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Sendung vom 21.11.2006, 20.15 Uhr

Prof. Dr. Hansjürgen Rosenbauer Ehemaliger Intendant Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg im Gespräch mit Christoph Lindenmeyer

Lindenmeyer: Meine Damen und Herren, Sie werden Ihn sicher kennen, unseren heutigen Gast. Er ist früherer ARD-Hörfunk- und Fernsehtopjournalist, Intendant, Kunstsachverständiger und Auslandskorrespondent. Herzlich willkommen im alpha-forum, Professor Dr. Hansjürgen Rosenbauer. 1991 wurden Sie Intendant des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg mit Sitz in Potsdam- Babelsberg. Was wussten Sie vorher von Potsdam? Rosenbauer: Ich war noch als Kulturchef des WDR öfter mal in Potsdam gewesen, weil mein ehemaliger Fernsehdirektor Heinz Werner Hübner ebenso wie unser damaliger Intendant Friedrich-Wilhelm von Sell aus Potsdam stammten. Wann immer wir in Ostberlin das Studio besuchten, machten wir auch einen Abstecher nach Potsdam. Für uns Jüngere war das ein Erlebnis, weil man sonst ja nicht ohne weiteres dorthin gekommen, dorthin gefahren wäre. Für unsere Vorgesetzten war das natürlich ein nostalgischer Trip. Das heißt, ich kannte, wenn Sie so wollen, Potsdam als Tourist. Und ich hatte dann auch Friedrich-Wilhelm von Sell besucht, den damaligen Gründungsbeauftragten des Ostdeutschen Rundfunks, als er dort im Sommer 1991 anfing. Er führte mich bei diesem Anlass u. a. auch in die DEFA-Kantine: Das war so abschreckend, dass ich mir nicht vorstellen konnte, selbst jemals nach Babelsberg zu gehen. Lindenmeyer: Da fand sich also noch die alte "Herrlichkeit" der sozialistischen Arbeitswelt. Rosenbauer: So ist es. Lindenmeyer: Was war denn, als Sie dann dort anfingen, das größte Problem in den ersten Tagen - abgesehen von der Kantine? Rosenbauer: Das größte Problem war, ein Telefon mit Westanschluss zu bekommen. Das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen, aber zu der Zeit gab es ja noch keine Handys, wie wir sie heute kennen, mit denen man überallhin hätte telefonieren können. Es gab höchstens sehr, sehr teure Satellitentelefone. Wenn wir z. B. Faxe verschicken wollten und mussten, dann fuhr jemand mal schnell über die ehemalige Grenze nach Wannsee oder Zehlendorf und verschickte sie von dort. Es war also ein echtes Problem, aus dem Osten in den Westen zu telefonieren, weil die Telekom gerade erst angefangen hatte, das alles umzubauen. Das klingt zwar sehr banal, aber das war eines unserer größten Probleme. Lindenmeyer: In den letzten Jahren fusionierte der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg ja mit dem . Damals, 1991, hatte man jedoch noch gesagt, diesen vergleichsweise überschaubaren Landessender wollen wir völlig neu gründen. War es damals wirklich eine zukunftsorientierte Haltung, einen kleinen Landessender zu gründen, der auf Dauer gesehen vielleicht doch etwas zu klein war? Rosenbauer: Ich war zu dieser Zeit ja in Köln und fand die Lösung, die alte DDR-Struktur zu zerschlagen, nicht richtig. Diese alte DDR-Struktur war nämlich inzwischen reformiert worden. Michael Albrecht war der letzte Intendant des Deutschen Fernsehfunks gewesen. Ich fand also diese Zerschlagung, um dort ein Westmodell aufzubauen, falsch. Ich hätte es für richtiger gehalten, wenn man dort eine große, ostdeutsche Rundfunkanstalt gegründet bzw. belassen hätte, die dann auch im Konzert der ARD eine bedeutende Rolle gespielt hätte. Ich war also gegen die Gründung von solchen kleinen Sendern. Mit dem Blick von Köln nach Berlin, nach Brandenburg fanden wir es auch relativ absurd, dass in Brandenburg nur deswegen ein eigener Sender gegründet wurde, weil sich die "Wessis" und die "Ossis" nicht verstanden bzw. weil es mein Kollege und späterer Freund Günther von Lojewski, der Intendant des SFB, mit seiner sehr speziellen Art nicht geschafft hatte, die Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit ins Boot zu bekommen. Die Kollegen aus dem Osten konnten einfach das Motto aus Berlin, "Das Bisschen machen wir für euch aus Berlin mit!", nicht akzeptieren. Ich empfand das also nicht als eine vernünftige Lösung. Als es dann aber so war – und immerhin gab und gibt es ja auch bei uns im Westen und den Saarländischen Rundfunk –, bestand, als ich dort anfing, unser Ehrgeiz darin zu sagen: Auch eine kleine ARD-Anstalt kann aus eigener Kraft lebensfähig sein! Und genau das haben wir dann auch geschafft. Lindenmeyer: Sie haben soeben Michael Albrecht erwähnt, den ehemaligen Intendanten des Deutschen Fernsehfunks, der vor der Wende eine wichtige Stimme der Bürgerbewegung, der Bürgerprotestbewegung in der real existierenden DDR gewesen war. Albrecht kandidierte dann gegen Sie als Intendant des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg, Sie jedoch sind es geworden. Haben Sie – ich muss das jetzt fast schon suggestiv fragen – einen Widerstand gegen diese "Besserwessis" gespürt, die nun aus Köln oder, wie in Leipzig, aus München kamen, dort Intendant wurden und den ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen zeigen wollten, wo es nun lang gehe mit der Medienentwicklung? Rosenbauer: Da gab es in der Tat eine große Enttäuschung. Denn natürlich hatten sich auch Friedrich-Wilhelm von Sell und Gerhard Hirschfeld, die beiden Gründungsbeauftragten, vorgestellt, dass dieser neue Sender sein Spitzenpersonal aus dem Osten Deutschlands rekrutieren sollte, weil dieser Sender eben anders als in Leipzig stärker ostbestimmt sein sollte. Was sie jedoch nicht kontrollieren oder vorbestimmen konnten, war die Entscheidung des Rundfunkrates. Und der Rundfunkrat hat dann – zu meiner eigenen Verblüffung, wie