Plenarprotokoll 12/95

Deutscher

Stenographischer Bericht

95. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 7793 A Dr. PDS/Linke Liste 7809B Manfred Kolbe CDU/CSU 7809 D Wahl der Abgeordneten Regina Schmidt- Zadel zur Schriftführerin als Nachfolgerin (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 7811 A der Abgeordneten Ursula Burchardt 7793 D Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi 7812 C

Ortwin Lowack fraktionslos 7813 B Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 7814 B rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über die Feststellung eines Nach- - Zusatztagesordnungspunkt 5: trags zum Bundeshaushaltsplan für das Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsjahr 1992 (Nachtragshaushalts- Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- (Drucksache 12/2600) gesetz 1992) gesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Vierten Gesetz zur Änderung des Geset- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- zes über die Deutsche Bundesbank setzes zur Änderung des Gesetzes zur (4. BBankGÄndG): (Drucksachen 12/988, Aufhebung des Strukturhilfegesetzes 12/1869, 12/2288, 12/2389, 12/2745) 7815 A und zur Aufstockung des Fonds „Deut- sche Einheit" (Drucksache 12/2692) Tagesordnungspunkt 10: c) Beratung des Antrags der Abgeordneten a) — Zweite und dritte Beratung des vom Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- (Berlin) und der Gruppe Bündnis 90/ nes Gesetzes zur Bekämpfung des GRÜNE: Kosten für die Sanierung der illegalen Rauschgifthandels und an- durch die ehemalige SDAG Wismut ver- derer Erscheinungsformen der Orga- ursachten Umwelt- und Gesundheits- nisierten Kriminalität (Drucksache schäden (Drucksache 12/2638 [neu]) 12/989) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 7794 A Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Herta Däubler Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 7797B, 7806 D Gmelin, Hermann Bachmaier, Hans Dr. Theodor Waigel CDU/CSU 7798 A Joachim Hacker, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der SPD einge- CDU/CSU 7803 B brachten Entwurfs eines ... Straf- rechtsänderungsgesetzes — Ab- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 7806D schöpfung von Gewinnen, Geldwä- sche — (. . . StrÄndG) Drucksachen Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 7808B 12/731, 12/2720)

II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

— Beratung der Beschlußempfehlung PDS/Linke Liste 7820 C und des Berichts des Rechtsausschus- Jörg van Essen F.D.P. 7821 D ses zu dem Antrag der Abgeordneten Joachim Poß, Hans Gottfried Bernrath, Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 7823 A Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer CDU/CSU 7825 B Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Unterbindung der Geldwäsche Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . 7825D, 7827 C zur Bekämpfung der organisierten Ingrid Matthäus-Maier SPD 7826B Kriminalität (Drucksachen 12/1367, 12/2720) Dr. F.D.P. 7827 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 7827 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bun- setzes über das Aufspüren von Gewinnen desministerin BMJ 7829 A aus schweren Straftaten (Gewinnaufspü- CDU/CSU 7830B rungsgesetz (Drucksache 12/2704) Johannes Singer SPD 7830 C c) Beratung der Beschlußempfehlung und Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 7832 D des Berichts des Finanzausschusses Johannes Singer SPD 7833B, 7834 B a) zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung Vorschlag für eine Gudrun Schaich-Walch SPD 7834 D Richtlinie des Rates zur Verhinderung Wolfgang Lüder F.D.P. 7836B der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche Dr. Bündnis 90/GRÜNE 7837 A CDU/CSU 7838 C b) zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung Überprüfter Vorschlag Roland Sauer (Stuttgart) CDU/CSU 7840 A für eine Richtlinie des Rates zur Ver- Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. (Erklärung nach hinderung der Nutzung des Finanzsy- § 31 GO) 7841B stems zum Zwecke der Geldwäsche (Drucksachen 12/210 Nr. 61, 12/1003 Zusatztagesordnungspunkt 8: Nr. 2, 12/2000) Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 41 Abs. 5 des Außenwirtschafts- in Verbindung mit gesetzes zur Kontrolle der Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheim- Zusatztagesordnungspunkt 6: nisses (Drucksachen 12/2709, 12/2733) — Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- Tagesordnungspunkt 3: setzes zur Einführung eines Zeugnisver- Überweisungen im vereinfachten Ver- weigerungsrechts für Beratung in Fra- fahren gen der Betäubungsmittelabhängigkeit a) Erste Beratung des von der Bundesre- (Drucksache 12/870) gierung eingebrachten Entwurfs eines — Zweite und dritte Beratung des von den Gesetzes zum Übereinkommen vom Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gme- 10. Oktober 1980 über das Verbot lin, Hermann Bachmaier, Hans-Joachim oder die Beschränkung des Einsatzes Hacker, weiteren Abgeordneten und der bestimmter konventioneller Waffen, Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs die übermäßige Verletzungen verur- eines Gesetzes zur Einführung eines sachen oder unterschiedslos wirken Zeugnisverweigerungsrechts für Mitar- können (VN-Waffenübereinkommen) beiter und Mitarbeiterinnen anerkann- (Drucksache 12/2460) ter Beratungsstellen in Suchtfragen (Drucksachen 12/655, 12/2738) b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung adoptions- in Verbindung mit rechtlicher Vorschriften (Adoptions- rechtsänderungsgesetz) (Drucksache Zusatztagesordnungspunkt 7: 12/2506) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- c) Erste Beratung des von den Abgeord- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- neten Dieter Heistermann, Dr. An- setzes zur Änderung des Betäubungs- dreas von Bülow, , weite- mittelgesetzes (Drucksachen 12/934 , ren Abgeordneten und der Fraktion 12/2737) der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrecht- Dr. Hans de With SPD 7816 A licher Vorschriften (Drucksache Norbert Geis CDU/CSU 7818A 12/2548)

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 III

d) Erste Beratung des vom Bundes- Zusatztagesordnungspunkt 13: rat eingebrachten Entwurfs eines Er- Beratung des Antrags der Abgeordneten sten Gesetzes zur Änderung des , , Ri- Wohngeldsondergesetzes (Drucksa- chard Bayha, weiterer Abgeordneter und che 12/2601) der Fraktion der CDU/CSU sowie der e) Erste Beratung des von der Bundesre- Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Ger- gierung eingebrachten Entwurfs eines hart Rudolf Baum, Birgit Homburger, wei- Gesetzes zur Änderung des Über- terer Abgeordneter und der Fraktion der einkommens vom 22. März 1974 F.D.P.: Maßnahmen zur Verbesserung über den Schutz der Meeresumwelt der Trinkwasserqualität in den neuen des Ostseegebiets (Helsinki-Überein- Bundesländern (Drucksache 12/2735) . 7844 B kommen) (Drucksache 12/2659) f) Beratung des Antrags der Abgeordne- Tagesordnungspunkt 4: ten , Hans Gottfried Abschließende Beratungen ohne Aus- Bernrath, Gernot Erler, weiterer Ab- sprache geordneter und der Fraktion der SPD: Wehrtechnische Zusammenarbeit mit a) Zweite Beratung und Schlußabstim- Israel (Drucksache 12/2494) mung des von der Bundesregierung g) Beratung des Antrags der Abgeordne- eingebrachten Entwurfs eines Geset- ten Heinz-Alfred Steiner, Dr. Andreas zes zu dem Protokoll vom 20. Dezem- von Bülow, Gernot Erler, weiterer ber 1990 betreffend die Änderung des Abgeordneter und der Fraktion der Übereinkommens vom 9. Mai 1980 SPD: Verbesserung der Wohnungs- über den internationalen Eisenbahn- fürsorge für Angehörige der Bundes- verkehr (COTIF) (Drucksachen wehr (Drucksache 12/2547) 7843 B 12/2149, 12/2578) b) Zweite und dritte Beratung des von Tagesordnungspunkt 14: der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erste Beratung des von der Bundesregie- nachträgliche Umstellung von Konto- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- guthaben, über die Tilgung von ten Gesetzes zur Änderung des Gerätesi- Anteilrechten an der Altguthaben- (Drucksache 12/2693) 7844 A cherheitsgesetzes Ablösungs-Anleihe, zur Änderung la- stenausgleichsrechtlicher Bestim Zusatztagesordnungspunkt 9: mungen und zur Ergänzung des Erste Beratung des von der Bundesregie- - Gesetzes über die Errichtung der rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- „Staatlichen Versicherung der DDR setzes zur Änderung des Vermögensge- in Abwicklung" (Drucksachen setzes und anderer Vorschriften — Zwei- 12/2170, 12/2721, 12/2722) tes Vermögensrechtsänderungsgesetz) c) Zweite und dritte Beratung des von (Drucksache 12/2695) 7844 A den Abgeordneten Dr. Fritz Schu- mann (Kroppenstedt), Dr. Ilja Seifert, Zusatztagesordnungspunkt 10: Dr. und der Gruppe der Erste Beratung des vom Bundesrat einge- PDS/Linke Liste eingebrachten Ent- wurfs eines brachten Entwurfs eines ... Gesetzes Gesetzes zur teilweisen zur Änderung des Bundes-Immissions- Erstattung des bei der Währungsum- schutzgesetzes (Drucksache 12/1866) . 7844A stellung am 2. Juli 1990 zwei zu eins reduzierten Betrages für ältere Bür- gerinnen und Bürger (Drucksachen Zusatztagesordnungspunkt 11: 12/1400, 12/2504) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- d) Zweite und dritte Beratung des von brachten Entwurfs eines Gesetzes zur den Abgeordneten Theo Magin, Dirk Einführung des passiven Wahlrechts für Fischer (Hamburg), Heinz-Günter Ausländer bei den Sozialversicherungs- Bargfrede, weiteren Abgeordneten wahlen (Drucksache 12/2734) 7844 B und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten , Zusatztagesordnungspunkt 12: , Roland Kohn, weite- Beratung des Antrags der Abgeordneten ren Abgeordneten und der Fraktion Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/ der F.D.P. eingebrachten Entwurfs Linke Liste: Aufnahme des Fernsehfilms eines Gesetzes zur Festlegung „Wahrheit macht frei" und des Buches des Anwendungsbereiches und „Drahtzieher im braunen Netz — Der zur Durchführung der Verordnung Wiederaufbau der NSDAP" in das Pro- (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung gramm der Bundeszentrale für politische der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 Bildung (Drucksache 12/2426) 7844 B (Drucksachen 12/2573, 12/2740)

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e) Beratung der Beschlußempfehlung m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsaus- des Petitionsausschusses: Sammel- schusses zu dem Antrag des Bundes- übersicht 60 zu Petitionen (Drucksa- ministers für Wirtschaft: Rechnungsle- che 12/2634) gung über das Sondervermögen des n) Beratung der Beschlußempfehlung Bundes „Ausgleichsfonds zur Siche- des Petitionsausschusses: Sammel- rung des Steinkohleneinsatzes" übersicht 61 zu Petitionen (Drucksa- — Wirtschaftsjahr 1990 — (Drucksa- che 12/2635) 7844 C chen 12/1905, 12/2563) f) Beratung der Beschlußempfehlung Tagesordnungspunkt 13: und des Berichts des Ausschusses für Zweite und dritte Beratung des von der Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung eingebrachten Ent- Bundesregierung: Aufhebbare Ein- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des hundertsechzehnte Verordnung zur Bundessozialhilfegesetzes, des Bundes- Änderung der Einfuhrliste — An- versorgungsgesetzes und des Lastenaus- lage zum Außenwirtschaftsgesetz — gleichsgesetzes (Drucksachen 12/2219, (Drucksachen 12/2164, 12/2584) 12/2705, 12/2706) 7846A g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Zusatztagesordnungspunkt 14: Wirtschaft zu der Verordnung der Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung: Aufhebbare Ein- Bundesregierung eingebrachten Ent- hundertsiebzehnte Verordnung zur wurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Änderung der Einfuhrliste — An- Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechts- lage zum Außenwirtschaftsgesetz — pflege-Anpassungsgesetz — RpflAnpG) (Drucksachen 12/2316, 12/2651) (Drucksachen 12/2168, 12/2732) 7846A h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tagesordnungspunkt 11: Wirtschaft zu der Verordnung der a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung: Aufhebbare Ein- Bundesregierung eingebrachten Ent- hundertachtzehnte Verordnung zur wurfs eines Gesetzes zur Regelung der Änderung der Einfuhrliste (Drucksa- Aufnahme von Krediten durch die Treu- chen 12/2484, 12/2652) handanstalt (Treuhandkreditaufnahme- (Drucksachen 12/2217, 12/2744) i) Beratung der Beschlußempfehlung gesetz) und des Berichts des Ausschusses für b) Erste Beratung des von den Abgeordne- Wirtschaft zu der Verordnung der ten Wolfgang Roth, Hinrich Kuessner, Bundesregierung: Aufhebbare Neun- , weiteren Abgeordneten zehnte Verordnung zur Änderung der und der Fraktion der SPD eingebrachten Außenwirtschaftsverordnung (Druck- Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sachen 12/2285, 12/2653) des Treuhandgesetzes (Drucksache 12/2291) j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für c) Erste Beratung des von den Abgeordne- Wirtschaft zu der Verordnung der ten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Fritz Schu- Bundesregierung: Aufhebbare Ein- mann (Kroppenstedt) und der Gruppe der undachtzigste Verordnung zur Ände- PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs rung der Ausfuhrliste — Anlage AL eines Gesetzes zur Änderung des Treu- zur Außenwirtschaftsverordnung — handgesetzes (Drucksache 12/2604) (Drucksachen 12/2371, 12/2654) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz k) Beratung der Beschlußempfehlung (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ und des Berichts des Ausschusses für DIE GRÜNEN: Kurswechsel bei der Wirtschaft zu der Verordnung der Treuhandanstalt (Drucksache 12/2637) Bundesregierung: Aufhebbare Zwan- zigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (Druck- in Verbindung mit sachen 12/2449, 12/2655) Zusatztagesordnungspunkt 15: 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Beratung des Antrags der Abgeordneten Wirtschaft zu der Verordnung der Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und Bundesregierung: Aufhebbare Ein- der Gruppe der PDS/Linke Liste: Ar- undzwanzigste Verordnung zur Än- beit der Treuhandanstalt (Drucksache derung der Außenwirtschaftsver- 12/2731) ordnung — (Drucksachen 12/2483, , Parl. Staatssekretär 12/2656) BMF 7848A

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Wolfgang Roth SPD 7849A SPD 7869 B Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ CDU/CSU 7870 C Linke Liste 7851 A Werner Zywietz F.D.P. 7852 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 7873 A Dr. Emil Schnell SPD 7854 B Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 7874 C Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 7854 D Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 7875 C Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . 7855 C CDU/CSU 7876 C Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 7856 D Günter Graf SPD 7878B Dr. Norbert Meisner, Senator des Landes Berlin 7858 B Dr. Jürgen Schmieder F.D.P. 7882A Kurt J. Rossmanith CDU/CSU 7860B Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 7883 A Ernst Schwanhold SPD 7860 C Hinrich Kuessner SPD 7862 A Nächste Sitzung 7884 D Susanne Jaffke CDU/CSU 7864 C Arnulf Kriedner CDU/CSU 7866A Anlage 1 Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 7867 A Liste der entschuldigten Abgeordneten 7885 *A Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi 7868 C

Tagesordnungspunkt 12: Anlage 2 Beratung der Großen Anfrage der Abge- ordneten Dr. Willfried Penner, Gerd War- Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesord- tenberg (Berlin), Günter Graf, weiterer nungspunkt 11 (Treuhandkreditaufnahme- Abgeordneter und der Fraktion der SPD: gesetz, Gesetzentwürfe zur Änderung des Lage der Polizei in der Bundesrepu- Treuhandgesetzes) blik Deutschland (Drucksachen 12/908, 12/2374) Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi 7885 *C

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Beginn: 14.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen films „Wahrheit macht frei" und des Buches „Drahtzieher und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. im braunen Netz — Der Wiederaufbau der NSDAP" in das Programm der Bundeszentrale für politische Bildung — Drucksache 12/2426 — Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- 13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ul rich Adam, dene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in Anneliese Augustin, , weiterer Abgeordneter der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Gerhart Rudolf Baum, Birgit Hombur- ger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: 5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Maßnahmen zur Verbesserung der Trinkwasserqualität in Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu den neuen Bundesländern — Drucksache 12/2735 — dem Vierten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche14. Bundesbank Zweite (4. BBankGÄndG) und dritte — Drucksachen Beratung des von der Bundesregierung 12/988, 12/1869, 12/2288, 12/2389, 12/2745 — eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungs- 6. — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat einge- gesetz — RpflAnpG) — Drucksachen 12/2168, 12/2732 — brachten15. Entwurfs Beratung eines Gesetzes des zur Einführung Antrags eines der Abgeordneten Dr. Fritz Schu- Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen mann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste: der Betäubungsmittelabhängigkeit — Drucksachen Arbeit der Treuhandanstalt — Drucksache 12/2731 — 12/870, 12/2738 — 16. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung - eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz) — Drucksachen Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, Hans 12/2501, 12/2690, 12/2736, 12/2743 — Joachim Hacker, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Mit- soweit es zu einzelnen Punkten der Tagesordnung arbeiter und Mitarbeiterinnen anerkannter Beratungs- und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen stellen in Suchtfragen — Drucksachen 12/655, 12/2738 — werden. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen. 7. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrach- Die Kollegin Ursula Burchardt legt ihr Amt als ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungs- Schriftführerin nieder. Die Fraktion der SPD schlägt mittelgesetzes — Drucksachen 12/934, 12/2737 — als neue Schriftführerin die Kollegin Regina Schmidt Zadel vor. Sind Sie auch damit einverstanden? — Das Wahl8. der Mitglieder des Gremiums gemäß § 41 Abs. 5 des Außenwirtschaftsgesetzes zur Kontrolle der Beschränkung ist der Fall. Damit ist die Kollegin Regina Schmidt des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses — Drucksa- Zadel als Schriftführerin gewählt. chen 12/2709, 12/2733 —

9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 a bis 9 c auf: Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vermögensge- setzes und anderer Vorschriften — Zweites Vermögens- a) Erste Beratung des von der Bundesregierung rechtsänderungsgesetz (2. VermRÄndG) — Drucksache eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über 12/2695 — die Feststellung eines Nachtrags zum Bundes- haushaltsplan für das Haushaltsjahr 1992 10. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissions- (Nachtragshaushaltsgesetz 1992) schutzgesetzes — Drucksache 12/1866 — — Drucksache 12/2600 — Überweisung: 11. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des passiven Wahlrechts für Haushaltsausschuß Ausländer bei den Sozialversicherungswahlen — Drucksa- che 12/2734 — b) Erste Beratung des von der Bundesregierung 12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur der Gruppe der PDS/Linke Liste: Aufnahme des Fernseh Änderung des Gesetzes zur Aufhebung des 7794 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Strukturhilfegesetzes und zur Aufstockung des plant. Im Ergebnis belief sich die Kreditaufnahme im Fonds „Deutsche Einheit" letzten Jahr auf rund 52 Milliarden DM. — Drucksache 12/2692 — Für den Bundeshaushalt 1992 stand im Finanzplan Überweisungsvorschlag: 1990 bis 1994 noch eine Kreditaufnahme von knapp Haushaltsausschuß (federführend) 50 Milliarden DM. Nach dem Stand des Nachtrags- Finanzausschuß haushalts 1992 werden es allenfalls 42,5 Milliarden Ausschuß für Wi rtschaft DM sein. Das zeigt: Wir haben solide gewirtschaftet, Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau wir sind sparsam mit dem Geld umgegangen, wir c) Beratung des Antrags der Abgeordneten haben nichts verschleudert, und wir sind jedesmal von Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) der Wirklichkeit positiv überholt worden. und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Kosten für die Sanierung der durch die ehema- lige SDAG Wismut verursachten Umwelt- und Ich glaube und hoffe, es wird uns auch in der Zukunft Gesundheitsschäden gelingen. — Drucksache 12/2638 (neu) — Der Nachtragshaushalt 1992 steht wie unsere gesamte Finanz- und Wirtschaftspolitik unter dem Überweisungsvorschlag: Primat der wirtschaftlichen und sozialen Integration Haushaltsausschuß (federführend) Ausschuß für Wi rtschaft Deutschlands. Wir wollen die Mittel für die Gemein- schaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirt- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind. für die schaftsstruktur" im Bereich der ostdeutschen Länder gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorge- um 300 Millionen DM aufstocken und zusätzlich sehen. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. — Dann ist 1,6 Milliarden DM an Verpflichtungsermächtigungen das so beschlossen. in den Haushalt einstellen. Das KfW-Wohnraummo- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bun- dernisierungsprogramm, das inzwischen vollständig desminister der Finanzen, Herr Dr. Waigel. durch Anträge belegt ist, soll erweitert werden. Im Rahmen des Nachtragshaushalts werden wir auch, wie im Vermittlungsverfahren vereinbart, die Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: Abschlußzahlungen im Rahmen der Strukturhilfe von Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen 0,8 auf 1,5 Milliarden DM anheben. Durch unser und Kollegen! Wir stehen noch unter dem Eindruck Kompromißangebot haben wir die Umlenkung der des Abschieds von . Bevor ich mit Strukturhilfemittel in die jungen Bundesländer meinen Ausführungen beginne, möchte ich auch von ermöglicht. dieser Stelle diesem großartigen Mann für vieles an Ermutigung, Wegweisung und Aufmunterung herz- Ich kann nur immer wieder hoffen, daß wir nicht lich danken, die er gerade auch mir in den letzten ideologische Barrieren errichten. Denn letztlich setzt Jahren immer wieder mitgegeben hat. - sich im Vermittlungsausschuß, lieber Peter Struck, doch immer wieder die Vernunft durch, wie es sich (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der gestern auch beim Bundesbankstrukturgesetz offen- SPD) sichtlich erwiesen hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorgeleg- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten Entwurf für den Nachtragshaushalt 1992 verstär- ken wir noch einmal die wirtschaftliche Förderung in Die unabweisbaren und notwendigen Zusatzausga- den jungen Bundesländern. Zugleich verwirklichen ben werden durch Einsparungen von 2,4 Milliarden wir im Rahmen unserer mittelfristigen Finanzkonzep- DM, durch EG-Minderabführungen von 2,1 Milliar- tion einen wichtigen Schritt zur Konsolidierung des den DM und durch wachstumsbedingte Steuermehr- Bundeshaushalts. einnahmen von 3,5 Milliarden DM bei weitem ausge- glichen. Trotz unvermeidbarer Mehraufwendungen von rund 6 Milliarden DM kann die Nettokreditaufnahme Wenn die SPD behauptet, wir würden mit dem von 45,3 auf 42,7 Milliarden DM gesenkt werden. Bei Nachtragshaushalt 1992 die selbstgesetzte Ausga- Einbeziehung der höheren Steuereinnahmen des benlinie überschreiten, dann vergleicht sie Äpfel mit Bundes, die sich aus der jüngsten Steuerschätzung Birnen. Denn nach dem Grunderfahrungsschatz aller ergeben, könnte die Kreditaufnahme sogar noch wei- Haushaltspolitiker — Peter Struck gehört ja dazu; ich ter gesenkt werden. Ich bin sicher: Der Haushaltsaus- hoffe, Herr Wieczorek, Sie werden es ebenfalls bestä- schuß wird sich diese Chance nicht nehmen lassen, tigen — kann man die Ist-Zahlen des abgeschlosse- Herr Kollege Borchert. nen Vorjahreshaushalts nicht sinnvoll mit den Plan- Durch den vorgelegten Entwurf des Nachtrags- zahlen des laufenden Haushalts vergleichen. Minder- haushalts 1992 wird noch einmal unterstrichen: Wir ausgaben im Vorjahr führen automatisch zu einer haben seit Beginn des Wiedervereinigungsprozesses rechnerischen Erhöhung der Steigerungsrate für das bei der Finanzplanung des Bundes alle Ziele und laufende Jahr. Bei sachgerechter Berücksichtigung Vorgaben eingehalten. Im ersten Jahr der Einheit, der Sondereffekte wird der Ausgabenanstieg 1992 1990, blieb das Defizit im Bundeshaushalt um rund einschließlich des Nachtragshaushalts nur etwas über 20 Milliarden DM unter der Planung. Für das Jahr 3 % liegen. 1991 war durch die Eckwertebeschlüsse vom Novem- Der Entwurf des Nachtragshaushalts 1992 unter- ber 1991 ursprünglich eine Obergrenze für die Kredit- streicht die Entschlossenheit, mit der wir unsere aufnahme des Bundes von 70 Milliarden DM einge mittelfristige finanzpolitische Konzeption verwirkli- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7795

Bundesminister Dr. Theodor Waigel chen. Durch strikte Ausgabendisziplin soll bereits chen werden. Denn nur, wenn wir die Belastung der 1995 die Kreditaufnahme des Bundes wieder auf Bürger und der investierenden Bet riebe in Grenzen 25 Milliarden DM gesenkt werden. Um dieses Ziel zu halten, können wir das für die Finanzierung der erreichen, werden wir den Ausgabenanstieg beim Einheit unverzichtbare wirtschaftliche Wachstum Bund auf durchschnittlich 2,5 % pro Jahr begren- auch für die Zukunft sichern. Konsolidierung ist nur zen. möglich, wenn wir auch bei der Höhe der Investitio- nen in die Einheit klare Grenzen der Belastbarkeit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beachten. Wir haben uns eindeutig gebunden. Damit wird allen Wir werden jetzt durch den Nachtragshaushalt 1992 eine Grenze gesetzt, die die öffentlichen Haushalte die Mittel für die jungen Bundesländer noch einmal und damit unsere Volkswirtschaft insgesamt durch aufstocken. Ich möchte in diesem Zusammenhang einseitige Interessenvertretung überfordern. ausdrücklich Herrn Ministerpräsident Seite für seine Einigen Kritikern war unsere Finanzkonzeption Klarstellung in einem Inte rview mit der „Rheinischen nicht konkret genug. Aber ich habe bewußt auf die Post" danken. Im Unterschied zu anderen hat er die Vorlage von sogenannten Steinbruchlisten verzichtet. erheblichen Anstrengungen zur wi rtschaftlichen und Denn nach allen Erfahrungen fallen solche Stein- sozialen Integration anerkannt, indem er sagte: bruchlisten unweigerlich der großen Koalition der Ich werde nicht nachlassen, den Bürgern klarzu- Sonderinteressen zum Opfer. machen, welch guten Start wir bereits gemacht Wir werden der destruktiven Kritik an unserer haben. Insgesamt sind wir dankbar für die Hilfe Finanzkonzeption keinen Raum lassen. Statt dessen von Bund und Altländern. muß jeder, der finanzielle Forderungen an den Bun- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) deshaushalt stellt, die strikte Ausgabenbegrenzung und das Moratorium anerkennen. Das tut auch einmal den Steuer- und Abgabenzahlern in ganz Deutschland, auch im Westen gut, wenn sie Der von allen politischen Parteien und gesellschaft- das hören. Wenn mehr solcher Stimmen kämen, wenn lichen Gruppen geforderte Konsolidierungskurs be- man mehr aufeinander zuginge und nicht nur immer darf allerdings einer engagierten und einer ehrlichen voneinander fordern würde, dann würden auch die Unterstützung. Ich bin für Gemeinsamkeiten zwi- Solidarität im Westen und die Geduld im Osten schen den großen Parteien. Aber Finanzierungskon- stärker aufeinander zugehen und in Übereinstim- zepte, die unter der Überschrift Sparpaket vor allem mung gebracht werden können. Steuer- und Abgabenerhöhungen auflisten, bringen uns nicht weiter, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es geht jetzt um die möglichst wachstumswirksame Nutzung der bereitgestellten Transfers. Es geht um dies vor allen Dingen nicht zu einem Zeitpunkt, zu Infrastrukturinvestitionen, die Voraussetzung für p ri dem fast alle Länder um uns herum mit Niedrigsteu-- -vate, arbeitsplatzschaffende Investitionsprojekte sind. ersätzen, mit Änderungen im Bereich der Steuersätze, Es geht darüber hinaus auch um Einsparungen in den vor allem auch der Grenzsteuersätze, arbeiten, um östlichen Länder- und Gemeindehaushalten, die vor ganz bewußt gerade auch im Hinblick auf den euro- allem im Bereich der Personalausgaben noch unbe- päischen Binnenmarkt für sich Investitionen und stritten möglich sind. Kapital zu gewinnen. Wir sind nicht nur ein nationaler Markt. Wir sind ein internationaler Markt, und wir Wir können den Prozeß der Einheit in finanz- und müssen auch unsere Finanz-, Steuer- und Abgaben wirtschaftspolitischer Hinsicht nur gestalten, wenn politik darauf einstellen. wir uns nicht an Wunschvorstellungen, sondern an der Realität orientieren. Zu einer realitätsbezogenen Pla- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nung gehört auch, die Grenzen der Umverteilung in Wir werden mit der Konsolidierung auch nicht unserer Gesellschaft zu beachten. vorankommen, wenn sich die sogenannte konstruk- Die Bewältigung der deutschen Einheit ist ohne die tive Mitarbeit darauf beschränkt, die notwendige Anerkennung der umfassenden Solidarität aller Deut- Kostenbegrenzung im Bereich der Bundesanstalt für schen nicht zu erreichen. Der gesellschaftliche Kon- Arbeit sofort als Sozialabbau zu diffamieren. Uns auf sens ist die Grundvoraussetzung für die Wiederge- der einen Seite vorzuwerfen, wir würden in unseren winnung der inneren Einheit. Ich brauche da über- Sparvorstellungen nicht weit genug gehen, und bei haupt keine Belehrungen von Herrn Thierse. Schade, jedem Vorschlag — sei es in der allgemeinen Finanz- daß er nicht da ist; ich hätte mich gern einmal mit ihm politik, sei es in der Gesundheitspolitik oder wo auch auseinandergesetzt. Die Art und Weise, wie er manch- immer — sofort zu sagen, wir werden das bis aufs mal über andere, die vielleicht auf unterschiedlichen Messer bekämpfen, das ist keine konstruktive Mitar- Wegen gehen wollen, aber mit genau dem gleichen beit. Meine Damen und Herren von der SPD, es wird Engagement wie er Deutschland verpflichtet sind, notwendig sein, daß Sie sich zu dieser Mitarbeit immer wieder Gift verspritzt und andere diffamiert, ist bekennen. Sie werden sich aus dieser Mitarbeit nicht unerträglich. Es steht auch ihm bei aller Betroffenheit selber entlassen können. dessen, der aus dem Osten kommt, nicht zu, so über (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) andere Kollegen zu urteilen. Die dreistelligen Milliardenbeträge, die wir zur Zeit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in die wirtschaftliche und soziale Integration Deutsch- Meine Damen und Herren, wir können den Prozeß lands investieren, müssen an anderer Stelle ausgegli- der Einheit in finanz- und wirtschaftspolitischer Hin- 7796 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Bundesminister Dr. Theodor Waigel sicht nur gestalten, wenn wir uns nicht an Wunschvor- um so schneller entlastet, je rascher der Aufschwung stellungen, sondern wirklich an der Realität orientie- in den neuen Bundesländern an Kraft und an Breite ren. Ich habe in der letzten Woche beschrieben, wie in gewinnt. den kommenden Jahren eine Konvention zur wirt- Die Treuhandanstalt spielt bei der Festigung dieses schaftlichen und sozialen Einheit aussehen könnte: Aufschwungprozesses eine entscheidende Rolle. Die Die Beschäftigten im Westen sollten ihre zusätzlichen inzwischen fast 7 000 privatisierten Unternehmen, Ansprüche an das Bruttosozialprodukt für drei Jahre Investitionszusagen von rund 130 Milliarden DM und zurückstellen und sich bei ihren Lohnforderungen auf 1,1 Millionen gesicherte Arbeitsplätze sind ein Kern- einen Ausgleich des unvermeidbaren Anstiegs der element künftiger wirtschaftlicher Prosperität, wobei Verbraucherpreise beschränken. Die Unternehmen etwas ganz Entscheidendes in der Politik der Treu- im Westen sollten bei verstärkter Selbstfinanzierungs- hand auch bei der so viel gescholtenen Privatisierung kraft alle Investitionspläne noch einmal im Hinblick zu sehen ist: Mit jeder Privatisierung, bei der ein auf die Chancen in den ostdeutschen Bundesländern Investor aus dem internationalen Bereich oder aus überprüfen. dem Westen Deutschlands kommt, kommt ein Stück Mit einem jährlichen 25prozentigen Anstieg der Markt mit. Denn es ist so eminent wichtig, daß nicht Investitionen im Osten Deutschlands könnte bis 1995 nur ein Verlustausgleich, nicht nur Ausstattung mit das derzeitige Investitionsvolumen auf rund 100 Mil- Kapital, nicht nur Weiterbeschäftigung und Produk- liarden DM verdoppelt werden. Die öffentlichen tion stattfinden, sondern daß diese Produktion abge- Haushalte richten alle Anstrengungen darauf, eine setzt werden kann. Das ist der entscheidende Gewinn Erhöhung der Steuer- und Abgabenlast zu vermeiden. bei der Privatisierung, der durch die Treuhandanstalt Bei stabilitäts- und wachstumsgerechtem Verhalten erzielt wird. der Beschäftigten und der Betriebe ist die Konsolidie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rung der öffentlichen Haushalte allein über die Aus- gabenseite zu erreichen. Trotz des hohen Privatisierungstempos hat es zu keinem Zeitpunkt einen Ausverkauf des ehemals Eine solche Konvention würde allen Beteiligten volkseigenen Vermögens gegeben. Im Gegenteil: Wir konkrete Vorteile bringen; denn der begrenzte haben bisher schon rund 27 Milliarden DM in die Zuwachs der Lohnsteigerungen würde sich durch Sanierung von Betrieben gesteckt, bei denen mittel- rasch sinkende Preissteigerungsraten für die Sparer fristig Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden kann. In positiv auswirken. Für die Betriebe bedeuten mutige diesem Jahr stehen 25 Milliarden DM zur Verfü- Investitionsentscheidungen auf mittlere Sicht stei- gung. gende Nachfrage und steigende Erträge. Wir werden in unseren Sanierungsanstrengungen Wir haben in der gestrigen Sitzung des Finanzpla- nicht nachlassen. Aber es würde den Arbeitssuchen- nungsrates noch einmal die Notwendigkeit umfassen- den in den jungen Bundesländern auf Dauer wenig der Ausgabenbegrenzung auf allen staatlichen Ebe- nützen, wenn wir die knappen öffentlichen Mittel für nen unterstrichen. Ich bin auch allen Beteiligten, den auf die Dauer nicht sinnvolle Erhaltungssubventionen Ländern und den Kommunen, dankbar, daß es gelun- vergeudeten. gen ist, in einer so schwierigen Situation trotz ver- schiedener Ausgangssituationen und Belastungen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) doch zu dieser Übereinstimmung zu kommen, die ein Im übrigen wären zahlreiche Betriebe zumindest wichtiges positives Signal für die Wirtschaft und auch noch auf Zeit überlebensfähig, wenn das unrealisti- für die Finanzmärkte darstellt. sche Ziel der kurzfristigen Angleichung der Lohn- Ich begrüße die deutlichen Konsolidierungsan- und Einkommensverhältnisse zwischen Ost und West strengungen einiger Länder, die für dieses Jahr in endlich aufgegeben würde. Jeder Prozentpunkt, um ihren Haushaltsplänen den Anstiegswinkel zumin- den das Einkommensniveau in den östlichen Bundes- dest unter 4 % gedrückt haben. Gerade angesichts der ländern von der dort erzielten Produktion abweicht, immer noch zu hohen Lohnsteigerungen im Bereich bindet 6 bis 7 Milliarden DM an öffentlichen Finanz- des öffentlichen Dienstes sind mit einem so engen transfers. Alle ökonomischen Sachverständigen im Ausgabenrahmen umfassende Konsolidierungsan- Inland, die EG-Kommission, die OECD und der Inter- strengungen verbunden. nationale Währungsfonds haben auf die gravierenden Probleme durch die zunehmende Produktivitätslücke Aber ich bin nicht sicher, ob schon bei allen Betei- hingewiesen. Angesichts der klaren und eindeutigen ligten in Ost und West, auch auf der Ebene der Städte Analysen darf diese schwerwiegende Fehlentwick- und Gemeinden, die Konsolidierungsaufgabe ausrei- lung im Prozeß der Wiedervereinigung nicht länger chend akzeptiert wird. Wenn wir insgesamt die öffent- als unausweichliches Schicksal hingenommen wer- lichen Defizite begrenzen wollen, müssen sich auch den. Übrigens gab es auch in dem Punkt eine Über- diejenigen einschränken, die auf Grund besonders einstimmung aller Finanzminister über die Parteien günstiger Umstände noch über einen vergleichsweise hinweg gestern im Finanzplanungsrat. weiten Finanzrahmen verfügen. Nur so können wir von den Ausgabenraten von 7 % im Bereich der Die Lohn- und Gehaltsansprüche im Osten müssen Länder und von 9 % bei den Gemeinden im letzten begrenzt werden; denn in einem Lohnzuwachsver- Jahr herunterkommen. zicht läge eine wirklich langfristig wirksame Investi- tion in den ökonomischen Integrationsprozeß. Es wäre Erfolgreiche Konsolidierungspolitik muß durch vor allem eine Investition in zusätzliche Beschäftigung wirksame Wachstumsstrategien ergänzt und geför- und in die Sicherheit der noch vorhandenen Arbeits- dert werden; denn die öffentlichen Haushalte werden plätze. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7797

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die wirt- ruhe und potentielle Unzufriedenheit mit der Arbeit schaftliche und soziale Einheit ist die deutsche Auf- der Regierung sind das, was Sie im Lande feststellen gabe im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Wir können. können diese Aufgabe nur bewältigen, wenn wir (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Deutschland wirklich als Einheit verstehen. Unser GRÜNE — [CDU/ Land bliebe dann innerlich gespalten, wenn sich die CSU]: Unfähigkeit der Opposition!) einen als Interessenvertreter des Westens und die anderen als diejenigen des Ostens verstünden. Dem „Handelsblatt", einem sicherlich nicht sehr links stehenden Blatt in Deutschland, steigt ange- Es gibt im vereinigten Deutschland große Finanzie- sichts des Zustandes der Koalition der Modergeruch in rungs- und Investitionsaufgaben. Aber sie unterschei- die Nase, und die „Süddeutsche Zeitung" kommt zu den sich nicht grundsätzlich von dem, was im Westen dem vernichtenden Urteil „Verrottet bis ins Mark". in den letzten 45 Jahren bewältigt wurde. Wir können Dem ist nichts hinzuzufügen. auf einer außerordentlich erfolgreichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und erprobten Solidarität (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ aufbauen. Wer diese Solidarität durch Egoismus oder CSU: Sicher eine ganz alte Zeitung!) überhöhte Forderungen angreift, stellt sich gegen die Meine Damen und Herren, gefordert ist ein über- deutsche Einheit. zeugendes Konzept, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt Wir haben die Aufgabe, die Zukunft des vereinten kommt es!) Deutschlands zum Wohle unserer Bürger zu gestalten. Wenn wir jetzt die richtigen wirtschafts- und finanz- das Erfolg verspricht und den Bürgern erklären kann, politischen Entscheidungen treffen, werden wir worum es geht. Daran fehlt es bis jetzt. Es fehlt jede erfolgreich sein und so auch das Vermächtnis von Karl politische Entscheidung darüber, was für unser Land Carstens verwirklichen. wichtig und vordringlich ist, was zeitlich gestreckt und worauf ganz verzichtet werden kann. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Der Bundesfinanzminister hat eine knallharte Finanzpolitik angekündigt. Aber außer knallhartem Sozialabbau ist sonst nichts gekommen. Das zeigt das Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat das politische Tauziehen beispielsweise um den Jäger 90. Wort der Abgeordnete Helmut Wieczorek. Hier wird die Politik auf einmal zu einem Vexierspiel. Der Verteidigungsminister nimmt als Libero in der Regierungsmannschaft die ureigenste Aufgabe des Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Frau Präsiden- tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Finanzministers mit der Feststellung wahr, daß sich der Jäger 90 angesichts der leeren Staatskassen nicht Nachtragshaushalt 1992 und die Eckwerte für- die mittelfristige Finanzplanung der Bundesrepublik mehr verwirklichen läßt. werden zu einem Zeitpunkt vorgelegt, an dem die (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das Weichen für das endgültige Gelingen oder Scheitern stimmt doch gar nicht!) der deutschen Einheit gestellt werden müssen. In Er erklärt darüber hinaus seine Bereitschaft, nötigen dieser Zeit befindet sich die Bonner Koalition in einem falls auch über Rüstungsprojekte neu nachzudenken, Zustand der Auflösung. die schon in der Vergangenheit beschlossen wurden. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Kei nesfalls!) (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Sie ver stehen nicht einmal was vom modernen Fuß Sie ist personell und politisch ausgebrannt. Das Scha- ball!) chern um Posten im Kabinett, die Handlungsblocka- den zwischen CDU, CSU und F.D.P. und die gegen- Ich kann nur sagen: Kompliment, Herr Rühe. seitigen Drohgebärden sind nur Symptome einer (Beifall bei der SPD — Dr. Peter Struck [SPD]: tiefgreifenden Krise. Sehr guter Mann!) (Beifall bei der SPD — Dr. Jürgen Rüttgers Lassen Sie uns aber einen Moment mit dem Bun- [CDU/CSU]: Das war nichts! Fangen Sie desfinanzminister beschäftigen, was der in dieser noch einmal an!) Affäre eigentlich tut. Dieser Bundesfinanzminister Das Instrumentarium dieser Regierung erweist sich taucht nicht nur weg, sondern er macht etwas viel als untauglich, die Einheit Deutschlands bei Wahrung schlimmeres: Er ist in der gegnerischen Mannschaft des sozialen Friedens und der sozialen Gerechtigkeit der Rüstungsindustrie sogar der Spielführer. zu vollenden. Handlungsunfähigkeit der Bundesre- gierung und fehlende Wahrhaftigkeit sind die Ursa- (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Unglaub che dafür, daß in der deutschen Bevölkerung die fünf lich!) U um sich greifen, von denen Franz Josef Strauß Während jede Mark zum Aufbau des vereinten einmal in seiner sehr einprägsamen Art gesprochen Deutschlands gebraucht wird, versucht er, die Ent- hat. scheidung für den Jäger 90 offenzuhalten. (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ei, ei, (Beifall bei der SPD — Horst Jungmann ei!) [Wittmoldt] [SPD]: Und der Erich Riedl will — Ich wiederhole sie gerne noch einmal für Sie, Herr die Bundeswehr abschaffen, wenn er den Bötsch: Ungewißheit, Unsicherheit, Unbehagen, Un Jäger 90 nicht kriegt!) 7798 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Helmut Wieczorek (Duisburg) Er versucht, die Entscheidung über den Jäger 90 so Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Aber natür- lange hinauszuziehen, bis die überrumpelte Rü- lich. stungslobby wirklich in der Lage ist, sich neu zu formieren und ihre Fronten neu zu ordnen. Dr. Theodor Waigel (CDU/CSU): Würden Sie den (Beifall des Abg. Horst Jungmann [Witt gleichen Vorwurf dann auch dem DGB-Mitglied und moldt] [SPD]) Betriebsratsvorsitzenden einer bekannten Münche- ner Firma machen, der gefordert hat, daß aus beschäf- tigungswirksamen Gründen über die Frage anders Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Wieczorek, gedacht werden muß, als Sie das tun? Würden Sie dem gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann den gleichen Vorwurf machen? Dr. Waigel? Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Herr Kollege, Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Aber gerne, wenn sich ein Betriebsratsvorsitzender zu Wort mel- Herr Abgeordneter Dr. Waigel. det, vertritt er die Interessen der Menschen, die ihn gewählt haben. Das ist die Klientel eines Betriebes. Es ist das originäre Recht eines Betriebsratsvorsitzenden, Dr. Theodor Waigel (CDU/CSU): Sind Sie bereit, sich so zu verhalten. Ein Bundesminister und ein Herr Kollege Wieczorek, zur Kenntnis zu nehmen, daß Parteivorsitzender hat dagegen nicht das Recht, der ich im Gegensatz zu Ihnen ausschließlich immer von kleineren Klientel zu folgen, sondern er hat die meinem Bundestagsmandat oder von den Bezügen als Verpflichtung, dem gesamten deutschen Volk zu Minister gelebt habe und keine zusätzlichen Einkom- dienen. men von irgendeiner Firma, wo auch immer, bekom- (Beifall bei der SPD) men habe? Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Wieczorek, Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Das will ich gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abge- gern zur Kenntnis nehmen, Herr Waigel. Ich habe nie ordneten Stockhausen und dann des Abgeordneten behauptet — und würde mich auch nicht zu einer Schäuble? solchen Behauptung versteigen —, daß Sie auf irgend- (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Irgend einer payroll irgendeines Unternehmens ständen. wie müssen die aber toll getroffen sein!)

Dr. Theodor Waigel (CDU/CSU): Sie sind also bereit, Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Frau Präsiden- den Eindruck, den Sie vorher erweckt haben, zurück- tin, ich glaube, ich habe deutlich gemacht, daß ich zunehmen, daß ich der Rüstungslobby zugehörig mich mit den Fragen sehr gern auseinandersetzen sei? will, aber ich will meine Rede auch gern im Zusam- - menhang beenden. Ich bitte um Verständnis, Herr (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Man Kollege. kann auch Lobbyist sein, ohne Geld zu krie gen! — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ich möchte jetzt gern danach fragen, wo denn Jetzt entschuldigen Sie sich einmal!) eigentlich eine klärende Entscheidung aus dem Mund des Bundeskanzlers kommt, denn wir sind doch auf die Autorität des Bundeskanzlers angewiesen. Die Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Ich nehme das Menschen erwarten doch einfach, daß sich die Ver- zur Kenntnis. Aber Sie wären wahrscheinlich zu Ihrer nunft in diesem Lande endgültig durchsetzt. Zwischenfrage nicht gekommen, Herr Minister, Herr Meine Damen und Herren, ein erster Prüfstein für Abgeordneter, Herr Kollege, wenn Sie meinen näch- die angekündigte Begrenzung der Bundesausgaben sten Satz noch gehört hätten. Dann wäre das nämlich auf eine durchschnittliche Steigerungsrate von 2,5 deutlich geworden. pro Jahr ist dieser vorgelegte Nachtragshaushalt (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Aber es hat 1992. Während der Bundesfinanzminister die Länder sich schon gelohnt, daß ich Sie gefragt und Gemeinden öffentlich wegen ihres Ausgabenge- habe!) barens im letzten Jahr kritisiert, setzt sich der Bund Wer so handelt — wollte ich gerade sagen — macht jetzt mit einer Ausgabensteigerung von 6 % für 1992 sich mitschuldig am sozialen und politischen Abstieg sogar an die Spitze. Alle Sparpläne, Herr Bundesfi- dieses Landes. Im Widerstreit der Ziele, Herr Abge- nanzminister, werden zu Luftbuchungen, wenn sich ordneter Dr. Waigel, zwischen der Konsolidierung der bereits hier erweisen sollte, daß Sie nicht in der Lage Staatsfinanzen einerseits und landespolitischen Inter- sind, Mehrausgaben von rund 4 Milliarden DM — das essen der CSU andererseits entscheiden Sie sich für sind 1 % der gesamten Bundesausgaben — durch Ihre Rolle als CSU-Parteivorsitzender und damit Sparen, Streichen oder Strecken auszugleichen. Die- gegen Ihre verfassungsmäßigen Pflichten als Bundes- ser Bundesregierung ist die politische Sensibilität finanzminister. dafür verlorengegangen, daß die Menschen nicht auf Versprechungen für die Zukunft warten, sondern (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ heute Zeichen des politischen Willens sehen wollen. CSU: Unglaublich!) Sie wollen einfach ein Zeichen haben, daß Sie bereit und in der Lage sind, auch an den Stellen zu sparen, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Wieczorek, wo es weh tut. gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abge- Die SPD-Fraktion verlangt, daß in den anstehenden ordneten Dr. Waigel? Haushaltsberatungen die geplanten Mehrausgaben Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7799

Helmut Wieczorek (Duisburg) durch Kürzungen an anderer Stelle ausgeglichen Herr Bötsch, ich weiß nicht, ob Sie mit der Materie so werden, damit die erwarteten Steuermehreinnahmen verhaftet sind. Ich weiß auch nicht, ob Sie sich zur Senkung der Nettokreditaufnahme deutlich unter vorstellen können, was eine Milliarde ist; ich traue 40 Milliarden DM eingesetzt werden können. Ihnen das einfach nicht zu. Darum sage ich es Ihnen noch einmal: Es fallen dann 18,5 Milliarden DM weg, (Beifall bei der SPD) das sind 18 500 Millionen DM. Aber auch das ist, Herr Dr. Waigel, der von Ihnen gestern im Finanz- glaube ich, für Sie zu hoch. planungsrat vorgelegte mittelfristige Finanzrahmen Es sind in Wirklichkeit mehr als 2,5 % Ausgaben- des Bundes ist für mich kein strategisches Konsolidie- steigerung im Durchschnitt der Jahre. rungskonzept, Eine derartige Planung, meine Damen und Herren, (Zuruf von der SPD: Für uns auch nicht!) ausgerechnet für das Jahr 1995 vorzulegen, in dem die sondern er ist nichts anderes als eine modelltheoreti- Neuordnung der föderativen Finanzbeziehungen sche Binsenwahrheit, die da lautet: Wenn die Staats- ansteht, die den neuen Ländern zu einer tragfähigen ausgaben geringer wachsen als das Bruttosozialpro- Finanzausstattung verhelfen soll, in dem auch noch dukt, so geht die für die Finanzierung der Staatsauf- das von der Bundesregierung bis 1994 befristete gaben benötigte Neuverschuldung zurück. Moratorium für Leistungsgesetze ausläuft, bedeutet die Preisgabe jeder gesamtstaatlichen Führungsver- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber rich antwortung. tig ist das!) Sollten die Bundesausgaben 1995 aber nur um 2 Sie unterstellen modellmäßig ein Wirtschaftswachs- ansteigen, so ist die „knallharte" Finanzpolitik sogar tum von durchschnittlich 6 % und eine durchschnittli- auf dem Papier gescheitert. Die Neuverschuldung che Ausgabensteigerung von 2,5 %. Aber zu mehr würde knickartig wieder ansteigen, die Signale an die reicht es nicht. Der Bundesregierung fehlt einfach die Kapitalmärkte wären verheerend. Kraft, Gestaltungswillen durch konkrete Sparvor- Zu Recht vermissen die von Ihnen gelobten Mini- schläge zu demonstrieren und damit die Frage zu sterpräsidenten der neuen Bundesländer deshalb die beantworten, wie die Struktur eines Haushalts Ausarbeitung eines langfristigen Gesamtkonzepts für beschaffen sein muß, damit die gewaltigen Transfer- den Aufbau Ostdeutschlands. Auf ihre Kosten soll statt ohne eine Gefähr- leistungen für die deutsche Einheit dessen gespart werden. dung des sozialen Friedens in Deutschland bewältigt werden können. Grundlage für die Finanzplanung, Herr Finanzmini- ster, hätte ein Kassensturz sein müssen und die (Beifall bei der SPD) ungeschminkte Antwort auf die Fragen: Wo stehen Was sich auf den ersten Blick als eisernes Sparen wir heute finanziell? Was kommt in den nächsten anhört, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Jahren unabweisbar auf uns zu? Wie hoch ist der - Mogelpackung. Die Finanzminister der Länder haben Finanzbedarf für die neuen Länder und Gemeinden in dem Bundesfinanzminister bereits vorgerechnet, daß den kommenden Jahren? Mit welchem Konzept sollen bei einer strukturellen Bereinigung des Haushalts diese Leistungen finanziert werden? 1992 um wegfallende Ausgaben, wie beispielsweise In all diesen Fragen bleibt die Bundesregierung das auslaufende Aufbauwerk Ost im Volumen von konkrete Anworten schuldig. Ihre Kraft reicht besten- 12 Milliarden DM, der zusätzliche Ausgabenspiel- falls noch zur Beschreibung des Problems. Die Men- raum für die Aufgaben des Bundes im Jahre 1993 schen aber erwarten und erhoffen Lösungen. Sie tatsächlich 8 % beträgt. Für 1994 billigen Sie sich dann werden erneut enttäuscht. selbst wieder 4 % Ausgabenwachstum zu. Der Bundesfinanzminister schätzt für die ostdeut- Insgesamt, meine Damen und Herren, erhöhen sich schen Länder und Gemeinden ein Gesamtdefizit von die Ausgaben des Bundes nach dem Willen des 83 Milliarden DM in 1995 und von 86 Milliarden DM Bundesfinanzministers in den Jahren 1992, 1993 und in 1996. Das bedeutet Kreditfinanzierungsquoten für 1994 um rund 50 Milliarden DM. Sie können das in der die neuen Länder und Gemeinden in Höhe von fast mittelfristigen Finanzplanung nachlesen. Wenn das 50 %, wenn nichts geschieht. Da nützt es auch nichts, nicht, auf unseren heutigen Stand bezogen, eine wenn Sie 10 Milliarden DM zur Neuregelung des Steigerung von 4 % ist, Herr Minister, dann hat Adam Finanzausgleichs in Ihre Haushaltsplanung für 1995 Riese ein falsches Rechenbuch geschrieben. einstellen. 10 Milliarden DM sind angesichts dieser Man fragt sich wirklich: Wo liegt denn eigentlich Ihr Größenordnungen nur mehr ein Tropfen auf den Rechentrick dabei? Denn trickreich sind Sie ja bei der heißen Stein. Aufstellung des Bundeshaushalts. Er liegt in den (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) Plandaten für 1995. 1994 haben wir Bundestagswahl; Verursacht werden diese enormen Finanzierungs- da werden wir wieder einmal Geschenke an die defizite aber nicht etwa durch einen Investitions Menschen verteilen. 1995 sollen die Bundesausgaben pusch, sondern durch strukturelle Einnahmeschwä- dann ausnahmsweise einmal stagnieren. che und exorbitante Zinslasten. (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Der lebt Der Anteil der Investitionen an den Gesamtausga- wirklich in der Vergangenheit!) ben in den neuen Ländern und Gemeinden erhöht Dieses Nullwachstum erfolgt, weil das Auslaufen des sich nach der Bundesschätzung von 1991 bis 1996 um Fonds Deutsche Einheit den Bund im Volumen von magere 2 % auf rund 13,5 %. Das ist die Hälfte von 18,5 Milliarden DM entlastet. dem, was der Sachverständigenrat in seinem letzten 7800 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Helmut Wieczorek (Duisburg) Jahresgutachten als jährlichen Infrastrukturnachhol- des Verkehrsministers, Ihres Kollegen im Kabinett, bedarf der östlichen Bundesländer benannte. besteht ein Investitionsbedarf von rund 300 Milliar- Herr Waigel, was haben Sie sich eigentlich dabei den DM bis zum Jahre 2000. gedacht, Die sich abzeichnenden strukturellen Defizite der (Zuruf von der SPD: Nichts!) Sozialversicherungen machen entweder höhere Bun- deszuschüsse oder Beitragserhöhungen erforderlich. als Sie die Verschuldung des Kreditabwicklungsfonds Der Kurs der Bundesregierung ist Sozialabbau. Aber und der Treuhandanstalt ab 1994 bzw. 1995 zur Hälfte das, meine Damen und Herren, ist kein Weg. den neuen Ländern zugewiesen haben? Sie wissen doch, daß die neuen Länder von diesem Schulden (Beifall bei der SPD) block erdrückt werden. Beides belastet die neuen Länder allein mit 15 Milliarden DM an Zinszahlun- Für die steuerliche Verbesserung des Grundfrei- gen, die dann noch kreditär finanziert werden müs- betrages, den wir mit rund 20 Milliarden DM anneh- sen. men, fehlt jede finanzielle Deckung. Für die gewollten Nach den neuen Kriterien des Bundesverfassungs- sozialpolitischen Maßnahmen, Herr Bötsch, im Zu- sammenhang mit § gerichts zum Länderfinanzausgleich, die uns gerade 218, die auch von Ihnen unbestrit- vorliegen, befänden sich die jungen Länder damit ten sind — über die Höhe unterhalten wir uns noch —, sofort in akuter Haushaltsnotlage. Sie müßten als gibt es keinerlei finanzpolitische Vorsorge. Wenn ich Bundesfinanzminister eintreten, um die Lasten zu die Zahlen Ihrer Ministerin sehe, die sie veröffentlicht übernehmen. Haben Sie das wirklich bis zum Ende hat, in der Größenordnung von 42 Milliarden DM durchdacht? — 42 000 Millionen DM — für Investitionen und 11 Milliarden DM für jährliche Betriebskosten, dann (Zurufe von der SPD: Nein! — Dr. Peter muß ich nicht nur sagen, daß ich diese Dinge haben Struck [SPD]: Das hat er noch nie will, sondern dann muß ich sie auch vorsorglich in gemacht!) meinen Bundeshaushalt aufnehmen. Ich muß meine Oder sollte das nur ein Luftballon sein, um zu über- Finanzplanung auf diese Risiken einstellen. Alles das tünchen, daß Sie sich bei den Annahmen für die ist nicht erfolgt. Ich habe mir die Gelegenheit genom- Entwicklung der deutschen Einheit restlos verschätzt men, Ihnen das alles noch einmal zu sagen. haben? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, es gibt in der Entwick- Im Vergleich zu dem finanzpolitischen Sprengsatz, lung der öffentlichen Haushalte natürlich noch ein der in der Finanzierung der deutschen Einheit liegt, Problem: die Entwicklung der Personalkosten. Ich relativieren sich fast die absehbaren Mehrbelastun- gehe daran überhaupt nicht vorbei. Die Härte der gen, die in Ihrem Finanzrahmen ebenfalls- nicht ent- Tarifrunde zeigt, daß das soziale Klima in unserem halten sind, Herr Waigel. Hier liegt meiner Ansicht Land einen Tiefstand erreicht hat. Wenn die Bundes- nach auch der Kern für Ihre interne Auseinanderset- regierung weiterhin das Gebot sozialer Gerechtigkeit zung mit dem Bundeswirtschaftsminister über Ihre verletzt, kann sie nicht erwarten, daß sich die Bürger unrealistische Finanzplanung. Wenn sich dabei der bei Preissteigerungen bis zu 4 % mit linearen Tarifer- Wirtschaftsminister mit Zusatzforderungen in Höhe höhungen um 3 % zufrieden geben. Vorsorge treffen, von 18 Milliarden DM selbst zu einem finanzpoliti- Herr Minister, ist Ihre Aufgabe an dieser Stelle, der Sie schen Haushaltsrisiko entwickelt, hat das seine nicht nachkommen. eigene Pikanterie. Ich will gerne die Gelegenheit nehmen, Sie, der ja (Beifall bei der SPD) hier den Eindruck erweckt, als ob das, was er erken- Meine Damen und Herren, nur in einem Punkt nen kann, schon in seine Planungen eingestellt ist, konnte der Finanzminister nicht länger ausweichen. noch einmal aufzufordern, die Dinge, die wir noch auf Unvermeidlich war für ihn das Eingeständnis, mit dem uns zukommen sehen, mit zu überdenken. er die von der SPD seit langem genannte Entwicklung Da komme ich sofort auf den ersten Punkt, und zwar der Staatsverschuldung, einschließlich der Sonder- auf die nicht berücksichtigten Transferrubel-Forde- töpfe, bestätigen mußte. Ich darf hier noch einmal an rungen. Nur unverbesserliche Optimisten, Herr Bun- unsere sehr erregten Debatten erinnern, als ich Ihnen desfinanzminister, können doch noch davon ausge- gesagt habe: Ihre Schattenhaushalte stellen Ihre hen, daß diese 23 Milliarden DM nicht zu finanziellen Schulden dar; Sie haben sie nur versteckt. Ausfällen im Bundeshaushalt führen würden. Die Ausfallbürgschaften des Bundes, die internationalen (Beifall bei der SPD) Hilfsprogramme für Mittel- und Osteuropa entwik- Sie haben sie versteckt und damit die Glaubwürdig- keln sich zu bis jetzt unübersehbaren, nicht eingrenz- keit Ihrer eigenen Aussage in Zweifel gestellt. baren Belastungen. Ich fahre fort. Für die Altschulden der DDR- Der Schuldenstand des öffentlichen Gesamthaus- Wohnungswirtschaft von über 50 Milliarden DM gibt halts, meine Damen und Herren, steigt bis 1995 um es nur ein Stillhalteabkommen, aber keine Lösung. 700 Milliarden DM — man muß sich das einmal vor- stellen — auf 1 900 Milliarden DM. Der erkennbare Modernisierungsbedarf für die Verkehrssysteme wird von der Finanzplanung nur (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Da sind völlig unzureichend berücksichtigt. Nach Auffassung auch die Länder dabei!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7801

Helmut Wieczorek (Duisburg) Wir haben 1982, als Sie die Regierung übernommen Denn hinter der Entwicklung der Steuereinnah- haben — — men, Herr Bundesfinanzminister, verbirgt sich eine höchst unsoziale Umverteilung der Steuerlast. Der (Zuruf von der CDU/CSU) Anteil der Lohnsteuer am gesamten Steueraufkom- — Sie kennen die Zahl doch noch gar nicht, Herr men erhöht sich um 6 % auf dann knapp 39 %. Die Kollege. Reden Sie nicht so laut. — 1 900 Milliarden Arbeitnehmer werden zum Hauptfinanzier des Staa- haben Sie jetzt. 600 Milliarden haben wir Ihnen über- tes. lassen. Die Differenz sind Ihre Schulden. Gleichzeitig verfolgt die Regierung unter dem (Beifall bei der SPD) Deckmantel einer Unternehmenssteuerreform weiter- hin die Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der Diese Schulden hinterlassen Sie Ihren Kindern und Einkommensteuer von 53 auf 46 % . Selbst die „Wirt- Ihren Kindeskindern, und wir werden gemeinsam mit schaftswoche" entlarvt diese Umverteilungslist als ihnen daran zu tragen haben. eine „Kriegslist, um unter falscher Flagge die Hoch- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Vom Ab verdienenden von Opfern freizustellen". bau der Lasten des Sozialismus haben Sie Mit dieser Politik betreiben Sie die soziale Spaltung wohl noch nichts gehört!?) der Gesellschaft. Der Bundespräsident hat mit seiner Ich will Ihnen die Blamage ersparen, auszurechnen, Forderung nach einem neuen Lastenausgleich diese was das pro Kopf ausmacht; denn meine Enkelkinder Gefahr erkannt. Seine Kritik läßt nur einen Schluß zu: — ich habe deren zehn — sind nicht dafür verantwort- Der Bundespräsident hält den Kurs der Regierung lich, was Sie hier an Schulden gemacht haben; ich will Kohl für verfehlt. Ihnen diese Zahlen ersparen. Ich halte die Reaktionen der Bundesregierung auf (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Für nichts diesen Vorstoß für erbärmlich. Da kanzelt der Bundes- haben Sie die Schulden gemacht!) kanzler die Idee des Lastenausgleichs damit ab, die 28 000 DM pro Einwohner, egal, ob Kind oder Greis! zusätzlichen Belastungen der Leistungsträger würden Sie müssen sich doch einmal überlegen, ob man eine zur Kapitalflucht anregen. solch große Aufgabe, wie wir sie gemeinsam vor uns (Zuruf von der SPD: Unglaublich!) haben, auf Pump finanzieren kann oder ob man da nicht gemeinsam andere Wege hätte beschreiten Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen können. Das war alles vorherzusehen. Industrie, Herr Weiß, stößt in das gleiche Horn und befürchtet die Abwanderung von Leistungsträgern ins (Beifall bei der SPD) Ausland. Ich habe bisher nur die Ausgabenseite beleuchtet (Zuruf von der SPD: Lächerlich!) und kann nur das Fazit ziehen: Ihre Finanzplanung steht nicht auf festem Fundament, sondern auf- Treib- In welchem Land leben wir eigentlich, im endlich sand. Sie werden Ihre Last damit bekommen. vereinigten Deutschland oder in einer Bananenrepu- blik? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich nun zur Einnahmeseite kommen; denn auf der Einnahmeseite gleicht diese Finanzpla- Offensichtlich halten Bundeskanzler und BDI die nung einem Kartenhaus, das bei leisestem konjunk- Entsolidarisierung in dieser Gesellschaft für bereits so turellem Luftzug zum Einsturz gebracht wird. Sie weit fortgeschritten, daß sich die Leistungsfähigen erwarten einen ungebrochenen konjunkturellen Auf- — nicht die Leistungsträger; das sind heute andere — schwung mit jährlich 6%igem Zuwachs des Bruttoso- nicht mehr der Aufgabe verpflichtet fühlen, durch ihr zialprodukts. Das ist leichtsinniger Opportunismus persönliches Zutun die Einheit Deutschlands mitzu- oder das Einkalkulieren von erheblichen Preissteige- schaffen. Meine Damen und Herren, das ist ein rungen, die man in unserem Land Inflation nennt. ungeheuerlicher Vorwurf an die Menschen, die an Weil Sie deshalb die Steuerschätzungen für die führender Stelle diesen Staat aufgebaut haben. Jahre bis 1995 um 53 Milliarden DM anheben können, Nun zu dem Begriff der Leistungsträger. Die wah- würde es in den Kassen des Bundes in dieser Zeit in ren Leistungsträger im Rahmen der deutschen Einheit der Tat deutlich klingeln. Die Nettokreditaufnahme sind bisher nicht die Hochverdienenden gewesen, verringert sich auf dem Papier sogar auf 25 Milliarden sondern die Durchschnittsverdiener, die kleinen DM. Vorsorge für ein zwischenzeitliches Abflachen Leute. Sie bringen nämlich mit ihren Steuer- und der Konjunktur ist aber an keiner Stelle getroffen. Beitragszahlungen die dreistelligen Milliardenbe- Herr Bundesfinanzminister, was Sie auch nicht träge auf, die jährlich für die Transferleistungen in die sagen: Nachdem die breite Masse der Bürger durch neuen Länder benötigt werden. das unsoziale Steuer- und Abgabenpaket bereits mit (Beifall bei der SPD) 50 Milliarden DM belastet wurde, sollen die Arbeit- nehmer nach dem Willen der Bundesregierung durch Meine Damen und Herren, die Geisteshaltung des die inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhun- Bundeskanzlers ist eine schlimme Verunglimpfung gen bis 1996 nun einen weiteren Finanzierungsanteil aller jener Millionen von Bürgern, die tagtäglich ihr von fast 60 Milliarden DM übernehmen. Bestes geben und erst dadurch ein Bruttosozialpro- dukt von über 3 000 Milliarden DM ermöglichen. (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Hört! Hört!) (Beifall bei der SPD) 7802 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Helmut Wieczorek (Duisburg) Den Gipfel erreichen Sie, wenn Sie das tarifpoliti- Deshalb fordern wir Sozialdemokraten ein wirklich sche Aufbegehren gegen Ihre Politik nicht mit einer neues soziales Bündnis für unser Land. Wir brauchen verteilungspolitischen Kurskorrektur beantworten, einen Ausgleich der Interessen. sondern mit Lohnschelte an Tarifabschlüssen. (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ehrenvor (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Jetzt sitzender Lafontaine!) meint er Frau Simonis!) Nur dann besteht die Chance, daß die Belastungen Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten des deutschen Einigungsprozesses bei Wahrung des versuchen in aller Eile, sich noch schnell das Mäntel- sozialen Friedens, Herr Bötsch — das schreibe ich chen der sozialen Symmetrie umzuhängen, indem sie Ihnen wirklich noch einmal hinter die Ohren —, sich jetzt von „Gewinnern der Einheit" sprechen und von bewältigen lassen. ihnen einen Beitrag zur Finanzierung einfordern wol- (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Bötsch len. Wenigstens ein Eingeständnis eigener Fehler, [CDU/CSU]: Ehrenvorsitzender Lafon könnte man sagen, aber ansonsten wirklich nur weiße taine!) Salbe. Zweistellige Milliardenbeträge, wie sie dem Gedanken des Lastenausgleichs zugrunde liegen und — Was haben Sie gerade gesagt? die einem Ausgleich zwischen oben und unten ent- (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ehrenvor sprechen würden, sollen damit nicht bewegt werden. sitzender Lafontaine! — Zuruf von der SPD: Die F.D.P. ist nur taktisch etwas schlauer als ihr Herr Bötsch, Sie Grunzer! Heiterkeit) Koalitionspartner. — Herr Bötsch, das, was sich um meinen Parteifreund Meine Damen und Herren, wir brauchen in tut, tut mir nicht gut, tut Ihnen nicht Deutschland eine neue Politik. gut und tut uns allen nicht gut. (Beifall bei der SPD) (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: So ist es! Da haben Sie recht!) Wir Sozialdemokraten sind es gewesen, die mit unse- rem Aufbauplan für die neuen Bundesländer schon Hüten Sie sich davor, wieder in Ihrer Selbstgerechtig- vor langer Zeit die Defizite in der Politik dieser keit mit dem Finger auf andere Leute zu zeigen; es Regierung benannten, analysierten und einen Weg könnten drei Finger auf Sie selbst weisen. aus der Krise aufzeigten. (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Bötsch (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Haben [CDU/CSU]: Ich habe keine Pension, damit Sie das wirklich aufgeschrieben?) das klar ist! Das unterscheidet mich von Ihnen! — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] Auch heute, zweieinhalb Jahre nach dem Fall der [F.D.P.]: Dann müßte er 300 000 DM bekom Mauer, scheut sich die Bundesregierung, für Wahrheit men!) und Klarheit zu sorgen, um die Konsequenzen des Herr Bötsch, die Kampagne ist ja noch nicht zu Ende. deutschen Einigungsprozesses offen zu -schildern. Wer die Solidarität des Teilens fordert, muß die Die Kampagne hat nicht einzelne Leute zum Ziel, Menschen in Ost und West als mündige Bürger achten sondern sie hat das Ziel, unsere demokratischen und darf sie nicht länger hinters Licht führen. Parteien insgesamt zu treffen. Ich sage das hier ganz offen. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU) Die Bürger sind zu materiellen Opfern bereit, wenn sie — Herr Kollege, Ihr Problem ist, daß Sie auf einem merken, daß es dabei gerecht zugeht. Auge nicht sehen können, wobei ich nicht gesagt (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) habe, daß Sie blind sind. Aber die Menschen verlangen nach Signalen, daß sich Ich darf unsere Forderungen zusammenfassen; etwas bewegt, daß es vorangeht, daß gehandelt wird, dann bin ich sofort fertig, Frau Präsidentin. daß das Geld nicht weiter irgendwo versickert. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ja, bei das beste!) den Pensionen von Lafontaine!) Unsere Aufgabe Nr. 1 sehen wir darin, den Men- Den Stillstand der Politik halten wir angesichts der schen in Ostdeutschland eine echte Zukunftschance Aufbaukrise im Osten und der sozialen Krise im zu geben. Die ungeklärte Eigentumsfrage legt sich Westen für unerträglich. Deshalb hat die SPD ihr wie Mehltau über das Land, unter dem Initiative Konzept im Vorfeld des Gesprächs mit der Bundesre- erlahmt und Gerechtigkeit erstickt wird. Die Treu- gierung konkretisiert. Nicht um die Aufgabenvertei- hand braucht eine klare industriepolitische Ausrich- lung zwischen Regierung und Opposition zu verwi- tung zur Sanierung und Privatisierung mittelfristig schen, sondern um den Bürgern endlich die fehlende wettbewerbsfähiger Unternehmen. Das arbeitsmarkt- Orientierung zu geben. Wir haben uns deshalb nicht politische Instrumentarium muß weiterentwickelt gescheut, an Ihrer Stelle den Bürgern zu sagen, was werden, damit endlich Arbeit statt Arbeitslosigkeit not tut; daß die Bewältigung der deutschen Einheit finanziert wird. Unsere Vorschläge dazu decken sich ohne Beschädigung ihres sozialen Fundaments durch mit den Vorschlägen der Ministerpräsidenten. die Haushaltskonsolidierung allein nicht zu erreichen Aufgabe Nr. 2 heißt: Mehr Wohnungen bauen und ist. Dadurch allein können die notwendigen Summen Mietsteigerungen begrenzen, um den sozialen Frie- nicht aufgebracht werden. Das ist das, was wir vor den in Deutschland zu wahren. Eine falsche Woh- jeder Wahl gesagt haben, und wir bleiben auch nach nungspolitik hat in Deutschland zu einem Fehlbe- den Wahlen dabei. stand von 2,5 Millionen Wohnungen geführt. Der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7803

