Staatsziel Kultur: Ja oder Nein?

Zeitung des Deutschen Kulturrates

Nr. 04/08 · Juli – August 2008 www.kulturrat.de 3,00 E · ISSN 1619-4217 · B 58 662

Staatsziel Kultur Bibliotheksgesetz Thüringen Kulturlandschaft Deutschland Kultur und Kirche Kulturelle Bildung Wird das Staatsziel Kultur noch in Thüringen will als erstes Bundesland Dass Kultur nicht nur in Großstädten Ist Religionsunterricht überholt und Im Jahr 2006 fand die Weltkonferenz dieser Legislaturperiode im Grund- ein Bibliotheksgesetz auf den Weg stattfindet, ist ein Gemeinplatz. Unter sollte ausschließlich auf freiwilliger Ba- zur kulturellen Bildung in Lissabon gesetz verankert, fragte politik und bringen und damit eine Forderung der welchen Rahmenbedingungen Kultur sis unterrichtet werden oder vermittelt statt, für das Jahr 2010 ist eine Fol- kultur Bundes- und Landespolitiker? Kultur-Enquete umsetzen. Welche Si- abseits der Metropolen gestaltet wird, der Religionsunterricht Kenntnisse, gekonferenz in Seoul geplant. Wie Sie geben dazu ihre Einschätzung gnalwirkung von diesem Gesetz für die wer mit dem wem zusammenarbeitet, die für das Verständnis von Kultur wird die in Lissabon vereinbarte Road ab. Warum das Staatsziel Kultur anderen Länder ausgeht und welche wer welche Akzente wie setzt und wel- unerlässlich sind? Am Beispiel Berlins Map für kulturelle Bildung in den verankert werden sollte, begründet Intention Thüringen damit verfolgt, che Ansprüche gestellt werden, wird wird sich mit diesen Fragen auseinan- verschiedenen UNESCO-Mitglied- Paul Raabe im Leitartikel. wird in dieser Ausgabe erörtert. hier erörtert. dergesetzt. staaten nun umgesetzt? Seiten 1 bis 5 Seiten 6 bis 10 Seiten 16 bis 20 Seiten 11 bis 15 Seiten 24 bis 25

Editorial Von der Kulturnation zum Kulturstaat Uneinigkeit Die Kultur gehört ins Grundgesetz • Von Paul Raabe nteressen gemeinsam wahrzuneh- könnten. Der öffentlich-rechtliche Kultur entsteht durch die schöpfe- Aufklärung, Kultur, Bildung sind in Imen, ist schon immer ein schweres Rundfunk darf, davon bin ich fest rischen Leistungen von begabten unserer Sprache neue Ankömm- Unterfangen gewesen. Deshalb ist überzeugt, von dem Verbreitungsweg und begnadeten Menschen. Für sie linge“, und er fuhr später fort: „Die der Deutsche Kulturrat mit seinen Internet nicht abgeschnitten werden, gibt es bezeichnender Weise keinen Nürnberger haben mehr Cultur, die acht künstlerischen Sektionen und er wird ansonsten mittelfristig im Ab- Oberbegriff: für die Künstler, Maler, Berliner mehr Aufklärung“. In Nürn- diese wiederum mit ihren mehr als seits landen mit fatalen Auswirkungen Bildhauer, Architekten, Autoren, Kom- berg bewunderte man die Kunstwer- 200 Mitgliedern, Bundesverbänden auf den gesamten Kulturbereich in ponisten, die Philosophen, Gelehrten ke von Veit Stoß und Albrecht Dürer, der Künstler, der Kulturwirtschaft, der Deutschland. Aber auch das Internet und dazu die Vermittler: die Schau- in Berlin wurde räsoniert und über Laien und der Kultureinrichtungen, ein darf vom öffentlich-rechtlichen Rund- spieler, Musiker, Regisseure, Inten- Aufklärung debattiert kompliziertes Gebilde. Forderungen funk nicht isoliert werden. Es geht im danten, Interpreten, die Lehrer. Bekanntlich hat Johann Gottfried gemeinsam aufzustellen und nach Internet nämlich nicht nur um die Viel- Herder den Begriff der Kultur mit Le- einem Beschluss solidarisch zu vertre- falt der angebotenen Informationen, an hat angesichts der gegen- ben gefüllt. Er spricht in Anlehnung ten, ist das Ziel der Arbeit im Deutschen sondern auch um deren Qualität. Ein Mwärtigen kulturpolitischen Dis- an die cultura animi von geistiger Kulturrat. Und dieses Ziel wurde in den Garant für diese Qualität ist der öffent- kussionen auch an die Auftraggeber Kultur, aber auch von der Kultur des letzten zehn Jahren, oft nach langen lich-rechtliche Rundfunk. dieser – nennen wir sie Kulturschaf- Volkes. Herder bezeichnete unter Kul- Verhandlungen und Abstimmungen, Der Deutsche Kulturrat ist keine fenden – zu erinnern: im Mittelalter tur die Gesamtheit aller menschlichen fast immer erreicht. Selbst bei einem Tarifpartei, er darf keine Tarifverhand- und in der frühen Neuzeit an die Leistungen in ihrer Vervollkommnung so strittigen Thema wie der Künst- lungen führen. Dies ist die Aufgabe der Bischöfe und Äbte, also den Klerus auf dem Wege zur Humanität. In der lersozialversicherung, bei der ein Teil Gewerkschaften und Arbeitgeberorga- und an die oft gescholtenen Fürsten Weimarer Klassik fand das ästhetische Paul Raabe unserer Mitglieder die unmittelbaren nisationen, wie z.B. der Arbeitsgemein- und Adligen, aber auch an die Patri- und humane Element der Kultur sei- Foto: Franckesche Stiftungen Nutznießer, nämlich die Künstler, und schaft Dokumentarfilm. In der gerade zier und Bürger in den Städten. Die nen epochemachenden Ausdruck, ein anderer Teil die Abgabepflichtigen, erschienenen Information 23 der Überlieferung dieser Kulturgüter ist wie auch in der Berliner Klassik zwi- Pflege von Kunst, Musik, Oper, Dich- nämlich die Kulturwirtschaft, vertritt, Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, außerdem nicht zu denken ohne die schen 1800 und 1830, die derzeit in tung geprägt. Diese Tradition lebte ist es im gemeinsamen Interesse im- deren Verwaltungsrat zwei Vorstands- adligen und bürgerlichen Mäzene der Berlin-Brandenburgischen Aka- fort bis zum Ende der Obrigkeits- mer gelungen, zu einen tragfähigen mitglieder der Arbeitsgemeinschaft und Kulturförderer. demie der Wissenschaften intensiv staaten, also bis 1918, wenngleich das Kompromiss zu kommen. Dokumentarfilm angehören, wird Außerdem lernten die Missionare, erforscht wird. Bürgertum seit dem 19. Jahrhundert Vielleicht ist es deshalb für viele deutlich beklagt, dass das seit 2002 die Eroberer und die Reisenden die Aber weder in den Wörterbüchern daran immer mehr partizipierte. Die überraschend gewesen, als bei der in Kraft befindliche Urhebervertrags- materiellen und geistigen Güter der der Aufklärungszeit noch in den bürgerliche Gesellschaft, die sich Pressekonferenz zum 12. Rundfunk- recht, das eine angemessene Vergütung Welt kennen, seit Amerika entdeckt Enzyklopädien des 19.Jahrhunderts, im Zuge der Aufklärung im letzten änderungsstaatsvertrag des Deutschen der Künstler sicherstellen soll, bislang wurde. Sie berichteten in den Rei- weder im Grimmschen Wörterbuch Drittel des 18. Jahrhunderts als eman- Gewerkschaftsbundes, des Verbrau- ein stumpfes Schwert geblieben ist. sebeschreibungen und Missionsbe- noch im Brockhaus von 1866 gibt zipatorische Bewegung formierte, cherzentrale Bundesverbandes und In dem Text heißt es: „Der Fairness richten über die Kultur der Osmanen, es einen Artikel Kultur. Aber da sich schuf eigene kulturelle Institutionen: des Deutschen Kulturrates am 10. halber muss aber hinzugefügt werden, der Inder, der Chinesen usw. So diese im öffentlichen Raum selbst zunächst unter den misstrauischen Juni ein Mitglied der Sektion Film dass auch das Auftreten der Urheber wurde man sich im 18. Jahrhundert enorm entfaltete, widmete sich die Augen der Herrschenden gemein- und Medien, die Arbeitsgemeinschaft bestimmter Branchen und ihre Un- der Reichtümer in der Welt bewusst, Geschichtswissenschaft nicht mehr nützige Gesellschaften, Clubs, Lese- Dokumentarfilm, öffentlich protestiert einigkeit bei der Formulierung ihrer die man in Deutschland als Kultur allein der politischen, der Staaten- gesellschaften. Im 19. Jahrhundert hat. Der Deutsche Kulturrat, der DGB Forderungen es der Gegenseite leicht bezeichnet. Der landwirtschaftliche geschichte, sondern auch der Ge- entstanden daraus im Bürgertum und der Verbraucherzentrale Bundes- gemacht haben, die Verhandlungen zu Begriff der Cultur wurde zunächst schichte der Kultur. Jacob Burckhards die Zweige des Vereinswesens: die verband forderten auf der Pressekon- verzögern bzw. sich dem Abschluss von auf die Pflege der Sprache und die „Kultur der Renaissance in Italien“ ist Kunstvereine, die Ausstellungen ferenz die Länder auf, den Bestand und Vereinbarungen zu entziehen.“ Dem ist Gelehrsamkeit metaphorisch über- dafür das bekannteste Beispiel. veranstalteten und Kunstmuseen die Entwicklungsfähigkeit des öffent- nichts hinzuzufügen! tragen. Er kam parallel zum Begriff Abgesehen vom kulturellen Le- bauten, die Gesangvereine, die Chöre lich-rechtlichen Rundfunks durch den der Aufklärung im 18. Jahrhundert in ben der Kirchen war die ständische gründeten, die Musikvereine, die das 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag Olaf Zimmermann, Geschäfts- Deutschland zum Umlauf. So schrieb Gesellschaft der frühen Neuzeit vor Konzertleben ermöglichten, die Ar- nicht zu beschneiden. führer des Deutschen Kulturrates Moses Mendelssohn 1784: „Die Worte allem von der höfischen Kultur, der beiterbildungsvereine, die das Lesen Die Arbeitsgemeinschaft Doku- beförderten, die Geschichtsvereine, mentarfilm protestierte dagegen heftig. die sich der Erforschung der territo- Die Dokumentarfilmer fühlen sich von rialen Geschichte und Vorgeschichte, den öffentlich rechtlichen Rundfunk- der Altertümer, widmeten. anstalten nicht angemessen entlohnt Kultur-Mensch Gleichzeitig wurden fürstliche und ihr Verband findet es deshalb nur Christian Boros Einrichtungen zu öffentlichen kul- folgerichtig, wenn quasi als Strafe dem turellen Institutionen umgewandelt öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Christian Boros irritiert. Bei der Auftakt- schaffen und beide sind hingebungsvoll. dieses Jahres kann die Sammlung nach und dem allgemeinen Publikum Entwicklungsmöglichkeit im Internet veranstaltung der „Initiative Kultur- und Dabei betonte er immer wieder, dass Anmeldung besucht werden. geöffnet und zugänglich. Das galt versagt wird. In der Stellungnahme des Kreativwirtschaft der Bundesregierung“ es ihm nicht um Unternehmen gehe, für die fürstlichen Bibliotheken in Deutschen Kulturrates zum 12. Rund- hielt er den Einführungsvortrag. Si- deren leitende Angestellte abgesichert den Residenzstädten wie für die Ga- funksänderungsstaatsvertrag wurde cherlich hatten die Veranstalter, das Entscheidungen treffen, sondern um lerien und naturwissenschaftlichen die Forderung nach einer angemes- Bundesministerium für Wirtschaft und Unternehmer, die Ideen verfolgen, von Museen, die aus den Kunst- und Na- senen Vergütung explizit aufgenom- Technologie sowie der Beauftragte diesen besessen sind und daher Neues turalienkammern des 16. und 17. Jahr- men. Es heißt hier: „Eine öffentliche der Bundesregierung für Kultur und hervorbringen. Ein solcher Unternehmer hunderts hervorgegangen waren. Zugänglichmachung kann allerdings Medien, von ihm ein Plädoyer für die ist Christian Boros mit seiner Werbe- Zu den Theater- und Opernauffüh- nur bei einer angemessenen Vergütung Kreativwirtschaft erwartet, ist Boros agentur. Und genauso besessen ist er rungen hatte das Publikum schon der Urheber und Leistungsschutzbe- doch Inhaber einer Werbeagentur. In als Kunstsammler. Und verrückt, wenn seit dem 18. Jahrhundert Zugang. rechtigten sowie unter Wahrung des einem seiner ersten Sätze erklärte er einen Hochbunker in Berlin kauft, Diese höfischen Veranstaltungen der Urheberpersönlichkeitsrechts erfol- Christian Boros jedoch gleich, dass er um seine Privatsammlung an Werken frühen Neuzeit waren den späteren gen.“ Man muss sich deshalb schon lieber von Kulturwirtschaft spricht, denn zeitgenössischer Kunst zu präsentieren. fragen, warum die Arbeitsgemeinschaft „kreativ sind Friseure“ und um die gehe Statt eines lichten Museums auf einer Dokumentarfilm dem Deutschen Kul- es hier nicht. grünen Wiese, einen düsteren Hochbun- Weiter auf Seite 2 turrat unterstellt, zu behaupten, dass Christian Boros zog im Folgenden ker inmitten Berlins. Räume und Kunst, die Film- und Fernsehproduktionen eine spannende Parallele zwischen die von dem Betrachter Aufmerksamkeit der öffentlich-rechtlichen Sender Künstlern und Unternehmern. Beide abverlangen. Kein schneller Konsum, angemessen bezahlt seien und des- gehen Risiken ein, beide wollen etwas sondern Auseinandersetzung. Seit Juni Foto: Oliver Mark 4:l;p halb entsprechend verwertet werden Leitartikel politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 

tungen und die Förderung kulturellen Fortsetzung von Seite 1 Lebens. Kultur ist im staatlichen Verständnis ein Handlungsspielraum Leitartikel für alle kulturellen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens. Heute wird städtischen Gründungen vorange- diese Zuständigkeit für, wie es heißt, gangen. Nur die Archive als Sammel- „Angelegenheiten der Kultur“ in den stätten für Urkunden und Akten, die 16 Bundesländern unterschiedlich im Laufe der Jahrhunderte in den Ver- gehandhabt. In fast allen Flächen- waltungen angefallen waren, blieben staaten gibt es Ministerien für Wis- verschlossen, was sich im gewissen senschaft und Kultur, in einzelnen Sinne bis heute fortgesetzt hat. auch für Bildung (d. h. Schulen), Die Aufsicht über die Museen, Wissenschaft und Kultur, die manch- Bibliotheken, Theater und Archive , mal auch unter der Bezeichnung also die kulturellen Einrichtungen, Kunst läuft. Nur in Thüringen und wurden im 19. Jahrhundert bestimm- in Sachsen-Anhalt heißen sie Kul- ten Ressorts in den Ministerien der tusministerien. Es ist der Begriff, der 35 autonomen deutschen Territorial- in allen Ministerien noch geläufig staaten zugeordnet. Ihre Anzahl war ist. In den genannten Ländern ist nach dem Wiener Kongress verringert das Ressort Kultur die fünfte, d. h. worden, aber immer noch sehr be- die letzte Abteilung, ich will nicht trächtlich. Die Staaten fühlten sich, sagen: das fünfte Rad am Wagen. wie es später auch die Städte taten, In den Stadtstaaten ressortiert die für die Kulturgüter zuständig. Kultur Kultur unterschiedlich. In Hamburg im staatlichen Sinn und Handeln gibt es eine Kulturbehörde, geleitet heißt also zunächst Pflege und dann von der einzigen Kulturministerin in auch Förderung kultureller Einrich- der Bundesrepublik, die Senatorin tungen, die dem Staat unterstehen. für Kultur heißt. In Berlin, Bremen, Nach 1815 entstanden so in den Nordrhein-Westfalen und Schleswig- Königreichen Preußen und Bayern, Holstein ist, wie man weiß, die Kultur Sachsen und Württemberg sowie in den Staatskanzleien zugeordnet und dem Großherzogtum Sachsen-Wei- wird von Staatssekretären geleitet. mar-Eisenach die Kultusministerien, Das bedeutet eine unmittelbare die in Carl von Rottecks und Carl Unterstellung unter den obersten Welckers „Staatslexikon“ 1837 noch Dienstherrn. Nur im Saarland gibt als „Cultministerien“ bezeichnet wur- es eine andere Zuordnung. Dort Außenansicht des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Foto: DLA Marbach den. Darin heißt es: „Der wahre Cult, gibt es ein Ministerium für Bildung, die echt christliche Gottesverehrung Familien, Frauen und Kultur. Republik über die Herstellung der auf den noch einzugehen sein wird, den Formen der Planung, Gesetz- besteht in der möglichsten Förderung In den Verfassungen der Bundes- Einheit Deutschlands“ von 1990 während in diesem Dokument end- gebung und Verwaltung ermächtigt, aller geistigen Cultur“. Daraus folgt, länder ist die Kultur verankert, am stehen dazu klare Aussagen. In Pa- lich expressis verbis der Kulturstaat andererseits aber auch der Gestal- „dass die leitende Grundidee aller ausführlichsten in Sachsen, mehrfach ragraph 35 heißt es unter der Über- genannt wird, von dem das „Ansehen tungsmacht der Kultur unterworfen Kultministerien sein müsse, Förderer heißt es übereinstimmend: „Das Land schrift Kultur: „In den Jahren der eines vereinten Deutschlands in der ist. Diese Antinomie hebt sich in der und Leiter aller geistigen Culturmit- schützt und fördert das kulturelle Teilung waren Kunst und Kultur Welt“ abhängt. Selbstverwirklichung des Staates als tel zu sein und deswegen die größte Leben.“ Allein in Bayern wird das – trotz unterschiedlicher Entwicklung Es ist bekannt, dass die Juristen Kulturgebilde auf“. moralisch zulässige Freithätigkeit in Land auch als Kulturstaat bezeichnet, der beiden Staaten in Deutschland dem Einigungsvertrag keinen Ver- In dieser ausgefeilten juristischen den Geistesübungen rechtlich zu be- wenn es dort heißt: „Bayern ist ein – eine Grundlage der fortbestehen- fassungsrang beimessen, da er nicht Begriffsbestimmung wird Kultur als schützen“. Was damals angesichts der Rechts-, Kultur- und Sozialstaat“. den Einheit der deutschen Nation. vom als Bundesgesetz „Inbegriff autonomer Bildungsgüter“ verschärften Zensur nach den Karls- Bekanntermaßen ist Bayern das Sie leisten im Prozess der staatlichen abgesegnet wurde. Aber er gibt immer verstanden, als ein „System von Wer- bader Beschlüssen von 1819 verklau- Musterland kultureller Förderung, Einheit der Deutschen auf dem Weg wieder Veranlassung, über die Rolle ten“. Unter diesen Voraussetzungen suliert gefördert wurde, war im Sinne historisch gesehen nach Preußen, zur europäischen Einigung einen des Kulturstaates in der Diskussion geht es bei dem Wort „Kulturstaat“ eines aufgeklärten Liberalismus die das sich bis zu seiner Auflösung auch eigenständigen und unverzichtbaren um die Aufnahme der Kultur in das um fünf „Bedeutungsvarianten“: Freiheit geistigen Lebens bei gleich- als Kulturstaat mit einem mächtigen Beitrag. Stellung und Ansehen eines Grundgesetz und über die Frage 1. Der Kulturstaat steht für die „Staats­ zeitiger Anerkennung staatlicher Kultusministerium verstand. Das ein- vereinten Deutschlands in der Welt eines Bundeskulturministeriums freiheit der Kultur“, das heißt er Zuständigkeit für die Förderung und drucksvollste Erbe der preußischen hängen außer von seinem politischen nachzudenken. Was versteht nun das respektiert und garantiert die Au- Leitung aller „Culturmittel“, d.h. der Kulturpolitik ist ja die Museumsinsel Gewicht und seiner wirtschaftlichen Staatsrecht unter einem Kulturstaat? tonomie der Kultur. Er mischt sich Institutionen kulturellen Lebens. in Berlin mit ihren Kulturstätten, Leistungskraft ebenso von seiner Ich beziehe mich in der Definition auf als Staat nicht in den Freiraum der Im Kern wird die Kulturhoheit heute unter der Ägide der Stiftung Bedeutung als Kulturstaat ab.“ die Ausführungen von Ernst Rudolf Kultur ein. der Länder beschrieben, die seither Preußischer Kulturbesitz. Zweifellos hatten die Vertreter Huber in seiner umfassenden Verfas- 2. Der Kulturstaat dient der Kultur. – also seit fast 200 Jahren – von den Dass die Bundesrepublik Deutsch- der DDR, die den zentralistischen sungsgeschichte. Er schreibt: „Kultur- Huber schreibt: Der Staatsdienst Kultusministerien vertreten wird. Der land insgesamt ein Kulturstaat sei, ist Staat unter Führung der Staatspartei staat ist ein Staat, der, ausgehend von „ist gegründet auf die Bereitschaft Begriff Kultur bezieht sich hier also in der Verfassung bekanntlich nicht verwirklicht hatte, auf diese Formu- der Anerkennung der Autonomie der des Staates zum verantwortlichen im Hinblick auf staatliches Handeln, gesagt. Erst in dem „Vertrag zwischen lierung Einfluss. Die „fortbestehende Kultur, sich zum Dienst an der Kultur um es nochmals zu sagen, auf die der Bundesrepublik Deutschland Einheit der deutschen Nation“ um- verpflichtet weiß, so dass er einerseits Zuständigkeit für kulturelle Einrich- und der Deutschen Demokratischen schreibt den Begriff der Kulturnation, zur Ausübung von Kulturhoheit in Weiter auf Seite 3 Inhaltsverzeichnis Editorial Ausstrahlung über Thüringen hinaus Zeitgemäße Traditionalität Europa „Wir Hegelianer…“ Von Frank Simon-Ritz 7 Von Hans-Peter Kröger 13 Von Hermann Glaser 28 Uneinigkeit Von anderen lernen? Von Olaf Zimmermann 1 Der Unterhalt von Bibliotheken als Die Kirche im Dorf lassen Von Max Fuchs 21 Medien Pflichtaufgabe? Von Jakob Johannes Koch 14 Von Thomas Sternberg 8 WTO-Verhandlungen plurilateral Öffentlich-rechtlicher Rundfunk Kultur-Mensch Das Dorf und seine Kirche weiterführen muss entwicklungsfähig bleiben Brücken schlagen in die Zukunft Von Axel Noack 15 Von Hans-Jürgen Blinn 22 Stellungnahme des Deutschen Christian Boros 1 Von Jörg Schwäblein 9 Kulturrates 29 Europäische Kulturpolitik nicht Finanzielle Mitverantwortung ge- Kultur und Kirche unterschätzen Die Tageszeitung Leitartikel fordert Von Gabriele Schulz 23 Von Rolf Zitzlsperger 30 Von Birgit Klaubert 9 Gemeinsam – nicht getrennt! Von der Kulturnation zum Kultur- Von Michael Müller 16 Europa und die Kultur staat Auf dem Weg zu einem Bibliotheks- Von Barbara Gessler 23 Portrait Von Paul Raabe 1 gesetz Die Berliner Bildungslandschaft als Von Hans- Jürgen Döring 10 Hindernisparcours Zeitlose Begegnungen in Bildern Von Wolfgang Huber 17 Kulturelle Bildung Von Andreas Kolb 30 Staatsziel Kultur Kultur-Enquete Herausforderungen für den Religi- Wo bitte geht es zur kulturellen Bücher Statements von Bundes- und Landes- onsunterricht Bildung? politikern 5 Vergütungspflicht von Kunstwerken Von Katrin Göring-Eckardt 18 Von Kristin Bäßler 24 Neue Bücher: kurz notiert im öffentlichen Raum Zusammengestellt von Von Stefan Haupt 11 Bewusstsein besser als Gefühl Frühkindliche kulturelle Bildung: Stefanie Ernst 31 Bibliotheksgesetz Von Bernd Wolfgang Lindemann 18 Potenziale für unsere Gesellschaft Thüringen Bundestagsdruck- Kulturlandschaft Wegfahren, um sich selbst zu finden Stellungnahme des Deutschen Von Holger Treutmann 19 Kulturrates 25 sachen 31 Ein Anfang mit Signalwirkung Deutschland Von Olaf Zimmermann 6 Mit Identität und Kommunikation Das Letzte zum Erfolg Zur Diskussion Kulturelles Bibliotheksgesetze auf der politischen Von Wolfgang Suttner 12 Meldungen aus der Welt des Wah- Agenda Zehn Jahre sichtbare Kulturpolitik Leben ren, Schönen und Guten, dieses Mal Von Gabriele Beger 7 Ohne Bauern geht es nicht des Bundes „Es gibt kein Unmöglich mehr“ musikalisch Von Adalbert Kienle 13 Von Olaf Zimmermann 20 Von Georg Ruppelt 26 Von Theo Geißler 32 leitartikel politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 

sie Friedrich Meinecke in seinem Fortsetzung von Seite 2 bekannten Buch „Weltbürgertum und Nationalstaat“ entwickelt hat. Schutz, zur uneigennützigen Pfle- In der kurzen Spanne des Zweiten ge, zur dienenden Vermittlung der Deutschen Reiches von 1871 bis Kultur“. Der Staat hat gegenüber 1918 wurde trotz des Fortbestehens der Kultur eine bindende Selbst- der Territorialstaaten ein Kulturstaat verpflichtung. unter preußischer Führung geschaf- 3. Auf der anderen Seite hat aber der fen, in dem sich allerdings Wilhelm Staat eine Gestaltungsmacht über II., der selbstherrlich äußerte, was die Kultur. Indem er der Kultur unter Kultur zu verstehen sei, dem dient, übt er eine Kulturhoheit aus, Spott der Presse und der Intellek- d.h. kann Kulturereignisse planen, tuellen aussetzte. Aber dieser Epo- Kulturgesetze z. B. zum Schutz der che hat Deutschland nicht nur die Kultur erlassen. Es ist seine Aufga- Entstehung der Museumsinsel in be, Kultur zu verwalten. Berlin, sondern auch die Reform der 4. Der Kulturgestaltungsmacht des Universitäten und die Weltgeltung Staates steht die Staatsgestaltungs- der deutschen Wissenschaft zu ver- macht der Kultur gegenüber. Das danken, die durch den Exodus und heißt also – ich zitiere – „Die Kul- durch die Vernichtung des deutschen turhoheit des Staates [schlägt] in Judentums zwischen 1933 und 1945 die staatsbestimmende Funktion für immer verloren ging. der Kultur um“. Daraus folgt Die einzigartige Chance in den 5. „Der Kulturstaat ist die Selbstbe- Verhandlungen über die deutsche stimmung der Kultur als Staat“. Reichsverfassung zwischen Novem- Der Einigungsvertrag spricht ber 1918 und August 1919, einen ein- von der „fortbestehenden Einheit heitlichen Kulturstaat als Erfüllung der deutschen Nation“, die trotz der Kulturnation zu verwirklichen, der Teilung in die beiden deutschen scheiterte erneut an den Beharrungs- Staaten der Nachkriegszeit bestehen kräften der aus der Zeit des Absolu- geblieben ist. Damit ist die deutsche tismus intakt gebliebenen Strukturen Kulturnation gemeint, historisch der Territorialstaaten, die zwar in der betrachtet, das Substitut der Verwei- Zahl erneut reduziert wurden, aber gerung eines einheitlichen Natio- auf das Gleichgewicht von Reich und nalstaats nach den Freiheitskriegen Ländern bedacht waren. zu Beginn des 19.Jahrhunderts. Die Der damalige preußische Staats- Blick ins Innere des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Foto: DLA Marbach Hoffnung der fortschrittlichen bür- sekretär Carl Heinrich Becker, ein gerlichen Kräfte scheiterte 1815 an namhafter Islamwissenschaftler, und über unsere berufsständische „Stammesfürsten“, kein Gehör. viel Ärger einhandelte. Artikel 150 den althergebrachten politischen hatte im Auftrage des amtierenden und soziale Gliederung hinaus zum In der deutschen Reichsverfas- lautet: „Die Denkmäler der Kunst, der Machtstrukturen der Territorialstaa- Reichsinnenministers Hugo Preuß, Einheitsvolk werden lässt. Nötiger sung vom 11. August 1919, unter Geschichte und der Natur sowie die ten, an deren Erhalt nicht nur die der den Verfassungsentwurf der denn je braucht Deutschland eine Zeitdruck entstanden, ohnehin kein Landschaft genießen den Schutz und regierenden Fürsten, sondern auch Nationalversammlung in Weimar bewusste Kulturpolitik“ (S. 5). Becker, Glanzstück staatsrechtlicher Präg- die Pflege des Staates“. Er ergänzt Ar- ihre zur Treue verpflichteten Beamten vorlegte, eine Denkschrift verfasst, übrigens der Vater des bekannten Bil- nanz, wurden die Kompetenzen zwi- tikel 142: „Die Kunst, die Wissenschaft festhielten. die unter dem Titel „Kulturpolitische dungspolitikers Hellmut Becker, ging schen Reich und Ländern geregelt. und ihre Lehre sind frei. Der Staat Was aber die Bewahrer der großen Aufgaben des Reiches“ noch 1919 es um eine „nationale Kulturpolitik“. Die Kultur kommt an drei Stellen gewährt ihnen Schutz und nimmt an und kleinen deutschen Staaten ver- veröffentlicht wurde. Er schreibt in Ihre Parole müsse sein: „Erziehung vor. Artikel 7 zählt die Bereiche auf, ihrer Pflege teil.“ In der Verbindung band, war neben der Sprache die ge- diesem interessanten Dokument: der deutschen Stämme zur Nation“ deren Gesetzgebung in der Hand des der beiden Artikel entspricht das fast meinsame Kultur, das geschichtliche „Wir stehen vor der ungeheuer als Voraussetzung reichseinheitlicher Reiches liegen sollte. Als letzten, 20. der heutigen Forderung: „Der Staat kulturelle Erbe und das gegenwärtige schwierigen Aufgabe, ein neues eini- Regelungen kulturpolitischer Fragen Punkt werden „das Theater- und das schützt und fördert Kultur“ oder, kulturelle Leben. Solange eine staat- gendes Band zu suchen, das uns über in Kultur und Bildung, Schule und Lichtspielwesen“ genannt, mit dem liche Einheit fehlte, verstanden sich unseren Stammespartikularismus, Universität. Beckers Argumente sich bekanntlich die junge Republik die Deutschen als Kulturnation, wie über unsere konformelle Spaltung fanden bei den Abgeordneten, den in den Gotteslästerungsprozessen Weiter auf Seite 4

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Kulturbegriff gibt es, soweit ich sehe, Fortsetzung von Seite 3 nicht. Trotz ihrer Kulturhoheit konnten wenn man den staatsrechtlichen Be- die Länder nicht verhindern, dass griff der „Kulturpflege“ aufgreift: „Der auch der Bund kulturelle Aufgaben Staat schützt und pflegt Kultur“. wahrnimmt, beispielsweise in der Auf die verheerenden Auswir- auswärtigen Kulturpolitik, in Rechts- kungen der nationalsozialistischen fragen wie dem Urheberrecht oder Diktatur auf die staatliche Lenkung dem Sozialrecht bei der Künstlerso- eines Alleinanspruchs auf Kultur zialversicherung usf. Schon in der – „Am deutschen Wesen soll die Welt alten Bundesrepublik kam man ohne genesen“ – habe ich hier nicht ein- eine Kulturabteilung im Innenmi- zugehen. Der Parlamentarische Rat nisterium des Bundes nicht aus, die 1948/49 ignorierte die erwähnten – so die Sprachregelung – kulturelle Artikel 142 und 150 der Weimarer Institutionen von überregionaler, ge- Verfassung, an der Zuständigkeit der samtstaatlicher Bedeutung unterstüt- Länder für die Kultur wurde nicht ge- zen, beispielsweise das Germanische rührt. Mit der Wiedervereinigung der Nationalmuseum in Nürnberg, die beiden deutschen Nachkriegsstaaten Festspiele in Bayreuth, das Deutsche wurde der Föderalismus in Deutsch- Literaturarchiv in Marbach. Sie be- land durch den Beitritt von fünf finden sich interessanterweise in den neuen Ländern sogar noch gestärkt, süddeutschen Bundesländern, die der Kultusministerkonferenz gehören sich am heftigsten gegen kulturelle die Vertreter aller Länder an. Kompetenzen des Bundes wehren Wenn sich Bayern in seiner Verfas- und deshalb im Fall der Akademie der sung als Kulturstaat versteht, wird sich Künste in Berlin sogar das Bundesver- jedes andere Bundesland gleicherma- fassungsgericht bemühten. ßen positionieren. Die Bundesrepublik Vor zehn Jahren wurde die Kul- Deutschland ist also die Summe von turabteilung des Bundesinnenmi- sechzehn autonomen Kulturstaaten. nisterium dem Bundeskanzleramt Da sie sich in ihren Zuständigkeiten angegliedert und dem Beauftragten nicht ins Gehege kommen und Kultur der Bundesregierung für die An- auf den Konferenzen der Kultusminis- gelegenheiten der Kultur und der Historische Bibliothek der Franckeschen Stiftungen Archiv der Franckeschen Stiftungen © Ingo Gottlieb ter seit Jahren so gut wie keine Rolle Medien unterstellt, der abgekürzt als spielt, lässt sich auf diesem Gebiet Kulturstaatsminister bezeichnet wird. ergibt sich nur aus der Fülle dessen, Schaden unserer Kultur, auch von na- mehr in den Sinn gekommen sind ? miteinander leben. Es gibt reiche Bun- Im Bundestag wurde 1998 gleichzei- was nach Auffassung der Kommission tionalen Kulturaufgaben und von einer Für einen Bibliothekar ist es im- desländer, die sich z.B. wundervolle tig ein Kulturausschuss gegründet, alles verwaltet, geschützt, gefördert, deutschen Nationalkultur zu sprechen. merhin eine Genugtuung, dass der Kulturneubauten erlauben können eine Enquete-Kommission legte vor unterstützt, vermittelt wird oder wer- Wir haben zwar keine Hemmung, im Bundestag dem Zusammenschluss und andere, die die Höhe des Kultur- einem halben Jahr den Bericht „Kul- den soll: Sport von Nationalmannschaften und der Deutschen Bibliothek Frankfurt haushalts alljährlich infrage stellen. tur in Deutschland“ vor. · die Kultureinrichtungen, Nationalspielern, zu denen auch viele und der Deutschen Bücherei Außerdem liegt der Anteil der Länder So viel Kultur auf Bundesebene · das kulturelle Erbe, mit Migrationshintergrund gehören, endlich den Namen „Deutsche Nati- an den Kulturausgaben nur bei 46 %, gab es noch nie. Nur die letzten · das kulturelle Leben, zu sprechen. Von einer nationalen onalbibliothek“ gegeben hat, wenn- fast die gleiche Summe – 44 % - haben Schritte werden nicht gewagt oder · die kulturelle Bildung. gesamtstaatlichen Kultur zu reden, gleich das historische Bindeglied, die die Kommunen aufzuwenden. Der gewollt, die die Bundestagsfraktion Zusammengefasst heißt das: kul- verhindert die Bundespolitik auch mit traditionsreiche Staatsbibliothek zu Bund ist mit 10 % an den Kulturausga- Die Linke zu Protokoll gab, nämlich turelle Angelegenheiten als Aufgaben der Ausrede, Kultur sei allein Ländersa- Berlin, noch nicht einbezogen wurde. ben der öffentlichen Hand beteiligt. Es ein Kulturministerium auf Bundes- der Kulturpolitik. Damit unterscheidet che. Damit geben wir heute im Konzert Endlich hat auch unser Land die na- ist aber wichtig, an dieser Stelle ergän- ebene mit einem Bundeskulturmi- sich der Begriff der Bundesvertreter der europäischen Staaten, die sich tionale Institution, die jeder Staat in zend auf die enormen komplemen- nister an der Spitze zu schaffen. Die nicht von dem, was dem staatlichen alle als Nationalstaaten verstehen, zu der Welt besitzt. tären Leistungen der Kirchen und der Enquete-Kommission schließt sich Handeln in den Ländern und auch deren Verwunderung unsere kulturelle Kultur ist auch Repräsentation. privaten Institutionen, der Vereine und übrigens dieser Auffassung an, wenn den Kommunen zugrunde liegt. Identität auf. Ein Beispiel möge dies Wer ist für die Nationalhymne zu- vor allem der Kulturstiftungen hinzu- sie der Bundesregierung empfiehlt, Es gibt de facto zwei kulturelle erläutern: Im gesamten Kulturbericht ständig, wer für das Reformationsfest weisen, die den Freiraum außerhalb „Aufgaben im Bereich ‚Kultur’ zu Zuständigkeiten: die Kulturhoheit auf der Enquete-Kommission kommen im Jahre 2017 ? Wird die deutsche staatlicher Zuständigkeiten ausfüllen bündeln und zu institutionalisie- der Ebene der Länder und die parti- Persönlichkeiten, die unser Ansehen Kultur im Rahmen der europäischen und die Kultur mittragen. ren, weil Kulturpolitik eine zentrale elle übergeordnete Zuständigkeit für in der Welt ausmachen, überhaupt Staaten wirklich in Brüssel von 17 Was die einzelnen Kommunen Querschnittsaufgabe der Innen- und kulturelle Angelegenheiten auf nati- nicht vor, weder Martin Luther noch deutschen Diplomaten vertreten ? unter Kultur verstehen und welchen Außenpolitik ist“ (S. 56). onaler Ebene. Da wir Deutschen mit Johann Sebastian Bach, weder Johann Außerdem: Ist die Wartburg nicht Stellenwert kommunale Kulturpolitik So vielfältig und zahlreich die einem gebrochenen Rückgrat leben, Wolfgang Goethe noch Alexander von ein nationales Denkmal ? Sind nicht hat, hängt oft von den Interessen der Anregungen sind, die sich aus dem ein natürliches, den europäischen, Humboldt, weder Albert Einstein noch Wittenberg und Weimar nationale Stadtverordneten ab. Dass Kultur vor Kulturbericht der Enquete-Kommis- insbesondere den osteuropäischen Max Planck, von weiteren ganz zu Kulturstädte ? Warum können Ent- allem in kleineren Städten eine un- sion ergeben, so sehr vermisst man Staaten selbstverständliches natio- schweigen. Haben die Verfasser des scheidungen der UNESCO über die tergeordnete Rolle spielt, ist bekannt. hier eine klare, einfache und eindeu- nales Selbstbewusstsein eingebüßt Berichts die Namen schon soweit ver- Weltkulturerbestätten von lokalen Einen einheitlichen kommunalen tige Definition des Kulturbegriffs. Er haben, hüten wir uns bisher zum drängt, dass sie ihnen überhaupt nicht Interessen missachtet werden? Steht nicht jeder, der für eine Nationalkul- tur eintritt, schon hierzulande unter Verdacht, ein falsches und überholtes politisches Bewusstsein zu haben ? Streitfall Computerspiele Die Kirchen Kulturpolitik der Parteien Es ist verhängnisvoll, dass sich Computerspiele zwischen kultureller Bildung, die unbekannte kulturpolitische Macht Visionen, Programmatik, Geschichte, Differenzen die Bundesrepublik Deutschland als Kunstfreiheit und Jugendschutz Gesamtstaat, also länderübergrei- fend, nicht eindeutig zu ihrer Rolle als nationaler Kulturstaat, auch im Interesse seiner Bürger und seiner zu Sind Computerspiele „Kulturgüter“ oder handelt es Spielen die Kirchen überhaupt eine Gibt es Unterschiede in der kulturpolitischen Pro- Deutschen gewordenen Einwanderer, sich um „Schund“? Sollten Computerspiele strenger Rolle in der Kulturpolitik oder haben grammatik der Parteien? Sind sich Kulturpolitiker bekennt. Es ist verhängnisvoll, dass kontrolliert werden oder reichen die bestehenden sich Kultur und Kirche voneinander immer einig? Ist Kulturpolitik eigentlich unpolitisch der Bund nicht mit abgesicherten Jugendschutzbestimmungen aus? Sollten qualitativ entfernt? Sind die Kirchen noch wichtige oder doch hochpolitisch, weil es um Fragen des Kompetenzen in kulturellen An- hochwertige Computerspiele von der öffentlichen Auftraggeber für Künstler oder wurden Zusammenlebens geht? Welche Rolle spielen die gelegenheiten von überregionaler Hand gefördert werden oder soll es der Markt sie von Akteuren insbesondere dem Markt Künste in der Kulturpolitik der Parteien? Welche Bedeutung ausgestattet ist. richten? Wie soll der neue Deutsche Computerspie- längst abgelöst? Vermitteln die Kirchen Ideen entwickeln die Parteien für eine zukunftsfä- Nur nach Einlösung dieser Forde- lepreis aussehen? Mit diesen Fragen wurde sich Kunst und Kultur? Ist Kultur in der Kirche hige Kulturpolitik? Auf welchem Fundament beruht in verschiedenen Ausgaben von politik und kultur selbstbezüglich oder auf die Gesellschaft die Kulturpolitik der Parteien? Mit diesen Fragen rungen kann unser Land seinen Bei- befasst. Im Band „Aus politik und kultur 1“ Streitfall orientiert. Markus Lüpertz sagt in dem befassen sich die Beiträge in diesem Buch. trag zur künftigen Gestalt der euro- Computerspiele werden die wichtigsten Beiträge Buch, dass Künstler den Engeln sehr nahe sind päischen Kultur erfüllen, die ohnehin noch einmal zusammengefasst veröffentlicht. und stellt damit eine enge Verbindung zwischen finanziell kläglich dasteht. Staatliches Kunst und Kirche her. Trifft dieses auch auf an- Handeln in der Kultur ist europäische dere Künste zu? Mit diesen und weiteren Fragen Autoren des Buches sind u.a.: Frank-Walter Stein- Kulturpolitik. Unsere Nationalkultur Autoren des Buches sind u.a.: Günther Beckstein, befassen sich die Beiträge in dem vorliegenden meier, Kurt Beck, , Wolfgang hat einen friedlichen Beitrag zur Max Fuchs, Wilfried Kaminski, Armin Laschet, Sammelband. Gerhardt, Christian Wulff, , Claudia Zukunft Europas zu leisten. Auch Roth, Uschi Eid, Lothar Bisky, , Christian Pfeiffer, Klaus Spieler, Olaf Wolters, aus diesem Grund ist die Aufnahme Erwin Huber, Thomas Goppel, Olaf Zimmermann. Wolfgang Zacharias und Olaf Zimmermann der Kultur in das Grundgesetz eine Autoren des Buches sind u.a.: Petra Bahr, Karl unaufschiebbare Voraussetzung. Lehmann, Wolfgang Huber, Max Fuchs, Katrin Kulturpolitik der Parteien: Visionen, Program- Streitfall Computerspiele: Göring-Eckardt, Thomas Sternberg, Christhard- matik, Geschichte, Differenzen. Hg. v. Olaf Der Verfasser ist Literaturwissen- Computerspiele zwischen Georg Neubert und Olaf Zimmermann Zimmermann und Theo Geißler. 1. Auflage, kultureller Bildung, Kunst- 166 Seiten, E 12,90 zzgl. Versand, schaftler und Bibliotheksfachmann. freiheit und Jugendschutz. Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische ISBN 978-3-934868-17-5 Von 1958 bis 1968 Leiter des Deut- Hg. v. Olaf Zimmermann Macht. Hg. v. Olaf Zimmermann und Theo schen Literaturarchivs in Marbach, und Theo Geißler. 2. erwei- Geißler. 1. Auflage, 108 Seiten, E 9,- zzgl. von 1968 bis 1992 Direktor der terte Auflage, 140 Seiten, Versand, ISBN 978-3-934868-14-4 Herzog August Bibliothek Wolfen- E 9,- zzgl. Versand, ISBN büttel, von 1992 bis 2000 Direktor 987-3-934868-15-1 der Frankeschen Stiftungen in Halle/ Saale. Autor zahlreicher Bücher zur Bestelladresse: Deutscher Kulturrat, Fax: 030/24 72 12 45 Literatur des Expressionismus, der oder www.kulturrat.de/shop.php Aufklärung und der Weimarer i Klassik sowie zur Bibliotheks- j geschichte. Staatsziel Kultur politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 

„Im Moment können wir nicht ab- schätzen, ob das Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankert wird, weil: Wir uns in der SPD zwar klar dafür aus- Staatsziel Kultur: sprechen, die Union sich aber bisher einer Zustimmung verweigert. Das ist umso bedauerlicher, als dass sich die Ja oder Nein? CDU/CSU Bundestagsfraktion sowohl Nach der Sommerpause beginnt das Schlussbericht die Forderung, das in der Enquete-Kommission „Kultur in letzte Jahr vor der Bundestagswahl Staatsziel Kultur im Grundgesetz zu Deutschland“ als auch einzelne Ab- 2009. Wenn das Staatsziel Kultur verankern, noch einmal bekräftigt. geordnete der Unionsfraktion immer noch in dieser Legislaturperiode auf Der Rechtsausschuss des Deutschen wieder für die Aufnahme von Kultur als den Weg gebracht werden soll, müs- Bundestag hat bereits eine Anhörung Staatsziel im Grundgesetz ausgespro- sen jetzt die Beratungen im Deutschen zum Staatsziel Kultur durchgeführt. Die chen haben. Wir können nur hoffen, Bundestag beginnen. Bereits seit Fakten und Beratungsergebnisse liegen dass unser Koalitionspartner in diesem Hans-Joachim Otto Beginn der Legislaturperiode liegt auf- also auf dem Tisch, die Entschei- Punkt noch in dieser Legislaturperiode Foto: Büro Otto bauend auf den Zwischenbericht der dungen müssen getroffen werden. Jürgen Rüttgers Foto: Büro Rüttgers beweist, dass er kulturpolitische Verant- Enquete-Kommission des Deutschen politik und kultur hat Landes- und wortung übernehmen will. Als SPD wer- „Ja, das Staatsziel Kultur wird im Grund- Bundestags „Kultur in Deutschland“ Bundespolitiker nach ihrer Einschät- „Im Moment kann ich nicht abschätzen, den wir uns weiterhin für die notwendige gesetz verankert werden, weil die Kultur ein Gesetzesentwurf der FDP-Fraktion zung zur Verankerung des Staatsziels ob das Staatsziel Kultur im Grundgesetz Zwei-Drittel-Mehrheit für das Staatsziel in Deutschland viele Millionen Freunde hiervon vor. Die Enquete-Kommission Kultur im Grundgesetz gefragt. verankert wird, weil eine Änderung des Kultur stark machen.“ hat – und sich kurz vor der Bundestags- „Kultur in Deutschland“ hat in ihrem Die Redaktion Grundgesetzes keine Gesetzesänderung Monika Griefhahn, MdB, Sprecherin wahl (hoffentlich) niemand traut, ihnen ist wie jede andere auch. Ich wäre kein der Arbeitsgruppe Kultur und Medi- allen die kalte Schulter zu zeigen.“ Anhänger eines solchen Vorstoßes. Für en der Fraktion der SPD im Hans-Joachim Otto, MdB, Vorsitzender mich kommt es vielmehr darauf an, Deutschen Bundestag des Ausschusses für Kultur und Werteentscheidung ist. Mit einem wir das Staatsziel Kultur im Grundge- dass Kultur einen selbstverständlichen Siegmund Ehrmann, MdB, Stv. Vor- Medien des Deutschen Bundestages Staatsziel Kultur wird verdeutlicht: setz verankern.“ Stellenwert in der Politik hat. Kultur sitzender des Ausschusses für Kultur Ohne den Schutz und die Förderung Katrin Göring-Eckardt, MdB, kultur- zum „Staatsziel“ zu erklären, könnte und Medien des Deutschen durch den Staat ist es unmöglich, das politische Sprecherin von Bündnis dagegen kontraproduktiv sein. Wir Bundestages kulturelle Angebot in Deutschland in 90/Die Grünen im Deutschen sollten stattdessen den Satz von Ernst- seiner ganzen historischen Breite und Bundestag Wolfgang Böckenförde beherzigen, dass Vielfalt zu erhalten, weiterzuentwickeln, der Staat von Voraussetzungen lebt, zu vermitteln und den Zugang zu ihr für die er selbst nicht schaffen kann. Dazu jede und jeden zu sichern.“ gehört auch die Kultur.“ Undine Kurth, MdB, Obfrau Frakti- Jürgen Rüttgers, MdL, Ministerpräsi- on Bündnis 90/die Grünen im Aus- dent des Landes Nordrhein- schuss für Kultur und Medien Westfalen

Dagmar Enkelmann Foto: Fraktion DIE LINKE

„Ja, das Staatsziel Kultur wird im Grund- gesetz verankert werden, weil sich am Ende politische Vernunft durchsetzt, die Foto: Büro Oppermann Koalition ihre Blockadehaltung aufgibt Christoph Waitz Foto: Waitz und den Weg freimacht für ein Staats- „Im Moment kann ich nicht abschätzen, ziel Kultur.“ „Ja, das Staatsziel Kultur wird im ob das Staatsziel Kultur im Grundge- , MdB, Parla- Grundgesetz verankert werden, weil setz verankert werden wird, weil die mentarische Geschäftsführerin der die Zeit reif ist für diese notwendige Union sich gegen den Wunsch der SPD Fraktion DIE LINKE Ergänzung der Verfassung.“ sperrt, die Kultur verfassungsrechtlich Eva Stange Foto: Büro Stange Christoph Waitz, MdB, Henry Tesch Foto: Büro Tesch als Staatsziel aufzuwerten. Wir werden Kulturpolitischer Sprecher der also weiter für die notwendige zwei drit- „Ja, das Staatsziel Kultur wird im Grund- FDP-Fraktion „Kultur genießt in Mecklenburg-Vor- tel Mehrheit im Deutschen Bundestag gesetzt verankert werden, weil es mit pommern einen hohen Stellenwert und werben.“ Blick auf die Sächsische Verfassung Schutz und ist deshalb als Staatsziel im Thomas Oppermann, MdB, unserem eigenen Verfassungsgrundsatz Art. 16 der Landesverfassung Meck- Parlamentarischer Geschäfts- entspricht. Dadurch erfährt die Kulturför- lenburg-Vorpommern verankert. Dieses führer der SPD-Bundestags- derung im Ergebnis eine – wenn rechtlich entspricht den bewährten Grundsätzen fraktion auch nur schwach ausgebildete – Un- des Kulturföderalismus seit Gründung terstützung. Politisch jedoch stärkt und der Bundesrepublik.“ verschärft die Norm das Bewusstsein in Henry Tesch, Minister für Bildung, den Ländern und Kommunen, Sparmaß- Wissenschaft und Kultur des Landes nahmen auch bei knappen Haushaltsmit- Mecklenburg-Vorpommern teln nicht im Bereich Kultur einzusetzen, sondern diese vielmehr als Investition für die Zukunft der Gesellschaft und ihre Entwicklung zu begreifen.“ Karin v. Welck Foto: Büro v. Welck Eva Stange, Staatsministerin, Säch- sisches Staatsministerium für Wis- „Im Moment kann ich nicht abschätzen, senschaft und Kunst ob das Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankert wird, weil Ich den Eindruck Jens Böhrnsen habe, dass es uns, die wir für die Kultur Foto: Senatspressestelle Bremen eintreten, noch nicht gelungen ist, genü- gend Unterstützung für, dieses wichtige „Ich befürworte das Staatsziel Kultur im und richtige Projekt zu organisieren.“ Grundgesetz. Auch die bremische Lan- Karin v. Welck, Kultursenatorin desverfassung schreibt den Schutz und Thomas Goppel Hamburg die Pflege des kulturellen Lebens durch Foto: Büro Goppel den Staat vor. Ob es allerdings bei der momentanen Diskussionslage wirklich „Es ist mit offen gestanden völlig egal, noch gelingt, noch in dieser Legisla- Foto: Jim Rakete ob das Staatsziel Kultur in diesem turperiode des Bundes das Staatsziel Jahr, im nächsten oder am St. Nim- Kultur im Grundgesetz zu verankern, merleinstag ins Grundgesetz kommt. kann ich nicht abschätzen. Hauptsache ist, dass Bayern sich in Bürgermeister Jens Böhrnsen, Wort und Tat dazu bekennt. Denn in un- Präsident des Senats der Freien serer Verfassung steht es schon lange. Hansestadt Bremen und Senator für Für die Kulturförderung in Deutschland Kultur – die in erster Linie von den Kommunen Katrin Göring-Eckardt und Ländern betrieben und bezahlt Foto: Büro Göring-Eckardt wird – würde sich durch die Aufnahme des Staatsziels Kultur ins Grundgesetz „Im Moment kann ich nicht abschät- Weitere Hintergrundinforma- nicht das Geringste ändern. Auf Bun- zen, ob das Staatsziel Kultur im GG tionen, Artikel, pro- und con- desebene handelt es sich um eine verankert werden wird, da die allge- tra-Argumente zum Staatsziel deklamatorischen Akt, und damit sollte meine Verfasstheit der Großen Koali- Kultur sind im Internet zu finden sich Politik nach meinem Dafürhalten Undine Kurth Foto: dpa tion nicht gerade dafür spricht, dass unter: http://www.kulturrat.de/ nicht begnügen.“ sich SPD und Union bald über den text.php?rubrik=47 Thomas Goppel, Bayerischer Minis- „Ja das Staatsziel Kultur wird im Grund- genauen Inhalt eines entsprechenden Siegmund Ehrmann ter für Wissenschaft, Forschung gesetz verankert werden, weil es eine Artikels verständigen werden. Unab- Foto: Büro Ehrmann und Kunst notwendige verfassungsrechtliche hängig davon bin ich sehr dafür, dass Bibliotheksgesetz Thüringen politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 

