Deutschland

CDU, dem Andenpakt, versagten ihre Hilfe. CDU Ob in Hessen, Christian Wulff in Niedersachsen oder Peter Müller im Saarland, sie alle ließen ihren Pakt- Aus für den Andenpakt freund Oettinger allein. In den Zeitungen ging es um Filbinger und die NS-Zeit. In Angela Merkels Einfluss in der eigenen Partei wächst weiter – der CDU ging es um eine unsichtbare Machtverschiebung. auch wegen der Selbstverzwergung ihrer Gegenspieler. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende ist Die Affäre um Günther Oettinger sprengte einen Karriereclub. stark wie nie zuvor. Ihre innerparteilichen Rivalen haben sich selbst verzwergt. Das vor drei Jahrzehnten geschmiedete Kampf- bündnis der jungen Unionisten Koch und Co. ist zerbrochen. Es existiert noch dem Namen nach, und es wird auch weiter Ausflüge und Geheimtreffen veranstalten. Aber die Magie von früher ist verflogen. Wo einst Vertrauen und Kameradschaft waren, sind Misstrauen und Feindseligkeit eingekehrt. Ein Zersetzungsprozess hat begonnen, der Merkels Macht auf lange Zeit befes- tigen dürfte. Bei einem Flug über den Anden hatten einige Funktionäre der Jungen Union sich 1979 geschworen, als Freunde zusammen- zubleiben, auch über die Politik hinaus. Die jungen Männer machten Karriere in der CDU, als Landesvorsitzende, Minister, Ministerpräsidenten. Der Andenpakt wur- de zur mächtigen Organisation. Man hatte sich gelobt, in schwierigen Zeiten zu helfen. Niemand wird den Rück- tritt eines anderen Mitglieds fordern. „Zwi- schen uns herrscht eine Grundloyalität“, sagte einmal Friedrich Merz. In der CDU galt der Andenpakt als Partei in der Partei. Einmal fragte Merkel

MARCUS BRANDT / DDP BRANDT MARCUS ihren Stellvertreter Wulff, ob er und Paktmitglieder Koch, Müller, Wulff*: Das Kampfbündnis ist zerbrochen die anderen Paktmitglieder nicht Peter Müller in die Schranken weisen könnten. ünther Oettinger kommt in die Bi- dächtig. Er hat sich die Antworten zu- Der Saarländer hatte über eine Zwangs- bliothek seiner Staatskanzlei und rechtgelegt. Er will dem alten Fehler kei- kastration für Sexualstraftäter nachge- Gentschuldigt sich dafür, dass er nen weiteren hinzufügen. Er hat in den dacht. „So etwas machen wir untereinan- pünktlich in einer halben Stunde gehen letzten Tagen genug Stoff für Empörung der nicht“, sagte Wulff. „Wenn das bei müsse. Eine Sitzung der Landesbank geliefert. euch so ist, dass ihr das nicht macht, dann stehe an, ein Ministerpräsident müsse eben Oettinger musste in der vergangenen kann ich meine Bücher schließen“, sagte seinen Verpflichtungen nachkommen. Er Woche erleben, wie einsam ein Politi- Merkel. kümmere sich wieder, das ist die Botschaft, ker sein kann. Außerhalb seines eigenen Vor ein oder zwei Jahren hätten Oettin- um seine Hauptaufgabe, das Regieren. Landesverbands war ihm niemand bei- gers Freunde Merkel spüren lassen, dass Alles soll so wirken, als sei die Krise um gesprungen. Auch seine Kameraden aus sie ihr Verhalten missbilligen, sie hätten seine missglückte Trauerrede für den frühe- dem einst mächtigsten Netzwerk der ihr klargemacht, dass man Oettinger die ren -württembergischen Regierungs- Chance lassen müsse, die Angelegenheit chef Hans Filbinger ausgestanden. Oettin- selbst zu regeln. Jetzt schwiegen sie, sie ger hatte den Marinerichter, der noch in sagten nichts gegen Merkel und auch nichts den letzten Kriegstagen Todesurteile ge- zur Unterstützung Oettingers. gen angebliche Deserteure aussprach, als Weder Wulff noch Müller riefen bei Nazi-Gegner bezeichnet. Die Kanzlerin Oettinger an, um ihm Mut zu machen oder rüffelte ihn öffentlich, am Ende musste Oet- ihm einen Rat zu geben. Lediglich Koch tinger sich entschuldigen, was er am besten meldete sich, aber es war eher ein Ver- direkt nach seiner Rede getan hätte. legenheitsanruf. Oettinger müsse selbst Der 53-jährige Jurist wirkt nicht, als beurteilen, auf welche Weise er die Krise habe er die Krise schon verarbeitet. Nor- lösen könne, sagte Koch. Oettinger be- malerweise redet er im Stakkato, schnell, dankte sich, aber wofür? selbstbewusst. Diesmal formuliert er be- Die Treffen des Pacto Andino waren

