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SWR2 Musikstunde

Lost in Vienna – Auf der Suche nach Schubert im Wien seiner Zeit Teil IV: Rossau

Von Katharina Eickhoff

Sendung: Donnerstag, 30. Januar 2014 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Bettina Winkler

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Indikativ

Wo ist Schubert? Das fragen sich im Winter und Frühjahr 1823 Schuberts Freunde, denn Schubert ist meistens abgetaucht. Ab und zu kommen kurze Nachrichten von ihm – er sei krank, schreibt er, „meine Gesundheitsumstände erlauben mir nicht, außer Haus zu gehen“, heißt es in einem Brief an den Hofrat von Mosel, von dem er sich Unterstützung bei seinen Opernplänen erhofft. ...Ich stehe immer noch in der Alser Straße vor dem riesigen, abweisenden Bau des ehemaligen Allgemeinen Krankenhauses und frage mich, hinter welchem dieser Fenster sie Schubert wohl seine Diagnose mitgeteilt haben. Den Freunden gegenüber bleibt er vage, und auch die nennen das Kind nicht beim Namen, obwohl vermutlich bald alle gewusst haben, was mit Schubert los ist. Die Syphilis ist zwar, wie zu allen Zeiten, ungeheuer verbreitet, aber, wie zu allen Zeiten, trotzdem komplett tabuisiert – wer damit geschlagen ist, wer die verräterischen Knötchen und Hautausschläge und den Haarausfall an sich entdeckt, der zieht sich üblicherweise zurück und hofft auf temporäre Heilung durch die graue Salbe, die die Ärzte in diesen Fällen verschreiben. Täglich soll man sie großflächig anwenden und die Bettwäsche nicht wechseln, damit die Dämpfe ihre Wirkung tun können. Man fühlt sich entsetzlich, hat keinen Appetit, fiebert – aber Fieber sei gut, heißt es, das treibt den Teufel aus dem Leib. In Wahrheit steckt der Teufel in der Salbe, denn die besteht aus Quecksilber, und alle angeblichen Heilungszeichen sind tatsächlich Anzeichen einer schweren Vergiftung, so dass im Nachhinein nie ganz klar ist, ob ein Syphilis-Patient nun letztlich an der Syphilis oder an der Syphilis-Therapie gestorben ist. So läuft das auch bei , und man kann sich seine Not während der Krankheitsschübe wahrscheinlich nur in Ansätzen vorstellen. Sicher ist, dass der erste volle Ausbruch der Symptome sein Lebensgefühl und seine Sicht auf die Dinge sehr verändert hat. Er leidet an der Krankheit selbst, die zu seiner Zeit nicht heilbar und mehr oder weniger deutlich ausgesprochen ein Todesurteil ist, und er leidet, weil er sich ihrer schämt, den Freunden, den Eltern und Brüdern gegenüber.

Sie kennen ihn als einen, der nicht viel redet über sich, aber der bei jedem Spaß dabei ist und immer einen lustigen Spruch parat hat, der sie melancholisch oder euphorisch macht mit seinen Kompositionen, über Dichtung und Musik kann man wunderbar schwärmen mit ihm, und sie haben ihn alle sehr lieb - aber ob er damals einen gehabt hat, mit dem er über seine Todesangst und seine Bedürftigkeit offen reden konnte? Schubert ist Mitte zwanzig, als er in einer dieser Krankheitsphasen in sein Tagebuch schreibt: „Keiner, der den Schmerz des Andern, und Keiner, der die Freude des Andern versteht! Man glaubt immer, zu einander zu gehen, und man geht immer nur neben einander. O Qual für den, der dieß erkennt!“ Und weiter: „Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für die Musik und durch meinen Schmerz vorhanden; jene, welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen am wenigsten die Welt zu erfreuen.“ Das große Werk, das aus diesen Monaten der persönlichen Not entsteht, vom Schmerz allein erzeugt, bestätigt das: Schubert hat da Anfang 1823 eine in jeder Hinsicht ungeheuerliche Klaviersonate in a-moll geschrieben, die natürlich keine Verleger gefunden hat - ein Stück, dem jede tröstliche Oberflächlichkeit oder konventionell liebenswürdige Form so dermaßen abgeht, dass man bis heute schockiert ist beim Anhören. Themen und Melodien scheinen irgendwie verschwunden zu sein, und übrig bleibt ein Skelett von seltsamen harmonischen Fortschreitungen. Gibt es das? Ein schönes Skelett? Spätestens seit Schubert schon.

