Orn. Rundbrief Meckl.-Vorp. Band 46, Sonderheft 2, 2009, 113-122. 113

Die Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea als Beispiel für ein langfristiges Monitoring von Küstenvogelbrutbeständen (Ringfundmitteilung Nr. 18/2007 der Beringungszentrale )

Christof Herrmann & Hans Wolfgang Nehls

HerrMann, C. & neHls, H.W. (2009): Die Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea als Beispiel für ein langfristiges Monitoring von Küstenvogelbrutbeständen. Orn. Rundbrief Meckl.-Vorp. 46, Sonderheft 2: 113-122.

Die Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea brütet in Mecklenburg-Vorpommern nur in der Wismarbucht. Der einzige aktuelle Brutplatz ist die Insel , 1957-1998 be- herbergte auch die Insel größere Brutbestände. Ehemalige Brutplätze im Greifs- walder Bodden und auf Hiddensee sind spätestens zu Beginn des 20. Jh. bzw. in den 1930er Jahren erloschen. Der Bestand der Küstenseeschwalbe lag in der 1. Hälfte des 20. Jh. bei etwa 60-120 Paaren und stieg dann bis Mitte der 1960er Jahre auf zeitweise mehr als 200 BP. Bis Ende der 1980er Jahre hielt sich der Bestand im Bereich von 140-180 BP, nahm dann jedoch kontinuierlich auf gegenwärtig nur noch 30-50 BP (bis 2008) ab. Die Küstenseeschwalbe ist sehr brutortstreu und auch Erstansiedlungen von Jungvögeln erfol- gen überwiegend in der Nähe des Geburtsortes. Aus mehr als 50 Jahren intensiver Berin- gungstätigkeit in der Wismarbucht liegen nur 59 Nachweise für Fernumsiedlungen vor. Diese betreffen die Kolonie auf dem Graswarder in Schleswig-Holstein sowie Brutplätze in Dänemark in einer Entfernung von maximal 200 km. Es gibt keine Belege für Austauschbe- ziehungen mit Brutplätzen an der Nordseeküste oder in Schweden, Finnland und Estland. Aufgrund der hohen Ortstreue der Art ist damit zu rechnen, dass bei einem Erlöschen des Bestandes in der Wismarbucht eine Wiederbesiedlung unserer Küste in absehbarer Zeit nicht erfolgt. Zum Erhalt der Küstenseeschwalbe als Brutvogel in Mecklenburg-Vorpom- mern ist es deshalb erforderlich, die Inseln Langenwerder und Walfisch von Raubsäugern frei zu halten. Zum Schutz vor Prädation durch Silber- und Sturmmöwen Larus argentatus, L. canus werden Nesthauben und das Ausbringen von Versteckmöglichkeiten für frisch geschlüpfte Küken empfohlen.

The Arctic Tern Sterna paradisaea breeds in Mecklenburg-Western Pomerania in the Wis- mar Bight. The currently only breeding site is the island Langenwerder. From 1957-1998, the nearby island Walfisch also hosted a larger breeding population. Former breeding sites in the Greifswald Lagoon area and on the Isle of Hiddensee got extinct already at the beginning of the 20th century and in the 1930ies, respectively. During the first half of the 20th century, the breeding population of the Arctic Tern in Mecklenburg-Western Pomerania was in the range of 60-120 pairs. Then it increased to even more than 200 breeding pairs (bp) in the mid-sixties. Until the late 1980ies, the population remained more or less stable on a level of 140-180 bp, but in 1989 a continuous decrease started. The actual breeding population amounts 30-50 (to 2008) bp only. Arctic Terns are highly loyal to their breeding sites. More than 50 years of extensive ringing in the Wismar Bight provided only 59 records of long-distance dismigration. These refer to colonies on the island Graswarder in Schleswig-Holstein and colonies in Denmark within a distance of up to 200 km. There is no evidence for any exchange with the large breeding populations of 114 Herrmann C., Nehls, H. W.: Monitoring der Küstenseeschwalbe

the North Sea or Sweden, Finland and Estonia. As a consequence of the high breeding site fidelity it has to be expected that, in case of extinction of the breeding population in the Wismar Bight, the Arctic Tern will not return to our coast within a foreseeable future. The main conservation measures are the exclusion of predatory mammals from the islands Langenwerder and Walfisch. In order to reduce predation losses by Herring and Common Gulls Larus argentatus, L. canus, the application of wire hoods for the nests and artificial hiding facilities for chickens are recommended.

