Deutscher – 14. Wahlperiode – 248. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Juli 2002 25191

Gerhard Schüßler (A) ten, einen sorgfältigeren Umgang miteinander. Das wün- Ich glaube, dass wir dies an einer einfachen Fragestel- (C) sche ich auch all denjenigen, die ihre freien Volksvertre- lung sehr deutlich zeigen können. Sie haben sich in Ihren ter wählen. Diesen Wunsch möchte ich zum Schluss an Fragen um Wasserversorgung, Telekommunikation, Ener- das neue Parlament richten, dessen Arbeit ich mit Inte- gie, Abfall, Verkehr, Transportwesen, Steuerpolitik und resse verfolgen werde. auch um das Kreditwesen gekümmert. Man muss sich aber einmal fragen, ob nicht Gemeinwohlverpflichtun- Danke schön. gen auch dort bestehen müssen, wo man sich um die Ar- (Beifall im ganzen Hause) beit selbst kümmert. Die private Wirtschaft hätte die Auf- gabe, sich um Arbeit für alle zu kümmern. Vizepräsident Dr. : Herr Kol- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. lege Schüßler, ich möchte Ihnen im Namen des ganzen Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/ Hauses für die vielen Jahre erfolgreicher und kollegialer DIE GRÜNEN]) Zusammenarbeit danken. Wir wünschen Ihnen für die Genau an dieser essenziellen Stelle versagt die private kommenden Jahre alles Gute und viel Erfolg. Wirtschaft und erwartet anschließend vom Staat, dass er (Beifall) diese Lücken schließt. Die Rede des Kollegen Dr. Uwe-Jens Rössel soll zu Ich glaube, dass wir in diesem Teufelskreis nach Lö- Protokoll1) genommen werden. – Sie sind damit einver- sungen suchen müssen, die Sie mit Ihren Fragen hätten er- standen. schließen müssen. Dann rufe ich als letzten Redner zu diesem Tagesord- (Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist aber eine nungspunkt den Kollegen von der SPD- komische Philosophie!) Fraktion auf. Ich möchte zu dem Teufelskreis etwas sagen, weil ich auch Kommunalpolitiker bin. Wir wissen, dass im Kom- Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) (von Abgeordneten munalhaushalt – Sie müssen jetzt einen Moment konzen- der SPD mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Sehr verehrte triert zuhören, weil ich keine entsprechende Grafik zeigen Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine kann – steigende Transferleistungen zu verzeichnen sind. alte Regel besagt: Wer fragt, führt. Insofern beinhaltet das Dies führt zu sinkenden Zuführungen im Investitions- Fragestellen immer eine große Chance. Die FDP aber hat haushalt. Dies führt zu sinkenden Investitionen. Dies ist diese Chance bei ihrer Großen Anfrage vertan. der öffentliche Bereich. Wie durch ein Wunder über- schreiten wir jetzt die Grenze hin zur privaten Wirtschaft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) Denn sinkende Investitionen bedeuten weniger Aufträge. (D) Die 57 Fragen in der Großen Anfrage zu den zukünftigen Weniger Aufträge bedeuten weniger Arbeitsplätze. Weni- Aufgaben im Spannungsfeld zwischen Markt und Staat ger Arbeitsplätze bedeuten steigende Arbeitslosigkeit. werden der Bedeutung dieses Themas nicht gerecht. Steigende Arbeitslosigkeit bedeutet höhere Transferleis- Barbara Hendricks hat sehr ausführlich zum Subsi- tungen. Jetzt ist dieser Teufelskreis geschlossen. diaritätsprinzip als Grundsatz für staatliches Handeln (Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist eine sozialde- Stellung genommen. Ich glaube, dass dies den richtigen mokratische Logik!) Weg zeigt. Wenn wir diesen Teufelskreis durchbrechen wollen, (Beifall bei der SPD) müssen wir in der Beschäftigungspolitik eine andere Ori- Die EU-Kommission definiert Leistungen der Da- entierung finden. Wenn wir Ihre Frage 22 untersuchen, die seinsvorsorge als marktbezogene oder nicht marktbezo- sehr verräterisch darauf hindeutet, dass Sie kritisch ge- gene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit er- genüber Beschäftigungsgesellschaften eingestellt sind bracht und daher von den Behörden mit spezifischen und, dann stellt sich die Frage, ob Beschäftigungsgesell- Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden. schaften eigentlich Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt verhindern. Das Gegenteil ist aber der Fall. Der erste Ar- Wenn man alle Fragen, die die FDP gestellt hat, durch- beitsmarkt ist hoch subventioniert, grenzt Arbeit aus und geht, merkt man, dass sie ausschließlich von der Sorge schafft Arbeitslosigkeit. Der zweite Arbeitsmarkt, also geprägt sind, dass die private Wirtschaft genau dann Scha- der des staatlichen Engagements, ist hoch alimentiert, den nehmen könnte, wenn sich der Staat engagiert. Ich schafft Arbeitsplätze, aber nur als Übergangssystem und glaube, dass uns genau dies in eine Sackgasse führt. Notbehelf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der (Ulrich Heinrich [FDP]: Sie haben es noch Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜND- nicht verstanden!) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich möchte Ihnen gern ein System andeuten, das euro- Denn wenn wir nur diese Sorge pflegen, werden wir der paweit unter dem Stichwort „das dritte System“ darge- Bedeutung des Spannungsverhältnisses zwischen Staat stellt wird. und Markt nicht gerecht. Das dritte System umfasst sozialwirtschaftlich arbei- tende Betriebe, die übrigens nicht Non-Profit-Betriebe, 1) Anlage 17 sondern Not-for-Profit-Betriebe heißen. Das Besondere 25192 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 248. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Juli 2002

