – Karsten Hilse [AfD]: Sagt nie- mand was dagegen!) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- Sie bringen sich aktiv ein, karitativ und seelsorgerisch, in genstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist die Schlussab- den Medien und in den Schulen. stimmung wie folgt ausgegangen: Mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD bei Enthaltung der Fraktion Für uns Grüne ist selbstverständlich: Alle Menschen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und FDP und ohne müssen unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und Gegenstimmen ist der Gesetzentwurf angenommen wor- Weltanschauung ihre Grundrechte und Teilhabemöglich- den. keiten gleichberechtigt wahrnehmen können. Dies ist (B) Anspruch unseres Grundgesetzes, und das gilt auch für (D) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 sowie Zusatz- Muslime, meine Damen und Herren. punkt 16 auf: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21. Beratung des Antrags der Abgeordneten Filiz sowie bei Abgeordneten der SPD) Polat, Dr. Konstantin von Notz, Kai Gehring, Das ist keine politische Forderung, sondern ein verfas- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- sungsrechtliches Gebot. Innenminister Seehofer forderte NIS 90/DIE GRÜNEN zum Auftakt der Deutschen Islam Konferenz, dass sich die muslimischen Dachverbände und Gemeinden von den Ausbildungsprogramme für Imame und isla- ausländischen Einflüssen lossagen müssten und dass sie mische Religionsbedienstete in Deutschland ihre Imame selbst ausbilden und unabhängig sein sollten. fördern Meine Damen und Herren, das predigen wir Grüne seit Drucksache 19/6102 Jahren und haben dazu bereits 2012 eine Roadmap vor- gelegt. Doch das Bundesministerium des Innern hat die Überweisungsvorschlag: Deutsche Islam Konferenz zu einer reinen Sicherheits- Ausschuss für Inneres und Heimat konferenz verkommen lassen. Es braucht einen Neustart ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beatrix mit konkreten und verbindlichen Zielen. von Storch, Dr. Gottfried Curio, Dr. Bernd (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baumann, weiterer Abgeordneter und der Frak- und bei der LINKEN) tion der AfD Meine Damen und Herren, die Imame spielen eine Selbstbestimmungsrecht religiöser Verbände, Schlüsselrolle in ihren Gemeinden. Doch bis heute ste- Vereine und Gemeinden sichern – Finanzie- hen wir bei der theologisch-akademischen Ausbildung rung durch auswärtige, autoritäre Regime von Imamen und islamischen Religionsbeamten und -be- unterbinden diensteten noch immer quasi bei null, und das nach zwölf Jahren Deutscher Islam Konferenz. Wer aber möchte, Drucksache 19/6059 dass in den deutschen Moscheen eine qualifizierte, den Überweisungsvorschlag: heterogenen und komplexen Anforderungen unserer Ausschuss für Inneres und Heimat Einwanderungsgesellschaft entsprechende Gemeindear- beit stattfinden soll, wer zu der Anwerbung von Imamen 1) Anlage 18 aus dem Ausland eine nachhaltige Alternative anbieten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7889

Filiz Polat (A) möchte und wer auch salafistischen Einflüsterern Geistli- gelische Kirche mit den saudischen Wahhabiten gleich. (C) che entgegenstellen möchte, die die Sprache, die Proble- Aber das ist ein anderes Problem. me und die kulturellen Codes muslimischer Jugendlicher in Deutschland kennen, muss sich endlich um verbindli- (Marianne Schieder [SPD]: Das ist eine Un- che Standards für eine universitäre und nachuniversitäre verschämtheit! – Ulli Nissen [SPD]: Sie sind Ausbildung von Imamen in Deutschland einsetzen. das Problem!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Finanzierung von Moscheen in Deutschland durch die Türkei und Saudi-Arabien ist keine freundliche Hilfe Einheitliche Ausbildungswege und Qualifizierungs- für brave Glaubensbrüder. Der Islam in seinen meisten standards existieren ebenso wenig wie konkrete Kon- Auslegungen hat einen politischen Herrschaftsanspruch, zepte für die langfristige Finanzierung des religiösen der nicht von unserer Religionsfreiheit gedeckt ist. Personals in den Gemeinden. Wir brauchen eine kon- krete Unterstützung von staatlicher Seite, wie das auch (Beifall bei der AfD) bei anderen Religionsgemeinschaften der Fall ist. Die Lösungen müssen im Dialog gefunden werden: mit den Die Finanzierung der Moscheen durch den türkischen Dachverbänden, mit den Gemeinden, mit den Hochschu- Diktator oder den saudischen Blutprinzen hat genau len und ja, auch mit Bund und Bundesländern. das Ziel, diesen politischen Herrschaftsanspruch auf Deutschland und Westeuropa auszudehnen. Unser vorliegender Antrag soll der Auftakt für eine konstruktive Debatte sein: für einen Islam, der vom Aus- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- land politisch und finanziell unabhängig ist, NEN]: Was für ein Quatsch!)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Ergebnis sieht nach Ruud Koopmans wie folgt für einen selbstbewussten und vielfältigen Islam, der in aus: 65 Prozent der Muslime in Westeuropa halten religi- Deutschland gelebt wird. Denn Rechte sind kein Ge- öse Regeln für wichtiger als staatliche Gesetze, schenk des Grundgesetzes, sondern Auftrag. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dass auf der gestrigen Deutschen Islam Konferenz NEN]: Wollen Sie den Leuten das Recht auf erstmals konkret über Fragen der Ausbildung und Ideen Religionsfreiheit aberkennen?) für eine verlässliche Finanzierung von Imamen gespro- chen worden ist, zeigt, dass wir Grünen mit unserem und 40 Prozent zählt Koopmans sogar zu den harten Fun- damentalisten. (B) Antrag genau richtig liegen, dass wir das richtige Thema (D) zum richtigen Zeitpunkt gesetzt haben. Ich bin daher gu- Welche Einstellungen Muslime nach Deutschland ten Mutes, dass wir für unseren grünen Antrag, anders mitbringen, zeigen die Ergebnisse der Befragungen des als sonst, in diesem Haus eine breite Mehrheit finden Pew Research Centers in 42 muslimischen Ländern. werden. Selbstmordattentate halten zum Beispiel in der Türkei Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 23 Prozent für legitim, und den Ehrenmord begrüßen in der Türkei 24 Prozent der Muslime; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Frau von Storch, Sie können doch Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nicht „Ehrenmord“ sagen! Es gibt keinen „Eh- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der Kollege Christoph renmord“! – Dr. Franziska Brantner [BÜND- de Vries, CDU/CSU-Fraktion, hat seine Rede zu Proto- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch keinen koll gegeben.1) Herzlichen Dank dafür. „Ehrenmord“!)

Nächste Rednerin: die Kollegin Beatrix von Storch, in Pakistan sind es 46 Prozent, in Ägypten 57 Prozent. AfD-Fraktion. Dieser Islam kommt mit den muslimischen Einwan- (Beifall bei der AfD) derern nach Deutschland, aber er wird eben auch mit der Finanzierung der Moscheen bei uns durch Saudi-Arabien Beatrix von Storch (AfD): oder die Türkei gefördert und radikalisiert – das betrifft gemäßigte Muslime hier bei uns. Eines gilt auch hier: Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Die Bundes- Wer das Orchester bezahlt, bestimmt die Musik. regierung ist sich mal wieder uneins: Jens Spahn hat gerade – wie die AfD – das Ende der Auslandsfinanzie- (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rung von Moscheen gefordert, und Hubertus Heil war am NEN]: So wie bei Ihnen! – Dr. Franziska Mittwoch in der Regierungsbefragung dagegen. Er sagte, Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer die Auslandszahlungen könnten nicht verboten werden, bezahlt denn bei Ihnen die Musik, Frau von weil ja auch die evangelische Kirche im Ausland Projek- Storch?) te betreibe. Ich stelle fest: Der Minister setzt die evan- Welche Musik in den Moscheen gespielt wird, hat 1) Anlage 19 unter anderem der Journalist Constantin Schreiber doku- 7890 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Beatrix von Storch (A) mentiert. In seinem Buch „Inside Islam“ zitiert er einen Die Muslime müssen ihr religiöses Leben in Deutschland (C) Verfassungsschutzexperten wie folgt: selbst bezahlen, aus ihrem eigenen Einkommen, wie an- dere Religionsgemeinschaften auch. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was ist denn mit dem Recht auf Reli- (Beifall bei der AfD – Zurufe vom BÜND- gionsfreiheit?) NIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man es wirklich ernstnimmt, was hier in den So einfach ist das. muslimischen Milieus gedacht wird und was sich in Broschüren und Predigten niederschlägt, dann Es ist nicht Aufgabe des deutschen Staates, den Mus- müsste man alle überwachen. limen die Reformen ihrer Religion mit Geld abzukaufen. (Beifall bei der AfD) (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wo kommt das Geld der AfD eigent- Bitte schön – das ist der Weg, das ist die Lösung für lich her?) das Problem. Wir müssen der Islamisierung in Deutsch- land den Stecker ziehen, Das wollen wir nicht, und das geht auch nicht. Es ist die Aufgabe des deutschen Staates, rote Linien zu zie- (Konstantin Kuhle [FDP]: Wir müssen Ih- hen. Moscheen, die gegen die freiheitlich-demokratische nen mal den Stecker ziehen! – Dr. Franziska Grundordnung agitieren, gehören geschlossen. Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen Ihren Stecker ziehen!) (Beifall bei der AfD) wir müssen die Radikalisierung stoppen, und wir müssen Wir wollen die Religionsfreiheit erhalten, die Isla- den Sumpf trockenlegen, indem wir die Islamisten finan- misierung zurückdrängen und die Radikalisierung der ziell austrocknen. Muslime in Deutschland durch autokratische Regime beenden. (Beifall bei der AfD) Ohne das Geld aus dem Nahen Osten bricht die Infra- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- struktur der Islamisten zusammen. NEN]: Wo kommt eigentlich das Geld der AfD her?) (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wo kommt das Geld der AfD her? – Das ist möglich, aber dazu ist die Auslandsfinanzierung Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Moscheen zu verbieten. NEN) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) Das Verbot der Auslandsfinanzierung der Moscheen ist NEN]: Auslandsfinanzierung! Damit kennen (D) der Schlüssel zu dieser Lösung. Österreich war im Üb- Sie sich aus! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: rigen schon 2015 so klug, die Geldströme aus dem Aus- Sie finanzieren sich doch selber aus dem Aus- land zu stoppen. land!) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank. GRÜNEN]: Damit kennen Sie sich ja aus! – (Beifall bei der AfD) Dr. Johannes Fechner [SPD]: Mit Geldströ- men aus dem Ausland kennen Sie sich ja aus!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich begrüße im Übrigen ausdrücklich, dass auch die Vielen Dank, Frau Kollegin von Storch. – Ich weiß Grünen in ihrem Antrag den Einsatz von islamischen Re- nicht, was in der letzten Reihe der Grünen gerade passiert ligionsbediensteten als Problem erkannt haben – immer- ist, Frau Künast. Aber ich glaube, als Schülerin haben Sie hin! Aber Ihre Antwort darauf ist natürlich falsch. häufiger Einträge ins Klassenbuch bekommen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Überhaupt nicht!) NEN]: Wir noch nie! – Britta Haßelmann Sie wollen das Geld von den Türken und von den Sau- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir dis durch deutsches Steuergeld ersetzen, und Sie wollen sind hier nicht im Klassenzimmer!) einen staatlich subventionierten Islam, weil Sie glauben, dass Sie mit deutschen Steuergeldern die Staatstreue der – Nie. Ich auch. Entspannen Sie sich ein bisschen. Muslime erkaufen können. Das ist blauäugig, das ist Der Kollege Professor Lars Castellucci hat seine Rede naiv, das ist gefährlich, und das wird natürlich am Ende zu Protokoll gegeben, was ich sehr gut finde.1) scheitern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD) der CDU/CSU) Wir wollen persönliche Glaubensfreiheit – Es spricht jetzt zu uns die Kollegin Linda Teuteberg, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- FDP-Fraktion. NEN]: Ein neues Grundrecht, oder was?) (Beifall bei der FDP) ohne das Staatsgeld von Erdogan, ohne das Ölgeld der Saudis und ohne das Geld des deutschen Steuerzahlers. 1) Anlage 19 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7891

(A) Linda Teuteberg (FDP): erledigt habe. Denn in der Sache will die neuaufgestellte (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Deutsche Islam Konferenz genau das leisten, und Kollegen! Für eine Liberale fühlt es sich im ersten Augenblick befremdlich an, über die Ausbildung von Ge- (Zuruf von der AfD: Die will gar nichts leis- meindevorstehern zu sprechen; denn die Ausbildung von ten!) Predigern, die Auswahl der Vorsteher ihrer Gemeinden was Sie fordern. ist zuerst und allein das Privileg der Gläubigen selbst, egal welcher Religion sie angehören. Es sitzen auch alle wichtigen Akteure mit am Tisch bis auf einen – und das ist das Parlament. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Der Blick auf die Realität zeigt uns allerdings auch, (Beifall bei der FDP) dass muslimische Gemeinden gerade diese Selbststän- Dass der Bundestag an dieser Debatte nicht teilnimmt, ist digkeit im Alltag zum Teil nicht haben, dass in einzelnen und bleibt ein Geburtsfehler dieser Konferenz. Moscheen Ideen und Vorstellungen gepredigt werden, die im Widerspruch zu den Werten unseres Grundge- (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der setzes stehen. Die Gründe dafür sind hinreichend be- Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/ kannt: die oft fehlenden finanziellen Mittel und daraus DIE GRÜNEN]) folgende Abhängigkeiten von ausländischen Geldgebern wie DITIB sowie der gleichzeitige Mangel an Imamen, Und dass die Grünen in ihrem Antrag diesen Dialog und die bei uns ausgebildet worden sind und aus der Mitte die Suche nach Lösungen allein an die Bundesregierung unserer Gesellschaft stammen. Darum ist es in diesem delegieren, Fall tatsächlich auch eine politische Frage, wie wir den muslimischen Gemeinden zu mehr Eigenständigkeit und (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unabhängigkeit verhelfen. Das stimmt ja gar nicht!) Bei der Suche nach Lösungen sind wir noch ganz am ist allerdings ein parlamentarisches Trauerspiel. Anfang. Das zeigen auch die heute zur Diskussion ste- henden Anträge. Der Antrag der AfD konzentriert sich (Beifall bei der FDP) zum Beispiel ganz einseitig darauf, ausländische Geld- Das Parlament, die Volksvertretung, muss an diesem ströme zu kappen. Dies ist ein grundsätzlich verständli- Gespräch, an der Suche nach Lösungen teilnehmen, sich ches Ansinnen, denkt man an unglückselige Einflussnah- daran beteiligen. Deshalb dürfen wir uns auch nicht da- men aus der Türkei oder Saudi-Arabien. (B) mit begnügen, die Bundesregierung zum Dialog aufzu- (D) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fordern; denn das Zusammenleben von Menschen und NEN]: Oder aus der Schweiz!) Religionen in unserem Land darf nicht ohne das Parla- ment, nicht ohne die Volksvertretung verhandelt werden. Aber es ist in der Sache weder praktikabel noch zielfüh- Deshalb stimmen wir der Überweisung des Antrages in rend. Denn die eigentliche Herausforderung, die auch nur den Innenausschuss zu. ansatzweise anzusprechen die AfD scheut wie der Teu- fel das Weihwasser, ist die Ausbildung von Imamen in Vielen Dank. Deutschland und damit im weiteren Sinne auch die Ent- wicklung eines deutschen Islam – (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: institutionell, aber auch inhaltlich. Vielen Dank, Frau Kollegin Teuteberg. (Karsten Hilse [AfD]: Und das von einer Die Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Lin- liberalen Partei!) ke, der Kollege Hans-Jürgen Irmer, CDU/CSU-Fraktion, und der Kollege Alexander Radwan, CDU/CSU-Frakti- Denn ein solcher Islam kann nur einer sein, der nicht im on, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben1), sodass ich Widerspruch zu unserer Verfassung steht. die Aussprache schließe. Hier beschreibt der Antrag der Grünen im Kern ein Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf richtiges Ziel. den Drucksachen 19/6102 und 19/6059 an den Aus- (Zuruf von der AfD) schuss für Inneres und Heimat vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann – Es scheint Sie sehr aufzuregen. Es ist trotzdem sinn- sind die Überweisungen so beschlossen. voll, zuzuhören. – Viel mehr als ein Auftrag an die Bun- desregierung, mit islamischen Theologen und Verbänden Die Tagesordnung ist erschöpft, ich bin es auch. nach Lösungen zu suchen, ist Ihnen aber leider auch noch nicht eingefallen. Wenn man sich den Auftrag der Deut- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP schen Islam Konferenz ansieht, die gestern erneut ihre und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Arbeit aufgenommen hat, könnte man auch der Meinung sein, dass der Antrag sich in wesentlichen Teilen bereits 1) Anlage 19 7892 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Ich bedanke mich auch im Namen der Bediensteten des Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (C) Deutschen Bundestages für die Disziplin. Dass wir es tages auf heute, Freitag, den 30. November 2018, 9 Uhr, zeitlich so geschafft haben, ist wirklich eine herausra- ein. gende Leistung. Die Sitzung ist geschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Schluss: 1.10 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 68. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2018 7893-7921

(A) (C)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7923

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Abercron, Dr. Michael von CDU/CSU Steineke, Sebastian CDU/CSU

Annen, Niels SPD Steinke, Kersten DIE LINKE

Freese, Ulrich SPD Tauber, Dr. Peter CDU/CSU Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. CDU/CSU Wadephul, Dr. Johann David CDU/CSU Held, Marcus SPD Wagner, Andreas DIE LINKE Helfrich, Mark CDU/CSU Zdebel, Hubertus DIE LINKE Herdt, Waldemar AfD *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Heßenkemper, Dr. Heiko AfD

Höchst, Nicole AfD Anlage 2 Hoffmann, Dr. Bettina BÜNDNIS 90/ Erklärung nach § 31 GO DIE GRÜNEN der Abgeordneten Sylvia Pantel und Dr. Dietlind Högl, Dr. Eva SPD Tiemann (beide CDU/CSU) zu der namentlichen (B) Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- (D) Hollnagel, Dr. Bruno AfD gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 104c, 104d, 125c, 143e) Jelpke, Ulla DIE LINKE (Zusatztagesordnungspunkt 2 a) Gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Jongen, Dr. Marc AfD Bundestages geben wir zum Zusatzpunkt „Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- Kleinwächter, Norbert AfD ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Artikel 104c, 104d, 125c, Artikel 143c)“ eine Kolbe, Daniela* SPD persönliche Erklärung ab. Lämmel, Andreas G. CDU/CSU Bei der namentlichen Abstimmung zum Zusatzpunkt „Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung Leutert, Michael DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 104c, 104d, 125c, Artikel 143c)“ Müller, Bettina SPD sowie bei der Abstimmung des entsprechenden Ände- rungsantrages der Arbeitsgruppen Haushalt der Fraktio- Müntefering, Michelle SPD nen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen werden wir mit „Nein“ stimmen. Im Folgenden möchten Nahles, Andrea SPD wir unsere Gründe hierfür darlegen. Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ Die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutsch- DIE GRÜNEN land gehört zu den Grundpfeilern unseres Staates. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben die ver- Remmers, Ingrid DIE LINKE tikale Gewaltenteilung des Staates fein austariert, indem den Kommunen und Kreisen, den Ländern sowie dem Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ Bund konkrete Kompetenzen und somit eindeutige, für DIE GRÜNEN die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbare Verant- wortlichkeiten zugewiesen wurden. Die zurückliegenden Schulz, Jimmy FDP Föderalismusreformen stellten aus unserer Sicht einen klugen Kompromiss dar, da die Kompetenzen in klarer Spaniel, Dr. Dirk AfD und eindeutiger Weise neu geordnet wurden, ohne dass 7924 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) es zu beliebigem politischen Interpretationsspielraum Anlage 3 (C) kommen kann. Erklärungen nach § 31 GO Die am Donnerstag, dem 28. November 2018, zur Ab- stimmung stehenden Anträge werden diesem Anspruch der zu der namentlichen Abstimmung über den von klaren Zuteilung von Kompetenzen und Verantwortung der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines nur unzureichend gerecht. Wir teilen die Auffassung, dass Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- dem Bund und den Ländern „zur Sicherstellung der Qua- kel 104c, 104d, 125c, 143e) lität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens“ eine (Zusatztagesordnungspunkt 2 a) gemeinsame Verantwortung zukommt. Das Gelingen der Wahrnehmung dieser gemeinsamen Verantwortung setzt Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU): Gemäß § 31 der indes zwingend voraus, dass die konkreten Aufgabenbe- Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gebe ich reiche klar voneinander abgegrenzt werden. Der Umstand, zum Zusatzpunkt „Zweite und dritte Beratung des von dass die Finanzhilfen des Bundes sich auf „verbundene be- der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- sondere unmittelbare Kosten der Länder“ erstrecken, lässt setzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 104c, eine große Bandbreite an unterschiedlichen Auslegungs- 104d, 125c, Artikel 143c)“ eine persönliche Erklärung möglichkeiten zu. Dies wird bereits jetzt an den zahlrei- ab. chen unterschiedlichen Lesarten der am Kompromissvor- schlag beteiligten Parteien und Fraktionen deutlich. Bei der namentlichen Abstimmung zum Zusatzpunkt „Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung Konkret kann die vorgesehene Grundgesetzänderung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des zur Folge haben, dass beispielsweise Personal- und Be- Grundgesetzes (Artikel 104c, 104d, 125c, Artikel 143c)“ triebskosten künftig vom Bund übernommen werden sowie bei der Abstimmung des entsprechenden Ände- könnten. Für die Bürgerinnen und Bürger wird zuneh- rungsantrages der Arbeitsgruppen Haushalt der Fraktio- mend unklar, wer die politische Verantwortung für Erfol- ge oder Missstände trägt. Das Versickern von politischer nen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen Verantwortlichkeit durch unklare Formulierungen scha- werde ich mit „Nein“ stimmen. Im Folgenden möchte ich det der Kooperation der staatlichen Ebenen und dem Ver- meine Gründe hierfür darlegen. trauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen. Die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutsch- Das ausgehandelte Kriterium der Zusätzlichkeit in Arti- land gehört zu den Grundpfeilern unseres Staates. Die kel 104b Absatz 2 Satz 5 ändert an dieser Verwischung Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben die ver- der Kompetenzen im Wesenskern nichts. tikale Gewaltenteilung des Staates fein austariert, indem Die Ausführungen im Teil „II. Begründung“ im ge- den Kommunen und Kreisen, den Ländern sowie dem (B) (D) nannten Änderungsantrag des Haushaltsausschusses Bund konkrete Kompetenzen und somit eindeutige, für ändern an unseren Bedenken wenig. Wir begrüßen es die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbare Verant- ausdrücklich, dass der Begründungsteil des Änderungs- wortlichkeiten zugewiesen wurden. Die zurückliegenden antrags die Finanzhilfen des Bundes inhaltlich qualifi- Föderalismusreformen stellten aus meiner Sicht einen ziert und klarer abgrenzt. So führt der Antrag aus, dass klugen Kompromiss dar, da die Kompetenzen in klarer die Finanzierungshilfe des Bundes keine Kosten umfasse, und eindeutiger Weise neu geordnet wurden, ohne dass „die aufgrund des regulären Bildungsbetriebs anfallen“. es zu beliebigem politischen Interpretationsspielraum Es seien nur Kostenpositionen umfasst, die „ausschließ- kommen kann. lich aufgrund der Investitionen einmalig anfallen“. Indes: Selbst wenn der Bund sich auf einmalige Investitions- Die am Donnerstag, dem 28. November 2018, zur Ab- maßnahmen beschränkt, umfasst dies etwa den Bau von stimmung stehenden Anträge werden diesem Anspruch Sanitäranlagen. Das Bundesverfassungsgericht kann in der klaren Zuteilung von Kompetenzen und Verantwor- seinem Auslegungsprozess bei einer etwaigen Befassung tung nur unzureichend gerecht. Ich teile die Auffassung, mit diesem Sachverhalt den Änderungsantrag des Haus- dass dem Bund und den Ländern „zur Sicherstellung der haltsausschusses des Deutschen Bundestages würdigen. Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswe- Offen ist indes der Umfang der verfassungsrechtlichen sens“ eine gemeinsame Verantwortung zukommt. Das Würdigung des Begründungstextes des Änderungsan- Gelingen der Wahrnehmung dieser gemeinsamen Verant- trags. Als Abgeordnete des Deutschen Bundestages ist es wortung setzt indes zwingend voraus, dass die konkreten unsere Aufgabe, einen Beitrag zur konkreten Lösung der Aufgabenbereiche klar voneinander abgegrenzt werden. vorliegenden Sachfrage zu leisten und diese Verantwor- Der Umstand, dass die Finanzhilfen des Bundes sich auf tung nicht an das Bundesverfassungsgericht auszulagern. „verbundene besondere unmittelbare Kosten der Länder“ erstrecken, lässt eine große Bandbreite an unterschied- Die Frage der Ordnung der Zuständigkeiten im fö- lichen Auslegungsmöglichkeiten zu. Dies wird bereits deralen Gebilde ist eine fundamentale politische Frage, jetzt an den zahlreichen unterschiedlichen Lesarten der deren Tragweite und Pfadabhängigkeit erheblich ist. Wir am Kompromissvorschlag beteiligten Parteien und Frak- empfinden es aus den genannten Argumenten als unse- tionen deutlich. re Verantwortung, bei dieser elementaren Entscheidung mit „Nein“ zu stimmen. Dessen ungeachtet möchten wir Konkret kann die vorgesehene Grundgesetzänderung unseren Dank an alle Kolleginnen und Kollegen in der zur Folge haben, dass beispielsweise Personal- und Be- Exekutive und Legislative zum Ausdruck bringen, die in triebskosten künftig vom Bund übernommen werden vielen Stunden Arbeit am zur Abstimmung stehenden Pa- könnten. Für die Bürgerinnen und Bürger wird zuneh- pier mitgewirkt haben. mend unklar, wer die politische Verantwortung für Erfol- Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7925

(A) ge oder Missstände trägt. Das Versickern von politischer Die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutsch- (C) Verantwortlichkeit durch unklare Formulierungen scha- land gehört zu den Grundpfeilern unseres Staates. Im det der Kooperation der staatlichen Ebenen und dem Ver- Bereich der Bildung ist sie von den Grundsätzen der trauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen. Subsidiarität und Dezentralität geprägt. Es gilt die Bil- Das ausgehandelte Kriterium der Zusätzlichkeit in Arti- dungshoheit der Länder. Es bedarf klarer Kompetenzen kel 104b Absatz 2 Satz 5 ändert an dieser Verwischung und für die Bürgerinnen und Bürger sowie Bund und der Kompetenzen im Wesenskern nichts. Länder nachvollziehbare und eindeutige Verantwortlich- keiten. Ein „Kompetenzwirrwarr“ ist zu vermeiden. Die Ausführungen im Teil „II. Begründung“ im ge- Jede Weiterentwicklung des Bildungsföderalismus nannten Änderungsantrag des Haushaltsausschusses muss daher sehr behutsam erfolgen und klare Regelun- ändern an meinen Bedenken wenig. Ich begrüße es aus- gen hervorbringen, die von einem einheitlichen Ver- drücklich, dass der Begründungsteil des Änderungsan- ständnis getragen werden. trags die Finanzhilfen des Bundes inhaltlich qualifiziert und klarer abgrenzt. So führt der Antrag aus, dass die Die zur Abstimmung stehenden Anträge werden die- Finanzierungshilfe des Bundes keine Kosten umfasse, sem Grundanspruch der klaren Zuteilung von Kompeten- „die aufgrund des regulären Bildungsbetriebs anfallen“. zen und Verantwortungen nicht gerecht. Es seien nur Kostenpositionen umfasst, die „ausschließ- Mit der vorgesehenen Änderung wird vor allem der lich aufgrund der Investitionen einmalig anfallen“. Indes: Tatbestand der Finanzhilferegelung des Artikel 104c GG Selbst wenn der Bund sich auf einmalige Investitions- verändert. Bei Beibehaltung des Investitionsbegriffs ist maßnahmen beschränkt, umfasst dies etwa den Bau von dem Bund nun zudem die Förderung „von mit den Inves- Sanitäranlagen. Das Bundesverfassungsgericht kann in titionen verbundenen besonderen unmittelbaren“ Kosten seinem Auslegungsprozess bei einer etwaigen Befassung erlaubt. Die Finanzhilfe wird dabei stets an die Zielset- mit diesem Sachverhalt den Änderungsantrag des Haus- zung „Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfä- haltsausschusses des Deutschen Bundestages würdigen. higkeit des Bildungswesens“ gebunden. Offen ist indes der Umfang der verfassungsrechtlichen Würdigung des Begründungstextes des Änderungsan- Der Begriff der „Kosten“ ist nicht so klar umgrenzt, trags. Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages ist wie es für eine behutsame Weiterentwicklung des Bil- es meine Aufgabe, einen Beitrag zur konkreten Lösung dungsföderalismus notwendig wäre. der vorliegenden Sachfrage zu leisten und diese Verant- Es besteht die Gefahr, dass der Begriff zukünftig zu wortung nicht an das Bundesverfassungsgericht auszu- weit ausgelegt werden könnte. Insbesondere besteht lagern. die Gefahr, dass zukünftig behauptet wird, auch Perso- (B) nalkosten der Länder könnten im Bildungsbereich vom (D) Die Frage der Ordnung der Zuständigkeiten im fö- Bund getragen werden. Eine klare Regelung hätte einen deralen Gebilde ist eine fundamentale politische Frage, klaren Wortlaut „Sachkosten“ erfordert. deren Tragweite und Pfadabhängigkeit erheblich ist. Ich empfinde es aus den genannten Argumenten als meine Vor diesem Hintergrund wird die Neuregelung des Verantwortung, bei dieser elementaren Entscheidung Artikel 104c Grundgesetz in der praktischen Anwendung mit „Nein“ zu stimmen. Dessen ungeachtet möchte ich zu Abgrenzungsschwierigkeiten mit allgemeinen Kosten, meinen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen in der die weiterhin von den Ländern zu tragen sind, führen. Exekutive und Legislative zum Ausdruck bringen, die in Diese Unklarheit führt dazu, dass die Grundsätze Subsi- vielen Stunden Arbeit am zur Abstimmung stehenden Pa- diarität und Dezentralität und damit die Grundpfeiler un- pier mitgewirkt haben. seres Bildungsföderalismus beeinträchtigt werden. Dies kann ich nicht mittragen.

Albert Rupprecht (CDU/CSU): Gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gebe ich Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Am heutigen zum Zusatzpunkt „Zweite und dritte Beratung des von Donnerstag, dem 29. November 2018, findet die Abstim- mung zum Zusatzpunkt „Zweite und dritte Beratung des der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines setzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 104c, Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 104c, 104d, 125c, Artikel 143e)“ – Drucksache 19/3440 – und 104d, 125c, Artikel 143c)“ sowie bei der Abstimmung zum entsprechenden Änderungsantrag der Fraktionen des entsprechenden Änderungsantrages der Arbeitsgrup- CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen eine pen Haushalt der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und persönliche Erklärung ab. Bündnis 90/Die Grünen statt. Ich habe zu diesem Ge- Bei der namentlichen Abstimmung zum Zusatzpunkt setzentwurf Vorbehalte. Im Folgenden möchte ich meine „Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregie- Gründe hierfür darlegen. rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- Die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutsch- derung des Grundgesetzes (Artikel 104c, 104d, 125c, land gehört zu den Grundpfeilern unseres Staates. Die Artikel 143c)“ sowie bei der Abstimmung des entspre- Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben die ver- chenden Änderungsantrages der Fraktionen CDU/CSU, tikale Gewaltenteilung des Staates fein austariert, indem SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen werde ich mit den Kommunen und Kreisen, den Ländern sowie dem „Nein“ stimmen. Im Folgenden möchte ich meine Grün- Bund konkrete Kompetenzen und somit eindeutige, für de hierfür darlegen. die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbare Verant- 7926 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) wortlichkeiten zugewiesen wurden. Die zurückliegenden stimme trotz dieser Vorbehalte nach reiflicher Abwägung (C) Föderalismusreformen stellten aus meiner Sicht einen dem Gesetzentwurf zu, da im Falle einer Ablehnung des klugen Kompromiss dar, da die Kompetenzen in klarer Gesetzentwurfes der Bestand der Regierungskoaliti- und eindeutiger Weise neu geordnet wurden, ohne dass on gefährdet wäre und dies für die politische Stabilität es zu beliebigem politischen Interpretationsspielraum Deutschlands enorme negative Folgen hätte. Ich möchte kommen kann. meinen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen in der Exekutive und Legislative zum Ausdruck bringen, die in Die am Donnerstag, dem 29. November 2018, zur Ab- vielen Stunden Arbeit am zur Abstimmung stehenden Pa- stimmung stehenden Anträge werden diesem Anspruch pier mitgewirkt haben. der klaren Zuteilung von Kompetenzen und Verantwor- tung nur unzureichend gerecht. Ich teile die Auffassung, dass dem Bund und den Ländern „zur Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswe- Anlage 4 sens“ eine gemeinsame Verantwortung zukommt. Das Gelingen der Wahrnehmung dieser gemeinsamen Verant- Erklärungen nach § 31 GO wortung setzt indes zwingend voraus, dass die konkreten zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag Aufgabenbereiche klar voneinander abgegrenzt werden. der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Der Umstand, dass die Finanzhilfen des Bundes sich auf Mit dem Globalen Pakt für eine sichere, geordnete „verbundene besondere unmittelbare Kosten der Länder“ und reguläre Migration die internationale Zusam- erstrecken, lässt eine große Bandbreite an unterschied- menarbeit in der Migrationspolitik stärken und lichen Auslegungsmöglichkeiten zu. Dies wird bereits Migration besser regeln und steuern jetzt an den zahlreichen unterschiedlichen Lesarten der (Zusatztagesordnungspunkt 3) am Kompromissvorschlag beteiligten Parteien und Frak- tionen deutlich. Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem Konkret kann die vorgesehene Grundgesetzänderung Zusatzpunkt 3 in der Plenarsitzung vom Donnerstag, zur Folge haben, dass beispielsweise Personal- und Be- 29.11.2019, Antrag der Koalitionsfraktion in der Druck- triebskosten künftig vom Bund übernommen werden sache 19/6056, „Mit dem Globalen Pakt für eine siche- könnten. Für die Bürgerinnen und Bürger wird zuneh- re, geordnete und reguläre Migration die internationale mend unklar, wer die politische Verantwortung für Erfol- Zusammenarbeit in der Migrationspolitik stärken und ge oder Missstände trägt. Das Versickern von politischer Migration besser regeln und steuern“, nicht zustimmen. Verantwortlichkeit durch unklare Formulierungen scha- det der Kooperation der staatlichen Ebenen und dem Ver- Zunächst stelle ich fest, dass erst die Kritiker des Glo- (B) trauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen. balen Migrationspaktes (GCM) und die Mitglieder der (D) Das ausgehandelte Kriterium der Zusätzlichkeit in Arti- CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die dem Berliner Kreis kel 104b Absatz 2 Satz 5 ändert an dieser Verwischung angehören, dafür gesorgt haben, dass dieser Pakt in der der Kompetenzen im Wesenskern nichts. Koalition breit und strittig diskutiert werden konnte. Auch durch unsere Beteiligung bei der Vorbereitung des Die Ausführungen im Teil „II. Begründung“ im ge- Entschließungsantrages konnten wesentliche Forderun- nannten Änderungsantrag des Haushaltsausschusses gen durchgesetzt werden. Die im Antrag vorgebrachten ändern an meinen Bedenken wenig. Ich begrüße es aus- Einzelforderungen an die Bundesregierung sind aber drücklich, dass der Begründungsteil des Änderungsan- nach meiner Ansicht bei weitem nicht ausreichend. trags die Finanzhilfen des Bundes inhaltlich qualifiziert und klarer abgrenzt. So führt der Antrag aus, dass die Es ist richtig, dass globale Probleme auch nur global Finanzierungshilfe des Bundes keine Kosten umfasse, gelöst werden können. Insofern kann es keine Kritik da- „die aufgrund des regulären Bildungsbetriebs anfallen“. ran geben, dass sich die internationale Gemeinschaft zu Es seien nur Kostenpositionen umfasst, die „ausschließ- einem Pakt über Migration verständigt. Zu kritisieren ist lich aufgrund der Investitionen einmalig anfallen“. Indes: die Kommunikationspolitik der Bundesregierung, die Selbst wenn der Bund sich auf einmalige Investitions- weder den GCM noch den parallel verhandelten Globa- maßnahmen beschränkt, umfasst dies etwa den Bau von len Pakt für Flüchtlinge proaktiv weder im Plenum noch Sanitäranlagen. Das Bundesverfassungsgericht kann in in der Öffentlichkeit diskutiert hat. Zu kritisieren sind seinem Auslegungsprozess bei einer etwaigen Befassung ferner der grundsätzliche Tenor des Paktes und Inhalte, mit diesem Sachverhalt den Änderungsantrag des Haus- die nur oberflächlich an den den tieferen Ursachen der haltsausschusses des Deutschen Bundestages würdigen. Migration ansetzen, die eigentlichen Fluchtursachen wie Offen ist indes der Umfang der verfassungsrechtlichen die Bevölkerungsexplosion auf dem afrikanischen Kon- Würdigung des Begründungstextes des Änderungsan- tinent aber total ausblenden. trags. Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages ist So überdeckt der Global Compact for Migration es meine Aufgabe, einen Beitrag zur konkreten Lösung (GCM) die wesentlichen Krisenmomente in der Migra- der vorliegenden Sachfrage zu leisten und diese Verant- tion. Sie wird ausschließlich als etwas grundsätzlich Po- wortung nicht an das Bundesverfassungsgericht auszu- sitives, eine Quelle des Wohlstands und der nachhaltigen lagern. Entwicklung, dargestellt, obwohl sie es insbesondere Die Frage der Ordnung der Zuständigkeiten im fö- für die Herkunftsstaaten, die ihr Humankapital verlie- deralen Gebilde ist eine fundamentale politische Frage, ren, nicht ist. Auch für Transit- und Zielländer blendet deren Tragweite und Pfadabhängigkeit erheblich ist. Ich diese einseitig positive Bewertung alle Schwierigkeiten Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7927

