Berliner Zeitung · Nummer 215 · Dienstag, 15. September 2009 5 * ...... Politik Opposition einig Der Kater nach dem TV-Duell Eilige in Kritik an Die Union räumt inoffiziell Probleme ein, die SPD feiert. Als Sieger sehen sich offiziell beide Anfrage von großer Koalition rechts VON DANIELA VATES Westerwelle, Lafontaine und Vize-Chef der Piratenpartei ERLIN. So richtig zufrieden sind Trittin im Dreier-Disput Bsie bei der CDU nicht mit dem spricht mit Junger Freiheit Auftritt ihrer Kanzlerin beim TV- ERLIN. Knapp zwei Wochen vor Duell, aber öffentlich sagt das na- VON MARIN MAJICA Bder Bundestagswahl sperren türlich keiner. Öffentlich sagt CDU- sich die Oppositionsparteien gegen Generalsekretär : ERLIN. „Dumm“ sei das gewe- mögliche Dreierbündnisse. Im „Die Kanzlerin hat Steinmeier auf Bsen, schreiben die einen, andere ARD-TV-Dreikampf bekräftigte Distanz gehalten.“ Die Ministerprä- sprechen hämisch von Medienin- FDP-Chef ges- sidenten und Ro- kompetenz. Solche Dinge muss sich tern sein Nein gegenüber einer Am- land Koch loben Merkels „besonne- der Vize-Bundesvorsitzende der Pi- pel-Koalition. „Wir wollen die große nen klaren Stil“. Und aus München ratenpartei Andreas Popp anhören, Koalition beenden und verhindern, sagt : „Ich war sehr seit gestern bekannt wurde, dass er dass es eine Linksregierung gibt“, zufrieden mit unserer Kanzlerin.“ zwei Wochen vor der Bundestags- sagte er. Die FDP werde zudem da- Wenn die Mikrofone aus sind und wahl der rechten Zeitung Junge für sorgen, dass Linke-Chef Oskar die Kameras verschwunden, wenn Freiheit ein Interview gegeben hat. Lafontaine in der kommenden Bun- sichergestellt ist, dass Wertungen Der Blogger Mario Sixtus hatte am desregierung „nichts zu sagen hat“ – nicht mit Namen verbunden wer- Nachmittag auf den Artikel über auch nicht als „geheime Machtre- den, hört man dann aber doch an- den Internet-Nachrichtendienst serve“. deres: Steinmeier habe gewonnen, Twitter hingewiesen. Kurz darauf Grünen-Spitzenkandidat Jürgen sagen CDU-Politiker dann. Merkel gingen dort die ersten entsetzten Trittin hob hervor, seine Partei wol- habe fahrig gewirkt. Die Angriffe Kommentare ein. Die Partei sei für le „Schwarz-Gelb“ verhindern, da Steinmeiers auf Schwarz-Gelb sei- sie „unwählbar“ geworden, schrie- dies einen „Anschlag auf den Klima- en vielleicht doch gar nicht so wir- ben gleich mehrere Nutzer. schutz“ und „kein Geld für Bildung“ kungslos. Am Abend veröffentlichte Popp bedeuten würde. Die Grünen stün- eine Erklärung auf seiner Internet- den auch nicht als „Steigbügelhal- Koch will mehr Attacke seite. Er habe, schreibt er, eine „eili- ter“ für die Politik von Union und In der CDU-Präsidiumssitzung DPA/STEFAN PUCHNER ge Interviewanfrage“ der Jungen FDP zur Verfügung. „Der Dampfer meldet sich Koch zu Wort und for- Noch weist die Chefin die Richtung an: mit Vize Annette Schavan und Generalsekretär Ronald Pofalla. Freiheit erhalten, mit deren Namen nach Jamaika wird nicht ablegen“, dert einen schärferen Kurs gegen er nichts anfangen konnte. Beim prophezeite er. Eine schwarz-grüne Rot-Rot-Grün, mehr Attacke also Einschaltquoten während des TV-Duells Die Sozialdemokraten lässt das Interview sei er „aus allen Wolken Koalition hielt Trittin schon wegen und mehr Abgrenzung, statt sich 30 ungerührt: Sie haben am Sonntag gefallen“ wegen der suggestiven fehlender Wählerstimmen für un- auf die Hoffnung zu verlassen, dass 26,2 noch ein wenig gefeiert in einem Gesprächsführung. In der abgetipp- realistisch. Linke-Chef Oskar Lafon- die Sympathiewerte für die Kanzle- 25,8 Kulturzentrum am Berliner Ost- ten Fassung des Gesprächs sei ihm 25 23,1 23,3 taine sagte, die Linke würde sich an rin sich bei der Wahl doch noch auf 22,9 22,7 bahnhof. „Die Nachbereitung des „jedes Wort im Mund rumgedreht“ einer Regierung beteiligen, wenn die CDU übertragen werden. Das TV-Duell am Sonntag Zuschauer) 20 18,9 Duells war ein bisschen länger als worden. Er habe dann den Eintrag die Forderungen der Partei umge- Den Punkt Attacke setzen meh- verfolgten nur 14,18 Mil- das Duell“, sagt Kanzlerkandidat zur Jungen Freiheit im Online-Lexi- setzt werden könnten. rere CDU-Politiker an diesem Tag lionen Zuschauer. Das ist 15 Frank-Walter Steinmeier bei seinem kon Wikipedia gelesen, das Ge- Die Oppositionsparteien trafen um, allerdings mit etwas anderen ein Drittel weniger als Auftritt auf dem Gewerkschaftstag. spräch mit Änderungen aber sich einen Tag nach dem TV-Duell Schwerpunkten. Die sonst wenig beim Spitzenduell 2005. 