JÖRG EBERL / ACTION PRESS JÖRG EBERL / ACTION einst einzigartig, weil man vertraulich und * Auf dem Weg zur CDU-Präsidiumssitzung am 27. März Ministerpräsident Oettinger offen miteinander sprechen konnte. Wenn 2006 in Berlin. Stoff für Empörung sich die Verschworenen einig waren, konn-

44 17/2007 Deutschland te in der Union keine Entscheidung gegen Gravierender ist, dass der selbstbe- sie getroffen werden. Man hielt zusammen, wusste CDU-Politiker auch machtpolitisch nach außen und innen. keine beeindruckende Bilanz vorzulegen Merkel hatte zunächst nicht an den hat. Er verlor den Machtkampf gegen Einfluss des Andenpakts geglaubt. Aber den Volkswagen-Aufsichtsratsvorsitzenden als der Männerbund ihre Kanzlerkandi- Ferdinand Piëch. Von seinem Sonderkurs datur im Jahr 2002 verhinderte, merkte sie, beim Nichtraucherschutz musste ihn die dass das ein Fehler war. „Ich habe den An- eigene Fraktion wieder abbringen. Ihr denpakt unterschätzt“, sagte sie kurz nach Führungspersonal stellt sich die Union der Kandidatenkür von . anders vor. Sie beobachtet ihre Gegner im Bündnis Am besten steht noch Roland Koch da. seither genau. Sie las, dass der Kreis vor Er präsentiert sich als moderater Politiker anderthalb Jahren auch formal ihren der Mitte, der die Regierung unterstützt. Erzrivalen, den früheren Fraktionschef So etwas schätzt die Partei. Doch Koch Friedrich Merz, aufnahm. Sie erfuhr über zahlt einen Preis: Er hat sich Merkel fast Vertraute, dass der thüringische Minister- vollständig untergeordnet, niemand unter- präsident , einer ihrer Un- stützt die Kanzlerin so beflissen wie er. terstützer, nicht mehr regelmäßig eingela- Das Alpha-Männchen droht zum Beta-Tier den wird. zu werden. Merkel hat ein feines Sensorium für Macht. Sie spürte nicht nur, dass die Mehrheit des Andenpakts ihr immer noch ablehnend gegen- überstand. Sie registrierte auch, dass das zunehmend unwichtiger wurde. Als der Bundestag Merkel zur Kanzlerin wählte, war klar, dass der Einfluss der Verbündeten an Grenzen gestoßen war. Die Männer hatten es nicht geschafft, Merkel zu stürzen, um einen der ihren an die Spitze der Partei zu bringen. Die Führungsleute, Koch und Wulff, zer- stritten sich über die Frage, wer Merkels Nachfolger werden könnte. Der Andenpakt war zur Ver- sammlung von Einzelkämpfern ge- worden. Die sind zurzeit wenig erfolgreich, im Gegenteil. Die wich- tigsten Ministerpräsidenten arbei- ten gewissenhaft an ihrer eigenen Schwächung. Oettinger ist auf absehbare Zeit bundespolitisch nur beschränkt handlungsfähig. Ein neuer Friedrich

Merz wollte er werden, ein lupen- KOEHLER/PHOTOTHEK THOMAS reiner Marktwirtschaftler, klar und Kanzlerin Merkel scharfkantig. Jetzt steht er als Poli- Den Männerbund unterschätzt tiker da, der nicht einmal eine Rede über die NS-Zeit ohne Selbstverletzung Merkel lässt die Mitglieder des Pakts halten kann. ihre Macht spüren. Der Berliner CDU- Oettingers vermeintlichen Freunden Fraktionschef Friedbert Pflüger besuchte geht es nicht viel besser. Peter Müller die Kanzlerin im vergangenen Oktober in hielt sich vor einigen Jahren noch für einen ihrem Büro. Er erhoffte sich Unterstützung möglichen Kanzlerkandidaten der Union. für den Parteitag im November, auf dem Im Kompetenzteam Merkels für die Bun- er für das CDU-Präsidium kandidieren destagswahl war er für die Themen Wirt- wollte. Es war offen, ob er Schönbohm schaft und Arbeit zuständig. In der CDU verdrängen könnte. weiß man seither, dass die Bundespolitik Pflüger fragte Merkel: „Kann ich auf eine Nummer zu groß für ihn ist. Er bleibt deine Unterstützung zählen?“ Merkel der „Landrat in Saarbrücken“, wie ein Kol- lächelte. Sie genoss die Ironie des Augen- lege aus dem Andenpakt lästert. blicks: Ein Mitglied des Männerbunds, der Dem Niedersachsen Christian Wulff ging ihren Aufstieg verhindern wollte, bat sie in den vergangenen Monaten einiges da- nun um Hilfe. „Du brauchst mich doch gar neben. Mit der Trennung von seiner Frau nicht“, sagte sie spöttisch. „Du hast doch und dem öffentlich zelebrierten neuen Lie- den Andenpakt.“ Dann fügte sie gönner- besglück zersprang das Bild vom treuen haft hinzu: „Aber ich unterstütze dich Familienvater. gern.“ Ralf Neukirch

46 der spiegel 17/2007