(A) und Kosten der Integration aus, die insbesondere Ein- Standards nicht im Blick. Man hat die Debatte bewusst (C) wanderung in die Sozialsysteme bedeuten. Außerdem oder unbewusst nie gewollt und sich naiverweise darauf wird ein neuer Rechtsbegriff geschaffen, der die Gren- berufen, dass der Pakt gut sei, weil er international Stan- zen zwischen illegaler und legaler Migration verwischt. dards des menschlichen Umgangs mit Migranten setze, Daraus ist zu schlussfolgern, dass wir uns mit dem Pakt aber für uns in Deutschland unverbindlich sei. Wenn dies in Richtung eines „Rechts auf Einwanderung“ bewegen. aber ein Hauptargument für ein von dieser Bundesre- Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht ja gierung ausgehandeltes Dokument ist, dann ist das ein bereits von einem solchen Recht. schlechtes Zeugnis. Außerdem dürfen wir doch nicht denken, dass viele Staaten, die diesem Pakt zustimmen, Ferner werden die Aufnahmegesellschaften als „po- wie zum Beispiel das kriegführende Syrien oder die tenziell erziehungsbedürftig“ angesehen. Auch hier wird 45 islamischen Staaten, die in der sogenannten „Kairoer mit der „Intoleranz gegenüber Migranten“ ein neuer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ von 1990 sogar Rechtsbegriff kreiert, der möglicherweise strafrechtlich die Gültigkeit allgemeiner universeller Menschenrechte bewehrt sein soll. Das ist aber ganz sicher der falsche für ihre Länder aussetzen bzw. sie unter den Vorbehalt Weg, außer natürlich bei Straftatbeständen wie Volksver- der Scharia stellen, die „Unverbindlichkeit“ des Paktes hetzung und Gewaltverherrlichung. Gesinnungsschnüf- nicht auch für sich in Anspruch nehmen. Dann aber ist felei und Denunziantentum gegen jedweden Diskurs, das Argument, dem Pakt beizutreten, um endlich überall in dem kritisch oder „nicht gut“ zum Thema Migration auf der Welt menschenwürdigen Umgang mit Migranten diskutiert wird, sind damit vorprogrammiert. Demgegen- zu sichern, bedeutungslos. Ebenso bedeutungslos, wie über sollen Medien gefördert werden, die über Migrati- der Antrag der Koalitionsfraktionen für das Verfahren on positiv berichten. Somit stellt der GCM die Staaten zur Annahme des Paktes auf dem Gipfel in Marrakesch vor die Obliegenheit, den öffentlichen Diskurs im Sinne am 10. Dezember 2018 bzw. die darüber beschließende eines ausschließlich migrationsfreundlichen Klimas und UN-Vollversammlung Anfang kommenden Jahres sein einer „korrekten“ Berichterstattung zu steuern. wird. Alles nationale Handeln, das nicht in der Forde- Des Weiteren gibt es nach wie vor Widersprüche in rung zur Aufnahme einer Protokollnotiz in den Text des dem Pakt, die nicht aufgelöst werden. Einerseits wird Paktes mündet, wird dort nicht wahrgenommen und ist vorausgesetzt, dass Grenzen durchlässig sein müssen, international ohne Relevanz. Was aber relevant ist, ist, andererseits wird generös ein Bekenntnis zur Souverä- dass Deutschland als Migrationszielland Nummer eins nität der Staaten abgegeben. Dieser Pakt wurde in einem als eines der wenigen Zielländer in Europa diesen Pakt Verfahren gemacht, das dem eines völkerrechtlichen Ver- uneingeschränkt begrüßt. Das könnte nach der Entschei- trages sehr ähnlich ist. Seine Grundsätze sind Konkreti- dung von Bundeskanzlerin Merkel im September 2015 sierungen menschenrechtlicher Verpflichtungen im Lich- zur illegalen Zuwanderung und ihrer wenig später ge- (B) te unverbindlichen Rechts, des „Soft Law“. Es ist sehr machten Aussage, dass man 3 000 km Grenze ohnehin (D) wahrscheinlich, wie in vergleichbaren Fällen auch, dass nicht schützen könne, die dritte „Einladung“ für Men- bisheriges Recht an die in unverbindlichen Dokumenten schen sein, ihr Heimatland für ein besseres und sicheres wie dem Migrationspakt formulierten höheren Standards Leben, und sei es auch nur auf Sozialhilfebasis, in Rich- im Wege der Interpretation angeglichen wird. tung Deutschland zu verlassen. Außerdem werden die Ziele und Maßnahmen dieses Paktes, zu deren Umsetzung sich die Staaten ja durch An- Christoph Bernstiel (CDU/CSU): Zu meiner Ent- nahme politisch verpflichten, rechtlich verbindlich, so- haltung zum von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten bald sie in nationale Gesetzgebung münden. Im diesbe- Antrag „Mit dem Globalen Pakt für eine sichere, geord- züglich besonders ehrgeizigen Deutschland ist damit zu nete und reguläre Migration die internationale Zusam- rechnen, dass alle Ziele und Maßnahmen des Paktes, die menarbeit in der Migrationspolitik stärken und Migration über bisher geltendes Recht in unserem Lande hinausge- besser regeln und steuern“ erkläre ich, dass das Thema hen, zügig in nationale Regeln und Gesetze übernommen von Anfang an problembehaftet war. werden. Dafür, dass es zumindest in dieser Legislaturpe- riode bzw. in der jetzt bestehenden Koalition keine Initi- Ich bedaure es sehr, dass die für uns wichtigen Part- ativen dazu gibt, könnte der Antrag der Koalitionsfrak- nerstaaten wie die USA, Österreich und Israel ihre Zu- tionen als Beweis gelten. Das erkenne ich ausdrücklich stimmung versagt haben. Ich hätte es begrüßt, wenn wir an. Aber andere politische Mehrheiten sind an derartige uns im Vorfeld mit diesen Partnerländern abgesprochen Antragsinhalte nicht gebunden, denn die Gültigkeit von und deren Zustimmung gesucht hätten. UN-Pakten endet nicht mit den jeweiligen Legislaturpe- rioden in den einzelnen Staaten. Insofern verfängt das Darüber hinaus bedaure ich sehr die Kommunikation Argument nicht, der Pakt sei unverbindlich und in we- des Paktes. Es wurde meiner Meinung nach versäumt, sentlichen Teilen ohnehin bereits geltendes Recht. unsere Bürgerinnen und Bürger von Beginn an einzubin- den. Abgesehen von der Realitätsferne ob des Themas Migration, hat die Bundesregierung kein Bewusstsein Wichtig sind mir auch das Votum meiner Landespartei für die politischen und rechtlichen Wirkungen eines sowie die zahlreichen Stimmen aus meinem Wahlkreis, solchen Abkommens jenseits der förmlichen Verbind- die sich durchweg gegen den Pakt ausgesprochen haben. lichkeit entwickelt. Sie hat die gesamte Bedeutung des „Soft Laws“ bei der Weiterentwicklung und Konkreti- Unsere Fraktion hat nun einen eigenen Entschlie- sierung von Menschenrechten und anderen gerichtlichen ßungsantrag zum GCM gemacht. Dieser ist inhaltlich 7928 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) eine gute Ergänzung zum Pakt. Aber auch hier gibt es in Unter unseren Bürgerinnen und Bürgern gibt es eine (C) meinen Augen noch drei große Kritikpunkte. erhebliche Unsicherheit und Skepsis gegenüber den zu erwartenden Auswirkungen des Paktes, die ich teile. Es Ich hoffe dennoch, dass es uns zeitnah gelingt, klare wäre notwendig gewesen, dass im Vorfeld eine viel brei- internationale Regeln aufzustellen, um illegale Migration tere öffentliche Debatte in Deutschland geführt worden zu begrenzen und legale Migration geordnet zu steuern. wäre. Als Repräsentant meines Wahlkreises werde ich dem An- trag meiner Fraktion daher heute nicht zustimmen kön- Mit der Darstellung im Entschließungsantrag, dass die nen und enthalte mich. nationale Souveränität Deutschlands nicht zur Disposi- tion steht, können viele juristische Unsicherheiten und Nikolas Löbel (CDU/CSU): Im Rahmen der heutigen Bedenken der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem namentlichen Abstimmung stimme ich dem Entschlie- UN-Migrationspakt nicht ausgeräumt werden. ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Bundestagsdrucksache 19/6056 zu. Dennoch möchte ich Illegale Migration ist ein Problem, das wir nicht al- meine ablehnende Haltung gegenüber dem vorliegenden lein, sondern nur in der Gemeinschaft mit anderen Län- Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration dern lösen können. Der Pakt hat die richtige Zielrich- zum Ausdruck bringen. tung und greift viele wichtige Punkte auf. Die rechtliche Der gemeinsame Antrag der Fraktionen von CDU/ Bindungswirkung ist nach wie vor unklar – die gegebe- CSU und SPD gibt die richtigen Antworten, um eine nenfalls impliziten völkerrechtlichen Pflichten und die sichere, geordnete und reguläre Migration zu ermögli- Auswirkungen auf unsere nationale Rechtsprechung sind chen und zu steuern. Deshalb stimme ich dem Antrag zu. zu schwerwiegend, um im jetzigen Stadium eine Zustim- Dennoch ändert der Inhalt des Antrages leider nicht den mung Deutschlands zum UN-Migrationspakt zu verant- Inhalt des nun vorliegenden Global Compact for Safe, worten. Deshalb stimme ich auch dem Antrag der Frakti- Orderly and Regular Migration (GCM). Mit diesem Glo- onen CDU/CSU und SPD heute nicht zu. bal Compact wird versucht, Migration weltweit gemein- sam besser zu steuern. Dieses Ansinnen unterstütze ich nachdrücklich. Doch wesentliche inhaltliche Aussagen des Global Compact kann ich nicht unterstützen, da ich Anlage 5 befürchte, dass dadurch ungesteuerte Migration nach Erklärung nach § 31 GO Deutschland nicht gemindert, sondern gefördert wird. der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜND- (B) Torsten Schweiger (CDU/CSU): Meine Ablehnung NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der Abstimmung über (D) des von der Regierungskoalition eingebrachten Antrags den Antrag der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, „Mit dem Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und Gökay Akbulut, Jan Korte, weiterer Abgeordneter reguläre Migration die internationale Zusammenarbeit und der Fraktion DIE LINKE in der Migrationspolitik stärken und Migration besser Völkerrechtliche Standards durch Global regeln und steuern“ möchte ich mit dieser Erklärung Compact for Migration wahren – International nach § 31 GO-BT begründen. Trotz auch positiver und Rechte für Migrantinnen und Migranten stärken begrüßenswerter Ansätze des vorliegenden Koalitionsan- (Zusatztagesordnungspunkt 4) trages sind meine Bedenken hinsichtlich der rechtlichen Auswirkungen des Globalen Migrationspakts nicht aus- Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die geräumt. Grünen, dass unser Votum „Enthaltung“ lautet.

Anlage 6 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit teilgenommen haben (Zusatztagesordnungspunkt 11)

CDU/CSU Maik Beermann Peter Bleser Astrid Damerow Manfred Behrens (Börde) Norbert Brackmann Alexander Dobrindt Stephan Albani Veronika Bellmann Michael Brand (Fulda) Marie-Luise Dött Norbert Maria Altenkamp Sybille Benning Dr. Reinhard Brandl Michael Donth Peter Altmaier Dr . André Berghegger Silvia Breher Hansjörg Durz Philipp Amthor Melanie Bernstein Sebastian Brehm Thomas Erndl Artur Auernhammer Christoph Bernstiel Heike Brehmer Hermann Färber Peter Aumer Peter Beyer Ralph Brinkhaus Uwe Feiler Dorothee Bär Marc Biadacz Dr. Carsten Brodesser Enak Ferlemann Norbert Barthle Steffen Bilger Gitta Connemann Dr. Maria Flachsbarth Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7929

(A) Thorsten Frei Carsten Körber Stephan Pilsinger Dr . Dietlind Tiemann (C) Dr. Hans-Peter Friedrich Markus Koob Dr. Christoph Ploß Antje Tillmann (Hof) Alexander Krauß Eckhard Pols Markus Uhl Michael Frieser Gunther Krichbaum Thomas Rachel Dr . Volker Ullrich Hans-Joachim Fuchtel Dr. Roy Kühne Kerstin Radomski Arnold Vaatz Ingo Gädechens Michael Kuffer Alexander Radwan Oswin Veith Dr . Thomas Gebhart Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Alois Rainer Kerstin Vieregge Alois Gerig Katharina Landgraf Dr. Peter Ramsauer Volkmar Vogel (Kleinsaara) Eberhard Gienger Ulrich Lange Eckhardt Rehberg Kees de Vries Eckhard Gnodtke Dr. Silke Launert Lothar Riebsamen Christoph de Vries Ursula Groden-Kranich Jens Lehmann Josef Rief Marco Wanderwitz Hermann Gröhe Paul Lehrieder Johannes Röring Kai Wegner Klaus-Dieter Gröhler Dr. Katja Leikert Dr. Norbert Röttgen Dr. h. c. (NUACA) Albert H. Michael Grosse-Brömer Dr. Andreas Lenz Stefan Rouenhoff Weiler Astrid Grotelüschen Antje Lezius Erwin Rüddel Marcus Weinberg (Hamburg) Markus Grübel Andrea Lindholz Albert Rupprecht Dr . Anja Weisgerber Monika Grütters Dr. Carsten Linnemann Stefan Sauer Peter Weiß (Emmendingen) Manfred Grund Patricia Lips Anita Schäfer (Saalstadt) Sabine Weiss (Wesel I) Oliver Grundmann Nikolas Löbel Dr . Wolfgang Schäuble Ingo Wellenreuther Fritz Güntzler Bernhard Loos Andreas Scheuer Marian Wendt Olav Gutting Dr. Jan-Marco Luczak Jana Schimke Kai Whittaker Christian Haase Daniela Ludwig Tankred Schipanski Annette Widmann-Mauz Florian Hahn Karin Maag Christian Schmidt (Fürth) Bettina Margarethe Jürgen Hardt Yvonne Magwas Dr. Claudia Schmidtke Wiesmann Matthias Hauer Dr . Thomas de Maizière Patrick Schnieder Klaus-Peter Willsch Mark Hauptmann Gisela Manderla Nadine Schön Elisabeth Winkelmeier- Dr. Matthias Heider Dr . Astrid Mannes Felix Schreiner Becker Mechthild Heil Matern von Marschall Dr. Klaus-Peter Schulze Emmi Zeulner (B) Thomas Heilmann Hans-Georg von der Marwitz Uwe Schummer Paul Ziemiak (D) Frank Heinrich (Chemnitz) Andreas Mattfeldt Armin Schuster (Weil am Dr. Matthias Zimmer Rudolf Henke Stephan Mayer (Altötting) Rhein) Michael Hennrich Dr. Michael Meister Torsten Schweiger SPD Marc Henrichmann Dr . Angela Merkel Detlef Seif Ingrid Arndt-Brauer Ansgar Heveling Jan Metzler Johannes Selle Heike Baehrens Christian Hirte Dr. Mathias Middelberg Reinhold Sendker Ulrike Bahr Dr. Heribert Hirte Karsten Möring Prof. Dr. Patrick Sensburg Dr. Katarina Barley Alexander Hoffmann Dietrich Monstadt Thomas Silberhorn Doris Barnett Karl Holmeier Marlene Mortler Björn Simon Dr. Matthias Bartke Dr. Hendrik Hoppenstedt Elisabeth Motschmann Tino Sorge Sören Bartol Erich Irlstorfer Dr. Gerd Müller Katrin Staffler Bärbel Bas Hans-Jürgen Irmer Axel Müller Frank Steffel Lothar Binding (Heidelberg) Thomas Jarzombek Sepp Müller Dr . Wolfgang Stefinger Leni Breymaier Andreas Jung Carsten Müller Albert Stegemann Dr. Karl-Heinz Brunner Ingmar Jung (Braunschweig) Andreas Steier Katrin Budde Alois Karl Stefan Müller (Erlangen) Peter Stein (Rostock) Martin Burkert Anja Karliczek Dr. Andreas Nick Johannes Steiniger Dr. Lars Castellucci Torbjörn Kartes Petra Nicolaisen Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Volker Kauder Michaela Noll Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Dr. Stefan Kaufmann Dr . Georg Nüßlein Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby Ronja Kemmer Wilfried Oellers Stephan Stracke Esther Dilcher Roderich Kiesewetter Florian Oßner Max Straubinger Sabine Dittmar Michael Kießling Josef Oster Karin Strenz Dr . Wiebke Esdar Dr . Georg Kippels Henning Otte Michael Stübgen Saskia Esken Volkmar Klein Sylvia Pantel Dr . Hermann-Josef Tebroke Yasmin Fahimi Axel Knoerig Martin Patzelt Hans-Jürgen Thies Dr. Johannes Fechner Jens Koeppen Dr. Joachim Pfeiffer Alexander Throm Dr. Fritz Felgentreu 7930 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Dr. Edgar Franke Michelle Müntefering Carsten Träger Uwe Kamann (C) Dagmar Freitag Dr. Rolf Mützenich Marja-Liisa Völlers Jens Kestner Sigmar Gabriel Dietmar Nietan Dirk Vöpel Stefan Keuter Michael Gerdes Ulli Nissen Ute Vogt Jörn König Martin Gerster Mahmut Özdemir (Duisburg) Gabi Weber Enrico Komning Angelika Glöckner Aydan Özoğuz Bernd Westphal Steffen Kotré Timon Gremmels Thomas Oppermann Dirk Wiese Dr. Rainer Kraft Kerstin Griese Josephine Ortleb Gülistan Yüksel Rüdiger Lucassen Uli Grötsch Christian Petry Dagmar Ziegler Frank Magnitz Michael Groß Detlev Pilger Stefan Zierke Jens Maier Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Dr. Jens Zimmermann Dr. Lothar Maier Rita Hagl-Kehl Florian Post Dr . Birgit Malsack- Metin Hakverdi Achim Post (Minden) AfD Winkemann Sebastian Hartmann Florian Pronold Marc Bernhard Corinna Miazga Dirk Heidenblut Dr. Sascha Raabe Andreas Bleck Andreas Mrosek Hubertus Heil (Peine) Martin Rabanus Peter Boehringer Volker Münz Gabriela Heinrich Andreas Rimkus Stephan Brandner Sebastian Münzenmaier Wolfgang Hellmich Sönke Rix Jürgen Braun Christoph Neumann Dr. Barbara Hendricks René Röspel Marcus Bühl Jan Ralf Nolte Gustav Herzog Dennis Rohde Matthias Büttner Ulrich Oehme Gabriele Hiller-Ohm Dr. Martin Rosemann Petr Bystron Gerold Otten Thomas Hitschler Dr. Ernst Dieter Rossmann Tino Chrupalla Frank Pasemann Frank Junge Michael Roth (Heringen) Joana Cotar Tobias Matthias Peterka Josip Juratovic Bernd Rützel Dr. Gottfried Curio Paul Viktor Podolay Thomas Jurk Sarah Ryglewski Siegbert Droese Jürgen Pohl Oliver Kaczmarek Johann Saathoff Thomas Ehrhorn Stephan Protschka Johannes Kahrs Axel Schäfer (Bochum) Berengar Elsner von Gronow Martin Erwin Renner (B) Elisabeth Kaiser Dr. Nina Scheer Dr. Michael Espendiller Roman Johannes Reusch (D) Ralf Kapschack Marianne Schieder Peter Felser Ulrike Schielke-Ziesing Gabriele Katzmarek Udo Schiefner Dietmar Friedhoff Dr. Robby Schlund Ulrich Kelber Dr. Nils Schmid Dr . Anton Friesen Jörg Schneider Cansel Kiziltepe Uwe Schmidt Dr. Götz Frömming Uwe Schulz Arno Klare Ulla Schmidt (Aachen) Markus Frohnmaier Thomas Seitz Lars Klingbeil Dagmar Schmidt (Wetzlar) Dr. Alexander Gauland Martin Sichert Dr. Bärbel Kofler Carsten Schneider (Erfurt) Prof . Dr. Axel Gehrke Detlev Spangenberg Elvan Korkmaz Johannes Schraps Albrecht Glaser René Springer Anette Kramme Michael Schrodi Franziska Gminder Beatrix von Storch Christine Lambrecht Dr. Manja Schüle Wilhelm von Gottberg Dr . Alice Weidel Christian Lange (Backnang) Ursula Schulte Kay Gottschalk Dr . Harald Weyel Dr. Karl Lauterbach Martin Schulz Armin-Paulus Hampel Wolfgang Wiehle Helge Lindh Swen Schulz (Spandau) Mariana Iris Harder-Kühnel Dr . Heiko Wildberg Burkhard Lischka Frank Schwabe Verena Hartmann Dr . Christian Wirth Kirsten Lühmann Stefan Schwartze Dr. Roland Hartwig Uwe Witt Caren Marks Andreas Schwarz Jochen Haug Katja Mast Rita Schwarzelühr-Sutter Martin Hebner FDP Christoph Matschie Rainer Spiering Udo Theodor Hemmelgarn Grigorios Aggelidis Hilde Mattheis Svenja Stadler Lars Herrmann Renata Alt Dr. Matthias Miersch Martina Stamm-Fibich Martin Hess Christine Aschenberg- Klaus Mindrup Sonja Amalie Steffen Karsten Hilse Dugnus Susanne Mittag Mathias Stein Martin Hohmann Nicole Bauer Siemtje Möller Kerstin Tack Dr. Bruno Hollnagel Jens Beeck Falko Mohrs Claudia Tausend Leif-Erik Holm Nicola Beer Claudia Moll Michael Thews Johannes Huber Dr. Jens Brandenburg Detlef Müller (Chemnitz) Markus Töns Fabian Jacobi (Rhein-Neckar) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7931

(A) Mario Brandenburg Dr . h. c. Thomas Sattelberger Jan Korte Matthias Gastel (C) (Südpfalz) Christian Sauter Jutta Krellmann Kai Gehring Dr. Marco Buschmann Frank Schäffler Caren Lay Stefan Gelbhaar Karlheinz Busen Dr . Wieland Schinnenburg Sabine Leidig Katrin Göring-Eckardt Carl-Julius Cronenberg Matthias Seestern-Pauly Ralph Lenkert Erhard Grundl Britta Katharina Dassler Frank Sitta Stefan Liebich Anja Hajduk Bijan Djir-Sarai Judith Skudelny Dr. Gesine Lötzsch Britta Haßelmann Christian Dürr Dr. Hermann Otto Solms Thomas Lutze Dr . Anton Hofreiter Hartmut Ebbing Bettina Stark-Watzinger Pascal Meiser Ottmar von Holtz Dr. Marcus Faber Dr. Marie-Agnes Strack- Cornelia Möhring Dieter Janecek Daniel Föst Zimmermann Amira Mohamed Ali Dr. Kirsten Kappert-Gonther Otto Fricke Benjamin Strasser Niema Movassat Uwe Kekeritz Thomas Hacker Katja Suding Zaklin Nastic Katja Keul Katrin Helling-Plahr Linda Teuteberg Dr . Alexander S. Neu Sven-Christian Kindler Markus Herbrand Michael Theurer Thomas Nord Sylvia Kotting-Uhl Torsten Herbst Stephan Thomae Petra Pau Oliver Krischer Katja Hessel Manfred Todtenhausen Sören Pellmann Christian Kühn (Tübingen) Dr. Gero Clemens Hocker Dr . Florian Toncar Victor Perli Renate Künast Manuel Höferlin Dr . Andrew Ullmann Tobias Pflüger Markus Kurth Dr. Christoph Hoffmann Johannes Vogel (Olpe) Martina Renner Monika Lazar Reinhard Houben Sandra Weeser Bernd Riexinger Sven Lehmann Ulla Ihnen Nicole Westig Eva-Maria Schreiber Steffi Lemke Olaf In der Beek Katharina Willkomm Dr. Petra Sitte Dr . Tobias Lindner Gyde Jensen Helin Evrim Sommer Dr. Irene Mihalic Friedrich Straetmanns Dr. Christian Jung DIE LINKE. Claudia Müller Thomas L. Kemmerich Dr . Kirsten Tackmann Gökay Akbulut Beate Müller-Gemmeke Karsten Klein Jessica Tatti Simone Barrientos Dr. Konstantin von Notz (B) Dr. Marcel Klinge Alexander Ulrich (D) Dr. Dietmar Bartsch Omid Nouripour Daniela Kluckert Kathrin Vogler Lorenz Gösta Beutin Cem Özdemir Pascal Kober Dr . Sahra Wagenknecht Matthias W. Birkwald Friedrich Ostendorff Dr. Lukas Köhler Harald Weinberg Heidrun Bluhm Lisa Paus Carina Konrad Katrin Werner Michel Brandt Filiz Polat Wolfgang Kubicki Pia Zimmermann Christine Buchholz Tabea Rößner Konstantin Kuhle Sabine Zimmermann Birke Bull-Bischoff Claudia Roth (Augsburg) Alexander Kulitz (Zwickau) Jörg Cezanne Dr. Manuela Rottmann Alexander Graf Lambsdorff Sevim Dağdelen Corinna Rüffer Ulrich Lechte BÜNDNIS 90/ Fabio De Masi DIE GRÜNEN Ulle Schauws Christian Lindner Dr. Diether Dehm Dr. Gerhard Schick Michael Georg Link Luise Amtsberg Dr. Frithjof Schmidt (Heilbronn) Anke Domscheit-Berg Kerstin Andreae Stefan Schmidt Oliver Luksic Klaus Ernst Lisa Badum Kordula Schulz-Asche Till Mansmann Susanne Ferschl Annalena Baerbock Margit Stumpp Dr . Jürgen Martens Brigitte Freihold Margarete Bause Markus Tressel Christoph Meyer Sylvia Gabelmann Dr. Danyal Bayaz Jürgen Trittin Alexander Müller Nicole Gohlke Canan Bayram Dr . Julia Verlinden Roman Müller-Böhm Heike Hänsel Dr. Franziska Brantner Daniela Wagner Frank Müller-Rosentritt Dr . André Hahn Agnieszka Brugger Beate Walter-Rosenheimer Dr. Martin Neumann Matthias Höhn Dr . Anna Christmann (Lausitz) Ulla Jelpke Ekin Deligöz Hagen Reinhold Kerstin Kassner Katja Dörner Fraktionslos Bernd Reuther Dr . Achim Kessler Katharina Dröge Marco Bülow Dr. Stefan Ruppert Katja Kipping Harald Ebner Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. 7932 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Anlage 7 (C) Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten des Deut- schen Bundestages teilgenommen haben (Zusatztagesordnungspunkt 12)

CDU/CSU Ursula Groden-Kranich Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Eckhard Pols Stephan Albani Hermann Gröhe Katharina Landgraf Thomas Rachel Klaus-Dieter Gröhler Norbert Maria Altenkamp Ulrich Lange Kerstin Radomski Michael Grosse-Brömer Dr. Silke Launert Alexander Radwan Philipp Amthor Astrid Grotelüschen Jens Lehmann Alois Rainer Artur Auernhammer Markus Grübel Paul Lehrieder Dr. Peter Ramsauer Peter Aumer Monika Grütters Dr. Katja Leikert Eckhardt Rehberg Dorothee Bär Manfred Grund Dr. Andreas Lenz Lothar Riebsamen Thomas Bareiß Fritz Güntzler Antje Lezius Josef Rief Norbert Barthle Olav Gutting Andrea Lindholz Johannes Röring Maik Beermann Christian Haase Dr. Carsten Linnemann Dr. Norbert Röttgen Manfred Behrens (Börde) Florian Hahn Patricia Lips Stefan Rouenhoff Veronika Bellmann Jürgen Hardt Nikolas Löbel Erwin Rüddel Sybille Benning Matthias Hauer Bernhard Loos Albert Rupprecht Dr . André Berghegger Mark Hauptmann Dr. Jan-Marco Luczak Stefan Sauer Melanie Bernstein Dr. Matthias Heider Daniela Ludwig Anita Schäfer (Saalstadt) Christoph Bernstiel Mechthild Heil Yvonne Magwas Dr . Wolfgang Schäuble Peter Beyer Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Thomas de Maizière Jana Schimke Marc Biadacz Rudolf Henke Gisela Manderla Tankred Schipanski Steffen Bilger Marc Henrichmann Dr . Astrid Mannes Christian Schmidt (Fürth) Peter Bleser Ansgar Heveling Matern von Marschall Dr. Claudia Schmidtke Norbert Brackmann Christian Hirte Hans-Georg von der Marwitz Patrick Schnieder Michael Brand (Fulda) (B) Dr. Heribert Hirte Andreas Mattfeldt Nadine Schön (D) Dr. Reinhard Brandl Alexander Hoffmann Stephan Mayer (Altötting) Felix Schreiner Silvia Breher Karl Holmeier Dr. Michael Meister Dr. Klaus-Peter Schulze Sebastian Brehm Dr. Hendrik Hoppenstedt Jan Metzler Uwe Schummer Heike Brehmer Erich Irlstorfer Dr. Mathias Middelberg Armin Schuster (Weil am Ralph Brinkhaus Hans-Jürgen Irmer Karsten Möring Rhein) Dr. Carsten Brodesser Thomas Jarzombek Dietrich Monstadt Torsten Schweiger Gitta Connemann Andreas Jung Marlene Mortler Detlef Seif Astrid Damerow Ingmar Jung Elisabeth Motschmann Johannes Selle Alexander Dobrindt Alois Karl Dr. Gerd Müller Reinhold Sendker Marie-Luise Dött Anja Karliczek Axel Müller Dr. Patrick Sensburg Michael Donth Torbjörn Kartes Sepp Müller Thomas Silberhorn Hansjörg Durz Volker Kauder Carsten Müller Björn Simon Thomas Erndl Dr. Stefan Kaufmann (Braunschweig) Tino Sorge Hermann Färber Ronja Kemmer Stefan Müller (Erlangen) Katrin Staffler Uwe Feiler Roderich Kiesewetter Dr. Andreas Nick Frank Steffel Enak Ferlemann Michael Kießling Petra Nicolaisen Dr . Wolfgang Stefinger Dr. Maria Flachsbarth Dr . Georg Kippels Michaela Noll Albert Stegemann Thorsten Frei Volkmar Klein Dr . Georg Nüßlein Andreas Steier Dr. Hans-Peter Friedrich Axel Knoerig Wilfried Oellers Peter Stein (Rostock) (Hof) Jens Koeppen Florian Oßner Johannes Steiniger Michael Frieser Carsten Körber Josef Oster Christian Frhr. von Stetten Hans-Joachim Fuchtel Markus Koob Henning Otte Dieter Stier Ingo Gädechens Alexander Krauß Sylvia Pantel Gero Storjohann Dr . Thomas Gebhart Gunther Krichbaum Martin Patzelt Stephan Stracke Alois Gerig Rüdiger Kruse Dr. Joachim Pfeiffer Max Straubinger Eberhard Gienger Dr. Roy Kühne Stephan Pilsinger Karin Strenz Eckhard Gnodtke Michael Kuffer Dr. Christoph Ploß Michael Stübgen Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7933

(A) Dr. Hermann-Josef Tebroke Yasmin Fahimi Detlef Müller (Chemnitz) Marja-Liisa Völlers (C) Hans-Jürgen Thies Dr. Johannes Fechner Michelle Müntefering Dirk Vöpel Alexander Throm Dr. Fritz Felgentreu Dr. Rolf Mützenich Ute Vogt Dr. Dietlind Tiemann Dr. Edgar Franke Dietmar Nietan Gabi Weber Antje Tillmann Dagmar Freitag Ulli Nissen Bernd Westphal Markus Uhl Sigmar Gabriel Mahmut Özdemir (Duisburg) Dirk Wiese Dr . Volker Ullrich Michael Gerdes Aydan Özoğuz Gülistan Yüksel Arnold Vaatz Martin Gerster Thomas Oppermann Dagmar Ziegler Oswin Veith Angelika Glöckner Josephine Ortleb Stefan Zierke Kerstin Vieregge Timon Gremmels Christian Petry Dr. Jens Zimmermann Volkmar Vogel (Kleinsaara) Kerstin Griese Detlev Pilger Kees de Vries Uli Grötsch Sabine Poschmann AfD Christoph de Vries Michael Groß Florian Post Dr. Bernd Baumann Marco Wanderwitz Bettina Hagedorn Achim Post (Minden) Marc Bernhard Kai Wegner Rita Hagl-Kehl Florian Pronold Andreas Bleck Dr. h. c. (NUACA) Albert H. Metin Hakverdi Dr. Sascha Raabe Peter Boehringer Weiler Sebastian Hartmann Martin Rabanus Stephan Brandner Marcus Weinberg (Hamburg) Dirk Heidenblut Andreas Rimkus Jürgen Braun Dr . Anja Weisgerber Hubertus Heil (Peine) Sönke Rix Marcus Bühl Peter Weiß (Emmendingen) Gabriela Heinrich René Röspel Matthias Büttner Sabine Weiss (Wesel I) Wolfgang Hellmich Dennis Rohde Petr Bystron Ingo Wellenreuther Dr. Barbara Hendricks Dr. Martin Rosemann Tino Chrupalla Marian Wendt Gustav Herzog Dr. Ernst Dieter Rossmann Joana Cotar Kai Whittaker Gabriele Hiller-Ohm Michael Roth (Heringen) Dr. Gottfried Curio Annette Widmann-Mauz Thomas Hitschler Bernd Rützel Siegbert Droese Bettina Margarethe Frank Junge Sarah Ryglewski Wiesmann Josip Juratovic Johann Saathoff Thomas Ehrhorn Klaus-Peter Willsch Thomas Jurk Axel Schäfer (Bochum) Berengar Elsner von Gronow (B) Elisabeth Winkelmeier- Oliver Kaczmarek Dr. Nina Scheer Dr. Michael Espendiller (D) Becker Johannes Kahrs Marianne Schieder Peter Felser Emmi Zeulner Elisabeth Kaiser Udo Schiefner Dietmar Friedhoff Paul Ziemiak Ralf Kapschack Dr. Nils Schmid Dr . Anton Friesen Dr. Matthias Zimmer Gabriele Katzmarek Uwe Schmidt Dr. Götz Frömming Ulrich Kelber Ulla Schmidt (Aachen) Markus Frohnmaier SPD Cansel Kiziltepe Dagmar Schmidt (Wetzlar) Dr. Alexander Gauland Ingrid Arndt-Brauer Arno Klare Carsten Schneider (Erfurt) Dr . Axel Gehrke Heike Baehrens Lars Klingbeil Johannes Schraps Albrecht Glaser Ulrike Bahr Dr. Bärbel Kofler Michael Schrodi Franziska Gminder Dr. Katarina Barley Elvan Korkmaz Dr. Manja Schüle Wilhelm von Gottberg Doris Barnett Anette Kramme Ursula Schulte Kay Gottschalk Dr. Matthias Bartke Christine Lambrecht Martin Schulz Armin-Paulus Hampel Sören Bartol Christian Lange (Backnang) Swen Schulz (Spandau) Mariana Iris Harder-Kühnel Bärbel Bas Dr. Karl Lauterbach Frank Schwabe Verena Hartmann Lothar Binding (Heidelberg) Helge Lindh Stefan Schwartze Dr. Roland Hartwig Leni Breymaier Burkhard Lischka Andreas Schwarz Jochen Haug Dr. Karl-Heinz Brunner Kirsten Lühmann Rita Schwarzelühr-Sutter Martin Hebner Katrin Budde Caren Marks Rainer Spiering Udo Theodor Hemmelgarn Martin Burkert Katja Mast Svenja Stadler Lars Herrmann Dr. Lars Castellucci Christoph Matschie Martina Stamm-Fibich Martin Hess Bernhard Daldrup Hilde Mattheis Sonja Amalie Steffen Karsten Hilse Dr. Daniela De Ridder Dr. Matthias Miersch Mathias Stein Martin Hohmann Dr. Karamba Diaby Klaus Mindrup Kerstin Tack Dr. Bruno Hollnagel Esther Dilcher Susanne Mittag Claudia Tausend Leif-Erik Holm Sabine Dittmar Siemtje Möller Michael Thews Johannes Huber Dr . Wiebke Esdar Falko Mohrs Markus Töns Fabian Jacobi Saskia Esken Claudia Moll Carsten Träger Uwe Kamann 7934 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Jens Kestner Karlheinz Busen Judith Skudelny Amira Mohamed Ali (C) Stefan Keuter Carl-Julius Cronenberg Dr. Hermann Otto Solms Niema Movassat Jörn König Britta Katharina Dassler Bettina Stark-Watzinger Norbert Müller (Potsdam) Enrico Komning Bijan Djir-Sarai Dr. Marie-Agnes Strack- Zaklin Nastic Steffen Kotré Christian Dürr Zimmermann Dr. Alexander S. Neu Dr. Rainer Kraft Hartmut Ebbing Benjamin Strasser Thomas Nord Rüdiger Lucassen Dr. Marcus Faber Katja Suding Petra Pau Frank Magnitz Daniel Föst Linda Teuteberg Sören Pellmann Jens Maier Michael Theurer Otto Fricke Victor Perli Dr. Lothar Maier Stephan Thomae Thomas Hacker Tobias Pflüger Dr . Birgit Malsack- Katrin Helling-Plahr Manfred Todtenhausen Winkemann Martina Renner Markus Herbrand Dr. Florian Toncar Corinna Miazga Bernd Riexinger Torsten Herbst Dr . Andrew Ullmann Andreas Mrosek Eva-Maria Schreiber Katja Hessel Johannes Vogel (Olpe) Volker Münz Dr. Petra Sitte Dr. Gero Clemens Hocker Sandra Weeser Sebastian Münzenmaier Helin Evrim Sommer Manuel Höferlin Nicole Westig Christoph Neumann Friedrich Straetmanns Dr. Christoph Hoffmann Katharina Willkomm Jan Ralf Nolte Dr. Kirsten Tackmann Reinhard Houben Ulrich Oehme Jessica Tatti Ulla Ihnen DIE LINKE. Gerold Otten Alexander Ulrich Olaf In der Beek Doris Achelwilm Frank Pasemann Kathrin Vogler Gyde Jensen Gökay Akbulut Tobias Matthias Peterka Dr. Sahra Wagenknecht Dr. Christian Jung Simone Barrientos Paul Viktor Podolay Harald Weinberg Jürgen Pohl Thomas L. Kemmerich Lorenz Gösta Beutin Katrin Werner Stephan Protschka Karsten Klein Matthias W. Birkwald Pia Zimmermann Martin Erwin Renner Dr. Marcel Klinge Heidrun Bluhm Sabine Zimmermann Roman Johannes Reusch Daniela Kluckert Michel Brandt (Zwickau) Ulrike Schielke-Ziesing Pascal Kober Christine Buchholz

Dr. Robby Schlund Dr. Lukas Köhler Birke Bull-Bischoff (B) BÜNDNIS 90/ (D) Jörg Schneider Carina Konrad Jörg Cezanne DIE GRÜNEN Uwe Schulz Wolfgang Kubicki Sevim Dağdelen Thomas Seitz Konstantin Kuhle Fabio De Masi Luise Amtsberg Martin Sichert Alexander Kulitz Dr. Diether Dehm Kerstin Andreae Detlev Spangenberg Alexander Graf Lambsdorff Anke Domscheit-Berg Lisa Badum René Springer Ulrich Lechte Klaus Ernst Annalena Baerbock Beatrix von Storch Christian Lindner Susanne Ferschl Margarete Bause Dr . Alice Weidel Michael Georg Link Brigitte Freihold Dr. Danyal Bayaz Dr. Harald Weyel (Heilbronn) Sylvia Gabelmann Canan Bayram Wolfgang Wiehle Oliver Luksic Nicole Gohlke Dr. Franziska Brantner Till Mansmann Dr. Heiko Wildberg Heike Hänsel Agnieszka Brugger Dr . Jürgen Martens Dr. Christian Wirth Dr . André Hahn Dr . Anna Christmann Uwe Witt Christoph Meyer Matthias Höhn Ekin Deligöz Alexander Müller Ulla Jelpke Katja Dörner FDP Roman Müller-Böhm Kerstin Kassner Katharina Dröge Frank Müller-Rosentritt Dr . Achim Kessler Grigorios Aggelidis Harald Ebner Dr. Martin Neumann Katja Kipping Renata Alt Matthias Gastel (Lausitz) Jan Korte Christine Aschenberg- Kai Gehring Dugnus Hagen Reinhold Jutta Krellmann Stefan Gelbhaar Nicole Bauer Bernd Reuther Caren Lay Katrin Göring-Eckardt Jens Beeck Dr. Stefan Ruppert Sabine Leidig Erhard Grundl Nicola Beer Dr. h. c. Thomas Sattelberger Ralph Lenkert Anja Hajduk Dr. Jens Brandenburg Christian Sauter Stefan Liebich (Rhein-Neckar) Frank Schäffler Dr. Gesine Lötzsch Britta Haßelmann Mario Brandenburg Dr . Wieland Schinnenburg Thomas Lutze Dr . Anton Hofreiter (Südpfalz) Matthias Seestern-Pauly Pascal Meiser Ottmar von Holtz Dr. Marco Buschmann Frank Sitta Cornelia Möhring Dieter Janecek Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7935