Christof Herrmann, Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpom- mern, Goldberger Str. 12, D-18273 Güstrow, E-Mail: [email protected] Dr. Hans Wolfgang Nehls, Bertolt-Brecht-Str. 3, D-18106 Rostock, E-Mail: [email protected]

1. Brutgebiete und Bestandsentwick- ten, da eine derartige kurzzeitige Ansiedlung lung in Mecklenburg-Vorpommern über nur zwei Jahre angesichts der hohen Die Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea brü- Brutorttreue der Art wenig wahrscheinlich er- tet in Mecklenburg-Vorpommern gegenwärtig scheint (neHls 1987)1. Auch Meldungen von nur in der Wismarbucht. Im 19. Jh. gab es of- Bruten auf den Inseln und in fenbar noch mehrere Kolonien im Gebiet des der Darß-Zingster Boddenkette (sCHulz 1967) Greifswalder Boddens und Westrügens (Insel können aus den genannten Gründen nicht als , , Gellen, ), die jedoch gesicherte Nachweise angesehen werden. In spätestens zu Beginn des 20. Jh. erloschen dem Ringfundmaterial der Beringungszentrale sind (dost 1959, neHls 1987). froMHolz (1913) Hiddensee findet sich weiterhin die Meldung stellte bei einem Besuch der Insel Vilm am einer „Küstenseeschwalbe“, die am 05.07.1975 06.06.1911 neben Fluss- und Zwergseeschwal- als nfl. Flussseeschwalbe auf dem Pagenwerder ben Sterna hirundo, Sternula albifrons auch 3 BP im Rostocker Breitling beringt worden war und der Küstenseeschwalbe fest und fand deren am 22.05.1979 auf dem Langenwerder als Prä- Gelege. Nach seinen Angaben war die Art in dationsopfer gefunden wurde. Wahrscheinlich Vorpommern zu jener Zeit bereits selten. Zu- war in diesem Fall die Bestimmung als Küsten- letzt sollen in den 1930er Jahren noch 2 BP seeschwalbe beim Wiederfund fehlerhaft. Der im Südteil der Insel Hiddensee (Gellen) gebrü- Brutvogelbestand des Pagenwerder wurde ab tet haben (sCHulz 1947). Im Jahr 1938 konn- 1973 von erfahrenen Ornithologen (g. grau- te sCHoennagel (1939) allerdings die Küsten- Mann, H. W. neHls, a. Korell und l. platH) er- seeschwalbe auf Rügen und Hiddensee nicht fasst und auch beringt. Bruten der Küstensee- mehr als Brutvogel feststellen. schwalbe wurden dabei nicht festgestellt.

Die Unterscheidung von Flussseeschwalbe und Küstenseeschwalbe im Feld ist schwierig 1 Die Unsicherheit der Beobachtungen auf der Heu- und erfordert einige Erfahrung. Es ist deshalb wiese in den 1950er Jahren wird auch durch nach- folgendes Zitat bestätigt (dost 1959): „...für 1958 wahrscheinlich, dass einige der überlieferten war der Brutnachweis nicht sicher. Werner (briefl. Brutnachweise von Küstenseeschwalben au- 1.IX.1958) schreibt: ‚Mehrfaches Ansitzen inmit- ßerhalb der Wismarbucht auf Fehlbestimmun- ten der Seeschwalbenansammlungen und Fangen gen beruhen. So müssen z. B. die Berichte von einiger verdächtiger Stücke am Gelege brachten keine positiven Ergebnisse. Die Anzahl der sich auf dost (1959), nach denen 1955 und 1956 25 der Insel aufhaltenden Paare dürfte zwischen 5 und bzw. 10 Paare der Küstenseeschwalbe auf der 15 liegen, Zählungen ergaben Werte von 3 bis 37 Heuwiese gebrütet haben, als unsicher gel- Stück. Ein Brüten ist nicht ausgeschlossen.’ “ Orn. Rundbrief Meckl.-Vorp. Band 46, Sonderheft 2, 2009, 113-122. 115

