Plenarprotokoll 13/47

Deutscher

Stenographischer Bericht

47. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Inhalt:

Erweiterung und Abwicklung der Tages nes Gesetzes zur Hilfe für Frauen bei ordnung 3753 A Schwangerschaftsabbrüchen in beson- deren Fällen (Drucksache 13/375) Absetzung von Tagesordnungspunkten 3754 A Zweite und dritte Beratung des von der Begrüßung des Präsidenten des Parla- Fraktion der CDU/CSU eingebrachten ments der Republik Estland, Dr. Toomas Entwurfs eines Schwangeren- und Fa- Savi, und seiner Delegation 3776 C milienhilfeänderungsgesetzes (Druck- sache 13/285) Zusatztagesordnungspunkt 1: Zweite und dritte Beratung des von der a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Ent- Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN wurfs eines Gesetzes zur Anpassung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes des Schwangeren- und Familienhilfege- über Sexualaufklärung, Verhütung, setzes an die Vorgaben des Urteils des Prävention vor ungewollten Schwan- Bundesverfassungsgerichts vom 28. gerschaften und Beratung (Drucksache Mai 1993 (Schwangeren- und Familien- 13/402) hilfeänderungsgesetz) (Drucksache 13/27)

Zweite und dritte Beratung des von den Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Hube rt Hüppe, Monika Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent- Brudlewsky und weiteren Abgeordne- wurfs eines Schwangeren- und Fami- ten eingebrachten Entwurfs eines Ge- lienhilfeänderungsgesetzes (Drucksa- setzes zum Schutz des ungeborenen che 13/268) Kindes - Neufassung des Abtreibungs- strafrechts und Regelung der staatli- (Drucksachen 13/1850, 13/1851, 13/1852, chen Obhut (Drucksache 13/395) 13/1853, 13/1854) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ch b) Beschlußempfehlung und Bericht des ristina Schenk, Petra - Bläss und der weiteren Abgeordneten der Ausschusses für Familie, Senioren, PDS eingebrachten Entwurfs eines Ge- Frauen und Jugend zu dem Antrag der setzes zur Sicherung der Unantastbar- Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) keit der Grundrechte von Frauen - Er- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE gänzung des Grundgesetzes (Artikel 2) GRÜNEN: Selbstbestimmungsrecht der und entsprechende Änderungen des Frauen (Drucksachen 13/409, 13/1850) Strafgesetzbuches (Drucksache 13/397) Maria Eichhorn CDU/CSU 3755 A

Zweite und dritte Beratung des vom Inge Wettig-Danielmeier SPD 3757A Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- Heinz Lanfermann F.D.P. ...... 3759 B II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Gesetzes zu der Vereinbarung vom NEN 3762C, 3771A 21. Juni 1994 zur Durchführung des Christina Schenk PDS 3764 A Abkommens vom 5. März 1993 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland CDU/CSU 3766A und der Republik Chile über Renten- Dr. Edith Niehuis SPD 3767 B, 3770 D versicherung (Drucksache 13/1810) Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3769A d) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines F.D.P. ...... 3771 B Gesetzes zu dem Zweiten Zusatzab- Petra Bläss PDS 3773 A kommen vom 6. März 1995 zum Ab- Gerhard Scheu CDU/CSU 3773 C kommen vom 7. Januar 1976 zwischen Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 3774 D der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika Hubert Hüppe CDU/CSU . . . . 3776D, 3780 A über Soziale Sicherheit und zu der Karin Rehbock-Zureich SPD 3778 A Zweiten Zusatzvereinbarung vom Gerhard Scheu CDU/CSU 3778 C 6. März 1995 zur Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zur Durchführung des 3779 A Konrad Kunick SPD Abkommens (Drucksache 13/1811) Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . 3779 B Christel Hanewinckel SPD 3780 C e) Erste Beratung des von der Bundesre- Dr. Reinhard Göhner CDU/CSU . . . 3782 B gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen Hanna Wolf (München) SPD 3783 D vom 12. Februar 1995 zum Abkommen Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 3784 D vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Namentliche Abstimmungen . 3786 C, D, 3787A, B Staat Israel über Soziale Sicherheit (Drucksache 13/1809) Ergebnisse . . . . 3787C, 3790A, 3792D, 3795D g) Antrag der Abgeordneten Halo Saibold, Tagesordnungspunkt 18: Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), weiterer Abgeordneter und der Frak- a) Erste Beratung des von der Bundesre- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gold- gierung eingebrachten Entwurfs eines abbau in der Westtürkei unter Einsatz Gesetzes zur Änderung wehrrechtli- zyankalihaltiger chemischer Stoffe cher Vorschriften (Wehrrechtsände- durch Unternehmen aus der Bundesre- rungsgesetz) (Drucksache 13/1801) . . 3798B publik Deutschland (Drucksache 13/ 1017) Tagesordnungspunkt 19: h) Antrag der Präsidentin des Bundesrech- Antrag der Fraktion der SPD: Einset- nungshofes: Rechnung des Bundes- zung eines Untersuchungsausschusses rechnungshofes für das Haushaltsjahr (Drucksache 13/1833) 3798B 1994 — Einzelplan 20 — § 101 BHO (Drucksache 13/1668) Tagesordnungspunkt 21: i) Antrag der Abgeordneten Dr. Eckhart Überweisungen im vereinfachten Ver- Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weite- fahren rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Entlastung der Zivilgerichtsbar- a) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- keit durch vor- bzw. außergerichtliche gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Streitbeilegung (Drucksache 13/1749) 3798 B zur Änderung des Wasserhaushaltsge- setzes (Drucksache 13/1207) Tagesordnungspunkt 22: b) Erste Beratung des von der Bundesre- - gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Abschließende Beratungen ohne Aus- 15. März 1994 zwischen der Bundesre- sprache publik Deutschland und der Republik Litauen über die gegenseitige Hilfelei- a) Zweite und dritte Beratung des von der stung bei Katastrophen oder schweren Bundesregierung eingebrachten Ent- Unglücksfällen (Drucksache 13/1665) wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ande- rung des Gesetzes über die elektroma- c) Erste Beratung des von der Bundesre- gnetische Verträglichkeit von Geräten gierung eingebrachten Entwurfs eines (Drucksachen 13/670, 13/1595) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 III

b) Zweite und dritte Beratung des von der des Bundesministeriums der Finanzen: Bundesregierung eingebrachten Ent- Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der wurfs eines Gesetzes zur Änderung Bundeshaushaltsordnung zur Veräuße- wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtli- rung bundeseigener Grundstücke in cher, beamtenrechtlicher und anderer Wiesbaden, ehemaliges Camp Lindsey Vorschriften (Drucksachen 13/1209, 13/ (Drucksachen 13/1293, 13/1601) 1634, 13/1635) i) Beschlußempfehlung und Bericht des c) Zweite und dritte Beratung des von der Ausschusses für Ernährung, Landwirt- Bundesregierung eingebrachten Ent- schaft und Forsten zu dem Antrag der wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Nr. 11 vom 11. Mai 1994 zur Konventi- (Köln), weiterer Abgeord- on zum Schutze der Menschenrechte neter und der Fraktion der SPD: Ge- und Grundfreiheiten (Drucksachen 13/ währung von Beihilfe bei der Sorten- 858, 13/1849) umstellung von Hopfen (Drucksachen 13/601, 13/1625) e) Beschlußempfehlung und Be richt des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz j) Beschlußempfehlung und Bericht des und Reaktorsicherheit zu dem Antrag Ausschusses für Wirtschaft zu der Ver- des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz ordnung der Bundesregierung: Aufheb- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE bare Sechste Verordnung zur Ände- GRÜNEN: Widerspruchsrecht für die rung der Verordnung zur Regelung Bundesministerin für Umwelt, Natur- von Zuständigkeiten im Außenwirt- schutz und Reaktorsicherheit (Druck- schaftsverkehr (Drucksachen 13/1140, sachen 13/352, 13/1506) 13/1233 Nr. 2.1, 13/1746)

f) Beschlußempfehlung und Bericht des k) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Unterrich- Ausschusses für Familie, Senioren, tung durch die Bundesregierung: Frauen und Jugend Grenzüberschreitender Zahlungsver- kehr in der EU; Transparenz, Effizienz und Stabilität zu dem Entschließungsantrag der Frak- tionen der CDU/CSU und F.D.P. - Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, das zu dem Entschließungsantrag der Frak- Europäische Währungsinstitut und tion der SPD den Wirtschafts- und Sozialausschuß zu dem Entschließungsantrag der Ab- - Vorschlag für eine Richtlinie des Eu- geordneten Rita Grießhaber und der ropäischen Parlaments und des Rates Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über grenzüberschreitende Überwei- sungen zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten der PDS - Entwurf einer Mitteilung über die Anwendung der EG-Wettbewerbsre- zu der vereinbarten Debatte zum geln auf grenzüberschreitende Über- Thema „Internationaler Frauentag" weisungssysteme (Drucksachen 13/703, 13/701, 13/705, 13/699, 13/1627) (Drucksachen 13/343 Nr. 2.17, 13/1514) 1) Beschlußempfehlung und Bericht des g) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der dem Deut- Finanzausschusses zu der Unterrich- schen Bundestag zugeleiteten Streitsa- tung durch die Bundesregierung: Geän- che vor dem Bundesverfassungsgericht derter Vorschlag für eine Richtlinie des 2 BvE 4/95 (Drucksache 13/1830) Europäischen Parlaments und des Ra- - tes zur Änderung der Richtlinie 85/611/ m)Beschlußempfehlung des Petitionsaus- EWG zur Koordinierung der Rechts- schusses: Sammelübersicht 46 zu Peti- und Verwaltungsvorschriften betref- tionen (Drucksache 13/1766) fend bestimmte Org anismen für ge- meinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (Drucksachen 13/725 Nr. 69, n) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- 13/1585) schusses: Sammelübersicht 47 zu Peti- tionen (Drucksache 13/1767) h) Beschlußempfehlung und Be richt des Helmut Rauber CDU/CSU (Berichterstat Haushaltsausschusses zu dem Antrag ter) 3801 B IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Zusatztagesordnungspunkt 4: b) Antrag der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Christel Hanewinckel, weite- Weitere abschließende Beratung ohne rer Abgeordneter und der Fraktion der Aussprache SPD: Vierte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen vom 4. bis Beschlußempfehlung und Be richt des 15. September 1995 in Peking (Druck- Ausschusses für Wirtschaft sache 13/1441)

zu dem Antrag der Fraktionen der c) Antrag der Abgeordneten Waltraut CDU/CSU und F.D.P.: Einhaltung des Schoppe, Rita Grießhaber, weiterer Stromeinspeisungsgesetzes Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechte zu dem Antrag der Fraktion der SPD: und Demokratie für Frauen verwirkli- Respektierung des Stromeinspeisungs- chen (Drucksache 13/1551) gesetzes - Für erneuerbare Energien d) Antrag der Abgeordneten Chris tina zu dem Antrag der Abgeordneten Mi- Schenk, Petra Bläss, weiterer Abgeord- chaele Hustedt, Ursula Schönberger neter und der Gruppe der PDS: Welt- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE frauenkonferenz (Drucksache 13/1622) GRÜNEN: Durchsetzung der Einhal- tung des Stromeinspeisungsgesetzes e) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Vierte Weltfrauenkonferenz vom 4. bis Köhne, Dr. und der Gruppe 15. September 1995 in Peking - Mehr der PDS: Bürgschaftsverpflichtung der Chancen für Frauen in Entwicklungs- Bundesregierung zur Umsetzung des ländern (Drucksache 13/1837) Stromeinspeisungsgesetzes in Verbindung mit (Drucksachen 13/1397, 13/1384, 13/ 1303, 13/1309, 13/1783) 3800D Zusatztagesordnungspunkt 2:

Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Tagesordnungspunkt 3: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Forum der Nichtregierungsorganisa- Zweite und dritte Beratung des von den tionen und Vierte VN-Weltfrauenkon- Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. ferenz 1995 in Peking (Drucksache 13/ eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes 1836) über die humanitäre Hilfe für durch Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Blutprodukte HIV-infizierte Personen NEN 3816C (HIV-Hilfegesetz) (Drucksachen 13/ Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 3817C 1298, 13/1831, 13/1847) Dr. Edith Niehuis SPD 3819C Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 3803B Dr. F.D.P 3821 C Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . 3805 C Petra Bläss PDS 3822 D Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) Erika Reinhardt CDU/CSU 3824 A CDU/CSU 3807 B Adelheid Tröscher SPD 3825A Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Bärbel Sothmann CDU/CSU 3827 A NEN 3808B Dr. Dieter Thomae F.D.P 3809 C Dr. PDS 3811A Tagesordnungspunkt 5: Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD 3811 D Beschlußempfehlung und Be richt des , Bundesminister BMG . 3813 B Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Friedbert Horst Schmidbauer (Nü rnberg) SPD (Er- - klärung nach § 30 GO) 3815C Pflüger, Hans-Dirk Bierling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Tagesordnungspunkt 4: CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ul- rich Irmer, Dr. , weiterer a) Antrag der Abgeordneten Waltraut Abgeordneter und der Fraktion der Schoppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/ F.D.P.: Weitgehende Einsatzbeschrän- DIE GRÜNEN: Forum der Nichtregie- kungen für Landminen rungsorganisationen auf der VN-Welt- frauenkonferenz in Peking (Drucksa- zu dem Antrag der Abgeordneten Vol che 13/1427) ker Kröning, , weiterer Abge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 V

ordneter und der Fraktion der SPD: Ver- Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) bot von Landminen und Unterstützung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3843 A der Lander der Dritten Welt" bei der Dr. F.D.P. . . . 3844 B Lösung ihrer Probleme durch Minen und andere gefährliche Munition Rosel Neuhäuser PDS 3845 C Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU 3846B zu dem Antrag der Abgeordneten Stef- Doris Odendahl SPD 3847 C fen Tippach, Andrea Lederer, weiterer Stephan Hilsberg SPD 3848 B Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Weltweite Achtung der Landminen Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/ CSU 3849 C zu dem Antrag der Abgeordneten An- Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 3850 B gelika Beer und der Fraktion BÜND- Günter Rixe SPD 3850D NIS 90/DIE GRÜNEN: Ächtung von Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) Landminen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3851 B (Drucksachen 13/1299, 13/1308, 13/ 1302, 13/1304, 13/1780) Tagesordnungspunkt 7:

in Verbindung mit a) Beschlußempfehlung und Be richt des Ältestenrates zu den Empfehlungen der Kommission des Ältestenrates für die Zusatztagesordnungspunkt 3: Rechtsstellung der Abgeordneten in den Vorlagen vom 16. Juni 1995 Antrag der Abgeordneten Anneliese (Drucksache 13/1803) Augustin, Dr. (München) und der Fraktion der CDU/CSU sowie b) Erste Beratung des von den Fraktionen der Abgeordneten , der CDU/CSU und SPD eingebrachten Dr. Ingomar Hauchler und der Fraktion Entwurfs eines ... Gesetzes zur Ände- der SPD sowie der Abgeordneten rung des Grundgesetzes (Drucksache Dr. Olaf Feldmann, Dr. Irmgard 13/1824) Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: Minenräumung zu humanitären Zwek- c) Erste Beratung des von den Fraktionen ken als Beitrag sinnvoller Demobilisie- der CDU/CSU und SPD eingebrachten rung sowie zur Förderung des Wieder- Entwurfs eines Achtzehnten Gesetzes aufbaus (Drucksache 13/1844) zur Änderung des Abgeordnetengeset- Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 3829A zes und eines Fünfzehnten Gesetzes Volker Kröning SPD 3830A zur Änderung des Europaabgeordne- tengesetzes (Drucksache 13/1825) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 3852A NEN 3831 C Schmidt (Salzgitter) SPD 3854 C Volker Kröning SPD 3832 B Dr. Norbe rt Lammert CDU/CSU . . 3856D Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 3833 A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dr. Olaf Feldmann F.D.P 3833D NEN 3858D Steffen Tippach PDS 3835 A Dr. F D P 3860 B CDU/CSU 3835 D Dieter Wiefelspütz SPD ...... 3861 C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 3836C Manfred Müller (Berlin) PDS 3862 C Gerhard Scheu CDU/CSU 3863 D Tagesordnungspunkt 6: Dr. Burkhard Hirsch F.D.P...... 3864 B a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: B erufsbildungsbericht 1995 Tagesordnungspunkt 8: (Drucksachen 13/1300, 13/1502 [Be- richtigung] ) Erste Beratung des von den Fraktionen - der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten b) Antrag der Abgeordneten Stephan Hils- Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur berg, Günter Rixe, weiterer Abgeordne- Änderung des Fünften Buches Sozial- ter und der Fraktion der SPD: Gemein- gesetzbuch (Drucksache 13/1826) schaftsinitiative Ausbildungsplatzsi Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ cherung (Drucksache 13/1838) CSU 3867 A Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister Rudolf Dreßler SPD 3868 C BMBF 3838C Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dr. Christine Bergmann, Senatorin (Berlin) 3840 C NEN 3870D VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Dieter Thomae F.D.P 3871 D Dr. Klaus Röhl und der Fraktion der Dr. Ruth Fuchs PDS 3872 C F.D.P.: Obdachlosigkeit - eine gesamt- gesellschaftliche Herausforderung Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 3873 B zu dem Antrag der Abgeordneten An- drea Fischer (Berlin), Franziska Eich- Tagesordnungspunkt 9: städt-Bohlig und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Maßnahmen zur a) Antrag der Abgeordneten Otto Resch- Vermeidung von Wohnungsverlust und ke, Achim Großmann, weiterer Abge- zur Bekámpfung der Obdachlosigkeit ordneter und der Fraktion der SPD: Neugestaltung der Wohneigentumsför- (Drucksachen 13/96 [neu], 13/247, 13/ derung (Drucksache 13/1501) 288, 13/1617, 13/1848) Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . 3891 A b) Antrag der Abgeordneten Dieter Maaß (Heme), Achim Großmann, weiterer Gabriele Iwersen SPD 3893 A Abgeordneter und der Fraktion der (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE SPD: Wohnungsbaugenossenschaften GRÜNEN ...... 3894 D stärken - Mitglieder steuerlich fördern Lisa Peters F.D.P. ...... 3895C (Drucksache 13/1644) Klaus-Jürgen Warnick PDS 3896 C Otto Reschke SPD ...... 3875 B Werner Dörflinger CDU/CSU 3877 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 12: DIE GRÜNEN 3879 A Zweite und dritte Beratung des von der Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 3880B Bundesregierung eingebrachten Ent- Dr. Karl-Heinz Hornhues CDU/CSU . 3880 C wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ä n- Klaus-Jürgen Warnick PDS 3882 C derung des Tierseuchengesetzes Dr. CDU/CSU . . . . 3883 C (Drucksachen 13/672, 13/1764) . . . . 3897 C Achim Großmann SPD 3884 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/ Tagesordnungspunkt 13: CSU 3884 B Dieter Maaß (Herne) SPD 3886 A Antrag der Abgeordneten Helmut Wil- helm (Amberg), Michaele Hustedt, wei- Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 3887 B terer Abgeordneter und der Fraktion Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 3887 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einstel- Achim Großmann SPD 3890 B lung des Betriebs im Endlager Morsle- ben (ERAM) (Drucksache 13/1378) Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 10: DIE GRÜNEN 3898A, 3906 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . 3898D, 3903 A richt des Beschlußempfehlung und Be Reinhard Weis (Stendal) SPD . . 3900A, 3906 C Ausschusses für Raumordnung, Bauwe- sen und Städtebau Dr. F.D.P. . . . . . . . 3901 B Rolf Köhne PDS 3901 B zu dem Antrag der Abgeordneten Fran- Wolfgang Behrendt SPD 3902A ziska Eichstädt-Bohlig und der Fraktion Kurt-Dieter Gri ll CDU/CSU 3902 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortpro- gramm zum Abbau von Obdachlosig- Walter Hirche, Parl. Staatssekretär keit BMU 3904A, 3907 A Dr. Winfried Wolf PDS 3906A zu dem Antrag der Abgeordneten Ga- briele Iwersen, Achim Großmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 14: der SPD: Wohnungslosigkeit - Obdach- losgkeit und Wohnungsnotfälle in der Beschlußempfehlung und Be richt des Bundesrepublik Deutschland und Maß- Rechtsausschusses zu dem Antrag der nahmen zu ihrer Bekämpfung Abgeordneten Robert Antretter, Wolf- Michael Catenhusen, weiterer Abge- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.- ordneter und der Fraktion der SPD und Ing. Dietmar Kansy, Werner Dörflinger, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weiterer Abgeordneter und der Frak- NEN: Entwurf einer Bioethik-Konven- tion der CDU/CSU sowie der Abgeord- tion des Europarates (Drucksachen 13/ neten Hildebrecht Braun (Augsburg), 321, 13/1816) ...... 3907C Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 VII

Tagesordnungspunkt 15: (Schwangeren- und Familienhilfeände- rungsgesetz - § 218 StGB) a) Erste Beratung des von der Fraktion der Robert Antretter CDU/CSU 3917* C SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- CDU/CSU 3918* A setzes zur Bekämpfung der Korruption durch die Abschaffung der steuerlichen Werner Dörflinger CDU/CSU 3918* B Absetzbarkeit von Schmier- und Beste- CDU/CSU . . . 3918* C chungsgeldern (Steuerliches Korrupti- Ernst Hinsken CDU/CSU 3918* C onsbekämpfungsgesetz) (Drucksache 13/742) Dr. Barbara Höll PDS 3918* D Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 3919* B b) Antrag der Abgeordneten Christine Peter Keller CDU/CSU 3920* A Scheel, Manfred Such, weiterer Abge- Jürgen Koppelin F.D.P 3920* A ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Maßnahmen gegen Kor- Hartmut Koschyk CDU/CSU 3920* B ruption (Drucksache 13/617) CDU/CSU 3920* B Werner Lensing CDU/CSU 3921* A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Ingomar Heidemarie Lüth PDS Hauchler, Frank Hofmann (Volkach), 3921* C weiterer Abgeordneter und der Frak- Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/ tion der SPD: Eindämmung der interna- CSU 3922* A tionalen Korruption (Drucksache 13/ Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . 3922 * A 1717) Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . 3922* C Frank Hofmann (Volkach) SPD 3908 C Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . 3922* D Dr. CDU/CSU . . . 3909 B Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/ Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ CSU 3923 * A NEN 3911A CDU/CSU . . . 3923* B Dr. Barbara Höll PDS 3912B Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 3923* C Dr. Ingomar Hauchler SPD ...... 3913 B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 3924* A Benno Zierer CDU/CSU 3924* B

Tagesordnungspunkt 16: Anlage 3 Antrag der Abgeordneten Amke Die- Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- tert-Scheuer, Angelika Beer, weiterer ten Rolf Köhne (PDS) zur Abstimmung Abgeordneter und der Fraktion BÜND- über die Beschlußempfehlung zu den An- NIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Hermes- trägen „Stromeinspeisungsgesetz" (Zu- Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit satztagesordnungspunkt 4) 3924* C dem Iran (Drucksache 13/1620) . . . 3915B Anlage 4 Zusatztagesordnungspunkt 5: Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- ten Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- Zweite und dritte Beratung des von der setzes zur Änderung wehrpflich trechtli- Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN cher, soldatenrechtlicher, beamtenrecht li eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes -cher und anderer Vorschriften (Tagesord- zur Ergänzung des Pflegeversiche- nungspunkt 22 b) 3924 * D rungsgesetzes (Drucksachen 13/99, 13/ 1845) SPD 3915D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- ordnungspunkt 12 (Entwurf eines Zweiten Nächste Sitzung 3916 C Gesetzes zur Änderung Tierseuchen- des - gesetzes) Anlage 1 Siegfried Hornung CDU/CSU 3925* A Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3917* A Marianne Klappert SPD 3926 * A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 3927' C Anlage 2 Günther Bredehorn F.D.P. 3928* C Erklärungen nach § 31 GO zur Abstim mung über die in Zusatztagesordnungs Eva Bulling-Schröter PDS 3929* B punkt 1a aufgeführten Vorlagen , Bundesminister BML 3930* A VIII Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Anlage 6 Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- ordnungspunkt 14 (Beschlußempfehlung ordnungspunkt 16 (Antrag: Keine Her- zu dem Antrag: Entwurf einer Bioethik mes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte Konvention des Europarates) mit dem Iran) CDU/CSU 3930* D Erich G. Fritz CDU/CSU ...... 3942* C Siegmar Mosdorf SPD 3943* B Margot von Renesse SPD 3932* C Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE Gudrun Schaich-Walch SPD 3933* D GRÜNEN 3944* B (Köln) BÜNDNIS 90/DIE Paul K. Friedhoff F.D.P 3945* A GRÜNEN 3934* C Dr. Winfried Wolf PDS 3945* D Heinz Lanfermann F.D.P 3935* C Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 3936* C BMWi 3946* B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bun- desministerin BMJ 3937* A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatzta- gesordnungspunkt 5 (Entwurf eines Ge- setzes zur Ergänzung des Pflegeversiche- Anlage 7 rungsgesetzes) Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- Karl-Josef Laumann CDU/CSU 3947* A ordnungspunkt 15 (Steuerliches Korrupti- onsbekämpfungsgesetz) Gerd Andres SPD 3947* D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . 3937* D GRÜNEN 3948* D Dr. Winfried Pinger CDU/CSU 3939* A Dr. F.D.P 3949* C CDU/CSU 3940* A Petra Bläss PDS 3950* A Gisela Frick F.D.P. 3941* C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 3950* C

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47. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Dr. : Guten Morgen, gend (13. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröff- Kerstin Müller (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Selbstbestimmungsrecht der Frauen net. - Drucksachen 13/409, 13/1850 - Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die 2. Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Forum der Nichtregierungsorganisationen und Vierte VN-Welt- Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkt frauenkonferenz 1995 in Peking - Drucksache 13/1836 - liste aufgeführt: 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Anneliese Au- 1. a) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion gustin, Dr. Erich Riedl (München) und der Fraktion der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs CDU/CSU sowie der Abgeordneten Rudolf Bindig, eines Gesetzes über Sexualaufklärung, Verhütung, Dr. Ingomar Hauchler und der Fraktion der SPD sowie Prävention vor ungewollten Schwangerschaften und der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Dr. Irmgard Beratung - Drucksache 13/402 - und Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: Minenräumung - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordne- zu humanitären Zwecken als Beitrag sinnvoller Demo- ten Hubert Hüppe, Monika Brudlewsky, Dietrich Au- bilisierung sowie zur Förderung des Wiederaufbaus stermann und weiteren Abgeordneten eingebrachten - Drucksache 13/1844 - Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des ungebore- 4. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache (Er- nen Kindes - Neufassung des Abtreibungsstrafrechts gänzung zu TOP 22) und Regelung der staatlichen Obhut - Drucksache 13/395 - und Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordne- ten Christina Schenk, Petra Bläss und der weiteren - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes Gesetzes zur Sicherung der Unantastbarkeit der - zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Respektierung Grundrechte von Frauen - Ergänzung des Grundge- des Stromeinspeisungsgesetzes - Für erneuerbare setzes (Artikel 2) und entsprechende Änderungen Energien des Strafgesetzbuches - Drucksache 13/397 - und - zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat einge- Ursula Schönberger, (Berlin) und der brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Hilfe für Frau- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Durchsetzung en bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen der Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes Fällen - Drucksache 13/375 - und - zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Köhne, - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Bürg- CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Schwange- schaftsverpflichtung der Bundesregierung zur Um- ren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHAndG) setzung des Stromeinspeisungsgesetzes - Drucksa- - Drucksache 13/285 - und chen 13/1397, 13/1384, 13/1303, 13/1309,13/1783 - - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der 5. Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜND- SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur An- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- passung des Schwangeren- und Familienhilfegeset- setzes zur Ergänzung des Pflegeversicherungsgesetzes zes an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfas- (PflegeVergG) - Drucksachen 13/99, 13/1845- sungsgerichts vom 28. Mai 1993 (Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz - SFHÄndG) - Druck- Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, so- sache 13/27 - und weit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen - F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- werden. und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG) - Drucksache 13/268 - Weiter ist interfraktionell vereinbart worden, daß aa) Beschlußempfehlung und Be richt des Ausschus- zu folgenden Tagesordnungspunkten die Reden aus- ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Drucksache 13/1850 - nahmsweise zu Protokoll gegeben werden können. Es handelt sich hierbei um Tagesordnungspunkt 12 bb) Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksachen 13/1851, - Tierseuchengesetz -, Tagesordnungspunkt 14 - 13/1852, 13/1853, 13/1854 - Bioethik-Konvention -, Tagesordnungspunkt 16 - b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts Hermes-Bürgschaften -, Zusatzpunkt 5 - Ergänzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Ju des Pflegeversicherungsgesetzes. 3754 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Außerdem sollen der Tagesordnungspunkt 11 - - Zweite und dritte Beratung des von der Gesetzentwurf zu bef risteten Kündigungsmöglich- Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent- keiten -, Tagesordnungspunkt 18b - Antrag der wurfs eines Schwangeren- und Familien- Gruppe der PDS zur Abschaffung der Wehrpflicht - hilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG) und Tagesordnungspunkt 21 f - Antrag der Fraktio- nen der CDU/CSU und F.D.P. zur Anpassung des - Drucksache 13/285 - Bergrechts - abgesetzt werden. (Erste Beratung 19. Sitzung) Der Tagesordnungspunkt 18a - Wehrrechtsände- rungsgesetz - und der Antrag auf Einsetzung eines - Zweite und dritte Beratung des von der Untersuchungsausschusses, der die neue Drucksa- Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs chennummer 13/1833 hat - das ist Tagesordnungs- eines Gesetzes zur Anpassung des Schwan- punkt 19 -, sollen ohne Aussprache an die Aus- geren- und Familienhilfegesetzes an die schüsse überwiesen werden. Die Vorlagen ohne Aus- Vorgaben des Urteils des Bundesverfas- sprache unter den Tagesordnungspunkten 21 und 22 sungsgerichts vom 28. Mai 1993 (Schwan- werden heute nach der Beratung zum Schwangeren- geren- und Familienhilfeänderungsgesetz und Familienhilfeänderungsgesetz aufgerufen. - SFHÄndG) Sind Sie mit all diesen interfraktionellen Vereinba- - Drucksache 13/27 - rungen einverstanden? - Ich höre keinen Wider- (Erste Beratung 19. Sitzung) spruch. Dann ist es so beschlossen. - Zweite und dritte Beratung des von der Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 1 a und 1 b auf: Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs a) - Zweite und dritte Beratung des von der eines Schwangeren- und Familienhilfeän- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- derungsgesetzes (SFHÄndG) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über - Drucksache 13/268 - Sexualaufklärung, Verhütung, Prävention vor ungewollten Schwangerschaften und (Erste Beratung 19. Sitzung) Beratung aa) Beschlußempfehlung und Be richt des - Drucksache 13/402 - Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuß) (Erste Beratung 19. Sitzung) - Drucksache 13/1850 - - Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Hube rt Hüppe, Monika Brud- Berichterstattung: lewsky, und weiteren Abgeordnete Maria Eichhorn Abgeordneten eingebrachten Entwurfs ei- Inge Wettig-Danielmeier nes Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Rita Grießhaber Kindes - Neufassung des Abtreibungsstraf- Heinz Lanfermann rechts und Regelung der staatlichen Obhut Hubert Hüppe - Drucksache 13/395 - Christina Schenk (Erste Beratung 19. Sitzung) bb) Berichte des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- schäftsordnung - Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Christina Schenk, Petra Bläss - Drucksachen 13/1851, 13/1852, 13/ und der weiteren Abgeordneten der PDS 1853, 13/1854 - eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Unantastbarkeit der Grund- Berichterstattung: rechte von Frauen - Ergänzung des Grund- Abgeordnete Ina Albowitz gesetzes (Artikel 2) und entsprechende Än- Siegrun Klemmer derungen des Strafgesetzbuches Kristin Heyne - Drucksache 13/397 - Peter Jacoby

(Erste Beratung 19. Sitzung) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Se- - Zweite und dritte Beratung des vom Bun- nioreri, Frauen und Jugend (13. Ausschuß) desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin zes zur Hilfe für Frauen bei Schwanger- Müller (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/ schaftsabbrüchen in besonderen Fällen DIE GRÜNEN - Drucksache 13/375 - Selbstbestimmungsrecht der Frauen (Erste Beratung 19. Sitzung) - Drucksachen 13/409, 13/1850 - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3755

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Berichterstattung: Aufgabe gemacht, Familien und insbesondere Al- leinerziehenden bei der Beschaffung von Wohnun- Abgeordnete Maria Eichhorn gen zu helfen. Durch die Übernahme einer Bürg- Inge Wettig-Danielmeier schaft garan tieren wir dem Vermieter die Mietein- Rita Grießhaber nahme. So konnten wir vielen Familien helfen; denn Heinz Lanfermann eines ist sicher, meine Damen und Herren: Gesetze Hube rt Hüppe allein bewirken nicht den Schutz des ungeborenen Chri stina Schenk Lebens. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind Heute haben wir als Gesetzgeber durch den Eini- für die gemeinsame Aussprache zweieinhalb Stun- gungsvertrag und das Urteil des Bundesverfassungs- den vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. gerichts die Aufgabe, ein neues Gesetz zu beschlie- Dann ist es so beschlossen. ßen. Nachdem dies in der letzten Legislaturperiode Ich weise schon jetzt darauf hin, daß wir im An- gescheitert war, bestand zu Jahresbeginn für die schluß an die Aussprache vier namentliche Abstim- Mehrheit meiner Fraktion wegen der Mehrheitsver- mungen durchführen werden. hältnisse wenig Hoffnung, ein Gesetz verabschieden zu können, das unsere Handschrift trägt. Ich bin je- Ich eröffne jetzt die Aussprache. Als erste hat die doch der Meinung, daß man sich auch in solchen Si- Kollegin Maria Eichhorn das Wort. tuationen nicht zurücklehnen darf, um das Feld an- deren zu überlassen. So haben wir in Gesprächen mit Maria Eichhorn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktionen ver- Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Nach jahrelan- sucht, auszuloten, ob es nicht doch Möglichkeiten ei- gem Streit ein Kompromiß über die Abtreibungsrege- ner gemeinsamen und verfassungskonformen Geset- lung! So oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen am zesregelung geben könnte. Dienstag. Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 einen Als ich am Sonntag abend mit den anderen Ver- neuen Weg aufgezeigt. Der Gesetzgeber kann im In- handlungsführerinnen und Verhandlungsführern zu- teresse eines größeren Lebensschutzes ein Schutz- sammentraf, war ich sehr skeptisch, ob es uns gelin- konzept wählen, das auf eine Beratung setzt, die die gen würde, eine Einigung zwischen CDU/CSU, SPD Schwangere zur Fortsetzung der Schwangerschaft und F.D.P. in einer Frage herbeizuführen, die jahre- ermutigt. lang heftigste Konfrontationen hervorgerufen hatte. Die CDU/CSU hat bei den Verhandlungen mit den Am Montag morgen um halb fünf Uhr verließen anderen Fraktionen besonderen Wert darauf gelegt, wir den Tagungsraum - erschöpft, aber auch erleich- daß die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts tert. Der Durchbruch war geschafft: Der Kompromiß, umgesetzt werden. Unser wich tigstes Verhandlungs- der noch vor einigen Wochen undenkbar war, war ziel war, Ziel und Aufgabe der Beratung verfassungs- zustande gekommen. Ich danke an dieser Stelle allen gemäß umzusetzen. Was liegt da näher, als die An- Beteiligten für den fairen Umgang miteinander. Ich. ordnung des Bundesverfassungsgerichts wörtlich zu danke auch der Vorsitzenden des Unterausschusses, übernehmen? Sie stellt Ziel und Aufgabe der Bera- Frau Ortrun Schätzle, für ihre Arbeit. tung zum Schutz des ungeborenen Lebens eindeutig heraus. Dies war der schwierigste Verhandlungs- Schon immer, insbesondere aber seit ich Mitglied punkt, um den wir lange gerungen haben. des Deutschen Bundestages bin, ist der Schutz des ungeborenen Lebens ein Thema, für das ich mich be- Die Beratung zum Leben ist für uns der zentrale sonders engagiere. In der letzten Legislaturperiode Punkt. Die Einigung wäre gescheitert, wenn es nicht habe ich in der Kommission der CDU/CSU-Fraktion gelungen wäre, folgenden Wortlaut in § 219 Abs. 1 zum Schutz des ungeborenen Lebens und im Sonder- des Strafgesetzbuches festzulegen: ausschuß mitgearbeitet. Als überzeugte Katholikin Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen war ich zunächst für eine möglichst s trenge Lösung. Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu In der Folgezeit habe ich viele persönliche Gesprä- lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwanger- che mit Beraterinnen, mit betroffenen Frauen, mit schaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Geistlichen und vor allem mit Telefonseelsorgern ge- Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr hel- führt. fen, eine verantwortliche und gewissenhafte Ent- Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte, um scheidung zu treffen. Dabei muß der Frau bewußt so klarer wurde mir, daß es bei dieser Frage darum sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der geht, ein deutliches Signal für den Schutz der unge- Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes borenen Kinder zu setzen. Gleichzeitig aber er- Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der kannte ich immer mehr, daß es auch darum geht, Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch Frauen in echten Konfliktsituationen nicht allein zu nur in Ausnahmesituationen in Be tracht kommen lassen und Hilfen anzubieten. kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer Weil ich der Meinung bin, daß man nicht nur re- und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare den, sondern auch etwas tun muß, habe ich eines der Opfergrenze übersteigt. Die Beratung soll durch Hauptprobleme für Schwangere aufgegriffen und in Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusammen- meiner Heimatstadt Regensburg einen Verein hang mit der Schwangerschaft bestehende Kon- „Mütter in Not" gegründet. Wir haben es uns zur fliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzu- 3756 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Maria Eichhorn helfen. Das Nähere regelt das Schwangerschafts- Schutzkonzepts zwei deutliche Signale gesetzt: konfliktgesetz. durch einen Sondertatbestand zur Nötigung und eine besondere Strafbarkeit bei der Verletzung der Eine bessere Formulierung des Kernpunktes unse- Unterhaltspflicht gegenüber einer Schwangeren - res neuen Schutzkonzeptes zur Beratung ist nicht ein Kompromiß, mit dem wir gut leben können. möglich. Hier haben die anderen Fraktionen Zuge- ständnisse gemacht, für die wir dankbar sind. In der Frage der Finanzierung hatte ich bereits in Diese Beratungsregelung ermöglicht es auch den der Vergangenheit erklärt, daß wir Bewegungsspiel- Kirchen, ihre Beratungsarbeit weiter fortzusetzen, raum haben. Aber es gilt auch in Zukunft, daß nur wie aus einer Pressemeldung des Katholischen Bü- die rechtmäßigen Schwangerschaftsabbrüche als ros in Bonn hervorgeht. Die plurale Trägerschaft, in Krankenkassenleistung bezahlt werden. Nicht recht- der die Kirchen ihren festen Platz haben müssen, ist mäßige Abbrüche müssen auch weiterhin von der uns sehr wichtig. Schwangeren selbst getragen werden. Der Staat muß jedoch bei Bedürftigkeit für die Kosten des Schwan- Bei der Rede zur Einbringung unseres Gesetzent- gerschaftsabbruchs aufkommen. Wir haben uns da- wurfs am 10. Februar dieses Jahres habe ich erklärt, bei auf eine Einkommensgrenze von 1 700 DM geei- daß meine Fraktion einen Änderungsantrag zur em- nigt. bryopathischen Indikation einbringen wird. Insbe- sondere die Behindertenverbände, aber auch die Kir- Wichtig ist, daß bei der Kostenerstattung die Län- chen haben uns immer wieder aufgefordert, auf eine der das haushaltstechnische Verfahren selbst regeln embryopathische Indikation zu verzichten. Je tiefer können und die Krankenkassen lediglich die Aus- wir in dieses Thema eingestiegen sind, um so mehr zahlung übernehmen. In der Begründung weisen wir kamen wir zu der Überzeugung: Wir können den be- darauf hin, daß die Kostenerstattung durch die über- rechtigten Anliegen der Behindertenverbände nur örtlichen Träger der Sozialhilfe erfolgen kann. dann Rechnung tragen, wenn wir keine Sonderrege- lungen schaffen. In Zukunft gibt es daher nur noch Meine sehr verehrten Damen und Herren, der die medizinische und die kriminologische Indika- wichtigste Aspekt für ein gutes Beratungskonzept ist tion. die Unterstützung junger Familien durch den Aus- bau familienpolitischer Leistungen. Dies haben wir In der Begründung zur medizinischen Indikation seit 1982 und gerade auch im Zusammenhang mit stellen wir klar, „daß eine Behinderung niemals zu der Reform des Abtreibungsrechts 1992 verwirklicht. einer Minderung des Lebensschutzes führen kann". Vor kurzem haben wir einen neuen Familienlei- Wir machen damit nochmals unmißverständ lich deut- stungsausgleich und die Erhöhung des steuerlichen lich, daß die Behinderung als solche niemals Grund Grundfreibetrags beschlossen. zum Schwangerschaftsabbruch sein kann. In dieser Woche hat die Koalition die Eckwerte für Freilich kommt es auch auf jeden einzelnen von eine neue Wohneigentumsförderung festgelegt. uns an, wie wir mit Behinderten umgehen, wie wir Eine vierköpfige Familie kann in Zukunft beim Kauf uns gegenüber Müttern verhalten, die ein behinder- oder Bau eines eigenen Hauses oder einer eigenen tes Kind zur Welt bringen. Wohnung acht Jahre lang 8 000 DM vom Staat als Hierbei haben auch die Ärzte eine ganz besondere Zuschuß erhalten. Das sind 64 000 DM, die es auch Verantwortung. Sie sind es in der Regel, die der jungen Familien ermöglichen, Wohneigentum zu er- Schwangeren mitzuteilen haben, daß sie ein behin- werben. dertes Kind erwartet. Ich appelliere an die Ärzte, mit großem Einfühlungsvermögen, mit Rat und Informa- Anmahnen möchte ich die Verwirklichung des tion über mögliche Hilfen diesen Frauen zur Seite zu Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz. stehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Ich wäre sehr dankbar, wenn sich die Kritiker der und der SPD) letzten Tage nochmals genau ansehen, was gesetz- lich festgeschrieben ist, und sich nicht allein von der Die Länder dürfen sich nicht zu Lasten der Familien Diskussion um Mißbrauchsmöglichkeiten, die nie aus ihrer Verantwortung stehlen. ganz auszuschließen sind, leiten lassen. (Beifall des Abg. [CDU/CSU]) Um Schwangeren, die ein behindertes Kind erwar- ten, jedmöglichen Rat und Hilfe anbieten zu können, Gerade auch gute Rahmenbedingungen für Familien haben wir das Schwangerschaftskonfliktgesetz in dienen dem Schutz des ungeborenen Lebens. wichtigen Punkten ergänzt. Die Evangelische Kirche hat den Kompromiß zur In vielen Diskussionen ist mir deutlich geworden, Abtreibung begrüßt. Andere kritisieren die vorgese- daß das Thema „Lebensschutz und Abtreibung" oft hene Regelung, weil sie ihnen entweder zu weit oder zur eindeutigen Sache der Frauen erklärt wird. Hier aber nicht weit genug geht. Ein Kompromiß ist ein muß sich noch ein großer Bewußtseinswandel vollzie- Geben und Nehmen. Entscheidend ist, daß dieser hen. Um die Mitverantwortung insbesondere der Vä- Kompromiß dem Schutz des ungeborenen Lebens ter klar herauszustellen, hatten wir zunächst einen dient und verfassungsgemäß ist. Dies können wir zu- neuen § 218d im Strafgesetzbuch vorgesehen. Die sagen. Heute bietet sich die Chance, die jahrelange anderen Fraktionen verzichteten gänzlich auf eine Auseinandersetzung zu beenden. Ich werbe aus vol- Regelung. Jetzt haben wir zur Verwirklichung des ler Überzeugung für diesen erzielten Kompromiß. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3757 Maria Eichhorn Ich habe aber auch Verständnis für jene Kollegen lung der Frau, mehr bewirkt zum Schutz werdenden und Kolleginnen meiner Fraktion, die glauben, dem Lebens als jedes Strafrecht. Gesetzentwurf aus Gewissensgründen nicht zustim- men zu können. Trotzdem bitte ich Sie, nochmals zu (Beifall bei der SPD) prüfen, ob Sie durch eine Ablehnung unseres Geset- Wenn wir diese unsere Maßstäbe zugrunde legen, zes wirklich einen besseren Lebensschutz erreichen sind wir trotz aller Umwege über das Bundesverfas- können. sungsgericht unserem Ziel nähergekommen. Das Schwangeren- und Familienhilfegesetz ist in seinem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so gesellschaftsverändernden Teil vom Bundesverfas- wie bei Abgeordneten der SPD - Zuruf von sungsgericht bestätigt worden. der CDU/CSU: Das ist der Punkt!) Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Auch nach dem neuen Gesetz ist und bleibt der Frauen und Männer ist dem Staat als Aufgabe aus- Schwangerschaftsabbruch Unrecht. Es geht jetzt drücklich zugewiesen worden. Kindergärten und darum, einem Gesetzentwurf zuzustimmen, der Kinderkrippen, die Schaffung gleichen Zugangs zu durch ein neues Schutzkonzept eine große Chance Beruf und Ausbildung für Männer und Frauen, die eröffnet, das ungeborene Leben in Zukunft wirksa- Schaffung sozialen Ausgleichs, all das verlangt das mer zu schützen. Wir müssen sie hier und heute nut- Bundesverfassungsgericht vom Staat, um den Le- zen. Ich bitte Sie deshalb zuzustimmen. bensschutz zu gewährleisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so Nicht zuletzt deshalb wird auch in diesem Gesetz wie bei Abgeordneten der SPD) noch einmal eine Verbesserung der Wohnungsfür- sorge für junge Schwangere und junge Mütter und Eltern vorgeschlagen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier. Wir haben mit dieser Anpassung des Schwange- ren- und Familienhilfegesetzes an das Bundesverfas- sungsgerichtsurteil unsere Aufgabe als Gesetzgeber Inge Wettig-Danielmeier (SPD): Frau Präsidentin! noch lange nicht erfüllt. Trotz mancher Verbesserung Meine Damen und Herren! Nach wochenlangen Ver- droht der Schwangeren und jungen Mutter immer handlungen zwischen Vertreterinnen und Vertretern noch der Verlust des Arbeitsplatzes, weil Arbeitgeber von CDU/CSU, Grünen, F.D.P. und SPD zeichnete sich ihrer sozialen Pflichten entledigen, weil die Frau sich in der vergangenen Woche eine Kompromiß- mit einem Krippenplatz oder anderer Kinderbetreu- möglichkeit ab, die am Wochenende zu einem tragfä- ung nicht rechnen kann. Und immer noch glauben higen Gesetzentwurf ausgearbeitet wurde. Ich danke Politiker, mit vier Stunden Kindergarten sei das allen Beteiligten an den schwierigen Gesprächen, Recht auf einen Kindergartenplatz erfüllt. und ich bedaure sehr, daß wir die Grünen nicht ein- beziehen konnten. Aber das kann nur eine kurzfristige Übergangslö- sung sein. Das Recht auf einen Kindergartenplatz ist (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: das nicht. Die Kinderkrippe muß ebenso kommen Sie haben sich verweigert! Sie ließen sich wie die Ganztagsschule oder der Kinderhort. nicht einbinden!) (Beifall bei der SPD) Wenn wir die Ausgangslage 1991 nach der deut- Dennoch, es beginnt ins Bewußtsein zu dringen: schen betrachten, so werden wir Wiedervereinigung Der Staat kann den Frauen und Familien nicht nur feststellen, daß alle in dieser schwierigen Frage des Lasten aufbürden. Er muß ihnen auch helfen. Es und seiner Bewältigung Schwangerschaftskonflikts bleibt noch viel zu tun. aufeinander zugegangen sind und nach Regelungen im Interesse der Frauen und im Interesse eines brei- Unser zweites Ziel war, daß Frauen in einer schwe- ten Konsenses gesucht haben. ren Konfliktsituation selbst entscheiden können müs- sen. Nur sie selbst können beurteilen, was sie tragen Ich denke, auch heute sind die Meinungsverschie- und ertragen können, ob sie einer Schwangerschaft, denheiten nicht ausgeräumt; aber es ist ein Aus- einem Leben mit einem Kind gewachsen sind. gleich der unterschiedlichen Meinungen gefunden worden, der verhindert, daß das Bundesverfassungs- Dieses Ziel ist, wenn auch etwas anders, als wir es gericht immer wieder zum Schiedsrichter aufgerufen uns vorgestellt hatten, erreicht worden. Die Frau ent- wird. scheidet im Schwangerschaftskonflikt selbst. Sie muß sich zwar beraten lassen, aber diese Beratung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ist ergebnisoffen zu führen. Die Berate rin muß von - ten der F.D.P.) der Person und ihren Konflikten ausgehen, und sie darf nicht bevormunden, sondern sie soll helfen. Auch heute noch sehen wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen den Schutz werdenden Lebens Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten am besten in den Händen der be troffenen Frauen glauben wir eher an das Gute im Menschen und aufgehoben. Immer noch sind wir überzeugt, daß das daran, daß das Notwendige auch freiwillig getan Strafrecht werdendes Leben nicht schützen kann, wird. Wir hätten also lieber auf die freiwillige Bera- und immer noch glauben wir, daß die Veränderung tung gesetzt; aber da waren die Mehrheiten hier und der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Gleichstel das Bundesverfassungsgericht davor. 3758 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Inge Wettig-Danielmeier Wir hätten auch eine ausgewogenere Formulie- Kein einziger Vorschlag - und wir haben uns sicher rung des § 219 StGB gewünscht, aber wir können mit alle Mühe gegeben - ist wirklich zielgerichtet und diesem Beratungskonzept leben, und ich denke, die trifft die Fälle und gemeinten Personen. Auch die Ex- Frauen können es auch. Sie sind nicht mehr abhän- pertenanhörungen haben keinen praktikablen Vor- gig von dem Urteil eines Dritten, der die Indikation schlag gebracht. Am ehesten überzeugt noch der stellt, und sie haben keinen Hürdenlauf über unter- Hinweis, den Partner stärker in die Beratungen ein- schiedliche Ratgeber mehr vor sich. zubeziehen. Dennoch mochte sich die Union nicht dazu durch- Mit diesem Kompromiß haben wir eine Reihe prak- ringen, auf die Verfassungsauflage einfach zu ver- tischer Fragen gelöst und damit für Frauen, Ärztin- zichten. So ist zwar das Sonderstrafrecht entfallen; es nen, Ärzte und Beratungsstellen Rechtssicherheit ge- wurde nur klargestellt, daß der Nötigungstatbestand schaffen. immer auch die Nötigung zum Schwangerschaftsab- bruch umfaßt, sei es durch Schwängerer, Eltern oder Wenn schon der von der Frau selbst entschiedene Arbeitgeber der Schwangeren. Dazu wurde die ver- Schwangerschaftsabbruch nach dem Urteil des Bun- werfliche Unterhaltspflichtverletzung, die zum desverfassungsgerichts nicht mehr von der Kranken- Schwangerschaftsabbruch führt, mit S trafe belegt. kasse gezahlt wird, so ist jetzt doch ein Weg gefun- den worden, den Frauen den schwierigen Gang zum Ich glaube, viele, insbesondere ich selbst, ärgern Sozialamt zu ersparen. Die Krankenkassen wickeln sich immer wieder, daß Unterhaltspflichtverletzun- die Finanzierung ab, die Anonymität der Frauen wird gen bei uns als Kavaliersdelikt gehandelt werden. weitgehend gewahrt. Der Einkommensnachweis wird im vereinfachten Verfahren von den Kassen vor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- genommen. ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Die Erstattung der Kosten durch die Länder ist für Insofern tut ein deutlicher Hinweis auf das Unmorali- uns problematisch. Das kann auch im Bundesrat sche solchen Tuns gelegentlich gut. noch zu schwierigen Diskussionen führen, zumal das neue Lebensschutzkonzept, das in erster Linie von Die Strafvorschrift ist dennoch nicht gelungen; sie veränderten gesellschaftlichen Bedingungen für die ist im wesentlichen eine Verbeugung vor Karlsruhe, Frau ausgeht, vor allem von den Ländern finanziert und als solche leben wir damit. Dieses Haus täte gut wird. daran, das gesamte Unterhaltsrecht und die Strafan- drohung erneut zu überdenken und in ein besseres Mit den eindeutigen Regelungen über die Rechte Konzept zu überführen. Das war aber nicht Aufgabe und Pflichten der Ärztinnen und Ante, die den des Unterausschusses zur Reform des § 218 StGB. Schwangerschaftsabbruch vornehmen, haben wir Wir begrüßen, daß wir zum eindeutigen Tatbe- Klarheit geschaffen. Es gibt keine zweite Konfliktbe- standsausschluß beim Schwangerschaftsabbruch ratung. Wir hoffen auch, daß damit insbesondere die nach Beratung gekommen sind. Das trägt vielleicht Unsicherheit in den neuen Ländern behoben wird. auch zur Rechtsklarheit bei. Eine Frau, die sich nach Der Arzt steht nun wirklich nicht mit einem Bein im der Beratung zum Schwangerschaftsabbruch ent- Gefängnis, wie einige immer behauptet haben. schließt, verstößt nicht gegen das Gesetz, wie ich heute morgen noch im Rundfunk hören mußte. CDU/CSU und F.D.P. sind unserem Vorschlag ge- folgt, die embryopathische oder eugenische Indika- Wenn der gemeinsame Gesetzentwurf heute im tion entfallen zu lassen. Wir begrüßen das sehr, zu- Bundestag eine Mehrheit findet und schließlich auch mal wir seit 1990 mit unserem Vorschlag eher auf Zu- den Bundesrat passiert, dann könnte das Jahrhun- rückhaltung gestoßen sind. Es kann bei einer Indika- dertthema Schwangerschaftsabbruch eine Lösung tion unserer Meinung nach - da treffen sich inzwi- gefunden haben, vielleicht keine dauerhafte, keine schen alle Fraktionen - nur auf die Frau ankommen: für alle Zeiten, jedenfalls aber eine Lösung, die für auf ihre Belastbarkeit, ihre Lebensperspektive, nicht viele Jahre in einem schwierigen Feld Rechtssicher- auf die mögliche Behinderung des Kindes. heit schafft. Von Kritikerinnen und Kritikern ist der Entwurf, ist Die Vorwürfe gegen die neue medizinische Indi- der gefundene Ausgleich als fauler Kompromiß dis- kation zeigen, wie irrational dieses Thema immer kreditiert worden. Einigen geht er zu weit, anderen noch behandelt wird. Schließlich handelt es sich um nicht weit genug. Es heißt, Spielräume des Bundes- die „alte" Indikation, die jahrzehntelang nicht zum verfassungsgerichtsurteils seien nicht ausgelotet Mißbrauch geführt hat. worden. Nun, zweimal hat eine Mehrheit des Bun- destages die Spielräume ausgelotet, beide Male mit Neben den Regelungen zur Beratung haben wir negativem Ausgang. Der Fortschritt wurde in Karls- uns am schwersten mit der Bestrafung des Umfeldes ruhe halbiert. Betroffen waren Frauen, Ärztinnen, der Schwangeren getan. Die richtige Erkenntnis, daß Ärzte, Familien. Jahrelange Rechtsunsicherheit war vor allem das Umfeld - Eltern, Freundinnen und die Folge. Freunde, der Partner und die Arbeitgeber - die Schwangerschaft annehmen muß, wenn es nicht im- Nachdem wir jetzt über zentrale Fragen eine Ver- mer wieder zu Schwangerschaftskonflikten kommen ständigung erzielt haben, schien mir und meiner soll, hat das Bundesverfassungsgericht in eine eher Fraktion ein erneuter Test vor dem Bundesverfas- undifferenzierte Strafforderung umgemünzt. sungsgericht entbehrlich zu sein. Er diente nämlich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3759