(A) Dr. Kirsten Kappert-Gonther Steffi Lemke Filiz Polat Margit Stumpp (C) Uwe Kekeritz Dr . Tobias Lindner Tabea Rößner Markus Tressel Katja Keul Dr. Irene Mihalic Claudia Roth (Augsburg) Jürgen Trittin Sven-Christian Kindler Claudia Müller Dr. Manuela Rottmann Dr. Julia Verlinden Sylvia Kotting-Uhl Beate Müller-Gemmeke Corinna Rüffer Daniela Wagner Oliver Krischer Dr. Konstantin von Notz Ulle Schauws Beate Walter-Rosenheimer Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast Omid Nouripour Dr. Gerhard Schick Fraktionslos Markus Kurth Cem Özdemir Dr. Frithjof Schmidt Monika Lazar Friedrich Ostendorff Stefan Schmidt Marco Bülow Sven Lehmann Lisa Paus Kordula Schulz-Asche Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Anlage 8 Zweitens. Leider existiert in der EU kein einheitli- ches Tierschutzrecht. Aufgrund der unter Erstens be- Erklärung nach § 31 GO schriebenen Defizite stehen aktuell in Deutschland die Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration nicht der Abgeordneten Dr. Matthias Miersch, Ulrike flächendeckend zur Verfügung. Würde es jetzt nicht zu Bahr, Lothar Binding (Heidelberg), Sabine einer Fristverlängerung kommen, wäre zu befürchten, Dittmar, Dr. Wiebke Esdar, Martin Gerster, Timon dass es in Deutschland zu massiven Strukturbrüchen bei Gremmels, Michael Groß, Rita Hagl-Kehl, Metin den deutschen Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme, Hakverdi, Dirk Heidenblut, Gabriela Heinrich, mit der Folge, dass Ferkel aus Ost- und Nordeuropa im- Oliver Kaczmarek, Elisabeth Kaiser, Ralf portiert werden würden, die gerade nicht nach deutschen Kapschack, Ulrich Kelber, Cansel Kiziltepe, Arno Tierschutzstandards kastriert wurden und noch dazu wei- Klare, Dr. Bärbel Kofler, Christine Lambrecht, te Transportwege zurücklegen mussten. Vor diesem Hin- Kirsten Lühmann, Christoph Matschie, Hilde tergrund haben sich nahezu alle Sachverständigen in der Mattheis, Klaus Mindrup, Claudia Moll, Dietmar Anhörung des Landwirtschaftsausschusses am 26. No- (B) Nietan, Ulli Nissen, Sabine Poschmann, Sönke Rix, vember2018 für die Fristverlängerung ausgesprochen. (D) René Röspel, Dr. Martin Rosemann, Dr. Ernst Der von der Fraktion Die Linke benannte Sachverständi- Dieter Rossmann, Bernd Rützel, Sarah Ryglewski, ge Dr. Palzer vom Bundesverband Praktizierender Tier- Johann Saathoff, Udo Schiefner, Uwe Schmidt, ärzte e. V. (bpt) schreibt in seiner Stellungnahme: „Aus Johannes Schraps, Dr. Manja Schüle, Ursula all diesen Gründen hält der bpt eine Verschiebung des Schulte, Frank Schwabe, Martina Stamm-Fibich, Termins schon seit längerem für unabdingbar.“ Mathias Stein, Kerstin Tack, Michael Thews, Markus Töns, Carsten Träger, Dirk Vöpel und Drittens. Eine bloße Fristverlängerung war für die Stefan Zierke (alle SPD) SPD-Bundestagsfraktion jedoch keinesfalls ausreichend. zu der namentlichen Abstimmung über den von Anders als es CDU/CSU und FDP im Jahr 2012 getan den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- haben, haben wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, brachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Än- die garantieren, dass nach zwei Jahren wirklich die Al- derung des Tierschutzgesetzes ternativen flächendeckend zur Verfügung stehen. Das (Tagesordnungspunkt 11 a) Bundeslandwirtschaftsministerium wird verpflichtet, die bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben und unter Die heutige Abstimmung über die tierschutzrechtli- anderem im Rahmen einer Rechtsverordnung die Voraus- chen Regelungen im Zusammenhang mit der Kastrati- setzungen für die Alternativmethoden flächendeckend zu on von Ferkeln beschäftigt viele Menschen, sodass wir schaffen – so zum Beispiel durch die Entwicklung und in dieser Erklärung zur Geschäftsordnung noch einmal Bereitstellung von Schulungsprogrammen, durch die darlegen wollen, warum wir dieser Fassung des Gesetzes Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung von zustimmen: notwendigen Narkosegeräten und durch entsprechende Aufklärungskampagnen. Die SPD-Bundestagsfraktion Erstens. Zu Recht wird die Verweigerungshaltung des geht davon aus, dass so die Methode, die Neuland mit früheren Bundeslandwirtschaftsministers Schmidt sowie seinen besonders tiergerechten und umweltschonenden weiter Teile der Funktionäre der Verbände und großer Haltungsformen schon seit Jahren praktiziert, Standard Teile der CDU/CSU in den vergangenen Jahren kritisiert, werden kann und somit auch eine europäische Ausstrah- die fünfjährige Übergangsfrist für die Entwicklung wirk- lungskraft entfalten kann. licher Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration zu nutzen. Stattdessen haben sie auf einen sogenannten Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft vierten Weg gesetzt, der die Veränderung des Schmerz- (AbL), eine Organisation, die vor allem kleinere bäuerli- begriffes im Tierschutzgesetz voraussetzen würde. Diese che Betriebe vertritt und die jedes Jahr in Berlin mit vie- Änderung hat die SPD-Bundestagsfraktion verhindert. len anderen Organisationen zu einem Paradigmenwech- 7936 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) sel in der Agrarwirtschaft unter dem Motto „Wir haben Stattdessen haben sie einen sogenannten vierten Weg (C) es satt“ aufruft, begrüßt ausdrücklich den vorliegenden verfolgt, der die Veränderung des Schmerzbegriffs im Gesetzesinhalt: Tierschutzgesetz vorausgesetzt hätte. Diese Änderung hat die SPD-Bundestagsfraktion verhindert. Jetzt gilt es, die für Betriebe möglichen Alternati- ven rechtlich so schnell wie möglich abzusichern, Zweitens. Leider existiert in der EU kein einheitli- die entsprechenden Arzneimittel und Narkosegeräte ches Tierschutzrecht. Aufgrund der unter Erstens be- in der Fläche verfügbar zu machen und die Prakti- schriebenen Defizite stehen aktuell in Deutschland die kerinnen und Praktiker im tier- und sachgerechten Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration nicht Umgang zu schulen … Der Gesetzentwurf, den die flächendeckend zur Verfügung. Würde es jetzt nicht zu Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD heu- einer Fristverlängerung kommen, wäre zu befürchten, te beschließen wollen, legt nun fest, dass das Bun- dass es in Deutschland zu massiven Strukturbrüchen bei desministerium BMEL endlich zu handeln hat. Das den deutschen Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme. ist ein riesiger Fortschritt. Dies würde dazu führen, dass Ferkel aus Ost- und Nor- deuropa importiert werden, die gerade nicht nach deut- Wer die AbL kennt, weiß, dass sie diese Würdigung schen Tierschutzstandards kastriert wurden und noch nicht leichtfertig abgibt. dazu weite Transportwege zurücklegen mussten. Vor die- Viertens. Die Diskussion um die Versäumnisse des sem Hintergrund haben sich nahezu alle Sachverständi- Bundeslandwirtschaftsministeriums im Zusammenhang gen in der Anhörung des Landwirtschaftsausschusses am mit der Ferkelkastration haben wir zudem dazu genutzt, 26. November 2018 für die Fristverlängerung ausgespro- generell einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung chen. Der von der Fraktion Die Linke benannte Sachver- einzufordern und klare Verabredungen unter den Koali- ständige Dr. Palzer vom Bundesverband Praktizierender tionsfraktionen zu treffen. So fordern wir in einem heute Tierärzte e. V. (bpt) schreibt in seiner Stellungnahme: zu beschließenden Entschließungsantrag unter anderem „Aus all diesen Gründen hält der bpt eine Verschiebung das BMEL darüber hinaus dazu auf, bis Mitte der Legis- des Termins schon seit längerem für unabdingbar.“ latur die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei Drittens. Eine bloße Fristverlängerung war für die Lösungen für nichtkurative Eingriffe, wie das Kürzen SPD-Bundestagsfraktion jedoch keinesfalls ausreichend. von Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, Anders als es CDU/CSU und FDP im Jahr 2012 getan vorzulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell haben, haben wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, wie möglich zu beenden. die garantieren, dass nach zwei Jahren nun wirklich die Ende 2019 gilt dann die Revisionsklausel, die die Um- Alternativen flächendeckend zur Verfügung stehen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium wird verpflichtet, die (B) setzung der Vorhaben dieser Koalition insgesamt beur- (D) teilen soll. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird jede und bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben und unter jeder beurteilen können und müssen, ob den Forderungen anderem im Rahmen einer Rechtsverordnung die Voraus- des Entschließungsantrags Rechnung getragen worden setzungen für die Alternativmethoden flächendeckend zu ist. schaffen – so zum Beispiel durch die Entwicklung und Bereitstellung von Schulungsprogrammen, durch die Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung von notwendigen Narkosegeräten und durch entsprechende Anlage 9 Aufklärungskampagnen. Die SPD-Bundestagsfraktion geht davon aus, dass so die Methode, die Neuland mit Erklärungen nach § 31 GO seinen besonders tiergerechten und umweltschonenden zu der namentlichen Abstimmung über den von Haltungsformen schon seit Jahren praktiziert, Standard den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- werden und somit auch eine europäische Ausstrahlungs- brachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Än- kraft entfalten kann. derung des Tierschutzgesetzes Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (Tagesordnungspunkt 11 a) (AbL), eine Organisation, die vor allem kleinere bäuerli- che Betriebe vertritt und die jedes Jahr in Berlin mit vie- Heike Baehrens (SPD): Die heutige Abstimmung len anderen Organisationen zu einem Paradigmenwech- über die tierschutzrechtlichen Regelungen im Zusam- sel in der Agrarwirtschaft unter dem Motto „Wir haben menhang mit der Kastration von Ferkeln beschäftigt es satt“ aufruft, begrüßt ausdrücklich den vorliegenden viele Menschen und hat auch mich aufgewühlt. Darum Gesetzesinhalt: erläutere ich in dieser Erklärung zur Geschäftsordnung, warum ich dieser Fassung des Gesetzes nun dennoch zu- Jetzt gilt es, die für Betriebe möglichen Alternati- stimme: ven rechtlich so schnell wie möglich abzusichern, die entsprechenden Arzneimittel und Narkosegerä- Erstens. Die SPD-Bundestagsfraktion kritisiert die te in der Fläche verfügbar zu machen und die Prak- Verweigerungshaltung des früheren Bundeslandwirt- tikerinnen und Praktiker im tier- und sachgerech- schaftsministers Schmidt sowie weiter Teile der Funkti- ten Umgang zu schulen ... Der Gesetzentwurf, den onäre der Verbände und großer Teile der CDU/CSU in die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD den vergangenen Jahren, die fünfjährige Übergangsfrist heute beschließen wollen, legt nun fest, dass das für die Entwicklung wirklicher Alternativen zur betäu- Bundesministerium BMEL endlich zu handeln hat. bungslosen Ferkelkastration nicht genutzt zu haben. Das ist ein riesiger Fortschritt. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7937

(A) Wer die AbL kennt, weiß, dass sie diese Würdigung Aufklärungskampagnen. Die SPD-Bundestagsfraktion (C) nicht leichtfertig abgibt. geht davon aus, dass so die Methode, die Neuland mit seinen besonders tiergerechten und umweltschonenden Viertens. Die Diskussion um die Versäumnisse des Haltungsformen schon seit Jahren praktiziert, Standard Bundeslandwirtschaftsministeriums im Zusammenhang werden kann und somit auch eine europäische Ausstrah- mit der Ferkelkastration haben wir zudem dazu genutzt, lungskraft entfalten kann. generell einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhal- tung einzufordern und klare Verabredungen unter den Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Koalitionsfraktionen zu treffen. So fordern wir in einem (AbL), eine Organisation, die vor allem kleinere bäuerli- heute zu beschließenden Entschließungsantrag unter an- che Betriebe vertritt und die jedes Jahr in Berlin mit vie- derem das Bundeslandwirtschaftsministerium dazu auf, len anderen Organisationen zu einem Paradigmenwech- bis Mitte der Legislatur die Nutztierstrategie weiterzu- sel in der Agrarwirtschaft unter dem Motto „Wir haben entwickeln und dabei Lösungen für nichtkurative Ein- es satt“ aufruft, begrüßt ausdrücklich den vorliegenden griffe, wie das Kürzen von Ringelschwänzen und das Gesetzesinhalt: Enthornen von Rindern, vorzulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell wie möglich zu beenden. Jetzt gilt es, die für Betriebe möglichen Alternati- ven rechtlich so schnell wie möglich abzusichern, Ich verlasse mich darauf, dass durch diese Verabre- die entsprechenden Arzneimittel und Narkosegerä- dungen insgesamt ein besserer Tierschutz erreicht wird. te in der Fläche verfügbar zu machen und die Prak- tikerinnen und Praktiker im tier- und sachgerech- Dr. Lars Castellucci (SPD): Die heutige Abstim- ten Umgang zu schulen ... Der Gesetzentwurf, den mung über die tierschutzrechtlichen Regelungen im Zu- die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD sammenhang mit der Kastration von Ferkeln beschäftigt heute beschließen wollen, legt nun fest, dass das viele Menschen. Bundesministerium BMEL endlich zu handeln hat. Das ist ein riesiger Fortschritt. Nötig ist sie aufgrund der Verweigerungshaltung des früheren Bundeslandwirtschaftsministers Schmidt sowie Die Diskussion um die Versäumnisse des Bundes- weiter Teile der Funktionäre der Verbandsvertreter und landwirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit der großer Teile der CDU/CSU in den vergangenen Jahren, Ferkelkastration haben wir zudem dazu genutzt, generell die fünfjährige Übergangsfrist für die Entwicklung wirk- einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung einzu- licher Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration fordern und klare Verabredungen unter den Koalitions- zu nutzen. Stattdessen haben sie auf einen sogenannten fraktionen zu treffen. So fordern wir in einem heute zu vierten Weg gesetzt, der die Veränderung des Schmerz- beschließenden Entschließungsantrag unter anderem das (B) begriffes im Tierschutzgesetz voraussetzen würde. Diese BMEL darüber hinaus dazu auf, bis Mitte der Legislatur (D) Änderung hat die SPD-Bundestagsfraktion verhindert. die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei Lö- sungen für nichtkurative Eingriffe, wie das Kürzen von Leider existiert in der EU kein einheitliches Tier- Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern vor- schutzrecht. Aktuell stehen in Deutschland die Alternati- zulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell wie ven zur betäubungslosen Ferkelkastration nicht flächen- möglich zu beenden. deckend zur Verfügung. Würde es jetzt nicht zu einer Fristverlängerung kommen, wäre zu befürchten, dass Ende 2019 gilt dann die Revisionsklausel, die die Um- es in Deutschland zu massiven Strukturbrüchen bei den setzung der Vorhaben dieser Koalition insgesamt beurtei- deutschen Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme, mit len soll. Sollte zu diesem Zeitpunkt den Forderungen des der Folge, dass Ferkel aus Ost- und Nordeuropa impor- Entschließungsantrags nicht Rechnung getragen worden tiert werden würden, die gerade nicht nach deutschen sein, werde ich keinen weiteren Kompromissen in dieser Tierschutzstandards kastriert wurden und noch dazu wei- Sache zustimmen. te Transportwege zurücklegen mussten. Vor diesem Hin- tergrund haben sich nahezu alle Sachverständigen in der Doris Barnett (SPD): Die heutige Abstimmung über Anhörung des Landwirtschaftsausschusses am 26. No- die tierschutzrechtlichen Regelungen im Zusammenhang vember 2018 für die Fristverlängerung ausgesprochen. mit der Kastration von Ferkeln beschäftigt viele Men- schen im Land, egal, ob sie mit Tierzucht persönlich zu Eine bloße Fristverlängerung war für die SPD-Bun- tun haben oder sich persönlich mit dem Tierwohl be- destagsfraktion jedoch keinesfalls ausreichend. Anders schäftigen. Auch ich habe interessiert zugehört und die als es CDU/CSU und FDP im Jahr 2012 getan haben, Debatten in meiner Fraktion zu diesem Thema aufmerk- haben wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, die sam verfolgt. Als Tierfreund fällt mir die Entscheidung garantieren, dass nach zwei Jahren nun wirklich die Al- wirklich schwer, nicht zuletzt, weil ich seit Kurt Becks ternativen flächendeckend zur Verfügung stehen. Das Engagement gegen unnötige Tiertransporte sensibilisiert Bundeslandwirtschaftsministerium wird verpflichtet, worden bin. Wenn ich heute dennoch den Fachpolitikern die bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben und meiner Fraktion folge und dem Gesetz zustimme, dann unter anderem im Rahmen einer Rechtsverordnung die will ich zumindest in dieser Erklärung nach der Ge- Voraussetzungen für die Alternativmethoden flächende- schäftsordnung noch einmal darlegen, warum ich dies ckend zu schaffen – so zum Beispiel die Entwicklung tue: und Bereitstellung von Schulungsprogrammen, durch die Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung von Erstens. Zu Recht wird die Verweigerungshaltung des notwendigen Narkosegeräten und durch entsprechende früheren Bundeslandwirtschaftsministers Schmidt sowie 7938 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) weiter Teile der Funktionäre der Verbände und großer die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD (C) Teile der CDU/CSU in den vergangenen Jahren kritisiert, heute beschließen wollen, legt nun fest, dass das die fünfjährige Übergangsfrist für die Entwicklung wirk- Bundesministerium BMEL endlich zu handeln hat. licher Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration Das ist ein riesiger Fortschritt. zu nutzen. Stattdessen haben sie auf einen sogenannten vierten Weg gesetzt, der die Veränderung des Schmerz- Wer die AbL kennt, weiß, dass sie diese Würdigung begriffes im Tierschutzgesetz voraussetzen würde. Diese nicht leichtfertig abgibt. Änderung hat die SPD-Bundestagsfraktion verhindert. Viertens. Die Diskussion um die Versäumnisse des Zweitens. Leider existiert in der EU kein einheitli- Bundeslandwirtschaftsministeriums im Zusammenhang ches Tierschutzrecht. Aufgrund der unter Erstens be- mit der Ferkelkastration haben wir zudem dazu genutzt, schriebenen Defizite stehen aktuell in Deutschland die generell einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration nicht einzufordern und klare Verabredungen unter den Koali- flächendeckend zur Verfügung. Würde es jetzt nicht zu tionsfraktionen zu treffen. So fordern wir in einem heute einer Fristverlängerung kommen, wäre zu befürchten, zu beschließenden Entschließungsantrag unter anderem dass es in Deutschland zu massiven Strukturbrüchen bei das BMEL darüber hinaus dazu auf, bis Mitte der Legis- den deutschen Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme, latur die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei mit der Folge, dass Ferkel aus Ost- und Nordeuropa im- Lösungen für nichtkurative Eingriffe, wie das Kürzen portiert werden würden, die gerade nicht nach deutschen von Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, Tierschutzstandards kastriert wurden und noch dazu wei- vorzulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell te Transportwege zurücklegen mussten. Vor diesem Hin- wie möglich zu beenden. tergrund haben sich nahezu alle Sachverständigen in der Ende 2019 gilt dann die Revisionsklausel, die die Um- Anhörung des Landwirtschaftsausschusses am 26. No- setzung der Vorhaben dieser Koalition insgesamt beur- vember 2018 für die Fristverlängerung ausgesprochen. teilen soll. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird jede und Der von der Fraktion Die Linke benannte Sachverständi- jeder beurteilen können und müssen, ob den Forderungen ge Dr. Palzer vom Bundesverband Praktizierender Tier- des Entschließungsantrags Rechnung getragen worden ärzte e.V. (bpt) schreibt in seiner Stellungnahme: „Aus ist. all diesen Gründen hält der bpt eine Verschiebung des Termins schon seit längerem für unabdingbar.“ Dr. Matthias Bartke (SPD): Die heutige Abstim- Drittens. Eine bloße Fristverlängerung war für die mung über die tierschutzrechtlichen Regelungen im Zu- SPD-Bundestagsfraktion jedoch keinesfalls ausreichend. sammenhang mit der Kastration von Ferkeln beschäftigt Anders als es CDU/CSU und FDP im Jahr 2012 getan viele Menschen. Daher möchte ich in dieser Erklärung (B) haben, haben wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, zur Geschäftsordnung noch einmal darlegen, warum ich (D) die garantieren, dass nach zwei Jahren wirklich die Al- dieser Fassung des Gesetzes zustimme: ternativen flächendeckend zur Verfügung stehen. Das Erstens. Zu Recht wird die Verweigerungshaltung des Bundeslandwirtschaftsministerium wird verpflichtet, die früheren Bundeslandwirtschaftsministers Schmidt sowie bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben und unter weiter Teile der Funktionäre der Verbände und großer anderem im Rahmen einer Rechtsverordnung die Voraus- Teile der CDU/CSU in den vergangenen Jahren kritisiert, setzungen für die Alternativmethoden flächendeckend zu die fünfjährige Übergangsfrist für die Entwicklung wirk- schaffen – so zum Beispiel durch die Entwicklung und licher Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration Bereitstellung von Schulungsprogrammen, durch die zu nutzen. Stattdessen haben sie auf einen sogenannten Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung von vierten Weg gesetzt, der die Veränderung des Schmerz- notwendigen Narkosegeräten und durch entsprechende begriffes im Tierschutzgesetz voraussetzen würde. Diese Aufklärungskampagnen. Die SPD-Bundestagsfraktion Änderung hat die SPD-Bundestagsfraktion verhindert. geht davon aus, dass so die Methode, die Neuland mit seinen besonders tiergerechten und umweltschonenden Zweitens. Leider existiert in der EU kein einheitli- Haltungsformen schon seit Jahren praktiziert, Standard ches Tierschutzrecht. Aufgrund der unter Erstens be- werden kann und somit auch eine europäische Ausstrah- schriebenen Defizite stehen aktuell in Deutschland die lungskraft entfalten kann. Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration nicht flächendeckend zur Verfügung. Würde es jetzt nicht zu Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft einer Fristverlängerung kommen, wäre zu befürchten, (AbL), eine Organisation, die vor allem kleinere bäuerli- dass es in Deutschland zu massiven Strukturbrüchen bei che Betriebe vertritt und die jedes Jahr in Berlin mit vie- den deutschen Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme, len anderen Organisationen zu einem Paradigmenwech- mit der Folge, dass Ferkel aus Ost- und Nordeuropa im- sel in der Agrarwirtschaft unter dem Motto „Wir haben portiert werden würden, die gerade nicht nach deutschen es satt“ aufruft, begrüßt ausdrücklich den vorliegenden Tierschutzstandards kastriert wurden und noch dazu wei- Gesetzesinhalt: te Transportwege zurücklegen mussten. Vor diesem Hin- Jetzt gilt es, die für Betriebe möglichen Alternati- tergrund haben sich nahezu alle Sachverständigen in der ven rechtlich so schnell wie möglich abzusichern, Anhörung des Landwirtschaftsausschusses am 26. No- die entsprechenden Arzneimittel und Narkosegerä- vember 2018 für die Fristverlängerung ausgesprochen. te in der Fläche verfügbar zu machen und die Prak- Der von der Fraktion Die Linke benannte Sachverständi- tikerinnen und Praktiker im tier- und sachgerech- ge Dr. Palzer vom Bundesverband Praktizierender Tier- ten Umgang zu schulen … Der Gesetzentwurf, den ärzte e.V. (bpt) schreibt in seiner Stellungnahme: „Aus Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7939

(A) all diesen Gründen hält der bpt eine Verschiebung des Veronika Bellmann (CDU/CSU): Dem von den (C) Termins schon seit längerem für unabdingbar.“ Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Tier- Drittens. Eine bloße Fristverlängerung war für die schutzgesetzes kann ich nicht zustimmen. SPD-Fraktion jedoch keinesfalls ausreichend. Anders als es CDU/CSU und FDP im Jahr 2012 getan haben, haben Mit dem Gesetzentwurf wird die Übergangsfrist für wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, die garantie- das betäubungslose Kastrieren männlicher Ferkel im Al- ren, dass nach zwei Jahren nun wirklich die Alternativen ter von unter acht Tagen verlängert. Die Übergangsrege- flächendeckend zur Verfügung stehen. Das Bundesland- lung in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Tierschutzgesetzes, die wirtschaftsministerium wird verpflichtet, die bisherige die Kastration von Ferkeln aktuell noch bis zum 31. De- Verweigerungshaltung aufzugeben und unter anderem zember 2018 ohne Betäubung erlaubt, wird damit bis im Rahmen einer Rechtsverordnung die Voraussetzun- zum 31. Dezember 2020 verlängert. Im Gesetzentwurf gen für die Alternativmethoden flächendeckend zu schaf- heißt es, dass die Verlängerung zwingend erforderlich fen. Dies geschieht zum Beispiel durch die Entwicklung sei, weil die derzeit verfügbaren Alternativen zur betäu- und Bereitstellung von Schulungsprogrammen, durch bungslosen Kastration den Anforderungen der Praxis die Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung von nicht gerecht würden. notwendigen Narkosegeräten und durch entsprechende Die Begründung, dass es noch immer keine marktfä- Aufklärungskampagnen. higen Alternativen gäbe, ist schlichtweg unwahr. Es gibt Die SPD-Fraktion geht davon aus, dass so die Metho- sogar drei davon – die Ebermast, die Immunokastration de, die Neuland mit seinen besonders tiergerechten und und die Inhalationsnarkose mit Isofluran. Alle drei Vari- umweltschonenden Haltungsformen schon seit Jahren anten werden bereits praktiziert, wenn auch noch längst praktiziert, Standard werden kann und somit auch eine nicht flächendeckend. Vermutlich liegt das daran, dass europäische Ausstrahlungskraft entfalten kann. die Kosten je Ferkel von 1,50 Euro bis 4,50 Euro vari- ieren und die Landwirte die Kastration der Ferkel in der Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Regel nicht ohne einen Veterinärmediziner durchführen eine Organisation, die vor allem kleinere bäuerliche können. Betriebe vertritt und die jedes Jahr in Berlin mit vielen anderen Organisationen zu einem Paradigmenwechsel Dennoch kann ich keinem Gesetz zustimmen, das auf in der Agrarwirtschaft unter dem Motto „Wir haben es unwahren Behauptungen beruht. satt“ aufruft, begrüßt ausdrücklich den vorliegenden Gesetzes­inhalt: Leni Breymaier (SPD): Die Entscheidung, dieser Änderung des Tierschutzgesetzes zuzustimmen, fällt mir (B) Jetzt gilt es, die für Betriebe möglichen Alternati- (D) ven rechtlich so schnell wie möglich abzusichern, nicht leicht. Bis zum Beginn der öffentlichen Debatte die entsprechenden Arzneimittel und Narkosegerä- zur Ferkelkastration fehlte mir das Problembewusstsein te in der Fläche verfügbar zu machen und die Prak- in dieser Frage, die so gar nicht zu meinem Fachgebiet tikerinnen und Praktiker im tier- und sachgerech- zählt. Zudem hätte ich als neu in den Deutschen Bundes- ten Umgang zu schulen … Der Gesetzentwurf, den tag gewählte Abgeordnete nicht gedacht, dass ein Bun- die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD desministerium wie das für Ernährung und Landwirt- heute beschließen wollen, legt nun fest, dass das schaft zuständige Haus schlicht über Jahre hinweg seine Bundesministerium BMEL endlich zu handeln hat. Arbeit nicht erledigt. Das ist ein riesiger Fortschritt. Fünf Jahre lang war Zeit, sich um Alternativen für Wer die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirt- die betäubungslose Ferkelkastration zu kümmern. Wie schaft kennt, weiß, dass sie diese Würdigung nicht leicht- mir viele Tierärzte immer wieder bestätigen, gibt es seit fertig abgibt. längerem sehr wohl entsprechende alternative Möglich- keiten. Es stellt sich die Frage, warum in den letzten Viertens. Die Diskussion um die Versäumnisse des fünf Jahren solche Lösungen nicht genutzt wurden und Bundeslandwirtschaftsministeriums im Zusammenhang tragfähig entwickelt werden konnten. Obwohl intensi- mit der Ferkelkastration haben wir zudem dazu genutzt, ve Diskussionen nicht nur im politischen Raum geführt generell einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung wurden, vor allem von uns immer wieder eingefordert einzufordern und klare Verabredungen unter den Koaliti- wurden, hat sich das zuständige Ministerium für Ernäh- onsfraktionen zu treffen. So fordern wir in einem heute rung und Landwirtschaft gemeinsam mit den betroffenen zu beschließenden Entschließungsantrag das Ministerium Verbänden, Einzelhändlern und Schlachtereien wegge- dazu auf, bis Mitte der Legislatur die Nutztierstrategie duckt. Nun heißt es, die Branche soll die Zeit bis 2020 weiterzuentwickeln und dabei Lösungen für nichtkurative nutzen, um dies nachzuholen. Eingriffe, wie das Kürzen von Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, vorzulegen und das Töten von Mit diesem Gesetz nun also geht es um eine Verlän- Eintagsküken so schnell wie möglich zu beenden. gerung der Übergangsfrist zur betäubungslosen Kastra- tion von Ferkeln bis 2020. Das ist notwendig geworden, Ende 2019 gilt dann die Revisionsklausel, die die Um- weil die SPD-Bundestagfraktion im vergangenen Okto- setzung der Vorhaben dieser Koalition insgesamt beur- ber vor der Entscheidung stand: Entweder werden durch teilen soll. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird jede und das Auslaufen der Übergangsfristen vor allem kleine und jeder beurteilen können und müssen, ob den Forderungen mittlere Ferkelzuchtbetriebe in ihrer Existenz gefähr- des Entschließungsantrags Rechnung getragen worden ist. det – denn dann wären Millionen im Ausland gezüchtete 7940 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Ferkel über Tausende Kilometer nach Deutschland im- betäubungsfreien Ferkelkastration kann und muss offen- (C) portiert worden, die auf eine Art kastriert worden sind, siv auch an den Großhandel gerichtet werden. Erst und die dem deutschen Tierschutzgesetz nicht entspricht – nur dann ist auch hier mit einer sich ändernden Haltung oder die SPD-Bundestagsfraktion stimmt einer Frist- gegenüber immunokastrierten oder Ebermast-Schweinen verlängerung zu, die die Existenz der Ferkelzüchter in zu rechnen. Deutschland sichert, und holt bei den parlamentarischen Verhandlungen wichtige Punkte für den Tierschutz he- Notwendig ist eine gesetzliche „Ächtung“ der be- raus. Außerdem könnte sie rechtssicher festlegen, dass täubungslosen Ferkelkastration, statt deren gesetzlich spätestens zum 31. Dezember 2020 Schluss ist mit betäu- fortgesetzte Legitimation. Daher stimme ich bei dem bungsloser Kastration. Entwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung des Tier- schutzgesetzes nur zu, weil ich erwarte, dass nach Ablauf Die SPD-Fraktion hat sich für letztere Möglichkeit dieser Frist dies in Gesetzesform gegossen wird. entschieden und dabei zusätzliche Verbesserungen er- reicht: Dr. Daniela De Ridder (SPD): Die Debatte um die Dass das Bundeslandwirtschaftsministerium mit ei- betäubungslose Kastration von Ferkeln sorgt in der Ge- ner Rechtsverordnung endlich zum Handeln verpflichtet sellschaft für großes Aufsehen. Sind wir doch entschieden wird – nachdem es über Jahre hinweg durch Nichtstun der Überzeugung, dass eine Kastration ohne Betäubung eine unsichere Situation für die Ferkelzüchter herbeige- schmerzhaft und mit großem Leid der Tiere verbunden führt hat. ist, gibt es für die Fortsetzung dieser Methode keine politische Rechtfertigung: Das CDU/CSU-Bundesland- Dass der hohe Tierschutz-Standard von Neuland – Be- wirtschaftsministerium hat es ärgerlicherweise seit fünf täubung mittels Masken – zukünftig bundesweit als pra- Jahren versäumt, den Landwirtinnen und Landwirten die xistaugliche Alternative zur Verfügung steht. Mittel an die Hand zu geben, um eine Alternative zur be- Dass eine Informationskampagne durchgeführt wird, täubungslosen Kastration auf den Weg zu bringen. damit auch andere Alternativen wie die Ebermast oder Unsere Landwirtinnen und Landwirte stehen aktuell Impfung – Immunokastration – eine realistische Chance vor großen Herausforderungen, die sie nun unter Um- am Markt bekommen. ständen vor ein existenzielles Problem stellen können. Dass es Unterstützung für die Ferkelzüchter bei der Tierschützerinnen und Tierschützer kritisieren den Auf- Einführung der neuen Betäubungsmethoden geben wird. schub für die betäubungslose Kastration nach fünf Jah- ren Übergangszeit scharf. Mit beiden gesellschaftlichen Dass die Koalition eine Informationskampagne und Akteursgruppen – sowie den Veterinärmedizinerinnen (B) ein Förderprogramm zur Unterstützung bei der Anschaf- und Veterinärmedizinern – stehe ich in meinem Heimat- (D) fung der Narkosegeräte auflegt, um vor allem kleine und wahlkreis in engem Kontakt. Daher ist es mir ein wich- mittlere Betriebe zu unterstützen. tiges Anliegen, Vermittlerin und Moderatorin zwischen Vor diesem Hintergrund und nach Abwägung der Inte- diesen Akteuren zu sein und eine Lösung im Sinne des ressen der Ferkelzüchter und des Tierschutzes, habe ich Tierwohls und für unsere Landwirtinnen und Landwirte mich entschieden, der Verlängerung der Übergangsfrist schnellstmöglich voranzubringen. Hierfür möchte ich ei- bis spätestens zum 31. Dezember 2020 letztmalig zuzu- nen runden Tisch in meinem Heimatwahlkreis initiieren, stimmen. bei dem wir – neben der Problematisierung – mit allen relevanten Akteuren und Interessierten ins Gespräch kommen und Lösungen für dieses politische Versäumnis Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Der eingebrachte entwickeln. Entschließungsantrag ist mit den durch die SPD hinein- verhandelten Punkten ein Gewinn für den Tierschutz. Die Neben den Tieren sind die Leidtragenden dieses Ver- Änderung des Tierschutzgesetzes mit einer Fristverlän- säumnisses schließlich vor allem unsere Landwirtinnen gerung zur betäubungslosen Ferkelkastration entspricht und Landwirte – und hier insbesondere die bäuerlichen diesen Zielen jedoch noch nicht. Betriebe –, da sie vor nicht erfüllbare Anforderungen gestellt werden. Weder kann ich als Abgeordnete für die Leider lassen sich die Fehler der Vergangenheit, bei Grafschaft Bentheim und das Emsland sowie als über- der es das CSU-geführte Bundeslandwirtschaftsministe- zeugte Landfrau einen Aufschub der betäubungslosen rium unterlassen hat, für Rahmenbedingungen zu sorgen, Kastration von Ferkeln unterstützen, der die Lebens- die in der Ferkelaufzucht tierschutzgerechte Alternativen grundlage der Menschen gefährdet, die in bäuerlichen zulassen, nicht schnell korrigieren. Betrieben enorme Arbeit leisten, noch kann ich der Fort- Meines Erachtens trifft dies aber eigentlich nicht den setzung der bisherigen Praxis im Sinne des Tierwohls Kern der bevorstehenden Fragestellung, die doch lauten zustimmen. Daher enthalte ich mich zur heutigen Ab- muss, ob eine Fristverlängerung der betäubungslosen stimmung zum Vierten Gesetz zur Änderung des Tier- Ferkelkastration wirklich notwendig ist bzw. ob eine kür- schutzgesetzes. zere Frist nicht auch möglich wäre. Auch wenn ich die im Gesetzesentwurf formulier- Gesetze haben auch eine legitimierende Ausstrahlung. te Verpflichtung zur Beförderung einer Lösung des seit Wirtschaftliche Gründe dürfen deshalb keine Begrün- Jahren von der Union geführten Ministeriums an sich dung sein, tierschutzrechtliche Schmerzfreiheit „auszu- begrüße, sehe ich hierfür keinen gesetzlichen Bedarf – setzen“. Die Beseitigung der rechtlichen Erlaubnis der vielmehr ist dies eine Selbstverständlichkeit. Das Minis- Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7941

