Deutscher Drucksache 12/1800 12. Wahlperiode 11.12.91

Sachgebiet 100

Gesetzentwurf der Abgeordneten Ferdi Tillmann, Dirk Fischer (Hamburg), Heinz-Günter Bargfrede, Dr. , Dr. Joseph-Theodor Blank, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Horst Gibtner, Claus-Peter Grotz, Rainer Haungs, Manfred Heise, Ernst Hinsken, Dr. Dionys Jobst, Michael Jung (Limburg), , Theo Magin, Rudolf Meinl, Dr. Klaus Mildner, , Gerhard O. Pfeffermann, Erika Reinhardt, Helmut Rode (Wietzen), Clemens Schwalbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten , , Roland Kohn, Manfred Richter (Bremerhaven), Dr. Klaus Röhl, Jörg van Essen, Günther Friedrich Nolting, Dr. , Jürgen Koppelin, Dr. Sigrid Semper, Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen), Dr. und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates Artikel 87 d Abs. 1 erhält folgende Fassung: das folgende Gesetz beschlossen; „ (1) Die Luftverkehrsverwaltung wird in bundesei- Artikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes ist eingehalten: gener Verwaltung geführt. Über die öffentlich-rechtli- che oder privat-rechtliche Organisationsform wird durch Bundesgesetz entschieden." Artikel 1

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutsch- land in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliede- Artikel 2 rungsnummer 100-1, veröffentlichten Fassung, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. September 1990 Die Änderung tritt am Tage nach der Verkündung (BGBl. II S. 885), wird wie folgt geändert: dieses Gesetzes in Kraft.

Bonn, den 10. Dezember 1991 Drucksache 12/1800 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode

Ferdi Tillmann Erich G. Fritz Reinhard Freiherr Dirk Fischer (Hamburg) Hans-Joachim Fuchtel von Schorlemer Heinz-Günter Bargfrede Johannes Ganz (St. Wendel) Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Wolf Bauer Peter Götz Stefan Schwarz Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Renate Hellwig Dr. Hermann Schwörer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. h. c. Adolf Herkenrath Dr. Hans-Joachim Sopart Horst Gibtner Georg Janovsky Karl-Heinz Spilker Claus-Peter Grotz Dr. Egon Jüttner Dr. Hans Stercken Rainer Haungs Steffen Kampeter Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Manfred Heise Dr. Franz-Hermann Kappes Alois Graf von Waldburg-Zeil Ernst Hinsken Thomas Kossendey Benno Zierer Dr. Dionys Jobst Wolfgang Lohmann Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Jung (Limburg) (Lüdenscheid) Dr. Wolfgang Bötsch Heinrich Lummer Julius Louven und Fraktion Theo Magin Dr. Dietrich Mahlo Rudolf Meinl Claire Marienfeld Dr. Klaus Mildner Ekkehard Gries Eduard Oswald Dr. Martin Mayer Horst Friedrich Gerhard O. Pfeffermann (Siegertsbrunn) Roland Kohn Erika Reinhardt Manfred Richter (Bremerhaven) Helmut Rode (Wietzen) Hans-Werner Müller (Wadern) Dr. Klaus Röhl Clemens Schwalbe Alfons Müller (Wesseling) Jörg van Essen Dr. Walter Franz Altherr Engelbert Nelle Günther Friedrich Nolting Dr. Maria Böhmer Johannes Nitsch Dr. Werner Hoyer Friedhelm Ost Jürgen Koppelin Dr. Gerhard Päselt Dr. Sigrid Semper (Nordstrand) Hans-Wilhelm Pesch Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Roland Sauer (Stuttgart) Dr. Hermann Otto Solms Maria Eichhorn Michael von Schmude und Fraktion Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode Drucksache 12/1800