Inge Wettig-Danielmeier niemandem, den Be troffenen nicht und auch nicht auch Mitverantwortung ihrer eigenen Geschlechts- dem Ansehen des Bundestages, der sich im letzten genossen als Täterinnen sahen und nicht wenigstens Jahr nach dem Scheitern des Vermittlungsverfahrens auch als das, was sie doch oft genug waren, nämlich dem Vorwurf ausgesetzt sah, er finde nicht die Kraft Opfer einer schier unlösbaren Konfliktsituation. zu einer naheliegenden Lösung. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Den Kritikern dieser Lösung möchte ich nach mei- ten der SPD) nem jahrzehntelangen Kampf für die Neugestaltung des Schwangerschaftsabbruchs und für eine andere Um diese unwürdige Situation zu verändern, ha- Familienpolitik noch ein Wort sagen: ben sich liberale Frauen und Männer immer wieder mit aller Kraft für eine rechtliche Regelung der Ab- Die deutsche politische Theorie ist arm an Gedan- treibungsproblematik eingesetzt, bei der die Frau ken zur Begründung des demokratischen Staates nach eigener Prüfung, nach eigener Gewissensent- und seiner Funktionsweise. Sie ist reich an Ästheten scheidung, ohne Druck und unabhängig von dem Ur- des Staates, die die Verwirklichung der Staatsidee teil anderer allein darüber entscheidet, ob sie in der über alles preisen und deswegen alles verachten und Lage ist, die Schwangerschaft fortzusetzen oder ob bekämpfen, was dieser Selbstverwirklichung in der sie sich für einen Abbruch entscheidet. Politik entgegensteht. Sie verachten natürlich auch den Kompromiß, der zum Wesen der Demokratie ge- Ich darf an dieser Stelle stellvertretend für viele Li- hört. In den großen Kompromissen bewährt sich die selotte Funcke erwähnen und daran erinnern, wie sie Demokratie, und nicht ohne Grund sprechen wir des- sich in den Debatten der 70er Jahre leidenschaftlich halb vom „Verfassungskompromiß", der produktiven dafür eingesetzt hat, das Indikationsmodell abzulö- Gestaltung schwieriger politischer Felder mit der Of- sen, auf eine gute Beratung zu setzen und die Frau fenheit für neue Lösungen. alleine entscheiden zu lassen. Der immer wieder gefundene Ausgleich der Inter- (Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Hanna essen macht die Demokratie überlegen gegenüber Wolf [München] [SPD]) anderen staatlichen Organisationsformen. Weil dies Diese Stichworte kommen uns auch noch heute aus so ist, bin ich froh, an diesem schwierigen Kompro- der Diskussion der letzten Wochen bekannt vor. miß mitgewirkt zu haben, und bitte um Ihre Zustim- mung. Meine Damen und Herren, bei aller Kritik an Ein- zelpunkten, die quer durch die Fraktionen geht, (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall auch unter denen, die diesen Kompromiß jetzt mittra- bei Abgeordneten der CDU/CSU und der gen, bei allem, was von außen an Kritik herangetra- F.D.P.) gen wird, manchmal vielleicht ein bißchen voreilig - die Kritik an dem Verfassungsgerichtsurteil hat ein Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat schlechtes Beispiel gesetzt; manche haben es be- jetzt der Abgeordnete Heinz Lanfermann. grüßt, die es nachher nicht mehr gerne lesen wollten, und manche haben es verurteilt, die nachher man- Heinz Lanfermann (F.D.P.): Frau Präsidentin! ches darin gefunden haben, was man brauchen Meine Damen und Herren! Heute wi ll der Deutsche konnte -, möchte ich aus Sicht der Liberalen den Bundestag einen großen Schritt tun, um eine Reform Blick doch einmal auf das Wesentliche richten. zum Abschluß zu bringen, die gerade für uns Libe- Wir haben das Ziel der alleinigen und eigenverant- rale nach über 100 Jahren Kampf für ein liberales Ab- wortlichen Entscheidung der Frau erreicht. Wir woll- treibungsrecht eine sehr große Bedeutung hat. Ich ten, daß Rat und Hilfe die S trafe ablösen. Das Gesetz hoffe, daß das, was heute verabschiedet werden soll, bietet Rat und Hilfe; die Frau wird nicht bestraft. nicht nur für einige, sondern für lange Zeit hält und endlich Rechtsfrieden schafft, insbesondere im Inter- Die F.D.P. wollte eine Beratung, die nicht belehrt esse der betroffenen Frauen, auch der Beratungsstel- und nicht bevormundet, die nicht belehren und nicht len, ja der ganzen Gesellschaft. bevormunden darf. Für diese Formulierung habe ich mich in den Verhandlungen - die anderen Beteilig- (Beifall bei der F.D.P.) ten haben darunter vielleicht etwas gelitten - beson- Wenn wir zurückschauen, sehen wir, daß sich die ders eingesetzt. Das ist erreicht; das wird wörtlich im Bevormundung von Frauen wie ein roter Faden Gesetz stehen. durch die Geschichte der Abtreibung zieht. Bevor- Wir wollten, daß die Mitwirkung der Frau bei der mundung durch Staat und auch Kirche, das hieß Konfliktberatung eine freiwillige ist - und dies be- auch immer Bevormundung durch Männer. Beleh- sonders bei der Darstellung von Gründen für den er- rung, Ignoranz, das Absprechen von Verantwortung, wogenen Abbruch. Das Gesetz stellt ausdrücklich das Vorurteil, Frauen würden leichtfertig abbrechen klar, daß das Konzept der Beratung durch Rat und oder es falle ihnen leicht, moralischer Druck, soziale Hilfe ausschließt, die Frau zur Nennung der Gründe Ausgrenzung, Vernichtung von Lebenschancen und zu zwingen. Aus diesem Grunde darf die Beratungs- vor allem härteste und immer auch nutz- und wir- bescheinigung auch nicht verweigert werden. kungslose Strafen haben für Frauen über viele Jahr- zehnte unsere Gesellschaft geprägt. Viele Männer Ein besonderes Anliegen der F.D.P. war es, daß es mußten mühsam lernen, die Welt auch einmal mit beim Arzt, der den Abbruch vornehmen soll, keine den Augen derjenigen zu sehen, die sie oft genug peinliche Befragung gibt, etwa schon deswegen, unter Verdrängung der Mitverursachung und damit weil sich der Arzt unter Druck sieht und selber Angst 3760 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Heinz Lanfermann vor Strafe haben müßte. Wir wollten, daß es für die straflos bleibt, durch eine Regelung abgelöst wird, Frauen keinen Hürdenlauf gibt, sondern daß sie sich bei der allein die Frau entscheidet, sie allein die Ver- in einer vertrauensvollen Atmosphäre über die medi- antwortung trägt, niemand Druck auf sie ausübt, zinischen Aspekte beraten lassen und nur, wenn sie keine Hürden aufgebaut werden, ihr aber Rat und selber über die Gründe für den Abbruch sprechen Hilfe gegeben wird, der Staat für eine bessere Verhü- wollen, dies tun können. Wir schreiben nun fest: Der tung und Aufklärung sorgt, die Möglichkeiten für ein Arzt gibt der Frau Gelegenheit, über die Gründe zu Leben mit dem Kind verbessert werden und dies al- sprechen. Sie tut dies freiwillig; sie tut es, wenn sie les so ausgestaltet wird, daß damit dem Schutz des es wünscht. Dies ist in der Situa tion das beste, was ungeborenen Lebens besser gedient wird, als dies wir für den Lebensschutz tun können. zuvor sowohl mit der alten Indikationsregelung in Westdeutschland als auch mit der reinen Fristenrege- (Beifall bei der F.D.P. - Hubert Hüppe lung in Ostdeutschland gewährleistet wurde. [CDU/CSU]: Das ist verfassungswidrig!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Wir haben uns für die Dinge, für die wir uns einge- ten der SPD) setzt haben, deswegen eingesetzt, weil sie gut für den Lebensschutz sind. Wir wollten sie niemandem All diese Punkte, all diese Elemente des liberalen abringen oder abtrotzen, der etwa mehr für Lebens- Konzepts können heute in die Realität umgesetzt schutz wäre als wir. Wir haben alle das Bemühen ge- werden. Es hat lange gedauert. Als wir vor fünf Jah- habt - in den Verhandlungen war das deutlich; das ren diesen Vorschlag vorgelegt haben, wollten sich war das Ziel des Gesetzes -, dem Lebensschutz zu weite Teile aus CDU und CSU ihm nicht nähern. Sie dienen. Wir haben über den Weg gestritten, und ich glaubten, mit einer Indikationsregelung - wie auch glaube, wir haben den besten gefunden. immer ausgestaltet - könne der Lebensschutz besser gewährleistet werden. Es war für Sie vielleicht Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsge- schwer vorstellbar, daß ein neues, ein anderes Kon- richts dürfen die Abbrüche, die nach der Beratungs- zept, das jetzt allgemein Beratungskonzept genannt regelung durchgeführt werden, nicht aus den Beiträ- wird, einen besseren Weg eröffnet. gen der Krankenversicherten bezahlt werden. Wir wollten den Frauen, die den Abbruch nicht selber be- Die Diskussion über die Jahre hinweg und insbe- zahlen können, den Gang zum Sozialamt ersparen. sondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - Sie brauchen nicht zum Sozialamt zu gehen. Die Ko- man sollte nicht aus den Augen verlieren, daß es sten werden zunächst von den Krankenkassen über- trotz aller Punkte, die das Bundesverfassungsgericht nommen, die sich das Geld dann von den Ländern im einzelnen beanstandet hat, dieses Beratungskon- erstatten lassen. Das ist für die be troffenen Frauen zept und so den damit verbundenen Modellwechsel die einfachste und sie am wenigsten belastende Ab- einmütig mit 8 : 0 Stimmen gebilligt hat - haben zu rechnung. Das Verfassungsgericht hat übrigens ge- einer Annäherung der Standpunkte geführt, die es wünscht, daß wir einen solchen Weg finden. heute vielen Kolleginnen und Kollegen aus CDU und CSU ermöglicht, dem Gesetzentwurf, mit dem dieses Wenn heute die große Chance besteht, daß eine Konzept umgesetzt wird, zuzustimmen. Ich freue unendlich erscheinende Geschichte doch zu einem mich darüber, weil ich bei der Vorlage unseres Ent- vernünftigen Ergebnis gebracht wird und in einem wurfes im Januar gesagt habe: Ich möchte eine breite der umstrittensten Regelungsbereiche der letzten Mehrheit aus der Mitte des Parlaments für den 25 Jahre endlich Rechtsfrieden einkehren kann, Rechtsfrieden in dieser Angelegenheit. sollte die erste Feststellung wirklich lauten, daß sich alle in diesem Hause, die guten Willens sind, in die- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- sem Kompromiß wiederfinden können, daß in ihm für ten der SPD) sie wichtige Punkte enthalten sind und es deswegen, Meine Damen und Herren, im Laufe der Jahre ist weil alle aufeinander zugegangen sind, in der Tat es auch gelungen, viele Kolleginnen und Kollegen weder Sieger noch Besiegte gibt. aus der SPD davon zu überzeugen, daß die von ihnen allein mit einem freiwil- Ich sage dies bewußt vor dem Hintergrund, daß in gewünschte Fristenregelung ligen Beratungsangebot angesichts der A rt. 1 und 2 der F.D.P. vor fünf Jahren, als die deutsche Einheit unseres Grundgesetzes nicht verfassungskonform ist. vor der Tür stand und es absehbar war, daß die bei- Ich glaube, zuletzt hat das Urteil des Bundesverfas- den völlig unterschiedlichen rechtlichen Regelungen sungsgerichts eindeutig aufgezeigt, was dort mit ei- betreffend den Schwangerschaftsabbruch durch ein ner Fristenregelung ohne Beratungspflicht gesche- neues einheitliches Gesetz abgelöst werden mußten, hen würde. das Konzept der modifizierten Fristenregelung mit obligatorischer Beratung entwickelt wurde. Wenn ich an diese Jahre erinnere, möchte ich auch noch einmal erwähnen, wie sehr die F.D.P. Uta Wür- Dieser Vorschlag ging seinen langen demokrati- fel dankbar ist, die die Verhandlungen in all diesen schen Weg: in den Parteigremien diskutiert, Pro- Jahren durch alle Höhen und Tiefen dieses Themas gramm zur Bundestagswahl 1990 und von der F.D.P.- geführt hat, mit für den Gesetzentwurf gesorgt hat, Bundestagsfraktion zu Beginn der 12. Legislatur- der hier als Gruppenantrag verabschiedet wurde, periode in den Deutschen Bundestag eingebracht. und auch die Geschichte der Verfahren in Karlsruhe Der wesentliche Inhalt bestand da rin, daß die alte In- miterlebt hat. dikationsregelung, bei der ein Dritter, nämlich derje- nige, der die Indikation stellt, darüber befindet, ob (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- sich die Frau bei einem Abbruch strafbar macht oder ten der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3761 Heinz Lanfermann Sie hat für diesen Bundestag nicht mehr kandidiert, Meine Damen und Herren, es ist kurz erwähnt aber ich weiß, daß sie sich über dieses Ergebnis freut. worden: Der eigentlich größte Anlaß für das Verfas- sungsgericht, das alte Gesetz teilweise aufzuheben, So hat die Diskussion über den 1992 Gesetz gewor- war die Frage der rechtlichen Konstruktion. Das in- denen Gruppenantrag und das Karlsruher Verfahren teressiert das große Publikum nicht. Es ist in den letz- im Laufe der Jahre bis hin zu den Beratungen der ten Wochen auch kaum erwähnt worden, weil wir es letzten Wochen gezeigt, daß es möglich ist, auf der selbstverständlich so regeln konnten, wie das Verfas- Grundlage unseres Vorschlags eine Regelung zu fin- sungsgericht es gefordert hat. Sie werden verstehen, den, die sowohl den bestmöglichen Schutz des unge- daß ich deshalb noch einmal darauf hinweise, daß borenen Lebens bietet, verfassungskonform ist als dies sowohl in dem F.D.P.-Entwurf als auch in dem auch für die be troffenen Frauen ein wirklich akzep- daraus entstandenen Gruppenantrag 1992 genauso tables Verfahren bietet. enthalten war. In letzter Minute hat man sich aus Gründen der Mehrheitsfindung anders entschlossen, Meine Damen und Herren, ich möchte auf eine Kri- und das Verfassungsgericht hat uns jetzt auf den tik eingehen, wie sie in den letzten Tagen z. B. von richtigen Weg wieder zurückgeführt. Pro Familia geäußert wurde. Danach sei die Bera- tungsregelung widersprüchlich angelegt. Diese Kri- Eine wichtige Rolle hat auch die Frage gespielt, ob tik ist nicht gerechtfertigt. Hier hat man sich anschei- und wie die Anforderung des Gerichts umzusetzen nend durch die Gesetzestechnik verwirren lassen ist, Strafnormen für das familiäre Umfeld der und die innere Verbindung zwischen einzelnen Vor- Schwangeren vorzusehen. Wir hatten hierauf zu- schriften nicht erkannt: § 219 des Strafgesetzbuches nächst im Januar verzichtet, aber gleichzeitig eine folgt direkt der Regelung über die Straffreiheit der Anhörung gewünscht, in der diese Frage vertieft Frau bei Abbrüchen nach der Beratungsregelung in wurde. Die Expertenanhörung hat unsere Meinung § 218a. Hier werden sowohl das Ziel der Beratung - bestätigt, daß nämlich die Gefahr besteht, daß die Schutz des ungeborenen Lebens - als auch die Frage Offenheit der Frau für die Beratung und damit auch der Entscheidungsbefugnis im Sinne der Frau gere- die Funktion dieser Offenheit beeinträchtigt wird, gelt, indem gesagt wird, daß die Beratung der Frau nämlich für den Lebensschutz zu sorgen, so daß der helfen soll, selbst eine verantwortliche und gewissen- Gesetzgeber wirk lich in ein Dilemma geraten ist. hafte Entscheidung zu treffen. Weiterhin wird hier festgelegt, daß dies durch Rat und Hilfe zu gesche- Wir haben uns, weil in der Tat der Wortlaut des Ur- hen hat. Für das Nähere wird auf § 5 des Schwanger- teils Strafnormen gebietet, der Inhalt des Urteils aber schaftskonfliktgesetzes verwiesen, in dem ausdrück- eigentlich Strafnormen verbietet, im Kompromiß dar- lich gesagt wird, daß erstens die Beratung ergebnis- auf verständigt, daß es eine spezielle Norm in bezug offen zu führen ist, zweitens die Beratung von der auf das familiäre oder soziale Umfeld so nicht geben Verantwortung der Frau ausgeht und drittens die Be- wird. § 218d StGB, wie er von vielen gewünscht ratung Verständnis wecken und ermutigen soll und wurde, kommt nicht in das Gesetz. nicht belehren und bevormunden darf. Dagegen haben wir zur Klarstellung § 240 insofern (Beifall bei der F.D.P.) erweitert, als die Nötigung zu einem Schwanger- schaftsabbruch - § 219 StGB und § 5 des Schwangerschaftskonflikt- wie es bisher auch schon gesehen gesetzes sind untrennbar miteinander verknüpft. wurde - in der Regel einen schweren Fall der Nöti- gung darstellt. Wir haben ebenfalls im Wege des § 219 sagt ausdrücklich, daß das Nähere in § 5 gere- gelt ist. § 5 bezieht sich ausdrücklich auf § 219. Kompromisses akzeptiert - Frau Wet tig hat darauf hingewiesen -, daß es auch dem Sinn dieser Vor- Meine Damen und Herren, es gilt die eine Vorschrift schrift entspricht, daß in einem speziellen Fa nicht ohne die andere. Man kann die eine Vorschrift ll der Unterhaltspflichtverletzung eine etwas höhere Straf- nicht ohne die andere verstehen. Man kann, ja man norm eingeführt wird. darf auch nicht die eine Vorschrift ohne die andere anwenden. Meine Damen und Herren, es gibt einen Punkt, Die §§ 219 und 5 sind als zwei Seiten derselben der sehr viel diskutiert worden ist. Das ist die em- Medaille zu sehen. Wer versucht, nur die eine Seite bryopathische Indikation. Ich will dazu jetzt in der vorzuzeigen, versteckt zwar kurzfristig die andere, er verbleibenden Redezeit keine langen Ausführungen beseitigt sie aber nicht. mehr machen. Die jetzt vorgesehene Regelung war nicht unser Wunsch. Wir hätten mit der alten Rege- Das heißt konkret: Die Ergebnisoffenheit der Bera- lung auch weiter leben können, wenn es den Hin- tung ist nicht gegen das Ziel der Beratung, den weis gegeben hätte, daß dieses Thema isoliert disku- Schutz des ungeborenen Lebens, gerichtet. Sie ist tiert werden könnte, weil es ein sehr schwieriges die beste Verbündete des Lebensschutzes. Sie ist ge- Thema ist. Die Meinungen gehen weit auseinander. radezu die notwendige Voraussetzung für einen Ich möchte zwei Dingen vorbeugen: möglichst erfolgreichen Lebensschutz. Erstens. Jede Spekulation, daß sich in der Praxis (Beifall bei der F.D.P.) für die betroffenen Frauen, für die be troffenen Eltern etwas ändern würde, scheint meiner Ansicht nach Lebensschutz fordert eine ergebnisoffene Beratung, falsch zu sein. und eine ergebnisoffene Beratung fördert den Le- bensschutz. (Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU]: Richtig!) 3762 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Heinz Lanfermann Hier ist ein Symbol gesetzt worden, weil - damit wi ll halt; ich sage das ganz deutlich -, damit ungewollte ich gleich das zweite Argument ansprechen - wir in Schwangerschaften gar nicht erst entstehen. der Vergangenheit, in den letzten Jahren eine Dis- Vielen Dank. kussion hatten, die zwar verständlich war - es ging um den Wunsch, daß behindertes Leben nicht weni- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ger schützenswert ist als nichtbehindertes Leben -, ten der SPD) die aber von falschen Voraussetzungen ausging.

Wer sich den Gesetzestext der alten Regelung be- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt treffend embryopathische Indikation anschaut, sieht, die Kollegin Rita Grießhaber. daß niemals die Behinderung der Grund für einen Abbruch sein durfte. Es war immer die Situation der Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau, auf die abgestellt wurde. Ich möchte für diesen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Spiel- Bundestag und für alle früheren Bundestage - die ge- räume, auch wenn sie eng sind, kann man nutzen. nau den Gesetzestext früher schon einmal beschlos- Um das zu tun, hat sich unsere Fraktion an den Ver- sen haben, der jetzt wieder Gesetzestext werden soll - handlungen über eine interfraktionelle Kompromiß- sagen, daß niemals irgendeiner im Bundestag die lösung zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs Absicht hatte, etwas gegen behindertes Leben zu un- beteiligt. ternehmen. Das sollte man sich auch nicht aufdrän- gen lassen. Wir wollten ein Gesetz, das ganz klar die Rechte der Frauen benennt, Beratungsstellen ohne jeden (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Zweifel absichert und Ärzte sowie das familiäre Um- Abgeordneten der CDU/CSU) feld nicht mit besonderen Strafen bedroht. Der jetzt vorliegende Entwurf wird diesen Anforderungen Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß nicht voll gerecht. kommen. Wenn der Kompromiß von Union, SPD und Wir haben schon bei unserer Antwort auf die Re- F.D.P. heute eine breite Mehrheit findet, dann kön- gierungserklärung zu Beginn der Legislaturperiode nen sich die Kräfte endlich wieder auf die anderen angekündigt, daß unsere Fraktion keine Opposi tion Säulen der Reform des Schwangerschaftskonflikt im Generalverriß machen wird. Wir werden auch in rechts konzentrieren, statt sich in gesetzgeberischer dieser Debatte um dieses emotional hochbesetzte Neuregelung zu verzetteln, denn das Schwanger- Thema des Schwangerschaftsabbruchs von dieser schaftskonfliktrecht besteht aus mehr als den Para- Devise nicht abweichen. graphen, die wir heute verabschieden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gilt, die dringend erforderliche Verbesserung der Rahmenbedingungen für ein Leben mit Kindern Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Ur- umzusetzen. Es sind bereits seit 1992 gute Grundla- teil von 1993 nicht mehr viel übriggelassen, worüber gen gelegt worden, aber wir sind noch nicht am Ziel. man sich noch frei hätte einigen können. Der Spiel- Es gilt auch, den Anspruch auf einen Kindergarten- raum war in der Tat höchst eng. Das Bemühen, zu ei- platz umzusetzen. ner Einigung zu kommen, war anfänglich bei allen Beteiligten sehr groß, und es sind auch Einigungen Frau Wettig, Sie haben von schwierigen Diskussio- erzielt worden, die für die Frauen eine reelle Verbes- nen im Bundesrat gesprochen. Sie können hier for- serung bringen. Die Abwicklung der Kosten des Ab- mal nicht für die Länder sprechen, aber ich denke bruchs über die Krankenkassen möchte ich hier nur doch, daß die große Volkspartei SPD sich in dieser als Beispiel nennen. Frage nicht auseinanderdividieren lassen wird. Ich Aber in zwei ganz entscheidenden Punkten geht hoffe, daß wir nicht etwa das Schauspiel erleben, daß der Entwurf von Regierungskoalitionen und SPD ausgerechnet im Bundesrat irgendwelche Länder weit über das hinaus, was wir mittragen können. jetzt auf die Idee kommen, dieses große Reformwerk, Dazu gehört - es ist hier mehrfach angesprochen diesen historischen Kompromiß, jetzt noch durch worden - die Formulierung des § 219, der das Le- kleinliches Einreden irgendwie zu verzögern oder zu bensschutzziel regelt, und die vorgesehene Bestra- verhindern. fung des familiären Umfeldes. (Beifall bei der F.D.P.) Wir haben Sie ja schon im Februar gefragt, was die Regelung der Beratung im Strafrecht zu suchen hat, und haben keine befriedigende Antwort darauf be- Herr Kollege, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: kommen. Ich frage Sie jetzt: Wenn Sie schon darauf- Sie müssen leider zum Schluß kommen. bestehen, daß diese Regelung ins S trafrecht hinein- geschrieben wird, warum dann nicht zusammen mit der ergebnisoffenen Beratung? Was hat Sie daran ge- Heinz Lanfermann (F.D.P.): Vielen Dank, Frau Prä- hindert, diese ergebnisoffene Beratung mit in den sidentin. Ich wollte nur noch ein Letztes sagen, was § 219 hineinzuschreiben, wenn das Verfassungsge- auch zu dem Konzept gehört. richt sie im Urteil so benannt hat? Wir müssen auch die Anstrengungen auf dem Ge- Herr Lanfermann, wenn Weg und Ziel zwei Seiten biet der Aufklärung und Verhütung verstärken - das derselben Medaille sind, dann können Sie diese gilt auch für den Bundestag und den nächsten Haus- auch nicht teilen und die eine Seite ins Münzfach Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3763

Rita Grießhaber und die andere Seite ins Scheinfach stecken, dann Dieser weise Rat wurde im Kompromißentwurf soll man sie zusammen benennen und nicht einseitig nicht berücksichtigt. Statt dessen wurde der Nöti- im Strafrecht das Lebensschutzziel verankern, die er- gungsparagraph 240 des Strafgesetzbuches erweitert gebnisoffene Beratung aber nur im Beratungsgesetz und die Nötigung zu einem Schwangerschaftsab- festschreiben. bruch als Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Nötigung ausgestaltet. Die F.D.P. kredenzt auf ihren Parteitagen gerne das liberale Profil als Wein, und hier wird das Wasser mit Hier geht es nicht darum, daß wir schwangere Kompromissen, die nicht nötig sind, getrunken. Frauen nicht schützen wollen. Den Schutz des § 240 hatten sie auf dem Papier auch bisher. Das merken Sie, wenn Sie sich das in der Realität einmal an- ( [F.D.P.]: Das war aber ein schauen. Aber wie die Anhörung gezeigt hat, liegen schwacher Einwand!) die eigentlichen Probleme in der Pra xis an einer ganz anderen Stelle. Wenn sich eine Frau zum Abbruch Ich weiß, daß viele, die diesem Kompromiß heute genötigt sieht, dann meist nicht, weil sie sich unmit- zustimmen werden, es genau wegen dieses § 219 telbar bedroht fühlt, sondern weil sie langfristig nicht und seiner sehr einseitigen Formulierung nur sehr mit der Solidarität des familiären Umfelds rechnen schweren Herzens tun. Sie haben viele Jahre für eine kann. andere Regelung gekämpft. Es ist bitter, dem § 219 jetzt in dieser Formulierung zustimmen zu müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Roeder hat das auf die eindringliche Formel ge- Wir wollten in diesem Punkt eine Einigung mit bracht: „Klar gesagt, niemand freut sich auf das SPD und F.D.P., die besser ausgesehen hätte. Aber Kind." wir haben - ich weiß, wie das ist - nicht den Verzicht auf den Gang nach Karlsruhe zu bieten, der wirklich Mit den §§ 240 und 170b schaffen Sie symboli- entbehrlich ist; aber das brauche ich hier nicht mehr sches Strafrecht. Was für die Pra xis besonders schwer zu sagen. Das ist keine Ironie. Ich weiß, wie hoch die- wiegt: Diese Strafandrohungen verunsichern Frauen, ser Klageverzicht politisch einzuschätzen ist. Aber es die sowieso schon die Hürde der erzwungenen Bera- ist auch ein Problem, daß genau mit diesen Klagean- tung überwinden müssen. drohungen hier Politik gemacht wird. Ich will hier mit aller Deutlichkeit sagen: Ein Recht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Beratung wäre eine wirkliche Hilfe für viele sowie bei Abgeordneten der SPD) Frauen gewesen. Das Urteil wollte es anders. Nun liegt es an den Beraterinnen — meistens schaffen sie Wir gehören nicht zu den Anhängerinnen eines das auch -, aus dieser Situation das Bestmögliche zu Politikersatzes aus Karlsruhe. Es ist bedenklich, machen. wenn Urteile wie das zum Schwangerschaftsab- Daß nun aber durch die drohende S trafe noch die bruch, die in sich widersprüch lich sind, die Politik Unsicherheit dazukommt, daß sich Frauen überlegen dazu verleiten, Gesetze zu machen, die diese Wider- müssen, wie offen sie wirklich ihre Probleme darle- sprüche weiter zuspitzen. gen können, ist nicht hilfreich. Inwieweit die Fami- lienplanungszentren durch die Regelung wirklich Ich möchte das an Hand der Bestrafung des fami- abgesichert sind und ob nicht eindeutigere Formulie- liären Umfelds beleuchten. Karlsruhe hat entschie- rungen größere Rechtssicherheit geschaffen hätten, den, daß das werdende Leben über ein Beratungs- muß sich erst noch erweisen. konzept zu schützen sei, und gleichzeitig eine Straf- norm für das familiäre Umfeld gefordert. Fast alle Ex- Lassen Sie mich noch etwas anderes sagen. Hier perten haben wiederholt festgestellt, daß sich die wurde viel davon gesprochen, daß hier ein Gesetz im beiden Konzepte widersprechen. Hauruckverfahren verabschiedet werde. Wer an den Prozessen beteiligt war und die jahrelange Diskus- Die Strafrechtsexpertin Frau Professor Nelles hat sion kennt, kann diesen Punkt wirklich nicht bestäti- dafür bei der Anhörung ein sehr treffendes Bild ge- gen. funden: Mit Erstaunen nehmen wir aber zur Kenntnis, daß Sie jetzt die Regelung des Betreuungsunterhalts so- Wenn das Bundesverfassungsgericht nach sorg- wie die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher fältiger Abwägung der Fortbewegungsfreiheit Kinder in das Beratungsrecht mit hineingenommen gegen das Verbot, andere zu gefährden, zu dem haben. Das ist eine ganz problematische Entwick- Ergebnis käme, daß unter ganz bestimmten, vom lung, die wir hier haben. Wieso müssen alle Verbes- Gesetzgeber zu formulierenden Voraussetzun- serungen für die Kinder, sei es die Gleichstellung gen es an einigen Stellen auch Ampeln geben beim Betreuungsunterhalt oder sei es der Rechtsan- müßte, die sowohl Rot als auch Grün gleichzeitig spruch auf einen Kindergartenplatz, immer Abfall- zeigen, dann ergibt sich aus diesem Postulat produkt eines Schwangerschaftsgesetzes sein? schon die Unsinnigkeit einer solchen Regelung an sich, und ein Gesetzgeber wäre gut beraten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenn er mit gnädigem Stillschweigen darüber sowie bei Abgeordneten der SPD und der hinwegginge. Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]) 3764 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Rita Grießhaber Warum können sie nicht Inhalt eines Gesetzes für harmlosen Aufklärungsbroschüren angucke, die sich Hilfen für Kinder sein, so wie wir das haben wollen? lediglich dadurch auszeichnen, das sie die Dinge, um Warum tauchen sie immer nur auf, wenn es darum die es geht, beim Namen nennen, und die genau des- geht, Abbrüche zu verhindern? Warum be treiben wir wegen im Reißwolf landen, dann macht das deutlich, nicht eine aktive positive Kinderpolitik und kommen wie weit wir davon noch entfernt sind. endlich zu einer Reform des Kindschaftsrechtes, die auch den Anspruch auf eine bedarfsgerecht gestal- Wenn es um Frauen und deren Lebenssituation ge- tete Betreuung beinhaltet? Nein, immer nur, wenn gangen wäre, dann hätte es um die Diskrepanz zwi- man mit der Knute des Zwangs über den Frauen schen Kinderwunsch einerseits und dessen Realisie- steht und fordert, daß sie nicht abbrechen sollen, rung andererseits gehen müssen. Im Osten hat diese sind wir in der Lage, hier kleine Schritte zu machen Differenz eine dramatische Dimension angenommen. und uns vorwärtszubewegen. Das ist eine Schande. Nicht der Kinderwunsch hat im Osten abgenommen, sondern die Bereitschaft, Kinder zur Welt zu bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das hat zu tun mit den Arbeitsmarktchancen von und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frauen, und das hat zu tun mit den Bedingungen für der F.D.P.) die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung. Es geht hier nicht um Frauen, und es geht auch Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat nicht um Kinder, es geht um die Kontrolle über jetzt die Kollegin Christina Schenk. Frauen - von jeher eine der tragenden Säulen patri- archaler Gesellschaften. Es geht hier um ein Frauen- Christina Schenk (PDS): Frau Präsidentin! Meine bild, in dem Frauen als die eigentliche Gefahr für das Damen und Herren! Es hat hier den Anschein, als vorgeburtliche Leben wahrgenommen werden, in wäre es gelungen, das für die Öffentlichkeit ohnehin dem sie als verantwortlich und souverän entschei- weithin unverständliche Gezerre um eine Neurege- dende Subjekte nicht vorkommen. Dies äußert sich lung des Schwangerschaftsabbruchs end lich zu ei- darin, daß die befruchtete Eizelle bzw. der Fötus eine nem guten Ende zu bringen. Lobpreisungen allent- hypertrophierte Bedeutungszumessung erfährt. halben, nur die Grünen sind nicht ganz zufrieden, Das kam im Urteil des Bundesverfassungsgerichts weil ihre Anpassungsleistung nicht honoriert worden von 1993 sehr deutlich zum Ausdruck und findet ist. jetzt auch im Kompromiß seinen Niederschlag. Im (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist der Fötus zum Rechtssubjekt erklärt und damit personalisiert Ich möchte hier klarstellen: Es bleibt dabei, auch worden. Auf diese Weise gelingt es, ihm ein eigen- dieser Kompromiß mißachtet das Selbstbestim- ständiges Lebensrecht zuzusprechen, das dann na- mungsrecht von Frauen, spricht ihnen die Fähigkeit türlich durch den Staat zu schützen sei. Damit wird ab, selbstverantwortlich zu entscheiden. Dieser Kom- nicht von der Frau, die das allein wissen kann, son- promiß bedeutet, daß sich die Situa tion für Frauen in dern von außen, durch den Gesetzgeber, definiert, einigen Gebieten Westdeutschlands verbessern wird was eine Leibesfrucht für die schwangere Frau zu und daß sie in einigen Gebieten Westdeutschlands sein hat, nämlich Mensch von Anfang an. gleichbleibt. Dieser Kompromiß bedeutet aber vor al- len Dingen, daß ostdeutsche Frauen ihn mit einer Ich hatte in der letzten Debatte in diesem Hohen drastischen Verschlechterung ihrer Situa tion gegen- Hause zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs be- über den Verhältnissen, die in diesem Zusammen- reits mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß hang in der DDR geherrscht haben, bezahlen müs- diese Frage prinzipiell nicht objektiv, sondern aus- sen. Ich bin ganz sicher: Das, was heute vorliegt, ist schließlich subjektiv, aus der Sicht der schwangeren in dieser Frage nicht das letzte Wort. Frau, beantwortbar ist. Der Fötus ist - ich wiederhole das hier -, wenn es sich um eine gewollte Schwan- (Beifall bei der PDS) gerschaft handelt, für die schwangere Frau ihr Kind - Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, den Blick wenn Sie so wollen, vielleicht auch von Anfang an -, noch einmal auf den Gesamtprozeß, den Gesamtzu- oder aber es ist, wenn es sich um eine ungewollte sammenhang zu lenken. Schwangerschaft handelt, ein Etwas, das eine Bedro- hung für ihren Lebensentwurf darstellt. Am Anfang stand der Einigungsvertrag. In diesem wurde der künftige gesamtdeutsche Gesetzgeber (Reiner Krziskewitz [CDU/CSU]: Unglaub- aufgefordert, eine Regelung zu treffen, die, wie es lich! - Weitere Zurufe von der [CDU/CSU]) hieß, einen besseren Schutz des vorgeburtlichen Le- Das ist die volle Spannbreite, in dem sich jede Frau bens gewährleistet, als dies bisher in beiden deut- irgendwo - je nach Weltanschauung, je nach Kinder- schen Staaten der Fall gewesen sei. wunsch, je nach Lebensplanung - verortet. Schon diese Formulierung machte deutlich, daß es nicht um Frauen und deren Lebenssituation ging; In dieser Frage gibt es keinen allgemeinen Kon- denn dann hätte die Frage der Vermeidung unge- sens in der Gesellschaft. wollter Schwangerschaften im Vordergrund stehen (Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU] meldet müssen, und das hätte bedeutet, daß der freiwilligen sich zu einer Zwischenfrage) Beratung und vor allem der Aufklärung ein besonde- rer Stellenwert hätte gegeben werden müssen. Aber - Das müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen, Herr wenn ich mir den Umgang hierzulande selbst mit Hüppe. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3765 Christina Schenk Diesen Konsens kann es auch nicht geben; denn es große Koalition in der Abtreibungsfrage damit, daß geht hier nicht um naturwissenschaftlich objektiv nur durch das Zugehen auf die Union eine erneute nachweisbare Wahrheiten, sondern um ein ganz per- Anrufung des Bundesverfassungsgerichts vermieden sönlich motiviertes Werturteil, das je nach der indivi- werden kann. duellen Situation unterschiedlich ausfällt. Dazu ist zweierlei zu sagen. Erstens. Auch mit dem Lassen Sie mich das so klar sagen: Bereits die Prä- jetzigen Kompromiß ist dieser Schritt nicht ausge- missen, von denen das Bundesverfassungsgericht schlossen. Die bayerische Staatsministerin für Bun- ausgegangen ist, und die Schlußfolgerung, d. h. das desangelegenheiten, Frau Ursula Männle, hat laut ei- Konzept, das daraus entwickelt worden ist, sind ner Agenturmeldung vom gestrigen Abend diese schon vom Ansatz her verfehlt. Es ist der Versuch, ei- Möglichkeit ausdrücklich offengelassen. ner möglichen Sicht der Dinge, die durchaus ihre Be- Zweitens. Selbst wenn es zu einer erneuten Klage rechtigung hat, zu einer Allgemeingültigkeit zu ver- käme, wäre ein solcher Schritt der politischen Öffent- helfen. Das können wir nicht akzeptieren. lichkeit heute nicht mehr vermittelbar. Es bleibt das Geheimnis der SPD, meine Damen und Herren, Es müßte das Ziel eines demokratischen Gesetzge- warum ausgerechnet sie den Konservativen hilft, bers sein, in einer Frage, die sich einer allgemein an- dem Modernisierungsdruck, der gerade in der Frage nehmbaren Beantwortung entzieht, die in der Gesell- der schaft vorhandene divergierende Meinung zu akzep- Bewertung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Divergenz zwischen Parteimeinung und tieren und auf der Ebene der Rechtsnormen Möglich- Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung entsteht, aus- keiten zu schaffen, diese verschiedenen Auffassun- zuweichen. gen als gleichwertig zu respektieren. (Beifall bei der PDS) Letztlich - ich würde das so klar sagen wollen - ist der Umgang mit der Frage des Schwangerschaftsab- Durch dieses Vorgehen der SPD haben wir es jetzt bruchs ein Indiz für den Stand der Demokratieent- mit einem Gesetzentwurf zu tun, der sich eng an das wicklung in einer Gesellschaft. Urteil hält und in wesentlichen Punkten völlig inak- zeptabel ist. (Lachen bei der CDU/CSU) Ich möchte etwas zur Frage der Beratung und zur Bevor ich auf einige Einzelheiten eingehe, möchte Frage der Strafbarkeit des Umfeldes sagen. ich noch etwas Grundsätzliches sagen: Hier wird der Es geht hier nicht um die Pflichtberatung schlecht- Eindruck erweckt, zu dem zwischen CDU/CSU, hin, sondern um den Inhalt der Beratung. Dieser F.D.P. und SPD ausgehandelten Kompromiß hätte es wird an zwei Stellen geregelt, zum einen im Strafge- keine Alterna tive gegeben. Zum einen möchte ich an setzbuch, zum anderen im Beratungsgesetz. Interes- dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, daß der sant ist nur, daß sich die beiden Formulierungen sehr Gesetzgeber mitnichten an ein Urteil des Bundesver- deutlich voneinander unterscheiden. Im Strafgesetz- fassungsgerichts gebunden ist. buch wird erstmals eine Zielorientierung der Bera- tung festgelegt. Es geht um „die Ermutigung zur (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Ach nein?) Fortsetzung der Schwangerschaft" und auch darum, Es steht ihm insbesondere frei, dessen Interpreta- daß der Frau in der Beratung bewußt gemacht wer- tionsspielraum zu definieren. den muß, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft ihr gegenüber ein eigenständiges Die PDS ist der Auffassung, daß das Urteil dem Recht auf Leben hat und daher ein Schwanger- Wesensgehalt der Grundrechte widersp richt. Wir ha- schaftsabbruch nur dann in Be tracht kommen kann, ben daher einen Gesetzentwurf eingebracht, der wenn die Belastung, wie es dort heißt, durch das eine Ergänzung des Grundgesetzes vorschlägt, die Austragen einer ungewollten Schwangerschaft so klarstellt, daß die Grundrechte auch für Frauen un- schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumut- eingeschränkt gelten. Art. 2 sollte durch den Satz er- bare Opfergrenze übersteigt. gänzt werden: Meine Damen und Herren, es ist Augenauswische- rei zu behaupten, unter solchen Rahmenbedingun- Jede Frau hat das Recht, selbst zu entscheiden, gen könne noch von einer wirk lich freien Entschei- ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder nicht. dung der Frau gesprochen werden. (Beifall bei der PDS) Generell sollen Frauen durch die Beratung zu ei- ner verantwortlichen und gewissenhaften Entschei- Es muß konstatiert werden, daß wir gegenwärtig dung befähigt werden. Das heißt aber doch im Um- noch von einer Dominanz des konservativen Den- kehrschluß, daß Frauen von sich aus grundsätzlich kens sprechen müssen und es daher für einen sol- nicht dazu in der Lage sind. Ich meine schon, daß ins- chen souveränen Schritt keine Mehrheiten im Bun- besondere ostdeutschen Frauen derar tige Sätze tief- destag gibt. gehende Erkenntnisse über das Patriarchat bundes- deutscher Prägung vermitteln. Zum anderen wäre es, so meine ich, durchaus möglich gewesen, links von der CDU/CSU einen Zur Beruhigung derjenigen, die eine so festgelegte Kompromiß zu finden. SPD, F.D.P. und auch die Zielorientierung zu Recht als unerträgliche Bevor- Bündnisgrünen standen sich durchaus näher als die mundung ansehen, wird im Gesetz über die soge- SPD und die CDU/CSU. Die SPD rechtfertigt nun die nannte Schwangerschaftskonfliktberatung betont, 3766 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Christina Schenk daß die Beratung ergebnisoffen zu sein habe. Aber Beratung und Hilfe werden von den Richtern noch gerade die Offenheit der Beratung wird durch die in stärker in den Mittelpunkt gerückt. § 219 StGB vorgeschriebene Indoktrination ad absur- Der Kompromißvorschlag von CDU/CSU, SPD dum geführt. Herr Lanfermann, es hat doch einen und F.D.P., der heute als Beschlußempfehlung des so formuliert Grund, daß das eine im Strafgesetzbuch Ausschusses zur Abstimmung steht, orientiert sich an anders formu- und das andere im Beratungsgesetz den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Es liert worden ist. Dieser Widerspruch zwischen Straf- war keine leichte Aufgabe, zwischen den Koaliti- gesetzbuch und Beratungsgesetz bedeutet letztend- onsfraktionen und der größten Oppositionspartei ei- lich für die Beratungsstellen bei den Beratungen nen Konsens zu finden, aber dieser Gesetzentwurf, Rechtsunsicherheit. der einen neuen Ansatz versucht, schafft Rechts- Wenn der vorliegende Kompromiß angenommen sicherheit. wird, hat die Bundesrepublik Deutschl and noch im- Ich begrüße ausdrücklich, daß niemand mehr dem mer eine der restriktivsten Umgangsweisen mit un- noch ungeborenen Menschen sein eigenes Recht auf gewollten Schwangerschaften im europäischen Ver- Leben abspricht und der Schutz des Lebens als Bera- gleich. Die Bundesrepublik ist - ich stelle das zum tungsziel festgeschrieben wird. Der Entwurf konzen- wiederholten Male hier fest - noch immer ein frauen- triert sich in seiner Zielsetzung, menschliches Leben politisches Entwicklungsland. Der vorgelegte Kom- vor der Geburt besser zu schützen, ausschließlich auf promiß ist mit einer Anerkennung der universellen Beratung und Hilfe für die Schwangere. Sicherlich Geltung der Menschenrechte für Frauen unverein- sind bei der Beratungsp flicht deutliche Verbesserun- bar. Die PDS wird daher diesen Kompromiß ableh- gen festzustellen. Die Erfahrungen des alten Geset- nen. zes, das ebenfalls eine Beratung verlangte, macht al- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne lerdings die Schwierigkeiten deutlich, nur allein mit ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einem Beratungskonzept ungeborenes menschliches Leben ausreichend schützen zu können. Es macht mich nachdenklich, daß nach der Neure- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt die Abgeordnete Claudia Nolte. gelung des Jahres 1976 insbesondere deren prakti- sche Handhabung kritisiert wurde.