Helmut Wieczorek (Duisburg) gnadenlose Verdrängungswettbewerb auf dem Woh- den. Die finanzpolitische Konzeption für die kommen- nungsmarkt muß beendet werden. den Jahre ist dabei an folgende Bedingungen Aufgabe Nr. 3: Durch den Umbau des Gesundheits- geknüpft: wesens muß unser soziales Sicherungssystem bewahrt Erstens. Die Konsolidierung der öffentlichen Haus- werden. Die Kostenexplosion bei den Krankenkassen halte muß aus gesamtwirtschaftlichen Gründen über bedroht unser Sozialstaats- und Solidaritätsprinzip. eine Begrenzung der Ausgaben und nicht über neue Deshalb brauchen wir eine Reform, und zwar nicht auf Steuererhöhungen erfolgen. dem Rücken der Beitragszahler, sondern zu Lasten der Zweitens. Die Konsolidierungsaufgabe betrifft alle wahren Kostentreiber. öffentlichen Haushalte, sowohl den Bund als auch die Aufgabe Nr. 4 ist die überfällige Einführung der Länder und ihre Gemeinden. gesetzlichen Pflegeversicherung. 2 Millionen Betrof- fene können nicht warten, bis eine dahinsiechende Drittens. Die Finanzplanung muß weiterhin alle Koalition zu Lösungen kommt. quantifizierbaren Zukunftsanforderungen einbezie- hen und gleichzeitig Vorsorge für noch nicht quanti- (Beifall bei der SPD) fizierbare Risiken treffen. Aufgabe Nr. 5 sind sichere Finanzen auf sozial Viertens. Die finanzpolitischen Kennziffern für den gerechter Grundlage. Die Bezieher hoher und höch- Bund und den öffentlichen Gesamthaushalt müssen ster Einkommen müssen über viele Jahre hinweg die sich so entwickeln, daß die für die europäische Wirt- Finanzierung öffentlicher Aufgaben mittragen. Erst schafts- und Währungsunion festgelegten Konver- danach können die Bürger mit kleinem und mittlerem genzkriterien erreicht werden. Einkommen zu einem Solidarbeitrag aufgerufen wer- den. Hierzu haben wir ein Finanzierungskonzept mit Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am 5. Mai Vorschlägen zu Einsparungen und für eine sozial 1992 ohne Gegenstimmen die von der Politik festzu- gerechte Besteuerung vorgelegt, so daß der Staat über legenden Eckwerte für den Haushalt und den Finanz- einen zusätzlichen Finanzierungsspielraum von 40 bis plan bestimmt. Die wichtigsten Entscheidungen 50 Milliarden DM verfügen kann. waren die Festlegung der Ausgabenzuwächse des Bundeshaushalts im mittelfristigen Zeitraum auf Meine Damen und Herren, die Strukturen des durchschnittlich 2,5 % und die Verlängerung des sozialdemokratischen Konzepts stehen. Man kann bis zum Ende der Legislatur- darüber kontrovers diskutieren; vom Tisch wischen Ausgabenmoratoriums periode. Das bedeutet, daß der Ausgabenanstieg des kann man es aber nicht. Die Menschen in unserem 1 Land erwarten klare Führung und Mut, auch unpopu- Bundes deutlich unter der Zunahme des mit 6 /2 % mittelfristig prognostizierten Wachstums des Brutto- läre Dinge, die der Wahrheit entsprechen und sich sozialprodukts bleiben wird. Vorsorge für das Wachs- nicht verändern, offen auszusprechen. Wir müssen im tum des Bruttosozialprodukts leisten wir mit einer gemeinsamen Ringen das Vertrauen der Menschen wachstumsorientierten Finanz- und Wirtschaftspoli- wiederherstellen. Dazu bieten wir Ihnen unsere- kriti- tik. sche Hilfe an. Herzlichen Dank. Der Beschluß bedeutet, daß die Politik ihre Prioritä- ten so festlegen muß, daß sie innerhalb dieses Rah- (Beifall bei der SPD) mens finanziert werden können. Das heißt, daß neue ausgabenwirksame Leistungen bzw. die Verbesse- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat der rung bestehender Leistungen nur dann beschlossen Abgeordnete Jochen Borchert das Wort. werden können, wenn an anderer Stelle gleichge- wichtig und dauerhaft eingespart wird. Das bedeutet eine Halbierung des Defizits beim Bund im mittelfri- Jochen Borchert (CDU/CSU): Frau Präsidentin! stigen Zeitraum und eine Absenkung des Staatsan- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Haushalts- und teils von heute 50 % auf Werte, die wir vor der Finanzpolitik hat der Kollege Wieczorek wenig Erhel- Wiedervereinigung erreicht hatten. lendes beigetragen. Wenn die SPD heute fordert, daß wir stärker sparen (Michaela Geiger [CDU/CSU]: Das ist rich sollten, dann versucht sie offensichtlich nach ihrem tig!) Scheitern in den 70er Jahren jetzt das genaue Gegen- Mir ist dabei eigentlich nur eingefallen, daß den fünf teil. Damals haben wir die Ausgabenzuwächse eben- „U" von Franz Josef Strauß jetzt noch als sechstes falls auf 2 1/2 % beschränkt. Damals hat die SPD diesen Unkenntnis und als siebentes Unfähigkeit der Oppo- Prozeß als „Totsparen" bezeichnet und hat uns vorge- sition hinzuzufügen wären. worfen, wir würden damit die Wirtschaft erdrosseln. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) Richtig!) Meine Damen und Herren, unser gemeinsames Ziel Ich zitiere den Kollegen Wieczorek aus dem Bundes- ist und bleibt es, den Aufbau der neuen Bundesländer tag von 1983 ausreichend zu finanzieren und in Deutschland annä- hernd gleiche Lebensbedingungen zu schaffen. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Lohnt sich das?) (V o r s i t z : Vizepräsident Hans Klein) — nein, es lohnt sich eigentlich nicht —: Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir unsere finanziellen Mittel konzentrieren, ohne die solide Eine Ursache für den unzureichenden Auf- Finanzierung der öffentlichen Haushalte zu gefähr schwung ist Ihre eigene Haushaltspolitik... . 7804 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Jochen Borchert Wir Sozialdemokraten befürchten, daß Sie in Bisher hat die SPD den Jäger 90 mehr als ein dutzend- Ihrem Konsolidierungseifer eine Strategie verfol- mal verplant. Vorhin, Herr Kollege Wieczorek, bei gen, bei der die Konsolidierung zum Selbstzweck Ihrem Vorwurf, der Finanzminister würde die wird und absolut keine Rücksicht auf gesamtwirt- Rüstungslobby vertreten, wäre es nach seiner Zwi- schaftliche Zusammenhänge genommen wird. schenfrage richtig gewesen, Sie hätten sich bei ihm (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf entschuldigt. von der SPD: Richtig! — Helmut Wieczorek (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der [Duisburg] [SPD]: Hervorragend! Das gilt CDU/CSU: Das ist wohl wahr!) auch heute noch!) Die heutige Argumentation der SPD erinnert sehr Sie alle kennen das Ergebnis unserer Konsolidie- stark an die Kampagne kurz nach der Übernahme der rungsstrategie aus den 80er Jahren. Regierungsverantwortung durch Bundeskanzler Hel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mut Kohl im Herbst 1982, als uns die SPD landauf, landab vorwarf, wir würden den Staat kaputtsparen. Nachdem Sie mit Ihrem Konzept von damals geschei- Die SPD wollte damals den Menschen in Deutschland tert sind, versuchen Sie nun offensichtlich das genaue einreden, Geld ausgeben sei das Gebot der Stunde. Gegenteil. Ich muß aber feststellen: Zugelernt haben Sie hat uns auch damals vorgeworfen, wir betrieben Sie bis jetzt nichts. eine Politik der sozialen Unausgewogenheit, und wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und betrieben eine Umverteilung von unten nach oben. der F.D.P.) (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Meine Damen und Herren, der Aufbauprozeß in Stimmt j a auch!) den neuen Bundesländern stellt eine finanzpolitische Trotz dieser Vorwürfe blieb die Union hart. Im Jahre Herausforderung dar, die in der Geschichte einmalig 1983 wuchsen die Bundesausgaben nur um 0,9 %. ist. Heute kann man fragen: Was ist aus den Horrorsze- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat die narien der SPD geworden? Der längste Wirtschafts- SPD noch gar nicht registriert!) aufschwung in der Nachkriegsgeschichte! Das Brutto- Wir haben uns die Umstellung leichter vorgestellt. sozialprodukt wuchs von 1982 bis 1990 real um fast 25 %. Auf dem Arbeitsmarkt wurden für über 2,5 Mil- (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Aus lionen Menschen zusätzliche Arbeitsplätze geschaf- der Portokasse wolltet ihr das machen!) fen, und dies alles bei Preisstabilität. Dank unserer Heute wissen wir, obwohl die Deutschen im Beitritts- soliden Finanzpolitik wurde die Nettokreditaufnahme gebiet mindestens ebenso fleißig waren und in der von 37 Milliarden DM auf 14 Milliarden DM redu- Regel länger arbeiteten als die Deutschen im Westen, ziert. daß die volkswirtschaftliche Substanz zum- Zeitpunkt Wie in den 80er Jahren, so fallen der SPD auch heute des Zusammenbruchs mehr als aufgezehrt war. wieder die Instrumente ein, mit denen sie schon in den Das von der SPD groß angekündigte und heute 70er Jahren gescheitert ist: Mehrausgaben, Steuerer- wieder vorgetragene Einsparungs- und Finanzie- höhungen, zusätzliche Schulden, staatliche Industrie- rungspaket beinhaltet alte sozialistische Rezepte aus politik, staatlich finanzierte Arbeitsplätze. Das heißt, den 70er Jahren: dies ist der nahtlose Übergang von einer kommunisti- schen Zwangswirtschaft zur sozialistischen Wirt- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) schafts- und Finanzpolitik à la SPD. Sonderausgaben für bestimmte Personengruppen wie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — die Ergänzungsabgabe für Besserverdienende, die Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ganz genau! Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige, — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wer die Investitionshilfeabgabe für die Unternehmen, die schreibt Ihnen denn diesen Quatsch auf?) ihre Gewinne nicht investieren. Das alles wirkt lei- Die Ergebnisse dieser verhängnisvollen staatlichen stungshemmend, das alles ist investitions- und wachs- tumsfeindlich. Konjunktur- und Wachstumspolitik haben wir alle in den 70er Jahren hinreichend kennengelernt. Meine Die Vorschläge der SPD sind das beste Rezessions- Damen und Herren, dies sind keine Rezepte zur programm. Dieses Gerede trägt wesentlich zur Entso- Bewältigung der Probleme in unseren neuen Bundes- lidarisierung der Bevölkerung bei. Es weckt Neidge- ländern. fühle. Die Menschen im Westen glauben, sie würden Wir setzen in den alten und in den neuen Bundes- überfordert. Die Menschen im Osten glauben, es ländern auf die positiven Wirkungen, die von einer werde zu wenig getan. stetigen und dauerhaften Konsolidierung auf der Herr Kollege Wieczorek, wir werden über den Ausgabenseite ausgehen. Ich finde, es ist schon Jäger 90 sachlich entscheiden. Wir werden die Ent- beschämend, daß einer so großen Volkspartei wie der scheidung in einer Arbeitsgruppe sorgfältig vorberei- SPD zur Finanzierung der Aufbauleistungen in den ten. Wir werden uns weder durch Ihre heutige Rede neuen Bundesländern in erster Linie immer wieder noch durch Ihre Reden in der Vergangenheit zu einem Steuererhöhungen einfallen. Populismus verführen lassen, den Sie immer wieder praktizieren. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Skandalös ist das! — Helmut (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ihr Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schuldenma habt euch doch zum Jagen tragen lassen!) cher!) Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7805

Jochen Borchert Meine Damen und Herren, auch die CDU/CSU- die alten Bundesländer, vor allen Dingen die SPD Fraktion bemüht sich in ihrer Politik um eine soziale regierten Bundesländer, Ausgewogenheit. Sie trat — und dafür gibt es in der Vergangenheit viele Beispiele — immer wieder dafür (Zuruf von der SPD: Sonst gibt es ja kaum ein, daß die Starken mehr schultern können und mehr welche!) schultern müssen als die Schwachen. Aber es gibt bisher bei der Finanzierung der neuen Bundesländer auch für die CDU eine Grenze der Belastbarkeit. weitgehend verweigern. Sehen wir uns die jüngsten an: Steuerschätzungen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) In diesem Jahr erwarten wir 10 Milliarden DM, im nächsten Jahr 22 Milliarden DM mehr an Steuerein- Aber dies alles sind die berühmten Märchenerzäh- nahmen gegenüber den letzten Steuerschätzungen. lungen der SPD. Wir sollten uns, wenn wir so etwas Gegenüber dem Vorjahr kommen damit rund 10 % hören, an die alten Märchen aus den vergangenen mehr Steuern in die öffentlichen Kassen. Jahren erinnern. So erklärte z. B. der Kollege Wieczo- Wo liegen die Ursachen? Das liegt u. a. an den rek in der Haushaltsdebatte im Jahre 1985 zum Verbrauchsteuererhöhungen, die zur Deckung der Haushalt 1986: Es ist ein Minus-Haushalt. Die Ausga- Kosten der Einheit beschlossen wurden. Es liegt aber ben des Bundes steigen deutlich weniger als das reale auch an dem linear-progressiven Einkommensteuer- Sozialprodukt. Mit diesem Haushalt bringen Sie das tarif. Die Einkommen steigen, die Steuerprogression Wachstum insgesamt nach unten. greift. Dies ist gewollt. Es trifft die Bezieher höherer (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Einkommen, den Facharbeiter wie den Selbständi- Richtig!) gen. Die Steuerzahler leisten damit im Rahmen der höheren Besteuerung einen fühlbaren und nachhalti- — Herr Kollege, Sie sollten sich überlegen, was die gen Beitrag zur sozialen Symmetrie. Folgen dieses Haushaltes waren, nämlich ein zuneh- mendes wirtschaftliches Wachstum. Vielleicht wer- (Siefried Hornung [CDU/CSU]: Ganz im den Sie dann in Zukunft etwas vorsichtiger. Gegensatz zu dem, was die SPD sagt!) Meine Damen und Herren, die finanzwirtschaftli- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und 50 Mil chen Kennziffern sind heute trotz der hohen Belastun- liarden Steuererstattung!) gen durch die Wiedervereinigung besser als 1982. Das Ergebnis auch des Haushaltsabschlusses 1991 1982 lag die Kreditfinanzierungsquote für den Bund war, daß die Ist-Zahlen erheblich unter den Soll bei 15,2 %. 1992 — im Soll — liegt sie einschließlich Zahlen blieben und daß das Defizit am Ende nur des Nachtrages bei 10 %. Der Anteil des Bundesdefi- 52 Milliarden DM betrug, obwohl die Kollegin Mat- zits am Bruttosozialprodukt lag 1982 bei 2,4 % und thäus-Maier im Jahre 1990 erklärte, es gebe für 1991 liegt 1992 bei 1,4 %. eine Finanzierungslücke von über 200 Milliarden (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist die- DM. entscheidende Zahl!) (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, die hat Men Das zeigt: Die Bundesfinanzen laufen nicht aus dem genlehre gehabt!) Ruder. Die Union ist mit dem jetzt erzielten Ergebnis noch Wenn der Kollege Wieczorek immer wieder die nicht zufrieden. Wir werden den Sparkurs konsequent Schulden der öffentlichen Haushalte darstellt, fortsetzen. Ich sage aber: Wer an der Steuerschraube (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das tut dreht, der spielt mit dem Feuer ; wer die Ausgaben weh!) weiterhin unangemessen ausweitet, treibt die öffent- lichen Haushalte in den Bankrott; wer die rasche dann spricht er wohlweislich von den Schulden der Anpassung der Löhne Ost an das Niveau West ohne öffentlichen Haushalte insgesamt, um den Eindruck Rücksicht auf die Produktivität anstrebt, der verhin- zu erwecken, dies alles seien Schulden, für die wir dert Investitionen. Mit einem Satz: Wer dies tut, der verantwortlich seien. behindert wirtschaftliches Wachstum. (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ja, (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schul selbstverständlich!) denmacher!) Sie weisen nicht darauf hin, daß bei der Gesamtver- schuldung der Anteil des Bundes 50 % beträgt, der — Herr Kollege Wieczorek, nicht unsolider Haushalts- Anteil der Länder über 30 vollzug — — (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr wahr! (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schul Saarland! Nordrhein-Westfalen!) denmacher! Schuldenmacher!) und daß für die Schulden der Länder in erster Linie Sie — Ja, ich weiß, in den Bundesländern, verantwortlich sind. (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Hier (Beifall bei der CDU/CSU — Helmut Wieczo bei uns! 700 Milliarden zusätzlich!) rek [Duisburg] [SPD]: Und die restlichen 20 %?) vor allen Dingen Lafontaine und Nordrhein-Westfa- len; wir können sie uns alle der Reihe nach anse- Das Ziel Ihrer Argumentation, was den Beitrag der hen. alten Bundesländer zur Finanzierung der neuen Bun desländer anlangt, ist doch, zu kaschieren, daß sich (Zuruf von der CDU/CSU: Bremen!) 7806 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Jochen Borchert Nicht unsolider Haushaltsvollzug macht diesen 13. Mai im Bundeskabinett gefaßt. Zu diesem Zeit- Nachtrag notwendig. punkt war der Bundeshaushalt 1992 längst beschlos- sen und hat eine Zuwachsrate gegenüber dem Ist 1991 (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Selbst von 5 % und gegenüber dem Soll 1991 von 2,9 %. Hier gefällig und selbstgerecht sind Sie!) muß man schon Ist mit Ist oder Soll mit Soll verglei- Die Notwendigkeit für diesen Nachtrag ist in der chen, wenn man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen sturen Haltung der SPD bei der Abschaffung der will, wie dies der Kollege Wieczorek in seiner Rede Strukturhilfe begründet. Es ist schon ein Skandal, wie wieder mit den 6 % getan hat; aber ich sehe hier lange es brauchte, bis die westlichen Empfängerlän- durchaus zustimmendes Nicken auch bei der SPD. der der Strukturhilfe einsahen, daß die wirtschafts- Durch den Entwurf des Nachtragshaushalts 1992 schwachen Regionen in den neuen Bundesländern wird die Zuwachsrate um einen Prozentpunkt erhöht. liegen. Wie bereits angekündigt, ist es unser Ziel, während (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ der parlamentarischen Beratungen diese Zunahme CSU) um einen Prozentpunkt zumindest teilweise nach unten zu korrigieren. Diese Einsicht muß der Bund mit 1,5 Milliarden DM teuer bezahlen. Dieses Geld fehlt zur Finanzierung Die CDU/CSU-Fraktion bleibt mit diesem Haushalt des Aufbaus in den neuen Bundesländern. Dafür 1992 und dem Nachtrag im Rahmen ihrer Beschlüsse. sollten sich die neuen Bundesländer bei den Minister- Wer anderes behauptet, stellt die Tatsachen auf den präsidenten Engholm, Schröder, Lafontaine, Rau und Kopf. Scharping bedanken. So sieht die von der SPD immer (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) wieder eingeforderte soziale Gerechtigkeit in Wirk- Vielen Dank. lichkeit aus, wenn es darum geht, zugunsten der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) neuen Länder in den alten Ländern zu sparen!

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schul Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- denmacher!) ren, ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Wieczorek Im Bundestag fordern Sie mehr Leistungen für die zu einer Kurzintervention. Das können Sie auch vom neuen Bundesländer, aber in den Verhandlungen im Saalmikrofon aus machen, Herr Kollege. Ich füge Vermittlungsausschuß weigern Sie sich an jeder erläuternd hinzu, daß wir damit nicht neu einführen Stelle, daß die alten Bundesländer auch nur ein wollen, daß der erste Redner als dritter Redner auf den bißchen dazu beitragen. zweiten Redner antwortet. Kollege Wieczorek will sich zu einem bestimmten Punkt äußern, (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: So ist es!) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sich Hier, bei diesen Verhandlungen, hätte die SPD bewei- entschuldigen!) sen können, was sie unter sozialer Symmetrie ver- der an sich von § 30 abgedeckt wäre, aber dann steht. - müßten wir warten, bis die Aussprache beendet ist. Ich (Zuruf von der CDU/CSU: Bremer Landes glaube, es ist besser, wenn es so geht. bank! — Helmut Wieczorek [Duisburg] (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wenn [SPD]: Wieviel hat denn Bayern erbracht?) er sich entschuldigt!) Sie haben diese Chance kläglich vertan. Bitte, Herr Kollege. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Wenn wir Inzwischen sind weitere Risiken etatreif geworden. warten, bis die Aussprache beendet ist, wird sich Aus Gründen der Haushaltswahrheit und Haushalts- einiges durch die Diskussion hindurchziehen, was ich klarheit werden diese Posten nunmehr in den Haus- nicht gewollt habe. Es war nicht meine Absicht, den halt aufgenommen. Insgesamt betragen die Mehran- Bundesfinanzminister persönlich zu kränken oder zu forderungen rund 6,5 Milliarden DM. 2,5 Milliarden beleidigen. DM werden durch Kürzungen an anderer Stelle finan- ziert. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das haben Sie getan!) Bei den Beratungen im Haushaltsausschuß wird die Ich dachte, ich hätte das im Laufe der Aussprache hier CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit den Kollegen von auch entsprechend richtiggestellt. Wenn das nicht der der F.D.P. versuchen, durch weitere Kürzungen unse- Fall sein sollte, möchte ich es hiermit ganz formell tun: rem Grundsatz, sämtliche Steuermehreinnahmen zur herzliche Bitte um Entschuldigung. Senkung der Nettokreditaufnahme zu verwenden, ein Stück näherzukommen. Ich denke, dies sollte uns (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gemeinsam gelingen. F.D.P.) In diesem Zusammenhang noch ein Wo rt zur Zuwachsrate beim Bund und zu dem Vorwurf der Vizepräsident Hans Klein: Nun erteile ich dem SPD, bereits im ersten Jahr erfülle der Finanzminister Abgeordneten Wolfgang Weng das Wort. und erfülle die Koalition nicht die selbstauferlegten Sparbeschlüsse. Zum einen haben das Kabinett und Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Prä- die CDU/CSU-Fraktion die Ausgabenwachstumsrate sident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegen- für den Zeitraum 1993 bis 1996 auf 2,5 To begrenzt. Am den Entwurf eines Nachtragshaushalts für 1992 ver- 5. Mai wurde dieser Beschluß in der Fraktion und am binden sich ausschließlich positive Aspekte, weshalb Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7807

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) die F.D.P.-Bundestagsfraktion, wie der Kollege Bor- dern — resigniert das Handtuch, wenn sie den Ein- chert schon vorauseilend für uns verkündet hat, die druck haben, daß sie hier bürokratisch gehemmt Detailberatungen konstruktiv angehen wird. Das werden. heißt, die Bundesregierung kann davon ausgehen, (Werner Zywietz [F.D.P.]: Leider wahr!) daß die Fraktion der Liberalen die Vorlage in ihren Grundzügen gutheißt. Daß wir uns immer vorbehalten Zum zweiten aber: Offensichtlich wirken sich Lei- müssen, im Haushaltsausschuß die Dinge noch zu stungen des sozialen Netzes für den wirtschaftlichen verbessern, ist bekannt. Aufschwung häufig hemmend aus. Welcher Mensch wird sich — das ist menschlich verständlich — mit Die Bundesregierung trägt mit den zusätzlich bean- dem erforderlichen Engagement um einen Arbeits- tragten Ausgaben einer Reihe von Notwendigkeiten platz in der Wirtschaft bemühen, wenn er mit Kurzar- Rechnung, die im wesentlichen durch die deutsche beit oder sogenannten Vereinigung und die Entwicklung im Osten Deutsch- Arbeitsbeschaffungsmaßnah- men praktisch die gleiche finanzielle Ausstattung lands verursacht sind. Die Freien Demokraten begrü- erreichen kann? Die Beispiele mehren sich, daß sich ßen ausdrücklich, daß dabei die zwei Kernpunkte der vor allem Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als Ar- deutschen Politik Berücksichtigung finden: erstens beitsverhinderungsmaßnahmen erweisen. Natürlich der Wiederaufbau in den neuen Bundesländern und gilt das nicht allgemein, aber doch in einer großen zweitens die allgemeine Lage der öffentlichen Finan- Zahl von Fällen. Es muß deshalb dringend Wert darauf zen, besonders die Verschuldungssituation des Bun- gelegt werden, daß überall dort, wo durch Auftrags- des. vergaben an die Wirtschaft Dauerarbeitsplätze Lassen Sie mich einige wenige der neuen Ausgaben geschaffen werden können, der Einsatz von ABM- darstellen, die die oben aufgeführten Prioritäten ver- Kräften unterbleibt. deutlichen. Für die Gemeinschaftsaufgabe „Förde- Man sollte allerdings die positiven Aspekte der rung der regionalen Wirtschaftsstruktur" sollen die Entwicklung im Osten nicht hintanstellen; man sollte Mittel des laufenden Jahres um 300 Millionen DM sie nicht übersehen. Man sollte nicht nur das Negative erhöht werden, und die Ausgabenplanung für die beleuchten. Auch wenn die Investitionen, wie gesagt, kommenden Jahre wird auf einen deutlich höheren hinter den ersten optimistischen Erwartungen zurück- Rahmen von insgesamt 4,1 Milliarden DM festgelegt. bleiben und auch wenn sich manches verzögert, so ist Hiermit sollen ganz wesentlich weitere Investitionen doch insgesamt ein Aufwärtstrend festzustellen. in der gewerblichen Wirtschaft der neuen Bundeslän- der gefördert werden. Es ist ja eine bekannte und Die vorsichtige Einschätzung des Bundeswirt- bedauerliche Tatsache, daß es aus einer Vielzahl von schaftsministeriums, die ein Wachstum um rund 10 % Gründen mit dem Neuaufbau vor allem in der produ- in den neuen Bundesländern für dieses Jahr voraus- zierenden Wirtschaft in Ostdeutschland langsamer sagt und von der wir hoffen, daß sie tatsächlich sehr vorangeht als erhofft. Leider ist bei einer nicht gerin- vorsichtig ist und daß es in Wirklichkeit noch besser wird, ist hierfür ein erfreulicher Beleg. gen Zahl von Gemeinden eine große Unbeweglichkeit- festzustellen, wenn es darum geht, schnell geeignete Wir müssen uns die Größe der Aufgabe immer Flächen für arbeitsplatzschaffende Investitionen zur wieder vor Augen halten. Verfügung zu stellen. Das ist einer der Gründe für die Verlangsamung. (Dr.Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sehr rich tig!) Es bleibt mir unverständlich — ich bin sicher, es bleibt auch der deutschen Öffentlichkeit unverständ- Es ist, meine Damen und Herren, nicht nur der Umbau lich —, daß bei dem enormen Bedarf im Baubereich einer ganzen Volkswirtschaft mit in großen Teilen einerseits Baufirmen über Mangel an Beschäftigung verrotteten Produktionsanlagen zu bewältigen. Was klagen, andererseits gleichzeitig Arbeitskräfteman- das Ganze zusätzlich erschwert und was in der Dimen- gel — vor allem im Facharbeiterbereich — herrscht. sion hier bei den Menschen im Westen vielleicht noch nicht genügend gesehen wird, ist das fast totale (Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!) Abbrechen der seitherigen Märkte der Wirtschaft in Dies macht nach meiner Überzeugung zwei den östlichen Nachbarländern, das den Aufbau Schwachstellen besonders deutlich. Erstens — das ist zusätzlich behindert. Da es aber zur Bewältigung einer der weniger positiven Aspekte der Hilfe aus dem unserer Aufgabe keine Alternative gibt, ist die Bun- Westen —: Die Behörden handeln nicht mit der wün- desregierung und die sie tragende Koalition mit der schenswerten Geschwindigkeit. Hierbei scheint eine verstärkten Investitionsförderung in dem genannten Rolle zu spielen, daß im Zusammenhang mit der Bereich in jedem Fall auf dem richtigen Weg. Unterstützung des Aufbaus der Verwaltung in den Das gleiche gilt für die deutliche Verbesserung des neuen Bundesländern mancher westdeutsche Perfek- Wohnraum-Modernisierungsprogramms der Kredit- tionismus in den Amtsstuben des Ostens eingezogen anstalt für Wiederaufbau. Wer sich heute in den neuen ist, wo unbürokratisches Handeln und schnelle Ent- Bundesländern umsieht und wer sich an den Zustand scheidungen das Dringlichste wären. von 1989 erinnert, als die Grenze aufging und als eine So bleiben leider nicht nur einige wenige, sondern große Zahl von Menschen erstmals gesehen haben, eine große Zahl von Entscheidungen über Gebühr wie es dort aussah, der kann den einschneidenden Fortschritt im Bereich der Haus- und der Wohnungs- lange liegen. Dies gilt auch für Investitionsentschei- dungen, die daraus resultieren. Denn natürlich werfen modernisierung feststellen und begrüßen. investitionsbereite Unternehmer auch und gerade aus (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Augen Westdeutschland — allerdings auch aus anderen Län scheinlich! ) 7808 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Das darf aber nicht die Sicht darauf verstellen, daß Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Würden Sie gegenüber westlichem Standard noch ein ganz ekla- mir zugeben, Herr Kollege Weng, daß für die von tanter Nachholbedarf fortbesteht und daß die Jahr- Ihnen erkannten Risiken im Bundeshaushalt weder hundertaufgabe der Angleichung der Verhältnisse bei den Haushaltsansätzen noch in der mittelfristigen fortgesetzt werden muß. Gerade die Inanspruch- Finanzplanung irgendwo Vorsorge getroffen ist? nahme der Kreditanstalt mit ihren dahin gehenden Programmen zeigt, in welchem Maße die private (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Kol- in den neuen Bundesländern die Aufbau- Dr. Wolfgang Weng Initiative lege Wieczorek, die Risiken sind in die Finanzplanung entwicklung voranbringt. eingebaut. Sie sind allerdings nicht in Heller und Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, mit Pfennig in die Finanzplanung eingebaut. Das kann einigen wenigen Worten darauf hinweisen, daß vor auch nicht sein, weil Sie nicht wissen, in welchem allem die Situation in den Nachfolgestaaten der Umfang sie zum Tragen kommen. Ich habe schon Sowjetunion weitere Ausgaben des Bundes in diesem früher von dieser Stelle aus gesagt: Es gibt natürlich Nachtragsetat erforderlich macht. Wir müssen in der deutliche Zeichen dafür, daß die größere Zahl von Folge von Vereinbarungen, die die westlichen Wirt- Risiken, d. h. die größere Summe einerseits und die schaftsnationen mit den GUS - Staaten im Januar 1992 härtere Substanz dieser Risiken andererseits, für die getroffen haben, zusätzliche Belastungen von 1 Milli- Zukunft zu Sorgen Anlaß gibt. Wir machen hier nur arde DM auf uns nehmen. deutlich: Ein Risiko wird fällig, und es wird aus dem Wenn ich das sagen darf: Hier wird deutlich, daß die Etat getragen. Das werden wir in Zukunft auch so Vorhaltungen des SPD-Kollegen Wieczorek nicht kor- machen. Sie können das nicht in der von Ihnen rekt sind. Sie können in einem öffentlichen Haushalt geforderten Weise buchhalterisch einstellen, weil „Ri- nicht im Sinne einer Sparkasse irgendwo Rückstellun- siko" keine Aussage über das ist, was nachher tatsäch- gen für Risiken vornehmen. Aber die Risiken sind uns lich eintritt. bewußt. Da, wo solche Risiken zum Tragen kommen (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wir und wo wir wegen solcher Risiken Ausgabenzu- haben keine Buchhaltung!) wächse haben, tragen wir dem Rechnung. Es ist nicht das erste Mal, daß wir mit einer großen Summe — Nein, wir haben in dem Sinne keine Buchhaltung. ausfallende Bürgschaften o. a< aus dem Haushalt Wir verhandeln über einen öffentlichen Haushalt, abdecken müssen. Wir werden auch zukünftig die Herr Kollege. Vielleicht ist genau das der Unterschied Risiken, die zum Tragen kommen, in entsprechender zwischen unser beider Auffassungen. Sie sollten dann Weise flankieren. über Ihre einmal nachdenken. Ebenso wird es einen neuen Schwerpunkt bei den Ich komme darauf zurück, daß die größere Zahl Beratungshilfen zum Aufbau einer marktwirtschaftli- neuer Staaten im Osten neues Personal für die zusätz- chen Struktur, aber auch im Bereich des Umwelt- und lichen diplomatischen Vertretungen erforderlich des Naturschutzes in den Staaten Mittel- und Osteu- macht. Wir werden sorgfältig prüfen müssen, ob die ropas geben. Daß außerdem durch den Zerfall der Eingruppierungen im Verhältnis zu dem angemessen Sowjetunion und auch Jugoslawiens eine große Zahl sind, was in anderen Staaten der Fall ist. Ich sehe da neuer Staaten entstanden ist und daß dies erhöhten hohe Aufmerksamkeit der Berichterstatter für das Aufwand an Personal für neue diplomatische Vertre- Außenministerium. Der Regierungsentwurf trägt dem jedenfalls schon Rechnung. tungen erforderlich macht — — Das sollte meine letzte Anmerkung bezüglich der Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Weng, verschiedenen Ausgaben im Nachtragsetat sein, die gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wie- hier natürlich nicht vollständig angesprochen werden czorek? können; dafür sind nachher noch zu viele Details zu besprechen. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Ich breche Ich will noch einen wichtigen abschließenden Hin- jetzt mitten in einem Satz ab, Herr Präsident, um ihm weis auf die haushaltsmäßige Gesamtsituation geben. eine Zwischenfrage zu erlauben, die etwas betrifft, Die Koalition — der Kollege Borchert hat das in seinem was leider schon drei Minuten zurückliegt. Aber, bitte Beitrag für die CDU/CSU-Fraktion schon deutlich sehr. gemacht; das gilt auch für meine Fraktion; wir haben in dieser Hinsicht einen einmütigen Beschluß gefaßt hat ja vor wenigen Wochen nicht nur auf Vorlage Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Es tut mir leid, des Bundesfinanzministers die bekannten Eckwerte ich stehe schon so lange hier. für die künftigen Ausgaben der öffentlichen Hände festgelegt, sondern auch die Verschuldensgrenzen in Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Das scha- der mittelfristigen Finanzplanung weiter nach unten det nichts. gedrückt. Daß die Praxis noch hinter den angenom- (Heiterkeit) menen Verschuldensraten zurückgeblieben ist, ist eine auf jeden Fall positive Entwicklung. Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Ich brauche Wenn auf Grund von höher geschätzten Steuerein- keine Einlagen, Herr Kollege, wenn Sie das meinen. nahmen einerseits und andererseits auf Grund von Ich stehe gut und fest auf meinen Füßen. Ausgabenersparnis im Konsumbereich des Bundes und durch die Reduzierung bei der Rüstungsbeschaf- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Worauf lung eine Verringerung der Nettoneuverschuldung sonst? für das laufende Jahr erreicht werden kann, so ist dies Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7809

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) ein außerordentlich positives Signal. — Jetzt mache Aber auch die SPD scheint von ihren Alternativen ich eine etwas größere Pause. Vielleicht klatscht dann nicht sehr überzeugt zu sein, denn sonst hätte sie eine einmal jemand. längere Debatte erzwungen. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: So ein (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der Quatsch!) CDU/CSU) Die Worte waren heute recht markig, aber überzeugt 2,6 Milliarden DM weniger Nettokreditaufnahme haben sie mich leider nicht. Oder haben sich vielleicht beim Bund: Da kann man nur hoffen, daß sich die beide Seiten darauf geeinigt, hier eine Pflichtübung westlichen Bundesländer und vor allem der wohlha- zu absolvieren, den Schein zu wahren und ansonsten bende Teil der westlichen Kommunen hieran ein auch weiterhin mit Riesenschritten aufeinander zuzu- Beispiel nehmen, um die Richtzahlen, die wir zwar gehen? nicht vorschreiben können, aber die wir als Signal im Der heute zur ersten Beratung vorliegende Nach- Zusammenhang mit den Eckwerten des Bundesfi- tragshaushalt verdient nicht, wie Sie gesagt haben, nanzministers zur Kenntnis genommen haben, einhal- Herr Wieczorek, die Bezeichnung „Mogelpackung". ten. Denn das, was die Deutsche Bundesbank als Das ist zu klein gedacht. Es ist eine klassische, gute Hüterin der Stabilität der Währung künftig in ihrer „Waigel-Packung" geworden. Geldmengen- und ihrer Zinspolitik machen wird, wird natürlich davon abhängen, daß sich alle öffentlichen (Zuruf von der SPD: Was ist es geworden?) Haushalte stabilitätsbewußt verhalten, so wie es der — Eine Waigel-Packung, denn besser, als er es Bund in vorbildlicher Weise vorgibt. gemacht hat, kann man Sachen nicht vertuschen. Der vorgelegte Nachtragshaushalt der Bundesre- (Zurufe von der CDU/CSU) gierung ist ein Dokument finanzpolitischer Hand- Zusammen mit den Änderungen in der mittelfristi- lungsfähigkeit bei klarer Einhaltung der selbstgesetz- gen Finanzplanung, soweit sie sich den sehr allgemein ten Haushaltsziele. Die unbeirrte Fortsetzung dieses gehaltenen Formulierungen aus dem Eckwertepapier Wegs bleibt Garantie für den Aufschwung im Osten, des Bundesfinanzministers entnehmen lassen, wird ohne daß die hierfür erforderliche Leistungsfähigkeit Konsolidierung nur vorgetäuscht, die Verringerung und Leistungsbereitschaft im Westen geschädigt wer- des Haushaltsdefizits und der Abbau der Verschul- den. Die Bewältigung der finanz- und haushaltspoliti- dung des Bundes nur wortradikal als Politikziel ver- schen Erfordernisse, zu denen der Nachtragshaushalt kündet. einen Beitrag leistet, wird das Feldgeschrei wegen Ich stimme dem CDU-Abgeordneten Kolbe aus- anderer, in Wirklichkeit wesentlich weniger wichtiger drücklich zu, der Herrn Waigels Sparkonzept als politischer Probleme schnell vergessen lassen. Die einen Verschiebebahnhof zu Lasten der Ostländer F.D.P.-Fraktion geht an die Detailberatung im Aus- und der Bundesanstalt für Arbeit bezeichnet hat. schuß mit dem Bewußtsein, daß der Rahmen des (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist ein Besser Regierungsentwurfs den richtigen Weg aufzeigt.- wossi!) Vielen Dank. Die vom Bundesfinanzminister vorgelegten Angaben über die Verschuldung des öffentlichen Gesamthaus- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) halts erfassen mit 1,17 Billionen DM nicht die Schul- den der Bahn, der Post, der Treuhand sowie die

Altschulden der DDR-Wohnungswirtschaft, — Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Herren, ich habe den Mitgliedern des Ältestenrates zu Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Keller, übermitteln, daß die Sitzung des Ältestenrates erst gestatten Sie eine Zwischenfrage? nach der Abstimmung über den Vermittlungsvor- schlag zum Bundesbankgesetz stattfinden wird. Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Wenn ich den Als nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Satz ausgesprochen habe, ja. — erfassen also nicht die Dr. Dietmar Keller. Gesamtschulden, 'für die die öffentlichen Haushalte aufkommen müssen. — Bitte.

Manfred Kolbe (CDU/CSU): Herr Keller, die Zustim- Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- mung Ihrer Person weise ich ausdrücklich zurück. Ich dent! Meine Damen und Herren! Seit Wochen steht frage Sie: Meinen Sie nicht, daß Sie am wenigsten die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregie- geeignet sind, sich hier über die Altschulden der rung im Blickpunkt der öffentlichen Meinung und im ehemaligen DDR zu beklagen? Sie sind doch seit Mittelpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzun- 40 Jahren dabeigewesen! gen zwischen den verschiedenen politischen Lagern hier in Bonn. Daß der Deutsche Bundestag angesichts dieser Umstände heute nur 90 Minuten über die Lage Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Ich kann damit der öffentlichen Finanzen debattiert, zeigt offensicht- leben, wenn Sie meine Zustimmung nicht brauchen. lich auch, daß die Koalition wenig Neigung zu einer Aber Ihre Äußerung ist öffentlich gemacht, und nun Bestandsaufnahme verspürt. müssen Sie mit der Bemerkung, die Sie gemacht haben, in Ihrer Fraktion, in Ihrem politischen Umfeld (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: So ein und mit der Meinung Ihres politischen Gegners leben Unsinn! Dem haben Sie doch zugestimmt!) lernen. 7810 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Dr. Dietmar Keller Und wenn Sie von 40 Jahren Altlast reden, so ist das öffentlichen Haushalte würde 1995 mindestens 15,2 % ein Wort, das Ihnen langsam im Mund verfault. der Gesamtausgaben betragen. Die vom Bundesfi- (Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Altlast nanzminister mit großem Aufwand verkündeten Spar- bleibt! — Weitere Zurufe von der CDU/ ziele entpuppen sich deshalb bei näheren Hinsehen als Bluff. CSU)

Es wird langsam langweilig, darüber zu reden. Lassen Bereits in der Ende 1991 vorgelegten mittelfristigen Sie uns hier über die Fragen reden, die heute hier Finanzplanung war für 1993 ein Wachstum des Haus- anstehen! halts um nominal 1,4 %, für 1994 und 1995 ein solches (Beifall bei der PDS/Linke Liste) um jeweils 2,4 % als Zielvorgabe enthalten. Worin Herr Waigel nun die besondere Leistung des Bundes Ich habe an diesem Pult mein Bekenntnis zu meiner sieht, jetzt den Anstieg der Ausgaben auf 2,5 % zu Schuld in 40jähriger Geschichte abgelegt. Ich habe begrenzen, bleibt sein Geheimnis. Für 1993 gilt jeden- von vielen von Ihnen weniger selbstkritische Ein- falls eine höhere Steigerungsrate als 1991; denn der schätzungen zu Ihrer Verantwortung in 40jähriger Plafond beträgt dann nicht mehr 423 Milliarden, son- Geschichte gehört. dern 426 Milliarden DM. Bei einer Steigerung der (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Da gibt es Ausgaben um 2,5 % könnten 1993 gegenüber der einen kleinen Unterschied! — Weitere ursprünglichen Finanzplanung über 8 Milliarden DM Zurufe von der CDU/CSU) zusätzlich ausgegeben werden. Der Bundesfinanzmi- nister kann sich als Sparkommissar präsentieren und — So, nun seien Sie ruhig und lassen Sie mich die Öffentlichkeit darüber hinwegtäuschen, daß die weiterreden. auf Grund des Nachtragshaushalts 1992 nach oben (Zuruf von der CDU/CSU: Das tut weh!) veränderten Ansätze des Finanzplans in der Summe bis 1995 zu Mehrausgaben von über 30 Milliarden — Ich kann mir ja vorstellen, daß es Ihnen wehtut, DM führen werden. wenn Ihnen widersprochen wird. Sie sind ja in der letzten Zeit nur Jubelchöre gewohnt. In der 1991 vorgelegten Finanzplanung wurde für (Lachen bei der CDU/CSU) die Jahre 1992 bis 1995 ein Wachstum der Zinsausga- Um die Bilanzen zu schönen, verschiebt der Bun- ben um 30 % erwartet. Die Personalausgaben werden desfinanzminister in seinem Sparkonzept sowohl die mindestens um 17 % steigen. Wenn jedoch für Zinsen Auflösung des Kreditabwicklungsfonds als auch der und Personal auf keinen Fall eine Begrenzung des Treuhand auf die Zeit nach der nächsten Bundestags- Anstiegs der Ausgaben auf 2,5 % erreicht werden wahl. Die öffentlichen Haushalte waren Ende 1991 kann, dann bleibt es schleierhaft, wie der Bundesfi- zusammen mit Bahn, Post, Treuhand und den Alt- nanzminister beim Bund den Ausgabenanstieg auf schulden des DDR-Wohnungsbaus insgesamt mit durchschnittlich 2,5 % begrenzen will. 1,453 Billionen DM verschuldet. Auf der Basis der Verschuldung zum 31. Dezember 1991 müssen alle Die Streichung des Bundeszuschusses an die Bun- öffentlichen Haushalte zusammen Zinsausgaben in desanstalt für Arbeit ist die einzige konkrete Spar- einer Höhe finanzieren, die die von der Bundesregie- maßnahme, die Herrn Waigels Konzept enthält. Über rung dem Haushaltsausschuß unterbreiteten Zahlen deren verheerende Folgen für den ostdeutschen übertreffen. Das mag vielleicht auch daran liegen, daß Arbeitsmarkt ist hier schon viel gesagt worden. Wie der Finanzminister seinen Prognosen einen durch- ich dem „Handelsblatt" vom 6. Mai entnommen habe, schnittlichen Zinssatz von 6,58 % zugrunde gelegt hat, ist sich der Finanzminister mit Arbeitsminister Blüm die „Fünf Weisen" in ihren Prognosen jedoch von darin einig, daß es keine neuen Bundeszuschüsse an einem Zinssatz von 9 % ausgegangen sind. Je nach die Bundesanstalt geben darf. Alles andere wäre Zinssatz schwankt die Höhe der Zinsausgaben des angesichts des eisernen Schweigens des Sozialpoliti- öffentlichen Gesamthaushalts, die nicht in der Finanz- kers Blüm auch verwunderlich gewesen. planung der Bundesregierung ausgewiesen sind, zwi- schen 18,7 und 25,6 Milliarden DM. Ich möchte noch daran erinnern, daß der Bund Das Haushaltsdefizit des Bundes betrug 1991 nur durch die Erhöhung der Sozialabgaben zum 1. April deshalb ca. 3 % des Bruttosozialprodukts, weil die 1991 seinen Zuschußbedarf 1991/92 um insgesamt Kreditaufnahme der Schattenhaushalte und Sonder- 44 Milliarden DM verringert hat und daß für 1993 vermögen des Bundes in der volkswirtschaftlichen auch ohne die Streichungen mit einem um 20 Milliar- Gesamtrechnung dem Unternehmenssektor zugeord- den DM verminderten Zuschußbedarf gerechnet wer- net wurden. Bund, Länder und Gemeinden werden den muß. jedoch spätestens ab 1995 die aus zusätzlichen Schul- den in Höhe von rund 495 Milliarden DM resultieren- Meine Damen und Herren, die PDS ist der Auffas- den Zinsen und Tilgungsleistungen erwirtschaften sung, daß zur Finanzierung der Kosten der Einheit müssen. Selbst dann, wenn ich der im Jahresgutach- unbedingt und zuallererst diejenigen beitragen müs- ten der „Fünf Weisen" enthaltenen sehr optimisti- sen, die sich an ihr buchstäblich dumm und dämlich schen Annahme einer Zunahme des Bruttosozialpro- verdient haben. Laut Monatsbericht der Bundesbank dukts um 7,2 % folgte, würde der Schuldenstand Ende wuchs das Geldvermögen der westdeutschen Unter- 1992 rund 48 % des Bruttosozialprodukts betragen, nehmen von 1989 bis 1991 um sage und schreibe 22 also Tendenz steigend, und nicht, wie vom Bundesfi- auf jetzt 1 673 Milliarden DM, wovon fast 600 Milliar- nanzminister behauptet, 45 %. Die Zinslastquote aller den DM sofort mobilisierbar wären. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7811

Dr. Dietmar Keller Ich bin gespannt, welche Lösungsvorschläge der Erstens. Da rügt die Bauministerin die Wohnungs- Bundesfinanzminister zu dieser Frage vorzutragen politik der Bundesregierung und bezeichnet die Sen- hat. kung der Mieterhöhungsgrenze als ein falsches (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Signal. Wir sehen hier das ganz offensichtlich neue Rollenverständnis für die Ausübung eines Minister- amtes. Frau Schwaetzer will die Regierungspolitik Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- nicht nur darstellen und vollziehen, sondern sie will ordnete Werner Schulz. sie in der Öffentlichkeit auch kritisch begleiten. Zweitens. Der Finanzminister möchte nicht auf den Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Jäger 90 verzichten, während Minister Rühe deutli- Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben che Einsparungen am Verteidigungsetat will. Auch gehört, daß die Bundesregierung besonders stolz auf hier zeigt sich eine verkehrte Welt. Der Finanzmini- die Korrektur der Steuerschätzung ist, die dem Staat ster übernimmt den Pa rt von Erich Riedl, und Herr für das laufende Haushaltsjahr Mehreinnahmen in Rühe nähert sich den Abrüstungsvorschlägen der Milliardenhöhe bringt. Der Finanzminister hat leider Opposition. nur vergessen, auf den Umstand hinzuweisen, daß Drittens. Strittig war und ist, ob die bestehende diese Mehreinnahmen vor allem mit der steigenden Investitionszulage und das Gemeinschaftswerk Auf- Geldentwertung zusammenhängen. Bekanntlich füh- schwung Ost verlängert werden. Wi rtschaftsminister ren steigende Inflationsraten zu überproportional stei- Möllemann plädiert für die Fortsetzung, während der genden Steuereinnahmen. Finanzminister dies ablehnt. Hier sind zumindest die Es ist auch nicht weiter verwunderlich, daß unter Positionen der jeweiligen Ministerrollen angemes- diesen Umständen die steigende Geldentwertung den sen. Finanzminister sogar freut. Es ist ohnedies eine sel- tene Ironie, Herr Borchert, daß ausgerechnet diese Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Bei allem wirklich das Sagen Bundesregierung zum größten Schuldenmacher und Zweifel, wer in dieser Regierung Dissonanzen: so Preistreiber in der jüngsten Geschichte geworden ist. hat, herrschen auf jeden Fall deutlich beim Thema Pflegeversicherung und dem unfrucht- Wir müssen das gar nicht mit vielen U's umschreiben. Sie sollten vor allem diesen Buchstaben kein X vor- baren Streit über den Sanierungsauftrag der Treu- handanstalt; es herrscht Uneinigkeit bei der Arbeits- setzen, was der Bundesfinanzminister phantastisch marktpolitik, und es gibt auch einen Dissens bei der beherrscht. Zumindest in diesem Sinne — das ist hier ja kontrovers diskutiert worden — beherrscht er die Regelung der Eigentumsprobleme in den neuen Bun- desländern. Ein Ende des Streits ist keineswegs in Form der kreativen Bereicherung. Sicht. Die Bundesregierung konnte sich nur zu einer (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Sie waren Vertagung der Entscheidungen einigen. doch gar nicht da, als darüber gesprochen wurde!) Es verwundert nicht mehr, daß das Ansehen des Bundeskanzlers — von ihm sollten schließlich die Meine Damen und Herren, die gesamte öffentliche Richtlinien der Politik ausgehen — auf einem neuen Verschuldung belief sich zum Jahresende auf 1,2 Bil- Tiefstand angelangt ist. Wer glaubt, es könnte nicht lionen DM. Sie wird in den nächsten Jahren weiter noch schlimmer kommen, der wird sich wundern, dramatisch anwachsen. Der Finanzminister hingegen dann nämlich, wenn es zum Schwur über die Ausge- verkauft seine Politik als Konsolidierungsstrategie. staltung des Haushalts für das Jahr 1993 kommt. Hier ist das Wort Herodots sicher angebracht: Wer Schulden hat, der muß auch lügen. Nicht einmal der bayerische Finanzminister sieht Meine Damen und Herren, Sie erinnern sich: Diese sich in der Lage, die Eckwerte des Bundesfinanzmini- Regierung trat ursprünglich mit einem finanzpoliti- sters einzuhalten. schen Konsolidierungskonzept an, bei dem auf der (Zuruf des Abg. Jochen Borchert [CDU/ Einnahmen- und Ausgabenseite gespart werden CSU]) sollte. Rückzug des Staates aus der Ökonomie wurde dies genannt. Ich will hier gar nicht prüfen, ob diese Wie vor einigen Tagen im „Handelsblatt" zu lesen Politik richtig war. Ein Kennzeichen dieser Politik war war, hat auch Herr Lambsdorff — wie so oft schon — damals schon ihre soziale Schieflage. Daran hat sich leichte Zweifel an der Durchführbarkeit des vorge- schlagenen Sparkurses. Dies betrifft die politische auch nichts geändert. Durchführbarkeit. Heute müssen wir aber feststellen, daß die Finanz- politik wie auch andere Politikbereiche überhaupt Insgesamt gilt aber — und ich habe dies hier schon kein Konzept mehr erkennen lassen. Es ist nicht zu mehrfach betont —, was das Wirtschaftsministerium übersehen: Diese Regierung hat nichts mehr, was in einem vertraulichen Papier festgestellt hat. Dort ihren inneren Zusammenhalt garantiert. Sie hat statt- werden die konjunkturellen Annahmen des Finanz- dessen steigende Finanzierungsdefizite, die offen- ministeriums für die mittelfristige Finanzplanung in sichtlich das Gegenteil bewirken. So herrscht ein Zweifel gezogen, das Eintreten der optimistischen Chaos, zu dem sich die letzten Monate der soziallibe- Wachstumsannahmen sei keineswegs gewährleistet. ralen Koalition vergleichsweise als ein wohlgeordne- Darüber hinaus stellt das Wi rtschaftsministerium ter Rückzug aus der Regierungsverantwortung dar- fest, daß unabhängig vom Konjunkturverlauf die stellen. Haushaltspolitik in den kommenden Jahren mit einer Falls Sie daran Zweifel haben, hier einige Beispiele. Fülle von Unwägbarkeiten und potentiellen Störgrö- Ich sehe, Herr Bötsch, Sie grübeln darüber nach. ßen konfrontiert ist, die alle dahin tendieren, die 7812 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Werner Schulz (Berlin) öffentlichen Defizite noch zu vergrößern und damit Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- die Verwirklichung der mittelfristig angelegten Haus- nister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine Damen haltskonsolidierung erheblich gefährdet erscheinen und Herren! Aber nicht zu dem vom Herrn Kollegen lassen. Meine Damen und Herren, ich glaube, über Schulz erhofften und erwarteten Thema — das diese Finanzpolitik der Bundesregierung ist damit ein machen wir später —, sondern, Herr Kollege Schulz, klares Urteil gesprochen. zu dem Antrag Ihrer Gruppe betreffend Kosten für die Die verfehlte Finanzpolitik korrespondiert mit der Sanierung der durch die ehemalige SDAG Wismut schlimmen ökonomischen und sozialen Lage in den verursachten Umwelt - und Gesundheitsschäden. neuen Bundesländern. Dies zeigt sich nicht zuletzt am Die Bundesregierung bittet das Hohe Haus, diesen Stand der Sanierung der Umweltschäden der ehema- Antrag abzulehnen. Wer diesen Antrag genau liest, ligen SDAG Wismut. Das vollständige Sanierungs- wird erkennen, daß die Bundesregierung — obwohl konzept wird noch immer vor der Öffentlichkeit und sie sehr weitsichtig und sehr klug ist — dem Parlament geheimgehalten. (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Natür Gleichzeitig explodieren die Kostenschätzungen. lich!) Die Regierung muß hier endlich die Fakten auf den geradezu hellseherische Fähigkeiten, Herr Kollege Tisch legen, und dies muß noch vor der Haushaltsbe- Schulz, haben müßte, wenn sie dem Antrag von Ihnen, ratung 1993 geschehen. Wir verlangen einen umfas- nämlich den Finanzbedarf der gesamten von der senden Bericht über das vorgesehene Sanierungskon- Wismut verursachten Umwelt- und Gesundheitsschä- zept für die Wismut. Die Bundesregierung muß auch den zu beziffern, nachkommen würde. Auskunft darüber geben, wie die bereits eingeleiteten Sofortmaßnahmen bisher gegriffen haben, und eine Es handelt sich bei der Sanierung dieser Altlasten realistische Kostenschätzung vorlegen. — ich möchte das jetzt mit großem Ernst und auch viel Traurigkeit sagen — um ein riesiges Umweltproblem, Meine Damen und Herren, ich will hier abschlie- das leider Gottes sicherlich nicht in wenigen Jahren ßend noch ein Wort zur Finanzierung des Aufbaus in abgewickelt werden kann. Ich glaube, daß ich nicht den neuen Bundesländern sagen. übertreibe, wenn ich sage, daß die Wismut heute die Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, die wohl weltweit größte Umweltbaustelle ist, und das Verteilung der Lasten gerecht auf die sozialen Grup- mitten in Deutschland! Seit über einem Jahr sind wir pen in der Bundesrepublik zu verteilen. Darauf hat der dabei — und wir sind noch lange nicht am Ende —, Bundespräsident zu Recht verwiesen. Ihm kommt nun allein das Ausmaß der ökologischen Probleme eini- auch das Verdienst zu, daß über die Verteilung der germaßen real zu ermitteln. Erst wenn wir dieses Einheitskosten endlich eine Debatte in Gang gekom- Ausmaß kennen, sind wir in der Lage, die für die men ist. Wir brauchen eine Finanzierungskonzeption, Sanierungserfordernisse notwendigen Kostenschät- bei der die Begüterten und die Gewinner der deut- zungen abzugeben. schen Einheit stärker als bisher an den Lasten beteiligt werden. - Die Bundesregierung hat seit der deutschen Einheit eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt, damit Der Bundespräsident hat zu Recht festgestellt: Die wenigstens die brennendsten Probleme, nämlich die Vereinigung kostet mehr, als der Staat allein durch Stillegung der Uranbergwerke der Wismut und die Verschuldung oder Einsparung aufbringen kann. — Sanierung und Rekultivierung kontaminierter Flä- Wenn wir uns darüber keine aufrichtige Rechenschaft chen und Anlagen, in Ang riff genommen werden ablegen, werden wir anderswo nur draufzahlen müs- konnten. Man ist dabei; man ist an der Arbeit. sen. Für die Durchführung der Stillegung und Sanierung Daraus ergibt sich die Aufgabe, die Lasten in der hat die Wismut im August 1991 ein Gesamtkonzept ganzen Gesellschaft zu tragen und sie sozial gerecht vorgelegt, über dessen Inhalt wir die Öffentlichkeit auszugleichen. bereits informiert haben. Herr Kollege Schulz, Sie Das Problem ist nur, daß die Bundesregierung kennen dieses Konzept. Den Vorwurf, das Sanie- offensichtlich nicht in der Lage ist, ein entsprechendes rungskonzept werde als Verschlußsache behandelt, Konzept zu entwickeln. Zur Lösung dieses Problems muß ich deshalb zurückweisen. Da gibt es nichts zu werden sich neue Mehrheiten im Parlament finden verschließen. Das muß ganz offen und breit in die müssen. Der Bundeskanzler sollte den Weg dazu Öffentlichkeit kommen. Wer das wahre Ausmaß die- freigeben. ser Katastrophe immer verheimlicht hat, waren die Machthaber in der früheren DDR, die dies als die Ovid sagte einmal: Das Ende krönt das Werk. Da geheimste Kommandosache des Staates betrachtet Herr Kohl das offenbar nicht erfaßt, sollte ihm zumin- haben, weil sie schon wußten, welche Katastrophe sie dest seine Fraktion dabei helfen. angerichtet hatten. (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE — Zuruf Richtig ist, daß wir die Wismut beauftragt haben, von der CDU/CSU: So ein Quatsch!) standortbezogene allgemeinverständliche Fassungen auszuarbeiten. Diese sind den jeweiligen Landkreisen und Kommunen der betroffenen Regionen Ende des Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schulz, ich vergangenen Jahres übergeben worden und dort in glaube, jetzt wird Erich Riedl den Pa rt von Erich Riedl einer Vielzahl von Gesprächen mit Vertretern der selber übernehmen. — Ich erteile das Wort dem Wismut erörtert worden. Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesmini- Die derzeit von der Bundesregierung veranschlagte ster für Wirtschaft Dr. Erich Riedl. Höhe der Kosten für die Stillegung und Sanierung der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7813

Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl im Eigentum der Wismut befindlichen Grundstücke Denn alles, was in den letzten Jahren mit negativen und Anlagen — man höre und staune — von ca. Haushaltsentwicklungen und einer ungeheuren An- 13 Milliarden DM in zehn bis 15 Jahren erscheint häufung von öffentlichen Schulden verbunden war, nach heutigem Kenntnisstand relativ sachgerecht. trägt die Unterschrift dieses Finanzministers. Zugleich sind allerdings die Kosten mit erheblichen Ich frage, um das hier wieder einmal bewußt zu Unsicherheiten behaftet, insbesondere für die Maß- machen: Wer hat denn eigentlich den Vertrag über nahmen, für die Lösungen in den kommenden Jahren die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion unter- erst erarbeitet werden müssen. zeichnet, gegen den der damalige Bundesbankpräsi- Die für das Haushaltsjahr 1993 — und darum geht es dent schwerwiegende Bedenken vorgetragen hatte, ja im Augenblick in dieser Debatte — angesetzten ein Vertrag, von dem wir wissen, daß er ein schädli- Mittel sind für Einzelsanierungen vorgesehen, für die ches Aufblähen des Konsums zu Lasten der öffentli- Problemlösungen bereits vorliegen und für die die chen Haushalte und viel zu wenig Anreize für Investi- Genehmigungsverfahren auch schon in Gang gesetzt tionen enthielt — mit der ungeheuren Folge des worden sind. Verlustes von zahllosen Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern, in denen in weiten Landstrichen (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Jetzt Arbeitsplätze vernichtet wurden und auch in den reden wir über den Nachtrag 1992, wenn ich nächsten Jahren nicht blühende Landschaften zu mich nicht täusche!) erwarten sind? — Herr Kollege Bötsch, die Etatisierung 1992 ist schon erfolgt, aber es war hier das Problem, daß in dem Herr Kollege Lowack, Nachtrag 1992 Mittelansätze für 1993 Vizepräsident Hans Klein: darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen? — (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Jetzt Es finden im Augenblick zu viele Minikonferenzen reden wir über 1992!) im Saal statt. Ich sage Ihnen, meine Damen und mit entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen Herren, voraus, daß wir in etwa 8 bis 9 Minuten die ausgebracht werden sollten. strittige Abstimmung haben werden. Wer also bis (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das muß dahin noch wichtige Themen mit Partnern zu bespre- man aber nicht zehn Minuten diskutieren! chen hat, kann das vielleicht außerhalb des Saales tun. Der ganze Zeitplan kommt durcheinander!) Der Redner hat immer ein bißchen Anspruch auf Zuhörerschaft, auch auf Zwischenrufe, wenn es sein Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun noch muß. ein Wort zu den Kosten für die Erfassung der radio- logischen Bergbaufolgelasten für das Bundesamt für (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Nicht Strahlenschutz. Der voraussichtliche Aufwand für die unbedingt!) Erfassung der radiologischen Bergbaufolgelasten durch das Bundesamt für Strahlenschutz ist entgegen Ortwin Lowack (fraktionslos): Vielen Dank, Herr der Darstellung in Ihrem Antrag, Herr Kollege Schulz, Präsident! abschätzbar. Grundlagen sind die in den Jahren 1991 Wer war denn maßgeblich an den ungeheuren und 1992 durchgeführten Erhebungen. Der Finanz- Transfers in die alte Sowjetunion beteiligt, die uns in planung liegt ein mehrjähriges Arbeitsprogramm der Zwischenzeit mit über 80 Milliarden DM belasten zugrunde, auf dessen Grundlage auch im Jahre 1992 und die uns im Augenblick fehlen, die wir aber Aufträge erteilt werden. Aus den nur in knapper Form dringend bräuchten, um wirklich echte Hilfe leisten zu genannten Gründen erachtet es die Bundesregierung können. deshalb nicht für erforderlich, weitere Festlegungen für die Verabschiedung des Bundeshaushalts 1993 Ich frage: Wer hat denn eigentlich den Vertrag von heute und hier zu treffen. Maastricht unterzeichnet, ohne die Bevölkerung dar- über aufzuklären, was es letztlich die Deutschen Ich bitte deshalb nochmals, den Antrag von Bündnis kostet? Wer bemüht sich nach Kräften, ihr Sand in die 90/GRÜNE abzulehnen. Augen zu streuen, um gerade darüber nicht aufklären (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu müssen? Welche Konsequenzen hat denn — nur um ein Beispiel herauszugreifen — der sogenannte Adhä- sionsfonds, der schon im ersten Delors-II-Vorschlag Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- mit 49 Milliarden DM beziffert wird? Wie hoch wird ordnete Ortwin Lowack. der deutsche Anteil sein? Noch ein Wort zur europäischen Zentralbank. Ortwin Lowack (fraktionslos): Herr Präsident! (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Lowack Meine Damen und Herren! Was als „Theos Sparkon- als Finanzpolitiker ist etwas ganz Neues!) zept" in die Geschichte eingehen soll, ist eine beson- Wenn es der Finanzminister so darstellt, als ob diese ders grobe Täuschung der Öffentlichkeit und wohl Einrichtung bereits an Deutschland vergeben wäre, nicht mehr als oberrohe oder oberrohrer Schlitzohrig- dann sagt er die Unwahrheit. keit zu entschuldigen, obwohl wir alle wissen, daß der Ich sage auch noch etwas voraus: Diese europäische Theo ein Schlitzohr ist. Ob das ausreicht, auch ein Zentralbank wird nicht wie die Deutsche Bundesbank guter Finanzminister zu sein, ist eine andere Frage. funktionieren, sondern wird im Grunde genommen (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Besser ein von den anderen Teilnehmern angesehen wie eine Schlitzohr als etwas anderes! Da fallen mir zweite Kommission. Wir werden uns wundern, was bei dir ganz andere Dinge ein!) davon zu erwarten ist. 7814 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Ortwin Lowack Wenn es im Gesetzentwurf zum Nachtragshaushalt droht, wird damit jedoch kaum Einhalt geboten wer- 1992, den wir heute debattieren, heißt, er diene den können. vorrangig der Finanzierung des erhöhten Bedarfs auf Grund der aktuellen Entwicklung in den neuen Bun- Zu begrüßen ist weiterhin die Erhöhung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirt- desländern und außerdem der Finanzierung der schaftsstruktur" und die vorrangige Zielsetzung, Sofortmaßnahmen für die GUS - und MOE - Staaten, so frage ich den Finanzminister: Für was ist denn eigent- Investitionen der gewerblichen Wirtschaft und der lich das Geld ausgegeben worden, das wir über das wirtschaftsnahen regionalen Infrastruktur in den Solidaritätsgesetz vom Bürger abverlangt haben? neuen Bundesländern zu fördern. Dieses Gesetz enthielt doch genau die gleichen Wenn man allerdings sieht, daß bei einer Steige- Begründungen. Müßte ein Finanzminister nicht erst rung der Investitionen — eine optimistische An- einmal sagen, was ausgegeben wurde und nicht durch nahme — in den fünf neuen Bundesländern um 25 das Solidaritätsgesetz abgedeckt war, jetzt aber durch in diesem Jahr auf insgesamt 90 Milliarden DM doch den Nachtragshaushalt abgedeckt werden müßte? erst zwei Drittel der Pro-Kopf-Investitionen im Westen Diese Aufklärung müßte hier erfolgen. Das ist man erreicht werden — und das bei dem riesigen Nachhol- dem Parlament schuldig, noch dazu in einer Zeit, in bedarf im Osten — , muß man die alte Kritik laut und der die Steuereinnahmen astronomische Höhen deutlich wiederholen: Es wird gekleckert, wo geklotzt erreicht haben, den höchsten Stand in der Geschichte werden müßte. der Bundesrepublik Deutschland. Und das gilt selbst für die staatlichen Infrastruktur- Es gäbe noch vieles zu fragen. Eins möchte ich aber investitionen. Zwar haben die im Osten inzwischen festhalten: Ich halte diesen Finanzminister für restlos das Niveau des 1,3fachen der entsprechenden Investi- überfordert, die Finanzen in den Griff zu bekommen. tionen im Westen erreicht; nur bei dem riesigen Fehl- Ich bitte Sie, Regierung wie Regierungskoalition und und Nachholbedarf im Osten wäre ein Vielfaches Opposition, sehr herzlich: Bitte entscheiden Sie jetzt dieser Investitionen notwendig. darüber, daß möglichst schnell, am besten sofort, eine