(A) terium hat durch sein Versäumnis massiv die Interessen das Haus eine Aufklärungskampagne für Verbraucherin- (C) unserer Landwirtinnen und Landwirte verletzt und muss nen und ein Schulungsprogramm für Landwirte sowie ein nun rasch eine schnell und erfolgreich umzusetzende Lö- Förderprogramm für Betriebe zur Anschaffung der not- sung erarbeiten und vorstellen. wendigen Narkosegeräte aufsetzen. Dafür wurden bereits 38 Millionen Euro in den Haushalt 2019 eingestellt. Saskia Esken (SPD): Wie viele andere Menschen im Die Verhandlungen hat meine Fraktion zudem dazu und außerhalb des Bundestages macht mich das Ergeb- genutzt, der Unionsfraktion einen generellen Paradig- nis der heutigen Abstimmung über die fortgesetzte be- menwechsel hin zum Tierschutz in der Nutztierhaltung täubungslose Kastration von Ferkeln wütend und traurig. abzuverlangen: Bis Mitte der Legislatur soll das BMEL Wegen der Untätigkeit des unionsgeführten BMEL in der eine Nutztierstrategie vorlegen, die nichtkurative Eingrif- vergangenen Legislatur sollen wir über ·das Leid unzäh- fe wie das Kürzen von Ringelschwänzen und das Enthor- liger neugeborener Ferkel hinwegsehen und die Über- nen von Rindern und vor allem auch das Töten von Ein- gangsfrist zum Verbot dieser tierquälerischen Methode tagsküken so schnell wie möglich beendet. Ende 2019 nochmals verlängern. haben wir die Möglichkeit, zu beurteilen, ob unseren Forderungen Rechnung getragen worden ist, denn dann Einzig der Respekt vor der Arbeit meiner Kollegin- wird die Umsetzung der Koalitionsvorhaben allgemein nen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion, die das auf dem Prüfstand stehen. Gesamtpaket verhandelt haben, kann mich bewegen, diesem Zeugnis unserer Zahnlosigkeit dennoch zuzu- stimmen. Ich möchte zum weiteren Hintergrund dieses Dagmar Freitag (SPD): Vorab: Ich möchte ausdrück- Gesamtpakets einige Informationen darlegen. lich erwähnen, dass ich auch die Sorgen von Betreibern kleiner und mittelgroßer Ferkelzuchtbetriebe verstehe, Bereits 2013 hat die damalige Bundesregierung aus die sich durch einen Import von im Ausland gezüchte- CDU/CSU und FDP im Tierschutzgesetz das Ende der be- ten Ferkeln, die mit Methoden kastriert wurden, die nicht täubungslosen Ferkelkastration zum 31. Dezember 2018 dem deutschen Tierschutzgesetz entsprechen, in ihrer beschlossen. Ab Januar 2019 sollte die betäubungslose Existenz bedroht sehen. Auch sie sind Leidtragende der Ferkelkastration verboten sein. Diese lange Übergangs- heutigen Situation. frist sollte genutzt werden, den Landwirten alternative Nachfolgende Überlegungen haben jedoch zu meiner Methoden an die Hand zu geben. Im Dezember 2016 Entscheidung geführt, mich in der heutigen Abstimmung wurden die vorhandenen Alternativen – wie Ebermast, zum oben genannten Gesetzentwurf der Stimme zu ent- Impfung und lsofluran-Narkosen – von der Bundesregie- halten. rung aus CDU/CSU und SPD als geeignet beurteilt, die (B) bisherige Praxis abzulösen. Doch seit Ende 2016 wurden Ich kann einer Fristverlängerung zur betäubungslo- (D) vom Unions-geführten Landwirtschaftsministerium, von sen Ferkelkastration um zwei weitere Jahre nicht wi- weiten Teilen der Verbandsvertreter sowie großen Teilen derspruchslos zustimmen. Das zuständige Ministerium, der CDU/CSU keine Anstrengungen mehr unternom- BMEL, hat seit 2013 nichts unternommen, um Betau- men, um Betäubungsmethoden, die einfach durchführbar bungsmethoden, die einfach durchführbar sind und sind und gleichzeitig effektiv betäuben, anwendungsreif gleichzeitig effektiv betäuben, zur Anwendungsreife zu zu machen. Daher stehen heute die vorhandenen Alter- bringen. Mit einer Zustimmung würde ich die fünfjährige nativen zur betäubungslosen Kastration nicht flächende- Tatenlosigkeit des in der letzten Wahlperiode CSU-ge- ckend zur Verfügung. führten Landwirtschaftsministeriums letztlich kritiklos hinnehmen. Zudem konnten meine Zweifel, dass jetzt in Statt die fünfjährige Übergangsfrist für die Entwick- zwei Jahren gelingen soll, was fünf Jahre lang erfolgreich lung wirklicher Alternativen zur betäubungslosen Ferkel- von interessierter Seite verschleppt wurde, nicht voll- kastration zu nutzen, hat die Union auf den sogenannten ständig ausgeräumt werden. vierten Weg gesetzt, den sie nun im Tierschutzgesetz festschreiben wollte: Landwirten wäre dann erlaubt, Auf der anderen Seite sehe ich die vielen positiven selbst örtliche Betäubungen vorzunehmen und die Fer- zusätzlichen Elemente, die auf Druck der SPD-Bundes- kel zu kastrieren. Weil bei dieser Methode keine ge- tagsfraktion in den Entschließungsantrag der Koalition zielte Schmerzausschaltung bei den Tieren gegeben ist, aufgenommen worden sind. So fordern wir unter ande- verstößt sie gegen das deutsche Tierschutzgesetz. Die rem das BMEL darüber hinaus dazu auf, bis Mitte der SPD-Bundestagsfraktion hat diesen Weg daher entschie- Legislatur die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und den verhindert. dabei Lösungen für nichtkurative Eingriffe, wie das Kür- zen von Ringelschwänzen und das Enthornen von Rin- Der SPD-Bundestagsfraktion ist es stattdessen gelun- dern, vorzulegen und das Töten von Eintagsküken so gen, wichtige Sicherungen in das neue Gesetz einzubau- schnell wie möglich zu beenden. Dieses und die weiteren en. Damit nicht weitere zwei Jahre tatenlos verstreichen, aufgeführten Verbesserungen begrüße ich ausdrücklich. haben wir das Bundeslandwirtschaftsministerium ver- pflichtet, bis zum 30. Mai 2019 endlich die Verordnung Diese Abwägungen zwischen Pro und Contra haben über die Sachkunde und die Anwendung von alternativen zu meiner Entscheidung einer Enthaltung geführt. Methoden zur Ferkelkastration vorzulegen. Das Ministeri- um muss darüber hinaus in den nächsten zwei Jahren alle Angelika Glöckner (SPD): Nach geltender Geset- sechs Monate über den Stand der Alternativen zur betäu- zeslage dürfen männliche Ferkel ab dem 1. Januar 2019 bungslosen Ferkelkastration berichten. Zusätzlich wird nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden. Diese nicht 7942 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) tierschutzgerechte Praxis sollte durch schmerzfreie Me- Der Gesetzentwurf beinhaltet neben der Fristverlän- (C) thoden ersetzt werden. Dafür wurde 2013 per Gesetz gerung einige für den Tierschutz positive Aspekte. Al- eine Übergangsfrist gewährt. Die Ferkelaufzuchtbetrie- lerdings ist es aus meiner Sicht inakzeptabel, mehr Tier- be hatten fünf Jahre Zeit, sich auf die neue Rechtslage schutz durch eine Verlängerung von Tierleid zu erkaufen. einzustellen. Offensichtlich ist in diesen fünf Jahren aber nichts geschehen und der Druck auf die Politik nun groß, Ich werde dem Gesetzentwurf dennoch nicht zustim- weil Abwanderungen von Aufzuchtbetrieben ins Aus- men, denn den Tieren werden weitere zwei Jahre durch land, Ferkelimporte aus dem Ausland und Gewinneinbu- die betäubungslose Kastration vermeidbare Schmerzen ßen bei deutschen Betrieben befürchtet werden. zugefügt. Dies hätte vermieden werden können, wenn die Politik die 2013 beschlossene Übergangsfrist dafür ge- Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf zur Ände- nutzt hätte, die Betriebe auf neue Betäubungs- oder Auf- rung des Tierschutzgesetzes wird es Ferkelzüchtern wei- zuchtverfahren hin zu kontrollieren und die Landwirte tere zwei Jahre ermöglicht, männliche Ferkel in Deutsch- gegebenenfalls bei der Suche nach geeigneten Lösungen land ohne Betäubung zu kastrieren. zu unterstützen. Ich bedaure, dass dies nicht geschehen ist und wir Abgeordnete als Gesetzgeber jetzt unter die- Der Gesetzentwurf beinhaltet neben der Fristverlän- sen Druck geraten. gerung einige für den Tierschutz positive Aspekte. Gesetze werden beschlossen, damit sie auch eingehal- Ich werde dem Gesetzentwurf dennoch nicht zustim- ten werden. Mit der Fristverlängerung verliert die Politik men, denn den Tieren werden weitere zwei Jahre durch an Glaubwürdigkeit und schadet so dem Vertrauen in die die betäubungslose Kastration vermeidbare Schmerzen Demokratie. zugefügt. Dies hätte vermieden werden können, wenn die Politik die 2013 beschlossene Übergangsfrist dafür ge- Selbst wenn in der kurzen Zeit bis zum Ablauf der nutzt hätte, die Betriebe auf neue Betäubungs- oder Auf- Fünfjahresfrist Betriebe sich nicht auf schmerzfreie Ver- zuchtverfahren hin zu kontrollieren und die Landwirte fahren zur Kastration umstellen können, rechtfertigt das gegebenenfalls bei der Suche nach geeigneten Lösungen nicht die jetzt vorgelegte Fristverlängerung. Denn männ- zu unterstützten. Ich bedaure, dass dies nicht geschehen liche Ferkel können auch unkastriert als Eber aufgezogen ist und wir Abgeordneten als Gesetzgeber jetzt unter die- werden. Dies wird zum Beispiel in Spanien seit vielen sen Druck geraten. Jahren praktiziert. Das Eberfleisch wird von den Ver- braucherinnen und Verbrauchern in Spanien konsumiert Gesetze werden beschlossen, damit sie auch eingehal- und in andere Länder exportiert. Einbrüche beim Absatz, ten werden. Mit der Fristverlängerung verliert die Politik wie in Deutschland befürchtet, hat es in Spanien nicht an Glaubwürdigkeit und schadet so dem Vertrauen in den gegeben. (B) Rechtsstaat und in die Demokratie. (D) Selbst wenn in der kurzen Zeit bis zum Ablauf der Rüdiger Kruse (CDU/CSU): Bei der oben genannten Fünfjahresfrist Betriebe sich nicht auf schmerzfreie Ver- namentlichen Abstimmung werde ich mich enthalten. fahren zur Kastration umstellen können, rechtfertigt das Das möchte ich kurz begründen. nicht die jetzt vorgelegte Fristverlängerung. Vor ca. fünf Jahren wurde von uns im Bundestag be- Zudem können männliche Ferkel auch unkastriert als schlossen, ab 1. Januar 2019 die betäubungslose Ferkel- Eber aufgezogen werden. Dies wird zum Beispiel in Spa- kastration für Tiere bis zum achten Lebenstag zu verbie- nien seit vielen Jahren praktiziert. Das Eberfleisch wird ten. von den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Spanien konsumiert und in andere Länder exportiert. Einbrüche Verbände, Landwirtschaftsbetriebe und zuständige beim Absatz, wie in Deutschland befürchtet, hat es in Behörden hatten fünf Jahre Zeit, notwendige Vorberei- Spanien nicht gegeben. tungen zu treffen. Das wurde offensichtlich versäumt. Ich verstehe, dass der einzelne Landwirtschaftsbetrieb Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Nach geltender Geset- jetzt nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden kann, zeslage dürfen männliche Ferkel ab dem 1. Januar 2019 wenn die Vorarbeit zur Schaffung entsprechender Rah- nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden. Diese nicht menbedingungen nicht geleistet wurde. tierschutzgerechte Praxis sollte durch schmerzfreie Me- thoden ersetzt werden. Dafür wurde 2013 per Gesetz Deswegen stimme ich nicht mit Nein. eine Übergangsfrist gewährt. Die Ferkelaufzuchtbetrie- Ich sehe aber einen dringenden und sehr kurzfristigen be hatten fünf Jahre Zeit, sich auf die neue Rechtslage Handlungsbedarf, um diese Versäumnisse nachzuholen. einzustellen. Offensichtlich ist in diesen fünf Jahren aber Dafür halte ich einen sehr viel kürzeren Zeitraum, der nichts geschehen und der Druck auf die Politik nun groß, sich in wenigen Monaten bemisst, für durchaus machbar weil Abwanderungen von Aufzuchtbetrieben ins Aus- und notwendig, um das weitere Leiden der Ferkel so ge- land, Ferkelimporte aus dem Ausland und Gewinneinbu- ring wie möglich zu halten. ßen bei deutschen Betrieben befürchtet werden. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf zur Ände- Helge Lindh (SPD): Ich bin entschieden gegen die rung des Tierschutzgesetzes wird es Ferkelzüchtern wei- betäubungslose Ferkelkastration. Das sinnlose Leiden tere zwei Jahre ermöglicht, männliche Ferkel in Deutsch- der Tiere muss endlich ein Ende haben, und zwar sofort! land ohne Betäubung zu kastrieren. Deshalb tue ich mich auch sehr schwer damit, der gefor- Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7943

(A) derten Fristverlängerung von zwei Jahren im Rahmen der setzesänderung zuzustimmen. Allerdings wurde im par- (C) Änderung des Tierschutzgesetzes zuzustimmen. lamentarischen Willensbildungsprozess auch deutlich, dass es derzeit keine Alternative gibt, die die gegenwärti- Letztlich hat mich die öffentliche Anhörung des Aus- ge Praxis flächendeckend in Deutschland ablösen könn- schusses für Ernährung und Landwirtschaft am Montag, te. Diesen eklatanten Missstand hat das Bundeslandwirt- 26. November 2018, überzeugt, dass eine Verschiebung schaftsministerium zu verantworten. der Frist bedauerlicherweise unumgänglich ist. Die Mehrheit der geladenen Sachverständigen sprach sich Die deutschen Ferkelzüchter brauchen – und das ha- für die Fristverlängerung aus, weil die derzeit verfüg- ben die Sachverständigen der öffentlichen Anhörung im baren Alternativen zur betäubungslosen Kastration den Deutschen Bundestag unterstrichen – eine Auswahl von Anforderungen der Praxis nicht gerecht würden. In ei- tierschutzgerechten Verfahren, damit sie ihren betriebli- ner zweijährigen Übergangsphase soll nun dafür gesorgt chen Strukturen Rechnung tragen können. werden, dass die bestehenden Alternativmethoden in den Es gibt drei Verfahren, die die betäubungslose Kas­ Betrieben in die Praxis überführt und die Landwirtinnen tration von Ferkeln in Deutschland ablösen können: Die und Landwirte bei. der Umstellung unterstützt werden. Jungebermast, die Inhalationsnarkose mit Isofluran und Spätestens zum 31. Dezember 2020 wird dann mit dieser die Immunokastration. Alle drei sind geeignet, die ge- Praxis Schluss sein, und die Kastration wird unter wirk- genwärtige Praxis abzulösen. Allerdings gibt es bei allen samer Schmerzausschaltung erfolgen. drei Methoden ungelöste Probleme, die eine letztmalige Ich stimme der Fristverlängerung zu, weil ich der Auf- Verlängerung leider notwendig machen. fassung bin, dass nur eine rechtskonforme und praktika- Mit der Gesetzesänderung stellen wir als Gesetzgeber ble Umsetzung des Ausstiegs aus der betäubungslosen sicher, was das Bundeslandwirtschaftsministerium die Ferkelkastration zu einer wirklichen Verbesserung des letzten fünf Jahre verpasst hat: Wir werden eine Alter- Tierschutzes führt. Der ehemalige Bundesminister für native flächendeckend in Deutschland ermöglichen. Wir Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt hat es sorgen dafür, dass die Landwirtinnen und Landwirte die versäumt, die Voraussetzungen für die im Tierschutzge- tierschutzgerechte Methode der Inhalationsnarkose mit setz 2013 vorgegebene schmerzfreie Ferkelkastration zu Isofluran, nach Erwerb eines Sachkundenachweises, sel- schaffen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat mit ber durchführen können. Verbunden mit einer finanziel- seiner Verweigerungshaltung dafür gesorgt, dass eine len Förderung stellen wir sicher, dass auch kleine und Umstellung auf Kastration mit Betäubung zum jetzigen mittelständische Betriebe dieses Verfahren nutzen kön- Zeitpunkt nur dazu führen würde, dass die Ferkelerzeu- nen. Dem drohenden Strukturbruch wirken wir mit der gung in andere Länder verlagert wird, in denen geringe- Gesetzesänderung entgegen. (B) re Tierschutzstandards als in Deutschland herrschen .Es (D) ist beschämend, dass diese Versäumnisse nun zu dieser Wir brauchen lieber früher als später einen Ausstieg Fristverlängerung führen und damit vor allem zulasten aus chirurgischen Eingriffen an Nutztieren, wie das Kür- der Tiere gehen . zen von Ringelschwänzen oder das Enthornen von männ- lichen Kälbern. Diese Eingriffe dienen dazu, die Tiere an Der Entschließungsantrag der Fraktionen SPD und Haltungssysteme anzupassen. Wir dürfen nicht länger CDU/CSU zur Änderung des Tierschutzgesetzes gibt ei- die Tiere an die Haltungssysteme anpassen, sondern Hal- nen klaren Weg zum Ausstieg aus der betäubungslosen tungseinrichtungen müssen an die arteigenen Bedürfnis- Ferkelkastration vor. Er umfasst einen klar gesteckten se der Tiere angepasst werden. Zeitplan und ein effizientes Maßnahmenpaket. Das wird sicherstellen, dass das Bundeslandwirtschaftsministeri- Als Tierschutzbeauftragte bevorzuge ich deshalb so- um seine bisherige Verweigerungshaltung aufgibt und wohl die Jungebermast als auch die Immunokastration, die kommenden zwei Jahre nicht erneut ungenutzt ver- da bei beiden Methoden kein chirurgischer Eingriff am streichen lässt. Die Landwirtinnen und Landwirte wer- Tier notwendig ist. Nach dieser Gesetzesänderung liegt den endlich die erforderliche Unterstützung bei der Um- es in der Verantwortung des Bundeslandwirtschaftsmi- stellung des Kastrationsverfahrens auf tierschutzgerechte nisteriums, insbesondere mit den deutschen Schlachtun- und schmerzschonende Methoden erhalten. Deshalb ternehmen nach Lösungen zu suchen, um diese beiden werde ich diesem Gesetzesvorhaben nach langer Abwä- Verfahren ohne Abstriche in Deutschland flächende- gung zustimmen. ckend zu ermöglichen. Die Bundeslandwirtschaftsminis- terin muss die letztmalige Übergangsfrist vor allem auch dazu nutzen, dies sicherzustellen. Die marktbeherrschen- Susanne Mittag (SPD): Dass das betäubungslose den großen Schlachtunternehmen in Deutschland dürfen Kastrieren von unter acht Tage alten Ferkeln um weitere den Ferkelzüchtern nicht vorschreiben, welchen Weg sie zwei Jahre verlängert werden muss, nachdem die vorige zu gehen·haben. Damit versperren sie tierwohlgerechte Übergangsfrist von fünf Jahren durch das Bundesland- Verfahren und gefährden die Existenz von kleinen und wirtschaftsministerium nicht genutzt wurde, um die vor- mittelständischen Betrieben in Deutschland. Erstmalige handenen Verfahren praxistauglich zu machen, ist mehr Zusagen, auch flächendeckend geimpfte Tiere abnehmen als ärgerlich. zu wollen, müssen jetzt Taten folgen. Als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfrakti- Nach reiflicher Abwägung aller Argumente habe ich on setzte ich mich dafür ein, dass die Lebensbedingungen mich dazu entschlossen, einer Änderung des Tierschutz- von Nutz-, Heim- und Wildtieren nachhaltig verbessert gesetzes zuzustimmen, um die deutschen Ferkelzüchter werden. Deshalb widerstrebt es mir zutiefst, dieser Ge- bei der Umstellung auf tierwohlgerechte Verfahren zu 7944 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) unterstützen. Damit sichern wir – auch im europaweiten Impfung – Immunokastration – eine realistische Chance (C) Vergleich – langfristig einen hohen Tierschutzstandard in am Markt bekommen. Deutschland. Dass es Unterstützung für die Ferkelzüchter bei der Einführung der neuen Betäubungsmethoden geben wird. Josephine Ortleb (SPD): Die Entscheidung, dieser Änderung des Tierschutzgesetzes zuzustimmen, fällt mir Dass die Koalition eine Informationskampagne und nicht leicht. Die öffentliche Debatte spüre ich durch eine ein Förderprogramm zur Unterstützung bei der Anschaf- Vielzahl von Zuschriften, von persönlichen Gesprächen fung der Narkosegeräte auflegt, um vor allem kleine und mit Bürgerinnen und Bürgern und Genossinnen und Ge- mittlere Betriebe zu unterstützen. nossen. Ein erschwerender Moment in dieser Debatte ist Vor diesem Hintergrund und nach Abwägung der Inte- meine fachliche Ferne zu diesem Thema, auch durch die ressen der Ferkelzüchter und des Tierschutzes, habe ich vergleichsweise niedrige Relevanz der Problemstellung mich entschieden, der Verlängerung der Übergangsfrist in meinem Wahlkreis Saarbrücken. Dennoch fühle ich bis spätestens zum 31. Dezember 2020 letztmalig zu- natürlich die Verpflichtung, an dieser Stelle das große stimmen. Ganze im Blick zu haben. Ich bin ebenso sehr überrascht, dass ein Bundesministerium wie das für Ernährung und Sylvia Pantel (CDU/CSU): Gemäß § 31 der Ge- Landwirtschaft zuständige Haus schlicht über Jahre schäftsordnung des Deutschen Bundestages gebe ich hinweg seine Arbeit nicht erledigt. Fünf Jahre lang war eine persönliche Erklärung ab. Dem von den Fraktionen Zeit, nachdem die schwarz-gelbe Regierung den derzei- der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines tigen Beschluss entschied, sich um Alternativen für die Vierten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes betäubungslose Ferkelkastration zu kümmern. Es stellt kann ich nicht zustimmen. sich die Frage, warum in den letzten fünf Jahren solche Lösungen nicht genutzt und tragfähig entwickelt werden Mit dem Gesetzentwurf wird die Übergangsfrist für konnten. Obwohl intensive Diskussionen nicht nur im das betäubungslose Kastrieren männlicher Ferkel im Al- politischen Raum geführt wurden, vor allem von uns im- ter von unter acht Tagen verlängert. Die Übergangsrege- mer wieder eingefordert wurden, hat sich das zuständige lung in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Tierschutzgesetzes, die Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft gemein- die Kastration von Ferkeln aktuell noch bis zum 31. De- sam mit den betroffenen Verbänden, Einzelhändlern und zember 2018 ohne Betäubung erlaubt, wird damit bis Schlachtereien weggeduckt. Nun wird eine endgültige zum 31. Dezember 2020 verlängert. Im Gesetzentwurf Entscheidung wasserdicht getroffen. heißt es, dass die Verlängerung zwingend erforderlich sei, weil die derzeit verfügbaren Alternativen zur betäu- Mit diesem Gesetz nun also geht es um eine Verlän- (B) bungslosen Kastration den Anforderungen der Praxis (D) gerung der Übergangsfrist zur betäubungslosen Kastra- nicht gerecht würden. tion von Ferkeln bis 2020. Das ist notwendig geworden, weil die SPD-Bundestagsfraktion im Oktober dieses Die Argumentation, dass es noch immer keine markt- Jahres vor der Entscheidung stand: Entweder gefährdet fähigen Alternativen gebe, halte ich für nicht richtig. Es die Fraktion durch das Auslaufen der Übergangsfristen gibt bereits mindestens drei Alternativen –die Ebermast, vor allem kleine und mittlere Ferkelzuchtbetriebe in ih- die Immunokastration und die Inhalationsnarkose mit rer Existenz – denn dann wären im Ausland gezüchtete Isofluran. Alle drei Varianten werden bereits praktiziert, Ferkel nach Deutschland importiert worden, die auf eine wenn auch noch längst nicht flächendeckend. Vermutlich Art kastriert worden sind, die dem deutschen Tierschutz- liegt das daran, dass die Kosten je Ferkel von 1,50 Euro gesetz nicht entspricht – oder die Fraktion stimmt einer bis 4,50 Euro variieren und die Landwirte die Kastration Fristverlängerung zu, die die Existenz der Ferkelzüchter der Ferkel in der Regel nicht ohne eine Veterinärmedizi- in Deutschland sichert, und holt bei den Verhandlungen ner durchführen können. Dennoch kann ich keinem Ge- wichtige Punkte für den Tierschutz heraus. Außerdem setz zustimmen, das auf unwahren Behauptungen beruht. könnte sie rechtssicher festlegen, dass spätestens zum Da ich bei uns im Tierschutz engagiert bin und Alter- 31. Dezember 2020 Schluss ist mit betäubungsloser Kas- nativen sehe, kann ich diesem Gesetz und einer Fristver- tration. längerung nicht zustimmen. Die SPD-Fraktion hat sich für letztere Möglichkeit entschieden und dabei zusätzliche Verbesserungen er- Andreas Rimkus (SPD): Die heutige Abstimmung reicht: über die tierschutzrechtlichen Regelungen im Zusam- Dass das Bundeslandwirtschaftsministerium mit ei- menhang mit der Kastration von Ferkeln beschäftigt viele ner Rechtsverordnung endlich zum Handeln verpflichtet Menschen. Auch ich habe mir meine Entscheidung nicht wird – nachdem es über Jahre hinweg durch Nichtstun leicht gemacht. Mit dieser Erklärung möchte ich darle- eine unsichere Situation für die Ferkelzüchter herbeige- gen, warum ich dieser Fassung des Gesetzes zustimme: führt hat. Zu Recht wird die Verweigerungshaltung des frühe- Dass der hohe Tierschutzstandard von Neuland – Be- ren Bundeslandwirtschaftsministers Schmidt sowie wei- täubung mittels Masken – zukünftig bundesweit als pra- ter Teile der Funktionäre der Verbände und großer Teile xistaugliche Alternative zur Verfügung steht. der CDU/CSU in den vergangenen Jahren kritisiert, die fünfjährige Übergangsfrist für die Entwicklung wirkli- Dass eine Informationskampagne durchgeführt wird, cher Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration damit auch andere Alternativen wie die Ebermast oder zu nutzen. Stattdessen haben sie auf einen sogenannten Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7945

(A) vierten Weg gesetzt, der die Veränderung des Schmerz- Wer die AbL kennt, weiß, dass sie diese Würdigung (C) begriffes im Tierschutzgesetz voraussetzen würde. Diese nicht leichtfertig abgibt. Änderung hat die SPD-Bundestagsfraktion verhindert. Die Diskussion um die Versäumnisse des Bundes- Leider existiert in der EU kein einheitliches Tier- landwirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit der schutzrecht. Aufgrund der beschriebenen Defizite stehen Ferkelkastration haben wir zudem dazu genutzt, generell aktuell in Deutschland die Alternativen zur betäubungs- einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung einzu- losen Ferkelkastration nicht flächendeckend zur Verfü- fordern und klare Verabredungen unter den Koalitions- gung. Würde es jetzt nicht zu einer Fristverlängerung fraktionen zu treffen. So fordern wir in einem heute zu kommen, wäre zu befürchten, dass es in Deutschland beschließenden Entschließungsantrag unter anderem das zu massiven Strukturbrüchen bei den deutschen Sauen- BMEL darüber hinaus dazu auf, bis Mitte der Legislatur halterinnen und Sauenhaltern käme, mit der Folge, dass die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei Lö- Ferkel aus Ost- und Nordeuropa importiert werden wür- sungen für nichtkurative Eingriffe, wie das Kürzen von den, die gerade nicht nach deutschen Tierschutzstandards Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, vor- kastriert wurden und noch dazu weite Transportwege zu- zulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell wie rücklegen mussten. möglich zu beenden. Vor diesem Hintergrund haben sich nahezu alle Sach- Ende 2019 gilt dann die Revisionsklausel, die die Um- verständigen in der Anhörung des Landwirtschaftsaus- setzung der Vorhaben dieser Koalition insgesamt beur- schusses am 26. November 2018 für die Fristverlängerung teilen soll. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird jede und ausgesprochen. Der von der Fraktion Die Linke benannte jeder beurteilen können und müssen, ob den Forderungen Sachverständige Dr. Palzer vom Bundesverband Praktizie- des Entschließungsantrags Rechnung getragen worden render Tierärzte e. V. (bpt) schreibt in seiner Stellungnah- ist. me: „Aus all diesen Gründen hält der bpt eine Verschie- bung des Termins schon seit längerem für unabdingbar.“ Dr. Nina Scheer (SPD): Den Entschließungsantrag Eine bloße Fristverlängerung war für die SPD-Bun- sehe ich mit den vonseiten der SPD hineinverhandelten destagsfraktion jedoch keinesfalls ausreichend. Anders Punkten insgesamt als einen Gewinn für den Tierschutz. als es CDU/CSU und FDP im Jahr 2012 getan haben, Zu einer anderen Einschätzung gelange ich allerdings haben wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, die in Bezug auf die Änderung des Tierschutzgesetzes. Der garantieren, dass nach zwei Jahren nun wirklich die Al- Entscheidung für eine tierschutzgesetzliche Fristverlän- ternativen flächendeckend zur Verfügung stehen. Das gerung zur betäubungslosen Ferkelkastration werde ich Bundeslandwirtschaftsministerium wird verpflichtet, die aus den folgenden Gründen nicht zustimmen: (B) (D) bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben und unter Sicher lassen sich die Fehler der Vergangenheit, wo- anderem im Rahmen einer Rechtsverordnung die Voraus- nach es das CSU-geführte Bundeslandwirtschaftsmi- setzungen für die Alternativmethoden flächendeckend zu nisterium unterlassen hat, für Rahmenbedingungen zu schaffen – so zum Beispiel durch die Entwicklung und sorgen, die in der Ferkelaufzucht tierschutzgerechte Al- Bereitstellung von Schulungsprogrammen, durch die ternativen zulassen, nicht korrigieren. Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung von notwendigen Narkosegeräten und durch entsprechende Meines Erachtens trifft dies aber eigentlich nicht den Aufklärungskampagnen. Die SPD-Bundestagsfraktion Kern der bevorstehenden Fragestellung, die doch lauten geht davon aus, dass so die Methode, die Neuland mit muss, ob eine Fristverlängerung der betäubungslosen seinen besonders tiergerechten und umweltschonenden Ferkelkastration notwendig ist. Haltungsformen schon seit Jahren praktiziert, Standard werden kann und somit auch eine europäische Ausstrah- Wir haben in den letzten Wochen über die verschie- lungskraft entfalten kann. denen Varianten der Ferkelkastration diskutiert: sowohl über die lokale Betäubung – Spritze –, die Narkose mit Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft dem Mittel Isofluran – Inhalationsnarkose – unter Ver- (AbL), eine Organisation, die vor allem kleinere bäuerli- wendung von Masken als auch über den Weg ohne chi- che Betriebe vertritt und die jedes Jahr in Berlin mit vie- rurgischen Eingriff, die Immunokastration. Auch die len anderen Organisationen zu einem Paradigmenwech- Ebermast kann ein Weg sein, schließlich entwickeln nur sel in der Agrarwirtschaft unter dem Motto „Wir haben wenige Prozente der Schweine den sogenannten Eberge- es satt“ aufruft, begrüßt ausdrücklich den vorliegenden ruch und -geschmack. Und selbst dies muss einer Verwer- Gesetzesinhalt: tung des Fleisches nicht im Wege stehen. Sicher bringt die Ebermast eigene Anforderungen in der Tierhaltung, Jetzt gilt es, die für Betriebe möglichen Alternati- um zu verhindern, dass sich die Eber nicht gegenseitig ven rechtlich so schnell wie möglich abzusichern, verletzen. Letztlich ist dies aber eine Anforderung, die die entsprechenden Arzneimittel und Narkosegeräte mit der Schweinezucht einhergehen muss. in der Fläche verfügbar zu machen und die Prakti- kerinnen und Praktiker im tier- und sachgerechten Während Isofluran erst seit wenigen Tagen zum Umgang zu schulen … Der Gesetzentwurf, den die Zweck der Ferkelkastration allgemein zugelassen ist und Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD heu- die Landwirte heute in der Breite auch noch nicht über te beschließen wollen, legt nun fest, dass das Bun- die erforderlichen Apparaturen verfügen, ist die Immu- desministerium BMEL endlich zu handeln hat. Das nokastration bereits im Einsatz, etwa in Biobetrieben. Es ist ein riesiger Fortschritt. gibt hier offenbar keine Lieferengpässe. Sie wird auch 7946 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) in anderen Ländern schon praktiziert, und die Landwirte vollständigen Verbot ab dem 1. Januar 2019 könnten (C) können diese in zwei Schritten erfolgende Behandlung massenweise Ferkeltransporte ins Ausland – etwa nach selbst vornehmen, wenngleich mit Schulung. Die Sach- Polen – rein zum Zweck der betäubungsfreien Kastra- verständigen haben dieses Verfahren im Rahmen der tion angeregt werden. Wenn dies sich abzeichnet, muss öffentlichen Anhörung für sich genommen nicht infrage Politik eben hierauf reagieren, sollte hingegen nicht aus gestellt und teilweise klar favorisiert. Einige wandten Sorge vor entsprechenden Effekten auf eine klare tier- nur ein, dass immunokastrierte Schweine, ebenso wie schutzgerechte Rechtslage verzichten. Andernfalls gibt Schweine aus der Ebermast – ohne Kastration –, von man sich einem Standard-Dumping hin. Großschlachtereien und Groß-Fleischverarbeitern nicht angenommen würden. Nicht zuletzt stellt die Fristverlängerung auch eine Vertrauensverletzung für Landwirte und Schlachtereien Fakt ist aber auch – und dies blieb in der Anhörung dar, die sich bereits frühzeitig auf das Auslaufen der Frist ebenfalls unbestritten –, dass es Länder gibt, die gänzlich zum 31. Dezember 2018 eingestellt hatten und bereits auf Kastrationen verzichten und dennoch sogar zu Fer- auf Alternativen umgestiegen sind – trotz entsprechender kel- bzw. Fleischexporteuren zählen, so etwa Spanien. wirtschaftlicher Einbußen. Ein weiteres Argument war die Verdrängung der hie- Die Union und von ihr benannte Sachverständige las- sigen Ferkelaufzucht durch ausländische Ferkelzüchter, sen bereits heute erkennen, dass sie Vorbehalte gegen- die dem deutschen Tierschutzstandard nicht entspre- über Isofluran haben – dies war auch den betreffenden chen – etwa aus Dänemark. Sicher kann ein Verdrän- Erläuterungen von Sachverständigen im Rahmen der gungswettbewerb nicht gänzlich ausgeschlossen werden. öffentlichen Anhörung zu entnehmen. Eine Landwirtin und Einzelsachverständige erklärte, in ihrem Betrieb Zum einen wird es aber sicher zu keiner kompletten aus Gründen des Arbeitnehmerinnen- und Arbeitneh- Verdrängung kommen. Denn wie gesehen, entwickelt merschutzes Isofluran nicht anwenden zu wollen. Mit nur ein kleiner Teil der Ferkel den Ebergeruch. Es geht dem hierbei in Rede stehenden vierten Weg – lokale also hierbei nicht um die wirtschaftliche Existenz der ge- Betäubung –, wird aber offenkundig zugleich eine Än- samten Schweinezüchter bzw. der gesamten Branche und derung des Tierschutzgesetzes hinsichtlich des zulässi- erst recht nicht derer, die bereits auf die betäubungsfreie gen Schmerzes verfolgt – weg von der Schmerzfreiheit. Kastration verzichten, sondern es geht insbesondere um Diesen Weg haben die SPD-Fachpolitiker- und -politike- Gewinneinbußen im Umfang von im Rahmen der Anhö- rinnen für uns richtigerweise schon klar ausgeschlossen. rung erwähnten 6 Prozent des Umsatzes. Diese müssen Auch im Lichte von Art. 20a Grundgesetz muss eine Än- ins Verhältnis zum Tierschutz gesetzt werden. Allein da- derung des Schmerzbegriffes ausgeschlossen bleiben. raus folgt meines Erachtens, dass keine Notwendigkeit (B) für eine Fristverlängerung gegeben ist, die einen solch Gesetze haben auch eine legitimierende Ausstrah- (D) schwerwiegenden Eingriff in Tierschutzbelange rechtfer- lungswirkung. Es darf nicht länger als opportun gelten, tigen könnte. die tierschutzrechtliche Schmerzfreiheit aus wirtschaftli- chen Gründen „auszusetzen“. Die Beseitigung der recht- Zum anderen sollte die Existenz niedriger Standards lichen Erlaubnis der betäubungsfreien Ferkelkastration nicht der Taktgeber für rechtliche Rahmenbedingungen kann und muss offensiv auch an den Großhandel gerich- sein. Andernfalls würde man sich einem Standard-Dum- tet werden. Erst und nur dann ist auch hier mit einer sich ping aussetzen. Ferner besteht die Möglichkeit, über ändernden Haltung gegenüber immunokastrierten oder Tierschutzlabel bzw. Tierwohllabel auf die Schmerzfrei- Ebermast-Schweinen zu rechnen. Eine solche Ausstrah- heit einer Kastration oder Nicht-Kastration hinzuwei- lungswirkung und veränderte Haltung kann allerdings sen und die Verbraucherinnen und Verbraucher hiermit aktuell nicht eintreten, wenn die Frist für die betäubungs- „einzubinden“. Auf diesem Weg würde ein lenkendes lose Ferkelkastration verlängert und diese damit weiter- Signal – auch – an Schlachtereien gesendet, ihre verwei- hin legitimiert wird. gernde Haltung bei der Abnahme von immunokastrierten Schweinen aufzugeben. Letzteres setzt aber voraus, dass Wir brauchen eine gesetzliche „Ächtung“ der betäu- es eine rechtlich verbindliche Grundlage gibt: das Verbot bungslosen Ferkelkastration statt deren gesetzlich fortge- der betäubungsfreien Ferkelkastration, wie es heute be- setzte Legitimation. Daher stimme ich bei dem Entwurf reits im Grundsatz gilt und in Bezug auf die unter acht des Vierten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgeset- Wochen alten Ferkel nach der heutigen Rechtslage auch zes mit Nein. ab dem 1. Januar 2019 gelten wird. Diese Rechtslage sollte nicht verändert werden. Die genannten Alternati- Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Die heutige Ab- ven könnten auf diesem Weg in Deutschland eine neue stimmung über die tierschutzrechtlichen Regelungen im Bedeutung erlangen. Zusammenhang mit der Kastration von Ferkeln beschäf- tigt viele Menschen. Eine Fristverlängerung bestätigt hingegen die bis- herige Praxis und nimmt von Großschlachtereien den Nötig ist sie aufgrund der Verweigerungshaltung des Druck, ihre Verweigerungshaltung gegenüber immuno- früheren Bundeslandwirtschaftsministers Schmidt sowie kastrierten- und Ebermast-Schweinen aufzugeben. Die weiter Teile der Funktionäre der Verbandsvertreter und bisher eingeräumte und befristete Ausnahme vom Verbot großer Teile der CDU/CSU in den vergangenen Jahren, der betäubungsfreien Ferkelkastration muss zudem im die fünfjährige Übergangsfrist für die Entwicklung wirk- Lichte von Art. 20a Grundgesetz gesehen werden. Dies licher Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration gilt auch in Bezug auf die diskutierte Sorge, mit einem zu nutzen. Stattdessen haben sie auf einen sogenannten Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7947

(A) vierten Weg gesetzt, der die Veränderung des Schmerz- beschließenden Entschließungsantrag unter anderem das (C) begriffes im Tierschutzgesetz voraussetzen würde. Diese BMEL darüber hinaus dazu auf, bis Mitte der Legislatur Änderung hat die SPD-Bundestagsfraktion verhindert. die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei Lö- sungen für nichtkurative Eingriffe, wie das Kürzen von Leider existiert in der EU kein einheitliches Tier- Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, vor- schutzrecht. Aktuell stehen in Deutschland die Alternati- zulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell wie ven zur betäubungslosen Ferkelkastration nicht flächen- möglich zu beenden. deckend zur Verfügung. Würde es jetzt nicht zu einer Fristverlängerung kommen, wäre zu befürchten, dass Ende 2019 gilt dann die Revisionsklausel, die die Um- es in Deutschland zu massiven Strukturbrüchen bei den setzung der Vorhaben dieser Koalition insgesamt beurtei- deutschen Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme, mit len soll. Sollte zu diesem Zeitpunkt den Forderungen des der Folge, dass Ferkel aus Ost- und Nordeuropa impor- Entschließungsantrags nicht Rechnung getragen worden tiert werden würden, die gerade nicht nach deutschen sein, werde ich keinen weiteren Kompromissen in dieser Tierschutzstandards kastriert wurden und noch dazu wei- Sache zustimmen. te Transportwege zurücklegen müssten. Vor diesem Hin- tergrund haben sich nahezu alle Sachverständigen in der (SPD): Die heutige Abstimmung Anhörung des Landwirtschaftsausschusses am 26. No- Bernd Westphal über die tierschutzrechtlichen Regelungen im Zusam- vember 2018 für die Fristverlängerung ausgesprochen. menhang mit der Kastration von Ferkeln beschäftigt Eine bloße Fristverlängerung war für die SPD-Bun- viele Menschen, sodass ich in dieser Erklärung zur Ge- destagsfraktion jedoch keinesfalls ausreichend. Anders schäftsordnung noch einmal darlegen will, warum ich als es CDU/CSU·und FDP im Jahr 2012 getan haben, dieser Fassung des Gesetzes zustimme: haben wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, die Zu Recht wird die Verweigerungshaltung des frühe- garantieren, dass nach zwei Jahren nun wirklich die Al- ren Bundeslandwirtschaftsministers Schmidt sowie wei- ternativen flächendeckend zur Verfügung stehen. Das ter Teile der Funktionäre der Verbände und großer Teile Bundeslandwirtschaftsministerium wird verpflichtet, die der CDU/CSU in den vergangenen Jahren kritisiert, die bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben und unter fünfjährige Übergangsfrist für die Entwicklung wirkli- anderem im Rahmen einer Rechtsverordnung die Voraus- cher Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration setzungen für die Alternativmethoden flächendeckend zu zu nutzen. Stattdessen haben sie auf einen sogenannten schaffen – so zum Beispiel durch die Entwicklung und vierten Weg gesetzt, der die Veränderung des Schmerz- Bereitstellung von Schulungsprogrammen, durch die begriffes im Tierschutzgesetz voraussetzen würde. Diese Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung von Änderung hat die SPD-Bundestagsfraktion verhindert. (B) notwendigen Narkosegeräten und durch entsprechende (D) Aufklärungskampagnen. Die SPD-Bundestagsfraktion Leider existiert in der EU kein einheitliches Tier- geht davon aus, dass so die Methode, die Neuland mit schutzrecht. Aufgrund der oben beschriebenen Defizite seinen besonders tiergerechten und umweltschonenden stehen aktuell in Deutschland die Alternativen zur betäu- Haltungsformen schon seit Jahren praktiziert, Standard bungslosen Ferkelkastration nicht flächendeckend zur werden kann und somit auch eine europäische Ausstrah- Verfügung. Würde es jetzt nicht zu einer Fristverlänge- lungskraft entfalten kann. rung kommen, wäre zu befürchten, dass es in Deutsch- Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft land zu massiven Strukturbrüchen bei den deutschen (AbL), eine Organisation, die vor allem kleinere bäuerli- Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme, mit der Folge, che Betriebe vertritt und die jedes Jahr in Berlin mit vie- dass Ferkel aus Ost- und Nordeuropa importiert werden len anderen Organisationen zu einem Paradigmenwech- würden, die gerade nicht nach deutschen Tierschutzstan- sel in der Agrarwirtschaft unter dem Motto „Wir haben dards kastriert wurden und noch dazu weite Transport- es satt“ aufruft, begrüßt ausdrücklich den vorliegenden wege zurücklegen mussten. Vor diesem Hintergrund ha- Gesetzesinhalt: ben sich nahezu alle Sachverständigen in der Anhörung des Landwirtschaftsausschusses am 26. November 2018 Jetzt gilt es, die für Betriebe möglichen Alternati- für die Fristverlängerung ausgesprochen. Der von der ven rechtlich so schnell wie möglich abzusichern, Fraktion Die Linke benannte Sachverständige Dr. Palzer die entsprechenden Arzneimittel und Narkosegeräte vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. (bpt) in der Fläche verfügbar zu machen und die Prakti- schreibt in seiner Stellungnahme: „Aus all diesen Grün- kerinnen und Praktiker im tier- und sachgerechten den hält der bpt eine Verschiebung des Termins schon Umgang zu schulen … Der Gesetzentwurf, den die seit längerem für unabdingbar.“ Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD heu- te beschließen wollen, legt nun fest, dass das Bun- Eine bloße Fristverlängerung war für die SPD-Bun- desministerium BMEL endlich zu handeln hat. Das destagsfraktion jedoch keinesfalls ausreichend. Anders ist ein riesiger Fortschritt. als es CDU/CSU und FDP im Jahr 2012 getan haben, ha- ben wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, die garan- Die Diskussion um die Versäumnisse des Bundes- tieren, dass nach zwei Jahren wirklich die Alternativen landwirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit der flächendeckend zur Verfügung stehen. Das Bundesminis- Ferkelkastration haben wir zudem dazu genutzt, generell terium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wird einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung einzu- verpflichtet, die bisherige Verweigerungshaltung aufzu- fordern und klare Verabredungen unter den Koalitions- geben und unter anderem im Rahmen einer Rechtsver- fraktionen zu treffen. So fordern wir in einem heute zu ordnung die Voraussetzungen für die Alternativmethoden 7948 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) flächendeckend zu schaffen – so zum Beispiel durch die ist ehemaliges IWW-Personal für Einrichtungen des Bundes (C) Entwicklung und Bereitstellung von Schulungsprogram- tätig (gegebenenfalls auch künftig)? men, durch die Unterstützung der Betriebe bei der An- Das „Institut für Wissensanalyse und Wissenssyn- schaffung von notwendigen Narkosegeräten und durch these“ (IWW) ist kein selbstständiges Institut, sondern entsprechende Aufklärungskampagnen. Die SPD-Bun- Teil des Helmholtz-Zentrums München – Deutsches destagsfraktion geht davon aus, dass so die Methode, Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH die Neuland mit seinen besonders tiergerechten und (HMGU) im Geschäftsbereich des Bundesministeriums umweltschonenden Haltungsformen schon seit Jahren für Bildung und Forschung (BMBF). Das BMBF för- praktiziert, Standard werden kann und somit auch eine dert bis Ende 2018 das Projekt „Wissensmanagement europäische Ausstrahlungskraft entfalten kann. von Altdokumenten aus Forschung, Verwaltung und Be- Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft trieb“ des HMGU, welches die Aufarbeitung des Akten- (AbL), eine Organisation, die vor allem kleinere bäuerli- bestandes der Schachtanlage Asse II zum Ziel hat. Die che Betriebe vertritt und die jedes Jahr in Berlin mit vie- Ergebnisse des Projekts bleiben abzuwarten. Über deren len anderen Organisationen zu einem Paradigmenwech- Verwertungsmöglichkeit wird im Anschluss zu befinden sel in der Agrarwirtschaft unter dem Motto „Wir haben sein. es satt“ aufruft, begrüßt ausdrücklich den vorliegenden Für den Betrieb der Schachtanlage Asse II ist die Gesetzesinhalt: Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) mbH zustän- Jetzt gilt es, die für Betriebe möglichen Alternati- dig. Sie wird eine Projektgruppe zur Zusammenführung ven rechtlich so schnell wie möglich abzusichern, und digitalen Erfassung aller Gutachten, Berichte und die entsprechenden Arzneimittel und Narkosegeräte Forschungsarbeiten zur Schachtanlage Asse II und zum in der Fläche verfügbar zu machen und die Prakti- Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben einrichten. kerinnen und Praktiker im tier- und sachgerechten Damit soll aufbauend auf den Arbeiten des IWW erreicht Umgang zu schulen … Der Gesetzentwurf, den die werden, dass der bereits aufgearbeitete Kenntnisstand Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD heu- zur Schachtanlage Asse II erhalten und gleichzeitig um te beschließen wollen, legt nun fest, dass das Bun- weitere Standorte und Themen im Bereich der Endlager- desministerium BMEL endlich zu handeln hat. Das forschung erweitert sowie dem Wissenstransfer zugäng- ist 1ein riesiger Fortschritt. lich gemacht wird. Wer die AbL kennt, weiß, dass sie diese Würdigung Bereits seit September 2018 ist ein ehemaliger wis- nicht leichtfertig abgibt. senschaftlicher Mitarbeiter des IWW bei der BGE mit der Entwicklung eines Konzeptes zur digitalen Erfassung Die Diskussion um die Versäumnisse des Bundes- (B) und Auswertung von Altdokumenten aus dem Projekt (D) landwirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit der Asse II und Morsleben beschäftigt. Ferkelkastration haben wir zudem dazu genutzt, generell einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung einzu- (67. Sitzung, Anlage 3) fordern und klare Verabredungen unter den Koalitions- fraktionen zu treffen. So fordern wir in einem heute zu beschließenden Entschließungsantrag unter anderem das Anlage 11 BMEL darüber hinaus dazu auf, bis Mitte dieser Legis- Zu Protokoll gegebene Reden laturperiode die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei Lösungen für nichtkurative Eingriffe, wie das zur Beratung: Kürzen von Ringelschwänzen und das Enthornen von – des von der Bundesregierung eingebrachten Rindern, vorzulegen und das Töten von Eintagsküken so Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung schnell wie möglich zu beenden. des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Beitrags- satzanpassung – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Anlage 10 Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag Neudruck: Antwort der Abgeordneten Pia Zimmermann, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Pflege der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ solidarisch finanzieren – Beitragserhöhungen DIE GRÜNEN) (Drucksache 19/5983, Frage 60): stoppen Welche Initiativen seitens des Bundesministeriums für Bil- (Tagesordnungspunkt 13 a und b) dung und Forschung und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gab bzw. gibt es hinsicht- lich einer Weiternutzung des Knowhows des vormals mit Bun- Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Der Beitragssatz für desmitteln geförderten Instituts für Wissensanalyse und Wis- die Pflegeversicherung wird zum Jahreswechsel um senssynthese (IWW) hinsichtlich des Atommülllagers Asse (bitte ausführliche und konkrete Angabe differenziert nach 0,5 Prozentpunkte angehoben. Wir wollen damit auf die Institutionen und Daten, Software, Nutzungslizenzen etc.; hohen, aber notwendigen Ausgaben in der Pflege ange- vergleiche Onlineartikel „Das Endlager-Wissen soll nicht ster- messen reagieren. ben“, „Braunschweiger Zeitung“, 24. September 2018, www. braunschweiger-zeitung.de/niedersachsen/article215406725/ Mit einem um 0,5 Prozentpunkte höheren Beitragssatz Das-Endlager-Wissen-soll-nicht-sterben.html), und inwiefern wird die Pflegeversicherung ab 1. Januar 2019 mit circa Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7949