10,5 11,1 SPD-Generalsekretär schließlich autorisiert. Er entschul- 10 9,9 10,4 10,1 10,0 von Bundeskanzlerin Angela Mer- bissige Bildungsministerin Annette Damals sahen 20,98 Mil- 9,1 spricht von Rückenwind für den dige sich, mit „diesem seltsamen kel (CDU) und SPD-Herausforderer Schavan warnt im Handelsblatt, lionen 5,7 6,4 6,3 5,6 Schlussspurt. Ob das Fernseh-Duell Blatt“ gesprochen zu haben. 5 Frank-Walter Steinmeier zum FDP und CSU gefährdeten mit Menschen das Duell 7,3 6,9 tatsächlich Auswirkungen auf den „Ich hoffe nicht, dass uns das 5,6 „Dreikampf“. Westerwelle griff die ihren Streitereien den schwarz-gel- zwischen Gerhard Schrö- Wahlausgang haben wird, ist offen. langfristig schadet“, sagte dazu der Marktanteil (in Prozent aller Marktanteil (in Prozentaller Linke scharf an, die im Bundestag ben Wahlsieg. Die Menschen erwar- der und Angela Merkel. 0 2,4 2,3 2,2 2,3 2,8 2,3 2,7 Rund 14 Millionen Zuschauer ver- Bundesvorsitzende der Piratenpar- Anträge stelle, in denen immer auch teten „weniger Klientelpolitik und Uhrzeit zeichneten die Fernsehsender, sie- tei Jens Seipenbusch am Abend der 20:55 20:05 21:15 20:25 21:35 21:45 21:55 22:05 zur „marxistischen Weltrevolution“ weniger Beliebigkeit“. Der CSU- BLZ/ANJA KÜHL 20:15 20:25 20:35 20:45 ben Millionen weniger als 2005. Berliner Zeitung. Klug sei das Inter- aufgerufen werde. Der FDP-Chef Vorsitzende Horst Seehofer sagt am Ein weiteres Duell wird es nicht view sicher nicht gewesen. Aller- kritisierte die Versprechen der an- Nachmittag die Reise mit Merkels Künast, die gestern in einem Inter- nen will, dass über eine Jamaika- geben. Und Merkel bleibt auch der dings distanziere sich Popp in dem deren Parteien nach Millionen neu- Wahlkampfzug ab. Er müsse sich view feststellte, es gebe keine Mehr- Koalition mit Union und FDP doch ZDF-Runde mit allen Spitzenkandi- Gespräch über Internet-Sperren ja er Arbeitsplätze als „Wolkenku- um den insolventen Versandhänd- heit für Rot-Grün. Angesichts der mal ernsthaft nachgedacht werden daten an diesem Donnerstag fern. ausdrücklich von rechten Parteien, ckuckszahlen“. Lafontaine atta- ler Quelle kümmern, heißt es. Kann Umfragewerte ist das eine Binsen- muss. Bei der CDU, das macht Pofa- Die Kanzlerin könne bei der Eröff- betonte er. Zudem verteidige Popp ckierte die Arbeitsmarktpolitik der sein. weisheit – für Pofalla zeigt es, dass lla zumindest indirekt deutlich, ist nung der Internationalen Autoaus- das Parteiausschlussverfahren ge- FDP, die Niedriglöhne weiter beför- Auch Pofalla setzt auf Angriff. Er die SPD mit Sicherheit Rot-Rot- das die zweitbeste Variante nach stellung nicht fehlen, sagt Pofalla. gen ein Mitglied der Piratenpartei, dere. Einig zeigten sich die drei Op- konzentriert sich auf Steinmeier. Grün ansteuere. Schwarz-Gelb. Eine große Koalition Das ZDF hatte sich seit März im das kürzlich Verständnis für Holo- positionsparteien bei ihrem Nein Der sei unglaubwürdig und könne Es ist nicht ganz klar, was Künast sei keine stabile Variante, sagt Pofa- Kanzleramt um einen Termin be- caust-Leugner geäußert hatte. „Es zur Rente mit 67 und der Forderung keine Machtperspektive bieten. mit ihrem Hinweis bezwecken woll- lla. „Die SPD würde die erste Gele- müht. Merkel schickt jetzt ihren ist bekannt, dass man manchmal nach einem höheren Schonvermö- Kronzeugin für Pofalla ist die Grü- te. Nahe liegt, dass die Grünen ihre genheit nutzen, um auszusteigen stellvertretenden CDU-Vorsitzen- auch Applaus von unliebsamer Sei- gen für Hartz-IV-Empfänger. (ddp) nen-Spitzenkandidatin Renate Klientel an den Gedanken gewöh- und zur Linkspartei zu fliehen.“ den Christian Wulff. te bekommt“, sagte Seipenbusch.