Enquete - Kommission eingesetzt wird, die sofort Ein- Zu begrüßen ist auch die vorgelegte Gesetzesände- sparmöglichkeiten erarbeitet, damit sie möglichst rung zum Gesetz zur Aufhebung des Strukturhilfege- schnell beschlossen werden und bei den Haushalten setzes. Die vorgesehene Aufstockung der Überbrük- berücksichtigt werden können. kungshilfe von 800 Millionen auf 1,5 Milliarden DM 2,4 Billionen DM, d. h. 2 400 Milliarden DM Schul- trägt unserer im vorigen Jahr geäußerten Kritik teil- weise Rechnung. den Ende 1995 bedeuten, daß auf eine Familie mit zwei Kindern monatlich bereits 1 000 DM Zinsen für Zu begrüßen ist im Prinzip auch die Aufstockung öffentliche Schulden zukommen. Ich weiß nicht, ob des Wohnraummodernisierungsprogramms in den vielen bewußt ist, was hier eigentlich passiert und neuen Bundesländern. Auch hier gilt allerdings: welche schwerstwiegenden Schäden für unsere - Angesichts des Bedarfs im Osten an solchen Moder- Volkswirtschaft zu erwarten sind. nisierungsmaßnahmen im Wohnungsbereich und Wenn es im Bericht des Wirtschaftsministers heißt: angesichts des Bedarfs an Arbeitsplätzen ist auch das „Die Konjunktur in den alten Bundesländern erweist viel zuwenig. sich weiterhin als widerstandsfähig", dann ist das an Der Nachtragshaushalt — das ist trotz, wie gesagt, Zynismus kaum noch zu überbieten. Wie soll denn die etlicher begrüßenswerter Detailpunkte festzustel- Wirtschaft weiter widerstandsfähig bleiben ange- len — kann die Bundesregierung nicht vor ihrer sichts dieser ungeheuren Belastung? Schußfahrt in die Verschuldungskrise retten. Er trägt Ich bitte Sie: Verhindern Sie heute, was unsere dem Bedarf an Investitionen und Infrastrukturmaß- Zukunft zerstören kann! Dieses Parlament muß han- nahmen im Osten bei weiten nicht Rechnung. Viel deln, wenn es die Regierung nicht mehr kann; sonst tiefere Einschnitte in die Haushaltsstrukturen sind handeln die Menschen bald auf der Straße. notwendig. (Zustimmung des Abg. Werner Schulz [Ber Angesichts des ersatzlosen Wegfalls — das kann lin] [Bündnis 90/GRÜNE]) man nicht oft genug ansprechen — des traditionellen Feindes im Osten hätte die Bundesregierung z. B. erhebliche Mittel aus dem Rüstungsetat umschichten Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- können. Diese Aufgabe bleibt also für die kommen- ordnete Dr. Ulrich B riefs. den Haushaltsrunden. Abschließend möchte ich — trotz der Ausführun- Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! gen, die wir eben vom Herrn Parlamentarischen Meine Damen und Herren! Die ständigen Mahnun- Staatssekretär Riedl gehört haben — nachdrücklich gen der Opposition an die Adresse der Regierung den Antrag vom Bündnis 90/GRÜNE unterstützen, zeigen offensichtlich Wirkung: Der vorgelegte Nach- Transparenz hinsichtlich der Behandlung des Kom- tragshaushalt ist ein vergleichsweise disziplinierter plexes der sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft Nachtrag. Zu begrüßen ist im Prinzip insbesondere die Wismut zu schaffen. Vergessen wir nicht: Von dieser geplante Rückführung der Nettokreditaufnahme für Hinterlassenschaft des sozialistischen Weltsystems in 1992 um 2,6 Milliarden DM auf 42,7 Milliarden DM. Thüringen und Sachsen sind Zehntausende von Men- Der galoppierenden Verschuldung, die uns bereits in schen, und zwar nicht finanziell, sondern persönlich wenigen Jahren eine gesamte Staatsverschuldung in mit ihrer Gesundheit und womöglich ihrem Leben der Höhe des Bruttosozialprodukts einzubringen betroffen. Es muß schleunigst sichtbar werden — ich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7815

Dr. Ulrich Briefs denke das ist in diesem Zusammenhang auch ein — Beratung der Beschlußempfehlung und Aspekt —, ob und wie diese Bundesregierung mit den des Berichts des Rechtsausschusses Folgen der Atomtechnik und der Atomwirtschaft, die (6. Ausschuß) zu dem Antrag der Abge- wir gleichzeitig auch hier bei uns haben, fertig ordneten Joachim Poß, Hans Gottfried wird. Bernrath, Dr. Ulrich Böhme (Unna), wei- Herr Präsident, ich danke Ihnen. terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- Unterbindung der Geldwäsche zur Be- ren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat kämpfung der organisierten Kriminali- schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa- tät chen 12/2600, 12/2692 und 12/2638 (neu) an die in der — Drucksachen 12/1367, 12/2720 — Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überweisun- Berichterstattung: gen so beschlossen. Abgeordnete Norbert Geis Joachim Hörster Ich rufe den Zusatzpunkt 5 unserer Tagesordnung Dr. Jürgen Meyer (Ulm) auf: Jörg van Essen Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- ZP6 — Zweite und dritte Beratung des vom Bun- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Vermittlungsausschuß) zu dem Vierten Gesetz zes zur Einführung eines Zeugnisverweige- zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche rungsrechts für Beratung in Fragen der Bundesbank (4. BBankGÄndG) Betäubungsmittelabhängigkeit — Drucksachen 12/988, 12/1869, 12/2288, — Drucksache 12/870 — 12/2389, 12/2745 — — Zweite und dritte Beratung des von den Berichterstattung: Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Abgeordneter Dr. Hermann Bachmaier, Hans-Joachim Hak- Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — ker, weiteren Abgeordneten und der Frak- Das ist nicht der Fall. tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt- Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisver- lungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 seiner Ge- weigerungsrechts für Mitarbeiter und Mit- schäftsordnung beschlossen, daß über die Änderung arbeiterinnen anerkannter Beratungsstel- im Deutschen Bundestag gemeinsam abzustimmen len in Suchtfragen ist. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das — Drucksache 12/655 — Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält Beschlußempfehlung und Bericht des sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Vermittlungsausschusses ist angenommen. — Drucksache 12/2738 — Ich rufe Tagesordnungspunkte 10 sowie die Zusatz- Berichterstattung: punkte 6 und 7 auf: Abgeordnete Norbert Geis Dr. Eckhart Pick 10. a) — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines (Erste Beratung 42. Sitzung) Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen ZP7 Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Rauschgifthandels und anderer Erschei- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nungsformen der Organisierten Krimi- Änderung des Betäubungsmittelgesetzes nalität (OrgKG) — Drucksache 12/934 — — Drucksache 12/989 — Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- — Zweite und dritte Beratung des von den schusses für Gesundheit (15. Ausschuß) Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gme- — Drucksache 12/2737 — lin, Hermann Bachmaier, Hans-Joachim Berichterstattung: Hacker, weiteren Abgeordneten und der Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch Fraktion der SPD eingebrachten Ent- (Erste Beratung 42. Sitzung) wurfs eines ... Strafrechtsänderungs- gesetzes — Abschöpfung von Gewin- nen, Geldwäsche — (. . . StrÄndG) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über — Drucksache 12/731 — das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Beschlußempfehlung und Bericht des Straftaten Rechtsausschusses (6. Ausschuß) (Gewinnaufspürungsgesetz — GewAufspG —) — Drucksache 12/2720 — — Drucksache 12/2704 Berichterstattung: —Überweisungsvorschlag: Abgeordnete Norbert Geis Innenausschuß (federführend) Joachim Hörster Rechtsausschuß Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Finanzausschuß Jörg van Essen Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Gesundheit (Erste Beratung 42. Sitzung) Haushaltsausschuß mitbratend und gemäß § 96 GO 7816 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Vizepräsident Hans Klein c) Beratung der Beschlußempfehlung und des von 1965 bis 1991 mehr als verdoppelt, und das bei Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) sinkender Aufklärungsquote. a) zu der Unterrichtung durch die Bundesre- Zweitens: Die Gewaltkriminalität ist etwas stärker gierung Vorschlag für eine Richtlinie des gestiegen als die Gesamtkriminalität, besonders im Rates zur Verhinderung der Nutzung des letzten Berichtsjahr. Finanzsystems zum Zwecke der Geldwä- Drittens: Langfristig ist besonders extrem die sche Rauschgiftkriminalität in die Höhe geschossen, und b) zu der Unterrichtung durch die Bundesre- zwar nach der Häufigkeitsziffer von 2 im Jahr 1965 auf gierung Überprüfter Vorschlag für eine sage und schreibe 180 im Jahr 1991. Was sich an der Richtlinie des Rates zur Verhinderung der Zahl der Rauschgifttoten, die wir alle kennen, und der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke Menge des beschlagnahmten Rauschgifts bereits der Geldwäsche abgezeichnet hat, ist jetzt damit statistisch deutlich — Drucksachen 12/210 Nr. 61, 12/1003 untermauert. Nr. 2, 12/2000 — Das kann nur heißen: Wir sind mehr als aufgerufen, Berichterstattung: das Ansteigen der Kriminalität mit Nachdruck ins Abgeordnete Dr. Renate Hellwig Visier zunehmen. Das betrifft die Massenkriminalität, die Schwerkriminalität und die organisierte Krimina- Zu Tagesordnungspunkt 7 hat die Gruppe Bündnis lität. Dabei kann sich — das ist für Sozialdemokraten 90/GRÜNE einen Entschließungsantrag vorgelegt. wesentlich — unsere Arbeit nicht nur auf die bloße Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Änderung der Strafprozeßordnung und der Strafge- gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. setze sowie die Verbesserung und Stärkung der Poli- Dagegen gibt es keinen Widerspruch. Dann ist so zei beschränken, so notwendig das ist — das ist beschlossen. anerkannt —, sondern ebenso ist in Betracht zu zie- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- hen, was die Verelendung von Bevölkerungsteilen, gen Hans de With das Wort. die steigenden Unterschiede zwischen Arm und Reich, hier und da verbunden mit auffallender Protze- rei, bedeuten; was unzuträgliche Wohngelegenhei- Dr. Hans de With (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ten, fehlende soziale Einbindung und zum Teil unzu- verehrten Damen und Herren! Wer gestern die in reichende Ausstattung von Städten, insbesondere München herausgegebene „Süddeutsche Zeitung" unserer Großstädte, bewirken. aufgeschlagen hat, konnte diese Meldung lesen: „Ma- fiakiller in der Sonnenstraße geschnappt" . Nach (Unruhe) einem Be richt des Innenministers von Nordrhein- — Ich finde es ja ganz nett, wenn sich die Regierungs- Westfalen vom 23. März 1992 — ich zitiere — „wur- bank unterhält und möglicherweise das noch nach- den Aktivitäten der Mafia, Sacra Crona Unita, holt — — 'Ndrangheta, Camorra festgestellt, insbesondere im Ballungsraum Ruhrgebiet". Wir wissen auch von chinesischen Triaden, der Mafia entsprechenden Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege de With, wir Organisationen, in Norddeutschland. Außerdem gab haben hier eine Konferenz an der Regierungsbank, es vor geraumer Zeit eine rein deutsche Gruppierung, wir haben hier hinten eine Konferenz und dort noch die sogar einen Staatsanwalt in einem nördlichen eine. — Ich bitte Sie doch herzlich, Gespräche, die Sie Bundesgebiet eingebunden hatte. führen wollen, außerhalb des Plenarsaals zu führen, Für Schauergemälde bin ich nicht geeignet: Ein und diejenigen, die an der Debatte teilnehmen wol- Schauergemälde scheint auch nicht gerechtfertigt. len, bitte ich, das zu tun. — Danke. Aber wir müssen in aller Nüchternheit zur Kenntnis (Beifall bei der SPD) nehmen, daß die Bundesrepublik nicht nur sogenann- ter Ruheraum von Mitgliedern der „Ehrenwerten Gesellschaften", wie sie sich zum Hohn selbst nennen, Dr. Hans de With (SPD): Ich bedanke mich, Herr war und wohl noch ist, sondern daß organisierte Präsident, wiewohl wir alle wissen, daß in der Tat die Kriminalität auch bei uns schon gewirkt hat und ihr Bundesregierung unter wirklich großem Druck Unwesen treibt. steht. Wer freilich den Bericht der polizeilichen Kriminal- Ich darf fortfahren. Die steigende Kriminalität statistik 1991 im Bulletin der Bundesregierung vom bedeutet ja auch — so wurde es empfunden — Einen- 29. Mai 1992 gelesen hat, wird dort vergeblich nach gung und Beschränkung der persönlichen Bewe- verwertbaren Zahlen zur organisierten Kriminalität gungsspielräume und damit letztlich der Freiheit. Der suchen. Die organisierte Kriminalität läßt sich bisher Wohlhabende mag sich noch eine Zeitlang schützen statistisch noch nicht erfassen. können; der Kleine muß es am ehesten tragen. Falls es Immerhin aber läßt sich bei allen Vorbehalten zutreffen sollte, daß wir heute schon mehr — in gegenüber Statistiken aus jener polizeilichen Statistik Anführungsstrichen gesprochen — private Polizei für die Beurteilung der Kriminalitätsentwicklung an haben als solche vom Staat, wird das nur bestätigt. Schlußfolgerungen folgendes herleiten: Erstens. Die Wir Sozialdemokraten arbeiten an dieser Problema- Kriminalitätsrate steigt bisher unaufhaltbar, sowohl tik, und wir werden in der Sommerpause ein sehr in absoluten Zahlen als auch nach der Häufigkeits- umfängliches Anhörungsverfahren hierzu durchfüh- zahl; letztere ist die auf 100 000 Einwohner entf al- ren und, denke ich, im September/Oktober erste lende Zahl der Straftaten. Beide Zahlen haben sich Zeichen setzen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7817

Dr. Hans de With Im übrigen haben wir schon 1989 einen Gesetzent- Lauschangriffs abgekoppelt, mit dem Ziel, diese Pro- wurf zur Bestrafung der Geldwäsche und zur blematik nach der Verabschiedung dieses Gesetzes Abschöpfung kriminell erworbener Gewinne vorge- sorgfältig und ohne Hast zu prüfen. Das kann nur nach legt, sicher nur ein Teilaspekt, aber ein wesentlicher. der Sommerpause geschehen. Die Bundesregierung hat sich hier allzu lange Zeit Nun kann natürlich gefragt werden: Wieso brau- gelassen, obwohl auch vom Europarat aus deutliche chen „die da" eigentlich so lange, um diese Frage zu Anforderungen vorliegen und die Bundesrepublik so klären? Es geht hier schließlich um die bei weitem ziemlich der letzte bedeutende Staat ist, der hier massivste Form der Kriminalität. Es geht aber auch um Lücken zu schließen hat. Das Gewinnaufspürungsge- ein Grundrecht, um ein sehr gewichtiges, nämlich um setz, das im notwendigen Zusammenhang mit der das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung, Bestrafung der Geldwäsche zu sehen ist, wurde gar so letztlich um das Recht auf ungestörte Privatheit. spät in den Bundestag eingebracht, daß wir heute erst Dieses Grundrecht bündelt sich nicht nur in dem die erste Lesung haben und es deswegen nicht englischen Sprichwort „My home is my castle", son- „schlußberaten" können. Ein Kommentar erübrigt dern es gehört zu den Errungenschaften der Aufklä- sich. rung und der amerikanischen Unabhängigkeitsbewe- Unsere Vorstellungen sind nach den Ausschußbera- gung; ich nenne hier Hamilton und Jefferson. Es geht tungen keineswegs alle erfüllt worden. Das betrifft die letztlich — das ist für viele sicher erstaunlich — zurück Geldwäsche genauso wie das Betäubungsmittelrecht auf Epikur, der zum erstenmal die Wertigkeit des und das Aussageverweigerungsrecht. Wir haben dar- Privatlebens definierte und auch feierte. über hinaus deutliche verfassungsrechtliche Beden- ken gegen die sehr unbestimmte Fassung und die (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Hat der Praktikabilität der Vorschrift über die Vermögen- auch schon mit Wanzen abgehört? — Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ strafe. Dennoch ist das Ganze — ich sage das — Dr. endlich im wirklichen Sinn der Bedeutung des Worts GRÜNE]: Weit hergeholt!) ein Fort-Schritt, zu dem wir, die Länder und die — Die meisten kennen eben leider nur das „Carpe Öffentlichkeit schon lange gedrängt haben. Wir wer- diem" und nicht mehr. den deshalb unsere Änderungsanträge stellen, aber in dritter Lesung zustimmen; beim Betäubungsmittel- Deshalb, denken wir, ist bedachtsam zu verfah- recht werden wir uns allerdings in dritter Lesung der ren. Stimme enthalten. Dazu darf ich — hören Sie zu; es wird jetzt ernst — Nun hat — jetzt kommt für viele der wichtigste den sicher unverdächtigen Eberhard Schmidt zitie- Punkt — in den Medien die Frage Furore gemacht, ob ren, einen der großen Mentoren unseres Strafverfah- wir den sogenannten großen Lauschangriff heute mit rensrechtes. Er sagte 1951: verabschieden werden, das heißt die Möglichkeit der Jede Handhabung von Macht involviert die Mög- Strafverfolger, auch in Privaträumen Gespräche mit lichkeit des Mißbrauchs. Von den kriegerischen Wanzen oder Richtmikrofonen abhören zu können, Auseinandersetzungen der Machthaber abgese- selbst wenn kein verdeckter Ermittler anwesend ist. hen hat der Menschheit nichts soviel Leid, Qual Die meisten unserer Länder können schon heute auf und Tränen verursacht als die in staatlicher Straf- Grund ihrer Polizeiaufgabengesetze zur Gefahrenab- tätigkeit sich verwirklichende staatliche Macht. wehr den großen Lauschangriff praktizieren, und Es ist daher die große Idee des Rechtsstaates, daß zwar in Eilfällen sogar ohne Richter. Merkwürdiger- der Staat sich selbst mißtraut, seine Macht zügelt weise hat die Öffentlichkeit hiervon bisher keine und bindet und den erschütternden Erfahrungen Notiz genommen. Rechnung trägt, die in der Geschichte des Straf- In die heute zu verabschiedenden Bestimmungen rechts mit der Handhabung obrigkeitlicher hatte der Bundesrat nur den sogenannten „kleinen Macht sich eingestellt haben und sich jedem Lauschangriff " aufgenommen, d h. das Abhören mit überwältigend aufdrängen. Wanzen oder Richtmikrofonen in Privaträumen, wenn Bei den Überlegungen zum großen Lauschangriff sich darin ein verdeckter Ermittler aufhält. wird es im Kern — ich sage das in aller Kürze — um Nun ist es offenkundig, daß es bisher noch niemals drei Abwägungen gehen. Erstens. Worin besteht die einem verdeckten Ermittler gelungen ist, in den besondere Gefährlichkeit organisierter Kriminalität? inneren Zirkel der Mafia oder der RAF einzudringen, Zweitens. Ist zur Ermittlung der große Lauschangriff so daß diese im Grunde sicher sein können, von wirklich nötig und vor allem praktikabel? Drittens. Strafermittlern nicht abgehört zu werden. Diese — ich Wenn ja, kann dabei gleichwohl das Recht auf die formuliere es milde — etwas merkwürdige und vom Unverletzlichkeit der Wohnung gesichert werden? normalen Menschen kaum zu verstehende Wirklich- Die Gefährlichkeit der organisierten Kriminalität in keit — das ist die Wirklichkeit — hat den Rechtsaus- ihrer Höchstform zeichnet sich — das läßt sich jetzt schuß dazu gebracht, diese Problematik vertieft zu schon sagen — durch eine Ballung von mehreren erörtern. Kriterien aus, die für sich allein schon schrecken: Sie Weil nun der „große Lauschangriff" nur erlaubt ist auf Dauer angelegt und wird in ihrer Höchstform werden kann, wenn — das ist Gott sei Dank die regelrecht vererbt. Sie beschränkt sich fast nie auf übereinstimmende Meinung des Rechtsausschusses einen Bereich und beinhaltet deshalb Schwer- und — hierzu das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Schwerstkriminalität in vielerlei Formen. Zur Durch- Wohnung geändert würde, hat dieser — wieder über- setzung ihrer Ziele werden Abschreckungskriterien einstimmend — die Beratung des großen und kleinen bis hin zum Mord von vornherein eingeplant. Sie 7818 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Dr. Hans de With versucht, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu unter- gerinnen und Bürger auch Einschränkungen hinneh- wandern. Italien schreckt. men. Nicht der Staat allein kann Verbrechen bekämp- Die Beantwortung der beiden anderen Fragen steht fen, sondern er muß mit der Mithilfe der Bürger noch aus. Die Schlußfolgerung aus all dem wird nur rechnen dürfen, und er muß den Bürgern dann auch nach einer breiten und sorgfältigen Diskussion in der einiges zumuten dürfen, auch einiges an Einschrän- Öffentlichkeit gezogen werden können. Der demo- kungen, die notwendig sind, damit man solche Ver- kratische Rechtsstaat darf nicht wehrlos sein und auch brechen überhaupt bekämpfen kann. nicht wehrlos wirken. Das ist das eine. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf kann deshalb Das andere ist: Ein weiterer Eingriff in den Bereich nur der erste Schritt sein. Niemand kann ernsthaft der Unverletzlichkeit der Wohnung, mag er rechts- glauben, daß die jetzt geschaffenen Instrumente aus- staatlich auch noch so abgesichert sein, stellt eine reichen, den massiven Angriff der Organisierten Kri- gravierende Qualitätsveränderung dar. minalität auf die innere Sicherheit unseres Landes Deswegen soll, kann und darf hier nur mit einem erfolgreich zu bekämpfen. Immerhin aber ist dieser breiten Konsens in der Öffentlichkeit und im Deut- Gesetzentwurf ein Beginn, der nicht geringgeachtet schen Bundestag gehandelt werden. Polemik — ich werden darf. Die Regierung, die Landesjustizministe- sage das nicht ohne Grund — ist dabei nicht am Platze. rien, die Koalition und auch die SPD haben an diesem Auch mit Rücksicht auf unsere letzte Rechtsausschuß Entwurf mitgewirkt, oft mit großen Mühen und in itzung: Parteitaktische Spielchen sollten dabei bitte vielen Einzelgesprächen. schön unterbleiben. Der Gesetzentwurf unterstreicht, wie ich meine, die Vielen Dank. Fähigkeit des Rechtsstaates, gemeinsam Probleme (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ anzugehen und zu lösen. Manche Unkenrufe in der GRÜNE) letzten Zeit wollen uns weismachen, unser Parlamen- tarismus sei den Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr gewachsen. Dieses Gesetz beweist das Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Norbert Gegenteil. Alle verantwortungsbewußten Politiker in Geis, Sie haben das Wort. Bund und Ländern haben nicht nur den Willen, sondern auch die Kraft aufgebracht, neuartige Bedro- Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine hungen unseres Staates mit neuen und wirkungsvol- sehr verehrten Damen und Herren! Es ist allgemeine len Mitteln zu bekämpfen. Die heutige Abstimmung Überzeugung, daß wir einer großen Welle von Gewalt und das Verfahren im Bundesrat werden zeigen, ob und Kriminalität gegenüberstehen. Die Mafia, die und inwieweit sich dieser gute Wille durchsetzen Rauschgifthändler haben im letzten Jahr in Westeu- wird. ropa 200 Milliarden DM umgesetzt. Dealer, Dunkel- Die sollen nicht recht behalten, die propagieren, männer, Kriminelle schließen sich zu Organisationen -s- man müsse erst rechtsradikal wählen, um in unserem zusammen, führen diese Organisationen streng und Land Ordnung zu schaffen und für bessere Sicherheit bezahlen ihre Helfershelfer sehr gut. Sie bringen auf zu sorgen. Allerdings — ich betone es noch einmal —: diese Weise ihr Rauschgift unter die Bevölkerung und Wir dürfen nicht auf halbem Weg stehenbleiben. Die zerstören dabei oft die Persönlichkeit eines Betroffe- Koalition jedenfalls ist fest entschlossen, im Herbst nen bis zum Grund und bringen viel Leid — das über eine gesetzliche Regelung auch des Einsatzes wissen wir — über die Familien, über die Verwandten technischer Mittel in Privatwohnungen zu diskutie- und die Freunde. ren. Der Staat kann vor dieser Kriminalität nicht wegtau- chen. Er darf sich nicht ducken, sondern muß sich mit Ich entnehme Ihren Äußerungen, Herr de With, daß auch Sie bereit sind, diesen Schritt mitzumachen. Wir aller Kraft gegen diese anrollende Welle der Gewalt hatten uns bereits im Rechtsausschuß in einer Ent- und Kriminalität stemmen. Denn das ist seine erste schließung dazu bereit erklärt; wir kennen die Aufgabe: Er muß Sorge dafür tragen, daß im Land Frieden herrscht, daß sich die Menschen in Freiheit Umstände, weshalb es dann nicht gelungen ist, den begegnen, daß sie in Freiheit leben können und daß Entwurf heute hier so vorzulegen, wie wir es ursprünglich geplant haben. ihre Sicherheit gewährleistet ist. Das ist sie nicht, wenn Menschen abends nicht mehr auf die Straße Nun soll man uns, der Koalition, aber bitte nicht gehen können, wenn insgeheim oder offen Kriminali- vorwerfen, Herr de With, wir würden ein parteitakti- tät ausgeübt und Gewalt angewendet wird. Die sches Spielchen machen, weil wir nicht die alte Gewinne, die im Rauschgifthandel gemacht werden, Resolution, sondern eine andere auf den Tisch legen, und die Verlockungen, sich daran zu beteiligen, sind die die Dinge etwas offener gestaltet und nicht — wie hoch. Sie, Herr Ullmann, im Rechtsausschuß gesagt Unser Strafrecht ist auf die Erfassung solcher Ver- haben — nur ein Blatt Papier ist; so ist es auch wieder brechen nicht zugeschnitten. Deshalb müssen wir es nicht. ergänzen. Diese Einsicht ist in allen großen Parteien Dieser heute vorliegende Gesetzentwurf wurde vorhanden. — das muß auch erwähnt werden — von schrillen Allerdings, so meine ich, dürfen wir nicht auf Tönen begleitet. So war in der letzten Woche in einer halbem Weg stehenbleiben. Wir müssen gesetzliche großen Zeitung in dicken Buchstaben zu lesen, das Regelungen schaffen, die Polizei und Staatsanwalt- Gesetz stelle einen brutalen Angriff auf die Privat- schaft in die Lage versetzen, die Verbrechen wirksam sphäre dar. Der Autor malt die Schreckensvision des zu verfolgen. Bei diesem Kampf werden unsere Bür an jeder Ecke stehenden Großen Bruders an die Wand Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7819

Norbert Geis und appelliert mit viel Pathos, wie ich meine, am die Möglichkeit zu eröffnen, technische Mittel dann Schluß eines Artikels an die Bürger: Schützt eure einzusetzen, wenn es um Aufklärung von Straftaten Verfassung! Jawohl, schützen wir unsere Verfassung und um Planung von Straftaten in Privatwohnungen gegen Kriminalität und gegen Gewalt, schützen wir geht. unsere Verfassung aber auch gegen die, die aus Natürlich lebe ich lieber in einem Staat, in dem sich Verblendung und Unvernunft die Gefahr der wach- die Polizei auf Verkehrsregelungen beschränken senden Kriminalität nicht erkennen wollen und nicht kann. Aber jeder von uns weiß doch, daß dies nicht der die richtigen Mittel dafür ergreifen wollen! Fall ist und daß wir — darüber sind wir uns doch In diesem Zusammenhang weisen wir den Vorwurf einig — als Parlament etwas dazu tun und leisten zurück, wir wollten die Bundesrepublik Deutschland müssen, daß die Polizei die Möglichkeit hat, Straftaten in einen Polizeistaat umwandeln. solchen Ausmaßes zu verhindern und zu verfolgen, wie sie jetzt auf uns zukommen und in der Bundesre- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Völlig publik Deutschland bereits vorhanden sind. absurd!) Wir lassen nicht zu, daß unsere Polizei — nur weil sie Wenn dies aber so ist, dann kann es eigentlich doch Verbrechen bekämpft, und zwar in unser aller Auf- nicht richtig sein, daß die Privatsphäre der Wohnung, trag — als Dunkelmänner hingestellt wird. die verfassungsrechtlich geschützt ist und für deren Schutz auch ich nach wie vor eintrete, dazu miß- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind braucht werden darf, Verbrechen zu planen. Unser nicht für den Polizeistaat und nicht für den Schnüffel- Grundgesetz schützt Grundrechte doch nicht, damit staat. Das weiß jeder, und das kann uns auch keiner sie mißbraucht werden, sondern wir müssen die nachreden. Wir sehen in unserer Polizei uneinge- Grundrechte schützen, damit wir sie in Anspruch schränkt den Garanten der inneren Sicherheit und der nehmen können. Diejenigen aber, die in der staatlich Freiheit jedes einzelnen Bürgers. Wir wollen durch geschützten Privatsphäre der Wohnung Verbrechen das vorliegende Gesetz und durch weitere gesetzliche planen, Strategien entwickeln, mißbrauchen dieses Maßnahmen die Arbeit der Polizei stärken. Dies heißt Grundrecht, und für die besteht der Schutz unseres aber nicht Einengung und Beschnüffelung, sondern Grundgesetzes nicht. Das ist jedenfalls meine Auffas- Sicherung der Freiheit und der Entfaltungsmöglich- sung. keit jedes einzelnen Bürgers. Gut, man kann darüber streiten, ob man deswegen Der Kern dieses Gesetzes stellt eine maßvolle Art. 13 des Grundgesetzes ändern muß. Man sollte Erweiterung polizeilicher Ermittlungsmethoden dar. darüber diskutieren und es genau prüfen; aber ich Das gilt für den verdeckten Ermittler, für dessen meine nicht, daß wir dann, wenn es denn notwendig Einsatz wir die rechtlichen Voraussetzungen schaffen sein sollte, Art. 13 des Grundgesetzes zu ändern, wollen. Es ist aber kein Geheimnis, daß meine Frak- davon Abstand nehmen sollten. tion eine Erweiterung dieser Möglichkeit ins Auge gefaßt hatte. Wir waren und sind noch heute der Ich richte meine Bitte ganz ernsthaft an alle Par- Meinung, daß ein verdeckter Ermittler, den wir in ein teien, weil es um vieles geht. Es geht um den Schutz bestimmtes Milieu schicken, damit er Straftaten ver- unserer Bürger, und es geht auch um die Zukunft hindert und aufklärt, sich dann natürlich milieu- vieler unserer Kinder. Denken Sie daran, daß heute gerecht verhalten muß oder daß er — wie ein Sach- schon in den Schulen Rauschgift verteilt wird und daß verständiger bei der Anhörung am 22. Januar 1992 sich die Verbrecherorganisationen der Mafia bei uns gesagt hat — mitspielen kann. im Land eingenistet haben und sie, weil viel Geld dabei verdient werden kann, natürlich versuchen, Wir meinen, daß der Vorwurf, der verdeckte Ermitt- sich überall auszubreiten. Denken Sie daran: Alle ler würde in einem solchen Fall gegen unsere Rechts- Sachverständigen, alle Praktiker sagen — Herr ordnung handeln, falsch ist. Wenn sich der verdeckte Hirsch, auch in der Anhörung vom 22. Januar dieses Ermittler in ein solches Milieu begibt, ohne sich Jahres haben sie es uns gesagt —, daß es dann angleichen zu können, dann soll man ihn erst gar nicht notwendig ist, auch technische Mittel einzusetzen. Da hineinschicken, denn dann ist sein Leben von vorn- muß der Bürger Einschränkungen hinnehmen, von herein gefährdet. denen ich vorhin gesprochen habe. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen bitte ich Sie alle sehr herzlich, daß wir Einem verdeckten Ermittler, der sich auf milieu- mit großem Ernst und mit genau derselben Offenheit, gerechtes Handeln versteht, kann man doch nicht Herr Meyer, mit der wir dieses Gesetz beraten haben, vorwerfen, er würde unsere Rechtsordnung angreifen, auch diesen zweiten wichtigen Schritt im Herbst wenn er doch gerade mit seiner Handlung unsere gemeinsam diskutieren und, wenn es notwendig ist, Rechtsordnung schützen will, zumal er dafür sogar auch eine Zweidrittelmehrheit finden, um eine Ver- sein eigenes Leben einsetzt. Ich meine, daß dieser fassungsänderung durchzusetzen. Vorwurf absurd ist. Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt zu spre- Ich meine auch, daß wir mit dem weiteren Punkt, mit chen kommen, der in der Öffentlichkeit und in der dem wir bei diesem Gesetzentwurf noch nicht durch- Fachwelt diskutiert worden ist, wobei man uns gesagt gedrungen sind, den wir aber erneut debattieren hat, es seien unter Umständen verfassungsrechtliche werden — und das ist die feste Absicht der Koalition, Bedenken vorhanden. Ich meine die Vermögens- und das unterstreicht sie auch mit der Entschließung, strafe. Die Verbrecher finden sich zu großen Organi- die wir heute hier verabschieden wollen —, neben sationen zusammen, um leicht und schnell Geld zu den jetzt bereits vorgesehenen Möglichkeiten auch machen. Das ist die eigentliche Motivation. In der Tat 7820 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Norbert Geis machen sie schnell viel Gewinn und häufen große Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Vermögen an. Wenn wir an diese Vermögen heran- Meine Damen und Herren! Äußerst dürftig ist in dem kämen, würden wir sie an ihrer empfindlichsten Stelle Gesetzentwurf definiert, was organisierte Kriminalität treffen. Wir könnten ihnen nämlich das Vermögen sein soll. Noch weniger präzise ist meines Erachtens nehmen, das sie sich auf diese Weise erworben die Darstellung der Entwicklung dieses Phänomens in haben. der Bundesrepublik. Gearbeitet wird nämlich seit Das wollen wir über die Vermögensstrafe erreichen. Jahren mit Einzelfällen und nicht mit sogenannten Ich meine, dieses Vorgehen wird verfassungsrechtli- organisierten Tätern. chen Überlegungen standhalten. Einer der Gutachter bei der Sachverständigenanhö- rung schlug für den Gesetzentwurf als Alternative die (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Aber nicht Überschrift „Gesetz zur Mitorganisierung der Krimi- auf diese Weise!) nalität" vor. — Herr Meyer, ich weiß, daß Sie anderer Meinung Im Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Krimi- sind. Lassen Sie mich aber meinen Gedanken zu Ende nalität werden gefordert: Rasterfahndung, verdeckte führen; Sie können ja gleich nachher Stellung neh- Ermittler, Video- und Tonbandüberwachung, Zeu- men. genschutz — d. h. Geheimhaltung von Polizeizeugen Ich glaube, daß dies möglich sein muß. Dies ist eine und Akten —, polizeiliche Beobachtung, Ausdehnung ganz exzellente Handhabe, diese Verbrecherorgani- der Beobachtung und Bespitzelung auf sogenannte sationen dort zu treffen, wo es ihnen um das Eigent- Kontakt- und Begleitpersonen sowie weitere Abkehr lichste geht; es geht ihnen ja nur darum, große vom Legalitätsprinzip. Gewinne zu machen. Die Legalisierung dieser Mittel in großem Maßstab (Dr. Hans de With [SPD]: Wir wollen das ja wird die Strafprozeßordnung völlig verändern. Die auch, aber nicht auf diesem bedenklichen Sicherheitsorgane werden die Strafprozesse beherr- Weg!) schen. Zudem wird diese Art von präventiver Polizei- arbeit sich immer weiter von gesetzlich definiertem Wir meinen, daß die Strafe so gestaltet werden Unrecht lösen, dafür aber immer spezialisiertere kann, daß der Richter an das Vermögen herankom- geheime Sonderbereiche der Polizei und der Staats- men kann und daß nicht erst der Beweis erbracht anwaltschaften produzieren. werden muß, daß es sich hier um Gewinne handelt, die aus dieser Straftat hervorgegangen sind. Man kann in In Verbindung mit anderen Gesetzesvorhaben aus vielen Einzelfällen ja gar nicht beweisen, daß das der jüngsten Zeit — Asylverfahrensgesetz, Bundes Geldvermögen, das sich einer angeschafft hat und das grenzschutzaufgaben, Justizentlastungsgesetz und er sich vielleicht irgendwo hat waschen lassen, aus Ratifizierung des Schengener Abkommens — werden Straftaten stammt. Änderungen vorgenommen, die von ihren Auswir- kungen im Alltag her betrachtet die Notstandsgesetze Deswegen wollen wir die Vermögensstrafe. Wir - meines Erachtens weit übertreffen werden. Zur Dis- meinen, daß dies ein gutes und richtiges Instrument position stehen heute schon im innenpolitischen ist. Wir hoffen, daß wir auch mit diesem Instrument in Bereich die Grundgesetzartikel 2, 13, 16, 19 und 24. der Lage sein werden, die Mafia und diese großen kriminellen Organisationen zu bekämpfen. Jedenfalls „Wider besseres Wissen" so der 16. Strafverteidi- nehmen wir ihnen einen wichtigen Teil ihrer Motiva- gertag in einer Resolution — wird behauptet, mit tion. diesen Mitteln könnte es gelingen, an die Spitze krimineller Organisationen zu gelangen und sie von Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen daher „auszutrocknen". Solange der Drogenmarkt Sie mich zum Schluß noch einmal einen Appell an Sie nicht entkriminalisiert wird und solange an der Fiktion richten. Wir werden die Verbrechen in der Bundesre- einer „drogenfreien" Gesellschaft festgehalten wird, publik Deutschland nur dann bekämpfen können, wie es in diesem Haus noch vor wenigen Wochen wenn alle zusammenstehen. Das gilt nicht nur für das diskutiert wurde, werden verdeckte Ermittler mit Parlament, sondern natürlich ebenso für die Regie- ihren nunmehr erweiterten Möglichkeiten Erfolge rung, vor allem aber für die Bevölkerung draußen. vortäuschen und kleine Dealer und Abhängige zu Ich komme zurück auf das Problem des Großen großen Fischen machen. Lauschangriffs, wie es draußen genannt wird, auf den Nirgendwo haben die beschworenen Mittel die Einsatz technischer Mittel in Privatwohnungen. Dies Entwicklung der organisierten Kriminalität verhin- wird im kommenden Herbst der hart umkämpfte Teil dert. Bekannt ist dagegen, daß gerade der verstärkte sein. Wir müssen von unserer Bevölkerung Einschrän- Einsatz verdeckter Ermittler und anderer Geheim- kungen verlangen, damit wir eine wichtige Aufgabe dienstmethoden die Verflechtung staatlicher, wirt- erfüllen können, nämlich dafür Sorge zu tragen, daß schaftlicher und krimineller Bereiche gefördert und die Menschen in unserem Land in Sicherheit und in stabilisiert hat. Das reicht von individueller Korruption Freiheit leben können. und dem Abtauchen der Ermittler bis hin zum Aufbau Ich danke Ihnen. organisierter Strukturen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es muß doch nachdenklich machen, wenn ca. 25 der Menge Kokain, die in der Bundesrepublik insge- samt sichergestellt worden ist, von 1988 bis 1991 in Bayern auf Veranlassung eines V-Mannes und eines Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Ulla verdeckten Ermittlers des Landeskriminalamts einge- Jelpke, Sie haben das Wort. schleust worden sind, wie auf dem Hamburger Straf- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7821

Ulla Jelpke verteidigertag bekannt wurde. So erlebte beispiels- Rechtsstaat, den gerade wir als F.D.P. fördern und weise Hamburg, die Stadt, die sehr früh und sehr wahren wollen, ist in akuter Gefahr, wenn er sich nicht intensiv auf die Entwicklung geheimer Polizeiarbeit mehr gegen eine andere Krake, nämlich das organi- gesetzt hat, Anfang der 80er Jahre prompt seinen sierte Verbrechen, wehren kann. großen Polizeiskandal mit seiner Verflechtung des (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geheimpolizeilichen und kriminellen Milieus. Gegen über 500 Polizeibeamte wurde im übrigen ermittelt. Natürlich ist Deutschland noch nicht Italien; aber Der Versuch, Rasterfahndung, verdeckte Ermittler wir stehen alle in der Verantwortung, daß es nicht und Lauschangriffe an bestimmte Bedingungen und dazu kommt. In unserem südlichen Nachbarland Deliktskataloge zu knüpfen, wird von Kritikern nur erleben wir in eben diesen Tagen, daß der Kampf noch belächelt: Ein Anfangsverdacht läßt sich im gegen die Mafia angesichts ihrer auch politischen Zweifel leicht begründen. Mit dem Bezug auf den Übermacht aussichtslos erscheint. Daß diese Organi- Straftatenkatalog des § 100a der Strafprozeßordnung sation nicht nur eine italienische Erscheinung ist, sind rund 80 Straftatbestände, darunter eine lange konnten Sie vor wenigen Tagen lesen. In einer län- Reihe von Staatsschutzdelikten, einbezogen, Tatbe- derübergreifenden Aktion wurden Mafiosi nicht nur stände, die meines Erachtens keinerlei Bezug zur in Italien, sondern auch in unserer unmittelbaren dürftig definierten organisierten Kriminalität haben. Nähe, in Do rtmund, festgenommen. Die SPD schlägt heute die Konsequenz vor, den Auch an etwas anderes gilt es zu erinnern: Zu dem „großen Lauschangriff" durch Änderung des Grund- zu schützenden liberalen Rechtsstaat gehört auch der gesetzes einzuführen. Rechtsfriede des Bürgers, der in vielfältiger Weise (Dr. Hans de With [SPD]: Sie haben nicht Opfer organisierter Kriminalität ist. Wir Juristen den- zugehört! — Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: ken viel zu wenig an ihn, sondern vorzugsweise an Sie haben noch nicht einmal richtig Zeitung den Täter, mit dem wir uns als Verteidiger, Staatsan- gelesen!) walt oder Richter sehr viel intensiver beschäftigen Die Logik ist vom Feinsten: Weil Telefonüberwachung müssen. Auch das Gefühl, als Opfer nicht ernstgenom- immer häufiger und erfolgloser praktiziert wird, muß men zu werden, trägt zu der verbreiteten Unzufrie- der Einschnitt in die Grundrechte her. Das mindeste, denheit bei den von uns Vertretenen bei, die wir alle was die SPD mit ihrem Vorstoß erreicht hat, ist, daß ein im Augenblick besonders spüren. Die Bürger erwar- Teil dieses Hauses das vorliegende Gesetz mit dem ten von der Politik zu Recht glaubwürdige Antwor- Gefühl verabschieden wird, etwas Schlimmeres zu ten. verhindern. Das Gegenteil ist meiner Meinung nach Der Gesetzentwurf gibt der Justiz, der erfreulich der Fall. unabhängigen dritten Gewalt in diesem Staat, not- Nicht zu Unrecht fragt der Hamburger Rechtsan- wendige und erfolgversprechende Mittel in die Hand, walt Strate angesichts der Legalisierung dieser ufer- um die organisierte Kriminalität, hier insbesondere - losen Überwachungsversuche — — die Betäubungsmittelkriminalität, besser und auf einer sicheren Rechtsgrundlage zu bekämpfen. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, Sie sind An die Spitze stelle ich hier aus gutem Grund die ein großes Stück über Ihre Redezeit hinaus. besseren Möglichkeiten der Abschöpfung kriminel- ler Gewinne. Hier bietet das zu verabschiedende Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): — ich komme zum Gesetz den Gerichten gleich zwei neue Möglichkeiten letzten Satz —, ob die Zukunft der BRD möglicher- an: die Vermögensstrafe und den erweiterten Verfall. weise die Vergangenheit der DDR sei. Natürlich übersehe ich nicht, daß verfassungsrechtli- che Bedenken gegen die Danke. Vermögensstrafe laut geworden sind. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) (Dr. Hans de With [SPD]: Teilen Sie sie?) Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen Aber es kann beachtlich begründet werden, daß Jörg van Essen das Wort. weder der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 des Grundgesetzes noch das Schuldprinzip verletzt wor- Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Präsident! Meine den sind. Mir ist vor allem ein Argument in diesem Damen und Herren! Die F.D.P. sagt ja zu dem heute zu Zusammenhang besonders wichtig. Die organisierte verabschiedenden Gesetz, das eine bessere Bekämp- Kriminalität arbeitet gerade mit nach außen hin lega- fung der organisierten Kriminalität ermöglichen soll. len Unternehmen. Angesichts der legalen Einkünfte Gerade Liberalen fällt es schwer, dem Staat mehr ist es außerordentlich schwierig, zu unterscheiden, ob Kompetenz einzuräumen. Die Angst vor dem Orwell Gegenstände durch eine rechtswidrige Tat oder aus schen Großen Bruder ist auch nach den Erfahrungen ihr erlangt worden sind, wie es der erweiterte Verfall mit der übermächtigen Krake Stasi groß. voraussetzt. Ich bejahe deshalb den Versuch zur Einführung einer Vermögensstrafe. Der erweiterte Besonders im Bereich des Strafrechts und des Straf- Verfall, den ich soeben erwähnt habe, ist eine gute prozeßrechts gilt das liberale Credo: sowenig Staat und notwendige Ergänzung. Auch hier ist es nach wie möglich. Wir ringen heftig; aber wir sind nach meiner Auffassung gelungen, die Grenzen des verfas- sorgfältiger Beratung und Abwägung auch bereit, den sungsrechtlich Zulässigen einzuhalten. Staat dort zu stärken, wo es notwendig ist. Wir lassen uns dabei von der anderen Seite der liberalen Schließlich gehört in dieses Paket zu Recht der Medaille leiten, die „So viel Staat wie nötig" heißt. Der Tatbestand der Geldwäsche. Hier hat es Diskussionen 7822 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Jörg van Essen darüber gegeben, ob nur die leichtfertige, im allge- ausgesetzt und üben ihren Beruf, wie kürzlich ein meinen Sprachgebrauch also die grob fahrlässige Mord in Mannheim gezeigt hat, unter hoher Lebens- oder die fahrlässige Unkenntnis der illegalen Her- gefahr aus. Gerade daher sind wir in der Politik kunft unter Strafe gestellt werden soll. Wir befinden verpflichtet, alles ihrer Fürsorge Dienende zu tun. uns da in einem eindeutigen Zielkonflikt zwischen einer effizienten Strafverfolgung und der Sicherheit Eben deshalb habe ich mich dagegen ausgespro- des allgemeinen Geschäftsverkehrs. Ich meine, daß chen, bestimmte Straftaten von verdeckten Ermittlern wir einen ordentlichen Kompromiß eingegangen sind, im Gesetz straffrei zu stellen. Durch das grundsätzli- und teile nicht die Kritik der SPD, der Straftatbestand che Verbot von Straftraten besteht für den verdeckten sei zu wenig effizient. Ermittler in seinem eigenen Interesse eine gewichtige Hürde, so daß er sich nur in den Fällen, in denen eine Diese Geldwäsche muß eine notwendige Ergän- Straftat unumgänglich und zu rechtfertigen ist, dazu zung im Gewinnaufspürungsgesetz finden, das wir entschließt. heute ebenfalls in erster Beratung behandeln. Hier wird man selbstverständlich über die eine oder andere Es hilft dem verdeckten Ermittler nicht, wenn wir Grenze diskutieren können. Ich bin jedoch der Auf- der organisierten Kriminalität durch einen Katalog die fassung, daß der vorgelegte Vorschlag eine brauch- Möglichkeit geben, etwaige Nagelproben dann eben bare Grundlage für die Diskussion im Rechtsausschuß höher als den Katalog anzusetzen. Er kann ohne ist. Eines ist klar: Wir stehen auch bei diesen Beratun- Regelung, Herr Kollege Geis, vielleicht viel besser so gen unter Zeitdruck. Denn die Bestimmungen des mitschwimmen, wie Sie es gewünscht haben. Gewinnaufspürungsgesetzes sind eine notwendige Anregungen der Anhörung haben wir aufgegriffen, Ergänzung zum Tatbestand der Geldwäsche. indem wir die für die Rasterfahndung und den ver- Bereits in der ersten Beratung habe ich auf die deckten Ermittler vorgesehenen Kataloge general- Notwendigkeit eines verbesserten Zeugenschutzes klauselartig erfaßt und weitgehend angeglichen hingewiesen. Wir als F.D.P. haben uns gegen Vorstel- haben. lungen gewandt, Vernehmungen durch einen beauf- Schließlich möchte ich noch über einen Punkt tragten Richter ohne Anwesenheit der Verteidigung sprechen. Einer alten Forderung der Liberalen ist in und der Staatsanwaltschaft zu ermöglichen. Gerade diesem Paket erfreulicherweise ebenfalls entsprochen das persönliche Erleben eines Zeugen ist wichtig, da worden, nämlich dem Zeugnisverweigerungsrecht jeder, der selber einmal in der forensischen Praxis für Drogenberater. Dies wird die wichtige Aufgabe tätig war, weiß, wie häufig der persönliche Eindruck der Drogenberatung stärken. eines Zeugen von seiner schriftlichen, von einem Polizeibeamten verfaßten Aussage abweicht. Es würde sich lohnen, noch auf das eine oder andere näher einzugehen. Lassen Sie mich aber einige Worte Es gehört für mich zu den unverzichtbaren Grund- zu der Entschließung sagen. Liberale wünschen den sätzen des Strafverfahrens, daß der Verteidiger, aber Austausch von Argumenten, das Ringen um die beste auch der Staatsanwalt die Möglichkeit haben müssen, Lösung. einem Zeugen auf den Zahn zu fühlen. Mit der jetzigen Regelung des § 68 StPO sind ein wirksamer (Dr. Hans de With [SPD]: Wer hat den Antrag Zeugenschutz, aber auch eine rechtsstaatliche Vertei- eingebracht?) digung möglich. Ich erhoffe mir davon zusätzlich, daß die Zahl der Sperrerklärungen, die in der Vergangen- Die Diskussion in den vergangenen Tagen und heit oft zum Schutz von Zeugen notwendig waren, Wochen über den Einsatz technischer Mittel in Woh- zurückgeht. Dies dient ebenfalls der Rechtsstaatlich- nungen haben gezeigt, daß die Abwägung zwischen keit der Verfahren. dem Grundrecht auf Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung, dem möglichen Eindringen in die engste Wir als Liberale sagen auch ja zur Rasterfahndung und privateste Sphäre des Bürgers auf der einen Seite und zum Einsatz verdeckter Ermittler, wie sie nun und dem notwendigen Überführen der abgeschotte- beschlossen werden sollen. ten Spitzenetagen der organisierten Kriminalität auf Die Rasterfahndung ist ein modernes Fahndungs- der anderen Seite sehr schwierig ist. hilfsmittel, das eine gute und — für uns wichtig — Wir als Liberale bekräftigen erneut, daß wir eine auch dem Datenschutz gerecht werdende rechtliche offene und sachliche Diskussion führen werden, wie Grundlage hat. sie auch der Entschließungsantrag des Bundestags Auch den verdeckten Ermittler bejahen wir, weil er von allen fordert. Ich werde in diese Beratung meine eine Möglichkeit ist, in den inneren Kreis der organi- Position einbringen — es ist kein Geheimnis, ich bin sierten Kriminalität besser einzudringen. für den Einsatz von technischen Mitteln in Wohnun- gen unter hohen rechtsstaatlichen Hürden —, die ich Der verdeckte Ermittler — das sei nicht verschwie- im Rechtsausschuß bereits vertreten habe. gen — ist ein schwieriges Instrument. Ein Polizeibe- amter unterliegt dem Legalitätsprinzip und hat Straf- (Beifall des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]) taten grundsätzlich sofort zu verfolgen. Hier hat er das Gerade weil die Gegenmeinung beachtliche Argu- Gegenteil seiner normalen Aufgabe. Er soll im krimi- mente vorzubringen hat, freue ich mich auf die nellen Strom mitschwimmen und erst danach dem Diskussion. Diese muß auch geführt werden, um zu Legalitätsprinzip zum Erfolg verhelfen. klären, ob überhaupt die Notwendigkeit einer solchen Die Beamten, die im Regelfall dem gehobenen Regelung besteht oder wie sie ausgestattet werden Dienst angehören, sind vielfältigen Anfechtungen könnte. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7823

Jörg van Essen Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. glaubwürdig bekämpfen will, muß das nach unserer (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Rechtsüberzeugung ohne Ansehen der Person tun. (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt Ich erteile dem Kollegen Vizepräsident Hans Klein: verschieben Sie aber die Gewichte, Herr Jürgen Meyer das Wort. Meyer!) Im krassen Gegensatz zu ihrem Einknicken vor den Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Präsident! Wünschen des Kreditgewerbes Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorlie- gende Gesetzentwurf ist ein Dokument der gemeinsa- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) men Überzeugung aller Bundestagsfraktionen, daß läßt die Bundesregierung gegenüber den sogenann- die organisierte Kriminalität zu einer Herausforde- ten gemeinen Kriminellen gelegentlich rechtsstaatli- rung und Bedrohung für Staat und Gesellschaft ches Augenmaß vermissen und nimmt dadurch erheb- geworden ist. Internationale Drogen- und Waffen- liche verfassungsrechtliche Risiken in Kauf. händler, grenzüberschreitend operierende Einbre- cherbanden und Menschenhändler erzielen weltweit (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist reine Pole mik, was Sie da machen! — Gegenruf der Gewinne von jährlich weit mehr als 500 Milliarden DM. Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Wahrheit!) Nach einer kriminologischen Untersuchung des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches Damit bin ich bei den im Gesetzentwurf vorgesehe- und internationales Strafrecht liegen die Gewinne aus nen neuen Sanktionen, dem größten Schwachpunkt dem Heroinhandel allein in der Bundesrepublik bei des gesamten Entwurfs. Der heute ebenfalls zur jährlich etwa 1,5 Milliarden DM. Diese Gewinne müs- Abstimmung stehende Gegenentwurf der SPD — sen gewaschen werden, denn ohne Geldwäsche ist die (Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum sind Sie organisierte Kriminalität bekanntlich nicht existenz- gegen die Vermögensstrafe?) fähig. — nur Geduld, ich komme gleich dazu —, will der Es ist ein trauriges Ergebnis der jahrelangen Untä- Forderung „Verbrechen dürfen sich nicht lohnen" tigkeit dieser Bundesregierung, daß unser Land durch eine neue, obligatorische Nebenstrafe Rech- inzwischen zum westeuropäischen Dorado für Geld- nung tragen. Danach wäre der Täter, der sich durch wäscher geworden ist. seine Verbrechen unrechtmäßig bereichert hat, zur Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits im Oktober Zahlung eines dem Wert des Erlangten entsprechen- 1989 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Strafbar- den Geldbetrages zu verurteilen. keit auch der fahrlässigen vorsah. Heute, Geldwäsche Zu unserer Überraschung halten aber Bundesregie- mehr als zweieinhalb Jahre später, liegt uns nun ein - rung und Regierungskoalition trotz zwischenzeitli- von der Bundesregierung unterstützter Entwurf des cher gegenteiliger Signale auch nach der Sachver- Bundesrates vor, der die schwarzen Schafe des Kre- ständigenanhörung an der sogenannten Vermögens- ditgewerbes, auf deren Hilfe die organisierte Krimina- strafe fest, lität angewiesen ist, unangemessen schont und Geld- wäsche nur bei Vorsatz oder Leichtfertigkeit, nicht (Norbert Geis [CDU/CSU]: Weil wir an das aber bei einfacher Fahrlässigkeit mit Strafe bedroht. Geld der Kriminellen wollen, Herr Meyer!) Dieser Vorgang ist der Beweis für ein doppeltes die von allen Kommentatoren des Strafgesetzbuches, Versagen der Bundesregierung im Kampf gegen die die sich bisher dazu geäußert haben, für verfassungs- organisierte Kriminalität. widrig gehalten wird. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Denken Sie doch (Norbert Geis [CDU/CSU]: Es gibt auch bitte an Ihren eigenen Vorschlag!) andere Stimmen, Herr Meyer!) Erstens hat sie sich in dieser Legislaturperiode noch nicht einmal dazu aufraffen können, einen eigenen Diese Auffassung beruht u. a. darauf, daß die Vermö- Gesetzentwurf vorzulegen. Auch die Regierungsko- gensstrafe, die nach einem auch Eingeweihten bisher alition, verehrter Kollege Geis, hat nichts vorgelegt. völlig unbekannten Maßstab das gesamte Täterver- mögen erfassen kann, erklärtermaßen auch dann (Beifall bei der SPD — Norbert Geis [CDU/ verhängt werden soll, wenn der Verurteilte den völlig CSU]: Wir haben doch weitere Vorschläge legalen Erwerb seines Vermögens nachweisen gemacht!) kann. Der einzige Entwurf aus dem Bundestag stammt von (Norbert Geis [CDU/CSU]: Also wollen wir der SPD, und wir freuen uns, daß unser Entwurf sich doch ans Geld der Täter!) wenigstens teilweise im Rechtsausschuß durchsetzen konnte. Den Verfechtern der Vermögensstrafe, verehrter Kol- Zweitens haben insbesondere die Beratung der lege Geis, ist offenbar entgangen, daß diese in der Strafbarkeit der Geldwäsche und auch der heute zur NS-Zeit gegen angebliche Hoch- und Landesverräter ersten Beratung vorliegende Entwurf eines Gewinn- verhängt werden konnte und wegen offensichtlichen aufspürungsgesetzes deutlich gemacht, daß die Bun- Mißbrauchs im Jahre 1946 durch das Kontrollratsge- desregierung davor zurückschreckt, entschlossen setz Nr. 11 abgeschafft worden ist. gegen die kriminellen Helfershelfer mit den weißen (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ein völlig Kragen vorzugehen. Wer die organisierte Kriminalität deplaziertes Beispiel!) 7824 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Aber: Wer nach der Devise „Augen zu und durch" Will die Bundesregierung künftig auch in anderen handelt, der übersieht auch, daß viele Staaten des Fällen die Normadressaten befragen, wie sie es denn Europarates bereits angekündigt haben — das sind ja gern hätten? Eine solche Regierung muß sich dann wohl Rechtsstaaten —, uns keine Rechtshilfe bei der doch fragen lassen, ob sie es nicht vorzieht, auf das Durchsetzung der Vermögensstrafe, die sie für rechts Regieren ganz zu verzichten. staatswidrig halten, zu gewähren. Die grenzüber- schreitende Kriminalität kann aber nach unserer (Zurufe von der SPD: Das tut sie doch!) Überzeugung nur durch internationale Zusammenar- Ich komme zum prozeßrechtlichen Teil des Gesetz- beit — auch bei den dringend erforderlichen Gewinn- entwurfs. Hier will ich zunächst unserer Freude dar- abschöpfungsmaßnahmen — wirksam bekämpft wer- über Ausdruck geben, daß der Rechtsausschuß unse- den. ren Vorschlag einer effektiven Beschlagnahmerege- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ lung befolgt und insoweit den SPD-Entwurf angenom- GRÜNE sowie bei Abgeordneten der men hat. F.D.P.) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das stand ja Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken sind schon vorher drin, Herr Meyer!) bei der Sachverständigenanhörung auch gegen den Es ist von großer praktischer Bedeutung, daß sich erweiterten Verfall geltend gemacht worden. Dieser die internationalen Drogen- und Waffenhändler künf- setzt immerhin voraus, daß es Anhaltspunkte gibt tig nicht mehr, wenn sie von einem gegen sie laufen- bzw. Umstände die Annahme rechtfertigen, daß die den Verfahren Wind bekommen, mit ihrem Vermögen betreffenden Gegenstände deliktischen Ursprungs über die Grenze absetzen, sich so dem Strafverfahren sind. Auch hier wird das Bundesverfassungsgericht entziehen und ihr Kapital auf der anderen Seite der das letzte Wort haben. Grenze weiter für ihr kriminelles Tun einsetzen kön- Die bereits erwähnte weiche Linie von Bundesre- nen. Dem wird durch die Aufnahme typischer Tatbe- gierung und Regierungskoalition stände der organisierten Kriminalität in die geltende (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das müssen Sie Strafprozeßordnung — § 443 — ein Riegel vorgescho- uns gerade vorwerfen! Das ist wirklich ein ben. Allerdings ist die vorläufige Beschlagnahme des Hohn!) Vermögens für den Zweck der Verfahrenssicherung erst dann möglich, wenn wegen der im Gesetz aufge- bei Einführung des Straftatbestandes der Geldwäsche führten Straftaten Anklage erhoben worden oder, was setzt sich bei dem vom Bundesinnenminister vorge- praktisch bedeutsamer sein wird, Haftbefehl ergan- legten und heute in erster Beratung zu behandelnden gen ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist Entwurf eines Gewinnaufspürungsgesetzes fort. dadurch gewahrt, daß die vorläufige Beschlagnahme Es ist zwar ausdrücklich anzuerkennen, daß es auf einzelne Vermögensgegenstände beschränkt werden kann. künftig eine Meldepflicht, insbesondere der- Kreditin- stitute bei größeren Kapitalbewegungen, und auch (Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Meyer, das eine Anzeigepflicht in Verdachtsfällen geben soll. ist Ihr Steckenpferd, das bringt aber nichts! Aber warum sollen diese Pflichten nicht strafbewehrt, Das können Sie in der Uni sagen!) sondern nur bußgeldbewehrt sein? Warum sollen Verstöße nur nach dem Opportunitätsprinzip verfolgt Zu begrüßen ist auch, daß der Einsatz verdeckter werden können? Wieso genügt auch hier für die Ermittler nunmehr gesetzlich geregelt wird. Dadurch Sanktionierung nicht einfache Fahrlässigkeit? Und wird eine seit langem existierende Grauzone in das warum schließlich wird die einschlägige EG-Richtli- Licht parlamentarischer Diskussion gebracht und nie nicht beachtet, wonach die Meldepflicht bereits rechtsstaatlichen Regeln unterworfen, eine Aufgabe, bei Einzahlung von 15 000 ECU gelten soll? die uns auch in anderen Bereichen der Strafprozeß- ordnung — wozu mein Kollege Hans de With gespro- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Bei den anderen chen hat — noch bevorsteht. Ländern ist dies nicht anders, Herr Meyer! Das wissen Sie doch!) (V o r s i t z: Vizepräsidentin ) Ein Vertreter der Bundesregierung hat im Rechtsaus- Die SPD hat sich dafür eingesetzt, den Anwendungs- schuß allen Ernstes erklärt, man müsse bei der Geld- bereich des seit langem praktizierten Instruments wäsche und dem Gewinnaufspürungsgesetz auch auf verdeckter Ermittler auf schwere Straftaten zu die Akzeptanz der neuen Gesetze beim Kreditge- beschränken. werbe achten. Das ist nun allerdings eine ganz neue Art der Kriminalpolitik. Vor allem aber sind derartige Aktionen unter einen strengen Richtervorbehalt zu stellen. Die Landespoli- (Beifall bei der SPD) zeigesetze tragen dem nach unserer Auffassung für Immerhin geht es hier um die Existenzgrundlage der den Bereich der Gefahrenabwehr nicht immer ausrei- organisierten Kriminalität, die nur durch die Hilfestel- chend Rechnung. lung seitens der schwarzen Schafe eines ansonsten Was die bundesrechtliche Regelung angeht, halten ehrbaren Gewerbes gesichert werden kann. wir es für unakzeptabel, daß bei Gefahr im Verzuge (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Banken für den Einsatz verdeckter Ermittler zur Verbrechens- sind denen wichtiger als unsere Kinder! — aufklärung sogar auf das Erfordernis der Zustimmung Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/ der Staatsanwaltschaft verzichtet werden soll. Damit CSU]: Das müssen gerade Sie sagen!) nähern wir uns bedenklich der von mir seit vielen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7825

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jahren kritisierten Praxis, die dem Leitgedanken Deswegen ist das Ergebnis für Sie zwangsläufig „jedem Schupo seinen V-Mann" entspricht. Stimmenthaltung, meine Damen und Herren. Dem Erfreulicherweise hat der Rechtsausschuß dem vor können wir nicht zustimmen, daß die Verbrechensbe- allem aus Bayern und Baden-Württemberg an ihn kämpfung — — herangetragenen Ansinnen widerstanden, milieube- (Dr. Hans de With [SPD]: Wir stimmen doch dingte Straftaten verdeckter Ermittler gesetzlich zu! Das tun Sie doch auch! Beide Ohren zuzulassen. öffnen! — Gegenrufe von der CDU/CSU) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das war ein Feh Meine Damen und Herren — — ler, Herr Meyer!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir bedauern, Die SPD lehnt dieses aus grundsätzlichen und aus daß Sie sich der Stimme enthalten!) praktischen Erwägungen ab. — Das bedauern wir. Das ist das Ergebnis Ihrer (Beifall bei der SPD) Betrachtungen! Das führt zu Handlungsunfähigkeit. Deswegen vertreten wir eine andere Meinung! Der Staat, der seine Beamten Straftaten begehen läßt, hört auf, ein Rechtsstaat zu sein, und er beschädigt (Beifall bei der CDU/CSU) selbst, was er zu schützen versucht. Meine Damen und Herren, die Zahlen, die einfa- chen Zahlen, erschüttern. Wir haben 1975 195 Im übrigen würde der Gesetzgeber, der die den Dro- zu beklagen gehabt. 1989 waren es bereits verdeckten Ermittlern gestatteten Straftaten aufli- gentote 1 000; im vergangenen Jahr sind es mehr als 2 000 stet, gewesen. Ich meine, dies sind grausame Fakten, und (Norbert Geis [CDU/CSU]: In anderen Län dies zeigt, daß wir Abwehrmaßnahmen brauchen, die dern haben wir das!) immer dringender werden. den einschlägigen Kreisen explizit mitteilen, welche Meine Damen und Herren, es ist vorhin der Bereich Art von Mutprobe sie dem neuen „Kollegen" abver- des Gewinnaufspürungsgesetzes angesprochen wor- langen müssen, um ihn sicher zu enttarnen. den. Ich komme zur abschließenden Bewertung des Gesetzentwurfes. Er enthält, wie dargelegt, viel Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Mar- Schatten, aber auch viel Licht. Im Rechtsausschuß schewski, würden Sie eine Zwischenfrage gestat- haben wir uns deshalb der Stimme enthalten. Wir ten? wollen unsere Ablehnung der verfassungsrechtlich bedenklichen neuen Sanktionen in zweiter Lesung (CDU/CSU): Sehr gern, Frau noch einmal deutlich machen. Erwin Marschewski Präsidentin. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie wollen sich vor der Verantwortung drücken! Das ist es!) - Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wunderbar. Dann sind wir wieder einig. — Herr Kollege. Soweit wir in dritter Lesung dem Gesetzentwurf zustimmen, wollen wir damit ein Signal setzen, daß der Kampf gegen die organisierte Kriminalität eine Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Kollege Mar- gemeinsame Aufgabe aller demokratischen Parteien schewski, ist Ihnen entgangen, daß ich, ebenso wie ist. mein Kollege Hans de With, angekündigt habe, daß die SPD-Fraktion bei der zweiten Lesung des Ent- Ich danke Ihnen! wurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der organisier- (Beifall bei der SPD) ten Kriminalität einzelnen Teilen, und zwar dem Art. 1, der die neuen, verfassungsrechtlich bedenkli- chen Sanktionen enthält, nicht zustimmen wird, aber Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat das Wort in der dritten Lesung auf Grund einer Gesamtabwä- der Kollege Erwin Marschewski. gung, auch als ein Signal, das wir setzen wollen, diesem Gesetzentwurf zustimmen wird? Ist Ihnen das entgangen? Erwin Marschewski (CDU/CSU): Frau Präsidentin! (Norbert Geis [CDU/CSU]: Was soll dann Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehr- dieser Schaukampf? Was ist denn das für ein ter Herr Kollege Professor Meyer! Kriminalitätsbe- Irrsinn?) kämpfung sollte gemeinsame Aufgabe aller Demo- kraten sein. Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Kollege (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) Meyer, in einer Abstimmung enthalten Sie sich, in der Vorwürfe gegen die Union, die maßgeblich dieses zweiten Abstimmung stellen Sie eine Menge Ände- Gesetz gestaltet hat, sind unbegründet; denn diese rungsanträge, in der dritten bekommen Sie ein ganz Vorwürfe trennen und teilen. Sie bringen nichts schlechtes Gewissen und stimmen dann zu. zusammen. Das ist der Vorwurf gegen Sie. (Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!) Ein zweites: Kriminalitätsbekämpfung ist nicht aus- Ich freue mich darüber. Aber das ist der Fakt, das ist schließlich ein Feld intellektueller Betrachtungen. Es das Ergebnis ihrer intellektuellen Spielereien, die Sie geht darum, Verbrechen tatsächlich zu bekämpfen. da betreiben. (Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 7826 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Erwin Marschewski Es geht darum, meine Damen und Herren, Verbre- Erwin Marschewski (CDU/CSU): Frau Kollegin, chen zu bekämpfen und nicht das zu tun, was Sie hier dies ist, zum dritten Mal gesagt, ein sehr, sehr schlim- machen. mer Satz. Ein Wort, meine Damen und Herren, zum Bereich Zum zweiten: Dieses Parlament hat eine Funktion, des Gewinnaufspürungsgesetzes: Da sagt die Kolle- und wir werden — ich wiederhole das — in diesem gin Matthäus-Maier — man muß sich das einmal Parlament über diese Beträge reden. Deswegen dis- vorstellen! —, Banken seien der Union wichtiger als kutieren wir doch darüber; das ist keine Frage. Ich Kinder. meine, daß das, was in den Vereinigten Staaten (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau das! — geschieht, was in Frankreich, in Italien passiert, Zuruf von der SPD: So ist es!) durchaus Beispiel sein kann. Sehr geehrte Frau Kollegin, wenn Sie damit den (Zuruf von der SPD: Na also! Dann machen Betrag von 50 000 DM meinen, falls Sie überhaupt wir es doch!) Kenntnis haben von dem von uns eingebrachten Aber, meine Damen und Herren, das kann doch nicht Gewinnaufspürungsgesetz, sage ich Ihnen: Wir als zu diesem Satz berechtigen, den Sie vorhin geprägt Union sind bereit, über diesen Betrag zu reden. Das ist haben. Dies paßt nicht in diese Debatte. keine Frage. Darüber muß man reden, darüber muß man nachdenken. Aber das führt doch nicht zu der (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Schlußfolgerung, die Sie gerade gezogen haben. Üble Machart!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Doch! Genau Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will das!) mich insbesondere dem Bereich der polizeilichen Maßnahmen widmen, weil der Innenbereich dafür Diese Äußerung gegenüber der Union — ich wieder- eher zuständig ist. Ich meine die Bereiche „verdeckter hole sie —, Banken seien der Union wichtiger als Ermittler" und „Rasterfahndung". Ich begrüße es, daß Kinder, wir in beiden Bereichen den Katalog entsprechend (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ungeheu ausgedehnt haben. Das ist doch ein typisches Beispiel, erlich! Das ist eine Unverschämtheit! — Herr Kollege Johannes Singer, daß dieses Parlament Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämtheit! in der Lage ist, wenn es sich aus der Anhörung ergibt, Eine Frechheit ist das!) Notwendigkeiten zu vollziehen. Das war eine gute würde ich zurückgeben und sagen, Frau Kollegin Leistung: Erweiterung des Katalogs hinsichtlich des Matthäus-Maier: Dies paßt in die Zeit vor Godes- verdeckten Ermittlers berg. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wollten wir ja (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: immer! Sie von der SPD haben nicht mitge Das zeigt eine bestimmte Mentalität!) macht!) und Erweiterung des Katalogs bezüglich der Nur waren Sie damals noch kein Mitglied- der Raster- ehrenwerten Sozialdemokratischen Partei. Das ist das fahndung. Problem dabei, Frau Kollegin. Ein weiterer Punkt, meine Damen und Herren, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Da ist ein Ord neben diesen beiden sehr gut geregelten Punkten, nungsruf fällig! — Uwe Lambinus [SPD]: Bei der, so meine ich, angesprochen werden muß, ist der Ihnen ist öfter einer fällig, Herr Geis!) sogenannte Lauschangriff. Meine Damen und Her- ren, dieser Begriff ist falsch. Es geht nicht darum, daß Ich komme zur Sache zurück, zum Thema Krimina- die Polizei in die Rechte unbescholtener Bürger ein- lisierung in der Bevölkerung. greift. Genau das Gegenteil ist der Fall. Den Ermitt- lungsbehörden sollen die Mittel in die Hand gegeben werden, den in den kriminellen Aktivitäten von Straf- Herr Kollege, Vizepräsidentin Renate Schmidt: tätern liegenden Angriff auf Leben, Freiheit, Leib und gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Eigentum unserer Bürger abzuwehren. (Zuruf des Abg. Dr. Burkhard Hirsch Erwin Marschewski (CDU/CSU): Bitte schön. [F.D.P.]) — Nein, Herr Kollege Hirsch — ich sage dies noch einmal —: Es geht nicht darum, anständige, normale, Ingrid Matthäus - Maier (SPD): Herr Marschewski, vernünftige Bürger abzuhören. Es geht um das Abhö- wollen Sie mir zustimmen, daß die Grenzen, ab denen ren von Verbrechern. Es geht um das Verhindern von Identifizierungspflichten eintreten, z. B. in den USA Straftaten. Es geht um die Ergreifung von Verbre- deutlich geringer sind als bei uns, daß sie mit aus- chern. Das ist der Punkt, meine Damen und Herren. drücklicher Rücksicht auf die Kreditinstitute unsere Grenzen nicht auf den niedrigen Satz wie in den USA (Uwe Lambinus [SPD]: Was hat das mit absenken und daß daher, weil der Kern der Bekämp- Verbrechern zu tun? Schön sauber bleiben fung der organisierten Kriminalität und der Schutz bei der Argumentation!) unserer Kinder etwas mit der Bekämpfung der Dro- — Melden Sie sich doch einmal zu Wort. Ich bin bereit, gengeldwäsche zu tun hat, mein Zwischenruf „Ban- auf Ihre Frage zu antworten. ken sind Ihnen wichtiger als Kinder" sehr wohl seine Es kann nicht richtig sein, Straftätern Freiräume für Berechtigung hat? ihr verwerfliches Tun zu bieten. Zur Beschränkung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Abwehrmöglichkeit besteht auch auf dem Hinter- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7827