Ein Anfang mit Signalwirkung Zu den Entwürfen der Thüringer Bibliotheksgesetze • Von Olaf Zimmermann Die Fraktionen des Thüringer Land- tags haben als erste Landtagsfrak- tionen Entwürfe für ein Bibliotheks- gesetz vorgelegt. Damit setzen sie Maßstäbe und legen die Latte an, über die andere Landtagsfraktionen springen müssen.

ie Vorlage beider Gesetzesent- D würfe ist zunächst zu begrüßen. Hier wird ein deutliches Bekenntnis zu Bibliotheken, den Kultur und Bil- dungseinrichtungen mit einem tat- sächlich niederschwelligen Angebot, abgelegt. Was andere Kultureinrich- tungen sich als Ziel gesetzt haben, nämlich vermehrt junge Menschen mit Migrationshintergrund oder auch Ältere anzusprechen, gehört in öffentlichen Bibliotheken längst zum Alltag. Es entspricht ihrem Selbstver- ständnis so zu arbeiten. Insofern ist es eigentlich immer wieder erstaunlich, dass gerade Bibliotheken unter Etat- kürzungen leiden müssen. Leisten sie doch einen unverzichtbaren Beitrag zum lebenslangen Lernen und tragen durch ihre Arbeit entscheidend zur Teilhabe aller Bevölkerungsschichten bei. Gerade weil öffentliche Biblio- theken einen so wesentlichen Beitrag für die Kultur- und Bildungslandschaft in Deutschland leisten, hat die En- quete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ den Ländern empfohlen, den Unter- halt von öffentlichen Bibliotheken Neubau der Universitätsbibliothek Weimar, Fachlesebereich Architektur. © Alexander Burzig als Pflichtaufgabe in Landesgesetzen festzulegen und sich zugleich für die sehr hohe Ansprüche gestellt wurden. Kultur- und Bildungsorte für jeder- aller Voraussicht nach nicht darüber Ihre Publikations- und Absatzmöglich- angestrebte Bibliotheksentwicklungs- Die Enquete-Kommission wollte in mann bereitzuhalten. Zugleich sollen hinausgehen. In der Anhörung zu den keiten würden deutlich eingeschränkt agentur ausgesprochen, die Qualitäts- diese Falle nicht tappen, sie wollte in den Länderbibliotheksgesetzen die Thüringer Bibliotheksgesetzesentwür- werden. standards für Bibliotheken entwickeln sich aber genauso wenig damit abfin- Aufgaben von Bibliotheken festgelegt fen wurde dieses Problem von Exper- Aber auch die Bibliotheken stehen und kontinuierlich festlegen soll. den, dass „irgendwie“ vor Ort Wege werden. ten mehrfach angesprochen. vor neuen Aufgaben. Sie sollen auf Denn eines ist klar, Messen, Zäh- zur Finanzierung von Bibliotheken Die beiden Gesetzesentwürfe aus Problematisch ist aber noch ein einmal Verlage werden, d.h. das Lek- len und Wiegen von Bibliotheken gefunden werden. Thüringen, der Entwurf des Thürin- weiterer Aspekt im Entwurf des Thü- torat von Publikationen übernehmen, reicht nicht aus. Die Umsetzung des Mit ihrer klaren Empfehlung, den ger Bibliotheksgesetzes der Oppo- ringer Bibliotheksrechtsgesetzes der wissenschaftliche Online-Publikati- Bibliotheksplanes aus dem Jahr 1973 Unterhalt von öffentlichen Biblio- sitionsfraktionen Die Linke und der CDU-Fraktion. Hier wird den wissen- onen auf dem Markt platzieren, eine scheiterte nicht zuletzt daran, dass zu theken als Pflichtaufgabe festzulegen, SPD sowie der Entwurf des Thüringer schaftlichen Bibliotheken als zusätz- Öffentlichkeit für diese Publikationen detailliert festgelegt wurde, ab wie viel unterstreicht die Enquete-Kommis- Bibliotheksrechtsgesetzes der CDU- liche Aufgabe zugewiesen, im Bereich schaffen und diese Online-Publika- Medieneinheiten von einer Bibliothek sion das Erfordernis, in einer sich Fraktion, erfüllen die Anforderung der des elektronischen Publizierens ver- tionen über Jahrhunderte hinweg gesprochen werden kann und daher entwickelnden Wissensgesellschaft Enquete-Kommission nach Veranke- legerisch tätig zu werden. Sie sollen bereithalten. Denn eines ist klar: wis- rung einer Pflichtaufgabe Bibliothek nämlich mit öffentlichen Mitteln senschaftliche Bibliotheken arbeiten nicht. In beiden Gesetzesentwürfen erstellte wissenschaftliche Werke der nicht nur für den aktuellen Bedarf. bleibt der Unterhalt öffentlicher Bibli- Thüringischen Universitäten veröf- Selbstverständlich müssen sie für For- Bibliotheksgesetz Thüringen otheken nach wie vor eine freiwillige fentlichen. Dieses ist ein Novum. schung und Lehre die jeweils aktuellen Leistung der Städte und Gemeinden, Nun ist hinlänglich bekannt, dass Werke – und sei es im Leihverkehr – be- In ihrem Schlussbericht hat die En- und SPD haben den gemeinsamen die diese aus dem kommunalen Fi- die Etats der wissenschaftlichen Bibli- reithalten. Sie müssen Werke aber auch quete-Kommission des Deutschen Antrag „Thüringer Bibliotheksgesetz“ nanzausgleich finanzieren müssen. otheken mit den Preisen speziell für über Jahrhunderte hinweg zugänglich Bundestags „Kultur in Deutschland“ (Drucksache 4/3503) und die Re- Nun lehren gerade die Erfahrungen wissenschaftliche Zeitschriften nicht machen, um so die Erforschung der unter anderem eine Bestandsaufnah- gierungsfraktion den CDU den Antrag aus dem Land Thüringen, wie schwie- Schritt halten können. Der Deutsche Wissenschaftsgeschichte zu ermög- me und Problembeschreibung zu den „Thüringer Bibliotheksrechtsgesetz“ rig es ist, die freiwillige Leistung Kultur Kulturrat hat auf dieses Problem bereits lichen. Das ohnehin bestehende öffentlichen Bibliotheken in Deutsch- (Drucksache 4/3956) in den Land- zu finanzieren. So schlugen vor einigen im Jahr 2002 aufmerksam gemacht Problem der Langzeitarchivierung land vorgelegt. Grundlage dieser Be- tag eingebracht. Der federführende Jahren die geplanten Kürzungen im und gefordert, die Bibliotheksetats an- elektronischer Medien würde sich standsaufnahme und Problembe- Ausschuss für Bildung, Wissenschaft, Thüringer Kulturetat zu Lasten der zupassen, dieses gegebenenfalls auch erneut verschärfen. schreibung sowie den daraus folgenden Forschung und Kultur des Thüringer Theater auch bundesweit Wellen. mit Bundesmitteln. Seither hat sich die Darüber hinaus – und dieser As- Empfehlungen war u.a. eine Anhörung Landtags führte am 29. Mai dieses Hier setzten sich viele Menschen ve- Situation verschärft, gerade auch für pekt darf nicht vernachlässigt werden mit Vertretern aus dem Bibliothekswe- Jahres eine Anhörung zu diesen Anträ- hement für den Erhalt der Thüringer die wissenschaftlichen Bibliotheken, – sollen Bibliotheken diese neue, sen. Übereinstimmend wurde vorge- gen durch, zu der Experten aus dem Theaterlandschaft ein. Ein vergleich- die die naturwissenschaftlichen Fach- zusätzliche Aufgabe quasi nebenbei tragen, dass öffentliche Bibliotheken Bibliothekswesen, der Kulturpolitik bares Engagement hat es bisher für zeitschriften bzw. Datenbanken der übernehmen. Der Entwurf des Thürin- bei Kürzungen der Zuwendungen sowie der Kommunalpolitik eingela- Bibliotheken im Bundesgebiet nicht großen, international agierenden ger Bibliotheksrechtsgesetzes der CDU für Kultur immer wieder besonders den werden. Eine Einschätzung zu gegeben. Hier stirbt mancherorts un- Verlagshäuser abonnieren müssen, sieht nämlich ausdrücklich vor, dass betroffen sind, obwohl sie besonders den Gesetzesentwürfen sowie zur beachtet von der Öffentlichkeit eine um die Wissenschaftler mit der erfor- keine zusätzlichen Kosten entstehen. niedrigschwellige Kultureinrichtungen, möglichen Signalwirkung der Thürin- Bibliothek oder erhält so wenig Mittel, derlichen Fachliteratur zu versorgen. Mit dem vorhandenen Personal- und die viele Menschen erreichen, sind. Als ger Bibliotheksgesetzgebung geben dass „es zum Leben nicht reicht, aber Die Bibliotheksetats werden von den Sachkostenetat soll also die zusätzliche Lösung wurde vorgeschlagen, ähnlich im Folgenden: Olaf Zimmermann, zum Sterben zu viel ist“ und sie daher Abonnements fast aufgefressen. neue Aufgabe geleistet werden. Wie anderen Ländern in Europa ein Bundes- Geschäftsführer des Deutschen Kul- auf Dauer unattraktiv wird. Daraus den Schluss zu ziehen, dass dieses gehen soll, darüber schweigt bibliotheksgesetz zu schaffen, in dem turrates und ehemaliges Mitglied Dass von der Enquete-Kommissi- nun die Bibliotheken das elektronische sich der Entwurf aus. Der Entwurf des Bibliotheken als Pflichtaufgabe der öf- der Enquete-Kommission „Kultur in on empfohlen wurde, den Unterhalt Publizieren übernehmen sollen, heißt Thüringer Bibliotheksgesetzes, der die fentlichen Hand verankert werden. Die Deutschland“, Gabriele Beger, Vorsit- von Bibliotheken als Pflichtaufgabe aber das Kind mit dem Bade auszu- Grundlage der nunmehr folgenden Enquete-Kommission konnte sich zwar zende des Deutschen Bibliotheksver- festzulegen, war daher kein Zufall, son- schütten. Auch wenn die DFG in ihrem parlamentarischen Beratungen sein nicht dazu entschließen, ein Bundes- bands, Frank Simon-Ritz, Vorsitzender dern eine bewusste Entscheidung. Zuwendungsbescheiden offenbar, wie wird, ist auch in dieser Hinsicht noch bibliotheksgesetz zu fordern, empfiehlt des Deutschen Bibliotheksverbands- Ebenso bewusst ist – aller Wahr- im Thüringer Bibliotheksrechtsgesetz verbesserungsbedürftig. aber den Ländern Bibliotheksgesetze zu Landesverband Thüringen, Thomas scheinlichkeit nach – die Entscheidung ausgeführt, bereits vorschreibt, dass Positiv hervorzuheben ist, dass verabschieden, in denen die Aufgaben Sternberg, Kulturpolitischer Sprecher der Thüringer Landtagsfraktion gegen von ihr geförderte wissenschaftliche aus der Mitte des Landtags die Initi- und die Finanzierung von öffentlichen der CDU-Fraktion im Landtag NRW die Festlegung der Pflichtaufgabe Publikationen kostenlos zugänglich ative zum Bibliotheksgesetz kommt Bibliotheken als Pflichtaufgabe geregelt und ehemaliges Mitglied der Enquete- „Öffentliche Bibliothek“ in einem gemacht werden müssen. Das heißt und damit die Landtagsfraktionen werden. Als Alternative zu den Biblio- Kommission „Kultur in Deutschland“, Landesgesetz. Es werden zwar die aber nichts anderes, als das staatlich von ihrem vornehmsten Recht, Kul- theksgesetzen der Ländern schlägt die Jörg Schwäblein, Kulturpolitischer Aufgaben für öffentliche Bibliotheken verordnete Ende deutscher wissen- turpolitik zu gestalten, offensiv Ge- Enquete-Kommission die rechtliche Sprecher der CDU-Fraktion im Thü- beschrieben, bei der Finanzierung schaftlicher Fachverlage. International brauch machen. Das sollte anste- Absicherung der Bibliotheken durch ringer Landtag, Birgit Klaubert, Kul- bleibt aber alles beim Alten. Es wurde arbeitende Wissenschaftler werden ckend wirken. einen länderübergreifenden Staats- turpolitische Sprecherin der Fraktion damit eine Chance für Thüringen ver- nach wie vor Wert darauf legen, ihre vertrag vor. Die Linke im Thüringer Landtag und tan – und darüber hinaus auch für die Ergebnisse in den international zu Der Verfasser ist Geschäftsführer Hans-Jürgen Döring, Kulturpolitischer anderen Länder. Denn eines ist klar, beziehenden Fachzeitschriften zu pu- des Deutschen Kulturrates und Die Fraktionen des Thüringer Landtags Sprecher der SPD-Fraktion im Thürin- die Thüringer Bibliotheksgesetzge- blizieren. Von kostenlos zugänglichen gehörte der inzwischen abgeschlos- haben als erste die Empfehlung der ger Landtag. bung wird eine Signalwirkung haben. elektronischen Publikationen wären senen Enquete-Kommission des Enquete-Kommission aufgenommen. Die anderen Länder werden sich ge- damit in erster Linie Fachbuchverlage Deutschen Bundestags „Kultur in Die Opposionsfraktionen Die Linke Die Redaktion nau anschauen, was in Thüringen auf sowie Verlage, die deutschsprachige Deutschland“ in der 15. und 16. den Weg gebracht wurde und werden Fachzeitschriften verlegen, betroffen. Legislaturperiode an. Bibliotheksgesetz Thüringen politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 

Bibliotheksgesetze auf der politischen Agenda Pflichtaufgabe der öffentlichen Hand: die Bibliotheken • Von Gabriele Beger 24. Oktober 2007 der Bundespräsi- und Wissensgesellschaft angepasst Diesem Anliegen kommen beide Ge- leider mit einem modernen, jedoch Wer ernsthaft eine leistungsstarke, dent Horst Köhler fordert anlässlich werden. Diesen Ansatz gilt es noch setzentwürfe in einem positiven Ansatz zahnlosen Tiger zu tun haben. Den- innovative Bibliothekslandschaft in seiner Rede zur Wiedereröffnung der nach Deutschland zu tragen. Wir, nach. Während der Entwurf der Frak- noch war es diese Fraktion, die dem seinem Bundesland etablieren will, Anna Amalien Bibliothek in Weimar die Bibliotheksvertreter sind opti- tionen Die Linke/SPD sehr detailliert Vertreter des Thüringer Städte- und weil ihm Bildung und Wettbewerbs- „Bibliotheken gehören auf die poli- mistisch, denn die ersten beiden die Aufgaben von wissenschaftlichen Gemeindetages abgerungen hat, dass fähigkeit für alle in seinem Land, tische Tagesordnung“ – 12. Dezem- konkreten Entwürfe zu einem Bibli- und Öffentlichen Bibliotheken, auch man sich über Mischfinanzierungen seiner Stadt, seiner Gemeinde ein ber 2007 die Enquete-Kommission otheksgesetz zeigen sehr deutlich, in Bezug auf Bildung und Gesellschaft zwischen Land und Kommunen ver- elementares Anliegen ist, so muss die des Deutschen Bundestages „Kultur dass Bibliotheken in unserem Land beschreibt und die Finanzierung der ständigen muss, soll das Gesetz mit Finanzierung und die Standortfrage in Deutschland“ empfiehlt den „Län- als Bildungseinrichtungen anerkannt daraus erwachsenen Bibliotheks- Leben erfüllt werden. Eine Praxis die von Bibliotheken sowie die Weiter- dern, Aufgaben und Finanzierung der sind, weil sie das verfassungsgemäße dienstleistungen nach Maßgabe des in Dänemark, Finnland und Großbri- entwicklung verbindlich geregelt öffentlichen Bibliotheken in Biblio- Grundrecht auf Informations- und Haushalts einfordert, geht der CDU tannien erfolgreich angewandt wird. werden. Davon sind leider beide theksgesetzen zu regeln. Öffentliche Meinungsbildungsfreiheit für alle Entwurf mit seiner Beschreibung klar Das Land fördert innovative Projekte, Thüringer Gesetzentwürfe noch weit Bibliotheken sollen keine freiwillige Altersgruppen und jeden Bürger und auf den Bildungsauftrag und sogar Kooperationen, Infrastrukturfragen so- entfernt. Aufgabe sein, sondern eine Pflicht- jede Bürgerin gewährleisten. Vor- auf zurzeit innovative Ansätze des wie Baumaßnahmen. Die Kommunen aufgabe werden.“ – 29.Mai 2008 bildhafte Bibliotheksgesetze regeln elektronischen Publizierens und der bestreiten den Unterhalt des Regelbe- Die Verfasserin ist Vorsitzende des die erste öffentliche Anhörung findet deshalb in erster Linie, die Pflicht Digitalisierung ein. Jedoch fehlt es triebs. Wenn dies Eingang in das Thü- Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. zu zwei Bibliotheksgesetzen im Thü- zur Bibliotheksdienstleistung und diesem Entwurf ganz besonders an ringer Gesetz findet, dann wäre hier und Direktorin der Staats- und Uni- ringer Landtages im Ausschuss für das Recht auf Zugang zu Information der Verbindlichkeit von Finanzierung durchaus ein Modell erreicht, das sich versitätsbibliothek Carl von Kultur uns Wissenschaft statt. Eine und Wissen. und Standortfragen, so dass wir es hier lohnt, in andere Länder zu tragen. Ossietzky, Hamburg. Zeitschiene, die sich sehen lassen kann. Grund zum Jubel in der biblio- thekarischen und kulturpolitischen Öffentlichkeit? Ausstrahlung über Thüringen hinaus a und Nein! Ja, weil die Biblio- Zur Anhörung für das Bibliotheksgesetz im Wissenschaftsausschuss des Thüringer Landtags • Von Frank Simon-Ritz J theken tatsächlich auf der poli- tischen Tagesordnung stehen. In Insgesamt 22 Institutionen und vielen Bundesländern hat eine kons- Organisationen standen auf der truktive Beratung und Diskussion Einladungsliste des Thüringer Land- um die verbindliche Etablierung und tags für die Anhörung zu den kon- Entwicklung einer leistungsstarken kurrierenden Entwürfen für ein Bibliothekslandschaft begonnen. Thüringer Bibliotheksgesetz, die Ganz konkret diskutieren Bibliothe- dem Wissenschaftsausschuss zur kare und Parlamentarier in Sachsen, Beratung vorliegen. Sachsen Anhalt, Nordrhein-Westfa- len, Mecklenburg-Vorpommern und nd 17 der angeschriebenen in Thüringen über Bibliothekentwick- U Einrichtungen haben tatsäch- lungspläne und Bibliotheksgesetze. lich einen Vertreter zu der Anhörung Allein das Land Thüringen kann auf entsandt, die am 29. Mai im Plenar- ganz konkrete Gesetzentwürfe zu saal des Landtags stattfand. Damit einem Bibliotheksgesetz verweisen. konnte man noch vor Beginn als Entsprechend aufmerksam verfolgt erstes Ergebnis festhalten, dass diese die Berufsöffentlichkeit diesen Pro- Veranstaltung auf eine ungewöhn- zess, denn da sind sich Bibliothekare lich große Resonanz stieß. Schon und Politiker einig, dieses Ergebnis die Zusammensetzung des Podiums wird Modellcharakter haben. Ein reichte weit über Thüringen hinaus. Blick in den Thüringer Landtag am Zu den Vortragenden gehörte die 29. Mai aber lässt sehr deutlich wer- Generaldirektorin der Deutschen den, die Stellung und Bedeutung von Nationalbibliothek, Elisabeth Nigge- Bibliotheken für die Bildung sieht mann, genauso wie die Vorsitzende jeder, zweifelt niemand an, aber den des Deutschen Bibliotheksverbands, Schritt, diese auch zur Pflichtaufgabe Gabriele Beger (Staats- und Univer- des Landes, der Städte und Gemeinde sitätsbibliothek Hamburg). Auch zu erklären, wird gescheut. Daran der Geschäftsführer des Deutschen kranken die beiden vorgelegten Kulturrats, Olaf Zimmermann, hatte Gesetzentwürfe. Versteckt in der sein Kommen ermöglicht und schon Gesetzesbegründung erklärt der damit zum Ausdruck gebracht, dass Entwurf der Fraktionen Die Linke und dieser 29.5. auch in kulturpolitischer der SPD, dass die Unterhaltung einer Hinsicht ein Schlüsseltermin zu Bibliothek im Rahmen der „freiwilli- werden versprach. Aber auch die gen Leistungen“ der Kommune erfüllt Thüringer Bibliotheks- und Kultur- werden soll. Die Fraktion CDU nennt prominenz war gut vertreten. So war diesen Fakt beim Namen und schreibt beispielsweise der Direktor der Wei- Fassade der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in restauriertem Zustand, Juli 2007. © Klassik Stiftung Weimar in explizit in den Gesetzestext, keine marer Herzogin Anna Amalia Biblio- Pflichtaufgabe: sondern freiwillige thek, Michael Knoche, der Einladung Eine vermittelnde Position vertritt Gesetzentwürfe dafür, möglichst viele dende Thüringer Bibliotheksgesetz Leistung. Deshalb auch Nein zum genauso gefolgt wie der Schriftsteller in dieser Frage die „Kulturinitiative „Verpflichtungselemente“ und Stan- tatsächlich Modellcharakter bean- Jubel. Matthias Biskupek, der den Thüringer Thüringen“, die durch André Störr dardfestsetzungen aus dem Opposi- spruchen könnte. Und an die Adresse Zur Definition der Pflichtaufgabe Literaturrat vertrat. vertreten wurde. Störr plädierte dafür, tionsentwurf in den CDU-Entwurf zu der Kulturpolitiker der Thüringer gehört vor allem die Zugänglichkeit die grundsätzliche Regelung nicht übernehmen. CDU gerichtet formulierte er: „Sie einer Bibliothek im Territorium der Keine einheitliche Auffas- aus der Perspektive der Bibliotheken, Eine vermittelnde Position nahm setzen zu einem Sprung an – aber sie betreffenden Kommune. Die Pflicht sondern aus der Perspektive der Nut- auch der Geschäftsführer des Deut- springen nicht wirklich.“ zum Betrieb und zur Unterhaltung sung zur Pflichtaufgabe zer zu treffen. Dieser Aspekt sollte schen Kulturrats, Olaf Zimmermann, In eine ähnliche Richtung ging (Standort und Finanzierung) einer Eines der Kernprobleme in vielen dadurch unterstrichen werden, dass ein. Wenn es schon nicht gelingen auch die Argumentation des Thürin- Bibliothek wagt niemand den Kom- der Stellungnahmen zu den vor- „ein Anspruch des Einzelnen auf Zu- kann, die Pflichtaufgabe im voraus- ger sowie des Deutschen Bibliotheks- munen, ins Buch zu schreiben. Der liegenden Gesetzentwürfen war gang zu einer sachgemäß ausgestat- sichtlich ersten Landesbibliotheks- verbands. Insbesondere im Hinblick Bibliotheksverband regt hingegen die Frage, ob es gelingen kann, die ten allgemeinen Bibliothek in seiner gesetz in Deutschland zu verankern, auf den CDU-Entwurf, der aufgrund an, dass der Standard Zugänglichkeit Öffentlichen Bibliotheken in dem Nähe“ im Gesetz verankert werde. dann sollte man dafür zumindest der Mehrheitsverhältnisse im Thürin- in überregionalen Bibliotheksplänen Gesetz als Pflichtaufgabe der Städte Mit großem Interesse wurden hier nicht in die drastischen Formulie- ger Landtag die Grundlage der wei- definiert werden muss, die Finanzie- und Gemeinden zu verankern. Hier die Aussagen von zwei Mitgliedern rungen des CDU-Entwurfs verfallen, teren Beratungen bilden wird, wird rung jedoch im Gesetz verbindlich klafften die Positionen am weitesten der Enquete-Kommission „Kultur in dem die Öffentlichen Bibliotheken deutlicher Nachbesserungsbedarf auszugestalten ist. Denn oft macht auseinander. Die Vertreter der kom- in Deutschland“ des Deutschen ausdrücklich in ihrem Status als „frei- gesehen. Aus der Sicht des Thüringer es Sinn, dass kleine Gemeinden sich munalen Spitzenverbände auf Lan- Bundestags erwartet, die ganz am willige Aufgaben“ festgeschrieben Verbands, den der Unterzeichner eine leistungsstarke Bibliothek teilen. desebene – also des Gemeinde- und Ende der Anhörung standen. Thomas werden. vertreten durfte, sind insbesondere Bibliotheksgesetze und Bibliotheks­ Städtebunds und des Landkreistags Sternberg, kulturpolitischer Sprecher die Aussagen des CDU-Entwurfs entwicklungspläne müssen sich – machten sehr deutlich, dass sie der CDU-Fraktion im nordrhein- Kulturpolitik für die ganze zur Finanzierung der Öffentlichen ergänzen, sowie es in europäischen dem Begriff „Pflichtaufgabe“ im Au- westfälischen Landtag, erklärte sehr Bibliotheken nicht ausreichend. Da Staaten mit einem hervorragend genblick ähnlich begegnen wie der deutlich, dass er die Forderung, Republik eine entsprechende Zweckbindung entwickelten Bibliothekswesen be- Teufel bekanntlich dem Weihwasser. Bibliotheken zur Pflichtaufgabe zu Besonders deutlich machte Zim- im Rahmen des Kommunalen Fi- reits vorgelebt wird. In Dänemark, Demgegenüber hielt insbesondere erklären – auch wenn der Schluss- mermann, dass die Debatten über nanzausgleichs im Doppelhaushalt Finnland und Großbritannien hat der Berufsverband BIB an der Forde- bericht der Enquete-Kommission ein Bibliotheksgesetz in Thüringen 2008/09 erstmals herausgefallen keine Kommune Probleme mit der rung nach der Pflichtaufgabe fest. In diese Forderung enthält – derzeit in Bedeutung für ganz Deutschland ist, hält es der Verband nicht für Pflichtaufgabe im Bibliotheksgesetz. Vertretung der Bundesvorsitzenden Deutschland nicht für durchsetzbar haben. Und er sieht diese Konse- hilfreich, wenn der Gesetzentwurf Weil dort die zum Funktionieren Susanne Riedel erklärte Barbara hält. Wenn ein Land ein entspre- quenzen nicht nur im Hinblick auf hier ausdrücklich besagt, dass der eines Gesetzes notwendigen Stan- Jokisch, die Vorsitzende der Landes- chendes Gesetz verabschiede, wür- die Bibliotheken in anderen Bundes- Landesanteil an der Finanzierung der dards gemeinsam mit den Biblio- gruppe Thüringen: „Die Trägerschaft de das „Konnexitätsprinzip“ gelten ländern sondern auch im Hinblick Öffentlichen Bibliotheken „durch die thekaren fortwährend evaluiert und öffentlicher Bibliotheken muss des- – und dann müsste das Land auch für auf andere Kultureinrichtungen, die Zuweisungen für freiwillige Leistun- in Richtlinien und Bibliotheksent- halb als Pflichtaufgabe, wie von der diese neue Pflichtaufgabe finanziell vor ähnlichen Fragen stehen wie die wicklungsplänen definiert und den Enquetekommission empfohlen, gerade stehen. Trotzdem plädierte Bibliotheken. Gerade deshalb sei es Weiter auf Seite 8 Anforderungen der Informations- formuliert werden.“ Sternberg im Hinblick auf die beiden so wichtig, dass das zu verabschie- Bibliotheksgesetz Thüringen politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 

Der Unterhalt von Bibliotheken als Pflichtaufgabe? Zu den Thüringer Gesetzentwürfen für ein Bibliotheksgesetz • Von Thomas Sternberg Am 29. Mai fand im Thüringer Land- Tradition der Freiwilligkeit – die tag in Erfurt eine Anhörung zu zwei angesichts hoher Kulturausgaben Anträgen statt, die sich mit einem in Haushaltssicherungskommunen Bibliotheksgesetz beschäftigten. Die offensichtlich nicht so freiwillig ein- zeitliche Nähe zum Abschluss der geschätzt wird – hinausgehen. Enquete-Kommission des Deutschen Beide Entwürfe, die dem Thürin- Bundestages „Kultur in Deutschland“, gischen Landtag vorlagen, bekräf- die den Ländern Bibliotheksgesetze tigen die Finanzierung der Biblio- empfohlen hatte, gibt den Entwürfen theken durch ihre Träger als deren eine besondere Beachtung und Be- freiwillige Leistungen. Sie gewinnen deutung, obwohl die Überlegungen ihre Brisanz vor dem Hintergrund in Thüringen schon bis in das Jahr eines durchaus umfassenden Bücher­ 2005 zurück reichen. Die Enquete- eisterbens in den letzten Jahren. Im Kommission hatte sich in ihrem ent- Entwurf der Links-/SPD-Fraktionen sprechenden Abschnitt keineswegs für ein Bibliotheksgesetz überrascht allein auf die Forderung nach solchen diese dezidierte Interpretation des gesetzlichen Regelungen beschränkt, § 9 besonders, ist doch der sonstige aber die Debatte fokussiert auf diese Text an mehreren Stellen auf Pflich- Frage. Denn es geht darum, ob hier ein tigkeit hin angelegt (§ 1,2; § 3,1 u.3; Feld der Kulturförderung liegt, das § 4,2; § 7,1). Der Text argumentiert zur Umwandlung von einer „freiwilli- aus dem unglücklichen Begriff der gen Leistung“ in eine Pflichtaufgabe „Grundversorgung“ (§ 3,1; 6,2). Der taugt. Grund für diese Inkonsequenz liegt in der Genese des Textes, der zunächst ie Frage nach der Möglichkeit eine Formulierung des Bibliotheks- D der Überführung der Kulturför- verbandes Thüringen war und nach derung in eine Pflichtaufgabe war ein Debatten in allen Fraktionen von der wichtiger Untersuchungsgegenstand Opposition übernommen wurde, der Enquète gewesen. Nicht zuletzt allerdings nicht ohne diesen spezi- aus der Überlegung, mit der Festle- fischen Punkt abzuschwächen, was gung auf eine „Grundversorgung“ wohl nicht zuletzt aus Sorge vor den könnten sich Standards auf einem Folgen geschieht, die aus sich aus möglichst tiefen Level ergeben und der Konnexitätsforderung für den die hohen Leistungen der Städte Landeshaushalt ergeben können. In nivelliert werden, wurden diese der Anhörung in Erfurt wurde hier ein Erwägungen schon früh als wenig Wert von mindestens 19 Millionen € praktikabel abgetan. Was bleibt ist für den kleinen Freistaat genannt. Stadtbibliothek der Stadt Nordhausen in Thüringen. Foto: Stadt Nordhausen die Forderung, wenigstens die in fast Dem von der Regierungsfrak- allen Landesverfassungen geltende tion eingebrachte Entwurf eines des neuen Thüringer Gesetzes wird als eine Sache der Landesförderung Optimierung, Koordinationsstellen kulturelle Schutz- und Förderaufgabe Biblioteksrechtsgesetzes merkt man in der Definition der Bibliotheken angesehen. Dies muss sich allerdings und Qualifizierungseinrichtungen des Staates als ein, den Naturschutz die juristische Handschrift deut- liegen. Sie werden als Bildungsein- auch in einer finanziellen Beteiligung zu einer Qualitätsverbesserung un- notwendigerweise ergänzendes lich an. Es handelt sich um ein sehr richtungen klassifiziert, die öffent- an dieser Aufgabe spiegeln. Nach einer terhalb der fixen Normierung kom- Staatsziel in Grundgesetz aufzuneh- knapp formuliertes Artikelgesetz, liche zugänglich und im Bereich der Phase der Reduktion auf nur noch men? Gerade für den freien Bereich men. das dennoch eher mehr leistet: eine Einrichtung unentgeltlich nutzbar 400.000 € in den Jahren 2004/5 haben scheinen eher finanzielle Anreize als In der Handlungsempfehlung für Reihe von Regelungen in anderen sind. Funktionen einer Landesfach- Parlament und Landesregierung die die Einbeziehung in eine Pflichtigkeit Bibliotheken wurde der Wunsch nach Gesetzen – vor allem Archiv- und stelle und einer Landesbibliothek Beträge inzwischen wieder auf 1,4 der Kommunen angemessen zu sein. einer verpflichtenden kommunalen Pressegesetz – werden aufgegriffen werden definiert – wiewohl dies nicht Millionen € mehr als verdreifacht. In Nordrhein-Westfalen mit seinen Aufgabe dennoch deutlich formu- und auch aus neuen Veränderungen unstrittig in Thüringen ist. Gemein- In Nordrhein-Westfalen sind aktuell ca. 2000 öffentlichen Büchereien, von liert. Auch wenn man den Charakter der Bibliothekslandschaft werden debibliotheken über Behörden- und eine ganze Reihe von Regelungen denen ca. 300 hauptamtlich geführt von Kulturausgaben immer auch in Konsequenzen gezogen. Besonders Schulbüchereien bis zu ehrenamt- um das Thema Bibliothek zu treffen werden, haben wir diese Fragen auf einem Überschuss über das Notwe- Fragen neuer Funktionen, der Digita- lichen Büchereien werden genannt. – ein Bibliotheksgesetz kann deshalb unsere Agenda gesetzt. nige sehen wird, bleiben im Blick auf lisierung, der Internetpublikationen Gerade die Letztgenannten könnten durchaus sinnvoll sein. Ob es zu einem Aus der schrecklichen Erfahrung die Felder der kulturellen Bildung und deren Pflichtabgabe werden einen besonderen Fortschritt dar- Gesetz oder zu anders gearteten Re- des Brandes der Anna-Amalia-Bibli- andere Prinzipien leitend: Wenn behandelt. Der kurze Text will dem stellen. Von den 272 öffentlichen gelungen kommen wird, werden die othek in Weimar sind in Erfurt die Büchereien wie auch Musikschulen Prinzip einer „normsparenden Ge- Büchereien des Freistaates sind etwa parlamentarischen Diskussionen der Überlegungen für ein Bibliotheks- wichtige Bereiche der Bildung sind, setzgebung“ entsprechen, die auf 100 hauptamtlich geführt. kommenden Monate zeigen. gesetz entstanden. Der Freistaat, dann scheint eine Verpflichtung Detailregelungen verzichtet und Wenn man ehrenamtliche Bi- Eine entscheidende Frage für eine zu dem Weimar gehört, ist wohl ein durchaus sinnvoll zu sein. Dies, zu- dennoch eine Fülle untergesetzlicher bliotheken mit in die gesetzliche Bibliotheksgesetzgebung in allen geeigneter Ort um Ausgangspunkt für mal sich in anderen europäischen Regelungen und ein flexibles Ein- Definition aufnimmt und damit auch Ländern wird sein, ob unbedingt eine Debatte zu sein, die das Biblio- Ländern durchaus Beispiele nennen gehen auf neue Entwicklungen er- eine Förderfähigkeit begründet, stellt die Pflichtaufgabe normiert werden thekswesen auf eine besser gesicherte lassen, die weit über die deutsche möglicht. Ein entscheidender Schritt sich die Frage nach Kriterien für eine muss. Für eine sehr eindeutige, über Basis stellt. Das im September zu solche Anerkennung. Es müssen die Konnexität auf die Etats rückwir- erwartende Bibliotheksrechtsgesetz Standards festegelegt werden, die kende Regelung, besteht im Moment in Thüringen ist jedenfalls ein wich- eine ehrenamtlich geführte Bücher­ in kaum einem Land eine realistische tiger Beitrag für die Entwicklung ei zuwendungsfähig machen. Der Chance. Wenn man eine Bibliotheks- gesetzlicher Regelungen in ganz Oppositionsantrag gibt hierfür be- gesetzgebung unterhalb der Pflicht- Deutschland. politik & kultur DOSSIER reits Hinweise, die aber nicht in den aufgabe betreibt, lohnt ein Blick auf Gesetzestext aufgenommen werden das Thüringer Gesetzesverfahren. Der Verfasser ist kulturpolitischer müssen. Vor allem Öffnungszeiten, Eine eigens formulierte Freiwilligkeit Sprecher der CDU-Fraktion im Medienbestand und -erneuerung ist ebenso wenig erforderlich wie der Landtag von Nordrhein-Westfalen Verwertungsgesellschaften sowie die Aus- und Fortbildung der Ausschluss jeder Pflichtigkeit. Wie und gehörte der Enquete-Kommissi- dort Tätigen können in Verordnungen kann man über Förderprogramme, on des Deutschen Bundestags „Kul- zum Gesetz geregelt werden. Bibliothekspläne, organisatorische tur in Deutschland“ an Auf 32 Zeitungsseiten wird im ausführlichen puk-Dossier die Die zielgenaue Förderung der Arbeit der Verwertungsgesellschaften GEMA, GVL, VG BILD- Bibliotheken durch den Freistaat ist KUNST und VG WORT vorgestellt und beleuchtet. durch ein Urteil des Thüringer Verfas- die Mittel, die von den eigentlichen sungsgerichts erschwert worden: die Fortsetzung von Seite 7 Unterhaltsträgern zur Verfügung Außerdem werden die Perspektiven der künftigen Arbeit früher zweckgebunden an die Kom- gestellt werden, in gleicher Höhe der Verwertungsgesellschaft diskutiert. Hierbei kommen munen überwiesenen 350.000 € für gen im Rahmen des Kommunalen beistellen würde (Komplementär- Abgeordnete des Deutschen Bundestags und Wissenschaftler deren Büchereien müssen seitdem Finanzausgleichs abgegolten“ sei. prinzip). in den allgemeinen kommunalen Fi- Wenn ein Landesgesetz aus Sicht der Die Bundesvorsitzende des DBV, zu Wort. Themen sind hier unter anderem: die Aufsicht über nanzausgleich eingebunden werden. Thüringer Bibliotheksvertreter Sinn Gabriele Beger, sprach die Empfehlung die Verwertungs- gesellschaften und die Frage wie mit DRM- Dem Wegfall dieser Zweckbindung machen soll, muss es einen erkenn- aus, eine künftige Bibliotheksentwick- Systemen umgegangen werden soll. ist auch die unmotivierte Nennung baren Landesanteil an der Finanzie- lungsplanung für Thüringen im Lan- genau dieser Summe als Kosten auf rung der Öffentlichen Bibliotheken desbibliotheksgesetz zu verankern. dem Deckblatt des Oppositionsan- festschreiben. Nach der Anhörung bleibt die Das puk-Dossier Verwertungsgesellschaften trags geschuldet. Bibliotheksförder- Sehr interessant war in diesem Frage spannend, in welchem Maß kann unter http://www.kulturrat.de/dossiers/ programme sind nicht unbedingt an Zusammenhang ein Vorschlag, den die CDU in Thüringen bereit ist, über verwertungsgesellschaften.pdf kostenlos in Internet ein Gesetz gebunden – allerdings sind der Thüringer Gemeinde- und Städ- Änderungen an ihrem Gesetzentwurf sie in einem solchen Falle von den tebund unterbreitete. Danach sollte zu sprechen. Eine mögliche Zustim- als pdf-Datei geladen werden. Zufälligkeiten aktueller Haushaltser- sich das Land dadurch dauerhaft an mung der meisten Bibliotheksvertre- wägungen besser entzogen. der Finanzierung beteiligen, dass es ter wird genau von dieser Bereitschaft Als Printausgabe (32 Seiten, Zeitungsformat) ist das Dossier In Nordrhein-Westfalen, wo seit im Etat des Kultusministeriums – und abhängen. gegen Voreinsendung von 1,44 Euro Portokosten in Briefmarken dem 11. Juni durch den Kulturaus- nicht im Kommunalen Finanzaus- schuss des Landtags ein Auftrag an gleich – eine Summe zur Förderung Der Verfasser ist Vorsitzender des beim Deutschen Kulturrat, Chausseestraße 103, 10115 die Landesregierung zu einer grund- des Bestandsaktualisierung in Öffent- Deutschen Bibliotheksverbands, Berlin beziehbar. sätzlichen Analyse des Themas Bi- lichen Bibliotheken einstelle. Um ein Landesverband Thüringen und Di- bliotheken erfolgt ist, werden die „Anreizsysten“ zu schaffen, könnte rektor der Bibliothek der Bauhaus- kommunalen Bibliotheken wieder dies so funktionieren, dass das Land Universität Weimar Bibliotheksgesetz Thüringen politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 

Brücken schlagen in die Zukunft Neues Bibliotheksgesetz: Der Freistaat Thüringen als Vorreiter • Von Jörg Schwäblein Der Staat habe „[...] das Recht Entwürfe zur Diskussion. Dass der Die zweite Prämisse ist untrenn- der Aufbau digitaler Bibliotheken als an, so ist das angesichts der gegen- und die Pflicht, über die Benützung Einladung zur Anhörung nicht nur bar mit der ersten verbunden. Der Aufgabe wissenschaftlicher Biblio- wärtigen Haushaltslage nicht zu und Verwaltung aller öffentlichen Sachverständige des regionalen Bi- freie Zugang zu Informationen bil- theken benannt werden. Auch der schultern. Bei niedrigeren Standard- Bibliotheken im Lande (sie mögen bliothekswesens sondern Vertreter det die Voraussetzung dafür, dass bewusst medienneutral formulierte definitionen riskiert man dagegen, Universitäten, Gemeinden oder bundesweit agierender Kulturinstitu- Bibliotheken ihrem Bildungsauftrag Sammelauftrag ist den Entwicklun- dass Gemeinden, die künftig nach- andern Corporationen und Institu- tionen wie dem Deutschen Kulturrat, gerecht werden können. All das, was gen des digitalen Zeitalters geschul- weisbar nicht verpflichtet sind, sich ten angehören) zu wachen und zu der Deutschen Nationalbibliothek, mit öffentlichem Geld im Bereich der det. aus der bisher freiwillig getragenen verfügen, um einem gegenwärtigem des Deutschen Bibliotheksverbandes Bibliotheken hergestellt wurde, soll Entlang der Prämissen Bildungs- Verantwortung verabschieden. Wer- Mangel an Geistes-Nahrung abzu- oder der Enquete-Kommission „Kul- auch öffentlichen Zugang erfahren. auftrag und freier Zugang ist ein den die Einrichtung und der Betrieb helfen, und einen künftigen zur ver- tur in Deutschland“ des Deutschen Deshalb wird im Gesetzentwurf eine schlanker Entwurf entstanden, der so der Bibliotheken zur kommunalen hüten“ (Schrettinger, M: Handbuch Bundestages folgten, verdeutlicht freie Lesesaalbenutzung nicht nur auch weiteren Entwicklungen offen Pflichtaufgabe, so muss das Land der Bibliothek-Wissenschaft, Wien die Tragweite des Unterfangens. Die der öffentlichen sondern auch der gegenübersteht und lange aktuell gemäß dem Konnexitätsprinzip die 1834, S. 152), so kann man es im Verabschiedung eines Bibliotheks- öffentlich geförderten Bibliotheken in bleiben wird. Unser Gesetzentwurf finanzielle Last alleine schultern. Dies Lesesaal der Herzogin-Anna-Amalia- gesetzes besitzt bundesweite Strahl- kirchlicher oder privater Trägerschaft geht dabei davon aus, dass jeder Trä- kann also sinnvoll letztlich nur im Bibliothek im „Handbuch der Biblio- kraft. Zentrales Anliegen der CDU- festgeschrieben. Die Hochschulbibli- ger Verantwortung für seinen Bereich Rahmen einer völligen Neuordnung thek-Wissenschaft“ von 1834 noch Fraktion im Thüringer Landtag ist es, otheken, die Gemeindebibliotheken hat. Die meisten Bibliotheken stehen der Finanzbeziehungen zwischen heute nachlesen. Das Exemplar war einen Gesetzentwurf mit Weitblick sind für jeden Bürger und jede Bür- in der Trägerschaft von Kommunen Bund, Ländern und Kommunen von dem schrecklichen Brand 170 vorzulegen. Aus der Erinnerung an gerin ebenso geöffnet wie auch die und Hochschulen, deren Autonomie erfolgen. Beim Bibliothekswesen Jahre nach Erscheinen des Werkes das kulturelle Erbe unserer Heimat als Behördenbibliotheken. zu respektieren ist. Diese Einstellung gilt nach unserer Auffassung wie in nicht betroffen. Der Brand ist für uns Wiege der Klassik wollen wir Brücken Im digitalen Zeitalter umfasst – das wurde auch im Rahmen der anderen Bereichen auch: Ein bewusst immer Mahnung, mit dem Kulturgut, schlagen in die Zukunft. der freie Zugang zu Informationen Anhörung deutlich – ist durchaus freiheitlicher Ansatz ermöglicht und das uns von unseren Altvorderen an- Daraus erwachsen zwei Grund- mehr als den Zugang zu Buchbe- nicht unumstritten. Im Gegensatz weckt im Zweifel Antriebskräfte, die vertraut wurde, verantwortungsvoll prämissen: Zum einen werden Biblio- ständen. Es gibt seit Jahrtausenden zu den Gesetzentwürfen der CDU- mit gesetzlichen Pflichten verfehlt umzugehen. theken erstmalig als Bildungseinrich- eine Fortentwicklung der Medien, Fraktion als auch der Fraktionen werden. tungen definiert, zum anderen wird auf denen das Wissen gespeichert von SPD und LINKE, in denen die Auch wenn in dieser Frage kein n Thüringen sollen daher die Bi- der Gedanke des freien Zugangs zu und transportiert wird. Nach der Freiwilligkeit der kommunalen Auf- Konsens herrscht, die Verabschiedung I bliotheken als Wissensspeicher Bibliotheken konsequent umgesetzt Entwicklung der Schrift und der gabe Bibliothek beibehalten wird, eines Bibliotheksgesetzes wird damit und institutionalisiertes Gedächtnis – beides Aspekte, die im Rahmen der Erfindung des Buchdrucks sind wir schlägt die Enquete-Kommission keineswegs obsolet. Es geht darum, ein eigenes rechtliches Fundament Anhörung besondere Würdigung er- mit der Entwicklung des Internets mit „Kultur in Deutschland“ in ihrem Zuständigkeiten zu definieren und erhalten. Der Freistaat ist das erste fuhren. Dass Bibliotheken Bildungs- einer dritten Revolution der Wissens- Abschlussbericht vor, die Einrichtung Stärken zu bündeln. Gemäß dem Land in der Bundesrepublik, das ein einrichtungen sind, darin waren sich vermittlung konfrontiert. Der freie und Unterhaltung von Bibliotheken „Handbuch der Bibliotheks-Wissen- solches Gesetz diskutiert. Wir stellen alle Anwesenden einig. Bibliotheken Zugang zum Informationsmedium zur kommunalen Pflichtaufgabe zu schaft“ von 1834 erfüllen Bibliotheken uns damit der besonderen Verantwor- bewahren das Gedächtnis unserer Internet ist ebenso von Bedeutung machen. Wir haben in Thüringen eine den Zweck der „möglichst leichte[n] tung, die gerade hier aus dem reichen Kultur, im Zeitalter der Wissensge- wie die Sammlung, Erschließung und regional unterschiedliche, insgesamt Befriedigung aller literarischen Be- kulturellen Erbe erwächst. Dass die sellschaft geben sie Orientierung in Bewahrung digitaler Publikationen. aber gute Versorgung mit öffentlichen dürfnisse“ (a.a.O., S. 1), dafür gilt es Definition rechtlicher Rahmenbe- der Informationsflut. Kompetenzen Der Aufgabe der Langzeitarchivie- Bibliotheken in kommunaler Träger- einen Rahmen zu setzen. Mit der De- dingungen einen notwendigen Weg zu vermitteln, um die grundlegende rung elektronischer Medien stellt sich schaft. Zu bedenken ist, wie sich eine finition der Bibliotheken als Bildungs- darstellt, um dieser Verantwortung Kulturtechnik des Lesens gewinn- derzeit die Deutsche Nationalbibli- Pflichtaufgabe in der aktuellen Biblio­ einrichtungen und der konsequenten gerecht zu werden, darin sind sich alle bringend und erkenntnisfördernd othek, sie braucht dazu starke Koo- thekslandschaft auswirkt. Es wäre zu Umsetzung des freien Zugangs setzt Fraktionen des Thüringer Landtags anwenden zu können, ist die zentrale perationspartner auf Länderebene definieren, was die Pflichtaufgabe das Thüringer Gesetzesvorhaben so einig. Sowohl die Fraktion der CDU Bildungsaufgabe der Bibliotheken. – auch dies wurde in der Anhörung umfassen soll (Größe, Umfang, Öff- bundesweit Akzente. als auch die Fraktionen der SPD und Dies nun in einem Gesetzestext zu im Thüringer Landtag deutlich. Der nungszeiten) und wer sie erfüllen der LINKEN haben parlamentarische verankern, ist mit handfesten Folgen Entwurf der CDU-Fraktion stellt sich muss. Auch die Einwohnerzahl, ab Der Verfasser ist Sprecher des Ar- Initiativen auf den Weg gebracht. verbunden: Die Begriffsbestimmung diesen Herausforderungen, indem der die Aufgabe zu erfüllen ist, wäre beitskreises Wissenschaft, Kunst und Bei der öffentlichen Anhörung am eröffnet die Beteiligung an bildungs- die Bereitstellung von Infrastruktur festzulegen. Legt man die in Thürin- Medien der CDU-Fraktion im 29. Mai 2008 standen so gleich zwei politischen Förderprogrammen. für elektronisches Publizieren und gen auffindbaren Höchststandards Thüringer Landtag Finanzielle Mitverantwortung gefordert „Die Leihbibliotheken studiere, wer den Geist des Volkes kennen lernen will.“ (Wilhelm Hauff) • Von Birgit Klaubert Thüringen wird ein Bibliotheksgesetz Kommunen immer dramatischer. für ein solches Gesetz, die Mehr- bekommen. Wie es aussehen wird, Das Land hat sich mit der Art der heiten schienen sich jedoch dagegen ist noch nicht endgültig vereinbart. Neuordnung des kommunalen zu sperren. Immer wieder fragte ich Was in diesem Gesetz stehen wird, Finanzausgleichs aus seiner Verant- nach, wie es weitergehen solle mit wird für die Bibliothekslandschaft wortung herausgemogelt. Das Ende unserem Entwurf. Er lagerte zunächst dieser Republik prägend sein. Am 29. der möglichen Zusammenlegungen unbearbeitet im Ausschuss. Mai 2008 fand zur Gesetzesberatung und Schließungen von kleineren Der Durchbruch kam nach der Vor- eine Anhörung des Ausschusses für Bibliotheken kann nur noch durch lage des Berichts der Enquete-Kom- Wissenschaft, Kunst und Medien zu ein Schutzgesetz gestoppt werden. mission des Deutschen Bundestags zwei Gesetzentwürfen statt. Die Aus- Wer die Bibliotheken in der Fläche „Kultur in Deutschland“. Die CDU- wertung der Anhörung soll noch vor erhalten möchte, muss dazu poli- Fraktion im Thüringer Landtag legte der Sommerpause erfolgen. tische Weichen stellen. im April 2008 ihren Gesetzentwurf 2. Thüringen als Land der Dichter für ein Bibliotheksrechtsgesetz vor. in Blick zurück zeigt, dass der Weg und Denker und Wiege der Weima- Es konnte erreicht werden, dass beide E dieses Gesetzes steinig war. Nach rer Klassik steht es gut zu Gesicht, vorliegenden Gesetze in einem öffent- langen Geburtswehen wurde der Ent- beispielgebend für andere Länder lichen Anhörungsverfahren bewertet wurf eines Thüringer Bibliotheksge- ein Bibliotheksgesetz auf den Weg wurden. Diese Entwicklung an sich ist setzes von den Fraktionen DIE LINKE zu bringen. Die Forderung wird nicht hoch genug einzuschätzen. und SPD im November 2007 in den inzwischen an unterschiedlichen Im Anhörungsverfahren wurde Thüringer Landtag eingebracht. Stellen erhoben und regierungs- deutlich, dass es an beiden Ge- Die Oppositionsfraktionen hat- seitig immer wieder abgelehnt. setzentwürfen Nachbesserungsbe- ten sich darauf verständigt, endlich Selbst Parteien, die in der Opposi- darf gibt. Der CDU-Entwurf wird die Initiative des Bibliotheksver- tion ein Bibliotheksgesetz forder- nach Wunsch der Mehrheitsfraktion bandes aufzugreifen, die Thüringer ten, haben die Konsequenz in der Beratungsgrundlage. Dabei sind wir Bibliotheken durch ein Gesetz zu Regierung nicht durchgehalten. als Fraktion DIE LINKE gern bereit, schützen. Wir standen in Thüringen 3. Der Bundespräsident Horst Köhler die positiven Ansätze des CDU-Ent- vor der abschließenden Beratung sprach in seiner Festrede zur Wie- wurfs zu würdigen. Unterstreichen zum Doppelhaushalt 2008/09. Die dereröffnung der Anna-Amalia-Bi- möchte ich dabei die Festschreibung früher zweckgebundenen Mittel des bliothek am 24. Oktober in Weimar der Bibliotheken als Bildungspartner Kommunalen Finanzausgleichs in von der Kulturnation Deutschland für lebenslanges Lernen. Höhe von 350 T Euro pro Jahr waren und seinen Bibliotheken als ganz Als zentrale Streitfrage stellt sich in der allgemeinen Finanzzuweisung „besonderen Orten“, die es für jedoch heraus, dass der beste Ge- an die Kommunen aufgegangen. nachkommende Generationen zu setzestext nichts taugt, wenn das Wir fanden, dass es hohe Zeit war, bewahren gilt. Bibliotheken seien Land nicht bereit ist, die finanzielle für die Bibliotheken Bedingungen das Gedächtnis der Menschheit Mitverantwortung zu übernehmen. zu schaffen, nach welchen sie ihren und in Thüringen schlägt das kul- Es reicht nicht aus, die öffentlichen Bildungsauftrag erfüllen können. turelle Herz Deutschlands. Wir oder besser allgemeinen Bibliotheken In der Landtagssitzung begründe- müssen dieses Erbe bewahren und mit dem Vermerk abzuspeisen, dass te ich den Entwurf des Gesetzes mit mehren. es keine weiteren Finanzen gibt und folgenden Argumenten: Es gelang, den Gesetzentwurf die Bibliotheken im Rahmen der frei- 1. Die finanzielle Ausstattung der eines Thüringer Bibliotheksgesetzes willigen Aufgabenerfüllung der Kom- Bibliotheken schrumpft seit Jahren. in den zuständigen Fachausschuss mune unterhalten werden müssen. Sind anfänglich noch bedeutende zu überweisen. Dabei blieb die Frage, Damit bleibt der CDU-Entwurf weit Mittel in den Umbau und die Verän- wann er in welcher Form bearbeitet derung der Thüringer Bibliotheken wird. In der regierungstragenden Weiter auf Seite 10 Neubau der Universitätsbibliothek Weimar, Einblick in die Benutzungsbereiche geflossen, wird die Situation in den Fraktion gab es durchaus Befürworter (Ansicht vom Südwesten). © Alexander Burzig Bibliotheksgesetz Thüringen politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 10