ich sagen muss – im ersten Wahlgang gleich mit der erforderlichen absoluten Mehrheit mich gewählt. Ich möchte das jetzt bitte nicht kokett verstanden wissen. Ich hatte nämlich bei meiner Vorstellung – wir waren drei Kandidaten, denn neben mir und Michael Albrecht bewarb sich auch noch Klaus Klenke – am späteren Abend gesagt, ich sei der Auffassung, es wäre besser, wenn jemand aus dem Osten Intendant werden würde. Für den Fall aber, dass das Gremium dies nicht wolle, sei ich bereit, sehr gerne zu kommen. Ich bin also durchaus selbst mit einer kritischen Haltung, was die Entwicklung der Medienpolitik in Ostdeutschland anging, nach Potsdam gefahren. Aus Köln kamen außer mir aber nur zwei weitere Menschen: Die Behauptung, NRW bzw. der WDR würden nun den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg "übernehmen", war also reiner Quatsch. Ich hatte beim Antritt meiner Arbeit dann aber einen großen Vorteil: Die meisten meiner dortigen Kolleginnen und Kollegen kannten mich aus dem Fernsehen, weil ich eben den "Kulturweltspiegel" moderierte, weil ich den "Weltspiegel" gemacht hatte usw. Insofern hatten sie Respekt vor mir als Profi. Und das hat mir das Leben dort doch sehr erleichtert. Lindenmeyer: Ihre Amtszeit beim Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg war gekennzeichnet durch viele Erfolge. Sie wollten zunächst einmal eine schlanke Rundfunkanstalt aufbauen, wollten also im Gegensatz zu den großen Rundfunkanstalten sehr vieles außer Haus in Auftrag geben. Wie entstand dieses Konzept, eine schlanke Rundfunkanstalt aufbauen zu wollen? Was versteht man darunter eigentlich ganz genau? Rosenbauer: Not macht einfach erfinderisch! In dem Moment, in dem man wenig Geld hat, muss man einfach schlank sein. Es kam hinzu, dass in dieser Phase, also zu Beginn der neunziger Jahre, die gesamte ARD erkannt hatte, dass man mit diesem doch sehr großen Apparat, den alle Anstalten hatten, auf Dauer nicht würde weitermachen können. Ich kam vom WDR, mein Verwaltungsdirektor ebenfalls, und gleichzeitig hatten unsere Kollegen ja große DDR-Erfahrung – Michael Albrecht wurde dann ja Fernsehdirektor des ORB. In der DDR hatte ja ebenfalls ein riesengroßer Apparat existiert. So kam es, dass wir damals von vornherein bestimmte Dinge gar nicht erst innerhalb des Senders gründen wollten und dann auch nicht gründeten. Es gab z. B. keine Fahrbereitschaft und es gab auch keine Dienstwagen – außer für den Intendanten. Wir haben uns also bestimmte Dinge gar nicht erst ins Haus geholt, sondern haben versucht, sie, wie das so schön heißt, auf dem Markt zu kaufen. Das hat funktioniert. Wir haben darüber hinaus auch nicht alle ARD-Standards eingehalten. Ich nehme an, die Techniker des Bayerischen Rundfunks, die jetzt zuhören, werden in Angst und Schrecken verfallen, denn wir haben damals gesagt: "Es muss nicht alles ganz exakt genau so sein, wie das der technische Direktor meinetwegen des Bayerischen Rundfunks oder des Westdeutschen Rundfunks für notwendig erachtet." Wir haben also mit sehr viel weniger Geld doch ganz ordentliche Bilder gemacht. Lindenmeyer: Das heißt, Sie hatten weniger Personal, haben viel improvisiert und haben Outsourcing betrieben, also freie Produktionsfirmen beauftragt. Rosenbauer: Genau. Und wir haben nicht mehr mit "Film" gearbeitet, denn wir haben uns von vornherein gesagt: "Film wird nur noch als Auftragsproduktion gemacht. Alles andere, was wir selbst vorhalten und machen, ist Videotechnik!" Im Hörfunk war es natürlich so, dass die Kolleginnen und Kollegen ohnehin gewohnt waren, selbst zu schneiden. Wenn Westbesuch kam und diese Kollegen aus dem Westen feststellten, dass es bei uns niemanden gab, der ihnen die Bänder schnitt, dann waren sie immer ganz erstaunt – gut, später wurde das alles ohnehin digitalisiert. Aber die ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen sagten dazu immer nur: "Ja, das machen wir hier bei uns schon länger so!" Lindenmeyer: Sie kamen ja von einer vergleichsweise reichen Rundfunkanstalt, nämlich vom Westdeutschen Rundfunk, und gingen dann nach Potsdam bzw. nach Babelsberg. Haben Sie sich denn innerhalb des Verbundes der ARD, also beim Zusammentreffen mit den mächtigen westdeutschen Rundfunkanstalten, gelegentlich nach dem Armenrecht behandelt gefühlt? Ich kann auch anders, positiver fragen: Woher kam denn Ihr Selbstvertrauen, Ihr Mut? Rosenbauer: Wir wollten es natürlich allen beweisen, das ist klar. Denn wir galten auf Seiten der Politik ja als ein illegitimes Kind der Rundfunkpolitik. Rudi Mühlfenzl begrüßte mich damals gleich freudig mit den Worten: "Euch gibt es gar nicht!" Lindenmeyer: Das war jener frühere Fernsehchefredakteur des Bayerischen Rundfunks, der dann in Berlin den alten DDR-Staatsrundfunk abwickeln musste. Rosenbauer: Genau. Rudi Mühlfenzl wie etliche andere waren also der Meinung, dass man uns gar nicht erst hätte gründen dürfen. Aber die Ostkollegen wollten zeigen, dass auch sie "nationales Niveau" hatten, sie wollten beweisen, dass sie mit den anderen mithalten können. Wir hatten unheimlich viele Superprofis in unseren Reihen. Man muss sich ja vorstellen, dass damals nur ganz wenige Leute wieder feste Arbeitsplätze fanden. In der ARD gab es, wie ich dann sehr schnell herausgefunden habe, auch einen Bonus für diese "Verrückten", die nun in Brandenburg versuchten, eine eigenständige Anstalt aufzubauen. Lindenmeyer: Sie waren quasi die "jungen Wilden". Rosenbauer: Ja, so ein bisschen. Auf der anderen Seite gab es aber auch Respekt davor, dass wir sehr schnell sehr professionell gearbeitet haben. Das war natürlich nicht mein Verdienst, sondern das all