Erwin Marschewski grund der Länderpolizeigesetze keine Veranlassung. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Sie haben aber Es ist doch eigentlich widersprüchlich, im Bereich der nicht mehr viel Zeit, Herr Kollege. Prävention die Möglichkeit des Abhörens zu geben, im Bereich der Verbrechensverfolgung, der Repres- Erwin Marschewski (CDU/CSU): Das liegt nicht an sion, dies nicht zu tun. mir. Die Kollegen wollen ein bißchen fragen. Ich bin (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sehr gerne bereit, in diesem netten Kreis von Rechtspoliti- wahr!) kern diese wichtigen Fragen der Verbrechensbe- kämpfung auszudiskutieren. Wo liegt denn, meine Damen und Herren, der Unter- schied im Bereich der organisierten Verbrechen? Wenn Herr Kollege Meyer fragen möchte, sehr gern. (Zuruf des Abg. Wolfgang Lüder [F.D.P.]) — Natürlich, aber das Grundgesetz, Herr Kollege Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Kollege Mar- Lüder, wurde zu anderen Zeiten geschaffen. Es gibt schewski, räumen Sie ein, daß die von Ihnen ange- moderne Verbrechensmethoden. Es gibt mittlerweile sprochene Lehre von den immanenten Schranken der Mafia und Verbrecherbanden, die alle diese Mittel Grundrechte dort ihre Grenze findet, wo der klare haben. Deswegen muß auch die Polizei entsprechend Wortlaut des Grundgesetzes entgegensteht, und daß handeln. Das ist die Problematik dabei. Art. 13, der die Unverletzlichkeit der Wohnung (Beifall bei der CDU/CSU) betrifft, in Abs. 3 einen Eingriff nur für präventive Zwecke, nicht aber für die Zwecke der Repression, also der Verbrechensaufklärung, zuläßt? Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Mar- schewski, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ich räume dies des Kollegen Hirsch? ein; das ist richtig. Das zeigt aber natürlich, Herr Kollege Meyer, die Kompliziertheit dieser Materie. Erwin Marschewski (CDU/CSU): Immer wieder. Präventive Maßnahmen, repressive Maßnahmen, immanente Grundrechtsschranken — dann kann ich auch sagen: Wir gehen einen weiteren Schritt, ändern Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Immer wieder? Es ist die das Grundgesetz und geben der Polizei dann die erste Frage. Möglichkeit, in Wohnungen abzuhören, falls wirklich Herr Kollege Marschewski, ist Ihnen nicht der Leben und Gesundheit der Bürger auf dem Spiel Unterschied bekannt, den der Bundesgerichtshof in stehen, falls es darum geht, Verbrechen zu bekämp- seiner Rechtsprechung immer wieder betont hat, fen, auch in der Zukunft, in der Planung, durch nämlich der Unterschied zwischen der Abwehr einer Repression; das spreche ich bewußt an. konkreten Gefahr, um das unmittelbar bedrohte Ich meine, daß wirklich Bedarf sei. Das war ja auch Leben eines Menschen zu retten — das ist Polizei- Ihre Meinung. Es ist doch gerade von Ihrem Institut ein recht —, und dem Anstellen von Ermittlungen, nicht Papier vorgelegt worden, in dem Sie das ausdrücklich etwa, wie Sie darstellen, gegen einen überführten gefordert haben. Wir sind da einer Meinung. Verbrecher, sondern gegen eine Person, die aus Ich fordere alle Parteien des Hauses auf, das zu tun, irgendwelchen Gründen in Verdacht geraten ist und was Sie, meine Damen und Herren, gemacht haben, durchaus unschuldig sein kann? Ist Ihnen dieser und das, was insbesondere die Polizei fordert. Unterschied wirklich nicht bekannt? Ich habe neulich, Frau Präsidentin, ein Gespräch mit dem Vorstand der Polizeigewerkschaft auf Bun- Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Dr. Hirsch, desebene geführt. Ich habe mit Herrn Hermann Lutz dieser Unterschied ist mir wohl bekannt. Es geht gesprochen. Er hat mich gefragt: Was ist denn wichti- letzten Endes darum, daß es beim organisierten Ver- ger — hier wird die Sache auf den Punkt gebracht —, brechen keinen Unterschied mehr geben kann zwi- das Leben von Polizeibeamten oder die Wanzen in schen Einzelhandlung, Fortsetzungszusammenhang, Wohnungen? Ich glaube nicht, daß einer aus diesem Planung in die Zukunft. Ich weiß nicht, warum der Hause dem Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft Gesetzgeber damals diesen Schritt vollzogen hat. widersprechen kann. Übrigens, was das Max-Planck-Institut dazu Ich bedanke mich. schreibt, sind doch sicherlich Dinge, über die man (Beifall bei der CDU/CSU) letzten Endes nachdenken sollte. Wenn Sie beispiels- weise sagen: Das Grundgesetz ist nach der berühmten Jetzt hat Kollege Grundgesetzlehre insoweit einschränkbar, daß die Vizepräsidentin Renate Schmidt: Professor Uwe Heuer das Wort. Möglichkeit besteht, bei schweren Verbrechen, bei verrufenen oder an verrufenen Orten abzuhören, wo gibt es dann, Herr Dr. Hirsch, Begrenzungen? Dr. Uwe - Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Frau Präsi- dentin! Meine Damen und Herren! Der Bundestag soll Ich wiederhole, was ich vorhin gesagt habe: Unser ein Gesetz mit dem täuschenden Titel „Gesetz zur Ziel muß es sein, Verbrechen zu bekämpfen und nicht Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und ausschließlich intellektuelle Spiele durchzuführen. anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kri- Das ist das Problem dabei. minalität" beschließen. (Abg. Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD] meldet Der Abgeordnete Marschewski hat eben, wie mir sich zu einer Zwischenfrage) schien, zwei Sphären unterschieden, die Sphäre des — Bitte schön. Handelns — das ist die Sphäre der Polizei — und die 7828 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Dr. Uwe-Jens Heuer Sphäre intellektueller Spinnereien — das ist die Ver- unterschlagen werden, so werden die daran Beteilig- fassung. Ich halte eine solche Teilung für außerordent- ten sich auch für ein paar Tausender Dechiffrieranla- lich gefährlich. gen oder Zerhacker leisten können. Bereits der Kleine Lauschangriff stellt einen Eingriff Wir sehen die Gefahr, daß entgegen dem Legalitäts- in Grundrechte nach A rt . 13 dar. Das in der Wohnung prinzip und dem Gebot der konkreten Gefahrenab- nicht öffentlich gesprochene Wort soll unter bestimm- wehr Kriminalität bloß überwacht, gegen sie aber ten Voraussetzungen abgehört und aufgezeichnet nicht eingeschritten wird. werden dürfen, soweit es im Beisein eines nicht offen Der Rechtsanwalt Gössner hat in der Anhörung am ermittelnden Beamten geäußert wird. 22. Januar gesagt: Die organisierte Kriminalität wird Wer aber an die Strafprozeßordnung denkt, die hier zur populären und zeitgemäßen Legitimation für geändert werden soll, denkt auch an das Beweisver- sicherheitsstaatliche Aufrüstungsmaßnahmen und fahren im Strafprozeß, so daran, inwieweit das im Gesetzesverschärfungen, vergleichbar mit den ande- Wege des Kleinen Lauschangriffs aufgezeichnete ren großen Legitimationsformeln in der Neuzeit, näm- Wort als Beweis verwertet werden darf. Das darf lich der „Gefahr des Kommunismus" in den 50er und nämlich im Falle schwerster Verbrechen geschehen. 60er Jahren, des „Linksextremismus" und insbeson- Aber diese Beschränkung gilt nicht für Lichtbilder und dere des „Terrorismus" in den 70er und 80er Jah- Bildaufzeichnungen. Diese dürfen für alle in § 100 a ren. StPO genannten Straftaten als Beweis gewertet wer- den. Das ist ein Beweis dafür, daß es entgegen der (Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber doch Überschrift durchaus nicht nur um organisierte Krimi- der Fall!) nalität geht. — Damals ist es Ihnen aber nicht so gelungen; Sie Dieser Lauschangriff ist nach meiner Auffassung fahren jetzt damit fo rt . weder durch Artikel 13 Abs. 2 noch durch Abs. 3 Meine Damen und Herren, wir haben hier um 17.12 gerechtfertigt. Strafprozessuale Maßnahmen sind Uhr einen Entschließungsentwurf erhalten, über den keine Maßnahmen der Gefahrenabwehr; das ist hier heute beschlossen werden soll. Ich nehme nicht an, eben auch schon gesagt worden. Das hat auch der daß alle Abgeordneten ihn schon kennen. Dieser Sachverständige Prof. Krey in seinem schriftlichen Entschließungsentwurf hat eine tragikomische Ge- Gutachten zur Anhörung vor dem Rechtsausschuß schichte. Er sollte zunächst einmal einen gemeinsa- erklärt. Das hat seinen konkreten Grund in der Unter- men Kurs auf den Übergang zum Großen Lauschan- scheidung von Gefahrenabwehr und strafrechtlicher griff eröffnen, sagen wir mal, eine Tür aufmachen. Ein Verfolgung, eventueller Bestrafung bereits begange- Abgeordneter charakterisierte die Annahme dieses ner Straftaten. In diesem Sinne hat auch das Landge- Entschließungsentwurfs bei der Sitzung des Rechts- richt Stuttga rt einen entsprechenden Beschluß im ausschusses in Halle als einen Vorgang, der sich in Jahre 1985 gefaßt. konspirativer Weise abspielt. Mit den Regelungen des Gesetzentwurfs zum Klei- Glücklicherweise, muß ich sagen, fiel dieser Ent- nen Lauschangriff wird also, nach meiner Auffassung, schließungsentwurf dann einem Veto der Mehrheit dieses in alter demokratischer, rechtsstaatlicher Tra- der SPD-Fraktion zum Opfer. Es gab offenbar auch dition stehende System der Beweisverwertungsge- Probleme in der Freien Demokratischen Partei. Er bote aus den Angeln gehoben. Dies wird im Ergebnis sollte dann zurückgezogen werden. Heute mittag vorwiegend mit Schwerkriminalität begründet. erhielten wir diesen Entschließungsentwurf erneut. Der Abgeordnete Burkhard Hirsch ist hier vom Ich habe die Befürchtung, daß dieser Entschlie- Abgeordneten Geis kritisiert worden. Hirsch ßungsentwurf, von dem ich hoffe, daß er abgelehnt schrieb: wird, vielleicht als Vorbote für eine Große Koalition vorbereitet wird, und zwar als Erlaubnis zum Großen Wer telephoniert, weiß, daß viele mithören kön- Lauschangriff ohne Polemik und Streit, wie formuliert nen. Es kann auch sein, daß der Mensch, mit dem wurde. ich spreche, mich anzeigt. Aber soll es nicht mehr gelten, daß ein Gespräch unter vier Augen auch In der Anhörung hat der Oberstaatsanwalt Köhler unter vier Augen stattfindet? Daß ein Wort nicht aus Frankfu rt am Main den Großen Lauschangriff „in diesen vier Wänden" bleibt, weil sie präpa- gefordert. Er sagte: „Was den Lauschangriff bet rifft, ist riert sind? es mit dem Kleinen Lauschangriff nicht getan. " Aus der Sicht des Praktikers meinte er: „Ich sage Ihnen, Nachzulesen in der „Zeit" vom 29. Mai. wenn man schon so weit geht — nämlich bis zum Herr Geis hat gesagt: Wer etwas in seiner Wohnung Kleinen Lauschangriff —, dann wird auch die weitere plant, der mißbraucht das Grundrecht. Aber ich notwendige Hürde genommen werden. " Ich sehe hier meine, ob er wirklich etwas plant, erfährt man ja erst Probleme. Uns wird diese Frage im Herbst weiter durch diesen Angriff. Und das ist nach meiner Ansicht beschäftigen. Ich hoffe, daß wir diesen Weg nicht das eigentliche Problem. weitergehen. Das organisierte Verbrechen kann sich mit relativ Noch ein Wort an Herrn Geis: Sie haben gesagt, der preiswerten Methoden dem Großen Lauschangriff Staat solle sich nicht ducken. Aber deswegen muß er entziehen. Herr Uwe Günther, der Geschäftsführer ja nicht gleich lauschen. des Republikanischen Anwalt-Vereins, hat meiner Danke schön. Ansicht nach zu Recht gesagt: Wenn es zutrifft, daß durch organisiertes Verbrechen Milliarden Mark (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7829

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Mini- sierte Kriminalität sind die enormen Gewinne, die vor sterin der Justiz, Frau Sabine Leutheusser-Schnarren- allem beim Drogenhandel erzielt werden. berg, das Wort. (Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es! Jawohl!) Gesetzgeberische Maßnahmen müssen daher bei Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi- der Abschöpfung des illegal erworbenen Vermögens nisterin der Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und der Gewinne aus Straftaten ansetzen. Den Tätern und Herren! Uns alle verbindet ein Ziel: die Bekämp- muß die finanzielle Basis für weitere Verbrechen fung des illegalen Rauschgifthandels und anderer genommen werden. Denn nur so packen wir langfri- Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität. stig das Übel an der Wurzel. Die organisierte Kriminalität ist zu einem großen Übel unserer Zeit geworden. Das Unrecht, das durch (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne sie verursacht wird, muß der Staat entschieden ten der CDU/CSU, der SPD und des Bündnis bekämpfen. ses 90/GRÜNE) In den letzten Monaten ist verstärkt die Diskussion Das soll mit der Einführung der Vermögensstrafe, dem darüber geführt worden, mit welchen Mitteln sich der erweiterten Verfall und der neuen Strafvorschrift Staat zur Wehr setzen soll. Der Staat muß wehrhaft gegen Geldwäsche erreicht werden. sein, er muß reagieren können. Ebenso sind dem (Beifall des Abg. Norbe rt Geis [CDU/CSU]) staatlichen Handeln aber auch Grenzen gesetzt. Mit dem erweiterten Verfall sollen Vermögensgegen- (Beifall bei der F.D.P.) stände erfaßt werden, die aus anderen als der gerade Während der Diskussion um dieses Gesetzesvorhaben abzuurteilenden Tat stammen. Die Beratungen haben sind Möglichkeiten und Grenzen der Verbrechensbe- aber gezeigt, daß das allein noch nicht ausreicht; denn kämpfung aufgezeigt worden. Ich bin über diese häufig sind die Gelder, die durch Verbrechen der Diskussion sehr froh, hat sie uns doch auch die Werte, organisierten Kriminalität erlangt werden, zumindest die unser Grundgesetz geschaffen hat, deutlich teilweise in Firmen angelegt, die nach außen hin gemacht. Der Präsident des Bundesverfassungsge- reguläre, sprich „legale" Geschäfte machen. Diese richts, Herr Herzog, hat es gestern in Potsdam so Werte sind durch den erweiterten Verfall in aller gesagt: Regel nicht zu erfassen. Die Grundrechte sind nicht die Feinde des Staa- (Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!) tes. Angesichts der enormen Gefahren, die von der orga- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber auch nicht nisierten Kriminalität drohen, erscheint es trotz gewis- der Menschen!) ser Bedenken auch unter dem verfassungsmäßigen - Gesichtspunkt des Schuld- und Verhältnismäßigkeits- Die Grundrechte gehören zum inneren Charakter des grundsatzes vertretbar, die Täter in gravierenden Staates; sie sind selbstverständlich im Staatswesen Fällen neben einer hohen Freiheitsstrafe mit einer verankert. Vermögensstrafe zu belegen. (Beifall bei der F.D.P.) Mit diesen Maßnahmen liegt jetzt ein Gesamtkon- Das heißt, dem Staat sind die Grundrechte immanent, zept vor, das die zur Zeit unzureichenden rechtlichen und er muß sie schützen. Das schafft — das haben wir Möglichkeiten zur Abschöpfung von Gewinnen aus in der Diskussion und in den letzten Monaten gesehen Straftaten erheblich verbessert. Die Maßnahmen zur — ein schwieriges Spannungsfeld zwischen dem Abschöpfung von Gewinnen aus Straftaten werden Schutz der Grundrechte und dem berechtigten Ziel durch schärfere Strafvorschriften gegen Bandenkri- der effektiven Verbrechensbekämpfung. minalität, illegales Glücksspiel und Betäubungsmit- telkriminalität ergänzt. Dabei sollen die Maßnahmen Die Diskussion der letzten Monate war überwie- zur Verschärfung und Erweiterung der Betäubungs- gend sehr sachlich und konstruktiv. Deshalb kann mitteldelikte nicht kleine oder durchschnittliche auch niemandem hier Blockade- oder Verhinderungs- Betäubungmittelstraftäter treffen, sondern nur politik vorgeworfen werden. Ich bin froh über doch schwere und schwerste Fälle. weitgehende Übereinstimmung in vielen Punkten, die auch die heutige Diskussion zum Ausdruck gebracht Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen soll, wie hat. von der Bundesregierung vorgeschlagen, auch der Mißbrauch Minderjähriger zum Betäubungsmittel- Mit dem jetzt zur Verabschiedung vorliegenden verkehr unter Strafe gestellt werden. Gesetzentwurf haben wir einen guten Kompromiß zwischen den beiden Zielen, zwischen Verbrechens- (Beifall bei der F.D.P.) bekämpfung auf der einen Seite und dem Schutz der Das neue Zeugnisverweigerungsrecht für Drogen- Rechte des einzelnen auf der anderen Seite, gefun- berater, das Gegenstand eines eigenen Gesetzent- den. Er bietet ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wurfs des Bundesrates ist, wird bei Drogenabhängi- dem Gebot effizienter Bekämpfung der organisierten gen und Drogenkonsumenten mehr Vertrauen schaf- Kriminalität und der Wahrung unverzichtbarer Frei- fen und sicherstellen, daß sie sich bei der Drogenbe- heitsrechte des Bürgers. ratung offenbaren und Hilfe annehmen können. Ich Verbrechensorganisationen sind zu einer großen hoffe, daß der Drogenberater, der seinem Gesprächs- Gefahr geworden. Drogensucht und Beschaffungskri- partner nun erstmals absolute Vertraulichkeit zusa- minalität nehmen zu. Hauptursache für die organi gen kann, wirksamer als bisher dazu beitragen kann, 7830 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Nachfrage nach illegalen Drogen verringern zu sich in der Bundesrepublik Deutschland mafiaähnli- helfen. che Verbrecherorganisationen eingenistet haben und (Beifall bei der F.D.P.) die Sicherheit so bedrohen, wie das beispielsweise in Italien schon der Fall ist — und eine solche Gefahr ist Zum Ermittlungsinstrumentarium der Strafverfol- nach meiner Auffassung jetzt schon vorhanden — gungsbehörden hat sich die Diskussion bis zuletzt im stimmen Sie dann einer Einschränkung der Privat- wesentlichen auf die Punkte konzentriert, die schon sphäre, also einer Änderung des Art. 13 GG, zu, um bei der Abstimmung der Stellungnahme der Bundes- eine Abhörung auch in der Wohnung zu ermöglichen regierung zum Länderentwurf am schwierigsten und um auf diese Weise Verbrechen besser aufklären waren. zu können? Zum einen geht es um die gesetzliche Regelung der Zulässigkeit von Straftaten verdeckter Ermittler, dem (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P]: sogenannten milieugerechten Verhalten. Dem ist Spekulative Fragen!) schon in der Koalitionsvereinbarung eine Absage erteilt worden. Ein Rechtsstaat kann und darf nicht in Straftatbeständen aufzählen, welche Straftaten ver- Sabine Leutheusser - Schnarrenberger, Bundesmi- deckte Ermittler begehen dürfen. Ich glaube, der jetzt nisterin der Justiz: Herr Geis, die Verhältnisse in der beschrittene Weg ist der richtige. Bundesrepublik Deutschland sind mit denen in ande- ren Staaten Europas nicht vergleichbar. Zum zweiten geht es um die Zulässigkeit des Abhörens in bzw. aus Wohnungen. Der jetzt nach (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem etwas schwierigen und sorgfältigen Koalitionsgesprä- Bündnis 90/GRÜNE) chen gefundene Konsens sieht vor, ein Abhören in Für mich ist bei dieser sehr wichtigen Güterabwägung Wohnungen im jetzigen Gesetzentwurf nicht zu ausschlaggebend, daß überzeugend dargelegt wird regeln und den entsprechenden Vorschlag aus dem und der Beweis erbracht werden muß, daß für eine Bundesratsentwurf herauszunehmen. Aus verfas- effektive Verbrechensbekämpfung, sprich: auch eine sungspolitischer Sicht muß meines Erachtens sehr erhöhte Aufklärung von Verbrechen und Straftaten, sorgfältig bedacht werden, ob die Erweiterung von dieses Mittel zwingend erforderlich ist. Abhörmöglichkeiten in einer Zeit, in der die Folgen eines Überwachungsstaates der Öffentlichkeit deut- (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem lich vor Augen stehen, wirklich zwingend erforderlich Bündnis 90/GRÜNE) ist. Weil dieser Punkt so schwierig ist, haben wir mit guten (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Gründen gesagt: Wir wollen sorgfältig prüfen, sorgfäl- ten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang tig abwägen. Wir wollen jetzt nicht ein Ergebnis Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE]) präjudizieren. Wir gehen vorurteilsfrei an diese Prü- fung, die im Entschließungsantrag enthalten ist, Der Gedanke an eine Verfassungsänderung,- die für heran. Ich glaube, das Thema ist so ernst, daß es gut die Ermöglichung des sogenannten Großen Lausch- ist, wenn wir die sachliche Diskussion dazu im Herbst angriffs notwendig wäre, sollte angesichts der Bedeu- fortsetzen. tung des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Woh- nung nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn (Beifall bei der F.D.P.) ohne die Einschränkung des Grundrechts dem Ich bin zuversichtlich, daß mit dem vorliegenden Rechtsstaat eine anders nicht zu beseitigende Gefahr Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die Arbeit der droht. Ermittlungsbehörden und ebenso der Strafverfol- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Besteht die nicht gungsbehörden geschaffen wird. Ich freue mich auf schon?) die Fortsetzung einer sachlichen Diskussion im Meine Damen und Herren, ich bin bisher noch nicht Herbst. überzeugt, daß ein so schwerwiegender Eingriff in die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Unverletzlichkeit der Wohnung unbedingt erforder- lich ist. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat ten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang der Kollege Johannes Singer das Wort. Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

Johannes Singer (SPD): Frau Präsidentin! Meine Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Damen und Herren! Wenn ich mich richtig erinnere, Frau Bundesministerin der Justiz, war das Ihre erste Geis? Rede im neuen Amt. (Bundesministerin Sabine Leutheusser Sabine Leutheusser - Schnarrenberger, Bundesmi- nisterin der Justiz: Ja. Schnarrenberger: Im Plenum, ja!) Wir Sozialdemokraten freuen uns auf die Zusammen- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Geis, arbeit mit Ihnen, vor allem auch deshalb, weil Sie bitte. persönlich für die bisherige Untätigkeit der Bundesre- gierung bei der Bekämpfung der organisierten Krimi- nalität keinerlei Vorwurf trifft. Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Ministerin, darf ich Ihre Worte so deuten: Wenn offensichtlich wird, daß (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7831

Johannes Singer Sie können hier wirklich unbelastet auftreten. Ich Solche Vergleiche anzustellen und sich als Wächter glaube, daß wir dann zusammen auch etwas zustande des Rechtsstaats aufzuspielen, finde ich ein bißchen bekommen. abwegig. Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der organisier- Zum Gewinnaufspürungsgesetz. Jetzt kommt ein ten Kriminalität — darauf muß ich noch einmal beson- massiver Vorwurf an CDU und CSU. Herr Seiters hat ders hinweisen — ist kein Produkt der Koalitionsfrak- in seiner Rede vom 8. April erklärt tionen oder der Bundesregierung. Er kommt vom (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wiederholen Sie Bundesrat, er kommt von den Ländern. nicht das, was Herr Meyer gesagt hat!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Er kommt von — der ist auf die Rede von Herrn Seiters am 8. April Bayern! Das ist richtig!) nicht eingegangen; das tue ich jetzt —, daß die Straf- — Er kommt von Nordrhein-Westfalen, Herr Geis. barkeit der Geldwäsche — die die SPD schon vor vier Bayern durfte da ein bißchen mitspielen. Wie die Jahren beantragt hat und die erst jetzt Gesetz wird — Mehrheit im Bundesrat aussieht, das wissen Sie doch nur Sinn macht, wenn man gleichzeitig das Gewinn- ganz genau. So ist es mit Ihrer Mehrheitsherrlichkeit aufspürungsgesetz verabschiedet. Nun haben wir doch nicht mehr bestellt. Das ist vorbei. vom Innenministerium etwas bekommen. Aber es wird wieder Monate dauern, bis es umgesetzt ist. Dazu Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der organisier- enthält es Schwellenwerte, über die man nur lachen ten Kriminalität hat Licht und Schatten. Er enthält kann. 50 000 DM ist der Bargeldannahmebetrag, von Vorschriften, die uns nicht gefallen. Mein Kollege dem man erst gemeldet und identifiziert werden soll, Meyer hat die Vermögensstrafe erwähnt. Ich erwähne wenn es sich nicht um eine reine finanzielle Transak- die Hochsetzung der Strafrahmen des Betäubungs- tion, sondern um eine Einzahlung handelt. Die Ame- mittelgesetzes und wundere mich an der Stelle, wie rikaner haben 10 000 Dollar. Die EG-Richtlinie wenig Anhörungen im Rechtsausschuß offenbar die schreibt uns 15 000 ECU vor. Die EG-Richtlinie muß Gesetzesberatungen beeinflussen können. Alle Prak- von uns als Bundesgesetzgeber umgesetzt werden. Im tiker haben uns erklärt, also insbesondere die Richter Gewinnaufspürungsgesetz gibt es den ganz schwam- und Staatsanwälte, daß höhere Strafrahmen nichts migen § 5, der eine Art Indexierung ermöglicht. Wie bringen, höhere Strafrahmen keinen Verbrecher das rechtlich funktionieren soll und ob es so überhaupt beeindrucken, sondern sich ein Verbrecher bei sei- in Ordnung ist, wage ich sehr zu bezweifeln. Dieses nem Handeln davon leiten läßt, ob er das Risiko des Gesetz beraten wir heute nur in erster Lesung. Es wird Erwischtwerdens eingeht oder nicht. Das heißt: uns im Ausschuß noch beschäftigen. Wir werden Schnelle Ergreifung und Ermittlung und Überführung diesen Positionen gesteigerte Aufmerksamkeit wid- ist für einen Verbrecher interessant oder eben gefähr- men und Sie hochnotpeinlich befragen, wie Sie sich lich, aber nicht die Höhe der angedrohten Strafe. Nun das in der Umsetzung vorstellen. Hier darf man nicht sind wir der Meinung, daß es nicht allzuviel verschlägt vor der Bankenmacht und vor der Lobby in die Knie und wir deswegen den Gesetzentwurf, weil -er sehr gehen. Hier muß man Nägel mit Köpfen machen und viele Forderungen der SPD übernimmt und durch- gerade die Drogenhändler, die internationalen Kar- setzt, nicht ablehnen sollten. telle an dem Punkt treffen, wo es ihnen weh tut: am Wir begrüßen z. B. den Zeugenschutz. Wir haben Geldbeutel. uns lang überlegt, ob dadurch die Wahrheitsfindung (Norbert Geis [CDU/CSU]: Vermögensstrafe, vor Gericht erschwert werden könnte. Ich halte näm- kann ich nur sagen!) lich gar nichts davon, wenn Polizei und Staatsanwalt- schaft Zeugen präsentieren, deren Glaubwürdigkeit Wir haben gesagt: Gewinnabschöpfung ist die bessere vom Strafverteidiger nicht massiv in Frage gestellt Alternative. und hinterfragt werden kann. Das muß sichergestellt (Norbert Geis [CDU/CSU]: Die machen wir ja bleiben. Es darf keine Geheimzeugen geben, über auch!) deren Hintergründe man nichts erfährt und nichts weiß. Wir haben einige schlechte Beispiele aus der Wir wollen das Geld abnehmen, aber auf verfassungs- Vergangenheit erlebt und müssen das verhindern. Ich rechtlich einwandfreie Weise. glaube, die Regelung, wie sie getroffen worden ist, ist (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch ver gut, ist rechtsstaatlich vertretbar und kann, um das fassungsrechtlich einwandfrei!) Leben des gefährdeten Zeugen zu schützen, auch so — Nein, das ist es eben nicht, weil das Schuldprinzip durchgehen. Eine Alternative war nicht da. verletzt wird — das haben alle Professoren bestä- Ähnliche Bedenken hatte ich zunächst bei der tigt — und weil es nicht rechtshilfefähig ist, Herr Geis. Rasterfahndung und bei der beobachtenden Fahn- Ich möchte auch Drogenhändler in ganz Europa und dung. Für alle diese Dinge wird es richterliche Kon- in der Welt verfolgen können, wenn sie von hier trollen und richterliche Entscheidungen vor den ent- abhauen, nachdem sie etwas pekziert haben, und sprechenden Maßnahmen geben. Ich sage zu Herrn nicht nur hier. Die internationale Zusammenarbeit ist Heuer ganz kurz: Von solchen rechtsstaatlichen rich- dabei wichtig. terlichen Kontrollen vor einer Ermittlungs- und Fahn- Wie lange haben Sie sich mit dem Zeugnisverwei- dungsmaßnahme hätte Herr Heuer in dem Staat, in gerungsrecht für Suchtberater und Drogenberater dem seine Partei einmal die Macht gehabt hat, nur Zeit gelassen! Wir werden heute nur den Teil für die träumen können. Drogenberater verabschieden. Allerdings sind wir der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Meinung, daß die Suchtberater einbezogen werden F.D.P.) sollten. Es wird nicht ganz so praktisch werden wie bei 7832 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Johannes Singer den Drogenberatern, aber nötig wäre es. Auch das ist nicht anders können, als ewig auf der Jagd nach dem ein Gesetzentwurf, der von der SPD stammt und seit Suchtstoff zu sein, zu beschäftigen. vier Jahren im Schoße des Deutschen Bundestages (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wollen Sie es den schlummert. Sein Fehlen hat die Arbeit der Drogen- Dealern so leicht machen?) beratungsstellen ganz erheblich beeinträchtigt. Wie soll ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Kranken — Nein, den Dealern will ich es so schwer machen wie und Abhängigen und seinem Berater hergestellt wer- irgend möglich. Auch dem Dealer geht es in Holland den, wenn er immer befürchten muß, der Drogenbe- keineswegs besser als bei uns; gegen den nichtabhän- rater sagt eines Tages vor Ge richt gegen ihn aus? Das gigen Dealer wird mit aller Unnachsichtigkeit und ist eine Forderung, die von allen in der Therapie und Härte des Gesetzes vorgegangen. Nehmen Sie das als in der Beratung, in der Prävention Tätigen seit Jahren Beispiel, und lösen Sie lieber Ihre Versprechungen erhoben wird. Sie haben sich unheimlich schwerge- ein, die internationale Zusammenarbeit zu forcie- tan, hier zuzustimmen. Vollen Herzens tun Sie es auch ren! jetzt nicht, Herr Geis. Ich wundere mich, daß der Bundesinnenminister heute nicht hier ist, der uns hier die Einrichtung der (Norbert Geis [CDU/CSU]: Hier gibt es auch europäischen Rauschgiftzentrale Europol verspro- rechtsstaatliche Bedenken! Das wissen chen hat. Es handelt sich dabei nur um Ankündigun- Sie!) gen; ich befürchte, daß sie ein ähnliches Schicksal erleben werden, wie manch anderes, was auf dem Ich bin froh, daß das heute kommt. Wir werden hier europäischen Gebiet zur Zeit vonstatten geht. Die noch einiges verändern. europäische Zusammenarbeit brauchen wir dringend Was ich sehr bedaure, ist, daß Sie immer noch nicht in diesem Bereich; meine Hoffnungen sind da aber nicht allzu groß. sauber unterscheiden, . wo die strafrechtliche Ab- schreckungswirkung neuer Vorschriften Sinn macht, Leider ist meine Redezeit abgelaufen; acht Minuten auch solcher Vorschriften, die wir einführen, um sind verdammt knapp, um hier zu dem ganzen Bereich Lücken zu schließen, etwa bei der Geldwäsche oder Stellung zu nehmen. bei der Gewinnabschöpfung, und wo eine abschrek- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ein Schicksal, das kende strafrechtliche Wirkung völlig versagt, nämlich uns alle verfolgt!) beim Kranken, beim Abhängigen. Wir haben gesagt, Ich habe einiges ausgelassen, denn ich halte mich einen Rauschgiftkonsumenten, der nichts anderes im diszipliniert an die mir vorgegebene Redezeit. Kopf hat, als möglichst schnell an seinen Stoff zu kommen, werden Sie mit massiven Strafandrohungen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nicht beeindrucken. Es macht keinen Sinn, die Polizei (Beifall bei der SPD) und die Justiz hinter ihnen herzuhetzen und deren Zeit zu verplempern. - Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Sin- (Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: „Wir ger, die Präsidentin hat Ihnen eine Minute und zehn bekämpfen die Straftaten, indem wir sie Sekunden zum Geburtstag geschenkt und beglück- abschaffen!" Was ist das für ein Unsinn!) wünscht Sie zu demselbigen Geburtstag. (Beifall) Ich habe mich — das wissen Sie ganz genau — deutlich und klar gegen Legalisierung und gegen Nun hat der Parlamentarische Staatssekretär Freigabe von Rauschgift ausgesprochen. Gleichzeitig Eduard Lintner das Wort. muß aber nach holländischem Modell eine Entkrimi- nalisierung von Konsumenten, Fixern, Junkies und Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Kiffern erfolgen. minister des Innern: Frau Präsidentin! Meine Damen (Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Das ist und Herren! Herr Kollege Singer, ich möchte schon ohne Wirkung!) richtigstellen: Das Bundesinnenministerium ist sehr wohl hier vertreten. Die Holländer haben damit hervorragende Erfolge (Zuruf von der SPD: Er hat den Bundesinnen erzielt. Die können Sie nicht einfach leugnen. Sie minister gemeint!) haben die Zahl der Drogentoten in den letzten vier Der Bundesinnenminister hat einen unaufschiebba- Jahren halbiert, und sie haben die Zahl der Erstkon- ren Termin, und deshalb müssen Sie — wie es in der sumenten stabil gehalten. parlamentarischen Praxis allgemein üblich ist — mit (Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Indem dem Parlamentarischen Staatssekretär vorlieb neh- men. sie die Strafbarkeit abgeschafft haben!) Meine Damen und Herren, Hintergrund der vorlie- Das ist klipp und klar nachgewiesen worden; das genden Gesetzesinitiative ist die Kriminalitätsent- können Sie überall nachlesen. Es hat keinen Sinn, ein wicklung der letzten Jahre. Sie ist von einem gravie- solches Faktum zu bestreiten, Herr Sauer. Fahren Sie renden Anstieg von Straftaten — vor allem mit Rausch- doch einmal nach Amsterdam, lassen Sie sich das giftbezug und aus anderen Bereichen der organisier- vortragen, und zwar querbeet, auch von Leuten, die ten Kriminalität — gekennzeichnet. Dies wird bei- Ihnen politisch nahestehen! Es ist also unsinnig, wie spielsweise durch das sprunghafte Ansteigen von bisher fortzufahren und Polizei und Justiz mit der Rauschgiftsicherstellungsmengen und auch durch die Verfolgung dieser Kleinstraftäter, die praktisch gar dramatischen Zahlen der Rauschgifttoten und der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7833

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner Erstkonsumenten nachdrücklich belegt. Ich will die nalstatistik für 1991 bestätigen ganz eindeutig diese Zahlen jetzt nicht noch einmal vortragen, Sie kennen Einschätzung. sie alle. Die Sicherstellungsmengen von Rauschgift Lassen Sie mich nun speziell zu dem Thema „Ge- — als ein Beispiel — sind aber so alarmierend: Etwa winnaufspürungsgesetz" einige Ausführungen ma- 1,5 t Heroin, rund 1 t Kokain, 100 kg Amphetamine, chen. Straftäter aus dem Bereich der organisierten über 10 t Cannabisharz, 1,5 t Marihuana, 13 887 LSD- Kriminalität, insbesondere der Rauschgiftkriminalität, Trips wurden sichergestellt, 31 Labore zur illegalen erzielen durch die von ihnen begangenen Taten Herstellung von Drogen wurden entdeckt. Gewinne in ganz beträchtlichen Größenordnungen, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das macht auf die wobei konkrete Beträge nur sehr grob geschätzt SPD keinen Eindruck!) werden können. Tatsache ist aber — und da sind wir — Das macht offensichtlich keinen Eindruck, da gebe uns, glaube ich, alle einig —, daß sie Dimensionen ich Ihnen recht, Herr Kollege Geis. erreichen, mit denen ernst zu nehmender Einfluß auf Herr Singer, das, was Sie als Schlußfolgerung emp- die Wirtschaft und auch auf die Gesellschaft ausgeübt fohlen haben — nämlich das Abschaffen der Straf bar- werden kann, was sich dann zu einer Bedrohung für eine freiheitlich, demokratisch und rechtsstaatlich keit des Handels oder des Besitzes von Betäubungs- mitteln — ist längst ausdiskutiert und als ein nicht verfaßte Gesellschaftsordnung auswachsen kann. geeigneter Weg erkannt worden, um etwa das Aus- Wir müssen deshalb, meine Damen und Herren, alles breiten der Rauschgiftkriminalität einzudämmen. Im daransetzen, daß es in Deutschland erst gar nicht so übrigen gibt es nicht nur das holländische Beispiel, weit kommt. Abschreckende Beispiele dafür gibt es ja sondern es gibt sehr viele andere Beispiele in der auch in Europa. ganzen Welt, Schweden will ich nennen oder einzelne Diese Gewinne aus Straftaten sind das Hauptmotiv amerikanische Staaten, wo diese Versuche schon der Täter. Dieses Geld stellt gewissermaßen die Trieb- gemacht worden sind und wo man sehr schnell wieder feder, aber zugleich auch die Achillesferse des orga- zur Strafbarkeit zurückgekommen ist, weil die Tatsa- nisierten Verbrechens dar. Eine erfolgreiche Bekämp- che, daß sich das so krebsartig und geschwind ausge- fung der organisierten Kriminalität muß deshalb kon- breitet hat, nicht zu verantworten war. sequenterweise auch an diesem Punkt ansetzen. Es muß, meine Damen und Herren, ein Weg gefunden Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Lint- werden, den Tätern diese Gewinne wieder abzuneh- ner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen men, um so Straftaten auch in der Form organisierter Singer? Kriminalität unrentabel zu machen. Verbrechen darf sich auch in diesem Bereich nicht lohnen. Parl. Staatssekretär beim Bundes- Eduard Lintner, (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der minister des Innern: Ja. SPD: Sehr wahr, machen wir mal!) - Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Singer. Ein erster Schritt hierzu ist die Strafbarkeit der Geldwäsche. Es darf nicht länger straflos möglich sein, illegal erworbene Vermögenswerte in den legalen Johannes Singer (SPD): Herr Staatssekretär, sind Finanzkreislauf zurückzuschleusen. Mit der Schaf- Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mit der Empfehlung der Nachahmung des holländischen fung des Straftatbestandes „Geldwäsche" im Rahmen Modells lediglich die Ausweitung des Opportunitäts- der jetzt abschließend zu beratenden Gesetze wird prinzips und eine Entkriminalisierung, aber keine eben diese höchst notwendige Konsequenz gezo- Abschaffung von Strafbarkeit im Auge habe? gen. Meine Damen und Herren, wir brauchen aber Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- daneben auch die weiteren in diesem Gesetzentwurf minister des Innern: Das ist eben der Trick, den Sie enthaltenen Instrumente zur Abschöpfung von Ge- dabei anwenden; denn wenn die Täter wissen, daß sie winnen aus Straftaten, so die Vermögensstrafe und im Grunde genommen nicht verfolgt werden, dann den sogenannten erweiterten Verfall. Das sind aus kommt das faktisch einer Abschaffung der Strafbar- unserer Sicht entscheidende Rechtsinstrumente für keit gleich. Entsprechend sind auch die Wirkungen, eine wirksame Bekämpfung der organisierten Krimi- wie Sie erkennen werden, wenn Sie sich die Sachver- nalität. Dazu kommt dann noch die im Gesetzentwurf halte vor Ort in den Niederlanden einmal gründlich vorgesehene Einführung des Bruttoprinzips beim Ver- angesehen haben. mögensverfall, eines Prinzips, das ja schon bei der (Johannes Singer [SPD]: Es gibt aber einen Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes verwirk- Unterschied zwischen Ausweitung des Op licht wurde. portunitätsprinzips und Strafbarkeitsaus Mit den soeben erwähnten Rechtsinstrumenten schluß!) allein ist es aber immer noch nicht getan; denn Meine Damen und Herren, auch wenn für den Straftatgewinne sind als solche nicht ohne weiteres Bereich der übrigen organisierten Kriminalität keine erkennbar. Im Gegenteil, Geldwäscher unternehmen exakten Zahlen genannt werden können, so ist doch erfahrungsgemäß natürlich allergrößte Anstrengun- unzweifelhaft davon auszugehen, daß hier eine paral- gen, um die Herkunft von Vermögenswerten aus lele Entwicklung abläuft. Das vom Bundeskriminal- Straftaten zu verschleiern. Geldwäsche ist deshalb in amt erarbeitete Lagebild „Organisierte Kriminalität in aller Regel ein sehr heimliches Geschäft. In der der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1991" und Mehrzahl der Fälle sind Geldwäschevorgänge auch die vor kurzem bekanntgegebene polizeiliche Krimi hervorragend getarnt und lassen sich von legalen 7834 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner

Finanztransaktionen auf den ersten Blick gar nicht Geldwäschebekämpfung — auch da, so glaube ich, unterscheiden. sind wir uns einig — muß in internationalen Zusam- Um Geldwäsche überhaupt erkennen zu können, menhängen gesehen werden. Dieser Entwurf, der muß daher der Hintergrund von Finanztransaktionen heute zur ersten Lesung ansteht, berücksichtigt des- transparent werden und müssen dazu die Beteiligten halb eine Reihe von internationalen Vorgaben, bei- identifiziert werden. Das gilt im übrigen auch für spielsweise auch die europäische Geldwäschericht- Treuhandgeschäfte, wo die Anonymität der Hinter- linie; sie wurde vorhin bereits genannt. Er berücksich- männer erst beseitigt werden muß. Bei strafprozessua- tigt auch die Forderung des Wiener Suchtstoffüber- len Ermittlungsverfahren muß man dann auf diese einkommens von 1988, geeignete Maßnahmen zu Unterlagen zurückgreifen können. Das heißt, den ergreifen, um den zuständigen Behörden die Ermitt- Strafverfolgungsbehörden müssen alle erkennbaren lung von Erträgen und Vermögensgegenständen aus Anhaltspunkte für Geldwäschetransaktionen da- Betäubungsmittelstraftaten zu ermöglichen. Er trägt durch verfügbar gemacht werden, daß die Banken von ferner den sogenannten „40 Empfehlungen" Rech- sich aus auch Verdachtsfälle melden müssen. Das nung, die auf Grund einer Initiative der Regierungs- zwingt die Banken und die anderen Betroffenen chefs der G 7-Staaten erarbeitet wurden. Die vom übrigens erwünschterweise zu Maßnahmen, um sich Weltwirtschaftsgipfel eingesetzte Arbeitsgruppe mit dagegen zu schützen, als Geldwäscheinstrumente der Bezeichnung „Finanzielle Maßnahmen zur mißbraucht zu werden. Bekämpfung der Geldwäsche" hat in Ausfüllung des Wiener Suchtstoffübereinkommens ebenfalls eine Herr Singer, Sie haben angeführt, daß die Schwel- Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die im Entwurf nicht niedrig genug seien. Sie müssen lenwerte aufgegriffen worden sind. Gleiches gilt übrigens für bedenken, daß Gesetze nur dann einen Sinn machen, die meisten Änderungsvorschläge des Bundesrats. wenn sie praktikabel sind. Sie wissen, daß die Banken von uns sehr viel höhere Schwellenwerte gefordert Meine Damen und Herren, ich bin deshalb der haben, auf die sich die Bundesregierung nicht einge- Auffassung, daß der Ihnen nun vorgelegte Entwurf lassen hat im Interesse der Effizienz des Gesetzes. eine ausgewogene Palette von Maßnahmen zur Ent- Daraus mögen Sie schon sehen, daß Ihr Vorwurf, wir deckung und Bekämpfung von Geldwäsche enthält. seien Lobby der Banken gewesen, geradezu absurd Deshalb konnte sich die Bundesregierung im Inter- ist. Ich möchte ihn wirklich ausdrücklich zurückwei- esse der Wirksamkeit der neuen Bestimmungen nicht sen. dazu verstehen, in so wichtigen Punkten, wie z. B. der Verwendungsbeschränkung von Straftatgewinnauf- (Abg. Johannes Singer [SPD] meldet sich zu spürungsdaten aus Geldwäschebekämpfung oder einer Zwischenfrage) den von mir erwähnten Schwellenwerten von ihrer — Bitte schön. Auffassung abzurücken. Der vorliegende Entwurf ist ein sinnvoller Aus- gleich dieser widerstreitenden Interessen. Ich bitte Sie (SPD): Herr Staatssekretär,- ist die Johannes Singer auch im Hinblick auf die Dringlichkeit der Maßnahme Regelung in den USA, die seit vielen Jahren angewen- um eine zügige Beratung und möglichst baldige det wird und bei der der Schwellenwert 10 000 Dollar Verabschiedung des Gesetzentwurfs. beträgt, ebenfalls unpraktikabel? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P. — Dr. Hans de With Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- [SPD]: Sie hätten den Entwurf viel eher minister des Innern: Herr Singer, Sie kennen wahr- einbringen müssen! Das ist sehr spät! — scheinlich genausogut wie ich den Unterschied zwi- Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Der Gesetz schen den Finanzmärkten beider Länder. In den USA entwurf ist erheblich verbesserungsbedürf sind beispielsweise Bareinzahlungen sehr viel unüb- tig! ) licher als bei uns, und bei uns sind die Überweisungs- vorgänge sehr viel zahlreicher als in den USA. Des- halb hat auch die EG nicht auf die Werte in den USA Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Kolle- zurückgegriffen, sondern hat von sich aus bereits auf gin Gudrun Schaich-Walch das Wort. die Besonderheiten des europäischen Finanzmarkts Rücksicht genommen. Sie sehen also: Es gibt durch- Gudrun Schaich - Walch (SPD): Sehr verehrte Frau aus sachgerechte Gründe, von den Werten, wie sie in Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr den USA bestehen, abzuweichen. Staatssekretär, Sie haben meiner Meinung nach ent- Auch auf der Seite der Strafverfolgungsbehörden weder vorhin etwas mißverstanden, oder Sie haben sind die organisatorischen, personellen und sachli- die falsche Ausgangslage. Wir haben davon gespro- chen Voraussetzungen zur Bewältigung der neuen chen, daß nicht die Täter, sondern die Opfer entkrimi- Aufgabe erst noch zu schaffen. Hierzu gehört z. B. die nalisiert werden sollen. Übertragung der Verfolgungsaufgabe an Institutio- (Zuruf von der SPD: Das ist der feine Unter nen, die über die geeignete personelle wie sachliche schied!) Ausstattung, das erforderliche Know-how und die für die Erfüllung dieser Aufgabe unverzichtbaren inter- Die Opfer sind bei uns die Drogenabhängigen. Wir nationalen Verbindungen verfügen. Soweit es um die bezeichnen nicht die Opfer als Täter. Sie sind für uns Bekämpfung der international organisierten Geld- nicht Täter. wäsche geht, wird daher in Zukunft das Bundeskrimi- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ nalamt verstärkt gefordert sein. GRÜNE) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7835

Gudrun Schaich-Walch Herr Kollege Marschewski hat vorhin gesagt, daß es Aber jetzt möchte ich Ihnen noch eines sagen: Sie die CDU sehr bedauert, daß wir ihre Anträge nicht alle mahnen Langzeittherapieplätze an und verkennen annehmen und ihren Vorschlägen nicht folgen konn- ganz offensichtlich, daß es bei allen Personen, die in ten. Ich muß Ihnen sagen: Das gleiche gilt auch für eine Langzeittherapie gehen, eine maximale Erfolgs- uns. Auch wir haben hier etwas zu bedauern, und quote von 40 % gibt. nicht nur wir haben etwas zu bedauern. Alle Drogen- (Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Das ist abhängigen, die Menschen, die mit ihnen verwandt sehr viel!) und befreundet sind, und auch die Leute, die in der Drogenhilfe arbeiten, haben zu bedauern, daß Sie Das heißt, bei 60 % der Personen, die sich in eine heute hier nichts anderes gemacht haben, als die solche Therapie begeben, ist sie erfolglos. Waagschale auf die Seite des Rechts zu bringen, und Der zweite Bereich, der meiner Meinung nach es versäumen, die vorliegende Bundesratsanregung wichtig ist: Sie sollten sich einmal darum kümmern, so zu handhaben, daß sie tatsächlich eines brächte, wie groß überhaupt die Gruppe ist, die von dieser nämlich eine gesundheitspolitische Verbesserung für Therapie angesprochen wird. Etwa 80 % werden von die Menschen, die an Drogensucht leiden. dem Langzeittherapieangebot nicht angesprochen. (Beifall bei der SPD) Ich meine, Sie müssen sich doch endlich einmal klar Das einzige, zu dem Sie sich durchringen konnten, werden, daß das ein Zustand ist, der beendet werden waren sanfte Tendenzen der Entkriminalisierung, muß, und daß Sie flexibel in der Drogenpolitik und das das muß ich Ihnen sagen — reicht bei eingreifen müssen, wenn Sie das Überleben der weitem nicht aus. Auf die tatsächlichen Probleme der Abhängigen sichern wollen, wenn Sie dafür Sorge Kranken sind Sie nicht eingegangen. Sie haben es tragen wollen, daß sich die Gesundheitsschäden bei zwar sehr bedauert, daß wir in diesem Jahr schon über den Menschen in Grenzen halten, und wenn Sie 500 Drogentote haben. Aber die fatale Situation, die — auch das ist nach meiner Meinung sehr wichtig — besteht, lassen Sie so. Sie geben den Ländern und den endlich dafür sorgen, daß die soziale Umgebung Kommunen keine Rechtsmittel an die Hand, ihr Hilfs- dieser Menschen nicht unter unerträglichen Beein- angebot auszuweiten. trächtigungen leidet. Es fehlt Ihnen einfach an der Einsicht, daß mit den (Beifall bei der SPD) herkömmlichen Mitteln der Repression, die wir bis Ziele, die wir mit unseren Änderungsvorschlägen jetzt haben, in der Drogenhilfe nichts zu erreichen ist. zur Bundesratsanregung erreichen wollten, sind: die Ich bin der festen Überzeugung, daß Ihnen der Weg zu klare Regelung der Substitutionsbehandlung, die anderen Erkenntnissen versperrt bleibt, weil Sie Spritzenvergabe und auch die Einrichtung von einem Trugschluß nachhängen: Sie glauben, daß Sie Gesundheitsräumen. Diesen geringen Ansatz in der mit Repression erreichen können, daß alle Menschen Bundesratsanregung haben Sie mit Ihrem Änderungs- bei uns in der Bundesrepublik ein suchtfreies Leben - antrag zu § 29 zunichte gemacht. führen werden. Das ist zwar ein erstrebenswertes Ziel — dieses Ziel haben auch wir , aber Sie müssen die Das einzige, was Sie erreicht haben, ist die Spritzen- Realität erkennen, daß dieses Ziel nicht zu erreichen abgabe. Damit vollziehen Sie etwas nach, was bereits ist. seit mehreren Jahren geübte Praxis in allen Bundes- ländern ist. Sie haben keinen Fortschritt erreicht; Sie (Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Sie tun nur zu wenig in den Ländern der SPD! Sie haben nur endlich etwas zur Kenntnis genommen. haben die wenigsten Therapieplätze! — Genauso wird es Ihnen mit den Gesundheitsräumen Widerspruch bei der SPD) gehen. Wenn Sie dieses Ziel nicht erreichen können, dann (Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Das heißt das ganz einfach nicht, daß Sie sagen können: Es sind Fixerstuben!) ist uns im Prinzip ganz egal, was wir anbieten. Sie verlangen von den großen Städten, daß es keine ein. Jetzt gehe ich auf Sie und Ihre Therapieplätze „ Spritzplätze" bei uns gibt. Solche Räume sind ein Sie haben schon recht: Es fehlen uns Therapie- Gesundheitsangebot in der Krisenintervention. Sie plätze. können nicht erwarten, daß die großen Städte dafür (Norbert Geis [CDU/CSU]: In den SPD-Län sorgen, daß die Szenen aufgelöst werden, wenn Sie dern!) nicht gleichzeitig Hilfsangebote zur Verfügung stel- Aber es fehlen Therapieplätze nicht nur in SPD- len. Ländern. Wir haben in den letzten Jahren CDU- Eines der Hilfsangebote sind Gesundheitsräume, in Länder übernommen. Da haben wir Ihre Defizite denen es Hilfe zum Überleben gibt, in denen es etwas aufzuarbeiten, die sich sehen lassen können. zu essen und zu trinken und die Gelegenheit zum (Beifall bei der SPD - Roland Sauer [Stutt Duschen gibt und in denen es neue Kleider gibt. Sie gart] [CDU/CSU]: Ich bringe Ihnen die Zah können nicht verlangen, daß alles Personal, das do rt len nachher! — Dr. Jürgen Meyer [Ulm] arbeitet und erste Kontaktstelle für niedrigschwellige [SPD]: Es gibt kaum noch CDU-Länder! Das Angebote der Drogenhilfe ist, sicherstellt, daß sich ist das Problem!) kein Mensch in diesen Räumen irgendwelche Betäu- bungsmittel verabreicht. Was Sie machen, ist, daß Sie — Ich hoffe, das bleibt auch noch länger so. von den Städten Hilfsangebote verlangen, ihnen aber (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wirklich nicht das rechtliche Instrumentarium an die Hand ein Problem zu Lasten der Opfer!) geben, damit sie die Angebote dann tatsächlich auch 7836 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Gudrun Schaich-Walch in ihrer kommunalen Verantwortung umsetzen kön- nach denen Wanzen in Wohnungen für zulässig nen. erklärt werden — es gibt so ein paar mißverständliche (Beifall bei der SPD) Sätze —, falsch wären. Wir wollen mit dem zu verab- schiedenden Teil des Gesetzes nicht etwa die Plazie- Wir haben mit unserem Antrag außerdem eine klare rung von Wanzen in Wohnungen für den Lauschan- Regelung der Entkriminalisierung— ich sage es noch griff für zulässig erklären. Auch dieses muß klarge- einmal deutlich — der Drogengebraucher und -ge- stellt sein. braucherinnen erreichen wollen, nämlich die Freistel- lung des Besitzes kleiner Mengen. Wir wollen weiter- Die Debatte ist mir zu einseitig geführt worden, weil hin eine Erleichterung der Strafeinstellung. Wir wol- wir immer nur die Kriminellen, die Gefahren und d i e len ferner eine erweiterte Möglichkeit der Strafvoll- Drogen gesehen haben. Natürlich ist die Gefahr groß. streckungsaussetzung haben. In dem Zusammenhang Natürlich kann niemand verheimlichen, welche Her- sollten endlich niedrigschwellige Angebote aner- ausforderung sich für den Rechtsstaat durch die orga- kannt werden. Was wir jetzt haben, ist, daß jemand in nisierte Kriminalität ergibt. Aber was für mich zu kurz eine Langzeittherapie geht, um den Knast zu vermei- gekommen ist — deswegen habe ich mich noch ein- den. Aber was wir brauchen, ist, daß Strafvollzug über mal gemeldet —: Wir müssen bei jedem Gesetz den Weg von Substitutionsangeboten und von nied- bedenken, daß von jeder Maßnahme des Staates auf rigschwelligen Angeboten vermieden wird. Denn nur dem Weg der Straftatenbekämpfung auch Tausende dann wird man eine wirklich erhöhte innere Bereit- unschuldiger Bürger betroffen werden. schaft zur Therapie erreichen, die nichts damit zu tun (Beifall bei der F.D.P.) hat, daß Therapie den Leuten aufgezwungen wird. Bei jeder Rasterfahndung, die wir durchführen und (Beifall bei der SPD) bei der wir nach ein, zwei oder drei Gruppen suchen, Was ich genannt habe, sind Dinge, die relativ werden Tausende von Bürgern in Verfahren und auf schnell notwendig sind. Es hilft uns nichts, wenn Sie Grund unseres — vom amerikanischen Verwertungs- im Gesundheitsausschuß sagen: Die Leute müssen prinzip abweichenden — geltenden Verwertungs- noch Geduld haben. Sie müssen nicht Geduld haben, prinzips dann auch möglicherweise in Strafverfahren sondern sie brauchen Hilfe, die den einzelnen Bedürf- einbezogen. Jeder Verteidiger weiß das. nissen angepaßt ist und die als eine ganz flexible (Norbert Geis [CDU/CSU]: Durch vorherige Palette zusammengestellt werden kann. richterliche Genehmigung!) (Beifall bei der SPD) — Natürlich. Aber jeder Verteidiger weiß, daß die Bürger, die mit organisierter Kriminalität nichts zu tun Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächstes hat haben, die anständigen und ordentlichen Bürger, die der Kollege Wolfgang Lüder das Wort. sich vielleicht ein bißchen Steuerhinterziehung haben zuschulden kommen lassen, auf einmal in Verfahren - einbezogen werden. Wolfgang Lüder (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch gar zunächst beim Rechtsausschuß dafür bedenken, daß nicht wahr! Sie haben das Gesetz nicht gele er die Entschließung so gefaßt hat, wie sie uns heute sen!) vorliegt. Während der Erörterung im Hause ist die — Ich kenne das Gesetz, und ich kenne die Praxis. Ich Drucksache nun endlich verteilt worden, so daß wir war lange genug Staatsanwalt und lange genug alle nachlesen können, daß in dieser Resolution keine Rechtsanwalt. Festlegung dahin erfolgt, daß etwas geschehen muß. Vielmehr wollen wir die Offenheit der Prüfung so, wie (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe nicht von der Bundesministerin und von Herrn van Essen den Eindruck!) dargestellt: Offenheit der Argumente zum Lauschan- Was hier vorgesehen ist, wird von uns ja akzep- griff, zur Frage der Notwendigkeit, der Möglichkeit tiert. und auch der Gefahren. Diese Offenheit war für uns in (Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum machen der ersten Fassung der Resolution nicht enthalten. Sie dann so ein Drumherum?) Deswegen können wir dem nicht zustimmen, was gestern von unserem Koalitionspartner, Herr Geis, zu Ich warne nur im Hinblick auf zukünftige Erwägun- der Resolution in der damaligen Fassung gesagt gen und sage, daß wir den ordentlichen und anstän- worden ist. digen Bürger, von dem Herr Marschewski gesprochen (Beifall bei der F.D.P.) hat, im Auge behalten sollten. Er darf nicht von Maßnahmen betroffen werden, die wir unter dem Wir sind frei in der Prüfung. Wir sind nur an die Vorwand der Bekämpfung der organisierten Krimina- heutige Resolution gebunden und an nichts anderes. lität ergreifen. Dies will ich mit Nachdruck für die Fraktion klarstel- len. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das sind Gespen ster, von denen Sie reden!) (Beifall bei der F.D.P.) — Das sind keine Gespenster, das sind tagtägliche Ich weiß sehr viel über den Weg, der gegangen Realitäten. Ich lade Sie herzlich ein, Herr Kollege, worden ist, ohne daß ich das in den drei Minuten einmal in eine Praxis zu kommen. Redezeit ausführen kann. Die Resolution gibt uns zugleich Klarheit darüber, daß Interpretationen des (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich weiß nicht, wo Gesetzes — das will ich auch vorsorglich sagen —, Sie wohnen!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7837

Wolfgang Lüder Wir sind dafür, daß die Werte des Rechtsstaates, an und Prävention. Die Novellierung des Betäubungs- dessen Grenzen wir uns mit dem Gesetz, das wir mittelrechtes sieht Rechtsverordnungsermächtigun- verabschieden, bewußt und gewollt bewegen, auch gen für erweiterte Kontrollen über Herstellung und aufrechterhalten werden. Wir haben die Sorge, daß Handel mit zur Drogenbereitung geeigneten Stoffen die nach der Entschließung vorgesehene Prüfung des sowie die Neuformulierung von Betäubungsmittel- Lauschangriffs nur einseitig durchgeführt wird. Wir straftaten vor. Die freilich alles andere als unumstrit- wollen die offene Prüfung, wie sie von der Bundesmi- tene Einführung der Vermögensstrafe zieht weitere nisterin dargestellt wurde. Wir sind offen, aber nicht Gesetzgebungsaufgaben nach sich, deren wichtigster festgelegt. Teil, das Gewinnaufspürungsgesetz, als Entwurf der (Norbert Geis [CDU/CSU]: Orientierungs Bundesregierung schon vorliegt. los!) Aus der Arbeit im federführenden Rechtsausschuß — Wir sind nicht orientierungslos — darauf lege ich kann ich sehr wohl ermessen, wieviel an Fach- und für die Fraktion Wert —, sondern orientiert am Rechts- Sachkompetenz in diesen umfangreichen Gesetzge- staat und an der Freiheit der ordentlichen und anstän- bungskomplex investiert worden ist. Wenn das Ergeb- digen Bürger. nis keineswegs befriedigt, sondern eher Besorgnis (Beifall bei der F.D.P.) und Beunruhigung auslöst, dann auch wegen der zahlreichen rechtsstaatlichen, verfahrensrechtlichen und sogar verfassungsrechtlichen Bedenken, wie sie Als nächster hat Vizepräsidentin Renate Schmidt: von den Kollegen, aber auch von den Anwalts- und nun der Kollege Dr. Wolfgang Ullmann das Wort. Richterverbänden mit leidenschaftlichem Nachdruck geäußert worden sind. Dr. Wolfgang Ullmann (Bündnis 90/GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Mir geht es jetzt um etwas anderes. Das Gesetz soll Gesetzentwurf wird eine der Hauptaufgaben der die Justiz in die Lage versetzen, organisierte Krimina- Innenpolitik in Angriff genommen, die alle Verfas- lität wirksam zu bekämpfen. Was das anbelangt, so sungsorgane unseres Landes gemeinsam herausfor- kann man nur knapp und deutlich resümieren: Thema dert. Insofern ist es eines der wichtigsten Gesetze verfehlt. Das Gesetz beschäftigt sich mit Symptomen: dieser ganzen Legislaturperiode. dem Aufspüren von Dealern, dem Großstadtelend der Auf welchem Hintergrund führen wir diese Süchtigen und der Beschaffungskriminalität im Knei- Debatte? Vor unseren Augen die Trümmer des penmilieu. Wagens von Richter Falcone, ein erschreckendes Diejenigen, die fernab in Luxusvillen und Strohfir- Schlaglicht auf eine von sozialen Seuchen heimge- menbüros über eine Logistik gebieten, die der der suchte Gesellschaft, in der immer neue Anfälle irratio- sogenannten verdeckten Ermittler mindestens eben- naler Gewalt manifestieren, wie gefährdet der Frie- bürtig ist, werden von den Strafverschärfungen und den in dieser Gesellschaft ist. Nicht mehr an den Abhörtechniken des Gesetzes ebenso wenig behelligt - Grenzen richten sich Waffen aufeinander. Mitten im wie ein berühmter Ex-Oberst am Tegernsee. friedlichen Alltag werden Wehrlose überfallen, miß- handelt und getötet, in einer Gesellschaft, die sich Worum geht es eigentlich? Es geht darum, den mehr und mehr daran zu gewöhnen scheint, daß schwarzen Markt zu liquidieren, der die Preise ermög- Friede wieder die Ausnahme ist wie in jenen Zeiten, licht, die eine wirtschaftliche Basis der organisierten da es diese Gesellschaft noch gar nicht gab, sondern Kriminalität sind. Man sage nicht, hier handele es sich nur ihre Vorstufen in klösterlichen oder militärischen nicht auch um rechtliche Aufgaben. Die Entkrimina- Inseln inmitten einer unabgrenzbaren Wildnis. lisierung des Drogenkonsums ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um die Gewinne aus Schwarzmarkt- Um so mehr schulden wir denen Dank, die wie preisen zu verhindern. Ist es nicht anachronistisch, Richter Falcone, aber auch deutsche Staatsanwälte dieselben Fehler, die der amerikanische Abolitionis- und Polizisten alles tun und getan haben — oft unter mus gegenüber dem Alkohol beging, nach einem Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit —, um Bürger Menschenalter jetzt noch gegenüber den Drogen auf und Bürgerinnen vor Ausfällen der Gewalt und den Grund der mehr als fragwürdigen Unterscheidung Demoralisierungen der Sucht zu bewahren. Dafür von legalen und illegalen Drogen zu wiederholen? schulden wir ihnen Dank. Ich fühle mich verpflichtet, ihn von dieser Stelle aus öffentlich auszusprechen. Ich bitte um unvoreingenommene Prüfung der Nicht zuletzt die Interventionen derer, die ständig Anträge vom Bündnis 90/GRÜNE zu dieser Sache. Sie mit dem Alltag der Kriminalität zu tun bekommen, berücksichtigen in allen Fällen den Status quo unserer sind es gewesen, die zu dem uns vorliegenden Gesetz- Gesetzgebung und verlangen eine in jeder Hinsicht entwurf geführt haben. Seine Grundgedanken beste- maßvolle Korrektur der augenblicklich falschen Poli- hen in Neuregelungen im Bereich des Strafgesetzbu- tik. ches und der Strafprozeßordnung, in Novellierungen Wer gegenüber der organisierten Kriminalität eine des Betäubungsmittelrechtes sowie neuen Kontroll- aktive Politik zu ihrer Destruktion betreiben will, statt und Meldevorschriften im Bank- und Kreditwesen lediglich eine konservative Therapie der Symptome, sowie den Folgeregelungen in einschlägigen anderen der kann sich hinsichtlich des Geldtransfers nicht auf Gesetzen. die recht harmlos angedachten Maßnahmen der Im ersten Fall geht es vor allem um die Einführung Gewinnaufspürung beschränken, die die Möglichkei- einer neuen Strafart, der Vermögensstrafe mit allen ten ihrer Umgehung gleich im Gesetzestext mitliefern. Folgewirkungen, den Einsatz technischer und kon- Ich weiß nicht, was es für das Bankgeheimnis bedeu- spirativer Mittel zum Zweck extensiver Fahndung ten mag, aber erst dann, wenn die internationalen 7838 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Dr. Wolfgang Ullmann Geldströme genauso rigoros durchleuchtet werden Horst Eylmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! wie die Passagiere der Luftfahrt, werden wir den Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie Großunternehmen der Geldwäsche das Handwerk mich zum Schluß etwas allgemeiner, aber auch deut- legen können. licher werden. Schließlich frage ich: Was ist das Strukturgeheimnis Das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz der organisierten Kriminalität? Sie organisiert sich soll dazu dienen, durch Strafverschärfungen und überall da, wo es nicht öffentliche bewaffnete Gewalt durch ein verbessertes Strafverfolgungsinstrumenta gibt: in Diktaturen und Geheimdiensten. Sie sind rium die effektivere Bekämpfung der organisierten gewissermaßen die Wirtsorganismen dieser parasitä- Kriminalität zu ermöglichen. Es wird dieses Ziel nur ren Systeme. Auch unter dem Gesichtspunkt der teilweise erreichen, ja ich befürchte, es wird dieses Demobilisierung aller nichtöffentlichen Gewalten Ziel weitgehend verfehlen. Wem diese Beurteilung zu sollte über die Rolle der Geheimdienste in unserer pessimistisch erscheint, dem will ich gerne in drei oder Gesellschaft und ihre Rolle bei der Rekrutierung des vier Jahren an Hand der dann vorliegenden Krimina- Personals, der Logistik und der Strukturen organisier- litätszahlen Rede und Antwort stehen. ter Kriminalität nachgedacht und daraus Konsequen- Die Kriminalität ist eine Wachstumsbranche. Wir zen gezogen werden. wissen es: Die Zahl der Straftaten nimmt zu, insbeson- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dere bei Gewaltdelikten und im Rauschgifthandel, aber auch in anderen Bereichen. Ich bin durchaus in der Lage, zwischen einem vom Staatsanwalt kontrollierten und auf richterlichen Das Vertrauen der Bürger in die Schutzfunktion der Beschluß durchgeführten und insofern legalen Abhör- Polizei und der Strafverfolgungsorgane ist auf einem vorgang und dem Gegenteil zu unterscheiden. Aber Tiefpunkt. Alle Umfragen weisen aus, daß der daß Wanzen, Spitzel, Kollaborateure — um einmal die Wunsch, besser vor Verbrechen geschützt zu werden, vornehm klingenden Worte des Gesetzentwurfes in der Skala der Forderungen an den Staat ganz oben wegzulassen —, flächendeckende Datenerfassung steht. ein Schutz der Menschen- und Grundrechte sein Die Bürger nehmen in zunehmendem Maße ihren sollen, das wird mir niemals einleuchten. Die gefähr- Schutz selbst in die Hand und lassen sich das auch was dete demokratische Freiheit ist nicht durch ihre kosten. Das private Bewachungsgewerbe boomt. Es Außerkraftsetzung zu schützen, sondern einzig und soll jetzt schon mehr Wachmänner als beamtete Poli- allein durch die wirksame Destruktion aller Organisa- zisten in unserem Lande geben. Man könnte auch tionen, die aus ihrer Bekämpfung ein Geschäft sagen: Der Trend geht hin zur Privatisierung der machen. Polizei. Der Staat nimmt seine vielleicht elementarste Aufgabe, für die innere Sicherheit zu sorgen, also die Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Bürger vor Räubern und Banditen zu beschützen, Schluß noch eine Anmerkung zu dem Entschließungs- nicht mehr ausreichend wahr. Die Polizei, die dafür antrag. Es tut mir wirklich leid, daß ich den Dank, den - keine Verantwortung trägt, ist verunsichert und fru- Herr Lüder dem Rechtsausschuß ausgesprochen hat, striert, fühlt sich von der Politik allein gelassen. für meine Person jedenfalls nicht aussprechen kann. Wir haben heute einen Text vorliegen, in dem folgen- Das ist eine nüchterne Beschreibung der Lage. Wer der Satz steht: sie für übertrieben oder dramatisiert hält, spricht nicht mit den Menschen, die nachts in der U-Bahn von Der Deutsche Bundestag konnte die mit dem randalierenden Skinheads terrorisiert werden. Er Einsatz technischer Mittel in Wohnungen i. S. des spricht auch nicht mit den Polizisten oder er verdrängt Artikels 13 GG verbundenen schwierigen rechtli- das, was er dort erfährt. Manchen Politikern wird das chen, insbesondere auch verfassungsrechtlichen Verdrängen ja auch dadurch erleichtert, daß sie selten Fragen im Rahmen der Beratungen des vorlie- U-Bahn fahren und auch nicht z. B. im Hamburger genden Gesetzentwurfs nicht mit der erforderli- Karolinenviertel wohnen, sondern irgendwo im Grü- chen Sorgfalt klären. nen in einem gut gesicherten Einfamilienhaus. Daß man etwas nicht kann, ist keine Schande. Das Was tun wir im Bundestag gegen diese Entwick- passiert allen Leuten einmal. Aber daß man das der lung? Seit Jahren verschärfen wir die Strafen und deutschen Öffentlichkeit auch noch schriftlich geben schaffen auch neue Straftatbestände. Das tun wir auch muß, halte ich für einen exorbitanten Vorgang dieses mit diesem Gesetz, und zwar in durchaus angemesse- Hohen Hauses. ner Weise. Nur ist damit wenig gewonnen. Der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kollege Singer hat ja recht. Wenn die Kriminalitäts- bekämpfung auf manchen Feldern so wenig effektiv Ich vermute, daß die deutsche Öffentlichkeit mit ist, liegt es doch nicht daran, daß wir keine Straftat- einem ganz kurzen lateinischen Satz darauf reagieren bestände haben. Mord ist strafbar, Körperverletzung wird, den ich nicht ins Deutsche zu übersetzen wage, ist strafbar, Diebstahl ist strafbar usw. nämlich: Si tacuisses . . . Ursache der beklagenswerten Entwicklung ist doch (Norbert Geis [CDU/CSU]: „philosophus vielmehr, daß wir die Täter nicht zu fassen kriegen, mansisses" geht es weiter!) insbesondere dann nicht, wenn sie mit grenzüber- schreitenden, gut getarnten und mit vielfältigen kon- spirativen Methoden arbeitenden Organisationen tätig sind, deren technische Ausstattung hinter der der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat Polizei nicht zurücksteht, sondern sie oft noch über- nun das Wort der Kollege Horst Eylmann. trifft. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7839