(CDU/CSU): Frau Präsidentin! So beklagte z. B. Landesbischof Claß während der Claudia Nolte 6. Synode der EKD die Verkehrung der ursprüngli- Meine Damen und Herren! Im Einigungsvertrag von chen Absicht des Gesetzgebers. Immer selbstver- 1990 wurde der gesamtdeutsche Gesetzgeber ver- ständlicher werde von einem Rechtsanspruch auf pflichtet, bis Ende 1992 eine Regelung zu treffen, die Abtreibung gesprochen. den Schutz des vorgeburtlichen Lebens und die ver- fassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituatio- Für mich ist entscheidend - und darauf verweist nen schwangerer Frauen besser gewährleistet, als auch das Bundesverfassungsgericht -, daß das dies in den beiden Staaten in Deutschland vorher der Schutzkonzept so ausgestattet sein muß, daß es ge- Fall war. eignet ist, den gebotenen Schutz zu entfalten und nicht in eine zeitlich begrenzte rechtliche Freigabe Ich habe damit insbesondere die Erwartung ver- des Schwangerschaftsabbruchs übergeht oder als bunden, daß eine Regelung gefunden wird, die im solche wirkt. Gegensatz zu den gesetzlichen Bestimmungen der ehemaligen DDR, in der ein Recht auf Abtreibung als Es wäre ein falsches Signal, wenn der Eindruck Mittel der Familienplanung bestand, entstünde, daß der Schutz des noch ungeborenen Kindes zurückgenommen wird. Das Lebensrecht und (Christel Hanewinckel [SPD]: Nicht zur Fa die Würde des Menschen sind für mich die vitale Ba- milienplanung! Daß das immer wieder be sis der Grundrechte. Ihr Schutz ist für mich eine hauptet wird!) Grundsatzfrage, die eine Gewissensentscheidung er- den Schutz des ungeborenen Lebens in den Vorder- fordert. Ich bezweifle, daß allein die Beratung und grund stellt. die klarere Einbeziehung des Umfeldes als rechtli- cher Schutz ausreichen. Ich werde deshalb als Abge- Eine parlamentarische Mehrheit in diesem Haus ordnete diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, hat im Juni 1992 eine spezifische Fristenregelung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) beschlossen, der ich aus Gewissensgründen nicht zu- stimmen konnte und die auch der Prüfung durch das auch um einem Denken, nach dem das, was nicht Bundesverfassungsgericht nicht standgehalten hat. strafbar ist, erlaubt sei, entgegenzuwirken. Ich bitte, - Das Urteil vom 28. Mai 1993 unterstreicht ganz deut- dies zu respektieren. Genauso respektiere ich die lich, daß der Schwangerschaftsabbruch grundsätz- Gewissensentscheidung der Kolleginnen und Kolle- lich als Unrecht angesehen werden muß und demge- gen, die dieses Beratungskonzept für geeignet hal- mäß rechtlich verboten ist. Die Schutzpflicht des ten, den Lebensschutz zu verbessern. Staates für die Achtung der Menschenwürde und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit läßt An die Beratung werden sehr hohe Anforderungen keine Unterbrechungen, Stufungen, Fristen oder ver- gestellt. Der Erfolg der ergebnis-, aber nicht zieloffe- nen Beratung ist für den konkreten Lebensschutz schiedene Wertungen zu; und die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Kindes (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) von größter Bedeutung. Deshalb muß jetzt alles ge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3767 Claudia Nolte tan werden, daß sie in der Praxis auch ihre Wirkung Ich sage auch heute noch: Ich halte das Konzept entfaltet. Wir alle haben die Verpflichtung, dafür zu der freiwilligen Beratung nach wie vor für das bes- sorgen, daß die Vorgaben für die Beratung umge- sere Konzept. setzt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Die Beratung hat eine Signalwirkung und kann ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN das Bewußtsein für das Lebensrecht insgesamt schär- und der PDS) fen. Aus gutem Grund erwartet das Bundesverfas- Dieses neue Schutzkonzept - sungsgericht, daß wir die Auswirkungen des neuen Hilfe statt Strafe - war Beratungskonzepts genau beobachten. Hier bleiben auch die Grundlage des Gruppenantrages. Auch das wir über den heutigen Tag hinaus in der Pflicht. Bundesverfassungsgericht hat diesen W andel im Schutzkonzept bestätigt. Meine Damen und Herren, selbstverständlich ge- Ich betone das in der Hoffnung, daß die rechtliche hören zu einem umfassenden Lebensschutz auch die Diskussion rund um den § 218 mit der heutigen De- äußeren Rahmenbedingungen. Auf allen Gebieten batte im Bundestag hoffentlich zu einem guten Ende müssen wir dafür sorgen, daß unsere Gesellschaft fa- geführt wird, daß in diesem Parlament über Maßnah- milienfreundlicher wird und Kinder Vorfahrt haben. men zur Schaffung einer kinder-, frauen- und fami- Ob Frauen sich für ein Kind entscheiden, hängt viel- lienfreundlichen Gesellschaft aber auch in Zukunft fach von den Menschen ihrer unmittelbaren Umge- gestritten werden wird. bung - Partnern und Eltern, aber auch von Arbeitge- bern oder von Wohnungsvermietern - ab. Gerade (Beifall bei der SPD) auch wir als Politikerinnen und Politiker sind gefor- dert, die Voraussetzungen für ein Leben mit Kindern Ich erinnere an dieses Schutzkonzept, weil es mich in unserer Gesellschaft zu verbessern. schon stolz macht, daß es heute gelingen wird, eine große Mehrheit zu finden, die einem Wandel im Mit dem vom Bundestag beschlossenen Familien- Schutzkonzept zustimmen wird. leistungsausgleich und der neu ge troffenen Verein- Die öffentliche Reaktion auf den Kompromiß, den barung zur Wohnbauförderung sind hier wich tige wir heute diskutieren, ist überwiegend positiv. Schritte getan worden. Weitere müssen folgen. Den- noch gibt es auch kritische Stimmen - auch hier im Wenn wir eine schwangere Frau in ihrem Ja zum Parlament. Das ist das Schicksal eines jeden Kompro- Kind bestärken wollen, muß sie Bedingungen vorfin- misses. Es ist nicht nur erlaubt, sondern auch wün- den, die ihr eine Perspektive für das Leben mit dem schenswert, daß man sich als politischer Mensch die Kind eröffnen. Unsere Verantwortung für den Le- jeweilige politische Ideallösung als Maßstab erhält. bensschutz ist eine dauerhafte Aufgabe. Das werde auch ich tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Bei mancher Kritik, die geäußert wird, habe ich ordneten der F.D.P.) den Eindruck, daß die vorhandene idealtypische Vor- stellung den klaren Blick für die Beurteilung des heute vorliegenden Kompromisses getrübt hat. Ich Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt möchte dies gerne an ein paar Punkten, die mir in die Kollegin Edith Niehuis. der Diskussion um die gesetzliche Neuregelung im- mer wichtig waren, deutlich machen. Es geht darum - was das Verfassungsgericht ausdrücklich bestätigt Dr. Edith Niehuis (SPD): Frau Präsidentin! Sehr ge- ehrte Kollegen und Kolleginnen! Bis es zu dieser De- hat -, daß man werdendes Leben nicht gegen die Frau, sondern nur mit der Frau schützen kann. batte über einen Kompromiß zum Schwangeren- und Familienhilfegesetz und zur Neuregelung des § 218 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- StGB kommen konnte, sind diejenigen, die heute be- ten der CDU/CSU und der F.D.P.) reit sind, einen Kompromiß zu schließen, einen lan- gen Weg gegangen. Frau Nolte, ich habe Respekt vor jeder Gewissens- entscheidung hier im Parlament - auch vor der Ihri- Die deutsche Vereinigung hat es uns auf Grund gen. Aber es betrübt mich zutiefst, wenn ich von ei- der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in ner Frauenministerin indirekt hören muß, daß Sie es Ost und West ermöglicht, daß wir hier im Parlament für kein Schutzkonzept halten, wenn wir uns auf die über eine bundeseinheitliche Regelung zu entschei- Entscheidung der Frau verlassen. Das ist betrüblich. den haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die SPD hat mit ihrem Gesetzentwurf vom 21. Juni DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der 1991 ihre Vorstellung zum gesetzlichen Rahmen im PDS und der Abg. Ina Albowitz [F.D.P.]) - Bundestag eingebracht. Dieses Konzept, das damals Neben den Hilfen geht es hier auch um das schon abgekürzt Schwangeren- und Familienhilfege- Frauen- bild, das ein Gesetz vermittelt, und um eine gute Be- setz hieß, setzte auf Hilfe mit einem Paket von ratung im Schwangerschaftskonflikt, für die ein Ge- frauen-, kinder- und familienpolitischen Maßnah- setz Sorge zu tragen hat. men, nicht auf Strafe, setzte auf Fristenregelung und auf die vorhandene Entscheidungskompetenz der In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal Frau. Mit einem Rechtsanspruch auf freiwillige Be- an die Gesetzeslage erinnern, die in der alten Bun- ratung sollte der Frau in ihrem Schwangerschafts- desrepublik vor 1990 galt. Mit diesem Kompromiß ist konflikt Hilfe geboten werden. es endgültig vorbei, daß eine Frau im Schwanger- 3768 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Edith Niehuis schaftskonflikt - wie nach der alten Regelung - mit In § 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ist dem Strafgesetzbuch verfolgt wird. Mit diesem Kom- der Maßstab für die Beratung nach § 219 durch die promiß ist es endgültig vorbei, daß die Frau den de- Nennung dreier wichtiger Prinzipien festgeschrie- mütigenden und belastenden Hürdenlauf machen ben: Die Beratung ist ergebnisoffen zu führen, sie muß, den sie zu Zeiten der Indikationenregelung ma- geht von der Verantwortung der Frau aus, sie soll er- chen mußte. Frauen mußten zunächst zur Beratungs- mutigen und Verständnis wecken, nicht belehren stelle, anschließend zum Arzt, von dessen Entschei- und nicht bevormunden. Des weiteren ist festgelegt, dung es abhing, ob sie die notwendige Indikation für daß es zwar wünschenswert ist, daß die Gründe für den Schwangerschaftsabbruch erhielten oder nicht. ihren Schwangerschaftskonflikt von der Frau ge- Damals, vor 1990, war es nicht die Frau, sondern ein nannt werden. Es ist aber auch festgelegt, daß ihre Dritter, der die Letztentscheidung über die Lösung Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft nicht er- des Schwangerschaftskonflikts hatte. zwungen werden kann. Das heißt, in diesem Kom- promiß ist festgeschrieben, was alle Beraterinnen in Mit dem vorliegenden Kompromiß wird geregelt - den Anhörungen des Deutschen Bundestages zu die- das hat auch das Bundesverfassungsgericht bestä- sem Thema aus ihrer professionellen Sicht und Erfah- tigt -, daß es die Frau ist, die darüber entscheidet, rung im Sinne einer guten Beratung gefordert haben. wie sie ihren Schwangerschaftskonflikt bewältigt. Dies müssen auch die Kritikerinnen zur Kenntnis Schon dieser grobe Rahmen der Einschätzung macht nehmen, und sie müssen ein wenig vorsichtiger sein, deutlich, daß es nicht zutrifft - wie manche das be- wenn sie über den Beratungsteil in diesem Kompro- haupten -, daß dieser Kompromiß zu Lasten der Frau miß reden. geht. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Rita Schauen wir uns ein bißchen näher an, was in dem Süssmuth [CDU/CSU]) Kompromiß steht, insbesondere das, worauf ich sehr Das Bundesverfassungsgericht hat vorgeschrieben, viel Wert lege: eine gute Beratungsregelung. Die Be- daß die Beratungsstellen - dies sah der Gruppenan- hauptung, hier ginge es um eine Bevormundung der trag nicht vor - nach einem bestimmten Zeitraum Frau - wie ich es bei den Grünen gelesen habe -, ist überprüft und ihre Anerkennung erneuert werden schlichtweg falsch, ist unhaltbar und fahrlässig, weil muß. Wegen der hier und dort zu hörenden Befürch- solche Aussagen Frauen und Beratungsstellen unnö- tung, diese Berichtspflicht der Beratungsstellen tigerweise verunsichern. könne das Vertrauensverhältnis zwischen Frauen und Beraterinnen belasten, möchte ich noch einmal (Beifall bei der SPD - Dr. Dagmar Enkel ganz ausdrücklich sagen, daß die von den Beraterin- mann [PUS]: Das ist eine Tatsache!) nen anzufertigenden Aufzeichnungen über Inhalt der Beratung und Angebot der Hilfsmaßnahmen - Nein, das ist nicht wahr. keine Rückschlüsse auf die Identität der Schwange- Der § 219 des Kompromisses ist die vom Bundes- ren ermöglichen dürfen. Das Vertrauensverhältnis verfassungsgericht formulierte Übergangsregelung. kann auf Grund dieser Tatsache also nicht gestört Über diese hat die Vorsitzende von Pro Familia, Frau sein. Meier, in einem Inte rview im Südwestfunk am Natürlich ist es uns als Gesetzgeber vollkommen 4. November 1994 gesagt: unmöglich, den Schwangerschaftskonflikt in einem Gesetz so zu formulieren, daß alle Seiten mit der Man kann vielleicht ganz pointiert sagen, daß wir Wortwahl einverstanden sind. Auch mich stört eini- mit der Übergangsregelung lieber noch eine Zeit- ges an der Wortwahl; aber ich bin ganz sicher, daß lang leben wollen als mit einem unbefriedigen- wir den Kompromiß gefunden und den Weg der Be- den und sehr restriktiven Bundesgesetz. ratung mit dem Schutzkonzept so gut verbunden ha- ben, daß auch Kritikerinnen sehr gut damit leben Das hat die Vorsitzende von Pro Fami lia gesagt, und können. sie hat sehr gut gewußt, warum sie das gesagt hat. Im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten ist es In dem § 219 ist natürlich der Schutz des ungebore- also gelungen, daß wir dem Urteil des Bundesverfas- nen Lebens sehr deutlich geregelt - so hat das Bun- sungsgerichtes gerecht geworden sind, daß wir auch desverfassungsgericht das beschrieben -; aber in die- ein Frauenbild vertreten, das man vertreten kann, ser Vorschrift steht ebenso, daß die Beratung der obwohl ich nach wie vor ein klares Selbstbestim- Frau helfen soll, eine verantwortliche und gewissen- mungsrecht der Frauen für viel wünschenswerter ge- hafte Entscheidung zu treffen. Also ist zweifellos halten hätte, und daß wir eine Beratungssituation for- veran- schon in § 219 die Letztentscheidung der Frau muliert haben, die unstrittig für eine gute Beratung- kert, und das ist wich tig. Durch den Wegfall des sorgen wird. Hinweises auf die Indikationen, die noch in der Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts Das gilt auch für das Gespräch mit dem Arzt. Wenn vorhanden waren, und durch den Hinweis auf Sie sich noch einmal darauf zurückbesinnen, was es das Schwangerschaftskonfliktgesetz ist der § 219 im für die Frau bedeutete, sich zunächst beraten lassen Sinne einer guten Beratung im Vergleich zur heute und dann die Indikation beim Arzt holen zu müssen, geltenden Übergangsregelung noch verbessert wor- so ist es ein Fortschritt, daß das Gespräch, das bei den. dem Arzt heute geführt werden kann, so geführt wird, daß sich weder der Arzt noch die Frau unter (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Druck gesetzt fühlen muß. Dieses Vertrauensverhält- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3769

Dr. Edith Niehuis nis zwischen Arzt und Frau ist ein weiterer wich tiger Koalition eine liberale Lösung zu finden. Wir alle wis- Bestandteil des Schutzkonzeptes. Für mich ist von sen, in diesem Parlament gibt es Entwürfe, die für die unschätzbarem We rt, daß wir das so verankern konn- Frauen noch schlechter gewesen wären. Aber es ten. ging doch nicht darum, das Schlimmste zu verhin- dern, sondern das Beste daraus zu machen. (Beifall bei der SPD) Wenn wir in die Mehrheit des Volkes hinein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schauen, ist eines wohl klar: Die Bürgerinnen und Bürger haben kein Verständnis dafür, daß wir in der Diese Chance haben Sie - ich meine insbesondere Politik nicht in der Lage sind, eine Rechtssicherheit Sie von der SPD - leider vertan, und ich finde, ohne in Fragen des § 218 zu schaffen. Ich würde mich sehr Not. Sie, Frau Wettig-Danielmeier, nennen Ihren Ent- freuen, wenn es uns heute gelänge, mit großer Mehr- wurf einen „für alle hinnehmbaren Ausgleich". Ich heit diesen Kompromiß anzunehmen, damit Frauen, versichere Ihnen: Für uns und, so glaube ich, für Ärzte, Beratungsstellen und die Familienangehöri- viele Frauen und Initiativen im Land ist dieser Vor- gen die Rechtssicherheit von uns heute vermittelt be- schlag nicht hinnehmbar. Ich frage Sie: Wer hat ei- kommen. nen Gewinn davon, daß Sie nun vor der Sommer- pause, bevor die CDU vielleicht doch noch schnell Danke schön. abspringt - auch Pro Familia hat dies kritisiert -, die (Anhaltender Beifall bei der SPD sowie Bei Reform des Abtreibungsrechts durchziehen? fall bei Abgeordneten der F.D.P.) (Ina Albowitz [F.D.P.]: Wer ist denn „Pro Fa- milia"?) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat die Abgeordnete Kerstin Müller. Die Frauen haben davon bestimmt nichts.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es gab andere Möglichkeiten. Wir waren zu einem NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! interfraktionellen Kompromiß im Interesse der Vor 20 Jahren gingen Frauen für die Streichung des Frauen bereit. Wir haben in den Verhandlungen ein § 218 auf die Straße. Nach der Indikationenregelung, Beratungsgesetz eingebracht, das die Rechte der dem Gruppenantrag, dem Urteil des Bundesverfas- Frauen eindeutig benennt und das Prinzip „Hilfe sungsgerichts und nun wiederum schwierigen Ver- statt Strafe" verankert. Wir wollen, daß die Beratung handlungen soll mit dieser Debatte heute ein Ab- in einem eigenen Beratungsgesetz verankert wird. schluß gefunden werden. Ich kann verstehen, daß Das Bundesverfassungsgericht schreibt zwar vor, daß das Bedürfnis groß ist, dieser langen und zähen De- eine Beratung stattzufinden hat, aber wo steht, daß batte endlich ein Ende zu setzen. Ich hoffe aber, ehr- diese im Strafgesetzbuch festgeschrieben werden lich gesagt, nicht, daß dies heute das letzte Wo rt sein muß? wird. Denn was hier zur Abstimmung steht, ist sicher ein Kompromiß, aber es ist ein Kompromiß - ich sage Wir wollen ein Gesetz, das der Verhütung einen dies vor allen Dingen an die Adresse der SPD - mit großen Stellenwert einräumt. Männer und Frauen vielen Pferdefüßen, die überflüssig sind und die man sollen durch Aufklärung und Informa tion bei der hätte vermeiden können. Vermeidung ungewollter Schwangerschaften unter- stützt werden. Sie aber haben jetzt darauf verzichtet, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Prävention weiter zu verbessern. Zum Beispiel anerkannte Verhütungsmittel auf Rezept - unabhän- Wir stehen nach wie vor uneingeschränkt für das gig vom Alter - wird es auch in Zukunft nicht geben. Selbstbestimmungsrecht der Frau, und wir sind der Meinung, § 218 gehört besser heute als morgen er- Mit dem vorliegenden Entwurf wurden die vorhan- satzlos gestrichen. denen Spielräume nicht genutzt. Im Gegenteil, teil- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS weise geht die Vorlage über die Vorgaben des Bun- SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) desverfassungsgerichts hinaus, so z. B. bei der For- mulierung des Beratungsziels in § 219 StGB - ich zi- Frauen müssen endlich selbst entscheiden können, tiere -: ob sie Kinder haben wollen oder nicht - ohne Zwangsberatung und ohne strafrechtliche Sanktion. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Unge- Frau Nolte, der beste Lebensschutz - von dem Sie borene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben immer sprechen - für das werdende Leben ist die - Entscheidungsfreiheit der Frau. Frauen haben im- hat... mer abgetrieben, und sie haben immer selbst dar- über entschieden. Die Gesellschaft, d. h. wir hier Die Entscheidungsfreiheit der Frau tritt in dieser For- heute, bestimmt immer nur die Bedingungen, unter mulierung hinter den sogenannten Schutz des unge- denen dies geschieht. borenen Lebens völlig zurück. Der Embryo wird hier als etwas von der Frau Verschiedenes angesehen. Wir haben mit einem eigenen Beratungsgesetz Die Frau gilt als unmündig, und sie ist im Zweifel dennoch den Versuch unternommen, die Spielräume feindlich gegenüber dem werdenden Leben einge- soweit und so frauenfreundlich wie möglich auszulo- stellt. Damit wird ein völlig antiquiertes Frauenbild ten. Es gab eine echte Chance, jenseits der großen festgeschrieben, von dem wir alle, vor allen Dingen 3770 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Kerstin Müller (Köln) meine Generation, dachten, daß es schon längst ad zahle keinen Unterhalt mehr, wenn sie nicht ab- acta gelegt sei. treibe? Und: Wie soll sie das beweisen? Es geht also um reine Symbolik, darum, noch einmal mehr zu dis- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS ziplinieren. SES 90/DIE GRÜNEN) Schwerwiegender aber finde ich noch die Ver- Es ist keine Rede mehr von einer „ergebnisoffenen schärfung beim Nötigungsparagraphen. Danach Beratung", die das Bundesverfassungsgericht zumin- macht sich künftig jeder strafbar, der eine Schwan- dest auch verlangt, jedenfalls nicht im Strafgesetz- gere zum Abbruch nötigt. Sie haben damit zwar buch. Vielmehr meine ich, daß gerade in der Formu- keine neue Strafvorschrift geschaffen, wie die CDU lierung des § 219 eine unerträgliche Bevormundung das ursprünglich wollte. Dafür aber drohen Sie nun gegenüber der Frau zum Ausdruck kommt. Diese Le- sofort mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis bensschutzlyrik wird auch dadurch nicht besser, daß zu fünf Jahren. Das geht sogar noch über die ur- im Beratungsgesetz die ergebnisoffene Beratung sprünglichen Vorstellungen der CDU hinaus. Das ist festgehalten wurde. Damit wird nämlich die gegen- nach dem Urteil völlig überflüssig. wärtige Rechtsunsicherheit für die Beratungsstellen und die Frauen nicht etwa, wie Sie von der SPD be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haupten, beseitigt, sondern sie wird im Gegenteil Ich sage Ihnen: Hier wird reines Gesinnungsstraf- festgeschrieben. Was, frage ich Sie, gilt, das Straf- recht festgeschrieben. Auch Sie wissen das. recht oder das Beratungsgesetz? Wenn Sie sagen, die ergebnisoffene Beratung ist im Beratungsgesetz fest- Statt sich mit uns jenseits der großen Koalition für geschrieben, frage ich Sie: Heißt das dann, das Straf- einen Gesetzentwurf mit klaren Rechtsansprüchen recht ist nicht zu beachten? Frau Däubler-Gmelin hat für die Frauen und mit Rechtssicherheit für die Bera- heute in einem Interview zu diesem Punkt gesagt: Es tungsstellen einzusetzen, haben Sie sich für einen ist ärgerlich, daß offensichtlich Falsches, Ärgerliches Kompromiß entschieden, der auf Kriminalisierung und Unsinniges damit im Strafrecht festgehalten und Ideologie setzt. wurde. — Dem ist nichts hinzuzufügen. Meine Damen und Herren, Anlaß für diese kon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN krete Reform war neben den Memminger Prozessen sowie bei Abgeordneten der PDS) die deutsche Einheit mit dem Auftrag aus dem Eini- gungsvertrag, eine bundeseinheitliche Reform des So kann man einen Kompromiß natürlich auch bil- § 218 umzusetzen. Damals hofften die meisten den: Die SPD schreibt in das Beratungsgesetz, was Frauen, vor allem die aus dem Osten, auf eine sie will, und die CDU und die F.D.P. halten in § 219 schlichte Fristenregelung ohne Zwangsberatung. fest, was sie für richtig halten. Ich glaube nicht, daß Der Kompromiß ist von diesen Hoffnungen weit ent- das für die Praxis sehr hilfreich sein wird. Meine Da- fernt. Wir haben nun zwar eine Fristenregelung, aber men und Herren von der SPD, hier mußten Sie wohl um den Preis der Zwangsberatung, den Preis der Kri- auf der ganzen Linie nachgeben. Nicht ohne Grund minalisierung des persönlichen Umfeldes der hört man von der CDU, daß sie sich an dieser Stelle, Schwangeren und des Gesinnungsstrafrechts. Das nämlich beim j 219, voll durchgesetzt habe. mußte nicht sein! Untragbar sind für uns auch die zusätzlichen Straf- Wir werden uns weiterhin gegen die Entmündi- vorschriften für das familiäre Umfeld. Eine große gung von Frauen und für eine liberale Abtreibungs- Mehrheit der Experten hat sich auf der Anhörung regelung in der Bundesrepublik einsetzen. Entschei- des Unterausschusses nachdrücklich gegen eine Kri- dungsfreiheit heißt Freiheit der Frau, sich sowohl für minalisierung des familiären Umfeldes ausgespro- als auch gegen das Austragen einer Schwanger- chen. Wer durch die Androhung von Strafe Angst schaft zu entscheiden. Und davon sind wir noch mei- und Verunsicherung in die persönlichen Beziehun- lenweit entfernt. gen bringen will, der zerstört die Vertrauensgrund- lage im familiären Umfeld. Eine offene Beratungssi- Danke schön. tuation wird so verhindert. Solche zusätzlichen Straf- vorschriften - das wurde von den Experten klar ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sagt - gefährden letztlich das gesamte Beratungs- konzept. Eine offene Beratung kann nicht auf der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- Grundlage von Angst und Verunsicherung funktio- tervention erteile ich der Kollegin Edith Niehuis das nieren. Mit großer Mehrheit konstatierten die Exper- Wort. ten: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist an diesem Punkt widersprüchlich und sollte nicht umge- - setzt werden. - Ich frage Sie: Wie kann jetzt der Ge- Dr. Edith Niehuis (SPD): Frau Präsidentin! Da die setzgeber diesen offenen Widersprüchlichkeiten fol- Rede von Frau Müller den Eindruck erweckt hat, die gen? Grünen hätten dem Parlament eine Vorlage vorge- legt, in der das Bild einer selbständigen, nicht bela- Künftig soll ein durch Unterhaltsverweigerung er- steten Frau gezeichnet werde, in der von Pflichtbera- zwungener Abbruch strafbar sein. Schon der Vorläu- tung keine Rede sein könne, möchte ich aus der Pas- fer dieser Vorschrift wurde wieder abgeschafft, weil sage des Gesetzentwurfs der Grünen zitieren, in der er in der Praxis kaum Anwendung fand, wie wir alle es um die Beratung bei ungewollter Schwanger- auf der Anhörung gehört haben. Denn welcher schaft geht. Alle können dann zu überlegen versu- Mann wird der Frau schon offen ankündigen, er chen, welches Frauenbild dahintersteht. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3771