M0000612 T. 1 7’20? Schubert, Sonate a-moll D 784 Maria Joao Pires

Maria Joao Pires spielt da den 1.Satz von Franz Schuberts 1823 entstandener Sonate a-moll D 784. Musik soll „plaudern“, befindet der kaiserliche Außenminister Metternich und hat damit die Bedürfnisse des Biedermeier und seine eigenen Vorstellungen von Untertanen-Unterhaltung hübsch auf den Punkt gebracht. Schuberts a-moll Sonate dagegen ist sozusagen das Anti-Manifest zur postulierten Behaglichkeit dieser Jahrzehnte. Er verschanzt sich während seiner Quecksilber-Therapien in der Roßau, einem Viertel im Alsergrund, wo der Vater seit Kurzem ein neues, größeres Schulhaus leitet.

Das Gebäude steht heute nicht mehr, deshalb braucht man gar nicht nach dem Nebenraum zu suchen, in dem Schubert damals immer mal wieder gewohnt hat – wenn man das Wohnen nennen kann, der junge Komponist Louis Schlösser hat das Zimmer Schuberts im Schulhaus damals nach einem Besuch reichlich schockiert beschrieben: „Mir war wohl bekannt, dass Schubert nicht in glänzenden Verhältnissen lebte; dennoch überraschte mich der gänzliche Mangel an jedem Komfort. Ein geräumiges Zimmer zu ebener Erde, das eher der Werkstatt eines Arbeitsmannes als der Studierstube eines Komponisten gleichsah, worin ich nur ein mit Notenheften vollgepfropftes Klavier bemerkte, Saiteninstrumente, Pulte, wo die notwendigen Tische und Stühle in Unordnung umherstanden, das sonst aber keine Spur von Bequemlichkeit zeigte.“ Ganz Ähnliches hat Johann Nepomuk Hummel über Schubert berichtet: „Offenbar“, so Hummel, „tat er eigentlich nur Musik – und lebte so nebenbei.“ Dass er wenigstens „so nebenbei“ leben konnte, dafür haben Schuberts Freunde gesorgt. Man muss es diesen Männern, die ja mit ihrem eigenen Leben sicher auch jede Menge zu tun hatten, wirklich sehr hoch anrechnen, dass sie nicht nur Schuberts schöne Musik genossen, sondern sich um ihn gekümmert haben, manchmal wie um ein kleines Kind...Leopold Sonnleithner zum Beispiel, der Cousin von Franz Grillparzer, gehört zu den „Kümmerern“ – sein Onkel Joseph Sonnleithner ist schon seit Jahrzehnten ein guter Geist der Musik in Wien, Joseph hat die Gesellschaft der Musikfreunde mitbegründet, war mit Haydn befreundet, hat als einer der ersten österreichische Volkslieder gesammelt und vor allem das Libretto zu Beethovens „Fidelio“ geschrieben. Alle lieben seinen Humor und kommen gern zu den musikalischen Salons, die die Familie Sonnleithner in ihrer großen Wiener Wohnung veranstaltet – wir befinden uns ja in den goldenen Zeiten der Hausmusik und am Beginn des Biedermeier, wo sich alles staatlich befördert von der Welt ab und dem eigenen Wohnzimmer zu wendet. Und in Sonnleithners gut gefülltem Wohnzimmer steht dann also der hühnenhafte Hofopernsänger Johann Michael Vogl, der von den Wienern seit Jahrzehnten als Mozartsänger am Kärntnertor-Theater heiß verehrt wird, und singt Schuberts Lieder, in die er sich ein für alle mal verliebt hat. Und das ist wirklich ein Glück für Schubert, denn es nützt ja nichts, wenn man die schönsten Lieder der Musikgeschichte schreibt und die dann aber ungesungen bleiben. Vogl also singt, und Schubert spielt, dem Publikum stehen die Tränen in den Augen, denn, wie Egon Friedell sagt: „...seit er in die Menschheit getreten ist, weiß sie erst richtig, was ein Lied ist“, und im fernen Dresden schreibt ein Wien- Korrespondent in der Dresdner Abendzeitung:

„Der junge Schubert hat mehrere Lieder der besten Dichter in Musik gesetzt, welche das tiefste Studium, verbunden mit bewundernswerter Genialität, beurkunden und die Augen der gebildeten musikalischen Welt auf sich ziehen...Sie gehen in Abschriften von Hand zu Hand...“.

Gebr. CD T. 1 2’00 Schubert, Wandrers Nachtlied I Hans Hotter, Gerald Moore 3217258

...das ganz sicher auch in Joseph Sonnleitners Salon gesungen worden ist. Josephs Neffe Leopold ist gleich alt wie Schubert und galoppiert in Wien regelmäßig mit Schuberts neuesten Werken von Verleger zu Verleger, um für Schubert etwas zu erreichen, weil alle Freunde wissen, dass Schubert selber einfach nicht in der Lage ist, sich einigermaßen zu verkaufen. Die Verlage, Haslinger oder Diabelli, lehnen erst mal ab, und so wird der Sonnleithnersche Salon dann der Ort, von dem aus sich die Kunde vom grandiosen jungen Liederkomponisten namens Schubert in Wien verbreitet, die Sonnleithners lassen Erlkönig, Gretchen am Spinnrade, Heidenröslein und Co immer wieder aufführen, und sie legen mit Schuberts Freunden Spaun und Hüttenbrenner zusammen und finanzieren die ersten Ausgaben von Schubert-Liederheften, die ihnen dann auch tatsächlich von Wiens Musikbegeisterten aus den Händen gerissen werden – zuguterletzt interessiert sich der Verlag Diabelli doch, und auch da gehen Schuberts Lieder weg wie geschnitten Brot. Als Liedkomponist ist er ein echtes Erfolgsmodell. „Von dem reichlichen Erlöse“, erzählt Leopold Sonnleithner, „zahlten wir Schuberts Rückstände an Wohnzins, Schuster- und Schneiderkonto, im Gasthause und Kaffeehause und gaben ihm noch erhebliche Geldbeträge in die Hand; leider bedurfte er einer solchen Bevormundung, denn er hatte keinen Begriff von häuslicher Ökonomie und wurde von seinen Gastfreunden oft zu unnützen Ausgaben verleitet.“ – Schubert und das Wirtshaus: ein Thema für sich, und auch darüber sind schon ganze Bücher verfasst worden. Er war oft dort, soviel ist sicher, und hat, wie Sonnleithner andeutet, mehr Lokalrunden geschmissen, als er sich leisten konnte - eins seiner Stammlokale ist ein Beisl namens „Zum Biersack“ an der Währinger Straße, zu seiner Zeit eine klassische Vorstadtkneipe mit Gastgarten, und wenn er betrunken ist, wird er manchmal ein bisschen verhaltensauffällig. Schubert hat in seinen Erwachsenenjahren ziemlich viel getrunken – aber was soll’s, er hatte ja auch Grund dazu.