(A) 7,6 Milliarden Euro gestärkt, und die Beitragsstabilität Dies müssen die Träger jetzt konsequent umsetzen. (C) bis 2022 sichergestellt – so unser Wunsch. Und ich sage ausdrücklich, dass Zeiträume von 2018 bis 2022 sehr Denn Dreh- und Angelpunkt für eine menschenwürdi- lang und nicht allumfassend planbar sind – deshalb auch ge Pflege sind und bleiben möglichst viele qualifizierte die Formulierung „Wunsch“. Dieser Schritt ist notwen- Fachkräfte. Die Ausbildungszahlen entwickeln sich er- dig, um die verbesserten Leistungen für Pflegebedürftige freulich, die langfristigen Berufsaussichten sind sehr gut, und deren Angehörige auch real umsetzbar zu machen. und wir bauen auf Wiedereinstiegsprogramme und viele Ebenso müssen die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte Rückkehrer aus Teilzeit in Vollzeit. verbessert werden. Es müssen faire Löhne gezahlt und alles getan werden, um den Pflegeberuf durch Abbau überflüssiger Bürokra- Die Bundesregierung hatte in der vergangenen Le- tie und mehr gesellschaftliche Anerkennung attraktiver gislatur in mehreren Reformschritten die Leistungen der zu machen. Zudem müssen wir die Vermittlung von qua- Pflegeversicherung verbessert und unter anderem mehr lifizierten Pflegekräften aus Drittstaaten aktiv fördern. Hilfen für pflegende Angehörige sowie neue Einstu- fungskriterien für Pflegebedürftige in fünf Pflegegrade In allen diesen Fragen ist der Bundesgesundheitsmi- beschlossen. Die Beitragsanpassung ist somit nur die nister auf dem richtigen Weg. logische Konsequenz aus dem immer größer und an- spruchsvoller werdenden Pflegebedarf. Und ich sage Die Schlüsselfrage nach ausreichenden Fachkräften in ausdrücklich: Wir wollen das auch so. der Pflege hängt allerdings eng mit zwei anderen Fragen zusammen: Fortschritten bei der Digitalisierung und bei Eine qualifizierte Pflege kostet Geld, das müssen wir der Überwindung der bisherigen Sektorengrenzen. klar benennen. Dazu gehören die Anschubförderung für die Digitalisierung im Pflegebereich, mehr Stellen für die Zum einen setzen wir dazu auf altersgerechte Assis- stationäre Altenpflege und die Förderung der besseren tenzsysteme und eHealth-Lösungen. Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Pflegekräfte. Sowohl in der vertrauten häuslichen Umgebung – Ab 2020 entstehen für die geplante bessere Vergütung Stichwort: ,,intelligentes Heim“ – wie auch in den Pfle- der Beratungsbesuche für Pflegegeldbezieher zusätzliche geheimen können digitale Innovationen die Pflegekräfte Mehrausgaben. wirksam entlasten und es ihnen ermöglichen, sich auf die Vor dem Hintergrund der teilweise dramatischen Situ- Zuwendung für ihre Patienten zu konzentrieren. ationen im Pflegebereich sind allerdings auch die meisten Auch die medizinische Versorgung in der Fläche wird Versicherten dazu bereit, einen höheren Beitrag zu be- morgen anders sein als heute: Konsequente Digitalisie- zahlen. Doch die verbesserten Leistungen müssen natür- rung und Vernetzung, Prozesssteuerung und technische (B) (D) lich auch sicht- und spürbar sein. Das ist die berechtigte Assistenz werden hohe Priorität haben. Anforderung an uns als Politiker. Diese Entscheidungen müssen am Bett, bei den Angehörigen, also in der Fami- Zum Zweiten sollte nach meiner Überzeugung künftig lie ankommen und natürlich auch bei den Beschäftigten. ausschließlich die Qualität der Versorgung ausschlagge- bend sein – und nicht der Ort der Pflege. Die Wertschätzung einer Gesellschaft gegenüber Hilfsbedürftigen und ihrer älteren Generation misst sich Die bisherige Trennung der Pflege in ambulant und eben auch an der Bereitschaft, Geld in die Hand zu neh- stationär macht sie unflexibel. Viele Familien würden men, um für die Menschen in unserem Land die best- aus Verantwortung für ihre Angehörigen, aber auch aus mögliche Versorgung zu gewährleisten. Dieses Handeln Kostengründen, gern einen Beitrag zur Pflege und Be- ist christlich und sozial, und deshalb stehen wir dahinter. treuung leisten. Dazu sollten wir prüfen, wie die leistungsrechtlichen Erwin Rüddel (CDU/CSU): In der vergangenen Le- und ordnungsrechtlichen Unterschiede zwischen am- gislaturperiode haben wir durch die Pflegestärkungsge- bulanter und stationärer Versorgung eingeebnet werden setze die Leistungen für die Pflege von 24 Milliarden können. Innovative Versorgungsformen könnten entwi- Euro auf jetzt über 40 Milliarden Euro erhöht. ckelt werden, um die Angehörigenpflege in alle Versor- gungskonzepte einzubinden. Demenzkranke wurden endlich den körperlich beein- trächtigten Menschen gleichgestellt; Tages-, Nacht- und Und schließlich: Wir müssen die systembedingten Kurzzeitpflege wurden ausgebaut. Steigerungen der Eigenanteile für stationär versorg- te Pflegebedürftige einbremsen. In der Klinik wird die Die Anpassung der Beitragssätze hat also gute Grün- Pflege voll über die Krankenversicherung finanziert. Im de – zumal wir zeitgleich mit Beginn des nächsten Jahres Heim gibt es nur einen Festbetrag. Die allseits erwünsch- gegen die Personalnot in der Pflege ein Paket für mehr te bessere Bezahlung in der Altenpflege erhöht deshalb Stellen, attraktivere Arbeitsbedingungen und Hilfen bei die individuelle Belastung der Pflegebedürftigen. Gute der Betreuung zu Hause in Kraft setzen. Löhne sollten aber nicht ausschließlich von den Pflege- bedürftigen alleine bezahlt werden. Das ist eine gesamt- Ermöglicht werden damit 13 000 zusätzliche Stellen gesellschaftliche Aufgabe. in der Altenpflege. Weitere werden folgen. In den Kran- kenhäusern wird jede zusätzliche oder aufgestockte Stel- Hier besteht Handlungsbedarf. Einen ersten wichtigen le für Pflegekräfte künftig voll von der Krankenversiche- Schritt sehe ich darin, dass die 13 000 zusätzlichen Stel- rung finanziert. len für die stationäre Altenpflege über die Behandlungs- 7950 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) pflege und somit über die Krankenversicherung voll fi- Inkaufnahme, dass insbesondere die mittleren Einkom- (C) nanziert werden. men belastet würden, die ohnehin schon höchst relative Beitrags- und Steuerlast tragen. Es schwächt das Versi- Ich danke allen, die diese zusätzlichen Beiträge finan- cherungsprinzip der sozialen Pflegeversicherung. Denn zieren müssen. Es ist gut investiertes Geld für eine gute alle Versicherten haben gleiche, begrenzte Leistungs- Pflege. ansprüche. Beiträge können also nicht ohne Begrenzung steigen. Heike Baehrens (SPD): Wir wollen, dass Menschen in unserem Land – im Alter oder wenn sie krank sind – Dirk Heidenblut (SPD): Wir haben in der letzten Le- gut versorgt werden. Darüber gibt es einen breiten Kon- gislaturperiode und auch im ersten Jahr dieser Legisla- sens in unserer Gesellschaft. Darum ist es so wichtig, in turperiode einen klaren und großen Schwerpunkt im Ge- gute, menschenwürdige Pflege zu investieren und die sundheitsbereich auf den Aspekt der Pflege gelegt. Zu Pflegeversicherung zukunftsfest zu machen. Recht; denn Geld- und Sachleistungen mussten endlich Wir wollen eine gute Versorgung unabhängig vom Ort erhöht werden, mehr und dem wirklichen Bedarf ange- der Pflege – zu Hause, in Wohngruppen oder im Heim –, passte Leistungen mussten ins Gesetz. Und die Umset- gute Arbeitsbedingungen für alle in der Pflege tätigen zung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die alleine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Entlastung über 500 000 Menschen Zugang zu Leistungen verschafft von pflegenden Angehörigen. hat, war längst überfällig. Dafür haben wir mit den Personalstärkungsgesetzen Und ja, die Verbesserung der Situation der Pflegekräf- PSG I–III die richtigen Weichenstellungen vorgenom- te – und zwar der Fachpflegekräfte wie auch der pfle- men: mehr Leistungen in der ambulanten Pflege und eine genden Angehörigen –, ob durch mehr Personal, bessere bessere Versorgung in der eigenen Häuslichkeit. So wer- Vergütung, mehr Leistungen im eigenen Krankheitsfall den mittlerweile circa drei Viertel der Pflegebedürftigen oder zur Altersabsicherung, war und ist auch unbedingt in ihrem vertrauten Wohnumfeld versorgt. Mehr Pflege- voranzutreiben. Und damit haben wir in dieser Legisla- bedürftige profitieren von den Leistungen der Pflege- turperiode bereits angefangen. bedürftigen, und pflegende Angehörige nutzen die neu Es ist gut und erfreulich, dass die Leistungen ankom- geschaffenen Entlastungsmöglichkeiten und die bessere men – manchmal noch nicht so ganz; da müssen wir eigene Alterssicherung. durchaus noch nachhelfen, wie etwa bei den Angeboten Mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz sind wir die- zum Aufbau der Selbsthilfe, die mit dem Pflegeperso- sen Weg konsequent weitergegangen: Wir haben die sta- nalstärkungsgesetz noch einmal gestärkt wurden und (B) tionäre Pflege gestärkt mit 13 000 zusätzlichen Stellen, damit hoffentlich verstärkt genutzt werden. Und dieses (D) ohne zusätzliche finanzielle Belastung der Pflegebedürf- Nutzen – sogar in weiten Teilen mehr als vorausgese- tigen, weil diese Stellen von der gesetzlichen Kranken- hen –, das muss finanziert werden. Da ist die Erhöhung versicherung bezahlt werden. Wir haben die ambulanten der Beiträge ein Weg; einen anderen haben wir – mit der Dienste gestärkt, weil sie nun auch gegenüber den Kran- Einbeziehung von Leistungen der Krankenkasse – im kenkassen tarifbedingte Personalkostensteigerungen gel- Pflegepersonalstärkungsgesetz beschritten. tend machen können. Und nein, diese Maßnahmen sind nicht alternativlos. Die Erhöhung der Beiträge um 0,5 Prozent ist ange- Das zeigt auch der Antrag der Linken, der in der grund- messen und richtig; das wurde durch die Expertenanhö- sätzlichen Zielrichtung durchaus unsere Zustimmung rung bestätigt. Nicht einig waren sich die Experten darin, findet, auch wenn er im Detail schwächelt, weil hier ob Spielraum für weitere bereits geplante Leistungsver- gleich einmal ohne nähere Betrachtung der finanziellen besserungen besteht. Denn im Koalitionsvertrag haben und rechtlichen Auswirkungen alle möglichen Punkte wir uns ja noch einiges vorgenommen, zum Beispiel wie Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze, Weg in die Einführung eines flexiblen Entlastungsbudgets. Da- die Pflegebürgerversicherung und – eher ein Aspekt der rum darf es keine Denkverbote geben, wie wir die soli- Ausgabenseite – bessere Entlohnung des Personals mit- darische Absicherung der Aufgaben rund um die Pflege einander vermengt werden. Das gelingt aber nicht wirk- zukünftig sicherstellen. Über Pflegebürgerversicherung lich gut. darf ruhig weiter geredet werden. Und auch eine Ent- Ein Beispiel: Die bisherige Gestaltung der Pflege- lastung der Pflegebedürftigen durch Steuermittel, zum versicherung, sozusagen als Teilkasko, würde etwa im Beispiel die Investitionskostenförderung muss ernsthaft 3. Punkt des Antrages der Linken dazu führen, dass in diskutiert werden. der ambulanten Altenpflege – für die sollte ja sicher die Gute Pflege hat ihren Preis. Diesen Preis wollen wir tarifliche Entlohnung der Fachkräfte auch gelten – ent- gemeinsam solidarisch tragen. Das ist der Grundgedan- weder deutlich mehr Zuzahlungen von den Versicherten ke der sozialen Pflegeversicherung und ein Kernanliegen erbracht werden müssten oder weniger Leistungen zur sozialdemokratischer Politik. Die höheren Beiträge si- Verfügung stünden. Da hilft ohne Anpassung des Leis- chern eine würdevolle Pflege und unterstützen und ent- tungsanspruchs auch die Einbeziehung bisheriger Privat- lasten pflegende Angehörige. versicherter wenig. Das ist aber insgesamt wenig sinn- voll. Hintergrund: Die vollständige Aufhebung der Bei- tragsbemessungsgrenze würde das Solidarprinzip der Ja, wir müssen – da gehen wir durchaus mit – zur sozialen Pflegeversicherung stärken – allerdings unter Sicherung einer umfassenden, bezahlbaren und gut be- Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7951

(A) zahlten Pflege andere Optionen finden, sowohl in der Fi- können, welche Demütigung dies für meine Mutter (C) nanzierung als auch in der Ausgestaltung der Ansprüche. bedeutet. Bei jedem unserer Besuche ist immer ihr Das muss aber mehr zusammen gedacht werden, als das wichtigstes Thema, dass Sie die Heimkosten alleine im Antrag der Linken geschieht. Das kostet Zeit und wird tragen kann und uns (und dem Staat) nicht zur Last so kaum kurzfristig die dringend nötigen Mittel decken. fällt. Wir werden diese Kostenerhöhung, solange es Ganz abgesehen davon, dass es mit dem derzeitigen Koa- irgend möglich ist, vor meiner Mutter verschwei- litionspartner auch gar nicht verhandelbar ist; die Diskus- gen, weil wir große Sorgen haben, dass sich Ihre sionen um die Bürgerversicherung sind ja hinreichend angespannte psychische Verfassung erheblich ver- bekannt. schlechtern wird.

Wir müssen aber handeln, und da bleibt die moderate Es ist schlimm genug, auf die Hilfe anderer angewiesen Beitragserhöhung, die zudem zusammenfällt mit deut- zu sein. Verschlimmern Sie es doch nicht durch die De- lichen Entlastungen an anderer Stelle, wodurch unterm mütigung, sich das nicht mehr leisten zu können. Strich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer noch zu Jahresbeginn eine Senkung und keine Steigerung Die Linke will dieses System verändern. Wir wollen der Sozialversicherungsbeträge und damit eine finanziel- endlich eine Pflegeversicherung, die ihren Namen auch le Entlastung erfolgt, der richtige und einzig umsetzbare verdient, eine Pflegeversicherung, die den Pflegefall ab- Weg. sichert, eine Pflegeversicherung, die nicht arm macht, Das machen wir mit diesem Gesetz für eine gute, aus- eine Pflegeversicherung, in die alle Versicherten den gebaute und leistungsfähige Pflege und für die Stärkung gleichen Anteil von ihrem Einkommen einzahlen. Des- des Pflegepersonals. Hier kann man also guten Gewis- halb fordern wir und inzwischen auch viele Verbände sens zustimmen. und Organisationen eine Abkehr von der Abwärtsspirale der Teilleistungsversicherung. Wir fordern eine Decke- lung der Eigenanteile der Menschen mit Pflegebedarf. Pia Zimmermann (DIE LINKE): Jetzt musste es Die Menschen mit Pflegebedarf und ihre Familien müs- aber ganz schnell gehen. Kurz vor Jahresende noch eine sen sich auf eine gute Pflege verlassen können. Sie müs- Beitragssteigerung für die Pflegeversicherung durchdrü- sen sich aber auch darauf verlassen können, dass sie sich cken; damit das Geld ab Anfang des nächsten Jahres dann das auch in fünf Jahren noch leisten können. sprudeln kann, damit Sie, Herr Spahn, sich auf die Schul- ter klopfen können, weil Sie was Tolles für die Pflege Die Linke lehnt die Beitragserhöhungen zur Pflege- gemacht haben. Haben Sie aber nicht. Und ich erkläre versicherung ab. Wir fordern stattdessen eine Aufhebung Ihnen jetzt, warum Ihre sogenannten Verbesserungen so der Beitragsbemessungsgrenze. Es ist einfach ungerecht, (B) viele Menschen verzweifeln lassen. dass Menschen mit hohem Einkommen prozentual we- (D) Mehr Geld in der Pflegeversicherung heißt nämlich niger bezahlen müssen als Menschen mit mittlerem und automatisch auch mehr Eigenanteile für die Menschen, niedrigem Einkommen. Wir fordern für alle den gleichen die auf Pflege angewiesen sind. Diese perfide Logik Prozentsatz für die Sozialversicherung. Und wir fordern muss man immer mitdenken, wenn man diesen Beitrags- das für alle Einkommen, auch für Kapitaleinkünfte. Gute erhöhungen zustimmt. Die Pflegeversicherung ist so Pflege kostet Geld. Aber das Geld muss auch dort an- angelegt, als Teilleistungsversicherung. Wenn die Pfle- kommen, wo es notwendig ist. Deshalb lehnen wir das ge teurer wird, erhöhen sich auch die Eigenanteile der Gesetz ab. Menschen mit Pflegebedarf. Wenn mehr Geld im System ist, muss auch vom Einzelnen mehr draufgezahlt werden. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das wird sich auch nicht ändern, wenn man die Pfle- NEN): Pflege ist unzweifelhaft von fundamentaler Be- ge weiter privatisiert, wie die FDP es in ihrem Antrag deutung für unser gesellschaftliches Miteinander. Und fordert. Unsere Gesellschaft wird nämlich nicht besser, ihre Relevanz nimmt zu, je stärker unsere Gesellschaft wenn sich nur noch ein paar reiche Menschen überhaupt altert. Es wird prognostiziert, dass die Zahl der pflegebe- Pflege leisten können. dürftigen Menschen bis zum Jahr 2035 um fast 50 Pro- Tausende Menschen in den Pflegeheimen sind seit Be- zent steigt. ginn des Jahres von enormen Beitragssteigerungen ihrer Eigenanteile betroffen. Sie müssen teilweise 500 Euro Heute werden zwei Drittel aller Pflegebedürftigen von zusätzlich im Monat bezahlen. Das hält keine Durch- Angehörigen zu Hause gepflegt – oftmals von Frauen, schnittsrente aus. Das macht die Menschen arm. Ich habe die nicht oder nicht mehr berufstätig sind. Die Babyboo- vor ein paar Tagen einen Brief von einer Angehörigen mer-Generation konnte diese Aufgabe noch bewältigen. aus meinem Wahlkreis bekommen. Und ich will ihnen Jüngere Generationen werden wohl überfordert sein; einen kleinen Abschnitt daraus zitieren: denn sie sind weniger, sie wohnen seltener im gleichen Haus oder gar der gleichen Stadt wie ihre Eltern, und der Die Rente meiner Mutter beträgt circa 1 300 Euro. Anteil berufstätiger Frauen ist gestiegen. Die bisherige Zuzahlung beträgt 1 219,54 Euro. Die neue Zuzahlung soll 1 662,76 Euro betragen. Das ist Viele Menschen fragen sich angesichts des heutigen eine Erhöhung von über 30 Prozent. Meine Mutter Notstandes in der professionellen Pflege: Wie kann die kann diese Erhöhung nicht zahlen. Sie ist jetzt mit Pflege in Zukunft sichergestellt werden? Die Antwort ihrer überdurchschnittlich hohen Rente ein Sozial- darauf ist eine Mammutaufgabe, vor der wir gemeinsam fall geworden. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen stehen. Um die zu stemmen, braucht es drei Dinge: 7952 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Zum einen braucht es eine solide Finanzierung der leistet werden, ohne die jüngeren Generationen immer (C) Pflege. Bereits jetzt sind deshalb 0,3 der 0,5 Beitrags- höheren finanziellen Belastungen auszusetzen. punkte der von Ihnen geplanten Erhöhung nötig, um Eine gute Pflegeversorgung in einer älter werdenden die Mehrkosten der Pflegereformen der vergangenen Gesellschaft sichert nur eine Pflege-Bürgerversicherung, Wahlperiode abzudecken. Wir wissen, dass die übrigen zu der alle Bürgerinnen und Bürger ihren Beitrag leisten. 0,2 Beitragspunkte kaum ausreichen werden, um die zu- künftigen Kosten für gute Pflege zu decken, die durch die Alterung der Bevölkerung auf unsere Gesellschaft zukommen werden. Und wenn Sie ehrlich sind, wissen Anlage 12 Sie das auch. Schauen Sie sich an, welche Kosten auf Zu Protokoll gegebene Reden uns zukommen, aufgrund des steigenden Pflegebedarfs, erhöhter Qualitätsanforderungen und – hoffentlich – bes- zur Beratung: serer Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte. Wenn Sie dann behaupten, mit dieser Beitragserhöhung eine solide – des Antrags der Abgeordneten Dr. Axel Finanzierung im Blick zu haben, wird eines klar: Sie be- ­Gehrke, Marc Bernhard, Stephan Brandner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der treiben Augenwischerei. AfD: Beseitigung von Teilhabebeeinträchti- Ein Zweites: Es braucht eine gerechte Finanzierung gungen aufgrund von Sehschwächen durch der Pflegeleistungen, beispielsweise in der stationären Erweiterung der Versorgung gesetzlich Versi- Langzeitpflege. Hier haben pflegebedürftige Menschen cherter mit Sehhilfen und ihre Angehörigen derzeit beim Eigenanteil mit im- – des Antrags der Abgeordneten Dr. Achim mer weiter steigenden, unberechenbaren Kosten zu Kessler, Susanne Ferschl, Matthias W. kämpfen. Es ist unerträglich, dass rund ein Drittel der Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Menschen, die in einer Pflegeeinrichtung leben, auf die Fraktion DIE LINKE: Gesundheitsversor- Unterstützung durch Sozialhilfe angewiesen sind. Pfle- gung für alle sichern gebedürftigkeit darf nicht zu Armut führen. Wir müssen die Pflege endlich als gesamtgesellschaftliche Heraus- (Tagesordnungspunkt 14 a und b) forderung betrachten. Die Finanzierung der Pflegeversi- cherung und der mit Pflege verbundenen Kosten muss Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Knapp 41 Millionen dringend neu organisiert werden. Stattdessen machen Sie Deutsche tragen eine Brille – Dauer- und Gelegenheitsträ- so weiter und weiter und weiter. ger zusammengefasst. Das sind fast zwei Drittel aller Bürgerinnen und Bürger. Seit 2014 sind 700 000 Brillen- (B) Drittens: Es braucht Mut, um die Veränderungen zu träger dazugekommen. Im Jahr 2018 sprechen wir von (D) schaffen, die notwendig sind. Uns bleiben höchstens knapp rund 25 Millionen ständigen Brillenträgern. Das zehn Jahre, um unsere Gesellschaft auf diesen Wandel ist eine überwältigende Zahl. vorzubereiten. Es gilt, neue Versorgungstrukturen in So müssen wir auch feststellen, dass die Altersgruppe Stadt und Land zu schaffen, die sich mehr an den Bedürf- der 20- bis 44‑Jährigen stetig anwächst. Besonders junge nissen der Menschen orientieren. Es gilt, die Vereinbar- Menschen verbringen extrem viel Zeit – sowohl bei der keit von Beruf und Pflege so zu stärken, dass all jene, die Arbeit als auch in der Freizeit – vor den Bildschirmen dies möchten, ihre Angehörigen auch versorgen können. und Monitoren. Selbst in der Entspannungs- und Ruhe- Und es gilt, mehr Menschen für die professionelle Pflege zeit gehören Smartphones oder andere technische Geräte zu gewinnen. Das ist möglich, aber man muss es end- zur Standardausstattung für sehr viele Menschen. lich tun. Sie tun so, als wären mit einer Beitragserhöhung heute die Probleme von morgen gelöst. Aber das ist zu Die Konsequenzen sind klar: Die Augen der Men- kurz gedacht. Wir müssen uns ehrlich machen, wenn es schen leiden extrem. Der Sehnerv wird über- und vor darum geht, was Pflegebedürftige und Pflegende an In- allem dauerbelastet. Gesundheitliche Probleme sind vor- frastruktur und Unterstützung brauchen. Stellen Sie sich programmiert. In Zahlen bedeutet das: Rund 64 Prozent den Herausforderungen und zeigen Sie Mut. der Bevölkerung ab 16 Jahren sind Brillenträger. Da steht es außer Frage, ob dieses Thema eine Relevanz hat. Herr Gesundheitsminister, Mut zeigt sich auch darin, gute Vorschläge aufzugreifen und umzusetzen, wenn sie Als Betroffener, der mit einer schweren angeborenen von anderen kommen – auch von uns. Deshalb fordern Beeinträchtigung der Sehleistung lebt, weiß ich ganz ge- wir Sie auf: Prüfen Sie, welche Aufgaben der Daseins- nau, was es bedeutet, gesundheitliche Probleme mit den Augen zu haben. Einschränkungen im Alltag oder am Ar- vorsorge von der gesamten Gesellschaft zu tragen sind, beitsplatz können ein schwerwiegendes Problem werden, wie das bei unseren europäischen Nachbarn längst gang vor allem wenn die medizinische Versorgung in dieser und gäbe ist. Pflegebedürftigkeit ist ein Risiko, das mit Richtung nicht vollumfänglich ist und sich nicht auf ei- einer Versicherung abgedeckt wird, aber gutes Leben im nem qualitativ hohen Niveau befindet. Alter ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Bauen Sie die Pflegeversicherung um, sodass alle Einkommens- Gerade mit Blick auf eine alternde Gesellschaft und arten von allen Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern steigende Zahlen in der Pflegebedürftigkeit sollte uns be- berücksichtigt werden. Verteilen Sie die Kosten für alle wusst sein, dass Schwierigkeiten mit der Sehleistung uns auf breitere Schultern, denn nur so kann eine solide und alle betreffen können. Über 90 Prozent der 60‑Jährigen gerechtere Finanzierung steigender Ausgaben gewähr- tragen Brillen. Aus diesem Grund bin ich der Meinung, Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7953

(A) dass wir in Deutschland eine flächendeckende Versor- Nochmals: Zum aktuellen Zeitpunkt sehe ich jedoch un- (C) gung für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen benöti- seren Schwerpunkt in anderen Bereichen, die die ganze gen. Energie und Kraft der Politik benötigen. In den Städten ist die Situation sicherlich eine andere als in den ländlichen Regionen. Doch genau hier müs- Martina Stamm-Fibich (SPD): Als ich den vorlie- sen wir – wie in vielen anderen Bereichen der Gesund- genden Antrag zum ersten Mal gesehen habe, war ich heitspolitik auch – ansetzen, um die Menschen in ganz überrascht. Ich war überrascht, dass die AfD sich auf Deutschland zu erreichen, zu versorgen und ihnen die einmal für soziale Fragen interessiert. Das ist mir bisher besten Rahmenbedingungen zu bieten, die unser Gesund- nicht sonderlich aufgefallen. heitssystem aufbringen kann. Gleichzeitig muss diese Zur Sache. Die SPD sieht die Notwendigkeit, die Ver- Forderung auch im Rahmen unserer finanziellen Mittel sorgung mit Brillen zu verbessern und die Betroffenen zu bleiben. entlasten. Unsere Forderungen haben wir auch im Wahl- Die Forschung und die Wissenschaft können hier auch programm deutlich gemacht. Als Patientenbeauftragte von enormer Bedeutung sein. Innovationen und medizi- meiner Fraktion und Mitglied im Petitionsausschuss sehe nischer Fortschritt sind definitiv nötig, um einem Teil der ich dringenden und auch kurzfristigen Handlungsbedarf. Betroffenen auf anderem Wege zu helfen und den Alltag Den Petitionsausschuss erreichen immer wieder Peti- langfristig zu erleichtern: so zum Beispiel die Verwen- tionen zu diesem Thema. Es ist offensichtlich, dass der dung von Kontaktlinsen, speziell für den Tag oder die bestehende Leistungsanspruch bei Brillen nicht ausrei- Nacht. Innovative Alternativen können definitiv ein ef- chend ist. fektiver Schritt sein, um die Versorgung zu verbessern. Die Kosten für Brillen werden überwiegend von den Ebenso sollte die Prävention deutlich priorisiert wer- Versicherten selbst getragen. Die Solidargemeinschaft den. Gerade junge Menschen müssen verstärkt darauf der GKV springt hier nicht ein. aufmerksam gemacht werden, dass ein intensiver – ja Besonders für Empfänger von Sozialleistungen gibt es schon exzessiver – Gebrauch von technischen Geräten aktuell kaum eine zumutbare Möglichkeit, an eine neue nachweisbar gesundheitliche Schäden hervorrufen kann. Brille zu kommen. Auch wenn man sich dabei auf ein Mi- Kinder und Jugendliche sind meiner Meinung nach viel nimum des medizinisch Notwendigen beschränkt, ist es mehr zu schützen. finanziell sehr schwierig, sich eine entsprechende Brille Wenn wir nun über einen Antrag zum Thema Erweite- zu beschaffen. Ihre Möglichkeiten zur gesellschaftlichen rung der Versorgung gesetzlich Versicherter mit Sehhil- Teilhabe werden dadurch zusätzlich eingeschränkt. Die- fen sprechen, dann möchte ich darauf aufmerksam ma- jenigen, die Unterstützung besonders dringend brauchen, (B) chen, dass Bezuschussungen für schwerwiegende Fälle sollten auch diejenigen sein, bei denen wir als Erstes an- (D) bereits existieren. Die Versorgung ist gegeben. So werden setzen. Das Gießkannenprinzip hilft uns hier nicht weiter. Menschen ab dem 18. Lebensjahr mit Kurzsichtigkeit ab Als ersten Schritt haben wir deshalb in der letzten Le- 6 Dioptrien oder mehr als 4 Dioptrien bei Weitsichtig- gislatur mit dem HHVG die Versorgung für Menschen keit oder einer Sehleistung unter 30 Prozent unterstützt. mit besonders schwerer Sehbeeinträchtigung verbessert. Ebenso werden Kinder und Jugendliche mit einem von Was die AfD marginal nennt, ist eine Verbesserung für der Sehstärke abhängigen Festbetrag bezuschusst, um die gut 1,4 Millionen Menschen. Das ist kein Pappenstiel. Kosten abzufangen. Das ist eine substanzielle Verbesserung – auch wenn wir Würden wir nun eine generelle Leistungserweiterung das noch nicht für ausreichend halten. ermöglichen, stellt sich die Frage, ob dieses Handeln Deshalb appelliere ich hier auch an die Kolleginnen überhaupt wirtschaftlich und sozial vertretbar wäre. Aus und Kollegen der Union im Parlament und in der Re- meiner Sicht würde hier die Gleichberechtigung im Leis- gierung, sich für das Thema zu öffnen und über eine tungsanspruch gegenüber Nicht-Brillenträgern verloren bedarfsabhängige Ausweitung des Leistungsanspruchs gehen. ernsthaft nachzudenken. Diese Forderung teilt übrigens Gleichzeitig plädiere ich auch dafür, dass wir uns da- auch die Caritas, die eine entsprechende Petition beim rauf konzentrieren, die brennenden Probleme in unserem Bundestag eingereicht hat. Land anzupacken und die zur Verfügung stehenden fi- Nun aber zum Antrag an sich. Der Antrag der nanziellen Mittel in Bereiche zu investieren, die es drin- AfD-Fraktion wirft mehr Fragen auf, als er Antworten gend benötigen. Ich rede hier vor allem von Bereichen gibt. Er ist gewissermaßen unscharf. Ich gehe aber davon wie der Pflege und ihrer personellen Ausstattung. aus, dass dem keine Sehbeeinträchtigung zugrunde liegt. Vor diesem Hintergrund komme ich zu dem Schluss, Die Gründe sehe ich an anderen Stellen, zu denen ich dass wir diese Thematik nicht aus den Augen verlieren nachher noch komme. und langfristig prüfen sollten, inwiefern die Versorgung Zu den offenen Fragen. Mit dem Antrag fordern Sie, im Bereich der Sehhilfen verbessert werden kann. Diese „auch für Sehbeeinträchtigte mit einem Grad der Behin- Thematik bedarf einer seriösen Auseinandersetzung mit derung (GdB) unter 30 einen Teilhabeanspruch anzuer- den aktuellen Zahlen. kennen“. Wie kommen Sie darauf, dass der Grad der Be- An dieser Stelle werden wir jedoch den Antrag ab- hinderung an sich ein geeigneter Maßstab ist, um daran lehnen und darauf verweisen, dass sich die CDU/ die Kostenübernahme für Brillen festzumachen? Was ist, CSU-Fraktion künftig dieses Themas annehmen wird. wenn sich der Grad der Behinderung nicht aus der Seh- 7954 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) beeinträchtigung ergibt? Was machen überhaupt Teilha- desregierung über Maßnahmen des Bundes zur (C) beleistungen für Menschen mit Behinderungen in einem Unterstützung von Ländern und Kommunen im Antrag, der vorgibt, sich mit der Sehhilfen-Versorgung Bereich der Flüchtlings- und Integrationskosten in der GKV auseinanderzusetzen? Und wer soll denn ei- und die Mittelverwendung durch die Länder im gentlich von steuerfinanzierten Teilhabeleistungen profi- Jahr 2017 tieren? (Tagesordnungspunkt 15 und Zusatztagesord- Aus meiner Sicht sind das in erster Linie die Men- nungspunkt 15) schen mit Behinderungen, die auf Teilhabeleistungen tatsächlich angewiesen sind. Personen, die eine leichte (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Sehschwäche haben, gehören hier nicht zur Zielgruppe. Alois Rainer Gesetzentwurf kommt der Bund seiner nationalen Ver- Wir haben in der letzten Legislatur mit dem Bun- antwortung für die Länder und Gemeinden bedeutend desteilhabegesetz ein großes Maßnahmenpaket ge- nach. Mit der Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Ein- schnürt, um die Teilhabe von Menschen mit Behinde- heit“ wird eine lang erhobene Forderung der Länder und rungen zu verbessern. Das kostet Geld. Und wir haben Gemeinden nun umgesetzt. Darüber hinaus ist es gesamt- dieses Geld in die Hand genommen für die Menschen, staatlich erfreulich, dass die fiktive Restschuld des Fonds die es brauchen. „Deutsche Einheit“ zum Jahresende vollständig getilgt ist. Ihr Vorschlag würde aber bedeuten, dass das Geld für Teilhabeleistungen dort, wo es wirklich gebraucht wird, Finanziell ist das zwar gut für die Länder und Kom- fehlen würde. Das heißt im Klartext: Sie fordern nicht munen, aber schlecht für den Bund. Denn damit entfällt mehr Teilhabe für Menschen mit Behinderungen, son- der Länderanteil an der Umsatzsteuer dauerhaft ab 2019; dern weniger. das sind 2,2 Milliarden Euro jährlich zulasten des Bun- Zur nächsten Frage. Warum führen Sie erst den Grad des. der Behinderung als Maßstab für die Kostenübernahme Mit der Abfinanzierung entfällt die sachliche Grund- bei Brillen an und fordern dann, die Kosten für ärztlich lage für die Mitfinanzierung der westdeutschen Gemein- verordnete Brillengläser und Brillengestelle allgemein den an den Finanzierungslasten ihrer Länder über eine zu übernehmen, diesmal über die GKV? Ich nehme an, erhöhte Gewerbesteuerumlage. Da die erhöhte Gewer- darauf haben Sie keine überzeugenden Antworten, weil besteuerumlage zur Mitfinanzierung entfällt, kommt das Ihr Antrag wild und ohne Fachkenntnisse zusammenge- den Gemeinden direkt zugute. schustert ist. Ebenfalls soll mit dem Entwurf im Entflechtungsge- (B) Angesichts der Fülle der handwerklichen Fehler ma- setz die Grundlage dafür geschaffen werden, dass der (D) che ich Ihnen aber zwei Vorschläge. Bund die Kompensationszahlungen für den sozialen Erstens. Kommen Sie doch mal zu den Ausschusssit- Wohnungsbau an die Länder im Jahr 2019 um 500 Mil- zungen. Dort findet die parlamentarische Arbeit statt, an lionen Euro erhöhen kann. Die Länder haben sich ver- der Sie so offensichtlich kein Interesse haben. Hören Sie pflichtet, diese auch dafür zu nutzen. zu, und lernen Sie. Das hilft. Mit dem Gesetz sprechen wir auch über die Fortset- Und zweitens. Eventuell sollte sich die AfD-Frakti- zung der Beteiligung des Bundes an den Integrations- on überlegen, wie sie ihre Mittel sinnvoll einsetzt. Für kosten der Länder und Kommunen. Mir ist bewusst, kompetente Fachreferenten oder für einen mit 20 Mann dass in den zurückliegenden drei Jahren unser Land vor aufgeblasenen Newsroom, der die Republik permanent großen Herausforderungen stand. Daher empfinde ich es mit Falschinformationen und Lügen beschallt? Auf ei- als richtig, dass der Bund seine unterstützende Aufgabe nem Parteitag würde ich sagen: Rücküberweisung an die wahrgenommen hat. Mit der vereinbarten Verlängerung Antragsteller. Hier: Schlicht Ablehnung eines grotten- der Beteiligung des Bundes an den flüchtlingsbedingten schlechten Antrags. Kosten von Ländern und Gemeinden soll sich der Bund um ein weiteres Jahr an den Kosten beteiligen. Die personenscharfe Spitzabrechnung, die ich im Anlage 13 Übrigen als äußerst kritisch betrachte, führt dazu, dass etwa 1,6 Milliarden Euro für die Zeit bis Ende 2018 und Zu Protokoll gegebene Reden 482 Millionen Euro für 2019 zusätzlich gezahlt werden. zur Beratung: Auch die Übernahme der Integrationspauschale für Asyl- bewerber wird fortgesetzt. Insbesondere sollen mit der – des von der Bundesregierung eingebrachten einmaligen Erhöhung um 435 Millionen Euro für 2019 Entwurfs eines Gesetzes zur fortgesetzten Be- die Kosten der Kinderbetreuung gedeckt und Mittel für teiligung des Bundes an den Integrationskos- Investitionen verwendet werden. Im Weiteren wird der ten der Länder und Kommunen und zur Rege- Bund auch in 2019 die Kosten der Unterkunft (KdU) zu lung der Folgen der Abfinanzierung des Fonds 100 Prozent übernehmen. Das alleine sind 1,8 Milliarden „Deutsche Einheit“ Euro. Und in 2019 wird sich der Bund mit etwa 6,8 Mil- – der Beschlussempfehlung und des Berichts des liarden Euro an den Kosten beteiligen. Damit stellt der Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung Bund den Ländern bis 2020 rund 16 Milliarden Euro als durch die Bundesregierung: Bericht der Bun- Entlastung zur Verfügung. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7955

