Olympia

BIATHLON Big Brother in der Loipe Aus den Exoten der Winterspiele sind Lieblinge des Publikums geworden. Doch seit das Fernsehen spektakulär in Szene setzt, spüren die Sportler die Gesetze des Showgeschäfts.

Zwei Mann sind nötig, Skispringer Sven Hannawald und Martin die dunkelblaue Kiste zu Schmitt erinnert. schleppen. Sie steht in ei- Bis zu vier Millionen Zuschauer sitzen nem Container mit der bei Weltcup-Rennen regelmäßig vor dem Nummer 27 im Sportpark Fernsehgerät, wenn Lieblinge wie die von Soldier Hollow. Sie ist Oberbayerin , ihre Teamgefähr- der erste Star bei Olympia. tin oder die Olympiasieger Drei Tage bevor im na- Sven , Frank Luck und Ricco Groß hen das die Büchse schultern. Über Begriffe wie olympische Feuer entzündet wurde, warf „Pulsverhalten“ und „Schussfrequenz“ de- Steffen Hoos, 33, noch einmal einen Blick battiert das Publikum mittlerweile so in die Truhe. Alles da: das Bügeleisen, die selbstverständlich wie die Formel-1-Ge- Schleifklötze und natürlich das Wachs. meinde über die maximale Drehzahl von Hoos hat viel Wachs mitgebracht nach Michael Schumachers Ferrari. Utah. Blaues, weißes und rotes, in Blö- Der Boom verblüfft. Denn lange Zeit cke gepresst. Anderes ist in kleinen Do- stand Biathlon in dem Ruf, nichts weiter als sen abgefüllt, mit Fluor zersetzt und fein eine Gefechtsübung im Schnee zu sein. Bei wie Staub. 100 Gramm kosten 70 Euro, so viel wie Schwarzer Trüffel. Hoos weiß alles über Wachs. Er präpariert die Skier der deut- schen Biathlon-Herren. Es ist, wie er sagt, „ein Höllenjob“. Jeden Morgen testet er im Bi- athlon-Stadion neue Mischun- gen. Über eine Lichtschranke wird gemessen, welcher Ski mit welchem Wachs am besten glei- tet. Nach jedem Durchgang rufen sich die Service-Leute geheimnisvolle Codes zu. Als „L207“ über die Piste rauscht, FABRIZIO BENSCH / REUTERS FABRIZIO grinst Hoos. Er blickt auf die / BONGARTS HASSENSTEIN ALEXANDER gestoppte Zeit. „Rakete“, ent- Service-Mann Hoos, Biathletinnen: Entdeckung auf der Suche nach neuen Idolen fährt es ihm – eine Mischung für Gold. Seit drei Jahren ist Steffen Hoos den Winterspielen 1924 in Chamonix unter liche Fernsehen, das auf der Suche nach für den Belag der Skier im deutschen Bi- der Bezeichnung „Militärpatrouille“ als neuen Idolen Biathlon entdeckte. Denn athlon-Lager verantwortlich. Anfangs war Demonstrationswettbewerb eingeführt, lange vorbei sind die Tage, da ARD und das ein ruhiger Posten. Kein Mensch außer- dienten noch bis 1978, der Frühphase von ZDF dank der Erfolge populärer Skiheroen halb des Teams interessierte sich für sein Friedensmarsch und Ökosandalen, groß- quasi das Monopol auf Hüttenzauber und Handwerk. Doch das ist jetzt anders. kalibrige Armeegewehre den Athleten als Alpenglühen hatten. Ein Kamerateam filmt ihn, wie er seine Waffe. Inzwischen wird mit Kleinkaliber- Da traf es sich gut, dass die Biathle- Kiste inspiziert. Reporter drängeln sich um Sportgewehren geschossen. ten auf die Wünsche der TV-Schaffenden das Behältnis, als handele es sich um ein Sensible Beobachter fühlen sich den- eingingen. Es gibt jetzt publikumsfreund- antikes Möbelstück, und stellen mit ernster noch an den Grundwehrdienst erinnert liche Disziplinen wie Massenstart und Ver- Miene Fragen: „Hoosi, haben wir auch so angesichts des gängigen Sprachgebrauchs folgung, bei dem ein wenig öde durch den gutes Wachs wie die Norweger?“ unter Biathleten. Das Schießen nennt Her- Wald gelaufen, aber viel geknallt wird. Das Wir! ren-Nationaltrainer , haupt- Fernsehen rückt im Weltcup mit 80 Mit- Olympia hat ja schon oft skurrile Helden beruflich Oberfeldwebel bei der Bundes- arbeitern und 20 Kameras an und setzt hervorgebracht. Exoten, die den Medail- wehr, „Bekämpfung der Ziele“. Und wenn den Sport so spektakulär in Szene, dass lenspiegel aufpäppeln dürfen und dann ein Schützling in der Loipe gut unterwegs mancher denken könnte, John de Mol wieder rasch vergessen werden. Doch die war, dann sagt Ullrich hölzern, er habe sich („Big Brother“) habe die Regie übernom- Sonderlinge aus der Loipe haben diesen „ehrenvoll in Szene gesetzt“. men. Kein Streckenteil, der nicht obser- Status längst verlassen. Beständig sehen Die Darsteller sind also kaum für den viert wird. Kein Schuss, der nicht in Zeit- sie sich von einer Begeisterung umtost, die neuen Appeal ihrer Sportart verantwort- lupe und Großaufnahme analysiert wer- fast an die Anfänge der Hysterie um die lich. Vielmehr war es das öffentlich-recht- den kann.