Gebr. CD T. 2 3’30 Delirium Tanz Neuwirth Schrammeln Preiser 25808692

Roland Neuwirth und seine Schrammeln mit dem „Delirium Tanz“... Ja, Schuberts Name beginnt sich herumzusprechen, sogar über Wien hinaus, immer öfter werden seine Lieder aufgeführt, und dabei ist es sehr hilfreich, dass er jetzt den berühmten Sänger Vogl kennt, der Auftritte und Konzertreisen organisiert. Nur bei dem größten Problem, das Schubert schon seit Jahren umtreibt, kann Vogl ihm auch nicht helfen – denn Schubert will ja ein Opernkomponist sein, oder glaubt, es sein zu müssen, weil man halt, wenn man nicht gerade Beethoven heißt und Erzherzöge und Fürsten zu Freunden hat, nur als Opernmann ein Auskommen als Komponist hat, und weil außerdem ja alle Welt süchtig nach Oper ist. Vogl war zwar bis eben noch der Star des Kärntnertor- Theaters, aber als dort ab 1821 der Neapolitaner Barbaia das Ruder übernimmt, geht Vogl aus Protest in Rente, denn am Kärntnertor spielen sie jetzt dauernd dieses italienische Zeug, bei dem ganz Wien aufjault in orgiastischer Freude...

M0010418 T. 5 Schluss auf Zeit Gioacchino Rossini, La Cenerentola, Ouvertüre Chamber Orchestra of Europe,

...“Cenerentola“ – Das Plakat hängt im Fenster des Theaters an der Wien, als ich vom Naschmarkt her auf die linke Wienzeile zusteuere. Das „Junge Ensemble“ der Oper spielt auch im Jahr 2014 noch ziemlich erfolgreich dieses Stück, das Rossini 1822 höchstpersönlich zum namenlosen Entzücken der Wiener im Kärntnertortheater dirigiert hat. Die Rossini-Hysterie damals muss dem Beatles-Gekreische in den 1960- er Jahren geähnelt haben, und Wien scheint ihn nie vergessen zu haben, jedenfalls entkommt man ihm hier auch heute nicht. Auf dem Weg in den Alsergrund bin ich auf der Währinger Straße an einem „Schubert-Theater“ vorbeigekommen. Was man da wohl so spielt, hat mich dann doch interessiert, und siehe da, das Plakat annonciert: „Ich pfeife auf die Oper“. Das ist aber kein Stück über Schuberts Opern-Unglück, sondern die Ankündigung eines Kunstpfeifers. Und was pfeift der Mensch? Rossini. Im Schubert-Theater. Schubert hätte, stünde er jetzt neben mir, bloß resignierend mit den Schultern gezuckt – Rossini hatte zu seiner Zeit halt einfach immer die Nase vorne. „Rossini“, sagt Slavoj Zizek, „komponiert, als hätte es die Revolution nicht gegeben.“ – insofern ist es kein Wunder, dass man in den Jahren nach dem Wiener Kongress so begeistert auf diese Musik reagiert hat, denn es haben ja nach Napoleon überall wieder die restaurativen Kräfte die Macht übernommen: die Könige herrschen, die Untertanen sind untertänig, alles, wie sich’s gehört – man konnte, zumindest oberflächlich, tatsächlich den Eindruck haben, als ob es die Revolution nie gegeben hätte. Das ist es aber nicht, was Schubert an Rossini stört – ihn stört Rossinis Erfolg, von dem er sich so gerne eine Scheibe abgeschnitten hätte. Er versucht ja in diesen Jahren mit aller Macht, die Wiener Bühnen zu erobern – insgesamt werden es mindestens achtzehn Anläufe sein, und allein zwischen 1812 und 1822 hat er doch tatsächlich schon zwölf Singspiele, Zauberopern und Gesangspossen verfertigt, deren Titeln man schon irgendwie anhört, dass es nichts werden konnte: „Des Teufels Lustschloss“, „Der vierjährige Posten“, „Claudine von Villa Bella“ und wie sie sonst noch alle heißen – die „Zwillingsbrüder“ werden immerhin an der Hofoper aufgeführt, die „Zauberharfe“ läuft am , und beides wird sofort wieder abgesetzt – auf Schuberts unfehlbares Händchen für dusselige Textbücher ist leider Verlass, und die Absetzungen und Absagen kränken ihn jedesmal fürchterlich. Weniger als die Sache mit Rossini stört ihn dann übrigens der große Erfolg, den in diesen Jahren in Wien hat. Nicht nur Webers Musik begeistert ihn – den Freischütz bewundert Schubert unsagbar -, er hat auch Weber persönlich kennengelernt, diesen geistreichen und eleganten Menschen, dem es, wie Schubert, bis zur Dickköpfigkeit um seine persönliche Freiheit zu tun war. Darin haben Schubert und er sich getroffen, obwohl Weber sehr viel wortgewandter und also erfolgreicher darin war, bei allem Freiheitsbedürfnis auch Geld zu verdienen. Aber dann scheitern Schubert und Weber im Jahr 1823 krachend an derselben Frau. Nicht etwa an einer gemeinsamen Angebeteten, sondern - an einer unbegabten Librettistin.