(A) Das ist richtig viel Geld. Ich habe es heute Morgen in bis die Kommunen dazu auf die Barrikaden gegangen (C) meiner Rede zur Änderung des GG bereits gesagt: Hel- sind. Ich zitiere aus der Stellungnahme des Deutschen fen ja, aber irgendwann ist dann mal gut. Städte- und Gemeindebunds: „Die vom Bundesrat in seiner Stellungnahme … vorgeschlagene Alternative … Gerade mit Blick auf den aktuellen Etatüberschuss ist hingegen klar zurückzuweisen. Von einer vollumfäng- der Länder von über 20 Milliarden Euro haben wir ganz lichen Weiterleitung kann bei den Ländern nicht ausge- offensichtlich das Ende Fahnenstange erreicht. Es darf gangen werden.“ Eine sehr bemerkenswerte Aussage. nicht so weitergehen, dass die Länder aufgrund der ho- hen Entlastungen durch den Bund Überschüsse in Mil- Kurzum: Der Verteilmechanismus Umsatzsteuer ist in liarden aufbauen und der Bund Probleme bei der Aus- vielerlei Hinsicht nicht perfekt. Darauf hat auch Kolle- finanzierung seiner eigenen Aufgaben wie Verteidigung ge Rehberg heute Morgen hingewiesen. Aber er ist für und innere Sicherheit bekommt. diesen Zweck, für diesen begrenzten Zeitraum der Beste, der uns zur Verfügung steht und auf Akzeptanz stößt. Deshalb möchte ich ausdrücklich erwähnen – ich habe es schon in meinen letzten Reden angesprochen –, dass Bisher waren Länder und Kommunen leider nicht in der Bund dringend ein Instrument zur Kontrolle oder zur der Lage, einen konsensualen, konstruktiven Alternativ- Sanktionierung benötigt. vorschlag vorzulegen. Ich bedauere das sehr. Insgesamt möchte ich dennoch wiederholen, was ich Abschließend noch eine Bemerkung. Bereits zur ers- eingangs sagte: Es ist gut, dass wir unterstützen; aber un- ten Lesung habe ich und auch heute Morgen der Kollege kontrolliert Geld verteilen, das halte für sehr fragwürdig. Rehberg auf die hervorragende finanzielle Situation der Das müssen wir ändern. Länder hingewiesen. 1975 lag der Anteil am gesamten Steueraufkommen noch bei 50/50. Mittlerweile sind es Martin Gerster (SPD): Mit dem Gesetz zur fortge- 60/40 zugunsten der Länder. Das sind immerhin circa setzten Beteiligung des Bundes an den Integrationskos- 72 Milliarden Euro Unterschied. Jährlich! ten der Länder und Kommunen macht der Bund einmal Auch andere Indikatoren weisen darauf hin, dass sich mehr deutlich: Wir lassen Länder und Kommunen bei der der Bund in einer deutlich schlechteren Haushaltssituati- Integration nicht alleine. on als die Ländergesamtheit befindet: Wir haben sichergestellt, dass Fehler der Vergangen- – der Schuldenstand heit nicht wiederholt werden, zum Beispiel, dass nicht alle Sprachkurse erhalten hatten. – der Finanzierungssaldo Wir haben Länder und Kommunen in die Lage ver- – die Kreditfinanzierungsquote sowie (B) (D) setzt, flüchtlingsbedingte Mehrkosten tragen zu können, – die Zins-Steuer-Quote ohne dass wir staatliche Sozial- und Fürsorgeleistungen einschränken mussten; etwas um das uns viele europäi- Oder wie es der Bundesrechnungshof in seinen aktu- sche Nachbarn beneiden. ellen Bemerkungen so schön nüchtern ausdrückt: „Im vertikalen Finanzausgleich leistet der Bund aus seinem Gleichzeitig haben wir es den meisten Ländern und Steueraufkommen auch weiterhin hohe Zuweisungen an Kommunen ermöglicht, Schulden abzubauen und/oder die Länder.“ zusätzlich in Schulen, Hallenbäder oder auch die inne- re Sicherheit investieren zu können. Ich weiß: Das trifft Trotz alle dem bekennen wir uns – erneut – zu unserer nicht auf jede einzelne Kommune zu, aber auf sehr, sehr gemeinsamen Verantwortung für eine nachhaltige Be- viele! wältigung der Folgen des erhöhten Flüchtlingszugangs im Jahr 2015. Ähnlich wie bei der Debatte heute Morgen zur Grund- gesetzänderung haben die Kolleginnen und Kollegen von FDP, Linken und Grünen auch dieses Gesetz in der Kerstin Kassner (DIE LINKE): Sicherlich haben ersten Lesung vor einem Monat grundsätzlich begrüßt, Sie alle schon von der Mecklenburgischen Seenplat- natürlich ein wenig garniert mit „reflexhafter Oppositi- te in Mecklenburg-Vorpommern gehört – bekannt für onskritik“, der Verteilmechanismus Umsatzsteuer sei der ihre vielfältige Natur und beeindruckende Seenland- falsche. schaft. Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte ist der flächengrößte Landkreis in Deutschland – bei nur Dazu drei Anmerkungen: 260 000 Einwohnern und Einwohnerinnen – und ge- hört zu den strukturell schwächsten Regionen Mecklen- Erstens. Im Sondierungspapier zu „Jamaika“ hatten burg-Vorpommerns. Sie genau das Gleiche vorgeschlagen. Bitte machen Sie sich an dieser Stelle ehrlich. Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte erhielt im Jahr 2018 rund 170 000 Euro des Regionalbudgets Zweitens. Trotzdem haben Sie mit Ihrer Kritik recht! aus dem Integrationsfonds für Mecklenburg-Vorpom- Die Umsatzsteuer ist zwar nicht der beste Weg, er ist aber mern bei einem beantragten Mittelvolumen von rund der bestmögliche. Denn das eigentlich passendere Finan- 455 000 Euro. Mehr als das Doppelte wäre also not- zierungsinstrument „Kosten der Unterkunft“ ist an seine wendig gewesen. Zum Vergleich: Das Gesamtbudget für verfassungsmäßige Grenze gestoßen. Mecklenburg-Vorpommern lag bei 1 Million Euro. Mehr Drittens. Zwar hat der Bundesrat eine Alternative vor- als 1,7 Millionen Euro hätte das Bundesland zur Bedarfs- geschlagen, aber es hat gerade mal drei Tage gebraucht, deckung im Jahr 2018 gebraucht. 7956 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Neubrandenburg, Kreisstadt des Landkreises Meck- Anlage 14 (C) lenburgische Seenplatte, steht vor einer ganzen Reihe de- mografischer Herausforderungen, wie Abwanderung und Zu Protokoll gegebene Reden einer älter werdenden Bevölkerung – und das nicht erst zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Mario seit gestern. Um den Menschen hier eine Perspektive zu Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Nicola bieten und die Integration von Geflüchteten erfolgreich Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der voranbringen zu können, müssen Schulen und Kinder- FDP: gärten erweitert und saniert, Arbeitsplätze geschaffen Technologischen Fortschritt nicht aufhalten – Neue und die regionale und digitale Infrastruktur verbessert Verfahren in der Gentherapie einsetzen werden. (Tagesordnungspunkt 16) Hierfür müssen langfristige und breit aufgestellte fi- nanzielle Mittel her; denn für die Menschen in Deutsch- Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Das Timing land ist ihre Stadt, ihr Dorf, ihre Kommune der zentrale des Antrages der Kolleginnen und Kollegen der FDP Lebensmittelpunkt. Wenn hier das Geld vorn und hinten hätte passender kaum sein können. Wir debattieren heu- nicht reicht, wirkt sich das direkt auf die Lebensqualität te über ein brandaktuelles Thema: Innovationen in der aus. Wir reden von maroden Schulen, schlechter Ver- Gesundheitsforschung wie die „Genschere“, ein neues kehrsanbindung, unzureichender Digitalisierung und zu technologisches Verfahren, das Anfang dieser Woche wenig Freizeitangeboten, um nur einige Beispiele zu weltweit Schlagzeilen gemacht und international für nennen. schärfste Kritik gesorgt hat. Hinzu kommt, dass Kommunen in Deutschland erheb- Es ist offenbar genau das eingetreten, wovor Kritiker liche Unterschiede in ihrer Entwicklung und finanziellen eindringlich gewarnt haben: Sollte die Meldung aus Chi- Ausstattung zeigen. Diese Unterschiede führen bekann- na tatsächlich zutreffen, dass zum allerersten Mal Men- terweise zu unterschiedlichen Lebensbedingungen und schen mit gentechnisch verändertem Erbgut auf die Welt Chancen für Kinder und Jugendliche, Erwachsene, Seni- gekommen sind, so wäre das ein gewaltiger Dammbruch, orinnen und Senioren und natürlich auch für die Geflüch- eine unverantwortliche Grenzüberschreitung. teten, die hier nun ebenfalls ihren Lebensmittelpunkt ha- Ohne Frage: Wir alle wünschen uns, dass Menschen ben. die bestmöglichen Therapie- und Heilmethoden erhalten, Eine gelungene Integration verbessert die Lebensbe- dass die Wissenschaft nach neuen Wegen sucht, um inno- dingungen vor Ort und kann eine Bereicherung für alle vative medizinische Geräte, Medikamente und Verfahren sein. Menschen in ganz Deutschland können von der In- zu entwickeln. tegration von Geflüchteten profitieren, ihren Horizont er- (B) Deshalb unterstützen wir medizinische Innovationen (D) weitern und neue Bekanntschaften machen, sei es in der auf breiter Ebene und auf internationalem Spitzenniveau. Schule, im Job oder im Verein. Und Integration gelingt Wenn man sich anschaut, was wir im Bereich der Ge- vor allem dann, wenn Kommunen nachhaltig gestärkt sundheitsforschung alles fördern, dann kann man uns werden: wenn Sprachkurse angeboten, Kindergärten und wahrlich nicht unterstellen, dass wir mit angezogener Schulen ausreichend finanziert, die Digitalisierung so- Handbremse fahren! Es kann also keine Rede davon sein, wie eine ordentliche Verkehrsanbindung endlich flächen- dass wir technologischen Fortschritt aufhalten. In diesem deckend ausgebaut und gesichert, Schulsozialarbeit und Jahr investiert das Bundesforschungsministerium mehr Ehrenamt gestärkt werden. als 338 Millionen Euro in die Gesundheitsforschung und Eine auf 2019 begrenzte Beteiligung des Bundes an Gesundheitswirtschaft – eine Steigerung von mehr als den Integrationskosten wird der Anforderung einer ge- 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im nächsten Jahr lungenen Integration von Geflüchteten nicht gerecht. werden es rund 342 Millionen Euro sein. Am Mittwoch Kommunen brauchen nämlich nicht nur ausreichende hat das Bundeskabinett das neue Rahmenprogramm Ge- finanzielle Mittel, sondern auch langfristige Planungs- sundheitsforschung beschlossen. sicherheit, um ihre vielfältigen Aufgaben bewältigen zu Ob es um die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, können. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenleiden, Krebs oder Ich mache mich daher nach wie vor stark für eine aus- Erbkrankheiten geht, um nur einige Beispiele zu nennen: reichende und langfristige finanzielle Unterstützung der Was an unseren Zentren der Gesundheitsforschung, Uni- Kommunen durch Bund und Länder. versitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtun- gen geleistet wird, welch Pioniergeist in den Forsche- Und gerade jetzt, wo die Koalitionsparteien die Kom- rinnen und Forschern steckt, ist wahrlich beeindruckend mission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ eingerichtet und verdient größte Anerkennung und höchsten Respekt. haben und nicht müde werden, sich selbst dafür zu loben, sollte die Stärkung der Kommunen und die strikte Ein- Selbstverständlich müssen wir Chancen der For- haltung des Konnexitätsprinzips im Vordergrund stehen; schung erkennen und am Schopf packen, aber eben auch denn gleichwertige Lebensverhältnisse bedeutet auch, mögliche Risiken beachten, insbesondere dann, wenn dass finanziell nicht ausreichend ausgestattete Kommu- wir in medizinische und damit auch in ethische Grenzbe- nen in die Lage versetzt werden, im Vergleich zu finan- reiche vorstoßen. Wir müssen Chancen und Risiken glei- ziell besser gestellten Kommunen aufzuholen, damit alle chermaßen in den Blick nehmen, erst recht dann, wenn es Menschen die gleichen Chancen erhalten – ob auf dem um das menschliche Erbgut, die Keimzelle des menschli- Land oder in der Stadt, ob in Ost oder in West. chen Lebens geht, denn wir haben Verantwortung für die Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7957

(A) Schöpfung. Wir müssen uns der Konsequenzen unseres He Jiankui dazu bisher enthüllte, stehen wird vor einem (C) Handelns bewusst sein. Genetische Veränderungen sind Dammbruch. Vieles wurde nun schon zu diesem Fall ein unwiderruflicher Eingriff in die Evolution. Niemand gesagt, doch Folgendes erscheint mir dabei besonders vermag die Folgen genetischer Manipulationsverfahren wichtig: Jiankui hat mit ungeheuerlicher Wucht mit der beim Menschen einzuschätzen. Welche Auswirkungen akademischen Ethik gebrochen, denn sein Eingriff in hätte die Anwendung neuer Gentherapieverfahren, da- die menschliche Keimbahn widerspricht ganz eindeu- runter auch solche mit Keimbahnveränderungen, auf tig dem Konsens der globalen Wissenschaftsgemeinde. den Menschen und auf die nachfolgenden Generationen? Diese hält solche Eingriffe im Lichte der aktuellen For- Diese Fragen kann niemand schlüssig beantworten. schungsergebnisse für unverantwortlich. Und das ist ab- solut richtig. Es gibt eben keine ausreichend gesicherten In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Erkenntnisse darüber, wie sich sowohl die beabsichtigten FDP, fordern Sie den Einsatz neuer Gentherapieverfah- als auch die unbeabsichtigten Veränderungen im Erbgut ren wie CRISPR/Cas und legen dazu gleich noch einen in der nächsten und übernächsten Generation auswirken. kompletten Katalog mit Vorschlägen zur Förderung vor. Ein solcher Eingriff wie in China stellt einen fundamen- Die gewaltige ethische Dimension kommt darin aller- talen Bruch mit dem Vorsorgeprinzip dar und ist für uns dings völlig zu kurz. Grüne nicht hinnehmbar. Bevor man etwas Neues anwenden will, müssen auch Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, im Lich- die Risiken eingehend erforscht und abgewogen sein. te dieses Ereignisses wirkt Ihr Antrag unter dem Titel Und Methoden wie CRISPR/Cas9 sind eben noch nicht „Technologischen Fortschritt nicht aufhalten“ doch sehr ausreichend erforscht – bei weitem nicht! Hier herrscht entrückt. Und viel schlimmer: Damit befördern Sie eben noch enormer Wissensbedarf. Derzeit läuft eine Reihe keine grundlegende und ernsthafte ethische Debatte über von Forschungsprojekten zu medizinischen, rechtlichen, die neuen Möglichkeiten, die sich mit CRISPR/Cas ja ethischen und sozialen Aspekten des Genome Editing, zweifellos ergeben. Mit dem Motto, „die Chancen vor unterstützt im Rahmen der Gesundheitsforschung des den Risiken in der Entwicklung der Humangenetik zu se- BMBF . Auf die Ergebnisse dürfen wir sehr gespannt sein. hen“, führen auch Sie das Vorsorgeprinzip ad absurdum. Gerade aber den ethischen Aspekt dürfen wir nicht un- Es geht hier ja nicht um die Frage, wie wir unseren terschätzen: Der angebliche Fall aus China, den Experten Verkehr anders organisieren – da fordern auch wir als durchaus für realistisch halten, zeigt sehr anschaulich die Grüne mehr Experimentierräume –, und es geht auch Dimension des Problems. Hier sollen Kinder nach einer nicht um die Frage der Digitalisierung, wo Ihr Slogan gezielten Keimbahnveränderung mittels CRISPR/Cas auch schon sehr irritierend war: „Digital first. Bedenken gezeugt worden sein. Die Rede war natürlich nicht vom (B) second.“ Hier geht es um die fundamentale Frage unserer (D) Designerbaby. Offiziell begründet wurde der Eingriff mit menschlichen Würde und darum, ob ein Eingriff in die dem Schutz der Kinder vor einer HIV-Infektion. Aber menschliche Genetik überhaupt unter bestimmten Vo- ging es tatsächlich um Wissenschaft zum Nutzen des raussetzungen und aus sehr besonderen Gründen zulässig Menschen? War nicht auch Profilierungssucht im Spiel? sein kann. Und wie lässt sich verhindern, dass derartige Technologi- en nicht auch missbraucht werden können? Was gilt denn Ich möchte an dieser Stelle an die Debatte gestern zur eigentlich als Krankheit? Welche Folgen hätte es für ei- Organspende erinnern – auch eine wesentliche Frage, nen Patienten, wenn die „Genschere“ danebenschneidet wie wir mit der Selbstbestimmung der Menschen über und die falschen Sequenzen erwischt? Fragen über Fra- ihren eigenen Körper umgehen. Dafür hat sich der Bun- gen! destag gestern zweieinhalb Stunden Zeit genommen – nur für eine erste Orientierung. Liebe Kolleginnen und Aus Sicht der Union steht fest: Wir fördern nach Kräf- Kollegen der FDP, das ist der richtige Rahmen für eine so ten Innovationen in der Gesundheitsforschung, aber wir grundlegende ethische Frage und nicht so ein schnell zu- dürfen nicht zulassen, dass menschliches Leben zum sammengeschriebener Antrag, der der Grundsätzlichkeit Spielball wird! Ein verantwortungsvoller Umgang beim dieses Themas gar nicht gerecht werden kann. Genome Editing muss für uns oberstes Gebot sein. Nicht alles, was wissenschaftlich möglich erscheint, könnte Und er versucht es ja auch gar nicht. In Ihrem An- auch ethisch vertretbar sein, denn für uns gilt: Die Wür- trag finden sich viele unklare, unausgereifte Forderun- de des Menschen ist unantastbar. Sie ist Grundlage jeder gen, sodass man sich fragt: Was wollen Sie, liebe FDP, Forschung. Deshalb müssen wir auf internationaler Ebe- denn nun wirklich geändert haben? Da ist zum Beispiel ne tätig werden, gemeinsame Grundsätze für ethisches die Forderung, „das Embryonenschutzgesetz (ESchG) Handeln erarbeiten und entsprechende Grenzen definie- sowie das Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräimpG) ren. Die Zeit drängt – das führt uns die Meldung aus Chi- zu überarbeiten und an den technologischen Fortschritt na eindringlich vor Augen. im Bereich künstlicher Befruchtung (In-vitro-Fertilisati- on) anzupassen, um für Rechtsklarheit zu sorgen“. Was wollen Sie denn „anpassen“? Wollen Sie auch Versuche Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit befruchteten Eizellen bzw. Embryonen erlauben, die NEN): Genome Editing am Menschen – noch vor we- aktuell gesetzlich untersagt sind, einfach mal so eben mit nigen Tagen hätten wohl nur die wenigsten von uns diesem Antrag? erwartet, welch aktuelle Brisanz dieses Themas entwi- ckeln würde. Der Fall aus China schlägt zu Recht hohe Diese Rede ist zu kurz und diese Debatte nicht der Wellen. Denn wenn sich bewahrheitet, was der Forscher richtige Ort, um über so grundsätzliche Fragen zu disku- 7958 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) tieren, mit denen sich zu Recht derzeit sowohl der Deut- sorgungsanwärtern und Versorgungsempfängern, unter (C) sche Ethikrat als auch das Büro für Technikfolgen-Ab- anderem durch die Pflicht, regelmäßig über die Entwick- schätzung beim Deutschen Bundestag beschäftigt. Diese lung der Altersversorgungsleistung informieren und auf Berichte will die FDP ja offenbar noch nicht einmal ab- zustehende Leistungen sowie Wahlrechte hinweisen zu warten. Als Grüne sind wir dafür, dass wir diese Debatten müssen, sowie die Erleichterung der grenzüberschreiten- sorgfältig führen, gemeinsam mit der Wissenschaft, fak- den Tätigkeit. tenbasiert und mit den zwingend notwendigen ethischen Leitplanken. Das haben wir auch zum Start unserer De- Auch die öffentliche Anhörung am 7. November zur batte über unser Grundsatzprogramm deutlich gemacht. Umsetzung der EbAV‑II-Richtlinie hat gezeigt, dass Ar- beitnehmer und Arbeitgeber sowie die deutsche Versi- Dass wir sie führen müssen, zeigt auch der Fall aus cherungswirtschaft allesamt den Schritt und die Art, mit China. Auch ich möchte mich daher – wie mein Kolle- der wir diese Umsetzung vornehmen, begrüßen. ge Harald Ebner gestern bereits in der Fragestunde – der Forderung des Ethikrates anschließen, endlich tätig zu Abschließend gibt es noch einen Punkt, auf den ich ein- werden und sich dafür einzusetzen, ethische Standards gehen will und der im Anschluss an das Gesetzgebungs- auf Ebene der Vereinten Nationen zu setzen. Da besteht verfahren geklärt werden muss: Wenn wir richtigerweise derzeit offensichtlich dringender Handlungsbedarf im die Transparenz gegenüber den Versorgungsanwärtern Bereich Genome Editing am Menschen – ganz im Ge- und Versorgungsempfängern erhöhen, dann muss dies gensatz zu den Forderungen des Antrags. auch in einer verständlichen und klaren Art und Weise getan werden. Wir sollten unbedingt vermeiden, dass die gute und richtige Umsetzung einer EU-Richtlinie durch überbordende Bürokratievorschriften genau das Gegen- Anlage 15 teil des Gewünschten erreicht. Nicht dass man am Ende Zu Protokoll gegebene Reden den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht! zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Der wichtigste Punkt ist aus meiner Sicht jedoch die brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung Mindestharmonisierung. Genau das brauchen wir, weil der Richtlinie (EU) 2016/2341 des Europäischen es in den Mitgliedstaaten große Unterschiede in der be- Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 trieblichen Altersversorgung gibt. über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Ebenso verhindern wir mit dieser Umsetzung die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung Vollharmonisierung durch die Hintertür, welche wir ganz (EbAV) (Neufassung) klar ablehnen. Die Änderungsanträge der FDP suggerie- (B) (Tagesordnungspunkt 19) ren hier fälschlicherweise etwas anderes. Die Verhinde- (D) rung der Vollharmonisierung durch die Hintertür wird Sebastian Brehm (CDU/CSU): Mit der heutigen im Abschlussbericht explizit und passend adressiert. Die Umsetzung der Richtlinie über die Tätigkeit und die FDP-Anträge lehnen wir daher ab. Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung – kurz: EbAV II – erhöhen wir die Es gilt also: Mindestharmonisierung ja, aber immer Anforderungen an das Risikomanagement und die Ge- mit dem Grundgedanken der Subsidiarität. Die Beson- schäftsorganisation der Einrichtungen der betrieblichen derheit der betrieblichen Altersversorgung als dritte Altersversorgung. Zudem schließen wir damit den Kreis wesentliche Säule der Altersversorgung in Deutschland der Regelungen für Solvabilität – Eigenmittelausstat- muss auch weiterhin von uns als Deutschem Bundestag tung –, Governance – Unternehmensführung – und gestaltet werden können. Transparenz. Sarah Ryglewski (SPD): Die betriebliche Altersvor- Im Bankbereich wurde dies durch die CRR-Richtlinie sorge in Deutschland ist im europäischen Vergleich be- der EU seit Januar 2014 umgesetzt – Capital Require- sonders stark entwickelt. Das System ist über Generatio- ments Regulation –, für Versicherungsunternehmen wur- nen gewachsen und hat sich trotz großer Veränderungen de seit dem 1. Januar 2016 die EU‑Solvency‑II-Richtli- und teils berechtigter Kritik bewährt. Heute sammeln gut nie umgesetzt, die diese Fragen umfassend regelt. 17 Millionen Beschäftigte Ansprüche auf Betriebsrenten, Diese Solvency‑II-Richtlinie findet aber nicht bei al- um im Alter ein zusätzliches Einkommen neben der ge- len Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung – setzlichen Rente zu haben. EbAV – eine Anwendung, denn die Altersversorgung Zur Wahrheit gehört aber auch: Gerade Pensionskas- kann derzeit auf fünf verschiedenen Wegen durchgeführt sen und Pensionsfonds sind derzeit in einer schwierigen werden: Direktversicherung – Solvency II –, Pensions- Lage: Niedrige Renditen machen vielen Einrichtungen zusage – Solvency II –, Unterstützungskasse – Solven- das Leben schwer. Die Niedrigzinsphase können wir cy II –, Pensionskasse – EbAV II –, Pensionsfonds – nicht per Gesetz beenden. Wir können jedoch dazu bei- EbAV II. Bei den letzten beiden, bei den Pensionskassen tragen, dass die Pensionskassen und Pensionsfonds gut und den Pensionsfonds, sorgen wir nun für mehr Sicher- aufgestellt sind und wirksam beaufsichtigt werden. Ein heit. verbessertes Risikomanagement der Einrichtungen wird Die Umsetzung der EbAV‑II-Richtlinie sorgt für de- dazu beitragen, dass sie ihre Zusagen langfristig sicher- tailliertere Vorgaben zur Unternehmensführung, eine stellen können. In diesem Sinne werden wir auch eine Ausweitung der Informationspflichten gegenüber Ver- Stärkung der Finanzaufsicht BaFin auf den Weg bringen. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7959

(A) Mit dem Gesetzentwurf setzen wir eine europäische ihrer Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nicht möglichst (C) Richtlinie um. Im Zuge der Beratungen im Finanzaus- ungehindert und vermeintlich erfolgreich spekulieren, schuss wurde die Sorge laut, die europäischen Regeln sondern langfristig stabile, berechenbare und gute Be- und die Aufsichtspraxis könnten den Besonderheiten der triebsrenten garantieren. deutschen Betriebsrentenlandschaft nicht gerecht wer- den. Pensionskassen und Pensionsfonds könnten durch Die Linke begrüßt ebenfalls die Einführung von die Hintertür ähnlich strengen Vorgaben unterzogen wer- öko-sozialen Nachhaltigkeitsfaktoren, die aber leider nur den, wie sie für Versicherungen gelten. Im Kern geht es die Unternehmensführung und nicht auch die Anlageent- besonders um die Bilanzierung und Berichtspflichten. scheidungen beeinflussen sollen. Hier hätten wir uns ver- bindlichere Regelungen gewünscht. Wir haben uns in der Koalition intensiv mit diesen Bedenken auseinandergesetzt; denn es liegt uns als Sozi- Außerdem begrüßen wir Linken die neuen Informati- aldemokraten insbesondere am Herzen, dass die betrieb- onspflichten gegenüber den zukünftigen Betriebsrentne- liche Altersvorsorge gut aufgestellt ist und nicht genauso rinnen und -rentnern über die zu erwartende Rentenhöhe behandelt wird wie Versicherungen. Dort, wo Arbeitge- und den Renteneintritt. Insgesamt sind die Infoblätter ber für die Betriebsrenten ihrer Beschäftigten einstehen, aber noch weiter zu vereinheitlichen und zu vereinfa- muss sich das auch in der Regulierung widerspiegeln. An chen. diesem Prinzip wird sich auch nichts ändern. Die komplette Einführung einer Solvency‑II-Regu- Wir sind nach der Anhörung im Ausschuss, aber auch lierung für Einrichtungen der betrieblichen Altersversor- nach gründlichem Austausch mit Branchenvertretern und gung – EbAVs – durch die Hintertüre sollte aber in der Tat dem Bundesfinanzministerium zu dem Schluss gelangt, verhindert werden. Das würde viele kleine EbAVs erdrü- dass es keinen Anlass für Bedenken gibt. Es ist sicher- cken. Wir könnten uns hingegen ein Solvency‑II-light gestellt, dass Besonderheiten der deutschen Betriebsren- vorstellen, mit dem auf die Größe einer EbAV flexibel tenlandschaft auch weiter gewahrt bleiben werden. Eine und proportional reagiert wird. „Vollharmonisierung durch die Hintertür“ schließt die Richtlinie aus. Eine zu starke Belastung der Versorgungseinrichtun- In der betrieblichen Altersvorsorge werden Milli- gen mit Berichtspflichten ohne erhöhten Nutzen für die ardenbeträge für die Altersvorsorge der Beschäftigten späteren Betriebsrentnerinnen und -rentner treibt die investiert. Mit diesem Gesetzentwurf sorgen wir dafür, Kosten unnötig nach oben. Diese Sorge, die sich auch dass Fragen des Umweltschutzes, der Achtung von Men- in den FDP-Anträgen ausdrückt, bleibt bestehen, aber schenrechten und guter Unternehmensführung bei der die FDP übertreibt es in ihrer einseitigen Ablehnung von (B) Kapitalanlage eine Rolle spielen. Pensionskassen und mehr und eben auch besserer Regulierung. Das wird vor (D) Pensionsfonds müssen sich künftig mit den damit ver- allem in dem ideologischen Entschließungsantrag der bundenen Risiken für ihre Portfolios auseinandersetzen. FDP deutlich, den wir ablehnen. Deshalb enthalten wir Das ist ein großer Fortschritt, Nachhaltigkeit fester im uns bei dem Gesetzentwurf insgesamt. Finanzwesen zu verankern. Wir fordern eine angemessene Regulierung unter Be- Jetzt geht es darum, dass wir den Aktionsplan für achtung des Proportionalitätsgrundsatzes, damit die Leis- nachhaltige Finanzen, mit dem die Kommission das Fi- tungen für die Versorgungsbezieherinnen und -bezieher nanzwesen insgesamt ökologischer und sozialer machen sowie Versorgungsanwärterinnen und -anwärter auch in will, in Europa zügig voranbringen. Wir diskutieren im- wirtschaftlich schlechten Zeiten gesichert werden. mer wieder über unmenschliche Arbeitsbedingungen und die Verantwortung, die jeder für den Klimaschutz hat. Besonders hervorheben und unterstützen möchte ich Wir müssen die Finanzwirtschaft stärker in die Verant- aber die Kritik des DGB aus der Anhörung zum Gesetz- wortung nehmen, hier ihren Teil beizutragen, indem sie entwurf im Finanzausschuss: Wir brauchen dringend eine verantwortlich investiert. neue, juristisch bindende Definition der betrieblichen Altersversorgung. Die EU-Richtlinie hatte klargestellt, Der Aktionsplan für nachhaltige Finanzen wäre hier- dass Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung für ein wichtiger Schritt, und für uns ist klar, dass wir keine reinen Anbieter von Finanzdienstleistungen sind, ihn noch vor der Europawahl umsetzen müssen und dass sondern Einrichtungen zur Altersversorgung mit einem wir das Thema nicht länger auf die lange Bank schieben sozialen Zweck. dürfen. Um sicherzustellen, dass der soziale Charakter der Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Grundsätzlich EbAV in der künftigen Aufsichtspraxis und der künftigen begrüßt die Linke die Ziele und Schwerpunkte des Ge- Regulierung berücksichtigt wird, schlug der DGB vor, setzentwurfs, der für Pensionskassen und Pensionsfonds diese Begriffsdefinition in das Versicherungsaufsichts- EU-weite Mindeststandards einführt. Diese stärken – ge- gesetz aufzunehmen. Das hätte die Linke begrüßt, und rade im Niedrigzinsumfeld, das viele Versicherer zu ris- wir gehen noch weiter: Wir sprechen nur noch dann von kanteren Geldanlagen verleitet – die Aufsicht durch die betrieblicher Altersversorgung, wenn sich die Arbeitge- Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, und sie berinnen und Arbeitgeber zu mindestens 50 Prozent an stärken auch das Risikomanagement in den Einrichtun- ihren Gesamtkosten beteiligen; denn betriebliche Al- gen selbst. Die Einrichtungen der betrieblichen Altersver- tersversorgung kommt von „versorgen“ und nicht von sorgung sollen ja mit den Beiträgen der Versicherten und „vorsorgen“. 7960 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das legt die Frage nahe: Was macht eigentlich die (C) Betriebsrenten sind für uns Grüne ein wichtiger Teil der Bundesregierung mit den Pensionsgeldern ihrer Beam- Altersvorsorge. Sie genießen hohe Akzeptanz und sind tinnen und Beamten? Während sie betriebliche Pensions- häufig Teil von Tarifverträgen und damit vielfach Ergeb- kassen nun sinnvollerweise zur Berücksichtigung von nis kollektiver Absicherung. Wir wollen die betriebliche Nachhaltigkeitsrisiken verpflichtet, investiert die Bun- Altersversorgung deshalb stärken und freuen uns, dass desregierung mittels Versorgungsfonds und Versorgungs- die Europäische Union durch eine Richtlinie die Regie- rücklage des Bundes in Geschäftsfelder und Produkti- rungsfraktionen zu wichtigen Verbesserungen ermuntert onsweisen, die der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, hat. der Agenda 2030 und dem Pariser Klimaschutzabkom- men diametral zuwiderlaufen, darunter: Atomkraft, fos- Zu den umgesetzten Verbesserungen gehören der sile Brennstoffe, völkerrechtlich geächtete Waffen. Nicht Ausbau des Risikomanagements einschließlich der ver- einmal Kinderarbeit wird ausgeschlossen. In Aktien von pflichtenden Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisi- Atomkonzernen allein stecken 145 Millionen Euro. Da- ken, ein besserer Schutz der Versorgungsanwärter und von machen die Auslandsbeteiligungen rund 120 Milli- Versorgungsanwärterinnen sowie der Versorgungsemp- onen Euro aus, Tendenz steigend, und das, obwohl der fänger und Versorgungsempfängerinnen, höhere Anfor- Koalitionsvertrag es ausdrücklich verbietet. derungen an die Geschäftsorganisation und korrespon- dierende Stärkung der Aufsicht bei der Bewertung von Das ist, wie gesagt, nicht nur ein ethisches Risiko; Risiken sowie die Beseitigung von aufsichtsrechtlichen es ist auch ein finanzielles. Was bei privaten Investitio- Hindernissen für grenzüberschreitend tätige Pensions- nen unklug ist, wird bei öffentlichen Investitionen zum fonds. Skandal. Denn die so veranlagten Gelder sollen der Al- tersversorgung von Beamten und Beamtinnen, Richtern Das sind alles wichtige und richtige Nachbesserungen und Richterinnen und Soldaten und Soldatinnen dienen. in der deutschen Gesetzgebung. Wir Grüne stimmen die- Der Soldat finanziert indirekt die Produktion von Streu- sem Gesetz daher zu. minen, die Richterin die Ausbeutung von Kindern und der Beamte im Bundesamt für kerntechnische Entsor- Jedoch sorgt die EU-Richtlinie lediglich für eine Min- gungssicherheit den Neubau von Atomkraftwerken im destharmonisierung. Bestehende Spielräume für weitere Ausland. Liebe Kollegen von CDU/CSU und SPD, das Verbesserungen wurden von den Regierungsfraktionen kann doch nicht ernsthaft von Ihnen so gewollt sein. Und leider nicht genutzt, viele Maßnahmen greifen zu kurz. trotzdem: Grüne Vorschläge für Divestment und nachhal- Zum Beispiel wissen Sparerinnen und Sparer aus den tige Kapitalanlage – vergleiche Drucksachen 18/10529, frustrierenden Erfahrungen mit kapitalbildenden Lebens- 18/12843 – wurden mit den Stimmen von CDU/CSU und (B) versicherungen, dass Informationsblätter und Standmit- SPD regelmäßig abgelehnt, ohne selber Konzepte vorzu- (D) teilungen in der Regel so komplex sind, dass sie sie nicht legen. verstehen können. Diese Scheintransparenz kann auch So wie die Dinge jetzt stehen, droht entweder die ka- ein Problem in der betrieblichen Altersvorsorge sein. Wir pitalgedeckte Beamtenversorgung oder die Nachhaltig- Grüne fordern daher klare und einheitliche Regeln für keitsstrategie der Bundesregierung zu scheitern. Es ist vorvertragliche Informationen und Standmitteilungen, höchste Zeit für ein konsistentes Risikomanagement, die für alle Anbieter verpflichtend sein müssen. Dafür zu nicht nur in der betrieblichen Altersversorgung, sondern sorgen, haben CDU/CSU und SPD im vorliegenden Ge- erst recht auch bei staatlichen Pensionsfonds. setz leider versäumt.

Begrüßenswert wiederum ist, dass das Gesetz alle Pensionskassen nun verpflichtet, Nachhaltigkeit im Ri- Anlage 16 sikomanagement zu berücksichtigen. Das ist ein enorm wichtiger Punkt und ganz wesentlicher Erfolg der Grü- Zu Protokoll gegebene Reden nen im Europäischen Parlament, die bei den Verhandlun- zur Beratung der Beschlussempfehlung und des gen über die Richtlinie hart dafür gekämpft haben. Die Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken ist wichtig und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der für die Sicherheit der Betriebsrenten. Denn investiert Abgeordneten Nicole Gohlke, Jan Korte, Dr. Petra eine Pensionskasse in die Verstromung klimaschädlicher Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Kohle oder die Herstellung völkerrechtlich geächteter LINKE: Einführung eines Rudi-Dutschke-Stipen- Waffen, ist das nicht nur moralisch ein Problem für viele diums für kritische Sozialwissenschaften Betriebsrentner und Betriebsrentnerinnen; es ist auch ein (Tagesordnungspunkt 18) finanzielles, weil mit Investitionen in nicht nachhaltige Geschäftsmodelle erhöhte Bewertungsrisiken einher- Yvonne Magwas (CDU/CSU): Der vorliegende An- gehen. Das ist empirisch belegt, beispielsweise durch trag hat zunächst einmal bei mir Kopfschütteln hervor- finanzwirtschaftliche Metastudien der Universität Ham- gerufen. Die Forderung der Linken ist nun wirklich nicht burg. Viele Pensionskassen – vor allem von Kirchen und auf der Prioritätenliste der Bevölkerung ganz oben. Las- im europäischen Ausland – haben solche Investitionen sen Sie mich dazu einige Ausführungen machen. deshalb bereits ausgeschlossen und das Risiko/Rendi- te-Verhältnis ihrer Anlagen und die Sicherheit ihrer Be- Erstens. Das BMBF vergibt selbst keine Stipendien. triebsrenten dadurch verbessert. Dies ist auch richtig so! Die Vergabe erfolgt über Mitt- Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7961

(A) lerorganisationen. Im Falle der Begabtenförderung er- diesen „unbrauchbar“. Das Parlament ist keinesfalls ein (C) folgt die Vergabe durch die 13 Begabtenförderungswer- Organ, das die Besitzstände einer Klasse schützt, wie ke. Der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung bleibt es Dutschke behauptete. Es ist die Volksvertretung aller! unbenommen, diesen fachlichen Schwerpunkt zu setzen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt diesen An- Wenn es Ihnen so wichtig ist, hätte es das längst geben trag ab. können.