ausschusses eindrücklich ins Stamm- für jeweils 1.000 Einwohner eine Bibli- schaulich wurden im Anhörungsver- schließen, welches den Bibliotheken Fortsetzung von Seite 9 buch geschrieben. othekskraft. Hohen Wert legt das Land fahren positive Beispiele benannt. die Möglichkeit eröffnet, sich in der Die Defizite in der Thüringer Bi- auf die Ausbildung der Fachkräfte und Interessant ist, dass der Gemein- modernen Wissensgesellschaft ent- Artikel Klaubert bliothekslandschaft sind über Jahre die Ausstattung der Bibliotheken. In de -und Städtebund Thüringen inzwi- wickeln zu können. Dazu brauchen gewachsen. Gab es 1990 noch mehr als den dünn besiedelten Landesteilen schen einen Vorschlag unterbreitete, sie die finanzielle Unterstützung des hinter dem Votum der Enquete-Kom- 1.200 Bibliotheken in Thüringen, gibt sorgt das Land für die Ausstattung wie ein kooperatives Finanzierungs- Landes und der Kommunen. mission des Deutschen Bundestages es heute nur noch 272. Die Personal- mobiler Bibliotheken. In Bibliotheks- modell aussehen könnte: Das Land Jeder Einzelne sollte den Zugang „Kultur in Deutschland“ zurück. stellen verringerten sich seit 1996 um entwicklungsplänen wird strategisch und die Kommunen teilen sich die zu einer sachgemäß ausgestatteten Zunächst muss festgestellt und ca. 100 Stellen. Die Erwerbungsausga- für die Zukunft gearbeitet. Bibliothekskosten paritätisch. allgemeinen Bibliothek in seiner akzeptiert werden, dass viele Bibli- ben sind von früher 0,93 Euro auf 0,70 Die Enquete-Kommission des Im Laufe der Anhörung wurde Nähe haben – diese Aufforderung otheken mit Fachpersonal und Er- Euro gesunken. Thüringen rangiert, Deutschen Bundestags „Kultur in deutlich, dass mit dem Thüringer der Kulturinitiative Thüringen an werbungsbudgets am unteren Limit bezogen auf Erwerbungs- und Aktua- Deutschland“ wies in ihrem Ab- Bibliotheksgesetz ein Zeichen für die Politiker und Politikerinnen angelangt sind. Zudem kommt die lisierungsmöglichkeiten, auf den hin- schlussbericht darauf hin, dass in ganz Deutschland gesetzt wird. In un- muss sich in den Änderungsanträ- Notwendigkeit der laufenden tech- teren Plätzen in der Bundesrepublik. Deutschland noch viel Handlungsbe- serem kleinen Kulturland werden wir gen wiederfinden. Erst dann haben nischen Erneuerungen in den Biblio- Diese Angaben der Landesfachstelle darf besteht. Sie empfahl, Aufgaben Geschichte schreiben. Noch während wir ein beispielgebendes Thüringer theken, wenn sie den Ansprüchen der für Öffentliche Bibliotheken in Thü- und Finanzierung der öffentlichen der Anhörung signalisierte die CDU- Bibliotheksgesetz. Nutzer folgend moderne Lese- und ringen müssen wachrütteln. Bibliotheken in Bibliotheksgesetzen Fraktion, dass Thüringer Bibliotheken Informationsangebote unterbreiten Bei meinem jüngsten Besuch in zu regeln und dabei deren Unterhalt keine Pflichtaufgabe werden sollen. Die Verfasserin ist Sprecherin für wollen. Eine Bibliothek ist nicht nur Finnland wurde der Zusammenhang als Pflichtaufgabe festzuschreiben. Ein faires Bewertungsverfahren Kulturpolitik der Fraktion DIE LIN- ein abschließbarer Raum mit Büchern, von Bildungs- und Lesekompetenz In 23 von 27 europäischen Län- der Argumente der Sachverständigen KE und Vizepräsidentin des Thürin- wurde den Mitgliedern des Landtags- allerorten deutlich. In Finnland gibt es dern gibt es Bibliotheksgesetze. An- würde bedeuten, ein Gesetz zu be- ger Landtages Auf dem Weg zu einem Bibliotheksgesetz Bibliotheken: Fundamente jeder Wissensgesellschaft • Von Hans- Jürgen Döring Der Brand der Anna-Amalia-Biblio- thek in Weimar wirkte wie ein Fanal. Er führte nicht nur den Menschen in Thüringen vor Augen, welchen unschätzbaren Wert Bibliotheken als Speicherstätten des Wissens, der Kultur und der Bildung haben. Sie sind das unentbehrliche Fundament einer jeden Wissensgesellschaft. Als Kompetenz-, Dienstleistungs- und Kulturzentren ist es ihr Auftrag, allen Menschen Wissen und Kultur zugänglich und erfahrbar zu machen. Das, was Bibliotheken beherbergen, brauchen die Menschen auf dem Weg zu einem erfolgreichen Leben.

er Brand der Anna-Amalia-Bi- D bliothek war eine Katastrophe, gleichzeitig aber auch der Auslöser einer längst überfällig gewordenen politischen Debatte über die Situa- tion des Bibliothekswesens in Thü- ringen. Seit 1990 hat es hier einen regelrechten Schwelbrand gegeben, der sich immer mehr über die Fläche ausgebreitet hat. Von 1990 bis heute schrumpfte die Zahl der öffentlichen Bibliotheken auf ein Viertel ihres Bestandes. Von den ehemals 1.200 Büchereien im Land existieren noch 280, nur 80 davon werden hauptamt- lich betreut. Alle übrigen Büchereien obliegen den Ehrenamtlichen, de- ren Engagement nicht hoch genug Rokokosaal nach dem Brand 2004, 360°-Aufnahme. Foto: Torsten Hemke zu schätzen ist. Der Rückgang des Personals auf ein Drittel der Stellen Abbau der öffentlichen Bibliotheken an als auch im Hinblick auf die Erlan- Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg wäre immerhin ein erster Schritt auf und häufig damit einhergehend ein aufzuhalten. gung von Medienkompetenz bei den zu einem Thüringer Bibliotheksge- dem richtigen Weg. Mangel an notwendiger Fachkom- Auf Initiative und unter fach- Heranwachsenden. Die von der Kul- setz war die vom Wissenschafts- und Für die wissenschaftlichen Bibli- petenz in den Büchereien vor Ort, die kundiger und juristisch fundierter tusministerkonferenz verabschiede- Kunstausschuss des Landtags ver- otheken wurden die Bereitstellung stetige Reduzierung des Medienetats Begleitung des Thüringer Biblio- ten Bildungsstandards für allgemein anstaltete Anhörung zu den beiden einer geeigneten Infrastruktur für pro Einwohner sowie die Tatsache, theksverbandes, der bereits 2006 bildende Schulen fordern u.a. eine Entwürfen. Sie fand am 29.5.2008 mit das elektronische Publizieren sowie dass der Etat für den Neuerwerb von einen Gesetzentwurf für den Landtag aktive Vermittlung von Kenntnissen den in das Thema Bibliotheken invol- digitale Bibliotheken gefordert, um Medien immer weiter absinkt, haben vorbereitet hatte, legten die beiden der Mediennutzung in Bibliotheken. vierten Verbände und Institutionen den Studierenden und den Wissen- zur Folge, dass die Bibliotheken auch Oppositionsfraktionen SPD und Die Die Realisierung dieser Forderung der Landes- und Bundesebene statt. schaftlern optimale Bedingungen zu immer weniger in der Lage sind, ihre Linke im November 2007 den Entwurf ist ohne gut und sachgemäß ausge- Alle Anzuhörenden waren sich gewährleisten. ursächlichen Aufgaben zu erfüllen. eines Thüringer Bibliotheksgesetzes stattete Büchereien unmöglich und darin einig, dass eine positive Ent- Ich wünsche mir nach dieser Diese prekäre Situation der Thü- vor. In ihm ist eindeutig festgeschrie- kann nicht von der jeweiligen Haus- wicklung des Thüringer Bibliotheks- Anhörung zum Thüringer Biblio- ringer Bibliotheken wurde durch die ben, dass die Träger der öffentlichen haltslage der Kommunen bestimmt wesens ohne das finanzielle Engage- theksgesetz, dass die drei im Landtag immer massiver werdenden Mittel- Bibliotheken deren Finanzierung zu werden. Ein Bibliotheksgesetz muss ment des Freistaates außerhalb des vertretenen Fraktionen noch in dieser kürzungen des Landes in den voran- leisten haben, aber gleichzeitig auch Qualitätsstandards auch in dieser Kommunalen Finanzausgleiches Legislaturperiode ein Gesetz verab- gegangenen Jahren verursacht. Allein das Land außerhalb des Kommu- Hinsicht festschreiben. unmöglich ist. Von den kommunalen schieden, mit dem die Finanzierung von 2002 bis 2007 halbierten sich die nalen Finanzausgleichs zusätzliche Die Verabschiedung eines solchen Spitzenverbänden wurde ein so der Thüringer Bibliotheken auf eine Landesmittel für die Büchereien von finanzielle Mittel zum Erhalt und Gesetzes stärkt also die rechtliche genanntes „Kompensationsmodell“ stabile Grundlage gestellt wird. ehemals 728 000 Euro auf 350.000 zur Weiterentwicklung des Thüringer Stellung der öffentlichen Bibliotheken vorgestellt, das eine Kostenteilung Die Unterhaltung von Biblio- Euro. Der Landeshaushalt 2008/2009 Bibliothekswesens zur Verfügung und gibt ihnen den juristischen Stel- zwischen Land und Kommunen für theken ist keine „Dekoration“, die bringt sogar eine faktische Streichung stellen muss. lenwert, der ihnen aufgrund ihrer die notwendige Aktualisierung der man in Zeiten des Sparzwangs weg- der verbliebenen Mittel mit sich. Sie Eine solche gesetzliche Festle- Bildungsfunktion zukommt. Bibliotheksbestände vorsieht. Diese lassen kann, sondern eine notwen- fließen ohne Zweckbestimmung in gung nimmt das Land in die Pflicht Nach der „Brandrede“ des Bun- Option wird auch seitens meiner dige Ausgabe, damit jeder Bürger in den Kommunalen Finanzausgleich, zur Mitfinanzierung der Biblio- despräsidenten Horst Köhler und der Fraktion unterstützt. Viele Verbände der Lage ist, sich die immer kom- dessen Gesamtvolumen ohnehin theken, ohne die Kommunen aus darin enthaltenden Aufforderung, forderten, gesetzlich den Anspruch plexer werdende Welt erschließen sehr gering ist. Damit ist es den Kom- ihrer Verantwortung zu entlassen. die Bibliotheken auf die politische eines jeden Thüringers auf Zugang zu können. munen überlassen, in welcher Höhe So werden Bibliotheken zu einer Ge- Tagesordnung zu setzen, liegt nun zu einer sachgemäß ausgestatteten Ein tragfähiges Thüringer Bibli- sie ihre Bibliotheken fördern bzw. ob meinschaftsaufgabe der Kommunen seit April 2008 auch der Bibliotheks- allgemeinen Bibliothek in der Nähe otheksgesetz könnte zudem eine sie sie überhaupt erhalten wollen. und des Landes. gesetzentwurf der CDU-Fraktion vor. seines Wohnortes zu verankern. Signalwirkung für die anderen Bun- Die Praxis in den Kommunen zeigt, Nur ein solides finanzielles Fun- Neben einer Reihe unzulänglicher Damit würde die Unterhaltung von desländer entfalten, der prekären dass der Zwang zum Sparen häufig dament versetzt die Bibliotheken in Formulierungen, gerade im Hinblick Bibliotheken zwar nicht zur Pflicht- Situation der Bibliotheken ebenfalls einseitig zu Lasten der Kultur und die Lage, nicht nur ihrer Speicher- auf die künftige Landesförderung der aufgabe sämtlicher Kommunen entgegen zu wirken. Allein schon damit der Ausgaben für die Biblio- funktion für Wissen und Kultur ge- Bibliotheken, wird auch in ihm der erklärt, aber durchaus als eine, wenn dafür lohnt sich die parlamentarische theken geht. recht zu werden, sondern ermöglicht Bildungsauftrag der Einrichtungen auch „niedrigerschwelligere“ kom- Auseinandersetzung. Ein solcher Zustand ist für das es ihnen auch und gerade vor dem beschrieben. Die Aufnahme dieses munale Verpflichtung festgeschrie- Kulturland Thüringen nicht hin- Hintergrund der PISA-Ergebnisse Passus in den Gesetzestext ist un- ben. In einem Land wie Thüringen, Der Verfasser ist bildungs- und nehmbar. Deshalb bedurfte es einer ein verlässlicher Partner für Kinder- umstritten, da sich in ihm klar die dessen Kommunen oftmals sehr kulturpolitischer Sprecher der SPD- kultur- und finanzpolitischen Inter- tagesstätten und Schulen zu sein, gemeinsame Verantwortung von überschaubare Einwohnerzahlen Fraktion im Thüringer Landtag vention, um den anhaltenden Trend sowohl in Bezug auf die Entwicklung Kommunen und Land für die Biblio- haben, lohnt es sich, über eine solche und Vorsitzender des Bildungsaus- zur Unterfinanzierung bzw. gar zum der Leseförderung vom Vorschulalter theken manifestiert. Formulierung nachzudenken. Das schusses des Thüringer Landtags KulturlandschaftKultur-Enquete Deutschland politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 11

Vergütungspflicht von Kunstwerken im öffentlichen Raum Kriterien für eine angemessene Vergütung suchen • Von Stefan Haupt „Jeder Postkartenhersteller ver- werke im öffentlichen Raum – hat dient selbstverständlich daran, der Gesetzgeber eine Ausnahme dass Aufnahmen von Kunstwerken geschaffen und die Werknutzung im öffentlichen Raum verkauft vergütungsfrei zugelassen. Es ist zu Kultur-Enquete werden. Nur die bildenden Künstler, prüfen, ob es zukünftig sachgerecht Im Dezember 2007 legte die Enquete- setzt sich mit den Aussagen zur Leseför- eingegangen. Die Debatte um das die die Werke geschaffen haben, wäre, den Urhebern einen Vergü- Kommission des Deutschen Bundes- derung auseinander. Thüringer Bibliotheks- bzw. Biblio- gehen leer aus. Sie erhalten le- tungsanspruch zuzugestehen, wenn tags „Kultur in Deutschland“ ihren theksrechtsgesetz ist ein unmittel- diglich vom Auftraggeber einmalig Kunstwerke, die sich im öffentlichen Schlussbericht vor. Der Deutsche Bun- In Ausgabe 3/2008 beschrieben die bares Ergebnis der Enquete-Kommis- ihr Honorar für die Erstellung des Raum befinden, genutzt werden. Zu destag debattierte in der so genannten Bundesminister , MdB und sion. Die Auseinandersetzung mit der Kunstwerkes. Von den nachher verneinen ist sicherlich, dass jeder, Kernzeit von 9.00 bis 11.00 Uhr als , MdB sowie Staatsmi- Kultur im ländlichen Raum geht direkt stattfindenden Nutzungen, wie z. der ein Kunstwerk fotografiert, das 13.12.2007 diesen Bericht. nister Bernd Neumann, MdB, wie sie auf die Enquete-Kommission zurück. B. der Erstellung von Postkarten sich im öffentlichen Raum befindet, die Ergebnisse der Enquete-Kommission Die Frage nach dem Verhältnis von oder der Abbildung in Reiseführern, dafür zahlen muss. Allerdings stellt In politik und kultur 1/2008 kamen aufnehmen. Welche Rolle die Ergeb- Kultur und Kirche ist nicht zuletzt auch sehen sie keinen Cent“ sagt Olaf sich die Situation anders dar, wenn Mitglieder der Enquete-Kommission nisse in den Ausschussdiskussionen im eine Folge der Debatte in der Enquete- Zimmermann, Geschäftsführer des eine gewerbliche Nutzung des Motivs zu Wort und stellten dar, welche Deutschen Bundestag spielen, darüber Kommission. Mit einer konkreten Deutschen Kulturrates. Deshalb for- erfolgt. Das wäre zum Beispiel der Aspekte aus dem Schlussbericht gaben die Vorsitzende des Ausschusses Forderung der Enquete-Kommission dert der Deutsche Kulturrat, dass Fall, wenn die Postkarten mit den ihnen besonders wichtig sind und für für Wirtschaft und Technologie Edelgard aus dem Bereich des Urheberrechts die gewerbliche Verwertung von Motiven verkauft oder das Motiv bzw. welche Handlungsempfehlungen sie Bulmahn, MdB, die Vorsitzende des Aus- befasst sich Stefan Haupt. Er setzt Kunstwerken im öffentlichen Raum Gebäude im Rahmen eines Spielfilms sich besonders einsetzen wollen. Die schusses für Familie, Senioren, Frauen sich mit der Vergütungspflicht für die vergütungspflichtig werden soll. oder Fernsehfilms genutzt wird. Vorsitzenden der Fachausschüsse des und Jugend , MdB und Verwertung von Kunstwerken im öf- Deutschen Kulturrates gaben eine der Vorsitzende des Unterausschusses fentlichen Raum auseinander, wie sie iese Forderung ist von der En- Fazit erste Bewertung zu den Aussagen des Bürgerschaftliches Engagement Michael von der Enquete-Kommission gefor- Dquete-Kommission des Deut- Schlussberichts ab. Bürsch, MdB Auskunft. Mit dem Staats- dert wurde. In der letzten Ausgabe von schen Bundestags aufgegriffen wor- 1. Offensichtlich werden immer begriff im Enquete-Bericht setzten sich politik und kultur hat Bundesjustizmi- den. Noch in dieser Legislaturperio- mehr Werke der bildenden Kunst Die Literatur stand in der Ausgabe Max Fuchs und Tobias Knoblich ausein- nisterin Zypries angekündigt, dass sie de wird sich das Bundesministerium und der Architektur, die sich im 2/2008 von politik und kultur im Mittel- ander. Olaf Zimmermann und Gabriele sich noch in dieser Legislaturperiode der Justiz dieser Frage annehmen. öffentlichen Raum befinden, punkt. Gabriele Beger, Vorsitzende des Schulz hatten den Bericht quergelesen. dieser Forderung annehmen wird. Die Notwendigkeit der Schaffung fotografiert, im Rahmen von Deutschen Bibliotheksverbands, stellt Weiter wurden die neun Stellungnah- einer solchen Regelung resultiert Filmaufnahmen verwendet oder dar, wie von Seiten des Bibliothekswe- men des Deutschen Kulturrates zum Die Reihe zur Auswertung des Schluss- auch aus der Entwicklung der Urhe- anderweitig in ein neues Kunst- sen der Schlussbericht bewertet wird Schlussbericht der Enquete-Kommission berichts der Enquete-Kommission wird berrechtsgesetzgebung der letzten projekt integriert. und welche Handlungsempfehlungen veröffentlicht. in den nächsten Ausgaben von politik Jahre. 2. Bisher war es zulässig, ohne eine jetzt dringend umgesetzt werden sollen. und kultur fortgesetzt. Vergütung zu zahlen, Leistun- Rolf Pitsch, Vorsitzender Stiftung Lesen In dieser Ausgabe wird an verschie- Ausgangslage gen Dritter zu nutzen, um eige- und Direktor des Borromäusvereins, denen Stellen auf die Kultur-Enquete Die Redaktion ne Kunstwerke damit zu berei- Grundsätzlich obliegt dem Urhe- chern. ber die Entscheidung darüber, ob 3. Die gewerbliche Verwertung von der Urheber abhängig gemacht angemessenen Vergütung bestimmt den Vergütungsanspruch geltend bzw. in welchem Umfang sein Werk Kunstwerken, die sich im öffent- werden. Der Nutzer sollte die werden kann. Wenn man sich mit der machen sollen. Das geschieht in der genutzt wird. Jedoch wirkt dieses lichen Raum befinden, sollte die entsprechende Vergütung an die Frage befasst, ob den Urhebern bzw. Regel dadurch, dass Tarife aufgestellt Exklusivrecht des Urhebers nicht Zahlung einer Vergütung an den zuständige Verwertungsgesell- Berechtigten eine Vergütung gezahlt werden, die zu einer angemessenen uneingeschränkt. Urheber gemäß der Forderung schaft direkt entrichten. werden soll, muss man sich auch mit Vergütung führen. In § 59 des Urheberrechtsge- des Deutschen Kulturrates nach der Höhe beschäftigen. setzes ist geregelt, dass Plastiken und sich ziehen. Höhe der Vergütung Der Gesetzgeber hat sich die- Der Verfasser ist Rechtsanwalt in andere Werke der bildenden Kunst, 4. Aus Praktikabilitätserwägungen ser Aufgabe entledigt, indem er Berlin und Mitglied im Fachaus- die sich auf öffentlichen Wegen, Stra- sollte die gewerbliche Verwertung Es muss nach Kriterien gesucht bestimmt, dass die Verwertungs- schuss Urheberrecht des Deutschen ßen oder Plätzen befinden, im Rah- jedoch nicht von der Zustimmung werden, anhand derer die Höhe der gesellschaften bei einer Nutzung Kulturrates men der Kunstproduktion benutzt werden dürfen. Somit dürfen sie in die Gestaltung von Filmen, Fotogra- fien, Grafiken, Arbeiten der Malerei usw. integriert werden. Dieses Recht erstreckt sich nicht nur auf die „reine Der Kultur-Kompass für Deutschland Kunst“ im öffentlichen Raum, son- jetzt bei ConBrio dern auch auf alle Gebäude, deren Architektur außergewöhnlich ist. Die einzige Bedingung ist hier- bei, dass sich das Kunstwerk blei- bend an dem Ort befindet. Bleibend bedeutet, dass es sich nicht – wie bei Christos Reichstagsverhüllung – um eine Aktion handelt, die nur 14 Tage währt.

Schrankenregelung

Diese gesetzliche Regelung (§ 59 UrhG) befindet sich im Urheber- rechtsgesetz in dem Abschnitt, der die Überschrift „Schrankenrege- lungen“ trägt. In diesem Abschnitt sind alle Normen enthalten, die die Rechte der Urheber einschränken. Kultur in Deutschland Dabei kann unterschieden werden, ob die Nutzung zustimmungs- und vergütungsfrei oder nur zustim- Abschlussbericht der Enquete- mungsfrei, jedoch vergütungspflich- Kommission des Deutschen Bundestages tig zulässig ist. Der Gesetzgeber hat unter Berücksichtigung der Nach vierjähriger Tätigkeit hat die Enquete- Interessen der Allgemeinheit eine Kommission „Kultur in Deutschland“ ihren so genannte Güterabwägung vor- genommen. Diese Güterabwägung Abschlussbericht dem Bundestag übergeben. beinhaltet, dass Urheber bestimmte Der Bericht enthält die umfangreichste Bestands- Nutzungen ihrer Werke hinnehmen aufnahme zur Kultur in der Bundesrepublik, die müssen. Es stellt sich die Frage, ob § bislang je erschienen ist – und eine überparteilich 59 UrhG einer Modifizierung bedarf abgestimmte Liste von 465 Handlungsempfeh- bzw. ob unter Würdigung der Ge- lungen an die Politik. samtumstände eine Modifizierung angezeigt wäre. Eine Modifizierung Als Buch mit DVD – sie enthält unter anderem der Norm würde die Rechte der bil- auch alle Einzel-Gutachten – ist dieser Abschluss- denden Künstler und Architekten bericht nun bei ConBrio erschienen. stärken.

Vergütungspflicht ConBrio Verlagsgesellschaft Brunnstr. 23 Auf Grundlage der gesetzlichen Re- Paperback, 774 Seiten ISBN 93053 Regensburg gelung in (§ 11 UrhG) wird für jede [email protected] Werknutzung eine angemessene Ver- Mit DVD € 978-3-932581-93-9 Tel.: 0941-94593-0 gütung geschuldet. Für bestimmte € 35,- CB 1193 Fax: 0941-94593-50 Sachverhalte – wie z. B. die Kunst- Kulturlandschaft Deutschland politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 12

Mit Identität und Kommunikation zum Erfolg Kultur und ländlicher Raum am Beispiel des Kreises Siegen-Wittgenstein • Von Wolfgang Suttner Was machen Theater, Musik oder die in einem Fokus alles das, was auch Kulturraum entwickelt hat und wie er Kunst auf dem flachen Land? Wie großstädtische Szenen haben. Nur der Verdrängungskraft der großstädti- geht es dem kulturellen Leben in der oft weitflächiger organisiert, stärker schen Ballungsräume trotzen kann. Provinz? Glaubt man den Feuilletons auf Kommunikation, Kooperation, Im Jahr 1988 im Rahmen eines Kulturlandschaft Deutschland oder großstadtverliebten Kulturfans, Vernetzung und kirchturmübergrei- Gutachtens des Ifo-Institutes be- Die Enquete-Kommission des Deut- Die Unterschiedlichkeit dieser Projekte dann gibt es Spannendes, Neues fendes Handeln angewiesen. Kultur scheinigte man der im Umbruch schen Bundestags „Kultur in Deutsch- bot einen Einblick in die Vielfalt des oder Atmosphärisches nur in den im ländlichen Raum und das ist auch begriffenen Region Siegen-Wittgen- land“ hat ihren Auftrag ernst genommen kulturellen Lebens in Deutschland, sie kreativen Treibhäusern der Metropo- der Umraum mittlerer Städte oder stein eine zwar vorhandene kulturelle und eben nicht nur jene Bereiche des zeigte den Ideenreichtum der Akteure len zu entdecken. In der Provinz ist kleinerer Großstädte braucht oft Infrastruktur, die sich aber in einer kulturellen Lebens in den Blick ge- vor Ort und machte deutlich, dass in- Mangel, auf dem flachen Land wird eine längere Entwicklungszeit und kulturellen Szene ohne Erlebnisorte nommen, die jedem selbstverständlich teressante kulturelle Vorhaben überall gearbeitet, geackert, gemeinsam eine starke Identität, um erfolgreich oder Kommunikation ausdrückte. sind, sondern hat eine umfassende in Deutschland zu finden sind. gestrickt oder im Chor gesungen. zu sein. Identität entsteht aus einer Ein kulturelles Wir-Gefühl war kaum Bestandsaufnahme des Kulturlebens Mit dieser Ausgabe von politik und kultur Kultur und Beschaulichkeit. Anbindung an kulturelle Traditionen, vorhanden, man fuhr lieber in die in Deutschland vorgelegt. Besondere beginnt unter dem Titel „Kulturland- Orte, Personen und Geschichte. Wenn Metropolen nach Köln oder Frank- Aufmerksamkeit erhielt dabei die Unter- schaft Deutschland“ eine neue Reihe, eispiele: Im Landkreis Schmal- sie beharrlich und mit Nähe zum kul- furt. Bürger und die mittelständische suchung des kulturellen Engagements die sich dem kulturellen Leben in den B kalden-Meiningen inszeniert turellen Gegenstand entwickelt wird Industrie beklagten den Zustand. der Kirchen. Auch in politik und kultur Regionen widmet. Zum Auftakt dieser Christiane Mielitz 2001 aufs Spektaku- und keine schnell hochgepuschte Der Kreis Siegen-Wittgenstein, als erschienen eine Reihe von Beiträgen Reihe stellt Wolfgang Suttner, Kulturre- lärste den „Ring der Nibelungen“. Das Modeerscheinung ist, funktioniert sie ein deutscher Landkreis auf Koo- zu diesem Thema, zusammengefasst ferent des Kreises Siegen-Wittgenstein Schleswig-Holstein Musikfestival, die oft auch mit großem Innovations- und peration und Ausgleichsfunktionen im Buch „Die Kirchen, die unbekannte und Stellvertretender Sprecher des Urmutter vieler Klassikfestivals, lebt manchmal sogar PR-Potential. bedacht, verzichtete auf Workshops kulturpolitische Macht“. Deutschen Kunstrats, das kulturelle Le- von der Atmosphäre der Landschaften Im nördlichen Siegerland, in Hil- und Denkfabriken und handelte. Daneben hat die Enquete-Kommission ben dieses Kreises vor; Adalbert Kienle, und Scheunen des Landkreises Plön. chenbach, ist vor Jahrzehnten mit Man schuf ein regionales Kulturbüro, aber auch noch andere „blinde Flecken“ Stellvertretender Generalsekretär des Am Hellweg, rund um die Soester mäzenatischer Hilfe ein Theater und dessen Mannschaft mit vielen Ideen, in der Kulturlandschaft und Kulturpolitik Deutschen Bauernverbands, setzt sich Börde, beginnt jetzt das größte eu- ein jährlich ausgezeichnetes Pro- Visionen und dem unbändigen Willen Deutschlands untersucht, so u.a. auch mit Vorurteilen, mit denen der Kultur- ropäische Krimi-Festival und eines grammkino entstanden. Das Kultur- zur Sponsormittelakquise vorging die Kultur im ländlichen Raum. Obwohl arbeit des Bauernverbands begegnet der profiliertesten Sammler-Museen haus wird betrieben vom Gebrüder- und zum Aktivmodell für die Region die Mehrzahl der Bundesbürger nicht wird, auseinander; Hans-Peter Kröger, der Gegenwartskunst steht im Ho- Busch-Kreis, einer Institution, die wurde. Regionale Strukturentwicklung in Großstädten, sondern vielmehr in Präsident des Deutschen Feuerwehrver- henloher Kreis bei Künzelsau: Ganz nicht nur viel Theater und Musik in war plötzlich Kulturentwicklung. Die Mittelstädten oder Dörfern lebt, spielt bands, unterstreicht, dass die Musik- weit weg von jeder Großstadt. Der die Region bringt, sondern auch das Aktivzentrale Kultur!Büro. entwickelte die Kultur in den Regionen zumeist eine verbände der Feuerwehren die größte Kreis Steinfurt trägt das Kunsthaus Erbe der weltberühmten Musikerfa- Kulturdatensysteme, wie einen der untergeordnete Rolle. Kultur in der Pro- Einzelgruppen im Bereich des instru- Gravenhorst, ein ehemaliges Kloster milie Busch pflegt. Kulturelle Vielfalt ersten regionalen Kulturkalender im vinz wird oftmals gleichgesetzt mit pro- mentalen Laienmusizierens darstellen; im Münsterland mit einem aufre- in Deutschland ist nur möglich, wenn Internet mit eigener Redaktion, eine vinziell. Es wird über „Humtatamusik“ Jakob Johannes Koch, Kulturreferent der genden Stipendium für partizipato- man das Austauschverhältnis der Loseblattsammlung Kulturhandbuch, und „Hupfdohlen aus Sportvereinen“, Deutschen Bischofskonferenz, präsen- rische Kunstprojekte und der Kreis Kulturräume von Metropolen und die die komplette Szene erfasste und die Theater spielen, geschmunzelt. tiert die kulturelle Leistung der katho- Siegen-Wittgenstein im südlichsten Umland/Flachland begreift und Vor- zugänglich machte. Man sorgte für Vermeintlich findet „echte“ Kultur auf lischen Kirche im ländlichen Raum und Zipfel NRWs ist Austragungsort eines urteile ablegt. Hochschullehrer der viel Diskussion mit dem erwähnten dem Land nicht statt. Axel Noack, Bischof der Evangelischen der größten Internationalen Musik- Universität Siegen, die als Spagat-Pro- Festival im Wald des Rothaargebirges, Dass dem so nicht aus, wurde bereits Kirche in der Kirchenprovinz Sachsen, und Theaterfestivals in einer weißen fessoren immer nur von dienstags bis das in seiner Zelttheaterstadt Furore in der Reihe „Kulturregionen“ in politik unterstreicht, dass die Kirchen gerade Zelttheaterstadt auf 600 m Höhe in donnerstags in der Stadt sind, pflegen machte mit Rock, Pop, Klassik und und kultur deutlich. In sieben Ausga- in den vom demografischen Wandel der Mittelgebirgslandschaft des Rot- immer noch das Vorurteil, hier sei am vielen regionalen Koproduktion. In- ben – von der Ausgabe Januar-Februar betroffenen Regionen Ostdeutschlands haargebirges mit Besuchern aus ganz Wochenende nichts los, es gäbe nur zwischen, in seinem 18. Jahr, ist Kul- 2007 bis zur Ausgabe März-April 2008 oftmals der einzig verbliebene kulturelle Deutschland. Außerdem ist dort, in Chöre und Blasorchester. Provinz fin- turPur mit über 50.000 Besuchern und – haben jeweils zwei der im Arbeitskreis Ort sind, der seine Bedeutung behält, Hilchenbach, ein Landesorchester det in den Köpfen statt und ist oft nur einem Auslastungsgrad von 90 % eines Kulturregionen zusammengeschlos- obwohl die Mehrzahl der Ortsbewohner NRW beheimatet, die Südwestfälische gefühlte Kulturlosigkeit, entstanden der erfolgreichsten Zeltkulturfestivals senen Kulturregionen ihre Arbeitsweise keiner Kirche angehört. Philharmonie, die Klassik nicht nur aus einem Mangel an Kommunikation Europas, eingebettet in eine wunder- sowie ausgewählte Projekte vorgestellt. Die Redaktion international anbietet, sondern auch und Entdeckerlust. Kunst und Kultur schöne Landschaft. Hier ist „Gegend“ die Schützenhallen des Sauerlandes entsteht oft gerade auf dem Land; nicht nur ein Marketinginstrument, bespielt. Kultur im ländlichen Raum hier sind die Studios, hier ist Raum für sondern schafft als Plus die Atmosphä- menschluss von Kultureinrichtungen gieeffekten weit hinaus ins Land. Ein hat viel mehr Leuchttürme als man Experimente. re. Das Festival bringt nationale und in den südwestfälischen Landkreisen Projekt, das auch klug an Traditionen glaubt und trägt oft weit mehr Sorge Ein Beispiel: Von den 256 Kunst- internationale Entdeckungen ins Land mit manchen Projekten, die der kul- anknüpfte, es wurde im umgebauten für die kulturelle Grundversorgung als vereinen in Deutschland sind 43,7% und setzt in der Region Akzente für turellen Arroganz des Ruhrraumes Lieblingskino der Siegerländer ein- große Städte. in Dörfern, Gemeinden und kleinen neue Kulturformate. Hier wurde eine Paroli bieten konnte. Aus einer groß- gerichtet und ist seit einem Jahr sehr Der ländliche Raum ist ein gewal- Städten unter 50.000 Einwohnern ak- Tradition geschaffen, Kultur erleben angelegten Recherche und Bündelung erfolgreich. Auch Paul McCartney, der tiger Kulturraum mit großen Wert- tiv. Nur 17% dieser „Bürgerinitiativen wurde mit der Liebe der Menschen zu der Potentiale im Bereich Kabarett, Beatle himself, wurde auf die Region schöpfungen, auch im kreativen für Avantgardekultur“ arbeiten in den ihrer Landschaft verbunden, kulturelle Kleinkunst und Musik schuf das aufmerksam und präsentierte hier Bereich. Die 313 Landkreise decken Großstädten zwischen 200.000 und Traditionen, wie die Musik und der regionale Kultur!Büro. als regionales 1999 mit einer weltweiten Aufmerk- 96 % der Fläche Deutschlands ab, 68 mehr als 1.000.000 Einwohnern. Das Chorgesang des Siegerlandes konnten Veranstaltungshaus mit nationaler samkeit sein malerisches Werk. % der Menschen leben hier. Ob im ist Kunstvermittlung im Ehrenamt auf erfolgreich eingebunden werden. Vor Bedeutung im Bereich Kabarett. Kul- Zwar nur ein kurzer Einblick, ein Siegerland oder im Donauried, man dem flachen Land par excellence. allen Dingen wird das Festival von vie- tureller Aufschwung motivierte Städte Lichtschein auf ein Beispiel ländlicher trifft in deutschen Landschaften auf Deutschland ist ein Land der len Partnern aus der Region gemein- wie Kreuztal, Wilnsdorf und Siegen zur Kulturarbeit, aber auch ein beispiel- vielfältige und lebendige Szenen; oft Überallkultur, das überraschende sam gestaltet, die Kirchtürme sind in eigenen großen Kulturinvestition und loser Aufschwung, der möglich wurde Geheimtipps und wenig beachtet von Entdeckungen möglich macht. Am diesem Fall weit zurückgestellt. Neben ein Stifter- und Förderkreis entwickel- durch viel Beharrlichkeit, Kommuni- der kulturellen Großberichterstat- Beispiel des Kreises Siegen-Wittgen- einer großangelegten Vernetzung te in einem alten Telegrafenamt in Sie- kation, intensiver Abstimmung und tung. Hier leben Künstler, Mäzene, stein soll kurz skizziert werden, wie der lokalen Kulturgemeinden, die in gen ein großes Sammlermuseum der gesunde Konkurrenz. Ehrenamtler und viele kommunale sich ein ländlicher Kulturraum über 20 einem Kulturring zusammenarbeiten Gegenwartskunst mit dem Schwer- Kulturmacher, die mit Gefühl für die Jahre hinweg durch Kommunikation und auch gemeinsam Programme punkt Kommunikation der Medien. Der Verfasser ist Stellvertretender Situation vor Ort und viel Liebe für und Kooperation von einer kulturellen einkaufen, entstand 1993 mit Hilfe des Schließlich entstand sogar, von den Sprecher im Deutschen Kunstrat und Landschaft und Leute vorgehen. Viele No-Go-Area zu einem beim Publi- Landes Nordrhein-Westfalen die Kul- Bürgern seit 40 Jahren gefordert, ein Kulturreferent des Kreises Siegen- ländlichen Szenen konzentrieren wie kum beliebten und phantasievollen turregion Südwestfalen, ein Zusam- Regionaltheater mit positiven Syner- Wittgenstein

Das Internationale Musik- und Theaterfestival KulturPur am Rothaarsteig, jährlich zu Pfingsten bei Hilchenbach-Lützel. Foto: Alex Voelkel Kulturlandschaft Deutschland politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 13

Ohne Bauern geht es nicht Bauernverband und landschaftliche Kulturarbeit • Von Adalbert Kienle Der Bauernverband ist zuerst „pres- ner der Landjugendarbeit wurden den ländlichen Regionen, weit über medien.agrar und dem Deutschen wurde Oberschwaben), die Heraus- sure group“ und Unternehmerver- beispielsweise auch die „Tischkussi- die bäuerliche Bevölkerung hinaus Bauernverband ausgeschrieben war. gabe eines Bildbandes „Kultivierte band. Nicht anders auf dem Deut- onen“ – die Landjugend lud Promi- eine außerordentlich hohe Reputa- Unter dem Titel „Memoiren einer Erde“ und das in Mecklenburg-Vor- schen Bauerntag 2008 am 30. Juni nente zum gemeinsamen Essen mit tion. Mistgabel“ wurden die fünf Preisträ- pommern gestartete Projekt „Kunst und 1. Juli 2008 in Berlin mit Themen regionalen Produkten ein, und schon Die festliche Übergabe der Ern- ger sowie 16 weitere Kurzgeschichten auf dem Lande“. wie europäische Agrarreform, Bio- war der Gesprächsfaden da. tekrone an den Bundespräsidenten als Buch veröffentlicht. Begeistert von „Leistung allein genügt nicht – energie, Milchmarkt, Tierhaltung, Sogar rund eine Million Frauen anlässlich des Erntedankfestes als der Originalität und Qualität zeigten man muss auch jemanden finden, der ökologischer Landbau. Worauf nicht lassen sich in den 12.000 Landfrauen- Gemeinschaftswerk von Bauern- sich bei der Preisverleihung auf der sie anerkennt“, mahnte der Schrift- nur Bauernverbandspräsident Sonn- vereinen für ein umfangreiches Wei- verband, Landfrauen, Landjugend Grünen Woche die Schauspielerin Ur- steller Marcel Mart. Immer noch neh- leitner, sondern als Gäste auch Bun- terbildungs- und Kulturangebot und kirchlichen Diensten auf dem sula Cantieni („Die Fallers“) und die men viele die landschaftsbezogenen deskanzlerin Merkel, die europäische ansprechen. Das enorme Bildungs- Lande ist eine Tradition. Die von Vorsitzende der Enquete-Kommis- Freizeitaktivitäten gegeben. Man will Agrarkommissarin Fischer Boel und interesse und ehrenamtliche Enga- einer lokalen Gruppe aufwendig sion „Kultur in Deutschland“ Gitta sich mit Spazierengehen, Wandern, die Fraktionsvorsitzenden des Bun- gement der Landfrauen ist auch im gebundene Erntekrone schmückt Connemann, MdB. Letztere – selbst Radfahren, Schwimmer, Lagern und destages eingegangen sind. Doch Abschlussbericht der Enquete-Kom- dann den Eingang des Präsidialamts auf einem Bauernhof in Ostfriesland Spielen im Freien vergnügen und werden sie sicherlich auch auf die ge- mission des Bundestags „Kultur in – früher die Villa Hammerschmidt aufgewachsen – betonte dabei, dass erholen. In einer Studie wurde darauf meinwohlorientierten und kulturellen Deutschland“ ausdrücklich hervorge- in Bonn, heute das Bellevue in der die Landwirtschaft mehr sei als eine verwiesen, dass jährlich in Deutsch- Aktivitäten der Bauernfamilien und hoben. Bauernpräsident Sonnleitner Hauptstadt Berlin. Der Bauernpräsi- reine „Versorgungseinrichtung“. land über eine Milliarde Ausflüge des landwirtschaftlichen Berufsstan- verwies auf einem Landfrauentag dent nutzt die Übergabe regelmäßig Gerade die bäuerliche und ländliche in bäuerliche Kulturlandschaften des eingehen – sehr zu Recht! auf einen Artikelschreiber aus der auch für einen Hinweis auf ein be- Kultur schaffe Identität und Heimat- stattfinden. Doch noch immer ist Großstadt, dem zunächst schon der sonderes kulturelles Ereignis so wie verbundenheit. Dabei mache die kein einziges Kassenhäuschen für ie war der Bauer so wertvoll Name „Landfrauen“ gar nicht in dieses: Die Kirchengemeinde der eigene Kultur das Besondere einer ein „Eintrittsgeld in der Kulturland- N wie heute, hatte es vor einiger die moderne Zeit zu passen schien, Versöhnungskirche bestellt auf dem jeden Region und jedes Landstrichs schaft“ gezimmert. Dieses „Markt- Zeit auf einer Veranstaltung mit der dann aber mit hohem Respekt ehemaligen Todesstreifen an der aus. Nur wenn man diese Kultur pfle- versagen“ im Auge, wandeln sich dem Europarat als Mitveranstalter von den segensreichen Aktivitäten Bernauer Straße in Berlin-Mitte ein ge und bewahre, erhalte man auch die europäischen Direktzahlungen geheißen. Wer sonst, wenn nicht der einer Landfrauengruppe unweit der Roggenfeld – ein Zeichen für Frieden die Einzigartigkeit und Vielfältigkeit an die Landwirte – ursprünglich als traditionsbewusste Landwirt, könne deutsch-polnischen Grenze berich- und Freiheit, auch ein Zeichen für unserer Heimat. Ausgleich für Preissenkungen bei das Fortbestehen der ländlichen tete. das Aufeinanderzugehen von Stadt Ein Ziel, dem sich auch die Stif- den Agrarreformen gedacht – im- Kulturlandschaften gewährleisten, Ungerechtfertigtes „Gegrinse“, und Land. tung Deutsche Kulturlandschaft wid- mer mehr zur Begründung für ein auf ökologische Weise gesunde Nah- aus Unkenntnis, müssen gelegentlich Es muss sich erst noch zeigen, ob met. Die im vergangenen Jahr gegrün- kulturelles Leistungsentgelt. Wer rungsmittel produzieren und dem auch die 47 Ländlichen Heimvolks- der Jugendliteraturpreis der deut- dete Stiftung, zu deren Initiatoren der wollte hier den Hinweis vergessen, stressgeplagten Städter nicht nur hochschulen – meist von Bauern- schen Landwirtschaft nachhaltig Deutsche Bauernverband zählt, sieht dass die Kultur – „cultura“ – in ihrer Urlaub und Entspannung auf dem verbänden oder Kirchen getragen trägt. Der Start jedenfalls war ein sich getragen von Einrichtungen und Bedeutungskette mit dem Ackerbau Hof, sondern zugleich die Erinnerung – erdulden. Tatsächlich verdient und großer Erfolg. Insgesamt 233 junge Personen aus Naturschutz, Landwirt- begonnen hat! an ein Stück Heimat bieten? Und genießt das „Lernen im Grünen“ mit Autoren aus Deutschland, Österreich, schaft, Politik, Kultur und Wirtschaft. aus Sicht eines Vereinsvorsitzenden hochwertigen Bildungsangeboten, Frankreich und der Schweiz beteilig- Zu ihren aktuellen Aktivitäten gehört Der Verfasser ist Stellvertretender Ge- oder eines Dorfpfarrers kann man etwa zur Familienbildung, Umwelt- ten sich am Kurzgeschichtenwettbe- die jährliche Verleihung des Preises neralsekretär des Deutschen hinzufügen: Wie sollten auf dem Land bildung und musischen Bildung in werb, der von der i.m.a-information. „Landschafft!“ (der Preisträger 2008 Bauernverbandes mit Sitz Feste, Umzüge und Prozessionen auf in Berlin die Beine gestellt werden, wenn nicht die Bauernfamilien mit anpacken und Pferde, Traktoren, Wagen oder Grundstücke dafür zur Verfügung Zeitgemäße Traditionalität stellen? Die Freiwillige Feuerwehr ist nicht nur zum Löschen da • Von Hans-Peter Kröger Doch sind mit dem landwirt- schaftlichen Strukturwandel die Wenn Sie über Land fahren, wird Bauern im Dorf zur kleinen Minder- Ihnen diese Beschriftung oft begeg- heit geworden. Längst ist mit den nen: „Unser Spritzenhaus“ – gern in Verwaltungsreformen auch die Insti- dem betreffenden landsmannschaft- tution des „Bauernschultes“ verloren lichen Idiom formuliert. Was auf den gegangen. Unübersehbar gibt es ersten Blick vielleicht zum Schmun- Beispiele für Rückzug und Resigna- zeln anregt oder zu kritischen Ge- tion der Bauernfamilien. Wie jedoch danken über Lokalpatriotismus, das der Tübinger Kulturwissenschaftler ist nach meiner Überzeugung ein Prof. Hermann Bausinger beobachtet sehr ernstzunehmender, bedenkens- hat, fällt auf dem Land noch mehr und förderungswürdiger Faktor des als in der Stadt die „Gleichzeitigkeit Lebens in deutschen Städten und des Ungleichzeitigen“ auf. So gibt es Gemeinden. auf dem Lande kulturelles Ödland, Desorientierung und die Gefahr reiwillige Feuerwehren prägen die eines „Auslaufens“, aber eben auch F Lebenskultur im ländlichen Raum schöne Beispiele kultureller Vielfalt wesentlich mit. Sie sind Aktivposten und Leistungsfähigkeit. So sind in des gesellschaftlichen Lebens in den den Kommunalparlamenten nach Städten und Gemeinden über ihren wie vor überdurchschnittlich viele öffentlichen Auftrag hinaus. Feuer- Landwirte vertreten. Und aus vielen wehrangehörige bilden gemeinsam Bauernfamilien kommt nach wie vor mit Kulturschaffenden und Sportlern ein erstaunliches und talentiertes vielerorts den Kern traditionellen bür- kulturelles Engagement. Gewiss gerschaftlichen Engagements. nicht zuletzt ein Verdienst von Bau- Unsere Organisation fußt auf der ernverband und den mit ihm eng gesellschaftlichen Entwicklung in der verbundenen Landfrauen- und Land- zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie jugendorganisationen. verdankt dem sich herausbildenden So lassen sich rund 100 000 Ju- Bildungs- und Besitzbürgertum dieser gendliche von der organisierten Zeit viele Impulse. Sie hat gemeinsame Landjugend begeistern – weniger Wurzeln mit der Turnerbewegung. als ein Viertel davon ist in einem der Sie hat Schnittmengen mit der Idee grünen Berufe tätig. Landjugend- der Genossenschaften, und sie wurde Musik in der Feuerwehr. Foto: DFV Volkstanzgruppen boomen, sofern vor Ort oft von Männern der Kirche sie nicht nur tradierte sondern auch und Schulmeistern vorangetrieben. Feuerwehren sind über ihre un- erwehren – bei allem Veränderungs- und Musiker in verschiedensten En- moderne Tänze anbieten. Das vie- Das alles sind Aspekte, die sich auch mittelbare Dienstleistung in der Ge- druck – weiterhin proaktiver Partner sembleformen – ob Spielmannszug, lerorts populäre Theaterspielen der heute noch im Selbstverständnis und fahrenabwehr hinaus vielfältig in auch im dörflichen Leben sein wer- Big-Band, Schalmeien-Orchester, Landjugendgruppen kulminiert in den Traditionen der Feuerwehren den Kommunen aktiv. Beispielhaft den und sein wollen. Chor oder Kammermusikgruppe – fin- im Zuschlag für die Aufführung bei widerspiegeln, obwohl unsere Orga- genannt seien die Jugendarbeit und In einer übergeordneten Definition den ihre organisatorische Heimat in der Grünen Woche in Berlin vor nisation sich operativ mit dem Stand die Brandschutzerziehung, die Musik ist die Feuerwehr sicher Handeln- den Freiwilligen Feuerwehren. Damit mehreren tausend Jugendlichen. der Technik sowie politischen und ge- in der Feuerwehr sowie ein breites der der kulturellen Entwicklung. Sie bilden sie die größte Einzelgruppe im Unvergessen ist etwa die Aufführung sellschaftlichen Veränderungen immer Spektrum von Aktivitäten im gesell- bringt Menschen zusammen, die auf Bundesverband Deutscher Musikver- der „Dorfrhythmusstörungen“, wo weiter entwickelt hat. schaftlichen und sozialen Bereich einem bestimmten Feld Zivilisation bände. Auch Amateurtheater haben in ätzender Satire manch Enges und „In Städten und Gemeinden sowie im Umweltschutz. Diese Vielfalt mit gestalten. Die Feuerwehr muss im oft eine gemeinsame Vergangenheit, Kleinkariertes im Dorfleben und in werden demografische und soziale zieht Bürgerinnen und Bürger an und Einsatzfall ganz praktische Probleme personelle Schnittmengen oder sogar der Dorfkultur auf Korn genommen Umbrüche als erstes sichtbar. Si- ist ein unbezahlbarer Mehrwert der lösen, die oft mit Schweiß, Dreck und eine Anbindung an die Feuerwehren. wurde. Doch am Ende singen die cherheit ist ein Grundbedürfnis der Feuerwehr.“ Gefahren verbunden sind. Sie kommt Dabei spielen sicher nicht nur die Landjugendlichen das „Mutmach- Bürgerinnen und Bürger. Lebens- So haben wir es in unserem Positi- im öffentlichen Bild hemdsärmlig da- organisatorischen Fähigkeiten und lied“ und sind davon überzeugt, dass werte Kommunen zeichnen sich auch onspapier „DFV 2020 – Strategien her und fiele den meisten Menschen zum Teil auch materiellen Möglich- sich die vorgespielte Utopie in die durch ein lebendiges Gemeinwesen für eine sichere Zukunft“ formuliert, sicher nicht als Kulturträger im enge- keiten der kommunalen Einrichtung Wirklichkeit umsetzen lässt: „Kommt, mit vielfältigem bürgerschaftlichen das die 55. Delegiertenversammlung ren Sinne ein. Feuerwehr eine Rolle. Bei genauerer wir bau’n Hand in Hand / wir bleiben Engagement aus. Die Feuerwehren des Deutschen Feuerwehrverbandes Dabei sind die Mitglieder der Betrachtung gibt es Gemeinsamkeiten, auf dem Land / unsern Traum von verbinden diese beiden Bedürfnisse am 17. Mai diesen Jahres in Fulda Freiwilligen Feuerwehren oft sehr einem lebenswerten Dorf / machen und sind damit auch in Zukunft ein verabschiedet hat. Darin zeigt sich aktiv im kulturellen Leben der Kom- Weiter auf Seite 14 wir zur Wirklichkeit“. Zu einem Ren- wichtiger Haltefaktor. ein klares Bekenntnis, dass die Feu- munen. Rund 60.000 Musikerinnen Kulturlandschaft Deutschland politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 14