122 der spiegel 7/2002 fürchtet um den Verlust „des familiären der Schützen bestehen könnte. Der Nor- Touchs“. weger Ole Einar Björndalen wiederum, der Denn eigentlich sind Biathleten ja eher beste Läufer der Biathleten-Zunft, belegte stille Zeitgenossen, Typen wie Sven Fi- dieses Jahr bei Weltcup-Rennen der scher, der Ski fährt und schießt, weil er Langlauf-Spezialisten zweimal Rang zwei. „eben nie was anderes gemacht“ habe. Die Konkurrenz wird härter. Wer in der Fischer, 30, ist wie sein Teamkollege und Weltspitze mithalten will, beginnt schon Schwager Frank Luck, 34, im thüringischen im Mai mit dem Training. Auf 10000 Ski- Schmalkalden geboren. Er besuchte, genau- Kilometer und 20000 abgegebene Schüsse so wie Luck, die Kinder- und Jugendsport- kommt ein Topathlet pro Jahr. schule in Oberhof. Mit 20 Jahren gelang Geübt wird mitunter an bizarren Orten. ihm der Sprung in die Nationalmannschaft, So verbringen die deutschen Biathleten 1994 und 1998 wurde er mit der Staffel den Juli gern in einem Tunnel im finni- Olympiasieger. schen Vuokatti, weil dort eine 1,2 Kilome- Nun ist Fischer zum dritten Mal bei ter lange Ganzjahrespiste angelegt ist. Da- Olympia. Er weiß nicht recht, ob er die nach versammeln sie sich in der Kälte- modernen Zeiten gut oder schlecht finden kammer der Firma Rheinmetall bei Han- soll. Denn einerseits bekommt er für einen nover. In endlosen Tests wird geprüft, wel- Sieg nicht mehr wie früher nur einen Fress- cher Gewehrlauf und welche Munition korb gereicht, sondern verdient allein auch bei minus 20 Grad noch ein makel- durch Prämien rund 50000 Euro im Jahr. loses Trefferbild garantieren. Andererseits herrschen neuerdings ja All die Plackerei nehmen Biathleten auf doch komische Sitten. Zeitungen interes- sich, um am Ende für eine denkbar wider- sieren sich für das Liebesleben der Biath- natürliche Übung vorbereitet zu sein. Es ist leten. Beim Weltcup in Ruhpolding reichen der Moment, in dem sie schwer atmend in Hostessen im VIP-Zelt Sekt und Lachs- die Schießanlage gleiten, ihr Gewehr vom häppchen. In Oberhof haben sie eine rie- Rücken holen, anlegen – und trotz aller sige Videoleinwand in die Postkartenkulis- Anstrengungen plötzlich erstarren. Nur Bi- se gerammt. athleten beherrschen diesen Trick. Und draußen in der Loipe wird getrickst Wenn in den Schießstand und gedrängelt wie nie zuvor. Es gehe eben fährt, trommelt sein Herz 180-mal pro Minute. 15 Sekunden nimmt er sich Zeit, bis er den Zei- gefinger für den ersten Schuss in Position bringt. Sein Puls liegt immer noch bei 150. Dann wird es kom- pliziert. Vor jedem Schuss stößt Fischer zwei Drittel seiner Atemluft aus, um das Koh- lendioxid aus der Lunge zu pumpen. Dann hält er die Luft an. Nachdem er abge- drückt hat, atmet Fischer einmal tief durch. Diese Pro- zedur wiederholt er viermal. Für die kommende Saison Ungeübte würden dabei in hat der Weltverband in Aus- Ohnmacht fallen. sicht gestellt, das Teilneh- Aber wer weiß das schon. merfeld von bisher 120 auf Fischer kennt die Schwä- 80 Starter zu reduzieren. chen seines Sports, dass man Schließlich soll kein Außen- Thrill bietet, aber nicht