Dr. Edith Niehuis Die nach § 218 a des Strafgesetzbuches erforder- Meine Damen und Herren, viele Zeitungskommen- liche Beratung ist ergebnisoffen. Sie muß eine ei- tare von gestern und heute eröffnen mit einem Wo rt, genverantwortliche Entscheidung der schwange- das auch ich an den Anfang stellen möchte: End lich! ren Frau gewährleisten. Die Beratung hat die Per- - Endlich ist eine Einigung gefunden in einem Streit, sönlichkeitsrechte der Frau zu beachten. Sie ver- der seit Jahren Gräben aufgerissen und sowohl Poli- mittelt in dem Bewußtsein, daß ein Abbruch der tiker als auch Bürger emo tionalisiert hat. Schwangerschaft nur dann mit der Wertordnung des Grundgesetzes vereinbar wäre, wenn die Seit den frühen 70er Jahren wurde im deutschen Fortsetzung der Schwangerschaft die Frau Parlament versucht, das Thema Schwangerschafts- schwer belasten würde und ihr daher nicht zu- abbruch den sich ändernden ober geänderten gesell- mutbar wäre, die nötigen Informationen. schaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Der Ent- scheidungsdruck, der mit den Jahren immer stärker Ich denke, hier haben die Grünen genau das ver- auf dem Gesetzgeber lastete, machte es nötig, Posi- sucht, was das Bundesverfassungsgericht eben auch tionen zu überdenken, aufeinander zuzugehen und als Rahmen gegeben hat. Aber es ist nicht in Ord- nach Kompromissen zu suchen. nung, sich hier hinzustellen und als Maßstab etwas zu nehmen, was ich genausogern möchte, was aber Wenn wir heute das Thema Schwangerschaftsab- bei der derzeitigen Gesetzeslage schlichtweg nicht bruch mit einer von Kompromißformeln gekenn- umsetzbar ist. Das muß man dazusagen. zeichneten Gesetzesinitiative beschließen, so blicken (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie wir auf fast 20 Jahre heftigen Streits zurück, in dem der Abg. Dr. Rita Süssmuth [CDU/CSU]) scheinbar unversöhnliche Grundpositionen aufein- anderprallten und in dem leider auch persönliche Verletzungen nicht ausblieben. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zu ei- ner Kurzintervention die Kollegin Rita Grießhaber. Zu oft wurde allerdings vergessen, daß strittig ein- zig und allein die Frage war und ist, wie das ungebo- rene Leben besser geschützt werden kann. Zu oft Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wurde vergessen, daß die Schwierigkeiten doch Frau Niehuis, ich möchte Ihnen noch einmal ganz nicht in einer mangelnden Gesetzeslage allein be- klar sagen, es sind doch zwei Dinge: Zum einen woll- ten wir alle eigentlich überhaupt keinen Zwang bei gründet sind, sondern in der Tatsache, daß in unserer Gesellschaft werdendes Leben und Kinder häufig der Beratung, keine Beratungspflicht. Das zweite ist unerwünscht und daher Auslöser enormer Konflikte - das habe ich auch gesagt -, daß das Urteil uns an- sind. deres vorgeschrieben hat. (Unruhe bei der SPD) Zu oft wurde vergessen, daß sich die Frauen bei der Bewältigung der Probleme, die durch die - Moment, meine Damen, ich bin noch gar nicht fer- Schwangerschaft entstehen, häufig alleingelassen tig. fühlen. Kompromißfähig und politikfähig, wie wir sind, ha- ben wir das Nötigste hineingeschrieben, was sein Wir müssen der Diskussion die Schärfe nehmen, sie auf eine klare Basis stellen, ohne uns durch über- muß. Aber, Frau Niehuis, was wir nie und an gar kei- ner Stelle gemacht haben: Wir haben diese Bestim- flüssige Polemik den Blick zu verstellen. mungen nicht ins Strafrecht hineingeschrieben. Das Wir verabschieden heute einen ist der wirklich entscheidende Unterschied. Kompromiß, bei dem sich die Fraktionen dieses Hauses aufeinander Danke. zubewegt haben. Mein Kollege Heinz Lanfermann hat bereits ausgeführt, daß die F.D.P.-Fraktion diesen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Kompromiß als ernsthaft und verantwortungsvoll an- Dr. Edith Niehuis [SPD]: Das ist kein Unter- sieht. Dieser Kompromiß zeigt nicht zuletzt auch die schied! - Christina Schenk [PDS]: So weit Handlungsfähigkeit der Politik. Es wurde nicht mit ist es mit den Grünen schon gekommen!) der Rasenmähermethode gearbeitet, um Unter- schiede wegzubügeln; es wurden Einzelpositionen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt ausgelotet, es wurde miteinander gerungen, vergli- die Kollegin Ina Albowitz. chen und abgestimmt. Die Verhandlungskommission aus den drei Fraktionen hat sich große Mühe gege- ben. Ina Albowitz (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Müller, Ganz nebenbei bemerkt: Ich habe die übertriebe- ich glaube, das Problem der Grünen ist, daß sie über- nen Polarisierungen in diesem Konflikt immer für haupt nicht wissen, was sie wollen. Sie haben zwei schädlich und letztendlich auch für unwürdig gehal- Gesetzentwürfe vorgelegt und stehen heute unter ten. Ich glaube, es gibt niemanden, der sich mit dem dem Rechtfertigungszwang, diese zu vertreten. Ich persönlichen Titel „Lebensschützer" bezeichnen und bin der Kollegin Niehuis außerordentlich dankbar, dadurch Andersdenkende diskriminieren sollte. daß sie noch einmal klargestellt hat, wie Sie mit Ihren eigenen beiden Gesetzentwürfen, die Sie hier vorge- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der legt haben, umgehen. SPD) 3772 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Ina Albowitz Andererseits kann man auch nicht ethisch oder mo- tungsgespräch auch noch als Bittstellerin beim So- ralisch begründete prinzipielle Bedenken einfach zialamt für die Kostenübernahme vorsprechen muß, überheblich wegwischen. Wir haben alle Argumente war und ist mir unerträglich. Die ge troffene Verein- ernst zu nehmen und sorgfältig abzuwägen. Ich halte barung ist somit ein großer Schritt in Richtung sozia- das auch für eine Frage der gegenseitigen Achtung, ler Gerechtigkeit und entspricht der Würde der Frau, von der eine Demokratie lebt. auf die sie Anspruch hat. Es wurde Zeit, daß ein erfolgversprechender Kom- (Beifall bei der F.D.P.) promiß gefunden wurde. Die Argumente, die tragen- Besonders wichtig ist es aber auch, endlich den un- den Positionen und die grundsätzlichen Auffassun- möglichen Zustand zu beseitigen, daß die im Zuge gen zur Frage des Schwangerschaftsabbruches wa- der deutschen Vereinigung in den Einigungsvertrag ren und sind schon lange ausdiskutiert und intensiv aufgenommene Forderung nach einer Neuregelung ausgetauscht worden. des Schwangerschaftsabbruchs bisher nicht erfüllt Das Bundesverfassungsgericht hat zweimal - in werden konnte. Mit der heutigen Verabschiedung den 70er Jahren und 1993 - deutliche Vorgaben ge- des Gesetzes werden auch für diesen Komplex macht, deren Einhaltung durch den Gesetzgeber Rechtssicherheit und Rechtsfrieden in ganz Deutsch- dringend geboten war. Die F.D.P. hat sich von Beginn land hergestellt, und zwar auf eine Weise, in der sich an mit großer Verantwortung in die Debatte einge- auch die Frauen in den neuen Ländern wiederfinden bracht. Das gilt besonders für die Streitpunkte wie können. die Beratungsregelung oder die Strafbarkeit des fa- Die Verhandlungen waren schwierig; um so erfreu- miliären und sozialen Umfeldes. licher ist das Ergebnis. Die Qualität des Kompromis- Daß die Beratung ergebnisoffen zu führen ist, daß ses ist meines Erachtens auch an den Abstimmungs- sie ermutigen und Verständnis wecken, aber nicht ergebnissen in den einzelnen Fraktionen ersichtlich. belehren und bevormunden soll, ist einer der wich- Deshalb werbe ich für eine breite Mehrheit in diesem tigsten Kernpunkte des Gesetzes. Unsere ehemalige Hause für diesen Gesetzentwurf. Ich möchte aber Kollegin Liselotte Funcke sagte zu diesem Thema in auch dafür werben, daß die auf religiösen oder ethi- der Debatte am 12. Februar 1976: schen Grundsätzen beruhenden Bedenken und Auf- fassungen vieler Kollegen geachtet und akzeptiert Beratung heißt . . ., sich neben den Menschen zu werden. stellen und nicht über ihn. Beratung heißt, die Be- lastung des Ratsuchenden voll mitzutragen und (Beifall bei der F.D.P.) nicht belehrend darüberzustehen und zu sagen: Das bis jetzt absehbare Medienecho ist eindeutig: Da gibt es irgendein Heim für Mutter und Kind, Vorherrschendes Lob für die Kompromißfindung da können wir dir vielleicht einen Platz besorgen! ebenso wie für die Notwendigkeit einer Einigung Beratung heißt, diesen Menschen in der ganzen beim Gesetzgeber; dies wird überall betont. Noch Totalität seiner Situa tion, seiner physischen, sei- wichtiger ist für mich in den Medien allerdings auch ner seelischen Belastung, seiner äußeren Um- die deutliche Absage an die Hard liner in beiden stände, seiner Situa tion in der Ehe und der vor- Richtungen. Ich glaube, es könnte uns nichts Schlim- handenen Familie ganz ernst zu nehmen. Nur aus meres passieren, als wenn aus ideologischen Grün- diesem wirklichen Bei-ihm-Stehen kann eine Be- den auch dieser Gesetzentwurf nach Karlsruhe ge- ratung erfolgreich sein, die nicht unter der Pflicht zerrt würde. Ein erneutes Streitverfahren, meine Da- steht: Der Frau muß auf jeden Fall ihre Absicht men und Herren, würde das Vertrauen in die Hand- ausgeredet werden! lungsfähigkeit der Politik noch weiter belasten, er- Ich glaube, daß man auch heute, 20 Jahre danach, heblich beschädigen und wäre eine Katastrophe für nicht besser zum Ausdruck bringen kann, was Bera- die Frauen. tung in einer seelischen Notlage sein soll. Die Haltung der Kirchen, die natürlich nicht Lob Ein Punkt ist für mich besonders wichtig: Es erfüllt und Preis für die Gesetzesinitiative finden, aber im- mich mit Freude, daß sich die Finanzierung im vor- merhin Bewußtsein äußern, daß im politischen Raum liegenden Gesetzentwurf so eindeutig am Interesse Kompromisse mitunter unausweichlich sind, ist ange- der Frauen ausrichtet. Nicht nur, daß der Gesetzent- messen und auch verständlich. Daß allerdings, wie wurf vollständig die Formulierung meiner Fraktion - gestern abend geschehen, jetzt die Schnelligkeit des mit einer kleinen Ergänzung bezüglich der Regelung Beratungsverfahrens kritisiert wird, ist für mich nicht für die Durchführung des Verfahrens durch die Län- akzeptabel. Mehr als 20 Jahre lang wurde diskutiert, der - übernimmt, noch viel wichtiger ist für mich, daß beschlossen und wieder verworfen. Seit über die Krankenkassen für die Frauen, die nach der Bera- 100 Jahren warten die Frauen in Deutschland auf - tung die Schwangerschaft abbrechen und diesen Ab- eine angemessene Regelung. Daß die Kirchen in an bruch nicht selbst bezahlen können, die Kosten über- -deren Zeiträumen denken, manchmal auch für die nehmen und dafür einen Erstattungsanspruch an die Ewigkeit, darf und kann aber die Politik nicht abhal- Länder haben. ten, heute und jetzt zu handeln. Die in meinen Augen inakzeptable Sozialamtslö- Daß der Streit um die Änderung des Rechts auf sung konnte vermieden werden. Die Vorstellung, den Schwangerschaftsabbruch jetzt - hoffentlich - daß eine Frau nach einem für sie oftmals bis an die endgültig beendet werden kann, ist ein Grund zur Grenzen der psychischen Belastbarkeit reichenden Zufriedenheit in der Demokratie. Ein Grund zu vor- Entscheidungszwang in einem aufwühlenden Bera behaltlosem Jubel - lassen Sie mich das auch sagen, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3773 Ina Albowitz meine Damen und Herren - ist es nicht; denn dafür regelung wird nicht nur eine der restriktivsten auf ist das Thema viel zu ernst. Der Gesetzgeber trägt europäischer Ebene sein, sie verweigert am Ende des seiner Pflicht Rechnung, den gesellschaftlichen Be- 20. Jahrhunderts Frauen nach wie vor das Grund- reich rechtlich zu ordnen. Aber keine Frau wird trotz recht auf Selbstbestimmung. Frauenrechte sind Men- aller gesetzlichen Regelungen beliebig handeln. Sie schenrechte, und Menschenrechte sind bekanntlich wird ihre Entscheidung immer allein, aus ihrer eige- unteilbar. Die Frage der reproduktiven Rechte von nen Verantwortung heraus, die ihr auch niemand ab- Frauen ist ein genauer Indikator für ihre Stellung in nehmen kann, treffen müssen, und es ist eine der der Gesellschaft. schwersten Entscheidungen ihres Lebens. Meine Damen und Herren, a ll denen, die mit der (Beifall bei der F.D.P. sowie hei Abgeordne Beschlußfassung im Bundestag die Hoffnung verbin- ten der CDU/CSU und der SPD) den, sich nun nicht mehr mit dem leidigen Problem des Schwangerschaftsabbruchs beschäftigen zu müs- sen, sei eines gesagt: Der heutige Gesetzgebungsakt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt die Kollegin Petra Bläss. wird keinesfalls das letzte Kapitel der unendlichen Geschichte des Schandparagraphen 218 sein. So- lange Frauen durch patriarchales Recht in ihrem Petra Blass (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werden, ist und Herren! Parlamentarisches Prozedere wird zur das Thema nicht vom Tisch. Wir Frauen werden je- Farce, wenn nun plötzlich das, was wochenlang hin- denfalls keine Ruhe geben, bis der § 218 ersatzlos ge- ter verschlossenen Türen ausgehandelt wurde, im strichen ist. Eiltempo über die parlamentarische Bühne gejagt wird. Zu Recht hat der Bundesverband von Pro Fami- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne- lia angemahnt, daß eine Entscheidung von so großer ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bedeutung für viele Frauen nicht im Hauruckverfah- ren durchgezogen werden dürfe. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt Es ist erschreckend, was uns als „Jahrhundert- der Kollege Gerhard Scheu. werk" hier präsentiert wird: ein nach nunmehr jahre- langer Herumdokterei unverände rt restriktiver § 218 Gerhard Scheu (CDU/CSU): Frau Präsidentin! des Strafgesetzbuchs, der den Schwangerschaftsab- Meine Damen und Herren! Es gibt in der Frage des bruch grundsätzlich kriminalisiert; ein § 219 des § 218 die Position des prinzipiellen Nein, die Posi- Strafgesetzbuchs, der in seiner Frauenverachtung tion, die es nie über sich bringt, zu formulieren, daß kaum noch zu übertreffen ist; insgesamt ein gesetzli- es Indikationen gibt, eine Posi tion, die die Rechtspre- ches Regelwerk, das nicht im geringsten die verfas- chung des Reichsgerichts in Strafsachen negiert, die sungsrechtlichen Spielräume ausnutzt, die das Karls- seit 1927 akzeptiert, daß der Fa ll der medizinischen ruher Urteil für die Festschreibung von Frauenrech- Indikation ein Fall des rechtfertigenden übergesetzli- ten bietet, und obendrein die Widersprüchlichkeit chen Notstandes ist. Diese Posi tion gibt es. des Richterspruchs nunmehr gesetzlich festschreibt, insbesondere was die restriktive Beratungsregelung Sie ist für mich und für die Gesetzgebung in der betrifft. modernen Demokratie kein brauchbarer Maßstab. Ich appelliere an die Abgeordneten, die Grenzen der Beim Vergleich des neuen § 219, in dem das Bera- Gesetzgebung in einer modernen Demokratie in der tungsziel „Schutz des ungeborenen Lebens" und der neuzeitlichen Gesellschaft zu erkennen. Der Ver- eigenständige Rechtsanspruch des Ungeborenen auf such, die Position des prinzipiellen Nein gesetzlich Leben auch gegenüber der Frau festgeschrieben umzusetzen, würde im totalen Scheitern enden, in ei- sind, mit dem neuen § 5 des Gesetzes über Aufklä- nem Rechtsungehorsam der Bevölkerung und damit rung, Verhütung, Familienplanung und Beratung, in letztlich im Rückzug jeder lebensschützenden Posi- dem die Ergebnisoffenheit der Beratung betont tion. wird, fällt mir wirklich nur noch das in der Anhörung von einer Sachverständigen so treffend gezeichnete Das ist meine politische Einschätzungsprärogative. Bild von der Ampel ein, die gleichzeitig auf Rot und Ich bin seit 1990 mit dem Thema § 218 beschäftigt. Grün geschaltet ist. Der Vorsitzende meiner Fraktion, Schäuble, meint, Sisyphus müsse - im Vergleich zu mir - ein glückli- Das vorliegende Verhandlungsergebnis als „Fort- cher Mensch gewesen sein. Ich war manchmal ein schritt" zu feiern, ist insbesondere ein Schlag ins Ge- ausgebrannter Mensch. sicht aller Ostfrauen. Der Verlust des Selbstbestim- mungsrechts der Frau ist ein massiver Rückschritt in (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Kein - ihrer Rechtsstellung. Daß er von einer satten Mehr- Gegensatz!) heit unseres Parlaments stillschweigend in Kauf ge- nommen wird, ist ein alarmierendes Signal, das zu- Aber meine Damen und Herren, § 218 bleibt immer gleich symptomatisch für diese Bundesrepublik im ein unvollendeter und unvollendbarer, sich auch in Jahre fünf der deutschen Einheit ist. Schuld verstrickender Versuch, angesichts der Zer- rissenheit des modernen Menschen im Widerstreit Die bevorstehende 4. Weltfrauenkonferenz der zwischen Sollen und Sein, auf in tieferen, unerreich- Vereinten Nationen sollte Anlaß dafür sein, gerade in baren Schichten ge troffene Entscheidungen mit exe- Sachen Abtreibungsregelung über den deutschen kutiven Mitteln einzuwirken. Es geht um Schadens- Tellerrand hinauszuschauen. Die vorgesehene Neu begrenzung, um den „legitimen und gebührenden 3774 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Gerhard Scheu Versuch, die ungerechten Aspekte von Gesetzge- anderen Fraktionen -, die ein Gesetz verabschieden bung zu begrenzen". Das ist die Verantwortung des würden, das eine auf das vermeintliche Selbstbestim- Gesetzgebers. Was liegt heute vor? - Das Gesetz, die mungsrecht der Frau gegründete Fristenlösung mit Alternativen und die Chancen. einer Negation der Werteordnung beinhalten würde. Damit hier kein Mißverständnis aufkommt - nicht Die Chance dieses Gesetzes besteht darin, daß sich ohne Grund hatten CDU und CSU zwei Justitiare in in einem so nicht wiederkehrenden Moment - man diese Verhandlungen entsandt -: steigt niemals zweimal in denselben Fluß - eine ver- fassungstreue Mehrheit gefunden und ein Gesetz (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!) formuliert hat, das die Werteordnung der Verfassung Juristen wissen, was sie formulieren. Wir legten Wert nicht antastet, sondern diese eindeutig in § 219 zum darauf, das, was strafrechtlich zu formulieren war - Ausdruck bringt. wie bei der Sozialdemokratie Herr Professor Meyer -, Meine Damen und Herren von der Sozialdemokra- präzise und für niemanden mißverständlich zu f or- tischen Partei, ich bekunde Ihnen dafür Respekt, daß mulieren. Sie sich dazu bereit gefunden haben. Dies war Vor- Ihnen liegt heute ein Gesetzentwurf vor, in dessen aussetzung für eine gemeinsame Lösung. Die allgemeinem Teil der Begründung ein Satz steht: Chance besteht darin, ein dauerhaftes Beratungs- „Der vorliegende Änderungsantrag setzt die Vorga- konzept zu installieren, das eindeutig dem Schutz ben des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai des Lebens dient und geeignet sein kann, von allen 1993 um und nutzt die durch das Urteil eröffneten Menschen guten Willens zugunsten des Lebens ge- Gestaltungsspielräume." Das bindet jede Auslegung. nutzt und ausgebaut zu werden, Das ist so eindeutig und unmißverständlich, daß alles andere dahinter zurückzutreten hat, auch Versuche (Beifall der Abg. Maria Eichhorn [CDU/ von an der Gesetzgebung Beteiligten, andere Ausle- CSU]) gungstopoi zu verwenden. Der Ihnen vorliegende und das deshalb ein Gesetz im Sinne der Nummer 73 Gesetzentwurf ist „Umsetzung des Urteils" und nicht der Enzyklika Evangelium Vitae ist. Ersetzung durch eigene Wertentscheidung. Nur dies hat es uns möglich gemacht, ihm zuzustimmen. Heute hat mich ein Schreiben des Landeskomitees der Katholiken in Baye rn erreicht, das mir meine Ge- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist wissensentscheidung erleichtert. Das Landeskomitee es!) schreibt mir: (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch) Wir möchten jedoch alle Abgeordneten ermuti- Wenn jemand Zweifel hat, wie § 219 des Strafge- gen, sich im Sinne der Worte Johannes Paul II in setzbuches mit der Beratung im Schwangerschafts- der Enzyklika Evangelium Vitae, Nummer 73, für konflikt verbunden ist, dann lese er § 5 Abs. 1. Die eine Schadensbegrenzung einzusetzen und eine dort genannte Beratung dient dem Schutz des unge- Lösung zu unterstützen, die unter Beachtung der borenen Lebens. Jegliche Diskussion über Ziel-Mit- obengenannten Kriterien noch als das geringere tel-Relationen ist nicht angebracht. Ergebnisoffen- Übel angesehen werden kann. heit ist nicht das Ziel, sondern das Mittel zum Zweck (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) des Lebensschutzes. Eindeutiger kann man es nicht formulieren. Deshalb bitte ich Sie, Ihre Gewissensentscheidung danach auszurichten - nach eigener politischer Ent- Gegen § 218a kann eingewendet werden, Absatz 2 scheidungsprärogative - und dabei zu berücksichti- enthalte einen unbestimmten, weit gefaßten Tatbe- gen, welche Entwicklung eintreten könnte, wenn stand. Was der Arzt festzustellen hat - insoweit bleibt dieser sich nicht wiederholende und nicht wieder- es beim jetzigen Indikationenrecht mit der Möglich- kehrende Versuch scheitern sollte, die großen Frak- keit der Überprüfung und mit der Notwendigkeit der tionen des Deutschen Bundestages auf ein Gesetz zu Vorlage der Bescheinigung eines anderen Arztes -, verpflichten, das die Werteordnung der Verfassung ist die nach ärztlicher Erkenntnis nicht anders ab nicht antastet. wendbare Gefahr einer schwerwiegenden Beein- trächtigung des körperlichen oder seelischen Ge- Herzlichen Dank. sundheitszustandes. Dies ist ein klarer Begriff. Nur jemand, der dem Gesetz oder dem Lebensschutz (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. übel will, könnte sich dazu verstehen, dies auszuwei- Heinz Laufermann [F.D.P.]) ten und zu sagen, dafür würde schon die Störung von Befindlichkeiten ausreichen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das- Wort dem Abgeordneten Professor Jürgen Meyer. Meine Damen und Herren, wenn dieser Gesetzent- wurf scheitern würde - dies ist die für mich als Abge- ordneten maßgebende, durch niemanden und durch Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Präsident! keine andere Ins titution beeinflußbare Einschät- Meine sehr geehrten Damen und Herren! „ § 218 - zungsprärogative -, wäre die Alternative: Es könnten der gordische Knoten ist zerschlagen" - so kommen- und würden sich im Bundestag Mehrheiten finden — tiert die „Süddeutsche Zeitung" den fraktionsüber- wir haben heute genug Redebeiträge von den Grü- greifenden Gesetzentwurf, den wir heute gemeinsam nen, von der PDS ganz zu schweigen, und von Teilen beraten. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß wir der anderen Fraktionen gehört; ich sage bewußt: der heute nach jahrelangem Ringen um die Erfüllung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3775 Dr. Jürgen Meyer (Ulm) des Auftrages aus dem Einigungsvertrag und um den Die Aufnahme eines Teils der Beratungsregelung in Schutz werdenden Lebens durch Respektierung der das Strafgesetzbuch war Gegenstand langer Diskus- Gewissensentscheidung von Frauen einen großen sion, aber sie läßt sich wohl auch dadurch rechtferti- Schritt nach vorne tun. Wir erhalten mehr Rechtssi- gen, daß die Beratungsbescheinigung nach § 219 cherheit für Frauen, Ärzte und Beratungsstellen. Voraussetzung des Tatbestandsausschlusses nach § 218 ist. § 219 ist also vor allem eine Begriffsbestim- Das Schutzkonzept des Beratungsmodells setzt mung, wie sie an vielen Stellen des Strafgesetzbu- sich endgültig durch. Die Grundidee des Gruppen- ches zu finden ist. Er ist offensichtlich kein Straftat- antrages, daß wir vorgeburtliches Leben nur mit den bestand. Frauen und nicht gegen sie schützen können, wird heute nach der Bestätigung durch das Bundesverfas- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sungsgericht wahrscheinlich eine breite parlamenta- rische Anerkennung finden. Gestatten Sie mir bitte einige Bemerkungen zum Der Kompromiß war auch deshalb möglich, weil Kompromiß bei der Strafbarkeit des familiären und die Verhandlungsführer für jeweils große Mehrhei- sozialen Umfeldes. Hier standen sich zwei völlig un- ten ihrer Fraktionen in Aussicht stellen konnten, daß terschiedliche Konzeptionen gegenüber. Der Mehr- es keine erneute Normenkontrollklage geben werde. heitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion sah eine kom- Diese gemeinsame Einschätzung aller sieben Ver- plizierte und mit unbestimmten Beg riffen arbeitende handlungspartner erstreckte sich ausdrücklich auch Sonderregelung vor, einen neuen Sondertatbestand auf die Regierung des Freistaates Baye rn. der Mitverursachung eines Schwangerschaftsab- bruchs, der sich gegen das familiäre Umfeld der Ein schwieriger Kompromiß, bei dem jeder der be- Schwangeren und nicht zuletzt gegen ihre Eltern teiligten Partner nachgeben muß, ist immer auch richtete. Fehldeutungen ausgesetzt. Ich halte es für eine we- sentliche Aufgabe dieser Debatte, dem entgegenzu- Die denkwürdige Sachverständigenanhörung zur wirken und einer Legendenbildung, die sich auch Strafbarkeit des Umfelds vom 11. Mai 1995 hat uns auf die sogenannte historische Auslegung des Geset- alle nachdenklich gestimmt. Den Verfechtern eines zes auswirken könnte, von vornherein den Boden zu Sonderstrafrechts hat die große Mehrheit der Sach- entziehen. verständigen entgegengehalten, daß eine ergebnis- Zur Fehldeutung der Streichung der embryopathi- offene Beratung und eine nachdenkliche, gewissen- schen Indikation ist schon einiges gesagt worden. hafte Entscheidung der Frau geradezu gefährdet Deshalb wiederhole ich nur einen Satz aus der Ge- würden, wenn die nächste Umgebung der Schwan- setzesbegründung, die Ihnen allen vorliegt und die geren unter einen massiven Strafdruck gesetzt als Teil des Ausschußberichtes allgemein zugänglich würde - ganz abgesehen davon, daß sich derartige ist. Der Satz lautet: „Damit wird klargestellt, daß eine Versuche des Gesetzgebers, z. B. in Deutschland und Behinderung niemals zu einer Minderung des Le- der Schweiz, in der Vergangenheit stets als Fehl- bensschutzes führen kann." schläge erwiesen haben. Zum Tatbestandsausschluß als bewußter Heraus- SPD und F.D.P., die - so in ihrem letzten Entwurf - nahme des Schwangerschaftsabbruchs nach Bera- auf eine besondere Strafbarkeit des familiären bzw. tung aus dem strafrechtlich vertypten Unrecht stellen sozialen Umfeldes ganz verzichten wollten, mußten wir in der Begründung fest: „Schwangerschaftsab- sich von einigen Sachverständigen sagen lassen, daß brüche, die unter den Voraussetzungen des Bera- eine Verstärkung des Strafrechtsschutzes vom Bun- tungsmodells durchgeführt werden, sind im Bereich desverfassungsgericht unmißverständlich gefordert des Strafrechts nicht als Unrecht zu behandeln." Ich wird. füge hinzu: Wir verzichten damit auch auf den indivi- dualethischen Vorwurf, der durch tatbestandsmäßi- Der scheinbar unüberbrückbare Gegensatz zwi- ges Handeln nahegelegt und mit einer strafrechtli- schen Spezialstrafrecht einerseits und Verzicht auf chen Verurteilung notwendig verbunden wäre. neues Strafrecht andererseits führte schließlich zu Meine Damen und Herren, allen Fehldeutungen dem für alle Beteiligten harten Kompromiß, den man der Beratungsregelung in § 219 StGB, die wir auch am besten als „Verdeutlichung des bereits geltenden heute anhören mußten, halte ich entgegen: Dieser Strafrechts" beschreiben kann. Das gilt zum einen entspricht nicht nur der ohnehin geltenden und ohne für die Klarstellung, daß ein besonders schwerer Fall den Kompromiß zwangsläufig weitergeltenden einst- der Nötigung im Sinne des geltenden § 240 StGB in weiligen Anordnung des Karlsruher Gerichts. Viel- der Regel vorliegt, wenn der Täter eine Schwangere mehr kann er nur mit § 5 des Schwangerschaftskon- zum Schwangerschaftsabbruch nötigt. Wir schreiben fliktgesetzes, auf den ausdrücklich verwiesen wird, damit ins Gesetz, was ohnehin nach Kommentarlite- zusammen gelesen werden. Die gesetzliche Klammer ratur und Rechtsprechung schon gilt. Ist die Tat im wird dadurch verstärkt, daß jene Regelung, die die Versuchsstadium schon steckengeblieben, kann dies ergebnisoffene Beratung garantiert, ihrerseits auf das bekanntlich zur Verneinung des besonders schweren Strafgesetzbuch zurückverweist. Falles führen. Es bestand auch völlige Einigkeit darüber und er- Schwerer ist uns jedenfalls die Ergänzung von gibt sich aus Gesetzestext und Begründung, daß § 170b gefallen, der die Unterhaltsentziehung mit § 219 StGB kein Straftatbestand ist, dessen Verlet- Strafe bedroht. Wir waren uns zwar alle darüber ei- zung zu strafrechtlichen Ermittlungen führen könnte. nig, daß es in hohem Maße strafwürdig ist, wenn z. B. 3776 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Dr. Jürgen Meyer (Ulm) der getrenntlebende Ehemann in Kenntnis der wir nicht aufgeben. Aber im Interesse eines deutli- Schwangerschaft seiner Frau die Unterhaltszahlun- chen Rechtsfortschritts für die Frauen, eines Schritts gen einstellt. Zweifellos handelt er auch verwerflich, in die nach unserer Überzeugung richtige Richtung, wenn er dadurch eine Abtreibung erzwingen wi ll. stimmen wir heute mit großer Mehrheit dem frakti- onsübergreifenden Gesetzentwurf zu. Aber es gibt eben auch viele andersartige Fallge- staltungen. Und die Skeptiker unter uns, zu denen Ich danke Ihnen. ich gehöre, die auf die Schwierigkeit des Nachweises sowohl verwerflichen Handelns als auch der Mitver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ursachung eines Schwangerschaftsabbruchs hinge- ten der F.D.P.) wiesen haben, könnten recht behalten. Trotz der handfesten Anknüpfung an die gesetzlichen Unter- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ehe ich das haltspflichten, die selbstverständlich zu erfüllen sind, Wort weitergebe, möchte ich den Präsidenten des mag sich nach einiger Zeit das Problem bloß symboli- Parlamentes der Republik Estland, Dr. Toomas Savi, schen Strafrechts stellen. Das kann letztlich erst die herzlich begrüßen, praktische Erfahrung zeigen. (Beifall) Allerdings halte ich diejenige Kritik für völlig wi- dersprüchlich und unglaubwürdig, die sich einerseits der mit seiner Delega tion aus Abgeordneten des est- grundsätzlich gegen die erweiterte Strafbarkeit des nischen Parlamentes auf der Tribüne Platz genom- familiären Umfeldes wendet und andererseits be- men hat. klagt, der neue Absatz von § 170b sei totes Recht. Eins kann man nur ernsthaft vertreten. Die Verstärkung der gegenseitigen Besuche zeigt unser beiderseitiges Bestreben, die parlamentari- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schen und politischen Beziehungen zwischen unse- Eine Verdeutlichung des geltenden Strafrechts ist ren Ländern wesentlich zu verbessern. Ich hoffe, daß übrigens auch der neue § 218c. Dieser sieht die Be- die Gespräche, die Sie mit der Bundestagspräsiden- tin, der deutsch-estnischen Parlamentariergruppe strafung von Ärzten vor, die eine Schwangerschaft abbrechen, ohne die Frau zuvor ärztlich aufgeklärt und den Fraktionen des Hauses geführt haben, zu und beraten zu haben. Bekanntlich ist die ärztliche diesem Ziel beitragen. Aufklärung ohnehin nach geltendem Recht Voraus- Wir wünschen Ihnen einen angenehmen, fruchtba- setzung für die Wirksamkeit der Einwilligung des Pa- ren und erfreulichen Aufenthalt. tienten in den Eingriff. Dieser ist sonst strafbar. (Beifall) Viele Sachverständige haben die inhaltlichen Brü- che und die Widersprüche des Karlsruher Urteils hart Ich erteile nun dem Abgeordneten Hube rt Hüppe kritisiert. Ich gehöre dazu. Ich kenne auch kaum ei- das Wort. nen Strafrechtskollegen - von Tröndle über Eser bis Hassemer -, der sich nicht kritisch geäußert hätte. Hubert Hüppe (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Auch wir in der Unterhändlergruppe haben dem Damen und Herren! Für den, der wie ich und viele Urteil in einem Punkt nicht folgen können, soweit es andere 20 Jahre für das Lebensrecht ungeborener nämlich verlangt, den Arzt zu bestrafen, der das Ge- Kinder und für die Verbesserung der Situa tion der schlecht des Ungeborenen frühzeitig mitteilt. Indi- Frauen, die in Notlagen sind, gekämpft hat, zum Teil sche Verhältnisse, wonach künftige Mädchen in be- auch persönlich gegen Notsituationen eingetreten sonderem Maße von Abtreibung bedroht sind, haben ist, ist der vorliegende angebliche Kompromiß ein wir bekanntlich bisher nicht. In der Begründung sa- Zeichen dafür, daß heute wirklich ein schwarzer Tag gen wir dazu: „Sollte sich insoweit in Zukunft ein Re- für das Lebensrecht der Menschen in unserer Bun- gelungsbedarf ergeben, wird der Gesetzgeber tätig desrepublik ist. zu werden haben. " Ich hoffe sehr, daß die Karlsruher Richter die große Zurückhaltung dieses Hinweises in (Widerspruch bei der SPD) unserer Begründung zu schätzen wissen und künftig Heute wird ein Gesetz verabschiedet, durch das noch ein bißchen mehr beherzigen, daß die Gesetze dem ungeborenen Kind nach Beratung innerhalb der und nicht zuletzt die Strafgesetze in Bonn gemacht ersten zwölf Wochen straffrei das Recht auf Leben werden. Wir hier sind der Gesetzgeber. genommen werden kann. Obwohl allein in der Zeit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne dieser Debatte wohl über 100 ungeborene Kinder ge- tötet werden, sind alle über diesen Kompromiß er- ten der CDU/CSU und der F.D.P.) - leichtert. Aber dieser Kompromiß ist kein Kompro- Meine sehr geehrten Damen und Herren, der miß; denn es gibt keine Kompromisse beim Recht auf heute vorliegende Entwurf ist kein SPD- oder CDU/ Leben. CSU-Entwurf. Wie wir Sozialdemokratinnen und So- zialdemokraten uns ein S trafrecht vorstellen, das un- Es ist schlimm, daß eine Mehrheit im Parlament serem Frauenbild entspricht, haben wir in eigenen schon immer eine Fristenregelung wollte. Was mich Entwürfen vor und unter Nutzung des verbliebenen aber traurig stimmt - das kann ich nicht anders sa- Gestaltungsspielraums auch nach der Karlsruher gen -, ist, daß auch viele aus meiner Fraktion das Entscheidung dokumentiert. Diese Entwürfe geben wollen. Ich weiß, daß viele jetzt so handeln, weil sie nach wie vor unsere Rechtsüberzeugung wieder, die glauben, das sei das geringere Übel. Ich möchte je- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3777

Hubert Hüppe doch in meiner Rede deutlich machen, daß das nicht Ich komme jetzt zum Punkt Schutz der Schwange- das geringere Übel ist, sondern daß dieses Gesetz in ren vor dem familiären und sozialen Umfeld: Im einigen Punkten vielleicht sogar schlimmer ist als das Bundesverfassungsgerichtsurteil steht ausdrücklich - Gesetz, das als verfassungswidrig angesehen wurde. es gibt da kein Wenn und Aber -, daß eine neue Strafformel geschaffen werden müsse, die besage, Gefeiert wird überall, auch von meiner Fraktion, daß man die Schwangere vor dem sozialen und fami- das Beratungsziel. Aber was Frau Niehuis heute ge- liären Umfeld zu schützen habe. Herr Meyer hat es sagt hat, ist leider richtig: Die Beratung kann über- eben schon gesagt: Im Kompromißentwurf gibt es haupt nicht kontrolliert werden. A lles muß anonym diese neue Strafformel nicht. Die Heranziehung des geschehen. Niemand kann etwas sagen. Es ist auch § 170b StGB und des Nötigungsparagraphen ist nur noch keiner Beratungsstelle die Anerkennung entzo- insofern eine „Verbesserung", als es sich um eine gen worden, obwohl es heute schon Beratungsstellen Strafverschärfung handelt. Aber das Bundesverfas- gibt, die Frauen z. B. nicht dabei helfen, den Antrag sungsgericht wollte etwas anderes: Es wollte, daß die auf Mittel aus der Stiftung „Mutter und Kind" zu stel- Schwangere vor dem Umfeld geschützt wird unter len. Das ist grob verfassungswidrig. den Voraussetzungen einer Nötigung. Von daher ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Entwurf zumindest in diesem Punkt verfassungs- widrig. Die beste Zeugin, die ich dafür habe, ist Frau Keiner Beratungsstelle ist die Anerkennung jedoch Würfel von der F.D.P., die dies in der Debatte der letz- entzogen worden. ten Wahlperiode genauso gesehen hat, wie ich es jetzt gesagt habe. Es fängt an mit der Finanzierung von Abtreibung: Die Abtreibung wird zukünftig zwar nicht von der Zu den ärztlichen Pflichten. Im Entwurf steht ex- Krankenkasse bezahlt, aber sie wird über sie abge- plizit: Der den Abbruch vornehmende Arzt, also der, wickelt. Das macht in der Pra xis - darum geht es ja - der das ungeborene Kind tötet, hat sich vor dem Tö- keinen Unterschied. Es ist niemandem zu erklären, tungsakt mit der Schwangeren in ein Gespräch zu warum ein Unrechtsbewußtsein geschaffen wird, begeben. Er muß die Gründe dafür erfahren, daß die wenn man sich das Geld hinterher von den Ländern Schwangere abbrechen will. Dabei muß er sich er- wiederholen kann. Nach dem vorliegenden Entwurf kundigen, ob sie gegebenenfalls unter Druck von an muß man noch nicht einmal einen schriftlichen An- -deren steht. Auch das ist nicht mehr gegeben. Jetzt trag stellen. Hinzu kommt, daß nach dem Willen de- heißt es nur noch: Er muß Gelegenheit geben, dieses rer, die diesen Entwurf eingebracht haben, in der Be- Gespräch zu führen. ratungsstelle, die lebenszielorientiert tätig sein soll, die Anträge schon vorliegen sollen, damit ja keinem Was das in der Praxis heißt, weiß jeder: Wenn er ein Stein in den Weg gelegt wird. fragt „Wollen Sie noch darüber sprechen und mir Ihre Gründe nennen?" und sie nein sagt, ist das erle- Ich wünschte mir, daß sich diejenigen, die sich hier digt. Mir kann keiner sagen, daß damit die beson- vehement für diese Regelung eingesetzt haben - vor dere Aufgabe, die der Arzt eigentlich leisten soll - allen Dingen auch die Kolleginnen und Kollegen von der Schutz, zu dem er nach dem hippokratischen Eid der F.D.P. -, einmal dafür einsetzen würden, daß den eigentlich auch verpflichtet ist -, noch erfüllt wird. Frauen, die allein wegen der Geburt ihres Kindes in eine Situation geraten, in der sie Sozialhilfe bezie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hen müssen, der Weg zum Sozialamt erspart wird. Der wichtigste Punkt, warum ich heute nicht zu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU stimmen kann und Ihnen empfehlen möchte, das ein- und der SPD) zig klare Schutzkonzept, nämlich unseres, zu unter- stützen, ist die Erweiterung der medizinischen Indi- Das ist geradezu eine Diskriminierung der Frauen, kation. Überall ist zu hören, die embryopathische In- die sich unter Inkaufnahme aller Mühen und Bela- dikation sei abgeschafft. Aber gleichzeitig sagt Herr stungen dazu durchringen, die Kinder auszutragen: Lanfermann in seiner Rede wörtlich: In der Pra xis Sie müssen zum Sozialamt, sie müssen jeden Pfennig bleibt alles so, wie es ist. Und Herr Göhner hat sogar nachweisen. Sie müssen ihr Vermögen aufgeben, sie per Zuruf kundgetan: Das stimmt! müssen ihr Auto verkaufen, während die Männer gut dastehen und mit einigen Zahlungen wegkommen. Praxis ist aber, daß behinderte Kinder heute bis zur Das ist die Ungerechtigkeit. 22. Woche abgetrieben werden können. Praxis ist, daß die absolut große Mehrheit derjenigen, die erfah- Meine Damen und Herren, wenn Sie den Lebens- ren, daß ihr Kind behindert ist, diese Kinder tötet. schutz so ernst nehmen und sagen, es müsse insge- Das heißt, daß die Praxis gleichbleibt. Da soll mir ein- samt ein Lebensschutzkonzept mit sozialen Maßnah- mal jemand erklären, worin der bessere Schutz des men geben, dann hätten Sie erst einmal das ändern ungeborenen behinderten Lebens besteht, wenn müssen, anstatt das Lebensrecht freizugeben. man selbst zugibt, daß sich in der Pra xis nichts än- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - dert. Aber es ändert sich in der Praxis doch ein Zuruf von der SPD: Wer hat denn hier die Punkt: Jetzt darf auch bis zur Geburt behindertes Le- Mehrheit?) ben getötet werden. Ich werde dementsprechend eine Ini tiative starten und bin gespannt, ob die Länder bereit sind, da mit- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege zumachen. Hüppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage? 3778 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Hubert Hüppe (CDU/CSU): Gerne. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Hüppe, es gibt eine Reihe von Fragewünschen. Karin Rehbock-Zureich (SPD): Herr Kollege, nach- dem Sie „Strafe statt Hilfe" zu Ihrem Grundprinzip Hubert Hüppe (CDU/CSU): Gerne. gemacht haben, - Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die erste Frage Hubert Hüppe (CDU/CSU): Nein. stellt Herr Scheu.

Karin Rehbock-Zureich (SPD): - möchte ich Sie fra- Hubert Hüppe (CDU/CSU): Gut. gen: Wie sehen Sie die Tatsache, daß in den Nieder- landen die Abtreibungszahlen bei einer sehr weitrei- (CDU/CSU): Herr Kollege Hüppe, chenden, liberalen Regelung wesentlich niedriger Gerhard Scheu würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß in dem von Ih- sind als bei uns, nämlich 9,6 % gegenüber 11 % bei nen beschriebenen Fall der § 217, Kindestötung, ein- uns? tritt, und daß mit keinem einzigen Wort, weder in der Begründung noch in den Intentionen, die von Ihnen Hubert Hüppe (CDU/CSU): Liebe Kollegin, ich bin beschriebene Fallkonstellation diesem Gesetz unter- Ihnen für die Frage dankbar. Wahrscheinlich haben stellt werden kann? Wo finden Sie einen Beleg? Sie die Zahlen von Stimezo; das ist nämlich die ein- zige Untersuchung, die es dazu gibt. Stimezo ist so- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so zusagen der Schwesterverband von Pro Familia. Pro wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Familia hat schon immer behauptet, es gebe nur DIE GRÜNEN - Beifall bei der SPD und der 80 000 Abtreibungen in der Bundesrepublik F.D.P.) Deutschland, obwohl ein Dreifaches über die Kran- kenkassen abgerechnet wird. So ernst ist auch diese Hubert Hüppe (CDU/CSU): Herr Kollege Scheu, Zahl zu nehmen. dies ist insofern richtig, als bei solch einer Methode, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die z. B. durch Prostaglandin erfolgt, ein Kind lebens- fähig zur Welt kommt. Deswegen - da können Sie Liebe Kollegin, wenn Sie gerade Holland anfüh- Berichte u. a. in der „Medical Tribune" nachlesen - ren, dann sage ich im Zusammenhang mit der em- gehen Ärzte übrigens schon bei der jetzigen embryo- bryopathischen Indikation: Man kann doch nicht die pathischen Indikation dazu über, das Kind bereits im Augen davor verschließen, daß dann, wenn unter Be- Mutterleib durch die Curettage-Methode zu töten, rücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen bei der dem lebenden Kind ohne Schmerzmittelab- Lebensverhältnisse der Frau - das ist nämlich die Än- gabe die Glieder abgetrennt werden, damit man si- derung, die jetzt eingefügt wurde: die Änderung und cher ist, daß dieses Kind hinterher tot ist. Das ist Erweiterung der medizinischen Indikation - unter keine Schauergeschichte, irgend etwas, was man er- gewissen Voraussetzungen eine medizinische Indi- finden könnte, sondern das ist so Praxis. Es ist leider kation, d. h. die Abtreibung bis zur Geburt möglich auch in anderen europäischen und amerikanischen ist, auch die Diskussion anfangen wird: Was ist denn Staaten Praxis. zwei Stunden nach der Geburt? Wir haben diese Dis- kussion. Der australische Philosoph Singer hat ein (Dr. [PDS]: Widerlich!) Buch veröffentlicht, in dem er genau diese Situa tion Ich muß dies so hart sagen, lieber Kollege Scheu. erwähnt, aber nicht vor der Geburt, sondern nach der Ich weiß, daß ich mir persönlich damit keinen Gefal- Geburt. Er argumentiert aber genauso: Wenn das un- len tue. Aber jeder Kollege, jede Kollegin muß wis- geborene Kind schon vorher getötet werden darf, sen, wofür sie heute ihre Stimmen abgeben. dann soll es auch nachher getötet werden können. (Zuruf von der SPD: Das wissen wir auch!) (Widerspruch bei der SPD - Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist unerträglich!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, - Das sagt Herr Singer, nicht Sie. Ich unterstelle kei- es kommt noch eine Zwischenfrage. nem Kollegen und keiner Kollegin, dies zu wollen; das sage ich ganz deutlich. Hubert Hüppe (CDU/CSU): Ja, nach dem nächsten (Ina Albowitz [F.D.P.]: Dann sagen Sie es Satz. auch!) Jeder Kollege und jede Kollegin - ich sage das mit - Aber ich sage noch einmal: Die Niederlande hatten allem Ernst; ich habe dadurch keinen Vorteil - wird eine Gesetzgebung mit einem Wortlaut, der fast ge- in 20 Jahren daran gemessen werden, wie diese Re- nauso war wie hier. Die Niederlande haben heute die gelung gewirkt hat und welche Auswirkungen sie Euthanasie eingeführt. allgemein auf das Lebensrecht gehabt hat. (Widerspruch bei der SPD) (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Sie aber auch!) - Ich weiß, daß das viele aufregt. Das bitte ich jeden ganz ernsthaft zu überdenken. (Dr. [CDU/CSU]: Tatsache!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3779

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Zwischen- einiges von dem, was wir eben gehört haben, in mei- frage des Herrn Kollegen Kunick. nen Augen ziemlich unerträglich ist. (Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜND- Konrad Kunick (SPD): Herr Kollege, wie beurteilen NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie sie in Ihrem Denksystem die Tatsache, daß während bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Französischen Revolu tion die papsttreuen katho- lischen Bischöfe die Abtreibung freigegeben haben? Der Gegenstand, mit dem wir es zu tun haben, nämlich das vorliegende Gesetz, macht es uns allen (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! - Teilweise schwer. Wir haben hier aus gutem Grund Freiheit für Heiterkeit, teilweise Widerspruch bei der unser Gewissen. Jede und jeder wird diese Freiheit SPD) des Gewissens nutzen. Aber wenn es wirklich um das Gewissen geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann hat Polemik keinen Platz. Dann sollte Respekt Hubert Hüppe (CDU/CSU): Ich gebe Ihnen gerne für die Meinung der anderen die Grundlage sein. eine Antwort, weil ich glaube, daß dies deutlich macht, auf welchem Niveau Sie diskutieren. (Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zurufe von der SPD: Oh!) Niemand sollte hier einem anderen die Ernsthaftig- Ich sage Ihnen ganz offen: Das spielt für mich über- keit absprechen, haupt keine Rolle. Ich bin zwar gläubiger Ch rist, aber es spielt für mich überhaupt keine Rolle, ob ir- (Zurufe von der CDU/CSU) gend jemand aus der Kirche oder sonst jemand dies für richtig hält oder nicht. Was für mich eine Rolle ebensowenig, wie man Frauen als leichtfertig be- spielt, ist, ob das Recht auf Leben für jeden gilt, in zeichnet. jeder Phase, ob geboren oder ungeboren, ob behin- (Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜND- dert oder nicht behindert. Das interessiert mich und NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie weniger die Meinung irgendwelcher Verbände oder bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zuruf Institutionen. von der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - - Können Sie eigentlich nicht zuhören? Merken Sie Christina Schenk [PDS]: Eine unglaubliche nicht, daß ich mir in einer sehr, sehr schwierigen Konfusion bei Ihnen!) Frage Mühe gebe? Ich bitte Sie, auch mal zuzuhören. Meine Damen und Herren, ich sage es zum Ab- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schluß noch einmal: Bitte stimmen Sie für unseren Entwurf! Bitte zeigen Sie, daß Sie für einen uneinge- Ich bestreite, daß Sie sich überhaupt die Mühe ge- schränkten Schutz des Lebens sind, daß das mensch- macht haben, sich in die Konflikte hineinzudenken, liche Leben wenigstens so geschützt wird wie in un- in die Frauen geraten. serer Gesellschaft das Leben von Tieren! Dann hät- ten wir schon etwas erreicht. (Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie Auch wenn dieses Gesetz so beschlossen wird, der Abg. Maria Eichhorn [CDU/CSU] - Zu- bitte ich alle, im persönlichen Handeln selbst für das ruf des Abg. Dr. Dionys Jobst [CDU/CSU]) Leben einzutreten, selbst Leuten zu helfen, nicht nur auf die Gesellschaft zu schielen, sondern auch selbst Ich sage ganz bewußt: Jedem, der Kinder liebt, tatkräftig Hilfe zu leisten. Wenigstens das können wird diese Entscheidung schrecklich schwerfallen. wir noch erreichen. (Zuruf von der SPD: So ist es!) Ich sage Ihnen aber auch: Wir werden niemals auf- Daß das Gesetzgebungsverfahren so schwierig ge- hören, das Unrecht beim Namen zu nennen. Da wer- wesen ist, daß es holperig gewesen und sicher auch den wir niemals aufgeben. bis zum heutigen Tag so geblieben ist, weist doch auf Vielen Dank. die Einmaligkeit dieser Konfliktsituation hin und auf nichts anderes. Niemand hier hat von „Lösung" oder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - so etwas gesprochen. Es geht hier um nichts Gerin- Christina Schenk [PDS]: Wir auch nicht, geres als um eine absolute Grenzsituation. Hier geht Herr Hüppe!) es um zwei Leben, die miteinander verbunden sind, und das darf man nicht vergessen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu einer Kurz- Es geht um eine absolute Ausnahmesituation, und intervention erteile ich der Abgeordneten Co rnelia wir versuchen, dieser Ausnahmesituation - so Schmalz-Jacobsen das Wort. schwierig das ist und so bruchstückhaft das sein wird - gerecht zu werden. Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Herr Präsi- dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, sehr schwer, hier mit einiger Ruhe zu sprechen, weil Ihre Zeit läuft ab. 3780 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Ja. Ich möchte dies zum Schluß noch einmal sagen, damit kein falscher Eindruck entsteht. Es ist mir das Mein Schlußsatz soll sein: Das, was wir erreichen, in diesen Tagen und Nächten zum Teil wirklich im- ist Rechtssicherheit für die Ärzte und für die Berater mer wieder durch den Kopf gegangen. Ich möchte, sowie eine eigene Entscheidung der Frau. Mehr kön- daß dies genauso akzeptiert wird wie bei allen ande- nen wir nicht tun, und jeder sollte hier seinem Gewis- ren Kolleginnen und Kollegen auch. sen folgen. Vielen Dank. (Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Der Kollege Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Hüppe hat das Recht auf eine Erwiderung. Wort der Abgeordneten Christel Hanewinckel.