Horst Eylmann Also müßten wir das Instrumentarium der Strafver- alle plappern es nach. Wir sind so verblendet, daß wir folgungsbehörden verbessern. Der Bundesrat hat es den Bürgern suggerieren, sie sollten angegriffen wer- mit diesem Gesetzentwurf versucht. Nun wurden ihm den und nicht etwa die Verbrecher. aber eine Fülle rechtsstaatlicher Bedenken entgegen- ( [SPD]: Nach dem Mordan gehalten. Natürlich sind diese Bedenken ernst zu schlag in Italien war das unter Niveau!) nehmen und sorgfältig zu prüfen. Natürlich können wir nicht mit den Methoden des Herrn Mielke bei uns — Ein bißchen Ironie gestatten Sie mir heute auch. für Sicherheit und Ordnung sorgen, eines Herrn Wir sitzen in einem wunderschönen Gebäude, auf Mielke, der uns kürzlich einmal im Untersuchungs- dem vorne mit goldenen Lettern Rechtsstaat steht. Das ausschuß vorhielt, als seine Staatssicherheit noch Gebäude hat viele schöne Räume. In der Beletage tagt funktioniert habe, hätten die Berliner abends im Park regelmäßig im exklusiven Ambiente eines toskani- sicher spazierengehen können. Niemand will einen schen Herrenhauses ein wesentlicher Teil der SPD- Polizeistaat, aber wir sind auch meilenweit von einem Fraktion — die Rechtspolitiker sind dort nicht zuge- Polizeistaat entfernt. Wer das nicht sehen will, dem lassen — und ergötzt sich bei Wein und Käse an sind einige Maßstäbe abhanden gekommen, oder er hochintellektuellen Gesprächen über Utopia. hat ein gestörtes Verhältnis zum Staat schlechthin. (Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD]) Aber was ich vermisse, meine Damen und Herren, Ein Stockwerk höher, noch ein bißchen weiter entfernt ist die Bereitschaft, im manche Güterabwägung neu vom irdischen Niveau, poliert Herr Hirsch in einem einzutreten. Daß das informationelle Selbstbestim- sehr kleinen, aber feinen Zimmer seine wunderschö- mungsrecht des Bürgers bei einer Volkszählung ein nen rechtsstaatlichen Pretiosen. Und irgendwo im größeres Gewicht hat als dann, wenn es darum geht, Hinterzimmer wohnt, als Musterknabe des Rechts- Leib und Leben der Bürger zu schützen, sollte selbst- staats verkleidet, Herr Gysi. verständlich sein. Aber es ist augenscheinlich nicht (Freimut Duve [SPD]: Sie sind auf dem fal selbstverständlich. Ich kann auch nicht verstehen, daß schen literarischen Dampfer!) immer nur die Grundrechte auf der einen Seite in die Waagschale geworfen werden. Ist etwa die körperli- Daß den Leuten draußen dieses Haus allmählich che Unversehrtheit der Bürger, also Schutz vor Ver- etwas fremd vorkommt und sogar einige beginnen, brechen, kein Wert, der zu schützen ist? einen Bogen darum zu machen, bemerken sie nicht. Wenn die Bewohner ab und zu aus dem Kellergeschoß (Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!) verdächtige Geräusche hören und die Fundamente Oder nehmen wir den Zeugenschutz. Wir regeln ihn etwas knistern, dann schrecken sie zwar kurz auf, wie in diesem Gesetz neu, aber nach meiner Auffassung es ja auch in diesem Hause nach den Wahlen in nach wir vor unzureichend. Als Zeuge, der über die Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg ge- Machenschaften einer skrupellosen kriminellen Or- schah. Aber sie haben eben kein Langzeitgedächtnis. ganisation auspacken will, würde ich mich nicht im Das geht auch vielen bei uns so. Sie wenden sich dann geringsten auf den Schutz verlassen, den mir der- neue wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung zu: dem liebevol- § 68 der Strafprozeßordnung gewährt. Ich würde alles len Austüfteln immer neuer, komplizierter und durch- daransetzen, nicht als Zeuge vor Gericht aufzutreten. aus schön anzuschauender rechtsstaatlicher Gedan- Ich wünschte, Herr Kollege van Essen, Sie hätten kengebilde. Recht mit Ihrer anderslautenden Auffassung. Aber ich Lassen Sie mich eins noch in vollem Ernst sagen: glaube es nicht. Wenn es uns nicht gelingt, den Bürgern zu vermitteln, daß die in diesem Parlament vertretenen Parteien in Was wir tun müßten, und zwar alle gemeinsam, der Lage sind, für ein Mehr an wäre, dem Bürger klarzumachen, daß er gewisse öffentlicher Sicherheit zu sorgen, dann werden im 13. Deutschen Bundestag Einschränkungen der Freiheitsrechte hinnehmen auch die Republikaner oder ähnliche Gruppierungen muß, wenn er einen besseren Verbrechensschutz sitzen. Sie werden auf der rechten Seite sitzen, Herr verlangt. Wir müssen ihn davon überzeugen, daß er Hirsch. keine Sorge vor einem Mißbrauch neuer Strafverfol- gungsinstrumente zu haben braucht, weil wir deren Wir alle wollen das verhindern. Dann müssen wir Anwendung von einer unabhängigen Richterschaft uns aber auch nach der Sommerpause zusammenset- kontrollieren lassen. zen, um dieses Gesetz zu verbessern. Natürlich wollen wir sorgfältig beraten. Aber unsere Beratungen dau- Aber was geschieht tatsächlich bei uns? Da erklärt ern nun schon Jahre. der saarländische Innenminister Läpple, wer versu- che, Gespräche verdächtiger Personen akustisch zu überwachen, der greife die Bürger an und schieße mit Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Eyl- Kanonen auf Spatzen. Herr Läpple würde wahr- mann, würden Sie bitte zum Schluß kommen. Sie scheinlich auch noch die italienischen Mafiabosse als haben heute nämlich nicht Geburtstag. Zaunkönige bezeichnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Horst Eylmann (CDU/CSU): Ich bin beim letzten Ich muß mich natürlich in einem Punkt berichtigen: Satz. Herr Läpple hat nicht von der akustischen Überwa- Die Bürger bewerten unsere Arbeit nicht an Ent- chung gesprochen, sondern wie fast alle vom großen schließungen, die wir fassen und wieder aufheben, Lauschangriff. Da erfindet irgend jemand vor längerer ändern und wieder neu fassen, sondern daran, ob wir Zeit eine solche Vokabel, um das, was beabsichtigt durch neue Gesetze in der Tat für mehr Sicherheit wird, in öffentlichen Mißkredit zu bringen, und wir sorgen. 7840 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Horst Eylmann Vielen Dank. stitutionsprogramme nützen weniger den Drogenab- (Beifall bei der CDU/CSU) hängigen als vielmehr der Beruhigung des Gewissens so mancher Kommunal- und Landespolitiker; denn diese sind — das muß man wissen — für Beratung, für Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat Behandlung sowie für die drogenfreie Therapie nun das Wort der Kollege Roland Sauer. zuständig. Hier ist ein großer Nachholbedarf zu bekla- gen. Roland Sauer (Stuttgart) (CDU/CSU): Frau Präsi- Es ist doch bezeichnend: Es sind gerade die SPD- dentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte als geführten Länder, die eine erschreckend geringe Gesundheitspolitiker zur Änderung des Betäubungs- Anzahl an Therapieplätzen auf die Beine stellen, aber mittelgesetzes kurz Stellung beziehen. laut nach Methadon schreien. Ich nenne Ihnen jetzt Wir haben im letzten Jahr die befürchtete Eskala- einmal die Zahlen von lange Zeit — nicht von über- tion im Drogenbereich gehabt. Sie setzt sich auch im nommenen — SPD-geführten Ländern. Dies bet rifft Jahre 1992 fo rt : Wir haben im ersten Quartal schon beispielsweise Hamburg und Nordrhein-Westfalen. wieder 503 Drogentote zu beklagen. Dies ist sicher In Hamburg gibt es bei 10 000 Drogenabhängigen eine besorgniserregende Entwicklung. Nun gibt es lediglich 135 Therapieplätze. aber Stimmen, die alles in Frage stellen, die die (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) gesamte bisherige Drogenpolitik über Bord werfen wollen, eine Drogenpolitik, die auf Abstinenz — ich In Nordrhein-Westfalen gibt es bei über 20 000 Dro- betone dies — fußt. genabhängigen lediglich 568 Therapieplätze. Dabei sollte aber diesen vorschnellen Kritikern klar Nun nenne ich das Land Baden-Württemberg. In sein: Das Drogenproblem ist begrenzbar, es ist nicht Baden-Württemberg gibt es bei 10 000 Drogenabhän- lösbar. Es gibt keine Patentrezepte mit schneller, gigen derzeit 650 Therapieplätze. Das ist noch zuwe- durchgreifender Wirkung, es gibt keinen Königsweg. nig, aber wesentlich mehr als in den SPD-geführten Darüber muß man sich im klaren sein. Es kann nur Ländern. darum gehen, im geduldigen Zusammenspiel aller (Johannes Singer [SPD]: Und was haben Sie Beteiligten die Maßnahmen auszubauen, zu intensi- damit erreicht?) vieren und zu verbessern. Dies gilt besonders im Hinblick auf den Binnenmarkt, der uns eine große Methadonprogramme beschränken die Möglich- Drogenschwemme bringen kann, wenn wir nicht keiten drogenfreier Therapie, da Drogenabhängige, aufpassen. die einmal den Entschluß gefaßt haben, den Entzug vorzunehmen, dies praktisch nicht mehr vollziehen, Es geht letztlich um die Frage der Reduzierung des wenn es den einfacheren Weg des Methadonkonsums Angebots und der Nachfrage. Dabei haben wir drei gibt. gleichwertige Bereiche zu sehen: die Prävention und Prophylaxe, die Therapie und Behandlung- sowie den Auch die immer wieder ins Feld geführte Chance Kampf gegen die Drogenmafia, die Repression. Auf von Methadon bei der Minderung der Beschaffungs- diesen drei Säulen steht der nationale Rauschgiftbe- kriminalität ist — ich zitiere den Leiter eines renom- kämpfungsplan. mierten Münchener Suchtforschungsinstituts — ein Die Legalisierung der Drogen sowie die Einführung Märchen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch vor umfassender Methadonprogramme brächten diese kurzem Professor Kreuzer, der in einer Studie nach- Säulen zum Einsturz. Die Freigabe der Drogen würde gewiesen hat: In Amsterdam ist bei einem großzügi- die bis jetzt vergleichsweise geringe Zahl von Probie- gen, umfassenden Methadon-Programm weder die rern und Leichtkonsumenten entscheidend ansteigen Beschaffungskriminalität noch die Gewalt noch die lassen. Es würden sich Probleme der Kontrolle und Prostitution zum Erwerb von Drogen zurückgegan- Strafandrohung des Konsums für Minderjährige erge- gen. ben. Die Verelendung würde nicht abnehmen; das Die Union lehnt daher die unkontrollierten Substi- zeigen die Beispiele vom Züricher Platzspitz und auch tutionsprogramme entschieden ab. von Amsterdam. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Singer, Sie müssen immer wieder nach Amsterdam gehen. Sie müssen auch die wissenschaft- Wir sind für Methadon in besonders begründeten und lichen Studien über die Verelendung in Amsterdam kontrollierten Einzelfällen. Dabei sind streng umris- lesen, z. B. die letzte, die von Professor Kreuzer, einem sene Indikationen sowie eine strenge ärztliche Kon- führenden deutschen Kriminologen, herausgegeben trolle unabdingbar. Dies ist auch die Haltung der worden ist. Bundesärztekammer. (Johannes Singer [SPD]: Da gebe ich Ihnen Frau Kollegin Schaich-Walch, ich darf Sie kurz aber nicht recht!) ansprechen: ein Wo rt zu Ihren Gesundheitsräumen. Letztendlich würde die Freigabe von Drogen die Die sind in Wirklichkeit Fixerstuben und Drücker Prävention gerade bei jungen Menschen völlig räume. unglaubwürdig machen. Wir lehnen daher diesen (Beifall bei der CDU/CSU) falsch verstandenen Liberalismus entschieden ab. Dies hat mit niederschwelligen Angeboten nichts zu (Beifall bei der CDU/CSU) tun. Die müssen ausgebaut werden, aber nicht die Es darf in einer verantwortungsvollen Drogenpoli- niederschwelligen Möglichkeiten, die letztlich von tik keine Scheinlösung geben. Flächendeckende Sub Staats wegen erlaubte Fixerstuben beinhalten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7841

Roland Sauer (Stuttgart) Mit der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes einer solchen Person in Kontakt zu stehen. Das heim- soll ein Ausbau des Grundsatzes „Hilfe vor Strafe" liche Belauschen des im p rivaten Bereich gesproche- erfolgen. Dies ist sinnvoll, weil Drogenabhängige in nen Wortes einer solchen Person wäre ein tiefer der Regel kranke Menschen sind, denen wir helfen Eingriff in diejenigen Grundlagen des menschlichen müssen. Wir dürfen sie nicht stigmatisieren und auch Zusammenlebens, die eine freie Gesellschaft ausma- nicht kriminalisieren. chen. Ein Rechtsstaat muß sich selbst Grenzen setzen. Wir müssen alles tun, damit angefangene Drogen- Das ist sein Wesen. Man darf über die Grenzen nicht karrieren möglichst schnell beendet werden. Die nur schwadronieren und reden; man muß sie bestim- jungen Menschen müssen in die Therapie und nicht men. Der Staat darf nicht alles. Er darf nicht fordern, ins Gefängnis. nach seiner Entscheidung überall und heimlich dabei sein zu können. Darum sind wir auch für ein Zeugnisverweige- rungsrecht der Drogenberater in anerkannten Bera- Wir leben deswegen nicht in einem anderen Staat. tungsstellen. Wenn wir das Vertrauensverhältnis von Wir wollen weiter in einem Staat leben, der es nicht Drogenabhängigen zu den Beratern verbessern, so allein zu einer Frage der Zweckmäßigkeit macht, ob dienen wir auch dem Ziel, die Drogenkarrieren und wieweit er die Privatsphäre seiner Bürger respek- schnell zu beenden. tiert. Ich möchte aber nicht mißverstanden werden, und Deswegen lehne ich den Entschließungsantrag des damit komme ich zum Schluß. Wir müssen den Dro- Rechtsausschusses auch in der jetzigen Form ab. genabhängigen helfen, von ihrer Sucht wegzukom- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der men. Aber genauso entschieden müssen wir die PDS/Linke Liste — Norbert Geis [CDU/CSU]: professionellen Dealer und Drogenbosse bekämpfen, Der aus Ihrer Fraktion kommt!) damit sie mit ihrem Teufelszeug nicht weiter unsere junge Generation verführen und ihr schmutziges Geschäft betreiben. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wir kommen nun Herzlichen Dank. zur Einzelberatung und Abstimmung über den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erschei- nungsformen der organisierten Kriminalität auf den Bevor wir zur Vizepräsidentin Renate Schmidt: Drucksachen 12/989 und 12/2720. Die Fraktion der Einzelberatung und Abstimmung kommen, hat noch SPD hat zu einer Reihe von Vorschriften getrennte der Kollege Hirsch das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmungen verlangt. Abstimmung. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/2742 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Frau Präsidentin! der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Der Rede des Abgeordneten Geis hat mein Abstimmungs- Änderungsantrag ist damit abgelehnt. verhalten verändert. Ich werde trotz meiner Bedenken zur Vermögensstrafe, wie sie dargestellt worden sind, Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 1 in der Aus- dem Gesetz zustimmen und die Entschließung des schußfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Rechtsausschusses ablehnen. chen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- gen? — Art. 1 Nr. 1 ist damit in der Ausschußfassung Der Entschließungsantrag enthält nach der erklär- angenommen. ten Absicht der Fraktionen nur noch einen Prüfauftrag über die Möglichkeit und Notwendigkeit des heimli- Ich rufe A rt. 1 Nr. 2 auf. Hierzu liegt ebenfalls auf chen Abhörens in Wohnungen, ohne das Ergebnis Drucksache 12/2742 unter Nr. 2 ein Änderungsantrag dieser Prüfung vorwegnehmen zu wollen. Eine solche der Fraktion der SPD vor. Ich bitte diejenigen, die dem Entschließung ist nach meiner Überzeugung überflüs- Änderungsantrag zustimmen wollen, um das Hand- sig. Als Gesetzgeber entscheiden wir selbst, was zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — entscheidungsreif ist. Und wenn wir darüber hinaus Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. etwas prüfen wollen, dann brauchen wir uns dazu Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 2 in der Aus- nicht selber zu beauftragen. schußfassung zustimmen wollen, um das Handzei- (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) chen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- gen? — Art. 1 Nr. 2 ist in der Ausschußfassung ange- Man kann sicher prüfen, ob etwa eine Tiefgarage nommen. unter den Wohnungsbegriff unserer Verfassung fallen muß. Es geht hier aber um mehr als nur um eine Ich rufe jetzt Art. 1 Nr. 3 bis 20 und 21 Abs. 1 bis 4 in juristische Fachfrage oder ein Problem der reinen der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die Zweckmäßigkeit oder um die Grundregel dessen, was zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer bisher bei Ermittlungshandlungen zu den Grundsät- stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die auf- zen eines fairen Vertrages gehört. gerufenen Vorschriften sind damit in der Ausschuß- Es geht um die Zulassung von Wanzen in Wohnun- fassung angenommen. gen, um das heimliche Belauschen des im privaten Ich rufe Art. 1 Nr. 21 Abs. 5 auf. Hierzu liegt auf Bereich gesprochenen Wortes, und zwar nicht etwa Drucksache 12/2741 ein Änderungsantrag der Frak- das des überführten Verbrechers, sondern einer Per- tion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungs- son, die, aus welchen Gründen auch immer, in Ver- antrag? — Gegenprobe? — Stimmenthaltungen? — dacht geraten ist oder die auch nur das Pech hat, mit Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. 7842 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Vizepräsidentin Renate Schmidt Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 21 Abs. 5 in der len, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- Enthaltungen? — Bei wenigen Stimmenthaltungen ist zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- dieser Gesetzentwurf damit einstimmig angenom- gen? — Damit ist Art. 1 Nr. 21 Abs. 5 in der Ausschuß- men. fassung angenommen. Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Buchstabe b Ich rufe Art. 1 Nr. 21 Abs. 6 bis 10 in der Ausschuß- seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/2738, fassung auf. Wer stimmt für diese Vorschriften? — Wer den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Druck- stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die auf- sache 12/655 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für gerufenen Vorschriften sind damit angenommen. diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? Ich rufe Art. 1 Nr. 22 bis 24 in der Ausschußfassung — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung auf. Wer stimmt für diese Fassung? — Wer stimmt ist damit bei wenigen Enthaltungen einstimmig ange- dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufe- nommen. nen Vorschriften sind damit so angenommen. Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 7 und damit zur Ich rufe jetzt Art. 2 bis 17, Einleitung und Über- Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bun- schrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejeni- desrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung gen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — des Betäubungsmittelgesetzes. Dabei handelt es sich Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese um die Drucksachen 12/934 und 12/2737. Dazu liegen Vorschriften sind bei wenigen Gegenstimmen so je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der angenommen. Gruppe Bündnis 90/GRÜNE vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- Damit ist der Gesetzentwurf in der Ausschußfas- che 12/2739? — Wer stimmt dagegen? — Stimment- sung in zweiter Beratung insgesamt angenommen. haltungen? — Bei wenigen Stimmenthaltungen ist Wir treten nun in die damit dieser Änderungsantrag abgelehnt. dritte Beratung Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/2761? — ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- (Zurufe: Niemand!) len, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — — Ich kann das selber feststellen, meine Herren. Ich Stimmenthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthal- stelle die Frage nochmals: Wer stimmt für den Ände- tungen und wenigen Gegenstimmen ist dieser rungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Gesetzentwurf so angenommen. Drucksache 12/2761? — Es ist tatsächlich niemand. Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner (Heiterkeit) Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/2720, den Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache - Änderungsantrag ist damit bei wenigen Stimmenthal- 12/731 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? — tungen abgelehnt. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit so angenommen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- Unter Nr. 3 wird empfohlen, den Antrag der Frak- zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Niemand. Stimm- tion der SPD auf Drucksache 12/1367 ebenfalls für enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? — Gegenstim- zweiter Beratung bei wenigen Stimmenthaltungen men? — Stimmenthaltungen? — Auch diese Beschluß- einstimmig angenommen. empfehlung ist damit angenommen. Wir treten nun in die Unter Nr. 4 empfiehlt schließlich der Rechtsaus- schuß, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt dritte Beratung für diese Entschließung? — Wer stimmt gegen die ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte Entschließung? — Enthaltungen? — Die Beschluß- diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- empfehlung ist damit angenommen. len, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 6 und damit zur Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bun- bei einer großen Zahl von Enthaltungen einstimmig desrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung angenommen. eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit auf den ßungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksachen 12/870 und 12/2738. Ich bitte diejeni- Drucksache 12/2760. Wer stimmt für diesen Entschlie- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung ßungsantrag? — zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der (Zurufe: Null! — Heiterkeit) Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei weni- Niemand. Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- gen Gegenstimmen angenommen. gen? — Bei wenigen Stimmenthaltungen ist dieser Wir treten in die Entschließungsantrag damit einstimmig abgelehnt. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10 c dritte Beratung und stimmen ab über die Beschlußempfehlung des ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte Finanzausschusses zu den Richtlinienvorschlägen der diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol EG zur Verhinderung der Geldwäsche auf Drucksa- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7843

Vizepräsidentin Renate Schmidt che 12/2000. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Überweisungsvorschlag: lung? — Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß (Zuruf von der SPD: Sehr zögerlich! Ein bißchen unsicher!) b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- — Soll ich noch einmal sagen, was es ist, damit Sie zes zur Änderung adoptionsrechtlicher Vor- wissen, worum es sich handelt? — Nein, wunderbar. schriften (Adoptionsrechtsänderungsge- Wer stimmt gegen diese Beschlußempfehlung? — Wer setz — AdoptRÄndG) enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist damit bei einigen Stimmenthaltungen einstimmig — Drucksache 12/2506 — angenommen. Überweisungsvorschlag: Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10b. Rechtsausschuß (federführend) Ausschuß für Familie und Senioren Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des von der Ausschuß für Frauen und Jugend Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- winnaufspürungsgesetzes an die in der Tagesordnung c) Erste Beratung des von den Abgeordneten aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderwei- Dieter Heistermann, Dr. Andreas von Bü- tige Vorschläge? — Dieses scheint nicht der Fall zu low, Gernot Erler, weiteren Abgeordneten sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen. und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften Ich rufe nun den Zusatzpunkt 8 auf: — Drucksache 12/2548 — Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß Überweisungsvorschlag: § 41 Abs. 5 des Außenwirtschaftsgesetzes zur Verteidigungsausschuß (federführend) Kontrolle der Beschränkung des Brief-, Post- Petitionsausschuß und Fernmeldegeheimnisses Innenausschuß Rechtsausschuß — Drucksachen 12/2709, 12/2733 — d) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes F.D.P. schlagen auf Drucksache 12/2709 die Kollegen zur Änderung des Wohngeldsondergeset- Horst Eylmann, Wolfgang Zeitlmann, Peter Paterna, zes Dr. Hans de With und Gerhart Rudolf Baum vor. — Drucksache 12/2601 — Die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE schlägt auf Druck- sache 12/2733 die Kollegin Ingrid Köppe vor. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ich lasse zuerst über den Wahlvorschlag der Gruppe (federführend) Bündnis 90/GRÜNE abstimmen. Wer stimmt für die- Rechtsausschuß sen Wahlvorschlag? — Wer stimmt dagegen? — Ausschuß für Wirtschaft Stimmenthaltungen? — Bei einer Zahl von Enthaltun- Ausschuß für Familie und Senioren Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO gen und einigen positiven Stimmen ist dieser Wahl- vorschlag abgelehnt. e) Erste Beratung des von der Bundesregie- Wir stimmen jetzt über den Wahlvorschlag der rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. ab. Wer zes zur Änderung des Übereinkommens stimmt für diesen Wahlvorschlag? — Gegenprobe! — vom 22. März 1974 über den Schutz der Stimmenthaltungen? — Der Wahlvorschlag ist bei Meeresumwelt des Ostseegebiets (Hel- einer Enthaltung und wenigen Gegenstimmen ange- sinki-Übereinkommen) nommen. — Drucksache 12/2659 — Damit sind die im Wahlvorschlag der Fraktionen der Überweisungsvorschlag: CDU/CSU, SPD und F.D.P. genannten Kollegen zu Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Mitgliedern des Gremiums gemäß § 41 Abs. 5 des heit (federführend) Auswärtiger Ausschuß Außenwirtschaftsgesetzes zur Kontrolle der Be- Ausschuß für Verkehr schränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheim- nisses gewählt. f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Walter Kolbow, Hans Gottfried Bernrath, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 und 14 sowie der Fraktion der SPD die Zusatzpunkte 9 bis 13 auf: Wehrtechnische Zusammenarbeit mit Is- 3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren rael

a) Erste Beratung des von der Bundesregie- — Drucksache 12/2494 — rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Überweisungsvorschlag: zes zum Übereinkommen vom 10. Oktober Verteidigungsausschuß (federführend) 1980 über das Verbot oder die Beschrän- Auswärtiger Ausschuß kung des Einsatzes bestimmter konventio- Ausschuß für Wirtschaft neller Waffen, die übermäßige Verletzun- g) Beratung des Antrags der Abgeordneten gen verursachen oder unterschiedslos wir- Heinz-Alfred Steiner, Dr. Andreas von Bü- ken können (VN-Waffenübereinkommen) low, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter — Drucksache 12/2460 — und der Fraktion der SPD 7844 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Vizepräsidentin Renate Schmidt Verbesserung der Wohnungsfürsorge für weiterer AI geordneter und der Fraktion der Angehörige der Bundeswehr CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Dieter — Drucksache 12/2547 — Thomae, Gerhart Rudolf Baum, Birgit Hombur- ger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Überweisungsvorschlag: der F.D.P. Verteidigungsausschuß (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Maßnahmen zur Verbesserung der Trinkwas 14. Erste Beratung des von der Bundesregierung serqualität in den neuen Bundesländern eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- — Drucksache 12/2735 — zes zur Änderung des Gerätesicherheitsgeset- Überweisungsvorschlag: zes Ausschuß für Gesundheit (federführend) Ausschuß für Wirtschaft — Drucksache 12/2693 — Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) schätzung Ausschuß für Wi rtschaft Haushaltsausschuß ZP9 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dabei handelt es sich um Überweisungen im ver- Änderung des Vermögensgesetzes und ande- einfachten Verfahren ohne Debatte. rer Vorschriften — Zweites Vermögensrechts- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen änderungsgesetz (2. VermRÄndG) — an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie mit diesem wirklich revolu- Drucksache 12/2695 — — tionären Vorschlag einverstanden? — Das freut mich Überweisungsvorschlag: ungeheuer. Dann sind die Überweisungen so Rechtsausschuß (federführend) beschlossen. Innenausschuß Ausschuß für Wi rtschaft Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 und 13 sowie Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Zusatzpunkt 14 auf: Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO 4. Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP10 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung ten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des von der Bundesregierung eingebrach- des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Proto- koll vom 20. Dezember 1990 betreffend die — Drucksache 12/1866 — Änderung des Übereinkommens vom Überweisungsvorschlag: 9. Mai 1980 über den internationalen Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Eisenbahnverkehr (COTIF) (federführend) - Sportausschuß — Drucksache 12/2149 — Rechtsausschuß Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Ausschuß für Wi rtschaft Ausschuß für Verkehr schusses für Verkehr (16. Ausschuß) Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- — Drucksache 12/2578 — schätzung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Dionys Jobst ZP11 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- (Erste Beratung 85. Sitzung) ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des passiven Wahlrechts für Ausländer bei den b) Zweite und dritte Beratung des von der Sozialversicherungswahlen Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die nachträgliche — Drucksache 12/2734 — Umstellung von Kontoguthaben, über die Überweisungsvorschlag: Tilgung von Anteilrechten an der Altgutha- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) ben-Ablösungs-Anleihe, zur Änderung la- Innenausschuß stenausgleichsrechtlicher Bestimmungen Ausschuß für Gesundheit und zur Ergänzung des Gesetzes über die ZP12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Errichtung der „Staatlichen Versicherung Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste der DDR in Abwicklung" Aufnahme des Fernsehfilms „Wahrheit macht — Drucksache 12/2170 — frei" und des Buches „Drahtzieher im braunen aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Netz — Der Wiederaufbau der NSDAP" in das Finanzausschusses (7. Ausschuß) Programm der Bundeszentrale für politische — Drucksache 12/2721 — Bildung Berichterstattung: — Drucksache 12/2426 — Abgeordnete Manfred Hampel Überweisungsvorschlag: Rosemarie Priebus Innenausschuß (federführend) bb) Bericht des Haushaltsausschusses Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- ZP13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich schäftsordnung Adam, Anneliese Augustin, Richard Bayha, — Drucksache 12/2722 — Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7845

Vizepräsidentin Renate Schmidt Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Jochen Borchert Abgeordneter Dr. Lutz G. Stavenhagen Helmut Wieczorek (Duisburg) g) Beratung der Beschlußempfehlung und des (Erste Beratung 85. Sitzung) Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- c) Zweite und dritte Beratung des von den desregierung Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Krop- Aufhebbare Einhundertsiebzehnte Ver penstedt), Dr. Ilja Seife rt, Dr. Gregor Gysi ordnung zur Änderung der Einfuhrliste und der Gruppe der PDS/Linke Liste einge- — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — brachten Entwurfs eines Gesetzes zur teil- — Drucksachen 12/2316, 12/2651 — weisen Erstattung des bei der Währungs- Berichterstattung: umstellung am 2. Juli 1990 zwei zu eins Abgeordneter Peter Kittelmann reduzierten Betrages für ältere Bürgerin- nen und Bürger h) Beratung der Beschlußempfehlung und des — Drucksache 12/1400 — Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Beschlußempfehlung und Bericht des Haus- (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- haltsausschusses (8. Ausschuß) desregierung Aufhebbare Einhundertachtzehnte Ver- — Drucksache 12/2504 — ordnung zur Änderung der Einfuhrliste Berichterstattung: — Drucksachen 12/2484, 12/2652 — Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Berichterstattung: Helmut Wieczorek (Duisburg) Abgeordneter Peter Kittelmann (Erste Beratung 57. Sitzung) i) Beratung der Beschlußempfehlung und des d) Zweite und dritte Beratung des von den Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Abgeordneten Theo Magin, Dirk Fischer (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- (Hamburg), Heinz-Günter Bargfrede, wei- desregierung teren Abgeordneten und der Fraktion der Aufhebbare Neunzehnte Verordnung zur CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ekke- Änderung der Außenwirtschaftsverordnung hard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, — Drucksachen 12/2285, 12/2653 — weiteren Abgeordneten und der Fraktion Berichterstattung: der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Abgeordneter Heinrich Kolb Gesetzes zur Festlegung des Anwendungs- j) Beratung der Beschlußempfehlung und des bereiches und zur Durchführung der Ver- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ordnung (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 - desregierung — Drucksache 12/2573 — Aufhebbare Einundachtzigste Verordnung Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage schusses für Verkehr (16. Ausschuß) AL zur Außenwirtschaftsverordnung - — Drucksache 12/2740 — - Drucksachen 12/2371, 12/2654 — Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Daubertshäuser Abgeordneter Ernst Schwanhold (Erste Beratung 92. Sitzung) k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft e) Beratung der Beschlußempfehlung und des (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- desregierung schuß) zu dem Antrag des Bundesministers Aufhebbare Zwanzigste Verordnung zur Än für Wirtschaft derung der Außenwirtschaftsverordnung Rechnungslegung über das Sondervermö — Drucksachen 12/2449, 12/2655 — gen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Berichterstattung: Sicherung des Steinkohleneinsatzes" Abgeordneter Ernst Schwanhold — Wirtschaftsjahr 1990 - — Drucksachen 12/1905, 12/2563 — l) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Berichterstattung: (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- Abgeordnete Kurt J. Rossmanith desregierung Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Aufhebbare Einundzwanzigste Verord- Helmut Wieczorek (Duisburg) nung zur Änderung der Außenwirtschafts- verordnung f) Beratung der Beschlußempfehlung und des — Drucksachen 12/2483, 12/2656 — Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Berichterstattung: (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- Abgeordneter Peter Kittelmann desregierung Aufhebbare Einhundertsechzehnte Ver m) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- ordnung zur Änderung der Einfuhrliste tionsausschusses (2. Ausschuß) — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — Sammelübersicht 60 zu Petitionen — Drucksachen 12/2164, 12/2584 — — Drucksache 12/2634 — 7846 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Vizepräsidentin Renate Schmidt n) Beratung der Beschlußempfehlung des Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache Petitionsausschusses (2. Ausschuß) 12/2721, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh- Sammelübersicht 61 zu Petitionen men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf — Drucksache 12/2635 — zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der 13. Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei weni- desregierung eingebrachten Entwurfs eines gen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen. Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfe- gesetzes, des Bundesversorgungsgesetzes und Wir treten in die des Lastenausgleichsgesetzes dritte Beratung — Drucksache 12/2219 — ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte a) Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- schusses für Familie und Senioren (13. Aus- len, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — schuß) Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit — Drucksache 12/2705 — bei zwei Enthaltungen einstimmig angenommen. Berichterstattung: Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 4 c. Abgeordnete B rigitte Lange Dabei handelt es sich um die Abstimmung über den Ortrun Schätzle Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste zur b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Erstattung des bei der Währungsumstellung reduzier- schuß) gemäß § 96 GO ten Betrages für ältere Bürgerinnen und Bürger. — Drucksache 12/2706 — Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache Berichterstattung: 12/2504, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff über den Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste Dr. Sigrid Hoth auf Drucksache 12/1400 abstimmen. Ich bitte diejeni- Dr. Konstanze Wegner gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um (Erste Beratung 88. Sitzung) das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- tungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter ZP14 Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Beratung mit großer Mehrheit abgelehnt. Damit ent- desregierung eingebrachten Entwurfs eines fällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera- Gesetzes zur Anpassung der Rechtspflege im tung. Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungsge- setz — RpflAnpG) Wir kommen nun zu Punkt 4 d der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Einzelberatung und — Drucksache 12/2168 — Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts- CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Geset- ausschusses (6. Ausschuß) zes zur Durchführung einer Verordnung der Europäi- — Drucksache 12/2732 — schen Gemeinschaft über gemeinwirtschaftliche Ver- kehrsleistungen auf der Drucksache 12/2573. Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Geis Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksa- Dr. Eckhart Pick che 12/2740, den Gesetzentwurf unverändert anzu- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf (Erste Beratung 57. Sitzung) zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorla- stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstim- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 a auf. Dabei mig angenommen. handelt es sich um die Zweite Beratung und Schluß- Wir treten in die abstimmung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Über- dritte Beratung einkommens über den internationalen Eisenbahnver- ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte kehr auf Drucksache 12/2149. diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksa- len, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — che 12/2578, den Gesetzentwurf unverändert anzu- Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzent- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf wurf einstimmig angenommen. zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Gibt es Stimmenthaltungen? — Der Wir kommen nun zum Punkt 13 der Tagesordnung. Gesetzentwurf ist damit, wenn ich es richtig gesehen Dabei handelt es sich um die Einzelberatung und habe, bei einer Stimmenthaltung einstimmig ange- Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- nommen. gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes, des Bundesversorgungs- Ich komme nun zum Tagesordnungspunkt 4 b. gesetzes und des Lastenausgleichsgesetzes auf den Dabei handelt es sich um den Regierungsentwurf über Drucksachen 12/2219 und 12/2705. die nachträgliche Umstellung von Kontoguthaben, die Tilgung bestimmter Anteilrechte, die Änderung von Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Lastenausgleichsvorschriften sowie zur Ergänzung Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- des Gesetzes über die „Staatliche Versicherung der zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- DDR in Abwicklung". gen? — Bei wenigen Stimmenthaltungen ist der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7847

Vizepräsidentin Renate Schmidt Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig ange- Nun rufe ich den Punkt 11 der Tagesordnung und nommen. den Zusatzpunkt 15 auf: Wir treten in die 11. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs dritte Beratung eines Gesetzes zur Regelung der Aufnahme ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte von Krediten durch die Treuhandanstalt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- (Treuhandkreditaufnahmegesetz — THA len, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — KredG) Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf — Drucksache 12/2217 — bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig ange- Beschlußempfehlung und Bericht des Haus- nommen. haltsausschusses (8. Ausschuß) Wir kommen zum Zusatzpunkt 14 und damit zur — Drucksache 12/2744 — Einzelberatung und Abstimmung über den von der Berichterstattung: Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Abgeordnete Arnulf Kriedner Rechtspflege-Anpassungsgesetzes auf den Drucksa- Helmut Wieczorek (Duisburg) chen 12/2168 und 12/2732. (Erste Beratung 86. Sitzung) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- Wolfgang Roth, Hinrich Kuessner, Angelika zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- Barbe, weiteren Abgeordneten und der gen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Bera- Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs tung bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig eines Gesetzes zur Änderung des Treu- angenommen. handgesetzes Wir treten in die — Drucksache 12/2291 — dritte Beratung Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß (federführend) ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte Rechtsausschuß Finanzausschuß diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Ausschuß für Wirtschaft len, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig ange- Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus nommen. c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Wir kommen zum Punkt 4 e der Tagesordnung. Wir Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Fritz Schumann stimmen ab über die Beschlußempfehlung des Haus- (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/ haltsausschusses zur Rechnungslegung über das Son- Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines dervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Gesetzes zur Änderung des Treuhandge- Sicherung des Steinkohleneinsatzes" auf den Druck- setzes sachen 12/1905 und 12/2563 ab. Wer stimmt für diese — Drucksache 12/2604 — Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimment- Überweisungsvorschlag: haltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung Haushaltsausschuß (federführend) bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig ange- Rechtsausschuß Finanzausschuß nommen. Ausschuß für Wirtschaft Wir kommen zu den Punkten 4 f bis 41 der Tages- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ordnung. Wir kommen zur Abstimmung über sieben Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirt- schaft zur Änderung der Außenwirtschaftsverord- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten nung, der Einfuhrliste und der Ausfuhrliste. Wenn Sie Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Ber- damit einverstanden sind, lasse ich über diese lin) und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. Hat Kurswechsel bei der Treuhandanstalt irgend jemand eventuell etwas dagegen? — Das ist — Drucksache 12/2637 — nicht der Fall; ich höre keinen Widerspruch. Dann Überweisungsvorschlag: können wir so verfahren. Wer stimmt für diese Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Beschlußempfehlungen? — Gegenprobe! — Stimm- Haushaltsausschuß enthaltungen? — Damit sind diese Beschlußempfeh- Finanzausschuß lungen einstimmig angenommen. ZP15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wir kommen nun zu den Punkten 4 m und 4 n der Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Tagesordnung und damit zur Abstimmung über die Gruppe der PDS/Linke Liste Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf Arbeit der Treuhandanstalt den Drucksachen 12/2634 und 12/2635. Es sind die — Drucksache 12/2731 — Sammelübersichten 60 und 61. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Gegenprobe! — Stimm- Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß (federführend) enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind Finanzausschuß damit einstimmig angenommen. Ausschuß für Wirtschaft 7848 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Vizepräsidentin Renate Schmidt Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Es ist viel Geld eingesetzt worden, sehr viel Geld; gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. und es wird weiterhin sehr viel Geld eingesetzt, um Regt sich dazu irgendeine Art von Widerspruch? — das Überleben der vorhandenen Betriebe in weitest- Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. möglichem Umfang zu sichern, damit sich daran eine Ich eröffne die Aussprache, erteile dem Herrn Privatisierung anschließen kann. Es stehen noch etwa Parlamentarischen Staatssekretär Manfred Carstens 4 000 bis 5 000 Betriebe zur Sanierung an. Die Treu- das Wort und verabschiede mich von Ihnen. handanstalt ist zuversichtlich, es Ende des Jahres nur noch mit rund 2 500 Betrieben zu tun zu haben. (Vorsitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cro nenberg) Daß viele schwierige, auch strukturelle Fragen in dem Zusammenhang zu regeln sind, ist völlig klar; das sehen wir so, das ist die Aufgabe der Treuhandanstalt; sie ist schon jetzt gesetzlich geregelt. Das dafür Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- notwendige Geld wird auch zur Verfügung gestellt. desminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Meine Nicht zuletzt deswegen haben wir unseren Gesetzent- verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es wurf eingebracht, der eine Nachfolgeregelung für hier mit drei Gesetzentwürfen zu tun, die mit der das, was im Einigungsvertrag bis 1991 schon geregelt Treuhandanstalt im Zusammenhang stehen: zum war, darstellt; es geht nun um die Jahre 1992 bis 1994. einen das Treuhandkreditaufnahmegesetz, von der Hier kann es gelingen, am Kapitalmarkt, am Kredit- Bundesregierung eingebracht, zum anderen zwei markt die Gelder der Treuhandanstalt zu ähnlichen Änderungsgesetzentwürfe der SPD und der PDS. Bedingungen aufnehmen zu können, ähnlich günstig Bei dem Antrag der SPD habe ich den Eindruck, als wie die Mittel, die der Bund aufnimmt. Das verbilligt hätte man bei der SPD gemeint, es müßte wieder die Arbeit der Treuhandanstalt nicht unerheblich. Es einmal etwas zur Treuhandanstalt gesagt werden. gibt auch Sicherheit für die, die die Kredite zur Verfügung stellen. Das alles ist durchdacht und vor (Zuruf von der SPD: Es muß auch etwas allen Dingen auch so abgesichert, daß Kredite nur mit gesagt werden!) Genehmigung des Bundesfinanzministers aufgenom- Das ist so, als wenn es mit der Arbeit der Treuhandan- men werden können. stalt jetzt erst losginge; in Wirklichkeit ist die Arbeit Es ist sichergestellt, daß der Haushaltsausschuß des voll aufgenommen worden und hoffentlich schon bald Deutschen Bundestages eingeschaltet ist. Wir haben — in einem oder zwei Jahren — beendet. sichergestellt, daß die Wirtschaftspläne der Treu- Über den Antrag der PDS kann man sich nur handanstalt rechtzeitig von dem zuständigen Unter- wundern. Die Vorgänger, die die Karre so richtig in ausschuß in Augenschein genommen werden kön- den Dreck gezogen haben, meinen jetzt, Vorschläge nen. für eine Bewältigung der Probleme unterbreiten zu können. Meine verehrten Damen und Herren,- das (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Endlich!) scheinen die ungeeigneten Kräfte in diesem Hause zu — Okay, auf den Zwischenruf, Herr Kollege Diede- sein, die solche Anträge stellen. rich, gehe ich gerne ein. Mit dem Wort „endlich" In Leipzig habe ich unlängst zum Ausdruck haben Sie nicht ganz unrecht. Das ändert aber nichts gebracht, daß sich die Bürgerinnen und Bürger der an der Richtigkeit meiner Aussage. Insofern meine ehemaligen DDR — unsere Landsleute — nicht mit ich, daß alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, den Ländern vergleichen sollten, die über Jahrzehnte dem Gesetzentwurf zuzustimmen, so daß es dann in der Sozialen Marktwirtschaft leben konnten. Wenn nicht mehr nur ein Entwurf ist, sondern eine sichere sie sich mit denen vergleichen, die ebenfalls unter gesetzliche Ausgangsbasis, von der aus an die weitere dem Sozialismus gelitten haben, dann haben sie recht Arbeit gegangen werden kann. gute Ergebnisse vorzuweisen. Wenn es aber so ist, daß Wie gesagt, wir haben gerade auch im Finanzmini- die Deutschen selbst den Sozialismus über 40 Jahre sterium in Abstimmung mit dem Bundeswirtschafts- nicht erfolgreich praktizieren konnten, dann ist das ministerium — der Kollege Dr. Riedl wird ja gleich ein historischer Beweis dafür, daß der Sozialismus noch das Wort nehmen — dafür gesorgt, daß die nirgendwo auf der Welt erfolgreich betrieben werden Voraussetzungen dafür geschaffen worden sind, daß kann. die Treuhandanstalt gute Arbeit leisten kann. Sie (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) leistet gute Arbeit, und wenn von Ihnen weitere Anregungen dazu kommen sollten, wie die gute Insofern gehen wir den Weg, den wir bei der Arbeit noch verbessert werden kann, nehmen wir Bewältigung der Aufgaben, die der Treuhandanstalt diese Anregungen gerne auf. gestellt sind, beschritten haben, weiter. Es sind große, schwierige Aufgaben. Es ist nicht so, als wenn man Nun geht es darum, die Privatwirtschaft in den einfach nur einmal privatisierte, wie diese Anträge neuen Ländern in Gang zu bringen. Das ist einmal die von der SPD und der PDS glauben machen wollen. Aufgabe der Treuhandanstalt bei ihrer Arbeit. Aber Vielmehr geht es darum, daß man eine Bestandsauf- zum anderen geht es darum, daß Tausende, mögli- nahme vornehmen mußte, daß ein hochqualifiziertes cherweise Hunderttausende mittelständischer Be- Team über 2 000 Betriebe untersucht hat, um festzu- triebe, die schon gegründet sind oder sich in Existenz- stellen, ob man sie sanieren kann. Wenn man sich gründung befinden, so schnell wie möglich — das soll, sofort entschieden hätte, zu privatisieren oder stillzu- muß und wird gelingen — Anschluß an die große legen, dann hätte wahrscheinlich mindestens die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gewinnen, die im Hälfte der Betriebe stillgelegt werden müssen. Westen unseres Vaterlandes schon gegeben ist. Je Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7849

Parl. Staatssekretär Manfred Carstens schneller es gelingt, desto besser für alle. Daran gesprochen, in zwei, vielleicht in drei Jahren habe die wollen wir alle mitarbeiten. Treuhand keinerlei Aufgabe mehr. Herzlichen Dank. Die logische Folge dieser Fehleinschätzung war der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) völlig verfehlte Treuhandauftrag. Zu diesem Thema haben wir nun einen Gesetzentwurf eingebracht, nachdem wir monate-, ja jahrelang Forderungen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort gestellt haben. Die Devise war, schnell zu privatisie- hat nunmehr der Abgeordnete Wolfgang Roth. ren. Was übrig bleibe, was nicht verkauft werden könne, solle eben liquidiert werden. Das reiche dann — so war zu hören — trotzdem als indust rielle und Wolfgang Roth (SPD): Herr Präsident! Meine wirtschaftliche Basis aus. Damen und Herren! Als ich gerade die Rede des Herrn Staatssekretärs hörte, dachte ich wirklich, ich hätte in Nun bestreite ich gar nicht, daß es Bereiche gibt, wo den letzten Monaten die neuen Bundesländer nicht das gelungen ist: Hotels, Versicherungen, Banken, besucht, hätte die vielen Treuhandbetriebe nicht (Parl. Staatssekretär Dr. E rich Riedl: Beim gesehen, die unter größten Existenzschwierigkeiten Mittelstand! — Kurt J. Rossmanith [CDU/ ohne wirkliche Zukunftserwartungen derzeit dahin- CSU]: Handwerk, Bauwirtschaft!) dämmern. Ich habe den Eindruck, Sie befassen sich nicht ernsthaft mit den wirklichen Problemen der kleinere Dienstleistungsbetriebe. In all den Berei- Treuhandbetriebe im industriellen Sektor in Ost- chen, in denen wir nur regionale Nachfrage bedienen, deutschland. also nicht exportieren müssen und nicht im weltwirt- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und schaftlichen Konkurrenzkampf stehen, ist es ganz gut beim Bündnis 90/GRÜNE) gegangen. Das hängt auch damit zusammen — das ist richtig, und das wollen wir gar nicht kritisieren —, daß Während Hunderte von Betrieben, die jeweils den auf der Konsumseite ein gewaltiger Finanztransfer industriellen Kern ganzer Regionen darstellen, derzeit von West nach Ost fließt. Im Dienstleistungssektor ohne Hoffnung dastehen, weil sie überhaupt keinen dort gibt es wirklich blühende Inseln. westlichen Partner finden und trotz monatelanger, ja, jahrelanger Versuche, die Betriebe an den Mann zu Aber der harte Kern des Problems, über den wir seit bringen, ihre industrielle Basis verlieren, tun Sie so, zwei Jahren mit Ihnen wirklich ernsthaft zu diskutie- als ob wir auf einem guten Weg seien, als ob die ren versuchen, wird von Ihnen offenbar einfach nicht Probleme eigentlich leicht zu lösen seien, als ob das wahrgenommen: Für den industriellen Kern in Ost- praktisch schon hinter uns sei. deutschland gab es in der Situation internationaler Meine Damen und Herren, ich werfe Ihnen nicht vor Konkurrenzkräfte, im ha rten — mancher wird sagen: — eigentlich ist das Gegenteil der Fall —, daß Sie brutalen — weltwirtschaftlichen Wettbewerb, über- sagen, es sei eine gewaltige Aufgabe, es sei eine fast haupt keine Chance zu überleben, es sei denn, man unlösbare Aufgabe. Das habe ich Ihnen vor zwei versucht, mit Förderung und Schutz einen Weg in die Jahren im Bundestag mehrfach gesagt. Was ich Ihnen, Zukunft zu bahnen. Herr Staatssekretär, und der gesamten Regierung (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Weil die vorwerfe, ist, daß Sie diese gewaltige Aufgabe in ihrer alles kaputtgemacht hatten!) ganzen Problematik überhaupt nicht erkennen und den Menschen nicht darstellen, so daß inzwischen Dort ist der Bund, dort ist der Staat insgesamt, do rt ist Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit in den die Treuhand in der Übergangsphase gefordert. Treuhandbetrieben des industriellen Kerns in Ost- Um nur eine Zahl zu nennen: Als wir über dieses deutschland eingetreten ist und die Leute überhaupt Thema zu diskutieren anfingen, hatten die im Besitz nicht mehr wissen, wie es weitergeht. Das werfe ich der Treuhand befindlichen Betriebe 4 Millionen Ihnen vor! Beschäftigte. Zum jetzigen Zeitpunkt sind 1,65 Millio- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und nen übriggeblieben, d. h. weit weniger als die beim Bündnis 90/GRÜNE) Hälfte. Wie gesagt, ich habe vor zwei Jahren immer wieder Sie verschweigen und die Treuhand verschweigt — betont, daß es sehr schwer sein wird, ein Land, das aber gerade in Ihrem Auftrag, unter Ihrer Politik der über 45 Jahre von der Weltwirtschaft getrennt war, Verharmlosung —, daß die Probleme vieler großer wieder in die Weltwirtschaft hineinzuführen, und daß industrieller Treuhandunternehmen völlig ungelöst man, wenn man überhaupt eine Indust rie in Ost- sind. Wenn die Treuhand permanent Zahlen veröf- deutschland erhalten wolle, mit intensiver Förderung fentlicht dahin gehend, man habe 1 000, jetzt 1 500 und im Übergang auch mit Schutzmaßnahmen ein- und noch mehr Betriebe privatisiert, geht dies an der greifen müsse. Sie haben damals all diese Worte im Wirklichkeit vorbei; denn sie hat jedenfalls die gro- Deutschen Bundestag als Miesmacherei, als Kassan- ßen, strukturbestimmenden Industrieunternehmen in dra-Rufe und als unnötigen Pessimismus denunziert. Ostdeutschland in bezug auf Sanierung, Privatisie- An dieser Stelle haben mehrere Redner, darunter der rung und Strukturerneuerung noch nicht einmal Bundeskanzler, permanent davon gesprochen, daß angefaßt. Das ist die Wahrheit! jetzt in Ostdeutschland das Wirtschaftswunder kom- men werde. Sie haben davon geredet, nun entstünden (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ eine Mittelstandslandschaft und ein sich selbst tra- GRÜNE — Zuruf von der CDU/CSU: Das gendes Wirtschaftswachstum. Sie haben davon stimmt doch gar nicht!) 7850 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Wolfgang Roth

— Soll ich die Namen nennen? Was ist mit Magdeburg tiert werden kann. Das sind Entwicklungstendenzen, und SKET? Bis heute gibt es keine Lösung, kein die keiner zu verantworten hat. Nur, ich werfe Ihnen Sanierungskonzept. Was ist mit der Elektroindustrie vor, daß Sie in dieser Situation nicht ein klares im Raum Berlin? Mit ganz wenigen Ausnahmen — ich Exportsicherungskonzept für diese Staaten entwickelt muß Siemens loben; die haben ein bißchen mehr haben und daß Sie nicht Marketinghilfen über die gemacht als andere — ist die Elektroindustrie in Treuhand nach dem Westen organisiert haben, mit Ostdeutschland dabei, zusammenzubrechen. Glei- denen neue Märkte für ostdeutsche Betriebe ausfin- ches gilt für den Industriezweig Optik/Feinmechanik; dig gemacht werden. Das heißt, die wegbrechende 80 % der Kapazitäten sind schon verschwunden. Nachfrage war vorhersehbar. Wir hatten bisher die Hoffnung, daß Treuhand und Nun komme ich auf den finanzpolitischen Sachver- Bundesregierung für die Maschinenbauindustrie in halt zurück. Wenn die ostdeutschen Industriebetriebe Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ein Sanie- nicht mehr in der Lage sind, Exporte zu tätigen, muß rungskonzept entwickeln würden. Inzwischen be- für die dann nicht beschäftigten Menschen permanent kommen wir Woche für Woche Meldungen der Hoff- Geld, insbesondere das Arbeitslosengeld, oder ver- nungslosigkeit und vom Zusammenbruch dieser gleichbare Surrogate ABM und Qualifizierungs- Maschinenbauindustrien. Dabei müssen wir betonen, maßnahmen — aus Transfers gezahlt werden. Man daß diese Unternehmen von der Technologie und von erwirtschaftet ja in diesen Bet rieben regional nichts der Qualität der Arbeitnehmer her überhaupt nicht mehr. zusammenbrechen müßten — bei allen Erschwernis- sen, die durch das Wegbrechen der Ostmärkte derzeit Meine Damen und Herren, in dieser falschen Treu- auftreten. handstrategie ist auch das Problem, das Sie in dem Meine Damen und Herren, die Bundesregierung Gesetz nun formuliert haben, verborgen, daß Sie über sagt immer wieder, man habe sich, was die Entwick- Jahre hinweg Kredite von 30 Milliarden DM für die lung in Ostdeutschland und die wirtschaftlichen Mög- Treuhand vorsehen müssen. Diese Kredite wären lichkeiten dort betrifft, insgesamt geirrt. Dazu will ich akzeptabel, wenn das Geld von der Treuhand vor noch einmal klar sagen: Wir haben uns in dieser Frage allem für Investitionen und Innovationen verwendet nicht geirrt. Wir haben in diesem Deutschen Bundes- würde. Das würde man akzeptieren können. Man tag Ihnen seit zwei Jahren permanent klarzumachen kann derartige Kredite gut rechtfertigen, wenn man versucht, daß in der Übergangsphase staatliche sagt: Man stellt die Betriebe auf eine neue Basis, und Instrumente notwendig sind, gerade wenn man auf sie sind dann international konkurrenzfähig und lei- Dauer privatisierte Unternehmen auch in Ostdeutsch- stungsfähig. Aber schauen Sie sich an, wofür das Geld land haben will. verwendet wird. Es ist nicht so, daß es investiv und Die Alternative ist doch nicht: sanieren oder priva- innovativ verwendet wird. In der Regel sind es viel- tisieren. Die Alternative ist immer mehr geworden: mehr Liquidierungszuschüsse und Zuschüsse, um das Weitermachen ohne Zukunftsperspektive durchzufi- privatisieren oder liquidieren. Wir sind der- Auffas- sung: Gerade wenn man in Ostdeutschland langfristig nanzieren. eine existenzfähige Industrie haben will, dann muß Ich selbst bin in zwei Betrieben im Aufsichtsrat tätig man bereit sein, im Übergangsprozeß Sanierungsstra- und weiß, worüber ich zu reden habe. Es ist außeror- tegien wahrzunehmen und das Risiko aus öffentlicher dentlich schwierig, von der Treuhand Geld für Inno- Hand mitzutragen. Dies ist erforderlich, gerade wenn vationen und Investitionen zu bekommen, weil sie im man für private Unternehmen mittelfristig vom Aus- Abwickeln und im Bezahlen von Sozialplänen und land, von Westdeutschland und vor allem von innen reinen Liquiditätszuschüssen erstickt. Managementgründungen bewerkstelligen und in Gang setzen will. Der enge Finanzrahmen, der ihr gegeben wird, Meine These ist also, daß Sie die Treuhand im bedeutet natürlich, daß diese Zukunftsinvestitionen Grunde in eine Privatisierungsschlacht geschickt überhaupt nicht stattfinden. Wenn ich aber einen haben, die sie überhaupt nicht gewinnen konnte, Betrieb habe, der derzeit weltweit überhaupt nicht jedenfalls nicht im industriellen Bereich. Was bei konkurrenzfähig ist, dann muß ich doch die Frage Hotels, Restaurants usw. aufgegangen ist, ist im indu- stellen: Wodurch kann ich ihn konkurrenzfähig striellen Bereich wegen des internationalen Sachzu- machen? Ich brauche nicht in die Qualität der Arbeit sammenhangs, über den ich seit zwei Jahren hier zu investieren. Die Leute sind gut. Das bestätigt jeder, rede, natürlich nicht aufgegangen. der dort tätig ist. Ich brauche auch nicht große neue Meine Damen und Herren, die ganze Geschichte ist Fabrikhallen zu schaffen. Aber ich muß einen andau- für uns auf Dauer auch strategisch und finanzpolitisch ernden Innovationsprozeß garantieren. unheimlich wichtig. Was wir an aufwachsenden Was aber geschieht bei den Treuhandbetrieben? Betrieben in Ostdeutschland haben, sind Betriebe für Die Forschungs- und die Entwicklungsabteilungen die Bedienung des Binnenmarkts, der Region, werden geschlossen, werden zugesperrt. Zu der Kon- Betriebe, die aber nicht exportieren. Die Exporttätig- kurrenzschwäche kommt eine Innovationsschwäche in Ostdeutschland ist praktisch zusammengebro- keit hinzu. Das heißt, die Treuhandstrategie, die die Bun- chen. desregierung vorgegeben hat, ist genau in die falsche Ich werfe Ihnen nicht vor, daß sie zusammengebro- Richtung gegangen. Es geht nach unten, nicht nach chen ist, was die Nachfolgestaaten der alten Sowjet- oben. Das ist meine feste Überzeugung. union anbetrifft. Ich werfe Ihnen nicht vor, daß weni- ger in die Tschechoslowakei, nach Polen, Ungarn und (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke in einige andere, kleinere Staaten in Osteuropa expor Liste) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7851

Wollgang Roth Unser Gesetzentwurf sieht nun eine Veränderung Das fraktionsübergreifend konstatierte und doku- der Treuhandstrategie vor. Wir beauftragen die Treu- mentierte Einverständnis mit der Arbeit der Treu- hand, zu sanieren und Innovationen und Investitionen handanstalt war aber noch nicht in den Postfächern für die Zukunft vorzunehmen. Wir wissen, daß das der Abgeordneten, da präsentierte die SPD — ich bin nicht einfach ist. Ich halte es auch für völlig falsch, die dankbar dafür — ihren eigenen Gesetzentwurf. Er Treuhandleute permanent als die Schuldigen abzufil- sollte eigentlich keinen Aufschub dulden. Es ist trotz- men. Ich bin der Meinung, daß der falsche Treuhand- dem ein Vierteljahr zwischen der Einbringung und auftrag, daß die restriktive Strukturpolitik, daß die der Behandlung heute vergangen. Jetzt wird etwas restriktive Investitionspolitik und daß die Perspektiv- Tempo gemacht. Aber trotzdem: Die SPD hat das losigkeit der Bundesregierung die Ursache für die Thema wieder aufgegriffen, und es ist gut, daß erneut Verfehlungen innerhalb der Treuhand sind. Der man- darüber geredet wird. Ich hoffe auch, daß diesmal gelnde Spielraum ist die Ursache für das, was wir endlich wirkliche Veränderungen eintreten. Herr derzeit beobachten. Wir beobachten in ganzen Regio- Roth hat ausführlich begründet, was zur Zeit abläuft. nen der ostdeutschen Länder eine Entindustrialisie- Ich kann mich dem eigentlich nur anschließen. rung, eine Tendenz zur industriellen Verwüstung. Das Anträge des Bündnisses 90/GRÜNE sowie unser können wir uns nicht leisten, und das wollen wir uns eigener Antrag liegen ja heute zu dieser Debatte nicht leisten. Ich wäre dankbar, wenn der zweite ebenfalls vor. Es geht, Herr Staatssekretär, nicht Staatssekretär, wenn er heute abend redet, nicht mit darum, daß einfach nur wieder einmal darüber gere- dieser lässigen, schnoddrigen, unmenschlichen Art det wird, sondern darum, daß tatsächlich etwas ver- über die Probleme redete, sondern sich ein Stück für ändert wird. das engagierte, was in den nächsten Jahren in Ost- deutschland notwendig ist. Der Entwurf der SPD hat zu Recht das Kernproblem eines der Treuhandanstalt zu erteilenden Sanierungs- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und auftrages zum Inhalt. Er läßt jedoch unseres Erachtens dem Bündnis 90/GRÜNE) eine Präzisierung der Rahmenbedingungen außer acht. Ohne die Verpflichtung der Bundesregierung und der Landesregierungen zur Erarbeitung mitein- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort ander verzahnter kann doch nicht hat der Abgeordnete Dr. Schumann. Strukturkonzepte erfolgreich saniert werden. Es geht um aktive Wirt- schaftspolitik, die das wichtigste Potential, die Men- schen, in den Mittelpunkt stellt. Die haben doch Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erfahrung, die haben Ausbildung! Gestatten Sie, daß ich an den Beginn meiner Ausfüh- Es fehlt bis jetzt eine klare inhaltliche Ausfüllung rungen ein Zitat aus einer Beschlußempfehlung des des Sanierungsauftrages und eine klare und unzwei- Rechtsausschusses stelle: deutige Präferenz der Sanierung, denn solange die Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. Rangfolge Privatisierung, Sanierung und Verwertung empfehlen übereinstimmend die Ablehnung des gilt, behält die Privatisierung oberste Priorität. Eben Gesetzentwurfs der PDS. Sie sind der Ansicht, nach diesem Motto handeln auch alle Mitarbeiter der daß sich das Treuhandgesetz in seiner bisherigen Treuhand; und ich nehme es ihnen auch gar nicht Fassung als flexibel genug erwiesen habe, um übel. Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht werden notwendigen Änderungen, denen die Treuhand- Betriebe saniert, um sie verkaufsfertig zu machen, und anstalt nachzukommen habe, gerecht zu wer- das Ganze geschieht noch unter Zeitdruck, natürlich den. mit großem Engagement der Mitarbeiter; das wollen wir keinesfalls bestreiten. Für diese Aufgaben sind sie Wie dieses Zitat belegt, gab es Mitte Februar 1992 ausgebildet, haben auch große Erfahrungen im bishe- — zu dem Zeitpunkt ist es entstanden — auf der Seite rigen Berufsleben gesammelt und sind sicher auch der Koalition noch eine breite Front, um in wahrhaft unter diesen Gesichtspunkten ausgewählt worden. konstruktiver Opposition einen Gesetzentwurf der PDS zur Reorganisation und Verwertung des ehema- Es geht doch aber um volkswirtschaftlich-gesell- ligen volkseigenen Vermögens der DDR abzulehnen, schaftliche Dimensionen. Deshalb verstehen wir unter der z. B. Anforderungen an die Durchführung der Sanierung einen Komplex von Maßnahmen, der am Sanierung und Modernisierung von Unternehmen im Ende, bitte schön, auch in Privatisierung mündet, der Besitz der Treuhand enthielt und die Treuhandanstalt aber Übergangsperioden kennt, der Strukturpolitik verpflichten wollte, zu prüfen, ob und wie Unterneh- verwirklicht und auch alle Möglichkeiten des öffent- men innerhalb eines Zeitraums von bis zu fünf Jahren lichen Eigentums und der staatlichen Beteiligung saniert und wettbewerbsfähig umgestaltet werden einschließt. Für uns reicht das im vorliegenden könnten. Gesetzentwurf der SPD für Einzelfälle vorgesehene staatliche Beteiligungsvermögen nicht aus. Nun kann ich Ihre grundsätzlich ablehnende Hal- tung gegen alles, was von der PDS kommt, durchaus Unser bereits abgelehnter Gesetzentwurf und der nachfühlen. Aber ich glaube, auch in unserem Antrag heute neu eingebrachte gehen in diesem Punkt eben waren genügend inhaltliche Punkte enthalten, und nicht von der Ausnahme, sondern von der Notwendig- vielleicht können gerade wir, die damit leben mußten, keit der Regel aus. Es gab ja auch schon einmal auch einen Beitrag dazu leisten, was bei der Privati- Forderungen ostdeutscher CDU-Parlamentarier, die sierung und, vorangestellt, bei der Sanierung der heute leider nicht hier im Raum sitzen, die im letzten Wirtschaft in der ehemaligen DDR geleistet werden Herbst für strukturbestimmende Großunternehmen kann und müßte. gemeinsame Bund-Länder-Holdings forderten und 7852 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) dabei den Kapitalanteil privater Investoren unter 50 unter CDU-regierten Ostländern Ansätze in dieser halten wollten, damit deren betriebswirtschaftliche Richtung gibt. Die Vereinbarung zwischen Sachsen Überlegungen die strukturpolitischen Entscheidun- und der Treuhandanstalt setzt erste Signale, wie mit gen nicht verzögern könnten. Ich möchte ihnen gern mehr Transparenz und in gemeinsamer Verantwor- zurufen: Nur Mut, Kollegen! Aber sie sind leider nicht tung gehandelt werden kann. hier. Die PDS vermißt auch eine Verpflichtung zur Rück- Es geht um die Änderung eines Konzepts, nicht übertragung des bis 1952 bestehenden Landeseigen- einfach nur um Kritik an der Treuhandanstalt, die nur tums an land- und forstwirtschaftlichem Boden in die ausführendes Organ ist. Um so mehr bitte ich die SPD Regie der Länder, damit diese es selbst und vor allem auch um eine Konkretisierung dessen, was sie unter im Interesse der ortsansässigen Bauern und der Län- „langfristig sanierungsfähig" bzw. unter „volkswirt- derfinanzen verwenden können. schaftlich förderungswürdig" verstanden wissen will. Nicht zum Schluß haben wir einen Antrag gestellt, Ich entnehme dem Gesetzentwurf allerdings, daß die die Bundesregierung zu beauftragen, nun endgültig SPD der Bundesregierung die Begleitung des Sanie- bis zum 30. Juni dieses Jahres die gesamten D- rungsprozesses und damit das Monopol der Definition Mark-Eröffnungsbilanzen aller am 1. Juli 1990 zur des Begriffs Sanierung ans Herz legen möchte. Treuhand gehörenden Betriebe auf den Tisch zu Meine Damen und Herren, die Möglichkeit der legen. Für mich ist es unverständlich, wie man einer- Beteiligung unmittelbar Betroffener und ihrer ge- seits Leitlinien und Richtlinien für die Tätigkeit der werkschaftlichen Vertreter an solchen Entschei- Treuhandanstalt vorgeben will und wie andererseits dungsprozessen halten wir für unabdingbar. Geeig- eine Bewertung der Treuhandtätigkeit ermöglicht nete Formen der Arbeitnehmerbeteiligung, die der werden kann, wenn man keine Ausgangsbilanz hat. besonderen Risikosituation Rechnung tragen und die Jedes Unternehmen in der privaten Wirtschaft wäre die SPD in ihrem Entwurf erwähnt, reichen uns noch von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Herr Staats- nicht aus. Es geht um ganz konkrete Fragen: Was wird sekretär Carstens, Sie haben hier selbst eingangs mit Investivlohnkonzepten? Liebäugelt die SPD viel- bestätigt, daß eine Bestandsaufnahme notwendig leicht damit? Wann beginnt die Mitbestimmung der war. Bitte, sorgen Sie dafür, daß diese auf den Tisch Beschäftigten? Wie wird sie organisiert und institutio- kommt und daß, davon ausgehend, hier weitere nalisiert? Wie steht es um die Möglichkeit, Unterneh- Entscheidungen getroffen werden können. men in Belegschaftseigentum zu übertragen? Sollen Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. die Beschäftigten auch an der Begleitung des Sanie- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) rungsprozesses durch die Treuhandanstalt beteiligt werden? Wenn ja, wie? Die Zeit wäre reif, zumindest ein klares Bekenntnis Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr zur Forderung der IG Metall nach Aufbau- einer erteile ich dem Abgeordneten Werner Zywietz das Industrieholding zur Sanierung für die als sanierungs- Wort. fähig eingestuften Betriebe abzulegen. Den Gesetzentwurf der PDS hat die SPD neben Werner Zywietz (F.D.P.): Herr Präsident! Meine anderen Parteien damals auch aus folgendem Grund Damen und Herren! Bei dieser erneuten Debatte zu abgelehnt: Um Lösungsvarianten für die Sanierungs- Fragen der Treuhand, der vier Anträge zugrunde aufgabe zu finden, müßten außerhalb der Treuhand- liegen — einer vom Bündnis 90 über einen Kurswech- anstalt neue Überlegungen eingebracht werden, und sel bei der Treuhand, dann ein Antrag der PDS, die zwar im Rahmen einer separaten oder angegliederten ebenfalls eine Änderung des Treuhandgesetzes vor- Behörde. sieht, ein Antrag der SPD, die das Sanierungsziel in Ich frage Sie jetzt: Wo ist in Ihrem Gesetzentwurf das Treuhandgesetz eingebracht wissen will, und ein von einer solchen Behörde die Rede, die Sie im Kreditermächtigungsgesetz —, habe ich den Ein- PDS-Entwurf damals so schmerzlich vermißt haben? druck, lieber Kollege Roth, daß Sie versuchen, hier das Mein Eindruck ist, daß die SPD an dem anstaltsinter- Dauerabonnement für Treuhandklagelieder — so nen Controlling überhaupt nichts ändern will. Sie tut möchte ich einmal sagen — zu erlangen. Und wenn ich so, als gäbe es die Berichte über ich darf es hier richtig zur PDS hinübergehört habe — aber das lohnt zurückhaltend formulieren — anstaltsinterne Unre- vielleicht nicht so sehr —, dann strotzt das, was Sie hier gelmäßigkeiten bei der Privatisierung nicht. beantragen und eben in der Debatte dargelegt haben, nur so vor Widersprüchlichkeiten. Eine organisatorische Trennung der Sanierungsauf- (Zuruf von der SPD: Und Sie von Igno gaben und der Verkaufsaktivitäten innerhalb der ranz!) Treuhandanstalt wäre nach Meinung der PDS/Linke Liste kein geeignetes Mittel, um das Geschäftsgeba- — Wie bitte? ren der Treuhandanstalt und die Seriosität ihrer (Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/ Geschäftspartner effektiver als bisher kontrollieren zu GRÜNE]: „Ignoranz" war das Stichwort! Bei können. Ihnen!) Unsere Forderungen gehen deshalb weiter: Mitbe- — Für die PDS? stimmung und Erhöhung der Transparenz der Arbeit (Zurufe von der SPD: Bei Ihnen!) und der Entscheidungsfindung der Treuhandanstalt gehören in ein reformiertes Treuhandgesetz unbe- — Bei mir? Nur gut, daß ich das nicht gehört habe. dingt hinein. Die Praxis zeigt ja bereits, daß es selbst (Heiterkeit) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7853