der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort in Brandenburg eben ihr Bestes gaben. Ich habe jedenfalls immer die Erfahrung gemacht: In der ARD zählt nicht unbedingt die Größe, sondern es zählt Gott sei Dank immer noch das Programm. Lindenmeyer: Wie stark hat Ihnen denn die Politik geholfen? Wie stark hat Ihnen damals der Ministerpräsident in Potsdam geholfen? Rosenbauer: Ich muss ja schon sagen, dass ich selbst relativ politikfern bin. Das heißt, ich war immer froh, wenn alle auf mir rumhackten, denn dann fand ich, dass wir gute Arbeit geleistet hatten. Manfred Stolpe hatte jedenfalls ein eher distanziertes Verhältnis zu mir. Das hatte sich zwischenzeitlich mal gelockert, dann aber... Lindenmeyer: Ihnen gegenüber oder generell dem Medium Fernsehen gegenüber? Rosenbauer: Gegenüber dem Medium nicht. Dies war nur in der Phase der Fall, als auch wir, sein Heimatsender, seine Stasi-Vergangenheit kritisch durchleuchtet haben. Das hat ihm natürlich nicht gefallen, aber das gehörte einfach zu unserem journalistischen Auftrag. In der Schlussphase der Fusion mit dem SFB fand ich, dass er zu schnell nachgegeben hat. Ich war der Meinung, er hätte, da wir die liquide Anstalt waren, während der SFB kurz vor dem Bankrott stand, heraushandeln müssen, dass der Sitz der Intendantin in Babelsberg zu sein hätte. Das hat er nicht gemacht und einige Zeit später trat er dann ja auch zu unser aller Überraschung als Ministerpräsident zurück. Lindenmeyer: Die heutige Intendantin Dagmar Reim, die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, pendelt zwischen Potsdam und der Masurenallee. Rosenbauer: Wobei man aber fairerweise sagen muss, dass die Hauptereignisse natürlich in der Hauptstadt Berlin spielen. Das wussten wir aber auch und deswegen haben wir uns ja auch sehr oft in Berlin herumgetrieben. Wir haben vor allem beim Hörfunk in Kooperation mit dem SFB viele Wellen gemeinsam veranstaltet. Dies durften wir und das war auch zum beiderseitigen Vorteil. Lindenmeyer: Sie haben die Überprüfung der Stasi-Vergangenheit von Mitarbeitern, die eingestellt werden sollten, soeben angesprochen. Einige Rundfunkanstalten hatten damit ganz große Probleme: der mitteldeutsche Rundfunk, aber eben auch der ORB. Wie sind Sie damit umgegangen? Und was waren Ihre Erfahrungen mit den Ergebnissen dieser Überprüfungen? Rosenbauer: Die Ergebnisse, das haben wir dann doch recht schnell gemerkt, waren halt immer nur Zwischenergebnisse. Es waren viel weniger Belastungen dabei, als wir befürchtet hatten. Einige Prominente waren jedoch betroffen wie z. B. einer unserer besten Hörfunkmoderatoren, nämlich Lutz Bertram: ein blinder Moderator, der ein Genie war und es vielleicht immer noch ist, aber leider ist er nicht mehr zu hören. Lindenmeyer: Er war auf jeden Fall ein Publikumsliebling. Rosenbauer: Ja, er war wirklich toll. Er hatte eine Sprache, wie ich sie bei keinem anderen Hörfunkmoderator kenne. Das war eine Mischung aus Prenzlauer- Berg-Slang und Klassik, um es mal plakativ auszudrücken. Das erwischte uns schon recht hart. Und es traf dann auch noch einige andere. Aber insgesamt war da nichts so Dramatisches mit dabei, dass – außer in ein oder zwei Fällen – dabei wirklich Menschen beschädigt worden wären. Was mich immer sehr, sehr nachdenklich gestimmt hat, waren einzelne Fälle im Zusammenhang mit sehr jungen Menschen. Wenn mir die Kleine Kommission, die die Überprüfung dieser Ergebnisse vornahm – das war ein evangelischer Geistlicher, der Personalchef und der Vorsitzende des Personalrates –, eine Empfehlung gab, dann bin ich dieser Empfehlung auch gefolgt. Aber wenn sich diese Kommission nicht einig war, dann musste ich das entscheiden. Wenn es da z. B. um eine Sekretärin ging, die sich damals im Alter von 18 Jahren mit der Stasi eingelassen hatte und nun deswegen entlassen werden sollte, dann hatte ich dabei doch meine Probleme – und bin in ein oder zwei Fällen dann auch tatsächlich nicht dem Votum der Kommission gefolgt. Lindenmeyer: Wer hat Sie denn bei diesen Gewissensentscheidungen persönlich beraten? Haben Sie das einsam mit sich selbst abgemacht oder haben Sie Rat gesucht bei einem Menschen, der Ihnen nahestand? Rosenbauer: Ich habe immer mit dem jeweiligen zuständigen Direktor gesprochen. Mit Hannelore Steer, die damals Hörfunkdirektorin war und es heute ebenfalls ist, war das eine sehr kluge Ostfrau; auch Michael Albrecht ist mir dabei mit Rat und Tat zur Verfügung gestanden, auch Christoph Singelstein, also jemand, der aus der Bürgerbewegung kam usw. Ich musste dabei jedoch sehr vorsichtig sein, denn da ging es ja um vertrauliche Daten. Und letztlich muss man so etwas dann eben immer mit sich selbst ausmachen. Lindenmeyer: Ich habe vorhin von Ihren Erfolgen gesprochen, deshalb sollten wir diese Erfolge auch kurz erwähnen. Das war natürlich das große Programm "Antenne Brandenburg", das viel gehört wurde! Das war das Jugendradio "Fritz" und - das lag Ihnen besonders am Herzen - "Radio Kultur". Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben ja einen dreifachen Auftrag: Bildung, Information und Unterhaltung. Es wird heute gelegentlich angemahnt, dass der Kulturauftrag in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten unterrepräsentiert sei. Sie werden dem natürlich widersprechen. Was lag Ihnen denn innerhalb dieses dreifachen Auftrags besonders am Herzen? Rosenbauer: Tja, also, ich sage Ihnen mal mein persönliches Hörfunkverhalten. Ich höre Inforadio, weil ich mich schnell informieren möchte; ich höre, wenn ich eher leichtes, alternatives Programm hören möchte, "radioeins", das ein sehr erwachsenes, nicht so am Mainstream orientiertes Programm ist; und ich höre "Kulturradio". Das ist also das, was auf meiner Skala vorne eingestellt ist. Ich habe jedoch meine Probleme mit den aus Quotengründen – die Medienanalysen sind ja gerade wieder erschienen –, mit den aus Marktgründen verkürzten Programmelementen, um das mal ganz vorsichtig auszudrücken. Lindenmeyer: Das heißt, Sie sind skeptisch gegenüber der Entwicklung nach dem Motto: "Alles immer schneller, alles immer kürzer." Rosenbauer: Ja. Ich hätte zumindest gerne eine Welle im Radio, wo meine Geduld strapaziert wird. Lindenmeyer: Sie wollen also ein Zuhör-Radio. Rosenbauer: Ja. Wir hatten in den letzten Jahren der Kooperation zwischen ORB und SFB folgenden Versuch gemacht und gesagt: "Wir machen mit 'Radio 3' eine Kulturwelle, die in erster Linie Musik spielt und Information dazu gibt. Da wird die Musik ausgespielt, da muss nicht noch schnell zwischendurch ein Häppchen serviert werden." Daneben gab es dann noch "Radio Kultur", das eben eher Mainstream-Kulturprogramm war. Beide waren jedoch nicht sehr erfolgreich und tun sich jetzt nach der Fusion natürlich sehr schwer. Meine Überzeugung sieht jedenfalls ganz klar so aus: Wenn nicht in den Kulturprogrammen bestimmte Maßstäbe hinsichtlich des Anspruchs gesetzt werden, dann gibt es keine Maßstäbe mehr. Denn wenn die Kultur keinen Maßstab mehr setzt, dann gibt es diesen Maßstab nirgends mehr. In der Gesellschaft selbst ist es ja genauso: Wo soll der Maßstab denn herkommen? In der Wirtschaft nennt man das ja so schön Benchmarking. Ich denke jedenfalls, die Kulturprogramme sind das Benchmarking der Medien überhaupt. Lindenmeyer: Die Kultur hat Sie ein Leben lang beschäftigt. Ich gehe mal ein Stück weit in Ihrer Biographie zurück: Sie haben Germanistik, Politik und Soziologie in Frankfurt und New York studiert. Wie kam es zu diesem Ausflug nach New York? Das lief wohl über ein Stipendium? Rosenbauer: Ich bin ja 1941 geboren und im Westen, in der amerikanischen Zone aufgewachsen. Für mich waren die USA daher natürlich das Land der Träume: Dort wollte man hin! Ich hatte gerade in Frankfurt am Main mit dem Studium angefangen, als ich mich auch gleich um ein Fulbright-Stipendium beworben und es auch bekommen habe. Lindenmeyer: Waren Sie so gut oder wurde das ausgelost? Rosenbauer: Man musste sich bewerben und dann vor einer Kommission sprechen. Ich wurde damals von dieser Kommission gefragt, was ich denn studiere und später werden möchte. Ich sagte, dass ich später Journalist werden möchte. Die Frage lautete dann – ich nehme an, das war die Fangfrage: "Was ist Ihrer Meinung nach die beste Zeitung in Deutschland?" Ich sagte: "Die Süddeutsche Zeitung!" Ich wurde darauf von einem der Amerikaner in dieser Kommission gefragt, warum ich dieser Ansicht sei. Ich antwortete: "Weil sie am vielfältigsten, am pluralsten berichtet." Offensichtlich war das die richtige Antwort gewesen und so bekam ich dieses Stipendium. Nach dem dritten Semester reiste ich also zum ersten Mal in die USA. Dort bin ich in meinen Auslandssemestern schon auch ein Stück weit sozialisiert worden. Lindenmeyer: Was meinen Sie mit "sozialisiert"? Fastfood und Cola? Oder meinen Sie damit etwas anderes? Rosenbauer: Ich war erstens an einem kleinen College in New York. Dort erlebte ich, wie ein verschulter Universitätsbetrieb aussah. Darüber hinaus war ich dort mit relativ jungen Amerikanern zusammen. Ich hatte ja nach dem Abitur bereits drei Semester studiert, während sie nach ihrem High School-Abschluss z. T. gerade mal 18 Jahre alt waren. Lindenmeyer: Das war auch eine Campusuniversität. Rosenbauer: Genau. Dort lernte ich auch in der Tat auf einmal die Vielfalt von Speisen und Getränken kennen. Und ich lernte auch Talkshows kennen: Ich verstand gar nicht, warum die Leute dort jede Nacht Johnny Carson im Fernsehen guckten. Ich fand das irgendwie seltsam – nicht ahnend, dass ich selbst auch mal eine Talkshow machen würde. Und ich habe dort, wenn man so will, eben auch den Versuch kennengelernt, aus verschiedenen Völkern, Herkünften, Nationen, Ethnien ein Land zu schmieden. Das war dieser melting pot, der allerdings auch damals und dort schon nicht so recht funktionierte. Ich glaube, ich bin auch ein Stückchen lockerer geworden durch meine Zeit in den USA. Lindenmeyer: Und Sie haben dort wohl auch ein bisschen das Understatement gelernt. Konnten Sie denn mit dem wenigen Geld, das man als Student hatte, in den USA auch herumreisen? Rosenbauer: Ja, mit dem Greyhound – 99 Dollar für 99 Tage! – einmal quer durch die USA. Ich bin immer möglichst in der Nacht gefahren, damit ich mir die Hotelkosten sparen konnte. Ab und zu leistete ich mir dann ein sogenanntes Homestay, also eine private Unterkunft. Das war sehr lehrreich. Ich lernte dabei die große Gastfreundschaft der Amerikaner kennen: Die armen, sehr konservativen und eher fundamentalistisch eingestellten US-Amerikaner sind ja unglaublich gastfreundlich. Erstaunt musste ich dabei bestimmte Einstellungen dieser Menschen zur Kenntnis nehmen wie z. B. gegenüber der Krankenversicherung. Sie waren der Ansicht, das sei "Teufelswerk", weil einem das die eigene Freiheit nähme – auch wenn sie zu Hause zwei schwer kranke Kinder in der Familie hatten. Das konnte ich nicht so richtig nachvollziehen. Ich muss aber noch etwas anderes erwähnen, was ich in den USA als doch eher kritischer junger Deutscher gelernt habe: Ich habe plötzlich das westdeutsche, das bundesrepublikanische System verteidigt, und zwar in einer so vehementen Weise, wie ich mir das vorher nie hätte vorstellen können. Lindenmeyer: Sie haben dann mit summa cum laude promoviert, und zwar mit einer Doktorarbeit über