Zweitens. In dem vorliegenden Antrag der Linken Katrin Staffler (CDU/CSU): Es gibt in dieser Debatte wird ausgeführt, Rudi Dutschke habe den Protesten der genau eine einzige Sache, in der wir mit den Antragstel- Jahre 1967 und 1968 ein Gesicht gegeben. Er sei die lern einig sind: Junge Menschen mit besonderen Bega- wohl bekannteste Person der damaligen Studentenbewe- bungen zu fördern, damit sie ihre Talente und Fähigkei- gung gewesen. Bis hierhin sind wir noch einer Meinung. ten voll entfalten können, ist eine wichtige Investition in Als Begründung führen die Antragsteller historische Be- die Zukunft dieses Landes. Die zentrale Bedeutung von gebenheiten an, über die man tatsächlich sprechen muss. Stipendien als Instrument der Studienfinanzierung steht Es wird unter anderem in ihrem Antrag behauptet, dass außer Frage. die kritische Grundhaltung der 68er-Proteste die deut- sche Außenpolitik auf Aussöhnung und Entspannung Was ich aber durchaus infrage stellen will, ist der An- ausrichtete. Um die wichtige Aussöhnung und Entspan- trag der Linken, den wir hier zu später Stunde debattieren. nung zwischen den Völkern haben sich nach den beiden Sie fordern darin die Einführung eines „Rudi-Dutsch- Weltkriegen sehr viele Persönlichkeiten enorm bemüht. ke-Stipendiums“ für kritische Sozialwissenschaften. Be- Viel diplomatische Arbeit und die Bereitschaft auf allen nanntes Ziel ist dabei, Studierende und Promovierende Seiten, ein neues Kapitel europäischer Geschichte aufzu- in sozialwissenschaftlichen Fächern zu fördern, die als schlagen, waren dafür zweifelsohne notwendig. Schwerpunkt ihrer Ausbildung und Forschung emanzi- patorische und kritische Theorieansätze verfolgen. Das Die gute Nachbarschaft und Kooperation zwischen muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Deutschen und Franzosen von heute spricht Bände über den Erfolg dieser großartigen Bemühungen. Warum al- Genau diesen Antrag haben wir gestern im Ausschuss lerdings ausgerechnet die 68er-Bewegung die deutsche schon einmal diskutiert, und es war wirklich interessant, Außenpolitik beeinflusst haben soll, wird keineswegs in zu hören, mit welchem Argument die Linken die Schaf- dem Antrag deutlich. Sie führen hier keine Begründung fung dieses Stipendiums rechtfertigen: Ausgangspunkt an. Uns fallen zu der historisch einmaligen Aussöhnung ist das Deutschlandstipendium. Das sei zu bürokratisch, in Europa zahlreiche andere Namen ein. Bundeskanzler zu elitär, und – jetzt Achtung – es existiere ein starkes Ungleichgewicht bei der Förderung der einzelnen Fä- (B) Konrad Adenauer und Staatspräsident Charles de Gaulle (D) haben bereits in dem Élysée-Vertrag von 1963 die guten chergruppen. So bekämen Studierende aus dem Bereich Beziehungen und die Freundschaft zwischen Deutsch- Wirtschaftswissenschaften viel öfter ein Deutschlandsti- land und Frankreich institutionalisiert. Von den positi- pendium als Studierende aus den Sozial- oder Geistes- ven Ergebnissen dieser Zusammenarbeit profitieren die wissenschaften. Nachfolgegenerationen noch heute. Dies fand jedoch In der Logik der Linken ergibt sich daraus der Schluss, mehrere Jahre vor den Studentenprotesten am Ende der dass das Deutschlandstipendium deshalb zu einem Ru- 1960er-Jahre statt. di-Dutschke-Stipendium umgewidmet werden soll. Drittens heißt es in dem Antrag: „Der Aufbau einer Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Lin- versöhnten Gesellschaft, in der die freie Entfaltung jedes ken, herzlichen Glückwunsch zu diesem äußerst gelun- Individuums die Bedingung für die freie Entfaltung aller genen Beispiel eines perfekten Widerspruchs. Sie fordern ist, bleibt möglich und notwendig.“ Die Grundlagen für die Abschaffung eines Stipendiums, das in Ihren Augen die freie Entfaltung des Individuums wurden tatsächlich eine bestimmte Fächergruppe bevorzugt, und fordern in Deutschland gelegt. Ich denke, mit den Grundrechten gleichzeitig die Schaffung eines neuen Stipendiums, das im Grundgesetz und den aus der sozialen Marktwirtschaft explizit Studierende der Sozialwissenschaften unterstüt- resultierenden Entfaltungsmöglichkeiten, kombiniert mit zen soll. Logisch, oder? sozialer Absicherung, wurde dies eindrucksvoll erreicht. Und nur zur Klarstellung, damit sich dieser Unfug Einzig an einer Stelle der Antragsbegründung sind wir nicht auch noch weiter verbreitet: Das Deutschlandsti- einer Meinung: wenn Sie konstatieren, jenes Erbe von pendium ist keineswegs unbrauchbar. Im Gegensatz zu 1968 sei ambivalent. Ansonsten wird eine Bewegung Ihrem hier gewollten Rudi-Dutschke-Stipendium ist das glorifiziert, die durchaus Schwierigkeiten hatte, sich von Deutschlandstipendium offen für Studierende jeder Fä- kommunistischen Diktaturen in der Welt eindeutig zu di- chergruppe. Und auch wenn die Kolleginnen und Kolle- stanzieren. gen von der Linken und von den Grünen es nicht gerne hören: Das Deutschlandstipendium hat bereits einen fes- Viertens. Der Deutsche Bundestag sollte darüber hi- ten Platz in unserer Förderlandschaft und ist ein erfolg- naus kein Stipendium nach jemandem benennen, der eine reiches Beispiel für eine öffentlich-private Partnerschaft sehr schlechte Meinung vom Parlamentarismus im All- im Bildungsbereich. Das kann man hier nicht oft genug gemeinen und vom Deutschen Bundestag im Besonderen erwähnen. hatte. In den 1960er-Jahren lehnte Dutschke die reprä- sentative Demokratie ab. Er hielt den Bundestag für nicht Ihr Antrag erweckt bei mir, ehrlich gesagt, den Ein- funktionsfähig für die Vertretung des Volkes. Er nannte druck, dass Ihnen in Sachen Studienfinanzierung das 7962 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) relevante Fachwissen fehlt. Aber ich gebe natürlich ger- jahr der 68er-Bewegung nicht mehr einfällt als das ka- (C) ne – auch zu dieser späten Stunde noch – ein bisschen pitalistische Instrument eines monetären und leistungs- Nachhilfe in dieser Sache: bezogenen Stipendiums, das dann auch noch aus den Untiefen des herrschenden Establishments – der Verwal- Wir haben in Deutschland ein absolut bewährtes tung des BMBF – heraus vergeben werden soll. Wenn Drei-Säulen-Modell der Studienfinanzierung. Dazu ge- von Rudi Dutschkes radikaler Ideologie nicht mehr übrig hören neben dem BAföG auch Studienkredite und eben geblieben ist als das, dann sind Sie offenbar endgültig in die Stipendien. Abgesehen vom Deutschland- und dem den Institutionen angekommen. Aufstiegsstipendium werden Stipendien in Deutschland grundsätzlich über die Begabtenförderungswerke verge- Die 68er-Bewegung hat unbestritten ihre Verdienste ben. Davon haben wir insgesamt 13 Stück, die verschie- bei Frauenrechten, Schwulenrechten und beim Aufmi- dene inhaltliche Akzente setzen. schen verkrusteter Strukturen. Der Name Rudi Dutschke Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren konti- hat es aber nicht verdient, auf den Sockel eines Bundes- nuierlich die Mittel für diese Begabtenförderung erhöht. stipendiums gehoben zu werden. Er war kein Pazifist. So werden den entsprechenden Einrichtungen nächstes Über Sabotageakte hat er offen nachgedacht. Er war kein Jahr 266 Millionen Euro zur Verfügung stehen – ein An- Anhänger des Rechtsstaats und kein Verfechter der par- stieg von 230 Prozent im Vergleich zum Jahr 2005. lamentarischen Demokratie. Einem solchen Antidemo- kraten darf die Bundesrepublik kein Stipendium widmen. Ein Begabtenförderungswerk, das im Rahmen die- ser Bundesmittel gefördert wird, ist übrigens die Rosa-­ Nicht Rudi Dutschke, sondern Ralf Dahrendorf sollte Luxemburg-Stiftung, die Ihrer Partei nahesteht; das ist uns ein Vorbild sein. Damals wie heute befand sich das heute ja schon ein paar Mal angeklungen. Insofern: Re- Deutschland der 68er in einem schläfrigen Zustand – nar- den Sie doch mal mit Ihren Kollegen von der Stiftung. kotisiert durch die Ambitionslosigkeit einer großen Koa- Vielleicht sind die ja bereit, Ihre Wünsche nach einem lition, die lieber auf den Regierungsbruch wartet, anstatt Rudi-Dutschke-Stipendium zu verwirklichen. die Zukunft des Landes zu gestalten. Was bedeutet das jetzt insgesamt? Es bedeutet, dass es Ein Bild bleibt mir vor Augen: der FDP-Bundespartei- schlichtweg keinen Bedarf für die Einführung eines vom tag am 30. Januar 1968 in Freiburg, als der Neu-Liberale Bund geförderten Rudi-Dutschke-Stipendiums gibt. Ralf Dahrendorf vor Tausenden Studierenden, auf einem Autodach sitzend, wortgewandt und konsequent den „ro- ten Rudi“ stellte. Diese mutige Haltung ist das Erbe des Dr. Karamba Diaby (SPD): 1961 wurde ich geboren, in dem Jahr, als Rudi Dutschke an der Freien Universität Jahres 1968, das es auch heute zu bewahren gilt: Diskus- sionen führen, wo es unbequem ist, um fortschrittliche (B) in Berlin studierte. Es sollte bis in die 1980er-Jahre dau- (D) ern, dass ich während meines Studiums in Deutschland Lösungen zu erreichen. von ihm erfuhr und erkannte, dass er ein kritischer Geist Die Antwort auf den narkotisierten Zustand der gro- und Wortführer der 68er-Bewegung war und dass er für ßen Koalition ist nicht Dutschke – kein Rückfall in seine eine Gesellschaft gekämpft hat, die offen, solidarisch und Denkmuster von Freund und Feind, von Gut und Böse, gerecht sein sollte. von Entweder-oder, kein Mobilisieren der Extreme. Statt Deshalb sind für mich zwei Aspekte klar: Wir müssen Revolten von links brauchen wir mutige Reform aus die Erinnerung an Rudi Dutschke und andere wachhal- der Mitte – nicht Dutschke, sondern Dahrendorf. Ein ten. Stipendien leisten für Studierende und Forschende Ralf-Dahrendorf-Stipendium für progressive Zukunfts- einen wesentlichen Beitrag zur Chancengerechtigkeit im gestaltung: Das wäre eine zeitgemäße Forderung gewe- Bereich Bildung. So viel zum Konsens. sen. Der Dissens besteht im Folgenden: Wir sehen keinen Wenn Sie wirklich der Meinung sind, für kritische So- Bedarf für ein Stipendium, das durch das Bildungs- und zialwissenschaftler gebe es zu wenige Stipendien, spre- Forschungsministerium getragen wird. Die Stipendien- chen Sie doch einfach mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. vergabe erfolgt heute über Begabtenförderwerke. Wir Das ist eine Ihrer Partei nahestehende Stiftung, die mit haben 13 davon, die sich durch eine erhebliche Vielfalt Bundesmitteln jedes Jahr rund 800 Studierende und Dok- der Fördermöglichkeiten auszeichnen. Die Haushaltsmit- toranden fördert. Oder schließen Sie sich unseren For- tel dieser Mittlerorganisationen sind in den letzten Jahren derungen an, die Begabtenförderwerke auch für Talente erheblich erhöht worden. aus der beruflichen Bildung zu öffnen! Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, mehr Frauen und junge Men- Im Koalitionsvertrag haben wir uns zudem vorge- schen aus bildungsfernen Familien für die Begabtenför- nommen, diese Stiftungen auch in Zukunft zu unterstüt- derung zu gewinnen. zen. Das haben wir bereits in dem aktuellen Haushalt berücksichtigt. Im Übrigen könnte bereits heute eine Im Sinne Ralf Dahrendorfs hätte ich heute mit Ihnen der bestehenden Stiftungen wie zum Beispiel die Rosa-­ lieber über ein Bildungssystem diskutiert, das weltbeste Luxemburg-Stiftung ein Stipendium einführen, das ent- Bildung für jeden ermöglicht, unabhängig von der sozi- sprechende Schwerpunkte setzt. Begabtenförderwerke alen Herkunft. Das wäre ein wirklich großer Fortschritt, sind wichtig – deshalb werden wir sie weiter stärken. den wir auch in 50 Jahren noch feiern könnten.

Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP): Es Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Manche ist schon bemerkenswert, dass Ihnen im 50. Jubiläums- tun sich schwer mit einem positiven Bekenntnis zu den Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7963

(A) Leistungen der 68er; das erleben wir auch in dieser De- programm, das sich kritischer Wissenschaft widmet und (C) batte zu später Stunde. Geisteswissenschaftler adressiert, ist grundsätzlich sinn- voll. Denn das Deutschlandstipendium geht an diesen „Die 68er“ polarisieren damals wie heute. Auch ich Zielgruppen weitgehend vorbei, wie BMBF-Evaluatio- kritisiere manches, was einzelne „68er“ verzapft haben, nen zeigen. gerade wenn ich an manche antisemitische oder antiame- rikanische Ausfälle denke. Gleichzeitig sehe ich aber Wichtig ist uns daher vor allem, bestehende Stipen- auch die großen Verdienste und progressiven Impulse für dienangebote noch mehr auf Durchlässigkeit, Bildungs- die gesellschaftliche, sozial-ökologische Modernisierung aufstieg und Vielfalt auszurichten. Fast alle Begabtenför- der Bundesrepublik Deutschland. derungswerke haben bei ihrer Stipendienvergabe in den Die 68er-Generation in Deutschland hat die Aufar- letzten Jahren entsprechende Fortschritte gemacht. beitung der NS-Vergangenheit erfolgreich eingefordert. Und noch wichtiger ist, das BAföG als Bildungsge- Die 68er und ihre Vorläufer haben den Boden bereitet für rechtigkeitsgesetz Nummer 1 zu stärken. Der Plan von zahlreiche Emanzipationsbewegungen, wie die Frauen- Bundesbildungsministerin Karliczek, das BAföG mit und Homosexuellenbewegung sowie die Friedens-, An- einer Packung Heftpflaster gesunden zu lassen, ist nicht ti-Atomkraft- und Ökologiebewegung. überzeugend. Da muss mehr kommen, um die Versäum- Das Infragestellen verkrusteter Strukturen hat zu einer nisse der letzten Jahre auszubügeln. pluralen Demokratie beigetragen. Es wäre schön gewe- Wir haben allen Anlass, die Leistungen der 68er-Ge- sen, sich interfraktionell im Bundestag darauf zu verstän- neration und der Studierendenbewegung im 50. Jubilä- digen, damit es im 50. Jubiläumsjahr eine differenzierte umsjahr viel stärker zu würdigen. Die 68er-Bewegung Würdigung der Protestgeneration gegeben hätte. hat unser Land geprägt und sichtbare Spuren hinterlas- Statt solch einer großen Debatte diskutieren wir hier sen. Deutschland ist moderner und liberaler geworden, im kleinen Kreis die Idee, ein „Rudi-Dutschke-Stipendi- und selbst CDU/CSU-geführte Regierungen haben das um“ für kritische Sozialwissenschaften einzuführen – ein nicht zurückdrängen wollen. wohlgewählter Namensgeber, ein charismatischer Vor- denker. Das ist aus meiner Sicht ein origineller Vorstoß In München wurde ein Stück der Franz-Josef-Strauß- der Linksfraktion, dem wir zustimmen, und ich verbin- Allee in Petra-Kelly-Allee umbenannt. In Berlin-Kreuz- de mit der Zustimmung auch die klare Botschaft: Rudi berg trifft die Rudi-Dutschke-Straße auf die Axel-Sprin- Dutschke, Petra Kelly und viele andere sind herausra- ger-Straße – ampelgeregelt, damit nichts passiert. gende Persönlichkeiten dieser Generation, die viel für die Sie sehen, Würdigung ist etwas ganz Normales. Ich gesellschaftliche Erneuerung Deutschlands auf den Weg (B) frage mich allerdings, welcher verbohrte Konservative (D) gebracht haben. dafür gesorgt hat, dass die Axel-Springer-Straße seit Kur- Der Erfolg der Emanzipationsbewegung ist aber auch zem Vorfahrt hat! den Millionen und Abermillionen zu verdanken, die zu Es gibt weiter viel zu tun. Hause am Frühstückstisch für Demokratisierung und ge- gen alte Autoritäten und überkommene Moralvorstellun- gen gestritten haben. Danke dafür! Gerne wird von Ultra-Konservativen vorgetragen, Anlage 17 „die 68er“ hätten die angeblich „heile“ Gesellschaft der Zu Protokoll gegebene Reden 1950er-Jahre zerstört. zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Das ist erstens wissenschaftlich großer Unsinn. Se- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung kundärtugenden sind mitnichten in Vergessenheit gera- des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Ehe- ten, sondern es sind Werte hinzugekommen wie Selbst- schließung für Personen gleichen Geschlechts bestimmung, Freiheit und Engagement. (Tagesordnungspunkt 17) Zweitens: Was heißt es denn, die Erfolge der neuen so- zialen Bewegungen zurückzudrehen? Zurück zur Atom- Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Auch wenn darauf kraft? Raus aus Europa? Frauen an den Herd? Schwule bereits eingegangen wurde, lassen Sie mich trotzdem und Lesben an den Pranger? Ohrfeigen für Kinder als Er- noch einmal festhalten, über was genau wir hier heute ziehungsmittel? Nein, das kann doch niemand ernsthaft reden: wollen. Es geht bei dem uns heute vorliegenden Gesetzent- Die 68er waren eine zeitlich begrenzte Protestbe- wurf nicht darum, über das Für und Wider der gleich- wegung, die einige Vorläufer hatte und die mitentfacht geschlechtlichen Ehe zu diskutieren. Diese Frage haben wurde durch kritische Studierende auf den Campi und wir schon vor über einem Jahr geklärt. Und wie Sie sich in den Hörsälen. Man denke an die Wiederbewaffnung sicherlich noch gut erinnern können, waren viele von uns Deutschlands oder an die Debatte um die soziale Öff- überrascht, wie schnell es zu dieser Entscheidung mit nung der Gymnasien und Universitäten – Stichwort: Bil- durchaus erheblicher Tragweite kam. Es geht hier und dungschancen für das katholische Mädchen vom Lande. heute auch nicht darum, über die Verfassungsmäßigkeit Chancengleichheit zu schaffen, ist nach wie vor eine der gleichgeschlechtlichen Ehe zu diskutieren. Und es gewaltige Aufgabe, vor der wir stehen. Ein Stipendien- geht heute auch nicht darum, alle notwendigen gesetzli- 7964 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) chen Änderungen und Anpassungen bis ins letzte Detail insoweit Vorrang vor Schnelligkeit haben. Denn als (C) zu treffen. Bundestagsabgeordnete ist es unsere Verantwortung und auch unsere Pflicht, zügig Entscheidungen zu fällen, so- Verstehen Sie mich nicht falsch: Als ehemalige Rich- weit es möglich ist. terin und Staatsanwältin würde ich mir natürlich wün- schen, Ihnen bereits heute eine Komplettlösung auf dem Genauso liegt es aber auch in unserer Verantwortung, Silbertablett servieren zu können. Aber wir müssen auch uns die notwendige Zeit zu nehmen, wenn es dieser tat- realistisch bleiben: Wenn sich grundlegende Sachverhal- sächlich bedarf. Manchmal bedeutet das dann eben auch, te ändern, braucht auch der Gesetzgeber seine Zeit. nicht einen einzigen großen Schritt, sondern nach und Hier und heute geht es darum, die notwendigen kon- nach mehrere kleine Schritte zu gehen. Aber seien Sie zeptionellen Angleichungen im Ehe- und Lebenspart- gewiss: Wir werden ans Ziel gelangen. nerschaftsrecht und die Anpassung weiterer Regelungen Lassen Sie es mich zum Abschluss nochmals ganz klar vorzunehmen, die nach Inkrafttreten des Eheöffnungsge- und deutlich sagen: Dieser Gesetzentwurf ist die kon- setzes erforderlich geworden sind. sequente und inhaltlich gelungene Fortschreibung der Letztes Jahr hat der Deutsche Bundestag mit dem Ehe- Entscheidung, die der Deutsche Bundestag im vergange- öffnungsgesetz die Grundentscheidung getroffen, dass nen Jahr getroffen hat. Lassen Sie uns heute also diesen Paare gleichen Geschlechts die Ehe schließen und bereits Schritt in Richtung Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bestehende Lebenspartnerschaften in Ehen umwandeln gehen und das Eheöffnungsbegleitgesetz gemeinsam auf können. Mit dem Eheöffnungsbegleitgesetz schreiben den Weg bringen. wir nun diese Grundentscheidung konsequent fort. Dabei verfolgen wir gleich mehrere Ziele: Zum einen Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Das Gesetz zur Um- wollen wir Rechtssicherheit und Rechtsklarheit schaffen. setzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Ehe- Um dies zu erreichen, werden wir insbesondere sprachli- schließung für Personen gleichen Geschlechtes hat nicht che und gesetzliche Unklarheiten beseitigen. Zum ande- nur einen sperrigen Namen, sondern auch einen recht ren bereiten wir mit dem Entwurf den Weg für die noch sperrigen Inhalt. Daher freut es mich umso mehr, dass anstehenden Änderungen. wir mit diesem Gesetz, das wir heute verabschieden, alle rechtlichen und bürokratischen Unebenheiten beseitigen Aber lassen Sie uns doch noch einmal genau anschau- konnten, die sich seit der Einführung der „Ehe für alle“ en, was der Gesetzentwurf eigentlich inhaltlich vorsieht: im vergangenen Jahr ergeben haben. Zunächst stellt er klar, dass die Umwandlung einer Le- Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle bei unserer benspartnerschaft in eine Ehe eine Form der Eheschlie- (B) Justizministerin Katarina Barley und ihrem Haus sowie (D) ßung darstellt und dass durch die Umwandlung die Ehe meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Union bedan- an die Stelle der Lebenspartnerschaft tritt. ken, dass wir so zielgerichtet und unkompliziert zusam- Darüber hinaus werden die mit der Ehe verbundenen menarbeiten konnten. Rechte und Pflichten der bisherigen Lebens- und Ehe- Dieses Gesetz schafft endlich Rechtssicherheit und partner für noch nicht abgeschlossene Sachverhalte an Klarheit; denn fortan werden im Eherecht keine Unter- den Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft ge- schiede mehr zwischen hetero- und homosexuellen Ehen knüpft. gemacht. Es gibt nur eine Ehe! Die Lebenswirklichkeit Außerdem wird in einer Generalklausel festgehalten, der Bürgerinnen und Bürger findet nun endlich auch dass alle künftigen Regelungen in Bezug zu Ehe und seine Niederschrift nicht nur im BGB, sondern auch in Ehegatten zugleich für Lebenspartnerschaften und Le- vielen Folgegesetzen. Damit haben wir einen weiteren benspartner gelten. Meilenstein auf dem Weg zu einer diskriminierungsfrei- en Gesellschaft erreicht. Nicht zuletzt gelten Lebenspartnerschaftsverträge nach der Umwandlung als Eheverträge weiter. Dazu zählt auch, dass künftig im Register des Stan- desamtes tatsächlich Eheleute als Frau und Frau sowie Schließlich werden redaktionelle Anpassungen dort Herr und Herr geführt werden können. So können auch vorgenommen, wo der Ehebegriff im Sinne einer Verbin- bereits bestehende Lebenspartnerschaften in eine Ehe dung allein von Mann und Frau verwendet wird. umgewandelt werden und kann der von vielen als diskri- Und das sind nur einige der vorgenommenen gesetzli- minierend empfundene Eintrag „verpartnert“ wegfallen. chen Anpassungen. Wie meine Erfahrung der letzten Jah- Und dies auch, soweit gewünscht, von Anfang an. re hier im Deutschen Bundestag zeigt, wird das Gesetz Doch noch nicht alles ist gelöst, nämlich mit Blick auf dem einen oder anderen vermutlich trotzdem nicht weit die bisherige Vaterschaftsvermutung und eine neue soge- genug gehen. nannte „Mutterschaftsvermutung“. Zurecht stellen sich Ganz bewusst sieht das Eheöffnungsbegleitgesetz kei- sowohl viele Betroffene, wir Sozialdemokraten sowie ne inhaltlichen Regelungen im Abstammungsrecht oder die Sachverständigen aus dem Bundesjustizministerium im steuerlichen Bereich vor. Grund hierfür ist, dass es diese Frage: Wenn es eine Vaterschaftsvermutung in der sich bei den genannten Bereichen um hochkomplexe Ehe gibt, warum dann nicht auch eine Mutterschaftsver- Materien handelt. Hierfür wollen und werden wir uns mutung? Und: Braucht es in einem modernen Gesell- die notwendige Zeit nehmen und dann ebenfalls entspre- schaftsbild und einem modernen Unterhaltsrecht diese chende Neuregelungen vorlegen. Gründlichkeit muss Vermutung überhaupt noch? Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7965

(A) Und die Diskussion zeigt auch die Komplexität der Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tau- (C) einzelnen Gesetzgebung; denn es steht nie ein Gesetz sende gleichgeschlechtliche Paare haben sich in die- für sich allein. Daher haben wir uns entschlossen, diese sem Jahr das Jawort gegeben. Tausende haben ihre Le- Frage an anderer Stelle zu klären, nämlich bei der No- benspartnerschaft in eine Ehe umgewandelt. Tausende vellierung des Abstammungsrechts. Es freut mich sehr, regenbogenbunte Feste mit vielen glücklichen Menschen dass das zuständige Justizministerium hierzu bereits ein hat es seither gegeben – und darum sage ich es gerne noch Diskussionspapier erarbeitet. einmal: Die Ehe für alle hat unsere Gesellschaft nicht nur gerechter gemacht, sie hat sie auch glücklicher gemacht. Es ist höchste Zeit, das Abstammungsrecht neu zu fas- Wir konnten bei der ersten Lesung des vorgelegten sen. Schön wäre es, dies auch zügig umzusetzen; denn Gesetzentwurfs feststellen, dass sich an der Haltung der jede staatliche Ungleichbehandlung ist eine zu viel. Ar- Union etwas zum Positiven verändert hat, vor allem in tikel 1 Absatz 1 Grundgesetz schützt alle in Deutschland Bezug auf die rechtliche Gleichstellung von Lesben und lebenden Menschen, und zwar ohne Unterschied. Und Schwulen. Gut so. Denn die große Mehrheit in unserem das ist auch gut so. Land findet, dass alle Menschen leben und lieben sollten, wie und wen sie wollen. Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP): Vor Und an die AfD: Sie vertreten hier immer wieder, nicht einmal 20 Jahren hat Edmund Stoiber die erb- und in jeder Rede, eine Minderheitenmeinung. Ihr verbaler steuerrechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Le- Schmutz, den sie über queere Menschen und über der benspartnerschaften mit „Teufelsanbetung“ verglichen. Ehe für alle ausschütten, verfängt nicht. Er entlarvt ein- Vor fünf Jahren meinte Alexander Dobrindt, die angebli- mal mehr, wie angstvoll und homophob und wes Geistes che Mehrheit gegen eine vermeintlich „schrille Minder- Kind sie sind. Wir Grüne kämpfen für und verteidigen die heit“ verteidigen zu müssen. Und vor wenigen Tagen hat offene Gesellschaft. Denn Liebe ist stärker als ihr Hass. ausgerechnet die Bundesforschungsministerin Karliczek erneut gefordert, eine Langzeitstudie zur Entwicklung Bei dem Eheöffungsbegleitgesetz, das wir heute ab- von Kindern in Regenbogenfamilien zu veranlassen, ob- schließend beraten, stimmt zwar die Richtung, aber den- wohl es dazu seit Jahrzehnten eindeutige Ergebnisse aus noch räumt es nach den Beschlüssen zur Ehe vom letzten der Forschung gibt: Kindern in Regenbogenfamilien geht Jahr bestehende Ungleichheiten nicht vollständig aus. es nicht besser oder schlechter als allen anderen auch. Im Abstammungsrecht bestehen gravierende rechtliche Nachteile für Regenbogenfamilien weiter. Zu 95 Prozent Gesellschaftliche Aufklärung und Fortschritt lassen sind lesbische Paare mit Kindern von diesen Nachteilen sich von solchen Vorurteilen nicht aufhalten, übrigens betroffen. (B) auch nicht von rechtsradikalen Ergüssen zu diesem Die aktuelle Rechtslage diskriminiert Kinder, die in (D) Thema, wie wir sie erst vor wenigen Wochen in die- gleichgeschlechtliche Ehen oder Partnerschaften hinein- sem Hohen Hause erleben mussten. Am 30. Juni letzten geboren wurden. Ihnen fehlt die Rechtssicherheit durch Jahres wurde die Ehe für alle im Deutschen Bundestag zwei Elternteile. Das wollen wir ändern. Uns geht es in beschlossen. Das war längst überfällig; denn Liebe ist unserem Gesetzentwurf darum, Kinder vor Diskriminie- keine Frage des Geschlechts. Mehr als 10 000 Paare ha- rung zu schützen. Die Stiefkindadoption ist die bislang ben das Recht der gleichgeschlechtlichen Ehe seitdem in einzige Möglichkeit, durch die Kinder in einer gleich- Deutschland in Anspruch genommen. Das ist gut so, und geschlechtlichen Ehe zwei rechtliche Elternteile bekom- die Ehe für alle bleibt. men können. Aber sie ist aufwendig und ein oft sehr langwieriger Prozess. Für die Rechte von Lesben, Schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen ist allerdings auch in Deutsch- Lesbischen Paaren wird die Möglichkeit verwehrt, land noch eine ganze Menge zu tun. Wir wollen ein von der Geburt des Kindes an gemeinsam die Sorge zu Familienrecht, das endlich der Lebenswirklichkeit der übernehmen. Hier braucht es dringend eine gesetzliche Menschen im 21. Jahrhundert gerecht wird, mehr Auf- Anpassung. Wir Grüne haben im Sommer einen Ge- klärungs- und Beratungsangebote, auch an den Schulen. setzentwurf zur Anpassung des Abstammungsrechts bei Wir brauchen eine Anerkennung der geschlechtlichen gleichgeschlechtlichen Ehen vorgelegt. Jetzt liegt es an Vielfalt und mehr Selbstbestimmung für trans- und in- der Regierung, endlich auch in diesem Punkt aktiv zu werden. tergeschlechtliche Menschen. Liebe Koalitionsfrakti- onen, nutzen Sie die wenigen verbleibenden Tage bis Und wer keine Ahnung von der zahllosen Forschung zur nächsten Sitzungswoche, um Ihren Gesetzentwurf über Kinder in Regenbogenfamilien hat – wie offensicht- zum Personenstandsrecht ordentlich nachzubessern, und lich die Bundesbildungs- und Forschungsministerin –, streichen Sie die unnötige Attestpflicht. Wir wollen einen der oder die sollte sich tunlichst bedeckt halten. Familien nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, und Kinder mit lesbischen oder schwulen Eltern infrage und wir setzen uns ein für Menschenrechte von Lesben, zu stellen und so zu diskreditieren, wie Frau Karliczek es Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen in Deutschland, getan hat, ist mehr als nur ein Fehltritt eines Regierungs- in Europa und weltweit. mitglieds. Die eigene Blaupause von Werten über Fami- lienmodelle zu legen, ist bevormundend und anmaßend. Die Ehe für alle bleibt, und sie ist nur ein Zwischen- Das Werte-Tableau der Ministerin geht an der Wertere- schritt auf dem Weg zu einer offenen Gesellschaft mit alität von Familien und an einer modernen Gesellschaft gleichen Rechten für alle. vorbei. 7966 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Wir Grüne haben den bisher einzigen Vorschlag und Zusammenfassend darf ich feststellen, dass Deutsch- (C) einen Gesetzentwurf zum Abstammungsrecht für lesbi- land bisher bereits mustergültig mit dem Recht des An- sche Paare mit Kindern vorgelegt. Aber wir wollen und geklagten auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung müssen als Nächstes auch darüber reden, wie soziale umgegangen ist. Im Gegensatz zu anderen europäischen Elternschaft oder die Mehrelternschaft rechtlich abgesi- Ländern hat es daher weitaus weniger Änderungsbedarf chert werden kann. Denn verantwortliches Zusammen- gegeben. leben mit Kindern, egal in welcher Form oder Familien- konstellation, ist längst Realität. Im Rechtsstaat muss auch der Angeklagte in jeder Lage des Verfahrens und unabhängig vom Tatvorwurf Es braucht dringend ein modernes Familienrecht, das über adäquate Verteidigungsmöglichkeiten verfügen. den vielfältigen Lebensentwürfen und den Bedürfnissen Daher bitte ich um Zustimmung. der Menschen gerecht wird – und keine Regierung, die das weitere Jahre einfach so laufen lässt. Axel Müller (CDU/CSU): Das Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Ver- handlung ist das Ergebnis der Umsetzung der EU-Richt- Anlage 18 linie 2016/343. Aus deutscher Sicht ist es eigentlich nur noch das Sahnehäubchen auf einer Strafprozessordnung, Zu Protokoll gegebene Reden die sich auch mehr als 125 Jahre nach ihrem Inkrafttre- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- ten in vielen Bereichen als nach wie vor aktuell und all- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung tagstauglich erweist. des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Ein wichtiger Grundsatz, den die Strafprozessordnung Verhandlung von Anfang an als zentrales Element beinhaltete, ist der (Tagesordnungspunkt 20) Unmittelbarkeitsgrundsatz, der besagt, dass alle Beweise in der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklag- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Das Recht des ten erhoben werden müssen. Dies gibt ihm stets die Mög- Angeklagten auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung lichkeit, auf bestimmte Beweiserhebungen zu drängen, ist im Allgemeinen Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips um sich gegen die an ihn gerichteten Vorwürfe der An- und insbesondere Ausfluss aus dem Recht auf richterli- klage zu verteidigen. Dies wird als elementarer Rechts- ches Gehör. Der Angeklagte soll in jeder Situation der grundsatz gesehen; Verstöße dagegen werden als abso- Hauptverhandlung die Möglichkeit haben, den Verlauf luter Revisionsgrund schärfstens geahndet, da sie nicht des Verfahrens aktiv wahrzunehmen. Daraus ergibt sich geheilt werden können und unweigerlich zur Aufhebung (B) letztlich die Möglichkeit, sich effektiv verteidigen zu des ergangenen Urteils führen. Daher schaffen wir mit (D) können – bis hin zum letzten Wort. der von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzes- vorlage auch nicht grundlegend neues Recht, sondern Natürlich geht es dabei auch ein Stück weit um den verpassen wenigen Vorschriften, die sich mit der Abwe- Gedanken der Prävention. Erst unter Anwesenheit ergibt senheit des Angeklagten in besonderen Konstellationen sich die Möglichkeit, über die Tat und ihre Folgen nach- einer Hauptverhandlung befassen, gewissermaßen einen zudenken. Feinschliff. Aus diesen Gründen gehört Deutschland schon seit je- Eine Verhandlung ohne den Angeklagten ist bislang her zu den Ländern, in denen das Recht des Angeklagten schon nur in sehr wenigen gesetzlich festgeschriebenen auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung nach der StPO Ausnahmefällen zulässig: wenn sich der Angeklagte ei- am stärksten ausgeprägt war. In der StPO ermöglichen genmächtig entfernt oder nach einer Unterbrechung der nur wenige Vorschriften das Verhandeln ohne den Ange- Verhandlung ausbleibt, wenn er aus der Hauptverhand- klagten. Daher erfordert die vorliegende Richtlinienum- lung zur Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung entfernt setzung in Deutschland nur wenig Handlungsbedarf. werden muss, wenn er darauf hingewiesen wurde, dass in Zwei nennenswerte Änderungen ergeben sich aller- seiner Abwesenheit verhandelt werden kann, vorausge- dings doch: setzt, die zu verhängende Geldstrafe beträgt nicht mehr als 180 Tagessätze, oder er bei dieser zu erwartenden Zum einen ist hier die Konstellation zu nennen, dass Strafe ausdrücklich um die Entbindung von seiner An- es in der Revisionsverhandlung nunmehr im Ermessen wesenheitspflicht gebeten hat, oder wenn der Angeklagte des Gerichts steht, ob der Angeklagte auch in der Revi- vorübergehend aus der Hauptverhandlung entfernt wird, sionsverhandlung selbst anwesend sein kann. Dies wird um eine Konfrontation zwischen möglichem Opfer und zugegebenermaßen aber selten relevant werden, da eine dem angeblichen Täter zu vermeiden. In diesem Fall Verhandlung in der Revision eher selten ist. muss der Angeklagte aber im Anschluss über die in sei- Zum anderen möchte ich auf die Neuregelung hin- ner Abwesenheit gewonnenen Erkenntnisse informiert weisen, dass der Angeklagte nunmehr in der Berufungs- werden. verhandlung ausdrücklich auf die Möglichkeit zur Wie- Diesen an sich guten Zustand optimiert der Gesetzent- dereinsetzung in den vorigen Stand hingewiesen werden wurf noch durch folgende Punkte: muss, wenn er in der Hauptverhandlung nicht anwesend war. Hier muss man aber konstatieren, dass es diesen Erstens. Zunächst werden die Belehrungspflichten Hinweis von versierten Praktikern auch bisher schon in gegenüber dem Angeklagten in praktikabler und hand- der Regel gegeben hat. habbarer Weise ausgedehnt. In § 231 StPO wird aufge- Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7967