Abb. 1: Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea bei der Partnerfütterung mit einem Sandaal. Langenwerder, 1958. Foto: H. W. neHls

Abb. 2: Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea nach der Kükenfütterung. Langenwerder, 1989. Foto: H. W. neHls 116 Herrmann C., Nehls, H. W.: Monitoring der Küstenseeschwalbe

Tab. 1: Brutbestände der Küstenseeschwalbe Sterna paradisea auf der Insel Langenwerder in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Jahr 1925 1937 1938 1939 1940 1943 1946 Anzahl BP 100 80 120 97 110 72 60

Der wichtigste und älteste Brutplatz der Küs- Ab der 1. Hälfte des 20. Jh. liegen, wenn auch tenseeschwalbe in der Wismarbucht ist die lückenhaft, Brutpaarzahlen für den Langenwer- Insel Langenwerder, die schon in der ersten der vor, welcher nahezu den gesamten dama- Hälfte des 19. Jh. von zander (1837-1853) er- ligen Bestand der Küstenseeschwalbe in Meck- wähnt wurde. 1957 entstand auf der neuen lenburg-Vorpommern beherbergte (Abb. 1, 2). Spülfläche der Insel Walfisch eine Kolonie, Leider wurden Küsten- und Flussseeschwalbe die maximal 82 BP (1970) beherbergte und vor 1925 nicht getrennt erfasst, und auch aus über mehr als 40 Jahre existierte. Im Jahr späteren Jahren gibt es vielfach nur Brutpaarzah- 1999 erlosch sie jedoch, lediglich 2004 wurde len, die beide Arten einschließen. Bestandsanga- noch einmal ein Brutpaar festgestellt. Gele- ben für die Küstenseeschwalbe auf dem Langen- gentlich brüten bzw. brüteten auch einzelne werder liegen für einige Jahre vor (WaCHs 1939, Paare außerhalb dieser beiden Inseln, z. B. brenning 1960, 1964, Tab. 1). auf der Halbinsel Wustrow (Kieler Ort), dem Rustwerder, den Vorwerker Wiesen und dem sCHulz (1947) schätzte den Bestand auf dem Spülfeld Fährdorfer Haken (neHls 1987; Mül- Langenwerder in der ersten Hälfte der 1940er ler 1975-2004, grosse 1998). Jahre auf 60-90 Paare, was den von brenning

Abb. 3: Bestandsentwicklung der Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea in Mecklenburg-Vor- pommern 1954-2008. Unsichere Brutnachweise außerhalb der Wismarbucht wurden nicht berücksichtigt. Für 1956 liegen keine Brutbestandsdaten vor. Orn. Rundbrief Meckl.-Vorp. Band 46, Sonderheft 2, 2009, 113-122. 117

(1964) angegebenen Zahlen gut entspricht. beringt, regelmäßig ab 1951. Für mehr als 800 Ausgehend von diesen Zahlen ist für die 1. Hälf- Vögel, die im Laufe der Jahre als Küken oder te des 20. Jh. in Mecklenburg-Vorpommern ein Brutvögel beringt wurden, liegen Wiederfund- Brutbestand der Küstenseeschwalbe im Bereich daten vor. Einige Ringvögel wurden über lange von 60-120 BP anzunehmen. Ab 1954 liegen Zeiträume regelmäßig kontrolliert. Dieser um- für den Langenwerder und ab 1957 auch für fangreiche Datensatz belegt, dass innerhalb den Walfisch durchgehende Datenreihen vor des Brutbestandes der Wismarbucht Umsied- (Abb. 3). Gelegentliche Bruten außerhalb dieser lungen zwischen Langenwerder, Walfisch und Schutzgebiete (insbesondere Rustwerder/, den anderen, zeitweise besetzten Brutplätzen Vorwerker Wiesen) betreffen nur wenige Brut- nicht selten sind und oft durch Störungen paare und dürften weitgehend erfasst worden (Prädatoren) verursacht werden. sein (neHls 1987; Müller 1975-2004). Lediglich auf der Halbinsel Wustrow haben vermutlich Umsiedlungen innerhalb der Population der mitunter einige wenige Paare gebrütet, die vor südwestlichen Ostsee über größere Distanzen 1994 nicht erfasst werden konnten, da das Ge- finden hingegen nur in geringem Ausmaß biet militärisches Sperrgebiet war. statt. Aus mehr als 50 Jahren Beringungsaktivi-