Engagement ihrer Mitglieder, auch Gemeinde in ihrer Dynamik mit und den sozialen Wandel, durch hö- Feuerwehr als einen der wichtigsten Fortsetzung von Seite 13 sie möchte gestalten und helfen. und zeigt exemplarisch auf, welche heren Mobilitätsdruck im Berufsleben Haltefaktoren im ländlichen Raum. Der Wahlspruch „Gott zur Ehr’, dem prägende Wirkung auf die ländliche und ein verändertes Freizeitverhalten Sie hat uns ermutigt, Traditionalität Zeitgemäße nächsten zur Wehr“ der Freiwilligen Kultur Kulturschaffende und Feuer- wird es aber immer schwerer, Men- zu verbinden mit attraktiver, moder- Traditionalität Feuerwehren manifestiert die Ba- wehrangehörige gemeinsam errei- schen dafür zu gewinnen, etwas für ner Jugendkultur und Lebensweise. sis auf dem christlichen Gebot der chen können. sich und etwas für andere zu tun. Der Eine Erneuerung des Ehrenamts die Kultur, Sport und Feuerwehren im Nächstenliebe. Bei aller Euphorie für den sinn- Deutsche Feuerwehrverband hat sich müsse aus ihm selbst kommen. ländlichen Raum zusammenbringen. Daraus ergeben sich im Einzelfall und Identität stiftenden Aspekt bür- deshalb zu einer Zukunftsoffensive In diesem Sinne sind die Feuer- Diese traditionellen Felder bürger- noch weitergehende Projekte – quasi gerschaftlichen Engagements in den entschlossen, um die Organisation zu wehren gut beraten, auch ihr lokales schaftlichen Engagements haben alle ein Dreisprung vom sozialen Ansatz Freiwilligen Feuerwehren muss unser modernisieren aber ihren Grundge- Netzwerk „mitzunehmen“ in der eines gemeinsam: den Kerngedanken, über kulturelle Angebote hin zu wir- Blick jedoch immer auf die gesetz- danken und ihre Leistungsfähigkeit Weiterentwicklung ihrer Organisati- für sich und für andere etwas Sinn kungsvoller, ehrenamtlicher Hilfe liche Aufgabe unserer Organisation zu erhalten. on. Wie die Vergangenheit zeigt, ist Stiftendes, Befriedigendes in der auch auf Feuerwehr fernen Feldern. gerichtet zu sein. Schnelle und kom- Wir haben uns entschlossen, dieses Netzwerk langlebig und trag- Öffentlichkeit zu tun. In der Summe Als herausragendes Beispiel fällt mir petente Hilfe im Notfall zu jeder Zeit diese Frage im Februar diesen Jah- fähig – eben weil bürgerschaftliches spiegeln sie die Interessenschwer- hier die Aktion „Appen musiziert“ und an jedem Ort ist die Leistung, res unter anderem mit einem Zu- Engagement die Kultur im ländlichen punkte und die Fähigkeiten der ein. Mehr als 2,7 Millionen Euro hat die die Bürgerinnen und Bürger von kunftskongress in der Katholischen Raum prägt, und nicht nur dort. Die Mehrheit der Menschen in einem diese Initiative des Spielmannszuges der Feuerwehr erwarten dürfen. Akademie in Berlin zu diskutieren. verschiedenen Akteure brauchen Gemeinwesen wider. der Freiwilligen Feuerwehr Appen Deutschland hat ein im weltweiten Eine unserer wissenschaftlichen sich gegenseitig, und unsere Städte Diese Verbindung erklärt meines aus Schleswig-Holstein in den ver- Vergleich einzigartiges Netz mit mehr Impulsgeber/innen war Frau Staats- und Gemeinden brauchen vielfäl- Erachtens die gemeinsamen Wurzeln, gangenen 18 Jahren durch kulturelle rund 34.000 Feuerwehr-Standorten sekretärin Prof. Dr. Christiane Dienel tiges, vernetztes Engagement der die vielfachen Verknüpfungen und Wohltätigkeitsveranstaltungen mit und mehr als einer Million ehren- vom Ministerium für Gesundheit und Bürgerinnen und Bürger. Ich sehe auch die Kultur prägende Wirkung verschiedensten Künstlerinnen und amtlich tätiger Einsatzkräfte, davon Soziales des Landes Sachsen-Anhalt. dem weiteren Diskurs darüber mit im ländlichen Raum. Eine weitere Künstlern bisher erbracht. Von dem 75.000 Frauen. Sie hat die wesentliche Herausforde- Spannung entgegen. Institution dabei ist gerade in der Geld werden Vereine und Projekte Dieses System ist nur tragfähig, rung sehr griffig zusammengefasst: Fläche noch immer die Kirche. Auch unterstützt, die krebs- und anderen wenn sich weiter Menschen für die zeitgemäße Traditionalität als Stärke Der Verfasser ist Präsident sie lebt in der Breite und Tiefe ihres schwerkranken Kindern helfen. freiwillige Mitarbeit in den Feuerweh- des ländlichen Raums. des Deutschen Feuerwehr- Angebots vom bürgerschaftlichen „Appen musiziert“ reißt eine ganze ren finden. Durch den demografischen Frau Professor Dienel sieht die verbandes Die Kirche im Dorf lassen Katholisches Kultur-Engagement im ländlichen Raum • Von Jakob Johannes Koch Wer redensartlich dazu auffordert, Als Nonprofit-Organisation ist sie für Glauben authentisch ausgedrückt „die Kirche im Dorf zu lassen“, Ehrenamtliche besonders attraktiv, sehen. meint das nicht unbedingt wörtlich. weil ihr Kultur-Engagement nicht Vor allem die katholisch ge- Sollte er aber! Wo Bürgermeister, wirtschaftlichen Zwängen gehorcht, prägten Landstriche haben eine Postamt, Gaststätte oder Laden sondern endogen, partizipativ und opulente religiöse Topographie. Die längst aus dem Dorf verschwunden dezentral organisiert ist. Das selbst Kombination von Sakral-Denkmal sind, ist die Kirche oft die letzte gemachte Feldkreuz des Bildhauer- und Natur, altem Pilgerweg und öffentliche Institution, die das Ge- Kurses der Landvolkshochschule wilder Vegetation, Kloster und Gar- meinschaftsgefüge noch stabilisiert: muss sich neben Peter Zumthors ten übt auf immer mehr Menschen seelsorglich, sozial-caritativ und kul- spektakulärer Bruder-Klaus-Feld- Faszination aus. Nicht erst seit Hape turell. Dem Kultur-Engagement der kapelle nicht legitimieren. Vielmehr Kerkeling empfinden gestresste Me- Kirche im ländlichen Raum gilt das bejaht die katholische Kirche die tropolenbewohner diese „Sakralen Augenmerk des folgenden Beitrags. Spannung zwischen Breiten- und Ex- Landschaften“ als heilsam, und die „Wenn die katholische Kirche sich zellenzkultur seit jeher und weiß sie weiße Industrie, d.h. Tourismus und musisch-ästhetisch engagiert, dann derart einzusetzen, dass sie nicht zum Fremdenverkehrswirtschaft, schöpft deshalb, weil sie die Freiräume des lähmenden Gegensatz, sondern zum dies als weichen Standortfaktor Übernützlichen schützen und wei- mobilisierenden Kraftfeld wird. ländlicher Regionen profitabel aus. ten will. Die katholische Kirche ist Jene Idee, die heute von der säku- Kultur-Routen wie die „Via sacra“ in beidem verpflichtet: Dem Dienst an laren Kulturpolitik unter dem Schlag- der Oberlausitz und Niederschlesien den Menschen und dem Dienst vor wort „Kulturraum“ als vermeintliche oder der Schwarzwälder „Kapellen- Gott. Gott lässt sich nicht verfügen Innovation propagiert wird (vgl. Säch- weg im Rothauser Land“ erleben wie irgendein ‚Ding in der Welt’. Wer sisches Kulturraumgesetz oder Hes- einen Hype. Allerdings nur so lange, glaubt, wird daher sensibel für alles, sisches Ballungsraumgesetz), ist vom wie der Bestand kirchlichen Kultur- was seine kognitiven Alltagsvoll- Urprinzip her eine ca. 1200 Jahre alte erbes gesichert ist. Die katholische züge entgrenzt. (…) Das verbindet kirchliche Erfindung: Viele Klöster ent- Kirche hat es in der Zangenbewegung den Glauben mit Kunst und Kultur: standen als bedeutende Kultur- und schwindender Eigenmittel und dras- Beides geht aus einer gesteigerten Bildungszentren bewusst in der Peri- tisch zurückgehender staatlicher Zu- Aufmerksamkeit in der Wahrneh- pherie und initiierten in den „struk- schüsse immer schwerer, ihre knapp mung der Wirklichkeit hervor.“ (Bi- turschwachen“ ländlichen Regionen 15.000 Dorfkirchen zu erhalten. schof Dr. Heinrich Mussinghoff in erstmals Ansätze kultureller Vertei- Hinzu kommen auf dem Land circa politik und kultur 5/2006) lungs- und Beteiligungsgerechtigkeit 35.000 sonstige Kirchendenkmale sowie interkommunaler kultureller wie Pfarrhäuser, ehemalige Zehnt- ls professionelle soziale Dienst- Synergieeffekte. Dies ist ein wichtiger höfe, Konventgebäude und klöster- A leisterin, Arbeitgeberin und Kul- Entstehungsfaktor für die reiche agrar- liche Wirtschaftsgebäude sowie 550 turträgerin ist die katholische Kirche soziale Kulturlandschaft im christlich- denkmalgeschützte Friedhöfe. Ohne ein Hauptfaktor für nachhaltige abendländischen Europa. ehrenamtliche Hilfe wäre auch dieser Entwicklungsprozesse im ländlichen Auf dem Land ist die Natur mit Kulturbereich nicht mehr zu bewälti- Raum. Dabei lässt sich ihr kulturelles ihrer Zyklik des Wachsens und Ster- gen. Innerhalb der letzten fünf Jahre Wirken nicht gegen ihr soziales Enga- bens ungleich intensiver erlebbar als entstanden in Deutschland mehr als gement ausspielen. Gerade in länd- in der Stadt. Diese Erfahrung ebenso 300 ehrenamtliche Initiativen für die lichen Regionen bedingt beides ein- wie die elementare Nähe zur Lebens- Denkmalpflege katholischer Gottes- ander komplementär: Die ländlichen mittelproduktion und -verarbeitung häuser. Das ist ermutigend, aber es Beratungsstellen, Kindergärten, Ca- führt auf dem Land zu besonderer dürfen noch mehr werden. ritas-Dienste, Verbände oder räum- Sensibilität für Mythisches und Spi- Besonders auf dem Land, wo in lichen Versammlungsmöglichkeiten rituelles. Die Sprache der Bibel ist früheren Jahrhunderten nur wenige der katholischen Kirche bieten auch agrarisch geprägt. Mithin konnte sich Menschen lesen konnten, waren ein infrastrukturelles Grundgerüst das Christentum im ländlichen Raum Bilder beliebte Medien zur Verbrei- Bruder-Klaus-Feldkapelle bei Wachendorf/Eifel, 2007 erbaut von Star-Architekt für musisch-ästhetische Aktivitäten, organisch in die jahreszeitlichen tung des christlichen Glaubensgutes. Peter Zumthor, rechts im Bild der rustikale Bildstock. Foto: J. J. Koch die ihrerseits Gemeinschaft stiften. Kulte und archaischen Heiligtümer Bildstöcke, Votivsäulen, Wegekreuze, „Kultur-Diakonie“ nennt die Kirche inkulturieren: Die Kirche schaffte religiöse Bildmotivik an öffentlichen oder das Museum Kartause Astheim aktiv, unterhalten Schulen, Internate, dieses Konzept. die vorchristlichen Traditionen nicht Plätzen, Brunnen und Gebäuden überzeugen durch moderne mu- Kongress- und Bildungszentren, Während in den Mittel- und Ober- einfach ab, sondern verschmolz de- wurden von den Menschen wie seumspädagogische Konzepte und Bibliotheken, Buchhandlungen, zentren kirchliche Kulturarbeit eher ren große ästhetische Kraft mit der eine „Biblia pauperum“, d.h. bilder- müssen in puncto Originalität den veranstalten eigenverantwortlich Se- in Form kultureller Bildung und christlichen Symbolik. Dies findet buchartige „Armenbibel“ angeschaut. Vergleich mit den großen Museen der minare, Ausstellungs- oder Konzer- kulturpolitischer Akzente stattfindet, sich auch wieder in der Liturgie und Heute werden diese Bildzeugnisse Städte nicht scheuen. treihen – und dies alles in Regionen, geschieht sie im ländlichen Raum vor dem ausdrucksstarken Ritual der wieder neu als ländliches Kulturerbe Wie eingangs erwähnt, sind die wo es sonst fast keine öffentliche allem als Aktivierende Kulturarbeit. Kirche, die nicht nur Angelpunkt wertgeschätzt und von Heimatpfle- katholischen Klöster – ca. 1.400 im Bildungs- und Kulturinfrastruktur Ohne Romantisierung kann man fest- christlicher Religiosität, sondern gern und ehrenamtlichen Initiativen ländlichen Raum Deutschlands – bis (mehr) gibt. Herzstück der Klöster stellen, dass in ländlichen Regionen auch immaterielles Kulturerbe ers- betreut. Daneben gibt es auf dem dato kulturelle Leuchttürme in der sind Abtei- und Wallfahrtskirchen, solidarische Handlungsinitiative, ten Ranges sind. Insgesamt 240.000 Land bundesweit 35 Kloster- und Peripherie. Zunächst rein infrastruk- die den Besuchern in Kirchenfüh- Bindungsfähigkeit, Tradierungskraft Kinder und Jugendliche wirken in Missionsmuseen und etwa 50 Museen turell, insofern sie als architektonisch rungen teils mit modernen Medien und Beharrungsvermögen stärker ländlichen Regionen als Ministran- mit konzeptioneller bzw. finanzieller großzügige, ästhetisch herausragende wie Online- oder Audiovisuellen ausgeprägt sind als in der Stadt. Dies ten, d. h. Assistenten des Priesters Beteiligung der Kirche unter wesent- Versammlungshäuser dienen. Dann Guides erschlossen werden. Die sind ideale Voraussetzungen für das im Gottesdienst mit, ca. 80.000 er- licher Mitarbeit von Ehrenamtlichen. aber auch inhaltlich, weil die traditi- Wallfahrtskirchen ziehen jährlich kulturelle Ehrenamt. Mit rund einer wachsene Ehrenamtliche nehmen Diese Museen sind kleine, aber feine onelle Gastlichkeit des Klosters eine Millionen von Gläubigen, Touristen Million Ehrenamtlichen (Statistik ebenfalls liturgische Dienste wahr. Perlen der peripheren Räume und integre und integrierende Atmosphä- und Bildungsreisenden an. Kleinode ohne sozial-caritative Ehrenamtliche) Die Gebets- und Gottesdienstformen leisten einen wichtigen Beitrag für re für die Vernetzung verschiedenster wie z.B. die Wieskirche im Allgäu kann die katholische Kirche auf dem der Kirche werden von den Menschen das kulturelle Gedächtnis der Region. Akteure ländlicher Kulturpflege bie- Land mehr Personen für Kultur mo- auf dem Land ganz selbstverständlich Neuere Museumsgründungen wie tet. Vielfach sind die Konvente selbst Weiter auf Seite 15 bilisieren als jede andere Institution. wahrgenommen, weil sie darin ihren das Kartäusermuseum Tückelhausen in der Kultur- und Bildungsarbeit Kulturlandschaft Deutschland politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 15

in Themenkomplexen wie „Mensch bewegung Deutschlands (KLJB) den Charakter von Eingliederungsri- region infrage stellen. Kirche erlangt Fortsetzung von Seite 14 und Gesellschaft“, „Familie und Per- genannt. Das Themenspektrum ist tualen in die dörfliche Gesellschaft. hier eine ganz neue Bedeutung. Ge- sönlichkeitsbildung“ oder „Mensch an den aktuellen Herausforderungen Neben ihrem sozialen Engagement rade in ländlichen Gebieten werden (1,1 Millionen Besucher p. a.), die in Landwirtschaft und ländlichem ländlicher Räume orientiert: christ- führen die KLJB-Ortsgruppen z.B. Kirchengemeinden und Dorfkirchen mitten in Wald und Flur stehen, Raum“. Christliche Akzente werden lich motivierte ökologische Ethik, Theater-Projekte durch (auch im immer mehr zu einem kulturellen prägen das kulturelle Leben ganzer u.a. auf Identitätsvergewisserung und Ernährungssouveränität, Gender- Dialekt), veranstalten mehrspartige Identitätsanker – für Christen wie für Landstriche. Reflexion ländlichen Volksbrauch- Mainstreaming oder Jugendpolitik. „Kulturbühnen“ oder pflegen tradi- Nichtchristen. Neben den zentralen Christlich-biblische Überlieferung tums sowie schöpfungstheologisch Daneben stehen traditionelle Akti- tionellen Tanz. Aufgaben der Verkündigung, der Seel- ist auch Ausgangspunkt der aus dem motivierte ökologische Nachhaltig- vitäten wie die Auseinandersetzung Die Enquete-Kommission des sorge und der Sozialarbeit wächst in Mittelalter tradierten „Geistlichen keitsethik gelegt. mit der Ortsgeschichte sowie Brauch- Deutschen Bundestages „Kultur in besonderem Maße die kirchliche Ver- Spiele“ und „Liturgischen Dramen“, Selbsthilfekompetenz und ver- tumspflege. Daran zeigen gerade die Deutschland“ hat also Recht, wenn antwortung für das kulturelle Leben“ die nach langer Zeit des Vergessen- netzte Eigenhilfe sind typisch für die 70.000 KLJB-Mitglieder im Alter von sie die Kirche als „zentrale kultur- (Schlussbericht der Kultur-Enquete S. Seins wieder eine Renaissance er- Landbevölkerung. Die zahlreichen 14 bis 26 Jahren großes Interesse und politische Akteurin“ bezeichnet. 147). Die katholische Kirche ist sich leben. Neben dem weltberühmten katholischen Vereine und Verbände sehen dies keinesfalls als Gegensatz, Und sie hat auch Recht, wenn sie dieser Verantwortung bewusst, hat sie Oberammergau konnte auch in vielen im ländlichen Raum unterstützen sondern eher als notwendige Kom- die Unverzichtbarkeit ihres Kultur- immer wahrgenommen und wird sie anderen Dörfern die Tradition der dies intergenerationell und milieuü- plementärgröße zu den innovativen Engagements besonders auf dem weiterhin wahrnehmen. Passionsspiele revitalisiert werden. bergreifend. Aus der Vielzahl katho- Aktivitäten des Verbandes. Brauch- Land vermerkt: „Die Ausprägung von Ehemals unbekannte Passionsspiele lischer Verbände seien exemplarisch tum im Festkreis des Kirchenjahres Identität gewinnt vor allem dort an Der Verfasser ist Kulturreferent im wie Perlesreut (Bayerischer Wald), die Katholische Landvolkbewegung wie z.B. Mai- und Kirchweihbräuche Bedeutung, wo Abwanderung und Sekretariat der Deutschen Bischofs- Sömmersdorf (Mainfranken) oder Deutschland (KLB) für Erwachsene ist selbstverständlicher Teil ländlicher Verlust an Infrastruktur die Verwurze- konferenz Waal (Allgäu) entwickeln sich zu und die Katholische Landjugend- Jugendkultur und hat nicht selten lung des Einzelnen in seiner Heimat- Publikumsmagneten, wovon auch die Touristik profitiert. Gerade die kleineren Spiele rekrutieren sich nach wie vor aus den katholischen Kirchengemeinden und schaffen im Das Dorf und seine Kirche Dorf ein großes Gemeinschaftsge- Kultur und Kirche im ländlichen Raum Ostdeutschlands • Von Axel Noack fühl. Neben den Passionsspielen gibt es eine wachsende Zahl kultureller Daran ist nicht zu zweifeln: Auch der und Aufgaben der evangelischen Sommerfestivals in Kirchenräumen. ländliche Raum steht vor weitgreifen- Kirche im ländlichen Raum.“ Open-Air-Veranstaltungen in Kreuz- den Veränderungen. Der gesellschaft- Die Lektüre dieses umfang- gängen oder Kirchenruinen erfreuen liche Wandel macht davor nicht Halt. reichen, sehr gut als Arbeitsmaterial sich zunehmender Beliebtheit. Auch bei uns sehen viele Menschen zu verwendenden Heftes macht In den ländlichen Regionen ihre Zukunft eher in der Stadt als mindestens eines deutlich: Gestalten Deutschlands wirken mehr als 13.000 auf dem Land. Und entgegen allen ist möglich. Das ist eine gute und alte katholische Chöre mit 300.000 Lai- vagen Hoffnungen auch in Familien evangelische Erkenntnis, nämlich enmusikern und -musikerinnen. mit relativ größerem Wohnraum und dass alle Situationen in die Gott uns Signifikant ist gerade auf dem Land naturnaher Wohnumgebung ist die führt, zu gestaltende Situationen der hohe Zuwachs bei kirchlichen Kinderzahl nicht signifikant größer sind. Da hilft kein Jammern und Kla- Kinder- und Jugendchören. Die ka- als in den Städten. Die so genann- gen. Da ist nach Wegen und Möglich- tholischen Chöre sind einerseits als ten „jungen Familien“ werden auch keiten zu suchen und oft sind wir alle Freizeitangebot auch für kirchlich auf dem Lande immer älter bis das vom Gestaltungswillen der Menschen weniger Geprägte attraktiv, musi- erste Kind geboren wird. Und: ge- überrascht und in unserm Kleinmut zieren aber zugleich regelmäßig im nauso häufig bleibt es dann auch beschämt worden. Gottesdienst. Etwa die Hälfte der bei einem Kind. Sind also die Stadt- Das gilt zum Beispiel in beson- Chöre wird von akademisch oder Land-Unterschiede immer stärker zu derer Weise im Blick auf unsere nebenberuflich qualifizierten Kir- relativieren? Nein, zu den allgemein- kirchlichen Gebäude, die ja für das chenmusikern geleitet. Neben den gültigen Folgen des demografischen kulturelle Leben auf dem Lande einen Chören wirken im ländlichen Raum Wandels kommt eben die immer noch besonderen Stellenwert haben. Nie- 15.800 Menschen in 1.700 kirchlichen anhaltende und im Saldo für den länd- mals hätten wir vor zwanzig Jahren Instumental-Ensembles. Das Spek- lichen Raum negative Bevölkerungs- zu hoffen gewagt, dass es möglich trum erstreckt sich vom klassischen bewegung durch Weg- und Umzüge sein würde, so viele Kirchengebäude Kirchenorchester – auf dem Land zum tragen. Nachrichtensendungen zu restaurieren. Wir haben in unserer meist das sog. „Salzburger Kirchen- haben dieses Thema längst für sich Kirche in den letzten Jahren einen trio“ (d. h. erste Violine, zweite Violine entdeckt und fragen danach, ob es wahren Bauboom erlebt. Wir haben und Bass) – über die kirchlichen Blä- bald ganze Landstriche ohne bäu- so viele Glocken gießen können wie Bertolt Brecht vor dem Berliner Ensemble. Foto: Marius Digel serchöre und geistlichen Volks- und erliche Wirtschaft gibt. Werden wir vorher in hundert Jahren und die Zahl Hausmusiken bis hin zur modernen bald mit Dörfern zu rechnen haben, der restaurierten oder neuen Orgeln Das hätten wir uns nicht träumen handle, durchaus vielschichtig zu ver- Sakropop-Band. Die öffentlichen in denen nicht ein Mensch mehr lebt? wächst wesentlich schneller als die lassen, was da in den letzen Jahren stehen. „Unsere Kirche“ kann schlicht Auftritte kirchlicher Musikensembles Möglicherweise werden wieder einige Zahl der Orgelspieler. passiert ist und immer noch passiert. meinen: Sie gehört doch in unsere sind in peripheren Regionen oft die Dörfer zur Wüstung werden, wie es Wir durften zum Beispiel erfah- Im Grunde haben wir in ganz vielen Dorf oder „meine Großmutter ist hier einzigen gehobeneren Kulturveran- schon in früheren Jahrhunderten ren, dass der ansonsten ziemlich unserer kleinen und kleinsten Dörfer getauft worden“. Auch Menschen, staltungen. Von Ehrenamtlichen ge- passiert ist. banal verwendete Satz: „Nun lasst eigene kleine „Frauenkirchen“ wie in die selbst nicht zur Kirche gehören, tragen, können sie zu sehr günstigen doch mal die Kirche im Dorfe!“ ein Dresden. sprechen von „ihrer“ Kirche. Konditionen angeboten werden. abei wird als erschwerend für Satz von großer theologischer und Schwieriger ist es schon, nach Zu den Erfahrungen, die wir in Neben der Musik ist die Leseför- D eine Kulturpolitik für den länd- gesellschaftlicher Bedeutung ist. den Motiven zu fragen, warum Men- den letzten Jahren haben sammeln derung eine wichtige Säule ländlicher lichen Raum hinzukommen, dass In vielen kleinen Dörfern ist die schen sich so für ihr Kirchengebäude können, gehört die Einsicht: Wir wer- Kulturarbeit: Die katholische Kirche alle diese Entwicklungen nicht etwa Kirche oft noch das einzige öffentliche einsetzen. Es wäre zu einfach, wollte den die Kirchen, gerade im ländlichen unterhält allein auf dem Land 2.400 gleichmäßig ablaufen werden. Schon Gebäude, das verblieben ist. Das hat man alles auf historische, in Son- Raum, nur solange halten und erhal- öffentliche Büchereien, die in Bayern jetzt ist zu sehen, dass es große re- manchmal eine ganz natürliche Erklä- derheit kulturhistorische Interessen ten können, solange es Menschen vielfach hauptamtlich, ansonsten gionale Unterschiede geben wird. rung: Ein Kirchengebäude muss sich zurückführen. Der hohe Denkmals- gibt, die sagen: „Das ist doch unsere aber von 20.000 Ehrenamtlichen Politischer Gestaltungswille wird nicht rechnen! Eine Verkaufstelle, eine wert einer Kirche allein ist es nicht, Kirche!“ Wollten eine Landeskirche betrieben werden. Die katholischen mit solchen Unterschieden rechnen Bäckerei, eine Kneipe usw. müssen ge- der Menschen aktiviert. Nicht weil oder eine Immobilienverwaltung öffentlichen Büchereien (KÖB) be- müssen und wir werden sie mitein- schlossen werden, wenn sie sich nicht eine Kirche berühmt oder besonders solche Gebäude erhalten wollen, so finden sich institutionell unter dem ander zu tragen haben. Eine „Politik rechnen. Eine Kirche „tickt“ anders. wertvoll ist, hat sie eine Chance res- könnten sie ganz leicht Millionen in Dach von Seelsorgeeinheiten und von der Stange“ wird den Problemen Sie wird gebaut durch Initiative von tauriert zu werden. Auch ist es nicht die Bausubstanz „versenken“ und es Pfarreien, in Bayern oft auch in Koope- nicht gerecht werden können. Unter- Einzelnen, denen es gelingt, andere etwa die Christlichkeit oder beson- wird trotzdem nicht gelingen. rationsträgerschaft mit Kommunen. schiede müssen ausgehalten und zu- zu mobilisieren. Dann „verfällt“ sie dere Frömmigkeit der Einwohner, Und: Wir werden die Kirchen nur Schwerpunkte des Buchangebotes gelassen werden. Vermutlich werden im Laufe der Jahrzehnte bis es wieder die den Ausschlag geben würden. In als Kirchen erhalten können. Für sind Spiritualität und belletristische wir auch die politische Gestaltung der nötig ist, sie zu restaurieren. Es gibt unser Landeskirche (mit knapp einer eine Kulturhaus oder ein Museum gehobene Literatur. Unverzichtbar verschiedenen ländlichen Räume nur also objektiv gute Gründe: In Kirchen halben Million Kirchenmitgliedern auf dem Lande, würden sich viel sind die hauptberuflichen diöze- bei einer stärkeren Kompetenzver- lässt sich investieren, ohne dass sich und ca. 2.300 Kirchengebäuden, weniger Menschen engagieren. Das sanen Fachreferenten, weil sie die lagerung in die Regionen und beim die Investition amortisieren muss. davon mehr als 1.500 älter als 500 schließt natürlich nicht aus, dass ehrenamtlichen Büchereimitarbeiter weitgehenden Verzicht auf zentrale Wenn z.B. eine Kirche im städtischen Jahre, gelegen auf der Fläche der unsere Kirchen eine Nutzungserwei- weiterbilden und so ein objektives Steuerung erreichen. Bereich an eine Kommune übertragen alten preußischen Provinz Sachsen) terung erfahren und nicht nur dem Qualitätsmanagement garantieren. Alle diese Entwicklungen gehen worden ist, etwa für die Nutzung als gibt es zur Zeit ca. 275 Förder- und Gottesdienst dienen müssen. Aber Die Benutzerzahl zeigt mit derzeit natürlich auch an den Kirchen, gleich Konzerthalle, müssen die Kommunen Kirchbauvereine mit mehr als 7000 sie müssen ein Ort bleiben, an dem 19 Millionen Entleihungen (Statistik welcher Konfession, nicht einfach in aller Regel einen um ein Vielfaches Mitgliedern, von den etwa die Hälfte „Gottes Ehre wohnt“. ohne Mittel- und Oberzentren) eine vorüber. Auch in den Kirchen fragen höheren Aufwand treiben, um eine nicht zur Kirche gehört. Wer seine Kirche renoviert, gibt leichte Steigerung gegenüber den wir uns, wie geht es weiter? Wie können solches Kirchengebäude zu erhalten. Was also bewegt die Menschen dem Leben im Dorf noch eine Chance Vorjahren. wir weiter nah bei den Menschen sein? Freilich ist das nur die halbe Miete: dazu, sich für ihr Kirchengebäude und will seinen Lebensraum gestalten Im ländlichen quartären Bil- Was kann unser Beitrag sein, damit das Immer braucht es Menschen, die sich einzusetzen? Weil die Frage nicht helfen. So gesehen ist die Renovierung dungssektor stehen 152 katholische Leben auf dem Land seinen eigenen uneigennützig mit Liebe und Engage- leicht zu beantworten ist, haben wir der zahlreichen Dorfkirchen durchaus Kreisbildungswerke und 19 katho- Wert hat und sich nicht zunehmend ment für „ihre“ Kirchen einsetzen. Sie mit der Universität Halle ein For- ein wirklicher und effektiver gesell- lische Land- und Heimvolkshoch- als defizitär gegenüber dem Leben in dürfen sich durch Niederlagen und schungsprojekt zur Untersuchung schaftlicher Beitrag zur Gestaltung schulen an vorderster Front. Sie der Stadt empfunden wird? Enttäuschungen nicht entmutigen der Motivation in den Förder- und des Leben und der Lebenskultur im wurden nach dem Kulturbruch des Das Leben auf dem Land zu ge- lassen und müssen unendlich viel Kirchbauvereinen gestartet. Man darf ländlichen Raum. Die vielen Men- Nationalsozialismus gegründet, um stalten heißt heute, den Wandel zu Kraft und Phantasie einsetzen, um gespannt auf die Ergebnisse sein. schen in den Kirchbauvereinen leisten Menschen aller Altersgruppen mün- gestalten. Daran führt kein Weg vor- die nötigen Mittel einzuwerben und Soviel ist deutlich: Es braucht eine einen nicht hoch genug zu schätzen dige Teilhabe am Gemeinwesen auf bei. Dazu hat die Evangelische Kirche Mittäter zu aktivieren. persönliche Beziehung zu dem Kir- gesellschaftlichen Dienst. der Basis des christlichen Menschen- in Deutschland in der Reihe ihrer Und das ist das Erstaunliche: Über chengebäude, wenn Menschen sich bildes und der freiheitlich-demokra- EKD-Texte einen bemerkenswerten die Zahl der Menschen, die sich so engagieren sollen. Dabei ist die im- Der Verfasser ist Bischof der Evan- tischen Grundhaltung zu vermitteln. Titel herausgegeben: „Wandeln und engagiert für ihre Kirchengebäude mer wieder anzutreffende Meinung, gelischen Kirche der Kirchenprovinz Die Bildungsinhalte bewegen sich gestalten. Missionarische Chancen einsetzen, sind wir beschämt worden. dass es sich doch um „unsere Kirche“ Sachsen. Kultur und Kirche politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 16

Gemeinsam – nicht getrennt Warum wir in Berlin einen verbindlichen Ethikunterricht brauchen • Von Michael Müller Berlin ist eine internationale Stadt. Das spiegelt sich auch in unseren Schulen wider. Die Berliner Schüler­ innen und Schüler sind unterschied­ licher Herkunft, sind von verschie­ denen Traditionen und Religionen geprägt. Angesichts dieser Vielfäl­ tigkeit ist es entscheidend, dass sie Gelegenheit haben, miteinander ihre religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen zu diskutieren, Un­ terschiede kennen zu lernen, aber vor allem auch gemeinsame Werte festzustellen. Das kann nur zusam­ men im Klassenverband geschehen. Die rot-rote Koalition hat deshalb zum Schuljahr 2006/2007 das Fach Ethik ab der 7. Klasse eingeführt. Die Praxis der ersten beiden Jahre ist viel versprechend und kann als Erfolg gewertet werden.

och zunächst ein Blick zurück: D Bis Mitte 2006 gab es an den Ber- liner Schulen keinen Werteunterricht, den alle Schülerinnen und Schüler besuchen mussten. Die Teilnahme am Religions- oder Weltanschau- ungsunterricht war seit 1948 in Berlin freiwillig – im Unterschied zu anderen Bundesländern. Geregelt wird dies durch die so genannte Bremer Klausel des Grundgesetzes. Für dieses fakul- tative Fach gab es keine Benotung. Bode-Museum, Museumsinsel Berlin-Mitte, Staatliche Museen zu Berlin. © Foto: Atelier Tesar Gerade an den Oberschulen wurde dieses Angebot jedoch sehr wenig unterricht besuchen. Und genau das Weltanschauungsgemeinschaften Hintergründen untereinander austau- angenommen. Im letzten Jahr vor ist aber in der Metropole Berlin nicht Religionsunterricht behält seinen und Kirchen. schen. Sie sollen miteinander reden der Einführung des Ethikunterrichts der richtige Weg. Wir lehnen deshalb Platz Die SPD hat bereits bei Einführung und nicht übereinander. Wir wollen hat von den Berliner Oberschü- das Volksbegehren ab. Gerade bei Doch was passierte mit dem Angebot des Ethikunterrichts in den Ober- damit eine Kultur der gegenseitigen lern gerade einmal ein Viertel am diesem so wichtigen Unterricht soll- des freiwilligen Religionsunterrichts schulen eine enge Kooperation mit Anerkennung fördern, die perspekti- Religions- oder Weltanschauungs- ten wir die Schülerinnen und Schüler nach der Einführung des Ethikunter- den Angeboten der Religions- und visch die Voraussetzung für ein fried- unterricht teilgenommen. In Fried- nicht nach Religionszugehörigkeit richts? Auch nach der Einführung des Weltanschauungsgemeinschaften liches Miteinander im pluralistischen richshain-Kreuzberg zum Beispiel separieren und die Klasse spalten. Werteunterrichts hat der freiwillige gefordert und unterstützt. Wir begrü- Berlin ist. Diese Idee grenzt sich damit war es kein einziger Realschüler, in Nein, nicht Moslems für sich, Chris- Religions- und Weltanschauungsun- ßen das Engagement insbesondere von naiven Multikulti-Vorstellungen Treptow-Köpenick waren es ganze ten für sich, Juden für sich – nicht terricht seinen Platz an den Schulen der evangelischen Kirche in diesem ab, die davon ausgehen, dass Integra- 6 Schülerinnen und Schüler. Kein jeder für sich allein. Gemeinsam behalten, wird in den Klassenräumen Bereich und wollen die Kooperati- tion ein Selbstläufer ist. Sie steht aber Hauptschüler in Treptow-Köpenick, muss die Auseinandersetzung erfol- unterrichtet. Die finanzielle Unter- onen weiter ausbauen. Aus unserer auch im Gegensatz zu einer Politik, Pankow und Lichtenberg besuchte gen über die Grundüberzeugungen stützung für diesen Unterricht durch Sicht ist dies der richtige Weg, einen die ignoriert, dass wir gerade in inter- diesen Unterricht. und Werte, die unsere Gesellschaft das Land wurde in vollem Umfang gemeinsamen Werteunterricht aller nationalen Metropolen Menschen mit Sicher, man hätte als Reaktion überhaupt zusammenhalten. Ich erhalten. Nach wie vor wird den Schülerinnen und Schüler durch die unterschiedlichen kulturellen und reli- darauf auch ein Wahlpflichtfach ein- meine damit Werte wie Toleranz, Religions- und Weltanschauungsge- wichtigen Beiträge der Kirchen und giösen Wurzeln haben. Berlin ist nicht führen können, so wie es das Volksbe- Gewaltfreiheit, Gleichberechtigung meinschaften bis zu 90 Prozent des Weltanschauungsgemeinschaften zu Oberammergau und wird es auch gehren „Pro Reli“ jetzt fordert. Beim und Solidarität. Unser aller Ziel sollte Aufwands für Personal- und Ausbil- bereichern. nicht werden – ob wir es bedauern Wahlpflichtfach müssen sich die sein, dass alle jungen Menschen mit dungskosten erstattet; jährlich sind Was hat sich für die Kirchen also oder nicht. Wir dürfen also die Augen Kinder aber individuell entscheiden, einem ausgeprägten demokratischen das rund 50 Millionen Euro. Und konkret mit dem neuen, gemein- vor den Realitäten in unserer Stadt ob sie getrennt voneinander Ethik, Grundverständnis und dem Respekt das werden wir auch weiterhin so samen Werteunterricht verändert? nicht verschließen. In Berlin gibt es evangelischen, katholischen, isla- vor anderen Weltanschauungen die halten. Denn es geht uns ganz und Zunächst zu den Grundschulen. Hier Schulen, in denen die große Mehrheit mischen oder jüdischen Religions- Schule verlassen. gar nicht um die Verdrängung von blieb alles beim alten – und wir sehen islamischen Glaubens ist. Die Schule auch weiterhin bei der relativ großen muss hier die Aufgabe haben, diese Teilnahme am freiwilligen Religions- Schülerinnen und Schüler auch über und Weltanschauungsunterricht den christlichen oder jüdischen Glau- in den ersten sechs Schuljahren ben zu informieren. Ebenso wichtig ist Kultur und religiöse Bildung keinen Handlungsbedarf. Auch an es, dass Katholiken und Protestanten Die sicherlich bekannteste Sammlung Martin Luther zurück und sollten der Religionsunterricht eine Sondersitua- den Berliner Oberschulen wird der mehr über die anderen in der Stadt früher Gedichte Bertolt Brechts ist die Erbauung der Leser dienen. – Auch tion. Das Berliner Schulgesetz regelt Religions- und Weltanschauungs- vertretenen Religionen erfahren. „Hauspostille“, die u.a. Werke wie in späteren Jahrhunderten gehörten bereits seit 1948, dass der Religions- unterricht weiterhin angeboten und Kinder ohne Religionszugehörigkeit „Von der Kindsmörderin Marie Farrar“ Hauspostillen zu den wichtigen evan- und Weltanschauungsunterricht Sache finanziert. Es ist aber ergänzend das – und das ist gerade im Ostteil der Stadt enthält. In der Einleitung schreibt gelischen Erbauungsschriften. – der Religions- und Weltanschauungs- reguläre Schulfach Ethik hinzuge- keine Minderheit – haben das Recht, Brecht: „Diese Hauspostille ist für den Ist religiöses Wissen erforderlich, um gemeinschaften ist. Die Teilnahme kommen. Die Kirchen sehen darin in der Schule mehr über Religionen Gebrauch der Leser bestimmt. Sie soll Gedichtsammlungen wie die Hauspostil- an diesem Unterricht erfolgt auf eine Konkurrenz und fürchten eine zu lernen. Dieses Verständnis und nicht sinnlos hineingefressen werden.“ le einordnen zu können? Wird religiöses freiwilliger Basis. Das Fach wird nicht zurückgehende Teilnahme beim die daraus erwachsende Toleranz ist Er ordnet weiter die Gedichte in: Bitt- Wissen benötigt, um ein Altarbild im benotet. Es spielt bei der Versetzung freiwilligen Religionsunterricht. Ich grundlegend für das friedliche Zu- gänge, Exerzitien, Chroniken, Psalmen Bodemuseum, bekanntermaßen ein keine Rolle. In den anderen Ländern frage mich aber, warum die Kirchen sammenleben in unserer Stadt. Der und Mahogonnygesängen, Die kleinen Museum in staatlicher Trägerschaft, zu ist, laut Grundgesetz, der Religionsun- nicht stärker die Chancen dieses gemeinsame Berliner Ethikunterricht Tagzeiten der Abgestorbenen und dem verstehen? Sollten alle Schüler mit re- terricht ein ordentliches Lehrfach und neuen Fachs ergreifen. Sie haben ist in diesem Sinne keineswegs der Be- Schlusskapitel. Brecht empfiehlt, jede ligiöser Bildung in Berührung kommen, untersteht der staatlichen Aufsicht. jetzt wieder die Möglichkeit, Kinder ginn eines Kulturkampfes, sondern ein Lektüre in der Hauspostille mit dem auch wenn sie keiner Religionsgemein- Diese Grundgesetzregelung greift in und Jugendliche zu erreichen, die Baustein der Prävention gegen einen Schlusskapitel, dem Gedicht „Gegen schaft angehören? Berlin nicht, weil hier bereits vor dem bisher keinen Kontakt zur Kirche Kampf der Kulturen. Die Aufgabe des Verführung“ zu beschließen. In diesem Mit dem Zusammenhang von Kultur 1. Januar 1949 eine landesrechtliche hatten. Ethikunterrichtes ist es, das friedliche bekannten Gedicht heißt es u.a.: Laßt und religiöser Bildung befassen sich die Regelung bestand. Es gilt also die so Miteinander und die Integration zu euch nicht verführen! // Es gibt keine nachfolgenden Beiträge von Michael genannte Bremer Klausel (Art. 141) Ethikunterricht fördert Integration fördern – und dafür ist er nach un- Wiederkehr. //Der Tag steht in den Müller, Vorsitzender der Berliner SPD des Grundgesetzes. Jüngst hat ein Journalist die Diskussion serer Auffassung genau das richtige Türen; //Ihr könnt schon Nachtwind und der SPD-Fraktion im Berliner Abge- Da der Religionsunterricht in Berlin über den Ethikunterricht und unsere Instrument. spüren://Es kommt kein Morgen mehr. ordnetenhaus, Wolfgang Huber, Bischof von nur wenigen Schüler besucht ablehnende Haltung zum Volksbegeh- Und zum Schluss: „Laßt euch nicht der Evangelischen Kirche Berlin-Bran- wurde – immerhin ist es ein zusätz- ren „Pro Reli“ gleich zum Kulturkampf Die Tür steht offen verführen // Zu Fron und Ausgezehr! denburg-schlesische Oberlausitz und liches Fach – und darüber hinaus sehr erklärt. Weiter kann man nicht neben Als Christ erhoffe ich mir durch das // Was kann euch Angst noch rühren? Ratsvorsitzender der EKD, Katrin Gö- viele Schüler keiner oder zumindest der Sache liegen. Denn die Einführung Fach Ethik aber auch neues Interesse // Ihr sterbt mit allen Tieren // Und es ring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deut- keiner christlichen Religionsgemein- des gemeinsamen Ethikunterrichts ist für die Kirchen. Die Perspektive, über kommt nichts nachher.// schen Bundestags und kulturpolitische schaft angehört, wurde in Berlin ein alles andere als der Beginn eines Kul- eine Kooperation alle Schülerinnen Der religiös gebildete, im lutherischen Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die verpflichtender Ethikunterricht für turkampfes – gegen welche Kultur oder und Schüler mit dem Ethikunterricht Augsburg aufgewachsene Bertolt Grünen im Deutschen Bundestag und die Sekundarstufe I eingerichtet. Religion auch immer. Im Gegenteil. zu erreichen, sollten sich die Kirchen Brecht warnt in diesem Gedicht vor Bernd Wolfgang Lindemann, Direktor Zusätzlich können Schüler den Religi- So ist es erstens – wie erwähnt – für nicht entgehen lassen und sich aktiv der Verführung durch Religion und vor des Bodemuseums Berlins. Mit dem onsunterricht besuchen. Die Berliner uns ein wichtiges Anliegen, dass auch an der konkreten Ausgestaltung des der Hoffnung auf ein Jenseits. Dieses Spannungsfeld von kirchlichem Auftrag Sondersituation wurde von politik und die Kirchen und Weltanschauungsge- Faches beteiligen. Ich würde mir das Gedicht spielt ebenso wie der Titel der und Kulturtourismus setzt sich Holger kultur zum Anlass genommen, sich meinschaften in den Ethikunterricht jedenfalls wünschen. Die Tür steht Gedichtsammlung „Hauspostille“ mit Treutmann, Pfarrer der Frauenkirche mit dem Thema Kultur und religiöse einbezogen werden. Und zweitens: offen! religiösem Wissen, denn Hauspostillen Dresden, auseinander. Bildung auseinander zu setzen. Es geht bei diesem Unterricht gerade gehen auf Predigtsammlungen von Im Land Berlin besteht mit Blick auf den Die Redaktion darum, dass sich Schülerinnen und Der Verfasser ist Landes- und Frakti- Schüler mit verschiedenen kulturellen onsvorsitzender der Berliner SPD Kultur und kirche politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 17