Bert Brecht und den Behaviorismus. Rosenbauer: Ja. Lindenmeyer: Wie kam es denn dazu? Brecht hatte ja erst einige Jahre davor in den USA vor dem McCarthy-Ausschuss gestanden: War es denn Ihren amerikanischen Gastgebern nicht etwas unheimlich, dass da ein Brecht- Experte kommt? Rosenbauer: Mein "Gastgeber", also mein Doktorvater Volkmar Sander, war selbst Deutscher, der bereits in den späten fünfziger Jahren in die USA gegangen war. Er war zwar kein Brecht-Spezialist, aber einer meiner Professoren in Frankfurt, Reinhold Grimm, war Brecht-Spezialist, und durch den bin ich in die USA gekommen. Nein, die Amerikaner fanden das sogar hoch interessant. Das war ja eine Zeit, in der gerade in New York doch aufrührerische Studenten am Werke waren. Der Campus der Columbia State University wurde von Studenten besetzt und Marcuse hielt seine Vorträge, in denen er zum großen Erstaunen der eher militanten Studenten sagte, wenn man sich der Waffen des Feindes bediene, dann werde man wie der Feind. Marcuse meinte also, Militanz sei der verkehrte Weg, was diese Studenten jedoch gar nicht so gerne hörten. Lindenmeyer: Sprach Marcuse auf Deutsch oder auf Englisch? Rosenbauer: Auf Englisch. Auf Brecht und den Behaviorismus war ich gekommen, weil ich als Gast in einem Seminar an der Columbia eine Arbeit über das Geschichtsbild von Bertolt Brecht geschrieben hatte. Dabei hatte ich festgestellt, dass er von marxistischen Kritikern getadelt worden war, weil er eine sogenannte materialistische Psychologie vertrat, nämlich die Psychologie von Watson, den Behaviorismus. Damit habe ich mich dann näher beschäftigt. Damit hatte sich vor mir freilich noch keiner beschäftigt und deswegen wurde das Ganze dann sogar zu einem Buch. Lindenmeyer: Nach all dem, nach dem Studium, nach der Promotion, nach dem Buch begannen Sie eigentlich eine klassische journalistische Karriere zunächst bei den Printmedien, also bei Zeitungen. Wissen Sie noch, worüber Sie in diesen frühen Jahren geschrieben haben? Rosenbauer: Lassen wir mal meine Zeit bei unserer damaligen Schülerzeitung am Gymnasium, der "Kladde", außen vor - ich war "selbstverständlich" Chefredakteur dieser Schülerzeitung an der Thielemann-Schule in Limburg an der Lahn gewesen. So richtig in einer Zeitung geschrieben habe ich dann zum ersten Mal über ein Fußballspiel in der B-Klasse. Ich hatte nämlich herausgefunden: Man konnte relativ einfach Geld verdienen, wenn man etwa zehnzeilige Reportagen über örtliche Amateurfußballspiele schrieb. Ich habe also sehr viel für Lokalzeitungen gearbeitet. Lindenmeyer: Das war alles im nordrhein-westfälischen Raum. Rosenbauer: Nein, in Hessen, in Limburg an der Lahn. Und dann habe ich natürlich auch bei der Studentenzeitung "Diskus" in Frankfurt mitgemacht. Das war in wirklich wilden Zeiten, als wir Bazon Brock und Günter Grass auf den Rückseiten dieses Blattes hatten. Danach habe ich bei der "Frankfurter Rundschau" als freier Mitarbeiter ernsthafter an der Zeitung gearbeitet. Ich kann mich aber nicht mehr daran erinnern, worüber ich meine erste Kritik geschrieben habe. Ich habe jedenfalls sehr viele Theaterkritiken geschrieben. Lindenmeyer: Damals ging es dieser Zeitung noch besser und sie konnte vermutlich auch ein besseres Zeilenhonorar als heute bezahlen. Rosenbauer: Sie hat ein miserables Zeilenhonorar bezahlt! Und der Feuilletonchef verdonnerte einen, bevor er einem gnädig eine Karte für eine Theaterpremiere gab, immer dazu, mit ihm ungesüßten schwarzen Tee zu trinken, der kalt war. Schon damals war also das Leben freier Journalisten wirklich hart. Lindenmeyer: Was haben Sie denn ab 1969 Ihren Mitarbeitern angeboten, als Sie dann in der Redaktion von "Titel Thesen Temperamente" des hessischen Rundfunks im Fernsehen gearbeitet haben? Gab es da Kaffee? Oder gab es da hauptsächlich amerikanische Getränke? Rosenbauer: Hm, was gab es da? Da gingen wir in die Kantine und tranken Äbbelwoi oder so etwas. Nein, das waren einfach andere Zeiten damals. In derselben Redaktion damals waren auch Klaus Bednarz und Eva Demski, die Schriftstellerin. In dieser Zeit machten wir jedenfalls noch sehr viele Beiträge selbst. Wir waren also produzierende Redakteure und setzten gegen unseren Chef Kurt Zimmermann sogar durch, dass wir nach einer Weile unsere Beiträge selbst sprechen durften. Denn das war damals einfach noch nicht üblich. Lindenmeyer: Damals gab es noch dieses Kastenwesen von Moderatoren, Redakteuren, Sprechern, Korrektoren usw. Rosenbauer: Wir durften damals jedenfalls auch immer für den Schriftsteller Peter Härtling die Moderationen vorbereiten für eine Sendung, die er im dritten Programm machte. Das ging so lange, bis er eines Tages nach einer Sendung zu mir kam und sagte: "Das können Sie doch selber machen!" Ich konnte ihm da nur antworten: "Sagen Sie das mal meinem Chef!" Lindenmeyer: Peter Härtling, ein schwäbischer Schriftsteller im hessischen Rundfunk! Wie ging das in Bezug auf die Sprache? Rosenbauer: Na ja, Hessen ist ein liberales Land – gewesen. Damals musste man übrigens, das ist eine große Veränderung gegenüber heute, noch Hochdeutsch sprechen können, wenn man beim Hessischen Rundfunk moderieren wollte. Inzwischen muss man auch dort, genauso wie in anderen Rundfunkanstalten, doch eher einen heimischen Anklang in der Sprache haben. Ich habe mir das damals jedenfalls noch mühsam abgewöhnt und bin heute noch nicht ganz so sicher, was z. B. die weichen "g" am Anfang von Wörtern betrifft. Ganz gelegentlich rutscht mir daher auch noch ein "ch" raus, wenn es eigentlich ein "sch" sein sollte. Lindenmeyer: Nach "Titel Thesen Temperamente", einer Sendung, die es ja heute noch