Werner Zywietz Aber wir haben ja noch Zeit für die Debatte. darin, die Grenzen zu finden und alles etwas genauer Erst einmal bleibe ich bei den Widersprüchlichkei- zu definieren. ten der PDS, und da wird sich schon so manches Wenn Sie, Herr Roth, in diesem Zusammenhang aufklären. Sie bestehen nämlich darin, daß Sie, Herr beklagen, daß zu wenig im Detail gemacht wird, dann Kollege, dargelegt haben, wie in der Treuhand saniert kann ich nur sagen: Andere in Ihrer Partei beklagen werden soll, wie anders vorgegangen werden soll. das hohe Engagement, das finanzielle Engagement Bloß, ich habe den Antrag vielleicht etwas genauer der Treuhand und in der Deutschlandpolitik über- durchgelesen, als Sie es getan haben. Darin steht haupt. Vor vier Wochen ist in diesem Haus von Ihrer schlichtweg, daß das Wort „Privatisierung" gestrichen Fraktion ein Antrag gestellt worden, der dahin ging, werden soll. alle Altschulden mit einem Federstrich zu beseitigen. (Wolfgang Roth [SPD]: Ja, eben! Deshalb Jetzt plädieren Sie für ein differenziertes Vorgehen. haben wir ihn ja auch abgelehnt!) Vor vier Wochen wollten Sie 30 Milliarden DM Alt- Sie wollen die Unternehmen verbessern, aber was soll schulden beseitigen. denn am Ende geschehen? Die Unternehmen in Ist das die Zielgenauigkeit, ist das die neue Treu- Staatshand belassen, das heißt, den Schlendrian, der handstrategie, die Sie uns hier vorschlagen wollen? — zu dieser Situation geführt hat, in etwas variierter Da ist das Vorgehen der Regierung aber um einiges Form zu belassen, sozusagen wieder auf eine oder besser. mehrere große Staatsholdings zuzusteuern, die mit Steuergeld unterhalten werden müssen, soweit sie (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — selbst dazu nicht in der Lage sind. Aber ich verstehe Zuruf von der SPD: Na, mein lieber Kollege! den ganzen Sinn Ihres Antrages nicht, wenn schlicht- — Heiterkeit bei der SPD — Dr. Nils Diede weg aus dem Treuhandgesetz die Zielsetzung Nr. 1, rich [Berlin] [SPD]: Du machst aber jetzt die Privatisierung, gestrichen werden soll. Das ist ein einen schlechten Eindruck!) Unding. — In dieser freundlichen Runde lasse ich mich nicht (Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ provozieren. Linke Liste]: Als Nr. 1 soll sie gestrichen In den soeben angesprochenen Fragen liegen aber werden!) die Probleme. — Nein, daß Sie sie überhaupt streichen wollen, das ist der Kernpunkt. Dann brauchen wir über alles Weitere, Ich nehme jetzt einmal den Begriff des Sanierens was Sie hier ausgeführt haben, überhaupt nicht mehr auf. Keiner hat hier gesagt, was man darunter verste- zu reden. Schauen Sie sich Ihren Antrag an, und Sie hen soll. Mit dem Wort „Sanieren" können wir uns werden das feststellen. Es steht da nämlich mehrfach: durchaus anfreunden. Situationen verbessern, sanie- Die Worte „Privatisierung" werden gestrichen. ren — so weit, so gut. Ich habe ja auch soeben gesagt, daß wir das im öffentlichen Bereich — auch im (Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/- Treuhandbereich — tun. Wenn ich dazu auch noch die Linke Liste]: An dieser Stelle!) SPD-Parteiprogramme, andere Parteiprogramme und Ich habe mir das herausgeschrieben. Damit ist der über Jahrzehnte entwickelte Verhaltensweisen zu ganze Sinn Ihrer Darlegung weg. Hilfe nehme, dann weiß ich aber doch, was aus diesem Sie, Herr Schulz, werden ja noch reden. Ihr Antrag Stichwort wird. Aus dem Stichwort „Sanieren" wird ist freundlicher, sanfter. Sie plädieren für eine aktive ein größerer Staatsanteil. Dann werden mehr Unter- Sanierungspolitik. Nun, das ist das neue Stichwort, nehmen an der Brust des Staates erhalten. Dann das umgeht: Sanieren. Aber eines ist doch wohl klar: werden mehr Steuergelder gebraucht. Dann werden Wir sanieren nicht nur mit erheblichem Aufwand und mehr Beamte und weitere öffentliche Bedienstete klaren Zielsetzungen bei der Treuhand, sondern benötigt. Das alles wäre die Quintessenz; denn durch sanieren in den fünf neuen Bundesländern immens in den Begriff „Sanieren" können wir durchaus ein allen möglichen politischen Gestaltungsbereichen. bißchen durchschauen, um uns vorzustellen, was Was ist es denn, was im Bereich des Straßenbaus, im dabei am Ende herauskommt. Bereich der Forschungslandschaft, im Bereich der Ich sage Ihnen ganz klar: Wir von der F.D.P. sind Telekommunikation, der Bahn, des Flughafenaus- weiterhin für den Vorrang des Privatisierens. Das ist baus geschieht? Was ist denn das alles? Das ist die beste Sanierung, weil sie damit mehrere Ressour- Sanierungsaufwand, Sanierungsarbeit in der Infra- cen, mehrere Kapitalgeber, mehr persönliches Enga- struktur. gement und mehr Verantwortung in den Aufbau der (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Komm fünf neuen Bundesländer hereinbringen, als dies der doch mal zur Treuhand!) Staat schaffen könnte. Der Staat wird an dieser Stelle — Und dazu kommt auch noch ein Auftrag im Rahmen maßlos überschätzt. Er darf nicht alles. Das ist in einem der Treuhand. In diesem Zusammenhang brauchen anderen Teil der Debatte heute deutlich geworden. Er wir keine Gesetze mehr zu ändern. Das, was hier kann auch nicht alles. Diese Aufgabe so auf den Staat geändert werden soll, wird rechtzeitig geschehen. und auf das Sanierungsverlangen zuzuspitzen, heißt Wenn die Aufgabe als solche erledigt ist, werden auch schlichtweg, nicht voranzukommen, weil Sie so die die Änderungen abgeschlossen sein. Ressourcen überstrapazieren oder deutlich mehr Abgaben und Steuern vom Bürger erheben müßten. Detlev Karsten Rohwedder kam doch politisch aus Das ist das Kernproblem. Ihren Reihen. Es ist doch schon fast ein Ondit, daß man sagt: privatisieren, sanieren und stillegen. Da laufen Auf der einen Seite wollen Sie zwar mehr, auf der wir doch offene Türen ein. Das Problem liegt eher anderen Seite aber beklagen Sie die Kreditfinanzie- 7854 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Werner Zywietz rung und den Aufwand des Staates. Das müssen Sie men — soviel verstehe ich auch davon — in schwieri- erst einmal erklären, wie Sie diese beiden Enden gen Phasen in ein ökonomisches Gleichgewicht brin- zusammenbringen wollen. Ihre diesbezüglichen Vor- gen, indem man Aktiva verkauft, das geschieht auch stellungen sind voller Widersprüchlichkeiten. bei uns bei Firmen, die ein bißchen notleidend sind. (Wolfgang Roth [SPD]: Sie bezahlen doch Dann wird Tafelbesteck verkauft, sprich Grundstücke Leute fürs Nichtstun, unglaublich viele und, und, und. Dann haben Sie eine ausgeglichene Leute, die nichts tun dürfen!) Bilanz. Nur, was Sie nicht haben, ist ein saniertes Unternehmen. Sie haben eine Periode, wo Ausgaben — Leute an die Arbeit zu bringen, das ist sicher eine und Einnahmen in Übereinstimmung sein mögen, Aufgabe, die uns allen noch besser gelingen müßte. aber Sie haben deswegen noch lange kein Unterneh- Darüber bin ich mir im klaren. Aber ich halte, um dies men, das saniert ist und sein Geld am Markt verdienen ganz klar zu sagen, den Begriff des Sanierens in dem kann. Sie können eine Trabifabrik durch Veräuße- Treuhandgesetz — dort heißt es jetzt: privatisieren rung von Grundstücken ein Jahr in die Balance und verwerten — für problematisch. Darüber kann bringen, aber die Trabis werden Sie nach wie vor nicht man nachdenken. Er wird jedoch bereits dort prakti- am Markt verkaufen können. Wenn ich so die Sanie- ziert, wo dies ökonomisch sinnvoll ist, deshalb muß er rung verstehe, dann müssen Sie weiß Gott mehr tun, nicht mehr unbedingt in das Gesetz aufgenommen als nur mit etwas Staatsknete mal für eine Periode eine werden. Hierbei handelt es sich bereits um einen ausgeglichene Bilanz hinzubekommen. praktizierten Sachverhalt. Wenn Sie dennoch für eine gesetzliche Aufnahme (Zuruf von der SPD: Davon redet kein sind, es sich also um einen einklagbaren Anspruch Mensch!) handeln soll, dann bekommen wir eine andere Wirt- Das ist der Kern der Dinge! Das kann nicht Vater Staat. schaftspolitik, bei der am Ende die Subventionen und Wer soll denn das machen? der Staatsanteil deutlich höher liegen werden. Ich Da ist mir die Privatisierung und das Engagement sehe nicht, wo die Besserung liegen wird. Das wird zu der Geschäftsführung, der Vorstände, der Aufsichts- einer öffentlichen Geldverschwendung großen Stils. räte zigmal lieber. Das ist bereits jetzt sehr deutlich geworden.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Roth [SPD]) Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Herr Ab- — Herr Kollege Roth, sagen Sie mir einmal, wo der geordneter Zywietz, wenn ich Ihnen die Antwort nicht Staat besonders gute Referenzen als effizienter Sanie- anrechnen soll, darf sie aber auch nicht allzu lang sein, rer hat. Ich habe mir einmal überlegt, wo der Staat, denn sonst kommen wir in große Schwierigkeiten. Ich wenn er managt, das besonders gut gemacht hat. Mir bitte daher, vielleicht die nächste Frage stellen zu ist dazu nichts eingefallen. Stattdessen — gerade wollen. wenn ich zu Ihnen herüberschaue — fallen mir einige Dinge ein, die besonders mißlungen sind. Ich will jetzt Dr. Emil Schnell (SPD): Meine zweite Frage ist - aber nicht nur die Neue Heimat erwähnen. natürlich — (Wolfgang Roth [SPD]: Ich hoffe, Sie haben

Aktien bei der VIAG! Das ist ein schönes Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Nein, das Papier geworden!) gilt entsprechend der Geschäftsordnung für den Kol- legen, der hinter Ihnen steht, wenn Sie sich einmal

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Herr Ab- umschauen würden. geordneter Zywietz, gestatten Sie zwei Zwischenfra- (Heiterkeit) gen? Bitte schön!

Werner Zywietz (F.D.P.): Ja, wenn sich die beiden Fragesteller auf die Reihenfolge verständigen kön- Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Lieber Kollege nen, dann bin ich gern dazu bereit. Werner Zywietz, ich freue mich ja, daß wir jetzt hier in den Dialog kommen; nur reicht es ja nicht aus, auf dem Begriff „Sanierung" einfach herumzuhacken. Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Bitte sehr, Herr Dr. Schnell. Sind wir uns nicht aus den Diskussionen im Unter- ausschuß einig, daß wir feststellen, daß die Treuhand unter dem Zwang, möglichst schnell privatisieren zu Dr. Emil Schnell (SPD): Kollege Zywietz, teilen Sie die Ansicht, daß es Listen gibt, in denen sanierungs- müssen, in der Regel so stark abspeckt, daß eben nur fähige Betriebe aufgeführt sind, daß man diese tat- noch das Tafelbesteck, sprich Grundstücke und sächlich saniert, und zwar aktiv, massiv und möglichst Immobilien, übrigbleiben? schnell, und daß man dies in der augenblicklichen Könnten Sie mir beipflichten, daß es insbesondere Phase, in der wir uns derzeit befinden, auch an der im Interesse des Erhalts von eigenständigen Unter- Brust der Bundesrepublik — vielleicht in diesem Falle nehmungen, die eben nicht nur verlängerte Werk- an der Brustwarze — tun muß? bänke sind, sinnvoll wäre, hier längerfristige Über- gangsräume vorzusehen, die eine Sanierung vor die Werner Zywietz (F.D.P.): Na, ob die soviel bringt? — Privatisierung schalten? Ich bin sehr dankbar für diese Nachfrage, Herr Kol- lege. Ich bin in der Tat folgender Meinung: Wir Werner Zywietz (F.D.P.): Es wird täglich saniert, und müssen uns darüber unterhalten, was wir eigentlich das Abspaltungsgesetz hat ja den Zweck, daß wir unter Privatisierung verstehen. Man kann Unterneh eigenständige, in sich funktionierende Unternehmen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7855

Werner Zywietz schaffen wollen in erhöhter Zahl. Das ist doch die Ingeborg Philipp (PDS/Linke Liste): Die Menschen Linie, den Weg beschreiten wir. in den neuen Ländern — und das sind nicht wenige — Was das Sanieren anbelangt, kann ich nur noch stehen unter einem Kapitalismusschock, der ganz, einmal sagen: Es geht darum, marktfähige Produkte in ganz tief sitzt. Sie sind sehr tief verunsichert, sie den Unternehmen herzustellen, Leistungen oder Pro- wagen keinen Widerstand und sitzen in der Ecke. Ich dukte, um das exakt zu sagen. Solange das nicht möchte Sie fragen: Die westliche Welt hat einen Ruf zu gelingt, geht alles am Kern der Sache vorbei! Das ist gewinnen oder zu verlieren. Wie wollen Sie diesen ein Faß ohne Boden. Anforderungen begegnen? Wenn ich mich frage: Wer kann Unternehmen auf (Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/ marktfähige, verkaufbare Leistungen und Produkte GRÜNE]: Das ist eine philosophische Frage! umstellen, dann fällt mir bei Vater Staat so unendlich Sie haben eine Stunde Zeit zur Beantwor viel nicht ein. Dann schaue ich auf Geschäftsführung, tung dieser Frage!) dann schaue ich auf Vorstände, dann schaue ich auf Aufsichtsräte, und ich achte darauf, daß ich Leute in Werner Zywietz (F.D.P.): Herr Schulz, Sie sind ein Verantwortung bekomme, daß ich die Belegschaft Scherzbold. motiviere. Dann verbessere ich im Sinne von Sanieren (Heiterkeit) die Position von Unternehmen und damit auch die Wir tun das doch auch und brauchen uns hier nichts Lebenspositionen von Arbeitnehmern und damit Mit- wechselseitig vorzuhalten. Ich habe die Situation bürgern. nicht so geschaffen, wie sie ist, aber wir bemühen uns Daran ist uns gelegen. Deswegen ist Privatisieren redlich, sie mit den uns zur Verfügung stehenden nichts Schlechtes, sondern der richtige Weg, die Mitteln zu verbessern. Das sollten Sie auch einmal in Lebenssituation von Unternehmern, möchte ich bei- aller Fairneß zur Kenntnis nehmen. Man kann sich nahe einmal sagen, deren Arbeitnehmern und Mit- nicht nur hinstellen und sagen: Uns muß geholfen bürgern zu schaffen, und nicht ein etwas sanftes Tuch werden, wir machen alles richtig, und die anderen darüberzuhängen, daß wir hier mit einem staatlichen müssen mehr liefern und kräftiger in die Speichen Schnipp die Dinge in die Reihe bekommen. greifen, um die Überlegenheit der Marktwirtschaft zu dokumentieren. Das ist doch nicht die Arbeitsteilung im vereinten Deutschland, sondern es ist im Moment Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Nunmehr, eine Leistungsbereitschaft mehr im westlichen Teil Herr Abgeordneter Zywietz, lasse ich die Uhr wieder des Landes gegeben, soweit sie sich über die Steuer- laufen. mittel ausdrückt, aber auf der anderen Seite muß auch mitgearbeitet werden, damit dort Gewerbeflächen Werner Zywietz (F.D.P.): Ich möchte bei dem vorhanden sind, damit die administrativen Abläufe Punkte, der mir nicht ganz uninterressant zu sein schneller gehen und und und. Das ist eine Eigenlei- scheint — das machen die Reaktionen ja deutlich- — stung, die sie zu erbringen haben. Das abgeschickte sagen: Wir sind doch alle davon beseelt, der wirt- Geld reicht allein nicht aus, wenn nicht auch die schaftlichen Situation in den neuen Bundesländern Bereitschaft gegeben ist, es sozusagen aufnahmefähig voranzuhelfen. Über den Weg diskutieren wir an zu machen für Investitionen und Firmenführung. Das einigen Stellen kontrovers. ist doch der entscheidende Punkt. Ich sage schlichtweg: Ich bleibe auf der Linie, die (Zuruf von der CDU/CSU: Das muß einmal von der F.D.P. vertreten wird: Vorrang für Privatisie- gesagt sein!) rung, wo es geht, und wenn es nicht in den großen Einheiten geht, wie wir sie geerbt haben, dann müs- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Meine sen sie sinnvoll aufgeteilt werden. Das ist der Weg! Damen, meine Herren, Herr Abgeordneter Zywietz, Sanieren im Sinne von Verbessern läuft täglich. Das ist wenn nicht durch dieses Zwischenspiel Ihre Redezeit auch meine Erwartung. Da kann man noch mehr verdoppelt werden soll, dann bitte ich um Verständ- Nachdruck machen in den Unternehmen. Die haben nis, daß ich jetzt weitere Zwischenfragen nicht mehr doch bezahlte Geschäftsführer. Diese sind doch nicht zulasse. dazu da, nur etwas zu verwalten, sondern diese Bitte schön, fahren Sie bitte in Ihrer Rede fort. können ihre Berufskunst darin erproben, wie sie die ihnen anvertrauten Unternehmen täglich oder all- Werner Zywietz (F.D.P.): Ich lege Wert darauf, für monatlich in einen besseren Zustand bringen. Ich die F.D.P. noch einmal festzustellen, daß der Vorrang weiß auch, daß die besten Stücke, wenn man einmal der Privatisierung gegeben ist und daß nicht ein so sagen darf, privatisiert worden sind und daß es im Gleichklang von Privatisierung und Sanierung der weiteren Verlauf etwas schwieriger wird zu privatisie- richtige Weg ist. In Ausnahmefällen ja, aber es ist eine ren und daß man eine Vorbereitung braucht. Nachrangigkeit. Die Gleichwertigkeit führt nur zu einem teuren, unproduktiven Ausweiten des Staats- (Zuruf von der SPD: Ich zeige dir gerne in anteils mit einem Subventionsschwanz, an dem wir meine Wahlkreis Beispiele, die das widerle noch lange zu kauen haben. Dies ist ein verkehrter gen, was du sagst!) Weg, wenn er zur Generallinie erhoben wird durch Einbringen der Begriffe privatisieren, sanieren, stille-

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Herr Ab- gen oder verwerten. Das ist nicht der richtige Weg. geordneter Zywietz, die Abgeordnete Frau Philipp Ich möchte Ihnen auch noch sagen: Stillegen, liqui- möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Sie gestat- dieren, wie das auch heißt, ist ein hartes Wo rt , aber ten das. Bitte sehr, Frau Abgeordnete. manchmal ist es besser, rechtzeitig zu klaren Erkennt- 7856 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Werner Zywietz nissen zu kommen, Schlußfolgerungen daraus zu Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Herr Ab- ziehen und etwas Neues aufzubauen. geordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Rede fortführen. Ich sage Ihnen auch: Es gab auch auf unserer Seite einmal Diskussionen, ob die Borgward-Werke in Bre- men — fällt mir gerade ein — stillgelegt werden Werner Zywietz (F.D.P.): Lassen wir das an dieser sollen. Da hat man gesagt: Ganz schlimm! Heute ist Stelle. man froh darüber, denn an der gleichen Stelle auf dem Ich möchte feststellen, daß die Strategie, die wir gleichen Gelände stehen heute die Mercedes-Werke, eingeschlagen haben, die richtige ist, wenn auch nicht und die Stadt und die Bevölkerung und die Arbeitneh- mängelfrei. Wir setzen aber erhebliche Ressourcen mer können sich freuen, daß sie über ein anderes ein und setzen auch die Treuhand weiterhin instand Management ein gutes Produkt erbringen können durch einen Kreditermächtigungsrahmen von 30 Mil- und Arbeitsplätze haben. Ich will damit nicht ein Lob- liarden DM pro Jahr auf einer Basis von 150 Milliar- lied auf Stillegung singen, aber nur zu sagen, Stille- den DM, über die die Treuhand schon jetzt per gung ist unsozial, ist kalt, ist sinnlos, stimmt auch Kreditaufnahme zur Verbesserung der Wirtschafts- nicht, sondern man muß — — und Lebenssituation verfügt hat. Das heißt, mit Ablauf dieser Legislaturperiode werden 250 Milliarden DM (Dr. Uwe Jens [SPD]: Aber 50 % Arbeitslosig auf diese Weise für Privatisierungs- und Sanierungs- keit! — Das funktioniert doch so nicht!) arbeiten zum Wohle der Bevölkerung eingesetzt sein. — Wenn ich ein Produkt nicht mehr verkaufen kann, Das ist ein erheblicher Betrag. hat eine künstliche Beatmung irgendwann keinen Was wir uns von seiten der F.D.P. wünschen, ist die Sinn mehr. Tot ist dann tot, und dann müssen Sie Tatsache, daß die Treuhand nicht durch eine Ermäch- etwas Neues aufbauen, wenn Sie es gut meinen mit tigung 30 Milliarden DM an Dispositionskredit den Arbeitnehmern. bekommt und sich ansonsten von Parlament und politischer Verantwortung und Kontrolle weit entfernt (Beifall bei der CDU/CSU) fühlt. Wir legen vielmehr großen Wert darauf, daß Da helfen alle Wortverdrehungen nicht. Dann nutzen über die Verwendung dieser Mittel im strategischen Sie lieber die Flächen, die vorhandenen Arbeitneh- Ansatz und in der Effizienz ein vernünftiger Dialog mer, sofern sie einsatzbereit sind, und die anderen mit dem Parlament und insbesondere den Teilen im Produktionsfaktoren, die da sind und fangen mit Finanz- und Haushaltsbereich, die dafür eine beson- neuem Schwung und neuen Konzepten an, bevor das dere Verantwortung tragen, gepflegt wird. Die Auf- ein schleichendes Siechtum ist, das nur Geld kostet gabe ist viel zu groß, die Mittel, die bereitgestellt und keinem etwas Vernünftiges bringt. Das ist der werden, sind viel zu hoch, als daß sie in einer großen Punkt der Angelegenheit. Wundertüte verabreicht werden könnten. Ich sage, was die Kontrolle anbelangt, ganz klar: (Wolfgang Roth [SPD]: Sie wissen wirklich- Was die Aspekte der größeren Einflußnahme auf die nicht, worüber Sie reden in der Industrie! Wo Budgetgestaltung der Treuhand und die Budgetkon- sind denn die lustfreundlichen Unterneh trolle anbelangt, bin ich seitens der F.D.P. mit eini- mer?) gem, was ich dem Antrag vom Bündnis 90 entnommen — Kollege Roth, wenn Sie mich hier so anmachen: Sie habe, voll einer Meinung. Es bleibt aber dabei: gehören doch eher zu der Kategorie, die von der Privatisierung hat Vorrang. Der Einbau des Sanie- Universität gleich ins politische Geschäft gewechselt rungsziels ist nicht vonnöten, weil bereits in den ist. Ich habe da wenistens noch ein paar Jahre richtig richtigen Grenzen praktiziert. handfest gearbeitet. Darüber können wir uns einmal Vielen Dank. austauschen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Wolfgang Roth [SPD]: Sie haben es ja

nötig!) Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort hat der Abgeordnete Werner Schulz. Wenn Sie schon so anfangen, dann können wir das auch. Dann stehen Sie zu Ihrem Lebensweg. Ich habe da ein bißchen mehr von der Praxis mitbekommen. Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Verlassen Sie sich darauf! Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier schon oftmals fruchtlos über die Treuhandanstalt, ihre Die Wortkunst reicht nicht, wenn die Taten fehlen; Politik und ihren gesetzlichen Auftrag debattiert. Ich ich will jetzt nicht Lafontaine nennen. Ich bin sehr habe Sie, Herr Kollege Zywietz, in diesem Zusammen- allergisch und sehr sensibel, wenn man so stramme hang schon oft das Klagelied über die Treuhand Worte nennt wie das „große Teilen", dann aber für anstimmen gehört, sicherlich besser und vielsagen- sich einteilt. Man soll einmal richtig hinter die Begriffe der, als Sie das heute getan haben. schauen. Mir ist lediglich aufgefallen, daß Sie dieses wirt- (Wolfgang Roth [SPD]: Mein Gott, auf wel schaftspolitische Desaster nicht in vollem Umfang ches Niveau rutschen Sie jetzt!) erkennen. Ich glaube, das hat Methode, (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) — Nein, das ist das richtige Niveau. weil es an politischem Gestaltungswillen mangelt. (Wolfgang Roth [SPD]: Ist es das, was Sie Was sich hier ereignet, ist unterlassene Hilfelei- zustande kriegen?) stung. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7857

Werner Schulz (Berlin) Das, was Ihrer Partei, auch der CDU, zu Recht wegen müssen sie ja neu strukturiert und rentabel zugebilligt wird, daß sie wirtschaftspolitische Kompe- gemacht werden. Eben das ist das Ziel der Sanie- tenz besitzt, bezweifle ich in diesem Falle. Ich glaube, rungspolitik, das die westdeutsche Industrielobby es rührt aus den Gründungs- und Aufbaujahren der gern verhindern möchte. Bundesrepublik her. Diese sind längst abgeschlos- Die Rolle der westdeutschen Wirtschaft für die sen. Entwicklung in Ostdeutschland ist — Ausnahmen Sie haben das Problem überhaupt nicht erfaßt. Wir bestätigen diese Regel — alles andere als förderlich befinden uns in einer einzigartigen Transformations- gewesen. Selbst Herr Schöde, der Pressesprecher der krise: Ein Wirtschaftssystem ist auf das andere ein- Treuhandanstalt, räumt heute ein, daß die ostdeut- oder umzustellen. Sie haben einen Aufwertungs- schen Unternehmen, die frühzeitig Kooperationen mit schock ausgelöst, nicht den Schock, von dem Sie westdeutschen Firmen eingegangen sind, in aller gesprochen haben und den ich nicht kenne. Daran ist Regel schlechter damit gefahren sind als diejenigen, diese Wirtschaft zerbrochen. Nun weigern Sie sich, die sich allein haben durchbeißen müssen. Sie erken- diesen Beinbruch in irgendeiner Weise zu schienen. nen diese Joint-Venture-Vorhaben, die es damals Es überzeugt mich überhaupt nicht, wenn Sie gegeben hat. sagen: Der Staat ist ein schlechter Sanierer. Meinet- Die westdeutschen Unternehmen haben an der wegen, ich nenne Ihnen genauso viele Privatunter- deutschen Einheit glänzend verdient. Aber die im nehmen, die schlechte Sanierer sind. Man kann genü- Osten entstandenen Gewinne sind nicht für Investitio- gend Beispiele entgegensetzen. Wenn aber niemand nen in Ostdeutschland verwendet worden, sondern saniert, dann doch bitte schön wenigstens der Staat. haben lediglich die Liquiditätspolster der Westunter- Selbst wenn er das schlecht macht, ist es an dieser nehmen gefüttert. Das ist nachweisbar. Schauen Sie Stelle doch noch besser als gar nichts. sich die geringen Investitionen an, die da eingesetzt Ich will darauf hinweisen, daß unsere Gruppe werden. bereits vor einem Jahr einen umfassenden Gesetzent- (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch wurf zur Neuregelung der Arbeit der Treuhandanstalt gar nicht!) eingebracht hat, der diesen Sanierungsauftrag und die auch von Ihnen zugestandenen notwendige demo- — Aber selbstverständlich. Das ist selbst dem Bundes- kratische Kontrolle und Transparenz, die ökologische präsidenten aufgefallen. Wenn es Ihnen nicht auffällt, Orientierung, die Entlastung von sachfremden dann weiß ich nicht, was man da noch aufrütteln Finanzleistungen — worauf es ja ganz besonders, kann. glaube ich, bei der Treuhandanstalt auch ankommt — Wir fordern deshalb die Einführung einer Investi- und weitere Gesichtspunkte berücksichtigt. tionshilfeabgabe der westdeutschen Wirtschaft, mit Die Notwendigkeit dieser Initiative wird durch die anderen Worten, ein Re-Investitionsgebot-Ost. zaghaften Akzentverschiebungen, welche die Bun- - Ich glaube, wir müssen uns folgender Erkenntnis desregierung mittlerweile bei der Treuhandanstalt stellen: Wenn die Treuhandanstalt zu einer entschei- zugelassen hat, überhaupt nicht beeinträchtigt. denden Sanierungspolitik nach volkswirtschaftli- Immer noch hängt die Hälfte der industriellen chen Kriterien übergeht — und sie entgegen allen Unternehmen Ostdeutschlands am Tropf dieser ver- Unkenrufen damit auch erfolgreich ist —, dann wird unglückten Treuhandanstalt, der gerade von der dies auch Folgen für Umsätze, Gewinne und Arbeits- lebenserhaltenden Infusionslösung nur soviel durch- plätze in Westdeutschland haben. Denn es gibt im läßt, daß der Patient nicht vorzeitig aus dem Handels- Grunde genommen keine anderen Märkte für die register scheidet. ostdeutschen Unternehmen als die, auf denen die Eigentlich sollte die Zeit des Redens, wie wir das westdeutschen heute schon sind. Die traditionellen gerade erlebt haben, vorbei sein und die Zeit des Ostmärkte sind eigentlich dahin und weggebrochen, entschiedenen Handelns gekommen sein. Aber die obwohl die Bundesregierung hier natürlich mehr tun Bundesregierung scheut sich nach wie vor, diesen könnte durch Hermes-Kredite, durch Kompensations- unhaltbaren Zustand zu beenden und entschiedene geschäfte. Diese Dreiecksgeschäfte sind, glaube ich, Kurskorrekturen vorzunehmen. frühzeitig aufgegeben worden. Hier würde sich man- ches noch machen lassen. Aber diese Ostmärkte, Sie fürchtet offenbar, den westlichen Unternehmen wenn sie eines Tages wieder aufnahmefähig sein unliebsame Konkurrenten im eigenen Land heranzu- werden, werden dann sicherlich nicht exklusiv nur für ziehen, wenn die Treuhandanstalt mit dem Sanieren ostdeutsche Anbieter zur Verfügung stehen. ernst macht. Eben diese Angst ist es auch, die aus der Stellungnahme der Wirtschaft, etwa dem Positionspa- „Teilen verbindet", diese Formulierung ist schon so pier des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen abgedroschen. Es ist das Leitthema der Gewerkschaf- Gewerblichen Wirtschaft, zur Treuhandanstalt her- ten. Es ist aktueller denn je. In unserem Kontext auszulesen ist. Überall da, wo ernsthafte Konkurrenz bedeutet dies, den ostdeutschen Unternehmen die von Treuhandunternehmen entstehen könnten, wird Chance zu geben, auf diese traditionellen Märkte der von Wettbewerbsverzerrungen, Subventionierung westdeutschen zu kommen und erfolgreich zu sein, unrentabler Unternehmen und Strukturkonservie- auch ohne die Voraussetzung, vorher von Westunter- rung gesprochen oder diese gewittert. nehmen gekauft worden zu sein. Natürlich sind die meisten Treuhandunternehmen Ich will kurz auf die hier vorliegenden Gesetzent- heute unrentabel. Natürlich haben sie eine der Markt- würfe eingehen. Zum Gesetzentwurf der PDS ist situation unangemessene Struktur. Aber gerade des wenig zu sagen. Es handelt sich hier um eine Neuauf- 7858 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Werner Schulz (Berlin) lage des bereits im vergangenen Jahr im Bundestag Ich habe auf die Traditionen der alten Bundesrepu- abgelehnten Gesetzentwurfes. Das Kernanliegen, blik hingewiesen, weil dazu natürlich auch der Begriff den Sanierungsauftrag der Treuhandanstalt in den der Sozialen Marktwirtschaft gehört. Was heißt denn Vordergrund zu rücken, wird allerdings nicht dadurch aber Soziale Marktwirtschaft eigentlich anderes, als weniger berechtigt — Herr Carstens ist nicht mehr daß notwendiger Strukturwandel begleitet wird, und da —, daß es auch von der PDS vertreten wird. zwar so, daß er sozial abgefedert ist und daß er für die (Zurufe: Doch!) Menschen erträglich gemacht wird? Das hat der alten Bundesrepublik Stabilität verliehen, soziale und wirt- — Ach so, Sie haben die Reihe gewechselt. — schaftliche Stabilität. Danke. Nun frage ich mich als Ostdeutscher, warum das, (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist immer prä was in Westdeutschland über Jahrzehnte galt und sich sent!) bewährt hat, für die Menschen in Ostdeutschland jetzt — Ich hätte mich auch gewundert ; er ist sonst immer nicht gelten soll. Als Wirtschaftspolitiker bin ich ein aufmerksamer Zuhörer im Haushaltsausschuß. natürlich darüber besorgt, daß hier offensichtlich auf einen Faktor an Stabilität verzichtet werden soll. Ich Die hat sich ausgesprochen schwergetan, SPD muß sagen, ich bin über die Rede des Herrn Staatsse- einen eigenen zustande zu bringen. Gesetzentwurf kretär Carstens, die ich vorhin hören durfte, den ich Wenn ich mich nicht täusche, hat es über ein Jahr gut kenne und persönlich sehr schätze, doch einiger- gedauert, um die Ankündigung dieses Entwurfs in die maßen entsetzt. Zum einen wirft das bei mir natürlich Tat umzusetzen. Allzuviel Neues ist hei diesen Bemü- wieder die Frage auf, ob es richtig ist, daß die hungen jedoch auch nicht herausgekommen. Ich kann Treuhand dem Bundesfinanzministerium nachgeord- mich des Eindrucks nicht erwehren, daß ein Teil der net ist, die sie offensichtlich ausschließlich unter SPD-Fraktion den vorliegenden Entwurf nur sehr fiskalischen Gesichtspunkten sieht. halbherzig trägt und sich redlich bemüht hat, ihn zu verzögern, offenbar mit Erfolg. (Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ Aber immerhin hat sich nun die SPD-Fraktion als GRÜNE und der PDS/Linke Liste) ganze dazu durchgerungen, den Sanierungsauftrag Zum anderen muß ich dagen: Herr Carstens, diese deutlich in das Treuhandgesetz hineinzuschreiben. Debatte sollte schon einmal vor ein paar Tagen in Unseren Glückwunsch an dieser Stelle. Berlin stattfinden. wenn sie jetzt aber hier stattfindet Wie Sie vielleicht wissen, hat sich der Wirtschafts- und ich Sie höre, frage ich mich: Wie weit weg sind Sie ausschuß auf eine Anhörung zur Treuhand verstän- eigentlich von den Problemen, die tatsächlich im digt, die hoffentlich im Herbst dieses Jahres stattfin- Gebiet der ehemaligen DDR vorhanden sind? den kann. Dort wird noch einmal Gelegenheit sein, (Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ dieses Thema zu erörtern und die Gründe für die GRÜNE und der PDS/Linke Liste) Blockade der Bundesregierung gegenüber- entschie- dener Sanierung durch die Treuhandanstalt offenzu- Worum geht es denn? -- Ausweislich aller Zahlen legen. Diese Verweigerungshaltung muß die Bundes- und aller Einsichten wird bei den Betrieben, die noch regierung endlich aufgeben. Sie kostet Tag für Tag von der Treuhand gehalten werden — das sind eine Arbeitsplätze und Zukunftschancen; letztlich zerstört ganze Menge —, zuwenig saniert. Zuwenig saniert sie, soweit überhaupt noch vorhanden, die industrielle heißt: Es werden zuwenig Innovationen von Betrieben Substanz der ostdeutschen Wirtschaft. Dies nützt vorangetrieben, es wird zuwenig investiert, zuwenig kurzfristig einigen, schadet vielen, am Ende wahr- modernisiert. Gleichzeitig kann die Treuhand in der scheinlich sogar allen. derzeitigen konjunkturellen Situation auch nicht schnell genug privatisieren. Die Folgen für die Indu- (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und der striestruktur Ostdeutschlands, für die soziale Lage der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der Menschen und für die Zukunft des gesamten Wirt- SPD) schaftsstandorts sind absehbar und sind hier auch schon von einigen Vorrednern geschildert worden. Die Bundesregierung und die Treuhandanstalt wei-

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Nunmehr sen nun auf die hohen Summen hin — Herr Carstens erteile ich dem Senator für Wirtschaft und Technolo- hat das eben wieder getan, auch Herr Abgeordneter gie des Landes Berlin, Dr. Meisner, das Wort. Zywietz —, die sie in die ostdeutschen Betriebe hin- einstecken. Aber die Gelder versickern eben dort im bloßen Erhalt der Betriebe. Der Begriff „am Leben erhalten" wird dann immer gebraucht. Senator Dr. Norbert Meisner (Berlin): Herr Präsi- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Es wird Gestatten Sie, daß ich als ein Wirtschaftspolitiker, der nicht investiert!) in einem Teil alter Bundesrepublik und in einem Teil Die Gelder werden nicht in Sanierungen hineinge- ehemaliger DDR die Verantwortung habe, hier das steckt. Die Betriebe werden kleiner und entlassen Wort ergreife. Das heißt also, ich habe Kenntnis und Menschen. Sie verlieren ständig an Substanz, aber stehe in der Tradition der alten Bundesrepublik. Ich kommen dadurch natürlich der Konkurrenzfähigkeit sehe im Ostteil meiner Stadt, wie sie als Teil Ost- am Markt keinen Schritt näher. deutschlands mit den besonderen Problemen einer Großstadt und der ehemaligen Hauptstadt der DDR (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Im Gegen mitten in diesem Strukturumbruch drinsteht. teil!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7859

Senator Dr. Norbert Meisner (Berlin) In vielen Betrieben werden Sanierungspläne aufge- eine eigenständige Sanierungsabteilung einzurich- stellt. Aber diese Pläne werden nicht umgesetzt, weil ten. Diese dritte Unternehmenssäule „Sanierung" die Treuhand jeweils in Privatisierungsverhandlun- wie sie auch der Gesetzesantrag der SPD-Fraktion gen steht. Dann wird gesagt: Wartet doch einmal; da jetzt fordert, böte zumindest die organisatorische ist ein Investor, vielleicht hat der ein anderes Konzept; Voraussetzung dafür, daß die Treuhandanstalt ihren haltet einmal an! So werden Betriebe in Berlin schon Sanierungsauftrag bewältigen kann. Der Bundeswirt- eineinhalb Jahre „privatisiert". Ich sage: Sie werden schaftsminister hat mir damals — übrigens brieflich — zermahlen. Eineinhalb Jahre erfolgloser Privatisie- zurückgeschrieben, er finde diesen Gedanken inter- rungsbemühungen ohne Sanierung heißt eben: ein- essant; der Gedanke sei in seinem Hause auch schon einhalb Jahre weiter weg vom Markt. ventiliert worden,

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ (Beifall bei der SPD) GRÜNE) allerdings sei er der Meinung, daß die Treuhandan- Meine Damen und Herren, ich spreche hier nicht stalt selber ihre organisatorische Form finden müsse. von Einzelfällen. Ich kann eine ganze Latte von Nun muß ich sagen: Das ist ein kleines bißchen wenig Ostberliner Betrieben aufzählen, die im Verfolg der für einen Wirtschaftsminister in dieser wirtschaftli- Privatisierung so zermahlen werden, wie gesagt. In chen Situation Deutschlands. manchen Betrieben gibt es auch gar keine Sanie- rungspläne. Ich weiß, Vertreter der Treuhandanstalt (Beifall bei der SPD) verdrehen manchmal die Augen und sagen: Na ja, die Sanierungspläne, die von dort kommen, sind doch Meine Damen und Herren, eine solche Sanierungs- Utopien. Immerhin sind diese Sanierungspläne von säule kann die Starthilfe bieten. Das ist keine Garan- Vorständen und Geschäftsführern aufgestellt, die die tie, Herr Abgeordneter Zywietz, aber sie kann die Treuhand selber eingesetzt oder bestellt hat. Starthilfe bieten, die viele Unternehmen brauchen, Was diese Praxis für eine Industriegroßstadt bedeu- um später einmal eine reelle Chance zur Privatisie- rung zu bekommen. So haben sie diese Chance auf tet, mögen Sie aus den Zahlen erkennen, die das DIW keinen Fall. Das gäbe diesen Betrieben die notwen- einmal geliefert hat. Von rund 180 000 Industriear- dige Planungssicherheit und schaffte zugleich für beitsplätzen im Ostteil Berlins sind zur Zeit noch 60 000 vorhanden. Das DIW schätzt, daß, wenn keine Zulieferer und Kunden das notwendige Vertrauen in Korrekturen an der Treuhandpolitik vorgenommen den Bestand des Unternehmens. Nun hören Sie sich werden, der freie Fall von 180 000 auf 20 000 herun- einmal an, was Leute aus Treuhandunternehmen tergeht. Der Senat von Berlin und die Treuhand haben sagen, wenn sie mit Kunden zusammenkommen: Ihr sich im Frühjahr 1991 auf eine Liste von 65 Betrieben habt ein gutes Angebot. Was seid ihr? Treuhandbe- trieb? Dann lassen wir es sein. Wir wissen ja gar nicht, verständigt, die nach unserer Auffassung die Struktur ob es euch morgen oder übermorgen überhaupt noch des Wirtschaftsstandorts Berlin bestimmen. Das sind Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik. Diese- 65 Be- gibt. triebe sind in der Summe ungefähr das, was in Meine Damen und Herren, die Forderung nach anderen Regionen die Werften oder die Steinkohle einem eigenständigen Sanierungsbereich wird mitt- sind. lerweile in Ostdeutschland weit über die Parteigren- Wir meinen, daß der Kern dieser Branchen erhalten zen hinaus getragen. Die Kollegen Wirtschaftsmini- bleiben muß, wenn Berlin auch in Zukunft eine Stadt ster aus Brandenburg — das ist ein Kollege Ihrer mit leistungsfähiger industrieller Produktion sein soll. Partei, Herr Abgeordneter Zywietz — und aus Sach- Diese 65 Betriebe sind, wie gesagt, alles Betriebe, die sen — das ist ein Kollege Ihrer Partei, Herr Carstens — von der Treuhand als sanierungsfähig eingestuft wor- haben diese Forderung nach einer Sanierungssäule den sind. Die haben uns das erläutert. Der Ausschuß, bei der Treuhandanstalt öffentlich unterstützt. Die der das dort vornimmt, hat es sich damit nicht einfach gleiche Forderung wird auch von den beiden Regie- gemacht. Von diesen 65 Betrieben sind bis zum heu- rungsfraktionen der großen Koalition in Berlin erho- tigen Tag 10 privatisiert. Bei den übrigen 55 Betrieben ben. CDU und SPD fordern, daß das Land Berlin sank die Beschäftigtenzahl im Verlauf eines Jahres, Initiativen zur Festlegung neuer Prioritäten des Auf- des Jahres 1991, von ungefähr 100 000 auf 38 000. trags der Treuhandanstalt ergreift. Dieser gemein- same Antrag von CDU und SPD in Berlin stimmt in (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Die wer weiten Teilen mit dem überein, was heute Grundlage den systematisch auf die Stillegung vorberei der Debatte im Deutschen Bundestag ist und was von tet!) der SPD-Fraktion vorgelegt wurde. Die 38 000 würde ich ja hinnehmen, wenn es sich um Strukturwandel gehandelt hätte, um Rationalisierung, Ich richte deshalb meine Bitte besonders an die um aktive Sanierung. Aber gerade das war nicht der Kollegen der CDU und fordere sie im Interesse der Fall. Wird in diesen Betrieben nicht bald saniert, und Menschen und der Betriebe in Ostdeutschland auf: das heißt, wie gesagt, investiert, modernisiert, dann ist Prüfen Sie doch diesen Gesetzesantrag der SPD- die Zeit absehbar, wo wir uns um den Kern der Bundestagsfraktion ernsthaft und verständigen Sie Industriestruktur Ostdeutschlands gar nicht mehr zu sich hier auf eine gemeinsame Position mit der SPD- kümmern brauchen. Bundestagsfraktion! Meine Damen und Herren, ich habe seit Herbst (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ vergangenen Jahres dem Bundeswirtschaftsminister GRÜNE — Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: wiederholt vorgeschlagen, in der Treuhandanstalt Die sind nicht konsensfähig!) 7860 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Senator Dr. Norbert Meisner (Berlin) Meine Damen und Herren, es wird immer wieder sche Produkte im gesamtdeutschen Wettbewerb, feh- ein Beitrag auch der ostdeutschen Länder eingefor- lende Infrastruktur, eine Beschäftigung, die man als dert. Dabei wird manchmal vergessen, gerade bei solche gar nicht bezeichnen konnte. Die Menschen dem Kreditrahmen, der heute erweitert wird, daß waren nur beschäftigt oder in Arbeitsverhältnissen. ohnehin von jeder Mark, die die Treuhand ausgibt, Sie waren nicht in Arbeit. Das ist die Situation, vor der 50 Pfennig das Konto der ostdeutschen Länder bela- wir heute stehen. Die Produktivität kann in keiner sten wird. Aber wir sind darüber hinaus bereit, einen Weise mit dein mithalten, was heute marktwirtschaft- Prozeß der aktiven Sanierung nach unseren Kräften zu lich geboten und gefordert ist. Das muß man sich unterstützen. Sachsen und Berlin haben ihr gesamtes immer wieder vor Augen halten, wenn man heute die Förderinstrumentarium für die Sanierung in Treu- Zwischenbilanzen der Treuhandanstalt ansieht. handunternehmen zur Verfügung gestellt. Ich habe (Zuruf von der PDS/Linke Liste: Vielleicht gerade der Frau Präsidentin der Treuhandanstalt waren das alles Analphabeten! — Abg. Ernst angeboten, daß wir für Investitionen in Berliner Schwanhold [SPD] meldet sich zu einer Zwi Treuhandunternehmen, wenn sie denn nur getätigt schenfrage) werden, noch in diesem Jahr Mittel aus der Gemein- schaftsaufgabe in Höhe von 150 Millionen DM zur Verfügung stellen. Selbstverständlich bieten wir Lan- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Sie sind desbürgschaften an, wenn Treuhand und Bankensek- bereit, die Zwischenfrage zu beantworten? — Bitte tor ihrerseits mit entsprechenden Investitionen über- schön. kommen. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie: Nutzen Sie Ernst Schwanhold (SPD): Herr Kollege, ist Ihnen das den vorliegenden Gesetzesantrag, um ein gemeinsa- Papier aus dem Wirtschaftsministerium von Wirt- mes und über Parteigrenzen hinausgehendes Zeichen schaftsminister Möllemann, Aufschwung Ost, Teil 2, zu setzen, ein Zeichen, das den Menschen in Ost- bekannt, in dem er genau jene Teile beklagt, die wir in deutschland Mut macht, und das den sanierungsfähi- unseren Gesetzentwurf aufgenommen haben, und gen Betrieben die Kraft für einen Neuanfang gibt! zusätzlich beklagt, daß der falsche Vermögensan- spruch „Rückgabe vor Entschädigung" noch immer Ich danke Ihnen. aufrechterhalten wird? (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE) Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Da ich selber im Haushaltsausschuß Berichterstatter für das Wirt- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort schaftsministerium bin, dürfen Sie sicher sein, daß ich erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Rossmanith. die Papiere, die aus diesem Hause vom Wirtschafts- minister Möllemann kommen, natürlich auch kenne. Kurt. J. Rossmanith (CDU/CSU): Herr Präsident! Das ist ein Thema, über das man sich natürlich Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es- ist nicht unterhalten muß. Es ist auch eine Frage des Rechts- die erste Debatte, die wir hier zum Thema Treuhand staates. Natürlich ist die eigentumsrechtliche Situa- führen. Ich muß sagen, es wird von Mal zu Mal anstatt tion mit ein Punkt -- ich habe es vorhin gesagt —, der sachlicher immer noch gespenstischer. uns Schwierigkeiten macht. Aber ich trete aus rechts- staatlichen Gründen nach wie vor für das Grundprin- (Widerspruch bei der SPD) zip — ich sage ganz bewußt: für das Grundprinzip — — Natürlich. Das, was Sie vorbringen, insbesondere Rückgabe vor Entschädigung ein. Ich glaube, so Herr Roth, entspricht in keinster Weise der Realität. schlecht sind wir damit bisher nicht gefahren. Lassen Sie sich das doch einmal sagen! Ich will hier (Zuruf von der SPD: Ja, sind Sie auch nicht! — einmal wirklich festhalten: Bei aller berechtigten Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Kritik, die da und dort an der Treuhand zu üben ist — natürlich werden auch dort Fehler gemacht, gerade — Wenn Sie das so lächerlich finden, ist das Ihre weil schnell gearbeitet und konstruktiv angegangen Sache. Ich nehme die Sache ernst. Ich freue mich über werden muß —, sage ich Ihnen, daß es dazu keine jede Privatisierung, über jedes dieser 6 500 von insge- Alternative gibt. samt 11 600 Unternehmen, die die Treuhand bisher schon privatisieren konnte. Ich freue mich über die Die Treuhandanstalt hat, gestützt auf den gesetzli- Investitionszusagen von über 133 Milliarden DM und chen Auftrag, der Privatisierung und Sanierung mit die Beschäftigungszusagen für 1,2 Millionen Arbeit- einschließt, auch die Grundlage geliefert, damit nehmer. Darüber lache ich nicht, wie Sie es soeben unternehmerische Freiheit an die Stelle von Sozialis- getan haben. mus und freier Wettbewerb an die Stelle von Anwei- sungen des DDR-Staates, wie es damals eben war, 9 400 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche wur- treten konnten. Die desolate wirtschaftliche Situation den privatisiert. Über 7 000 Objekte der Treuhandlie- — das muß man sich immer wieder vor Augen führen genschaften wurden privatisiert. Das ist bei cien wirt- — in den neuen Bundesländern hat nach dem Zusam- schaftlichen Bedingungen, die vorgefunden wurden, menbruch des DDR-Unrechtsstaates die Arbeit der eine großartige Leistung, die wir anerkennen sollten. Treuhandanstalt so schwierig gestaltet. Es werden Wir sollten uns nicht immer nur in verbaler Kritik doch hier nicht Verzögerungen oder ähnliches bewußt gefallen. in Kauf genommen bzw. vorangetrieben. Wir müssen Diese Zahlen zeigen auch, daß die Treuhandanstalt uns doch erinnern an die Ostmärkte, die weggebro- auf dein richtigen Weg ist und daß der gesetzliche chen sind, planungs-, genehmigungs- und eigentums- Auftrag so erfüllt ist, wie wir ihn ihr gegeben rechtliche Hindernisse, Chancenlosigkeit für ostdeut haben. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7861

Kurt J. Rossmanith Herr Kollege Roth, sicherlich widerspricht Ihnen Neben Entschuldung und Liquiditätsbürgschaften niemand, wenn Sie sagen, daß in Teilen der Wirtschaft können die Unternehmen z. B. auch Darlehen, Inve- die Belebung noch nicht in ausreichendem Maße stitionsfinanzierungen und Unterstützung von Export- eingetreten ist. Wir wissen das. Wir müssen aber auch finanzierungen auf schwierigen Märkten erhalten. sagen, was die Ursachen sind. Das ist nicht eine Bisher hat die Treuhandanstalt 70 Milliarden DM verfehlte Politik der Koalition und der Bundesregie- für die Übernahme von Altschulden, 30 Milliarden rung, sondern das ist der Einbruch der Wirtschaftsbe- DM für die Übernahme von Bürgschaften sowie Dennoch können wir sagen: ziehungen zu Osteuropa. knapp 10 Millliarden DM für die Sozialpläne ausge- Einzelne Lichtblicke sind durchaus erkennbar. geben. Um weiter ihrem gesetzlichen Auftrag nach- Betrachten wir einmal die Bauindustrie: Nur noch kommen zu können, muß die Treuhandanstalt auch in ein Viertel der Unternehmen ist zu privatisieren. Die der Lage sein, ihren Kreditbedarf decken zu kön- Baukooperation zwischen west- und ostdeutschen nen. Firmen ist gestiegen. Die westdeutschen Firmen inve- Wir haben über den jetzt vorliegenden Gesetzent- stieren verstärkt. Herr Kollege Schulz, was Sie gesagt wurf in erster Lesung bereits im März dieses Jahres in haben, tut einem schon weh. Ich sage Ihnen das in diesem Hohen Haus beraten. Wir haben auch im aller Deutlichkeit. Schauen Sie sich in ihrem Wahl- Unterausschuß Treuhand und im Haushaltsausschuß kreis und darüber hinaus um! Ich bin sehr viel in cien den Gesetzentwurf besprochen und mit Mehrheit alten und in den neuen Ländern der Republik unter- diesem Entwurf zugestimmt. wegs. Dort kann man hören, daß kleine, mittlere und auch größere Unternehmen zum Teil mit hohem Mit der Verabschiedung des Gesetzes hätte die persönlichem Einsatz Investitionen vornehmen, nicht Treuhandanstalt die Möglichkeit — mit Einwilli- nur nach dem vermeintlichen Profit trachten, sondern gung des Haushaltsausschusses und des Finanzmini- wirklich in Verantwortung für die Arbeitnehmer in sters —, bis zu 30 Milliarden DM Kredit im Jahr den neuen Bundesländern investieren. Dort will man aufzunehmen und bei unabweisbarem Mehrbedarf wirklich die Probleme beseitigen helfen. Dann hört darüber hinaus noch einmal his zu 8 Milliarden DM im man von Ihnen, hier wird nichts getan, und wer sich Jahr. Damit wäre die Grundlage für weitere Hilfen engagiert, will nur möglichst viel Profit herausho- gelegt, um sanierungsfähige Unternehmen auf wett- len. bewerbsfähiges Niveau zu bringen und schließlich dann auch privatisieren zu können. Dies setzt aller- (Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/ dings einen gezielten Einsatz der finanziellen Hilfen GRÜNE]: Zuwenig im Verhältnis zum Pro und kein Gießkannenprinzip voraus; davon hätte blem!) niemand etwas. So ist es nicht. — Daß es mehr sein könnte, steht außer Nicht sanierungsfähige Unternehmen dürfen nicht Frage. Wir können nur jeden auffordern, in den neuen die Mittel binden, die für die gesunden oder für die Bundesländern zu investieren. Ich tue das Tag für- Tag. gesund zu erhaltenden oder wieder zur Gesundung Ich tue das in meinem Wahlkreis und darüber hinaus. hinzuführenden Unternehmen gebraucht werden. In jedem Betriebsgespräch weise ich auf die Möglich- Die Treuhandanstalt hat inzwischen eine differen- keiten hin, die gegeben sind. zierte und konzentrierte Sanierungsbegleitung ent- Ich glaube, daß gerade jetzt — wir haben heute ja wickelt, die den Unternehmen z. B. sogenannte Betei- die Zahlen gehört, daß sich das Wirtschaftswachstum ligungsbetreuer zur Seite stellt, cien Verkauf von wieder belebt — in diesem positiven Klima die Sanie- Unternehmen über Investmentbanken abwickelt oder rung und die Privatisierung in den ostdeutschen auch Einzellösungen erarbeitet. Ich begrüße die Kon- Unternehmen weiter voranzubringen sein muß. Ich zentration der Kräfte und die Intensivierung der glaube aber, Grundvoraussetzung ist, daß von diesen Anstrengungen; auch im Bemühen, erfahrenes Mana- Unternehmen auch DM-Eröffnungsbilanzen und gement zu gewinnen, darf meines Erachtens nicht sinnvolle Unternehmenskonzepte vorgelegt werden. nachgelassen werden. Das ist für mich das A und O überhaupt in diesem Eine gesetzliche Lösung, wie sie von der SPD Bereich. Ich glaube, dann kann die Treuhandanstalt vorgeschlagen wird lassen Sie mich das am Schluß durch Entschuldung von Altkrediten und Ausstattung noch sagen — , führt mit Sicherheit nicht zu einer mit branchenüblichem Eigenkapital weiterhelfen. In schnelleren Sanierung oder zu einer schnelleren Pri- den meisten Fällen wird sie auch noch für die ökolo- vatisierung. Dies gilt übrigens auch für den PDS- gischen Altlasten, die aus dem rücksichtslosen Entwurf. Beide Entwürfe versuchen im Endeffekt Umgang der damaligen DDR-Verantwortlichen mit nicht, der Treuhandanstalt mehr unternehmerische ihrer Wirtschaft, mit Wasser, Boden und Luft entstan- Freiheit zu gehen, sondern im Gegenteil, ihr eher noch den sind, eintreten müssen. Fesseln anzulegen, sie gesetzlich einzuengen. Wenn die PDS sogar das sogenannte volkseigene Vermögen Während in den beiden letzten Jahren den über nicht privatisieren, sondern reorganisieren will, dann 10 000 neu gegründeten Unternehmen erst einmal mit muß ich sagen, ist das hier nur ein Mogelpaket; hier geholfen werden mußte, ohne die Liquiditätskrediten soll eine Bevormundung durch eine andere ersetzt eine Sanierung heute gar nicht möglich wäre, weil die werden. Wir werden deshalb beide Entwürfe ableh- Unternehmen nicht überlebt hätten, gibt es heute eine nen. ganze Reihe — auch das sollten wir erwähnen — von Möglichkeiten für eine finanzielle Begleitung der Ich meine, die Treuhandanstalt hat gezeigt, daß sie Sanierung und Privatisierung durch die Treuhand- mehr und mehr in der Lage ist, die Herausforderung anstalt. als Eigentümer zu meistern und ihre Unternehmen in 7862 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Kurt J. Rossmanith die freie Marktwirtschaft zu führen. Ich bin der Über- Arbeitsplätze erhalten werden und entstehen; nur mit zeugung, daß sie dazu auch unsere Unterstützung ihnen ist ein Aufschwung Ost zu erreichen. verdient, wozu ich Sie alle auffordere. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beim Bündnis 90/GRÜNE) Was wir brauchen, ist eine Strukturpolitik, die den einzelnen Regionen machbare Zukunftsbilder vor- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hinrich Kuessner. malt. Nur so werden wir vorankommen. Das Gesicht von Möllemann in allen Zeitungen und auf vielen Plakaten in den neuen Ländern und einige einfallslose Worte dazu, das reicht einfach nicht aus. Hinrich Kuessner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir schätzen die Situation im (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Osten unterschiedlich ein. Es hängt sehr stark davon beim Bündnis 90/GRÜNE) ab, woher wir kommen. Wir sollten aber nicht verler- Wenn die Bundesregierung diese Strukturpolitik nen, aufeinander zu hören. hätte, könnte die Treuhand ihre Aufgabe besser Aus meiner Sicht spitzt sich die Situation in den wahrnehmen. Privatisierung und Sanierung und auch neuen Ländern ganz erheblich zu. Zwischen dem Stillegung von Betrieben wären eingebaut in ein ruhigen Leben in Bonn und dem Leben in meiner Gesamtkonzept. Weil dies nicht so ist, muß jeder Region, in Vorpommern, stehen Welten. Der Ausgang Betrieb alles für sich allein entwickeln. der Wahlen in Berlin — mit dem hohen PDS-Anteil im Osten — war kein Zufall. Wenn politisch Rahmenbe- Wogegen wir Sozialdemokraten uns besonders dingungen nicht verändert werden, rutschen wir in wenden, ist, daß Betriebe nur dann eine Chance eine gefährliche Ost-West-Konfrontation. erhalten, wenn sie sofort privatisiert werden. Es kann nicht sein, daß Betriebe, die auf dem Markt Überle- (Zurufe von der SPD: Sehr wahr!) benschancen haben, zugrundegewirtschaftet werden, Letzte Woche war ich mit einem CDU-Bürgermei- weil ihnen keine Investitionsmittel zur Verfügung ster und dem Geschäftsführer eines Schlachthofes bei gestellt werden. Sanierung muß endlich gleichwertig der Treuhand in Berlin. Die Kommune will den neben der Privatisierung als Aufgabe der Treuhand Schlachthof übernehmen. Das ist betriebswirtschaftli- festgeschrieben werden. cher Unsinn. Alle Privatisierungsversuche sind bisher mißglückt. Der Betrieb muß abgerissen und neu (Beifall bei der SPD) aufgebaut werden. Das kostet Millionen, die die Es darf nicht weitere Zeit verlorengehen ; denn sie Kommune nicht hat. Es macht ganz sicher keinen ist oft nicht mehr einzuholen. Stillstand ist der Anfang Sinn, daß sich Kommunen dafür verschulden. Aber vom Ende. Hier die Akzente richtig zu setzen, ist wir Politiker aus dem Osten können nicht mehr vor Sache des Parlaments. Die Treuhand ist ein ausfüh- unsere Bürgerinnen und Bürger treten und sagen: rendes Organ der Bundesregierung. Die Mehrheiten Dieser Betrieb wird geschlossen. Kommunalpolitiker im Parlament bestimmen die Grundzüge dieses poli- können das schon gar nicht, sie können nicht nach tischen Handelns. Zum Glück erkennen das die Men- Bonn ausweichen, wie wir es tun. Die Menschen bei schen in den neuen Ländern auch immer deutlicher. uns interessiert es nicht, wer Schuld am Niedergang Am 22. Mai forderten die Regierungschefs der sechs der ostdeutschen Wirtschaft hat; sie wollen wissen, neuen Länder von der Treuhand eine aktive Sanie- wie es vorangeht. rungspolitik. Die Berliner Treuhand wird aufgefor- (Zurufe von der SPD: Sehr wahr!) dert, ihre Verantwortung für regional bedeutsame Unternehmen zu verlängern, wenn sie noch nicht Sie erwarten von uns im Bundestag und von den privatisiert werden können. Politikern in den Landtagen und in den kommunalen Vertretungen, daß wir Wege in die Zukunft aufzei- Genau das ist unsere Meinung. Tun wir dies doch gen. endlich, damit wir aus der Sackgasse kommen ; denn Ich bin mir nicht mehr sicher, daß wir die innere viel Zeit bleibt uns dafür nicht mehr. In den nächsten Einheit Deutschlands ohne Schiffbruch zustande brin- Monaten fallen bei den nicht privatisierten Betrieben gen. Gerade weil das so ist, müssen wir uns hier im die Entscheidungen, ob sie am Leben bleiben oder Bundestag endlich zusammenraufen und für diese sterben. Manche Regionen sind dann voraussichtlich außergewöhnliche Aufgabe neue Wege gehen. frei von produktiven Arbeitsplätzen. In einer Region muß festgestellt werden, welches Unternehmen (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ saniert werden soll. Kann man es nicht verkaufen, ist GRÜNE) das Unternehmenskonzept umzusetzen und damit die Es gibt kein Lehrbuch, in dem man hierzu Problemlö- Sanierung zu bedienen. sungen nachlesen kann. Man kann dies auch nicht Auch eine Privatisierung kann nicht immer einfach vom Schreibtisch von Bonn aus entwickeln. Man muß dem sogenannten freien Markt überlassen werden. die Maßnahmen zusammen mit den Menschen bei Das negativste Beispiel für mich ist hier die Privatisie- uns entwerfen und abarbeiten. rung der Werften. In einem ersten Schritt hat man die Als erstes gehört für mich dazu, daß eine regionale Werften in Wismar, Rostock und Wolgast verkauft. Strukturpolitik entworfen wird. Man kann nicht alles Man hat es getan, ohne die Konsequenzen der EG- einfach dem Markt überlassen. In den neuen Ländern Entscheidung über die Werftenkapazität für Mecklen- muß Politik gestaltend eingreifen, damit produktive burg-Vorpommern einzuplanen. Jetzt wird gekämpft, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7863

Hinrich Kuessner um die Reduzierung der Kapazität in Grenzen zu Führungskräften gehört, nämlich auch junge, berufs- halten. unerfahrene Mitarbeiter, versteht man manches Fehl- Die Sache ist jetzt so eilig, weil Auftraggeber verhalten. Termine gesetzt haben. Dazu muß man sagen, daß sie Ein ganz wichtiger Effekt bei der Sanierung von schon länger auf diese Entscheidung warten. Ohne Unternehmen, die jetzt noch nicht privatisiert werden eine Entscheidung in Brüssel können die erhöhten können, ist, daß so Menschen aus dem Osten aktiv am Werftenhilfen nicht gezahlt werden. Ohne Aufträge Geschehen beteiligt werden können. Viele Menschen können die Werften nicht leben, auch wenn sie später entwickeln brauchbare Ideen, aber sie werden nicht Kapazitätszuweisungen bekommen. Vielleicht sind gefragt. Viele Menschen sind ausgegrenzt und sehen die Werftstandorte dann ganz kaputt und hat sich keine Möglichkeit, an der Gestaltung des Neuen wieder ein Industriestandort in nichts aufgelöst. mitzuwirken. Dieser politische Grundfehler bei der (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Wo bleibt Gestaltung der Einheit muß endlich durch uns besei- der schlaue Herr Möllemann?) tigt werden. In der Vergangenheit hat die Bundesregierung zuviel (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Zeit ungenutzt verstreichen lassen. Wenn wir das jetzt Liste) nicht packen, verabschieden wir Politiker in Mecklen- Den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Län- burg-Vorpommern uns von unserer Bevölkerung. dern müssen Chancen für den Start in die Marktwirt- Strukturpolitik ist der erste Schritt einer sinnvollen schaft gegeben werden. Die Sanierung von Unterneh- Sanierung. Neben der Bereitstellung von Finanzhilfen men ist dabei ein wichtiges Element. Anderes gehört ist die Treuhand dabei als Dienstleister gefragt. Dabei dazu: die schnelle Klärung der Eigentumsfragen geht es um Hilfen zur Erstellung der Unternehmens- zugunsten derer, die unter dem DDR-Regime gelitten konzepte, Managementhilfen, Unterstützung bei der haben und die in der Region zu Hause sind; langfri- Beschaffung notwendiger Finanzmittel, Hilfen zur stige Verpachtung von landwirtschaftlichen Flächen Einrichtung neuer, marktgerechter Produktionslinien für Wiedereinrichter und juristische Personen; Ent- sowie um Unterstützung bei der Lösung sanierungs- schuldung von landwirtschaftlichen Betrieben, damit hemmender vermögensrechtlicher Fragen. sie kreditwürdig werden; Entschuldung von Woh- nungsbaugesellschaften. (Beifall bei der SPD) Diese Chancen für einen positiven Start in die Die Treuhand hat bei der Sanierung von Unter- Marktwirtschaft können den neuen Ländern insge- nehmen in den letzten Monaten durchaus kleine samt verwehrt werden, wenn das Bundesfinanzmini- Schritte in die richtige Richtung gemacht. Nach ei- sterium weiterhin die Linie verfolgt, daß die neuen ner Vorlage für den Verwaltungsrat der Treuhand Länder die Hälfte der Schulden der Treuhandanstalt vom 7. Januar dieses Jahres sollen in diesem Jahr 11 zu übernehmen haben. Es wird erwartet, daß diese bis 16 Management-KGs gebildet werden, die ihre Schulden bis 1994 auf 250 Milliarden DM ansteigen. Portfoliounternehmen führen, sanieren und veräu- Unserer Meinung nach ist die Auffassung des Finanz- ßern. Das Ganze soll in einem Zeitraum von drei bis ministeriums falsch. Sie widerspricht dem geltenden fünf Jahren geschehen. Recht des Einigungsvertrages. Die Treuhandanstalt (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Na ist nach Art. 25 des Einigungsvertrags eine bundesun- bitte!) mittelbare Anstalt öffentlichen Rechts. Damit liegen die Aufgaben und die Finanzverantwortung aus- Erstaunlich ist, daß das Bundesfinanzministerium den schließlich beim Bund. Das ist anders als beim Kredit- Treuhandunterausschuß hierüber erst am 21. Mai, auf abwicklungsfonds, bei dem eine gemeinsame Schul- meine Anfrage hin, informiert. Es handelt sich hier um dentragung des Bundes, der neuen Länder und der einen Geschäftsvorfall von grundsätzlicher Bedeu- Treuhandanstalt festgelegt ist. tung, der der Zustimmung des Treuhandunteraus- schusses bedarf. Denn nach Einschätzung der Treu- Es macht auch keinen Sinn, die neuen Länder so handanstalt geht es insgesamt um rund 200 Unterneh- hoch zu verschulden, daß sie auf absehbare Zeit am men mit einem Umsatz von ca. 24 Milliarden DM und Finanztropf des Bundes hängen. Politisch ist diese 160 000 Beschäftigten. Diskussion fatal. Die Sparschraube wird für die neuen Länder immer mehr angezogen. Unter diesem Druck Für die Durchführung von Sanierung vor der Priva- werden Entscheidungen gefällt, die den Start in die tisierung wird die Koalition grundsätzlich unsere Marktwirtschaft bremsen und auf Dauer immer teurer Zustimmung erhalten. Eine Politik der Geheimhal- machen. tung macht hier keinen Sinn. Allerdings bin ich skeptisch; denn bisher kann ich nicht erkennen, daß Die überstürzten Entlassungen von Mitarbeitern an die Regierung wirklich aktive Sanierungspolitik Hochschulen, z. B. in Mecklenburg-Vorpommern, ist betreiben will. für mich eine solche falsche Entscheidung. An der Greifswalder Universität sollen sehr schnell rund Auch der Bericht des Bundesfinanzministeriums 1 000 Mitarbeiter entlassen werden. Zum großen Teil am 21. Mai zeigt, daß man heute hinter den eigenen sind dies flexible Mitarbeiter, die die Region verlassen Vorgaben bleibt. Denn das Primat der Bundesregie- werden. Mit wem wollen wir neue Arbeitsplätze in der rung liegt bei schneller Privatisierung und treibt in der Produktion schaffen, wenn wir diesen Leuten den Treuhandanstalt erstaunliche Blüten. Durch ein Stuhl einfach vor die Tür setzen? Bonussystem sollen Führungskräfte für eine schnelle Privatisierung motiviert werden. Wenn man dazu im (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist aber Bericht des Rechnungshofes liest, wer alles zu den kein Treuhandunternehmen!) 7864 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Borin, Donnerstag, d en 4. Juni 1992