Die Berliner Bildungslandschaft als Hindernisparcours Zur Initiative ProReli • Von Wolfgang Huber Der Glaube versetzt Berge – uns ablehnen (von 20 auf 33 Prozent)­­. Bedeutung ist. Doch zugleich ist un- allen ist diese Aussage im sprich­ Aber das Entscheidende ist: Die In- verkennbar, dass das Verhältnis von wörtlichen Sinne recht geläufig. Und differenz ist in einem erstaunlichen Staat und Religionen im Sinne eines obwohl weder das Matterhorn noch Maß zurückgegangen. geordneten Gegenübers von welt- vergleichbare Gebirgsformationen Die Ordnung des Verhältnisses lichem Gemeinwesen und rechtlich wie die Alpen in der Berliner Land­ zwischen Staat und Religion, die die selbständigen Religionsverbänden schaft zu finden sind, werden in un­ heutige Lage in Deutschland prägt, tief in der christlichen Welt verwur- serer Region Gottvertrauen und Zu­ hat Wurzeln, die weit zurückreichen. zelt ist; denn das Christentum hat versicht in immer stärkeren Maße zu Der Historiker Heinrich August diese Unterscheidung hervorge- Schlüsselkompetenzen. Sie sind für Winkler hat diese Wurzeln unlängst bracht. Eine der großen Fragen, vor das zielstrebige Verfolgen eigener in einer sehr elementaren Weise auf denen wir heute stehen, liegt darin, Bildungs- und Lebensziele mehr als den Satz Jesu zurückgeführt: „Gebt ob wir andere Religionen, aber auch nötig, weil die Gesetzeslage, durch dem Kaiser, was des Kaisers ist, und diejenigen, die für sich selbst keine die der rot-rote Senat die Berliner Gott, was Gottes ist“ (Matthäus 22, Religion gelten lassen, für diese Un- Bildungslandschaft gestaltet, den 21)­­. In diesem Satz ist eine Unter- terscheidung gewinnen können. öffentlichen Raum in einen teilwei­ scheidung angelegt, die sich erst in Der Religionsunterricht als frei se kafkaesken Hindernis-Parcours einem langen historischen Prozess zu wählendes ordentliches Unter- verwandelt hat. ausgeformt hat; doch in diesem Pro- richtsfach in der organisatorischen zess kam – zum Teil gegen erhebliche Verantwortung der Religionsgemein- chülerinnen, Schüler und deren kirchliche Widerstände – etwas zum schaften ist ein integraler Bestandteil S Eltern, die das vom Grundge- Ausdruck, was in einer Grundorien- der in Deutschland gewachsenen setz geschützte Recht der positiven tierung des christlichen Glaubens und bewährten Ordnung des Ver- Religionsausübung als Christinnen selbst seine Wurzel hat: nämlich die hältnisses von Staat und Religion. In und Christen für sich bzw. für ihre Freiheit des christlichen Glaubens Berlin kann diese Gestaltungsmög- Kinder in Anspruch nehmen möch- von der Bevormundung durch po- lichkeit ebenso gewährt werden wie ten, geraten an staatlichen Schulen litische Macht, aber damit auch die in fast allen anderen Bundesländern spätestens ab der 7. Klasse in einen Freiheit der politischen Verantwor- auch. Bereich, in dem sie sich unfair behan- tung von religiöser Bevormundung. Insofern darf man auf den Aus- delt fühlen. Das gilt ebenso, wenn Die wechselseitige Unabhängigkeit gang des Berliner Volksbegehrens sie, ohne selbst kirchlich gebunden und die auf ihrer Grundlage mögliche gespannt sein. Den Berlinerinnen zu sein, in der Schule eine solide Kooperation prägen im Gang der und Berlinern wäre es zu wünschen, und sachkundige Einführung in die europäischen Entwicklung in wach- dass die Initiative ProReli zum Erfolg Welt des Christentums im Vergleich sender Deutlichkeit das Verhältnis führt. Denn ohne ein geklärtes Ver- zu anderen Religionen und Weltan- zwischen Staat und Kirche. hältnis zur eigenen Herkunft wird es schauungen erhalten wollen. Das heutige Staatskirchenrecht der nächsten Generation schwer fal- Der rot-rote Senat, der den ver- mit seinen Grundprinzipien der len, zukünftige Herausforderungen ständlichen Wunsch hat, dass alle Religionsfreiheit, der Trennung zu bestehen. Ein Wahlpflichtbereich Schülerinnen und Schüler eine von Staat und Kirche, des Selbstbe- „Religion/Ethik“ würde die Berliner Sensibilisierung in ethisch-religi- stimmungsrechts der Religionsge- Schulen deutlich attraktiver machen ösen Fragen erfahren, hat ab der meinschaften, der Säkularität und und die für eine gute Zukunft nöti- Sekundarstufe I das Pflichtfach Ethik Neutralität des Staates, der Gleich- gen Freiräume eröffnen. eingeführt. Da eine Abmeldung stellung aller Religionen im pluralis- von diesem Fach ausgeschlossen tischen System bildet das Ergebnis Der Verfasser ist Landesbischof der ist, benachteiligt der Berliner Senat eines langen Prozesses, für den das Evangelische Kirche Berlin-Bran- eindeutig diejenigen Schülerinnen gleiche Recht unterschiedlicher re- denburg-schlesische Oberlausitz und und Schüler, die evangelischen oder ligiöser Überzeugungen von großer Ratsvorsitzender der EKD katholischen Religionsunterricht besuchen möchten. Sie müssen zu allererst am Ethikunterricht teil- Das nmz-Fernsehen nehmen. Darüber hinaus stehen sie dann vor der Aufgabe, in der ohne- hin enger gewordenen Wochenstun- Friedrichswerdersche Kirche, Berlin-Mitte, Werdescher Markt, dentafel zusätzlich auch noch den © Staatliche Museen zu Berlin, Foto: F. Friedrich, Berlin Religionsunterricht anzuhängen. Beinahe zwanzig Jahre nach Umfragen bestätigen diese Ergeb- wird das Verhältnis von Glauben und Das Auge hört mit. der Wiedervereinigung Deutsch- nisse mehrfach. Eine manipulative Vernunft wieder zu einem öffent- lands fehlt in Berlin noch immer Umfrage, die scheinbar zu einem lichen Thema. eine vernünftige Regelung dieser anderen Ergebnis kam, wurde von Je unerbittlicher die europäische TV-Programm wirklich lösbaren Fragen. Zahl- dem befragenden Meinungsfor- Welt auf die globalisierte Wirtschaft reiche Personen des öffentlichen schungsinstitut selbst in aller Form ausgerichtet wird, je strikter Markt Kultur-Kompass für Deutschland Lebens sprechen enttäuscht von zurückgezogen. und Finanzkraft, Lohnnebenkosten Präsentation des Enquete-Berichts „Kultur in Deutschland“ einer Provinzposse: Erst, so hört Insgesamt 39.000 Unterschriften und Konkurrenzkampf das Leben Nach vierjähriger Tä- man es immer wieder, erteilen die hat die Bürgerinitiative ProReli bestimmen sollen, desto stärker tigkeit hat die Enquete- Berliner Politiker der Islamischen gesammelt. Sie zeigen, dass es in wird nach Gegenkräften gefragt. Die Kommission „Kultur in Förderation die Erlaubnis, an Berli- Berlin kein staatliches Monopol auf meisten spüren, dass Konsum allein Deutschland“ dem Deut- ner Schulen Religionsunterricht zu die Vermittlung von Werten geben nicht Halt gibt, dass Wirtschaft allein schen Bundestag ihren Abschlussbericht überge- geben, ohne die damit verbundenen darf. Das erste Ziel des Volksbegeh- nicht Sinn schenkt, dass Funktionie- ben. Er enthält die um- Fragen nach der Qualität dieses rens ist erreicht. Nun müssen in der ren allein nicht Bedeutung verleiht. fangreichste Bestands- Unterrichts zureichend zu klären. nächsten Stufe mindestens 170.000 Mit der Rückkehr der Religion rebel- aufnahme zur Kultur in Diejenigen, die diese Bruchlandung Unterschriften gesammelt werden. liert die Seele der Menschen gegen der Bundesrepublik, die zu verantworten haben, stellen dann Es ist eine Stärke der Demokratie, ihre kommerzielle Reduktion. Ich bislang erschienen ist – mit 465 Handlungs- fest, dass der islamische Religions- dass Entscheidungen, die sich nicht glaube auch aus diesem Grund, dass empfehlungen an Politik, unterricht das Schulklima negativ bewährt haben, korrigiert werden Entscheidungen, die den Menschen Verwaltung und Kultur- beeinflusst. In einem nächsten können. Die Berlinerinnen und nur noch als Konsumenten in den Organisationen. Schritt ziehen sie diesen Unterricht Berliner haben erkannt: Religiöse Blick nehmen, in die Irre gehen. Sehen Sie die Eröffnungsrede von Bundestagspräsident und ein In- als negatives Beispiel heran, um zu Kompetenz ist wichtig. Sie ist un- Die Vorstellung, dass sich der terview mit , der Vorsitzenden der Enquete-Kommission, anlässlich beweisen, dass Religionsunterricht entbehrlich für jeden einzelnen. Glaube in die Privatsphäre abschie- der Präsentation in der Berliner „Akademie der Künste“. ganz allgemein eher mehr Probleme Und sie wird gebraucht, damit das ben lasse und dass gesellschaftliches schaffen und der Zukunft im Wege Zusammenleben von Menschen Zusammenleben ohne die öffent- Musik im Alter stehen würde. Daraus wird dann verschiedener Religionen und Welt- liche Erkennbarkeit von Religion 3 Fragen an Bundesministerin Ursula von der Leyen die Folgerung abgeleitet, ein für anschauungen gelingt. Man muss und Glaube möglich sei, gehört Erstmals verlieh der alle verpflichtender Ethikunterricht die Sprache einer Religion gelernt der Vergangenheit an. Natürlich Deutsche Musikrat im sei die Lösung. Dabei könnte ein haben, wenn man auch andere bedeutet das keineswegs, dass alle Februar den „Musik- islamischer Religionsunterricht, Religionen verstehen will. Nur so Menschen sich zum Glauben an Gott preis 50+“ in Berlin. der mit anderen Unterrichtsfächern entsteht wirkliche Toleranz. In ei- bekennen. Aber in vergleichsweise „Wie wichtig ist das Musizieren für die äl- vergleichbar wäre, die Entwicklung ner Fächergruppe könnten Kinder kurzer Zeit ist deutlich geworden, tere Generation? Was eines aufgeklärten Islam in unserer und Jugendliche wählen, ob sie am dass dies eine der Fragen ist, in de- leistet Ihr Bundes- Stadt entscheidend fördern. christlichen Religionsunterricht nen man zu einer persönlichen Ent- ministerium in dieser Zahlreiche Berlinerinnen und teilnehmen, jüdischen oder isla- scheidung kommen muss. Während Hinsicht? Welche Rolle Berliner sprechen sich für ein Schul- mischen Unterricht besuchen oder 1992 noch ein Drittel der (West-)­­ spielt das Musizieren in Ihrer Familie?“ - fach Religion aus. Eine deutliche sich für den staatlichen Ethikunter- Deutschen auf die Frage, ob sie drei Fragen, die nmz- Mehrheit tritt dafür ein, dass Schü- richt entscheiden wollen. an Gott glauben, antworteten, sie Media der Bundesmi- lerinnen und Schüler frei zwischen Heute zeigt sich immer deut- wüssten das nicht, sind es heute nisterin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellte. dem staatlichen Ethikunterricht licher, dass sowohl die Engführung noch drei Prozent. Gestiegen ist in und dem Fach Religion in Verant- auf die Herrschaft eines vermeint- der Zwischenzeit nicht nur die Zahl wortung der Kirchen wählen kön- lich exakten naturwissenschaft- derjenigen, die sich zum Glauben nen. Besonders bemerkenswert: lichen Denkens als auch die totale an Gott bekennen (von 50 auf 64 Exklusiv und kostenlos unter Drei Viertel der Schülerinnen und Ökonomisierung in eine Sackgasse Prozent)­­, sondern auch die Zahl der- Schüler selbst wollen es so. Seriöse geführt haben. Nicht zuletzt deshalb jenigen, die diesen Glauben für sich www.nmzmedia.de Kultur und Kirche politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 18

Herausforderungen für den Religionsunterricht Zum Verhältnis von religiöser und kultureller Bildung • Von Katrin Göring-Eckardt Die beiden christlichen Kirchen in zu verweisen. Fragen wie: Was bedeu- Deutschland gestalten und prägen tete eigentliche Weihnachten oder gar kulturelles Leben in Deutschland Pfingsten?, oder: Warum wäscht man in erheblichem Maße. Sie sind be­ sich die Hände in Unschuld?, gilt es deutende kulturpolitische Akteure. dabei zu beantworten. Jährlich werden etwa vier Milliarden Zum Verständnis der Gegenwart, Euro von den Kirchen für Kultur auf­ zum kulturellen Begreifen, sind religi- gewendet, das entspricht der Höhe öse Grundkenntnisse unverzichtbar. der von Ländern und Kommunen Denn europäische Kultur ist und bereitgestellten Mittel. Die etwa bleibt wesentlich christlich geprägt 50.000 Kirchengebäude beherber­ – und mit ihr Moralvorstellungen, gen, ebenso wie die kirchlichen Brauchtum und künstlerische Aus- Museen, immense Kunstschätze. drucksformen. Keine Stadt ohne Die fortschreitende Musealisierung Kirche, keine Entwicklung der deut- der Kirchgebäude ist dabei freilich schen Sprache ohne Luther, kaum ein auch kritisch zu betrachten. Kirche klassisches Werk der Literatur ohne ist und bleibt zuallererst Raum des biblisches Motiv. Die Museen hängen Gottesdienstes und man wünschte voller Darstellungen biblischer Ereig- sich neben dem Faltblatt mit den nisse und deren Verarbeitung in Alle- kunstgeschichtlichen Besonderheiten gorie und Symbol. Dies zu erkennen, des Sakralbaus auch einmal mehr zu begreifen, zu verstehen, kann ohne eine Anleitung zum Beten. Kirchliche religiöse Bildung kaum gelingen. Museen entwickeln sich, wie andere Doch auch wenn religiöse Bildung Museen auch, zunehmend zu Kultur­ notwendig ist zum Verständnis von zentren. Über die Ausstellung hinaus Kunst, handelt es sich hier nicht um wird zu Vorträgen, Lesungen und eine Einbahnstraße. Dem Faust wird Konzerten eingeladen. man nur mit religiöser Grundbildung folgen können aber umgekehrt gilt: irchenmusik und jene, die sie wer den Nathan verstanden hat, K pflegen – die Chöre und Mu- der hat auch etwas über Religion sikgruppen der Kirchen bestimmen begriffen. das Musikleben in Deutschland ganz Kulturelle Bildung wird schwerer, wesentlich. Ob Schola oder Posau- auch deswegen, weil hier schon etwas enenensemble – fast eine Millionen verloren gegangen ist. Museums­ Menschen musizieren gemeinsam in pädogogen, Theaterleute, Lehrer den Gemeinden. Gerade im Bereich im Musik- und Deutschunterricht Berliner Ensemble. Foto: Marius Digel der Kinder- und Jugendarbeit ist diese können nicht mehr voraussetzen, kirchenmusikalische Arbeit von im- dass jeder Schüler und jede Schülerin die Religionslehrerinnen und -lehrer sein. Wir können nicht als Defizit Quellen als das Christentum ein. menser Bedeutung. Religiöse Sensibili- schon einmal eine Kirche von innen allein können das religiöse Bildungs- betrachten, dass ein ohne Berührung Bildung muss heute interkulturell sierung verbindet sich mit ästhetischer gesehen hat, um den Symbolgehalt defizit nicht auffangen. So werden mit dem Christentum Aufgewach- und interreligiös sein. Hier herrscht Erziehung und leistet einen Beitrag zur eines Kreuzes weiß oder sogar Trinität sich die Universitäten darauf ein- sener ratlos vor einem Werk von Nachholbedarf, dem sich alle Bil- kulturellen Bildung insgesamt. zu deuten versteht. stellen müssen, ihre angehenden Hieronymus Bosch steht, wenn wir dungsinstitutionen des Landes, und Jede zweite öffentliche Bücherei Hier kommt auch auf den Reli- Literaturwissenschaftlerinnen und islamischer Kunst selbst ahnungslos damit nicht zuletzt die Kirchen, stel- in Deutschland wird von den Kirchen gionsunterricht die neue Herausfor- -wissenschaftler zunächst in einem gegenüberstehen. len müssen. getragen. Kinder und Jugendliche derung zu, elementarste Kenntnisse Einführungskurs biblische Texte le- Kulturelle Bildung im 21. Jahr- werden hier gezielt an Bücher und an zu vermitteln, die in den Familien sen zu lassen, damit sie die Schlange hundert bedeutet Vermittlung von Die Verfasserin ist Vizepräsidentin das Lesen herangeführt und erlernen nicht mehr weitergegeben werden. als Methapher für das Böse zu erken- Kenntnissen über den eigenen Kul- des Deutschen Bundestags und damit eine elementare Kulturtechnik. Und schon aus diesem Grund ist nen lernen. turkreis, die eigene Tradition hinaus kulturpolitische Sprecherin der Doch kirchliche Büchereien verste- er unverzichtbarer Bestandteil des Religiöse Bildung allerdings kann und schließt damit konsequent die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im hen sich nicht nur als Ausleihstellen, schulischen Fächerkanons. Doch nicht auf das Christentum beschränkt Kenntnis auch anderer religiöser Deutschen Bundestag sondern auch als Orte der Kom- munikation und als Anlaufstellen für Fragen nach Orientierung und Sinn. Im ländlichen Bereich sind die katholischen und evangelischen Bü- Bewusstsein besser als Gefühl chereien oft die einzige Möglichkeit, Religiöse Bildung und Zugang zu Kunst und Kultur • Von Bernd Wolfgang Lindemann Literatur auszuleihen. Auf dem Land kommt Kirche zu- Die Frage lautet: Ist religiöse Bildung Geht es um die vielstrapazierten und dem Hintergrund christlich konfessi- neutralen Ambiente eines Galerie- nehmend eine besondere kulturelle erforderlich, um Zugang zu Kunst und so verletzlichen religiösen Gefühle, oneller Verabredungen zu begreifen: saales hängend, war ursprünglich Teil Bedeutung zu. Wo mit Abwande- Kultur zu finden? – und sie ist, an den oder um religiöses Bewusstsein, in Es war eine besonders herausragende eines größeren Ganzen, etwa eines rung der Verlust von Infrastruktur Direktor eines Kunstmuseums ge­ dem Vernunft mit Glaube idealer- Leistung der Renaissance, das pagane Flügelaltares, dessen Schrein mit einhergeht und finanziell klamme stellt, zusätzlich differenziert: Ist re­ weise sich verbindet? Nicht gemeint Erbe der Antike durch strikte Allego- Figuren geschmückt war; kleinfor- Kommunen kulturelle Angebote zu- ligiöse Bildung eine Voraussetzung, sind offenkundig Kenntnisse über risierung dem christlichen Selbst- matige Bilder waren dazu bestimmt, sammenstreichen, ist Kirche oft der um Zugang zu den in der Gemälde­ Religion(en)­­ von einem objektiven, verständnis in veränderter Natur von ihren Besitzern in die Hand ge- letzte Ort, an dem Kultur noch statt- galerie und der Skulpturensammlung weil säkularen Standpunkt aus; die wieder zugänglich und verwendbar nommen und aus naher Distanz be- findet. Der Gemeindesaal ist dann der ausgestellten Werken zu finden, um von den deutschen Bischöfen her- zu machen – fromme Gelehrsamkeit trachtet zu werden, vergleichbar dem einzig verbliebene öffentliche Raum, sie einordnen zu können? ausgegebenen „Kirchlichen Richtli- vermochte zum Beispiel den heid- Umgang mit Stundenbüchern, die im wo Lesung, Konzert, Diskussion nien zu Bildungsstandards für den nischen Gott Apoll umzudeuten in ausgehenden Mittelalter zunehmend stattfinden und Begegnung gelingen un ließe sich ja auch postulieren, katholischen Religionsunterricht“ ein Sinnbild von Sonne, Kunstfertig- Medium der Frömmigkeitsübung kann. Kirche bewahrt kulturelles Ge- N die Vorbildung der Museums- schließen dies, die „Perspektive eines keit, Harmonie und Tugend. Derlei auch bei den Laien wurde. Einige dächtnis, stiftet Identität und hält so besucher sei absolut zweitrangig; distanzierten Beobachters“, jeden- Bilder sind nur begreifbar mit guten Werke schildern Geschichten, sei es nicht zuletzt Gesellschaft zusammen. diese sollten die Bilder rein als Kunst falls ausdrücklich aus. Und schließ- Kenntnissen in der antiken Mytho- aus der Bibel, sei es aus den Legenden Dennoch: es darf nicht sein, dass wahrnehmen (eine Form der Rezep- lich: Was alles soll oder kann religiöse logie, und auch dann nur in ihrer der Heiligen; andere wiederum zei- Kirche zum Ausfallbürgen wird, wenn tion übrigens, die spätestens mit der Bildung umfassen, wollte sie einen ersten Sinnschicht. Die Lektüre von gen Gedankenbilder, etwa die in Ita- sich der Staat zurückzieht. Kultur Renaissance, und seither zuneh- Museumsbesuch mit vorbereiten? mindestens Gustav Schwabs „Sagen lien als Altarform seit der Renaissance bleibt öffentliche Aufgabe. mend, durchaus als legitim erachtet In welcher Form kann oder sollte sie des klassischen Altertums“ oder gar weit verbreitete sacra conversazione Kulturelle Bildungsarbeit der wird)­­. Andererseits wissen wir zum vermittelt werden? Ovid müsste streng genommen hier oder den Gnadenstuhl. Kirchen findet in den Gemeinden einen, dass unser Publikum sehr wohl Die Gemäldegalerie zeigt Bilder also vorausgesetzt werden, um die für Bekanntlich ist das Verhältnis der und Verbänden statt mit Foren und wissen will, welche Inhalte unsere vom 13. Jahrhundert bis in die Jahre das Begreifen notwendigen Kennt- christlichen Konfessionen zum Bild Vorträgen, an den theologischen Bilder transportieren. Zum anderen um 1800 – sechs Jahrhunderte Maler­ nisse mitzubringen. Die angedeute- weder starr noch über die Epochen Fakultäten und den evangelischen kommt die Kunst bekanntlich von eigeschichte also, aus allen Regionen ten weiteren, allegorischen Lesarten gleichbleibend. Die unterschied- und den katholischen Akademien den Inhalten gar nicht los: die Frage des christlichen Abendlandes. Weiter erschließen sich ohnehin erst über lichen Auffassungen umgreifen ein und natürlich in den Kindergärten nach der Bedeutung bleibt, selbst bei noch ist der Bogen in der Skulp- Benutzung anderer Werke – aber Spektrum, das von Ikonodulen über und Schulen. Unter den freien Trä- den häufig hermetischen Privatmy- turensammlung gespannt: Durch welcher Kunstliebhaber hat schon Skeptiker bis zu heftigen Ikonoklas- gern sind die Kirchen mit Abstand thologien der Moderne. die Zugehörigkeit des Museums für Benjamin Hederichs „Gründliches ten mit der totalen Ablehnung des die aktivsten: 90% der Kinderta- Ganz allgemein fällt ja bekannt- Byzantinische Kunst reichen die Mythologisches Lexikon“ in seinem Bildes im Kirchenraum reicht. Für gesstätten und 75% der Schulen in lich der Zugang zu den Dingen leich- Sammlungsbestände zurück bis in Bücherschrank? letztere steht in der Gemäldegalerie freier Trägerschaft sind kirchliche ter, wenn man etwas davon versteht: die Spätantike. Die in der Gemäldegalerie und das Beispiel Hollands, der vereinig­ Einrichtungen. Auch ein Spaziergang durch den Wald Und in der Tat: Ein Großteil dieser der Skulpturensammlung präsen- ten niederländischen Provinzen, Doch der Beitrag der Kirchen gewinnt durch Grundkenntnisse in Objekte beschäftigt sich ganz unmit- tierten Werke teilen sich mithin in die uns gleichwohl mit einer ho- beschränkt sich dabei nicht allein Fauna und Flora ungemein – und bei telbar mit religiöser, mit christlicher ihrer gedanklichen Tiefe nicht un- hen Produktivität überraschen, mit auf Trägerschaft, sondern bestimmt Pilzen zum Beispiel kann Ahnungslo- Thematik: das Leben Jesu, Heiligen- mittelbar mit: sie entstammen nicht tausenden von Bildern, mit einer sich wesentlich durch Tradierung sigkeit sogar töten. Wissen also wird legenden, sinnbildhafte Darstellun- nur unterschiedlichen Zeiten, die enormen Bildproduktion, auch mit und Vermittlung religiöser Inhalte. hilfreich sein, ohne Zweifel auch gen, in denen Glaubensgeheimnisse zumindest in Nuancen je anders über religiösen Themen!, die jedoch fast Religiöse Bildung heißt dabei auch, beim Museumsbesuch. Was jedoch, anschaulich gemacht werden. Selbst Religion nachdachten, sie sind zudem ausschließlich für den damals sich alltägliche Erfahrungen zu deuten um zum Thema zurückzukehren, jene Werke, die auf den ersten Blick in aus ihren ursprünglichen Funktions- erstmals etablierenden Kunstmarkt und zu erklären und auf die nicht soll man sich unter religiöser Bildung ganz anderer, in heidnischer Traditi- zusammenhängen gelöst, oft sogar selten unkenntlich gewordenen reli- vorstellen? Ist damit Religiosität ge- on zu stehen scheinen, Darstellungen nur fragmentarisch erhalten. Manche Weiter auf Seite 19 giösen Wurzeln des säkularen Lebens meint, persönliche Frömmigkeit gar? der antiken Mythologie, sind nur vor monumentale Tafel, heute isoliert im Kultur und kirche politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 19

dischen Malerei stehen, konfrontiert jener Kulturtechnik theologischen Epochen des Abendlandes sind und rungen, Seminare, Akademien, spi- Fortsetzung von Seite 18 mit Themen wie „Der Feldarbeiter Denkens, wie sie sich in den großen bleiben ohnehin ferne und von uns rituelle Bildbetrachtungen)­­ machen von Gibea bietet dem Leviten und Summen (nicht nur)­­ des Mittelalters durch mancherlei Grenzen getrennte sie den Lernort Museum lebendig. geschaffen wurden. Schließlich wölbt dessen Kebsweib Unterkunft“. manifestierte? Welten, mehr noch: sie beziehen aus Ein guter Religionsunterricht, das sich über all diese Objekte die Kunst- Zu wieder anderen Werken der Viel verlangt – und kein schu- diesem Anderssein in hohem Maße lehrt die Praxis, ist für die Besucher geschichte mit ihrer im Abendland Malereigeschichte ist wirklich subs- lischer Religionsunterricht wird erst ihren besonderen Reiz. Nicht sicher von Vorteil, in jedem Fal- hohen Bereitschaft und regen Fähig- tantieller Zugang nur möglich, wenn dies in wirklich erschöpfender Weise absolut, aber in der Tendenz geht es le besser als ein in theologischen keit zu formalen Veränderungen. religiöse Bildung weitergehende behandeln können (und hätte er den meisten Besuchern hier nicht Fragen zwangsläufig oberflächlich Welche Aspekte religiöser Bil- Kenntnisse umfasst. Welche Vorstel- diesen Ehrgeiz, wären die Schüler mit anders als bei der Auseinanderset- bleibender Ethikunterricht. Und in dung ließen sich als unumgänglich lungen hatten Mittelalter und frühe Sicherheit schneller erschöpft als der zung mit der Kultur des alten Zwei- jedem Fall ist Bewußtsein besser als oder zumindest hilfreich bezeich- Neuzeit über die Kosmologie, wie Stoff)­­. Zu erwarten ist jedoch, dass stromlandes, mit Ägypten, mit dem Gefühl – und hier darf noch einmal nen, angesichts der komplexen und denken die Konfessionen über die der Unterricht zumindest Grund- Königreich Benin, mit dem indischen auf die Richtlinien der Bischöfe vielfältigen Bildinhalte, zu deren Transsubstantiation, über die Recht- lagen sowie Bereitwilligkeit schafft, Subkontinent, mit Ostasien, mit dem verweisen werden: Der Religions- Verständnis sie beitragen sollten? fertigungslehre, die unbefleckte sich tiefer mit Religion und ihrer präkolumbianischen Amerika: auch unterrichts soll befähigen zu einem Selbstverständlich (und wir bleiben Empfängnis, die leibliche Aufnahme Geschichte auseinanderzusetzen. hier wird der Besucher nicht zuletzt „vor der Vernunft verantwortbaren bei den christlichen Konfessionen)­­ Mariens in den Himmel etc.? Welche Es kommt gar nicht so sehr darauf mit religiösen Zusammenhängen Urteil in Fragen der Religion und ist die Kenntnis der Bibel unabding- Texte neben der Bibel gehören zur an, alles bereits zu wissen, bevor konfrontiert. Die Museen haben des christlichen Glaubens“ – nicht bare Voraussetzung – freilich wissen christlichen Überlieferung? Kennen man ein Museum betritt: Wichtiger längst auf beides reagiert, auf den die dümmste Voraussetzung für die wir, dass traditionell dem Katholiken die Museumsbesucher das Augsbur- ist die Bereitschaft, das Museum Bildungshunger ihrer Besucher wie Beschäftigung auch mit Kunst. das Alte Testament nur wenig ver- ger Bekenntnis, den Katechismus, selber als den idealen Lernort zu auf deren defizitäre Kenntnisse: mit traut ist: häufig genug wird gerade Missale und Brevier zumindest vom begreifen, der eben diese Vertie- einer Vielzahl unterschiedlichster Der Verfasser ist Direktor des er rätselnd vor Werken der hollän- Hörensagen? Wissen Sie etwas von fung ermöglicht. Die vergangenen Informationsveranstaltungen (Füh- Bodemuseums Berlin Wegfahren, um sich selbst zu finden Kirche im Spannungsfeld von Kulturtourismus und Auftrag • Von Holger Treutmann Durs Grünbein schreibt in einem Ar- (H. Nehb: Du meine Seele singe, in tikel der Süddeutschen Zeitung: „In Predigtstudien VI, 1, S. 262)­­, der nicht puncto Religion bin ich Analphabet, so recht weiß, wie er die Leere in seiner wenn auch nicht ganz unmusikalisch Mitte füllen kann. Und dieser post- … (ich bin) einer, der heute wie säkulare Zeitgeisttourist in allen drei auf Katzenpfoten um die Kirchen Spielarten ist insofern gut beschrieben und Kathedralen herumschleicht als einer, der wie auf Katzenpfoten um und manchmal auch in sie hinein“ die Kirchen und Kathedralen schleicht. (Süddeutsche Zeitung 7.3.2007). Katzen sind flüchtige Tiere. Anders als der Hund, dem man Gehorsam ch möchte dieses Zitat aus zweier- abfordern muss, kommen und gehen I lei Gründen an den Anfang stellen. Katzen, wann sie wollen. Sie schlei- Erstens, weil ich mir hinter der Über- chen leise um die Kirchen herum, so schrift „Kirche im Spannungsfeld als schämten sie sich fast, nun doch von Kulturtourismus und Auftrag“ spirituelle Erfahrungen im Raum der immer konkrete Menschen vorstellen Kirchen machen zu wollen. Wenn sie möchte. Kirche existiert als Größe dann hineingehen, sind sie aber nicht nicht für sich, sondern ist nur, wenn selten zu heftigem Schmusen aufgelegt Menschen da sind. Kulturtourismus und leicht enttäuscht, wenn ihnen ist nicht ein theoretisches Phäno- all zu große intellektuelle Leistungen men oder eine Idee, sondern ist eine beim Erkunden des historischen bestimmte Ausdrucksform sozialen Kirchraums, liturgischer Formen oder Handelns, die sich unmittelbar mit anspruchsvoller Kunst zugemutet konkreten Menschen und ihren zum werden. Teil sehr desperaten Wünschen, Hoff- Manche flirten von der Kultur aus nungen und Absichten verbindet. auf das Religiöse. Gläubige finden Be- Und zweitens macht der Untertitel stärkung im Event der touristischen „Kirche im Spannungsfeld von Kultur- Pilgerfahrt. Und Atheisten sind dank- tourismus und eigenem Auftrag“ einen bar, wenn ihnen eine klare Struktur Gegensatz auf, der auf den ersten Blick angeboten wird, mit der sie sich im zwar einleuchten mag, wenn man sich heiligen Raum bewegen sollen, nach- eine Schlange wartender Touristen auf dem sie ihrer inneren Ehrfurcht und dem Dresdner Neumarkt vorstellt, die Unsicherheit mit der Ersatzhandlung leger gekleidet vor der Frauenkirche des Fotografierens vorläufig Ausdruck aus dem Bus steigen, und nach dem gegeben haben. Aussteigen ihre Fototechnik vorbe- Kurzum: Touristen sind, wie fast reiten wie Soldaten ihre Waffen kurz alle Menschen unserer Zeit, unstete vor dem Fronteinsatz. Man sollte und flüchtige Menschen. Sie haben dabei aber nicht all zu schnell dem ihre innere Mitte verloren. Ihr Acker meist aus innerkirchlicher Perspektive trägt zwar relativ reiche Früchte, aber formulierten Vorurteil aufsitzen, dass er macht nicht recht satt. Wir haben solche Touristen von vorn herein nur in der säkularisierten Welt Gott selbst das plakative Erlebnis suchen, das „getötet“ und sind im Projekt Atheis- mit dem Eigentlichen, was Kirche zu mus seither Suchende. bieten habe und ihr Auftrag ist, nichts Die Blüte des Tourismus hat wahr- zu tun haben kann. scheinlich viele Ursachen. Da ist die Menschen in einer offenen Ge- moderne Trennung zwischen Arbeit sellschaft wie der unseren suchen und Freizeit zu nennen, welche die etwas. Offen an dieser Gesellschaft Arbeit fast nur noch als Last, die Frei- ist ihre Mitte. Sie ist in der Regel leer. zeit aber als das eigentliche Leben fei- Und da wo früher eine unbedingte ert. Die Blüte des Tourismus hat ihren Bindung an einen Gott stand, findet Grund aber natürlich auch in der Mo- sich heute so etwas wie ein Platzhalter, bilität neuzeitlicher Gesellschaften, der von verschiedenen Menschen auf die aufgrund der marktwirtschaft- unterschiedliche Weise gefüllt wird. lichen Orientierung erforderlich ist. Dabei können kulturell-ästhetische Solche Mobilität bildet sich dann Erlebnisse im Bereich von Musik, auch im Freizeitverhalten ab. Ja, der Blick in die Dresdner Frauenkirche. Foto: Jörg Schöner Architektur, bildender Kunst oder Tourismus hat sich selbst der expan- Literatur eine religiöse Mitte vollends siven Tendenz marktwirtschaftlicher Hause ist, entdecken Janoschs Tiger die durch keine Reise – bestenfalls Verkündigung des Evangeliums von substituieren. Bei den Gebildeten Orientierung unterworfen. Erst nach und Bär erst auf ihrer Reise nach die letzte Reise erreicht werden kann. Jesus Christus zurückbleiben. Nicht unter den Verächtern der Religion und nach entdecken wir neu, dass Panama, wo es doch so schön nach Insofern treffen Tourismus und Kirche selten polemisch und nicht selten trifft man das am häufigsten an. Bei Erholungswert und Qualität einer Bananen riechen soll. nicht wie zwei Fremde aufeinander, aus dem eigenen Lager wird sie daher anderen sind es Reste christlicher Reise ja nicht parallel zur Entfernung „Ich bin dann mal weg“, um mich sondern haben in der Dialektik von als „Eventbunker“, „Museum“ oder Sozialisation, die im touristisch in- wachsen, die man dabei zurücklegt. selbst zu finden. Möglichst beiläufig Transzendenz und Konzentration, von „Konzertsaal“ diffamiert und hat un- teressanten Kirchraum revitalisiert Urlaub in der Nähe und nah an formuliert der moderne Zeitgeist- Freiheitsdrang und Bindungssehn- ter den Touristen oft mehr geistliche werden. Und in einer dritten Gruppe den Schätzen der regionalen Kultur tourist die Suche nach seiner religi- sucht eine innere Seelenverwandt- Sympathisanten als bei bekennenden finden sich nach meiner wenig em- findet nicht nur aus Gründen der ösen Bindung. Insofern bildet sich schaft. Da liegt m.E. das Potential Christen. Die Ursachen dafür sind pirisch gesicherten Beobachtung die Sparsamkeit wieder neue Anhänger. im Tourismus das ab, was Religion einer Kirche im Spannungsfeld von vielfältig und sollen hier nicht erörtert wirklich religiös Unmusikalischen, die Der Mensch sucht sich wieder neu auszeichnet. Transzendenz und Kon- Tourismus und eigenem Auftrag. werden. sich dem Raum des Religiösen nähern zu konzentrieren. Er ist auf der Suche zentration. Grenzüberschreitung, um In besonderer Weise eilt der Dres- Hinzu kommt, dass die Frauen- wie einer exotischen Welt und sie mit nach der verlorenen Mitte. Der Weg die Mitte neu zu finden. dner Frauenkirche der Ruf voraus, sie kirche keine eigene Gemeinde im distanziertem Interesse mustern. nach Santiago de Compostella ist Kirchen bergen Menschen, die sei eine Kirche, die vom Tourismus parochialen Sinne beherbergt, und Harald Nehb hat in diesem Zusam- ein Weg, der Grenzen überschreitet, Heimat suchen, weisen aber eben überspült werde. Sie könne nur pla- menhang vom „skeptisch postsäku- um bei sich zu Hause anzukommen. zugleich auch weit über sich hinaus in kativ Kirche repräsentieren, muss Weiter auf Seite 20 laren Zeitgeisttouristen gesprochen“ Wie wertvoll und schön das eigene zu eine jenseitige Welt der Transzendenz, aber hinter dem Anspruch der reinen Kultur und Kirche / Zur Diskussion politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 20

Auftrags. Die Frauenkirche ist inso- weit über praktische Logistik hin- Fortsetzung von Seite 19 fern Schaufenster aber auch nied- aus. Sie muss vielmehr eine Hinfüh- rigschwelliges Mitmachangebot im rung der Gäste in den nichtsäkularen Kirche im Spannungsfeld Tourismus für kirchliches Leben ins- Raum leisten, die mit Klarheit und von Kulturtourismus... gesamt. Sie tut nichts anderes als an- Erkennbarkeit einerseits, aber auch dere Kirchen auch, ist in vielem – zum mit Zuwendung und Barmherzigkeit ausgehend von einem so geprägten Beispiel der liturgischen Gestaltung andererseits gestaltet sein will. Die Kirchen- und Gemeindeverständnis – vielleicht sogar konservativer und Frage der Bekleidung der Gäste, des das „Fehlen einer eigenen Gemeinde“ ist gerade darin überzeugend. Fotografierens im Kirchraum, des an- häufig nur als Defizit beschrieben gemessenen Verhaltens, des Bleibens wird. Dieses Urteil verkennt aber, 2. Orgelandachten zur Mittagszeit mit während des Gottesdienstes und des dass maximal 20% der Christen ei- anschließender Kirchenführung Wartens vor der Kirche ist viel mehr als ner herkömmlichen Gemeinde sich Das wohl am besten angenommene ein organisatorisches Randthema. Es auch am Gemeindeleben beteiligt, Angebot ist die Orgelandacht zur gelingt auch unterschiedlich gut, weil und 10% Gottesdienstbesuch schon Mittagszeit, und mit leicht geringerer die Gemeinde der Mitarbeitenden (ca. als herausragend bezeichnet werden Nachfrage die Abendandacht, die 500 Personen)­­ oft hohen psychischen müssen. D.h. gerade im Raum tou- aber das gleiche inhaltliche Konzept Belastungen ausgesetzt wird. ristisch interessanter Kirchen finden trägt. An die Andacht mit Orgelmu- Zur Beruhigung und Prägung des sich wenigstens sporadisch die wie- sik, Psalmlesung, Auslegung eines Kirchraums im geistlichen Sinn hat der, die aus welchen Gründen auch Bibelwortes, Gebet Vaterunser und entscheidend beigetragen, dass wäh- immer, innerhalb der Ortsgemeinde Segen, schließt sich nach etwa einer rend der Zeiten der geöffneten Kirche in der Regel abtauchen. Zusammen halben Stunde noch die Erklärung der alle halbe Stunden ein kurzer geistli- mit Kirchenfernen, treuen Katholiken, Kirche in einer zentralen Kirchenfüh- cher Impuls in Form eines Bibeltextes, bekennenden Protestanten, Ausgetre- rung an. Dabei werden die besondere eines Gebets oder eines literarischen tenen und wieder Kontakt Suchenden Geschichte, die Botschaft von Frieden Textes gelesen wird. Dieser 2-3-mi- bietet u.a. die Frauenkirche den Ort und Versöhnung und natürlich die nütige Impuls mit wenigen organi- für eine Gemeindeerfahrung, die dis- Erklärung des bildreichen Kirchraums satorischen Hinweisen endet mit tanziert genug bleibt, um sich nicht zur Sprache gebracht, die selbst ein dem Friedenswunsch und entlässt langfristig binden zu müssen, und Stück Verkündigung des Evangeliums praktisch keinen Besucher der Kirche zugleich aus der Vereinzelung in eine beinhalten. ohne eine persönliche Ansprache. Er Gemeinschaft führt, mit der man sich gibt dem Besuch eine winzige Struktur, gern identifiziert. Dass es nur spora- 3. Kirchenführungen die Interessierte zu intensiveren Be- disch möglich ist, Gottes Wort in eine Alle Kirchenführungen, geplante, gegnungen mit dem Kirchraum oder solche Gemeinde zu säen, liegt auf der spontane im Gespräch mit den Kir- Personen einlädt, und religiös Unmu- Hand. Allerdings haben Samenkörner chenführern während der freien sikalischen ein kleines Geländer zum und Sporen in der Verkündigung Jesu Besichtigung oder während des Seel- Verhalten im Kirchraum an die Hand immer eine Hochschätzung erfah- sorgeangebotes, Kinderkirchenfüh- gibt. Von Kirchenfernen, wie kirch- ren, weil sie ein unverrechenbares rungen, Sonderführungen für Staats- lichen Insidern wird diese Struktur Potential in sich tragen. So möchte gäste oder spezielle Gruppen tragen gern angenommen und begrüßt. ich an dieser Stelle lediglich einige diese beiden Botschaften: Versöhnung Veranstaltungen aus dem Leben der im politischen und Versöhnung im 5. Geistliche Sonntagsmusik und Frauenkirche porträtieren, die sich geistlichen Sinne. Sie sind ein Stück Kirchenkonzerte dem m. E. ausgesprochen fruchtbaren Verkündigung und nehmen insofern Zu relativ kleinem Preis findet am Feld zwischen (Kultur)­­-Tourismus und originär das Eigentliche des christli- Sonntagnachmittag alle 2 Wochen kirchlichem Auftrag stellen. chen Auftrags wahr. ein einstündiges Konzert mit Bezug zur Thematik des Sonntages im Kir- 1. Gottesdienste und Andachten 4. Geistliche Impulse chenjahr statt. Musikfreunde können Die Dredsner Frauenkirche. Foto: Jörg Schöner Es ist vielen einfach nicht bekannt, Dass es sich bei vielen Besuchern der spontan in der Frauenkirche Musik dass in der Frauenkirche mit Got- Frauenkirche um eilige Touristen an von hoher Qualität hören und be- es auch gern als Give-away bei sich · Nachtschwärmermediatationen tesdiensten und Andachten mehr heiligem Orte handelt, lässt sich nicht kommen über eine Kurzpredigt mit behalten, in das sie später wieder · Dresdner Lit. Orgelnächte Menschen erreicht werden, als in jeder bestreiten. Es ist eine Frage der Orga- Gebet eine zusätzliche Anregung aus Einblick nehmen oder es wie eine · forum frauenkirche anderen deutschen Kirche sonst. Zwei, nisation im relativ kleinen Kirchraum christlicher Perspektive. Ansichtskarte oder ein Foto zu den · Veranstaltungen zum 13. Februar manchmal drei Gottesdienste am Besucherströme von bis zu 10.000 Erinnerungsunterlagen von der Reise · Jugendfestival EVA 2008 Sonntag, mindestens zwei Andachten Menschen pro Tag so zu leiten, dass 6. Öffentlichkeitsarbeit nehmen. Die Kerntexte christlichen · Literaturabende täglich mit Orgelmusik, gemeinsamer möglichst wenige vor verschlossene Jede gottesdienstliche Veranstaltung Glaubens sind darauf verzeichnet. · Ausstellung im Stadtmuseum zur Psalmlesung, Gebet und Vaterunser, Kirchentüren kommen, zugleich aber wird durch ein gestaltetes Lied- bzw. Baugeschichte pro Jahr hundert Taufen und fünfzig das geistliche Programm im Innern Gebetblatt begleitet. Die anspre- 7. Weitere Formen, die eine Brücke · Raum in der Unterkirche zur Doku- Trauungen bilden kirchliches Leben von hoher Qualität und mit ausrei- chende Gestaltung führt dazu, dass zwischen Kultur und Kirche schlagen, mentation des Wiederaufbaus im Raum des Tourismus ab. Mehrere chender Konzentration gestaltet. Die viele dieses Blatt nicht nur als Werk- sind: tausend Menschen täglich erleben Aufgabe der Ordnungsdienste und zeug benutzen, um sich im Gottes- · Orgel – und Kirchenkonzerte Der Verfasser ist Pfarrer der so das Eigentliche des kirchlichen Gastgeber in der Kirche, geht dabei dienst zurechtzufinden, sondern · Konzerte Frauenkirche Dresden

Zehn Jahre sichtbare Kulturpolitik des Bundes Ein Plädoyer für den nächsten Schritt • Von Olaf Zimmermann Ich kann mich noch gut an die Anrufe um war zur selben Zeit das Interesse wie alle Staatssekretäre im Bundes- lich offen und unter parlamentarischer ausführlichen inhaltlichen Gesprächs- aus dem Bundeskanzleramt erin- an Kulturpolitik unter Innenminister kanzleramt und im Außenministerium Kontrolle des Bundestagsausschusses runden; Die Grünen wenige Wochen nern. Anton Pfeiffer, Staatsminister Manfred Kanther deutlich erlahmt Staatsminister genannt werden. Noch für Kultur und Medien als ein normales, vorher eine große kulturpolitische im Bundeskanzleramt unter Helmut und nur im Bundeskanzleramt wurde einmal richtig spannend wurde es bei wenn auch noch kleines, Politikfeld auf Veranstaltung im Paul-Löbe-Haus des Kohl rief öfter an, um mir, erst vor von Bundeskanzler Helmut Kohl und der Regierungsbildung im Herbst 2005. Bundesebene behandelt. Deutschen Bundestages; Die Union wenigen Monaten im März 1997 seinem Staatsminister Anton Pfeiffer hatte im Wahlkampf in Mit der Einsetzung der Enquete-Kom- gründete einen Kulturarbeitskreis und zum Geschäftsführer des Deutschen in fast konspirativer Weise, die Länder ihr Schattenkabinett keinen für Kultur mission „Kultur in Deutschland“ des die FDP eine Liberales Kulturforum. Kulturrates bestellt, ordentlich die sollten es ja nicht mitbekommen, noch Verantwortlich berufen. Auch nach der Deutschen Bundestages am 3. Juli Als Thinktanks nutzen die Linken ihre Leviten zu lesen. Soll ich ihnen das Kulturpolitik gemacht. Bundestagswahl ließ uns die Kanzlerin 2003 unter dem Vorsitz der Unionspoli- „Ständige kulturpolitische Konferenz“ Grundgesetz schicken, war sein hilf- Am 2. Februar 1998 trafen der Vor- lange zappeln, bevor sie endlich, Bernd tikerin Gitta Connemann und spätestens und die SPD ihr „Kulturforum der reiches Angebot an mich, wenn er stand und der Geschäftsführer des Neumann zum Kulturstaatsminister ins mit der Berufung von Bernd Neumann Sozialdemokratie“. Kulturpolitik ist seine Verärgerung über die Diskussion Deutschen Kulturrates den damaligen Bundeskanzleramt berief. Jetzt war klar, als Kulturstaatsminister in das von der auch ein Thema der Parteien auf der im Deutschen Kulturrat über ein eigen- SPD Vorsitzenden Oskar Lafontaine dass auch die Union ihren Widerstand Union geführte Bundeskanzleramt war Bundesebene geworden. ständiges Bundeskulturministerium in Bonn. In dem Gespräch sagte uns gegen die Benennung eines Kultur- die Bundeskulturpolitik vielfach zähne- Kulturpolitik ist heute fester Bestandteil ausdrücken wollte. In diesen Monaten Oskar Lafontaine zu, die vorhandenen staatsministers aufgegeben hatte. Eine knirschend in der Union auch bei den der politischen Agenda der Bundes- wurde mit harten Bandagen gekämpft. Kulturkompetenzen des Bundes auch sichtbare Kulturpolitik des Bundes war Ministerpräsidenten der unionsregierten regierung, des Bundestages und der Die Länder pochten auf ihre „Kultur- personell bündeln zu wollen. Wenige salonfähig geworden. Länder akzeptiert worden. Heute wird Parteien. Jetzt wird es Zeit darüber hoheit“ und der Bund zauderte, auf Monate später im Juli 1998 berief Natürlich ist der Union dieser Schritt von keiner im Deutschen Bundestag nachzudenken, ob die vor zehn Jahren eine eigene Bundeskulturkompetenz dann der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard auch deshalb möglich gewesen, weil ein vertretenen Partei eine sichtbare Bun- gewählten Strukturen der Bundeskul- zu bestehen. Schröder Michael Naumann in sein Kulturstaatsminister kein echter Minister deskulturpolitik mehr infrage gestellt. turpolitik ausreichend sind, um den Zum offenen Streit war es aber schon Wahlkampfteam. Gerhard Schröder mit eigener ministerialer Kompetenz ist. Für das letztlich neue Politikfeld „Bun- gewachsenen Aufgaben der Kulturpolitik drei Jahren früher gekommen, nach- wurde Kanzler, Michael Naumann wurde Vertreter von unionsgeführten Ländern deskulturpolitik“ haben die Parteien auf Bundesebene, aber auch zuneh- dem in der 13. Legislaturperiode der erste Staatminister für Kultur im weisen gerne darauf hin, dass die Union erste spezifische Programmatiken ent- mend auf europäischer Ebene, gerecht des Deutschen Bundestages (1994- Bundeskanzleramt. Im Deutschen Bun- doch auch schon unter Helmuth Kohl wickelt. Die SPD behandelte deshalb zu werden. Der Deutsche Kulturrat hat 1998) selbst der kleine Unteraus- destag wurde ein vollwertiger Ausschuss einen Staatsminister für Kultur, nämlich auf ihrem Parteitag im Oktober 2007 in vor mehr als zehn Jahren die Einrich- schuss „Kunst und Kultur“ des Innen- für Kultur und Medien eingerichtet. Das Anton Pfeiffer, gehabt hätte, der sich nur Hamburg das Thema Kulturpolitik, eben- tung eines Bundeskulturministeriums ausschusses, nicht wieder installiert war der Beginn einer sichtbaren Kultur- nicht so hätte nennen dürfen. Doch in so wie die FDP, die bereits im Juni 2007 und die Berufung einer echten Bun- wurde. Eine richtigen „Ausschuss politik des Bundes. Wirklichkeit wissen auch diese Länderver- ihrem Parteitag einen kulturpolitischen deskulturministerin oder eines echten für Kulturpolitik“ gab es zu diesem Heute, genau zehn Jahre später, ist das treter, dass die Benennung von bislang Schwerpunkt gab. Beide Parteien be- Bundeskulturministers gefordert. Diese Zeitpunkt schon seit 25 Jahre nicht alles schon Geschichte. Nach Michael vier Kulturstaatsministern im Bundes- schlossen u.a. auf ihren Parteitagen Forderung ist aktueller denn je. mehr. Auf der Bundesebene gab es Naumann, berief Gerhard Schröder kanzleramt die kulturpolitische Ordnung das Staatsziel Kultur ins Grundgesetz ab 1994 keinen parlamentarischen noch, Julian Nida Rümelin und Christina in Deutschland deutlich verändert hat. aufzunehmen. Die CDU/CSU-Bun- Der Verfasser ist Geschäftsführer des Ort mehr, um über Kulturpolitik spre- Weiss, zu Staatssekretären für Kultur Kulturpolitik des Bundes ist keine Ge- destagsfraktion veranstaltete im April Deutschen Kulturrates und Heraus- chen zu können. Im Innenministeri- und Medien im Bundeskanzleramt, die heimdiplomatie mehr, sondern wird end- 2008 ihren ersten Kultursalon mit geber von politik und kultur Europa politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 21