Gebr. CD T. 3 bis 3’40 C.M.v.Weber, - Ouvertüre Staatskapelle Dresden, Marek Janowski Brilliant 3579265

Ein bisschen unentschieden klingt sie ja stellenweise schon: CMvWebers Ouvertüre zu seiner für Wien komponierten Oper „Euryanthe“ – die dort denn auch mit Pauken und Trompeten durchgefallen ist. Keine Frage: Die Dichterin, Journalistin und Librettistin Helmina von Chezy war eine hochspannende Frau - eine sehr belesene und rundum gebildete Dame mit besten Verbindungen in deutsche Künstlerkreise, sie hat während der Befreiungskriege an der Front in Lazaretten gearbeitet und war eine umtriebige, geistreiche Autorin, die mit den Schlegels befreundet war und eine heiße Affäre mit Adelbert von Chamisso unterhielt, und die sich in politisch bewegten Zeiten ungeheuer mutig für die Meinungsfreiheit und für soziale Belange eingesetzt hat. Als Theaterautorin allerdings ist sie echtes Kassengift,- ihre sperrigen Plots und ungelenken Verknüpfungen führen dazu, dass alle Welt Webers Oper „Euryanthe“ die Ennuyante, die Langweilige, nennt. Der Impresario Barbaia bringt das Stück 1823 am Kärntnertor-Theater heraus, um zu beweisen, dass es bei ihm eben nicht bloß Rossini, sondern auch allerneueste deutsche Oper gibt. Und die „Euryanthe“ floppt dann also am Kärtnertor dermaßen nachhaltig, dass Weber entsetzt aus Wien flieht und Barbaia beschließt, erst mal alle Projekte mit deutschen Opern an seinem Haus zu stoppen. Das wird dann Franz Schubert zum Verhängnis. Der schreibt nämlich seit Monaten wie besessen an einer riesigen romantischen Oper, „Fierrabras“, das Libretto stammt von Josef Kupelwieser – das ist der Bruder von Schuberts Busenfreund, dem Maler , und Josef ist vielversprechenderweise im Hauptberuf Sekretär der k.k. Hofoper in Wien, hat also beste Verbindungen in Wiens Opernkreise, das, glaubt Schubert, ist das Ticket zur Aufführungsgarantie, und tatsächlich bekommen sie auch den offiziellen Auftrag von Barbaia fürs Kärntnertortheater. Schubert also komponiert in Erwartung seines endgültigen Durchbruchs unter Hochdruck vier Monate lang an dem Riesenwerk, dessen Verflechtungen am Hof Karls des Großen spielen, zu dem der Maurenhauptmann Fierrabras überläuft, weil er König Karls Tochter Emma liebt, die nun wiederum Eginhard liebt, worauf Fierrabras großmütig verzichtet, derweil sich seine Schwester in den Frankenhelden verliebt hat – dann gibt es noch den bösen schwarzen Boland und allerhand weiteres verwirrendes, heutzutage politisch unkorrektes Personal, und ach, man ahnt es, auch dies ist wieder so ein typischer Schubert-Plot: verstiegen und verkonstruiert, ein Durcheinander von Namen und Menschen, die in Handlungen verstrickt sind, die größer sind als sie selbst, und die dabei ständig schlechte Gedichte singen müssen: In tiefbewegter Brust Regt sich ein leises Sehnen Kaum meiner selbst bewusst Darf ich dies glück nicht wähnen O schweig, betrognes herz Verstummt vergebne klagen Dem Manne ziemt nicht schmerz Er muss mit Fassung tragen... Das und Ärgeres hat Josef Kupelwieser Fierrabras und seinen Freunden in den Mund gelegt, und wie schon angedeutet: Die Worte bleiben ungesagt und ungesungen, weil es ja eben nach dem Wahnsinnsflop mit Webers Euryanthe einen Aufführungsstopp für deutsche Opern gibt. Der Fierrabras, die Arbeit von Monaten, bleibt in der Schublade, und Schubert sieht nicht einen Pfennig Geld dafür. Hier ist Helmina von Chezy zugegeben nur mittelbar an Schuberts Unglück schuld. Das Problem ist, dass er nur wenige Wochen später ein zweitesmal über ihr Untalent stolpert. Er hat sich nämlich, genau wie Weber, auf ein gemeinsames Projekt mit ihr eingelassen, aber anders als Weber, der schon während der Produktion kapiert hat, dass die Frau sein Unglück ist, hält Schubert große Stücke auf Frau von Chezy. Und er ist dann anscheinend richtig überrascht, als ihr Stück „“, zu dem er Bühnenmusiken komponiert hat, mit Mann und Maus nach nur zwei Vorstellungen im Theater an der Wien untergeht. Die Musik fand das Publikum übrigens ausgesprochen schön, nur das dranhängende Stück war so öde und verwirrend, dass keiner es sehen wollte. Die Rosamunden-Musik war Schubert dann aber irgendwie doch zu lieb, als dass er sie einfach in den Orkus hat wandern lassen. Eine der zentralen Melodien von damals wird dann das wunderbare Ländler-Thema im zweiten Satz seines Quartetts a-moll D 804, das deswegen eben auch das „Rosamunde-Quartett“ heißt. Wie bezeichnend: Schuberts schönste Oper ist ein Streichquartett...