Hubert Hüppe (CDU/CSU): Frau Kollegin, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß mir diese Rede nicht Christel Hanewinckel (SPD): Herr Präsident! Herr leichtgefallen ist. Und sie ist nicht polemisch. Sie ist Kollege Hüppe, Richtigkeiten werden nicht dadurch emotional. Das hat etwas mit Gefühlen zu tun. falsch, daß Sie sie falsch darstellen. (Christina Schenk [PDS]: Das können Sie Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach jahrelan- schon gar nicht mehr beurteilen!) gem Streit wurde endlich hart am Urteil des Bundes- - Auch das ist, glaube ich, eine Bemerkung, die da- verfassungsgerichtes der gordische Knoten zerschla- neben war. gen. Mit gutem Willen wurde Rechtssicherheit ge- schaffen. Die Emotionen, die Gefühle sind das, was den Menschen auszeichnet. Das ist das, was uns davon Sie haben vielleicht gemerkt, das waren die abhält, anderen Menschen etwas Ungutes anzutun. Schlagzeilen der Zeitungen; verschiedene Kollegin- nen und Kollegen haben sie schon zitiert. (Wolf-Michael Cathenhusen [SPD]: Die Ver nunft auch!) Ein Kompromiß in der Konfliktsituation des § 218 Und diesen Gefühlen wollte ich heute Ausdruck ge- ist gefunden, ein Kompromiß, der auch alle Merk- ben. male, die einen Kompromiß auszeichnen, aufweist. Ambivalenzen gehören dazu, Bauchschmerzen Wenn Sie sagen, Frau Kollegin, daß ich mich nicht ebenso, aber auch Erleichterung und die Überzeu- in die Situation von Frauen hineindenken kann - das gung, daß dieser Kompromiß mehr Klarheit und vor ist in anderen Bereichen sicherlich auch möglich -, allen Dingen mehr Rechtssicherheit für alle Beteilig- dann nehmen Sie aber bitte zur Kenntnis, daß meine ten bringt. Frau und ich selbst Frauen in Notsituationen gehol- fen, sie bei uns im Hause aufgenommen haben. Ich Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen in diesem sage das sonst nicht, und ich sage es hier nicht, um Haus wird heute eine Menge abverlangt. Es ist lange mich irgendwie zu brüsten, sondern weil ich denke, gerungen worden, und daß dieser Kompromiß eine Sie sollen das wirklich wissen. Ich habe auch mit Verbesserung gegenüber der momentanen Lage ist, Frauen gesprochen, die einen Abbruch vorgenom- wird die nächste Zeit zeigen. Vor allem die betroffe- men haben, und es sind nicht alle glücklich darüber. nen Frauen, die Beraterinnen, Ärztinnen und Ärzte werden dies merken. (Widerspruch bei der SPD) - Es sind fast alle nicht glücklich darüber. Das, meine Den Frauen im Osten wird viel zuviel abverlangt; Damen und Herren, ist es, was ich zum Ausdruck denn für sie hat sich nicht nur etwas verändert. Nicht bringen wollte. nur ein verändertes Schwangerschaftsabbruchrecht hat sich bemerkbar gemacht; für die Frauen im Als letztes: Sie haben von Rechtssicherheit gespro- Osten hat auch und vor allen Dingen der Arbeits- chen. Es ist eben nicht eine rechtssichere Indikation. markteinbruch voll durchgeschlagen. Die Frauen im Sie ist zwar theore tisch überprüfbar, aber der Arzt, Osten sind auf dem Arbeitsmarkt die Verliererinnen der diese Indikation stellt, bis zur Geburt, wird nur der Vereinigung. Frauen führen die Statistiken der - dann bestraft, wenn er. wider besseres Wissen han- Arbeitslosenzahlen an. Frauen und Mädchen sind zu delt, also nur dann, wenn Sie ihm nachweisen kön- Marktführerinnen geworden, wenn es um das Nicht- nen, daß er nichts anderes wußte. Er muß sich nach haben von Ausbildungsstellen, um das Nichthaben diesem Gesetz noch nicht einmal über diese Situa- von Erwerbsarbeitsplätzen und von ausreichendem tion selbst informieren. Er kann alles glauben, was eigenen Einkommen geht. Auch wenn es gerne an- ihm gesagt wird. Wenn man eine gerichtliche Über- ders dargestellt wird: Diese Frauen wollen nicht an prüfung von dem indikationsstellenden Arzt wollte, den heimischen Herd zurück. Auch fünf Jahre nach dann hätte man dort etwas anderes hineinschreiben der Wende halten sie mehrheitlich an dem Wunsch müssen. nach beruflicher Tätigkeit fest. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3781 Christel Hanewinckel Die Frauen lehnen es ab, ihr Erwerbsverhalten über den § 218 debattieren und daß es 1993 ein Bun- dem im Westen üblichen Muster anzugleichen. Hier desverfassungsgerichtsurteil gegeben hat, an dem wird deutlich: Die hohe Erwerbstätigkeit von Frauen auch ein entsprechender Gesetzentwurf vom BÜND- in der ehemaligen DDR war nicht nur von oben ok- NIS 90/DIE GRÜNEN nicht vorbeikommt. Ich halte troyiert, sondern entsprang auch ihrem eigenen es für unseriös, immer noch und immer wieder so zu Selbstbewußtsein und ihrer Erfahrung. tun, als könnten wir beim § 218 im luftleeren Raum handeln. Das ist nicht so. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Rita PDS) Süssmuth [CDU/CSU]) Junge Frauen aus den neuen Bundesländern haben Meine Vorstellung ist, daß sie als stellvertretende Mi- noch immer den Wunsch nach Familie und Kindern, nisterpräsidentin eines Landes an dieser Stelle mit aber eben auch nach Berufstätigkeit. Sich beide dafür sorgen sollte, daß nicht neue Verunsicherun- Wünsche zu erfüllen ist aber unter den gegebenen gen für die Frauen, für die Beraterinnen und Berater Rahmenbedingungen nur sehr schwer möglich. und für die Ärzte gestreut werden. Frau Ministerin Nolte, Sie haben vorhin davon ge- (Beifall bei der SPD) sprochen, daß Sie das Schutzkonzept, das in der Neuregelung zum § 218 enthalten ist, sehr genau be- Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in obachten wollen. Ich muß sagen, von Ihnen als Ost und West haben die Vision von einem Leben Frauen- und Familienministerin reicht mir diese Aus- ohne § 218 nicht aufgegeben. Aber nicht nur jedes sage nicht aus. Ding braucht seine Zeit; auch Visionen brauchen ihre Zeit, um in die Realität umgesetzt werden zu können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich persönlich halte Frauen bereits jetzt - wie schon DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der immer - für fähig, ohne entsprechende Paragraphen PDS) verantwortliche Entscheidungen für ihre Kinder und für sich selbst zu treffen. Sie sind dafür verantwortlich, auch die andere Seite, also nicht nur ein Schutzkonzept, sondern vor allen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dingen die Seite einer entsprechenden Frauen- und Familienpolitik anzugehen, Dazu brauchen wir auch in Zukunft „starke Mäd- chen und Frauen". (Christina Schenk [PDS]: Ganz genau!) Wie sieht nun der Kompromiß vor allen Dingen für Vorschläge zu machen und umzusetzen. den Osten konkret aus? Frauen können, sollen und müssen in Anspruch nehmen - eine Bera- (Beifall bei der SPD) Beratung tung, die ihre Verantwortung und ihre persönliche Auch wenn ich Ihre Gewissensentscheidung im Blick Entscheidung forde rt. Eine Entscheidung im Kon- auf das vorliegende Gesetz respektieren kann: Es ist fliktfall für den Abbruch ist straffrei. Frauen müssen mir zuwenig, wenn Sie in der Beobachterinnenrolle den Abbruch selbst bezahlen, aber nur ab einem ei- bleiben wollen. Denn es ist so, daß Frauen nach wie genen Einkommen von 1 500 DM im Osten; pro Kind vor ihre Entscheidungen treffen. Das machen in den bekommen sie zusätzlich 370 DM angerechnet. östlichen Bundesländern die 70 % Geburtenrück- Frauen, die unter diese Berechnungsgrenze fallen, gang deutlich: ein Geburtenrückgang, der nicht auf bekommen bei ihrer Krankenkasse eine Bescheini- eine erhöhte Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen gung für die Kostenübernahme; sie müssen nicht zurückzuführen ist, sondern aus der Tatsache her- zum Sozialamt. rührt, daß Frauen erst gar nicht schwanger werden. Das macht, denke ich, auch noch einmal sehr deut- Es ist gut, daß der Kompromiß nicht nur den Frauen Rechtssicherheit gibt, sondern auch den Ärz- lich, daß das Konzept Beratung und Hilfe statt S trafe tinnen und unbedingt noch in anderen Bereichen ausgebaut Ärzten und den Krankenhäusern. Ärztin- werden muß. nen und Ärzte können nun nicht mehr als zweite In- stanz benutzt werden und müssen nicht mehr die Der Kompromiß, den wir heute verabschieden wol- Rolle des Moralapostels oder des Richters überneh- len, ist und bleibt für die Frauen im Osten ein Kom- men. Nun können und sollen sie ihre Verantwortung promiß, aber ein lebbarer Kompromiß. Positiv dabei als Frauenärztinnen und Frauenärzte wahrnehmen, ist, daß für die Frauen in den östlichen Bundeslän- den Frauen zur Seite stehen, ihnen ihr medizinisches dern nach über fünf Jahren Verunsicherung und der Wissen und Können zur Verfügung stellen und nichts rapiden Veränderung, insbesondere im Hinblick auf anderes. die Eigenentscheidung beim Schwangerschaftsab- bruch, endlich Ruhe einkehrt. Es ist gut, daß die deutsche Einheit die Neurege- lung des j 218 für die westlichen Bundesländer auf Noch ein Wort zur Würdigung bzw. zur Kritik am die Tagesordnung gebracht hat. Der Kompromiß be- vorliegenden Kompromiß. Frau Ministerin Heidecke endet auch das Hin und Her für Frauen im Westen. aus Sachsen-Anhalt charakterisiert diesen Kompro- Die Indikationsregelung ist endgültig vom Tisch. miß als Schlag ins Gesicht der Frauen bzw. als einen Frauen können nach Beratung, aber ohne Bevormun- Rückfall ins Steinzeitalter. Ich habe den Eindruck, dung und ohne Strafe eigenverantwortlich entschei- Frau Heidecke hat die Debatte der letzten fünf Jahre den und einen Abbruch vornehmen lassen. Niemand nicht wahrgenommen. Sie hat offenbar nicht be- prüft mehr, ob sie in einer Notlage gehandelt haben, merkt, daß wir heute nicht das erste Mal seit 1990 die einer medizinischen oder sonstigen Indikation 3782 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Christel Hanewinckel vergleichbar ist. Bei den §§ 218 und 219 wird es, Um dies ohne jeden Zweifel klarzustellen, war es uns wenn dieser Kompromiß heute verabschiedet wird, ein wichtiges Anliegen, dem dringenden Wunsch der in Ost und West eine Angleichung der Lebensver- Kirchen, der Behindertenverbände und anderer hältnisse geben. nachzukommen, die in der Tat höchst mißverständli- che embryopathische Indikation abzuschaffen. Einen anderen Rückblick möchte ich mir hier noch leisten. Im Gruppenantrag von 1992 gibt es das Kapi- Wer jetzt behauptet, wir würden über die Hintertür tel „Aufklärung", und Sie erinnern sich vielleicht einer medizinischen Indikation die embryopathische daran, daß das ein wichtiges Standbein war. Dieser Indikation ohne Frist wieder einführen, dem muß ich Teil ist mit dem sozialpolitischen Teil des Gruppenan- unterstellen, daß er den Gesetzestext nicht gelesen trages bereits in Kraft ge treten und damit geltendes hat, geschweige denn die Begründung. Recht. Die Bundesregierung hat diesen Auftrag auch ernstgenommen und die Bundeszentrale für gesund- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU heitliche Aufklärung beauftragt, eine Aufklärungs- und der F.D.P.) und Informationsbroschüre für Mädchen herzustel- len. Das hat die Bundeszentrale auf eine hervorra- Denn die medizinische Indikation, die wir jetzt be- gende Art und Weise getan: „Starke Mädchen" sind schließen wollen, entspricht wörtlich der von 1976 bis dabei herausgekommen. Leider wurde diese Bro- 1992 in der Bundesrepublik Deutschland geltenden, schüre inzwischen aus dem ganzen Land zurückge- vom Verfassungsgericht nicht beanstandeten Indika- rufen, und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler tion. An ihr hat es - wie an der damaligen Indikatio- mögen hierüber staunen. Die Broschüre wurde ein- nenregelung überhaupt - von den Kirchen und von gestampft, weil sie angeblich verfassungswidrig ist: anderen Stellen viel Kritik gegeben, aber niemals hat eine Broschüre, die gut zu lesen und gut anzusehen jemand behauptet, die medizinische Indikation, die war, eine Broschüre, die für verantwortliche Sexuali- wir jetzt wörtlich übernehmen, erlaube und rechtfer- tät wirbt, die aber auch von Lust und Freude und der tige die Tötung eines Kindes, weil es behindert sei. Normalität von Sexualität spricht, eine Broschüre, die Dies ist abstrus. Mädchen als Teil dieser Gesellschaft anspricht, eine Broschüre, die Mädchen als Subjekte ansieht und an- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU spricht, und eine Broschüre, die eine mögliche Kon- und der F.D.P.) fliktsituation, nämlich die Schwangerschaft, an- spricht und Beratung empfiehlt. Mir ist nicht ein- Wahr ist, daß jede Indikation, übrigens auch die in leuchtend, was an all dem verfassungswidrig ist, es dem Gesetzentwurf, den Kollege Hüppe und andere sei denn, es finge schon beim Titel an: „Starke Mäd- vorgelegt haben, mißbraucht werden kann, wie lei- chen". Ich finde die Broschüre stark, Mädchen und der überhaupt Rechtsnormen häufig mißbräuchlich Frauen aber auch. angewendet werden können. Aber die medizinische Indikation verlangt als Voraussetzung für die recht- Vielen Dank. fertigende Wirkung, daß nach ärztlicher Erkenntnis und gerichtlich überprüfbar entweder eine Gefahr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne für das Leben der Schwangeren oder eine Gefahr ei- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, ner schwerwiegenden Beeinträchtigung der körperli- der F.D.P. und der PDS) chen oder seelischen Gesundheit vorliegt. Diese ärzt- liche Erkenntnis muß nach den vom Verfassungsge- richt detailliert festgelegten Voraussetzungen auch die gegenwärtigen und künftigen Lebensverhält- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das nisse der Betroffenen einbeziehen. Das gehört nach Wort dem Abgeordneten Dr. Reinhard Göhner. den Festsetzungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Bedingungen der Feststellung einer ärztli- chen Erkenntnis. Die CDU/CSU-Fraktion hat schon Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU): Herr Präsident! 1992 in dem Gesetzentwurf, den wir damals vorge- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst noch ein legt haben, die medizinische Indikation, die von 1976 paar Anmerkungen zu der hier gerade diskutierten bis 1992 galt, exakt wörtlich wieder aufgenommen. medizinischen Indikation: Es wird künftig nur noch zwei Indikationen geben, nach denen ein rechtmäßi- Wer jetzt behauptet, wir hätten etwas Neues erfun- ger Schwangerschaftsabbruch möglich sein wird, den, sagt schlicht die Unwahrheit. Ich habe deshalb eben diese medizinische und die kriminologische gerade im Zusammenhang mit der medizinischen In- Indikation. Wir haben uns nach sehr sorgfältiger Prü- dikation, aber auch mit einigen anderen Fragen, die fung und Beratung mit vielen Fachleuten dazu ent- Frau Kollegin Niehuis schon angesprochen hat und- schlossen, die embryopathische Indikation abzu- angesichts dessen, was in diesen Tagen gelegentlich schaffen, weil damit das Mißverständnis - ich betone: zu lesen ist, eine schlichte, aber doch sehr ernste das Mißverständnis - verbunden war, daß letztlich Bitte: Diejenigen, die sich öffentlich zu diesem Kom- die embryopathische Indikation eine Tötung rechtfer- promiß äußern, sollten sich bitte der Mühe unterzie- tige, weil das Kind behindert sei. Ein solches Mißver- hen, den Gesetzestext vorher wenigstens zu lesen. ständnis kann sich eine Rechtsordnung nicht leisten. Denn manche Stellungnahmen aus Politik, Kirchen und Gewerkschaften kann ich mir nur damit erklä- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ren, daß noch nicht Gelegenheit bestand, den Geset- und der SPD) zestext wirk lich zu lesen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3783

Dr. Reinhard Göhner Meine Damen und Herren, wir ringen seit Jahr- che Konsequenz ist nicht, daß sich Arzt oder Schwan- zehnten im Parlament, in der Gesellschaft und in den gere strafbar machen, wenn im Rahmen dieses Bera- Kirchen um die bestmögliche Verwirklichung des tungskonzeptes, dieses Schutzkonzeptes des Verfas- Schutzes ungeborenen Lebens. Wir alle wissen, daß sungsgerichts, ein Abbruch erfolgt. das Recht und auch das S trafrecht dazu einen Bei- trag, aber eben nur einen begrenzten Beitrag leisten Aus der Unverfügbarkeit des Menschen und der kann, daß Rat, Hilfe und Unterstützung gewiß wichti- Unantastbarkeit seines Lebens folgt die Pflicht des ger sind. Dies darf aber keine Ausrede dafür sein, auf Staates zum bestmöglichen Schutzkonzept für das eine klare Antwort in der Rechtsordnung und im Ge- ungeborene Leben. Aber wenn es denn richtig ist, setz auf die ethischen Grundfragen, die mit dem Le- daß Rat, Hilfe und Unterstützung noch wich tiger sind bensschutz verbunden sind, zu verzichten. als das Strafrecht, dann liegt es nahe, daß ein solches Schutzkonzept gewählt wird, mit dem wir eben Rat, Nun gibt es seit Jahrzehnten in dieser Diskussion Hilfe und Unterstützung für die Schwangere über- zwei gegensätzliche, zumindest in einem Sp an haupt erreichen können und es ihr ermöglichen, daß -nungsverhältnis zueinander stehende Grundpositio- sie diesen Rat, diese Hilfe und diese Unterstützung nen. Gibt es ein Lebensrecht für das ungeborene erhält. Das ist der Ansatz des Verfassungsgerichtes Kind von Anfang an, oder hat das Selbstbestim- für diese Beratungsregelung, die deshalb keine Fri- mungsrecht der Frau Vorrang, wie es Frau Kollegin stenregelung ist, weil das Selbstbestimmungsrecht Niehuis von der SPD-Fraktion hier noch einmal für der Frau eben nicht Vorrang hat - Vorrang hat viel- wünschenswert erklärt hat? Die Befürworter der Fri- mehr auch in diesem Beratungskonzept das Lebens- stenregelung sahen und, wie wir gesehen haben, se- recht des ungeborenen Kindes von Anfang an - und hen auch heute noch - wie einige Gesetzentwürfe, weil ein Abbruch nach dieser Beratungsregelung über die wir heute ebenfalls entscheiden, belegen - eben nicht von der Rechtsordnung gebilligt wird. innerhalb einer Zwölf-Wochen-F rist den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts der Frau. Genau damit, mit Ob dieses Beratungskonzept mit Ihrem Verzicht diesem vorrangigen Recht, wurde auch immer die auf Strafe ungeborenes Leben besser schützen kann Rechtmäßigkeit eines Abbruches im Rahmen der Fri- als z. B. eine Indikationenregelung, dies, glaube ich, stenregelung begründet. Diese Fristenregelung hat kann niemand hier mit letzter Gewißheit sagen, ich das Bundesverfassungsgericht aus guten Gründen jedenfalls nicht. Es wird davon abhängen, wieviel zurückgewiesen und dagegen eine andere Konzep- Rat, Hilfe und Unterstützung wir tatsächlich den tion gesetzt, die wir jetzt mit diesem Kompromiß Frauen, den Müttern, den jungen Familien und den übernehmen und die eine andere ethische Grund- Alleinerziehenden bieten können. Darüber werden position hat. wir hier in vielen anderen Gesetzgebungsverfahren noch in dieser Legislaturperiode miteinander reden. Ich zitiere: „Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwanger- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Le- ordneten der F.D.P.) ben hat." Ich möchte abschließend auch von meiner Seite al- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) len Beteiligten, die den Kompromiß mit erarbeitet ha- So steht es jetzt fast wörtlich in der zentralen Vor- ben, herzlich danken. Stellvertretend möchte ich be- sonderen Dank an die Frau Kollegin Wettig-Daniel- schrift des § 2 19: das vorrangige Lebensrecht des un- geborenen Kindes von Anfang an. Das ist eben jetzt meier richten. Sie haben durch Ihre Gesprächsfüh- nicht mehr nur Interpreta tion, nicht lediglich Begrün- rung zielgerichtet und mit großem Verständnis ganz dung. Vielmehr wird erstmals vom Gesetzgeber der wesentlich zu diesem Ergebnis beigetragen, das sich an die zentralen Wertentscheidungen und Wertmaß- Bundesrepublik Deutschland diese ethische Grund- stäbe unserer Verfassung position ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ordneten der SPD) und der SPD) Damit wird eine der bedeutendsten ethischen und nicht nur, aber ganz sicher auch an das Verfas- Grundfragen menschlichen Zusammenlebens aus- sungsgerichtsurteil hält. drücklich zum Inhalt unserer Rechtsordnung. Ich Vielen Dank. wiederhole: Das geschieht in der - nach Auffassung aller - zentralen Vorschrift des § 219 Strafgesetz- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- buch, um die wir ja gerade deshalb auch bis zum wie bei Abgeordneten der SPD) Schluß so intensiv gerungen und gestritten haben. - Die strafrechtliche Konsequenz aus dieser ethi- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun schen Festlegung des Gesetzgebers ist übrigens jetzt der Abgeordneten Hanna Wolf das Wo rt. nicht nur, daß es im Gegensatz zu der Beratungsziel- formulierung des früheren Gruppenantrages nun nur ein einziges und eindeutiges Beratungsziel gibt, Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident! nämlich den Schutz des ungeborenen Lebens. Viel- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein ungeheuer lan- mehr ist die strafrechtliche Konsequenz eben auch, ger Gesetzgebungsweg scheint zu Ende zu gehen. daß ein Abbruch im Rahmen der Beratungsregelung Ich erinnere nur an die letzten 20 Jahre. 1975 hatte keinen rechtfertigenden Charakter hat. Strafrechtli- das Bundesverfassungsgericht die von der SPD in- 3784 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Hanna Wolf (München) itiierte Fristenregelung verworfen. Später folgten die Drittens. Die Einrichtungen zur Vornahme von unerträglichen Prozesse von Memmingen. Schwangerschaftsabbrüchen. Ich appelliere an die Bayerische Staatsregierung, das im Gesetz gefor- Dann öffnete die deutsche Einheit die Möglichkeit derte „ausreichende Angebot ambulanter und statio- eines neuen Gesetzes. Auch der Gruppenantrag närer Einrichtungen" endlich sicherzustellen. wurde dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt, diesmal aber nur teilweise verworfen. Es Viertens. Die Kostenerstattung. Auch hier appel- folgten neuerliche Verhandlungen. liere ich an die Bayerische Staatsregierung, bei der Erstattung der den Krankenkassen entstehenden Ko- Ich bin froh, daß die SPD-geführten Länder im letz- sten absolute Datensicherheit zu gewährleisten. Die ten Herbst den damals vorgelegten Gesetzentwurf Frauen müssen Vertrauen in die ihnen zugesicherte der Koalitionsparteien abgelehnt haben und wir so- Anonymität haben können. mit weiter verhandeln konnten. Ich hoffe auf die politische Ehrlichkeit der CSU, Heute liegt meiner Meinung nach ein Ergebnis darauf, daß sie sich die im gesellschaftlichen Kon- vor, das die Bezeichnung Kompromiß eher verdient. sens gefundene Kompromißlinie nicht zerschlagen Der Beweis: Niemand kann so recht jubeln, aber läßt, auch nicht durch das Störfeuer eines Kardinals viele erkennen ihre eigenen Beiträge darin wieder. Friedrich Wetter. Aber auch sie selbst darf natürlich diesen Kompromiß jetzt nicht in Frage stellen. Frau Für mich ist entscheidend, daß wir eine Fristen- Eichhorn und Herr Scheu, ich setze nun auf Sie, daß regelung vorliegen haben, allerdings mit Beratungs- Sie der Bayerischen Staatsregierung bewußt ma- pflicht. Natürlich hätte ich mir mehr gewünscht; aber chen, daß sie nicht noch einmal nach Karlsruhe ge- ich glaube nicht, daß wir einen faulen Kompromiß hen kann. vorliegen haben. Politik ist die Kunst des Machbaren, und für mich war die Entscheidung wich tig, daß die Die Frauen in Bayern und wir bayerischen SPD- Frau letztendlich selbst entscheidet. Abgeordneten im Bundestag werden sehr genau be- obachten, wie die neue Praxis im Schwangerschafts- Ich glaube, dieser Kompromiß ist bei gutem Willen konflikt in Bayern aussieht. in die Praxis umsetzbar, und das ist für mich ent- scheidend. Ich baue auf die Kooperationswilligkeit Damit Kinder eine Chance haben, brauchen wir aller, die heute zustimmen werden. Daß die katholi- kinder- und frauenfreundliche Strukturen. Ich meine sche Kirche - mit Ausnahmen - nicht gegen den damit auch das Fehlen von Ganztagsschulen in Bay- Kompromiß anrennt, läßt mich hoffen, daß er auch in ern. Sie wären eine notwendige Ergänzung eines Zukunft hält. qualifizierten und integrierten Ganztagsangebots für Kinder jeden Alters. Ich meine eine Erziehung und rn bin ich jedoch aus Er- Als Abgeordnete aus Baye Sexualaufklärung, die die Prävention von ungewoll- fahrung mißtrauisch, wenn ich in einem Bundesge- ten Schwangerschaften im Auge hat, und einen Ar- setz sinngemäß lese: Das Verfahren regeln die Län- beitsmarkt mit gleichen Chancen für Frauen, der alle der. Aber auch hier baue ich darauf, daß die er- CSU Arbeitszeitstrukturen umfaßt, bei denen Kinder mit- kennt: Es tut ihr nicht gut, wenn Frauen in Bayern gedacht sind. Hier besteht absoluter Handlungsbe- schlechter dran sind als im übrigen Bundesgebiet. darf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich hoffe, daß die be troffenen Frauen und die Bera- Ich möchte auf einige Punkte näher eingehen und tungsstellen mit dem Gesetz, das wir heute hoffent- wende mich ganz speziell an die Bayerische Staatsre- lich mit großer Mehrheit verabschieden, angstfrei gierung, was übrigens besondere Aktualität durch umgehen können. ein Interview bekommt, das die Staatsministerin Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Stamm der „Süddeutschen Zeitung" gegeben hat und in dem sie die Frage der Zustimmung zu diesem (Beifall bei der SPD) Gesetz im Bundesrat offenläßt. Deshalb möchte ich heute die CSU in bezug auf einige Punkte anspre- chen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun unserer Präsidentin Frau Professor Rita Süssmuth als Erstens. Die Beratung. Ich appelliere an die Bayeri- Abgeordneter das Wo rt. sche Staatsregierung, sich immer bewußt zu bleiben, daß auch sie den ersten Satz des Gesetzestextes zur Konfliktberatung garan tieren muß, nämlich: „Die Be- Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU): Herr Präsident! ratung ist ergebnisoffen zu führen." Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich zum Abschluß dieser Debatte Zweitens. Die Beratungsstellen. Ich appelliere an das Wort ergreife, dann möchte ich sagen: Für mich die Bayerische Staatsregierung, gemäß dem Geset- ist heute kein schwarzer Tag, zestext ein tatsächlich „ausreichendes plurales An- gebot wohnortnaher Beratungsstellen sicherzustel- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) len". Dies beinhaltet auch, daß die Zulassung von Beratungsstellen nicht nach ideologischen, sondern sondern ein Tag, an dem ich zunächst einmal aus- nach den im Gesetz festgelegten fachlichen Kriterien drücken möchte, daß alle, die hier miteinander den beurteilt wird. Kompromiß ausgehandelt haben, höchst verantwort- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3785 Dr. Rita Süssmuth lich und nicht leichtfertig gegenüber dem Schutz des Dieser Lebensschutz beinhaltet, daß wir die Frau ungeborenen Lebens gehandelt haben, mit ihrem Entscheidungskonflikt nicht allein lassen. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne eine Verantwortungsethik, die von Beistandschart - ten der CDU/CSU, der F.D.P. und des so möchte ich es einmal nennen - bestimmt ist. Diese BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Beistandschaft betrifft die Partner, das fami liale Um- daß sie sich dabei der Wertgrundlage unseres Grund- feld, die Gesellschaft in allen Gruppierungen und gesetzes und des Verfassungsgerichtsurteils bewußt den Staat. geblieben sind und danach gehandelt haben. Es kann nicht angehen, daß wir den Frauen ein Daß dabei unterschiedliche Posi tionen bestehen, Entscheidungsrecht geben und sie dann im Konflikt wird auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes so allein lassen. Deswegen sind für das Verfassungsge- sein. Ich finde zunächst einmal ganz entscheidend, richt genauso ausschlaggebend die Mindestvoraus- daß im Sinne des neuen Schutzkonzeptes gehandelt setzungen, damit die Frau mit dem Beratungs- und worden ist. Natürlich trifft es zu, daß wir nicht wis- Hilfekonzept wirksam Leben schützen kann und der sen, ob der Weg, den wir jetzt gehen, der erfolgrei- Staat - wir alle - Leben wirksam schützen kann. chere sein wird, aber wir wissen, daß das Strafkon- Ich sage deswegen: Was wir bisher an Leistungen zept nicht ein wirksames Lebensschutzgesetz gewe- erbringen, ist für das Bundesverfassungsgericht eine sen ist. Mindestvoraussetzung, nicht ein Op timum. Daß wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne über den Rechtsanspruch auf einen Kindergarten- ten der CDU/CSU, der F.D.P. ' und des platz immer noch streiten, ist mit dem Verfassungs- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gerichtsurteil nicht vereinbar, Deswegen möchte ich am Ende dieser Debatte her- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und ausstellen: Was ist für das Bundesverfassungsgericht der SPD) die Grundlage seiner Urteilsfindung? Welches Bild sondern dieser Anspruch ist einzulösen. vom Menschen, welches Bild von Gesellschaft und Staat und welches Bild von der Frau und ihrer Ein- Ich glaube, für einen wirksameren Schutz ist ganz stellung gegenüber dem Lebensschutz stehen dahin- entscheidend, daß wir zu einem neuen Weg kom- ter? men, mit Kindern zu leben. Es genügt nicht, daß wir sagen: Herr Hüppe, ich sage Ihnen noch einmal: Es gibt Kinder haben Vorfahrt. Sie müssen wirk lich Vorrang in unserem Planen und Handeln haben, keinen Kompromiß beim Lebensrecht; er ist auch hier und heute nicht zugrunde gelegt worden. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CDU/CSU) ob bei Wohnungsfragen oder bei der Gestaltung von Aber es gibt einen Kompromiß bei der Frage des bes- Arbeit. Damit hängt entscheidend zusammen, wie seren Weges in bezug auf den Lebensschutz; denn wir die Tätigkeit von Kindererziehung, Be treuung, gerade das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ist Lebenshilfe und Lebensförderung in unserer Gesell- in der Werteordnung und im Verfassungsgerichtsur- schaft bewerten, und zwar faktisch bewe rten. Es teil geschützt worden. kann uns nicht zur Ruhe bringen, wenn Frauen we- gen der Entscheidung für das Kind am Ende Sozial- Deswegen sage ich aus meiner Position: Es ist zu hilfeempfängerinnen im Alter sind. einfach, nur den Begriff der Selbstbestimmung der Frau zu benutzen. Es ist ein höchst schwieriges Ent- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der scheidungsrecht im Gewissenskonflikt, in der Abwä- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gung der Frau: Kann ich mit einem Kind das Leben Deswegen müssen wir auf dem eingeschlagenen gemeinsam führen? Weg weitergehen: Anerkennung von Erziehung und Es geht nicht um ein Bestimmungsrecht über unge- Pflege im Rentenrecht; denn das macht deutlich, wie borenes Leben, sondern um einen höchst schwieri- diese Tätigkeiten tatsächlich bewertet werden und gen Entscheidungskonflikt, den niemand der Frau wie glaubwürdig wir im Umgang mit dem Schutz der abnehmen kann. Mutter und des Kindes sind. Und ich wünsche mir sehr, daß sich die Väter nicht weniger verantwortlich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, fühlen als die Mütter; das ist immer noch ein desola- der F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/ ter Tatbestand. - DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Ich wiederhole, was einheitliche Auffassung auch SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Kirchen ist: daß das Leben nicht gegen die Mut- sowie bei Abgeordneten der PDS) ter wirksam geschützt werden kann, sondern nur mit ihr. Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf das hinweisen, was der Kollege Göhner gerade mit allem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, Nachdruck betont hat. Wir haben von allen Seiten der F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/ wegen der embryopathischen Indikation Kritik er- DIE GRÜNEN) fahren. Wir haben in großer Übereinstimmung ge- 3786 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Dr. Rita Süssmuth sagt: Behindertes Leben ist genauso schützenswert Engelmann, Jürgen Koppelin, Dr. Martin Mayer, wie nicht behindertes Leben. Es gibt keinen Grund, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Graf von Waldburg-Zeil, daß Behinderung in irgendeiner Weise Grundlage Christian Schmidt, Dr. Schmidt-Jortzig, Peter Keller, für einen Abbruch sein darf. Johannes Singhammer, Werner Dörflinger, Hans Pe- ter Schmitz, Monika Brudlewsky, We rner Lensing (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und und Armin Laschet. Diese Erklärungen nehmen wir der SPD) hiermit zu Protokoll.*) Gibt es sonst noch jemanden, Wir haben die embryopathische Indikation der medi- der eine persönliche Erklärung abgeben möchte? - zinischen Indikation gleichgesetzt, um den Rang aus- Das ist nicht der Fall. zudrücken. Wer heute erklärt, wir öffneten der Tö- Wir kommen damit zu den Abstimmungen. Zu vier tung von Kindern die Tore, dem kann ich nur sagen: Gesetzentwürfen werden wir nament liche Abstim- Er weiß nicht, wovon wir geredet haben und was wir mungen durchführen. Dazwischen und im Anschluß verhandelt haben. daran finden einfache Abstimmungen statt. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Wir werden nach den namentlichen Abstimmun- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen die Sitzung unterbrechen, damit wir das Auszäh- sowie bei Abgeordneten der PDS) lungsergebnis bekanntgeben können, ehe wir an- Uns geht es um den Schutz, um besseren Schutz für dere Punkte der Tagesordnung aufrufen. Ich glaube, Behinderte, gerade um all das zu vermeiden, was Sie daß das nicht nur dem öffentlichen Interesse, son- als Gefahr sehen. Darum ging es den Verhandelnden dern auch der Bedeutung der Abstimmung angemes- und denen, die heute über diese gefundene Lösung sen ist. positiv abstimmen werden. Zunächst stimmen wir über den Gesetzentwurf der Wenn gesagt wird, das alles sei noch nicht ausbe- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Sexualauf- raten, dann möchte ich dazu auf folgendes hinwei- klärung, Verhütung, Prävention ungewollter sen: Wir beraten jetzt seit Jahren. Ich bin unserem Schwangerschaften und Beratung auf Drucksache Fraktionsvorsitzenden dankbar, daß er mit allem 13/402 ab. Der Ausschuß für Familie, Senioren, Nachdruck auf einen Abschluß der Beratungen ge- Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksache 13/1850 drängt hat, um nicht nur unsere Handlungsfähigkeit, unter Nr. 1 Buchstabe a, den Gesetzentwurf abzuleh- sondern auch die Glaubwürdigkeit im politischen nen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Handeln deutlich zu machen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/402 abstimmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. Ich er- Mein allerletzter Satz: Zur Verantwortungsethik öffne die Abstimmung. - gehört auch Entscheidungsethik, gehört, die Verant- wortungsfähigkeit der Frau ganz ernst zu nehmen. Gibt es ein Mitglied, das seine Stimme noch nicht Wenn dieser Gesetzentwurf dies endlich besser als je abgegeben hat? - Das ist nicht der Fa ll. Dann zuvor zum Ausdruck bringt, dann, glaube ich, ist er- schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh- reicht worden, daß die von niemand anderem zu rer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis übernehmende Verantwortung der Frau - das Gewis- der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgege- sen kann nicht ersetzt werden, auch nicht durch den ben. * *) Staat - anerkannt werden wird. Ich respektiere alle, die heute anders entscheiden. Aber ich werbe ab- Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte Sie, schließend noch einmal darum, daß wir den gefunde- Platz zu nehmen. Herr Kollege Scharping, würden nen verfassungskonformen Kompromiß als das wer- auch Sie uns das Vergnügen bereiten, Platz zu neh- ten und achten, was er ist. Ich danke allen Beteilig- men, damit wir fortfahren können? ten, die uns dies ermöglicht haben. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Danke schön. wurf der Abgeordneten Hubert Hüppe, Monika Brudlewsky und weiterer Abgeordneter zum Schutz (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und des ungeborenen Kindes auf Drucksache 13/395. Der der SPD sowie bei Abgeordneten des Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) empfiehlt auf Drucksache 13/1850 unter Nr. 1 Buch- stabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich schließe die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aussprache. Einige Kolleginnen und Kollegen wollen eine Er- Auch hier wird namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführer, an die Urnen zu gehen. Ich klärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Ge- schäftsordnung abgeben. Es ist vereinbart, daß diese eröffne die Abstimmung. Erklärungen zu Protokoll gegeben werden. Hat jemand seine Stimme noch nicht abgegeben? - Es handelt sich dabei um Erklärungen der Kolle- Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. gen Dr. Dionys Jobst, Robert Antretter, Benno Zierer, Kurt Rossmanith, Heidemarie Lüth, Hartmut Ko- *) Anlage 2 schyk, Ernst Hinsken, Dr. Barbara Höll, Wolfg ang **) Seite 3787 C Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3787 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu Wurf eines Gesetzes über Sexualaufklärung, Verhü- beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen tung, Prävention ungewollter Schwangerschaften später bekanntgegeben.*) und Beratung, Drucksache 13/402, bekannt. Abge- gebene Stimmen: 646, mit Ja haben gestimmt: 42, Wir setzen die Abstimmungen fo rt. Wir treten nun mit Nein haben gestimmt: 598, Enthaltungen: 6. Der in die Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt, so Gruppe der PDS zur Sicherung der Unantastbarkeit daß die dritte Beratung entfällt. der Grundrechte von Frauen auf Drucksache 13/397 ein. Endgültiges Ergebnis Augustinowitz, Jürgen (Unruhe) Austermann, Dietrich Abgegebene Stimmen: 645; Bargfrede, Heinz-Günter Wir können die Abstimmung nicht durchführen, davon Basten, Franz Peter wenn die Kollegen die Abstimmungsfrage nicht ken- ja: 42 Bauer, Dr. Wolf nen. Baumeister, Brigitte nein: 597 Belle, Meinrad Wir stimmen ab über den Gesetzentwurf der enthalten: 6 Bergmann-Pohl, Dr. Sabine Gruppe der PDS zur Sicherung der Unantastbarkeit Bierling, Hans-Dirk der Grundrechte von Frauen auf Drucksache 13/397. Ja Blank, Dr. Joseph-Theodor Blank, Renate Der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Blens, Dr. Heribert BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Jugend empfiehlt auf Drucksache 13/1850 unter Nr. 1 Bleser, Peter Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Altmann (Pommelsbrunn), Blüm, Dr. Norbert Elisabeth Bohl, Friedrich Um Fragen, die eben aufgetaucht sind, noch ein- Beck (Bremen), Marieluise Böhmer, Dr. Maria mal eindeutig zu klären: Ich lasse wie bei den ande- Beck (Köln), Volker Borchert, Jochen ren Abstimmungen auch über den Gesetzentwurf ab- Beer, Angelika Bömsen (Bönstrup), stimmen, nicht über die Empfehlung des Ausschus- Berninger, Matthias Wolfgang ses. Wir stimmen jeweils ab über den Gesetzentwurf, Buntenbach, Annelie Bosbach, Wolfgang hier den der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/397. Dietert-Scheuer, Amke Bötsch, Dr. Wolfgang Eichstädt-Bohlig, Franziska Brähmig, Klaus Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich er- Eid, Dr. Uschi Braun (Auerbach), Rudolf öffne die Abstimmung. - Fischer (Berlin), Andrea Breuer, Paul Fischer (Frankfurt), Joseph Brudlewsky, Monika Darf ich fragen, ob noch Stimmkarten nicht abge- Grießhaber, Rita Brunnhuber, Georg geben worden sind? - Wenn dies der Fall ist, bitte Häfner, Gerald Büttner (Schönebeck), ich, das zu tun. Hermenau, Antje Hartmut Heyne, Kristin Buwitt, Dankward Darf ich noch einmal fragen, ob ein Mitglied des Höfken, Ulrike Carstens (Emstek), Manfred Hauses seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Kiper, Dr. Manuel Carstensen (Nordstrand), Köster-Loßack, Dr. Angelika Peter Harry Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstim- Dehnel, Wolfgang mung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung Lippelt, Dr. Helmut Metzger, Oswald Deittert, Hubert zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ih- Müller (Köln), Kerstin Dempwolf, Gertrud nen später bekanntgegeben. **) Nachtwei, Winfried Deß, Albert Diemers, Renate Meine Kollegen, darf ich Sie bitten, Platz zu neh- Nickels, Christa Özdemir, Cem Dietzel, Wilhelm men, denn wir kommen nun zu Abstimmungen, die Poppe, Gerd Dörflinger, Werner nicht namentlich sind. Probst, Simone Doss, Hansjürgen Rochlitz, Dr. Jürgen Dregger, Dr. Alfred (Unruhe) Saibold, Halo Eichhorn, Maria Scheel, Christine Engelmann, Wolfgang - Ich bitte die Mitglieder des Hauses, Platz zu neh- Eppelmann, Rainer men oder den Saal zu verlassen. Das gilt auch für die Schewe-Gerigk, Irmingard Schmitt (Langenfeld), Eßmann, Heinz Dieter Kollegen im Hintergrund des Saales. Wir können Wolfgang Eylmann, Horst sonst die Mehrheitsverhältnisse nicht überblicken. Schönberger, Ursula Eymer, Anke Falk, Ilse Wir kommen zum Gesetzentwurf des Bundesrates Schoppe, Waltraud Schulz (Berlin), Werner Faltlhauser, Dr. Ku rt zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrü- Steenblock, Rainder , chen, Drucksache 13/375. Der Ausschuß für Fami lie, Steindor, Marina Fell, Dr. Karl H. Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksa- Sterzing, Christian Fink, Ulf che 13/1850 unter Nr. 1 Buchstabe d, diesen Gesetz- Such, Manfred Fischer (Hamburg), Dirk entwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Vollmer, Dr. Antje Francke (Hamburg), Klaus Volmer, Ludger Frankenhauser, Herbert Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthal- Friedrich, Dr. Gerhard tungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung bei Wilhelm (Amberg), Helmut Wolf (Frankfurt), Fritz, Erich G. wenigen Stimmenthaltungen angenommen. Margareta Fuchtel, Hans-Joachim Geiger, Michaela Ich gebe jetzt das Ergebnis der namentlichen Ab- Geis, Norbert stimmung zur zweiten Beratung des Gesetzentwur- Nein Geißler, Dr. Heiner fes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ent- CDU/CSU Glos, Michael Glücklich, Wilma Adam, Ulrich Göhner, Dr. Reinhard *) Seite 3790A Altmaier, Peter Götz, Peter **) Seite 3792D Augustin, Anneliese Götzer, Dr. Wolfgang 3788 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Gres, Joachim Limbach, Editha Roth (Gießen), Adolf Wilz, Bernd Grill, Kurt-Dieter Link (Diepholz), Walter Röttgen, Norbert Wimmer (Neuss), Willy Gröbl, Wolfgang Lintner, Eduard Ruck, Dr. Christian Wissmann, Matthias Gröhe, Hermann Lippold (Offenbach), Rühe, Volker Wittmann (Tännnesberg), Grotz, Claus-Peter Dr. Klaus W. Rüttgers, Dr. Jürgen Simon Grund, Manfred Lischewski, Dr. Manfred Sauer (Stuttgart), Roland Wöhrl, Dagmar Günther (Duisburg), Horst Lohmann (Lüdenscheid), Schätzle, Ortrun Wonneberger, Michael Hammerstein, Carl-Detlev Wolfgang Schäuble, Dr. Wolfgang Wilting, Elke Freiherr von Louven, Julius Schauerte, Hartmut Würzbach, Peter Kurt Haschke (Großhennersdorf), Löwisch, Sigrun Schemken, Heinz Yzer, Cornelia Gottfried Lummer, Heinrich Scherhag, Karl-Heinz Zeitlmann, Wolfgang Hasselfeldt, Gerda Luther, Dr. Michael Scheu, Gerhard Zierer, Benno Haungs, Rainer Maaß (Wilhelmshaven), Erich Schindler, Norbert Zöller, Wolfgang Hauser (Esslingen), Otto Mahlo, Dr. Dietrich Schlee, Dietmar Hauser (Rednitzhembach), Marschewski, Erwin Schmalz, Ulrich Hansgeorg Marten, Günter Schmidbauer, Bernd SPD Hedrich, Klaus-Jürgen Mayer (Siegertsbrunn), Schmidt (Fürth), Christian Heise, Manfred Dr. Martin (Halsbrücke), Schmidt Andres, Gerd Hellwig, Dr. Renate Meckelburg, Wolfgang Dr.-Ing. Joachim Antretter, Robe rt Hinsken, Ernst Meinl, Rudolf Schmidt (Mülheim), Andreas Bachmaier, Hermann Hintze, Peter Meister, Dr. Michael Schmiedeberg, Hans-Otto Bahr, Ernst Hollerith, Josef Merkel, Dr. Angela Schmitz (Baesweiler), Barnett, Doris Hornhues, Dr. Karl-Heinz Merz, Friedrich Hans Peter Barthel, Klaus Hornung, Siegfried Meyer (Winsen), Rudolf Schmude, Michael von Becker-Inglau, Ingrid Hörsken, Heinz-Adolf Michelbach, Hans Schnieber-Jastram, Birgit Behrendt, Wolfgang Hörster, Joachim Michels, Meinolf Schockenhoff, Dr. Andreas Bertl, Hans-Werner Hüppe, Hubert Müller, Dr. Gerd Scholz, Dr. Rupert Beucher, Friedhelm Julius Jacoby, Peter Müller (Kirchheim), Elmar Schorlemer, Reinhard Böhme (Unna), Dr. Ulrich Jaffke, Susanne Nelle, Engelbert Freiherr von Börnsen (Ritterhude), Ame Janovsky, Georg Neumann (Bremen), Bernd Schuchardt, Dr. Erika Brandt-Elsweier, Anni Jawurek, Helmut Nitsch, Johannes Schulhoff, Wolfgang Braune, Tilo Jobst, Dr. Dionys Nolte, Claudia Schulte (Schwäbisch Brecht, Dr. Eberhard Jork, Dr.-Ing. Rainer Olderog, Dr. Rolf Gmünd), Dr. Dieter Bulmahn, Edelgard Jung (Limburg), Michael Ost, Friedhelm Schulz (Leipzig), Gerhard Burchardt, Ursula Jüttner, Dr. Egon Oswald, Eduard Schulze, Frederick Bury, Hans Martin Kahl, Dr. Harald Otto (Erfurt), Norbert Schütze (Berlin), Diethard Büttner (Ingolstadt), Hans Kampeter, Steffen Päselt, Dr. Gerhard Schwalbe, Clemens Caspers-Merk, Ma rion Kansy, Dr.-Ing. Dietmar Paziorek, Dr. Peter Schwarz-Schilling, Catenhusen, Wolf-Michael Kanther, Manfred Pesch, Hans-Wilhelm Dr. Christian Conradi, Peter Karwatzki, Irmgard Petzold, Ulrich Sebastian, Wilhelm-Josef Däubler-Gmelin, Dr. Herta Kauder, Volker Pfeifer, Anton Seehofer, Horst Deichmann, Christel Keller, Peter Pfeiffer, Angelika Seibel, Wilfried Diller, Karl Klaeden, Eckart von Pfennig, Dr. Gero Seiffert, Heinz-Georg Dobberthien, Dr. Marliese Klaußner, Dr. Bernd Pflüger, Dr. Friedbert Seiters, Rudolf Dreßen, Peter Klein (München), Hans Philipp, Beatrix Selle, Johannes Dreßler, Rudolf Klinkert, Ulrich Pinger, Dr. Winfried Siebert, Bernd Duve, Freimut Kohl, Dr. Helmut Pofalla, Ronald Sikora, Jürgen Eich, Ludwig Köhler (Hainspitz), Pohler, Dr. Hermann Singhammer, Johannes Enders, Peter Hans-Ulrich Polenz, Ruprecht Sothmann, Bärbel Erler, Gernot Kolbe, Manfred Pretzlaff, Marlies Späte, Margarete Ernstberger, Pe tra Königshofen, Norbert Protzner, Dr. Bernd Spranger, Carl-Dieter Faße, Annette Kom, Eva-Maria Pützhofen, Dieter Steiger, Wolfgang Ferner, Elke Koschyk, Hartmut Rachel, Thomas Steinbach, Erika Fischer (Homburg), Lothar Koslowski, Manfred Raidel, Hans Stetten, Dr. Wolfgang Fograscher, Gabriele Kossendey, Manfred Ramsauer, Dr. Peter Freiherr von Follak, Iris Kraus, Rudolf Rau, Rolf Stoltenberg, Dr. Gerhard Formanski, Norbert Krause (Dessau), Wolfgang Rauber, Helmut Storm, Andreas Freitag, Dagmar Krautscheid, Andreas Rauen, Peter Harald Straubinger, Max Fuchs (Köln), Anke Kriedner, Arnulf Regenspurger, Otto Stübgen, Michael Fuhrmann, Arne Kronberg, Heinz-Jürgen Reichard (Dresden), Christa Susset, Egon Ganseforth, Monika Krüger, Dr.-Ing. Paul Reichardt (Mannheim), Süssmuth, Dr. Rita Gansel, Norbert Krziskewitz, Reiner Klaus Dieter Teiser, Michael Gilges, Konrad Kues, Dr. Hermann Reinartz, Dr. Bertold Tiemann, Dr. Susanne Gleicke, Iris Kuhn, Werner Reinhardt, Erika Töpfer, Dr. Klaus Gloser, Günter Lamers, Karl Repnik, Hans-Peter Tröger, Gottfried Glotz, Dr. Peter Lamers (Heidelberg), Richter, Roland Uelhoff, Dr. Klaus-Dieter Graf (Friesoythe), Günter Dr. Karl A. Richwien, Roland Uldall, Gunnar Graf (Rosenheim), Angelika Lammert, Dr. Norbert Rieder, Dr. Norbert Vogt (Duren), Wolfgang Grasedieck, Dieter Lamp, Helmut Riedl (München), Dr. Erich Waffenschmidt, Dr. Horst Großmann, Achim Laschet, Armin Riegert, Klaus Waigel, Dr. Theodor Haack (Extertal), Lattmann, Herbert Riesenhuber, Dr. Heinz Waldburg-Zeil, Karl Hermann Laufs, Dr. Paul Rönsch (Wiesbaden), Alois Graf von Hacker, Hans-Joachim Laumann, Karl-Josef Hannelore Warnke, Dr. Jürgen Hagemann, Klaus Lensing, Werner Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Wetzel, Kersten Hampel, Manfred Lenzer, Christian Rose, Dr. Klaus Wilhelm (Mainz), Hans-Otto Hanewinckel, Christel Letzgus, Peter Rossmanith, Kurt J. Willner, Gert Hartenbach, Alfred Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3789