Zu den Bestandszahlen ist anzumerken, dass Umsiedlungen von Küstenseeschwalben in der eine genaue Zählung der Brutpaare schwierig südwestlichen Ostsee nach Ringfunden: ist, da immer wieder Gelege verschwinden Einwanderungen von Küstenseeschwal- und Nachgelege bzw. Gelege von Umsiedlern ben in die Wismarbucht: oder jungen Vögeln hinzukommen. Somit Insgesamt 16 Vögel, die als Jungvögel auf sind alle Zahlen Schätzungen, deren Qua- dem Graswarder bei Heiligenhafen (Schles- lität in hohem Maße auch vom Beobachter wig-Holstein) beringt worden waren, wur- abhängt. Die grundsätzlichen Entwicklungs- den später als Brutvögel auf dem Langen- trends sind jedoch ungeachtet möglicher Un- werder (14) bzw. auf der Insel Walfisch (2) genauigkeiten der Erfassung eindeutig. nachgewiesen; die Entfernung zwischen Ge- burts- und Brutort beträgt 50 bzw. 57 km. Die Bestandsentwicklung ab den 1950er Jah- Für Umsiedlungen von Dänemark in die ren zeigt zunächst einen Anstieg, der bis Mitte Wismarbucht liegen insgesamt 24 Nach- der 1960er Jahre anhielt. Im Jahr 1967 wurde weise vor. Die größte Entfernung zwischen erstmalig die Zahl von 200 BP überschritten. dem Geburtsort und dem Brutplatz in der In den folgenden 20 Jahren schwankte der Wismarbucht betrug 203 km (Eskildsø/Ros- Bestand überwiegend im Bereich zwischen kildefjord – Walfisch). Alle Vögel waren in 140 und 180 BP. Das Minimum lag bei 113 Dänemark nestjung beringt worden. BP (1984), das Maximum bei 228 BP (1970). Ab 1989 nahm die Zahl der Brutpaare jedoch Auswanderungen von Küstenseeschwal- kontinuierlich ab. 1999 verschwand die Küs- ben aus der Wismarbucht: tenseeschwalbe von der Insel Walfisch, so dass Insgesamt 4 in der Wismarbucht beringte sich gegenwärtig die gesamte Population Meck- Küstenseeschwalben wurden später als lenburg-Vorpommerns mit Ausnahme ein- Brutvögel bzw. als wahrscheinliche Brut- zelner Paare auf der Insel Langenwerder kon- vögel (Totfunde in der Brutzeit) auf dem zentriert. Hier brüteten in den letzten Jahren Graswarder nachgewiesen. (2004-2008) nur noch 30-50 Paare. 15 Küstenseeschwalben aus der Wismar- bucht traten später als Brutvögel in Däne- 2. An- und Umsiedlungsverhalten mark auf; zwei von diesen brüteten in spä- Küstenseeschwalben wurden in der Wismar- teren Jahren wieder in der Wismarbucht. bucht schon in den 1920er und 1930er Jahren 118 Herrmann C., Nehls, H. W.: Monitoring der Küstenseeschwalbe

Abb. 4: Umsiedlungen von Küstenseeschwalben Sterna paradisaea zwischen der Wismarbucht und Brutgebieten in Schleswig-Holstein und Dänemark nach Ringfunden aus den Jahren 1951-2006. Orn. Rundbrief Meckl.-Vorp. Band 46, Sonderheft 2, 2009, 113-122. 119

tät liegen nur 59 Nachweise von Fernumsied- 3. Bewertung der Bestandsentwicklung lungen vor. Die Geburtsorte von Einwanderern im biogeografischen Kontext in die Wismarbucht (insgesamt 40 Nachweise) Die Küstenseeschwalbe besiedelt weltweit die waren bis maximal etwa 200 km entfernt Küsten der nördlichen Hemisphäre nördlich und lagen auf dem Graswarder in Schleswig- des 48. Breitengrades. Der Bestand der At- Holstein sowie im nördlichen Seeland, auf lantik-Küsten des nördlichen und nordwest- Saltholm und Nordfünen in Dänemark. Auch lichen Europas ist groß (> 500.000 BP) und die Brutorte von Auswanderern (19 Nachweise) war zwischen 1970 und 1990 stabil (birdlife lagen in diesem Umkreis (Kasten, Abb. 4). international 2004).

