Der Hochwasser-Juni 2016 Zwei Unwetter innerhalb eines Monats sorgten in Teilen des Kreises für Überschwemmungen

VON KARLHEINZ GÖRDES, ELLEN SCHLÜTTER, FRIEDEL WIELERS,

Am Vormittag des 24. Juni 2016 ruft wurde vorsichtshalber evakuiert. „Hinter Landrat Dr. Kai Zwicker Katastrophen- uns liegt der wohl extremste Einsatz der alarm aus: Heftige Regenfälle haben in der vergangenen zehn Jahre“, beschrieb Nacht zuvor den Kreis Borken getroffen. Bocholts Feuerwehr-Leiter Thomas De- Die Feuerwehren vieler Kommunen sind im ckers im Bocholter-Borkener Volksblatt die Dauereinsatz: Überschwemmungen, voll- Geschehnisse rund um das Hochwasser. gelaufene Keller und überspülte Straßen werden gemeldet, Deiche drohen zu bre- Besorgt blickten Hilfskräfte, Bürger und chen. Überall werden Helfer und Sandsä- Behörden vor allem auf die Issel in Issel- cke gebraucht – aufgrund der vielen Ein- burg: Dort musste aufgrund des hohen Pe- satzorte und des hohen Koordinierungs- gelstandes in Dämmerwald, also am obe- bedarfs wird im Kreishaus ein Einsatzstab ren Verlauf, damit gerechnet werden, dass eingerichtet. der Fluss über die Ufer treten könnte. Der Pegel stieg kontinuierlich und bedrohlich Das Unwetter vom 2. Juni 2016 hoch – das Schlimmste jedoch konnte ver- Und es ist schon das zweite Mal in jenem hindert werden: Die Überflutungen der Is- Monat, dass ein Unwetter die Menschen selniederungen sowie Deichdurchstiche in im Kreis in Atem hält: Schon am ersten Ju- Hamminkeln und das gezielte Ansteuern ni-Wochenende war vor allem der süd- des Kiessees vor -Werth führten westliche Teil des Kreisgebiets von Stark- glücklicherweise zu einer Dämpfung des regen betroffen: In der Nacht zum Don- Hochwasserscheitels der Issel vor Issel- nerstag, dem 2. Juni 2016, zogen heftige burg. Um die Stadt Isselburg zu unterstüt- Gewitter vor allem über Bocholt, , zen, richtete der Kreis eigens sogar eine Isselburg, Borken, und . Telefon-Hotline ein, die die Anrufe besorg- Straßen, Wiesen, Gärten und Felder wur- ter Bürger aus Isselburg ab dem frühen den überschwemmt, viele Keller liefen voll Abend bis nach Mitternacht entgegen- Wasser. Bis zum Nachmittag verzeichnete nahm und beantwortete. die Leitstelle der Feuerwehr im Kreis mehr als 300 Einsätze. Nicht nur die örtlichen Das Unwetter vom 24. Juni 2016 Wehren, auch die Kreisbereitschaften der Das zweite Unwetter in der Nacht zum Feuerwehr waren aktiv. In Rhede kamen Freitag, dem 24. Juni 2016, traf dann noch rund 60 Einsätze zusammen, Bauernhöfe größere Teile des Kreisgebietes. In dieser waren überschwemmt, eine Brücke stürz- Nacht und in den folgenden Tagen kam es te ein. Vor allem aber mussten vielerorts infolge des Starkregens in vielen Kommu- Keller leergepumpt werden. In Bocholt nen unseres Kreises zu teils erheblichen hatte die Feuerwehr insgesamt mehr als Überschwemmungen. Betroffen waren die 230 Einsätze, insbesondere im südlichen Einzugsbereiche von , Bocholter Aa, Stadtgebiet. Ein Flüchtlingsheim am Aasee Dinkel und Issel – auch jetzt wieder das

67 Die Katastrophenhelfer verschafften sich aus der Luft einen Überblick über das Ausmaß der Über- schwemmungen. Hier die Issel südlich der B67 bei Bocholt-Mussum