M0311184 T. 6 7’20 Schubert, Quartett a-moll D 804 „Rosamunde“, Andante Artemis Quartett

Immerhin, das Schuppanzigh Quartett, das vermutlich beste Streichquartett nicht nur Wiens sondern überhaupt seiner Zeit, hat das Stück uraufgeführt, Schubert hatte es ganz dezidiert Schuppanzigh gewidmet, das hat geholfen, und so ist es das einzige zu seinen Lebzeiten öffentlich gespielte seiner Streichquartette gewesen. Warum bloß ist das nichts geworden mit Schubert und der Oper? Die schönste Erklärung hat für meine Begriffe Hans Neuenfels gefunden – in einem Dramolett mit dem Titel „Schumann, Schubert und der Schnee“ legt er Schuberts Freund Schober diesen Ausbruch hier in den Mund: „Um Opern zu komponieren, muss man die Menschen offen lieben oder offen hassen, sich kampfgeil der Gesellschaft stellen, den Konflikt suchen, Lust haben, das starke Ich in Spannung zu setzen, bis es platzt und sich in viele verteilt, einen Entwurf gegen die Welt riskieren, gesichert durch die Begeisterung von sich selbst.“ Gut gesagt, und so gar nicht auf Schubert und sein Selbstverständnis passend. Es war nicht Schuberts Art, sich, befeuert vom eigenen Ich, unter die Menschheit zu verströmen, und er hat sich auch nicht „kampfgeil der Gesellschaft stellen“ wollen. Wobei man sagen muss, dass das in den 1820-er Jahren nun mal auch gar nicht opportun war in Europa, und vielleicht ist das mit ein Grund, dass es allgemein nicht die beste Zeit für Opern war damals. Nach dem Wiener Kongress macht sich eine eigenartige Erstarrung breit unter den Menschen, und das ist ja haargenau das, was der Fürst Metternich anstrebt. Klemens Fürst von Metternich, Kaiser Franzens Außenminister und der mächtigste Mann im Staat, hat nicht nur beim Wiener Kongress die Strippen gezogen, er sorgt vor allem danach dafür, dass die Untertanen auf keine dummen Ideen kommen. Als „Arzt im großen Weltspital“ hat sich Metternich bezeichnet, und sein Ziel ist es, die Völker Europas überhaupt von der Geißel der „Ideen“ zu befreien. Seit der Revolution haben dauernd alle diese lästigen „Ideen“ gehabt, die Unruhe gebracht haben und Aufgeregtheit – damit soll jetzt Schluss sein, die Menschen sollen sich gefälligst in ihre Wohnzimmer zurückziehen, nicht aufmucken und schön plaudernde Hausmusik machen, und den Rest sollen ihre überall wieder in ihre alten Befugnisse eingesetzten Könige und Kaiser