(A) nommen, dass der Angeklagte bereits in der Ladung zur Dieses Vertrauen müssen wir weiter stärken. Etwa (C) Hauptverhandlung verpflichtend darauf hingewiesen der Diesel-Skandal hat ganz erheblich das Vertrauen der wird, dass in den Fällen, in denen er sich eigenmächtig Bürger in den Rechtsstaat belastet, und an dieser Stelle aus der Hauptverhandlung entfernt, diese auch in seiner sei ausdrücklich erwähnt, dass mittlerweile schon über Abwesenheit zu Ende geführt werden kann. 18 000 Verbraucherinnen und Verbraucher an der von ADAC und VZBV auf Basis der von der SPD durchge- Zweitens. Wird eine seitens des Angeklagten gegen setzten Musterfeststellungsklage erhobenen Musterklage ein erstinstanzliches Urteil eingelegte Berufung verwor- gegen VW teilnehmen und ihre Rechte so geltend machen fen, weil er der Berufungsverhandlung unentschuldigt können. Dennoch belastet der gesamte Diesel-Skandal ferngeblieben ist, ist er nunmehr mit Zustellung des Be- das Vertrauen in den Rechtsstaat. rufungsurteils darauf hinzuweisen, dass er eine Entschul- digung für sein Ausbleiben gewissermaßen nachreichen Und genauso wird das Vertrauen in den Rechtsstaat kann und dann die sogenannte Wiedereinsetzung in den belastet, wenn eine Partei 130 000 Euro aus der Schweiz vorigen Stand erfolgen kann. oder 150 000 Euro aus den Niederlanden von dubiosen Spendern annimmt und dies nicht rechtzeitig veröffent- Drittens wird es nunmehr in das pflichtgemäße Ermes- licht, sondern das Geld einsackt, um damit politische sen des Revisionsgerichts gestellt, ob es in den Fällen, in Arbeit zu machen. Damit bestärken Sie die Bürgerinnen denen der Angeklagte in Haft ist, ihm die Anwesenheit in und Bürger, die glauben, dass Politik käuflich ist und einer Revisionshauptverhandlung gestattet. Bislang war dass Politik nur für reiche Spender und Großkonzerne eine Anwesenheit des Angeklagten nicht vorgesehen. Da gemacht wird. Nach diesem Spendenskandal hat die AfD es in der Praxis in den wenigsten Fällen zu einer Revisi- und insbesondere Frau Weidel jegliche Glaubwürdigkeit onshauptverhandlung kommt, da in der Regel nach Ak- verloren. tenlage entschieden wird, zieht dies keinen erheblichen Mehraufwand nach sich. Wenn Sie von der AfD sich jetzt aufregen, dann habe Dies zieht es – viertens – nach sich, dass eine beste- ich eine gute Nachricht für Sie, falls Frau Weidel von hende Pflichtverteidigung aus der Tatsacheninstanz auf der Staatsanwaltschaft Konstanz angeklagt wird, was ja die Revisionsinstanz durch das Revisionsgericht auszu- durchaus nicht ausgeschlossen werden kann. dehnen ist. Bisher war das Revisionsgericht dazu nicht Mit diesem Gesetz stärken wir die Rechte von Ange- verpflichtet. Daher ist auch der Änderungsantrag der klagten. Wenn Frau Weidel angeklagt werden sollte und FDP, der vorsah, im Falle einer zugesagten Wahlvertei- dann in einem möglicherweise stattfindenden Strafpro- digung für das Revisionsverfahren und die Revisions- zess gegen sie, wie so oft bei uns im Plenum, fehlt oder hauptverhandlung die Wahlverteidigung in eine Pflicht- einfach mittendrin geht, dann würde sie nach unserem (B) verteidigung umzuwandeln, überflüssig. neuen Gesetz darüber belehrt werden, dass die Straf- (D) Nach alledem gibt es, um in der Sprache des Strafpro- verhandlung auch in ihrer Abwesenheit zu Ende geführt zesses zu bleiben, keine vernünftigen Zweifel, die gegen werden könnte. diesen Gesetzesvorschlag sprechen. Insofern verdient er Sollte Frau Weidel wegen der Spende in Höhe von unsere Zustimmung. stattlichen 130 000 Euro aus der Schweiz in Abwesen- heit verurteilt werden, dann würde sie – und das ist die Dr. Johannes Fechner (SPD): Es ist gut, dass wir zweite Neuerung – im Strafurteil auf ihr Recht auf Wie- auch zu so später Stunde noch darüber beraten, wie wir dereinsetzung in den vorherigen Stand ausdrücklich hin- die Rechte von Angeklagten in Deutschland stärken kön- gewiesen werden. nen. Denn zu einem starken Rechtsstaat gehört, dass Be- schuldigte und Angeklagte Rechte haben, um sich gegen Und schließlich verbessern wir auch die Rechte von die gegen sie erhobenen Vorwürfe wehren zu können. inhaftierten Angeklagten, die keinen Anspruch hatten, an ihrer Revisionsverhandlung teilzunehmen. Die Teil- Nicht nur weltweit, sondern auch in einigen EU-Staa- nahme wird nun gesetzlich in das Ermessen des Gerichts ten sind diese Beschuldigtenrechte nicht ausreichend ge- gestellt: Zukünftig muss also das Gericht entscheiden, ob regelt bzw. gibt es keinen EU-weiten Standard. Deshalb ein inhaftierter Angeklagter zur Verhandlung vorgeführt ist es wichtig, dass die Europäische Union eine Richtlinie wird. Da dieses Ermessen pflichtgemäß auszuüben ist, zur Stärkung der Unschuldsvermutung und des Rechts sind die Interessen des Angeklagten zu berücksichtigen, auf Anwesenheit von Beschuldigten in Strafverhandlun- und das kann und wird ergeben, dass der inhaftierte An- gen beschlossen hat, die wir mit dem vorliegenden Ge- geklagte zu seiner Verhandlung vorgeführt wird. setzentwurf umsetzen. Mit der Richtlinie soll das Recht auf ein faires Verfahren in Strafsachen gestärkt werden Sie sehen also, mit diesem Gesetz stärken wir die und europaweit gemeinsame Mindestvorschriften für be- Rechte der Beschuldigten und Angeklagten. Während stimmte Aspekte der Unschuldsvermutung und das Recht die AfD von dubiosen Spendern aus dem Ausland Hun- auf Anwesenheit in der Verhandlung geschaffen werden. dertausende Euro annimmt, machen wir solide Gesetzes- Dass wir in Deutschland schon sehr weit sind, was die arbeit und stärken damit das Vertrauen der Bürgerinnen Rechte des Angeklagten bzw. des Beschuldigten betrifft, und Bürger in einen funktionierenden und starken Recht- sieht man daran, dass Deutschland nur wenig Umset- staat. zungsbedarf hat. Wir nehmen die Beschuldigtenrechte ernst und sorgen dafür, dass die Bürger auf den Rechts- Roman Johannes Reusch (AfD): Die AfD-Frakti- staat vertrauen können. on stimmt der Beschlussempfehlung zu. 7968 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Dr. Jürgen Martens (FDP): Mit der Richtli- werden. Hier zeigt sich, dass Europa durchaus in Teilbe- (C) nie 2016/343 der Europäischen Union wurde das Ziel reichen wegweisende Rechtsstandards setzen kann. verfolgt, die Verfahrensrechte von Verdächtigen und Be- schuldigten im Strafverfahren zu verbessern. Sie stützt Es ist gut, wenn aus Europa dieser Impuls kommt. sich dabei unter anderem auf den Fair-Trial-Grundsatz Hier wird das Zusammenwachsen Europas sichtbar. aus Artikel 6 EMRK. Die darin vorgesehene Stärkung Nur versteht diese Regierung nicht, dass Europa einen der Rechte im Strafprozess begrüßen wir. Neustart braucht. Das wird sich rächen. Der Brexit lässt erahnen, wie Europa sich durch den derzeitigen Kurs zu- Der vorliegende Gesetzentwurf setzt diese Richtlinie rückentwickeln wird. nun in das nationale Strafprozessrecht um – wieder ein- mal zu spät. Die Umsetzungsfrist lief zum 1. April 2018 Positive Rechtsentwicklungen aus Europa sind das ab. Es ist bedauerlich, dass die Bundesregierung hier richtige Mittel dagegen. Wichtig ist deshalb ein weiterer wiederholt gegen ihre Pflicht zur rechtzeitigen Umset- Gesichtspunkt der Richtlinie der EU. Dort sind in Ar- zung von europäischem Recht verstoßen hat. Denn damit tikel 6 Absatz 4 und Artikel 7 Absatz 4 Beweisverwer- gibt die Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf das tungsverbote geregelt, wenn gegen Belehrungspflichten Gebot der Gemeinschaftstreue gemäß Artikel 4 Absatz 3 oder das Verbot des Mitwirkungszwangs verstoßen wur- AEUV ein fragwürdiges Bild ab. de. Das geht über die derzeit in Deutschland geltende Rechtslage hinaus. Die Anpassung betrifft im Wesentlichen das Recht des Angeklagten auf Anwesenheit in der Revisions- Ich habe bereits in meiner Rede zur ersten Lesung hauptverhandlung. Bisher hatte er ein solche Recht nicht dieses Gesetzentwurfs darauf verwiesen, dass es jetzt an ausdrücklich. Angesichts eines grundsätzlichen Rechts- der Zeit wäre, die Abwägungslehre zur Frage der Ver- anspruchs des Angeklagten auf Anwesenheit in der wertbarkeit von Beweismitteln durch die strengere „Fru- Hauptverhandlung kann diese Regelung keinen Bestand it of the poisonous tree“-Doktrin abzulösen. Das würde haben. Insofern begrüßen wir die Neuregelung. Beweise, die aufgrund rechtswidriger Handlungen der Ermittlungsbehörden erlangt wurden, aus den Prozessen Es bleiben allerdings Zweifel, ob wirklich alle Fäl- halten und die Behörden zu rechtmäßigem Handeln er- le erfasst sind. Was geschieht beispielsweise, wenn in mutigen. Auch hier ist der Gesetzentwurf weit hinter den der Revisionshauptverhandlung die Anwesenheit eines rechtlichen Notwendigkeiten zurückgeblieben. Verteidigers unterbleibt, etwa, weil der Wahlverteidiger nicht erscheint? Darüber helfen Sie auch mit der Strei- Weiterhin hat die Bundesregierung die Möglichkeit chung des § 350 Absatz 3 StPO nicht hinweg. Gleiches nicht genutzt, bezüglich der Unschuldsvermutung eine gilt für die Fälle, in denen in vorherigen Instanzen die gesetzliche Konkretisierung vorzunehmen, obwohl diese (B) Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht erfolgte. Die einen Schwerpunkt der Richtlinie darstellt. (D) Vertretung des Angeklagten in der Revisionshauptver- Ihr Entwurf hinterlässt viele offene Fragen. Die Re- handlung ist in Ihrem Gesetzentwurf somit leider nicht gierung hat in ihrem Gesetzentwurf nur das Notwendigs- in jedem Fall sichergestellt. Und das, obwohl der Euro- te der Richtlinie umgesetzt. Er geht in die richtige Rich- päische Gerichtshof für Menschenrechte bereits vor Jahr- tung; das reicht aber nicht aus. zehnten die Notwendigkeit einer solchen Vertretung im Interesse der Rechtspflege feststellte. Deshalb können wir nicht zustimmen, und wir werden uns – wegen der kleineren positiven Aspekte – enthalten. Der Bundesgerichtshof hat die Praxis der Durchfüh- rung einer Revisionshauptverhandlung ohne Anwesen- heit des vom Angeklagten gewählten Verteidigers bereits Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit 2014 gerügt, insbesondere mit Hinweis auf Artikel 6 dem Referentenentwurf will die Bundesregierung ihrer EMRK. Dieses Versäumnis ihres Gesetzentwurfes haben Verpflichtung zur Umsetzung der EU-Richtlinie „Stär- wir als Freie Demokraten durch einen Änderungsantrag kung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und im Ausschuss zu heilen versucht. Leider lehnten die Ko- des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Straf- alitionsfraktionen und die AfD diesen mehrheitlich ab. verfahren“ nachkommen. Auch wenn wir das Ziel grundsätzlich teilen, bleibt uns Die Richtlinie selbst formuliert lediglich Mindest- daher leider nichts anderes übrig, als uns zum vorliegen- standards für die Wahrung von Beschuldigtenrechten den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu enthalten. im Strafverfahren. Anders als in seiner Begründung zum Gesetzentwurf dargelegt, hat die Bundesregierung Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): Zur Beratung keineswegs diese Mindeststandards im Gesetzentwurf liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts konsequent umgesetzt. Anders als der Titel des Gesetz- des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung entwurfes vorgibt, findet eine tatsächliche Stärkung des vor. Das Gesetz ist eine eingeschränkte Umsetzung der Anwesenheitsrechts des Angeklagten in der Hauptver- Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates handlung durch das geplante Gesetz nicht statt. Für eine über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsver- wirkliche Stärkung der Beschuldigtenrechte ist der Ge- mutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhand- setzentwurf nicht hinreichend. Es besteht weiterhin er- lung in Strafverfahren. heblicher Reformbedarf, um die Rechte von Beschuldig- ten im Strafverfahren zu sichern und zu gewährleisten. Um es deutlich zu sagen: Wir begrüßen diese Richtli- nie der EU-Kommission, da hierdurch gleiche Mindest- Bei der Verankerung der Unschuldsvermutung in das standards für Beschuldigte in ganz Europa geschaffen Strafverfahren ist die Bundesregierung den Vorgaben der Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7969

(A) EU-Richtlinie nicht nachgekommen. Die Unschuldsver- Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr (C) mutung ist ein zentraler rechtsstaatlicher Grundsatz, der Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lie- bislang weder im Grundgesetz noch in der Strafprozess­ be Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen im Deutschen ordnung ausdrücklich erwähnt wird, sondern sich aus Bundestag fordern ein Ausbildungsprogramm für Imame dem Rechtsstaatsprinzip ergibt. Hier hätte es die Gele- und islamische Religionsbedienstete in Deutschland so- genheit zur Normierung gegeben. wie Konzepte für die Finanzierung des religiösen Perso- nals. Die Grünen haben in ihrem Antragstext zu Recht Die Unschuldsvermutung besagt, dass jeder einer selbst darauf hingewiesen, dass bisher die großen mus- Straftat Verdächtige oder Beschuldigte während der Dau- limischen Verbände nicht über die in einer Religionsge- er des Strafverfahrens als unschuldig gilt. Nicht der Be- meinschaft im Sinne des Grundgesetzes geforderten Vo- schuldigte muss seine Unschuld beweisen, sondern die raussetzungen verfügen. Und genau hier sind wir beim Strafverfolgungsbehörde seine Schuld. Die Unschulds- Kern des Problems. vermutung endet erst bei Rechtskraft der Verurteilung. Strafverfahren können schwere Konsequenzen für das Welcher Islam ist denn eigentlich gemeint? Der schii- berufliche und das Privatleben haben. Ein Aspekt, den tische, der sunnitische, der wahhabitische, der alevitische der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten oder der der Ahmadiyya? Wobei die Letzteren im Übri- im Rahmen der Unschuldsvermutung gebietet, ist die gen von Islamverbänden noch nicht einmal als Muslime Gewährleistung einer Darstellung des Beschuldigten, die anerkannt werden. Welche Teile des Korans als Grundla- zu keiner Vorverurteilung des Beschuldigten führt. In den ge des Islams sollen denn gelten? Die rund 200 Stellen, Medien wird vielfach von Strafverfahren berichtet. die zum Kampf gegen die Ungläubigen auffordern, auf die sich zu viele Muslime weltweit berufen? Oder auf Ich will noch einen Aspekt beleuchten, der schlicht den friedlichen Teil, auf den sich auch welche berufen? ignoriert wurde: Das Gesetz soll der Stärkung des Anwe- senheitsrechts des Angeklagten in der Hauptverhandlung Die ägyptische Feministin Dr. Iman Bibars hat deshalb dienen. Anpassungen sieht der Referentenentwurf bei zu Recht gefordert, dass man die gewalttätigen Suren nur Hinweispflichten vor. So soll der Angeklagte nunmehr aus dem Kontext der damaligen Zeit interpretieren darf deutlich über die bereits zulässige Möglichkeit, in seiner und dass sie heute eben nicht mehr gültig sein dürfen. Abwesenheit zu verhandeln, belehrt werden, was grund- Derartiges ist für Christen beispielsweise in Bezug auf sätzlich zu begrüßen ist. Levitikus, das 3. Buch Mose, eine Selbstverständlichkeit. Die Aufforderung der Richtlinie, dass die besonderen Necla Kelek oder auch Herr Dr. Ourghi fordern seit Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen im Strafver- Jahren Aufklärung im Islam, so wie es das Christentum fahren berücksichtigt werden müssen, findet keine Er- hinter sich hat. Lale Akgün fordert ebenfalls eine Reform (B) wähnung. Es müsste dafür Sorge getragen werden, dass des Islams, weg von absoluten religiösen Geboten und (D) Personen, die aufgrund ihres Alters, ihrer geistigen oder Verboten, hin zu einer modernen Interpretation. Aber körperlichen Verfassung oder aufgrund irgendeiner mög- genau das fehlt. Deshalb hat Cem Özdemir mit seiner lichen Behinderung nicht in der Lage sind, einem Straf- „Initiative säkularer Islam“ völlig recht, wenn er sich für verfahren zu folgen oder daran teilzunehmen, zu ihrem einen aufgeklärten Islam ausspricht. Recht auf Anwesenheit verholfen wird. Diese Chance Im November gab es in der „Berliner Morgenpost“ ei- wurde nicht genutzt. Daher enthalten wir uns. nen Kommentar von Gunnar Schupelius, der die Frage stellte: Welcher Islam gilt denn eigentlich? Er verweist zu Recht warnend auf den Großscheich der Al-­Azhar- Anlage 19 Universität Kairo, der jüngst erklärt hat, Menschenrech- te gelten nur so lange, wie sie mit den Grundsätzen des Zu Protokoll gegebene Reden islamischen Rechts, der Scharia, vereinbar sind. Glaubt zur Beratung: jemand ernsthaft, dass sich schiitische von Teheran un- terstützte Gemeinden mit einem „neutralen“ Islam zu- – des Antrags der Abgeordneten Filiz Polat, friedengeben? Oder etwa wahhabitisch ausgelegte, die Dr. Konstantin von Notz, Kai Gehring, weiterer von Saudi-Arabien finanziert und unterstützt werden? Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Das sind Staaten, die Terror finanzieren und in denen DIE GRÜNEN: Redefreiheit, Meinungsfreiheit oder Pressefreiheit mit Ausbildungsprogramme für Imame und islami- Füßen getreten werden und wo Sie nach einer von der sche Religionsbedienstete in Deutschland fördern Religion unabhängigen Justiz lange suchen können. Die- – des Antrags der Abgeordneten Beatrix von se Form des Islams darf niemals sinnstiftend für einen Storch, Dr. Gottfried Curio, Dr. Bernd Baumann, Islam in Deutschland sein. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Doch zurück zum Antrag. Die Forderung der Grü- AfD: nen, in Deutschland eine akademische Ausbildung von Selbstbestimmungsrecht religiöser Verbände, Imamen anbieten zu wollen, bedeutet, dass der Staat die Vereine und Gemeinden sichern – Finanzierung Inhalte einer Religionsgemeinschaft definiert. Dies kann durch auswärtige, autoritäre Regime unterbin- und darf er nicht, so verlockend ich persönlich dies auch den im Fall des Islams fände. Dies ist – ob man das nun will (Tagesordnungspunkt 21 und Zusatztagesord- oder nicht – Aufgabe der jeweiligen Glaubensgemein- nungspunkt 16) schaft. Das ist eine grundsätzliche Frage. 7970 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) Ich würde Ausbildungsprogramme für Imame un- Damit einher geht auch die Tatsache, dass es ohne (C) terstützen, wenn sämtliche muslimische Verbände die eine qualitativ hochwertige, nationale Ausbildung keine Gleichberechtigung von Mann und Frau öffentlich aner- Gewähr dafür gibt, dass der Imam, der in der Gemein- kennen und tatsächlich praktizieren. Nach wie vor gibt es schaft eine Vorbildfunktion innehat, überhaupt selbst der Seiten- und Hintereingänge für Frauen in Moscheen. Ich deutschen Sprache mächtig ist, die demokratischen und würde Ausbildungsprogramme unterstützen, wenn eine rechtsstaatlichen Werte und Regeln unseres Landes kennt ungestörte Religionsfreiheit für alle Religionen gewähr- und respektiert. leistet ist, sodass auch ein Moslem gefahrlos die Reli- gion wechseln kann. Solange diese Grundvoraussetzun- Imame spielen für die Gläubigen in der Gemeinde eine gen nicht gegeben sind, kann man einem solchen Antrag zentrale Rolle. Zu ihren Hauptaufgaben gehören neben nicht zustimmen. den Gebeten und Predigten die religiöse Unterweisung von Kindern und Jugendlichen sowie das Unterrichten Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. des Arabischen als Sprache des Korans. Sie sind nicht nur Vorbeter, sondern übernehmen eine Vorbildfunktion, Alexander Radwan (CDU/CSU): In diesen Tagen sind Vertrauter, Ansprechpartner, Seelsorger und Mentor wird – nicht zuletzt durch die Deutsche Islamkonfe- in einer für die Menschen teilweise fremden und neuen renz – erneut viel über den Islam und darüber, wie wir Lebenswelt. Um diesen Herausforderungen und der gro- das friedliche Miteinander verschiedener Kulturen und ßen Verantwortung, die über die klassischen Aufgaben Religionen in Deutschland fördern können und wie Inte- hinausgehen, gewachsen zu sein, bedarf es einer funda- gration gelingen kann, diskutiert. Als Dialogforum zwi- mentalen Ausbildung, die alle Bereiche abdeckt. Darin schen dem Staat und Islamvertretern ging die Deutsche liegt auch eine Chance. Imame können als Sprachrohr Islamkonferenz nun in die vierte Phase. und Integrationshelfer für Muslime hierzulande fungie- ren. Ich begrüße sehr die zunehmende Pluralität der Teil- nehmer auf der diesjährigen Konferenz. Dass sie nun Derzeit werden in sechs Islamzentren an deutschen über die traditionellen Moscheeverbände hinaus auch Universitäten junge Studenten ausgebildet, die jedoch für viele liberale Muslime und sogar islamkritische Di- selten von Moscheen eingestellt werden, da sie erstens alogpartner mit muslimischer Prägung geöffnet wurde, oft als zu liberal gelten und zweitens die praktische Aus- ist ein wichtiges Zeichen für die Weiterentwicklung des bildung im Anschluss an das Studium fehle. Deshalb gemeinsamen Dialogs. müssen wir auf die Studiengänge aufbauen, zum Beispiel durch Seminare in Gemeinden, in denen – vergleichbar Ich begrüße sehr die Worte von Bundesinnenminister mit der umfangreichen Ausbildung der katholischen (B) Horst Seehofer, der in seiner Eröffnungsrede herausstell- Priesterseminare – auch praktische Aspekte unterrichtet (D) te, wie wichtig die Unabhängigkeit der Muslime hierzu- werden. Außerdem ist es wichtig, dass die ausgebildeten lande vom Ausland ist. Es müsse einen Islam in, aus und Imame eine echte Perspektive in Deutschland bekom- für Deutschland geben, einen Islam, der mit seinen Gläu- men, um für sie die Ausbildung hierzulande attraktiver bigen in Deutschland fest verwurzelt ist. zu machen. Wie ist es also realisierbar, den Einfluss aus dem Aus- land auf islamische Gemeinden hierzulande zu minimie- Der Staat kann eine Perspektive schaffen, zum Bei- ren? Ein wichtiger Ansatz ist eine stärkere Imamausbil- spiel durch den Einsatz von ausschließlich in Deutsch- dung in Deutschland – ein Thema, das, wie ich finde, bei land ausgebildeten Imamen als Seelsorger in staatlichen allen Fragen rund um Integration und Religionsausübung Einrichtungen, wie in Gefängnissen, Krankenhäusern absolut in den Vordergrund rücken sollte. oder bei der Bundeswehr, wie es in Österreich bereits vorgeschrieben ist. Aber vor allem müssen die Mo- Bei den deutschen Kirchen sind sowohl die Priester- scheegemeinden eine selbstständige Organisation und ausbildung als auch die Finanzierung der katholischen Finanzierung haben, um die Einstellung in Deutschland und evangelischen Kirchen transparent und klar gere- ausgebildeter Imame zu gewährleisten. Die Abhängig- gelt – ein Anspruch, der für alle ausübenden Religionsge- keit aus dem Ausland muss drastisch runtergefahren und meinschaften in Deutschland gelten sollte. Derzeitig sind durch eigene Initiativen ersetzt werden. Die notwendigen die Wege zur Ausbildung als Imam so vielfältig wie die Strukturen müssen dafür geschaffen werden. Denn wa- islamische Welt selbst. Sie reichen vom Selbststudium rum sollte etwas selbst organisiert werden, wenn es aus über die Lehre in einer religiösen Schule oder bei einem dem Ausland günstiger zu bekommen ist? erfahrenen Imam bis hin zur Hochschulausbildung. Eine klare Struktur gibt es bisher nicht. Wir sind hier angehalten, die Moscheegemeinden ent- sprechend zu unterstützen. Nur so ist es möglich, Imame So unterschiedlich die Ausbildung, so verschieden im Land zu wissen, die unsere kulturellen und demokra- sind auch die Lehren, Inhalte und Einflüsse, die weiter- tischen Grundwerte kennen und respektieren. gegeben werden. 90 Prozent der Imame, die in Deutsch- land hauptamtlich tätig sind, werden derzeit im Ausland Es gibt also einiges zu tun. Radikalisierung und Ein- ausgebildet und auch von dort aus finanziert. Diese Ima- flüsse aus dem Ausland – sowohl finanziell als auch in- me sind oft stark an ihr Herkunftsland gebunden. Was haltlich – müssen eingedämmt werden. Die rechtlichen die Imame dann schließlich in Deutschland predigen und Voraussetzungen für unabhängige Moscheegemeinden – welche Einflüsse direkt auf sie einwirken, ist somit oft in Zusammenarbeit mit Experten, Lehrstühlen, Verbän- nicht nachvollziehbar und kontrollierbar. den und islamischen Theologen – gilt es zu schaffen. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7971

(A) Eine der großen Herausforderungen ist neben dem teil unserer Gesellschaft anzuerkennen. Jeder Moslem (C) Entwurf tragfähiger Finanzierungsmodelle auch die Ge- in Deutschland genießt die grundgesetzlich verbrieften währleistung der Neutralität des Staates. Für die musli- Rechte wie jeder andere Mensch auch. Das ist doch keine mischen Gemeinden selbst ist es zugleich Chance und Frage der Imamausbildung. Pflicht, den Islam in, aus und für Deutschland zu gestal- Sie setzen sich in keiner Weise kritisch mit den kon- ten. Dies ist ein wichtiger Bestandteil im Prozess zur In- servativen Islamverbänden auseinander, obwohl es ge- tegration in unsere Gesellschaft. nug Anlass zur Kritik gibt. Warum orientieren Sie sich nicht an ihrem Fraktionskollegen Cem Özdemir, der in Christoph de Vries (CDU/CSU): Die Deutsche Is- der „Welt“ gestern gesagt hat: „Sie müssen sich von Or- lam Konferenz, DIK, geht in dieser Woche in ihre vierte ganisationen ausländischer Mächte zu deutschen Vertre- Phase. Festzuhalten ist, dass wir seit der Gründung der tungen inländischer Muslime transformieren. Sie müssen DIK im Jahr 2005 durch den früheren Bundesinnenmi- nachweisen, dass sie mit beiden Beinen auf dem Boden nister Wolfgang Schäuble einiges erreicht haben. Dazu unserer Verfassung stehen und dass in unserem Zusam- zählen die Einführung islamischen Religionsunterrichts menleben das Grundgesetz für sie über jedem heiligen an Schulen, die Errichtung von Instituten für islamische Buch steht.“ Er hat damit doch völlig recht. Dies ist doch Theologie an den Universitäten und erhebliche Fort- genau das Problem. Wir haben es zum Teil mit Islam- schritte im Bereich der Seelsorge. Es ist gut, dass wir verbänden zu tun, die aus dem Ausland gesteuert und diese Fortschritte gemeinschaftlich erreicht haben. finanziert werden und einen Islam propagieren, der mit unserer freiheitlichen Lebensart im Alltag kollidiert. Der Zugleich müssen wir nüchtern feststellen, dass wir gegenseitige Respekt und das glaubhafte Eintreten für bei der Integration von Muslimen in Deutschland heu- den gesellschaftlichen Zusammenhalt muss aber zwin- te schlechter dastehen als vor zehn Jahren. Deshalb bin gende Voraussetzung für eine tragfähige Zusammenar- ich sehr dankbar dafür, dass der Bundesinnenminister die beit sein. zentralen Fragen und Probleme der Integration auf die Tagesordnung der vierten Islamkonferenz gesetzt hat: Nun identifizieren Sie die Imame als einen wesentli- Wie kann sich ein Islam in Deutschland entwickeln, der chen Faktor, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft verwurzelt ist und dessen Gläu- besser zu gestalten. Das ist richtig. Aber Sie ziehen da- bige die Werte unseres Landes und unserer Gesellschaft raus den falschen Schluss. Sie wollen, dass die Bundes- teilen? Wie können wir die Integration von Muslimen so regierung Konzepte für die praktische Ausbildung von gestalten, dass das Miteinander von gegenseitiger Tole- Imamen entwickelt und Lösungen für die Finanzierung ranz geprägt ist, mit einem Islam, der sich in unsere plu- der Ausbildungsprogramme sowie für die Bezahlung der ralistische Gesellschaft einfügt und sie bereichert? Imame vorlegt. Wir wollen das nicht. Die praktische Aus- (B) bildung von Geistlichen ist zuallererst eine Angelegen- (D) In dieser Hinsicht muss man leider feststellen, liebe heit jeder Religionsgemeinschaft selbst. Dies ist keine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass Ihr An- Aufgabe des Staates. Und es ist auch keine Aufgabe des trag weitgehend belanglos ist. Er nimmt überhaupt keine deutschen Staates, sich um die Finanzierung der Gehäl- kritische Einordnung der Gegebenheiten vor, er stellt teil- ter von Imamen in den Moscheegemeinden zu kümmern. weise verfassungswidrige Forderungen, und er gibt außer Dies entspricht nicht unserem Verständnis der grundge- einer allgemeinen Aufforderung an die Bundesregierung setzlichen Trennung von Kirche und Staat, nach der jede keine konkreten Hinweise, wie, mit wem und unter wel- Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbstständig chen Bedingungen die theologische und praktische Imam­ ordnet und verwaltet, wie es in Artikel 137 Absatz 3 der ausbildung in Deutschland sinnvoll organisiert werden Weimarer Verfassung steht. kann. Das ist einfach zu dünn. Die Frage der Imamaus- bildung gehört doch in einen Gesamtkontext und hängt Lassen Sie mich zum Abschluss zu dem kommen, eng mit dem Selbstverständnis und Auftreten islamischer was aus unserer Sicht wirklich wichtig ist: Wir wollen Verbände und Moscheegemeinden zusammen. mehr Lehrstühle an den deutschen Universitäten für die akademisch-theologische Ausbildung von Imamen und Für uns ist völlig klar: Ein intoleranter, unaufgeklärter, Islamwissenschaftlern. Was wir für ein friedliches und kritikunfähiger und frauenfeindlicher Islam kann nicht zu tolerantes Miteinander brauchen, sind Imame, die un- Deutschland gehören. Wir wünschen und brauchen einen sere Sprache sprechen und die unsere gesellschaftlichen modernen, liberalen Islam, der sich Deutschland zugehö- Grundwerte achten und vertreten: Sie müssen wissen, rig fühlt, einen deutschen Islam, der sich dem Einfluss dass Mann und Frau gleichberechtigt sind. Sie müssen ausländischer Regierungen konsequent entzieht und der wissen, dass Homosexuelle nicht diskriminiert werden. die Identifikation seiner Gläubigen mit unserem Land Sie müssen wissen, dass Religionsfreiheit in Deutschland fördert, ohne dabei die eigenen Wurzeln zu verleugnen. herrscht und jeder und jede an das glauben darf, woran er oder sie glauben möchte. Sie müssen wissen, dass Hass Aber diesen Kontext, liebe Grüne, blenden Sie kom- und Hetze keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. plett aus. Man kann sich im Übrigen über einige For- Und sie müssen wissen, dass wir eine historische Verant- mulierungen Ihres Antrags nur wundern. Auch wir wortung gegenüber Juden in Deutschland und dem Staat befürworten selbstverständlich eine qualitativ hochwer- Israel haben. tige theologisch-akademische Ausbildung an deutschen Hochschulen – aber doch nicht, wie Sie es schreiben, um Dies alles werden wir auf der Islamkonferenz mit der die gesellschaftliche Teilhabe von Muslimen zu sichern ganzen Bandbreite der islamischen Vertreter und Exper- und Moscheegemeinden als gleichberechtigten Bestand- ten beraten, ebenso andere grundsätzliche Fragen, die das 7972 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

(A) friedliche Zusammenleben und den gesellschaftlichen terentwicklung der Islamkonferenz begrüßen wir. Die (C) Zusammenhalt in Deutschland berühren. drei Schwerpunktthemen „Integrationsförderung vor Ort“, „Imamausbildung“ und „Muslimischem Leben in Dr. Lars Castellucci (SPD): Ich bin der Fraktion Deutschland“ sind ein guter Anfang. Bündnis 90/Die Grünen dankbar, dass sie mit ihrem Konkret erwarten wir von der Deutschen Islamkonfe- Antrag dieses wichtige Thema aufwirft, gerade ange- renz praktikable Vorschläge für die Anerkennung islami- sichts der gestrigen Islamkonferenz. Anlässlich der vier- scher Gemeinschaften, ob als Religionsgemeinschaften, ten Auflage der Deutschen Islamkonferenz müssen wir Körperschaften des öffentlichen Rechts oder durch den uns über die Fragen nach der Ausbildung muslimischer Weg der Anerkennung durch einen Staatsvertrag. Für alle Geistlicher und ihrer Finanzierung verständigen. drei Möglichkeiten gibt es bereits anerkennenswerte Bei- Allerdings enthält Ihr Antrag wenige Antworten und spiele. viele Fragen. Diese Fragen der universitären und prak- Eine rechtliche Anerkennung der Gemeinschaften ist tischen Ausbildung von islamischen Religionsbediens- hierfür aus drei Gründen notwendig: teten sind sehr voraussetzungsreich. Ihnen voraus gehen Fragen der rechtlichen und gesellschaftlichen Anerken- Erstens ist die Anerkennung notwendig, damit die nung genauso wie finanzielle Aspekte. Lassen Sie mich islamischen Organisationen Unabhängigkeit von po- daher zunächst einmal den größeren Rahmen nochmals litischen Einflüssen aus dem Ausland gewinnen. Eine vor Augen führen, wie er sich für die SPD-Bundestags- Organisation, die durch einen anderen Staat beeinflusst fraktion darstellt. wird, sodass die Einhaltung der Grundsätze der religiö- sen Selbstbestimmung zweifelhaft ist, kann nicht unser Religionsfreiheit heißt zuerst Freiheit zur Religion. Kooperationspartner sein. Diese religionsverfassungs- Das bedeutet, wie bei allen Grundwerten auch, dass wir rechtliche Position der Bundesregierung unterstreichen Räume schaffen, dass wir unterstützen und fördern. Re- wir ausdrücklich. ligionspolitik im weltanschaulich neutralen, aber den Religionen zugewandten Staat soll für ein gutes Mitei- Zweitens. Unabhängigkeit zu erreichen, wird eine He- nander von Staat und Religionsgemeinschaften sorgen. rausforderung sein, die vor allem mit den Finanzierungs- Sie soll diese positive Religionsfreiheit ausgestalten. Die möglichkeiten zusammenhängt. Der Status quo, dass Alternativen dazu stehen für uns nicht zur Debatte. Wir sich einerseits islamische Organisationen als gemein- wollen weder einen religionsfeindlichen Staat noch einen nützige Vereine durch Mitgliedsbeiträge und Spenden religiösen. Die aktuellen Debatten um die DITIB führen finanzieren und andererseits die staatliche türkische Re- uns vor Augen, was die Verquickung von Religion und ligionsbehörde Diyanet rund 900 Imame für DITIB und Milli Görüs in der Türkei ausbildet und für ihre Arbeit (B) Politik für unangenehme Folgen haben kann. (D) hier bezahlt, ist nicht zukunftsträchtig. Wir wollen also ein gutes Miteinander von Staat und Religion beibehalten und ausbauen. Dieses konstruktive Drittens müssen die Moscheegemeinden und muslimi- Miteinander von Staat und Religion ist einzubetten in die schen Organisationen mit dem Staat kooperieren können. Vorstellung, die wir von unserer Gesellschaft überhaupt Nur so können sie die zahlreichen Erwartungen, die an haben: eine pluralistische, multireligiöse Gesellschaft, in sie gestellt sind, auch erfüllen. Sie helfen etwa, Flücht- der wir gut miteinander leben können. Die Islamkonfe- linge zu integrieren, Sozial- und Jugendarbeit zu leisten renz muss sich genau an dieser Maxime messen lassen. und in den Stadtteilen präsent zu sein. In diesen Wochen im Vorfeld der Neuauflage der Is- Es kann keine Lösung für alle geben; hierin steckt die lamkonferenz erleben wir eine sich deutlicher zeigende Herausforderung. Klar ist aber: Sowohl in der theoreti- Vielfalt im islamischen Kontext. Hinzu kommt, dass vie- schen und praktischen Ausbildung des religiösen Perso- le Islamversteherinnen und -versteher unterwegs sind, nals als auch in der Finanzierung der Gemeinschaften die einem „den“ Islam erklären wollen. Doch eigentlich sehen wir großes Gestaltungspotenzial. Wir ermutigen charakteristisch für das muslimische Leben in Deutsch- die islamischen Religionsgemeinschaften, gemeinsam land ist gerade dessen Vielfalt. Sie entspricht der islami- mit uns diese aufgeworfenen Fragen einer Lösung zuzu- schen Vielfalt in den Herkunftsländern der Einwanderer. führen. Deswegen kann man gerade nicht von „dem“ Islam spre- chen. Die pluraler werdenden Stimmen bereichern die Christine Buchholz (DIE LINKE): Die Linke be- Debatte, sie sorgen dafür, dass unterschiedliche Meinun- grüßt die heutige Debatte und den Antrag der Grünen; gen und Islamverständnisse auch sichtbarer werden. Sie denn dieser Antrag greift ein offensichtliches Defizit bei müssen entsprechend repräsentiert werden. der umfassenden Imamausbildung in Deutschland auf und macht Vorschläge, die in die richtige Richtung wei- Hieraus erwachsen auch Herausforderungen, die zu sen. den ohnehin drängenden und klärungsbedürftigen Punk- ten hinzustoßen: Wir brauchen die Organisation, Reprä- Wir treten dafür ein, dass Muslime die gleichen Rech- sentation und Beteiligung von möglichst vielen islami- te bekommen wie andere Religionsgemeinschaften. Um schen Gemeinschaften und aussagekräftigen Stimmen. es noch einmal deutlich zu sagen: Das ist bisher nicht Die Deutsche Islamkonferenz ist ein vernünftiges, gutes der Fall. Und das muss sich ändern. Dazu gehört es, dass Forum dafür. Bereits organisierte Verbände nehmen da- Muslime den gleichen Zugang zu Religionsunterricht, ran ebenso teil wie deren Kritikerinnen und Kritiker und zur Wohlfahrtspflege, zur Seelsorge in öffentlichen Ein- intellektuelle Vordenkerinnen und Vordenker. Die Wei- richtungen und auch zur umfassenden Ausbildung von Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7973

(A) religiösem Personal bekommen. Wer Pastorin oder Pas- geht es mal wieder nur darum, Hass zu schüren. Das ist (C) tor werden will, studiert evangelische oder katholische menschenverachtend. Theologie, absolviert nach dem Studium das Vikariat und besucht ein Predigerseminar. Auch für Rabbiner- Innenminister Seehofer hat in seiner Rede zum Auf- innen und Rabbiner gibt es in Deutschland seit einigen takt der Deutschen Islamkonferenz betont, dass Muslime Jahren endlich wieder die Möglichkeit einer staatlich zu Deutschland gehören, dass sie die gleichen Rechte anerkannten universitären Rabbinerausbildung. Das ist und Pflichten haben. Das ist richtig. Aber wenn Horst zumindest ein Anfang. Seehofer sich als Brückenbauer inszeniert, ist er we- nig glaubhaft. Seine Aussagen, der Islam gehöre nicht Für Muslime gibt es das bisher nicht. Es geht bei der zu Deutschland und die Migration sei die Mutter aller Imamausbildung nicht um Sonderrechte, sondern darum, Probleme, haben den Aufstieg der Rechten und den an- endlich Gleichbehandlung durchzusetzen. Wir meinen: timuslimischen Rassismus befördert. Er hat bislang alles Es muss eine Aus- und Weiterbildung nach dem Studi- getan, um die Muslime vor den Kopf zu stoßen und aus- um der islamischen Theologie geben. Hierfür müssen die zugrenzen. Das muss sich ändern. universitären und finanziellen Voraussetzungen geschaf- fen werden. Bund und Länder sind in der Pflicht. Sie Es ist ein schlechtes Signal, wenn Innenminister müssen hier liefern und mit den muslimischen Verbänden Seehofer auf der Islamkonferenz einen scheinbaren Wi- gemeinsam Lösungen finden; denn diese haben ein Recht derspruch zwischen dem Islam und einer in Deutschland auf Mitwirkung. gewachsenen Kultur und den Werten unserer Gesell- schaft aufmacht. Seit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 2010 für die Etablierung von islamischen Studien in Kultur ist nie einheitlich, Kultur verändert sich. Be- Deutschland zur Ausbildung von Religionslehrerinnen greifen sie das, Herr Seehofer! und Imamen, Seelsorgerinnen und Sozialarbeitern ist zu Die Islamfeindlichkeit und der Rassismus gegen Mus- wenig passiert. Dass die große Koalition in Niedersach- lime sind in Deutschland in den letzten Jahren bedrohlich sen die Weiterbildung von Imamen in Osnabrück jetzt gewachsen. 44 Prozent der Bevölkerung wollen Musli- auslaufen lässt, ist ein schwerer Fehler. Diese Entschei- men die Zuwanderung untersagen, und 56 Prozent fühlen dung sollte rückgängig gemacht werden. Statt immer nur sich durch Muslime manchmal wie ein Fremder im ei- die Auslandsfinanzierung zu beklagen, müssen Bund genen Land; das sagt die aktuelle Leipziger Autoritaris- und Länder hierzulande die politischen, strukturellen mus-Studie. Gegen diese Zustände sind konkrete Schrit- und finanziellen Voraussetzungen für eine Kooperation te in Richtung Anerkennung des Islams in Deutschland zu schaffen. nötig. Die Etablierung eines Ausbildungsprogramms (B) Dass die AfD die Auslandsfinanzierung einseitig beim für Imame und Religionsbedienstete wäre ein solcher (D) Islam anprangert und nichts zu Auslandsfinanzierungen Schritt. Die Bundes- und Landesregierungen sind am anderer Religionen sagt, zeugt von ihrem selektiven Ver- Zug. Es wäre ein wichtiges Signal der Anerkennung an ständnis für Grund- und Menschenrechte. Man kann Re- die vielen Musliminnen und Muslime in Deutschland striktionen nicht nur für eine Religion verlangen. Ihnen und ein wichtiges Signal für die gesamte Gesellschaft. 7974-7996 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018

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(B) (D) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 68 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29 November 2018 7997

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(B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333