Bild: vollgelaufene Keller und damit viel dinierte. Dort waren neben vielen Feuer- unbrauchbar gewordener Hausrat, über- wehrbediensteten, dem DRK und THW, der schwemmte Straßen und Wasserflächen, Polizei, den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- wo sonst Felder und Wiesen sind. In tern der Leitstelle und des Fachbereichs Velen-Ramsdorf und Borken-Gemen stan- Sicherheit und Ordnung vor allem auch die den große Teile des Ortskerns unter Was- Fachleute der Unteren Wasserbehörde des ser, Straßen mussten gesperrt werden. In Kreises tätig. Schon seit Freitagmorgen Rhede-Krechting schützten viele Helferin- unterstützten sie zudem in den betroffenen nen und Helfer ein Wohngebiet vor dem Orten die örtlichen Einsatzstellen fachlich Wasser der Bocholter Aa und des Pley­ bei den Schutzmaßnahmen, überprüften strangs. Bereiche von (u. a. Los- den Betrieb von wasserbaulichen Anlagen bergschule), (u. a. das Gelände (Stau-/Rückhalteanlagen) und nahmen von Haus Hall) und (u. a. das Alten- Einschätzungen zur Hochwasserentwick- heim) waren ebenfalls betroffen. Tausende lung vor. Darüber hinaus erfolgte eine fach- Sandsäcke wurden ins Kreisgebiet geor- liche Abstimmung mit den jeweiligen „Un- dert, befüllt und zur Sicherung von Dei- terliegern“ der Wasserläufe und den nie- chen, Gebäuden und Straßen verbaut. Ein derländischen Wasserbehörden. banger Blick lag zudem immer auf dem durchweichten Issel-Deich im Bereich der Auch die „Aa-Kolonne“ des Kreisbe- Stadt Isselburg. triebs war seit den frühen Morgenstunden im Dauereinsatz, um die kreiseigenen Im Borkener Kreishaus war währenddes- Stauanlagen an der Bocholter Aa zu öff- sen dauerhaft der Stab der Einsatzleitung nen, Stautafeln auszubauen und Treibgut besetzt, der die Einsätze und Hilfen koor- (Bäume, „Geschwemsel“) zu entfernen,

68 Obwohl die meisten Häuser in Gemen mit Sandsäcken geschützt waren, lief das Wasser in die Ge- bäude entlang der Bocholter Aa. um so für ungehinderten Wasserabfluss zu Legden (Dinkel) sowie Velen, Borken, Rhe- sorgen. de und Bocholt (Bocholter Aa). Die dorti- gen Einsätze waren bis zum Sonntagnach- Die Entsorgungsgesellschaft West- mittag weitestgehend abgearbeitet. In münsterland (EGW) weitete an dem Wo- Stadtlohn waren am Sonntagnachmittag chenende ihre Öffnungszeiten aus, der die Einsatzkräfte noch an verschiedenen Wertstoffhof in Gescher-Estern öffnete Stellen im Stadtgebiet tätig. In Heek stag- auch am Sonntag, damit die Bürgerinnen nierten die Pegelstände der Dinkel zu die- und Bürger ihren „Hochwasser-Sperrmüll“ ser Zeit, glücklicherweise sanken sie sogar entsorgen konnten. Das Angebot wurde leicht. In Gronau stand der Verlauf des Ge- dankbar angenommen: In den ersten zwei wässers weiter unter besonderer Beob- Stunden gab es bereits 90 Anlieferungen, achtung, da dort die Pegel weiter leicht vor allem aus Velen, Ramsdorf und Ge- stiegen. Besonderer Einsatzschwerpunkt scher. Anhänger voller Sperrmüll, vor allem blieb der Raum Isselburg wegen des au- durchnässtes Mobiliar und Teppiche sowie ßerordentlich stark gestiegenen Issel-Pe- unbrauchbar gewordener Hausrat, wurden gels. Am Montagmorgen gab es schließ- abgeladen. Auch in den folgenden Tagen lich nur noch wenige Einsatzorte: In Rhe- waren die Wertstoffhöfe in Gescher-Estern de-Krechting liefen noch Pump-Maßnah- und Borken-Gemen sowie die Deponie in men, in Isselburg-Anholt wurden an einem Borken Hoxfeld teils länger erreichbar. Deichabschnitt der Issel aufgrund von Überströmungen und Durchsickerungen Im Laufe des Samstags (25. Juni) und weiterhin Deichsicherungsmaßnahmen Sonntags (26. Juni) entspannte sich die durch Sandsackverbau durchgeführt. An Lage in den Kommunen Gescher, (Berkel), den durchweichten Deichen gab es lau-