besorgen, die jetzt in der jüngst geschmiedeten „Heiligen Allianz“ verbunden sind und sich ihrem Selbstverständnis nach als gute Väter ihrer unmündigen, dummen Untertanen sehen. So ganz falsch hat Metternich wohl nicht gelegen – im Zuge der allgemeinen Wut auf Napoleon hat es ja vor allem in Preußen und Österreich extreme patriotische Aufwallungen gegeben – der Volksjubel bei jenem Wiener Konzert, wo alle Welt „Wellingtons Sieg“, ein, pardon, absolut unterirdisches Beethoven-Werk, hysterisch gefeiert hat, ist da nur eines von vielen Beispielen. Metternich hat ein gesundes Misstrauen gegen allzu dezidierte Nationalismen gehabt und sie – wohl mit Recht – als Feind des Friedens betrachtet. Also hat er eben nicht bloß alle liberalen und revolutionären, sondern auch alle nationalistischen Umtriebe konsequent verfolgen lassen. Und die Leute schicken sich erst mal drein und halten still. Wie Johann Nestroy, der just 1822 seine Karriere als Sänger am Kärntnertortheater beginnt, so schön in seinem Stück „Das Mädl aus der Vorstadt“ sagen lässt: „Die edelste Nation unter allen Nationen ist die Resignation.“ Zu Schuberts Zeit ist der Fürst Metternich auf der Höhe seiner Macht, und das Metternich-System treibt jede Menge ungute Blüten. Seit den Karlsbader Beschlüssen sind Versammlungen und Meinungsäußerungen jeglicher Art verboten, Schubert wird dann auch allen Ernstes von Ministeriumsseite angehalten, seiner Oper „“ eine andere Überschrift zu geben, weil allein schon der Titel verdächtig ist, es herrscht allerstrengste Zensur, und das Spitzelwesen feiert fröhliche Urständ. Sich im Beisl einen anzutrinken, wird gefährlich, weil man nie weiß, ob nicht der Typ am Nebentisch in Wahrheit ein Naderer ist, der einen am nächsten Tag wegen irgendwas beim Ministerium anschwärzt. Dieser Mehltau des Misstrauens liegt auf Wien in den 1820-er Jahren, und er hat Schuberts ohnehin schon angekratzte Seele weiter ins Morbide verdüstert. „Aber“, schreibt er an Schober, „was sollten wir auch mit dem Glück anfangen, da Unglück noch der einzige Reiz ist, der uns übrig bleibt.“

CD Löschels Stadtkapelle Disc 2, T.8 2’13 Schubert, Winterreise, Im Dorfe Klemens Lendl & Hannes Löschels Stadtkapelle Loewenhertz LOEW 024

Das war die Musikstunde mit KE: Lost in vienna – Auf der Suche nach Schubert im Wien seiner Zeit, den Schluss, teil fünf, gibt’s morgen ab 9.05.