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Hartenstein, Dr. Liesel Odendahl, Doris Teuchner, Jella Koppelin, Jürgen Hasenfratz, Klaus Oesinghaus, Günter Thalheim, Dr. Gerald Laermann, Dr.-Ing. Karl-Hans Hauchler, Dr. Ingomar Onur, Leyla Thierse, Wolfgang Lanfermann, Heinz Heistermann, Dieter Opel, Manfred Thieser, Dietmar Leutheusser-Schnarren- Hemker, Reinhold Ostertag, Adolf Thönnes, Franz berger, Sabine Hempelmann, Rolf Palis, Kurt Titze-Stecher, Uta Lühr, Uwe Hendricks, Dr. Barbara Papenroth, Albrecht Tröscher, Adelheid Möllemann, Jürgen W. Heubaum, Monika Penner, Dr. Wilfried Urbaniak, Hans-Eberhard Nolting, Günther Friedrich Hiksch, Uwe Pfaff, Dr. Martin Vergin, Siegfried Ortleb, Dr. Rainer Hiller (Lübeck), Reinhold Pick, Dr. Eckhart Verheugen, Günter Peters, Lisa Hilsberg, Stephan Poß, Joachim Vogt (Pforzheim), Ute Rexrodt, Dr. Günter Höfer, Gerd Purps, Rudolf Voigt (Frankfurt), Karsten D. Röhl, Dr. Klaus Hoffmann (Chemnitz), Jelena Rappe (Hildesheim), Vosen, Josef Schmalz-Jacobsen, Cornelia Hofmann (Volkach), Frank Hermann Wagner, Hans Georg Schmidt-Jortzig, Dr. Edzard Holzhüter, Ingrid Rehbock-Zureich, Karin Wegner, Dr. Konstanze Solms, Dr. Hermann Otto Hovermann, Eike Renesse, Margot von Weiermann, Wolfgang Stadler, Dr. Max Ibrügger, Lothar Rennebach, Renate Weis (Stendal), Reinhard Thiele, Carl-Ludwig Ilte, Wolfgang Reschke, Otto Weisheit, Matthias Thomae, Dr. Dieter Imhof, Barbara Reuter, Bernd Weißgerber, Gunter Türk, Jürgen Irber, Brunhilde Richter, Dr. Edelbert Weisskirchen (Wiesloch), Weng (Gerlingen), Iwersen, Gabriele Rixe, Günter Gert Dr. Wolfgang Jäger, Renate Robbe, Reinhold Welt, Jochen Janssen, Jann-Peter Rübenkönig, Gerhard Wester, Hildegard PDS Janz, Ilse Schäfer, Dr. Hansjörg Westrich, Lydia Jens, Dr. Uwe Schaich-Walch, Gudrun Wettig-Danielmeier, Inge Bierstedt, Wolfgang Kaspereit, Sabine Schanz, Dieter Wieczorek, Dr. Norbe rt Bläss, Petra Kastner, Susanne Scharping, Rudolf Wieczorek (Duisburg), Bulling-Schröter, Eva Kastning, Ernst Scheelen, Bernd Helmut Einsiedel, Heinrich Graf von Kemper, Hans-Peter Scheer, Dr. Hermann Wiefelspütz, Dieter Enkelmann, Dr. Dagmar Kirschner, Klaus Scheffler, Siegfried Wittich, Berthold Fuchs, Dr. Ruth Klappert, Marianne Schild, Horst Wodarg, Dr. Wolfgang Gysi, Dr. Gregor Klemmer, Siegrun Schily, Otto Wohlleben, Verena Heuer, Dr. Uwe-Jens Klose, Hans-Ulrich Schloten, Dieter Wright, Heidi Heym, Stefan Knaape, Dr. Hans-Hinrich Schluckebier, Günter Zapf, Uta Höll, Dr. Barbara Kolbow, Walter Schmidbauer (Nürnberg), Zöpel, Dr. Christoph Jelpke, Ulla Körper, Fritz Rudolf Horst Zumkley, Peter Jüttemann, Gerhard Kressl, Nicolette Schmidt (Aachen), Ursula Knake-Werner, Dr. Heidi Kröning, Volker Schmidt (Meschede), Dagmar Köhne, Rolf Krüger, Thomas Schmidt (Salzgitter), Wilhelm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kutzmutz, Rolf Kubatschka, Horst Schmidt-Zadel, Regina Lederer, Andrea Kuhlwein, Eckart Schmitt (Berg), Heinz Knoche, Monika Lüth, Kunick, Konrad Schnell, Dr. Emil Heidemarie Kurzhals, Christine Schöler, Walter Maleuda, Dr. Günther Küster, Dr. Uwe Schreiner, Ottmar F.D.P. Müller (Berlin), Manfred Labsch, Werner Schröter, Gisela Neuhäuser, Rosel Lange, Brigitte Schubert, Dr. Mathias Albowitz, Ina Schenk, Christina Larcher, Detlev von Schuhmann (Delitzsch), Babel, Dr. Gisela Tippach, Steffen Lehn, Waltraud Richard Braun (Augsburg), Warnick, Klaus-Jürgen Leidinger Robert Schulte (Hameln), Brigitte Hildebrecht Wolf, Dr. Winfried Lennartz, Klaus Schultz (Everswinkel), Bredehorn, Günther Zwerenz, Gerhard Leonhard, Dr. Elke Reinhard Essen, Jörg van Lohmann (Witten), Klaus Schultz (Köln), Volkmar Feldmann, Dr. Olaf Enthalten Lörcher, Christa Schuster, Dr. R. Werner Frick, Gisela Lotz, Erika Schütz (Oldenburg), Dietmar Friedhoff, Paul K. SPD Maaß (Herne), Dieter Schwall-Düren, Dr. Angelica Friedrich, Horst Fuchs (Verl), Katrin Mante, Winfried Schwanhold, Ernst Genscher, Hans-Dietrich Lucyga, Dr. Christine Marx, Dorle Schwanitz, Rolf Gerhardt, Dr. Wolfgang Wolf (München), Harma Mascher, Ulrike Seidenthal, Bodo Günther (Plauen), Joachim Matschie, Christoph Seuster, Lisa Guttmacher, Dr. Karlheinz 90 / DIE Matthäus-Maier, Ing rid Sielaff, Horst Haussmann, Dr. Helmut BÜNDNIS GRÜNEN Mattischeck, Heide Simm, Erika Heinrich, Ulrich Lemke, Steffi Meckel, Markus Singer, Johannes Hirche, Walter Mehl, Ulrike Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Hirsch, Dr. Burkhard Meißner, Herbert Sonntag-Wolgast, Homburger, Birgit F.D.P. rtens, Angelika Me Dr. Cornelie Hoyer, Dr. Werner Meyer (Ulm), Dr. Jürgen Sorge, Wieland Inner, Ulrich Schwaetzer, Dr. Irmgard Mogg, Ursula Spanier, Wolfgang Kinkel, Dr. Klaus Mosdorf, Siegmar Sperling, Dr. Dietrich Kleinert (Hannover), Detlef PDS Müller (Düsseldorf), Michael Spiller, Jörg-Otto Kohn, Roland Müller (Völklingen), Jutta Steen, Antje-Marie Kolb, Dr. Heinrich L. Jacob, Dr. Willibald Müller (Zittau), Christian Stiegler, Ludwig Neumann (Berlin), Kurt Struck, Dr. Peter Dann gebe ich das Ergebnis der namentlichen Ab- Neumann (Bramsche), Volker Tappe, Joachim stimmung der zweiten Beratung des Gesetzentwur- Neumann (Gotha), Gerhard Tauss, Jörg fes der Abgeordneten Hubert Hüppe, Monika Brud- Niehuis, Dr. Edith Teichmann, Dr. Bodo Niese, Dr. Rolf Terborg, Margitta lewsky und weiterer Abgeordneter, Entwurf eines 3790 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Kindes, Bohl, Friedrich Limbach, Editha Drucksache 13/395, bekannt. Abgegebene Stimmen: Böhmer, Dr. Maria Link (Diepholz), Walter 648, mit Ja haben gestimmt: 105, mit Nein haben ge- Borchert, Jochen Lintner, Eduard Börnsen (Bönstrup), Lippold (Offenbach), stimmt: 523, Enthaltungen: 20. Der Gesetzentwurf ist Wolfgang Dr. Klaus W. in zweiter Beratung abgelehnt, so daß auch in die- Bötsch, Dr. Wolfgang Lischewski, Dr. Manfred sem Fall die dritte Beratung entfällt. Breuer, Paul Lohmann (Lüdenscheid), Büttner (Schönebeck), Wolfgang Hartmut Louven, Julius Endgültiges Ergebnis Meinl, Rudolf Buwitt, Dankward Maaß (Wilhelmshaven), Erich Meister, Dr. Michael Carstensen (Nordstrand), Mahlo, Dr. Dietrich Abgegebene Stimmen: 647; Merz, Friedrich Peter Harry Marschewski, Erwin davon Michelbach, Hans Dehnel, Wolfgang Marten, Günter Dempwolf, Gertrud Meckelburg, Wolfgang ja: 103 Michels, Meinolf Müller, Dr. Gerd Dietzel, Wilhelm Merkel, Dr. Angela nein: 524 Müller (Kirchheim), Elmar Doss, Hansjürgen Meyer (Winsen), Rudolf enthalten: 20 Nelle, Engelbert Dregger, Dr. Alfred Neumann (Bremen), Bernd Nitsch, Johannes Eichhorn, Maria Olderog, Dr. Rolf Eppelmann, Rainer Ost, Friedhelm Ja Otto (Erfurt), Norbert Paziorek, Dr. Peter Eßmann, Heinz Dieter Oswald, Eduard Pützhofen, Dieter Eylmann, Horst Päselt, Dr. Gerhard CDU/CSU Ramsauer, Dr. Peter Eymer, Anke Petzold, Ulrich Falk, Ilse Pfeifer, Anton Altmaier, Peter Rauber, Helmut Faltlhauser, Dr. Kurt Pfeiffer, Angelika ch Rauen, Peter Harald Austermann, Dietri Pfennig, Dr. Gero Regenspurger, Otto Jochen Feilcke, Bargfrede, Heinz-Günter Pflüger, Dr. Friedbert Reichardt (Mannheim), Fink, Ulf Basten, Franz Peter Philipp, Beatrix Klaus Dieter Fischer (Hamburg), Dirk Bauer, Dr. Wolf Pinger, Dr. Winfried Reinartz, Dr. Bertold Francke (Hamburg), Klaus Belle, Meinrad Pofalla, Ronald Reinhardt, Erika Friedrich, Dr. Gerhard Blank, Dr. Joseph-Theodor Polenz, Ruprecht Richter, Roland Geiger, Michaela Bleser, Peter Pretzlaff, Marlies Rieder, Dr. Norbert Geißler, Dr. Heiner Bosbach, Wolfgang Glos, Michael Protzner, Dr. Bernd Riedl (München), Dr. Erich Brähmig, Klaus Glücklich, Wilma Rachel, Thomas Riegert, Klaus Braun (Auerbach), Rudolf Göhner, Dr. Reinhard Raidel, Hans Riesenhuber, Dr. Heinz Brudlewsky, Monika Gres, Joachim Rau, Rolf Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Brunnhuber, Georg Gröhe, Hermann Reichard (Dresden), Christa Rose, Dr. Klaus Deittert, Hubert Grotz, Claus-Peter Repnik, Hans-Peter Rossmanith, Kurt J. Deß, Albe rt Günther (Duisburg), Horst Richwien, Roland Ruck, Dr. Christian Dörflinger, Werner Haschke (Großhennersdorf), Rönsch (Wiesbaden), Sauer (Stuttgart), Roland Engelmann, Wolfgang Gottfried Hannelore Schemken, Heinz Fell, Dr. Karl H. Hasselfeldt, Gerda Roth (Gießen), Adolf Schindler, Norbert Fuchtel, Hans-Joachim Haungs, Rainer Röttgen, Norbe rt Schlee, Dietmar Geis, Norbert Hauser (Rednitzhembach), Rühe, Volker Schmitz (Baesweiler), Götz, Peter Hansgeorg Schätzle, Ortrun Hans Peter Götzer, Dr. Wolfgang Hellwig, Dr. Renate Schäuble, Dr. Wolfgang Schockenhoff, Dr. Andreas Grill, Kurt-Dieter Hintze, Peter Schauerte, Hartmut Gröbl, Wolfgang Seiffert, Heinz-Georg Hornhues, Dr. Karl-Heinz Scherhag, Karl-Heinz Grund, Manfred Selle, Johannes Hörster, Joachim Scheu, Gerhard Siebert, Bernd Hammerstein, Carl-Detlev Jacoby, Peter Schmalz, Ulrich Sikora, Jürgen Freiherr von Jaffke, Susanne Schmidbauer, Bernd Hauser (Esslingen), Otto Singhammer, Johannes Jork, Dr.-Ing. Rainer Schmidt (Fürth), Christian Hedrich, Klaus-Jürgen Steiger, Wolfgang Jung (Limburg), Michael (Halsbrücke), Schmidt Hinsken, Ernst Stetten, Dr. Wolfgang Kampeter, Steffen Dr.-Ing. Joachim Freiherr von Hollerith, Josef Kanther, Manfred Schmidt (Mülheim), Andreas Hornung, Siegfried Susset, Egon Karwatzki, Irmgard Schmiedeberg, Hans-Otto Hörsken, Heinz-Adolf Uelhoff, Dr. Klaus-Dieter Klaeden, Eckart von Schmude, Michael von Hüppe, Hubert Vogt (Düren), Wolfgang Klaußner, Dr. Bernd Schnieber-Jastram, Birgit Janovsky, Georg Waldburg-Zeil, Klein (München), Hans Scholz, Dr. Rupert Jawurek, Helmut Alois Graf von Klinkert, Ulrich Schorlemer, Reinhard Jobst, Dr. Dionys Wetzel, Kersten Kohl, Dr. Helmut Freiherr von Jüttner, Dr. Egon Wilhelm (Mainz), Hans-Otto Köhler (Hainspitz), Schuchardt, Dr. Erika Kauder, Volker Wimmer (Neuss), Willy Hans-Ulrich Schulhoff, Wolfgang Keller, Peter Wülfing, Elke Kolbe, Manfred Schulte (Schwäbisch Königshofen, Norbert Yzer, Cornelia Kossendey, Thomas Gmünd), Dr. Dieter rtmut Koschyk, Ha Zöller, Wolfgang Krause (Dessau), Wolfgang Schulz (Leipzig), Gerhard Koslowski, Manfred Krautscheid, Andreas Schulze, Frederick Kraus, Rudolf Nein Kriedner, Arnulf Schütze (Berlin), Diethard Kronberg, Heinz-Jürgen Lamers, Karl Schwalbe, Clemens Krziskewitz, Reiner CDU/CSU Lamers (Heidelberg), Schwarz-Schilling, Kues, Dr. Hermann Adam, Ulrich Dr. Karl A. Dr. Christian Laufs, Dr. Paul Augustin, Anneliese Lammert , Dr. Norbert Sebastian, Wilhelm-Josef Laumann, Karl-Josef Augustinowitz, Jürgen Lamp, Helmut Seehofer, Horst Lensing, Werner Baumeister, Brigitte Laschet, Armin Seibel, Wilfried Löwisch, Sigrun Bergmann-Pohl, Dr. Sabine Lattmann, Herbert Seiters, Rudolf Lummer, Heinrich Bierling, Hans-Dirk Lenzer, Christian Sothmann, Bärbel Luther, Dr. Michael Blüm, Dr. Norbert Letzgus, Peter Späte, Margarete Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3791

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Spranger, Carl-Dieter Großmann, Achim Mosdorf, Siegmar Sperling, Dr. Dietrich Steinbach, Erika Haack (Extertal), Müller (Düsseldorf), Michael Spiller, Jörg-Otto Stoltenberg, Dr. Gerhard Karl Hermann Müller (Völklingen), Jutta Steen, Antje-Marie Straubinger, Max Hacker, Hans-Joachim Müller (Zittau), Christi an Stiegler, Ludwig Stübgen, Michael Hagemann, Klaus rt Neumann (Berlin), Ku Struck, Dr. Peter Süssmuth, Dr. Rita Hampel, Manfred Neumann (Bramsche), Volker Tappe, Joachim Teiser, Michael Hanewinckel, Christel Neumann (Gotha), Gerhard Tauss, Jörg Tiemann, Dr. Susanne Hartenbach, Alfred Niehuis, Dr. Edith Teichmann, Dr. Bodo Töpfer, Dr. Klaus Hartenstein, Dr. Liesel Niese, Dr. Rolf Terborg, Margitta Tröger, Gottfried Hasenfratz, Klaus Odendahl, Doris Teuchner, Jella Uldall, Gunnar Hauchler, Dr. Ingomar Oesinghaus, Günter Thalheim, Dr. Gerald Waffenschmidt, Dr. Horst Heistermann, Dieter Onur, Leyla Thierse, Wolfgang Waigel, Dr. Theodor Hemker, Reinhold Opel, Manfred Thieser, Dietmar Wissmann, Matthias Hempelmann, Rolf Ostertag, Adolf Thönnes, Franz Wittmann (Tännesberg), Hendricks, Dr. Barbara Palis, Kurt Titze-Stecher, Uta Simon Heubaum, Monika Papenroth, Albrecht Tröscher, Adelheid Wöhrl, Dagmar Hiksch, Uwe Penner, Dr. Willfried Urbaniak, Hans-Eberhard Wonneberger, Michael Hiller (Lübeck), Reinhold Pfaff, Dr. Martin Vergin, Siegfried Würzbach, Peter Kurt Hilsberg, Stephan Pick, Dr. Eckhart Verheugen, Günter Zeitlmann, Wolfgang Höfer, Gerd Poß, Joachim Vogt (Pforzheim), Ute Zierer, Benno Hoffmann (Chemnitz), Jelena Purps, Rudolf Voigt (Frankfurt), Karsten D. Hofmann (Volkach), Frank Rappe (Hildesheim), Vosen, Josef Holzhüter, Ingrid Hermann Wagner, Hans Georg SPD Hovermann, Eike Rehbock-Zureich, Karin Wegner, Dr. Konstanze Ibrügger, Lothar Renesse, Margot von Weiermann, Wolfgang Andres, Gerd Ilte, Wolfgang Rennebach, Renate Weis (Stendal), Reinhard Bachmaier, Hermann Imhof, Barbara Reschke, Otto Weisheit, Matthias Bahr, Ernst Irber, Brunhilde Reuter, Bernd Weißgerber, Gunter Barnett, Do ris Iwersen, Gabriele Richter, Dr. Edelbert Weisskirchen (Wiesloch), Gert Barthel, Klaus Jäger, Renate Rixe, Günter Jochen Welt, Becker-Inglau, Ingrid Janssen, Jann-Peter Robbe, Reinhold Wester, Hildegard Behrendt, Wolfgang Janz, Ilse Rübenkönig, Gerhard Westrich, Lydia Bertl, Hans-Werner Jens, Dr. Uwe Schäfer, Dr. Hansjörg Wettig-Danielmeier, Inge Beucher, Friedhelm Julius Kaspereit, Sabine Schaich-Walch, Gudrun Wieczorek, Dr. Norbe rt Böhme (Unna), Dr. Ulrich Kastner, Susanne Schanz, Dieter Wieczorek (Duisburg), Börnsen (Ritterhude), Ame Kastning, Ernst Scharping, Rudolf Helmut Brandt-Elsweier, Anni Kemper, Hans-Peter Scheelen, Bernd Wieczorek-Zeul, Heidemarie Braune, Tilo Kirschner, Klaus Scheer, Dr. Hermann Wiefelspütz, Dieter Brecht, Dr. Eberhard Klappert, Marianne Scheffler, Siegfried Wittich, Berthold Bulmahn, Edelgard Klemmer, Siegrun Schild, Horst Wodarg, Dr. Wolfgang Burchardt, Ursula Klose, Hans-Ulrich Schily, Otto Wohlleben, Verena Bury, Hans Martin Knaape, Dr. Hans-Hinrich Schloten, Dieter Wolf (München), Hanna Büttner (Ingolstadt), Hans Kolbow, Walter Schluckebier, Günter Wright, Heidi Caspers-Merk, Marion Körper, Fritz Rudolf Schmidbauer (Nürnberg), Zapf, Uta Catenhusen, Wolf-Michael Kressl, Nicolette Horst Zöpel, Dr. Christoph Conradi, Peter Kröning, Volker Schmidt (Aachen), Ursula Zumkley, Peter Däubler-Gmelin, Dr. Herta Krüger, Thomas Schmidt (Meschede), Dagmar Deichmann, Christel Kubatschka, Horst Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Diller, Karl Kuhlwein, Eckart Schmidt-Zadel, Regina BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Dobberthien, Dr. Marliese Kunick, Konrad Schmitt (Berg), Heinz Dreßen, Peter Kurzhals, Christine Schnell, Dr. Emil Altmann (Pommelsbrunn), Dreßler, Rudolf Küster, Dr. Uwe Schöler, Walter Elisabeth Duve, Freimut Labsch, Werner Schreiner, Ottmar Beck (Bremen), Marieluise Eich, Ludwig Lange, Brigitte Schröter, Gisela Beck (Köln), Volker Enders, Peter Larcher, Detlev von Schubert, Dr. Mathias Beer, Angelika Erler, Gemot Lehn, Waltraud Schuhmann (Delitzsch), Berninger, Matthias Ernstberger, Petra Leidinger, Robert Richard Buntenbach, Annelie Faße, Annette Lennartz, Klaus Schulte (Hameln), B rigitte Dietert-Scheuer, Amke Ferner, Elke Leonhard, Dr. Elke Schultz (Everswinkel), Eichstädt-Bohlig, Franziska Fischer (Homburg), Lothar Lohmann (Witten), Klaus Reinhard Eid, Dr. Uschi Fograscher, Gabriele Lörcher, Christa Schultz (Köln), Volkmar Fischer (Berlin), Andrea Follak, Iris Lotz, Erika Schuster, Dr. R. Werner Fischer (Frankfurt), Joseph Formanski, Norbe rt Lucyga, Dr. Christine Schütz (Oldenburg), Dietmar Grießhaber, Rita , Maaß (Herne), Dieter Schwall-Düren, Dr. Angelica Häfner, Gerald Fuchs (Köln), Anke Mante, Winfried Schwanhold, Ernst Hermenau, Antje Fuchs (Verl), Katrin Marx, Dorle Schwanitz, Rolf Heyne, Kristin Fuhrmann, Arne Mascher, Ulrike Seidenthal, Bodo Höfken, Ulrike Ganseforth, Monika Matschie, Christoph Seuster, Lisa Kiper, Dr. Manuel Gansel, Norbert Matthäus-Maier, Ingrid Sielaff, Horst Knoche, Monika Gilges, Konrad Mattischeck, Heide Simm, Erika Köster-Loßack, Dr. Angelika Gleicke, Iris Meckel, Markus Singer, Johannes Lemke, Steffi Gloser, Günter Mehl, Ulrike Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Lippelt, Dr. Helmut Glotz, Dr. Peter Meißner, Herbert Sonntag-Wolgast, Metzger, Oswald Graf (Friesoythe), Günter Mertens, Angelika Dr. Cornelie Müller (Köln), Kerstin Graf (Rosenheim), Angelika Meyer (Ulm), Dr. Jürgen Sorge, Wieland Nachtwei, Winfried Grasedieck, Dieter Mogg, Ursula Spanier, Wolfgang Nickels, Christa 3792 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Özdemir, Cem Thomae, Dr. Dieter lie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt, die Ge- Poppe, Gerd Türk, Jürgen setzentwürfe zusammenzufassen und in der Aus- Probst, Simone Weng (Gerlingen), schußfassung anzunehmen. - Es wird hier zu Recht Rochlitz, Dr. Jürgen Dr. Wolfgang gerügt, daß weiter abgestimmt wird, weil der Gesetz- Saibold, Halo Scheel, Christine entwurf der PDS unter Umständen angenommen Schewe-Gerigk, Irmingard PDS werden könnte Schmitt (Langenfeld), Wolfgang Bierstedt, Wolfgang (Lachen bei der CDU/CSU) Schönberger, Ursula Blass, Petra Bulling-Schröter, Eva - nur gemach! - und damit das Abstimmungsverhal- Schoppe, Waltraud ten einzelner Abgeordneter verändert werden kann. Schulz (Berlin), Werner Einsiedel, Heinrich Graf von Steenblock, Rainder Enkelmann, Dr. Dagmar Wir haben das auch bei den anderen Gesetzentwür- Steindor, Marina Fuchs, Dr. Ruth fen nicht so gemacht. Der Einwand ist berechtigt. Sterzing, Christian Gysi, Dr. Gregor Such, Manfred Heuer, Dr. Uwe-Jens Ich warte das Vorlegen des Ergebnisses ab und un- Vollmer, Dr. Antje Heym, Stefan terbreche bis dahin die Sitzung. Volmer, Ludger Höll, Dr. Barbara (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Wilhelm (Amberg), Helmut Jacob, Dr. Willibald Wolf (Frankfurt), Margareta Jelpke, Ulla (Unterbrechung von 12.40 bis 12.42 Uhr) Jüttemann, Gerhard Knake-Werner, Dr. Heidi F.D.P. Köhne, Rolf Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wir können in Albowitz, Ina Kutzmutz, Rolf den Abstimmungen fortfahren. Babel, Dr. Gisela Lederer, Andrea Braun (Augsburg), Lüth, Heidemarie Ich gebe das Ergebnis der nament lichen Abstim- Hildebrecht Maleuda, Dr. Günther mung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS, Bredehorn, Günther Müller (Berlin), Manfred Entwurf eines Gesetzes zur Sicherheit der Grund- Essen, Jörg van Neuhauser, Rosel rechte von Frauen, Drucksache 13/397, bekannt. Ab- Feldmann, Dr. Olaf Rössel, Dr. Uwe-Jens gegebene Stimmen: 651, mit Ja haben gestimmt: 44, Frick, Gisela Schenk, Christina Friedhoff, Paul K. Tippach, Steffen (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Friedrich, Horst Warnick, Klaus-Jürgen mit Nein haben gestimmt: 586, Enthaltungen: 21. Der Genscher, Hans-Diet rich Wolf, Dr. Winfried Gerhardt, Dr. Wolfgang Zwerenz, Gerhard Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abge- Günther (Plauen), Joachim lehnt, so daß die dritte Beratung entfällt. Guttmacher, Dr. Karlheinz Haussmann, Dr. Helmut Enthalten Endgültiges Ergebnis Einsiedel, Heinrich Graf von Heinrich, Ulrich Enkelmann, Dr. Dagmar Hirche, Walter Abgegebene Stimmen: 648; Fuchs, Dr. Ruth Hirsch, Dr. Burkhard CDU/CSU davon Gysi, Dr. Gregor Homburger, Birgit Heuer, Dr. Uwe-Jens Hoyer, Dr. Werner ja: 44 Blank, Renate Heym, Stefan Irmer, Ulrich Blens, Dr. Heribert nein: 583 Höll, Dr. Barbara Kinkel, Dr. Klaus Carstens (Emstek), M anfred enthalten: 21 Jacob, Dr. Willibald Kleinert (Hannover), Detlef Diemers, Renate Jelpke, Ulla Kohn, Roland , Ja Knake-Werner, Dr. Heidi Kolb, Dr. Heinrich L. Heise, Manfred Köhne, Rolf Koppelin, Jürgen Kahl, Dr. Harald Kutzmutz, Rolf Laermann, Dr.-Ing. Karl-Hans Kansy, Dr.-Ing. Dietmar BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Lederer, Andrea Lambsdorff, Dr. Otto Graf Kors, Eva-Maria Lüth, Heidemarie Lanfermann, Heinz Altmann (Aurich), Gila Krüger, Dr.-Ing. Paul Maleuda, Dr. Günther Leutheusser-Schnarren- Beck (Köln), Volker Kuhn, Werner Beer, Angelika Müller (Berlin), M anfred berger, Sabine Neuhauser, Rosel Lühr, Uwe Mayer (Siegertsbrunn), Buntenbach, Annelie Dr. Martin Dietert-Scheuer, Amke Rössel, Dr. Uwe-Jens Möllemann, Jürgen W. Schenk, Christina Nolte, Claudia Eichstädt-Bohlig, Franziska Nolting, Günther Friedrich Tippach, Steffen Pesch, Hans-Wilhelm Fischer (Berlin), Andrea Ortleb, Dr. Rainer Warnick, Klaus-Jürgen Pohler, Dr. Hermann Heyne, Kristin Peters, Lisa Wolf, Dr. Winfried Rüttgers, Dr. Jürgen Kiper, Dr. Manuel Rexrodt, Dr. Günter Zwerenz, Gerhard Röhl, Dr. Klaus Storm, Andreas Knoche, Monika Schäfer (Mainz), Helmut Willner, Gert Lemke, Steffi Schmalz-Jacobsen, Cornelia Wilz, Bernd Müller (Köln), Kerstin Nein Probst, Simone Schmidt-Jortzig, Dr. Edzard CDU/CSU Schwaetzer, Dr. Irmgard Rochlitz, Dr. Jürgen Solms, Dr. Hermann Otto SPD Schewe-Gerigk, Irmingard Adam, Ulrich Stadler, Dr. Max Schönberger, Ursula Altmaier, Peter Thiele, Carl-Ludwig Antretter, Robe rt Steindor, Marina Augustin, Anneliese Such, Manfred Augustinowitz, Jürgen Dann können wir zur Abstimmung über die von Austermann, Diet rich PDS Bargfrede, Heinz-Günter den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- Basten, Franz Peter brachten Entwürfe eines Schwangeren- und Fami- Bierstedt, Wolfgang Bauer, Dr. Wolf lienhilfeänderungsgesetzes, Drucksachen 13/285, Bläss, Petra Baumeister, B rigitte 13/27 und 13/268, kommen. Der Ausschuß für Fami- Bulling-Schröter, Eva Belle, Meinrad Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3793

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Bergmann-Pohl, Dr. Sabine Hellwig, Dr. Renate Meinl, Rudolf Schmidt (Mülheim), Andreas Bierling, Hans-Dirk Hinsken, Ernst Meister, Dr. Michael Schmiedeberg, Hans-Otto Blank, Dr. Joseph-Theodor Hintze, Peter Merkel, Dr. Angela Schmitz (Baesweiler), Blank, Renate Hollerith, Josef Merz, Friedrich Hans Peter Blens, Dr. Heribert Hornhues, Dr. Karl-Heinz Meyer (Winsen), Rudolf Schmude, Michael von Bleser, Peter Hornung, Siegfried Michelbach, Hans Schnieber-Jastram, Birgit Blüm, Dr. Norbert Hörsken, Heinz-Adolf Michels, Meinolf Schockenhoff, Dr. Andreas Bohl, Friedrich Hörster, Joachim Müller, Dr. Gerd Scholz, Dr. Rupert Böhmer, Dr. Maria Hüppe, Hubert Müller (Kirchheim), Elmar Schorlemer, Reinhard Borchert, Jochen Jacoby, Peter Nelle, Engelbert Freiherr von Börnsen (Bönstrup), Jaffke, Susanne Neumann (Bremen), Bernd Schuchardt, Dr. Erika Wolfgang Janovsky, Georg Nitsch, Johannes Schulhoff, , Wolfgang Jawurek, Helmut Nolte, Claudia Schulte (Schwäbisch Bötsch, Dr. Wolfgang Jobst, Dr. Dionys Olderog, Dr. Rolf Gmünd), Dr. Dieter Brähmig, Klaus Jork, Dr.-Ing. Rainer Ost, Friedhelm Schulz (Leipzig), Gerhard Braun (Auerbach), Rudolf Jung (Limburg), Michael Oswald, Eduard Schulze, Frederick Breuer, Paul Jüttner, Dr. Egon Otto (Erfurt), Norbert Schütze (Berlin), Diethard Brudlewsky, Monika Kahl, Dr. Harald Päselt, Dr. Gerhard Schwalbe, Clemens Brunnhuber, Georg Kampeter, Steffen Paziorek, Dr. Peter Schwarz-Schilling, Büttner (Schönebeck), Kansy, Dr.-Ing. Dietmar Pesch, Hans-Wilhelm Dr. Christian Hartmut Kanther, Manfred Petzold, Ulrich Sebastian, Wilhelm-Josef Buwitt, Dankward Karwatzki, Irmgard Pfeifer, Anton Seehofer, Horst Carstens (Emstek), Manfred Kauder, Volker Pfeiffer, Angelika Seibel, Wilfried Carstensen (Nordstrand), Keller, Peter Pfennig, Dr. Gero Seiffert, Heinz-Georg Peter Harry Klaeden, Eckart von Pflüger, Dr. Friedbert Seiters, Rudolf Dehnel, Wolfgang Klaußner, Dr. Bernd Philipp, Beatrix Selle, Johannes Deittert, Hube rt Klein (München), Hans Pinger, Dr. Winfried Siebert, Bernd Dempwolf, Gertrud Klinkert, Ulrich Pofalla, Ronald Sikora, Jürgen Deß, Albert Kohl, Dr. Helmut Pohler, Dr. Hermann Singhammer, Johannes Diemers, Renate Köhler (Hainspitz), Polenz, Ruprecht Sothmann, Bärbel Dietzel, Wilhelm Hans-Ulrich Pretzlaff, Marlies Späte, Margarete Dörflinger, Werner Kolbe, Manfred Protzner, Dr. Bernd Spranger, Carl-Dieter Doss, Hansjürgen Königshofen, Norbert Pützhofen, Dieter Steiger, Wolfgang Dregger, Dr. Alfred Kors, Eva-Maria Rachel, Thomas Steinbach, Erika Eichhorn, Maria Koschyk, Hartmut Raidel, Hans Stetten, Dr. Wolfgang Engelmann, Wolfgang Koslowski, Manfred Ramsauer, Dr. Peter Freiherr von Eppelmann, Rainer Kossendey, Thomas Rau, Rolf Stoltenberg, Dr. Gerhard Eßmann, Heinz Dieter Kraus, Rudolf Rauber, Helmut Storm, Andreas Eylmann, Horst Krautscheid, Andreas Rauen, Peter Harald Straubinger, Max Eymer, Anke Kriedner, Arnulf Regenspurger, Otto Stübgen, Michael Falk, Ilse Kronberg, Heinz-Jürgen Reichard (Dresden), Christa Susset, Egon Faltlhauser, Dr. Kurt Krüger, Dr.-Ing. Paul Reichardt (Mannheim), Süssmuth, Dr. Rita Jochen Feilcke, Krziskewitz, Reiner Klaus Dieter Teiser, Michael Fell, Dr. Karl H. Kues, Dr. Hermann Reinartz, Dr. Bertold Tiemann, Dr. Susanne Fink, Ulf Kuhn, Werner Reinhardt, Erika Töpfer, Dr. Klaus Fischer (Hamburg), Dirk Lamers, Karl Repnik, Hans-Peter Tröger, Gottfried Francke (Hamburg), Klaus Lamers (Heidelberg), Richter, Roland Uelhoff, Dr. Klaus-Dieter Frankenhauser, Herbert Dr. Karl A. Richwien, Roland Uldall, Gunnar riedrich, Dr. Gerhard F Lammert , Dr. Norbert Rieder, Dr. Norbert Vogt (Düren), Wolfgang Fritz, Erich G. Lamp, Helmut Riedl (München), Dr. Erich Waffenschmidt, Dr. Horst Fuchtel, Hans-Joachim Laschet, Armin Riegert, Klaus Waigel, Dr. Theodor Geiger, Michaela Lattmann, Herbe rt Riesenhuber, Dr. Heinz Waldburg-Zeil, Geis, Norbert Laufs, Dr. Paul Rönsch (Wiesbaden), Alois Graf von Geißler, Dr. Heiner Laumann, Karl-Josef Hannelore Wetzel, Kersten Glos, Michael Lensing, Werner Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Wilhelm (Mainz), Hans-Otto Glücklich, Wilma Lenzer, Christian Rose, Dr. Klaus Willner, Gert Götz, Peter Letzgus, Peter Rossmanith, Kurt J. Wilz, Bernd Götzer, Dr. Wolfgang Limbach, Editha Roth (Gießen), Adolf Wimmer (Neuss), Willy Gres, Joachim Link (Diepholz), Walter Röttgen, Norbert Wissmann, Matthias Grill, Kurt-Dieter Lintner, Eduard an Ruck, Dr. Christi Wittmann (Tännesberg), Gröbl, Wolfgang Lippold (Offenbach), Rühe, Volker Simon Gröhe, Hermann Dr. Klaus W. Rüttgers, Dr. Jürgen Wöhrl, Dagmar Grotz, Claus-Peter Lischewski, Dr. Manfred Sauer (Stuttga rt), Roland Wonneberger, Michael Grund, Manfred Lohmann (Lüdenscheid), Schätzle, Ortrun Wülfing, Elke Günther (Duisburg), Horst Wolfgang Schäuble, Dr. Wolfgang Würzbach, Peter Kurt Hammerstein, Carl-Detlev Louven, Julius Schauerte, Hartmut Yzer, Cornelia Freiherr von Löwisch, Sigrun Schemken, Heinz Zeitlmann, Wolfgang Haschke (Großhennersdorf), Lummer, Heinrich Scherhag, Karl-Heinz Zierer, Benno Gottfried Luther, Dr. Michael Scheu, Gerhard Zöller, Wolfgang Hasselfeldt, Gerda Maaß (Wilhelmshaven), Erich Schindler, Norbe rt Haungs, Rainer Mahlo, Dr. Dietrich Schlee, Dietmar Hauser (Esslingen), Otto Marschewski, Erwin Schmalz, Ulrich SPD Hauser (Rednitzhembach), Marten, Günter Schmidbauer, Bernd Hansgeorg Mayer (Siegertsbrunn), Schmidt (Fürth), Christian Andres, Gerd Hedrich, Klaus-Jürgen Dr. Martin (Halsbrücke), Schmidt Antretter, Robert Heise, Manfred Meckelburg, Wollgang Dr.-Ing. Joachim Bachmaier, Hermann 3794 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Bahr, Ernst Iwersen, Gabriele Richter, Dr. Edelbert Weis (Stendal), Reinhard Barnett, Do ris Jäger, Renate Rixe, Günter Weisheit, Matthias Barthel, Klaus Janssen, Jann-Peter Robbe, Reinhold Weißgerber, Gunter Becker-Inglau, Ingrid Janz, Ilse Rübenkönig, Gerhard Weisskirchen (Wiesloch), Behrendt, Wolfgang Jens, Dr. Uwe Schäfer, Dr. Hansjörg Gert Bertl, Hans-Werner Kaspereit, Sabine Schaich-Walch, Gudrun Welt, Jochen Beucher, Friedhelm Julius Kastner, Susanne Schanz, Dieter Wester, Hildegard Böhme (Unna), Dr. Ulrich Kastning, Ernst Scharping, Rudolf Westrich, Lydia Börnsen (Ritterhude), Arne Kemper, Hans-Peter Scheelen, Bernd Wettig-Danielmeier, Inge Brandt-Elsweier, Anni Kirschner, Klaus Scheer, Dr. Hermann Wieczorek, Dr. Norbert Braune, Tilo Klappert, Marianne Scheffler, Siegfried Wieczorek (Duisburg), Brecht, Dr. Eberhard Klemmer, Siegrun Schild, Horst Helmut Bulmahn, Edelgard Klose, Hans-Ulrich Schily, Otto Wieczorek-Zeul, Heidemarie Burchardt, Ursula Knaape, Dr. Hans-Hinrich Schloten, Dieter Wiefelspütz, Dieter Bury, Hans Martin Kolbow, Walter Schluckebier, Günter Wittich, Berthold Büttner (Ingolstadt), Hans Körper, Fritz Rudolf Schmidbauer (Nürnberg), Wodarg, Dr. Wolfgang Caspers-Merk, Marion Kressl, Nicolette Horst Wohlleben, Verena Catenhusen, Wolf-Michael Kröning, Volker Schmidt (Aachen), Ursula Wolf (München), Hanna Conradi, Peter Krüger, Thomas Schmidt (Meschede), Wright, Heidi Däubler-Gmelin, Dr. Herta Kubatschka, Horst Dagmar Zapf, Uta Deichmann, Christel Kuhlwein, Eckart Schmidt (Salzgitter), Zöpel, Dr. Christoph Diller, Karl Kunick, Konrad Wilhelm Zumkley, Peter Dobberthien, Dr. Marliese Kurzhals, Christine Schmidt-Zadel, Regina Dreßen, Peter Küster, Dr. Uwe Schmitt (Berg), Heinz Dreßler, Rudolf Labsch, Werner Schnell, Dr. Emil BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Duve, Freimut Lange, Brigitte Schöler, Walter Eich, Ludwig Larcher, Detlev von Schreiner, Ottmar Eid, Dr. Uschi Enders, Peter Lehn, Waltraud Schröter, Gisela Häfner, Gerald Erler, Gernot Leidinger, Robert Schubert, Dr. Mathias Lippelt, Dr. Helmut Ernstberger, Pe tra Lennartz, Klaus Schuhmann (Delitzsch), Nickels, Christa Faße, Annette Leonhard, Dr. Elke Richard Poppe, Gerd Ferner, Elke Lohmann (Witten), Klaus Schulte (Hameln), Brigitte Saibold, Halo Fischer (Homburg), Lothar Lörcher, Christa Schultz (Everswinkel), Schoppe, Waltraud Fograscher, Gabriele Lotz, Erika Reinhard Sterzing, Christian Follak, Iris Lucyga, Dr. Christine Schultz (Köln), Volkmar Vollmer, Dr. Antje Formanski, Norbert Maaß (Herne), Dieter Schuster, Dr. R. Werner Dagmar Freitag, Mante, Winfried Schütz (Oldenburg), Dietmar Fuchs (Köln), Anke Marx, Dorle Schwall-Düren, Dr. Angelica F.D.P. Fuchs (Verl), Katrin Mascher, Ulrike Schwanhold, Ernst Fuhrmann, Arne Matschie, Christoph Schwanitz, Roll Albowitz, Ina Ganseforth, Monika Matthäus-Maier, Ingrid Seidenthal, Bodo Babel, Dr. Gisela Gansel, Norbert Mattischeck, Heide Seuster, Lisa Braun (Augsburg), Gilges, Konrad Meckel, Markus Sielaff, Horst Hildebrecht Gleicke, Iris Mehl, Ulrike Simm, Erika Bredehorn, Günther Gloser, Günter Meißner, Herbert Singer, Johannes Essen, Jörg van Glotz, Dr. Peter , Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Feldmann, Dr. Olaf Graf (Friesoythe), Günter Meyer (Ulm), Dr. Jürgen Sonntag-Wolgast, Frick, Gisela Graf (Rosenheim), Angelika Mogg, Ursula Dr. Cornelie Friedhoff, Paul K. Grasedieck, Dieter Mosdorf, Siegmar Sorge, Wieland Friedrich, Horst Großmann, Achim Müller (Düsseldorf), Michael Spanier, Wolfgang Genscher, Hans-Dietrich Hacker, Hans-Joachim Müller (Völklingen), Jutta Sperling, Dr. Dietrich Gerhardt, Dr. Wolfgang Hagemann, Klaus Müller (Zittau), Christian Spiller, Jörg-Otto Günther (Plauen), Joachim Hampel, Manfred rt Neumann (Berlin), Ku Steen, Antje-Marie Guttmacher, Dr. Karlheinz Hanewinckel, Christel Neumann (Bramsche), Volker Stiegler, Ludwig Haussmann, Dr. Helmut Hartenbach, Alfred Neumann (Gotha), Gerhard Struck, Dr. Peter Heinrich, Ulrich Hartenstein, Dr. Liesel Niehuis, Dr. Edith Tappe, Joachim Hirche, Walter Hasenfratz, Klaus Niese, Dr. Rolf Tauss, Jörg Hirsch, Dr. Burkhard Hauchler, Dr. Ingomar Odendahl, Doris Teichmann, Dr. Bodo Homburger, Birgit Heistermann, Dieter Oesinghaus, Günter Terborg, Margitta Hoyer, Dr. Werner Hemker, Reinhold Onur, Leyla Teuchner, Jella Irmer, Ulrich Hempelmann, Rolf Opel, Manfred Thalheim, Dr. Gerald Kinkel, Dr. Klaus Hendricks, Dr. Barbara Ostertag, Adolf Thierse, Wolfgang Kleinert (Hannover), Detlef Heubaum, Monika Palis, Kurt Thieser, Dietmar Kohn, Roland Hiksch, Uwe Papenroth, Albrecht Thönnes, Franz Kolb, Dr. Heinrich L. Hiller (Lübeck), Reinhold Penner, Dr. Winfried Titze-Stecher, Uta Koppelin, Jürgen - Hilsberg, Stephan Pfaff, Dr. Martin Tröscher, Adelheid Laermann, Dr.-Ing. Karl-Hans Höfer, Gerd Pick, Dr. Eckhart Urbaniak, Hans-Eberhard Lambsdorff, Dr. Otto Graf Hoffmann (Chemnitz), Poß, Joachim Vergin, Siegfried Lanfermann, Heinz Jelena Purps, Rudolf Verheugen, Günter Leutheusser-Schnarren Hofmann (Volkach), Frank Rappe (Hildesheim), Vogt (Pforzheim), Ute berger, Sabine Holzhüter, Ingrid Hermann Voigt (Frankfurt), Lühr, Uwe Hovermann, Eike Rehbock-Zureich, Karin Karsten D. Möllemann, Jürgen W. Ibrügger, Lothar Renesse, Margot von Vosen, Josef Nolting, Günther Friedrich Ilte, Wolfgang Rennebach, Renate Wagner, Hans Georg Ortleb, Dr. Rainer Imhof, Barbara Reschke, Otto Wegner, Dr. Konstanze Peters, Lisa Irber, Brunhilde Reuter, Bernd Weiermann, Wolfgang Rexrodt, Dr. Günter Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3795

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Röhl, Dr. Klaus Beck (Bremen), Marieluise empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/409 abzu- Schafer (Mainz), Helmut Berninger, Matthias lehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung, Schmalz-Jacobsen, Fischer (Frankfurt), Joseph den Antrag abzulehnen? - Gegenprobe! - Stimment- Cornelia Grießhaber, Rita haltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen Schmidt-Jortzig, Dr. Edzard Hermenau, Antje Schwaetzer, Dr. Irmgard Höfken, Ulrike der Koalition und der SPD gegen die Stimmen der Solms, Dr. Hermann Otto Hustedt, Michaele Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Stadler, Dr. Max Köster-Loßack, Dr. Angelika bei Stimmenthaltungen angenommen. Thiele, Carl-Ludwig Metzger, Oswald Thomae, Dr. Dieter Nachtwei, Winfried Meine Kollegen, es steht nun die Auszählung der Türk, Jürgen Özdemir, Cern Weng (Gerlingen), letzten namentlichen Abstimmung über den gemein- Scheel, Christine Dr. Wolfgang samen Gesetzentwurf der Koalition und der SPD aus. Schmitt (Langenfeld), Ich unterbreche daher bis zur Bekanntgabe des Er- Wolfgang gebnisses der Abstimmung die Sitzung. Enthalten Schulz (Berlin), Werner Steenblock, Rainder CDU/CSU Volmer, Ludger (Unterbrechung von 12.51 bis 12.56 Uhr) Wilhelm (Amberg), Helmut Krause (Dessau), Wolfgang Wolf (Frankfurt), Margareta Die Sitzung ist wieder eröffnet.