Lothar Binding (Heidelberg) (A) ist, dass diese Betriebe am Markt Gewinn machen wollen, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich (C) um diese Gewinne vor dem Hintergrund der sozialen und schließe die Aussprache. sonstigen Leistungsdefizite ihrer Mitarbeiter für diese zu (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ reinvestieren. DIE GRÜNEN]: Schade eigentlich!) (Ulrich Heinrich [FDP]: Das sind lauter Gut- menschen! – [CDU/CSU]: Das Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b sowie sind Revolutionäre bei euch!) Zusatzpunkt 5 auf:

Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie diesem Gedanken a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- nicht folgen können; denn bei Ihnen wird die Profit-Ori- richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- entierung ausschließlich unter privatrechtlichen und am schuss) Privaten orientierten Gesichtspunkten gesehen. Wir sa- gen, dass man bei Erzielung eines Gewinns hinsichtlich – zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und einer Gemeinwohlorientierung auch eine Verpflichtung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hat. Deshalb ist es wichtig, dass im dritten System sozial- Stärkung von Prävention und Gesundheits- wirtschaftliche Betriebe unterstützt werden. förderung (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE – zu dem Antrag der Abgeordneten , GRÜNEN und der PDS – Ulrich Heinrich Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid). Dr. Wolf [FDP]: Vollkommener Quatsch!) Bauer, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU Das Besondere daran ist, dass genau diese Betriebe die Prävention umfassend stärken von Ihnen genannten Anforderungen erfüllen, nämlich Steuern zahlen, Sozialabgaben leisten und damit das ge- – Drucksachen 14/9224, 14/9085, 14/9701 – samtgesellschaftliche System stabilisieren. Berichterstattung: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abgeordnete Helga Kühn-Mengel BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen Ich will das hinsichtlich einer Aufwärtsspirale am Ar- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- beitsmarkt demonstrieren; denn beim Start dieses dritten NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Systems geht es um Eigeninitiative und vielleicht auch Verbesserung des Zuschusses zu ambulanten um Kredite oder Contracting. Wenn man dieses Mittel in medizinischen Vorsorgeleistungen (B) der Kommune einsetzt, erhält man erste kleine zusätzliche – Drucksache 14/9357 – (D) Aufträge, man hat erste kleine sinkende Arbeitslosenzah- len, damit einhergehend sinkende Transferkosten, eine (Erste Beratung 243. Sitzung) – jetzt kommen wir wieder in den alten Kreislauf; nur in Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- einer Aufwärtsspirale – steigende Zuführung zum Inves- ses für Gesundheit (14. Ausschuss) titionshaushalt, steigende Investitionen, mehr Aufträge, – Drucksache 14/9702 – mehr Arbeitsplätze, weiter sinkende Arbeitslosenzahlen, Berichterstattung: weiter sinkende Transferkosten usw. Abgeordneter Aribert Wolf Das Besondere dieses Vorschlags besteht darin, dass wir eine Verknüpfung zwischen Staat und Markt herstel- ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- len. Bei der Differenzierung zwischen Staat und Markt richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- gehen wir eben nicht von Konkurrenzsystemen, sondern schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten von Kooperation aus. Ich glaube, wenn wir die Daseins- Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard vorsorge unter dem Gesichtspunkt der Kooperation zwi- Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und der Frak- schen Staat und Markt sehen – unter den eben vorgestell- tion FDP ten Systemvoraussetzungen –, erhalten wir auch für Für eine leistungsfähige und bezahlbare Ge- Europa ein zukunftsfähiges Modell. sundheitsversorgung Der Begriff des dritten Systems ist in Europa sehr viel – Drucksachen 14/9054, 14/9703 – stärker etabliert als in Deutschland, weil bei uns offen- Berichterstattung: sichtlich noch die Sorge dominiert, dass dieses System Abgeordneter Dr. Martin Pfaff den ersten Arbeitsmarkt zerstören könnte. Dieses traurige Ergebnis wird leider auch durch die vielen Fragen der Zum Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des FDP verstärkt. Deshalb zielen Sie in die falsche Richtung. Bündnisses 90/Die Grünen liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Schönen Dank. Ich darf Ihnen sagen, dass von diesem Tagesordnungs- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ punkt an alle Reden zu Protokoll gegeben werden sollen.1) DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unglaublich! – Ulrich Heinrich [FDP]: Das zieht einem ja die Schuhe aus!) 1) Anlagen 18 bis 27