69 Landrat Dr. Kai Zwicker (2.v.l.) war zusammen mit der Regierungsvizepräsidentin Dorothee Feller (3.v.l.) in Rhede und nahm mit Bürgermeister Jürgen Bernsmann (l.) die Situation in Augenschein. Auch hier war die Feuerwehr im Dauereinsatz. fend Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen tiges Abflussereignis ein, während in den und in der Isselniederung „Dwarsefeld“ er- Unterläufen von Issel und Aa sowie den folgten Pump-Maßnahmen zum Schutz anderen hochwasserführenden Gewäs- von Gebäuden. Der Wasserstand der Issel sern im Kreisgebiet diese Dimension nicht stagnierte sehr lange auf hohem Niveau. erreicht wurde. Dadurch bestand immer die Gefahr, dass die durchfeuchteten Deiche brechen könn- Nachdem sich die Lage über das Wo- ten. chenende entspannt hatte, konnte Landrat Dr. Zwicker den Katastrophenalarm am In den Medien und in der Bevölkerung Montagvormittag (27. Juni 2016) wieder war immer wieder die Rede vom „Jahrhun- aufheben. Bis zum Ende des Katastro- derthochwasser“. Damit gemeint ist ein phenalarms kam es kreisweit zu rund 1.800 Wasserstand bzw. eine Abflussmenge, die dokumentierten Einsätzen. Dabei waren im statistischen Mittel einmal alle 100 Jah- über 2.100 Kräfte der Hilfsorganisationen, re erreicht wird. Dieser wasserwirtschaft- des THW, der Feuerwehr und der Polizei, liche Wert bildet die Grundlage für die Di- nicht nur aus dem Kreisgebiet, sondern mensionierung von technischen Hoch- aus dem gesamten Land, im Einsatz. wasserschutzanlagen und für die Festset- zung von gesetzlichen Überschwem- Bereits nach dem ersten Starkregen mungsgebieten. Nach Einschätzung der stellte das Land Soforthilfen für die Men- Unteren Wasserbehörde trat in den Ober- schen in den besonders betroffenen Kom- läufen der Issel und der Bocholter Aa munen – im Kreisgebiet für Bocholt, Bor- (Velen und Borken-Gemen), aber auch an ken, Isselburg, Raesfeld, Rhede und Velen der Berkel im Bereich Stadtlohn ein derar- – bereit. Kleingewerbebetriebe und land-

70 Die ganze Auenlandschaft rund um das Gelände der Schönstadt-Schwestern in Borken-Gemen war überflutet und machte das Provinzhaus zu einer Insel.

wirtschaftliche Betriebe konnten zur Mil- der Landwirtschaft, konnten bewilligt wer- derung von Notständen bis zu 5.000 Euro den. Insgesamt belief sich die Soforthilfe erhalten, Privathaushalte zwischen 1.000 für unseren Raum auf rund zwei Millionen und 2.500 Euro. Nach dem zweiten Unwet- Euro. ter machte sich Landrat Dr. Kai Zwicker im persönlichen Gespräch mit Innenminister Nach den Ereignissen resümierte der Jäger und Regierungspräsident Dr. Rein- Landrat zudem: „In den Tagen des Hoch- hard Klenke dafür stark, die Hilfen auch auf wassers hat sich eines erneut gezeigt: diesen Zeitraum auszuweiten. Das Kabi- Dank der schnellen Einsatzbereitschaft der nett entschied daraufhin entsprechend Freiwilligen Feuerwehren und der ver- und stellte Gelder für die betroffenen Bür- schiedenen Hilfsorganisationen sowie der gerinnen und Bürger im Kreis in Aussicht, engen Zusammenarbeit der zuständigen die in den Kommunen Bocholt, Borken, Behörden und der Polizei konnte die Ge- Gescher, Gronau, Heek, Isselburg, Leg- fahren-Lage soweit wie möglich einge- den, Raesfeld, Rhede, Stadtlohn, Südlohn grenzt und vielerorts ganz abgewehrt wer- und Velen leben. Beantragt werden konn- den.“ Dr. Zwicker dankte allen Beteiligten ten wie beim vorherigen Mal Sofortmittel ausdrücklich für ihren Einsatz: „Die Ein- für Schäden, für die keine Versicherung satzkräfte und alle Helferinnen und Helfer möglich war. Dr. Zwicker zeigte sich er- haben bei der Hochwasserbekämpfung bis leichtert über die Entscheidung des Lan- an die Grenzen ihrer Belastbarkeit vorbild- des: „Das ist eine wichtige und notwendi- liche Arbeit geleistet. Unsere Bürgerinnen ge Unterstützung für die betroffenen Men- und Bürger können sich Tag und Nacht auf schen und Betriebe.“ Nahezu alle Anträge die Leistungsbereitschaft gerade auch der (über 500), mehr als die Hälfte davon aus ehrenamtlichen Einsatzkräfte verlassen.“

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