Umsiedlungen über größere Entfernungen In der Ostseeregion brütet die Küstensee- kommen offensichtlich fast ausschließlich schwalbe außer in Deutschland in Finnland bei Jungvögeln während ihrer ersten Brutan- (60.000-90.000 BP), Schweden (20.000- siedlung vor. Für einen Brutplatzwechsel von 25.000 BP), Russland (20.000-50.000 BP, euro- älteren Vögeln über größere Entfernungen päisches Russland insgesamt, nicht nur Ost- gibt es in dem umfangreichen Ringmaterial see), Estland (7.000-10.000 BP) und Lettland nur vier Belege, wobei es sich in zwei Fällen (25-50 BP) (birdlife international 2004, elts nachweislich um Rücksiedlungen zum Ge- et al. 2003). In Dänemark brüten etwa 3.000 burtsort handelte: BP an der Ostsee- und 3.000 an der Nordsee- Der Vogel mit dem Ring Hiddensee 7057307 küste (t. nyegaard, schriftl. Mitt. 22.02.2007, wurde am 16.05.1969 auf der Insel Walfisch nach Zahlen von grell 1998 und Trendschät- als Brutvogel beringt und am 06.06.1971 auf zungen 2005). Farø/Falster (Dänemark, Entfernung 107 km) kontrolliert. An der deutschen Nordseeküste lag der Be- Der Vogel mit dem Ring Hiddensee 7079379 stand im Zeitraum 1982-1999 in den meis- wurde 1973 nfl. auf dem Langenwerder be- ten Jahren zwischen 6.000 und 7.500 BP und ringt, brütete 1977 auf dem Rødsand/Lolland war annähernd konstant (Hälterlein et al. (Entfernung 65 km) und 1978 auf Langen- 2000). In den letzten Jahren ist jedoch eine werder. Abnahme zu beobachten (Knief, schriftl. Mitt. Der Vogel mit dem Ring Hiddensee 7101878 03.04.2007). wurde 1975 auf dem Langenwerder nfl. be- ringt, brütete 1978 auf Vensholm/Lolland (Ent- Der Bestandstrend der Küstenseeschwalbe an fernung 104 km), 1981 auf dem Langenwerder der deutschen Ostseeküste ist in den letzten und 1984, 1987, 1989 und 1990 auf der Insel zwei Jahrzehnten sowohl in Mecklenburg- Walfisch. Vorpommern als auch in Schleswig-Holstein Der Vogel mit dem Ring Hiddensee NA007012 deutlich negativ. Die deutsche Ostseepopu- wurde am 24.05.1992 als Brutvogel auf dem lation verringerte sich von 400-500 BP in Walfisch beringt und am 02.06.2000 tot im den 1980er Jahren auf weniger als 100 BP in NSG Graswarder gefunden; nach dem Zeit- den Jahren 2005 und 2006 (Abb. 5). punkt des Fundes und dem Fundort ist mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen, 4. Schlussfolgerungen dass das Tier als Brutvogel auf dem Graswar- Die Brutvorkommen der Küstenseeschwal- der weilte. be in Mecklenburg-Vorpommern markieren den südlichen Rand des Verbreitungsgebietes Für einen Austausch zwischen der Brutpopula- der Art. Die Population an unserer Küste ist tion der Wismarbucht und den starken Popula- traditionell klein und im Verhältnis zum Ge- tionen an der Nordseeküste oder in Schweden, samtbestand der Art und ihrem großen Ver- Estland und Finnland gibt es keine Nachweise. breitungsgebiet eher unbedeutend. Die Küs- 120 Herrmann C., Nehls, H. W.: Monitoring der Küstenseeschwalbe