Hinrich Kuessner — Das gehört in diesen Zusammenhang. Wir brau- Es ist und bleibt unverständlich, daß das Mitspra- chen Leute, die gerade in Treuhandunternehmen cherecht des Parlaments bei dieser großen Aufgabe Wissenschaft und Technik entwickeln. völlig unterentwickelt ist. Dies muß anders werden, Es breitet sich bei uns eine Stimmung aus, mit der (Beifall bei der SPD) man neue Ufer nicht erreichen kann. weil wir sonst in unproduktiven Debatten steckenblei- ben und die Chance der politischen Gestaltung ver- Die SPD wird dem Treuhandkreditaufnahmegesetz passen. Die Bewertung der Bevölkerung, daß wir vor nicht zustimmen. allem Parteigezänk veranstalten, hat hier leider reale (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nicht zu Ursachen. fassen!) Für die Entwicklung in den neuen Ländern ist es Eine Anschlußregelung für die Kreditaufnahme der wichtig, daß die Bürgerinnen und Bürger erleben, daß Treuhand ist notwendig. Aber mit dem Gesetz wird wir Politik für sie und mit ihnen machen und daß die kein Beitrag zur Lösung der Finanzprobleme geleistet, Treuhand alles dafür tut, daß die Regionen eine die mit der Einheit Deutschlands aufgeworfen sind. Chance für eine wirtschaftliche Entwicklung erhal- Die Regierung schiebt das Problem nur weiter vor sich ten. her. Ich danke Ihnen. (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Richtig! (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Richtig!) beim Bündnis 90/GRÜNE) Die Verschuldung der Treuhand wird der Bund über- nehmen müssen. Die tatsächliche Gesamtbelastung Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort des Bundeshaushalts wird so nur verschleiert. hat die Abgeordnete Frau Susanne Jaffke. (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Wolken Susanne Jaffke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine schieberei!) sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Mißtrauisch muß man auch werden, da die Bundes- Redeliste durchgeschaut. Ich freue mich, daß es in den regierung weder den Haushaltsausschuß noch den Reihen der Union Frauen gibt, die zu wirtschaftspoli- Treuhand-Unterausschuß an der substantiellen Bera- tischen Dingen Stellung nehmen können, dürfen und tung des Wirtschaftsplans der Treuhand für 1992 sollen. Ich bedaure sehr, daß die SPD mit ihrer beteiligt hat. Der Planentwurf wurde nicht bei den Quotenregelung es nicht so gehandhabt hat. Haushaltsberatungen 1992 eingebracht, obwohl es (Wolfgang Roth [SPD]: Jetzt sind Sie aber in möglich war. den Keller gegangen!) (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das soll sich Herr Kollege Kuessner, wir kommen zweifellos aus jetzt ja ändern!) - der gleichen Region. Sie haben sich um einen Schlachthofneubau, der zwischen unseren beiden Ein Entwurf war rechtzeitig erarbeitet. Dazu waren Heimatstädten entsteht, bemüht. Noch einen an der- die Vorlage und darum auch die Beratung völlig selben Stelle zu bauen wäre wirtschaftlich unsinnig. unbefriedigend. Es ist richtig: Für 1993 soll sich zum Aber das ist das Problem: auf der einen Seite sehr viel Glück etwas ändern, weil endlich alle Fraktionen fordern, was auf der anderen Seite sehr viel Geld erkannt haben, daß das notwendig ist. kostet. (Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Richtig! — Wenn es um die Länderfinanzverteilung und die Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Auch Sie!) Aufteilung der Schulden geht, die die Treuhand für diese vielen Forderungen macht, dann werden wir die Eine Bewilligung des vorgelegten Verschuldensvo Solidarität der ganzen A-Länder testen. lumens für einen Nebenhaushalt hebelt das parla- mentarische Budgetrecht aus. Es darf nach unserer Ich werde mich jetzt mit den Finanzen und mit dem Meinung nicht bei der von der Bundesregierung Finanzrahmen befassen. Ich meine, über Wirtschaftli- vorgesehenen pauschalen Kreditermächtigung blei- ches ist schon genug gesprochen worden. ben. Das Parlament kann hier nicht ausgeschaltet Gemäß Art. 25 Abs. 4 des Einigungsvertrags war werden; denn sonst befaßt es sich damit erst bei der die Treuhandanstalt ermächtigt, in den Jahren 1990 Übernahme der Schulden durch den Bundeshaushalt. und 1991 Kredite bis zu einer Höhe von 25 Milliarden Alle finanzwirksamen Entscheidungen der Treuhand DM aufzunehmen. Mit dem vorliegenden Gesetzent- laufen dann am Parlament vorbei. Darum fordern wir wurf der Bundesregierung zur Regelung der Kredit- eine begleitende institutionelle oder einzelfallbezo- aufnahme durch die Treuhandanstalt ist eine gene Parlamentskontrolle der Kreditvergabe. Anschlußregelung für den Zeitraum von 1992 bis 1994 beabsichtigt. Darüber hinaus sollen die Kreditauf- (Beifall bei der SPD) nahme der Treuhandanstalt an den Kapitalmärkten In der schon besprochenen Werftenproblematik erleichtert bzw. optimiert sowie neue Refinanzie- wäre das ein nützliches Verfahren gewesen. rungsmöglichkeiten erschlossen werden. Der Gesetzentwurf sieht u. a. vor, daß die Treu- (Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Dann können handanstalt in den Jahren 1992 bis 1994 Kredite bis zu wir die Treuhand allerdings gleich zuma 30 Milliarden DM pro Wirtschaftsjahr aufnehmen chen!) kann. Dieser Kreditrahmen kann mit Zustimmung des — Das glaube ich nicht. Bundesfinanzministeriums und des Haushaltsaus- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7865

Susanne Jaffke schusses um bis zu 8 Milliarden DM aufgestockt rung zu gehen. Nach Auffassung meiner Fraktion werden, wenn von der Treuhandanstalt ein unabweis- sichert die Sanierung in privater Hand mehr Arbeits- barer Mehrbedarf nachgewiesen werden kann. Diese plätze als eine Sanierung unter dem Dach des Staa- flexible gesetzliche Regelung erscheint auf Grund der tes. Prognoseunsicherheit bei der Finanzvorschau für die (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sehr rich kommenden Jahre absolut notwendig. Bei der Über- tig!) nahme sogenannter Altkredite von Unternehmen, an denen die Treuhandanstalt nicht beteiligt ist, werden Die Privatisierung hat sich seit dem Tag der wirt- diese nicht wie bisher auf den Kreditrahmen ange- schaftlichen Einigung, dem 1. Juli 1990, als die wirk- rechnet. samste Hilfe für die Modernisierung der Unternehmen in Ostdeutschland erwiesen. Mehr als 130 Milliarden Zweierlei muß allerdings sichergestellt sein: Zum DM wurden bisher in private Unternehmen investiert. einen sollte die Treuhandanstalt nur mit der Zustim- Allerdings muß auch den Menschen in den neuen mung des Bundesfinanzministeriums Kreditver- Bundesländern klar sein, daß zu einer sozialen Markt- pflichtungen eingehen können, nicht zuletzt um die wirtschaft auch ein Konkursverfahren gehört. Es wäre notwendige Koordination zwischen BMF und Treu- falsch, wenn der Staat den Eindruck vermittelte, ein handanstalt zu gewährleisten. Zum anderen sollte der gesetzlicher Auftrag könne dies verhindern. jährliche Wirtschaftsplan der Treuhandanstalt jeweils rechtzeitig zu den beginnenden Haushaltsberatungen (Renate Jäger [SPD]: Haben wir noch nicht genug Konkursverfahren?) vorliegen. — Es mag sein, daß es noch nicht genug sind. Ich Durch die Haftungsregelung in § 4 des Treuhand- komme nicht aus einem Institut. Ich habe mein Leben kreditaufnahmegesetzes wird die Kreditaufnahme lang an der Basis gearbeitet. Ich gehöre zu den 30 % der Treuhandanstalt erheblich erleichtert und verbil- der Leute, die wirklich echt gearbeitet haben. Wir ligt, da der Bund als gesetzlich Haftender in der Lage haben gewußt, was wir alles auf Halde produzieren. ist, Kredite zu weitaus günstigeren Konditionen auf Ich verstehe nicht, daß man das alles innerhalb von dem Weltkreditmarkt aufzunehmen. Weiterhin wer- zwei Jahren so schnell vergißt. den die Schuldverschreibungen der Treuhandanstalt mit denen des Bundes, seiner Sondervermögen und (Beifall bei der CDU/CSU) der Länder gleichgestellt, was die Kreditaufnahme Die einfachen Arbeiter haben das nicht vergessen. der Treuhandanstalt weiter erleichtert, insbesondere durch die erleichterte Zulassung ihrer Schuldver- (Renate Jäger [SPD]: Wer hat hier verges schreibungen zum Börsenhandel. Das BMF verspricht sen?) sich von der damit verbundenen Zinseinsparung eine — Das ist das Problem: Wer hat hier vergessen? Was jährliche Ersparnis von ca. 100 Millionen DM. wollen wir denn auf Halde produzieren, wenn es niemand kaufen will? Fragen Sie doch einmal die (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sehr gut!) - ostdeutsche Hausfrau! Gehen Sie in den Supermarkt Auch die von der SPD und der PDS geforderte und gucken Sie, was sie kauft! Vor lauter guter Änderung des Auftrags der Treuhandanstalt — in Überzeugung kauft sie nicht irgendwelche Ostpro- welche Richtung auch immer — wird auf Dauer keine dukte, die ihr nicht attraktiv erscheinen. Sie will etwas konkurrenzfähigen Arbeitsplätze schaffen. Der Schönes haben. Das ist nun einmal so. Glaube der Sozialisten und wohl auch noch einiger (Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ Sozialdemokraten, daß der Staat Dinge gesetzlich nur Linke Liste]: Darum geht es doch gar vorzuschreiben braucht und diese dann per Staatsrä- nicht!) son durchgesetzt werden können, ist illusionär. — Natürlich geht es darum. Wir müssen investieren (Beifall bei der CDU/CSU) und das herstellen können, was gewünscht wird. Auch die SPD müßte langsam begriffen haben, daß Genauso ist es, Herr Schumann. Sie wissen doch, wie sozialistische Denkmodelle auf dem Müll der es auf der LPG war: 75 Traktoren; davon brauchten sie Geschichte landen. 40 zur Ersatzteilgewinnung. Um es noch einmal deutlich zu machen: Der Gesetz- (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist entwurf der Bundesregierung stellt sicher, daß die doch kein Denkmodell! Das ist ein prakti Treuhandanstalt für ihre Kreditaufnahme verantwort- scher Vorschlag!) lich bleibt und außerdem der enge Kreditrahmen von — Das ist ein Denkmodell, Herr Nils Diederich. Sie 30 Milliarden DM eine Grenze für das Schuldenmaß wissen doch, daß ich aus dem anderen Teil Deutsch- bildet. lands komme. Das macht unsere Unterschiede in den Auch wenn verläßliche Schätzungen bezüglich der Auffassungen deutlich. Deshalb bin ich in der anderen Einnahmen bzw. der Ausgaben der Treuhandanstalt Partei. nicht möglich sind, wird das neue Treuhandkreditauf- (Zuruf von der SPD: Aus welcher Partei nahmegesetz helfen, immer neue finanzielle Forde- kommen Sie denn? — Kurt J. Rossmanith rungen an die Treuhandanstalt abzuwehren. [CDU/CSU]: Gott sei Dank nicht aus Ihrer! — (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Aus der Block-CDU!) Die Treuhandanstalt bleibt aufgefordert, weiterhin Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Abge- ihren erfolgreichen und schnellen Weg der Privatisie ordnete Arnulf Kriedner hat das Wort. 7866 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Arnulf Kriedner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Zweitens. Wir wollen bei so wichtigen Fragen wie sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind ja hier in denen, die hier besprochen worden sind, wenn es einer vertrauten Runde, die an anderer Stelle wegen etwa um Bonussysteme oder dergleichen für Mitarbei- dieser Themen immer wieder zusammentritt und ter der Treuhand geht, vorher und nicht hinterher darüber auch streitet. Ich muß gestehen — ich sage informiert werden. Es ist ein Unding, was mit uns ganz freimütig und gucke dabei auf alle Seiten des getrieben wird. Hauses, aber ganz besonders in meine eigene Frak- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und beim tion —: Mich enttäuscht die Anwesenheit bei dieser Debatte, vor allem die der Kollegen aus den östlichen Bündnis 90/GRÜNE) Ländern. Das gilt für alle. Deshalb können nur die Drittens — das hat die Debatte erbracht —: Wir klatschen, die hier sind. wollen mit weiterer Zustimmung im Rahmen dieser Kreditermächtigung die Forderung verbinden, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die Treuhand die Kredite zu denselben Konditionen Ich meine, bei einer solchen Debatte, bei der es ja um wie der Bund aufnimmt und nicht ein Prozent mehr etwas geht und die bisher bis auf einige Ausrutscher bezahlt. Wo kommen wir denn hin, wenn wir ohnehin sehr fair geführt worden ist, sollten mehr Abgeord- Schulden machen und dann die Kreditzinsen noch nete, die in den Wahlkreisen betroffen sind, anwesend besonders teuer sind! Das merken wir hier ausdrück- sein. lich an. (Zuruf von der SPD: Wir sind hier alle Ossis, (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Für alle, die auf dieser Seite sitzen!) wahr!) — Das ist ja sehr schön. Aber davon abgesehen, würde Eine solche Debatte erbringt immer sehr unter- ich mir auch ein paar mehr westdeutsche Abgeord- schiedliche und differenzierte Standpunkte ; der eine nete hier wünschen; auch die sollen ja etwas mitbe- betont dieses mehr, der andere jenes. Ich muß Ihnen kommen. sagen: Ich bin durch viele Beiträge an den Titel eines (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Werks des wohl berühmtesten deutschen Dichters Liste) erinnert worden. Er lautet: „Dichtung und Wahrheit" . Man kann sich natürlich seine Wahrheit immer so Aber, Herr Kuessner, damit Ihre Freude nicht über- zurechtlegen, wie man sie braucht. schäumt: Ich habe Sie in manchem verstanden, aber in einem nicht, nämlich als Sie sagten, Sie stimmen dem (Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ Kreditgesetz nicht zu, noch nicht einmal dem Rahmen. GRÜNE]: Dann ist es nicht die Wahrheit! Das steht im Widerspruch zu allem, was gesagt Hinrich Kuessner [SPD]: Manche Wahrheit worden ist. erlebt man!) (Hinrich Kuessner [SPD]: Wir werden uns der — Die Wahrheit kann man sich auch zurechtlegen und Stimme enthalten! Sie wissen ja, wie wir es dann zur Dichtung packen, Kollege Ullmann. - im Ausschuß gemacht haben!) (Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ — Gut, gut; okay. Sie haben das ja erläutert. GRÜNE]: Nach der Wahrheit muß man sich Ich sage trotzdem: Ich habe es auch im Ausschuß richten!) nicht so recht verstanden ; denn Sie hätten eigentlich Aber ich muß Ihnen sagen: Wissen Sie, wenn ich den zwischen dem Rahmen und der Überschreitung der Gesetzentwurf der SPD lese, dann stelle ich fest: Darin acht Milliarden DM differenzieren müssen. Daß der steht außerordentlich viel Richtiges. Rahmen für die Arbeit der Treuhandanstalt notwen (Beifall bei der SPD) -dig ist, darüber brauchen wir nicht zu streiten. Es ging ja mehr oder minder darum, wie wir auch parlamen- — Klatschen Sie nicht zu früh! tarisch die 8 Milliarden behandeln, die als Über- (Hinrich Kuessner [SPD]: Was richtig ist, muß schreitungsrahmen möglich sein sollen. man beklatschen!) (Hinrich Kuessner [SPD]: Das können Sie in Ich wollte mich jetzt eigentlich mehr auf die Parenthe- dem Bericht nachlesen, den auch Sie unter sen beziehen, die Sie da gebracht haben. Das schrieben haben!) betrifft den zweiten Teil. Dort stimmen wir vielem zu. Da haben wir uns eigentlich sehr fest gebunden. Wir Aber wir lehnen es ab — ich bitte Sie, das zu verste- haben von Anfang an gesagt: Diese Überschreitung hen ; darüber ist hier viel gesprochen worden —, an verknüpfen wir mit einer Anzahl wichtiger Bedingun- irgendeiner Stelle Staatswirtschaft durch eine neue gen. Ich zähle sie noch einmal auf, und die Bundesre- Staatswirtschaft zu ersetzen. Ich prophezeie Ihnen: gierung soll das getrost noch einmal hören, Kollege Wenn Sie unproduktive Betriebe, die früher in Staats- Carstens, weil es wichtig ist. Wir hatten ja den einen wirtschaft waren, übernehmen, sanieren und fortfüh- oder anderen Anlaß, nicht nur die Treuhand, sondern ren, dann wird der Staat auf diesen Betrieben hängen- auch das zuständige Ministerium wegen der Informa- bleiben. tionspolitik zu kritisieren. (Hinrich Kuessner [SPD]: Wie ist das in Ich sage also noch einmal: Wir erwarten in der Tat, Bayern?) daß der Wirtschaftsplan der Treuhandanstalt rechtzei- — Dort bleibt er ja auch auf ihnen hängen! Das ist das tig und nicht erst irgendwann vorgelegt wird. schlechte Vorbild. Solche schlechten Vorbilder gibt es (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ übrigens nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. GRÜNE) Wenn wir in unsere westlichen Nachbarstaaten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7867

Arnulf Kriedner schauen, etwa nach Großbritannien oder Italien, und — damit wird dann natürlich automatisch die Schuld die dortigen heutigen Privatisierungsbemühungen der Bundesregierung unterstellt — nur — ich sage das sehen, dann müßte es uns schrecken, so etwas an einer einmal auf deutsch — Mist bauen würde! Stelle noch einmal zu versuchen. (Hinrich Kuessner [SPD]: Wer hat das

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Herr Ab- gesagt?) geordneter Kriedner, sind Sie bereit, eine Zwischen- frage des Abgeordneten Dr. Diederich zu beantwor- — Also wenn der Kollege Roth, der bedauerlicher- ten? weise nicht in der Lage war, der Debatte bis zum Ende zuzuhören — vielleicht hat ihn der Kollege Zywietz zu sehr gereizt; ich weiß es nicht —, noch da wäre, würde Arnulf Kriedner (CDU/CSU): Von dem außerordent- lich liebenswerten Berliner Nils Diederich immer! ich sagen: Der Kollege Roth hat hier ein Bild gemalt, bei dem es keinerlei positive Stellen gab, sondern nur Schatten, nur Negatives. Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Lieber Kollege Kriedner, Sie haben ja gerade in der geteilten Stadt Damit tun wir auch unseren Mitbürgern im anderen Berlin im Westen viele Jahre politische Erfahrungen Teil dieses Landes — ich sehe, da oben sitzt eine sammeln können. Würden Sie mir auf dem Hinter- Schulklasse aus Südthüringen — keinen Gefallen. grund dieser Erfahrungen zustimmen, daß wir gerade in West-Berlin, aber auch in der alten Bundesrepublik (Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ — ich nenne das Stichwort Salzgitter — eine große Linke Liste]: Bestellt!) Zahl von Unternehmungen und Betrieben gehabt haben, die überhaupt erst privatisierungsfähig gewor- — Das ist sehr schön, wenn das so ist! den sind, nachdem die Bundesrepublik hier viele hundert Millionen Mark investiert hatte, um diese (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Zufällig Betriebe zu sanieren und auf eine privatisierungsfä- aus deinem Wahlkreis?) hige Größe zu bringen? Und würden Sie mir nicht zustimmen, daß man aus diesen Beispielen vielleicht — Zufällig aus meinem Wahlkreis. Wir tun den auch für die neuen Bundesländer Nutzen ziehen Menschen drüben keinen Gefallen, wenn wir ihnen kann? hier ein solches Bild malen. Wer, Herr Schumann, täglich wie ich dann, wenn wir nicht in Bonn tagen, im Arnulf Kriedner (CDU/CSU): Also, Herr Kollege Nils Wahlkreis unterwegs ist, der kennt die Belastung, der Diederich, ich muß Ihnen dazu folgendes sagen: Ich kennt die Nöte, die der Kollege Kuessner hier vorge- kann Ihnen da gar nicht zustimmen, weil ich der führt hat, und der weiß, was zu tun ist. Wir reden hier Meinung bin, daß viele Milliarden fehlinvestiert wor- aber über ein Gesetz, das für meine Begriffe nicht nur den sind. Hätte man früher investiert, hätte man im Ansatz — wie Sie gesagt haben —, sondern immer Fehlinvestitionen, die der Staat unternommen hat, mehr ganz so gehandhabt wird, wie wir es wollen. Für vermeiden können. Ich kann mich durchaus nicht mich hat eine andere Frage viel stärkeres Gewicht: Ihrer Meinung anschließen. Wenn Sie an einige Ber- Wie sind denn die inneren und äußeren Kontrollme- liner Betriebe denken — das wissen wir beide doch chanismen geregelt? Was tun wir als Parlament? recht gut —, dann kann ich nur sagen: Wenn man sie Herr Kuessner, dabei müssen wir uns alle an die ein paar Jahre früher privatisiert hätte, hätten das Brust schlagen. Wir haben ein gutes Jahr verschenkt. Land Berlin und der Bund viel Geld gespart, und sie Wir haben ein Jahr verschlafen, ehe wir wach gewor- wären trotzdem vernünftig saniert worden. Das sind den sind. für mich keine Beispiele. Damit wir nicht in einen schrägen Streit geraten: Für (Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ mich ist auch die historische Vergleichbarkeit nicht Linke Liste]: Sie!) gegeben, Kollege Diederich. Ich stehe ja zu einem Sanierungsauftrag der Treuhandanstalt. Ich will ja — Entschuldigen Sie, Herr Schumann; Sie haben doch nicht so mißverstanden werden, als wollte ich die überhaupt nicht mitgeredet. Ich muß Ihnen sagen: Privatisierung ganz hoch und die Sanierung ganz Wenn es um die Anwesenheit der PDS-Leute im niedrig hängen. Ganz im Gegenteil, ich will durchaus Treuhand-Sonderausschuß ginge, dann bräuchte der eine Gleichwertigkeit. Allerdings streiten wir mögli- gar nicht erst zu tagen. Dann sollten wir die Tagungen cherweise um den Begriff, welche Betriebe sanie- lieber einstellen. Dazu sollten Sie wirklich schwei- rungsfähig sein sollen. gen. (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Darüber können wir uns unterhalten!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD) —Darüber müssen wir uns unterhalten! Und jetzt will ich sagen, was mich vorhin ein Das gilt übrigens, Herr Kollege, auch für die Teil- bißchen gestört hat: Es gibt bei der Wahrnehmung der nahme am Haushaltsausschuß. Ich empfehle Ihnen, Aufgabe der Treuhandanstalt höchst unterschiedli- die Teilnahmestärke der PDS dort einmal zu überprü- che Erfahrungen. Diese Erfahrungen machen wir, die fen. Sie selber sind ja direkt nicht betroffen. Wenn Sie wir im Treuhandausschuß sitzen, gerade ganz lebhaft. dies tun, dann werden Sie feststellen, wie selten Ihre Es sind höchst unterschiedliche Erfahrungen. Ich Kollegen dort anwesend sind und was sie dort treiben finde, es ist unfair, wenn wir hier alles über einen oder vielmehr wie wenig sie dort treiben. Das lassen Leisten ziehen und so tun, als ob die Treuhandanstalt wir jedenfalls auf uns nicht sitzen. 7868 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Arnulf Kriedner Ich sage: Wir haben es verpaßt, die Sanierung, Marktwirtschaft gibt, zu der wir immer gern hinzufü- diesen wichtigen Schwerpunkt, entsprechend zu gen, daß sie auch ökologisch verpflichtet sein muß, betonen. weil wir uns dann so gut mit der Opposition in diesem Haus treffen. (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist richtig!) Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal sagen: Debatten wie diese sind wichtig und finden inzwi- Das ist völlig korrekt. schen auch vor einem größeren Auditorium statt. Ich (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Sie waren mahne noch einmal an, daß wir diese Aufgabe alle- damals noch nicht Vorsitzender!) samt ernst nehmen und daß alle Kollegen die Arbeit — Vielleicht liegt es daran. Wir sind jetzt auf der Linie, im Treuhandausschuß, im Unterausschuß des Haus- diesen Schwerpunkt zu begreifen und auszubauen. haltsausschusses, unterstützen. Ich bitte Sie, meine Da ist — ich sage das auch durchaus selbstkritisch — sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen von natürlich in der Zwischenzeit viel Schlimmes pas- der SPD-Fraktion: Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß siert. und stimmen Sie wie wir dem Kreditaufnahmegesetz zu. (Zuruf von der SPD: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir müssen, und das sage ich mit allem Verlaub, meine Herren Staatssekretäre — Herr Lintner ist im Gegensatz zu den beiden anderen anwesenden Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Zum Staatssekretären in diesem Zusammenhang nicht Schluß der Debatte erteile ich dem Parlamentarischen gemeint —, der Bundesregierung und natürlich auch Staatssekretär Dr. Erich Riedl das Wort. der Treuhandanstalt noch ein bißchen mehr auf die Finger sehen. Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ nister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine sehr GRÜNE) verehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst Ich glaube, das muß man als Abgeordneter, der im Namen der Bundesregierung sehr herzlich für diesem gesegneten Teil des Hauses angehört, sagen diese Debatte bedanken, die von manchen für über- dürfen. flüssig gehalten wurde, aber — wenn man sie ganz, auch wenn sie kritisch war, verfolgt hat — doch sehr (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Sehr guter nützlich war. Mann! Leider in der falschen Partei!) Ich darf, Herr Kollege Kriedner, den Abgeordneten — Das will ich nicht gehört haben. Ich könnte Sie in Wolfgang Roth entschuldigen; er hat sich bei uns diesem Zusammenhang mit großem Ärger überra- entschuldigt; er mußte abreisen, weil er zur Beerdi- schen, Herr Kollege. gung des Kollegen Stavenhagen nach Pforzheim Ich sage noch einmal: Wir werden uns die Elemente mußte. Ich glaube, die Fairneß gebietet es, diese Ihres Gesetzentwurfs sehr genau ansehen. Wir wer- Entschuldigung anzunehmen. den, wo es nötig ist, daraus lernen; aber wir werden (Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Ich korrigiere ihn am Schluß nicht annehmen. meine Äußerung von hier aus!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Präsident, da ich sehe, daß die Koalition im Wir werden heute allerdings das Kreditaufnahmege- Augenblick eine satte Mehrheit hat, möchte ich mir setz annehmen. weil wir der Meinung sind, daß dies erlauben, meine Rede zu Protokoll zu geben, und den erst die Voraussetzungen bietet, die Sanierungsauf- Herrn Präsidenten bitten, abstimmen zu lassen. gabe bei der Treuhand vernünftig anzupacken. Ich (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und hoffe, meine Herren Kollegen, daß Sie dann an der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD unserer Seite sind, wenn die Treuhand für Sanie- und des Bündnisses 90/GRÜNE) rungsaufgaben Kreditnachschläge haben will. Ich hoffe, daß wir Sie dann in unserem Boot finden und - Meine daß Sie dann mit uns mitziehen. Das möchte ich trotz Vizepräsident Dieter Julius Cronenberg: Damen und Herren! Ihrem Beifall entnehme ich, daß Ihrer Stimmenthaltung anmahnen. Sie mit dieser von der Geschäftsordnung abweichen- Ich muß noch ein letztes sagen. Herr Kollege von der den Abwicklung einverstanden sind. — Das ist offen- PDS — damit komme ich zu dem Gesetzentwurf der sichtlich der Fall. PDS —, ich bin bereits — das hat der Kollege Zywietz Wir kommen zur Abstimmung, und zwar über den ja auch schon zum Ausdruck gebracht — ein bißchen von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf über die Sprache in Ihrem Entwurf gestolpert. eines Treuhandkreditaufnahmegesetzes. Er liegt Ich muß Ihnen sagen: Wer heute noch im Vorblatt Ihnen auf der Drucksache 12/2217 vor. eines Gesetzentwurfs vom „Übergang von der zentra- Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf der Drucksa- listischen Planwirtschaft zur kapitalistischen Markt- che 12/2744, den Gesetzentwurf unverändert anzu- wirtschaft" spricht, der hat etwas geschlafen. Der hat nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf auch etwas verschlafen. zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer Sie sollten lernfähig sein, so wie Sie bei uns die stimmt dagegen? — Enthaltungen? — In der zweiten Lernfähigkeit anmahnen. Sie sollten lernfähig sein, Beratung ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der daß es eine — Gott sei Dank — kapitalistische Markt- Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD und der wirtschaft nicht mehr gibt, sondern daß es eine Soziale Gruppen angenommen. Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, d en 4. Juni 1992 7869

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Wir treten in die an Realitätssinn zu begrüßen ist, wird hier jedoch dritte Beratung erneut gesagt, daß dies generell wesentlich niedrigere Werte seien, als sie für das alte Bundesgebiet zuträfen. ein und kommen zur Schlußabstimmung. Diejenigen, Wir finden ferner den Satz, daß der Kernbereich der die dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen Gewährleistung der inneren Sicherheit nicht in Frage wünschen, bitte ich, sich zu erheben. Wer stimmt gestellt sei. Zum Schluß vielleicht noch ein Hinweis: dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist Letztendlich formuliert die Bundesregierung auch, in der dritten Beratung mit dem selben Mehrheitsver- daß es keine Anhaltspunkte dafür gebe, daß die hältnis angenommen, wenn ich unterstellen darf, daß Bevölkerung in den neuen Bundesländern die Ent- Sie, Frau Abgeordnete Brudlewski, nicht absichtlich wicklung im Sicherheitsbereich überwiegend negativ sitzen geblieben sind. — So ist es. beurteilt. Nun komme ich dazu, Ihnen mitzuteilen, daß inter- fraktionell vorgeschlagen wird, die Vorlagen auf den (Zuruf von der SPD: Wo leben die denn?) Drucksachen 12/2291, 12/2604, 12/2637 und 12/2731 Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sicherlich unbestritten, daß es, seitdem wir diese zu überweisen. Der Antrag der Gruppe Bündnis Anfrage eingebracht haben, seit nunmehr einem Jahr, 90/GRÜNE auf der Drucksache 12/2637 — es handelt positive Entwicklungen und Fortschritte gegeben hat, sich um den Antrag „Kurswechsel bei der Treuhand- was den Aufbau der Polizei in den neuen Bundeslän- anstalt" soll außerdem zur Mitberatung an den dern betrifft. Das will ich hier nicht verschweigen, und Finanzausschuß überwiesen werden. Ich nehme an, das soll auch nicht geleugnet werden. Aber diese daß das Haus damit einverstanden ist und darf das als optimistische Einschätzung geht an der Realität mei- beschlossen feststellen. lenweit vorbei. In meinem Wahlkreis im Vogtland im südwestlichen Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 12 Sachsen, einem Gebiet mit insgesamt etwa 310 000 auf: Einwohnern — und ich will vorausschicken: das ist Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- kein Gebiet, welches wir nach der sicherheitspoliti- ten Dr. Willfried Penner, Gerd Wartenberg schen Situation als ein problematisches Gebiet (Berlin), Günter Graf, weiterer Abgeordneter bezeichnen können —, sieht die Situation ein wenig und der Fraktion der SPD anders aus. Nach dem Programm für die innere Lage der Polizei in der Bundesrepublik Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland von Deutschland 1974 — die Bundesregierung führt übrigens in der Antwort zur Frage 8 in diesem Papier ausdrücklich Drucksachen 12/908, 12/2374 — noch einmal dieses Programm an — wird eine Pla- Es werden eineinhalb Stunden Debattenzeit vorge- nungsgröße, eine Zielgröße für die Polizeidichte von schlagen. Ist das Haus damit einverstanden? — Dies einem Beamten pro 400 Einwohner angeführt. Das scheint der Fall zu sein. Ich darf das als beschlossen würde für das Vogtland bedeuten, daß wir insgesamt feststellen und dem Abgeordneten Rolf Schwanitz das 775 Polizisten in diesem Bereich haben müßten, eine Wort erteilen. Herr Abgeordneter, Sie haben das Größe, die in etwa — das will ich auch sagen — der Wort. Soll-Stärke tatsächlich entspricht. Die Soll-Stärke liegt nur geringfügig unter dieser Größe. Tatsächlich Rolf Schwanitz (SPD): Herr Präsident! Meine sehr haben wir jedoch nur 585 Polizisten in diesem Bereich. verehrten Damen und Herren! Die SPD hat im Juli Nach dem zuständigen Leiter der Dienststelle müssen 1991 diese Große Anfrage „Lage der Polizei in der wir davon ausgehen, daß durchschnittlich 15 % von Bundesrepublik Deutschland" eingebracht. Nun liegt dieser Anzahl permanent in Schulung sind, also nicht die Antwort auf dem Tisch. zum Einsatz zur Verfügung stehen. Die effektive Einsatzstärke liegt damit im Schnitt bei 497 Personen. Das Ziel der Sozialdemokraten war, über die gegen- Das sind nicht einmal zwei Drittel von der Dichte, die wärtige Lage der Polizei und die künftige Entwick- wir in diesem Programm für innere Sicherheit als lung zu debattieren. Die Bundesregierung hat sich in Planungsgröße vorfinden. Dabei ist das Vogtland — der Antwort diesem Ziel angeschlossen. Wir begrüßen lassen Sie mich das bitte noch einmal sagen — kein das ausdrücklich. Problemgebiet. Die Antworten und die Einschätzungen jedoch, die uns die Bundesregierung hier in dieser Drucksache Ich will auch gar nicht darauf abstellen, daß diese vorlegt, werden von uns nur zum Teil geteilt. Dies gilt Richtgröße, die ich angeführt habe, 18 Jahre alt ist. Die besonders für die Aussagen zur Situation der Polizei in Sozialdemokraten haben sehr oft an verschiedenen den neuen Bundesländern. Stellen angemahnt, daß dieses Programm fortzu- schreiben ist, zu aktualisieren ist. Ich will auch gar Ich möchte Ihnen dazu einige Beispiele aus der nicht darauf abstellen, daß sich natürlich die Krimina- Antwort vortragen: litätsentwicklung in diesen 18 Jahren verändert hat, (Vorsitz : Vizepräsident Helmuth Becker) was sicherlich auch auf die Größe eine Auswirkung Zur sicherheitspolitischen Situation in den neuen gehabt hätte, und ich will auch gar nicht ins Feld Bundesländern erklärt die Bundesregierung in dieser führen, daß natürlich die materiell-technische Situa- Antwort u. a., daß sie keine so erhebliche Verunsiche- tion der Polizei in den neuen Bundesländern unver- rung in der Bevölkerung erkennen kann. Nachdem gleichlich schlechter und schwieriger ist. Alles in die Bundesregierung natürlich auf den Anstieg der allem also eine deutliche Unterbesetzung, obwohl es Kriminalität im Osten hingewiesen hat, was sicherlich sich hier nicht um eine Problemregion handelt. 7870 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Rolf Schwanitz

Die Bundesregierung — ich kann das nur noch wichtiger Schritt für die Erhöhung der Akzeptanz der einmal zitieren kommt zu der Einschätzung, daß der Polizei in der Bevölkerung sind. Kernbereich der inneren Sicherheit nicht in Frage Ich glaube, daß wir auch eine Umstellung im Ver- gestellt wird. Ich kann nur sagen: Das ist eine Flucht in halten der Polizisten selbst gegenüber dieser Über- das statistische Mittelmaß; das ist eine Flucht, um prüfung fördern sollten. Die Polizisten werden mit Einzelsituationen nicht zu sehen und nicht darstellen diesen immateriellen Problemen aus meiner Sicht zu müssen. besser zurechtkommen, wenn die Personalüberprü-

Natürlich gibt es auch Positives zu berichten, bei- fung nicht als Belastung, nicht als lästiges Übel spielsweise was die materielle Ausstattung, die Aus- empfunden wird, sondern als notwendiger Baustein, rüstung der Polizei im Verhältnis zu der Situation vor um die berufliche Glaubwürdigkeit wiederherzustel- einem Jahr betrifft. In meinem Wahlkreis hat sich len und zu festigen. etwas bewegt, was die Ausrüstung mit Streifenwagen Der Bundesregierung ist zu empfehlen, daß der angeht. Hier ist die Einsatzfähigkeit der Polizisten Blick auch auf die extremen Einzelsituationen zu durchaus verbessert worden, auch wenn das nach wie wenden ist und daß endlich Unterstützungen im vor zu langsam geht und mitunter wie ein Tropfen auf erforderlichen Umfang Platz greifen müssen, die über den heißen Stein wirkt. das bisherige Ausmaß hinausgehen. Der Aufrechter-

Aber dieser Aufbau vollzieht sich bei einem enor- haltung der inneren Sicherheit gebührt beim Aufbau men Anstieg der Kriminalitätsrate. Im Vogtland in den neuen Bundesländern oberste Priorität. Dies haben wir mittlerweile eine Kriminalitätsbelastung, kann kein Gegenstand für Sparpolitik sein. die genauso hoch ist wie im benachbarten Bereich Danke schön. Hof, also wie im fränkischen Bereich in 30 Kilometer (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Entfernung unmittelbar gegenüber. Wir haben also GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ tatsächlich das vergleichbare Westniveau erreicht, Linke Liste) ohne daß wir dadurch die Dynamik in der Kriminali- tätsentwicklung eingebüßt hätten. Wir haben bei- spielsweise in der Region, aus der ich komme, im Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und ersten Quartal 1992 eine Kriminalitätsbelastung, die Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Joachim im Verhältnis zum gleichen Quartal 1991 um 20 % Clemens das Wort. höher ist. Das sind Zahlen, die, denke ich, Bände sprechen. Wer meint, daß, nur weil wir mittlerweile das fränkische Niveau erreicht haben, nun ein weite- Joachim Clemens (CDU/CSU): Herr Vorsitzender! rer Anstieg in dieser Situation des Aufbaus ausbleiben Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kol- würde, der betreibt Schönfärberei und macht sich lege Schwanitz, zu den Länderpolizeien in den neuen selbst etwas vor. Bundesländern wird meine Kollegin Frau Brudlewsky

reden. Wenn Sie aber der Bundesregierung einiges Meine Damen und Herren, es geht natürlich beim vorwerfen, dann tun Sie das zu Unrecht. Sie wissen, Aufbau der Polizei in den neuen Bundesländern nicht daß für die Polizei in erster Linie die Länder zuständig nur um personelle, nicht nur um materielle Probleme. sind, nicht der Bund. Sicherlich gibt es auch im Es steht nach wie vor ein enormes immaterielles Bereich des BGS-Ost einige Probleme — das gebe ich Problem im Raum: Noch immer hat die Polizei große zu —, nicht aber in dem Maße, wie Sie sie eben Akzeptanzprobleme. dargestellt haben. Es gibt nach wie vor das Mißtrauen, das der Polizei ( [CDU/CSU]: So ist es!) als ehemaligem Unterdrückungsorgan in den 40 Jah- Lassen Sie mich zunächst einmal ganz allgemein ren DDR entgegengebracht wird. Dies hat sowohl im danken. Ich danke der Opposition; es ist ihr Verdienst, Polizeibild der Bevölkerung als auch in den Köpfen durch ihre Große Anfrage die Bundesregierung dahin der Polizisten selbst tiefe Spuren hinterlassen. Es gebracht zu haben, die Lage der Polizei sehr ausführ- existiert ein Spannungsfeld, welches darin besteht, daß auf der einen Seite die demonstrierenden Bevöl- lich darstellen zu können. Dafür bedanke ich mich auch bei der Bundesregierung. kerungsteile, die in den ersten Tagen im Oktober 1989 auf die Straße gingen, nicht zuletzt prügelnden Poli- Ich begrüße es außerordentlich, daß wir im Plenum zisten gegenüberstanden; die friedliche Revolution wieder einmal über Polizei reden können. Ich gebe zu: war auch ein Sieg gegen polizeiliche Autorität. Auf Ich hätte mir gewünscht, zu einer etwas früheren der anderen Seite muß die Polizei lernen, vom Aus- Stunde; wenn es aber sein muß, dann auch zu dieser

üben polizeilicher Machtvollkommenheit während Zeit. der SED-Zeit heute nicht in ein anderes Extrem, in (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Heute war eine eine übergroße Zurückhaltung, zurückzufallen ; die besondere Situation, Herr Kollege!)

Polizisten müssen aktiv für die Verteidigung der Ich meine, es ist gut, daß wir im Plenum einmal über Demokratie eintreten. die Polizei, ihre Probleme und ihre Bedeutung für den

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bürger diskutieren können. Dies gibt mir zunächst personelle Vertrauen — um das scheint es mir hier zu einmal die Möglichkeit, mich bei den Polizeien der gehen — muß wiederhergestellt werden. Das ist ganz Länder und des Bundes für die hervorragende treue zentral für die Akzeptanz der Polizei in den neuen Pflichterfüllung für unseren Rechtsstaat namens der

Bundesländern. CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu bedanken.

Ich glaube, daß auch die Personalüberprüfungen (Beifall des Abg. Jürgen Augustinowitz durch die Gauck-Behörde, so umstritten sie sind, ein [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7871

Joachim Clemens Beim Schutz der inneren Sicherheit und der Aufrecht- dieses Programm fortzuschreiben und insbesondere erhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung und auch diese Polizeidichte zu gewährleisten. Es fehlt beim Kampf gegen das Verbrechen findet die Polizei aber in den Ländern und auch beim Bund an Polizei- in Bund und Ländern die CDU/CSU an ihrer Seite. vollzugsbeamten, und hier muß einiges getan werden, Es entspricht allerdings — das möchte ich deutlich um diese Misere zu beseitigen. sagen — nicht der Wahrheit, wenn die SPD in der Nun kann man bei uns in der Bundesrepublik einleitenden Begründung ihrer Großen Anfrage die Deutschland genügend geeignete Polizisten nur Polizei auf Grund angeblich umstrittener politischer anwerben, wenn man ein attraktives Berufsbild für Entscheidungen als Objekt des Unmuts und als poli- den Polizeivollzugsbeamten entwirft bzw. wenn es tischen Gegner vieler Bürger darzustellen sucht. vorliegt und wenn die Besoldungsstruktur für die (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Gesetzes- und Ordnungshüter verbessert wird, und zwar erheblich verbessert wird, wohlgemerkt, die Genau das Gegenteil ist der Fall. Alle Umfragen Besoldungsstruktur und nicht etwa die Besoldung. beweisen, daß der überwiegende Teil der Bürger der Das ist ein entscheidender Unterschied; das möchte Polizei für ihre Arbeit dankt. Die regelmäßig jedes ich hier deutlich hervorheben. Jahr vorgelegten Berichte des Instituts für praxisorien- tierte Sozialforschung sprechen eine deutliche Spra- An dieser Stelle kann man vielleicht noch offenlas- che. sen, ob es unter Berufung auf das Kienbaum-Gutach- ten zur Einführung der sogenannten zweigeteilten (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sehr rich Laufbahn, nämlich unter Wegfall des mittleren tig!) Dienstes und mit einer Fachhochschulausbildung für Sie belegen eindeutig, daß die Bundesbürger Ver- alle Beamten, und einer Neustrukturierung und -defi- trauen in unsere Polizei haben. Von allen Einrichtun- nition der Aufgaben der Polizei kommen soll. Ich habe gen des öffentlichen Lebens genießt die Polizei nach dafür gewisse Sympathien. Ich sage auf der anderen dem Bundesverfassungsgericht und den übrigen Seite aber auch sehr deutlich, daß es Probleme gibt, Gerichten allgemein das höchste Vertrauen. In bezug wenn man alle Aufgaben der Polizei dem gehobenen auf die Bedeutung der Behörden rangieren das Bun- und höheren Dienst zuordnen will. Da sehe ich einen deskriminalamt an vorderster und der Bundesgrenz- gewissen Pferdefuß. Aber es muß auf jeden Fall eine schutz an vorderer Stelle. Also, es kann überhaupt Verbesserung der Besoldungsstruktur erfolgen. Dar- keine Rede davon sein, daß hier irgendwo ein Buh- über muß man nachdenken, und zwar sehr schnell. mann auf seiten der Polizei aufgebaut werden muß. Die Polizei ist nicht Gegner der Bürger dieses Staates, Qualifizierter Nachwuchs läßt sich für die Polizeien sondern Gegner von Kriminalität und Gewalt zum von Bund und Ländern gegen die Konkurrenz der Schutze der Bürger. freien Wirtschaft auf dem Arbeitsmarkt nur gewinnen, wenn, wie gesagt, das Berufsbild, die Ausbildung und (Günter Graf [SPD]: Wer hat das bestrit- die Kasse stimmen. Nur mit qualifiziert ausgebildetem ten?) Polizeivollzugspersonal läßt sich der Kampf gegen die — Lesen Sie mal die Einleitung zu Ihrer Anfrage, da Kriminalität gewinnen. Die alte Polizei ist tot. Mit steht das in der Tat so drin. Das haben Sie aus einem Pickelhaube und Trillerpfeife kann unser Rechtsstaat früheren Antrag übernommen. Ich habe das noch gegen modernst ausgerüstete und ausgekochte orga- einmal nachgelesen. nisierte Verbrecher nichts ausrichten, damit kann man ihn nicht verteidigen. Wissen Sie, das ist immer so typisch. Weil nun andere die Regierung stellen, sagt man: Da gibt es Der Bund müßte in bezug auf die Verbesserung der umstrittene Entscheidungen. Aber das ist nun einmal Besoldungsstruktur eine Vorreiterrolle übernehmen. das Wesen einer Demokratie, daß die Mehrheit ent- In der Nachwuchsgewinnung haben nämlich die scheidet und daß, wenn die Polizei davon betroffen ist, Länderpolizeien Vorteile, weil sie eine heimatnähere die Polizei logischerweise diese Mehrheitsentschei- Ausbildung als der Bund betreiben können. Deswe- dung auch ausführen muß, auch wenn vielleicht der gen ist es geboten, daß die Bundesregierung hier zu einzelne Polizeibeamte nicht einer Partei angehört, schnellen Entscheidungen kommt. Wenn in den Län- die die Bundesregierung stellt. Das ist normal, das ist dern die zweigeteilte Laufbahn eingeführt wird, ist es Rechtsstaatlichkeit, und das ist Demokratie. nur eine Frage der Zeit, ab wann sich die jetzt schon Der Bürger in unserem Staat hat einen grundrecht- vorhandenen Probleme in der Nachwuchsgewinnung lich verfaßten Anspruch auf Schutz vor Kriminalität. verstärken und wann Abgänge der qualifizierten Zu dieser Gewährleistung ist zunächst einmal not- Vollzugsbeamten beim Bund zu verzeichnen sind. wendig, daß wir eine ausreichende Polizeidichte Darüber hinaus muß insbesondere beim Bundes- haben. grenzschutz — das ist nun einmal die Polizei des Wir haben ein Programm für die innere Sicherheit in Bundes — die Besoldung flexibler gestaltet werden. der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1974 Polizeivollzugsbeamte werden sich in Zukunft für — man höre gut zu. Seit dem Jahr 1974 gibt es ein Ballungsräume, z. B. für die Flughäfen Frankfu rt und solches Programm — das feiert bald sein 20jähriges München, aber auch für andere Großstädte — später Bestehen —, und das ist bis heute nicht fortgeschrie- ganz besonders für Berlin —, nur finden lassen, wenn ben, was dringend notwendig ist. In diesem Programm sie eine attraktive monatliche Ballungsraumzulage war schon eine Polizeidichte von 1 :400 angestrebt erhalten. Mit einer einmaligen Zulage kann man die worden. Ich habe mir gerade erzählen lassen, daß wesentlich höheren Lebenshaltungskosten nicht aus- insbesondere die SPD-geführten Länder sich weigern, gleichen. Ich sage es ganz offen: Nur ein gut motivier- 7872 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Joachim Clemens ter Polizist ist ein guter Polizist; er sichert uns die schnell beseitigt werden. Wir brauchten eigentlich innere Sicherheit. eine personelle Aufstockung. Sie wird aber aus finan- ziellen Gründen und weil man nicht so schnell geeig- Ein Weiteres kommt hinzu: Der Bund muß, so wie es neten Nachwuchs findet, nicht sofort zu beseitigen z. B. der Zoll in Frankfurt getan hat, Wohnungsfür- sein. Deswegen erscheint es dringend notwendig, daß sorge betreiben; er muß den Polizisten in den Bal- die Länderpolizeien, nämlich die Bereitschaftspoli- lungszentren Wohnungen zu erschwinglichen Miet- zeien der Länder, und der Bund zusammenarbeiten preisen zur Verfügung stellen. Dies ist sicherlich auch und daß dieses von mir schon zitierte Sicherheitskon- zu bedenken, wenn man in Zukunft, wie gesagt, gut zept fortgeschrieben wird. Diese Fortschreibung ist motivierte Polizeibeamte in diesem Bereich tätig wer- eine entscheidende Notwendigkeit. den lassen will. In der Antwort der Bundesregierung fällt auf, daß Durch das Gesetz zur Übertragung der Aufgaben bisher nur der Arbeitskreis IV einen aktualisierten der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den Bun- Entwurf zum Thema Verfassungsschutz erarbeitet desgrenzschutz und durch die Neukonstruktion und hat. Der Arbeitskreis II, der für die Zusammenarbeit -struktur des Bundesgrenzschutzes ist sicherlich ein der Polizeien zuständig ist, meldet leider weiterhin Schritt in die Richtung auf mehr Berufsvielfalt, auf ein Funkstille. Wie gesagt, es ist sehr bedauerlich, daß attraktiveres Berufsbild gemacht worden, auch wenn man in diesen Fragen nicht weiterkommt. Mir wurde dieser Schritt nicht überbewertet werden darf. berichtet, daß sich hier leider die Länder, und zwar Mit der Übertragung der beiden neuen Einzel- insbesondere die A-Länder, sehr zurückhalten. Ver- diensttätigkeiten ist das Spektrum der BGS-Aufgaben stehen tue ich das allerdings nicht. Das muß ich sehr abgerundet und der Wegfall der Kontrollaufgaben an deutlich sagen. der früheren innerdeutschen Grenze und die Reduzie- Ich sagte schon vorhin, daß dieses Sicherheitspro- rung an den Grenzen zu Frankreich und den Benelux gramm aus dem Jahr 1974 stammt. Es muß dringend Staaten mehr als kompensiert worden. fortgeschrieben werden, weil es veraltet ist. Nur so Durch die Übernahme dieser Aufgaben wird aber kann auf Dauer die innere Sicherheit gewährleistet die bisherige Struktur des Bundesgrenzschutzes nicht sein. unerheblich verändert. Bei einer Sollstärke von rund 30 000 Polizeivollzugs- und Verwaltungsbeamten Es kommt noch etwas anderes hinzu. Der Bundes- — es ist sehr positiv zu bewerten, daß jetzt alles unter grenzschutz — ich sage es noch einmal: das ist die einem Dach ist, nämlich der verbandlich strukturierte Polizei des Bundes; von der reden wir heute, ich Teil, der Grenzschutzeinzeldienst und die Verwal- zumindest, an erster Stelle — ist eine gut ausgerüstete tung — wird der Anteil der Einzeldiensttätigkeit Bundespolizei. Nun komme ich einmal auf die neuen wesentlich zu Lasten der für die innere Sicherheit Bundesländer. Da bin ich völlig anderer Meinung als dringend benötigten Bundesgrenzschutzverbände Sie, Herr Schwanitz, weil ich nämlich feststellen mußte, daß sich die aufgestockt. - Funkgeräte und Fahrzeuge dort wirklich nicht in hervorragendem Zustand befinden, Die Zunahme dieser Einzeldiensttätigkeiten wirkt sondern daß sie zum Teil gar nicht mehr funktions- sich auf das Berufsbild der Polizeibeamten sicherlich tüchtig sind. Ich finde es unverantwortlich, wie von sehr positiv aus. Aber auf der anderen Seite stellen mir selber festgestellt, wenn in Berlin am Bahnhof Zoo diese verbandsmäßig gegliederten Einsatzkräfte des ein noch nicht einmal in die BGS-Farben oder in BGS ein Rückgrat der Bundespolizei zur Aufrechter- andere Polizeifarben umgespritzter ehemaliger DDR- haltung der inneren Sicherheit dar. Das ist, wie Wagen steht. Da kann ich nur sagen: Damit kann man gesagt, ein entscheidendes Faktum. allerdings beim Bürger keine Akzeptanz erreichen. — Ich müßte eigentlich in diese Richtung gucken. — Ich Auf Grund unbesetzter Planstellen in einer Größen- wäre sehr dankbar, wenn man dies abstellte. Ich wäre ordnung von 4 000 mit einer Tendenz zu 5 000 und auch sehr dankbar, wenn man einige moderne Wagen insbesondere auf Grund eines personalmäßig unzu- in diese Bereiche gäbe. Ich gebe zu, es war bei der reichend ausgestatteten Einzeldienstes sind die Bahnpolizei. Sie geben es an den Finanzminister neuen Grenzschutzpräsidien gezwungen, erhebliche weiter. Okay, ich habe das verstanden. Nichtsdesto- Kräfte aus den Verbandseinheiten für die neuen trotz kann man aber auch aus den verbandsgeglieder- Einzeldienstaufgaben abzustellen. Das führt zu ten Einheiten einiges umstellen. Dies möchte ich Schwierigkeiten, wenn es zu ungünstigen Sicher- vielleicht noch sehr deutlich dazu sagen. heitslagen kommt. Dann fehlen nämlich die Kräfte bei Einsätzen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ich glaube, wenn man nicht genug Einsatzpotential Ordnung. für ungünstige Sicherheitslagen hat, dann ist eines notwendig. Dann braucht man nämlich mehr Technik. Des weiteren kommt erschwerend hinzu, daß bei Man braucht z. B. mit denen man den Bereitschaftspolizeien leider nur relativ wenig Hubschrauber, Einsatzkräfte schnell dort hinbringen kann, wo Einsatzkräfte verfügbar sind. Es soll sogar Länder Demonstrationen stattfinden oder Gewalt verübt wird. geben, bei denen diese Zahlen nur auf dem Papier Davon haben wir nicht genug. Ich sage ganz offen: Ich stehen; es sind also keine Ist-Zahlen vorhanden. verstehe nicht, warum der Bundesrechnungshof einen Beides zusammen kann zu großen Schwierigkeiten Abbau dieser Hubschrauber vornehmen will. Er will bei ungünstigen Sicherheitlagen in der Bundesrepu- Ausmusterungen von über 20 Hubschraubern vor- blik Deutschland führen. nehmen, weil er sagt, daß die Grenzkontrolltätigkei- Nun kann diese Zahl der unbesetzten Planstellen ten ausgelaufen seien. Ich erinnere diejenigen, die beim Bundesgrenzschutz auf jeden Fall nicht sehr dabei waren, als wir neulich französische Gäste hat- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7873

Joachim Clemens ten, daran, daß die moniert haben, daß an der ganzen personelle Stärke, und sie müßte sehr viel intensiver Grenze zu Polen ganze drei Hubschrauber im Einsatz darüber nachdenken, daß die Polizei niemals ein sind. Damit kann man eine solche Grenze in der Tat Mittel dafür sein kann, unterlassene politische Über- nicht überwachen. Jeder weiß, daß es da einige zeugungsarbeit durch staatliche Macht zu ersetzen. Probleme gibt. Ich will dies hier nur monieren. Hier muß einiges passieren. Wir müssen luftbeweglicher Wenn wir eine bürgernahe Polizei haben wollen, werden, wenn wir nicht genug Einsatzpotential dann muß die Personalstärke stimmen, dann muß haben. nämlich wieder mehr Streife gegangen werden, und zwar von Beamten, die dazu körperlich in der Lage Verstärkt wird das ganze noch zum 1. Januar 1993, sind, dann muß die Zahl der Bezirksbeamten erhöht wenn der Wegfall der Kontrollen an den Binnengren- werden, die zu den Einwohnern seines Bezirkes zen erfolgt. Wie gesagt, es gibt ein weiteres Sicher- Kontakt aufbauen können und akzeptiert werden, heitsdefizit. Wir müssen hier noch mehr tun. Nur eine dann muß man sorgfältig darauf achten, daß das erstklassig ausgebildete, modernst ausgerüstete, gut Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Bürger besoldete und attraktive Polizei kann in Zusammen- nicht gestört wird, ohne das sie keinen Erfolg haben arbeit mit den Polizeien der europäischen Staaten den kann. Das setzt Zurückhaltung bei der Wahl polizei- Kampf gegen das Verbrechen gewinnen. Unsere licher Mittel voraus, damit die Polizei Pa rtner bleibt Bürger haben darauf einen verfassungsrechtlichen und nicht gefürchtet wird. Dann kann man sich nicht Anspruch. damit herausreden, daß die Polizei den Verhältnismä- Ich bedanke mich. ßigkeitsgrundsatz beachten muß. Wenn die Politik der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Polizei bestimmte Befugnisse und bestimmte techni- sche Mittel zur Verfügung stellt, dann wird die Polizei von ihnen auch Gebrauch machen müssen, weil sie Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und sonst bei einem Mißerfolg den empörten Vorwurf Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen bekommen wird, warum sie denn diese oder jene Dr. Burkhard Hirsch. Methode nicht angewendet habe. Gerade die liberalen Innenminister haben für die Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Präsident! Meine personelle Verstärkung der Polizei, für ihre Ausrü- Damen und Herren! Herr Kollege Clemens hat in stung mit modernem Gerät, für die Einführung der seiner Rede eine ganze Reihe von Punkten ange- EDV in die Polizeiarbeit und für die Ausbildung schnitten, in denen wir ihm zustimmen können, die außerordentlich viel getan. Darum hätten wir es leider in der Antwort der Bundesregierung nicht wirklich sehr begrüßt, wenn die Polizeiführungsaka- enthalten sind. Auch wir hätten es begrüßt, wenn sich demie in Hiltrup ausdrücklich erwähnt worden wäre, die Bundesregierung nicht nur mit der Polizei als die eine unverzichtbare Einrichtung der Ausbildung solcher, sondern auch mit der Lage des einzelnen aller führenden Polizeibeamten von Bund und Län- Polizeibeamten befaßt hätte; denn ohne Berufsfreude dern ist und unsere Unterstützung verdient. Das gilt kann er ja keine Erfolge haben. insbesondere bei allen Anstrengungen, die Polizei in den neuen Bundesländern auszubilden, ihr Selbstbe- (Beifall bei der SPD) wußtsein zu stärken, ihr Ansehen zu verbessern und Er muß gleichzeitig freundlich und zivil sein, er soll ihr Verständnis vom modernen Rechtsstaat zu vertie- trotzdem Autorität entwickeln, um sich durchzuset- fen. zen. Er macht Wechselschichtdienst. Die Wachen und Aufenthaltseinrichtungen sind häufig schlecht und Wir beklagen es als einen Kardinalfehler der deut- wenig angenehm eingerichtet. Vernehmungen finden schen Innenpolitik, daß das gemeinsame Sicherheits- in einer räumlichen Enge statt, daß man von einem programm von Bund und Ländern seit den siebziger Schutz der Privatsphäre beim besten Willen häufig Jahren nicht mehr umfassend fortgeschrieben worden nicht mehr sprechen kann. Die Aufstiegschancen sind ist und daß die Innenminister, lieber Herr Kollege selbst bei beruflicher Bewährung begrenzt. Clemens — nicht der A-Länder oder der B-Länder, sondern alle Innenminister —, in den letzten zehn Unsere Polizei braucht in ihrer Leistung und Effek- Jahren nicht in der Lage waren, sich in den dazu tivität keinen Vergleich mit anderen Polizeien zu eingesetzten Gremien zu einigen. Das hat zu ernsthaf- scheuen. Das gilt insbesondere im Vergleich zur ten Fehlentwicklungen geführt. häufig apostrophierten amerikanischen Polizei, die eher von unserer Organisation und Ausbildung lernen (Zuruf von der SPD) könnte als umgekehrt. Erstens. Trotz verringerter Arbeitszeit, wachsenden (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Aufgaben und unterschiedlicher Aufgabenteilung GRÜNE) zwischen Schutz- und Kriminalpolizei ist die dafür Wenn die Politik ihre Verantwortung gegenüber erforderliche Polizeistärke weder erreicht noch fort- der Polizei und den Polizeibeamten wahrnehmen will, geschrieben worden. dann muß sie nicht dauernd neue Gesetze machen, dann muß sie nicht so tun, als ob sie durch neue Zweitens. Die Beförderungschancen haben sich Instrumentarien der Polizei völlig neue Handlungs- zwischen Bundes- und Länderpolizei, zwischen möglichkeiten erschließen müßte, sondern dann Schutz- und Kriminalpolizei, zwischen den einzelnen müßte sie sich mehr um den einzelnen Beamten und Bundesländern erheblich auseinanderentwickelt. Das um seine Lage kümmern, um seine Besoldung, um hat für die Motivation der Beamten verheerende seine berufliche Zufriedenheit, um eine ausreichende Auswirkungen. Jeder von uns weiß, was es bedeutet, 7874 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Dr. Burkhard Hirsch wenn man mit Mitte 30 in dem Spitzenamt der Ansehen ist größer, als sie selbst glaubt. In der Tat Laufbahn angekommen ist. braucht die deutsche Polizei nach Ausbildungsstand und Leistung keinen Vergleich mit den Polizeien Drittens. Die Polizeigesetze haben sich seit dem Ende der siebziger Jahre erheblich auseinanderent- anderer Staaten zu scheuen. Dafür verdient sie unse- wickelt, zum Nachteil für die länderübergreifende ren Dank und unsere Anerkennung. Zusammenarbeit. Das gilt auch für die Datenverarbei- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der tungssysteme der Länderpolizeien. SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE) Viertens. Es gibt unterschiedliche Konzeptionen der sogenannten vorbeugenden Straftatbekämpfung, Vizepräsident Helmuth Becker: Nächster Redner ist also hinsichtlich der Tätigkeit der Polizei bevor oder, unser Kollege Dr. Wolfgang Ullmann. besser: ohne daß eine Straftat vorliegt. Wir halten es für eine sowohl für die Polizei wie für den Bürger außerordentlich gefährliche Entwicklung, wenn die Dr. Wolfgang Ullmann (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Polizei tätig werden soll, ohne daß eine konkrete Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich danke Straftat vorliegt oder ohne daß eine konkrete Gefahr der SPD, daß sie eine Anfrage in dieser wichtigen droht. Dann würde ihr Betätigungsfeld geradezu ufer- Sache eingereicht hat. Ich danke natürlich auch der los werden. Das gilt auch für den Umfang der dann Bundesregierung, daß sie zwar spät, aber doch aus- zulässigen oder erforderlichen Datensammlungen. Es führlich geantwortet hat. ist eine unglaubliche Verschwendung polizeilicher (Parl. Staatssekretär Eduard Lintner: Gründ Arbeitskraft, wenn als Folge der Sammelwut vergan- lich!) gener Jahre hunderte von Mann-Jahren von Arbeits- Ich denke, daß es dem Respekt und dem Dank an die zeit aufgewendet werden müssen, um die mit Schrott Bundesregierung nicht widerspricht, wenn ich an verschmutzten Datensammlungen zu reinigen und sie zwei oder drei Stellen zu dem, was die Bundesregie- auf diese Weise überhaupt erst wieder praktikabel zu rung gesagt, Widerspruch anmelde. machen. (Joachim Clemens [CDU/CSU]: Das ist ganz Wir stellen fest, daß es keine gemeinsame Konzep- normal! Das gehört da auch hin! Das machen tion zur Bekämpfung der Ausländerkriminalität gibt. ja sogar wir!) Natürlich muß nicht nur die internationale Zusam- Der erste Widerspruch gilt dem Satz, auf den vom menarbeit der Polizeien verbessert werden, sondern Herrn Kollegen Schwanitz schon einmal angespielt wir fordern, daß Bund und Länder die gesetzlichen worden ist — er bezieht sich in der Tat auf die Voraussetzungen dafür schaffen, geeignete Auslän- Ostländer —: der, insbesondere in die Kriminalpolizei zu überneh- men, damit bessere Fahndungseinsätze für bestimmte In diesem Zusammenhang Tätergruppen und für bestimmte Deliktsgruppen - — so sagt die Bundesregierung — gefunden werden können. Daß das erforderlich ist, muß betont werden, daß für eine Verunsicherung kann ja wohl ernsthaft nicht bestritten werden. der Bevölkerung auch kein Anlaß besteht, .. . Sechstens. Schließlich ist das BGS-Gesetz überfäl- Der Grund dafür ist nach Meinung der Bundesregie- lig: mit der Modernisierung des geradezu antiken rung, daß „die Kriminalitätsbelastung, d. h. die Bundespolizeirechts, mit einer exakten Aufgaben- Anzahl der Straftaten bezogen auf die Bevölkerung, in beschreibung und natürlich mit der Abschaffung des den neuen Bundesländern z. Z. noch wesentlicher Kombattantenstatus. liegt als im alten Bundesgebiet" . Lassen Sie mich noch eine abschließende Bemer Solche Zahlenverhältnisse mögen die beruhigen, kung machen: Jede Gesellschaft hat eine ihr spezifi- die auf solche unbequemen Fragen antworten müs- sche Kriminalität. Wenn man versuchen wollte, sie sen. Bei den Leuten sieht es etwas anders aus. Neulich auszurotten, müßte man einen gigantischen Überwa- wurde im Fernsehen gezeigt, wie sich zwei kleine chungsapparat aufbauen, der letztlich die Autorität Berliner Jungen unterhielten und die Lage der Gesell- des Staates zerstört. Jeder, auch der konservative schaft so charakterisierten: Seit der Wende haben wir Politiker darf sich nicht um die Frage herumdrücken, ein Sicherheitsschloß an der Wohnung und einen wo er die notwendige Grenze polizeilicher Überwa- Spion an der Tür. chungs- und Ermittlungsarbeit ziehen will und ziehen (Dr. Jürgen Schmieder [F.D.P.]: Früher war muß. Er darf sich auch nicht um die Frage herumdrük- er in der Wohnung drin! — Lachen bei der ken, welche anderen als polizeilichen Mittel notwen- F.D.P., der CDU/CSU und der SPD) dig und angemessen sind, um die sozialen und die soziologischen Ursachen zu beseitigen, die häufig Ich muß in der Beurteilung der Polizeisituation in Anlaß für Kriminalität sind und ohne deren Beseiti- den neuen Ländern, besonders in Sachsen, wo ich gung die Kriminalität auch nicht überwunden werden mich auskenne, leider mehr dem Kollegen von der kann. Schließlich werden Sie daran denken müssen, CDU/CSU zustimmen, Herr Schwanitz. Als ich das daß die ganze polizeiliche Arbeit dann für die Katz ist, letzte Mal in Hoyerswerda war und über die Vorfälle wenn die anschließenden gerichtlichen Verfahren des vorigen Herbstes sprach, haben mir die Polizisten erst enorme Zeit später beginnen und noch später zu erklärt, es hänge in der Tat auch mit ihrer schlechten Ende geführt werden. Ausrüstung zusammen, daß sie dort so wenig effektiv werden konnten. Sie mußten noch in den alten Uni- Die deutsche Polizei besitzt in der Bevölkerung eine formen herumlaufen, und eine vorhandene erfahrene breite Vertrauensbasis. Das ist vollkommen richtig. Ihr Einsatztruppe konnte nicht in der nötigen Zeit heran- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7875