Von anderen lernen? Ein Blick auf die Kulturpolitik in Großbritannien • Von Max Fuchs Ob man wirklich von anderen ler- siken auf den Einzelnen. Jeder sollte nen kann, wird oft bezweifelt. Denn zum „Unternehmer seiner eigenen schließlich will jeder seine Erfah- Arbeitskraft“ erzogen und die Initiati- rungen selbst machen. Zudem ist ve dazu zur Not auch mit drastischen es oft fraglich, ob die Erfahrungen Maßnahmen erzwungen werden anderer auf die eigene Situation („Fordern und Fördern“). Wenn neue passen. Stellen geschaffen wurden, dann wa- ren es in erster Linie solche im Nied- rotzdem lohnt ein vergleichender riglohnbereich, womit eine weitere T Blick auf Entwicklungen, hier: angelsächsische und amerikanische auf kulturpolitische Entwicklungen Erfindung nach Deutschland impor- in Großbritannien, weil sich rückbli- tiert wurde: die working poor. All dies ckend überraschende Ähnlichkeiten wird inzwischen umfangreich und feststellen lassen. Man erinnere sich, breit in den Sozialwissenschaften dass unter Margaret Thatcher (Pre- und in der wissenschaftlichen Sozi- mierministerin von 1979 bis 1990) alpolitik diskutiert, wobei der ver- und Ronald Reagan (US-Präsident änderte Staatsbegriff, nämlich der von 1981 bis 1989) in den 1980er Euphemismus des „aktivierenden Jahren weltweit der erste große Schub Staates“, im Mittelpunkt steht. Es ist dessen stattfand, was man mit dem ein Staat, der zwar immer weniger (umstrittenen) Begriff des Neolibera- Geld für Soziales ausgeben will, der lismus bezeichnet. Stichworte waren aber in seiner Steuerungsfunktion er- und sind: Markt statt Staat, Abbau heblich gestärkt wird. Das scheinbar von Sozialleistungen etc. (vgl. Fuchs/ Paradoxe an diesem Ansatz ist, wie Schulz/Zimmermann: Konzeption stark neoliberale Ideen einen starken kulturelle Bildung III, Berlin 2005, kontrollierenden Staat benötigen. S. 257 ff.). Großbritannien stand an Paradox ist dies, da es gerade zur der Spitze dieser Bewegung, wobei Tradition des philosophischen und geistiger Stammvater dieser wirt- politischen Liberalismus gehört, den schafts- und gesellschaftspolitischen Einzelnen vor den Zumutungen und Ausrichtung der Chicagoer Nobel- Ansprüchen eines Obrigkeitsstaa- preisträger Milton Friedman ist. Es ist tes zu schützen. Auch in der Wirt- jener Friedman, der sich gleich nach schaftspolitik wird heute der Ruf nach dem Staatsstreich am 11.09.1973 einem regelnden Staat wieder größer. von Pinochet diesem als wirtschafts- Der Bundespräsident, immerhin politischer Berater andiente. Chile viele Jahre Chef des Internationalen Britische Botschaft Berlin. Foto: Marius Digel schien als Experimentierfeld für die Währungsfonds, spricht von zu zäh- Durchsetzung seiner wirtschaftspo- menden „Monstern“ in Hinblick auf kann. Und was bedeutet dieser „akti- ein heftiger Streit entbrannt. Renom- ging man offensiv auf Schulen zu, in- litischen Ideen gut geeignet. Denn das Finanzgebaren der Großbanken. vierende Staat“ für die Jugend? Man mierte Vertreter des Kunstbetriebes stallierte und finanzierte Programme, Schockzustände, so zeigt es Naomi Und fast täglich werden neue Skan- lese nur einmal die Titelgeschichte meldeten sich mit einer harschen die Künstler in die Schulen brachten. Klein in ihrem neuen Buch „Die dale bei unseren bestangesehenen des TIME-Magazins vom 7. April Kritik zu Wort (um nur ein Beispiel Begleitet wurde dies durch eine Fülle Schockstrategien – Der Aufstieg des Unternehmern bekannt, was zeigt, 2008 („Unhappy, Unloved and Out zu nennen: Andrew Brighton: Consu- guter Materialien zur Verbesserung Katastrophen-Kapitalismus“ (2007), dass gnadenloser Neoliberalismus of Control. An epidemic of violence, med by the political: the ruination of der Qualität der Zusammenarbeit, sind gut geeignet zur Durchsetzung auch mit der ethisch-moralischen crime and drunkenness has made the Arts Concil, 2006 – unter diesem zur Schulentwicklung, zur Entwick- drakonischer Maßnahmen. Sie zeigt, Grundtendenz des philosophischen Britain scared of its young“). Dabei Titel bei google zu finden). Dabei lung von Kultureinrichtungen und wie die zahlreichen Friedman-Schü- und politischen Liberalismus nichts besteht überhaupt kein Anlass, sich geht es nicht nur darum, dass die zur Qualifizierung von Künstlern für ler im Weißen Haus den Schock des mehr zu tun hat. Man sollte sich aus deutscher Sicht hier besser zu politische Funktionalisierung und einen Schuleinsatz. Das ambitionier- 11.09.2001 nutzten und es wieder in diesem Zusammenhang daran fühlen: Mit jedem neuen Armuts- Kontrolle der Künste beklagt wird. teste Projekt war die Einrichtung der taten, als im August 2005 der Hurri- erinnern, dass die Vordenker des bericht, mit jedem Lagebericht über Man bestritt auch die Wirksamkeit Abteilung „creative partnerships“ in- kan Katrina New Orleans zerstörte. Kapitalismus wie etwa Adam Smith Kinder und Jugendliche in Deutsch- dieser Politik: Sie erreiche überhaupt nerhalb des Arts Councils of England, Hier meldete sich der hochbetagte Moralphilosophen waren und ihren land wird klarer, wie stark Kinder nicht die gesetzten sozialen Ziele. Zu die mit erheblichen Mitteln Kunst Guru – er war inzwischen 93 Jahre Kapitalismus als Weg vorschlugen, und Jugendliche unter Armut und letzterem ergab sich daher folgerich- und Kultur in den Schulen platzieren alt – selbst zu Wort, um erneut seine die bösen und niederen Triebe des Ausgrenzung leiden, wobei die Hartz- tig ein erbitterter Streit über Evaluati- konnte. Gelungen ist dies vor allem Idee einer umfassenden Privatisie- Menschen zu zähmen. Gesetze ausdrücklich als Mitursache onsverfahren. Hier waren es vor allem dadurch, dass über creative partner- rung ehemals öffentlicher Leistungen Was bedeutet der „aktivierende der Armut genannt werden müssen die Studien von François Matarasso ships erhebliche Geldmittel (bis zu stark zu machen. So ist es dann auch Staat“ für die Kulturpolitik? Hier (siehe zuletzt den UNICEF-Bericht (Use or Ornament, 1997; zu finden 20.000 Pfund pro Schule) für Kultur- geschehen: Das Schulsystem wurde beginnt der Blick nach Großbritan- zur Lage von Kindern in Deutschland; im Netz), der eine Liste von 50 so- projekte bereitgestellt wurden (auf privatisiert, es entstanden „Charter nien interessant zu werden. Denn eine Zusammenfassung unter www. zialen Wirkungen aufstellte, die er der Homepage findet man eine Fülle Schools“ in der Hand von gewinno- Bildungs- und dann auch Kultur- unicef.de). behauptete nachgewiesen zu haben. an Information und Materialien). rientierten privaten Betreibern – mit politik rückten in das Zentrum der Die Kulturpolitik wiederum wur- Genau dies wurde bezweifelt. (Ein Teil Inzwischen gibt es Bemühungen, katastrophalen Ergebnissen gerade Blair-Regierungen. Immerhin blieb de in Großbritannien sehr stark einer dieser Debatte fand im International creative partnerships aus dem Arts für die armen Teile der Bevölkerung, es in beiden Feldern nicht bei blo- sozialen Zielsetzung unterworfen. Journal on Cultural Policy statt, z. B. Council herauszulösen – u.a. auch die man ohnehin nicht mehr beim ßer Rhetorik wie meistenteils in „Social inclusion“ und „social co- P. Meri: Evaluating the Social Impact deshalb, weil eine mögliche Ziel- Wiederaufbau der Stadt berücksich- Deutschland. Unter Toni Blair wur- herence“ sind die Schlüsselbegriffe. of Participation, die Antwort F. Mata- verschiebung weg von der sozialen tigen wollte (ebd. S. 25 ff.). Katastro- den die Bildungsausgaben um 60% Wichtig an Kunst und ihrer Förde- rasso: Smoke and Mirrors; beide Texte Funktionalisierung der Künste auch phen sind – so Naomi Klein – deshalb gesteigert. Auch die Kulturpolitik hat rung wurden die „social impacts“, sind über eine Suchmaschine leicht zu einer Reduktion der Bildungspro- erforderlich, weil die drastischen Ein- von diesem neuen Ansatz erheblich also ihre Wirkungen in Hinblick auf zu finden). Diese Debatte hält an, jekte führten könnte. schnitte in einer desolaten Situation profitiert, was ebenfalls kein Pendant einen gesellschaftlichen Zusammen- wobei inzwischen damit gerechnet Welche Schlussfolgerungen kann leichter umgesetzt werden können. in Deutschland fand. halt, auf Integration, auf Abbau von wird, dass in Zukunft erneut eine Ver- man aus diesem – freilich nur punk- Einen alternativen Weg ging Toni Allerdings war diese finanzielle Benachteiligung. Natürlich ist nichts schiebung der Ziele in Richtung „au- tuellen – Blick ziehen? Eine erste Blair. Es pfeifen heute die Spatzen von Steigerung mit erheblichen poli- gegen solche wohlmeinenden Ziele tonome Kunst“ stattfinden könnte. Schlussfolgerung ist, dass eine bil- den Dächern, dass harte Einschnitte tischen Veränderungen verbunden. einzuwenden. Immerhin wollte schon Interessant ist, dass im Rahmen einer dungssensible Kulturpolitik Erheb- in das Sozialsystem immer besser Der „aktivierende Staat“ ist nämlich Schiller die Künste im Rahmen seines Gegenoffensive gegen den Zahlenkult liches in den Schulen bewirken kann. von Sozialdemokraten vorgenom- auch ein Staat, der Ziele vorgeben politischen Reformprojektes nutzbar ständiger Evaluationen alternative Es muss allerdings auch ordentlich men werden, da dann der Protest und ihre Einhaltung scharf kont- machen. Aber was bedeutet diese Ansätze vorgeschlagen wurden. So Geld dafür bereitgestellt werden. Eine in der Gesellschaft kanalisiert und rollieren will. Die kulturpolitische Orientierung in der Praxis? Man kann schlagen Oliver Bennet und Eleonora zweite Schlussfolgerung: Kulturpoli- gedeckelt werden kann. Eingeleitet Zielvorgabe war eine soziale: Eine dies sehr gut am Arts Council England Belfiore (Rethinking the Social Impact tik ist wie jede Politik abhängig vom wurde dies durch die Konzeption allgemeine Teilhabe an Bildung und studieren. Dieser Arts Council ist eine of the Arts; zu finden im Netz) vor, Zeitgeist, von Mehrheiten, von un- des Dritten Weges von New Labour. Kultur wurde als Schlüssel für eine so genannte arms-length-organisati- auf die Traditionen der Wirkungsbe- belegbaren Wirkungsvorstellungen. „Alte Zöpfe“ sollten abgeschnitten, Teilhabe an Wirtschaft und Gesell- on, eine Fördereinrichtung also, die hauptungen in der philosophischen Offenbar ist ein Pendeln zwischen der Wettbewerbsgedanke in allen schaft gesehen. In der Bildungspolitik nicht unmittelbar Teil der Regierung, Ästhetik anstelle oberflächlicher einer sozialen Funktionalisierung Bereichen des öffentlichen Lebens wurde der Druck auf das Bildungs- allerdings stark unter ihrer Kontrolle Zahlenspielereien zurückzugreifen, und einer Autonomieideologie un- hochgesetzt werden. In Deutschland system, insbesondere auf die Schule, ist. In früheren Jahren konnte der Arts ganz so, wie es einer langen Tradition vermeidbar. Offensichtlich führen heißt das Agenda 2010. Es geht (u.a.) entsprechend verstärkt. Zusätzlich Council – übrigens eine Gründung von in Deutschland entspricht. Ein ande- jedoch beide Orientierungen zu um Arbeitsmarktpolitik. Dies bedeutet wurden zunehmend ausgetüfteltere Lord Keynes, einem weiteren Vertreter rer interessanter Text ist im Rahmen Einseitigkeiten. Eine dritte Schluss- allerdings weniger die Schaffung neu- Evaluations- und Kontrollsysteme im eines moralisch sensiblen Kapitalis- des Scotish Arts Council entstanden: folgerung: Die Rhetorik von „aktivie- er Arbeitsplätze. Die Arbeitsmarktpo- Bildungs- und Kulturbereich instal- mus – recht frei agieren. Unter dem Ein ambitionierter kulturpolitischer rendem Staat“ ist nicht ungefährlich. litik setzte vielmehr vor allem bei den liert. Der Erfolg dieser Bemühungen Signum des „aktivierenden Staates“ Gegenentwurf zur sozialen Ausrich- Anders als Befürworter des Slogans Betroffenen an: den Arbeitssuchen- hielt sich allerdings in Grenzen. So wurde er zunehmend – bis in die tung („Beyond Social Inclusion“, des „aktivierenden Kulturstaates“ in den. Diese sollten zu einer größeren klagen heute Schulen und Lehrer in Besetzung der zentralen Positionen 2003), der allerdings keinen Rückfall Deutschland annehmen, gibt es eine Mobilität gebracht werden. Der Mo- England über den enormen Aufwand, – unter die Kontrolle der Regierung ge- in eine gesellschaftsblinde Ausrich- reichhaltige (negative) Erfahrung mit tor war dabei nicht die Lockung mit den ein immer dichteres System stellt. Auch die Förderpolitik änderte tung der Politik anstrebt, sondern diesem Politikverständnis, die auszu- besonderen Leistungen, sondern die von Tests mit sich bringt. „Teaching sich: Gefördert wurden „community vielmehr das Europa-Rats-Konzept werten ist. Es hat also durchaus einen Androhung und Durchsetzung radi- for Testing“ – so bestätigte mir erst based arts“, wurden nur noch sozi- der „kulturellen Demokratie“ offensiv nachvollziehbaren Grund, wenn sich kaler finanzieller Einschnitte. kürzlich wieder eine renommierte ale Kunstprojekte. Dabei spielt die aufgreift. die SPD inzwischen von diesem Kon- Sozialphilosophisch bedeutet die Bildungsforscherin aus London – ist Überprüfung der Einhaltung der Ziele Die soziale Orientierung der Kul- zept verabschiedet hat und nunmehr Grundidee dieser Agenda-Politik, die inzwischen so weit Realität, dass es (Evaluation) eine wichtige Rolle. turpolitik hatte in Hinblick auf die Bil- mittels der Hartz-Gesetze realisiert zu einer Förderung festgestellter In den letzten Jahren ist über dungspolitik massive Auswirkungen. Weiter auf Seite 22 wurde, die Verlagerung sozialer Ri- Defizite erst gar nicht mehr kommen diese kulturpolitische Konzeption Denn aus der Kulturpolitik heraus Europa politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 22

Man will sofort praktisch wirksam und Theorie vor: Beides wird nur schaftbereich vorgehen würde. Eine Man kann – dies als weiteres Resümee Fortsetzung von Seite 21 werden. Ein Zuviel an vorangehender dann akzeptiert, wenn sich damit Anbindung an den durchaus hochent- – also durchaus auch in Fragen der theoretischer Reflexion gilt leicht als praktische Probleme lösen lassen. wickelten schultheoretischen Diskurs kulturellen Schulentwicklung von Eng- Von anderen lernen? überflüssige Ideologie. Man kann Dass englische Kulturpolitik gleich- in Großbritannien oder den USA findet land lernen, sollte jedoch nicht ohne zeigen, dass PISA sehr stark – gerade zeitig pragmatisch, theoretisch und kaum statt. Es könnte sein, dass sich Not auf die reichhaltige Forschung von einem „vorsorgenden Staat“ in seinem Bildungskonzept „literacy“ auch notwendig ideologisch ist, ist dieses sehr „pragmatische“ Vorgehen zur Schulentwicklung mit den damit spricht. – angelsächsisch geprägt ist. Neben aus den obigen Ausführungen deut- auf Dauer rächen könnte. Denn es verbundenen Auseinandersetzungen Im Hinblick auf eine Übertrag- dem Alltagsverständnis von „Pragma- lich geworden. Doch wie verhält es formiert sich allmählich die fachliche über die geeignete Theorienbildung barkeit britischer Erfahrungen ge- tik“ im obigen Sinne lässt sich dabei sich mit der von der Kulturpolitik aus Kritik an einer fehlenden theoretischen verzichten (vgl. etwa L. Fried: Päd- rade im Feld einer kulturpolitisch durchaus der philosophische Prag- betriebenen Schulpolitik? Hier fällt Untermauerung. Diese wird jedoch ge- agogisches Professionswissen und induzierten Bildungs- und Schul- matismus (Morris, Dewey, Pierce) auf, dass der Ansatz des Arts Council rade im Sinne einer Nachhaltigkeit und Schulentwicklung. Weinheim 2002).- politik ist vielleicht noch folgendes als seriöse Hintergrundphilosophie England einigermaßen hemdsärmelig Professionalisierung für notwendig interessant. Das englische Vorgehen zuziehen. Dieser schlägt ein instru- ist: Man gibt Geld, man setzt Ziele, man gehalten. Zusätzlicher Druck kommt Der Verfasser ist Vorsitzender des gilt üblicherweise als pragmatisch: mentelles Verständnis von Wissen evaluiert ganz so, wie man im Wirt- aus den kulturpolitischen Diskursen. Deutschen Kulturrates WTO-Verhandlungen plurilateral weiterführen Protokolle zur kulturellen Zusammenarbeit im Rahmen bilateraler Handelsabkommen der Europäischen Union • Von Hans-Jürgen Blinn Nach dem Scheitern der beiden letz- lung von Handelsabkommen mit der UN (CPC-Ziffern), wie sie bei ma Schutz des geistigen Eigentums, zukünftigen bilateralen Abkommen ten WTO-Ministerkonferenzen, 2003 Drittstaaten. Diese werden dann als den GATS-Verhandlungen üblich kommen. Der Austausch von guten sind dabei zu berücksichtigen, wie in Cancún und 2005 in Hongkong, gemischte Abkommen nach Anhö- ist, verzichtet habe, um zu betonen, Beispielen und Informationen über die Verhandlungen mit Staaten Zen- wurde zwischen den WTO-Mitgliedern rung des Europäischen Parlaments dass es sich nicht in aller erster Linie die zum Teil gesetzlich geregelten tralamerikas (CAFTA) zeigen. Dort verabredet, die Verhandlungen nicht vom Rat einstimmig beschlossen um ein Handelsabkommen handelt, Kulturförderungen in den einzelnen können Vereinbarungen im audio- mehr multilateral im Rahmen der und den nationalen Parlamenten sondern um ein Abkommen zur kul- Staaten sollen unterstützt werden. visuelle Dienstleistungsbereich nicht WTO, sondern plurilateral zwischen zur Ratifizierung vorgelegt. Die turellen Zusammenarbeit. Dabei gelte es, bereits bestehende ins Protokoll mit aufgenommen den einzelnen Staaten fortzuführen. Kommission führt die Rechtsgrund- Die Ziele des Ende letzten Jahres Gesprächforen zu nutzen. Der Auf- werden, da durch das Meistbegüns- Die Ergebnisse der plurilateralen lage auch zum Abschluss der Proto- abgeschlossenen Freihandelsab- enthalt und die Berufsausübung von tigungsprinzip (MFN-Klausel) im Verhandlungen sollen dann nicht kolle zur kulturellen Zusammenar- kommens mit CARIFORUM wur- Künstlerinnen und Künstlern soll in Rahmen des Freihandelsabkommens allein für die Staaten gelten, die an beit direkt auf die Erteilung dieses den überwiegend in Form von Ab- den Kooperationsstaaten erleichtert diese Zugeständnisse automatisch ihnen teilnehmen, sondern am Ende Mandats durch die Mitgliedsstaaten sichtserklärungen zur kooperativen werden. Technische Hilfe im Rahmen auch den USA zugute kämen, die der Doha-Runde für alle WTO-Mit- zurück – so jedenfalls die Erklärung Zusammenarbeit formuliert und neuer Entwicklungshilfe-Programme mit den CAFTA-Staaten bereits ein glieder; bis Ende 2007 gab es vier im 133er Ausschuss in Brüssel. zwar in den Bereichen allgemeine eingerichtet und der Technologie- Freihandelsabkommen abgeschlos- solcher Verhandlungsrunden. Weiterhin antwortete die Kom- Kulturdienstleistungen, Kulturakti- Transfer gefördert werden. Die tech- sen haben. mission auf entsprechende Nach- vitäten, Kulturgüter und im audio- nische Hilfe bezieht auch private Die EU-Kommission plant wei- m diese Verhandlungen vor- frage, man habe sich für ein ei- visuellen Sektor, unter Beachtung Firmen, Nicht-Regierungsorganisa- tere Freihandelsabkommen mit U anzutreiben, wird derzeit ein genes Kapitel für kulturelle und und Aufrechterhaltung der jewei- tionen und public-private-partner- Zusatzprotokollen zur kulturellen Verhandlungspapier diskutiert, das audio-visuelle Dienstleistungen ligen nationalen Kulturpolitiken. ships mit ein. Zusammenarbeit, u.a. mit den ASE- im Rahmen einer sog. „Signalling- entschlossen, um damit die Beson- Dezidiert werden im Abkommen Sehr umfangreich wird der au- AN-Staaten, Drittstaaten des Mittel- Konferenz“ auf höchster politischer derheit im Vergleich zu anderen Definitionen aus dem „UNESCO- dio-visuelle Dienstleistungsbereich meer-Raumes (EUROMED), Indien Ebene verabschiedet werden soll. Dienstleistungen anzuerkennen Abkommen zum Schutz und zur im Handelsabkommen behandelt. und Korea, sowie ein Assoziierungs- Die größten WTO-Handelspartner und die besondere Diktion der Ab- Förderung der Vielfalt kultureller Es wird auf die geltende EU-Me- abkommen mit der Gemeinschaft der sollen dabei politisch belastbare kommen im Vergleich zu anderen Ausdrucksformen“ vom 20. Oktober dienrichtlinie verwiesen, die den Andenstaaten (CAN). Erklärungen zu geplanten Verbes- Handelsabkommen darauf abstellen 2005 übernommen. Partnerländern einen bevorzugten serungen der bisherigen Dienst- zu können. Beleg dafür sei auch der Zwischen den Handelspartnern Marktzugang zusichert, um ver- Der Verfasser ist leistungsangebote abgeben, insbe- Umstand, dass man auf die Verwen- soll es zu einem verstärkten Kultur- stärkt Koproduktionen durchführen Bundesratsbeauftragter für die sondere zu Modus 4 (der Präsenz dung der Zentralen Gütersystematik austausch und Dialog, u.a. zum The- zu können. Besonderheiten bei GATS-Verhandlungen natürlicher Personen im Inland als Dienstleistungsanbieter) und verlässliche Aussagen hinsichtlich der weiteren Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern machen. Europäische Kulturpolitik nicht unterschätzen Die Notwendigkeit eines solchen Von Gabriele Schulz Treffens besteht deshalb, weil es, im Gegensatz zu den Verhandlungen In den bisher verabschiedeten eu- anderen davor, daraus eine Schwäche Ebene eingeschätzt. Sie betonten bewerb einziehen zu lassen, fallen bei Industrie- und Agrargütern, bei ropäischen Verträgen – zuletzt dem der europäischen Kulturpolitik abzu- wiederholt, dass es erforderlich ist, lassen würde, wurde spätestens bei Dienstleistungen keine „Zollabbau- Nizza-Vertrag – wird der europä- leiten. Im Gegenteil: als roter Faden den nationalen Vertretern im Rat die diesem Gespräch eines Besseren formel“ zur Reduzierung von Markt- ischen Kulturpolitik eine subsidiäre zog sich durch ihre Ausführungen das Einschätzungen der deutschen Zivil- belehrt. Die Kommission wird nicht zugangsbarrieren gibt. Funktion beigemessen. Und auch im Spannungsverhältnis zwischen Markt gesellschaft zu europäischen Vorhaben nachlassen, Druck auszuüben. Weiter Neben den WTO-Verhandlungen Lissabon-Vertrag, dessen weitere und Kultur in der europäischen Kultur- nahe zu bringen, damit von deutscher wurde informiert, dass ein Grünbuch hat sich die EU-Kommission, mit Zukunft nach der Ablehnung durch politik. Sie machten deutlich, dass die Seite entsprechend Position bezogen zum Themenfeld Urheberrecht und Zustimmung der Mitgliedstaaten, das irische Referendum unklar ist, Wettbewerbspolitik – allein aus der werden kann. Der Deutsche Kulturrat Wissensgesellschaft in Vorbereitung entschlossen, bilaterale Handels- ist nach wie vor vorgesehen, dass Geschichte der Europäische Union wurde aufgefordert, sich hier stärker zu ist. Hier soll es u.a. um neue Business- abkommen mit Drittstaaten und Kultur vor allem in die Zuständigkeit heraus – eine bedeutende Rolle spielt engagieren. Übereinstimmend wurde modelle zur Wissensvermittlung, eine Freihandelszonen abzuschließen. der Mitgliedsstaaten fällt. Die EU und sich dieses auch in der Betrach- angemerkt, dass sich die deutsche Modernisierung des Urheberrechts Dies sei notwendig geworden, da es hat, was die direkte Förderung von tung von Kulturgütern und kulturellen Position im Rat seit der Föderalismus- mit Blick auf den Zugang zu Wissen zwischenzeitlich zu dem bereits ge- kulturellen Vorhaben betrifft, nur Dienstleistungen niederschlägt. Als reform I nicht verbessert habe. sowie um Regelungen der Digita- schilderten Stillstand bei den Dienst- eine sehr schmale Zuständigkeit. Beispiele wurde die Politik gegenüber Nach dem Treffen mit den Abge- lisierung so genannter verwaister leistungsverhandlungen auf WTO- Insofern ist es nicht verwunderlich, Verwertungsgesellschaften genannt ordneten des Europäischen Parla- Werke gehen. Auch hier wird Obacht Ebene gekommen ist (Grund waren dass das neue Kulturprogramm sowie das zurzeit zur Diskussion ste- ments informierten Vertreter aus dem zu geben sein, dass die Regelungen u.a. die Subventionsstreitigkeiten im „Kultur 2007“ bei den Kulturverant- hende Telekom-Paket, bei dem es u.a. Referat Urheberrecht der Generaldi- nicht zu Lasten der Urheber gehen Agrarbereich) und nicht abzusehen wortlichen in Großstädten allenfalls um den Zugang von Frequenzen für rektion Markt den Sprecherrat des werden. ist, wann und wie zügig die Verhand- ein müdes Lächeln auf die Lippen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Deutschen Kulturrates über aktuelle Von Seiten der Generaldirekti- lungen weitergeführt werden können. zaubern kann, ist der Etat von 400 geht. Übereinstimmend wurde betont, Vorhaben im Urheberrecht. Zum ei- on Bildung und Kultur informierte Insbesondere werden die USA vor der Mio. Euro für die Jahre 2007 bis dass die EU sich zwar für die Konventi- nen wird das Thema „Gerechter Aus- Alison Crabb über die Umsetzung nächsten Präsidentenwahl keine 2013 verteilt auf allein 27 Mitglieds- on Kulturelle Vielfalt eingesetzt und sie gleich für private Vervielfältigungen“ der so genannten EU-Kulturagenda weiteren Liberalisierungsvorschläge staaten der Europäischen Union plus auch ratifiziert hat, das der Konvention weiter verfolgt werden. Nachdem (Eine europäische Kulturagenda im machen (können). assoziierten Staaten doch nicht zugrundeliegende Verständnis von bereits im Jahr 2006 eine erste Kon- Zeichen der Globalisierung). Die EU- Als erstes Ergebnis dieser bilate- gerade üppig. Kulturgütern als besonderen Gütern in sultation stattgefunden hatte, erfolgte Kulturagenda wurde im Mai 2007 von ralen Verhandlungen wurde zwischen vielen Generaldirektionen aber noch im ersten Quartal dieses Jahres eine der Kommission vorgelegt und im der EU und dem Zusammenschluss as hindert jedoch die Europä- keinen Niederschlag gefunden hat. zweite. Die Kommission hatte eine November 2007 vom Rat angenom- karibischer Staaten, dem sog. CA- D ische Kommission nicht daran, Als besonders problematisch wurde zweite Befragung der beteiligten men. Die EU-Kulturagenda begründet RIFORUM, Ende 2007 ein Freihan- sehr selbstbewusst und vor allem wir- der Bereich Urheberrecht genannt. Die Kreise durchgeführt, um, wie sie erstmals eine explizite Kulturpolitik delsabkommen unterzeichnet, das kungsvoll Kulturpolitik zu betreiben. Abgeordneten führten aus, dass sie sich schreibt, das Verständnis zum Funk- der EU. Folgende Ziele werden mit der ein Zusatzprotokoll zur kulturellen Davon konnte sich der Sprecherrat stets für den besonderen Schutz der tionieren nationaler Vergütungsab- EU-Kulturagenda verfolgt: Zusammenarbeit enthält. Bereits im des Deutschen Kulturrates bei sei- Verwertungsgesellschaften stark ma- gaben zu vertiefen. Dabei wurde in · engere Zusammenarbeit mit den Mai 2007 gab es dazu eine Anhörung nem Besuch am 12.06.2008 in Brüssel chen und sich gegen eine reine Wettbe- der öffentlichen Konsultation u.a. Mitgliedstaaten, der Zivilgesellschaft in Brüssel, an überzeugen. werbsbetrachtung aussprechen, diese auch nach der wirtschaftlichen, · Aufbau eines strukturierten Dialogs der ca. 60 Vertreter von Wirtschaft Zu Beginn traf sich der Sprecherrat Haltung aber schwer durchzuhalten sozialen und kulturellen Dimension mit dem Kultursektor, und bürgergesellschaftlichen Initi- mit drei kulturpolitisch engagierten ist, wenn Verwertungsgesellschaften der Vergütungssysteme für die Pri- · stärkere Einbeziehung des Kultursek- ativgruppen teilgenommen haben Abgeordneten des Europäischen Parla- selbst Empfehlungen der Kommission vatkopie gefragt. Nachdem am 27. tors in die Agenda von Lissabon, und bei der die EU-Kommission ments. Ruth Hieronymi, MdEP (CDU), umsetzen und neben dem deutschen Mai dieses Jahres eine öffentliche · rasche Umsetzung des UNESCO- erläuterte, welche Ziele und Maß- , MdEP (CDU) und Helga Urheberrechtswahrnehmungsgesetz Anhörung in Brüssel stattfand, ist nun Übereinkommens zur Vielfalt kultu- nahmen mit den Protokollen zur Trüpel, MdEP (Bündnis 90/Die Grü- Geschäftsmodelle entwickeln. Solche die Einsetzung einer Arbeitsgruppe reller Ausdrucksformen. kulturellen Zusammenarbeit in Zu- nen) stellten wichtige Themen aus der unternehmerischen Entscheidungen zu dem Thema geplant. Die Arbeits- Innerhalb kürzester Zeit wurden kunft erreicht werden sollen. Arbeit des Kulturausschusses des Eu- machen es auf europäischer Ebene gruppe soll aus sieben Vertretern der diese großen Ziele operationalisiert. Die Europäische Kommission be- ropäischen Parlaments vor. Zwei we- schwer, für den besonderen Schutz Rechteinhaber und sieben Vertre- Als Schwerpunkte wurden gesetzt: sitzt nach Art. 133, 300 und 310 EG- sentliche Grundaussagen prägten ihre für Verwertungsgesellschaften einzu- tern der Geräteindustrie bestehen. · Förderung des kulturellen Dialogs Vertrag unter Einbeziehung eines Statements: sie stellten zum einen her- treten. Wer jemals Hoffnungen hegte, dass und des interkulturellen Dialogs; vom Rat bestellten Ausschusses aus, dass die Kulturpolitik im engeren Als wesentlich wurde von den drei die Kommission das Vorhaben, die (Besonderer Ausschuss nach Art. 133 Sinne auf einer schwachen rechtlichen Abgeordneten das Zusammenspiel Verwertungsgesellschaften auf den Weiter auf Seite 23 EGV) die Kompetenz zur Verhand- Grundlage steht. Sie warnten zum von nationaler und europäischer Prüfstand zu stellen und mehr Wett- Europa politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 23

öffentlicht, an der sich europäische Fortsetzung von Seite 22 Netzwerke beteiligen konnten. Hieraus hat die Kommission eine Auswahl an hierfür dient vor allem das laufende Zusammenschlüssen und Netzwerken Europäische Jahr des interkulturellen getroffen, mit denen sie den struktu- Dialogs, rierten Dialog mit dem Kultursektor · Förderung der Kultur als Katalysator führt. – Die Kommission sucht sich für Kreativität; hierfür soll vor allem also ihre Zivilgesellschaft aus. das für 2009 geplante Europäische Alison Crabb führte aus, dass die Jahr der Kreativität dienen, in der EU-Kulturagenda vereinbarte · Förderung der Kultur als wesent- offene Methode der Koordinierung licher Bestandteil internationaler erst einmal nur zur gegenseitigen In- Beziehungen. formation dienen soll. Insbesondere Auf drei verschiedenen Ebenen soll sich über die berühmten best werden die Ziele umgesetzt. Zum practice Beispiele ausgetauscht wer- einen wurde eine Arbeitsgruppe instal- den. Fast schon bedauernd fügte sie liert, in der Mitarbeiter verschiedener hinzu, dass noch nicht von Indikatoren Generaldirektionen zusammenar- die Rede sein kann. Indikatoren, wie beiten. Sie ist interministeriellen sich die europäische, aber auch die Arbeitsgruppen auf der Bundesebene nationale Kulturpolitik entwickeln Die EP-Abgeordneten Ruth Hieronymi, Helga Trüpel und Doris Pack sowie Friedirch Röhrs von der ständigen Vertretung vergleichbar. Bei dieser Arbeitsgruppe sollte. Und genau dieses Bedauern der Bundesrepublik bei der Europäischen Union in Brüssel beim Gespräch mit den Mitgliedern des Deutschen Kultur- geht es vor allem darum, dass die Be- zeigt die Richtung an, in die sich rates. Foto: Stefanie Ernst lange des Kultursektors bei anderen die europäische Kulturpolitik über Politiken mitberücksichtigt werden. kurz oder lang entwickeln könnte. mancher Landtagskulturausschuss Dialog ein, da hier die unterschied- Die Gespräche des Deutschen Die bereits seit vielen Jahren in den Auf der einen Seite ist es sicherlich sich noch auf die Kulturpolitik im ei- lichen Positionen aus dem Kultur- Kulturrates in Brüssel untermauerten Europäischen Verträgen vereinbarte sehr positiv, wenn die Kulturver- genen Land konzentrieren wollen und bereich gebündelt werden. Für das einmal mehr, dass die europäische Kulturverträglichkeitsprüfung könnte träglichkeitsprüfung nunmehr mit darum kämpfen, dass der Bund nicht Jahr 2009 plant die Kommission ein Kulturpolitik einen großen Einfluss also mit Leben erfüllt werden. Zum Leben erfüllt wird. Vielleicht trägt zu heftig Luft holt. Das Engagement Interimsforum, das eine erste Aus- auf die Kulturpolitik im Inland hat. zweiten hat der Rat Arbeitsgruppen diese stärkere Kulturpolitik der EU des Bundes ist aber nichts gegenüber wertung der eingeleiteten Maßnah- Kulturpolitik in Deutschland wird, eingesetzt, in denen Delegierte der dazu bei, die Wettbewerbspolitik in dem konsequenten, unemotionalen men ermöglichen soll. Im Jahr 2010 was die Rahmenbedingungen wie z.B. Mitgliedstaaten zusammenarbeiten einigen Feldern in die Schranken zu Vorgehen der Kommission, die immer endet die erste Runde der offenen das Urheberrecht betrifft, bereits seit und sich spezifischen vom Rat for- weisen. Auf der anderen Seite wird wieder sagen wird, wenn Deutschland Koordinierung im Kulturbereich mit vielen Jahren auf europäischer Ebene mulierten Fragen widmen. Eine dieser aber auch deutlich, dass das, was nicht mitmacht, soll es sich ausklinken, einem Schlussforum. Die verschie- vorgeprägt, nunmehr gewinnt die eu- Arbeitsgruppen ist die zur Mobilität auf der nationalen Ebene im Zuge es gibt genügend Mitgliedstaaten, die denen Ebenen – interministerielle ropäische Kulturpolitik – nicht zuletzt der Künstler, in der neben Vertretern der Föderalismusreform I mit Blick diese Politik unterstützen. Wenn dann Arbeitsgruppe, Arbeitsgruppen des durch die EU-Kulturagenda – auch in der Regierungsseite der Vorsitzen- auf die Kulturkompetenzen des erst, wie im Lissabon-Vertrag vorge- Rates sowie strukturierter Dialog mit anderen Feldern an Bedeutung. Eur- de des Deutschen Kulturrates Max Bundes diskutiert wurde, ein leises sehen, das Einstimmigkeitsprinzip der Zivilgesellschaft – werden dann opa und Kultur ist längst nicht mehr Fuchs als Vertreter der Zivilgesellschaft Vorgeplänkel dessen war, was auf im Kulturbereich fällt, wird derjenige, Ergebnisse vorlegen müssen. nur ein Schmiermittel für den euro- mitarbeitet. Diese Arbeitsgruppen der europäischen Ebene kommen der sich nicht einmischt, letztlich das Abgerundet wurde das Treffen mit päischen Einigungsprozess; Europa werden von der Kommission durch wird. Die Kommission wird sich in Nachsehen haben. Alison Crabb un- den Kommissionsvertretern durch und Kultur erschöpft sich schon lange ein Sekretariat unterstützt und haben ihrer zielgerichteten Kulturpolitik von terstrich mehrfach, dass für sie die ein Gespräch mit Harald Hartung nicht mehr darin, die gemeinsamen ein sehr strammes Arbeitsprogramm Deutschland – und den deutschen Informationen aus den Mitgliedstaa- ,zuständig für Mehrsprachigkeit. Er Traditionen und Wurzeln zu betonen; zu absolvieren. Zum dritten hat die Ländern – nicht aufhalten lassen. Da ten von hohem Wert sind und lud den informierte über die zurzeit in Arbeit Europa und Kultur bzw. europäische Kommission eine Ausschreibung ver- mag manchen Kulturminister und Deutschen Kulturrat zu einem engen befindliche Mitteilung der Kommissi- Kulturpolitik wird zunehmend zu on zur Sprachenpolitik, in der auf die einem normalen Politikfeld wie an- Bedeutung der Sprache für Kommu- dere auch. Es ist daher essentiell auch nikation sowie als Ausdruck der kul- hier – wie in anderen Politikfeldern turellen Identität eingegangen werden ebenso – die deutschen Interessen zu Europa und die Kultur soll. Der Deutsche Kulturrat betonte vertreten. Kulturpolitische Bemühungen in Europa gehen weiter • Von Barbara Gessler in diesem Zusammenhang erneut, Deutsch als Arbeitssprache ernster zu Die Verfasserin ist Wissenschaftliche Nach dem irischen Referendum Zugang zu Kultur andererseits be- in der Telekommunikationspolitik nehmen und Dokumente in deutscher Mitarbeiterin beim Deutschen zum Reformvertrag von Lissabon fasst. Die beteiligten transnationalen spielen die unterschiedlichen Syste- Sprache zugänglich zu machen. Kulturrat ist wieder allerorten die Rede von Organisationen sind im Rahmen me und Herangehensweisen an das einer Krise der Europäischen Uni- einer Aufforderung zur Interessens- Thema Urheberrecht im digitalen on, dabei zeigen gerade auch die bekundung ausgewählt worden und Zeitalter, ihre Wahrnehmung und gemeinsamen Bemühungen um sind namentlich auf der Homepage grenzüberschreitende Erteilung Abonnieren oder empfehlen Sie kulturpolitischen Fortschritt, dass der Generaldirektion Bildung und sowie der Umgang mit Frequenzen eine fruchtbringende Zusammenar- Kultur der Europäischen Kommissi- hier eine wichtige Rolle. Verschiedene puk und Sie erhalten ein ganz beit ganz unterschiedliche Formen on gelistet. Parallel dazu haben sich Traditionen und natürlich auch Inter- besonderes Dankeschön! annehmen und reüssieren kann. die aus den von den Mitgliedstaaten essen führen zu einer höchst diversen benannten Experten bestückten Ar- Beurteilung dessen, was auf der eu- olange der Lissabon-Vertrag oder beitsgruppen beim Rat selbst bereits ropäischen Ebene erfolgen kann, soll S ein anderer Reformvertrag nicht mit den ihnen vorgeschlagenen The- oder muss. Einig war man sich jedoch in Kraft ist, wird weiterhin auf der menkomplexen beschäftigt. Wie ein darin, dass eine Plattform für Online- Grundlage des Vertrags von Nizza Strukturierter Dialog konkret ausseh- Content, wie die Kommission sie vorgegangen. Schade ist jedoch, dass en kann, konnte man während des vorgeschlagen hat, grundsätzlich als einige wesentliche Verbesserungen letzten Ministerrats beobachten, wo Diskussionsrahmen zu begrüßen sei. Streitfall Computerspiele: aus Lissabon nun vielleicht doch die entsprechenden Repräsentanten Auch das Europäische Parlament hat Computerspiele zwischen nicht so ganz bald umgesetzt werden nicht nur direkt in den Dialog mit der sich in den vergangenen Monaten ge- kultureller Bildung, können. Gerade für den Kulturbereich slowenischen Präsidentschaft treten nau diesen Fragen intensiv gewidmet Kunstfreiheit und besonders relevant wäre etwa eine ver- konnten, sondern im Rahmen der und den Telekommunikationsbereich Jugendschutz. stärkte Möglichkeit für den Bundestag Trio-Präsidentschaft auch mit den mit besonderer Aufmerksamkeit Abo-Anzeige (und den Bundesrat!) gewesen, ver- vergangenen und der zukünftigen bedacht. Hg. v. Olaf Zimmermann und Theo Geißler. 140 Seiten, mutete Kompetenzüberschreitungen (Frankreich, Tschechische Republik Weiterhin hat die Kommission ISBN 978-3-934868-15-1, ISSN: 1865-2689, vonseiten der europäischen Ebene mit und Schweden) und konkrete Pro- eine interessante Studie zum Thema Preis: 9,00 Euro (+ 2,50 Euro für Porto und Verpackung) einer gelben oder gar roten Karte zu bleme und Bedürfnisse ansprechen ökonomische und kulturelle Auswir- ahnden. Auch die bessere Mitwirkung konnten. So ist dieser Prozess auch kungen der Territorialitätsklauseln 2. überarbeitete und erweiterte Auflage des Europäischen Parlaments, das im Kulturbereich zu verstehen, im in der Film- und Medienförderung nun quasi über alle Ausgabenarten Wesentlichen als direkte Hilfestellung vorlegen lassen, deren Lektüre sich ...... ein Mitspracherecht haben und bei für die politische Ebene für Verständ- lohnt und die die zuständigen Kom- fast allen Entscheidungen mitent- nis und Formulierung von kulturell missarinnen für Wettbewerb, Neelie Ich möchte politik und kultur (puk) abonnieren scheiden können sollte, ruht nun relevanten Belangen. Kroes, und für audiovisuelle Politik, ( 18,00/6 Ausgaben im Jahr, inkl. Porto) und erhalte als vorläufig. Dass der Ministerrat nun Der Ministerrat für Jugend, Bil- Viviane Reding, zu dem Vorschlag Geschenk das Buch: vorläufig auch weiterhin nicht öffent- dung und Kultur im Mai hat aber auch veranlasst hat, die derzeit geltende lich tagen wird, widerspricht ebenfalls noch andere wichtige Themen disku- Mitteilung zu staatlichen Beihilfen Streitfall Computerspiele dem Wunsch nach mehr Transparenz tiert. So hat er nicht nur das mehr- im Filmsektor um 3 Jahre zu verlän- und Offenheit. Die Anerkennung der jährige Arbeitsprogramm bis 2010 gern: http://ec.europa.eu/avpoli- Meine Adresse (=Rechnungsanschrift) besonderen Rolle der kommunalen angenommen, sondern auch das cy/info_centre/library/studies/in- Ich abonniere puk Ebene oder die explizite Verankerung Europäische Jahr zur Kreativität und dex_en.htm. Dieses soll insbesondere der Daseinsvorsorge im Vertrag wer- Innovation 2009 benannt, das in der einer intensiveren Prüfung möglicher den nun auch auf noch etwas warten Kommission federführend von der Handlungsoptionen dienen. Name müssen. für Kultur und Bildung zuständigen Gleichzeitig haben Interessenten Gleichzeitig jedoch legen die Generaldirektion begleitet werden auch bis Mitte Juli die Möglichkeit, Arbeiten an der Umsetzung der Kul- wird. Einen großen Raum haben die zu einer Studie, die sich dem Thema Straße turagenda an Tempo zu. Einerseits Debatten über medienrelevante (au- Förderung von europäischen audio- haben zwei neue der in der Mittei- diovisuelle) Themen eingenommen, visuellen Werken („Quoten“) gemäss lung der Kommission angekündig- da die Minister sich nicht nur über der Neue Audiovisuelle Dienste PLZ Ort ten und vom Ministerrat begrüßten die kreativen Online-Inhalte ausge- Richtlinie widmet, beizutragen: Plattformen für den so genannten tauscht haben, sondern auch zur ent- http://www.attentional.com/news_ Unterschrift/Datum Strukturierten Dialog erstmals ge- sprechenden Kompetenzbildung bei item.php?id=60. tagt und sich entsprechend ihrem jungen Menschen diskutiert haben. Coupon einsenden/faxen an: Deutscher Kulturrat e.V., Auftrag mit dem Thema Potenzial Wie auch ganz aktuell in der Binnen- Die Verfasser ist Leiterin der EU-Ver- Chausseestraße 103, 10115 Berlin, Fax: 030/24 72 12 45 der Kreativwirtschaft einerseits und markt- und Wettbewerbs-, aber auch tretung in Bonn Kulturelle bildung politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 24

Wo bitte geht es zur kulturellen Bildung? Europäische Fachtagung zur UNESCO-Road Map für kulturelle Bildung in Wildbad-Kreuth • Von Kristin Bäßler Auf der Suche nach kultureller Bildung würde man vermutlich nicht sofort an einen kleinen Ort in den bayerischen Bergen denken. Aber mit Bergen im Hintergrund und dem Rauschen eines Baches, lässt es sich viel leichter über die Rahmenbedingungen von kultureller Bildung sprechen.

as haben sich die Initiatoren, D die deutsche und die österrei- chische UNESCO-Kommission sowie das österreichische Ministerium für Bildung, Kunst und Kultur und KulturKontakt Österreich vermutlich auch gedacht und im Mai 2008 zu einer Tagung nach Wildbad Kreuth, in die legendäre Hanns-Seidel-Stif- tung, eingeladen. Gekommen sind rund 100 Kulturpolitiker, Bildungs- experten, Verbandsvertreter, Vertreter der UNESCO und der Europäischen Kommission, um darüber zu diskutie- ren, welchen Einfluss die Road Map für kulturelle Bildung, die bei der ersten Weltkonferenz für kulturelle Bildung 2006 in Lissabon entwickelt wurde, auf die europäische Kultur- und Bildungspolitik haben kann.