Abb. 5: Bestandsentwicklung der Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea an der deutschen Ost- seeküste 1984-2006. Daten für Schleswig-Holstein nach Hälterlein et al. (2000), ergänzt durch W. Knief, schriftl. Mitt. vom 03.04.2007. tenseeschwalbe gehört jedoch seit jeher zum wohl in Mecklenburg-Vorpommern als auch natürlichen Arteninventar Mecklenburg-Vor- in Schleswig-Holstein zu gering, um den Be- pommerns, insbesondere der Wismarbucht. stand zu erhalten. Da Küstenseeschwalben Der starke Rückgang der Brutpopulation an sehr alt werden (die Ringfunde auf Langen- der deutschen Ostseeküste in den letzten zwei werder belegen ein Alter von bis zu 30 Jah- Jahrzehnten gibt zu der Sorge Anlass, dass die ren), verläuft der Bestandsrückgang auch bei Art hier bald völlig verschwinden könnte. langfristig unzureichender Reproduktion in- Angesichts der hohen Brutorttreue der Altvö- folge Prädation, vor allem durch Sturm- und gel und der geringen Zahl von Ansiedlungen Silbermöwen, nur langsam. von Vögeln, die in anderen Brutgebieten er- brütet wurden, ist wohl kaum damit zu rech- Zum Erhalt der Küstenseeschwalbe als Brut- nen, dass unsere Brutplätze, einmal verwaist, vogel an unserer Küste ist es erforderlich, wiederbelebt werden. Dies gilt umso mehr, die traditionellen Brutplätze Langenwerder als auch der Brutbestand im dänischen Ost- und Walfisch durch alljährliche Bejagung seegebiet, von dem eine Wiederbesiedlung vor der Brutsaison von Raubsäugern frei zu ausgehen könnte, zuletzt rückläufig war halten. Zum Schutz von Gelegen vor Präda- (t. nyegaard, schriftl. Mitt. vom 22.02.2007). tion durch Silber- und Sturmmöwen können Das Verschwinden der Küstenseeschwalbe Nesthauben aus Draht eingesetzt werden. Die als Brutvogel in Mecklenburg-Vorpommern Ausbringung von Versteckmöglichkeiten für würde einen Verlust an faunistischer Vielfalt, frisch geschlüpfte Seeschwalben wurde in eine Verarmung unserer Küstenlandschaft den letzten Jahren auf dem Langenwerder er- bedeuten. Seit etlichen Jahren ist der Repro- probt und erwies sich als geeignet, ihre Über- duktionserfolg der Küstenseeschwalben so- lebenschancen zu verbessern (Abb. 6-9). Orn. Rundbrief Meckl.-Vorp. Band 46, Sonderheft 2, 2009, 113-122. 121

Abb. 6: Die Brutkolonien der Küsten- seeschwalbe Sterna paradisaea befin- den sich stets am Strand und oft un- mittelbar hinter dem Spülsaum. Die Gelege bestehen aus zwei bis drei Ei- ern und sind im Geröll meist schwie- rig zu entdecken. Insel Langenwer- der, Mai 1973. Foto: H. W. neHls

Abb. 7: Nestschutzhauben über ei- nem Gelege der Küstenseeschwalbe Sterna paradisaea. Durch die engen Öffnungen finden Möwen keinen Zugang. Insel Langenwerder, Juni 2007. Foto: H. W. neHls

Abb. 8: Am offenen Strand finden die Jungvögel der Küstenseeschwal- be Sterna paradisaea vor Prädatoren häufig keine Deckung in der schütte- ren Vegetation. Insel Langenwerder, Juni 1964. Foto: H. W. neHls

Abb. 9: In den Kolonien werden „Schutzhütten“ ausgelegt, die von den Seeschwalbenküken größtenteils angenommen werden. Insel Langen- werder, Juli 2007. Foto: H. W. neHls 122 Herrmann C., Nehls, H. W.: Monitoring der Küstenseeschwalbe