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Ich gebe das von den Schriftführerinnen und PDS Altmann (Pommelsbrunn), Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament lichen Elisabeth Jüttemann, Gerhard Schlußabstimmung über die von der Fraktion der CDU/CSU, der Fraktion der SPD und der Fraktion Wir kommen nun zur Abstimmung über die von der F.D.P. eingebrachten Entwürfe eines Schwange- den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- ren- und Familienhilfeänderungsgesetzes auf den brachten Entwürfe eines Schwangeren- und Fami- Drucksachen 13/285, 13/27, 13/268 und 13/1850, lienhilfeänderungsgesetzes, Drucksachen 13/285, Buchstaben 2a, 2 b, 2c in der Ausschußfassung be- 13/27 und 13/268. Der Ausschuß für Familie, Senio- kannt. Abgegebene Stimmen: 652, mit Ja haben ge- ren, Frauen und Jugend empfiehlt, die Gesetzent- stimmt: 486. Mit Nein haben gestimmt: 145. Enthal- würfe zusammenzufassen und in der Ausschußfas- tungen: 21. Der Gesetzentwurf ist in der 3. Beratung sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- in der Ausschußfassung angenommen. setzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimm- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der enthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzent- F.D.P.) wurf bei Stimmenthaltungen der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Endgültiges Ergebnis Carstensen (Nordstrand), Peter Harry (Margareta Wolf [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Abgegebene Stimmen: 651 Dehnel, Wolfgang DIE GRÜNEN]: Nein, Gegenstimmen!) davon Dempwolf, Gertrud Dietzel, Wilhelm ja: 485 - ich bitte um Entschuldigung: bei Gegenstimmen Doss, Hansjörgen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und eini- nein: 145 Dregger, Dr. Alfred gen Enthaltungen enthalten: 21 Eichhorn, Maria Eppelmann, Rainer (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Und Gegen Eßmann, Heinz Dieter stimmen von der CDU!) Ja Eylmann, Horst Eymer, Anke - sowie bei einigen Gegenstimmen von der Union in CDU/CSU Falk, Ilse zweiter Beratung angenommen worden ist. Faltlhauser, Dr. Ku rt Adam, Ulrich Jochen Feilcke, Dann kommen wir zur Altmaier, Peter Fink, Ulf Augustin, Anneliese dritten Beratung Fischer (Hamburg), Dirk Augustinowitz, Jürgen Francke (Hamburg), Klaus und Schlußabstimmung. Dazu ist namentliche Ab- Baumeister, Brigitte Frankenhauser, Herbert stimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführer, ihren Bergmann-Pohl, Dr. Sabine Friedrich, Dr. Gerhard Bierling, Hans-Dirk Fuchtel, Hans-Joachim Platz an den Urnen einzunehmen. Ich eröffne die Ab- Geiger, Michaela stimmung. - Blank, Renate Blens, Dr. Heribert Geißler, Dr. Heiner Glos, Michael Darf ich fragen, ob noch jemand, der mitstimmen Bleser, Peter Blüm, Dr. Norbert Glücklich, Wilma - möchte, seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist Göhner, Dr. Reinhard Bohl, Friedrich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. *) Gres, Joachim Böhmer, Dr. Maria Gröhe, Hermann Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung Borchert, Jochen Grotz, Claus-Peter des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Börnsen (Bönstrup), Günther (Duisburg), Horst Jugend zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ Wolfgang Hammerstein, Carl-Detlev DIE GRÜNEN zum Selbstbestimmungsrecht der Bötsch, Dr. Wolfgang Freiherr von Frauen, Drucksache 13/1850 Nr. 3, ab. Der Ausschuß Breuer, Paul Haschke (Großhennersdorf), Büttner (Schönebeck), Gottfried Hartmut Hasselfeldt, Gerda *) Ergebnis auf Seite 3795 D Buwitt, Dankward Haungs, Rainer 3796 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Hauser (Rednitzhembach), Pohler, Dr. Hermann Wimmer (Neuss), Willy Hendricks, Dr. Barbara Hansgeorg Polenz, Ruprecht Wissmann, Matthias Heubaum, Monika Heise, Manfred Pretzlaff, Marlies Wittmann (Tännesberg), Hiksch, Uwe Hellwig, Dr. Renate Protzner, Dr. Bernd Simon Hiller (Lübeck), Reinhold Hintze, Peter Pützhofen, Dieter Wöhrl, Dagmar Hilsberg, Stephan Hornhues, Dr. Karl-Heinz Rachel, Thomas Wonneberger, Michael Höfer, Gerd Hörsken, Heinz-Adolf Raidel, Hans Würzbach, Peter Kurt Hoffmann (Chemnitz), Jelena Hörster, Joachim Ramsauer, Dr. Peter Yzer, Cornelia Hofmann (Volkach), Frank Jacoby, Peter Rau, Rolf Zeitlmann, Wolfgang Hovermann, Eike Jaffke, Susanne Reichard (Dresden), Christa Ibrügger, Lothar Jork, Dr.-Ing. Rainer Reinartz, Dr. Bertold Ilte, Wolfgang Jung (Limburg), Michael Repnik, Hans-Peter SPD Imhof, Barbara Kahl, Dr. Harald Richwien, Roland Irber, Brunhilde Kampeter, Steffen Riesenhuber, Dr. Heinz Andres, Gerd Iwersen, Gabriele Kansy, Dr.-Ing. Dietmar Rönsch (Wiesbaden), Bachmaier, Hermann Jäger, Renate Kanther, Manfred Hannelore Bahr, Ernst Janssen, Jann-Peter Karwatzki, Irmgard Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Barnett, Do ris Janz, Ilse Klaeden, Eckart von Rossmanith, Kurt J. Becker-Inglau, Ing rid Jens, Dr. Uwe Klaußner, Dr. Bernd Roth (Gießen), Adolf Behrendt, Wolfgang KasPereit, Sabine Klein (München), Hans Röttgen, Norbe rt Bertl, Hans-Werner Kastner, Susanne Klinkert, Ulrich Rühe, Volker Beucher, Friedhelm Julius Kastning, Ernst Kohl, Dr. Helmut Rüttgers, Dr. Jürgen Böhme (Unna), Dr. Ulrich Kemper, Hans-Peter Köhler (Hainspitz), Schätzle, Ortrun Börnsen (Ritterhude), Arne Kirschner, Klaus Hans-Ulrich Schäuble, Dr. Wolfgang Brandt-Elsweier, Anni Klappert, Marianne Kolbe, Manfred Schauerte, Hartmut Braune, Tilo Klose, Hans-Ulrich Königshofen, Norbert Scherhag, Karl-Heinz Brecht, Dr. Eberhard Knaape, Dr. Hans-Hinrich Kors, Eva-Maria Scheu, Gerhard Bulmahn, Edelgard Kolbow, Walter Kossendey, Thomas Schindler, Norbert Burchardt, Ursula Körper, Fritz Rudolf Kraus, Rudolf Schmalz, Ulrich Bury, Hans Martin Kressl, Nicolette Krause (Dessau), Wolfgang Schmidbauer, Bernd Büttner (Ingolstadt), Hans Kröning, Volker Krautscheid, Andreas Schmidt (Fürth), Christian Caspers-Merk, Marion Krüger, Thomas Kriedner, Arnulf (Halsbrücke), Schmidt Catenhusen, Wolf-Michael Kubatschka, Horst Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Joachim Conradi, Peter Kuhlwein, Eckart Krüger, Dr.-Ing. Paul Schmidt (Mülheim), Andreas Däubler-Gmelin, Dr. Herta Kunick, Konrad Krziskewitz, Reiner Schmiedeberg, Hans-Otto Deichmann, Christel Kurzhals, Christine Lamers, Karl Schmude, Michael von Diller, Karl Küster, Dr. Uwe Lamers (Heidelberg), Schnieber-Jastram, Birgit Dobberthien, Dr. Marliese Labsch, Werner Dr. Karl A. Scholz, Dr. Rupert Dreßen, Peter Lange, Brigitte Lammert, Dr. Norbert Schorlemer, Reinhard Dreßler, Rudolf Larcher, Detlev von Lamp, Helmut Freiherr von Duve, Freimut Lehn, Waltraud Laschet, Armin Schuchardt, Dr. Erika Eich, Ludwig Leidinger, Robert Lattmann, Herbert Schulhoff, Wolfgang Enders, Peter Lennartz, Klaus Laufs, Dr. Paul Schulte (Schwäbisch Erler, Gernot Leonhard, Dr. Elke Lenzer, Christian Gmünd), Dr. Dieter Ernstberger, Petra Lohmann (Witten), Klaus Letzgus, Peter Schulz (Leipzig), Gerhard Faße, Annette Lörcher, Christa Limbach, Editha Schulze, Frederick Ferner, Elke Lotz, Erika Link (Diepholz), Walter Schütze (Berlin), Diethard Fischer (Homburg), Lothar Lucyga, Dr. Christine Lintner, Eduard Schwalbe, Clemens Fograscher, Gabriele Maaß (Herne), Dieter Lippold (Offenbach), Schwarz-Schilling, Follak, Iris Mante, Winfried Dr. Klaus W. Dr. Christian Formanski, Norbert Marx, Dorle Lischewski, Dr. Manfred Sebastian, Wilhelm-Josef Dagmar Freitag, Mascher, Ulrike Lohmann (Lüdenscheid), Seehofer, Horst Fuchs (Köln), Anke Matschie, Christoph Wolfgang Seibel, Wilfried Fuchs (Verl), Katrin Matthäus-Maier, Ingrid Louven, Julius Seiters, Rudolf Fuhrmann, Arne Mattischeck, Heide Maaß (Wilhelmshaven), Erich Siebert, Bernd Ganseforth, Monika Meckel, Markus Mahlo, Dr. Dietrich Sothmann, Bärbel Gansel, Norbert Mehl, Ulrike Marschewski, Erwin Späte, Margarete Gilges, Konrad Meißner, Herbert Marten, Günter Spranger, Carl-Dieter Gleicke, Iris Mertens, Angelika Meckelburg, Wolfgang Steiger, Wolfgang Gloser, Günter Meyer (Ulm), Dr. Jürgen Merkel, Dr. Angela Steinbach, Erika Glotz, Dr. Peter Mogg, Ursula Meyer (Winsen), Rudolf Stoltenberg, Dr. Gerhard Graf (Friesoythe), Günter Mosdorf, Siegmar Michelbach, Hans Storm, Andreas Graf (Rosenheim), Angelika Müller (Düsseldorf), Michael Müller (Kirchheim), Elmar Straubinger, Max Grasedieck, Dieter Müller (Völklingen), Jutta Neumann (Bremen), Bernd Stübgen, Michael Großmann, Achim Müller (Zittau), Ch ristian Nitsch, Johannes Süssmuth, Dr. Rita Haack (Extertal), rt Neumann (Berlin), Ku Olderog, Dr. Rolf Teiser, Michael Karl Hermann Neumann (Bramsche), Volker Oswald, Eduard Tiemann, Dr. Susanne Hacker, Hans-Joachim Neumann (Gotha), Gerhard Päselt, Dr. Gerhard Töpfer, Dr. Klaus Hagemann, Klaus Niehuis, Dr. Edith Pesch, Hans-Wilhelm Tröger, Gottfried Hampel, Manfred Niese, Dr. Rolf Petzold, Ulrich Uldall, Gunnar Hanewinckel, Christel Odendahl, Doris Pfeifer, Anton Vogt (Düren), Wolfgang Hartenbach, Alfred Oesinghaus, Günter Pfeiffer, Angelika Waffenschmidt, Dr. Horst Hartenstein, Dr. Liesel Onur, Leyla Pfennig, Dr. Gero Waigel, Dr. Theodor Hasenfratz, Klaus Opel, Manfred Pflüger, Dr. Friedbert Warnke, Dr. Jürgen Hauchler, Dr. Ingomar Ostertag, Adolf Philipp, Beatrix Wetzel, Kersten Heistermann, Dieter Palis, Kurt Pinger, Dr. Winfried Wilhelm (Mainz), Hans-Otto Hemker, Reinhold Papenroth, Albrecht Pofalla, Ronald Wilz, Bernd Hempelmann, Rolf Penner, Dr. Willfried Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Pfaff, Dr. Martin Verheugen, Günter Nein Stetten, Dr. Wolf gang Pick, Dr. Eckhart Vogt (Pforzheim), Ute Freiherr von Poß, Joachim Voigt (Frankfurt), Karsten D. Susset, Egon Purps, Rudolf Vosen, Josef CDU/CSU Uelhoff, Dr. Klaus-Dieter Rappe, (Hildesheim), Wagner, Hans Georg Waldburg-Zeü, Hermann Wegner, Dr. Konstanze Bargfrede, Heinz-Günter Alois Graf von Rehbock-Zureich, Karin Weiermann, Wolfgang Basten, Franz Peter Wülfing, Elke Renesse, Margot von Weis (Stendal), Reinhard Bauer, Dr. Wolf Zierer, Benno Rennebach, Renate Weisheit, Matthias Blank, Dr. Joseph-Theodor Zöller, Wolfgang Reschke, Otto Weißgerber, Gunter Bosbach, Wolfgang Reuter, Bernd Weisskirchen (Wiesloch), Gert Braun (Auerbach), Rudolf Brudlewsky, Monika Richter, Dr. Edelbert Welt, Jochen SPD Rixe, Günter Wester, Hildegard Brunnhuber, Georg Carstens (Emstek), Manfred Robbe, Reinhold Westrich, Lydia Antretter, Gerd Rübenkönig, Gerhard Wettig-Danielmeier, Inge Deittert, Hubert Schäfer, Dr. Hansjörg Wieczorek, Dr. Norbert Deß, Albert Schaich-Walch, Gudrun Wieczorek (Duisburg), Diemers, Renate Dörflinger, Werner BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Schanz, Dieter Helmut Engelmann, Wolfgang Scharping, Rudolf Wieczorek-Zeul, Heidemarie FeU, Dr. Karl H. Altmann (Aurich), Gila Scheelen, Bernd Wiefelspütz, Dieter Fritz, Erich G. Altmann (Pommeisbrunn), Scheer, Dr. Hermann Wittich, Berthold Geis, Norbert Elisabeth Scheffler, Siegfried Wodarg, Dr. Wolfgang Götz, Peter Beck (Bremen), Marieluise Schild, Horst Wohlleben, Verena Götzer, Dr. Wolfgang Beck (Köln), Volker Schily, Otto Wolf (München), Hanna Grill, Kurt-Dieter Beer, Angelika Schloten, Dieter Wright, Heidi Gröbl, Wolfgang Berninger, Matthias Schluckebier, Günter Zapf, Uta Grund, Manfred Buntenbach, Annelie Schmidbauer (Nürnberg), Zöpel, Dr. Christoph Dietert-Scheuer, Amke Horst Hauser (Esslingen), Otto Zumkley, Peter Hedrich, Klaus-Jürgen Eichstädt-Bohlig, Franziska Schmidt (Aachen), Ursula Hinsken, Ernst Eid, Dr. Uschi Schmidt (Meschede), Dagmar F.D.P. Hollerith, Josef Fischer (Berlin), Andrea Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Hornung, Siegfried Fischer (Frankfurt), Joseph Schmidt-Zadel, Regina Albowitz, Ina Hüppe, Hubert Grießhaber, Rita Schmitt (Berg), Heinz Babel, Dr. Gisela Janovsky, Georg Häfner, Gerald Schnell, Dr. Emil Braun (Augsburg), Jawurek, Helmut Heyne, Kristin Schöler, Walter Hüdebrecht Jobst, Dr. Dionys Höfken, Ulrike Schreiner, Ottmar Bredehorn, Günther Kauder, Volker Kiper, Dr. Manuel Schröter, Gisela Feldmann, Dr. Olaf Keller, Peter Knoche, Monika Schubert, Dr. Mathias Frick, Gisela Koschyk, Hartmut Köster-Loßack, Dr. Angelika Schuhmann (Delitzsch), Friedhoff, Paul K. Kues, Dr. Hermann Lemke, Steffi Richard Friedrich, Horst Laumann, Karl-Josef Lippelt, Dr. Helmut Schulte (Hameln), Brigitte Gerhardt, Dr. Wolfgang Lensing, Werner Metzger, Oswald Schultz (Everswinke), Günther (Plauen), Joachim Löwisch, Sigrun Müller (Köln), Kerstin Reinhard Guttmacher, Dr. Karlheinz Lummer, Heinrich Nachtwei, Winfried Schultz (Köln), Volkmar Haussmann, Dr. Helmut Luther, Dr. Michael Nickels, Christa Schuster, Dr. R. Werner Heinrich, Ulrich Mayer (Siegertsbrunn), Özdemir, Cem Schütz (Oldenburg), Dietmar Hirche, Walter Probst, Simone Schwall-Düren, Dr. Angelica Dr. Martin Hirsch, Dr. Burkhard Rochlitz, Dr. Jürgen Schwanhold, Emst Homburger, Birgit Meinl, Rudolf Scheel, Christine Schwanitz, Rolf Hoyer, Dr. Wemer Meister, Dr. Michael Schewe-Gerigk, Irmingard Seidenthal, Bodo Irmer, Ulrich Merz, Friedrich Schmitt (Langenfeld), Seuster, Lisa Kinkel, Dr. Klaus Michels, Meinolf Sielaff, Horst Kleinert (Hannover), Detlef Müller, Dr. Gerd Wolfgang Simm, Erika Kohn, Roland Nelle, Engelbert Schönberger, Ursula Singer, Johannes Kolb, Dr. Heinrich L. Nolte, Claudia Schoppe, Waltraud Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Koppelin, Jürgen Ost, Friedhelm Schulz (Berlin), Werner Sonntag-Wolgast, Dr. Cornelie Laermann, Dr.-Ing. Karl-Hans Otto (Erfurt), Norbert Steenblock, Rainder Sorge, Wieland Lambsdorff, Dr. Otto Graf Rauber, Helmut Steindor, Marina Spanier, Wolfgang Lanfermann, Heinz Rauen, Peter Harald Sterzing, Christian Sperling, Dr. Dietrich Leutheusser-Schnarren- Regenspurger, Otto Such, Manfred Spiller, Jörg-Otto berger, Sabine Reichardt (Mannheim), Volmer, Ludger Steen, Antje-Marie Lühr, Uwe Klaus Dieter Wilhelm (Amberg), Helmut Stiegler, Ludwig Möllemann, Jürgen W. Richter, Roland Wolf (Frankfurt), Margareta Struck, Dr. Peter Nolting, Günther Friedrich Rieder, Dr. Norbert Tappe, Joachim Ortleb, Dr. Rainer Riedl (München), Dr. Erich F.D.P. Tauss, Jörg Peters, Lisa Riegert, Klaus Teichmann, Dr. Bodo Rexrodt, Dr. Günter Rose, Dr. Klaus Genscher, Hans-Dietrich Terbqrg, Margitta Röhl, Dr. Klaus Sauer (Stuttgart), Roland Schmidt-Jortzig, Dr. Edzard Teuchner, Jella Schäfer (Mainz), Helmut Schemken, Heinz Thalheim, Dr. Gerald Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schlee, Dietmar PDS Thierse, Wolf gang Solms, Dr. Hermann Otto Schmitz (Baesweiler), Thieser, Dietmar Stadler, Dr. Max Hans Peter Bierstedt, Wolfgang Thörmes, Franz Thiele, Carl-Ludwig Schockenhoff, Dr. Andreas Bläss, Petra Titze-Stecher, Uta Thomae, Dr. Dieter Seiffert, Heinz-Georg Bulling-Schröter, Eva Tröscher, Adelheid Türk, Jürgen Seile, Johannes Einsiedel, Heinrich Graf von Urbaniak, Hans-Eberhard Weng (Gerlingen), Sikora, Jürgen Enkelmann, Dr. Dagmar Vergin, Siegfried Dr. Wolfgang Singhammer, Johannes Fuchs, Dr. Ruth 3798 Deutscher Bundestag -- 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Gysi, Dr. Gregor Paziorek, Dr. Peter seitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder Heuer, Dr. Uwe-Jens Reinhardt, Erika schweren Unglücksfallen Heym, Stefan Ruck, Dr. Christian Höll, Dr. Barbara Willner, Gert - Drucksache 13/1665 — Jacob, Dr. Willibald Überweisungsvorschlag: Jelpke, Ulla Innenausschuß (federführend) Knake-Werner, Dr. Heidi SPD Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Kähne, Rolf heit Kutzmutz, Rolf Barthel, Klaus Lederer, Andrea Holzhüter, Ingrid c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Lüth, Heidemarie Klemmer, Siegrun rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Maleuda, Dr. Günther zes zu der Vereinbarung vom 21. Juni 1994 Müller (Berlin), Manfred zur Durchführung des Abkommens vom Neuhäuser, Rosel BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Rössel, Dr. Uwe-Jens 5. März 1993 zwischen der Bundesrepublik Schenk, Christina Hermenau, Antje Deutschland und der Republik Chile über Tippach, Steffen Hustedt, Michaele Rentenversicherung Warnick, Klaus-Jürgen Poppe, Gerd Drucksache 13/1810 Wolf, Dr. Winfried Saibold, Halo - Zwerenz, Gerhard Vollmer, Dr. Antje —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Enthalten F.D.P. d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- CDU/CSU Essen, Jörg van zes zu dem Zweiten Zusatzabkommen vom Austermann, Dietrich Schwaetzer, Dr. Irmgard 6. März 1995 zum Abkommen vom 7. Ja- Belle, Meinrad nuar 1976 zwischen der Bundesrepublik Brähmig, Klaus Deutschland und den Vereinigten Staaten Jüttner, Dr. Egon PDS Koslowski, Manfred von Amerika über Soziale Sicherheit und Kuhn, Werner Jüttemann, Gerhard zu der Zweiten Zusatzvereinbarung vom 6. März 1995 zur Vereinbarung vom Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18a, 19, 21a bis 21. Juni 1978 zur Durchführung des Ab- 21e sowie 21g bis 21i auf: kommens - Drucksache 13/1811 — 18. a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Überweisungsvorschlag: zes zur Änderung wehrrechtlicher Vor- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) schriften (Wehrrechtsänderungsgesetz) Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO e) Erste Beratung des von der Bundesregie- - Drucksache 13/1801 - rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Überweisungsvorschlag: zes zu dem Zusatzabkommen vom Verteidigungsausschuß (federführend) 12. Februar 1995 zum Abkommen vom Innenausschuß 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesre- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO publik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit 19. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD - Drucksache 13/1809 — Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) - Drucksache 13/1833 — Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Überweisungsvorschlag: g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Halo Saibold, Elisabeth Altmann (Pommels- 21. Überweisungen im vereinfachten Verfahren brunn), Waltraut Schoppe, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- DIE GRÜNEN brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände rung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) Goldabbau in der Westtürkei unter Einsatz zyankalihaltiger chemischer Stoffe durch - Drucksache 13/1207 — Unternehmen aus der Bundesrepublik- Überweisungsvorschlag: Deutschland Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- - Drucksache 13/1017 — heit (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus (feder- b) Erste Beratung des von der Bundesregie- führend) rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Wirtschaft zes zu dem Abkommen vom 15. März 1994 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zwischen der Bundesrepublik Deutschland Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen und der Republik Litauen über die gegen Union Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3799 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch h) Beratung des Antrags der Präsidentin des Berichterstattung: Bundesrechnungshofes Abgeordnete Helmut Rauber Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1994 - Einzelplan 20 - bb) Bericht des Haushaltsausschusses § 101 BHO (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- - Drucksache 13/1668 schäftsordnung —Überweisungsvorschlag: - Drucksache 13/1635 - Haushaltsausschuß Berichterstattung: i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Abgeordnete Dietrich Austermann Dr. Eckhart Pick, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordne- Jürgen Koppelin ter und der Fraktion der SPD Ernst Kastning Entlastung der Zivilgerichtsbarkeit durch vor- Oswald Metzger bzw. außergerichtliche Streitbeilegung c) Zweite und dritte Beratung des von der - Ddrucksache 13/1749 Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 11 —Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß vom 11. Mai 1994 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grund- Ich weise darauf hin, daß zum Tagesordnungs- freiheiten punkt 19, Antrag der SPD auf Einsetzung eines Un- tersuchungsausschusses, die Vorlage auf Drucksache - Drucksache 13/858 - 13/1791 zurückgezogen und durch Drucksache 13/ 1833 ersetzt wurde. (Erste Beratung 38. Sitzung) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die genannten Beschlußempfehlung und Bericht des Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einver- - Drucksache 13/1849 - standen? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen. Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22a bis 22c so- Dr. Herta Däubler-Gmelin wie 22e bis 22n und Zusatzpunkt 4 auf. e) Beratung der Beschlußempfehlung und des 22. Abschließende Beratungen ohne Aussprache Berichts des Ausschusses für Umwelt, a) Zweite und dritte Beratung des von der Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Aus- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs schuß) zu dem Antrag des Abgeordneten eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion Gesetzes über die elektromagnetische Ver- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN träglichkeit von Geräten (1. EMVGÄndG) Widerspruchsrecht für die Bundesministe- - Drucksache 13/670 - rin für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- (Erste Beratung 27. Sitzung) sicherheit Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- - Drucksachen 13/352, 13/1506 - schusses für Post und Telekommunikation (17. Asschuß) Berichterstattung: - Abgeordnete Steffen Kampeter - Drucksache 13/1595 - Michael Müller (Düsseldorf) Berichterstattung: Dr. Jürgen Rochlitz Abgeordneter Birgit Homburger Christine Kurzhals f) Dr. Manuel Kiper Beratung der Beschlußempfehlung und des Dr. Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Gerhard Jüttemann schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr eines Gesetzes zur Änderung wehrpflicht- in der EU; Transparenz, Effizienz und Sta- rechtlicher, soldatenrechtlicher, beamten- bilität rechtlicher und anderer Vorschriften - Mitteilung der Kommission an das Euro- - Drucksache 13/1209 - päische Parlament, den Rat, das Europä- ische Währungsinstitut und den Wirt (Erste Beratung 35. Sitzung) -schafts- und Sozialausschuß aa) Beschlußempfehlung und Be richt des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuß) - Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlaments und des Rates über - Drucksache 13/1634 - grenzüberschreitende Überweisungen 3800 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch - Entwurf einer Mitteilung über die An- - Drucksachen 13/1140, 13/1233 Nr. 2.1, wendung der EG-Wettbewerbsregeln auf 13/1746 - grenzüberschreitende Überweisungssy- Berichterstattung: steme Abgeordneter E rich Fritz - Drucksachen 13/343 Nr. 2.17, 13/1514 - k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichterstattung: Berichts des Ausschusses für Familie, Se- Abgeordnete Dr. Karl H. Fell nioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuß) Dr. Barbara Hendricks - zu dem Entschließungsantrag der Fraktio- g) Beratung der Beschlußempfehlung und des nen der CDU/CSU und F.D.P. Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- - zu dem Entschließungsantrag der Frak- schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- tion der SPD desregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abge- Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie ordneten Rita Grießhaber und der Frak- des Europäischen Parlaments und des Ra- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tes zur Änderung der Richtlinie 85/611/ EWG zur Koordinierung der Rechts- und - zu dem Entschließungsantrag der Abge- Verwaltungsvorschriften betreffend be- ordneten der PDS stimmte Organismen für gemeinsame An- zu der vereinbarten Debatte zum Thema lagen in Wertpapieren (OGAW) „Internationaler Frauentag" - Drucksachen 13/725 Nr. 69, 13/1585 - - Drucksachen 13/703, 13/701, 13/705, Berichterstattung: 13/699, 13/1627 - Abgeordneter Jörg-Otto Spiller Berichterstattung: h) Beratung der Beschlußempfehlung und Abgeordnete Bärbel Sothmann des Berichts des Haushaltsausschusses Hanna Wolf (8. Ausschuß) zu dem Antrag des Bundes- Rita Grießhaber ministeriums der Finanzen Cornelia Schmalz-Jacobsen Rosel Neuhäuser Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bun- deshaushaltsordnung zur Veräußerung 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des bundeseigener Grundstücke in Wiesbaden, Berichts des Rechtsausschusses (6. Aus- ehemaliges Camp Lindsey schuß) - Drucksachen 13/1293, 13/1601 - zu der dem Deutschen Bundestag zugelei- teten Streitsache vor dem Bundesverfas- Berichterstattung: sungsgericht 2 BvE 4/95 Abgeordnete Susanne Jaffke - Drucksache 13/1830 - Oswald Metzger Berichterstattung: Jürgen Koppelin Abgeordneter i) Beratung der Beschlußempfehlung und des m) Beratung der Beschlußempfehlung des Pe- Berichts des Ausschusses für Ernährung, titionsausschusses (2. Ausschuß) Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Sammelübersicht 46 zu Petitionen Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs (Köln), - Drucksache 13/1766 - Horst Sielaff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD n) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Gewährung von Beihilfe bei der Sortenum- stellung von Hopfen Sammelübersicht 47 zu Petitionen - Drucksachen 13/601, 13/1625 - - Drucksache 13/1767 - Berichterstattung: ZP4 Beratung der Beschlußempfehlung und des Abgeordneter Berichts des Ausschusses für Wirtschaft - (9. Ausschuß) j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- CSU und F.D.P. desregierung Einhaltung des Stromeinspeisungsgesetzes Aufhebbare Sechste Verordnung zur Ände- - zu dem Antrag der Fraktion der SPD rung der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten im Außenwirtschaftsver- Respektierung des Stromeinspeisungsge kehr setzes - Für erneuerbare Energien Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3801

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch - zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Es handelt sich dabei um folgende vier Punkte: Hustedt, Ursula Schönberger, Werner Schulz (Berlin) und der Fraktion BÜND- Erstens. In der Inhaltsübersicht muß Art. 17 in der NIS 90/DIE GRÜNEN Ausschußfassung lauten: „Änderung der Vertrauens- personenwahlverordnung". Durchsetzung der Einhaltung des Strom- einspeisungsgesetzes Zweitens. Die Überschrift zu A rt. 17 der Ausschuß- - zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf fassung muß lauten: „Änderung der Vertrauensper- Köhne, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der sonenwahlverordnung" . PDS Drittens. Art . 23 muß nach der Überschrift in der Bürgschaftsverpflichtung der Bundesregie- Ausschußfassung lauten: „ Die auf den Artikeln 7 bis rung zur Umsetzung des Stromeinspei- 9, 11, 15, 17 und 22 beruhenden Teile der dort geän- sungsgesetzes derten Rechtsverordnungen können auf Grund der - Drucksachen 13/1397, 13/1384, 13/1303, jeweils einschlägigen Ermächtigung durch Rechts- 13/1309, 13/1783 - verordnung geändert werden. "