gibt... Rosenbauer: Ja, und jetzt hat dieser Titel sogar noch alle anderen Kulturmagazine übernommen. Lindenmeyer: Ja, vom Titel her. Rosenbauer: Ja, das stimmt. Lindenmeyer: Sind Sie stolz darauf, wenn so ein Titel über so viele Jahrzehnte auf Sendung bleibt? Rosenbauer: Ja, doch. Ich finde diese Sendung ja schrecklich angestaubt, aber manchmal ist das Angestaubte eben doch wieder progressiv und modern. Lindenmeyer: Haben Sie denn noch ein Rest von Heimatgefühl, wenn Sie sich diese Sendung anschauen? Rosenbauer: Ja, das hat natürlich mit meinen eigenen Anfängen zu tun. Aber ich finde doch, dass die meisten Kulturmagazine – egal wie sie hießen und heißen – ein bisschen zu sehr mit der Wurst nach der Speckseite werfen. Lindenmeyer: Was heißt das? Rosenbauer: Man macht einfach gerne populäre Sachen, ein bisschen Boulevard, ein wenig Privatstorys, ein bisschen Sex und nimmt einen reißerischen Titel, damit man das Publikum zuerst einmal "hält", wie man meint. Ich finde aber, dass das auf Dauer nicht der richtige Weg ist. Nun gut, wenn man das nicht mehr selbst macht und nicht mehr am nächsten Tag die Einschaltquoten auf dem Tisch liegen hat, dann ist man da vielleicht ein bisschen großzügiger. Lindenmeyer: Haben Sie sich denn später als Intendant stärker eingemischt in die inhaltliche Debatte über das Niveau, über die Qualität, über das Profil von Sendungen? Rosenbauer: Nun, wir sprechen ja jetzt vom ORB und dem dortigen dritten Programm. Ich habe damals den Kolleginnen und Kollegen gesagt: "Bis 22.00 Uhr versuchen Sie bitte, doch einen erkennbaren, messbaren Teil des Publikums zu gewinnen. Nach 22.00 Uhr dürfen Sie elitär sein." Lindenmeyer: Mit "elitär" meinten Sie, dass ab 22.00 Uhr das Programm inhaltlich ambitionierter war als in der Zeit davor. Rosenbauer: Ja. Denn wir wussten einfach: Um 22.00 Uhr geht der Brandenburger ins Bett. Es bleiben dann nur noch diejenigen, die nicht ins Bett gehen. Das sind nicht so viele. Und wir haben noch die Hauptstadt, also Berlin. Da wir über Satellit ausgestrahlt wurden, gab es natürlich auch noch ein Publikum in anderen Teilen Deutschlands – und auch Europas, wie wir ja alle wissen. Es gab da z. B. sehr wohl ein filminteressiertes Publikum, und der ORB hatte auch wirklich eine brillante Filmredaktion, die dann eben alles, was in der ARD an Filmklassikern nur mehr nach 0.00 oder nach 1.00 Uhr nachts läuft, so um 22.00 Uhr herum brachte. Und das hat uns doch eine sehr dankbare Zuschauerschaft beschert. Auch beim Hörfunk war ich der Meinung, ich möchte zu einer normalen Zeit auch ein Programm hören, das mir gefällt. Ich habe zu meinen Hörfunkkolleginnen und -kollegen immer gesagt: "Leute, können wir uns ein Programm leisten, das wir selbst hören würden?" Lindenmeyer: Ich habe vor vielen Jahren mal einen Kollegen in einer Rundfunkanstalt erlebt, der furchtbar gejammert hat über eine bestimmte kommerzielle Veranstaltung. Er legte mir das dazugehörige Plakat vor und zeigte mir, dass unten auf dem Plakat sogar sein eigener Name stand. Ich sagte also zu ihm: "Du bist doch sogar verantwortlich dafür!" "Ja, das ist ja das Schlimme!" Das heißt, das ist dieser gewisse Zynismus von Medienmachern. Rosenbauer: Wer hat doch gleich wieder diesen Satz gesagt: "Ich unterhalte mich doch nicht unter meinem Niveau!"? Das Ganze ist natürlich schwierig, das wird Ihnen als Hierarch ja genauso gegangen sein: Man weiß, dass man, um ein Programm insgesamt erhalten zu können, gelegentlich Kompromisse machen muss. Ich bin auch nicht so elitär, dass ich glaube, man sollte nur für Leute Programm machen, die ganz oben im intellektuellen Spektrum angesiedelt sind. Wir haben ja immer wieder Untersuchungen gemacht z. B. über das Publikum des "Kulturweltspiegels" – übrigens auch des "Weltspiegels". Wir haben dabei festgestellt, dass sehr viel mehr Menschen ohne Abitur diese Sendungen anschauten, weil sie sich dort informieren wollten – während Sie und ich ohnehin alles wissen und daher diese Sendung quasi gar nicht mehr anschauen müssen. Man darf also nicht unterschätzen, dass die Art der Präsentation auch von anspruchsvollen Themen mit ausschlaggebend dafür ist, wie das rezipiert wird. Lindenmeyer: Um das mal kommerziell auszudrücken: Man kann den Markt sehr wohl verändern, man kann ihn fördern und fordern. Rosenbauer: Ja, man kann einfach in der Tat bestimmte Inhalte so transportieren, dass es einem gelingt, damit Menschen zu erreichen, die man ansonsten nicht erreichen würde. Aber was machen z. B. Theater und Schriftsteller anderes, seit es sie gibt? Lindenmeyer: Es geht darum, das Publikum faszinieren zu wollen, erreichen zu wollen. Rosenbauer: Ja, man darf einfach nicht langweilig sein. Das Publikum ist ja nicht blöd, die Leute merken sehr wohl, wo man ihnen etwas vormacht, wo sie nur Fastfood bekommen. Und sie merken auf der anderen Seite eben auch, wo Qualität ist. Ich glaube daher, dass es auf jeden Fall nicht schadet, wenn eine unterhaltsame Sendung auch Qualität hat. Lindenmeyer: Wie haben Sie das umgesetzt in den weiteren Berufen, die Sie hatten? Sie waren nämlich auch in Bonn und haben dort politische Berichterstattung gemacht. Und Sie waren, wie ich bereits zu Beginn unserer Sendung erwähnte, Auslandskorrespondent der ARD in Prag. Das war damals noch in den Zeiten der kommunistischen Tschechoslowakei. Dort hatten Sie jedenfalls nicht diese großen "Abstimmungsprobleme" – na, vielleicht doch. Aber Sie hatten diese Probleme zumindest nicht vor Ort. Sie haben ja mit Prag aus einem schwierigen Umfeld berichtet. Rosenbauer: Um es mal ganz banal handwerklich auszudrücken: Ich bin der festen Überzeugung, dass bei einem Hörfunkbeitrag, bei einem Fernsehbeitrag der Einstieg den Grundton und das Interesse setzt. Wenn man dem Publikum mit dem ersten Bild, mit dem ersten Satz keinen Anreiz bietet, dann stehen die Chancen gut, dass der Zuschauer oder Zuhörer das Interesse verliert. Einer der letzten Filme, den ich für die ARD gemacht habe, war ein Beitrag zu "Bilderbuch Deutschland", nämlich über Potsdam. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich diesen Film anfangen könnte. Und irgendwann fiel mir ein, wie ich das machen werde. Der erste Satz lautete also: "Es gibt Visionen, die entstehen im Morgengrauen und manchmal werden sie Realität. Potsdam ist eine solche Vision, geträumt von..." Das ist ein Satz, der einen erst einmal reizt. Als ich in Prag Auslandskorrespondent war, wo man über alles berichten konnte nur nicht über Kultur, denn das war ja "der Widerstand", habe ich eben versucht, das alltägliche Prag, das alltägliche Leben in der Tschechoslowakei zu zeigen. Ich habe das damals auch in einem Magazin gemacht, das den Titel "Prager Notizen" trug. Ich wollte einfach für die "Tagesschau" möglichst bildhaft sein. Das ist mir manchmal gelungen, manchmal nicht. Lindenmeyer: Wie stark ist denn für einen Auslandskorrespondenten die Verführung, sich selbst in Szene zu setzen, sich selbst ins Bild zu bringen? Rosenbauer: Wir sind natürlich alle eitel und natürlich wollen wir immer gerne unseren "Aufsager" in der "Tagesschau" haben. Der wurde uns jedoch häufig rausgeschnitten, worüber wir selbstverständlich empört waren. Als ich dann später Auslandschef des WDR war, bekam ich hin und wieder Anrufe von Kollegen im Ausland – sie konnten damals ja die "Tagesschau" noch nicht empfangen im Ausland –, bei denen sie mich fragten: "Und? War ich drin?" Ich konnte dann immer nur sagen: "Ich glaube nicht, aber der Beitrag war gut!" In Bonn bei Friedrich Nowottny haben wir jedenfalls auch immer versucht, entsprechende Bilder zu finden für politische Vorgänge. Ein Beispiel: Es gab damals die berühmte konzertierte Aktion zwischen Gewerkschaften und Unternehmern. Sie fuhren bei den Treffen immer in ihren Limousinen vor, aber das kannte man natürlich schon alles. Ich stand dort als Reporter und wir drehten. Ich habe dann für den Bericht zwei Szenen als Einstieg gewählt: den Gewerkschafter, der damals im Auto ankam, vorne saß und mit einem zerknitterten Anzug ausstieg; und den Sprecher der Unternehmerverbände, der ebenfalls mit dem Auto kam, aber hinten saß und dem der Chauffeur beim Öffnen der Autotür das knitterfreie Jackett reichte. Inzwischen machen das Gewerkschaftsbosse auch nicht anders. Damals jedoch war das meiner Meinung nach symbolhaft, um die beiden Seiten zu zeigen. Ich bin ja nicht zufällig vom Hörfunk zum Fernsehen gewechselt: Mich hat nämlich immer die Möglichkeit des Bildes interessiert und gereizt. Lindenmeyer: Das Bild, das weitergeht und manchmal mehr zeigen kann als ein Wort. Rosenbauer: Und das man möglichst nicht total zutexten sollte. Lindenmeyer: Sie wurden dann, Sie haben das Wort vorhin selbst verwendet, ebenfalls ein Hierarch, denn Sie leiteten den Programmbereich Kultur, Wissenschaft und Bildung im Westdeutschen Rundfunk. Diese Zeit überspringen wir jetzt mal, denn das ist für unser Publikum nicht so interessant. Interessant ist hingegen, dass Sie auch den "Weltspiegel" moderiert haben. Sie präsentierten aber auch den "Kulturweltspiegel" und haben dann, wenn ich mich nicht täusche, zusammen mit der Kollegin Jaqueline Stuhler einen "Kinderweltspiegel" präsentiert. Das waren damals sehr mutige Versuche, die Welt den Allerjüngsten im Publikum nahebringen zu wollen. Wie waren Ihre Erfahrungen damit nach den ersten Widerständen? Rosenbauer: Heutzutage würde man so etwas ganz einfach "branding" nennen. Das heißt, wir haben gesagt: "Da gibt es eine Marke, die ist eingeführt und die benützen wir jetzt und wir benützen auch das Korrespondentennetz, das wir haben, um andere Gruppen zu erreichen!" Beim "Kinderweltspiegel" hatten wir dafür einen sehr guten Partner, nämlich den kürzlich verstorbenen Dieter Saldecki, der damals im Kinderprogramm arbeitete und der bis vor einiger Zeit auch noch "Schloss Einstein", dieses wöchentliche Magazin im Kinderkanal, betreut hat. Saldecki schaffte es jedenfalls mir beizubringen, wie Jaqueline Stuhler und ich, ohne dass wir dafür eine Kindersprache benutzt hätten, Dinge doch so formulieren konnten, dass sie von einem jüngeren Publikum aufgenommen wurden. Wenn man selbst Kinder hat, dann ist einem ja nicht völlig unbekannt, wie man mit Kindern sprechen könnte. Das Einzige, das ich wirklich schwierig fand, war Folgendes: Die Kinderredaktion im WDR, die auch die "Sendung mit der Maus" produziert, hatte die Manie, alles in diesem "Maus-Ton" erklären zu wollen. Diesen Duktus, "Hier ist ein Auto! Und jetzt gucken wir mal, wie das Auto fährt! Das Auto fährt auf vier Rädern!", den habe ich nicht geschafft und auch nicht gewollt. Aber wir haben doch versucht, die Welt ganz einfach so in die Wohnstuben zu bringen, dass die Kinder mitbekommen konnten, wie andere Kinder anderswo auf der Welt leben oder wie bestimmte Probleme auf der Welt behandelt werden. Lindenmeyer: Sie mussten dann aber regelmäßig umschalten in Ihrem Stil, denn zeitgleich machten Sie auch die Sendung "Rosenbauer im Gespräch". Das war dann eine klassische Talkshow. Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich dabei an das erinnert haben, was Sie in den USA gesehen hatten. Rosenbauer: Ich hatte ja in den siebziger Jahren schon einmal das Vergnügen bzw. das Leid gehabt, eine Talkshow zu moderieren, nämlich in der Nachfolge von Dietmar Schönherr die Sendung "Je später der Abend". Das war eine Nummer zu früh für mich gewesen: Ich war noch relativ jung und wurde auch nicht so gut damit fertig, dass mich nach jeder Sendung – damals gab es in der gesamten ARD ja nur diese eine Talkshow – die "Bild-Zeitung" mit einer Schlagzeile "geehrt" hat. Da hieß es dann z. B.: "Hitlers Photographin in Tränen" – gemeint war Leni Riefenstahl. Das war nicht so ganz mein Ding. Aber ich habe dabei viel gelernt und später, in dieser zweiten Talkshow, habe ich dann eben versucht, genau das zu machen, was wir beide hier in dieser Sendung jetzt auch machen: Ich habe in einer eins zu eins Situation im Gespräch mit Menschen versucht, nicht nur etwas über diese Menschen zu erfahren, sondern von ihnen auch eine Weltsicht zu hören, von ihnen bestimmte Entwicklungen der Gegenwart ein bisschen kritisch reflektiert zu bekommen. Das hat mir, wie ich sagen muss, großen Spaß gemacht. Lindenmeyer: Sind Sie denn auch einmal an einem Gesprächspartner gescheitert? Rosenbauer: Ja, an Kurt Masur. Lindenmeyer: Das ist der große Dirigent und ehemaliger Chef des Leipziger Gewandhausorchesters. Rosenbauer: Erstens war er nur schwer zu bekommen, zweitens kam er eine Stunde zu spät, drittens wollte er nicht in die Maske, sah aber verheerend aus, und viertens wollte er nicht über die DDR sprechen. Erst als das Gespräch dem Ende zuging, hatte er verstanden, dass ich nicht irgendein hergelaufener Journalist war, sondern mich gut vorbereitet hatte. Da wollte er dann noch ein bisschen sprechen, aber da war es bereits zu spät dafür. Diese Erinnerung ist in mir noch ziemlich lebendig und ich glaube, wir würden selbst dann keine Freunde mehr werden, wenn wir das noch einmal versuchen würden. Lindenmeyer: Sprechen wir nun ein paar Takte über die heutige Lage. Sie sind Mitglied im Aufsichtsgremium, nein, im Medienrat des RBB. Rosenbauer: Nein, das ist noch viel komplizierter: Der Medienrat Berlin-Brandenburg ist die Landesmedienanstalt für Berlin und Brandenburg. Lindenmeyer: Sie sind im Aufsichtsrat der Landesmedienanstalt Berlin. Jetzt habe ich das richtig formuliert. Ich bitte um Nachsicht. Rosenbauer: Ja, unser großer Vorsitzender ist Professor Ernst Benda, noch bekannt als ehemaliger Innenminister und Vorsitzender des Bundesverfassungsgerichts usw. Wir sind ein siebenköpfiges Gremium, wir kontrollieren dort die Privaten und vergeben Lizenzen. Lindenmeyer: Fällt Ihnen das schwer, nach einem ganzen Berufsleben in einer öffentlich- rechtlichen Rundfunkanstalt zu wechseln und nun plötzlich zuständig zu sein für die Vergabe von Frequenzen an private, an kommerzielle Anbieter? Rosenbauer: Ich finde das sehr reizvoll. Ich muss auch sagen, dass ich das durchaus nicht als "letzte Karrierestufe" betrachte, aber es ist wirklich spannend zu beobachten, wie sich die Medienlandschaft dramatisch verändert. Es ist spannend zu versuchen, ein bisschen darauf Einfluss zu nehmen – was jedoch nur marginal möglich ist. Da ja der Hörfunk auch des ORB bis auf eine Welle Werbung betrieben hat, Werbung immer mit dazugehörte, wir also auch damals bereits immer ein bisschen in der kommerziellen Welt spielten – wie das ja die ARD und das ZDF ebenfalls machen –, ist mir das nicht ganz so fremd. Ich war sogar einmal für kurze Zeit in Doppelfunktion Werbegeschäftsführer des ORB. Jetzt dort zu sitzen und die andere Seite zu sehen, ist sehr, sehr spannend. Ich bekomme nun mit, dass die privaten Fernseh- und Hörfunkveranstalter möglicherweise sogar Recht haben, wenn sie sagen: "Wir können nur dann aus diesem Einheitsbrei ausbrechen, wenn uns erlaubt wird, Senderfamilien zu bilden, wie das bei den Öffentlich-Rechtlichen der Fall ist! Wenn man uns also erlaubt, zwei, drei oder gar vier Frequenzen zu haben, dann können wir uns auch eine Welle leisten, die ein anderes Spektrum bedient." Lindenmeyer: Sie sind u. a. Professor an der Kunsthochschule in Köln. Rosenbauer: Ja, auch das noch! Lindenmeyer: Können Sie denn in der kurzen, verbleibenden Zeit sagen, was Sie da eigentlich machen? Rosenbauer: Ich bringe dort jungen Menschen bei, wie sie gute Dokumentationen, Dokumentarfilme machen, wie sie vernünftige Gespräche und Interviews führen. Meine Studenten werden sich also unsere Sendung hier ganz genau angucken, weil es sie interessiert, wie das war zwischen Ihnen und ihrem Herrn Professor. Und ich bringe ihnen ein bisschen was bei über Medien und Ethik. Lindenmeyer: Was sind Ihre nächsten Projekte? Rosenbauer: Das nächste Projekt besteht darin, dass ich mal versuche, ein dickes Gartenbuch zu lesen, weil wir nämlich ein Grundstück in der Prignitz erworben haben. Das ist eine schöne Gegend in Brandenburg, ganz in der Nähe der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern. Ich möchte dort endlich das tun, was die Menschen angeblich viel glücklicher macht als alles andere, nämlich ein bisschen Gärtner sein. Lindenmeyer: Da müssen Sie also selbst umgraben? Rosenbauer: Das Umgraben lasse ich lieber, denn das würde mein Rücken nicht mehr aushalten. Da möchte ich doch noch lieber ein bisschen Golf spielen als mir beim Umgraben meinen Rücken ganz zu ruinieren. Lindenmeyer: Das war Hansjürgen Rosenbauer, der frühere Intendant des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg, heute Kunstprofessor und vieles mehr. Herzlichen Dank für das Gespräch. Sie haben widerlegt, was Ephraim Kishon einmal gesagt hat: Journalisten seien Schriftsteller, die keine Geduld hätten. Herzlichen Dank. Rosenbauer: Auch Kishon hat nicht immer Recht. Lindenmeyer: Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.

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