Danksagung Hälterlein, b., südbeCK, p., Knief, W. & Köppen, Wir danken Herrn Dr. W. Knief (Staatliche u. (2000): Brutbestandsentwicklung der Vogelschutzwarte Schleswig-Holstein) und t. Küstenvögel an Nord- und Ostsee unter nyegaard (BirdLife Denmark) für die Bereit- besonderer Berücksichtigung der 1990er stellung von Informationen und Daten zum Jahre. Vogelwelt 121: 241-267. Brutbestand der Küstenseeschwalbe in Schles- Müller, S. (1975-1989): Bemerkenswerte avi- wig-Holstein bzw. Dänemark. Dr. U. Köppen faunistische Beobachtungen aus Meck- (Beringungszentrale Hiddensee) danken wir lenburg. Jahresberichte 1970-1987 (mit für die Bereitstellung des Ringfundmaterials. Nachträgen und Berichtigungen zu den Und nicht zuletzt gilt ein besonderer Dank all bisher erschienenen Jahresberichten). jenen, die ihre Kraft und Freizeit seit vielen Orn. Rundbrief. Meckl. N. F. 16: 54-81, 17: Jahren der Betreuung der Küstenvogelschutz- 34-60, 18: 52-88, 19: 39-69, 20: 69-94, 23: gebiete und der Erfassung der Brutbestands- 69-92, 24: 63-87, 25: 72-100, 26: 60-83, 27: daten widmen. 62-84, 28: 68-95, 29: 70-92, 30: 53-79, 31: 72-93, 32: 63-86. Literatur Müller, S. (1990, 1991, 1992-1993, 1994, birdlife international (2004): Birds in Europe. 1995, 1997, 1999, 2000, 2001, 2002, 2004): Population Estimates, Trends and Conser- Bemerkenswerte avifaunistische Beobach- vation Status. BirdLife Conservation Series tungen aus Mecklenburg-Vorpommern. 12. BirdLife International, Cambridge, UK. Jahresberichte für 1988-2001. Orn. Rund- brenning, u. (1960): Die Brutvögel der Vogel- brief Meckl.-Vorp. 33: 62-93, 34: 69-93, 35: schutzinsel Langenwerder. Naturschutz- 54-83, 36: 61-120, 37: 66-103, 39: 60-95, arb. Meckl. 3, Heft 6: 16-22. 41: 72-193, 42: 87-176, 43: 90-160. brenning, u. (1964): Geschichte und Bedeu- neHls, H.W. (1987): Küstenseeschwalbe – tung der Vogelschutzinsel Langenwerder. Sterna paradisaea Pont., 1763. In: Klafs, g. Wiss. Z. Univ. Rostock. 13. Jg., Math.-Na- & stübs, J. (Hrsg.): Die Vogelwelt Meck- turwiss. Reihe, Heft 1: 225-256. lenburgs. S. 231. 3. Aufl. G. Fischer, Jena. brenning, u. (1983): Zur Entwicklung des NSG sCHoennagel, e. (1939): Die Vogelfreistätten Langenwerder in den letzten 20 Jahren (1963- Rügens und der Nachbargebiete. Dtsch. 1982). Naturschutzarb. Meckl. 26: 78-83. Vogelwelt 64, 4-9: 45-49. dost, H. (1959): Die Vögel der Insel Rügen. A. sCHulz, H. (1947): Die Welt der Seevögel. Ein Ziemsen, Wittenberg Lutherstadt. Führer durch die Vogelbrutstätten der deut- elts, J., Kuresoo, a., leibaK, e., leito, a., lille- schen Küsten. Anton Lettenbauer, Hamburg. letH, v., luiguJõe, l., lõHMus, a., Mägi, e. sCHulz, u. (1967): Bemerkungen zur Vogel- & ots, a. (2003): Status and Numbers of welt der Inseln Oie und Kirr im Barther Estonian Birds 1998-2002. (in Estnisch mit Bodden. Orn. Rundbrief Meckl. 5: 16-20. engl. Zus.). Hirundo 16: 58-83. WaCHs, H. (1939): Aus meiner Arbeit auf der froMHolz, r.J. (1913): Tagebuchnotizen aus Vogelinsel Langenwerder. Naturschutz. dem Odermündungsgebiet. Orn. Jahrb. Monatshefte für Freunde der deutschen 24, Heft 1-2: 27-45, 91-108. Heimat. 20. Jg., S. 205-207. grell, M.b. (1998): Fuglenes Danmark. Dansk zander, H.d.f. (1837-1853): Naturgeschichte Ornitologisk Forening. der Vögel Mecklenburgs. 1.-8. Lieferung, grosse, K. (1998): Brutvogelbestandsaufnah- Wismar und Parchim. me auf der Halbinsel Wustrow im Jahr 1994. zander, H.d.f. (1851): Eine ornithologische Orn. Rundbrief Meckl.-Vorp. 40: 11-16. Exkursion nach der Insel Pöl. Naumannia 6: 78-79.