„Bürgerfragen zulassen“ Forscher Faas über zögerliche Wähler und bessere TV-Duelle

Herr Faas, Sie haben sich mit den Zumal die Zahl derer größer wird, Wirkungen der Duelle Schröder- die sich immer später entscheiden, Stoiber 2002 sowie Schröder-Merkel wen sie wählen. 2005 befasst. Wie sortieren sich Mer- kel-Steinmeier in die Reihe ein? Es gibt rationale Wechselwähler, die sich genau anschauen, was die Das war ein besonderes Duell, Parteien anbieten. Für die ist ein weil es keine Regierungs-Opposi- Duell nur eine Informationsquelle tions-Auseinandersetzung war. Da- unter vielen. Die andere Gruppe her war auch das Interesse geringer, braucht dagegen einen kurzen, was sich in der niedrigeren Ein- starken Impuls, um zur Wahl zu ge- schaltquote niederschlug. Es war hen. aber trotzdem informativ, lehrreich und keine reine Showver- Welche Gründe sind dann anstaltung. Das zeigen bei dieser Gruppe der eher auch die Ergebnisse unse- politikdistanzierten Wäh- rer Studie. ler entscheidend? Das bes- sere Argument oder der ge- Sie haben schon eine Studie fälligere Auftritt? zum Sonntagabend fertig? Tja, das ist die Kernfrage Die Universitäten in all unserer Studien. 2002 Landau, Stuttgart und wir zum Beispiel war es so, in Mannheim haben Wäh- dass sich die Stimme ler eingeladen, das Duell zu Schröders in dem Duell mit schauen. Das haben wir UNI MANNHEIM Stoiber positiv ausgewirkt mit einer Befragung ver- Thorsten Faas, hat. Um ehrlich zu sein: Es bunden. 34, Juniorprofes- ist nicht einfach festzustel- sor für Politikwis- len, was zum Schluss den Und die fanden es wirklich senschaft an der Impuls gibt. Bei der Wahl spannend und informativ? Uni Mannheim 2005 haben Studien etwa Ja, das zeigt zum Bei- ergeben, dass bei vielen spiel das Thema soziale Ge- Wählern das Gespräch mit rechtigkeit. Das hat inhaltlich und Personen aus dem privaten Umfeld emotional die Menschen bewegt. die Wahlentscheidung prägte. Sowohl bei Merkel als auch bei Steinmeier gab es hier die höchsten Als gesichert dürfte aber gelten, dass Zustimmungswerte. Bei dem The- die Entscheidung spät fällt. Also soll- ma zeigte sich aber auch das Pro- ten Wahlkämpfe nicht länger als blem des Abends: Die Menschen zwei, drei Wochen dauern. konnten kaum Unterschiede zwi- Das scheint der Trend zu sein – schen den beiden ausmachen. die heiße Phase gewinnt an Bedeu- tung. Schauen Fernsehduelle nicht nur die, die politisch interessiert sind? Wie sollten TV-Duelle geändert wer- Nein. Zwar gilt: Wer politisch in- den, um sie attraktiver zu machen? teressiert ist, liest auch Wahlpro- Die Debatte um die komplexe gramme oder geht zu Kundgebun- Wirtschafts- und Finanzkrise hat gen. Für TV-Duelle gilt das nicht in am Sonntagabend gezeigt, dass sie gleichem Maße. Damit erreichen sie leicht über die Köpfe der Menschen viel, viel mehr Menschen, und sie hinweggeht. Daher fände ich es gut, führen auch dazu, dass gerade „po- wenn bei künftigen Duellen Bürger litikferne“ Menschen eher an der mit im Saal sind und Fragen stellen Wahl teilnehmen. Ein solches Duell dürfen. Das „erdet“ die Kandidaten. ist eine einmalige Chance, solche Menschen zu erreichen. Das Gespräch führte Tobias Miller.