Rückblende

Im Jahr 2006 diskutierten im Rahmen der Portugiesischen Ratspräsident- schaft fast 1000 Experten aus 100 Mitgliedsländern der UNESCO Fragen Aus allen Teilen Europas kamen die Teilnehmer der Tagung in Wildbad Kreuth. Foto: Sara Burkhardt der künstlerischen und kulturellen Bildung. Bei dieser Weltkonferenz Bereich, der allgemein gültige Inhalte kulturelle Bildung eine hohe Qualität tatsächlich gemessen werden? Damit Text verbunden werden. Diese klaren wurde deutlich, dass es hinsichtlich und Werte vermittelt, sondern ständig hat. Schlechte kulturelle Bildung kann beschäftigte sich ein weiterer Work- Ziele sind aber von großer Bedeutung, der Vermittlung kultureller Bildung im Fluss ist, wie bei der Fachtagung mehr Schaden anrichten, als gar keine shop, der herausarbeitete: Es bedarf um der weiter fortschreitenden Margi- großen Nachholbedarf gibt. Dieser „The UNESCO-Road Map for arts ed- kulturelle Bildung, so Bamfords These. noch mehr qualitativer Studien im nalisierung der künstlerischen Fächer, erklärt sich durch Mängel an finan- ucation and its impact on Europe“ in Was aber ist qualitativ gute kulturelle Feld der kulturellen Bildung, die me- wie es nicht nur in Europa, sondern ziellen Ressourcen und geschulten Wildbad Kreuth deutlich wurde. Bildung? Kann man diese messen? Mit thodisch so aufgebaut sind, dass sie beispielsweise auch in Korea der Fall Lehrern, offene Methodenfragen Aus fast 30 Staaten kamen Teil- dieser Frage beschäftigte sich einer auch international vergleichbar sind. ist, entgegen zu wirken. des Kunstunterrichts, der Rolle der nehmer, um von ihren Erfahrungen der vier Workshops, die während der Darüber hinaus sollte es vermehrt Un- Partnerschaften zwischen Schule im Bereich der kulturellen Bildung Tagung in Wildbad Kreuth angeboten tersuchungen darüber geben, welche Kulturelle Bildung und (vor allem der Sekundarstufe) und zu berichten, um gute Beispiele oder wurden. Unter der Moderation von Fähigkeiten Lehrer brauchen, um gute Kultureinrichtungen und fehlenden auch Defizite darzustellen. Doch Max Fuchs, dem Vorsitzenden des kulturelle Bildung zu vermitteln. Europa Fachlehrern in der Primarstufe. damit nicht genug, denn die eigent- Deutschen Kulturrates, wurde von Welchen Einfluss die UNESCO-Road Mit der UNESCO-Road Map ist liche Arbeit, die Road Map und ihre den Teilnehmern zusammengetragen, Stichwort: Good-Practice Map auf die Rahmenbedingungen für ein Text erstellt worden, der die Be- Inhalte zu konkretisieren bzw. zu im- welche Kriterien für eine qualitativ kulturelle Bildung auf europäischer deutung kultureller Bildung und ihrer plementieren, obliegt den UNESCO- gute kulturelle Bildung sprechen. Für Qualitative Kriterien sind das eine, Ebene und auf die Aktivitäten der Eu- Dimensionen für die Bildung im All- Mitgliedsstaaten. Bei der Tagung in eine Teilnehmerin aus Griechenland das andere aber konkrete Projekte, ropäischen Union haben wird, bleibt gemeinen darstellt. Obwohl sich das Wildbad Kreuth wurde deutlich, dass ist kulturelle Bildung dann gut, wenn die diese Qualitätskriterien erfüllen. abzuwarten. Die Vertreterin der EU- Papier primär an die kulturelle Kin- mit der Road Map vielen Ländern ein sie als Querschnittsaufgabe verstan- In dem Workshop „Enabling Struc- Kommission, Ana Magrana, machte der- und Jugendbildung richtet und Instrument in die Hand gegeben wur- den wird, sie also unterschiedliche tures and Models of good practice“ jedenfalls in ihren Abschlussstatement dabei insbesondere die schulische de, um Politiker aber auch Verbände Fächer wie beispielsweise bildende wurde u.a. gefragt, was gute Beispiele deutlich, dass sich Europa verstärkt kulturelle Bildung anspricht, gilt das davon zu überzeugen, dass kulturelle Kunst, Literatur und Geschichte mit- ausmachen. Nach Ansicht der EU- um kulturelle Bildung bemühen wird, dort Angesprochene „grundsätzlich Bildung ein elementarer Bestandteil einander verbindet. Eine Teilneh- Kommission bedürfen Good-Practice was die „Europäische Kulturagenda im für alle Menschen und Alterstufen, von Bildung ist. Darüber herrschte merin aus der Türkei plädierte dafür, Beispiele einen Prozess, ein Ergebnis, Zeichen der Globalisierung“ sowie der da kulturelle Bildung ein allgemein unter allen Akteure Einigkeit. Und dass es vor allem auch um Vermitt- das Potential zur Übertragbarkeit Beschluss des Rats der Europäischen gültiges Menschenrecht für alle Ler- auch wenn dieser Fakt erst einmal lungsfragen gehen und man sich der und vor allem Nachhaltigkeit. Für Union für Bildung, Jugend und Kultur nenden, einschließlich derer die von banal klingen mag, so ist dies doch Medien bedienen müsse, die den Kin- andere ist es ebenso wichtig, dass gute vom 21. und 22. Mai 2008 zeige. In dem der Bildung ausgeschlossen sind“ ein Verdienst, der noch vor wenigen dern am besten zugänglich sind, wie Projekte Inspiration und ein Bewusst- Beschluss des Rats wird zwar nicht darstellt. Jahren in dieser Dimension nicht Fernsehsendungen, die über Kunst, sein für Kunst und Kultur wecken. explizit auf die Rahmenbedingungen Der kulturellen Bildung werden selbstverständlich war. Kultur und kulturelles Erbe berichten. Selbst wenn Projekte diese Kriterien der kulturellen Bildung eingegangen, vier Aufgaben zugeschrieben: Georges Poussin, Leiter des Bereichs aufweisen, so ist es doch schwer, das der Kultur und den Künsten aber eine · Erhaltung des Menschenrechtes auf Qualitative Kriterien Kunst und Kultur bei der UNECO zeigt die Realität, einzelne Projekte in wichtige Rolle zur Vermittlung von in- Bildung und Teilnahme am kultu- Paris unterstrich noch einmal, dass es bereits bestehende Strukturen einzu- terkulturellen Kompetenzen zugespro- rellen Leben, kultureller Bildung bei der kulturellen Bildung nicht nur gliedern und damit für Nachhaltigkeit chen. Zudem hat die EU-Kommission · Entwicklung individueller Fähig- um das Rezipieren von Kunst gehe, zu sorgen. eine Studie in Auftrag gegeben, die das keiten, Einen wichtigen Beitrag zu diesem sondern insbesondere auch um die Ganz konkret am Text der Road Map Thema „arts and culture education“ · Verbesserung der Bildungsqualität, Verständnis haben sicherlich auch die eigene künstlerische Produktion. Für für kulturelle Bildung arbeitete der untersucht und die im kommenden · Förderung des Ausdrucks von kultu- Untersuchungen der Wissenschaftle- Samuel Lee, dem Generalsekretär der Workshop „Professional training for Jahr erscheinen soll. reller Vielfalt. rin Anne Bamford geleistet, die eben- koreanischen UNESCO-Kommission artist and teachers“. U.a. zwei Emp- Nun liegt seit 2006 bereits die 8. (!) Ver- falls bei der Tagung anwesend war und ist gute kulturelle Bildung auch eine fehlungen für die Fortschreibung der Auf nach Seoul 2010 sion der UNESCO-Road Map für kul- noch einmal einige grundlegende As- Frage der materiellen und finanziellen Roadmap wurden während dieses turelle Bildung vor; Und dass dies die pekte ausführte: Die Vermittlung von Ausstattung kultureller Bildungs- Workshops eruiert: Zum einen wurde Die Tagung in Wildbad Kreuth war Endfassung sein wird, ist noch nicht kultureller Bildung birgt eine Reihe einrichtungen. Kulturelle Bildung empfohlen, in der Road Map stärker eine wichtige Etappe auf dem Weg in Sicht. Muss Sie auch gar nicht, denn von kreativen, sozialen und innova- sei auch dann qualitativ gut, so der herauszustellen, dass kulturelle Bil- zur zweiten Weltkonferenz 2010 im kulturelle Bildung ist kein statischer tiven Potentialen. Wichtig ist nur, dass Geschäftsführer Michael Wimmer dung den gleichen Stellenwert haben koreanischen Seoul. Dies wurde auch von educult, wenn sie generationen- muss, wie alle anderen Fächer auch noch einmal durch die prominente übergreifend wirke und die unter- und demnach die gleiche Wertschät- internationale Besetzung deutlich. Es Kulturelle Bildung für alle schiedlichen Interessen verschiedener zung erfahren müsse. Zum anderen wurde aufgezeigt, dass die Rahmenbe- Altersgruppen reflektiere. Auch dies sollte in der Road Map der Bereich der dingungen und Inhalte der kulturellen Begleitend zu der Weltkonferenz zur kulturellen Bildung hat die deutsche UN- ist ein wichtiger Aspekt, möchte man frühkindlichen Bildung aufgenom- Bildung keine statischen Bereiche ESCO-Kommission nun die Broschüre „Kulturelle Bildung für Alle. Von Lissabon qualitativ gute kulturelle Bildung an- men werden. Im Hinblick auf die Tat- sind, sondern sich stetig wandeln und 2006 nach Seoul 2010“ herausgegeben. Enthalten sind neben der zwischen bieten. Ein Punkt aber, der sicherlich sache, dass insbesondere Kinder im verändern – insbesondere auch durch Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz abgestimmte deutsch- für die Vermittlungsarbeit eines jeden Alter unter sechs Jahren besonderes gesellschaftliche Entwicklungen. Kul- sprachigen Arbeitsfassung des Lissaboner „UNESCO-Leitfadens für kulturelle Faches gilt, ist die Tatsache, Kindern Interesse und Neugierde für kultu- turelle Bildung, das wurde ebenfalls Bildung“ auch Beiträge zur kulturellen Bildung von Prof. Dr. Max Fuchs, Prof. deutlich zu machen, warum sie sich relle Darbietungen entwickeln, wie deutlich, wird immer mehr zu einem Dr. Oliver Scheytt, das gemeinsame Positionspapier der Weltverbände IDEA, in einem bestimmten Moment mit es das 7. Jugendkulturbarometer des politischen Themen, das nicht nur InSEA und ISME, das anlässlich der UNESCO-Weltkonferenz zur kulturellen Bil- einem bestimmten Thema auseinan- Zentrums für Kulturforschung bereits auf nationaler, sondern auch auf dung in Lissabon verabschiedet wurde sowie die Handlungsempfehlungen zur der setzen sollen, so Anne Bamford. 2004 darstellte, wäre dies dennoch ein internationaler Ebene eine immer kulturellen Bildung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ (Dezember Wichtig sei es für die Lehrer und Päd- wichtiger Punkt, der in die nächsten größere Rolle spielen wird. 2007). Als Referenzdokument enthält dieser Band auch die englischsprachige agogen, sich deutlich ihre Ziele vor Fassungen der Road Map einfließen Originalfassung der UNESCO-Road Map. Die Broschüre kann bei der deutschen Augen zu führen, wenn sie kulturelle müsste. Abschließend wurde ange- Die Verfasserin ist Wissenschaftliche UNESCO-Kommission unter [email protected] bestellt werden. Bildung vermitteln möchten. merkt, dass die Road Map zu wenig be- Mitarbeiterin des Deutschen Wie kann nun gute kulturelle Bildung nenne, welche Bildungsziele mit dem Kulturrates Kulturelle bildung politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 25

Frühkindliche kulturelle Bildung: Potenziale für unsere Gesellschaft Stellungnahme des Deutschen Kulturrates Berlin, den 05.06.2008. Frühe För- Im Jahr 2006 besuchten im Durchschnitt Bedeutung sind. Kulturelle Bildung weckt frühkindliche Bildungsangeboten zu er- fordert der Deutsche Kulturrat einen derung bildet die Grundlage für ein 60,4 Prozent aller Kinder im Alter von null Interesse für unterschiedliche kulturelle fahren. Der Deutsche Kulturrat begrüßt, Stellenausbau für Erzieherinnen lebenslanges Lernen, das von der bis zum Schuleintritt eine Kindertagesein- Einflüsse und gibt zugleich Anregungen, dass bereits in einigen Bundesländern und Erzieher und die grundständige frühkindlichen über die schulische, richtung. Untersuchungen belegen, dass sich kreativ mit ihnen auseinander zu das letzte Kindergartenjahr kostenlos Einbeziehung der kulturellen Fächer außerschulische, berufliche bis hin zur der Besuch einer Kindertageseinrichtung setzen. Kulturelle Bildung verbindet angeboten wird. Um aber allen Kindern in deren Ausbildung. Er begrüßt weiterbildenden Bildung reicht. Nicht in der Regel positive Auswirkungen auf Tun, Wissen und Verhalten, ermöglicht den Zugang zu frühkindlicher Bildung in diesem Zusammenhang die ge- zuletzt durch die Debatten um das Sprachentwicklung, soziale Kompetenzen besonders die Heranbildung emotionaler zu ermöglichen, fordert der Deut- meinsame Fortbildungsinitiative des Abschneiden der deutschen Schüler und zukünftige Bildungschancen von Kompetenz und vermittelt dadurch ange- sche Kulturrat, Kindertagesstätten Bundesministeriums für Familie, Se- bei den PISA-Studien hat sich im Kindern hat. Insofern ist der Besuch von messene Verhaltensweisen im Umgang flächendeckend in ausreichender nioren, Frauen und Jugend und des Bereich der frühkindlichen Bildung ein Kindertagesstätten insbesondere für Kin- mit Menschen. Anzahl und grundsätzlich entgeltfrei Bundesministeriums für Bildung und Paradigmenwechsel vollzogen. Wäh- der aus bildungsfernen Schichten oder anzubieten. Dazu gehört auch, dass die Forschung für 80.000 Erzieherinnen rend es vorher in Kindertagesstätten mit Migrationshintergrund wichtig. Laut Folgerungen für Kindertageseinrich- Zusatzangebote der kulturellen Bildung in und Erzieher sowie für Tagesmütter primär um die Betreuung ging, wurde Ergebnissen des Deutschen Jugendins- tungen Kindertagesstätten als Teil gesellschaft- und Tagesväter und empfiehlt, in seit dem Jahr 2000 verstärkt die tituts nutzen Eltern aus bildungsfernen Kindertageseinrichtungen bieten das licher Grundbildung verstanden werden dieser Fortbildungsinitiative einen Förderung und Bildung in den Blick Milieus sowie Eltern mit Migrationshin- Potential, Bildungschancen und Teilha- und demnach kostenfrei von allen Kindern Schwerpunkt „kulturelle Bildung“ genommen. Die frühkindliche Bildung tergrund frühkindliche Bildungsangebote begerechtigkeit frühzeitig zu fördern und wahrgenommen werden können. Der zu setzen. soll – so z.B. das Forum Bildung – den in Kindertageseinrichtungen weniger als wichtige Kompetenzen für den weiteren Deutsche Kulturrat fordert darüber Schuleinstieg von Kindern erleichtern. Eltern aus anderen Bevölkerungskreisen. Bildungsweg zu erschließen. Kinder- hinaus Länder und Kommunen auf, Freie Träger der kulturellen Kinder- Im Zuge dieser Debatte haben die Insbesondere in den bildungsfernen tageseinrichtungen müssen gezielte neben den personellen und fachlichen und Jugendbildung Bundesländer Bildungs- und Erzie- Milieus findet in geringerem Maße und qualifizierte Anregungen schaffen, Ressourcen auch eine ausreichende Alle Kinder, gleich welcher sozialen und hungspläne ausgearbeitet, die sich ex- frühkindliche Bildungssozialisation statt. um spezifizierte Bildungsprozesse bei materielle und räumliche Ausstattung ethnischen Herkunft, haben ein Recht plizit mit der Förderung frühkindlicher Dies wird beispielsweise in Bezug auf die Kindern zu ermöglichen. Pädagogische von Kindertageseinrichtungen und auf kulturelle Bildung. Um möglichst Bildung beschäftigen. Angesichts der Leseförderung durch die Studie „Vorlesen Konzepte sind zu entwickeln, die eine eine angemessene Angebotsqualität alle Kinder an einer umfassenden Erkenntnis, dass die Bildung eines in Deutschland 2007“ der Deutschen Persönlichkeit fördernde und selbst kultureller Bildung durch kompetentes frühkindlichen Bildung teilhaben zu Kindes spätestens unmittelbar nach Bahn in Kooperation mit Stiftung Lesen gestaltete Lebensführung unterstützen. Personal zu gewährleisten. lassen, sind nicht nur die Kindertage- der Geburt beginnt und ganzheitliche und Die Zeit belegt. Kinder sind dabei in ihrer Eigenschaft als stätten, sondern auch die Träger der Bildungs- und Entwicklungsprozesse selbst bestimmte und lernaktive Wesen Aus- und Fortbildung der Erziehe- kulturellen Bildung wie Musikschulen, für die frühkindliche Lebensphase Alle Bundesländer haben für den Bereich zu begreifen. Kulturelle Bildung ermögli- rinnen und Erzieher Jugendkunstschulen, Soziokulturelle konstitutiv sind, wird die Bedeutung der frühkindlichen Bildung Bildungspläne cht Zugang zur Sprache, zu den Künsten Erzieherinnen und Erzieher leisten ei- Zentren, Bibliotheken, Theaterpädago- kultureller Bildung in diesem Lebens- für das dritte Lebensjahr bis zum Grund- und zu ersten naturwissenschaftlichen nen wichtigen Anteil bei frühkindlichen gische Zentren u.a. aufgefordert, alters- alter teilweise noch unzureichend be- schuleintritt erarbeitet, die die Inhalte und Erkenntnissen. Wichtig ist, dass die in Bildungsprozessen. Umso wichtiger ist gerechte Angebote, ggf. auch mobiler rücksichtigt. Um die Kreativpotentiale den Umfang der in Kindertageseinrich- der Kindertageseinrichtung freigelegten es, die Ausbildung für Erzieherinnen und Art, zu entwickeln und zu unterbreiten. von Kindern, insbesondere von Klein- tungen zu vermittelnden Kompetenzen und eröffneten Potentiale in der Schule Erzieher sowie Möglichkeiten der Fort- Wichtig ist es, dass insbesondere die kindern, intensiv zu fördern, müssen festschreiben. Die Kultusministerkonfe- weiter aufgenommen werden. Der Deut- und Weiterbildung auf einen höheren Eltern, die ihre Kinder nicht in eine ausreichende kulturelle Kompetenzen renz und die Jugendministerkonferenz sche Kulturrat fordert Länder und professionellen Stand zu bringen. Zurzeit Kindertageseinrichtungen schicken, da- der Akteure in Krippen, Eltern-Kind- haben sich auf die folgende Bildungs- Kommunen auf, vielfältige und alters- werden verschiedene Ansätze diskutiert. für sensibilisiert und motiviert werden, Gruppen und in der Kindertages- bereiche für die frühkindliche Bildung spezifische Angebote frühkindlicher Während die einen eine Fachschulausbil- ihre Kinder an frühkindlichen Bildung- pflege herangebildet werden sowie verständigt: kultureller Bildung zu unterbreiten, dung befürworten, plädieren die anderen sangeboten partizipieren zu lassen. Kulturfächer genuiner Bestandteil der · Sprache, Schrift, Kommunikation so dass Kinder verschiedene Erfah- für eine Fachhoch- oder Universitätsaus- Umgekehrt müssen niederschwellige Erzieherinnen- und Erzieherausbildung · Personale und soziale Entwicklung, rungen machen können und vielfäl- bildung, weil sie auf die künftigen Her- Zugangsmöglichkeiten geschaffen wer- sein. Entwicklungspsychologische Werteerziehung/religiöse Bildung tige Anregungen erhalten. ausforderungen der Erzieherinnen- und den, so dass alle Kinder die Möglichkeit sowie neurobiologische Forschungs- · Mathematik, Naturwissenschaften, Erzieherarbeit besser vorbereiten. Die frühkindlicher Bildung erhalten. ergebnisse müssen in der Praxis (Informations-)Technik Gewährleistung frühkindlicher Bil- Ausbildung muss zum einen praxisorien- angemessen berücksichtigt werden. · Musische Bildung/Umgang mit Me- dung in Kindertageseinrichtungen tiert sein, zum anderen aber auch den Zusammenarbeit mit Trägern der Hierzu sind qualitative und quantitative dien Der Deutsche Kulturrat begrüßt die wachsenden theoretischen Ansprüchen kulturellen Kinder- und Jugend- Voraussetzungen zu schaffen, was · Körper, Bewegung, Gesundheit Bestrebungen der Bundesregierung, an die Erzieherinnen und Erziehern Rech- bildung entsprechende politische und finan- · Natur und kulturelle Umwelten der Länder und Kommunen, bis 2013 nung tragen. Erzieherinnen und Erzieher Der Deutsche Kulturrat fordert zielle Rahmenbedingungen erfordert. Der kulturellen Bildung als Querschnitts- das Angebot an Betreuungsplätzen in müssen erziehungswissenschaftlich und eine strukturierte Zusammenar- aufgabe kommt in den Bildungsplänen Kindertagesstätten und Tagespflege für entwicklungspsychologisch so ausgebildet beit zwischen Kindertagesstätten Der Deutsche Kulturrat, Spitzenver- eine wichtige Funktion zu. Kulturelle bundesdurchschnittlich 35 Prozent der werden, dass sie Bildungsstand und -ent- und den Trägern der kulturellen band der Bundeskulturverbände, Bildung als grundlegende Befähigung Kinder unter drei Jahre auszubauen. wicklung der Kinder dokumentieren und Bildung. Damit wird die Vielfalt hat bereits in einer Reihe von jüngst zu künstlerisch-kulturellen Ausdrucks- individuellen Förderbedarf erkennen kön- kultureller Bildungsangebote ge- erschienen Positionspapieren das formen eröffnet gerade kleinen Kindern Im OECD-Vergleich haben deutsche nen. Daneben sollten alle Erzieherinnen fördert. Mit einer stärkeren Zu- Thema frühkindliche Bildung aufge- Lernfelder, die ihren Entwicklungsphasen Kindertageseinrichtungen einen relativ und Erzieher während ihrer Ausbildung sammenarbeit zwischen den Kin- nommen. In der vorliegenden Stel- angemessen sind. Sie ermöglicht die schlechten Personalschlüssel. Die Ver- Wahlpflichtkurse in den ästhetisch-bil- dertageseinrichtungen und den lungnahme soll die herausragende ganzheitliche Erfahrung des Kindes, einer besserung des Personalschlüssels ist denden Fächern absolvieren, damit sie Trägern der kulturellen Bildung, Bedeutung der frühkindlichen Bildung Erfahrung seiner selbst wie der Welt, in insbesondere in Hinblick auf Sprachför- Fähigkeiten im Bereich der musikalischen sollen auch die Familien erreicht für spätere Bildungsprozesse noch der es aufwächst und unterstützt in die- derung und Vermittlung interkultureller Bildung, der bildnerischen Gestaltung, der werden, deren Kinder nicht eine einmal gesondert herausgestellt sem Sinne Sprach- und Lesekompetenz, Kompetenzen von großer Bedeutung. darstellenden Kunst und des Tanzes er- Kindertagesstätte besuchen. Es ist werden. Dabei wird insbesondere die gibt Anregungen für aktives Musizieren Für diese Tätigkeit muss neben der er- langen und beherrschen, um diese auch eine Herausforderung, der sich Länder, erforderliche Verzahnung von Bildung und bildnerische Gestaltung, vermittelt zieherischen Arbeit im engeren Sinne in vermitteln und weitergeben zu können. Kommunen, Kindertagesstätten sowie und Betreuung sowie die zentrale Be- verschiedene Ausdrucksformen im Be- den Kindertageseinrichtungen auch ein die Träger der kulturellen Bildung deutung von Neugier-Bewahru¬¬ng reich Bewegung, Tanz und darstellendes angemessener Zeitschlüssel eingeplant Der Deutsche Kulturrat befürwortet gleichermaßen stellen müssen, Kin- und Lernfreude in den Entwicklungs- Spiel sowie im Umgang mit verschiedens- werden. die oben skizzierten Bildungsziele der und Familien aus bildungsfernen phasen von Kindern betont. Räume ten Medien. Kulturelle Bildung vermittelt für den frühkindlichen Bereich, die Schichten mit ihren Angeboten zu und vor allem kompetente Anregungen Kulturtechniken und kulturelle Kompe- Eine zentrale gesellschaftliche Heraus- sich an der Förderung individueller erreichen und so frühkindliche Bildung für Phantasie und Kreativität sind dafür tenzen, die für die Persönlichkeitsent- forderung besteht darin, tatsächlich Potentiale orientieren. Um diese aber als Grundbaustein für ein lebenslanges notwendig. wicklung von Kindern von entscheidender allen Kindern die Möglichkeit zu geben, angemessen umsetzen zu können, Lernen zu gewährleisten.

Mitgliedschaft im Förderverein des Deutschen Kulturrates Verein zur Förderung des Deutschen Kulturrates Bitte senden Sie mir unverbindlich Informationen zur Mitgliedschaft Der „Verein zur Förderung des Deutschen Kulturrates“ will zur Finanzierung des Deutschen im „Verein zur Förderung des Deutschen Kulturrates“ zu: Kulturrates beitragen und damit einen Beitrag zu dessen Unabhängigkeit leisten. Der „Verein der Freunde des Deutschen Kulturrates“ versteht seine Förderung subsidiär. Jeder ist eingeladen, im „Verein zur Förderung des Deutschen Kulturrates“ mitzuwirken und durch finanzielles oder ehrenamtliches Engagement einen Beitrag zur Stärkung des Deutschen Name: ______Kulturrates zu leisten. Vereinsmitglieder erhalten die Zeitung politik und kultur kostenlos. Vorname: ______

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Verein zur Förderung E-Mail: ______des Deutschen Kulturrates c/o Deutscher Kulturrat e.V. Verein zur Förderung des Deutschen Kulturrates Chausseestraße 103, 10115 Berlin Vorstand c/o Deutscher Kulturrat e.V. Tel: 030/24 72 80 14, Dr. Georg Ruppelt (Vorsitzender) Chausseestraße 103, 10115 Berlin Fax: 030/24 72 12 45 Regine Lorenz (Stellvertretende Vorsitzende) Tel: 030/24 72 80 14 E-Mail: [email protected] Stefan Piendl (Stellvertretender Vorsitzender) Fax: 030/24 72 12 45 Internet: www.kulturrat.de/foerderverein Schriftführerin: Gabriele Schulz E-Mail: [email protected] Kulturelles Leben politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 26

„Es gibt kein Unmöglich mehr“ Prognosen von 1910 auf das Jahr 2010 • Von Georg Ruppelt Zukunftsprognosen sind für die Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert keine Besonderheit. Während sich die einschlägigen Zeit- schriften vor allem Themen der zu- künftigen technischen Entwicklung annehmen oder politisch motivierte Schreiber sozialistische bzw. antiso- zialistische Utopien für das 20. Jahr- hundert entwerfen, umfasste ein Buch nahezu alle Lebensbereiche. Es gehört heute zu einem gesuchten Objekt auf dem Antiquariatsmarkt: der 1910 von Arthur Brehmer her- ausgegebene, 319 Quartseiten starke Sammelband „Die Welt in hundert Jahren“ (Mit Illustrationen von Ernst Lübbert. Berlin: Buntdruck, 1910). Ein Nachdruck erschien 1989 im Hildesheimer Olms Verlag. Das reich illustrierte, mit Randverzie- rungen ausgestattete Buch enthält 22 Aufsätze verschiedener Autoren, die sich alle mit einer Zeit beschäfti- gen, die von ihnen aus gesehen 100 Jahre in der Zukunft liegt.

eschrieben wurden die Aufsätze G von Persönlichkeiten, die sich zu ihrer Zeit auf einem Gebiet exponiert und einen hohen Bekanntheitsgrad hatten. Auch heute noch sind Namen wie Cesare Lombroso, Bertha von Suttner, Carl Peters, Alexander von Gleichen-Rußwurm, Eduard Bern- Die Illustrationen stammen aus dem Werk von Ernst Lübbert. stein oder Hermann Bahr durchaus geläufig: werden über die Auswirkungen des würde, konnte sich Maxim allerdings Pflanzen fördern; Doppelselbstmord wäre. Wenn man technischen Fortschritts auf die nicht vorstellen. · Radium wird zum unfehlbaren mit einem Druck auf einen Knopf, · Das l000jährige Reich der Maschi- Gesellschaft und die Politik. Damit Die Elektrizität wird auf allen Heilmittel gegen Krebs, Tuberkulo- auf jede beliebige Distanz hin, jede nen (Hudson Maxim) ist auch das entscheidende Wort Gebieten zum Wohlergehen der se, Blindheit, den Alterungsprozess beliebige Menschen- oder Häuser- · Das drahtlose Jahrhundert (Robert gefallen, welches das verbindende Menschheit eingesetzt werden, etwa und viele andere Krankheiten: masse pulverisieren kann, so weiß Stoß) Element für die sich mit verschie- in der Landwirtschaft: „Es wird elek- „Es besteht gar kein Zweifel dar- ich nicht, nach welchen taktischen · Verbrechen und Wahnsinn im XXI. denen Themen beschäftigenden trisch geheizte Treibhäuser geben, über, daß wir zu der Annahme be- und strategischen Regeln man mit Jahrhundert (Professor Cesare Beiträge darstellt: Fortschritt. Es die Tausende von. Aeckern bede- rechtigt sind, die Zukunft werde solchen Mitteln noch ein Völkerduell Lombroso) geht vorwärts, aufwärts mit der cken, und selbst die Landgüter un- dem Radium ein Zeitalter völliger austragen könnte.“ · Der Krieg in 100 Jahren (Rudolf Menschheit; alles wird besser, das ter nördlichem Klima werden ihre Krankheitslosigkeit danken.“ Dass eine Pazifistin den Krieg, Martin) Leben schöner, leichter, länger. Das, Sommer- und Winterernten haben. Aber nicht nur die heilende Kraft wenn auch nur einen möglichen, · Der Frieden in 100 Jahren (Bertha was die Menschheit im Jahre 1910 Man wird neue Methoden erfinden, der strahlenden Materie werde, so als Prämisse für einen dauerhaften von Suttner) quält, wird 100 Jahre später kaum das Wachstum der Pflanzen durch prognostizierte man, die Welt verän- Weltfrieden ansieht, überrascht auch · Die Schlacht von Lowestoft (Frede- noch eine oder gar keine Rolle mehr elektrische Wärme und elektrisches dern, auch ihre zerstörerische Macht dann, wenn man berücksichtigt, dass rik Wolworth Brown) spielen. Licht zu beschleunigen. In Gärten, würde sich mittelbar zum Glück der das waffenstarrende Europa jener Zeit · Die Kolonien in 100 Jahren (Karl die in dieser Weise eingerichtet sein Menschheit auswirken, indem gerade Gedanken an freiwillige Abrüstung Peters) werden, wird es Johannisbeeren ge- diese einen ewigen Frieden gewähr- geradezu absurd erscheinen ließ. · Die Frau in 100 Jahren (Ellen Key) Elektrizität ben, so groß wie Damascenerpflau- leiste, dadurch nämlich, dass das · Die Frau und die Liebe (Dora Dyx) Elektrizität und Radium, das sind men, Damascenerpflaumen in der Radium Vernichtungswaffen mit so Luftflotte aus Zeppelinen · Die Mutter von Einst (Baronin von die Schlüssel, mit Hilfe derer sich die Größe von Aepfeln, Aepfel, so groß zerstörerischer Wirkung ausstatten Hutten) Zauberwelt der Zukunft erschließen wie Melonen, Erdbeeren, so groß wie werde, dass kein Schutz gegen sie Ganz dem deutschen „Griff nach der · Gedanken über die Geselligkeit ließe. Der Bereich der Technik ist es Orangen, und alle werden in Form möglich wäre und die Kontrahenten Weltmacht“ angepasst ist das Pendant (Alexander von Gleichen-Ruß- auch, in dem die Zukunftspropheten und Wohlgeschmack die besten von in die Lage gesetzt würden, sich ge- zu Bertha von Suttners „Frieden in wurm) aus heutiger Sicht die meisten Treffer heut übertreffen, so daß sie selbst genseitig zu eliminieren: „Ein Krieg 100 Jahren“, der „Krieg in 100 Jahren“ · Unterricht und Erziehung in l00 landen können. Verblüffend sind bei- dem wählerischen Geschmack eines zum Beispiel wird nicht mehr in den von Rudolf Martin. „Deutschlands Jahren (Jehan van der Straaten) spielsweise die Voraussagen über die Gourmets entsprechen werden“ Bereich der Möglichkeiten gehören. Zukunft liegt in der Luft“ könnte man · Die Religion in 100 Jahren (Björne Entwicklung der Telekommunikation Sehr deutlich sah der elektrizi- Wenn auch die Menschheit an sich den Beitrag auch beschreiben, in dem Björnson) selbst dann, wenn man berücksichtigt, tätsbegeisterte Prognostiker Maxim nicht so weit sein wird, alle Kriege Deutschland 2010 zur führenden · Das soziale Leben in 100 Jahren. dass deren technische Grundlagen aber auch die Probleme einer derart und jedwedes Blutvergießen für ihrer Luftmacht der Welt geworden ist: Was können wir von der Zukunft des bereits im 19. Jahrhundert gelegt energiehungrigen Welt voraus, in- unwürdig zu halten, so wird doch die Alle großen international engagierten sozialen Lebens wissen? (Eduard wurden. Zur weltweiten Nachrichten- dem er annahm, dass bei exzessiver Wissenschaft soweit sein, sie zu dieser Luftfahrtgesellschaften befinden sich Bernstein) übermittlung mittels Television heißt Ausbeutung die Kohlelager für die Weltanschauung zu zwingen und zu dann in deutscher Hand. · Die Literatur in 100 Jahren (Her- es etwa: „Jedes Ereignis werden wir so Kraftwerke bald verbraucht sein wür- bekehren. Der Krieg ist nämlich nur so- Eigene Luftkriegsflotten unterhal- mann Bahr) mitmachen können. Die ganze Erde den. Sonnenenergie und Radium sind lange möglich, bis unsere Mittel dazu ten die Staaten im Übrigen nicht, son- · Die Musik in 100 Jahren. Eine über- wird nur ein einziger Ort sein, in dem seine Antworten auf die Energiefrage: nicht ausreichende sind. Das heißt, so dern man beschlagnahmt im Kriegs- flüssige Betrachtung(Dr. Wilhelm wir wohnen.“ (R. Stoß: Das drahtlose „Möglicherweise erfinden wir eine Art lange uns keine Waffe zu Gebote steht, falle die ungeheure Menge privater Kienzl) Zeitalter.) Motor, der die Wärme nutzbar machen gegen die es keine Gegenwehr gibt Luftfahrzeuge. Eine herausragende · Das Jahrhundert des Radiums (Dr. Aber nicht nur der Nachrichten- kann, die von den Sonnenstrahlen und deren alles zerstörender Wirkung Rolle kommt im Bereich dessen, was Everard Hustler) übermittlung werden, so Hudson ausgeht.“ „Die Entdeckung der strah- wir verteidigungslos ausgesetzt sind. da von Menschenhand im Himmel · Die Medizin in 100 Jahren (Professor Maxin, in seinem einführenden lenden Materie hat uns eine ganz neue [...] Im Radium nun hat man endlich gesteuert wird, den Luftschiffen und C. Lustig) Beitrag „Das 1000jährige Reich der Perspektive [...] eröffnet, [...] Wenn es die Waffe gefunden, die mit all diesen nicht den Starrflüglern zu; erstere · Die Kunst in 100 Jahren (Cesare del Maschinen“ die neuen Medien die- uns jemals gelingen sollte, sie dem Möglichkeiten aufräumt und dafür sind als Vakuumschiffe im Jahre 2010 Lotto) nen, sie werden auch einen hohen menschlichen Gebrauch dienstbar zu die Unmöglichkeit der Verteidigung technisch vollkommen ausgereift. · Der Sport in 100 Jahren (Charles Freizeit- und Unterhaltungswert machen, [könnten] wir bis in alle Ewig- setzt.“ Damit befindet sich Martin in Ein- Dona Edward) besitzen: „Einsame Bauernhäuser keit hinein die Welt damit erleuchten, klang mit anderen Prognosen, die · Die Welt und der Komet (Frl. Profes- wird es keine mehr geben; das Volk erwärmen und befahren.“ Weltfriede durch noch bis in die dreißiger Jahre des sor E. Renaudot) wird sich vielmehr zu kleinen Städten Hochrüstung 20. Jahrhunderts dem Zeppelin die · Der Weltuntergang (Professor Garret mit hauptstädtischen Erholungs- und Radium entscheidende Rolle bei der Beherr- E. Serviß). Vergnügungsplätzen zusammen- Dass der Fortschritt in der Waffen- schung des Luftraumes zuwiesen. finden. Obgleich auch die kleinste Von dem aus Pechblende gewon- technik letztendlich zum Urheber für Für Martins Europa von 2010 Fortschritt Ortschaft ihr Theater haben wird, nenen strahlenden Element des einen dauerhaften Weltfrieden wer- ist die Luftfahrt zum Friedensstif- werden doch die Schauspieler nur in Ehepaares Curie, dem Radium, er- den wird, ist auch die Überzeugung ter geworden: „Der zunehmende Will man die 22 Aufsätze inhaltlich Newyork, London, Paris oder Wien wartete man eine völlige Veränderung der Pazifistin Bertha von Suttner. In Luftverkehr hat eine solche Menge zusammenfassen, so ergeben sich leben und dort auch spielen. Die des menschlichen Daseins. Ihm ist ihrem als historischer Vortrag aus gemeinsamer Bedürfnisse und In- im wesentlichen drei Bereiche, für Bühne solch einer Kleinstadt wird ein eigener Beitrag gewidmet: „Das dem Jahre 2009 verkleideten Beitrag teressen geschaffen, dass in hundert die Prognosen entworfen werden, ein einfacher Vorhang sein, und der Jahrhundert des Radiums“ von Pro- „Der Friede in 100 Jahren“ ist bereits Jahren sämtliche europäischen Staa- nämlich der Bereich der Naturwis- ‚Hamlet’, der in London gespielt wird, fessor Dr. Everard Hustler. In allen der mögliche „Druck auf den Knopf“ ten als Staatengemeinschaft ein ge- senschaft und Technik, der Politik wird mittelst Fernseher, Fernspre- Lebensbereichen sieht er das Radium – ein Topos im politischen Kommen- meinsames europäisches Parlament und der Bereich Gesellschaft und cher und Fernharmonium auf dem wirksam werden: tar in den Zeiten des Kalten Krieges und eine gemeinsame europäische Kultur. Dabei ist es durchaus mög- Schirm, der die Bühne in Chautauqua · Radium wird den elektrischen – der eigentliche Friedensstifter: „Wir Gesetzgebung haben. Durch die ge- lich, dass ein Aufsatz zu mehreren ersetzt, reproduziert werden.“ Dass in Strom für Zwecke der Beleuchtung sind im Besitze von so gewaltigen Bereichen Stellung nimmt, etwa nicht allzu ferner Zeit jeder Haushalt ersetzen; Vernichtungskräften, dass jeder von Weiter auf Seite 27 wenn Überlegungen angestellt eine solche Heimbühne besitzen · Radium wird das Wachstum der zwei Gegnern geführte Kampf nur Kulturelles Leben politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 27

Beitrag „Die Frau in hundert Jahren“. terzahl zu Lasten der Landwirtschaft Kultur und Sport im empfangen, und wir werden diese Ein- Fortsetzung von Seite 26 Emanzipation der Frauen und Arbei- zwangsläufig zu einer demokratischen Gefolge des Fortschritts drücke auf unseren Bildern festhalten terbewegung werden verantwortlich Regierungsform und zum Sieg der müssen, und es werden sich ebenso meinsame Gesetzgebung und durch gemacht für Umweltzerstörung, sozi- sozialen Ideen der Arbeiterklasse füh- Prognostiker, die Entwicklungen auf große Unterschiede daraus ergeben, die Verfassung der europäischen alistische Planwirtschaft und Androgy- ren werde. Dieser werde aber nicht zu der Grundlage sich abzeichnender wie sie Atelierbild und Freilichtbild Staatengemeinschaft ist aber ein nie: „Alle modernen Sommerfrischen einer Uniformierung des gesamten Trends in Technik, Wirtschaft und heute schon aufweisen. [...] Krieg zwischen europäischen Staaten sind submarine Villenstädte, denn die Lebens führen, wie die Gegner der Gesellschaft vorhersagen, haben es Noch bedeutender aber dürfte nicht nur ausdrücklich untersagt, Landschaftsschönheiten der Erde sind Sozialdemokratie behaupteten. Aller- zweifellos leichter als jene, die sich die Umwälzung auf dem Gebiete der sondern auch tatsächlich zur Unmög- alle zerstört, teils durch Verwertung für dings ginge auch eine sozialistische an Aussagen über die Zukunft im Plastik werden, und namentlich die lichkeit geworden.“ die Industrie, durch Gebäude, Kabel Gesellschaft keinem Schlaraffenleben Bereich der Kultur wagen. Denn im- Reliefkunst dürfte zu ungeahnter Krieg wird aber nach Ansicht Mar- und dergleichen mehr, teils durch die entgegen. „Dagegen wird die Armut merhin können erstere auf bestimm- Bedeutung gelangen. [...] Sie [die Mo- tins mit den schlachtenentschei- noch bis zur Mitte des zwanzigsten als soziale Erscheinung verschwinden, te vorhandene Daten und Ereignisse numente der Zukunft] werden also denden Luftflotten auch weiterhin flei- Jahrhunderts in Luftballons geführten wie die heutige Art der Reichtumsan- rekurrieren, während die zuletzt derartig geschaffen sein, dass sie ihre ßig geführt, und zwar zwischen Europa Kriege. Die ‚Landwirtschaft’ wird jetzt sammlung und die ihr entsprechenden Genannten auf zukünftige Tendenzen volle künstlerische Wirkung sowohl auf der einen und der „gelben Rasse“ in chemischen Fabriken betrieben, sozialen Auffassungen und Luxusten- der menschlichen Kreativität einge- von unten aus [...] als auch von oben auf der anderen Seite. Außerdem wer- und in diesen vollzieht sich die Arbeit, denzen verschwinden werden, ohne hen sollen, was natürlich ungleich aus üben. Und da die Entfernungen, den die Luftschiffe ständig eingesetzt, wie überall, durch Drücken auf Serien daß die Pflege des Schönen darunter schwerer ist. Dennoch versuchen von denen aus die Überfliegenden um Aufstände in den überseeischen elektrischer Knöpfe.“ leiden wird.“ einige Autoren die Auswirkungen das Monument sehen werden, weit Kolonien der Europäer niederzuwer- „Alle Männer und Frauen haben gesellschaftlicher und technischer größere sein werden als die sind, die fen, wobei die Luftflotten namentlich den Tag in vier gleiche Arbeitspensa Verbrechen als Krankheit Entwicklungen auf die Kunst der Zu- gegenwärtig den Abstand zwischen Englands und Deutschlands einträch- eingeteilt: sechs Stunden Schlaf, sechs kunft zu prognostizieren wie etwa der Kunstwerk und Beschauer bilden, tig Seit’ an Seit‘ kämpfen. Stunden Arbeit bei den elektrischen Dass die Entwicklung der mensch- Schriftsteller und Kritiker Hermann so werden auch die Monumente Eine wichtige Rolle spielen Luft- Drückern, sechs Stunden im Parlament lichen Gesellschaft einen eher posi- Bahr. Er meint, dass durch den zu dementsprechende gewaltige Di- fahrzeuge auch in dem Beitrag des und sechs Stunden Gesellschaftsleben. tiven Verlauf nehmen werde, ist auch erwartenden allgemeinen Wohlstand mensionen annehmen müssen; berühmt-berüchtigten deutschen Die Parlamente tagen ständig. [...] Und die Ansicht des damals berühmten die Literaturproduktion zurückgehen Dimensionen, die zum mindesten Kolonialpolitikers Carl Peters, der eine bei den Alltagssessionen wird alles be- Psychologen und Kriminologen werde, da ein Motiv für die Entste- der Basis der ägyptischen Pyramiden Geschichte von Lufthäusern über Afri- stimmt: von der Größe der Stecknadel- Lombroso. Er sagt eine Abnahme der hung von Literatur, der Broterwerb entsprechen müssten.“ ka erzählt, in denen die Kolonialherren köpfe und der Zusammensetzung der Verbrechensrate voraus. Das Verbre- nämlich, wegfallen werde, denn das Auch der Sport wird durch die der Zukunft wegen der besseren klima- Eßpillen bis zu der Kinderquantität, chen selbst werde in zunehmendem Einkommen werde ohne Arbeit gesi- Luftfahrt tiefgreifende Verände- tischen Verhältnisse wohnen. Es sind die die Bedürfnisse der Gesellschaft Maße als Krankheit aufgefasst und die chert sein. rungen erfahren. Die Höhen- und im Wesentlichen die Briten, denen im folgenden Jahre erfordern, und Täter in entsprechenden Kranken- Die Bildenden Künste werden Distanzwettflieger und die ‚Luft- Afrika und die übrige „Dritte Welt“ der Ideenqualität, die im Interesse häusern behandelt werden. Ähnlich sich nach Meinung Cesare del Lot- schwimmer‘ werden den erdge- gehört, und zwar „zur ungestörten des Gemeinwohls für den genannten wie Geisteskranken wird ihnen die tos im Jahre 2010 durch das Radium bundenen Sport verdrängt haben. kapitalistischen Ausbeutung, worauf Zeitraum zulässig erscheint.“ Zeugung von Nachkommenschaft und vor allem die Luftschifffahrt Der menschliche Körper werde im es doch im Grunde ankam“. „Der männliche und der weibliche verwehrt werden, was wiederum zum verändert haben. Man werde mit Übrigen immer kleiner und leichter Die Deutschen, giftet Peters, Typus sind in so hohem Grade ver- Verbrechensrückgang führen werde. strahlender Materie malen, und das werden, und im Sport werde es zu- hätten durch eine zu „weiche“ Po- schmolzen, dass der Blick nur durch Zwar werde es, bedingt durch menschliche Auge werde sich so ver- nehmend auf Leistungen des Geistes litik, die auch den Farbigen Rechte gewisse, aus Zweckmäßigkeitsgründen die technische Entwicklung, neue ändern, dass es, Röntgenapparaten und weniger auf die des Körpers zugestanden habe, ihre gesamten noch beibehaltene Verschiedenheiten Arten von Verbrechen geben, jedoch gleich, auch diese Strahlen werde ankommen, so die Prognose von Besitzungen verloren, da diese Po- in der Kleidung die Geschlechter un- werde die Technisierung auch neue wahrnehmen können. Die größte Charles Dona Edward. litik die Schwarzen zu Rebellionen terscheiden kann.“ Möglichkeiten der Verbrechensbe- Umwälzung in der Kunst und der Wie stark der Glaube an die Mög- ermuntert hätte. 1953 hätte dann eine kämpfung schaffen, was wiederum Kunstbetrachtung aber werde durch lichkeiten des technischen Fortschritts allgemeine Erhebung zum Ende der Sozialdemokratische positive Auswirkungen auf die Ver- die Fliegerei bewirkt werden: in jener Zeit ausgeprägt war, zeigt ein deutschen Kolonialmacht geführt, brechensrate zeitige. „Wir werden die Dinge von einer Satz aus dem „Neuen Universum“ die sich nur Kamerun und Togo habe Gesellschaft Zunehmen würden allerdings anderen Perspektive aus sehen, als von 1914: „Es gibt kein Unmöglich bewahren können. Ein wesentlich freundlicheres Bild der die durch Frauen begangenen Ver- wir sie jetzt sehen, und das wird in den mehr, die Technik überwindet jede zukünftigen Gesellschaft entwarf der brechen. (Die Emanzipation wird in Werken der Kunst auch zum Ausdruck Schwierigkeit.“ Androgynie als Folge der prominente Reformsozialist Eduard allen Bereichen wirksam.) Die zuneh- kommen. Wir werden in den Höhen, Bernstein. Bernstein rechnet ihm ge- mende „Hast des Lebens“ und der in denen unser Flug sich bewegen Der Verfasser ist Stellvertretender Emanzipation genwärtige ökonomische Daten hoch steigende Alkoholkonsum werden wird, unsere Eindrücke in ganz neuen Vorsitzender des Deutschen Kultur- Eine aus ihrer Sicht negative Zukunftsu- und kommt zum Schluss, dass die nach Meinung Lombrosos die Zahl Luftschichten, unter ganz anderen rates und Direktor der Friedrich Wil- topie entwirft auch Ellen Key in ihrem ständige Zunahme der Industriearbei- der Geisteskrankheiten erhöhen. Brechungsverhältnissen des Lichts helm Leibniz Bibliothek

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8%3"O[FJHFÁ1PMJUJLVOE,VMUVS 4BJTPOÁYNN 4BU[TQJFHFMÁDNZL Kulturelles Leben politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 28