Dr. Wolfgang Ullmann gebracht werden. Ich denke, all das kann so nicht Vizepräsident Helmuth Becker: Unsere nächste bleiben. Aber — nun bin ich wieder anderer Meinung Rednerin ist Frau Kollegin Ulla Jelpke. als Sie, Herr Kollege — das hat auch etwas mit Bundesproblemen zu tun nämlich mit der Finanzmi- sere der neuen Länder. Die Auswirkungen in der Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Innenpolitik sind ganz besonders gefährlich. Wenn, Meine Damen und Herren! In der Antwort zum Punkt wie Staatssekretär Ermisch in der letzten Sitzung der Drogenkriminalität der Großen Anfrage der SPD Föderalismuskommission sagte, die Dinge so weiter- erklärt die Bundesregierung zusammenfassend — ich laufen und die Arbeitslosigkeit in Sachsen demnächst zitiere —: die 50%-Grenze erreicht, ist eine solche Polizeisitua- tion gefährlich. Die Polizei hat eine Vielzahl an Initiativen ent- wickelt, um die Rauschgiftkriminalität effizient Der zweite Punkt ist die Aussage der Bundesregie- bekämpfen zu können ... Die darin enthaltenen rung, sie teile nicht die Auffassung, daß der Polizei taktischen und strategischen Maßnahmen wer- vorrangig die Last der Durchsetzung umstrittener den ständig der aktuellen Entwicklung angepaßt politischer Entscheidungen aufgebürdet werde. Man und weiterentwickelt. kann darüber streiten. Erst vor knapp zwei Monaten hat in diesem Hause Ich will nur folgendes anmerken: Ich bin unlängst eine Debatte darüber stattgefunden, warum eine alarmiert worden, als ich von einem Taxifahrer das grundsätzliche Wende in der staatlichen Drogenpoli- Angebot erhielt, er könne einen Kontakt zu einer tik notwendig sei. An einige Eckpunkte möchte ich Taxifahrer-Organisation herstellen, die gleichzeitig erinnern: Bodyguards vermittle. Auf so etwas war ich natürlich Die Polizeikapazitäten auf dem Gebiet der Drogen- nicht gefaßt. bekämpfung wurden in den letzten 20 Jahren fast Aber noch mehr, muß ich sagen, hat mich die verdreißigfacht. Die Kapazitäten des Bundeskriminal- Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Pro- amtes haben sich sogar versiebzigfacht. In demselben blem alarmiert. Sie sagt nämlich: Zeitraum sind die Therapieangebote für Drogenab- hängige nicht einmal verdoppelt worden. Die Inanspruchnahme privater Unternehmen in diesem Bereich erleichtert der Polizei die präven- Die Behauptung, effiziente Mittel zur Verfügung zu tive Gefahrenabwehr, ohne sie in ihrer Aufga- haben, wird aber nicht einmal mehr von der Polizei benwahrnehmung zu beeinträchtigen. getragen. Hier nur ein Beispiel für Äußerungen von Polizeibeamten; der Dortmunder Polizeipräsident Das ist nun in der Tat eine höchst interessante Schulz erklärt: Auffassung von Gewaltenteilung, zu der ich aus- drücklich sagen möchte: Ich teile sie in gar keiner Wir müssen schlicht feststellen, daß die bisherige Drogenbekämpfung mit polizeilichen Mitteln Weise und kann mir schwerlich vorstellen, daß -es dem Ansehen unserer Polizei dienlich ist, wenn sie bei- nicht zum Erfolg führen kann. spielsweise am Hamburger Hauptbahnhof die Dro- Er lehnt den auch von der Bundesregierung und dem genszene gerade zerstreut hat, die Drogensüchtigen BKA getragenen Weg der Bekämpfung auf der Basis woandershin wandern, dort dann von einem privaten des klaren Verbots rundherum ab. 60 bis 80 % der Sicherheitsdienst vertrieben werden und dann zum sogenannten Rauschgiftdelikte sind Konsum- und Hauptbahnhof zurückkommen. Was soll die Polizei Beschaffungsdelikte. Experten gehen davon aus, daß nun eigentlich tun? Sie soll sich vermutlich mit diesen sich etwa 75 % der in der Kriminalstatistik geführten privaten Sicherheitsdiensten absprechen. Straftaten auf geringe Mengen beziehen. Ich muß schon sagen, es ist ein merkwürdiges In diesem Zusammenhang beziehen sich Fahnder und Zusammentreffen, daß wir gerade heute über das Justiz allerdings gerne auf das Legalitätsprinzip, das Gesetz gegen organisierte Kriminalität beraten eine Verfolgung auch dieser Vergehen erzwinge. haben. Ich stelle hier fest: Die Bundesregierung ver- Aus diesem unsinnigen, ineffektiven und rein poli- tritt die Meinung, daß sich die Polizei ihre Aufgabe zeilich geführten sogenannten Kampf gegen die Dro- sehr gut mit privaten Sicherheitsdiensten teilen genkriminalität ergeben sich bekannte Folgen: Ober- könne. Das ist, meine ich, durchaus nicht im Sinne des lastung der Polizei und Justiz, Verschleuderung von Ansehens unserer Polizei, die durch diesen Gesetzent- Geldern, die allemal sinnvoller für Therapie- und wurf auch noch in den Untergrund geschickt wird. soziale Maßnahmen eingesetzt werden könnten. Das Ich denke, hier gehen umstrittene politische Ent- heute verabschiedete OrgKG wird diesen Kampf auf scheidungen durchaus zu Lasten unserer Polizei. Es neuer Ebene fortführen. wird ihr auch noch angesonnen, sich ihre Aufgabe mit Konsequent verzichtet wurde und wird auf die Organisationen zu teilen, deren Waffenbesitz in mei- Entkriminalisierung der Konsumenten. Aufrechter- nen Augen jedenfalls keine Sicherung, sondern eine halten wird dadurch der illegale Markt mit all seinen Gefährdung der Demokratie und sicherlich auch eines Folgen für die Kriminalitätsentwicklung in diesem der Keimfelder organisierter Kriminalität ist. Davor Bereich. meine ich nun doch warnen zu müssen. Meine Damen und Herren, die Konzeption, mit (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Burk Verpolizeilichung auf gesellschaftliche und politische hard Hirsch [F.D.P.] — Joachim Clemens Konflikte zu reagieren und damit wachsende Krimi- [CDU/CSU]: Herr Ullmann, so steht das da nalitätsraten in vielen Bereichen erst zu produzieren, aber nicht drin!) gehört zum Kernbestand dieser Politik. 7876 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Ulla Jelpke Der Kürzung von Ausgaben z. B. für kulturelle, getrieben und perfektioniert. Andererseits ist z. B. von soziale und bildungsmäßige Zwecke im Jugendbe- dem nach Hoyerswerda angekündigten entschiede- reich steht ein verbissenes Beharren auf der Verfol- nen Vorgehen gegen die Neofaschisten kaum mehr gung von Bagatelldelikten gerade im Jugendbereich die Rede, von einer entsprechenden Praxis ganz zu gegenüber. Schwarzfahren, Ladendiebstähle und schweigen. Hier sind nun die Klagen über fehlendes ähnliche Dinge belasten Polizei und Justiz und führen Personal und fehlende Ausrüstung bei der Polizei zu frühzeitiger Kriminalisierung von Jugendlichen. völlig fehl am Platze. Nach wie vor werden antifaschi- Jedes einigermaßen aktive Jugendzentrum hat stische Aktionen ins Zwielicht gerückt, polizeilich und nicht nur mit Finanz- und Raumproblemen zu kämp- juristisch verfolgt — wie z. B. auch hier in Bonn am fen, sondern steht zudem unter schärfster polizeilicher letzten Samstag. Überwachung durch örtliche Sonderkommandos der Andererseits sieht sich beispielsweise der Parla- Polizei. Der Grund dafür ist die in der Antwort mentarische Staatssekretär Lintner nicht einmal mehr hochgehaltene umfassende Präventionsarbeit der veranlaßt, monatlich detailliert Auskunft über rassisti- Polizei. Praktisch bedeutet sie, daß jede Bürgerin und sche Aktionen und Angriffe auf Gesundheit und jeder Bürger, gleich welchen Alters, grundsätzlich ein Leben von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern Sicherheitsrisiko darstellen könnte und deshalb auch zu geben, so jedenfalls die Antwort von Herrn Lintner unter vorsorgliche Beobachtung gestellt werden auf eine meiner Fragen zu diesem Thema. sollte. Ich danke für die Aufmerksamkeit. Die Folge ist dann z. B., daß 30 bis 75 % der (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Durchsuchungsbefehle für Wohnungen „nicht einmal verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen" ge- nügen, wie der Deutsche Anwalt-Verein feststellt, daß Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Telefonüberwachungen von der Ausnahme zum Herren, ich glaube, in einem besteht Übereinstim- Regelfall entwickelt werden, daß, wie aus Hamburg mung hier im Hause — ich hoffe, ich habe Sie nicht bekanntgeworden ist, Kinder unter 14 Jahren daten- falsch verstanden —: daß die Telefonüberwachung in mäßig erfaßt, zum Teil erkennungsdienstlich behan- der Bundesrepublik nicht der Regelfall ist, denn delt werden und auf diese Weise ihre Daten auch in andernfalls müßte ich dem aus meinen eigenen Erfah- den länderübergreifenden Datenverbundsystemen rungen sehr widersprechen. landen. Als nächste hat unsere Frau Kollegin Monika Brud- Meine Damen und Herren, im Bereich des Staats- lewsky das Wort. schutzes der Polizei erfährt diese Konzeption ihre absurde Vollendung. In Hamburg beispielsweise ist Monika Brudlewsky (CDU/CSU): Herr Präsident! das Personal der Staatsschutzabteilung 1992 um eben Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über mal lockere 25 % verstärkt worden. Etatmäßig bedeu- die Lage der Polizei in Deutschland. Man möchte an tet das eine Aufstockung von 7,5 auf ca. 10- Millionen dieser Stelle eigentlich immer weniger die Unter- DM. schiede, sondern mehr die Gemeinsamkeiten all unse- Staatsschutzabteilungen, die seit Jahren bundes- rer 16 Bundesländer herausheben. Aber wir würden weit eine enorme Aufblähung erfahren, müssen die Augen verschließen, wenn wir nicht doch immer natürlich auch Arbeit haben. Die Hamburger Abtei- wieder noch Unterschiede zwischen alten und neuen lung verdoppelte in gut zwei Jahren die Anzahl ihrer Bundesländern erkennen. Wichtig ist nur, daß wir Ermittlungsverfahren auf über tausend. Mehr als 50 % nicht nur darüber klagen und darüber nicht hinaus- davon richten sich auf Delikte mit politischem Bezug. kommen. Wir müssen Ursachen für die Unterschiede Dieser politische Bezug wird dann vom Staatsschutz erkennen und Lösungen suchen, die alle zufrieden- so interpretiert, daß er sich auf so revolutionäre stellen. Aktionen bezieht wie beispielsweise auf die Straßen- In vielen Dingen muß ich Herrn Schwanitz recht blockaden in der Stresemannstraße, also auf soge- geben. Es ist schwierig bei uns. Aber es hat in Bund nannte Verkehrsberuhigungen. und Ländern auch sehr viele Hilfsleistungen gegeben. (Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU]: Hafen- Ich möchte das jetzt nicht im einzelnen aufzählen; es straße!) ist in der Beantwortung dabeigewesen. Wer die Geschichte kennt, der weiß auch, daß dort Die Lage der Polizei in den alten und neuen mehrere Kinder umgekommen sind. Bundesländern ist — abgesehen vom Neuaufbau — vor allem von einem tiefgreifenden psychologischen 60 % bis 70 % derartiger Ermittlungsverfahren kom- Problem geprägt. Genau das ist die Hauptursache der men bundesweit erst gar nicht zur Anklage. Die Schwierigkeiten. Verurteilungsquote liegt zeitweilig bei unter 5 %. Das Als Vertreterin aus den neuen Bundesländern habe ist nicht einer liberalen Justiz zu verdanken, sondern ich, die ich 1946 geboren wurde, mein Leben lang der Tatsache, daß diese Ermittlungsverfahren der Polizei wie Armee in der ehemaligen DDR als etwas Strafverfolgung kaum dienen, um so mehr allerdings sehr bedrohliches empfunden. Begegnungen mit der der Ausspähung der polizeilichen Gegenüber, und Volkspolizei haben dieses Bild vertieft. Ich kann mich das sind eben die Bürgerinnen und Bürger. — Dies ein noch genau an Verhaftungen vor unserem Wohnhaus Beispiel aus den Ländern. erinnern, obwohl ich damals, 1953, nicht beg riff, was Die sogenannte terroristische Bedrohung ist heute dort wirklich geschah. Später stand ich mit meiner ja kaum noch zu beschwören, und dennoch werden Mutter stundenlang vor dem Polizeigebäude an, um der Auf- und Ausbau des Staatsschutzes weiter voran eine Aufenthaltsgenehmigung bzw. einen Reise- Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7877

Monika Brudlewsky paß zu beantragen. Man mußte sich von den Polizei- einer demokratisch handelnden Länderpolizei zu beamten erniedrigende Reden anhören. Ich kann vollziehen. Die Menschen haben oft noch Scheu vor mich auch noch gut an die Kontrollen im Zug an den den Beamten, auch wenn diese schon in neuen Grenzübergängen erinnern, wenn ich in den Ferien Uniformen auftreten. Sicher sind gleich nach der meine Schwester in Düsseldorf besuchen durfte. Bis Wende viele schwer belastete Polizisten entlassen 1961 war das ja möglich. Wir haben vor den Unifor- worden oder auch freiwillig gegangen, besonders in mierten gezittert, wenn wir ein Pfund Kaffee zuviel der Altersgruppe über 50. und z. B. Westillustrierte versteckt hatten. Dann der Die Kriminalität in den neuen Bundesländern stieg Bau der Mauer, die Opfer an der Grenze, Verhaftun- leider schlagartig an. Es gibt viele Ursachen für den gen hin und wieder in meinem Wohnort. Es wurde derzeitigen Anstieg der Gewalt und des Extremismus. leise erzählt, daß der Nachbarssohn Walter Ulbricht Suche nach Orientierung und Ausleben der Freiheit auf einem Bild in der Zeitung die Augen ausgestochen sind wichtige Gründe. Nach 40 Jahren Unfreiheit hatte. Er wurde denunziert. Polizisten holten ihn ab; er meinen die Menschen im Überschwang oft, sich nun bekam zwei Jahre. Die Nachbarsleute vergingen vor alles erlauben zu können. Es würde zu weit führen, Gram. — Das sind Gefühle, die bei uns allen tief dies jetzt im Detail zu erklären. Aber mit Sicherheit ist drinnen saßen. Dagegen kann man erst einmal wenig nicht die Ursache für den Anstieg der Kriminalität, daß tun. der Sozialismus fort ist. Diese persönliche Befindlichkeit, die ich jetzt schil- derte, damit es vorstellbar wird, müssen wir in den fünf Früher wurde in den Medien selten über Straftaten neuen Bundesländern abbauen. berichtet, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Das Bild des Sozialismus durfte nicht befleckt werden. (Zuruf von der PDS/Linke Liste: Courts So verschwieg man viele kriminelle Delikte und Mahler!) erfaßte in den Statistiken längst nicht alles, besonders — Das ist nicht Courts-Mahler, das ist Tatsache nicht kriminelle Handlungen von Ausländern, die wir gewesen. uns damals schon ins Land geholt hatten. Bei unseren Menschen ist auch der Wille da, auf die Weitere Ursachen des schwierigen Übergangs Polizei zuzugehen und ihre Arbeit anzuerkennen. — ich brauche nicht alles zu nennen —: Unterbeset- zung der Polizeidienststellen, wenig Nachwuchs, weil Während der Wende nahm ich mir einmal die Zeit, der Beruf bei uns noch zu wenig attraktiv ist und sich im Polizeigebäude die Werbung für den Polizeiberuf zur Zeit sicher viel gefährlicher darstellt als zu ruhigen durchzulesen. Das stand noch aus Zeiten der DDR Zeiten, die Unsicherheit der Beamten, die da sind und dort. Der Eintritt in die SED war eine der Vorausset- ihre Schwäche empfinden, u. a. weil sie zögerlicher zungen. Wer in der Schule nicht die gewünschten sind, um die Befindlichkeit unserer Bürger nicht zu Leistungen erbrachte, aber die richtige Einstellung treffen — sie haben Angst, als die alten Beamten zum Staat aufwies, konnte zwar kaum Koch oder - angesehen zu werden; das möchten sie vermeiden —, Elektriker werden, aber Polizist. Man hielt im Volk verstärktes Rowdytum, extreme Gruppen von rechts nicht viel von diesem Beruf, und es gab die bösesten und links, besonders Extremisten aus den alten Bun- Witze über die Polizisten. Diesen Ruf galt und gilt es desländern, die unsere Extremisten unterstützen abzuwenden. Polizist zu werden muß für unsere — ich wohne im ehemaligen Grenzgebiet; da ist das Jugendlichen wieder attraktiv werden. ganz besonders stark —, größere Anzahl von Asylbe- (Zustimmung bei der CDU/CSU, der F.D.P. werbern und eine relativ hohe Kriminalitätsrate bei und bei Abgeordneten der SPD) diesen. Während der Montagsdemonstration in meinem Besonders hervorzuheben wäre noch die Situation Heimatort stellte ich mit freudigem Erstaunen fest, in den Großstädten. In Berlin geht man von einer daß es bei den bisher sehr verschlossenen Beamten Sondersituation aus. Der Fall der Berliner Mauer hat durchaus schon vorsichtige Annäherungen gab. Ich aus dem geschlossenen Kriminalitätsraum Berlin kann mich noch erinnern: Es war dichter Nebel, wir (West) nach der Vereinigung eine offene Stadt mit kamen mit Kerzen aus der Kirche, um zur Demonstra- neuen Kriminalitätsformen und einer Steigerung der tion zu gehen. Die Polizei sperrte die Wege für uns ab, Kriminalitätsrate gemacht. Ursache ist die größere und ein Polizist verteilte unsere Flugblätter. Das fand Fluktuation reisender Täter mit dem Wegfall früher ich ein sehr positives Zeichen. gegebener Kontrollmöglichkeiten. Die Vereinigung Deutschlands in Freiheit hat uns Die Situation der Polizei in Berlin ist eine andere als allen die Perspektive eröffnet, in Frieden und Rechts- die der Polizei in den fünf neuen Bundesländern. In staatlichkeit zu leben. Zum Schutz unserer Freiheit Berlin wurden die Polizeikräfte vermischt. Ehemalige und zur Erhaltung des inneren Friedens brauchen wir Volkspolizisten verrichten ihren Dienst in ganz Berlin eine gute, anerkannte Polizei. Nun aber kommt der zusammen mit West-Kollegen. Das führt dazu, daß Unterschied: Während die Polizei in den alten Bun- krasse Unterschiede auf Grund der Zusammenarbeit desländern diese Rolle seit 40 Jahren ausgeübt und an einem Schreibtisch deutlich werden, z. B. die sich eine gewisse Stellung erobert hat, ist man in den unterschiedliche Bezahlung. Dadurch gibt es zusätzli- neuen Bundesländern noch mitten in Problemen, die che zwischenmenschliche Probleme. die Polizei in ihrer Arbeit und Anerkennung behin- Der Ruf nach einer starken Hand wird immer lauter. dern. Der Rechtsruck beweist, daß man auch mit zuviel In organisatorischer Hinsicht gilt es, den Übergang Liberalität beim Bürger auf Unwillen stößt. Der Bürger von einem zentralistisch geführten Polizeiapparat zu möchte Ruhe und Frieden sowie Gesetze, die dies 7878 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Monika Brudlewsky gewährleisten. Viele Menschen in unserem Land zurückweisen: Wenn sie davon gesprochen hat, daß verlangen für die Gewalttäter härtere Bestrafung. Es die Bundesrepublik Deutschland ein Überwachungs- darf nicht sein, daß ein Gewalttäter nach einigen staat ist, dann ist dieses für mich, schlichtweg gesagt, Stunden wieder auf freiem Fuß ist und neues Unheil eine Unverschämtheit. Ich sage Ihnen auch ganz anrichten kann. Für Polizisten ist dies nicht motivie- deutlich: Als langjähriger Angehöriger der Polizei rend, um einzuschreiten, sondern eher ein Anlaß zu fühle ich mich selbst betroffen. resignieren. Es ist nötig, die Gesetze neu zu überden- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der ken, wenn der Bürger durch sie nicht genügend F.D.P.) geschützt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Bevor ich mit meiner eigentlichen Rede beginne, möchte ich noch eine Bemerkung an den Kollegen Ich möchte auch darum bitten, einmal darüber Clemens richten. Er sagte eingangs, die A-Länder nachzudenken, ob man immer mehr auf Forderungen würden sich weigern, die Polizeidichte von 400 : 1 von RAF-Tätern eingehen sollte, ob man Blumentöpfe einzuhalten. Ich muß den Kollegen Clemens daran mit Drogen zulassen sollte oder ob man Lauschan- erinnern, daß die Innenminister- und Innensenatoren- griffe abwenden sollte, anstatt dem einfachen, normal konferenz 1976/77, als eine Ad-hoc-Kommission ein- lebenden Bürger zu helfen ohne Angst zu leben. gesetzt wurde, das Land Niedersachsen beauftragt Es ist bedauerlich, daß sogar schon Diskussionen hat, die quantitative und qualitative Zunahme der um die Todesstrafe, zumindest bei Terroranschlägen, Arbeit der Polizei zu untersuchen, wobei auch über stattfinden. Töten kann nie eine Lösung sein. Auch die Polizeidichte gesprochen worden ist. Damals ist Selbsthilfegruppen, z. B. in der Taxi-Branche, sind die CDU-geführte Landesregierung zu dem Ergebnis etwas, das hin und wieder passiert. Das stimmt. gekommen, daß die abstrakte Polizeidichte von 400 :1 Mit all diesen Problemen wird indirekt auch die kein Maßstab der Bewertung sein kann. Denn es gibt Polizei konfrontiert. Es gibt auch Leute bei uns, vor zu viele Unterschiede, was die Größe, die Besiedlung allem die ewig Gestrigen, die sagen, in der ehemali- und die besonderen Strukturen angeht. Ich wollte das gen DDR seien wir besser geschützt gewesen und nur in aller Klarheit sagen, damit kein falscher Ein- hätten weniger Verbrechen gehabt. Weniger Verbre- druck entsteht. chen wäre zu untersuchen, vor allem bei den Schreib- (Beifall bei der CDU/CSU — Joachim Cle tischtätern, in den Zuchthäusern und in den Zollstu- mens [CDU/CSU]: Das ändert aber nichts an ben. Es käme sehr viel heraus, nur in einer anderen der Tatsache, daß man das weiter beibehält! Qualität und ganz versteckten Art. Jetzt haben wir eine andere Landesregie Wie wir jetzt erfahren, waren viele Straftaten zur rung!) Zeit der DDR — wie sich jetzt durch die leidigen — Ich wollte nur sagen, es gibt keine Relation von Gerichtsverhandlungen mit SED-Tätern herausschält 400 : 1, die für alle Länder dieser Republik Maßstab — legitimiert. Gezielte Schüsse auf harmlose Flücht- sein kann. linge waren rechtens. Die Polizei durfte- hier nicht einschreiten, um den Bürger zu schützen, sondern sie Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sind einig wurde zum Handlanger dieser Verbrecher degra- darüber, daß wir in den letzten Jahren und Monaten diert. einen erheblichen Anstieg der Kriminalität und eine Gut geschützt waren wir allerdings, das stimmt. Wir zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesell- hatten rings um unser Land eine Mauer mit einigen schaft haben erkennen können und daß vielerorts Türen, die gut bewacht waren. Aber ich glaube — da Zweifel an der Fähigkeit des demokratischen Staates sind wir sicherlich alle einer Meinung —, wir wollen erkannt worden sind, mit den Gefahren fertig zu nicht mehr tauschen, auch wenn es jetzt sehr schwer werden. ist. Wir wollen eine gut ausgebildete, sichere und Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwar- anerkannte Polizei, aber niemals wieder einen Poli- ten von uns, von den Verantwortlichen in der Politik, zeistaat. klare Aussagen darüber, wie den sich darstellenden Ich danke Ihnen. Problemen begegnet werden soll. Sie erwarten aber auch von uns, daß es nicht beim Reden bleibt, so wie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wir es heute tun, sondern daß diesem Reden auch Taten folgen. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Kein Verständnis — auch da muß ich dem Kollegen Herren, nächster Redner ist Kollege Günter Graf. Clemens ein wenig widersprechen — hat die Öffent- lichkeit dafür, wenn der Polizei die Last der Durchset- zung umstrittener politischer Entscheidungen aufge- Günter Graf (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolle- ginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich feststellen, bürdet wird. daß die Debatte alles in allem in sehr sachlicher Form (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten abgelaufen ist. Ich darf wohl auch für die SPD- der F.D.P.) Fraktion sagen, daß es eine Menge an Übereinstim- mung in der Bewertung der Situation der Polizei in Dieses wird in der Antwort der Bundesregierung anders dargestellt. Aber ich nenne nur das Stichwort dieser Republik gibt. „Wackersdorf". Das hat uns sehr deutlich vor Augen (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) geführt, zu welch verheerendem Ergebnis es führt, An die Adresse von Frau Jelpke von der PDS/Linke wenn Polizeibeamte jahrelang ihre Knochen für ein Liste gewandt, möchte ich eines in aller Deutlichkeit Objekt hinhalten müssen, das dann über Nacht mit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7879

Günter Graf einem Federstrich durch das Kapital beseitigt wird. und Bürger unseres Landes nicht an den Landesgren- Dies kann nicht Sinn und Zweck sein. Man muß sich zen haltmacht. Daher war es richtig, daß sich die schon vorher sehr sorgsam überlegen, ob es richtig ist, Ständige Konferenz der Innenminister und Innense- solche Entscheidungen mit aller Gewalt durchzuset- natoren des Bundes und der Länder im Februar 1974 zen. zusammengesetzt und das Programm für innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland verab- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten schiedet hat. der F.D.P. — Joachim Clemens [CDU/CSU]: Wenn die SPD in Hamburg verhindert hat, Mit diesem Sicherheitsprogramm von Bund und daß sie an die Hafenstraße herangegangen Ländern wurden einheitliche, der Entwicklung ange- ist, dann ist das auch nicht in Ordnung!) paßte Grundsätze über Aufgaben, Organisation, Aus- — Hafenstraße ist ein Thema, über das wir hier schon rüstung und Ausbildung der Sicherheitsorgane aufge- gesprochen haben. Wir sind uns sicherlich einig, wie stellt. Diese Grundsätze sollten helfen, Einheitlich- wir das zu we rten haben. keit, die teilweise schon in den Ländern bestand, dort, wo es für ein wirksames Handeln der Sicherheitsor- (Joachim Clemens [CDU/CSU]: Wir beide gane erforderlich ist, auch im Bereich zwischen den ja!) Ländern und im Bund-Länder-Verhältnis wirksam Hier geht es einfach darum, daß wir festzustellen werden zu lassen. haben: Es kann nicht sein, daß man, wenn für Heute — darauf ist schon mehrfach hingewiesen bestimmte politische Entscheidungen in der Öffent- worden —, 18 Jahre später, ist es notwendiger denn lichkeit keine Mehrheit herzustellen ist, mit aller je, dieses Sicherheitsprogramm neu zu überdenken, Gewalt und um jeden Preis Polizei einsetzt, um den es zu überarbeiten und fortzuschreiben, um der ver- Bau eines umstrittenen Objekts durchzuführen. änderten Situation gerecht zu werden. Es hilft uns an Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch dieser Stelle herzlich wenig, wenn sich Bund und eine Feststellung machen: Die von der Bundesregie- Länder gegenseitig die Verantwortung zuschieben. rung gegebenen Antworten können vielfach nicht Feststehen sollte eines — und da ist die Bundesregie- befriedigen. Ich muß das in aller Deutlichkeit sagen. rung gleichermaßen gefragt —: Man muß sich an Darauf haben auch schon Vorredner hingewiesen. einen Tisch setzen, um mit den neuen Problemen Diese Antworten sind zum Teil unzureichend, wider- fertigzuwerden, um zu einem vernünftigen gemeinsa- sprüchlich, und lassen durchweg nicht erkennen, was men Ergebnis zu kommen, was die Fortschreibung die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Län- dieses Programms angeht. dern zu tun gedenkt, um dem Sicherheitsbedürfnis der Dies ist auch in den verschiedensten Sitzungen, Bevölkerung Rechnung zu tragen. besonders im Innenausschuß, von den Kollegen der Ich empfinde es als Resignation und Kapitulation, F.D.P. — ich denke an den Kollegen Hirsch —, aber wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort ausführt, auch von Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU daß für eine Verunsicherung der Bevölkerung kein — ich sehe den Kollegen Clemens — immer nachhal- Anlaß besteht, da die Kriminalitätsbelastung, d. h. die tig gefordert worden. Es ist auch in der heutigen Anzahl der Straftaten, bezogen auf die Bevölkerung in Debatte nochmals bestätigt worden. den neuen Bundesländern, zur Zeit noch wesentlich Wenn wir heute über die Lage der Polizei debattie- niedriger liegt als im alten Bundesgebiet, wenn auch ren, darf nicht der Eindruck entstehen, als sei die ein Anstieg auf das dort vorhandene Niveau nicht Polizei in ihrer Gesamtheit in der Lage, die vielfältigen ausgeschlossen werden kann. Kollege Ullmann hat Konflikte allein zu lösen. Dies kann nicht Aufgabe der das auch bereits erwähnt. Polizei sein. Wer dies nicht erkennt, wird auch künftig Ich stelle nur fest: Es darf ja wohl nicht das erstre- die Polizei überfordern. benswerte Ziel sein, daß die Kriminalität in den neuen Ist es nicht so, daß die Zerstörung der Umwelt, die Ländern die Bundesregierung erst dann zum Handeln dramatisch ansteigende Wohnungsnot, die zuneh- veranlaßt, wenn sie den dramatischen Stand in den mende Arbeitslosigkeit, die fehlenden Zukunftsper- alten Ländern erreicht hat. Hieran allein wird das spektiven junger Menschen, die soziale Not, die Höchstmaß an Hilflosigkeit deutlich, dem Phänomen Unterdrückung und Ungerechtigkeit den Nährboden der dramatisch angestiegenen Kriminalität zu begeg- geschaffen haben, auf dem sich Konflikte entwickeln nen. und weiter verschärfen werden? Für die Sozialdemo- Nun ist es sicherlich richtig, daß die Gewährleistung kraten beantworte ich diese Frage mit einem klaren der inneren Sicherheit grundsätzlich in den Verant- Ja. Ich frage die Bundesregierung, ob sie nicht selbst wortungsbereich der Bundesländer fällt. Darauf ist zu dem Ergebnis kommt, daß die unsoziale Politik in mehrfach hingewiesen worden. Die Verantwortlich- wesentlichen Teilbereichen den Egoismus in dieser keiten des Bundes werden vor allem im Bundeskrimi- Gesellschaft gefördert hat. nalamt, im Bundesgrenzschutz und im Bundesamt für Ganz selbstkritisch wi ll ich allerdings auch anmer- Verfassungsschutz sichtbar. ken, daß wir uns viel mehr als bisher mit dem An der aus guten Gründen zwischen Ländern und Phänomen auseinanderzusetzen haben, daß nach Bund geteilten politischen Verantwortung für die meinem Dafürhalten Wertvorstellungen in unserer innere Sicherheit halten auch wir Sozialdemokraten Gesellschaft im Grunde genommen kaum noch vor- fest. Ich sage dies mit aller Deutlichkeit, um Mißver- handen sind. Ist es nicht so, daß vielfach der einzige ständnissen von vornherein vorzubeugen. Dennoch Wert, den es in unserer Gesellschaft noch gibt, der bleibt festzustellen, daß Kriminalität für Bürgerinnen materielle Wohlstand ist? Trifft es nicht zu, daß die 7880 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Günter Graf mangelnde Bereitschaft, für andere dazusein, sich in desbahn jetzt wegen zunehmender Sicherheitsrisiken Vereinen, Organisationen und sonstigen Vereinigun- auf den Bahnhöfen und in den Zügen private Sicher- gen zu engagieren und dort aktiv mitzuarbeiten, heitsdienste beauftragt, die Sicherheit der Fahrgäste nachgelassen hat? zu gewährleisten. Wir haben die Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei aber u. a. unter dem Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Aspekt vorgenommen, dem Bundesverkehrsminister weitere Frage stellen: Woran liegt es eigentlich, daß etwa 180 Millionen DM — die genaue Zahl habe ich ganz offensichtlich die Mithilfe der Bevölkerung bei nicht im Kopf — zu ersparen. Hier zeigt sich eine sehr der Aufklärung von Straftaten und im Bereich der bedenkliche Entwicklung, die wir so nicht hinnehmen Prävention nachgelassen hat? Wer wie die Bundesre- können. gierung in der Beantwortung der Großen Anfrage hierzu letztlich nur zu dem Ergebnis kommt, daß hier Wenn man darüber hinaus weiß, daß allein im in erster Linie die Länder gefordert sind, läßt Ratlosig- privaten Sicherheitsgewerbe gegenwärtig ca. 280 000 keit und Resignation erkennen. Eine Polizei, die sich Personen beschäftigt werden, hingegen bei den der Unterstützung der Öffentlichkeit nicht mehr sicher Sicherheitskräften in Bund und Ländern 250 000 ist, wird kaum in der Lage sein, den vielfältigen beschäftigt sind, wenn man weiß, daß der Bundes- Aufgaben gerecht zu werden. haushalt im Bereich der Sicherheitsdienste 2,5 Milli- arden DM veranschlagt und daß sich erwartete Lassen sie mich an dieser Stelle noch einige Anmer- Umsatzvolumen der privaten Sicherheitsdienste auf kungen zu den Aufgaben und zur Personalentwick- annähernd 3 Milliarden DM im Jahre 1992 beläuft, lung der Polizei machen. Zunächst möchte ich fest- dann ist dies eine Entwicklung, die sehr bedenklich stellen, daß sich die Zahl die Aufgaben in den Jahren ist. Diese negative Entwicklung führt letztlich dazu, von 1974 bis 1986, wie Untersuchungen belegen, in daß das staatliche Gewaltmonopol ausgehöhlt wird. allen Bereichen sowohl qualitativ als auch quantitativ erheblich gesteigert hat. Die Steigerungsraten liegen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. deutlich über 50 % und beziehen sich auf die Tätig- Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE]) keitsfelder Kriminalitätsbekämpfung, Verkehrsauf- Hierzu darf ich aus der Antwort der Bundesregie- gaben, Einsätze im Demonstrationsgeschehen, Ob- rung zitieren: jekt- und Personenschutzmaßnahmen sowie im Die Bundesregierung sieht in der Entwicklung Bereich der Prävention. der Zahl der Sicherheitsunternehmen derzeit Gegenüber dieser 50prozentigen Steigerung ist die keine Beeinträchtigung oder Aushöhlung des Gesamtzahl der Polizeivollzugsbeamten in Bund und staatlichen Gewaltmonopols oder eine Privatisie- Ländern um deutlich weniger als die Hälfte angestie- rung von Angelegenheiten der öffentlichen gen, nämlich nur um knapp 10 %. Dies bedeutet im Sicherheit. Klartext, daß der Anstieg bei den Ländern bei ca. 24 % Auch hieran, denke ich, ist die Ratlosigkeit in dieser und der Anstieg beim Bund bei etwa 4 % -liegt. Frage mehr als deutlich erkennbar. Im gleichen Zeitraum ist allerdings — und dies Was die Verantwortlichkeit der Bundesregierung sollte man nie. übersehen — die Arbeitszeit der im Bereich der inneren Sicherheit angeht, so darf ich Beamtinnen und Beamten um genau 6,3 % gesunken, mit einigen wenigen Bemerkungen auf den Komplex bedingt durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit der Regierungs- und Vereinigungskriminalität ein- und durch Änderung der Urlaubsregelung. Dies gehen. Über dieses Thema haben wir in diesem Hause bedeutet im Klartext, daß einzelne Polizeiangehörige schon verschiedentlich diskutiert. Wir Sozialdemo- im Jahre 1986 bei kürzerer Arbeitszeit mehr und kraten haben uns leider nicht damit durchsetzen schwierigere Aufgaben zu bewältigen hatten, als es können, dem Bundeskriminalamt gemäß § 5 des Bun- im Jahre 1974 der Fall war. Im übrigen kann davon deskriminalamtgesetzes diese Aufgaben federfüh- ausgegangen werden, daß die Anforderungen an die rend zu übertragen. Das, was sich heute vollzieht, ist Polizei trotz rückläufiger Bevölkerungszahlen quali- praktisch eine Farce. Da geht es um Schäden in tativ und auch quantitativ weiter steigen werden. Milliardenhöhe. Im Grunde genommen sind die Ermittlungsbehörden in Berlin kaum in der Lage, Der ständig steigende Aufgabenzuwachs bei der damit fertigzuwerden, was dazu führt, daß Verfahren Polizei muß zwangsläufig dazu führen, daß die Prä- eingestellt werden. Wenn ich dann höre, daß der Bund vention durch die Polizei immer weniger stattfindet. bisher 19 Beamte entsandt hat — einer fehlt noch — Die Diskrepanz zwischen Bedarf und Angebot von und daß zukünftig noch 20 hinzukommen sollen — bei Prävention wird ständig größer. Ein Beweis für diese einer Schadenshöhe von zig Milliarden DM —, bin ich Behauptung ist darin zu sehen, daß sich das Wach- der Meinung, daß etwas geschehen muß. und Sicherheitsgewerbe, die sogenannten privaten Sicherheitsdienste, ständig ausgeweitet hat. Hierauf (Parl. Staatssekretär Eduard Lintner: Bei ist auch schon von einem meiner Vorredner — ich 1 500 Beamten!) glaube, Sie, Herr Ullmann, waren es — eingegangen — Es kommt nicht auf die Zahl der Beamten an. Es worden. kommt darauf an, daß hier ein Schaden in Milliarden- höhe vorhanden ist. Es entsteht in der Öffentlichkeit Ich will an diesem Punkt, da wir uns gerade mit der Eindruck, daß sich das Motto „Die Kleinen werden Grenzschutz befassen, auf folgendes hinweisen. Ich gehängt, die Großen läßt man laufen" durchsetzt. hatte vorgestern abend ein Gespräch mit den Präsi- denten der Bundesbahndirektionen des norddeut- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ schen Raumes. Dort habe ich erfahren, daß die Bun GRÜNE) Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7881

Günter Graf Da geht es nämlich um ein bißchen mehr. Das kann — Noch nicht endgültig. Das steht zwar in dem Bericht nicht sein. Ich denke, auch hieran wird deutlich, daß von Herrn Staatssekretär Neusel, aber dieser letzte die Bundesregierung, was diesen Punkt angeht, ihrem Punkt ist noch unklar. Wir werden uns am 17. Juni eigentlichen Auftrag und ihrer eigentlichen Ver- 1992 im Innenausschuß über dieses Thema unterhal- pflichtung nicht gerecht geworden ist. ten. Noch ein Wort zur Personalsituation der Polizei. In Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich kurz bezug auf die Länderpolizeien gibt es überall einen noch auf ein weiteres Problem hinweisen. Per 1. April erheblichen Fehlbedarf. Letztlich sind immer die 1991 wurden nach grenzschutzärztlicher Untersu- finanziellen Nöte die Ursachen dafür, das notwendige chung etwa 330 BGS-Beamte für dienstunfähig Personal nicht in entsprechender Zahl vorhalten zu erklärt. Diese Beamte stehen vor einer ungewissen können. Zukunft. Einerseits ist ihnen bekannt, daß sie ihren Dienst nicht weiter ausüben können. Andererseits Hier will ich nur anmerken, daß die Ursache hierfür wissen sie nicht, wie es mit ihnen weitergeht. Formu- vor allem auch darin zu sehen ist, daß die Finanzpo- lierungen der Bundesregierung wie „es ist beabsich- litik des Bundes dazu geführt hat, daß die Länder nicht tigt" oder „es ist vorgesehen" oder „es soll baldmög- zuletzt durch die Belastungen, die sich aus der Verei- lichst dieses oder jenes geschehen" helfen den Betrof- nigung ergeben haben, nicht in der Lage sind, die fenen wenig. Hier ist die Fürsorgepflicht des Dienst- notwendigen Maßnahmen zur Personalgewinnung herrn gefragt, den Beamten möglichst bald Klarheit durchzuführen. Insoweit fordere ich die Bundesregie- über ihre zukünftige Verwendung zu verschaffen. rung auf, darüber nachzudenken, ob und in welcher Weise sie den Ländern weitaus wirksamer helfen Meine Redezeit geht zu Ende. Lassen Sie mich kann, die Probleme im Bereich der inneren Sicherheit deshalb noch einmal zusammenfassend für die SPD- besser bewältigen zu können. Bundestagsfraktion feststellen: In bezug auf die Situa- tion im Bereich der inneren Sicherheit haben sich die Durch die Neustrukturierung des Bundesgrenz- Zustände in unserem Land erheblich zugespitzt. In schutzes und die Aufgabenübertragung im Bereich weiten Teilen der Bevölkerung ist das Gefühl entstan- der Bahnpolizei und der Luftsicherheit hat sich der den, dieser Staat stehe dem Phänomen der Kriminali- Einzeldienstanteil in bezug auf die Gesamtstärke des tätsentwicklung rat- und tatenlos gegenüber. Bundesgrenzschutzes auf 40 % erhöht. Dies bedeutet gleichermaßen, daß weiterhin 60 % in den Verbänden Die soziale Lage innerhalb der Polizeien von Bund Dienst verrichten. Für uns Sozialdemokraten — das und Ländern ist in vielen Bereichen an einem Punkt haben wir in der Vergangenheit immer wieder betont angelangt, wo Beamtinnen bzw. Beamte auf Grund — scheint es hier, insbesondere bei der Fortschrei- der hohen Lebenshaltungskosten insbesondere durch bung des Konzepts für innere Sicherheit, notwendig die hohen Mieten in den Ballungszentren in die Nähe zu sein, Verbände des BGS noch weiter zurückzufah- von Sozialhilfeempfängern gelangen. Um dies zu ren; dies alles unter der Voraussetzung, daß die verdeutlichen, weise ich daraufhin, daß ein etwa Länder entsprechend ihrer Größe und Notwendigkeit 27jähriger Polizeibeamter bzw. eine Polizeibeamtin in eine entsprechende Anzahl von Bereitschaftspolizei der Besoldungsstufe A 7, verheiratet, monatlich mit vorhalten. einem Gehalt von etwa 2 300 DM auszukommen hat. Wenn man bedenkt, daß insbesondere in den Bal- (Joachim Clemens [CDU/CSU]: Auf dem lungszentren allein für die Anmietung einer etwa Papier!) 65 m2 großen Wohnung Mieten zwischen 1 000 und Bezüglich der Personalsituation im Bundesgrenz- 1 700 DM zu zahlen sind, dann wird daran deutlich, schutz gibt es insbesondere im Bereich der neuen daß hier etwas nicht in Ordnung sein kann. Hier ist Länder ganz erhebliche Probleme. Die Zeit reicht Handeln unbedingt angesagt. leider nicht aus, um dies im einzelnen in der Gesamt- Im übrigen muß es auch allen zu denken geben, heit darzustellen. wenn man weiß, daß etwa 10 bis 15 % der Polizeibe- Ich möchte nur einige wesentliche Punkte anspre- amtinnen und -beamten genehmigte nebenberufliche chen, an denen auch deutlich wird, wie sich die Tätigkeiten ausüben, um ihre Finanzsituation zu ver- Bundesregierung in sozialen Fragen gegenüber den bessern, ganz zu schweigen von den Jobs, die nicht Beamten des Bundesgrenzschutzes verhält. Zum wenige ungenehmigt ausüben. einen geht es darum, daß es 38 Bedienstete bei der Gerade den Beschäftigten der Polizei, die unter Bahnpolizeiwache Zoo gegeben hat, die West-Berli- Einsatz ihres Lebens für uns Tag und Nacht, an jedem ner waren, die im Westteil der Stadt Berlins gearbeitet Wochenende, an jedem Feiertag da sind, um ein Stück und auch dort gewohnt haben, aber quasi in einer Art an Sicherheit für uns zu gewährleisten, muß eine Organleihe für die Reichsbahn tätig waren. Sie sollen entsprechende angemessene Besoldung zuerkannt jetzt verbeamtet werden, und zwar im Bereich des werden. Da stimmen die Redner in diesem Hause BGS Ost. Ihre Besoldung sollen sie allerdings nach überein. Ich hoffe, daß nun bald endlich auch dort den Westbedingungen bekommen, jedoch mit der etwas geschieht. Maßgabe, daß sie an Einkommenssteigerungen, die Wenn man von Besoldung redet, darf man das ausgehandelt werden, nicht teilhaben werden. Da Laufbahnrecht nicht vergessen. Insoweit möchte ich geht es also um lediglich 38 Personen. Mittlerweile hier nur darauf hinweisen, daß man in den Bundes- hat sich die Zahl, wie ich gehört habe, ein wenig ländern durchweg der zweigeteilten Laufbahn das reduziert. Dies kann sicher nicht richtig sein. Wort redet. Einige Länder haben erste Schritte dahin (Joachim Clemens [CDU/CSU]: Das Problem gehend bereits eingeleitet. Hier darf ich insbesondere ist gelöst!) auch auf das rot-grün regierte Hessen hinweisen, wo 7882 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Günter Graf die zweigeteilte Laufbahn bereits in Angriff genom- dadurch, daß insbesondere durch den Vorsitzenden men worden ist. Die Bundesregierung muß überlegen, der Polizeigewerkschaft Lutz Bestrebungen unter- dies auch für den Bundesgrenzschutz zu tun. Hier ist nommen werden, daß Seiteneinsteigern keine sie in Zugzwang geraten. Chance geboten wird. Ich denke aber, gerade für die Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir stimmen Übergangsphase wäre das eine recht praktikable in einem überein: Wenn wir von innerer Sicherheit, Lösung. Hier sind vor allem die Länder gefordert. die wir alle gemeinsam wollen, reden, dann ist es Die Ausrüstung und der Ausstattungsgrad der Poli- unverzichtbar, daß wir diejenigen, die diese innere zei ist auf alle Fälle schlechter als im Altbundesgebiet, Sicherheit ganz maßgeblich zu gewährleisten haben, insbesondere im Bereich der mobilen Technik. Dort dafür auch in angemessener Weise bewerten und dominieren im Bild noch der Wartburg und der Lada, besolden. Dies sage ich nicht zuletzt vor dem Hinter- auch wenn sie jetzt neu gespritzt worden sind. Die grund, daß eine gut motivierte, eine gut ausgebildete Bewaffnung ist schlecht, und die Möglichkeiten im und eine gut ausgerüstete und gerecht besoldete verwaltungstechnischen Bereich lassen hier zu wün- Polizei sicherlich ein besserer Garant für die innere schen übrig. Sicherheit ist als eine Polizei, in der Mißmut, Unzu- friedenheit und Perspektivlosigkeit herrschen. Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für den Bereich der Kriminalität? Wenn man den Mediendar- Ich danke für die Aufmerksamkeit. stellungen folgt, bietet sich ein katastrophales Bild. (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Bürger der neuen Länder sind erschrocken, ins- GRÜNE) besondere deshalb, weil vorher alles geheimgehalten wurde und jetzt praktisch neue Zahlen geboten wer- den. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, nunmehr erhält das Wort unser Kollege Fakt ist laut Einschätzung der Oberstaatsanwalt- Dr. Jürgen Schmieder. schaft Chemnitz, daß die Kriminalität im Raum Chem- nitz im Steigen begriffen ist, aber insgesamt nicht beängstigend. Die Kriminalitätsdichte entspricht der Dr. Jürgen Schmieder (F.D.P.): Herr Präsident! im Gebiet Oberfranken, obwohl in die Region Chem- Meine Damen und Herren! Meine Herren von der nitz immerhin die Großstadt Chemnitz integriert ist. SPD, ich muß sagen, ich habe mich schon leicht Ein Vergleich der Kriminalität der Großstädte im gewundert Altbundesgebiet mit denen im Osten sieht so aus, daß (Gerd Wartenberg [Berlin] [SPD]: Wissen Sie, die Kriminalität im Osten etwa die Hälfte beträgt. so fangen Sie immer an, Herr Schmieder! Machen Sie doch einmal einen anderen Auffallend ist allerdings folgendes Problem: daß der Reim!) Anteil der Jugendlichen im Alter von 14 bis 21 Jahren im Altbundesgebiet an der Kriminalität etwa 20 bis — diesmal paßt es aber absolut: Sie stellen am 4. Juli 25 % ausmacht; im Raum Chemnitz sind es 35 %. 1991 eine zweigeteilte Anfrage. Punkt eins lautet: Daraus sollte man aber nicht voreilige Schlüsse zie- Lage der inneren Sicherheit und der Polizei in den hen. Der Anteil der Kleinkriminalität ist unbestritten alten Ländern; Punkt zwei: Die Zukunft des BGS. Die sehr hoch. neuen Länder waren im Juli 1991 für die SPD nicht interessant. Die Anzahl der Banküberfälle hat sehr zugenom- men, wobei die Täter vorwiegend aus dem Altbundes- (Beifall bei der F.D.P.) gebiet kommen. Deshalb habe ich mich insbesondere gefreut, daß Rolf Schwanitz auf dieses Problem eingegangen ist. Ich (Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Ja, das muß aber sagen: Ich stimme mit ihm nicht völlig stimmt!) überein. Nach Aussage der Staatsanwaltschaft gibt es im Richtig ist unbestritten, daß die Umgestaltung der Raum Chemnitz keinerlei Rauschgiftdelikte mit har- Polizei in den neuen Bundesländern von einem ten Drogen. Im Raum Zwickau sind zwei solche Unterdrückungsinstrument im Sinne der SED-Dikta- Delikte im Moment anhängig. Daraus schließe ich, tur zu einer rechtsstaatlichen Einrichtung, die das daß die subjektive Furcht der Bevölkerung vor der Vertrauen der Bürger genießt, mit erheblichen Aus- Kriminalität nicht mit der objektiven Gefahr, die von wirkungen verbunden ist. Insbesondere bet rifft das dieser ausgeht, übereinstimmt. den Aufbau neuer Polizeiorganisationsstrukturen, die Neubesetzung von Führungsfunktionen, Überprü- Zum Abschluß lassen Sie mich noch sagen, daß zur fung des vorhandenen Personals. Nicht zuletzt mün- Unterstützung der polizeilichen Arbeit durch die det das in der Verunsicherung der Polizeiangehörigen Dezernenten für Recht, Ordnung und Sicherheit im im persönlichen, politischen und rechtlichen Um- Mai 1992 in den Städten Dresden, Leipzig und Chem- feld. nitz der Aufbau einer kommunalen Schutztruppe beschlossen worden ist. Das geht, zumindest was Von den verbliebenen Polizeiangehörigen ist Gro- Chemnitz betrifft, auf einen Vorschlag von mir aus ßes geleistet worden. Das darf ich im Namen der dem Januar dieses Jahres zurück. Diese kommunale F.D.P.-Fraktion sagen. Aber streckenweise sind diese Schutztruppe soll vorrangig eingesetzt werden für den eben doch überfordert, nicht zuletzt durch den andau- Schutz von Veranstaltungen und insbesondere von ernden Personalmangel. Einrichtungen des öffentlichen Nahverkehrs. Freilich Als Beispiel darf ich den Freistaat Sachsen anfüh- ist hier zu konstatieren, daß die kommunalen Schutz- ren. Dort fehlen 2 500 Polizeikräfte, nicht zuletzt truppen nicht losgelöst von der Polizeistrukturen wir- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7883

Dr. Jürgen Schmieder ken können, sondern nur im koordinierten Einsatz. an den Bemühungen der Bundesregierung. Die jüng- Diese Schutztruppen dürfen sich auf alle Fälle nicht sten sind erst wenige Tage alt. Die Länder verweigern verselbständigen. hier die Mitarbeit. Deshalb darf ich Ihren Vorwurf an Damit trotzdem die polizeilich-hoheitlichen Rechte die damit eigentlich gemeinten Länder weiterge- wahrgenommen werden können, ist es angemessen, ben. in den Abend- und Nachtstunden gemischte Einsätze (Joachim Clemens [CDU/CSU]: Sehr er vorzusehen. Insgesamt müssen diese Aktivitäten staunlich, muß man sagen!) dahin münden, daß Ordnung und Sicherheit und der Schutz der Bürger gewährleistet werden und sich das In diesem Zusammenhang ist vor einem weiteren Vertrauen in die Polizeikräfte wieder einstellt. Auseinanderdriften des Polizei- und Sicherheitsrechts — das ist noch gar nicht angesprochen worden — (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Das habe ich Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und schon erwähnt!) Herren, zum Schluß der Debatte erteile ich das Wort und auch der personellen, finanziellen und techni- dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundes- schen Ausstattung der Sicherheitsorgane innerhalb minister des Innern, unserem Kollegen Eduard Lint- Deutschlands zwischen den Bundesländern dringend ner. Bitte sehr. zu warnen und zur Wahrung der innerstaatlichen Rechtseinheit aufzurufen. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Herr Kollege Hirsch, daß die Polizeiführungsakade- minister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen mie in Hiltrup nicht genannt worden ist, ist wahr- und Herren! Erlauben Sie mir vorweg eine Bemer scheinlich ein Versehen. Ich kann Ihnen versichern: kung, Frau Jelpke, weil das Thema heute schon Sie genießt das uneingeschränkte Vertrauen und einmal eine Rolle gespielt hat. Ich möchte einfach auch die Hochachtung der Bundesregierung. Das richtigstellen, daß der nationale Rauschgiftbekämp- zeigen auch regelmäßige Besuche aus dem Leitungs- fungsplan, den die Bundesregierung erarbeitet hat, bereich des Ministeriums bei der Polizeiführungsaka- ausdrücklich davon ausgeht, daß Prävention, Repres- demie. sion, Nachfrage, Reduzierung und Produktionsein- schränkung gleichwertig nebeneinander stehen. Des- Im Zusammenhang mit der Wiedererlangung der halb muß ich schon darauf bestehen, daß das auch in Einheit Deutschlands ist die Umgestaltung der Poli- der Rede richtig dargestellt wird. Es kann also über- zeien in den neuen Bundesländern von einem Unter- haupt keine Rede davon sein, daß es uns nur darum drückungsinstrument zu einer rechtsstaatlichen Ein- ginge, repressive Maßnahmen auf diesem Sektor richtung mit erheblichen Auswirkungen verbunden. einzusetzen. Das wissen wir alle. Der Aufbau einer neuen Polizei- organisation verlangt aber tiefgreifende Änderungen, Die Bundesregierung macht in ihrer Antwort erneut die eben auch das Selbstverständnis der davon betrof- deutlich, daß sie einer nachhaltigen Verstärkung der - fenen Bediensteten berühren. Deshalb kann diese Kriminalitätsbekämpfung in Bund und Ländern große gewaltige Aufgabe nicht in wenigen Monaten bereits Bedeutung zumißt. Das Vertrauen der Bevölkerung in zu 100 % erledigt werden. unseren Rechtsstaat darf nicht erschüttert werden. Dieses Vertrauen beruht im wesentlichen auf der Die damit derzeit noch verbundene unterschiedli- Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols. Das ist che Beeinträchtigung der Einsatzbereitschaft geht wiederum die Grundlage für ein friedliches Zusam- einher mit einem Anwachsen der Kriminalität, so daß menleben. daraus eine gewisse Verunsicherung der Bevölkerung Die Lage der Polizei in Bund und Ländern ist auch in den neuen Bundesländern entstanden ist; so übri- davon gekennzeichnet, daß sich in der Entwicklung gens auch in unserer Antwort, nur einige Absätze vor ihrer Aufgaben bedeutende Veränderungen ergeben den Zitatstellen, die Sie verwendet haben. haben. Dies betrifft insbesondere — um nur einige Die Bundesregierung und die Regierungen der wenige Schwerpunkte zu nennen — den starken alten Bundesländer haben den sich daraus ergeben- Anstieg der Rauschgiftdelikte, verbunden mit dem den Handlungsbedarf frühzeitig erkannt und die Ausbau von Strukturen der organisierten Kriminalität, erforderlichen Maßnahmen getroffen, damit die sowie z. B. den Anstieg der Diebstähle und Betrugs- neuen Bundesländer sowohl in personeller Hinsicht handlungen. Aber auch Zuwächse in der Umwelt- und als auch im Ausstattungsbereich über die erforderli- in der Computerkriminalität finden ihren Nieder- che Unterstützung verfügen können. Ich bin sicher schlag in den Anforderungen an die Polizei. daß die gemeinsamen Anstrengungen eine gesicherte Die Bundesregierung muß deshalb — das ist ja auch Grundlage dafür bieten, daß der Sicherheitsstandard, eingefordert worden — mit Nachdruck auf koordi- der sich im bisherigen Bundesgebiet bewährt hat, nierten Initiativen von Bund und Ländern bestehen auch in den neuen Bundesländern demnächst flä- und insbesondere fordern, daß das besagte Programm chendeckend erreicht sein wird. für die innere Sicherheit aus dem Jahre 1974 endlich Herr Dr. Ullmann und Herr Kollege Graf, wenn Sie fortgeschrieben wird, damit die gemeinsamen Grund- immer den Versuch machen, hinsichtlich der allgemei- sätze über Aufgaben, Organisation, personelle und nen Klagen über einen erhöhten Finanzbedarf der sachliche Ausstattung sowie Ausbildung der Sicher- neuen Bundesländer gegenüber der Bundesregie- heitsorgane mit den vor uns liegenden Herausforde- rung einen Vorwurf zu konstruieren, so, muß ich rungen in Übereinstimmung gebracht werden. sagen: Sie wollen sich einfach an der Frage der Herr Schwanitz und Herr Kollege Graf, hier geht die Zuständigkeit vorbeimogeln. Zuständig für die Polizei Bundesregierung mit Ihren Forderungen ja durchaus sind im allgemeinen die Länder. Deshalb gehen 90 % einig. Aber die Fortschreibung scheitert eben nicht der Klagen, die Sie angeführt haben, in diese Rich- 7884 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner tung und treffen überhaupt nicht die Bundesregie- effekt ist vor allem im Bereich der Luftsicherheitsauf- rung. gaben evident, tritt aber auch bei den bahnpolizeili- chen Aufgaben ein, da die Landespolizeien — anders (Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ als bisher — allenfalls noch in Ausnahmefällen um GRÜNE]: Sie haben etwas mit dem Finanz Unterstützung in diesem Bereich gebeten werden gebaren des Bundes zu tun! — Günter Graf müssen. [SPD]: Dazu ist aber noch ein bißchen mehr Dabei muß ich, Herr Kollege Graf, darauf hinwei- gesagt worden, Herr Staatssekretär! So ein sen: Was Sie hinsichtlich der Einsatzstärke des BGS fach können Sie es sich nicht machen! Da beklagt haben, beklagen wir mit Ihnen. Sie wissen, müssen Sie schon konkreter werden!) daß wir etwa 5 000 offene Stellen haben und daß wir — Dann habe ich es jetzt nachgeholt. Im übrigen, Herr wirklich alle Anstrengungen unternehmen, um diese Kollege Graf, Sie wissen es noch besser als ich; Sie Stellen besetzen zu können. Wenn diese Stellen noch sind in dem Sektor ja schon länger tätig als ich. Sie nicht besetzt sind und die Leute bei der praktischen hätten nur aus Ihrem Wissen schöpfen müssen. Dann Arbeit fehlen, dann liegt das auch daran, daß es eben hätten Sie es bereits von sich aus richtiggestellt. sehr, sehr schwierig geworden ist, für die Polizei Nachwuchskräfte zu gewinnen. Auswirkungen auf die Polizei werden auch der Darauf komme ich noch kurz zu sprechen. Die Lage bevorstehende Abbau der Kontrollen an den Grenzen der Polizei wird zwar im wesentlichen von ihren der Schengener Vertragsstaaten und die Realisie- Aufgaben, ihrer Organisation und auch ihren rechtli- rung des europäischen Binnenmarktes haben. Wenn chen Möglichkeiten bestimmt, aber sie ist natürlich auch die heute schon sehr stichprobenartigen Grenz- u. a. auch von der Personalsituation geprägt. Bund kontrollen nicht das vorrangige Instrument zur und Länder haben vor dem Hintergrund der demogra- Bekämpfung der Kriminalität darstellen, sind den- phischen Entwicklung Schwierigkeiten, in ausrei- noch Ausgleichsmaßnahmen notwendig, um die chender Zahl geeignete Bewerber für den polizeili- innere Sicherheit auch weiterhin gewährleisten zu chen Nachwuchs zu gewinnen. können. Dazu gehören u. a. Kontrollen mit einheitli- chem Standard an den Außengrenzen, ein gemeinsa- Um so mehr müssen wir um eine wirksame Verbes- mer Fahndungsapparat, Erleichterungen und Verein- serung der Attraktivität des Polizeidienstes bemüht fachungen im Bereich der internationalen Rechtshilfe sein. Ich darf auf all die bekannten Vorschläge, die in und auch der Auslieferung. dem Zusammenhang zur Zeit beraten werden, ver- weisen. Insbesondere geht es darum, durch eine Darüber hinaus wurden die Sichtvermerkspolitik Verbesserung im Zulagenwesen die von Ihnen zu und die Einreisebedingungen für Drittausländer weit- Recht beklagte Situation in bestimmten Ballungsge- gehend harmonisiert sowie ein System der grenzüber- bieten für die Polizeibeamten in den unteren Rängen schreitenden Observation und die sogenannte Nach- zu verbessern. Auch da sind wir uns einig. eile durch die Polizei entwickelt. Aber wie überall kann hier der Bund nicht allein - Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammen- handeln, sondern muß im Grunde genommen die hang ist dann noch, daß auf der Grundlage der Länder dazu gewinnen. Wie schwer die Einigkeit Entwicklung in Europa in die verstärkte polizeiliche herzustellen ist, wissen Sie. An uns jedenfalls vom Zusammenarbeit nunmehr auch unsere östlichen Bund her gesehen wird diese Verbesserung nicht Nachbarn einbezogen werden können, was insbeson- scheitern. dere für die neuen Bundesländer von erheblicher Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich Bedeutung ist. Zu diesem Zweck hat die Bundesregie- darauf hinweisen, auch dieser Gedanke ist schon rung schon viele bilaterale Vereinbarungen mit ost- genannt worden: Es muß eigentlich deutlich sein, daß und südosteuropäischen Staaten geschlossen. Kriminalitätsbekämpfung nicht ausschließlich Ange- legenheit der Polizei ist, sondern eben eine gesamtge- Meine Damen und Herren, die Komplexität der sellschaftliche Aufgabe darstellt. Daher sind für die polizeilichen Aufgabenerfüllung erfordert im Inneren Bewältigung der an uns alle gerichteten Herausforde- unseres Landes gemeinsames Handeln der Polizeien rungen neben einer schlagkräftigen Polizei wir alle in der Länder und des Bundes, d. h. einschließlich des Politik, Verwaltung und Bevölkerung zu tatkräftigem Bundesgrenzschutzes und des Zolls. Der BGS hat die Handeln und zum Unterstützen der Polizei bei ihrer mit der Erlangung der staatlichen Einheit verbundene schwierigen Aufgabe verpflichtet. Erweiterung seiner Aufgaben größtenteils bereits erfolgreich bewältigt. Seit dem 1. April hat er darüber Ich danke Ihnen. hinaus durch das sogenannte Aufgabenübertra- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gungsgesetz auch eine erheblich größere Verwen- dungsbreite im Rahmen des polizeilichen Sicherheits- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und systems erhalten. Er ist seither für die Gewährleistung Herren, wir sind damit am Ende der Beratung der der inneren Sicherheit von noch größerer Bedeutung Großen Anfrage der Fraktion der SPD zur Lage der als bisher. Auf die Einzelheiten ist bereits hingewie- Polizei. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. sen worden. Wir sind damit auch am Schluß unserer heutigen Wir haben damit im übrigen natürlich auch den Tagesordnung. Ländern, glaube ich, einen sehr wichtigen Gefallen Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- getan. Wir haben nämlich die Landespolizeien im destages auf morgen, Freitag, den 5. Juni, 9 Uhr, ein. Aufgabenbereich des Bundes mit der Folge entlastet, daß sie sich nun verstärkt ihren originären polizeili- Die Sitzung ist geschlossen. chen Aufgaben widmen können. Dieser Entlastungs (Schluß der Sitzung: 22.34 Uhr) Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7885*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) Liste der entschuldigten Abgeordneten einschließlich Dr. Waffenschmidt, Horst CDU/CSU 04. 06. 92 entschuldigt bis Abgeordnete(r) Weis (Stendal), Reinhard SPD 04. 06. 92 einschließlich Zapf, Uta SPD 04. 06. 92 Antretter, Robert SPD 04. 06. 92 ** Zierer, Benno CDU/CSU 04. 06. 92 ** Bindig, Rudolf SPD 04. 06. 92 * Böhm (Melsungen), CDU/CSU 04. 06. 92 ** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Wilfried lung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Brandt, Willy SPD 04. 06. 92 Dehnel, Wolfgang CDU/CSU 04. 06. 92 Doss, Hansjürgen CDU/CSU 04. 06. 92 Dr. Enkelmann, Dagmar PDS/LL 04. 06. 92 Anlage 2 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 04. 06. 92 ** Fuchs (Verl), Katrin SPD 04. 06. 92 Zu Protokoll gegebene Rede Dr. Funke-Schmitt-Rink, F.D.P. 04. 06. 92 zu Tagesordnungspunkt 11 Margret (Treuhandkreditaufnahmegesetz, Gesetzentwürfe zur Änderung des Treuhandgesetzes) Gallus, Georg F.D.P. 04. 06. 92 Dr. Glotz, Peter SPD 04. 06. 92 Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi Göttsching, Martin CDU/CSU 04. 06. 92 nister für Wirtschaft: Der vorliegende Gesetzentwurf Gries, Ekkehard F.D.P. 04. 06. 92 der SPD-Fraktion sieht vor, das Treuhandgesetz zu Großmann, Achim SPD 04. 06. 92 ändern. Damit soll im Kern der Treuhandauftrag Grünbeck, Josef F.D.P. 04. 06. 92 stärker in Richtung Sanierung ausgerichtet werden. Dr. Hauchler, Ingomar SPD 04. 06. 92 Auch die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 04. 06. 92 das Jahr 1992 das Jahr der „Sanierung vor O rt " ist. Es Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 04. 06. 92 ist also völlig klar, daß jetzt auf der Basis von geprüften Kittelmann, Peter CDU/CSU 04. 06. 92 ** und gebilligten Unternehmenskonzepten die aktive Kors, Eva-Maria CDU/CSU 04. 06. 92 Sanierungsbegleitung durch die Treuhandanstalt Kretkowski, Volkmar SPD 04. 06. 92 konkretisiert wird. Kubicki, Wolfgang F.D.P. 04. 06. -92 Das Treuhandgesetz enthält schon in seiner gegen- Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 04. 06. 92 wärtigen Fassung den klaren Auftrag, daß saniert Klaus W. werden soll. Ich verweise nur auf § 2 Abs. 6 THA- Magin, Theo CDU/CSU 04. 06. 92 Gesetz. Danach hat die Treuhandanstalt auch die Aufgabe, „. . . insbesondere auf die Entwicklung Marten, Günter CDU/CSU 04. 06. 92 ** sanierungsfähiger Betriebe zu wettbewerbsfähigen Mehl, Ulrike SPD 04. 06. 92 Unternehmen ... Einfluß zu nehmen." Das ist eindeu- Dr. Meyer zu Bentrup, CDU/CSU 04. 06. 92 ** tig. Hier besteht überhaupt kein Klarstellungsbedarf Reinhard durch gesetzgeberisches Handeln. Dr. Müller, Günther CDU/CSU 04. 06. 92 ** Wir sollten also die notwendige schnelle Umsetzung Müller (Pleisweiler), SPD 04. 06. 92 der Sanierungstätigkeit der Treuhandanstalt nicht Albrecht durch unnötige politische Diskussionen belasten, son- Dr. Paziorek, Peter Paul CDU/CSU 04. 06. 92 dern wir sollten die Treuhandanstalt in ihrer Arbeit Dr. Probst, Albert CDU/CSU 04. 06. 92 ** unterstützen. Reddemann, Gerhard CDU/CSU 04. 06. 92 ** Jeder Mensch weiß, daß die Sanierung von Unter- Rempe, Walter SPD 04. 06. 92 nehmen zu den schwierigsten Aufgaben der Unter- Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 04. 06. 92 nehmensführung überhaupt gehört. Dabei ist jeder Reschke, Otto SPD 04. 06. 92 Einzelfall anders zu beurteilen und anders zu hand- Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 04. 06. 92 haben. Insofern kann und sollte es keine generellen Dr. Scheer, Hermann SPD 04. 06. 92 ** Vorgaben geben. Dies würde nur den flexiblen Ein- Schluckebier, Günther SPD 04. 06. 92 ** satz und die innovative Weiterentwicklung des beste- henden Sanierungsinstrumentariums hindern. von Schmude, Michael CDU/CSU 04. 06. 92 ** Dr. Soell, Hartmut SPD 04. 06. 92 ** Die Treuhandanstalt hat immer auch eine Sanie- rungspolitik betrieben: Natürlich haben sich die Steiner, Heinz-Alfred SPD 04. 06. 92 ** Gewichte von der Begleitung durch Liquiditätskredit- Terborg, Margitta SPD 04. 06. 92 ** bürgschaften über die Erstellung von Unternehmens- Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 04. 06. 92 konzepten deutlich im Zeitablauf verlagert. Dies Vogel (Ennepetal), CDU/CSU 04. 06. 92 ** konnte aber nicht anders sein, denn zunächst mußten Friedrich die Unternehmen analysiert werden, ihre innerbe- Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 04. 06. 92 trieblichen und Marketingprobleme erkannt werden, 7886* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 um so zu tragfähigen Unternehmenskonzepten zu hige Unternehmen sollen so besser durch einen erfah- kommen. Gut 70 % ihrer rund 6 000 Unternehmen renen Manager geführt, saniert und der Privatisierung sind als sanierungsfähig eingestuft worden. zugeführt werden.

Als Sanierungsbeitrag für ihre Unternehmen hat die Wichtiger als die organisatorischen Elemente ist Treuhandanstalt bis jetzt Finanzleistungen in Höhe aber selbstverständlich der Inhalt der Sanierungsbe- von 70 Milliarden DM für die Übernahme von Alt- gleitung: Die von der SPD genannten Punkte gehören schulden, 30 Milliarden DM für Bürgschaften sowie im wesentlichen zum Repertoire des Sanierungspro- 8 bis 10 Milliarden DM für Sozialpläne verausgabt. gramms der Treuhandanstalt. Dies gilt namentlich für die Ausstattung mit branchenüblichem Eigenkapital, Natürlich kann die Treuhandanstalt die Sanierung die Entschuldung in Einzelfällen und die Begleitung nicht selbst durchführen. Der Sanierungserfolg ist mit Bürgschaften. abhängig von der Qualität des Managements. Des- Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, geht die halb ist es notwendig, qualifizierte Manager für das Politik der Bundesregierung in die richtige Richtung. Engagement in diesen Betrieben, in den neuen Län- Ich denke, diese Feststellung gilt umso mehr, als auch dern zu gewinnen. Hier ziehen Treuhandanstalt und die größte Oppositionspartei das fordert, was wir Bundesregierung mit entsprechenden Anwerbungen praktizieren. am selben Strick. In einem Punkt kann ich mit den Vorstellungen der Innerhalb der Treuhandanstalt ist ein Vertragscon- SPD allerdings nicht übereinstimmen. Die Forderung, trolling und ein umfassendes System der Beteili- Treuhandunternehmen — und sei es auch nur in gungsführung im Aufbau. Für Unternehmen bis 500 Einzelfällen — in staatliches Beteiligungsvermögen Beschäftigte gibt es den spezifischen Beteiligungsbe- zu überführen, kann nicht unsere Zustimmung finden. treuer als Ansprechpartner. Für Großunternehmen Eine neue Verstaatlichung der Wirtschaft wäre sicher- sind Einzelfallösungen vorgesehen. lich die falsche Antwort auf die wirtschaftlichen Pro- bleme in den neuen Ländern. Was wir wollen, ist nicht Wie Sie wissen, sind vor kurzem die ersten beiden die trügerische Illusion der Stabilität, sondern den sich Management KG's gegründet worden. Sanierungsfä auf Dauer selbsttragenden Aufschwung Ost.

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