Begründung

Die allseits für notwendig gehaltene sog. Organisa- Ob Artikel 87 d Abs. 1 GG nur bundeseigene Verwal- tionsprivatisierung der Flugsicherung (vgl. Begrün- tung im engeren Sinne des Artikels 86 Satz 1 1. Alter- dung zum Zehnten Gesetz zur Änderung des Luftver- native GG meint oder auch die Möglichkeit eröffnet, kehrsgesetzes) wird von Artikel 33 Abs. 4 und Arti- die Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung in bundes- kel 87 d Abs. 1 GG nicht getragen. mittelbarer Verwaltung durch die in Artikel 86 Satz 1 2. Alternative zugelassenen Körperschaften oder An- Durch die Organisationsprivatisierung soll erreicht stalten des öffentlichen Rechts wahrzunehmen, kann werden, daß die Flugsicherungsaufgaben künftig von offenbleiben, weil die Beauftragung einer Gesell- einer Gesellschaft des privaten Rechts (GmbH) wahr- schaft p rivaten Rechts keinen Fall bundesmittelbarer genommen werden, deren Geschäftsanteile alle vom Verwaltung durch derartige Körperschaften oder An- Bund gehalten werden. stalten bildet.

Gemäß Artikel 33 Abs. 4 GG ist die Ausübung ho- Die nach Artikel 87 d Abs. 1 GG geforderte bundesei- heitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in gene Wahrnehmung der Verwaltungsaufgabe „Luft- der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu verkehr" läßt sich ebenfalls nicht auf die Ausübung übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen von Aufsichtsbefugnissen, wie weit oder eng diese im Dienst- und Treueverhältnis stehen. Durch den in die- Einzelfall auch ausgestaltet sein mögen, reduzieren. ser Bestimmung enthaltenen Funktionsvorbehalt für Aufsicht ist qualitativ etwas anderes als eigene Ver- Beamte soll sichergestellt werden, daß besonders be- waltung. Im übrigen sind zur effektiven Erfüllung ho- deutsame, nämlich hoheitliche Aufgaben nur von heitlicher Aufgaben Weisungs- und Durchgriffsrechte durch eine bestimmte Ausbildung qualifizierten und des Verwaltungsträgers im Einzelfall notwendig. Der- außerdem in einem besonders engen Abhängigkeits- artige Rechte sind jedoch zwangsläufig einge- verhältnis zum Staat stehenden Bediensteten wahrge- schränkt, wenn eine Organisationsform des Privat- nommen werden. Nach der Rechtsprechung des Bun- rechts gewählt wird. desverfassungsgerichts (BVerfGE 9, 268, 284) ist es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, wenn die stän- Es ist zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, daß dige Ausübung hoheitlicher Befugnisse im größeren der Bund Aufgaben, die ihm zur Wahrnehmung in Umfang auf Nichtbeamte übertragen wird. bundeseigener Verwaltung zugewiesen sind, in be- stimmten Fällen auch durch Rechtsträger des Privat- Die Tätigkeit der Flugsicherung wird gemeinhin trotz rechts wahrnimmt. Das gilt für alle Bereiche, in denen technischer Besonderheiten ihrer Rechtsnatur nach durch Artikel 87 ff. GG bundeseigene Verwaltung an- als sonderpolizeilicher Aufgabe ( „Luftpolizei") und geordnet wird. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben damit im Kern als hoheitliche Ausübung öffentlicher durch privatrechtliche Rechtsträger muß sich aber auf Gewalt gegenüber Dritten verstanden. Deshalb sind Randbereiche beschränken und darf nicht etwa die nach Artikel 33 Abs. 4 GG die hoheitsrechtlichen Be- Kernbereiche derjenigen Materien erfassen, die je- fugnisse der Flugsicherung im Regelfall von Beamten weils ausdrücklich bundeseigener Verwaltung zuge- auszuüben. Bei einer Wahrnehmung der Aufgaben wiesen worden sind. Die von der Flugsicherung zu der Flugsicherung durch eine Gesellschaft p rivaten erledigenden sonderpolizeilichen Aufgaben — insbe- Rechts sollen hingegen Nichtbeamte nicht nur in Aus- sondere die zum Kern der hiervon erfaßten Aufgaben nahmefällen, sondern insgesamt und im Regelfall mit zählende hoheitliche Verwaltungstätigkeit der Flug- diesen Aufgaben betraut werden. lotsen - sind jedoch für die Sicherheit des Luftver- kehrs so wesentlich, daß sie nicht als Randbereiche Artikel 87 d Abs. 1 GG weist die Staatsaufgabe „Luft- der Luftverkehrsverwaltung anders als diese selbst verkehrsverwaltung" und damit die Flugsicherung verfassungsrechtlich beurteilen können. der staatlichen bundeseigenen Verwaltung im Sinne des Artikels 86 GG zu und schließt damit eine Orga- Die somit notwendige Änderung des Artikels 87 d nisationsprivatisierung aus: Abs. 1 GG beruht auf folgenden Erwägungen:

„Bundeseigene" Verwaltung bedeutet, daß dem — Der bundesstaatliche Gehalt des Artikels 87 d GG Bund für die Wahrnehmung der Aufgabe „Luftver- wird nicht verändert. Die Luftverkehrsverwaltung kehrsverwaltung" eine bestimmte Verwaltungsform bleibt Sache des Bundes. Die Möglichkeit, nach vorgeschrieben wird. Der Bund muß die Aufgabe mit Artikel 87 d Abs. 2 GG Bundesauftragsverwaltung eigenen Verwaltungseinrichtungen in der Form der zu begründen, bleibt bestehen. Staatsverwaltung wahrnehmen (vgl. BVerfGE 63, 1, 40f.). Insoweit ist die Wahrnehmung dieser Aufgabe — Durch Anfügung des neuen Satzes in Artikel 87 d durch eine Gesellschaft p rivaten Rechts auch dann Abs. 1 GG wird im Grundsatz die Form der bun- ausgeschlossen, wenn der Bund alle Geschäftsanteile deseigenen Verwaltung für den Bereich des Luft- an dieser Gesellschaft hält. Eine solche Gesellschaft verkehrs beibehalten. Es wird jedoch die Möglich- ist nicht bundes „eigen", sondern vom Bund rechtlich keit geschaffen, durch Bundesgesetz auch andere getrennt. Organisationsformen zu wählen. Dies schließt ein, Drucksache 12/1800 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode

juristische Personen des Privatrechts zu bilden, — Indem die vorgeschlagene Formulierung die Über- ihnen einige oder alle Aufgaben der Luftverkehrs- tragung aller hoheitlichen Aufgaben der Luftver- verwaltung zu übertragen und die Befugnis einzu- kehrsverwaltung auf Privatrechtssubjekte zuläßt, räumen, diese Aufgaben im eigenen Namen in den ergibt sich aus ihr — unausgesprochen — zugleich, Handlungsformen des öffentlichen Rechts wahrzu- daß der Geltungsanspruch des Funktionsvorbe- nehmen. Das gilt sowohl für die obrigkeitlichen als halts des Artikels 33 Abs. 4 GG verdrängt werden auch für die schlichthoheitlichen Kompetenzen der soll. Luftverkehrsverwaltung. Es handelt sich insoweit um eine „Beleihung", die — ungeachtet der in — Die vorgeschlagene Formulierung ermöglicht es Nuancen unterschiedlichen Ansichten im verwal- außerdem, Teilbereiche der Luftverkehrsverwal- tungsrechtlichen Schrifttum — die Übertragung tung weiterhin in bundeseigener Verwaltung und staatlicher (hoheitlicher) Aufgaben auf P rivat- andere Teilbereiche in mittelbarer Bundesverwal- rechtsubjekte zur Wahrnehmung im eigenen Na- tung zu führen oder auf Privatrechtssubjekte zu men umfaßt. übertragen.