„Wir Hegelianer…“ Erinnerung an einen Philosophen und Pädagogen • Von Hermann Glaser Eigentlich sind wir, wenn wir uns sich windet, unser fliehendes Dasein als Demokraten in einem Sozial- zu befestigen.“ und Kulturstaat begreifen, allen Hegelianer sind wir jedoch wohl voran die für Geist und Bildung sich nicht mehr in der dem Philosophen engagierenden Bürgerinnen und eigenen „wissender Gewissheit“, Bürger, „Hegelianer“: glauben wir dass nämlich der „Weltgeist“ – eine doch, dass, bei allen dialektischen Art göttliches Sein (denn von einem Rückschlägen, der Gang der Ge- persönlichen Gott war er schon als schichte nicht nur weiter, sondern Student in Tübingen abgerückt) höher führt. Wir arbeiten daran, die – den Zeitablauf im Sinne einer humanen Errungenschaften „auf- Theodizee regle. Davon hat uns die zuheben“ (im Sinne von Bewahren, Geschichtserfahrung, gerade auch also die kulturelle Tradition zu pfle- im 20. Jahrhundert, abgebracht. Auf gen); wir tun dies aber auch, indem den Weltgeist, den Hegel übrigens in wir sie „aufheben“ (im Sinne von Jena 1806 beim Einmarsch der fran- aktualisierender „Überwindung“ und zösischen Truppen durch Napoleon Weiterführung); und wollen so die verkörpert sah – in den Vorlesungen Gesellschaft letztlich „aufheben“ „Zur Geschichte der Philosophie“ (im Sinne von höher bringen). Ob spricht er dann von einem Maulwurf, auf den Einzelnen bezogen, etwa auf dessen Drängen, wenn er im In- was die Heranbildung eines Kin- nern fortwühlt, wir zu hören hätten des betrifft, oder auf ein Volk und –, verlassen wir uns nicht mehr; wir dessen Enkulturation, wir stärken halten es besser mit Karl Marx: dass uns an Hegels Überzeugung, dass die Menschen selbst ihre Geschichte der Mensch als Individuum wie als machen. Gattung zur Vervollkommnung sich Aber jenseits geschichtlicher weiterentwickelt, also ein Wissender Metaphysik, die um die prozessuale und Weiser werde. Verwirklichung der Idee vom „absolu- ten Geist“ kreist, sind wir dann doch egel wurzelt in dem aus der wieder Hegelianer: sympathisieren H Aufklärung hervorkommenden mit dem, was Hegel in der Vorrede zur anthropologisch begründeten uni- „Philosophie des Rechts“ dekretiert: versalen Fortschrittsidealismus. An- „Was vernünftig ist, das ist wirklich; schaulicher als der stets kompliziert und was wirklich ist, das ist vernünf- denkende und formulierende Hegel tig.“ Das ist freilich nicht eine indika- (darüber später!) hat dies Friedrich tivische Feststellung; würde man sie Schiller in seiner Antrittsrede als als eine solche begreifen, handelte es Professor der Geschichte an der sich um einen Unsinn-Satz. Es geht Hermann Glaser in seinem Arbeitszimmer. Foto: Schrenk Verlag Gunzenhausen Universität Jena 1789 (wie Hegel um eine „Weltformel“, die konjunkti- inspiriert von der Französischen visch ist, d.h. eine Möglichkeitsform so durchaus ein Wirklichkeitssinn, thologie der Vernunft“. Dieser Aus- wart –, bei dem die Philosophie in Revolution als einem Final für Frei- darstellt. Bei Hegel ist allerdings „aber er ist ein Sinn für die mögliche druck findet sich in einem Folioblatt den Mittelpunkt der gymnasialen heit, Gleichheit, Brüderlichkeit) die Möglichkeit, dass der Weltgeist Wirklichkeit“. (Robert Musil) von zunächst unbekannter Herkunft, Bildung rückte. Die Schüler seien formuliert: „Unser menschliches sich, wenn auch dialektisch, zur Während man dem „späten“ 1917 in einer Berliner Bibliothek zum spekulativen Denken anzulei- Jahrhundert herbeizuführen, haben geschichtlichen Vervollkommnung Hegel wohl unterstellen muss, dass gefunden; es wird seitdem als das ten und sie „dann durch stufenweise sich … alle vorhergehenden Zeitalter hin entfaltet, eine Sicherheit; für uns er seine Überzeugung von der un- „Älteste Systemprogramm des deut- Übung bis zu dem Puncte zu führen, angestrengt. Unser sind alle Schätze, heute ist solcher Optimismus nur aufhaltsamen Verwirklichung der schen Idealismus“ bezeichnet. Für auf dem sie für das systematische welche Fleiß und Genie, Vernunft und eine Wunschform, für deren Erfüllung Idee des geschichtlichen Fortschritts die Autorenschaft werden inzwischen Studium der Philosophie, womit das Erfahrung im langen Alter der Welt wir „arbeiten“ müssen; sie ist jedoch dogmatisch-siegesgewiss verkün- drei Namen als äußerst wahrschein- Universitätsstudium beginnt, reif wä- endlich heimgebracht haben. … Ein jedem demokratischen Denken und dete, obwohl auch er immer wieder lich herangezogen: Hegel, Friedrich ren“. Befördert wurde dies von dem edles Verlangen muß in uns entglü- Handeln „eingeschrieben“: Vernunft heimgesucht war von Skepsis und Wilhelm Schelling und Friedrich Reformpädagogen und -theologen hen, zu dem reichen Vermächtnis von soll Wirklichkeit werden. Das Projekt „Hypochondrie“ – die innere Zer- Hölderlin, die sich als Studenten im Friedrich Immanuel Niethammer, Wahrheit, Sittlichkeit und Freiheit, Aufklärung ist eine als Idee „voraus- rissenheit nannte er „unglückliches Tübinger Stift zusammengefunden ebenfalls Tübinger Stiftler, der im das wir von der Vorwelt überkamen geworfene“ Möglichkeit von vernünf- Bewusstsein“ –, hat der junge Hegel hatten. Im Mittelpunkt dieser Schrift Ministerium des Innern für die neue und reich vermehrt an die Folgewelt tiger Wirklichkeit, einer eben „nur“ unser Verhältnis zur Aufklärung, steht die sich als „kühn“ vorstellende bayerische (aufklärerische) Schulpo- wieder abgeben müssen, auch aus noch nicht umgesetzten Wirklichkeit. nämlich als einen „Glauben“ an sie Idee, die noch in keines Menschen litik zuständig war. Hegel ging es zen- unsern Mitteln einen Beitrag zu legen Der Möglichkeitssinn orientiert sich (und nicht als ein Wissen um ihre Sinn gekommen sei: „Wir müssen tral ums philosophische Prinzip, das und an dieser unvergänglichen Kette, an einer Wirklichkeit, die er als Auf- Erreichbarkeit) vorweggenommen. eine neue Mythologie haben, diese den Unterricht durchdringen müsse. die durch alle Menschengeschlechter gabe und Erfindung begreift; er ist „Glaube an Aufklärung“ heißt da „My- Mythologie aber muß im Dienste der Im Kern bedeutete dieses, dass die Idee stehen, sie muß eine Mythologie W-Fragen eine große Rolle spielten: der Vernunft werden“. Warum tue ich was wie mit welchen In diesem Jahr ist ein Hegel- Mitteln wozu; woher kommen wir, Gedenkjahr zu begehen: Vor zwei- wohin gehen wir… Geisteswissenschaftler: Kultur als hundert Jahren, 1808, kam Hegel als Das Hegelsche philosophische Rektor des Egidien-Gymnasiums, Prinzip scheint heute verloren ge- dessen Gründung auf den Humanis- gangen zu sein – etwa wenn man die ten Philipp Melanchthon zurückging, PISA-Studie (Programme for Inter- Arbeitsmarkt mit Perspektive? nach Nürnberg. In dieser Funktion national Student Assessment) auf und zusätzlich als Schulrat wirkte ihre zentrale Aussage hin prüft. Das Der Kulturbereich ist traditionell ein wichtiger Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaft- er acht Jahre. Zudem fand er hier deutsche Gymnasialwesen krankt ler. Geisteswissenschaftler arbeiten in Museen, Bibliotheken und Theatern. Sie er- mit Marie von Tucher seine Frau daran, noch dazu unter dem Druck schließen und vermitteln Kunst und Kultur. Bei dem Kongress wurde ausgelotet, wie fand – eine glückliche Ehe. Wenn ich von G 8 (der Reduzierung der Schul- darauf hinweise, so soll man dies zeit auf acht Jahre, was eine kaum sich dieses Arbeitsfeld und dieser Arbeitsmarkt verändern. Welche Qualifikationen mir, einen Franken und Nürnberger, zu bewältigend Stoff-Fülle mit sich von Geisteswissenschaftlern erwartet werden, welche Beschäftigungsmöglichkeiten nicht als lokalpatriotischen Eifer bringt), dass für Bildung keine Zeit für Geisteswissenschaftler im Kulturbereich es gibt und welchen Stellenwert selbst- anlasten. Denn Hegel erwies sich mehr bleibt und alles dem Zweck jenseits seiner städtischen Verdienste von Ausbildung untergeordnet wird. ständige Tätigkeit hat. als herausragender Pädagoge, der Das deutsche Schulwesen, so hat für unsere Zeit durchaus Maßstäbe es ein Interpret der PISA-Studie Mit Beiträgen von: setzen kann. formuliert, „bleibt selbst den relativ · Hartmut Dorgerloh Die äußeren Verhältnisse erfolgreichen Schülern jene sinnge- · Max Fuchs erwiesen sich zwar äußerst misslich; bende Vernetzungsarbeit weitgehend das „Wirkliche“ war im verschuldeten schuldig, die aus den Zufälligkeiten · Nürnberg, das zwei Jahre vorher den angehäuften Detailwissens erst ein · Wolfgang Schmitz Status einer freien Reichstadt durch ordnungsstiftendes Beziehungsge- · Olaf Zimmermann u.a. Eingliederung ins bayerischen Kö- flecht macht, das dann selbstständig nigreich verloren hatte, höchst „un- ausgebaut und verdichtet werden vernünftig“: Die Gebäude waren seit kann“. Kultur als Arbeitsfeld und Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaftler fünfzig Jahren nicht mehr getüncht Hegels Pädagogik war ferner ge- Hg. v. Deutschen Kulturrat, 182 Seiten, ISBN: 978-3-934868-16-8, worden; sie befanden sich generell in prägt durch das, was er „Dialektik“ schlechtem Zustand; es fehlten, und nannte, und das bedeutete eine nicht Preis 14,90 Euro (+ 2,50 Euro für Porto und Verpackung). das war für den neu berufenen Schul- nur methodische, sondern essentielle leiter das Schlimmste, die „Abtritte“ Umgestaltung von Unterrichtung; Das Buch kann unter http://www.kulturrat.de/shop.php bestellt werden. Der Titel ist (Aborte). Hegel ließ sich aber durch diese war allerdings wegen des do- die real existierenden Widrigkeiten minierenden hierarisch-autoritären auch über jede Buchhandlung beziehbar. nicht in seinem pädagogischen Eros Erziehungssystem nur in Ansätzen Deutscher Kulturrat e.V., Chausseestraße 103, 10115 Berlin, Telefon: 030-24 72 80 irritieren. Er bekannte sich zu einem zu verwirklichen. 14, Fax: 030-24 72 12 45, E-Mail: [email protected] Konzept – und deshalb vor allem die Herausstellung der Bedeutung Weiter auf Seite 29 Hegels für die Pädagogik der Gegen- Kulturelles Leben / medien politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 29

und das Wahre falsch zu machen!“ Mehr Esprit als Hegel, so Friedrich Heine hatte für Hegels Unverständ- es bekannt ist, nicht erkannt.“ Gerade Fortsetzung von Seite 28 „Dergleichen geschieht wohl“, erwi- Nietzsche, habe zwar von den be- lichkeit eine Erklärung beziehungs- diese Feststellung kann vielleicht in derte Hegel, „aber nur von Leuten, rühmten Deutschen keiner gehabt; weise Entschuldigung parat: Weil einer Zeit, da der Gesellschaft vor allem Dialektik: Da wird noch einmal die geistig krank sind.“ „Da lobe ich doch habe er so große Angst emp- dieser gewollt habe, „daß seine Phi- durch die Massenmedien suggeriert und äußerst nachdrücklich deutlich, mir“, sagte Goethe, „das Studium der funden, ihn zu zeigen, dass er sich losophie im schützenden Schatten wird, dass es auf die „Anstrengung des warum und in welchem Maße wir Natur, das eine solche Krankheit nicht seinen eigentümlich schlechten Stil der Staatsgewalt ruhig gedeihe und Begriffs“ nicht mehr ankomme – der Hegelianer sind, geworden sind und aufkommen läßt.“ zur Verhüllung schuf. Bei ihm sei ein mit dem Glauben der Kirche in kei- Talk ist alles (Odo Marquard spricht mit aller Kraft solche bleiben sollten. Hegel formuliert hier ungewöhn- Gedanken umwickelt und nochmals nen Kampf geriete, ehe sie hinläng- von Inkompetenzkompensationskom- Können wir uns überhaupt noch in lich einfach und verständlich; an- und wiederum umwickelt, bis er lich ausgewachsen und stark“ sei, so petenz) –, dazu anregen, Hegel wieder einem parlamentarisch regierten sonsten sprach und schrieb er äu- kaum noch hindurchblicken könne. habe er, „dessen Geist am klarsten einmal (zumindest auszugsweise, evt. Staatswesen einen gesellschaftlichen ßerst kompliziert (und komplex); Heinrich Heine, der in Berlin Hegels und dessen Doktrin am liberalsten nur punktuell) zu lesen, sich in ihn Diskurs ohne Dialektik – These, An- er war schon zu seiner Zeit für die Vorlesungen hörte und seine Bewun- war“, sie in „so trüb scholastischer, einzulesen. Als Hegelianer sollten wir tithese, Synthese – vorstellen? Dia- meisten schwer oder nicht zu verste- derung für ihn zeitlebens beibehielt verklausulierter Form“ ausgespro- es wagen! lektik ist, so erläuterte Hegel selbst hen. Seine Studenten sollen deshalb – hatte er doch als Ausgleich zu seiner chen, „daß nicht bloß die religiöse, bei einem Teegespräch mit Goethe vielfach von Melancholie ergriffen eigenen scharfen Rationalität stets sondern auch die politische Partei Der Verfasser ist Publizist; von 1964 sein Prinzip (berichtet von Goethes worden sein. Der Philosoph, der so eine gewisse Affinität zum Dunkel- der Vergangenheit in ihm einen Ver- – 1990 war er Schul- und Kulturde- Sekretär Johann Peter Eckermann), viele überzeugende Paradigmen fand Irrationalen –, ironisierte mehrfach bündeten zu besitzen glaubte.“ zernent der Stadt Nürnberg, von 1975 „im Grund nichts weiter, als der und erfand (z.B. das Denkmodell dessen Unverständlichkeit. Dieser Naheliegender und gewichtiger – 1990 Vorsitzender des Kulturaus- geregelte, methodisch ausgebildete vom Herrn und Knecht, dann eines Geistesweltumsegler sei unerschro- bei der Erklärung von Hegels Schwer- schusses des Deutschen Städtetages. Widerspruchsgeist, der jedem Men- der wichtigsten Elemente im Denk- cken vorgedrungen bis zum Nordpol verständlichkeit mag es sein, auf sein schen innewohnt und welche Gabe system von Marx), wurde wohl auch des Gedankens, wo einem das Gehirn Bemühen hinzuweisen, mit Hilfe einer Von Hermann Glaser erschien eben im sich groß erweist in Unterscheidung deshalb zunächst rasch vergessen. im abstrakten Eis einfriere. – Als Hegel vielfach selbst erfundenen Begrifflich- Schrenk-Verlag (Weißenburger Straße des Wahren vom Falschen“. „Wenn Schon zwanzig Jahre nach seinem auf dem Totenbett lag, soll er gesagt keit zum Mitdenken anzuregen. Das 22, 91710 Gunzenhausen; E-Mail: sch- nur“ fiel Goethe ein, „solche geistigen Tod in Berlin (1831), wo er den Hö- haben: „Nur einer hat mich verstan- gewohnte Sprechen und damit Den- [email protected] oder sch- Künste und Gewandtheiten nicht hepunkt seines Ruhmes erlebt hatte, den“, um gleich darauf verdrießlich ken wollte er so durch Abstraktion ver- [email protected]) der Band „Georg häufig gemißbraucht und dazu ver- habe man ihn wie einen toten Hund hinzuzufügen: „Und der hat mich fremden und damit Aufmerksamkeit Wilhelm Friedrich Hegel. Weltgeist in wendet würden, um das Falsche wahr behandelt (meinte Marx). auch nicht verstanden.“ hervorrufen. „Das Bekannte wird, weil Franken. 144 Seiten, Euro 13.50.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk muss entwicklungsfähig bleiben Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Entwurf des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags Berlin, den 26.05.2008. Der Deut- Inzwischen wurden die technischen sche Kulturrat, der Spitzenverband Geräte soweit weiterentwickelt, dass der Bundeskulturverbände, fordert technische Konvergenz tatsächlich die Länder auf, den Bestand und die vorliegt. Internetradios schaffen den Entwicklungsfähigkeit des öffentlich- Zugang zu Datenbanken mit Musiktiteln, rechtlichen Rundfunks durch den 12. Fernsehen kann mit dem Computer Rundfunkänderungsstaatsvertrag nicht gesehen werden, die Zuschauer und zu beschneiden. Zuhörer erwarten Zusatzangebote, die im Internet abgerufen werden können, Ziel des 12. Rundfunkänderungs- mobile Endgeräte wie Handys bieten Zu- staatsvertrags ist es, den so genann- satzfunktionen, um Radio zu hören oder ten Brüsseler Beihilfekompromiss Fernsehsendungen zu empfangen. aus dem Jahr 2007 in nationales Recht zu überführen. Das zentrale Neben der technischen Konvergenz Anliegen besteht darin, Regelungen besteht eine inhaltliche Konvergenz. für die Telemedien- und Onlinean- Inhalte werden auf verschiedenen gebote der öffentlich-rechtlichen Plattformen – Fernsehen, Radio, In- Rundfunkanstalten zu treffen. Der ternet – gesucht. Insbesondere bei Deutsche Kulturrat bedauert, dass der jüngeren Generation gewinnt der die nunmehr von den Ländern vorge- Verbreitungsweg Internet auch für das schlagenen Regelungen über die von Fernsehen und den Hörfunk zunehmend ihnen gegenüber der EU-Kommission an Bedeutung. gemachten Zusagen hinsichtlich des Beihilfekompromiss hinausgehen Telemedien- und Onlineangebote er- und die Entwicklungsfähigkeit des öffnen neue Chancen. Zeitungs- und öffentlich-rechtlichen Rundfunks Zeitschriftenverlage bieten zusätzlich zu Gerd Billen, Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband; Michael Sommer, Vorsitzender des DGB; Max Fuchs, Vor- einschränken. ihren traditionellen Präsentationsformen sitzender des Deutschen Kulturrates bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Positionen zum 12. Rundfunkände- (Texten und Bildern) audiovisuelle In- rungsstaatsvertrag. Foto: Kristin Bäßler Im Entwurf zum 12. Rundfunkände- halte an, gehen also einen Schritt in rungsstaatsvertrag mit Stand vom 26. Richtung Rundfunk. Rundfunkanstalten Begrenzung des Abrufs auf 7 Tage zifischen Möglichkeiten des Internets öffentlich-rechtlichen Rundfunks füh- März 2008 wird zu Recht ausgeführt, unterstützen ihre audiovisuellen Ange- nicht mehr ausschöpfen kann und ren. Angebote aus dem Bereich Kultur dass die Telemedien- und Online- bote durch Texte und Bilder. Zusatzan- Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkan- bei Beratungs- und Vergleichsdienst- sprechen erfahrungsgemäß einen angebote der öffentlich-rechtlichen gebote, die zuvor bei Sendern schriftlich stalten sollen künftig Sendungen bis zu leistungen sogar dazu verurteilt wird, speziellen Kreis an Nutzerinnen und Rundfunkanstalten allen Bevölke- angefordert werden konnten, können sieben Tage im Internet anbieten können. veraltete Informationen anzubieten. Nutzern an. Diese Nutzerinnen und rungsgruppen die Teilhabe an der In- nunmehr im Internet abgerufen werden. Sportsendungen und Spielfilme nur bis Dieses ist nicht im Interesse der Nutzer Nutzer sind aber zumeist ganz beson- formationsgesellschaft ermöglichen, Die Zuschauer und Zuhörer erwarten zu 24 Stunden. Diese Einschränkung und Verbraucher und könnte zu einem ders an umfassenden Informationen Orientierungshilfe bieten sowie die diesen Zusatznutzen. bedeutet, dass u.a. Bildungs- und Kul- deutlichen Akzeptanzverlust führen. und Hinweisen auf zusätzliche Infor- technische und inhaltliche Medien- tursendungen sowie Dokumentarfilme, Darüber hinaus sollen laut Entwurf des mationsmöglichkeiten interessiert, wie kompetenz aller Generationen und Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk die erfahrungsgemäß ein spezifisches 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags sie von privaten Anbietern aufgrund von Minderheiten fördern sollen. Aber auch in Zukunft seinen Versorgungs- so- Publikum ansprechen, nach der Sen- textbasierte Inhalte nur sendungsbezo- ihres ohnehin begrenzten Angebots dieser an den öffentlich-rechtlichen wie inhaltlichen Auftrag erfüllen kann, ist dung nicht mehr zugänglich gemacht gen zulässig sein. Dieses widerspricht für diese kleinen Zielgruppen nicht Rundfunk gestellte Anspruch kann es erforderlich, dass er von den durch werden. Dabei würde gerade das Inter- nicht nur den spezifischen Möglich- angeboten werden. aufgrund der vorgesehenen Begren- die Technik vorgeprägten Entwicklungs- net die Möglichkeit eröffnen, auch über keiten, die das Internet bietet, es läuft Der Deutsche Kulturrat fordert daher, zungen nicht umfassend eingelöst möglichkeiten des Rundfunks und den sieben Tage hinaus Angebote, die einen auch den Nutzungsgewohnheiten zuwi- die vorgesehene Einschränkung der werden. neuen technischen Verbreitungswegen kleineren Kreis von Nutzerinnen und der. Gerade jüngere Menschen – auch Telemedien- und Onlineangebote nicht abgeschnitten wird. Die Vorschlä- Nutzern ansprechen, länger zugänglich Kinder und Jugendliche – nutzen heute auf sendungsbezogene Inhalte auf- Mit Blick auf die im Entwurf zum 12. ge aus dem 12. Rundfunkänderungs- zu machen. Dass dabei grundsätzlich das Internet selbstverständlich. Ange- zugeben. Rundfunkänderungsstaatsvertrag staatsvertrag sichern diese Partizipation eine angemessene Vergütung der Ur- bote für Kinder und Jugendliche wie getroffene Zuordnung von Programm- des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an heber und Leistungsschutzberechtigten Kika.de bieten werbefrei Fernseh- und Archive angeboten zu Bildung oder Kultur den neuen technischen Möglichkeiten erfolgen muss, versteht sich von selbst. Hörfunkinhalte sowie Texte, Bilder und verweist der Deutsche Kulturrat dar- nicht. Im Gegenteil, sie verschließen Der Deutsche Kulturrat sieht daher das Spiele. Eine Einschränkung der Inter- Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass auf, dass eine exakte Trennschärfe dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Erfordernis, die zeitliche Beschränkung netaktivitäten auf sendungsbezogene zeit- und kulturgeschichtliche Inhalte zwischen Bildung und Kultur kaum wesentliche Vorteile der Verbreitungs- des Abrufs generell aufzuheben. Inhalte würde dieses Angebot, das im Rahmen des zu erstellenden Tele- möglich ist. Es gibt zahlreiche Schnitt- möglichkeiten im Interesse und zum einen wichtigen Beitrag zur Stärkung medien- und Onlinekonzepts zugäng- mengen und Überschneidungen zwi- Vorteil seiner Zuhörer und Zuschauer. Zusatzangebote der Medienkompetenz von Kindern lich gemacht werden sollen. In den schen Bildung und Kultur, die es und Jugendlichen leistet, stark ein- Archiven der öffentlich-rechtlichen zu berücksichtigen gilt und die die Der Deutsche Kulturrat konzentriert sich Zusatzangebote sollen künftig nur noch schränken. Rundfunkanstalten befinden sich vorgeschlagen Abgrenzung als nicht in dieser Stellungnahme auf die im Ent- sendungs- und nicht mehr programm- Schätze, die es sich zu heben lohnt. sinnvoll erscheinen lassen. wurf zum 12. Rundfunkänderungsstaats- bezogen im Internet zugänglich gemacht Aber auch mit Blick auf Programman- Eine öffentliche Zugänglichmachung vertrag vorgeschlagenen Regelungen zu werden können. Beratungs- und Ver- gebote in den Feldern Kultur, Bildung kann allerdings nur bei einer ange- Konvergenz der Medien Telemedien- und Onlineangeboten. An gleichsdienstleistungen sollen nicht und Unterhaltung würde eine Einschrän- messenen Vergütung der Urheber und anderer Stelle wird sich der Deutsche Kul- aktualisiert werden können. Eine solche kung auf sendungsbezogene Inhalte zu Leistungsschutzberechtigten sowie Über die Konvergenz der Medien wird turrat ausführlich zu den Auswirkungen Regelung würde dazu führen, dass der einer unverhältnismäßigen und nicht unter Wahrung des Urheberpersön- bereits seit vielen Jahren gesprochen. der Digitalisierung positionieren. öffentlich-rechtliche Rundfunk die spe- gerechtfertigten Einschränkung des lichkeitsrechts erfolgen. Medien / Portrait politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 30

Die Tageszeitung Brücke von Gutenbergs Erfindung zur elektronischen Informationswelt • Von Rolf Zitzlsperger

Als sich die Schockstarre der Über- als in den 30er und 40er Jahren in wirtschaftlichen Interessen der Wachs- raschung bei den Mainzern langsam den USA, in den 50ern in Europa das tumsbranchen Fernsehen und Internet löste, machte sich das wohlige Fernsehen aufkam. zuliebe nicht wirklich weiter verfolgt Gefühl eigener Bedeutung breit: Die Medien- und Kommunikati- wurden. So zum Beispiel in Berlin, Johannes Gutenberg war von ame- onsforschung, in den 50er Jahren aus wo man im Laborversuch fernsehge- rikanischen Journalisten zum „man der Meinungsforschung nach Gallup wohnten Gruppen jeweils 10 Minuten of the millennium“ gekürt worden, entstanden, dachte nicht anders. Fernsehnachrichten vorspielte und sie pünktlich zu seinem vermutlich 600. danach bat, diese wiederzugeben. Das Geburtstag im Jahr 2000. Und dieses Wachsende Wissenskluft Ergebnis war dürftig, bei den TV-Profis Wohlgefühl ließ leichter darüber (Redakteure) nicht besser als bei den hinwegsehen, dass das Gutenberg Erst Anfang der 70er Jahre kamen Durchschnittssehern. Die Erklärungen Museum in Mainz in den 100 Jahren Zweifel auf. In einer so genannten waren simpel und einleuchtend: Die seines Bestehens das schmückende Kampagnenforschung für das US Wirkung des Fernsehens ist eine emo- Beiwort „Weltmuseum der Druck- Landwirtschaftsministerium stellten tionale; sie suggeriert Zustimmung kunst“ nicht wirklich verdiente – zu Tichenor, Donahue und Olien (Univ. oder Ablehnung des Themas oder spärlich war bis heute die Unter- of Minnesota) die These von der einer Person und vermittelt die Illusion stützung, die finanzielle Ausstattung „wachsenden Wissenskluft“ (increa- gut informiert zu sein. Fernsehbilder gewesen. sing knowledge gap) auf. Sie besagt, argumentieren nicht, sie verstärken dass Menschen, die sich nur über Meinungen ohne Begründung. Vor ohannes Gutenberg aber verdient elektronische Medien informieren allem bei Selten- oder Nielesern. Foto: www.pixelio.de/Rainer Sturm J den Titel des „Jahrtausendmanns“ (Rundfunk und Fernsehen), einen Darum bleibt so oft die Krawatte des zu Recht. Seine Erfindung machte deutlich geringeren Wissenszuwachs Moderators oder das Décolleté der geprägt. Darum versuchen es alle mit Ohne Lesen als Kulturtechnik, ohne die heutige Massenkommunikation haben als Menschen, die sich auch Schauspielerin der stärkste Eindruck der Vermittlung von Medienkompe- Tageszeitung als Medium ist Informa- erst möglich, eine Entwicklung in oder ausschließlich über Printmedien einer Sendung. tenz. Das ist häufig so, als würde man tion nur schwer zugänglich. Das ist das unterschiedlichen Schritten. informieren. Dem regelmäßigen Leser von Bü- Jugendliche mit Alkohol versorgen, wahre Vermächtnis Gutenbergs. Dieser Befund wurde auch in chern und Zeitungsartikeln schadet um sie dann durch Aufklärung vom Schule für alle Schweden, der Schweiz und in Deutsch­ Fernsehen nicht – er holt seine Infor- Alkoholismus abzuhalten. Um zum Der Verfasser ist Stellvertretender land durch Untersuchungen bestätigt mation und sein Wissen vom gedruck- Ausgangspunkt zurückzukehren: Der Sprecher der Sektion Film und Me- Neil Postman, Erziehungswissen- (Saxer/Bonfadelli, Zürich). Schon frü- ten Wort, er ist im Wortsinn Koprodu- mündige Bürger ist ein informierter dien im Deutschen Kulturrat und schaftler und Kommunikationsex- her hatte es Hinweise darauf gegeben, zent. Bei Kindern und Jugendlichen Bürger. Das stärkt die Meinungsbil- Vorstandsvorsitzender von K3-Kul- perte, hat nachgewiesen, dass die die aber den gesellschaftlichen und ist das Missverhältnis besonders aus- dung und durch sie die Demokratie. turkanal in Rheinland-Pfalz Idee der Schule für alle auf Guten- bergs Erfindung beruht. Als die neue Form des Buchdrucks, Mitte des 15. Jahrhunderts, aufkam, gab es z.B. in England etwa 30 Schulen, in Klöstern Zeitlose Begegnungen in Bildern und Adelshöfen, Erziehung für die Die Geschichtenerzählerin Manu Theobald „happy few“, schon 50 Jahre später zählte England über 200 Schulen, der Professionelle Touristin wäre eine Druck von Schulbüchern, nicht nur gute Umschreibung für eine Re- von Bibeln, machte sie möglich. portagefotografin. Aber nur für ir- gendeine, nicht für Manu Theobald. Brücke zur Massen- Bilder-Erzählerin würde der Sache näher kommen oder Spurensucher­ kommunikation in. Die Münchner Fotografin, die Die Brücke aber, von Gutenberg zur überwiegend für Frauen- und Rei- heutigen Massenkommunikation, sezeitschriften arbeitet, sieht sich zur elektronischen Vernetzung der selbst als Geschichtenerzählerin. Die Welt, war die Zeitung. Sie ist die wahre Story, der sie gerade auf der Spur ist, Eintagsfliege der Druckkunst, selbst- heißt „into…“ und ist ein Projekt von verständlich und wohl deshalb weni- Siemens Arts Program und Goethe ger beachtet und geachtet gegenüber Institut. Eine ehrgeizige Unterneh- der glanzvollen Welt des Buchdrucks. mung, die sechzehn ausgewählten „Die Fische entdecken das Wasser Komponisten und Komponistinnen zuletzt“, dieser Kalenderspruch soll die Möglichkeit bietet, in je einer der von Mao Tse-tung stammen. vier Megastädte Istanbul, Dubai, Jo- In der viel beachteten Ausstellung hannesburg oder Pearl River Delta zu zu „400 Jahre Zeitung“ im Gutenberg leben und in der Auseinandersetzung Museum 2005 hat der lebenslang mit diesen ein Werk für das Ensemble beharrliche Sammler und Vermittler Modern zu komponieren. Am Ende der Geschichte der Zeitung, Martin des Prozesses werden sechzehn Ur- Welke, die wohl erste Zeitung aus- aufführungen u.a. in Frankfurt, Berlin, findig gemacht. Sie erschien, heraus- Essen, Wien und Hamburg stehen. gegeben von Carolus, in deutscher Den Weg dahin dokumentiert Manu Sprache erstmals 1605 in Straßburg, Theobald mit ihrer Kamera für diverse im Abonnement regelmäßig, im Lau- Printmedien, darunter die neue mu- fe der Zeit täglich. sikzeitung und das Zeit-Magazin. Im Rahmen einer Geschichte über die Südküste der Türkei für das ADAC-Reisemagazin fotografiert Manu Theobald Ob als Tageszeitung, Wochen- Jugendliche beim Baden in Kizkalezi. Foto: privat zeitung oder in anderer Form, die ierundzwanzig Stunden vor dem Zeitung breitete sich unaufhaltsam in V Flug nach Südafrika, wo sie den sie die Bedingung für das Entstehen die Spielfreude daran.“ Doch die Handschrift. Nicht zuletzt deshalb Deutschland, Europa und schließlich norwegischen Komponisten Lars eines guten Bildes. „Ein Foto machen Modefotografie war der jungen Fo- wird sie gebucht. weltweit aus: Sie kündete im Laufe Petter Hagen mit ihrer Kamera be- ist wie eine kurze Begegnung, ist wie tografin zu oberflächlich. Über eine Für sie sei es, so die Fotografin, der Zeit, von zarten republikanischen gleiten wird, treffen wir uns zu einem tanzen. Man dreht sich kurz mitein- Begegnung mit der Company von Re- genauso spannend jemand Unbe- Regierungen, von Visionen der De- Gespräch für politik und kultur in ander und geht weiter. Man muss gisseur Peter Brook, die sie eine Zeit- kannten zu fotografieren wie jemand mokratie, von Pressefreiheit gar, einem Haidhauser Szenecafé. Manu nicht verbindlich werden.“ lang auf ihren Tourneen begleitete, Prominenten. Neben Reisereportagen aber brachte von Anfang an auch die Theobald steckt mitten in den Reise- Manu Theobalds Auftraggeber kam sie langsam von der Mode- zur finden sich dennoch einige Porträts Obrigkeit gegen sich auf, die Zensur vorbereitungen und nimmt sich den- sind unter anderem das ADAC-Rei- Porträtfotografie. „So bin ich zurück bekannter Köpfe hauptsächlich aus und die Manipulation. noch Zeit zum Reden und Zuhören. semagazin, Geo Saison, Abenteuer geholt worden: Ich erinnerte mich Kultur, Wirtschaft und Politik in ihrem Nur die Zeitung berichtete tages- Je länger unsere Unterhaltung dauert, und Reisen oder auch Frauenzeit- an den eigentlichen Grund, warum Portfolio, unter anderem Paulo Coelho, aktuell, aber auch volksbildend über desto mehr werden Gläserklirren und schriften wie Vogue, Elle, Freundin ich mit der Fotografie angefangen David Bennent, Zubin Mehta, Franka Hintergründe und Zusammenhänge. Gesprächsfetzen zur Hintergrundku- und Brigitte. Eine Paparazza musste hatte, nämlich um Geschichten zu Potente, Michaela May, Meredith Ihr verdanken wir auch den moder- lisse. Ähnlich intensiv muss man sich sie für diese Klientel nicht werden. erzählen.“ Monk, aber auch Charles Schumann, nen Roman, der im 18. Jahrhundert auch die Arbeitsweise von Theobald Das enthüllende, das schnelle Foto Auf Theobalds Homepage www. Bill Gates und . zunächst in den Feuilletons in Fort- vorstellen: Sie baut zu den Menschen will sie nicht, sie vertritt eine hu- manutheobald.de finden sich eini- Fotografie als Begegnung: Schon setzungen erschien. vor der Kamera eine Beziehung auf mane Fotografie: „Mich interessiert ge dieser erzählenden Bilder. Zum als Kind interessierte sie sich bren- und macht so gut wie nie ein Foto nicht das hundertste Bild eines Pro- Beispiel die Fotoreihe, die sie für ein nend für Menschen und ihre Le- Rundfunk ohne die Einwilligung des „Motivs“. minenten auf einem Pressetermin, Merian Spezialheft über die Domi- bensräume in anderen Ländern. Ihre Für kurze Zeit wird Theobald Gast in wenn es nicht unser Termin, unsere nikanische Republik gemacht hat: Kinderfragen, „Wie essen, schlafen, Albert Einstein und Bertolt Brecht ge- der Welt ihres Objektes, es entwickelt Begegnung war.“ Es sind Bilder zu drei Geschichten, wohnen diese Menschen im Unter- hörten zu den Enthusiasten, welche sich Vertrauen, das Gegenüber ver- Ihre professionelle Zeit hinter der über Prostitution, über den dort schied zur eigenen Familie?“, be- die Geburtsstunde des Rundfunks An- spürt das Interesse der Fotografin und Kamera begann für die Münchnerin populären Hahnenkampf und die schäftigen sie gewissermaßen noch fang der zwanziger Jahre begrüßten, öffnet „das ganze Buch für eine kurze mit dem Besuch der Bayerischen Surfszene. Theobalds Fotos enthül- heute. Und so reist sie durch die Welt, als Fortentwicklung der Tageszeitung. Zeit“, wie die Fotografin bemerkt. Staatslehranstalt für Fotografie, heute len nicht, sondern sind respektvoll, um Begegnungen, neue Sichtweisen, Jetzt sei die gleichzeitige Information Intuitives Arbeiten ist Theobalds Staatliche Fachakademie für Foto- fast zu schön für den Gegenstand Gesten und vor allem um Bilder ge- aller und überall möglich, jetzt sei die Markenzeichen: „Es gab eine Zeit, da design München. Es folgte die Assis- der Betrachtung. Dass ihre Bilder schenkt zu bekommen. Meinungsbildung aller gewährleistet, empfand ich die Kamera als störend tenzzeit in Madrid im Modebusiness: oft eine Aura des Positiven, auch des ein wahres Fundament der Demo- zwischen mir und einer anderen Per- „Ich fand den Luxus verführerisch, Zeitlosen, aus der Zeit Herausgeho- Der Verfasser ist Redakteur von kratie. So und ähnlich klang es auch, son.“ Die Intimität, die Nähe ist für alles was diese Welt verspricht, auch benen tragen, gehört zu Theobalds politik und kultur Bundestagsdrucksachen politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 31

Bundestagsdrucksachen

Im Folgenden wird auf Bundestags- Deutscher Bundestag Drucksache drucksachen mit kulturpolitischer 16/8795 (09.04.2008) Relevanz hingewiesen. Berücksichtigt Kleine Anfrage werden Kleine und Große Anfragen, der Abgeordneten der Fraktion der Anträge, Entschließungsanträge, FDP Beschlussvorlagen, Schriftliche Fra- Bürokratische Belastungen ehren- gen, Mündliche Fragen sowie Bun- amtlich Tätiger destagsprotokolle. Alle Drucksachen können unter folgender Adresse aus Drucksache 16/9011 (28.04.2008) dem Internet heruntergeladen wer- Antwort der Bundesregierung den: http://dip/bundestag.de/par- auf die Kleine Anfrage der FDP- fors/parfors.htm. Fraktion – Drucksache 16/8795 – Berücksichtigt werden Drucksachen Bürokratische Belastungen ehren- zu folgenden Themen: amtlich Tätiger · Auswärtige Kulturpolitik, · Bildung, Drucksache 16/9135 (07.05.2008) · Bürgerschaftliches Engagement, Kleine Anfrage · Daseinsvorsorge, der Abgeordneten Fraktion DIE · Erinnern und Gedenken, LINKE. · Europa, Aufwandsentschädigungen für eh- · Föderalismusreform renamtliches und bürgerschaftliches · Informationsgesellschaft, Engagement als Einkommen und · Internationale Abkommen mit kul- dessen Anrechnung bei Leistungen tureller Relevanz, nach dem Zweiten Buch Sozialge- Deutscher Bundestag im Reichstagsgebäude Fotonachweis: Deutscher Bundestag · Kulturelle Bildung, setzbuch · Kulturfinanzierung, Kleine Anfrage der Fraktion DIE auf die Kleine Anfrage der Fraktion Kulturelle Bildung · Kulturförderung nach § 96 Bundes- LINKE DIE LINKE. vertriebenengesetz, Kulturpolitik allgemein Rolle und Bewertung von bildungs- – Drucksache 16/8721 – Deutsch- Drucksache 16/8874 (23.04.2008) · Kulturpolitik allgemein, politischen Fragestellungen im Rah- Polnische Einigung über „Sichtbares Antwort der Bundesregierung · Kulturwirtschaft, Drucksache 16/8584 (13.03.2008) men der Föderalismusreform II Zeichen gegen Vertreibungen“ auf die Kleine Anfrage der FDP- · Künstlersozialversicherungsgesetz, Beschlussempfehlung und Bericht Fraktion · Medien, des Ausschusses für Kultur und Me- – Drucksache 16/8796 – · Soziale Sicherung, dien (22. Ausschuss) Erinnern und Gedenken Urheberrecht Neuauflage des Ganztagsschulpro- · Steuerrecht mit kultureller Rele- zu dem Antrag der FDP-Fraktion gramms vanz, – Drucksache 16/7857 – Drucksache 16/8721 (04.04.2008) Drucksache 16/8788 (09.04.2008) · Stiftungsrecht, Zehn Jahre Washingtoner Konferenz Kleine Anfrage der Fraktion DIE Änderungsantrag der Fraktion · Urheberrecht. – Initiative für eine Nachfolgekonfe- LINKE. BÜNDNID90/DIE GRÜNEN Medien renz in Deutschland Deutsch-Polnische Einigung über zu der zweiten Beratung des Gesetz- „Sichtbares Zeichen gegen Vertrei- entwurfs der Bundesregierung Drucksache 16/9282 (26.05.2008) Bürgerschaftliches Drucksache 16/8859 (21.04.2008) bungen“ - Drucksache 16/5048, 16/8783 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis Engagement Kleine Anfrage der Fraktion DIE Gesetz zur Verbesserung der Durch- 90/Die Grünen LINKE. Drucksache 16/9060 (07.05.2008) setzung von Rechten des geistigen Positionen der Bundesregierung zur Drucksache 16/8256 (22.02.2008) Musikveranstaltungen der extremen Antwort der Bundesregierung Eigentums europäischen Rundfunkpolitik Beschlussfassung und Bericht Rechten im ersten Quartal 2008 des Ausschusses für Familien, Seni- oren, Frauen und Jugend (13. Aus- Drucksache 16/9045 (06.05.2008) schuss) Antwort der Bundesregierung 1. zu dem Gesetzentwurf der Bun- auf die Kleine Anfrage der Fraktion Neue Bücher – kurz notiert desregierung DIE LINKE Zusammengestellt von Stefanie Ernst - Drucksachen 16/6519, 16/6967, – Drucksache 16/8859 – 16/7053 Nr. 7 Musikveranstaltungen der extremen Kulturelle Bildung im Alter. Eine Be- Lektüre einen Überblick über den Materie unter internationalen und Entwurf eines Gesetzes zur För- Rechten im ersten Quartal 2008 standsaufnahme kultureller Bildungsan- aktuellen Diskussionsstand der Kul- künftigen Gesichtspunkten. derung von Jugendfreiwilligen- gebote für Ältere in Deutschland. Kim turwirtschaft in Deutschland. diensten Drucksache 16/8975 (25.04.2008) de Grooete und Flavia Nebauer. Hrsg. Zukunft braucht Herkunft. Eine 2. zu dem Antrag der Abgeordneten Kleine Anfrage der Fraktion DIE vom Institut für Bildung und Kultur e.V. Urheberrecht für Medienschaffende Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Fraktion der FDP LINKE. München 2008. 279 Seiten. Erschie- in Deutschland, Österreich und der der Künstlersozialkasse. Hrsg. von der - Drucksache 16/6769 – Folgen der gescheiterten Privatisie- nen im kopaed Verlag. (Schriftenreihe Schweiz. Hrsg. von Stefan Haupt. Unter Unfallkasse des Bundes, Abteilung Jugendfreiwilligendienste in einem rung des Aufbau-Verlages Kulturelle Bildung, 7). Mitwirkung von Meinhard Ciresa und Künstlersozialkasse. Wilhelmshaven gemeinsamen Gesetzrahmen zu- Drucksache 16/9212 (15.05.2008) Demografischer Wandel und lebens- Peter Studer. Zürich 2007. 352 Seiten. 2008. 132 Seiten. sammenfassen Antwort der Bundesregierung langes Lernen sind momentan beson- Erschienen im Orell Füssli Verlag. Wie der Titel deutlich erkennen lässt, 3. zu dem Antrag der Abgeordne- auf die Kleine Anfrage der Fraktion ders wichtige Themen im Bereich der Dieses Werk schildert die Gesetzes- widmen sich die Autoren des Buches, ten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE DIE LINKE kulturellen Bildung. Kulturelle und äs- lagen des Urheberrechts in den unter ihnen der Bundesminister für GRÜNEN – Drucksache 16/8975 – thetische Bildung gewinnen – auf der drei deutschsprachigen Ländern Arbeit und Soziales und - Drucksache 16/1771- Folgen der gescheiterten Privatisie- Suche nach Sinnhaftigkeit und anhal- Deutschland, Österreich und der Sabine Schlüter, Abteilungsleiterin Jugendfreiwilligendienste ausbauen rung des Aufbau-Verlages tender gesellschaftlicher Partizipation Schweiz. Die besondere Aktualität der Künstlersozialkasse, einzelnen und Gesamtkonzeptionen entwi- – im Leben älterer Menschen immer eines solchen Buches ist dabei vor und äußerst spannenden Aspekten ckeln Drucksache 16/9193 (14.05.2008) stärker an Bedeutung. Nachholbedarf allem in der Tatsache geschuldet, der Geschichte der Sozialversiche- 4. zu der Unterrichtung durch die Antwort der Bundesregierung besteht in der Ausbildung von Kultur- dass die Neuerungen, die im Zuge rung für Künstler und Publizisten. Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP- pädagogen, die auf die Bedürfnisse der Novellierung des Künstlersozial- Einmal mehr wird deutlich, welche - Drucksache 16/6145 – Fraktion älterer Menschen zugeschnitten ist. versicherungsgesetzes im Jahr 2007 gravierenden Veränderungen sich Bericht der Bundesregierung zu Prü- – Drucksache 16/8971 – Das Buch macht es sich zur Aufga- ebenso Berücksichtigung fanden, eingestellt haben und welch großer fanträgen zur Zukunft der Freiwilli- Kulturausgaben von Bund, Ländern be, diese Defizite aufzuspüren, eine wie der 2. Korb des deutschen Urhe- Stellenwert dieser Institution zur gendienste, Ausbau der Jugendfrei- und Gemeinden umfassende Bestandsübersicht der berrechts. Die drei nach den Ländern Sicherung von Kunst und Kultur in willigendienste und der generations- Angebote der kulturellen Bildung im aufgebauten Gliederungspunkte der Deutschland zukommt. übergreifenden Freiwilligendienste Alter zu geben und herauszustellen, Publikation sind dabei identisch als zivilgesellschaftlicher Generati- Künstlersozialversiche- wie Verbesserungen auf diesem Sektor angelegt, so dass größtmögliche Kulturmanagement der Zukunft. Per- onenvertrag für Deutschland rungsgesetz erzielt werden können. Übersichtlichkeit und Vergleichbar- spektiven aus Theorie und Praxis. Hrsg. keit gegeben ist. Der Leser erfährt von Verena Lewinski-Reuter und Stefan Drucksache 16/8413 (05.03.2008) Drucksache 16/8648 (25.03.2008) Herausforderung Kulturwirtschaft so u.a., wie das Urheberrecht in den Lüddemann. 342 Seiten. Erschienen Entschließungsantrag Antwort der Bundesregierung – Kulturpolitische Antworten und Stra- jeweiligen Ländern ausgestaltet ist, im VS Verlag. der Abgeordneten der Fraktion DIE auf die Kleine Anfrage der FDP- tegien. Berliner Tagung 8. und 9. No- welche Rechtsgrundlagen zu be- Anhand der drei Themenblöcke „The- LINKE. Fraktion vember 2007. Hrsg. von Kulturprojekte achten sind oder welche Rechte der oretische Ansätze“, „Programmatische zu der dritten Beratung des Gesetz- – Drucksache 16/8440 – Berlin GmbH. Berlin 2008. 80 Seiten. Medienschaffende als Urheber be- Konzepte“ und „Handlungsfelder“ entwurfs der Bundesregierung Auswirkungen der Novellierung Die Dokumentation präsentiert die sitzt. Zu den besonders gelungenen zeigen unterschiedliche Autoren das – Drucksachen 16/6519, 16/6967, des Künstlersozialversicherungs- Ergebnisse der Ende 2007 in Berlin Serviceleistungen zählen die leicht Spannungsfeld des Kulturmanage- 16/7053 Nr. 7, 16/8256 – gesetzes stattgefundenen Tagung „Herausfor- verständlichen Grafiken ebenso wie ments, welches aus den scheinbaren Entwurf eines Gesetzes zur För- derung Kulturwirtschaft“. Statements die angeführten Checklisten zur Gegensätzen der Wirtschaft und der derung von Jugendfreiwilligen- und Vorträge einzelner Teilnehmer Geltendmachung von Ansprüchen Kultur besteht, auf. Besonders die diensten Föderalismusreform können in diesem Tagungsband auf Grundlage des Urheberrechts , die Beiträge zu den Handlungsfeldern ebenso nachgelesen werden, wie die leserfreundlichen Auflistungen der geben interessante Einblicke. So Drucksache 16/8414 (05.03.2008) Drucksache 16/8688 (02.04.2008) Podiumsdiskussionen, die sich mit Adress- und Literaturverzeichnisse liest man über Entwicklungen des Entschließungsantrag Antwort der Bundesregierung Fragen, Chancen und Herausforde- sowie das nützliche Sachregister, wel- Kulturtourismus in Mecklenburg- der Abgeordneten der Fraktion der auf die Große Anfrage der FDP-Frak- rungen rund um die Themenbereiche ches einen Zugriff bei spezifischen Vorpommern, über Bürgerschaftliches FDP zu der dritten Beratung des Ge- tion Kulturwirtschaft im politisch-admi- Fragen ermöglicht. Darüber hinaus Engagement im Kulturmanagement setzentwurfs der Bundesregierung – Drucksache 16/6499 – nistrativen Raum, dem Verhältnis gewähren die Kapitel zu den euro- oder erhält einen Einblick in Sachen – Drucksachen 16/6519, 16/6967, Auswirkungen der ersten Stufe der zwischen Kultur und Wirtschaft sowie päischen und außereuropäischen Sponsoringverträge. Dabei werden 16/7053 Nr. 7, 16/8256 – Föderalismusreform den Auswirkungen der Kulturwirt- Aspekten und den zukünftigen Ent- sowohl der Ist-Zustand der aktuellen Entwurf eines Gesetzes zur Förderung schaft auf den gemeinnützigen Sektor wicklungen des jeweiligen Urheber- Debatten als auch zukunftsträchtige von Jugendfreiwilligendiensten Drucksache 16/9259 (23.05.2008) befassen. Der Leser erhält durch die rechts eine profunde Einordnung der Perspektiven erläutert. das Letzte politik und kultur · Juli – August 2008 · Seite 32

Zeichnung: Dieko Müller

Kurz-Schluss Impressum Meldungen aus der Welt des Wahren, Schönen und Guten, dieses Mal musikalisch Von Theo Geißler

Berlin: Nach dem Abgang von Peter das quotenträchtige Scheitern zu ge- Hamburg: Nach dem Debakel beim Mußbach als Intendant der Staats- währleisten, werden ihre Mimik-Mus- Eurovision Song Contest, bei dem Zeitung des Deutschen Kulturrats oper Berlin wurde überraschend keln und Stimmbänder mit reichlich Deutschland wieder mal den letz- schnell eine Neubesetzung gefun- Botox unterspritzt. „Ein vorbildliches ten Platz erreicht hat, will man den Deutscher Kulturrat e.V. den. Der Regierende Bürgermeister Zusammenspiel zwischen Politik und nächsten Beitrag besser positionie- Bundesgeschäftsstelle und Kultursenator Klaus Wowereit Musikwirtschaft – rühmte Industrie- ren. Es sollen 43 Sängerinnen und Chausseestraße 103, 10115 Berlin Tel: 030/24 72 80 14, Fax: 030/24 72 12 45 übernimmt selbst diese Position. „Es sprecher Dieter Gorny live aus dem Sänger aus allen teilnehmenden Län- Internet: www.kulturrat.de, E-Mail: [email protected] gibt nur eine Person, die das Haus Dschungel-Camp, wo er sich gerade dern als Solisten auftreten, die in ihrer retten kann,“ sagte Klaus Wowereit, zu einer Image-Politur aufhält. Heimat jeweils Kult-Status genießen. Herausgeber „und das bin natürlich ich.“ Er habe Probleme bereitet nur die Frage, wie Olaf Zimmermann und Theo Geißler bei Club-Besuchen umfassende Mu- Hollywood: 222.000 Dollar für 24 MP3- man die 43 Strophen in drei Minuten sik-Erfahrung gesammelt und vor Files. Mit dieser Strafe hat ein ame- Auftrittszeit unterbringen kann. Es Redaktion geraumer Zeit die CD „Wowereit trifft rikanisches Schwurgericht eine Frau gäbe aber schon eine Bushido-Co- Olaf Zimmermann (Chefredakteur v.i.S.d.P), Gabriele Schulz (Stv. Chefredak- Puccini“ produziert. Der frischge- bestraft, die angeblich Musikdateien in verversion des Songs „Dennoch hat teurin), Kristin Bäßler, Stefanie Ernst, Andreas Kolb backene Intendant will sofort selbst einer Tauschbörse bereitgestellt hatte. sich Bolle ganz köstlich amüsiert“, Redaktionsassistenz inszenieren. Als erstes Werk wählte Damit kostet ein Musik-Track nun of- die – im üblichen Berliner Sprach- Marius Digel er sich selber treu „La Boheme“. Das fiziell 9.250 Dollar. „Dieses Urteil hat tempo vorgetragen – dem Zeitlimit Stück soll nach dem renovierungs- den Musikmarkt entscheidend verän- gerecht wird. Anzeigenredaktion bedingten Umzug der Staatsoper ins dert“, meinte Bill Gates als gewählter Martina Wagner, Tel: 0941/945 93 35, Fax: 0941/945 93 50 „Rote Rathaus“ zur Aufführung kom- Vertreter der amerikanischen Musik- München: „Das 5-Milliarden-Defizit E-Mail: [email protected] men - in einer gründlich revidierten industrie. „Seit wir wissen, was Musik der Bayerischen Landesbank kann Fassung von DJ Bobo. wirklich Wert ist, arbeiten wir richtig sofort ausgeglichen werden.“ vermel- Verlag ConBrio Verlagsgesellschaft mbH rentabel..“ Musik-Online-Stores wie dete überraschend der Aufsichtsrats- Brunnstraße 23, 93053 Regensburg, E-Mail: [email protected] Berlin: „Radikal gegen Rechts“ – lau- Apples iTunes haben sofort reagiert. vorsitzende Erwin Huber. Dies sei al- tet das entschiedene Motto der „In- Von morgen an wird der Download lein dadurch möglich, dass sämtliche Herstellung itiative Musik“ unter der Ägide der eines Musikstücks 9.000 Dollar kos- Zuwendungen für Auftragswerke Petra Pfaffenheuser, ConBrio Verlagsgesellschaft deutschen Musikindustrie. Wie schon ten. Die Abmahngebühr für deutsche der Neuen Musik rückwirkend für bei der Popkomm durchsickerte, will Schulhof-Musikpiraten erhöht sich die letzten 35 Jahre zurückgefordert Druck sich die Initiative energisch gegen das von dreitausend auf 30.000 Euro pro werden, was eine Vertragsklausel pro- Gießener Anzeiger Verlags GmbH und Co KG, Gießen Rechtsfahr-Gebot auf deutschen Au- raubkopiertem File. blemlos gestatte. Spontan meldeten tobahnen einsetzen und das Rechts- der Deutsche Musikverleger- und Erscheinungsweise 6 Ausgaben im Jahr überholen generell straffrei stellen: Helsinki/Bochum/Berlin. Im Rahmen der Komponisten-Verband sowie die „Dann kommen wir mit unseren seiner „Kultur durch Technik-Strate- GEMA Konkurs an. Preis/Abonnement Dienst-Limousinen einfach flotter gie“ führt der Mobiltelefonhersteller 3,00 Euro, im Abonnement 18,00 Euro, inkl. Porto im Jahr voran und sind leistungsfähiger – so Nokia eine Neue-Musik-Flatrate Berlin. Der Bundesverband Musik- Geschäftsführerin Ina Kessler im For- ein. Damit erhalten Neukunden industrie eröffnet neue Klagewel- Aboverwaltung/Bestellmöglichkeit: mel-1-Gespräch mit Niki Lauda. im Rahmen ihres Handyvertrages le gegen Tauschbörsenbenutzer. Deutscher Kulturrat e.V., Chausseestraße 103, 10115 Berlin, uneinschränkten Zugang zu sämt- Danach werden jetzt alle Tausch- Fax: 030/24 72 12 45, E-Mail: [email protected] Frankfurt: Mit einem kühnen Hand- lichen Werken der Neuen Musik seit börsenbenutzer abgemahnt, die streich hat sich Hessens Minister- 1911. Nokia will damit sein durch die fehlerhafte Dateien oder gar nichts puk ist im Abonnement, in Bahnhofsbuchhandlungen, großen Kiosken sowie an Flughäfen erhältlich. präsident Roland Koch aus allen Schließung des Bochumer Werkes heruntergeladen haben. „Solches Schussfeldern der Kritik befreit: ramponiertes Image in Deutschland Handeln erfülle den Tatbestand Alle Ausgaben von politik und kultur können von der Homepage des Deutschen Dank einer hochemanzipatorischen aufbessern. „Mit die Neue Musik sinn des Nichtinhalt-Gebrauches, was Kulturrates (http://www.kulturrat.de) heruntergeladen werden. Vereinbarung mit der RTL-Musikre- wierr in Finnland ja aufgewachse un wiederum identisch sei mit einem Ebenso kann der kostenlose Newsletter des Deutschen Kulturrates (2-3mal die Woche) unter http://www.kulturrat.de abonniert werden. daktion wird gewährleistet, dass jetzt habe dadurch unse wirtschaftliches Werk von John Cage mit dem Titel auch aggressive Jugendliche ohne Wachstum gesteuert, daran wolle wir „tacet“.“ Dieses Werk sei definitiv Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos übernehmen wir keine Haftung. Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Na- Migrationshintergrund konsequent Deutschland teilhabe lasse“, sagte urheberrechtlich geschützt, so die mentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des bestraft werden. Sie müssen sich als Nokia-Sprecher Markkuu Hechti- abmahnende Firma Promedia. Die Deutschen Kulturrates e.V. wieder. Teilnehmer von „Deutschland sucht lainnen auf einer Pressekonferenz im Aussage von Internetnutzern: „Ich Gefördert aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und den Superstar“ einer harten Folter Hochsicherheitstrakt der Geschäfts- haben doch Nichts heruntergeladen“ Medien durch Dieter Bohlen unterziehen. Um führung des Bochumer Werkes. kann damit sehr teuer werden.