seiter aus Argentinien oder RAUCHENSTEINER wirklich Respekt erntet wie Marokko im Weg stehen, Deutsche Staffelläuferin Wilhelm: Beständig von Begeisterung umtost Skispringer oder Abfahrer. wenn Stars wie die Olym- Das Publikum sieht nur, ob piafavoriten Raphaël Poirée aus Frankreich „um einen Haufen Geld“, sagt Fischer, da der Schütze trifft oder nicht trifft. Wenn oder Magdalena Forsberg aus Schweden bleibe „der Sportsgeist auf der Strecke“. nicht, dann bleibt der Trefferkanal schwarz herbeirauschen. Biathlon sei kein Sport, den man ausüben und das Publikum stöhnt: „Uuh.“ Wenn Die Anbiederung an den Kommerz – eu- könne, wenn die Leidenschaft fehlt. Bi- ja, dann klappt eine weiße Blende vor ropaweit zahlt das Fernsehen pro Jahr rund athlon ist griechisch und heißt: Doppel- das Ziel und die Zuschauer schreien: 3,5 Millionen Euro, weitere 5 Millionen kampf. Vor Jahren konnte ein guter Schüt- „Yeah.“ Euro werden von Sponsoren eingenom- ze noch eine schlechte Laufleistung aus- Dabei, sagt Fischer, soll es aber auch men – führt jedoch zu atmosphärischen gleichen und umgekehrt. Jetzt sind die bleiben. Es gibt Leute, die würden die Puls- Veränderungen. Besten sowohl im Schießen als auch im frequenz der Sportler gern auf einer An- Der Ruhpoldinger Wolfgang Pichler, Langlauf Weltklasse. zeigetafel einblenden. Doch wenn derlei Trainer der schwedischen Nationalmann- So bringt es Frank Luck bei 60 Schuss dramatische Show-Effekte eingeführt wer- schaft, sieht den Biathlon-Sport auf auf 595 Ringe – ein Wert, mit dem er auch den, so Fischer, dann sei es „höchste Zeit dem Weg zum „High-Society-Event“ und bei Olympischen Sommerspielen im Lager aufzuhören“. Gerhard Pfeil

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