Berichterstattung: Viertens. Art. 24 Abs. 2 in der Ausschußfassung Abgeordneter Dr. Uwe Jens muß lauten: „Abweichend von Absatz 1 treten die Der Kollege Köhne gibt eine persönliche Erklärung Artikel 5, 6 Nr. 2 Buchstabe b und Nr. 3, Artikel 10 Nr. 1 und Artikel 12 Nr. 2, 4 bis 7, 10, 11 und 13 mit zum Zusatzpunkt 4, Stromeinspeisungsgesetz, zu Protokoll. *) Ich nehme an, daß dazu Einverständnis Wirkung vom 1. Februar 1995 sowie Ar tikel 10 Nr. 2 besteht. mit Wirkung vom 1. Oktober 1995 in Kraft." Wir kommen zur Abstimmung über den von der Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Ände- rung des Gesetzes über die elektromagnetische Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) träglichkeit von Geräten, Drucksachen 13/670 und 13/1595. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich danke dem Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- Berichterstatter. zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltun- gen? - Dann ist der Gesetzentwurf bei Stimmenthal- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der tungen aus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschußfassung einschließlich der redaktionellen in der zweiten Beratung angenommen. Berichtigungen - wie vorgetragen - zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - (Margareta Wolf [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- DIE GRÜNEN]: Nein, das waren Gegen ter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen stimmen!) sämtliche Stimmen der Opposi tion angenommen. *) Dritte Beratung Wir kommen zur und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- dritten Beratung ben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf bei Gegenstimmen der und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen. dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Wir kommen zur Abstimmung über den von der ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition ge- Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtli- gen die Stimmen aller anderen Fraktionen und der cher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften. Gruppe der PDS angenommen. Das Wort zum Vortragen einer Berichtigung hat als Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 22 c: Abstim- Berichterstatter der Kollege Helmut Rauber. mung über den von der Bundesregierung einge- brachten Gesetzentwurf zur Konvention zum Schut- ze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Druck- Helmut Rauber (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine - sehr verehrten Damen und Herren! Auf Grund eines sache 13/858. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/1849, den Gesetzentwurf unverän- Versehens haben sich in die Beschlußempfehlung des dert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Verteidigungsausschusses auf Drucksache 13/1634 setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- kleine redaktionelle Fehler eingeschlichen, die für chen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetz- die inhaltliche Seite der Beschlußfassung ohne Be- deutung sind. entwurf ist damit in zweiter Beratung bei Stimment- haltung der Gruppe der PDS angenommen. (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) *) Erklärung zur Abstimmung des Abgeordneten Hans Büttner *) Anlage 3 (Ingolstadt) siehe Anlage 4 3802 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Dritte Beratung Tagesordnungspunkt 22k: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die Jugend zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- der CDU/CSU und F.D.P. zum Internationalen Frau- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der entag, Drucksache 13/1627 Buchstabe a. Der Aus- Gesetzentwurf ist bei Stimmenthaltung der Gruppe schuß empfiehlt, den Antrag der Koalitionsfraktionen der PDS angenommen. auf Drucksache 13/703 anzunehmen. Wer stimmt für Tagesordnungspunkt 22 e: Beschlußempfehlung des diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stim- sicherheit zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition DIE GRÜNEN zu einem Widerspruchsrecht für die angenommen. Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Re- aktorsicherheit, Drucksache 13/1506. Der Ausschuß Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/352 abzu- Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschlie- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - ßungsantrag der Fraktion der SPD zum Internationa- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- len Frauentag, Drucksache 13/1627 Buchstabe b. Der fehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Druck- Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD sache 13/701 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS ange- schlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? nommen. - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition ange- Tagesordnungspunkt 22 f: Beschlußempfehlung nommen. des Finanzausschusses zum grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr in der Europäischen Union, Druck- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, sache 13/1514. Wer stimmt für diese Beschlußemp- Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschlie- fehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- ßungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der Frak- NEN zum Internationalen Frauentag, Drucksache tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen. 13/1627 Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Tagesordnungspunkt 22 g: Beschlußempfehlung Antrag auf Drucksache 13/705 abzulehnen. Wer des Finanzausschusses zu einem Richtlinienvor- stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- schlag der Europäischen Union zur Koordinierung probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften bei Anla- ist gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen in Wertpapieren, Drucksache 13/1585. Wer NEN und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- der SPD angenommen. probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der SPD bei Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fami lie, Stimmenthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Senioren, Frauen und Jugend zu dem Entschlie- und der Gruppe der PDS angenommen. ßungsantrag der Gruppe PDS zum Internationalen Frauentag, Drucksache 13/1627 Buchstabe d. Der Tagesordnungspunkt 22 h: Beschlußempfehlung Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache des Haushaltsausschusses zur Veräußerung bundes- 13/699 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- eigener Grundstücke in Wiesbaden, Drucksachen empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die 13/1293 und 13/1601. Wer stimmt für diese Beschluß- Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die tion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthal- Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der tung von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ange- Gruppe der PDS angenommen. nommen. Tagesordnungspunkt 22i: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Tagesordnungspunkt 221: Beschlußempfehlung Forsten zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Ge- des Rechtsausschusses zu einer Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht, Drucksache 13/1830. Der währung von Beihilfe bei Sortenumstellung von Hop- Ausschuß empfiehlt, eine Stellungnahme abzugeben fen, Drucksache 13/1625. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/601 in der Ausschuß- und einen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- fassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- schlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? probe! - Enthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS ist die Beschlußempfehlung ange- - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenom- men. nommen. Tagesordnungspunkt 22j : Beschlußempfehlung Tagesordnungspunkte 22 m und 22 n: Beschlußem- des Ausschusses für Wirtschaft zur Änderung der pfehlungen des Petitionsausschusses auf den Druck- Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten im sachen 13/1766 und 13/1767. Das sind die Sammel- Außenwirtschaftsverkehr, Drucksachen 13/1140 und übersichten 46 und 47. Wer stimmt für diese Be- 13/1746. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? schlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltun- - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- gen? - Die Beschlußempfehlungen sind mit den Stim- fehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der men der Koalition und der SPD bei Stimmenthaltung SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenom- NEN und der Gruppe der PDS angenommen. men. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3803 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Zusatzpunkt 4: Beschlußempfehlung des Aus- Bundestag ab, der uns hier und insbesondere im schusses für Wirtschaft zu den Anträgen der Fraktion Bundestagsausschuß für Gesundheit mehrfach seit der CDU/CSU und F.D.P., der Fraktion der SPD, der gut zwei Jahren beschäftigt hat. Ich selbst habe für Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im 3. Untersu- Gruppe der PDS zum Stromeinspeisungsgesetz, chungsausschuß als Sprecher Verantwortung getra- Drucksache 13/1783. Der Ausschuß empfiehlt unter gen und kann für mich in Anspruch nehmen, daß mir Nr. I seiner Beschlußempfehlung, die Anträge der die mit dem Komplex der HIV-Infektion durch Blut CDU/CSU und F.D.P., der SPD und des BÜNDNIS- und Blutprodukte verbundenen Probleme und Fra- SES 90/DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 13/1397, gen, teilweise auch die dahinterstehenden Einzel- 13/1384 und 13/1303 zusammenzufassen und in der schicksale bekannt sind, so daß ich sie zumindest Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese mitempfinden kann. Beschlußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenom- Gerade deswegen aber, d. h. auch dann, wenn ich men. mir die ganze Genese und die vielfältigen Probleme dieser Thematik vergegenwärtige, komme ich zu Unter Nr. II empfiehlt der Ausschuß, den Antrag dem Schluß, daß der heute hier in zweiter und dritter der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/1309 abzu- Lesung zur Abstimmung stehende Entwurf eines so- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - genannten HIV-Hilfegesetzes eine angemessene und Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit tragfähige Lösung vor allem für die Be troffenen ent- den Stimmen der Koalition, des BÜNDNISSES 90/ hält. Dies sage ich, obwohl ich natürlich weiß, daß DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der PDS bei die Erwartungen vieler Be troffener, aus welchen Stimmenthaltung der SPD angenommen. Gründen auch immer, teilweise deutlich höher wa- ren. Dies sage ich ebenfalls, wie bereits in der Sach- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf: verständigenanhörung des Gesundheitsausschusses Zweite und dritte Beratung des von den Frak- betont, obwohl auch wir von der CDU/CSU-Fraktion tionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- uns darüber gefreut hätten, wenn das finanzielle Vo- ten Entwurfs eines Gesetzes über die humani- lumen der Stiftung auf freiwilliger Basis über die ver- täre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizier- einbarten 250 Millionen DM hinausgegangen wäre. te Personen (HIV-Hilfegesetz - HIVHG) Dies sage ich ebenfalls, obwohl mir bewußt ist, Herr Kollege Schmidbauer, daß Sie glauben, dieses Kon- - Drucksache 13/1298 - zept als Billiglösung herabwürdigen zu müssen. (Erste Beratung 35. Sitzung) Meine sehr verehrten Damen und Herren, für eine a) Beschlußempfehlung und Be richt des Aus derartige - das kann man schon sagen - Diffamie- schusses für Gesundheit (14. Ausschuß) rungskampagne besteht keinerlei Anlaß. Ich teile eben Ihre Auffassung nicht, Herr Kollege Schmid- - Drucksache 13/1831 - bauer, und sehe vor allem keinen vernünftigen Berichterstattung: Grund, der Ihre Auffassung rechtfertigen könnte. Ich Abgeordneter möchte einmal aus der öffentlichen Anhörung im Ge- Horst Schmidbauer (Nürnberg) sundheitsausschuß zur Begründung kurz zitieren. Die Sachverständige Frau Dr. Braun sagt: „Uns ist es b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus sehr wichtig, daß das Gesetz bald in Kraft tritt." Rich- schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung tig! - Drucksache 13/1847 - Wenn es aber gerade im Interesse der Be troffenen Berichterstattung: - das sind ja vor allem auch die bereits HIV-Erkrank- Abgeordnete Kris tin Heyne ten - darauf ankommt, jetzt zu einer tragfähigen Lö- Roland Sauer (Stuttgart) sung zu kommen, muß der in den Verhandlungen Gerhard Rübenkönig vom Ministerium für Gesundheit mit den Herstellern, Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) dem Deutschen Roten Kreuz sowie den Ländern er- Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Frak- zielte finanzielle Rahmen von 250 Millionen DM als tion der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- gegebene Größe akzeptiert werden. Die Beteiligung NEN sowie ein Änderungsantrag der SPD vor. des Bundes mit 100 Millionen DM im Haushaltsjahr 1995 ist der Grundstock des Stiftungsvermögens und Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die die Grundlage für die finanzielle Beteiligung der Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Kein Wider- weiteren S tifter. Es macht keinen Sinn, darauf zu set- spruch. Dann ist es so beschlossen. zen, daß der Bund in weiteren Verhandlungen sein - bereits deutliches finanzielles Engagement noch ein- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDU/ mal um beispielsweise, wie in der Anhörung disku- CSU-Fraktion hat der Kollege Lohmann. tiert, 60 Millionen DM erhöhen würde. Dies ist iso- liert haushaltsmäßig nicht darstellbar. Es macht Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): ebenfalls keinen Sinn, auf Nach- oder gar Neuver- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und handlungen bezüglich des Stiftungsvolumens zu set- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der zen. Ein stärkeres finanzielles Engagement der wei- heutigen Debatte schließen wir die parlamentari- teren Stifter ist gegenwärtig jedenfalls nicht erkenn- schen Beratungen eines Vorgangs im Deutschen bar. 3804 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) Insbesondere die Länder, in denen ja die SPD - lei- Durch die Neufassung von § 16 Abs. 2 des Gesetzent- der, möchte ich sagen - weitgehend die Verantwor- wurfes erhalten nichtinfizierte Kinder nach dem Tode tung trägt, waren und sind nicht bereit, auf den aus- eines leistungsberechtigten Elternteils bis zum Ab- gehandelten Be trag von 50 Millionen DM Länderbe- schluß ihrer Berufsausbildung bzw. bis zum Ablauf teiligung nur einen einzigen Pfennig draufzulegen. des 25. Lebensjahres 1 000 DM monatlich.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und das noch Dies wird - das ist wichtig - auch unabhängig von in Raten!) der Unterhaltsberechtigung der Kinder erfolgen, da sich auf der Regierungsebene zu guter Letzt doch die - Und das, obwohl die 16 Länder ihre 50 Millionen Einsicht durchgesetzt hat, daß der Aufwand, der für DM nicht insgesamt 1995, sondern ratenweise inner- Prüfung und Kontrolle der Unterhaltsberechtigung halb von vier Jahren zur Verfügung stellen werden. notwendig wäre, deutlich größer als der erzielbare Nutzen wäre. (Zuruf von der CDU/CSU: Armselig!) Man stelle sich also vor: Die politische Verantwor- Für Ehepartner von Infizierten oder Erkrankten tung der Länder drückt sich in der simplen Formel konnten wir einen gleichen Schritt wegen der be- aus: 50, geteilt durch 16, geteilt durch 4. grenzten finanziellen Ressourcen nicht machen, ebensowenig für Eltern. Leistungsansprüche nichtin- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wieviel ist das?) fizierter Ehepartner werden zwar unabhängig von der Unterhaltssituation sein, sie werden jedoch da- Das finanzielle Engagement der SPD-geführten Län- von abhängig bleiben, ob der infizierte Ehepartner der steht also im umgekehrt proportionalen Verhält- bereits verstorben ist. nis zur Höhe der Forderungen, die Sie von der SPD bei den verschiedenen Gelegenheiten gestellt ha- Die Alternative, meine Damen und Herren, hätte ja ben. Oder haben Sie, Herr Kollege Schmidbauer, nur darin bestanden, für unterhaltsberechtigte Ehe- vielleicht von der Ministerpräsidentenkonferenz am partner überhaupt auf Leistungen zu verzichten, vergangenen Donnerstag in Berlin - dort waren Sie denn eine weitere Ausweitung des Kreises der An- ja - heute morgen eine andere Botschaft zu überbrin- spruchsberechtigten geht bei dem eben geschilder- gen? Ich jedenfalls habe so etwas bisher nicht gehört ten begrenzten Leistungsvolumen natürlich zu La- und auch nicht gelesen. Es wäre natürlich erfreulich, sten der Leistungsdauer der Stiftung. Das ist aber ge- wenn Sie eine andere Botschaft überbringen dürften. rade wegen der Aidsinfizierten oder -erkrankten selbst nach unserer Auffassung nicht akzeptabel. Wir sind also deswegen alle gut beraten, insbeson- dere im Interesse der Be troffenen und der an HIV Er- Auch die in der Anhörung des Gesundheitsaus- krankten, die finanziellen und auch die sonstigen schusses diskutierte Forderung, die Stiftungsleistung Grundlagen der Stiftung zu akzeptieren und dafür zu kapitalisieren, konnten wir nicht aufgreifen. Hier Sorge zu tragen, daß die Stiftung endlich ihre Tätig- kommt wieder zum Tragen, daß insbesondere die keit aufnehmen, d. h. daß sie vor allem die Zahlun- Länder ihre sowieso begrenzten Leistungen nur über gen an die Betroffenen einleiten kann. Deswegen vier Jahre verteilt zur Verfügung stellen. Das An- habe ich auch die Bitte, Herr Schmidbauer, daß Sie fangskapital des Bundes reicht aber für eine Kapitali- uns davor verschonen, weitere Forderungen nach sierung dieser Leistungen nicht aus. einem höheren finanziellen Engagement des Bundes zu stellen, und daß Sie uns die ständig aufgewärmte Der Forderung, auf den im Gesetzentwurf vorgese- Geschichte von dem sogenannten Pharma-Pool er- henen Haftungsausschluß im Hinblick auf zivilrecht- sparen, aus dem Sie - wer weiß, wie - alle noch offe- liche Schmerzensgeldansprüche zu verzichten, konn- nen finanziellen Wünsche meinen erfüllen zu kön- ten wir ebensowenig Folge leisten. Dieser Haftungs- nen. Ich denke, im Interesse Ihrer eigenen Glaub- ausschluß ist - ich meine, aus verständlichen Grün- würdigkeit sollten Sie uns ebenfalls damit verscho- den - Eckpunkt des heute zur Beschlußfassung an nen - Sie haben ja die Botschaft der SPD-geführten -stehenden Stiftungskonzepts. Länder dazu gehört -, ein deutlich höheres finanziel- les Engagement nun möglicherweise hier zu fordern, Zu berücksichtigen ist nämlich zum einen, daß zumal Sie wissen, daß diese Forderung nicht erfüllt Haftungsansprüche aus der arzneimittelrechtlichen werden wird. Gefährdungshaftung von diesem Haftungsausschluß doch unberührt bleiben. Das gilt insbesondere für Lassen Sie uns vielmehr einige der Punkte erör- Unterhaltsansprüche von Kindern bzw. von Ehegat- tern, die auf der Grundlage der heutigen Beschluß- ten. fassung über den vorliegenden Entwurf erreichbar waren bzw. in den Ausschußberatungen offengeblie- Zum anderen ist bei der Bewertung zu beachten, ben sind bzw. abgelehnt werden mußten. Die im Ge- daß zivilrechtliche Schmerzensgeldansprüche nicht setzentwurf ursprünglich vorgesehene unterschiedli- generell ausgeschlossen werden. Es bleibt auch wei- che Behandlung von Kindern nach dem Todeszeit- terhin - unabhängig von der Errichtung der Stiftung - punkt der Eltern haben wir auf der Grundlage der möglich, daß jeder vermeintliche Anspruchsberech- Ergebnisse der Anhörung durch einen Änderungsan- tigte seinen Schmerzensgeldanspruch gegen den trag im Gesundheitsausschuß beseitigt. Ich glaube, Hersteller bzw. seinen Versicherer gerichtlich gel- das war ein vernünftiger Schritt. tend macht und erst dann im Lichte eines derar tigen Rechtsstreits über die Inanspruchnahme von Stif- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In der Tat!) tungsleistungen entscheidet. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3805 Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) Schließlich war auch - um einen weiteren wichti- zurückbleibt, deren Leistungsansprüche nicht voll- gen Punkt aufzugreifen - die Frage der Besteuerung ständig befriedigt werden. Es wäre aber nicht sinn- der Stiftung selbst bzw. der Leistungen aus der Stif- voll, von dieser heute noch völlig unüberschaubaren tung ein Thema der Ausschußberatungen. Betont Entwicklung die Entscheidung über den heute vor- werden muß der Klarheit halber, daß die Leistungen liegenden Gesetzentwurf abhängig zu machen. an die Betroffenen selbst aus der Stiftung nicht ein- kommensteuerpflichtig und auch nicht sozialabgabe- Ich kann Sie daher aus wirklich guten Gründen pflichtig sind. Die Leistungen werden auch nicht auf nur bitten, den Gesetzentwurf, der Ihnen zur Be- andere Sozialleistungen angerechnet. schlußfassung vorliegt, anzunehmen. Ich bedanke mich bei dieser Gelegenheit noch einmal bei Bundes- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sehr wich tig!) minister Seehofer dafür, daß er es durch wirklich Das sind sehr wichtige Punkte, die ja teilweise in zähe Verhandlungen geschafft hat, diesen Be trag auf Zweifel gezogen worden sind. Wir haben das geklärt. freiwilliger Basis zustande zu bringen. Allerdings sind natürlich die aus diesen Leistun- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gen erzielten Einkünfte, wie beispielsweise Zinsen, wenn jemand die Leistung anlegt, grundsätzlich ein- Das Wort hat der kommensteuerpflichtig wie jedes andere Einkom- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kollege Horst Schmidbauer, SPD. men auch, das aus Zinsen für Geldanlagen erwächst. Die Stiftung selbst, d. h. das Stiftungsvermögen in Höhe von 250 Millionen DM, ist nach der durch den Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Herr Präsi- Bundesminister der Finanzen bestätigten Auffassung dent! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen weder körperschaft- noch kapitalertragsteuerpflich- und Kollegen! Ich möchte zu Beginn aus einem B rief tig. Die aus diesem Stiftungsvermögen erzielten Zin- zitieren, der mir zugegangen ist: sen werden also in vollem Umfang den Be troffenen Die nun vorgesehene Entschädigungslösung in wieder zugute kommen. Insofern war auch der An- Form einer Rente ist eine Minimallösung . . ., die trag, die Gemeinnützigkeit sicherzustellen, von vorn- den Ansprüchen und Erwartungen der Betroffe- herein nicht notwendig. nen keinesfalls gerecht wird in Anbetracht des Lassen Sie mich bitte zum Schluß noch eine Frage fürchterlichen Schicksals, des zerstörten Lebens, ansprechen, die auch mir am Herzen liegt, nämlich einer zerstörten Familie, geplatzter Zukunftsper- die Dauer der Stiftung, welche durch die Erschöp- spektiven.... Ich bin sehr enttäuscht, ja wütend fung der Mittel begrenzt ist. Nach den derzeitigen über diese vorgeschlagene Regelung.... Dies ist Berechnungen, die allerdings mit nicht unerhebli- makaber, ja menschenunwürdig! ... 250 Millio- chen Unwägbarkeiten verbunden sind, wird das Stif- nen DM sind beschämend und eine erneute Ohr- tungsvermögen im Jahre 2002 erschöpft und damit feige für die Be troffenen.... Ich erinnere insbe- die Stiftung aufgehoben sein. sondere an die Entschuldigung Herrn Seehofers für das Verhalten der Bundesbehörden und sein Vor diesem Hintergrund ist mehrfach gefordert Versprechen. Diese unbestritten öffentlichkeits- worden, die Dauer der Stiftung nur von der Errei- wirksame Entschuldigung gilt nichts und hilft chung des Stiftungszwecks abhängig zu machen, den Betroffenen nicht, solange daraus keine an- d. h. die Stiftung so lange zur Zahlung zu verpflich- gemessene Entschädigung und soziale Absiche- ten, bis auch die letzten Ansprüche eines potentiell rung erwächst. Die jetzt vorgesehene Minimallö- Berechtigten befriedigt sind. sung zeigt mir erneut, daß ein Menschenleben in Wir haben diese Forderung in den Ausschußbera- unserer Zeit nicht viel we rt ist und die Politik tungen nicht aufgreifen können. Wenn das Stiftungs- nicht fähig ist, eine menschenwürdige Entschädi- vermögen einschließlich der damit zu erzielenden gungsregelung zu treffen.... Offenbar ist eine Zinsen ausgezahlt ist, ist die Stiftung automatisch be- kleine Gruppe der HIV-infizierten Bluter kein endet; denn es gibt keine erkennbaren Hinweise dar- ausreichend wichtiges Wählerpotential, als daß auf, daß die an der Errichtung der Stiftung Beteilig- sie für die Politik interessant wäre, zumal diese ten, schon gar nicht die in Frage kommenden Bun- Gruppe bald gänzlich verstummen wird und desländer, bereit wären, nach Erschöpfung der Stif- keine Kritik mehr äußern kann. tungsmittel eine Stiftung, d. h. eine Zustiftung, vor- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hätten zunehmen, um die Stiftungsdauer zu verlängern. Sie den SPD-Ministerpräsidenten vorlesen Gleichwohl gehe ich davon aus, daß dann, wenn sollen!) erkennbar werden sollte, daß nach Erschöpfung des Stiftungskapitals einschließlich der daraus erzielten Ich glaube, man muß das Gesetz unter dem Ein- Zinsen noch auf der Grundlage des heute zur Be- druck dieses Briefes, den die Ehefrau eines Betroffe- schlußfassung vorgelegten Gesetzes Leistungsan- nen am 12. Juni 1995 geschrieben hat, sehen; denn sprüche bestehen, die S tifter über eine Zustiftung be- während der Debatte über den Schlußbericht des raten und letztendlich wohl auch positiv beschließen 3. Untersuchungsausschusses am 20. Januar 1995 werden. war noch alles völlig anders. Ein kleines politisches Wunder wurde gewürdigt: welch seltene Einstim- Ich kann mir nicht vorstellen, daß nach Ablauf von migkeit über die Grenzen der Fraktionen hinweg, wieviel Jahren auch immer diese Stiftung erlischt welcher Respekt für die Geste des Ministers, der sich und möglicherweise ein geringer Anteil an Personen bei den Opfern und deren Angehörigen entschul- 3806 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Horst Schmidbauer (Nürnberg) digte, welche Hoffnungen bei den zahlreichen Op- Durch das, was die Koalition heute als Entschädi- fern, die uns von der Tribüne zuhörten, welche Zu- gungsgesetz zur Abstimmung stellt, wird die als bei- stimmung in der Öffentlichkeit, welch posi tives Echo spielhaft anerkannte Arbeit des Untersuchungsaus- in den Medien. schusses nachträglich konterkariert und die An- nahme des Schlußberichts durch den Bundestag ent- Heute, am 29. Juni 1995, bei der Debatte zum HIV- wertet. Durch das, was der Minister dem Bundestag Hilfegesetz: Das kleine Wunder ist der großen Ver- als Ergebnis seiner Verhandlungen präsentiert, wi- wunderung gewichen, die große Verwunderung dem derfährt den Opfern und ihren Angehörigen keine noch größeren 'Amer, der riesengroßen Enttäu- Gerechtigkeit. Was für ein klägliches, ja, was für ein schung. enttäuschendes Ergebnis! (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die wird von Ihnen doch ständig ge CSU]: Was für eine klägliche Vorstellung, schürt!) die Sie hier geben!) Zwischen Januar und Juni 1995 liegen eben Wel- Fünf zentrale Kritikpunkte machen es uns jetzt un- ten, von der Gemeinsamkeit im Untersuchungsaus- möglich, diesem Gesetzentwurf die Zustimmung zu schuß ist wenig geblieben. geben: Bei der Umsetzung der Empfehlungen für eine Erstens. Die völlig unzureichende finanzielle Aus- Entschädigungsregelung ist der Minister gescheitert. stattung der Stiftung. Die betroffenen Menschen fühlen sich nach den Zweitens. Die völlig unzureichende Beteiligung schäbigen Abfindungsvergleichen der 80er Jahre ein der Pharmaindustrie und der Versicherer. zweites Mal enttäuscht, ein zweites Mal getäuscht, ein zweites Mal unter Druck gesetzt. (Zuruf von der CDU/CSU: Und die Länder sehen Sie nicht? Die negieren Sie?) Öffentlichkeit und Medien lernen, daß Wunder in Bonn nur von begrenzter Dauer sind. Im Untersu- Drittens. Die Rentenzahlung statt einer Kapitalent- chungsausschuß waren wir uns einig: Nur die größt- schädigung angesichts der nur noch geringen Le- mögliche Gemeinsamkeit der Arbeit schafft die Vor- benserwartung der Opfer. aussetzung dafür, daß die Schuldigen endlich be- Viertens. Die fehlende Laufzeitgarantie der Stif- nannt und den Opfern endlich geholfen werden tung. kann. Fünftens. Die schweren verfassungsrechtlichen Be- Aus dieser Gemeinsamkeit haben sich die Koali- denken gegen den Haftungsausschluß. tragene Bundesregierung jetzt tion und die von ihr ge Zum ersten Kritikpunkt, der finanziellen Ausstat- verabschiedet. Da nützt auch der schönste Minister- tung der Stiftung: Sie, Herr Minister, müssen sich an ef nichts. Der Minister dankte mir am 7. Dezember bri den Vorgaben des Untersuchungsausschusses mes- 1994 für die gemeinsame Arbeit. Ich zitiere aus die- sen lassen. Der Ausschuß hat für eine Kapitalent- sem Brief: schädigung 350 000 DM pro Einzelfall als unteren Hier ist auf beispielhafte Weise parteienübergrei- Rahmen für angemessen erachtet. Für die minde- fende fundierte Arbeit geleistet worden. stens 2 000 Opfer und ihre Hinterbliebenen wären 700 Millionen DM nötig gewesen. Das Ergebnis sind (Zuruf von der CDU/CSU: Da hat er Sie si lediglich 250 Millionen DM. cher ausgenommen!) Zum zweiten Kritikpunkt, der Beteiligung der Es ist jetzt unsere gemeinsame Aufgabe, so rasch Pharmaindustrie und ihrer Versicherer: Der Unter- wie möglich dafür zu sorgen, daß allen durch Blut suchungsausschuß empfahl, bei der Entschädigungs- und Blutprodukte HIV-infizierten Menschen und regelung müßte die hauptverantwortliche Pharmain- ihren Angehörigen so rasch wie möglich finan- dustrie 60 % der Mittel für die Entschädigung auf- zielle Entschädigung zuteil wird. Der Untersu- bringen. Diese Empfehlung wird durch Sie, Herr Mi- chungsausschuß hat hierfür Wege aufgezeigt. nister, auf den Kopf gestellt: 60 % der Stiftungsmittel trägt jetzt nicht die Pharmaindustrie, sondern die öf- Eine unterschiedliche Bewertung der Entschädi- fentliche Hand. Die hauptverantwortliche Pharmain- gung für die Opfer war voraussehbar. Erschreckend dustrie dagegen kauft sich mit 100 Millionen DM aber ist, daß die Koalition jetzt auch die Gemeinsam- frei. Die Versicherungswirtschaft, die auf ihrem mit keit in der Bewertung der Katastrophe verlassen, also 800 Millionen DM prall gefüllten Pharmapool sitzt, offenbar den Rückzug auf der ganzen Linie angetre- beteiligt sich mit keiner müden Mark an dieser Stif-- ten hat. tung. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird der Wann, frage ich den Minister und die Koalition, größte deutsche Arzneimittelskandal als ,,weitge- wenn nicht bei der Blut-Aids-Katastrophe hätte die- hend unvermeidbar" bezeichnet. Für Kurzzeitge- ser Fonds der Pharmaindustrie aufgemacht werden dächtnisse sei in Erinnerung gerufen: Der Untersu- müssen? Wann, frage ich den Minister und die Koali- chungsausschuß kam einstimmig zu der Feststellung: tion, wenn nicht jetzt, hätte sich dieser Pool bewäh- 60 % der Infektionen waren vermeidbar, und deshalb ren müssen, dieser Pharmapool, der doch gerade ist für einen Großteil der Infektionen schuldhaftes nach Contergan für Arzneimittelgroßrisiken einge- Verhalten der Beteiligten ursächlich gewesen. richtet wurde? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3807

Horst Schmidbauer (Nürnberg) Fazit: Die Versicherungslösung im Arzneimittelge- Ernst fragen, ob Sie das, was Sie soeben gesagt ha- setz, die gerade als Schutz und Sicherheit für Patien- ben, aufrechterhalten wollen. Ich könnte verstehen, ten und Verbraucher gedacht war, hat ihre Daseins- daß Sie und viele andere - das habe ich schon vorhin berechtigung verloren. gesagt - über den Umfang des Ganzen und auch über Teile des Inhaltes enttäuscht sind. Aber die Un- Unabhängig davon, daß sich der Minister bei der terstellung, daß wir, das Ministerium und die Koali- Quote der Industrie und der Versicherungswirtschaft tion, ein schändliches Spiel mit dem Leben trieben, bei den Stiftungsmitteln nicht durchsetzen konnte, weil wir darauf spekulierten, daß bis zum Inkrafttre- bleibt auch der Anteil des Bundes selbst zu kritisie- ten weitere Opfer gestorben sind, ist so ungeheuer- ren. Denn Sie, Herr Minister, müssen sich auch an lich, daß ich Sie bitten möchte, das noch einmal zu dem messen lassen, was der Bund bei der Bewälti- überdenken. gung der Contergan-Katastrophe geleistet hat. Es ist nicht unser Prinzip, Opfer gegen Opfer aufzurech- (Beifall bei der CDU/CSU) nen. Dennoch ist festzustellen: Für den annähernd gleichgroßen Personenkreis bei Contergan hat der Bund allein bis heute rund 300 Millionen DM aufge- Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Ich darf bracht. Fazit: Von dem Vorwurf der Billiglösung ist wiederholen: Es wird auf diese Billiglösung speku- nichts zurückzunehmen. liert. Es ist durch die Anhörung sichtbar geworden, Ich denke, Sie werden hier heute wieder mit den daß durch die Vorgaben - die Ausgleichsbank muß 50 Millionen DM der Länder kommen. Sie zeigen mit die Kalkulationen auf Grund der 250 Millionen DM dem Finger auf die Länder, um davon abzulenken, machen - die begrenzte Lebenserwartung der Men- daß Sie bei Industrie und Versicherern gescheitert schen einbezogen wird. Das steht konträr zur Auffas- sind und der Anteil des Bundes unter dem Machba- sung des Untersuchungsausschusses und zu dem ren und Möglichen geblieben ist. Wollen der Menschen, die eine Kapitalentschädi- gung und keine Rente haben möchten. Die Rente im Aber es steht doch fest: Der Untersuchungsaus- Entschädigungsbereich war bei den Contergan- schuß hat aus verfassungsrechtlichen und zeitlichen Fällen angemessen, weil die Kinder ihr Leben lang Gründen die Verantwortung der Länder für die Kata- daraus eine Unterstützung und Förderung erfahren strophe überhaupt nicht untersucht. Dennoch beteili- müssen. Aber man kann keine Rentenlösung für gen sich die Länder freiwillig an der Stiftung. Vor Menschen machen, die nur noch eine begrenzte dem Hintergrund, daß insbesondere die neuen Län- Lebenserwartung haben. der überhaupt keine Mitverantwortung trifft, ver- dient er nicht die Schelte, sondern die Anerkennung (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE des Ministers. GRÜNEN und der PDS)

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deswegen ist das ein Verstoß gegen ethisches Emp- Dritter Kritikpunkt: Rente statt Kapitalentschädi- finden, wenn man mit dem Faktor der begrenzten gung. Die jetzt vorgesehene Rentenlösung im Rah- Lebenszeit Entschädigungsgesetze kalkuliert. men des HIV-Hilfegesetzes ist eine billige Lösung. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Die Billiglösung kalkuliert mit der nur noch geringen CSU]: Sie halten den Vorwurf also auf- Lebenszeit der be troffenen Menschen. recht?) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist unerhört!) - So ist es. Dies ist beschämend. Das Spiel mit der Zeit ist ein Vierter Kritikpunkt: Fehlende Laufzeitgarantie. Spiel mit dem Tod; denn Woche für Woche sterben Nach dem Willen der Koalition soll die Stiftung erlö- Opfer dieses Skandals. schen, wenn die Stiftungsmittel verbraucht sind. Die Koalition will das Risiko der ungenügenden finan- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Es läßt sich nicht ziellen Ausstattung der Stiftung nicht tragen. Statt mehr überbieten, was Sie hier machen!) dessen lädt die Koalition das Risiko ausgerechnet auf Die Infizierten empfinden die Rentenzahlungen des- den Rücken der schwächsten Gruppe der Opfer: der halb als zynisch. Sie haben oft nur noch Wochen oder hinterbliebenen Kinder. Ich frage Sie: Wieso gibt es Monate zu leben. bei der Contergan-Stiftung keine zeitliche Begren- zung, während es beim HIV-Entschädigungsgesetz eine solche zeitliche Begrenzung gibt? Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Schmidbauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Fünfter Kritikpunkt: Der verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Haftungsausschluß. Schlimm: Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Ja, selbst- Bundesregierung und Koalition setzen sich über ver- verständlich. fassungsrechtliche Bedenken hinweg. Haftungs- rechtler formulierten in der Anhörung des Gesund- heitsausschusses: Humanitäre Hilfe und Rechtsstaat- Bitte. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: lichkeit dürfen sich nicht ausschließen oder behin- dern. Darum ist der Haftungsausschluß als Übermaß- Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): regelung ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Herr Kollege Schmidbauer, ich möchte Sie in allem Die Opfer und ihre Angehörigen werden genötigt, 3808 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Horst Schmidbauer (Nürnberg) auf ihre Haftungsansprüche zu verzichten, wenn sie soll, wenn seine Feststellungen und Schlußfolgerun- die Leistungen der Stiftung in Anpruch nehmen wol- gen ein Jahr danach noch Gültigkeit haben, dann len. Das heißt, sie können ihre Ansprüche nach dem darf es das Seehofer-Almosengesetz nicht geben. AMG nicht mehr gerichtlich geltend machen. Statt Tabula rasa nur milde Gaben?

Jetzt kann man die Menschen verstehen, z. B. jene Wer meinte, Bundesgesundheitsminister Seehofer Frau, die einen Brief geschrieben hat. Jetzt verstehen würde hart durchgreifen und die Schuldigen in die wir ihre ohnmächtige Wut und Enttäuschung über Pflicht nehmen, sieht sich jäh enttäuscht. Die Haupt- eine Minimallösung, die sie als makaber, menschen- verantwortlichen sollen ungleich zu Contergan unbe- unwürdig und Ohrfeige empfinden. Die Stiftung ist schadet aus der Affäre kommen. Die Opfer haben eine soziale Hilfe für existentiell-materielle Lebens- das Nachsehen. Kann überhaupt Vertrauen in das belastungen, aber eben nicht mehr, kein Versuch des Parlament gerechtfertigt sein, wenn der Minister ein Ausgleichs, kein Versuch der Wiedergutmachung, Gesetz präsentiert, dessen Konditionen aussehen, als kein Versuch der Entschädigung. wären sie von der Pharmaindustrie selbst diktiert Trotz unserer grundsätzlichen Kritik haben wir im worden? Gesundheitsausschuß das Gesetz konstruktiv mitbe- Hat die Öffentlichkeit durch den Skandal die enge troffenen Menschen und ihre raten. Die Not der be Verbindung von Industrie und Verwaltung, von Bun- geringe Lebenserwartung zwingen uns, von einer desgesundheitsamt, Ärzten, großen Hämophiliezen- Blockadehaltung Abstand zu nehmen. Die SPD wird tren, wie Bonn eines hat, und der Praxisgemeinschaft sich deshalb heute enthalten. des industriell-medizinischen Komplexes erfahren, Aber um der Gefahr einer Geschichtsklitterung kann man heute getrost sagen: Wo viel Blut fließt, vorzubeugen, legt die SPD-Fraktion dem Bundestag fließt viel Geld. Die Hartherzigkeit und Arroganz die- zugleich einen Entschließungsantrag vor. ses Komplexes spüren die Opfer heute. Eine abschließende Bemerkung: Zwei nicht min- Was ist passiert? - Herr Seehofer präsentiert ein der wichtige Aufgaben liegen noch vor uns: Erstens. Hilfegesetz mit einem Be trag von 250 Millionen DM Die Verbesserung der Arzneimittelsicherheit, damit und einer Staatshaftung von zwei Dritteln; eine milde sich eine solche Arzneimittelkatastrophe nicht wie- Dreingabe von 100 Millionen DM aus der Portokasse derholen kann. Zweitens. Die Reform des Haftungs- der Industrie. Das ist alles. Dies ist das eine. rechts im Arzneimittelgesetz, das sich im Lichte der Katastrophe als ungeeignet erwiesen hat, den Arz- Das andere ist: Der Untersuchungsausschuß hat neimittelgeschädigten einen angemessenen Scha- einstimmig festgestellt, daß der Aids-Blutskandal densausgleich zu gewähren. weitgehend vermeidbar war. Mehr noch: Wirtschaft- liche Interessen waren mitverursachend für die HIV- Ich nenne nur die Stichpunkte, um die es hier geht: Blutinfektion. Hauptverantwortlich ist und bleibt die Beweislastumkehr bzw. Beweislasterleichterung für Pharmaindustrie. Die Annahme, daß diese ihre die Geschädigten, Festschreibung eines eigenen Schuld nach dem beachtlichen Parlamentsdokument Haftungsanspruches auch für mittelbar Geschädigte, anerkennt und die Regierung mit diesem Faustpfand Einführung eines Schmerzensgeldes, Abschaffung in der Hand dem Recht und vor allem dem morali- der Versicherungslösung und des Pharmapools durch schen Recht der Opfer zum Durchbruch verhilft, ist einen öffentlich-rechtlichen Fonds. Wir werden nicht weit gefehlt. Die Pharmalobby obsiegt. Der Minister länger hinnehmen, daß die Bewältigung dieser Auf- verlangt, daß die Opfer seine politische Niederlage gaben auf die lange Bank geschoben wird. Dies sind bezahlen. wir den Opfern schuldig. (Beifall bei der SPD und der PDS) Allein 600 Menschen sind bereits an dieser ver- meidbaren Infektion gestorben. 80 Hämophiliekranke gab es allein im letzten Jahr. Die noch Lebenden ha- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die ben keine Kraft und Zeit für einen mühsamen Kollegin Monika Knoche, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rechtsstreit. NEN. Eine großzügige, schnelle und unbürokratische Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Entschädigung ist das mindeste, was nun erwartet Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Da- werden kann. Der Pharmapool - eine Rückversiche- men! Alle wissen, daß unglaublich viele im Medizin- rung - ist mit steuerfreien Mitteln von bis zu 1 Mil- bereich, in der Verwaltung und Politik irreversible Ri- liarde DM aufgefüllt. Er ist für Großschadensfälle ge- siken eingegangen sind. 2 000 Menschen wurden schaffen worden. Die Pharmaindustrie weigert sich, durch medizinische Behandlung mit dem tödlichen ihre Schuld anzuerkennen. Die Möglichkeit einer HIV-Virus infiziert. Das Vertrauen in Gesundheits- freiwilligen Entschädigung ist vertan, weil die politi- politik und Ärzteschaft ist erschüttert worden. Zum sche Druckwelle zu einem lauen Lüftchen verkam. zweiten Mal offenbarte die Pharmaindustrie die Kartellrechtliche, arzneimittelrechtliche, haftungs- wahre Moral des Wettbewerbs und der Marktdomi- rechtliche und steuerrechtliche Maßnahmen gegen nanz. die Sozialpflichtverweigerer sind während der 12. Legislaturperiode versäumt worden. Die Macht Heute sollen die Opfer entschädigt werden. Wenn der Industrie ist anscheinend unantastbar. die Aufklärungsarbeit des unabhängigen dritten Un- tersuchungsausschusses nicht sinnlos gewesen sein (Zuruf von der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3809

Monika Knoche Vorausschauend hat der Untersuchungsausschuß Grund grober Verantwortungslosigkeit und Gewinn- einen Vorschlag gemacht: Schafft eine öffentlich- strebens durch Heilbehandlungen mit einem tödli- rechtliche Einrichtung nach § 12 des Pflichtversiche- chen Virus infiziert worden. Das alles war weitge- rungsgesetzes, die Beiträge gegen die Hauptverursa- hend vermeidbar. cher erheben kann. So hieß eine Empfehlung an den Bundestag. Danach wäre zwar eine Staatshaftung in Es ist das Gebot des Respekts vor den Geschädig- Höhe von 20 % gegeben, aber 80 % wären von Verur- ten und für mich eine Frage der Selbstachtung des sachem und Anwendern zu erheben. Parlamentes, diesen Regierungsentwurf zurückzu- weisen. Die Billiglösung der Regierung ist nicht zu Was die Regierung dem Bundestag vorlegt, ist für billigen. uns Grüne nicht zu akzeptieren. Am Tag der Anhö- rung zu diesem HIV-Hilfegesetz im Juni erlebte die Danke. Regierung ein Desaster. Rechtsexperten und die Ver- treter der Hämophilie- und Transfusionsopfer wiesen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ziel, Rechtskonstruktion sowie Art und Umfang der bei der SPD und der PDS) Hilfe samt der Ausschlußklauseln als - ich zitiere - unzulänglich, erpresserisch, sittenwidrig und ver- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der fassungsrechtlich bedenklich" zurück. Kollege Dr. Dieter Thomae, F.D.P. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie haben gebeten, schnell zu verab Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Herr Präsident! Sehr ge- schieden!) ehrte Damen und Herren! Das HIV-Hilfegesetz tritt Herr Minister Seehofer hat nichts weniger getan, an die Stelle des HIV-Hilfefonds, der zur Zeit huma- als die Tatsachenfeststellung des Untersuchungsaus- nitäre Hilfe leistet. Damit wird eine weitere Forde- schusses ins krasse Gegenteil zu verkehren. Weitge- rung des 3. Untersuchungsausschusses umgesetzt, hend unvermeidbar soll alles gewesen sein. Wenn nachdem die verschärften Sicherungsmaßnahmen im dem so war - meine Bemerkung: dem war nicht so! -, Bereich des Blutes und der Blutprodukte schon län- daß die Arzneimittelkatastrophe weitgehend unver- ger in Kraft sind. meidbar gewesen sei und deshalb humanitäre Hilfe Ich halte das Ergebnis vor dem Hintergrund, daß das Gebot der sozialstaatlichen Hilfe ist, warum wer- den dann bitte sehr nicht alle Infizierten und Kran- es sich um eine freiwillige Leistung handelt, gerade ken bedacht? Wenn alles Schicksal war und niemand für akzeptabel. 250 Millionen DM sind kein Affront gegenüber den Hilfebedürftigen, wie uns Herr schuld ist, gibt es eine Schicksalsgemeinschaft. Schmidbauer dies glauben machen wi ll. Alle, ob mit Blut oder durch Sex infiziert, haben die gleiche tragische Lebenszäsur zu bewäl tigen, denn Meine Damen und Herren, es sind auch keine Al- es gibt keine schuldigen oder unschuldigen Opfer. mosen. Ich möchte Sie bitten, einmal eine Rente ei- Welcher Zynismus spricht aus dieser humanitären ner älteren Dame und diese Beträge zu vergleichen, Hilferegelung, die den größten Personenkreis aus- die wir jetzt gerade noch geschafft haben. Daher von schließt? Aber diese Rechtskonstruktion ist notwen- Almosen zu sprechen, halte ich wirklich nicht für ak- dig gewesen, um der Pharmaindustrie eine Brücke in zeptabel. die Schuldlosigkeit zu bauen. Lassen Sie mich etwas ausführlich auf Kritik- Wir verlangen, was wir am Anfang der Haushalts- punkte kommen, die im Zuge des Gesetzgebungs- beratungen gesagt haben, jetzt 700 Millionen DM in verfahrens immer wieder vorgebracht wurden. den Haushalt einzustellen, also eine staatliche Vor- Erster Kritikpunkt: Höhe der Stiftungsmittel. Na- leistung. Das heißt: 350 000 DM Entschädigung für türlich wäre es uns allen viel lieber gewesen, wir hät- jede und jeden. Es bleiben alle über die Entschädi- ten eine großzügigere Regelung erfahren. Aber man gung hinausreichenden Ansprüche erhalten. Die muß mit der Realität leben. Ein Zwangsfonds war aus Rechtswege gegen alle Schädiger bleiben offen, rechtlichen Gründen nicht zu machen. So etwas geht ( [CDU/CSU]: Ich finde nicht für die Vergangenheit. 400 000 DM besser!) Es gab also nur die Alterna tive, eine freiwillige Lö- und anspruchsberechtigt sind genau die, die auch sung auf die Beine zu stellen. Hier möchte ich schon der Haushaltsausschuß in der gestrigen Nachtsit- dem Minister ausdrücklich danken, daß er trotz wid- zung als berechtigt festgelegt hat. Dazu gehören die riger Umstände 250 Millionen DM in zähen Verhand- Lebenspartner, Kinder und Eltern. lungen erbracht hat. - (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) aber nur die Eltern gefordert!) Sehr bemerkenswert finde ich in diesem Zusam- Diese Entschädigungsregelung orientiert sich an menhang, daß sich ganz besonders die SPD für eine den Vorschlägen des Untersuchungsausschusses. So Erhöhung der Mittel stark macht, daß aber in der kann heute eine sofortige umfassende materielle und Hauptsache die SPD-geführten Länder lediglich be- immaterielle Entschädigung der Opfer des zweiten reit sind, 50 Millionen DM für den Stiftungsfonds zur großen deutschen Arzneimittelskandals erreicht wer- Verfügung zu stellen. Sie haben doch jetzt die große den. Es bleibt festzustellen: Hier sind Menschen auf Chance, in Nordrhein-Westfalen oder auch in ge- 3810 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Dieter Thomae meinsamer Regierung in Hessen diese Mittel nen- Höhe von 250 Millionen DM zusammen. Auch ich nenswert zu erhöhen. Tun Sie es doch! empfinde es als außerordentlich unbef riedigend, daß berechtigte Ansprüche nicht l anger erfüllt werden (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) können, und daher hoffe ich ganz besonders, daß Wir haben Ihnen von der Bundesregierung zuge- von der Möglichkeit der Zustiftungen reger Ge- sagt, daß wir uns alle Mühe geben, dann die Mittel brauch gemacht wird. weiter aufzustocken. Aber reden Sie nicht hier im Fünfter Kritikpunkt: Ausschluß von Ansprüchen. Parlament, während Sie es versäumen, in den Län- Der Gesetzentwurf sieht vor, daß bei denjenigen, die dern politisch zu handeln. Tun Sie's! Leistungen der Stiftung in Anspruch nehmen, An- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - sprüche gegen die Bundesrepublik, das DRK, die Zuruf von der F.D.P.: Spruchbeutel sind es!) Pharmaunternehmen und die Länder erlöschen, mit Ausnahme der Zahlungen im Rahmen der Gewähr- Ausdrücklich wiederhole ich für die Koalition: Wir leistungshaftung des Arzneimittelgesetzes. würden alles versuchen; wenn die Länder bereit sind, hier mehr Mittel auf den Tisch zu legen, in den Ich kann gut verstehen, daß die Betroffenen dies Fonds einzuzahlen, werden wir a lles unternehmen, als einen Kernpunkt der Kritik ansehen, wenn sie ar- weitere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. gumentieren, daß sie auf Grund der geringen Le- benserwartung unter ungeheueren Druck geraten, Jetzt sind einmal die Länder am Zuge, und wenn die möglicherweise geringeren Leistungen der Stif- Sie, Herr Schmidbauer, Nordrhein-Westfalen genau tung in Anspruch zu nehmen, obwohl sie vielleicht in analysieren, müßte die Landesregierung do rt aus einem Rechtsverfahren Aussicht auf Erfolg hätten. Verantwortung erheblich mehr Mittel zur Verfügung Ein Verzicht auf den Haftungsausschluß im Hinblick stellen. Tun Sie es! Sprechen Sie es an! Sie stehen vor auf Schmerzensgeldansprüche kam aber nicht in Be- dem Abschluß der Koalitionsvereinbarung. Bringen tracht, weil dies ein Eckpunkt des Stiftungskonzepts Sie dies dort ein! ist. Die Stiftungsmitglieder haben ihre Zahlungsbe- (Zustimmung bei der F.D.P. und der CDU/ reitschaft an diese Voraussetzungen geknüpft. CSU) Auch wenn die SPD in ihrem Entschließungsan- So, meine Damen und Herren. trag fordert, auf den Haftungsausschluß zu verzich- ten, stellt sie einen wichtigen Eckpunkt des Gesetzes Der zweite Kritikpunkt, meine Damen und Herren, in Frage und gefährdet nach meiner Meinung damit hängt eng damit zusammen: Kapitalisierung der Lei- die erforderliche schnelle Hilfe für die Be troffenen. stungen. Das würden wir sofort machen, aber was tun die Länder? Die Länder zahlen in Raten, in vier Zum sechsten Kritikpunkt: Stichtag 1. Januar 1988. Raten. Also ist es aus diesem Grunde allein nicht Meine Damen und Herren, lassen Sie uns den Betrof- möglich, hier Renten sofort auszuzahlen. fenen schnellstmöglich Hilfe zuteil werden, auch wenn manche Verbesserung am Gesetzentwurf wün- Meine Damen und Herren, es ist fast unverständ- schenswert wäre. Wer aber wie BÜNDNIS 90/DIE lich für mich, wie sich hier die Länder aus der Ver- GRÜNEN und die PDS den Gesetzentwurf komplett antwortung herausziehen. Wir müssen doch einmal ablehnt, weil die Mittel zu gering sind, geht an der klar sehen, daß die Länder eine entscheidende Ver- Realität, vor allen Dingen aber an den Bedürfnissen antwortung bei diesem Skandal mittragen, nicht nur der Betroffenen brutal vorbei und be treibt Populis- der Bund. Wer ist denn zuständig für die Überwa- mus. chung? Wir können es uns bei der Lebenserwartung der (Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Von Betroffenen nicht leisten, in langwierigen Verhand- der Industrie reden Sie gar nicht mehr!) lungen weiter statt der bisher bereitgestellten 250 Millionen DM auf eine Erhöhung auf - Ja, Moment. Ich sage nur, die Länder können sich 700 Millionen DM zu „pokern". Dies wäre zynisch so nicht entziehen, wie es bisher passiert. Wenn die und - ich sage das - unverantwo rtlich. Länder Verantwortung haben, mögen sie zeigen, daß sie diese Verantwortung auch tragen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Dritter Kritikpunkt: Gleichbehandlung der Ange- Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. hörigen. In dem noch vorliegenden Gesetzentwurf Ich habe zwar Verständnis für die Forderung, die die wird ein Unterschied gemacht, ob eine infizierte un- SPD in ihrem Änderungsantrag aufstellt, auch Eltern terhaltspflichtige Person vor dem Zeitpunkt des In- infizierter Kinder zu Anspruchsberechtigten zu ma- krafttretens des Gesetzes verstorben ist oder danach. chen. Dieses Verständnis kann ich aber nur aufbrin- gen, wenn die SPD-Bundestagsfraktion auch darauf Durch einen Änderungsantrag der Koalition im hinwirkt, daß die in der Mehrheit SPD-geführten Gesundheitsausschuß wurde sichergestellt, daß un- Länder weitere 50 Millionen DM in den Fonds ein- terhaltsberechtigte Kinder eine Zahlung von bringen; denn ansonsten widerspräche sich die SPD 1 000 DM bis zum Abschluß der Berufsausbildung er- mit ihrer Forderung nach höheren Mitteln für den halten, unabhängig von einem bestimmten Stichtag. einzelnen und in ihrer Kritik an der Laufzeit der Stif- Vierter Kritikpunkt: Dauer der Leistungen. Meine tung selber. Denn jeder weitere Anspruchsberech- Damen und Herren, bisherige Berechnungen erge- tigte verkürzt nicht nur die Laufzeit der Stiftung, son- ben, daß der Fonds nach sieben Jahren auslaufen dern vermindert auch den Be trag, der dem einzelnen wird. Dies hängt mit der Begrenztheit der Mittel in Betroffenen zur Verfügung steht. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3811

Dr. Dieter Thomae Dies, meine Damen und Herren, sollten wir der „angemessen „ wirklich verdient. 60 % dieser Summe SPD als Hausaufgabe mitgeben. Wenn sie dazu be- sollten von den Pharmafirmen und vor allem deren reit ist, sind wir sicherlich ebenfalls dazu bereit. Versicherungen sowie den Blutspendeorganisatio- nen aufgebracht werden, 20 bzw. 15 % von Bund und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ländern. Nicht nur, daß jetzt nicht annähernd die notwendige Gesamtsumme erreicht wird; vor allem Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die auch das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ei- Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS. nerseits sowie der Indus trie und ihren Versicherun- gen andererseits hat sich völlig umgekehrt. Nicht die Hauptverursacher tragen jetzt die Konsequenzen, Dr. Ruth Fuchs (PDS): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Es ist jetzt etwa zehn Jahre her, daß sondern letztlich die öffentliche H and und damit doch der Steuerzahler. die Folgen der großen HIV-Arzneimittelkatastrophe den Betroffenen und ihren Angehörigen in ihrer gan- Am Ende hat sich auch in diesem Fall die gesell- zen Tragweite deutlich wurden. Im Ergebnis waren schaftliche Grundregel durchgesetzt: Gewinne sind bekanntlich über 2 000 Bluterkranke, aber auch an- zu privatisieren, Verluste zu sozialisieren. Und all dere Empfänger von Blut und Blutprodukten mit dem dies angesichts eines gut gefüllten Pharmapools, den tödlichen Aidsvirus infiziert worden. Inzwischen sind der Gesetzgeber eigens für solche Großrisiken ver- schon Hunderte der Opfer verstorben. ordnet und steuerlich entsprechend begünstigt hatte. Wie wir heute wissen, ist die Aufklärung dieses Drittens. Der jetzt erreichte Umfang des Fonds er- Geschehens jahrelang von einer unhei ligen Allianz laubt es nicht, den Opfern - wie vom 3. Untersu- aus staatlichen Behörden, Herstellern, Ärzten und chungsausschuß vorgesehen - eine Sofortentschädi- Rechtsprechung verhindert worden. Das trug nicht gung in Form eines einmaligen Kapitalbetrages von nur dazu bei, daß Gesetzgeber und Behörden lange mindestens 350 000 DM zu zahlen. Statt dessen sol- Zeit keine entsprechenden rechtlichen und organisa- len sie nur eine monatliche Rente in gestaffelter torischen Schlußfolgerungen aus der Katastrophe zo- Höhe erhalten. Aber, meine Damen und Herren, was gen, sondern auch dazu, daß die unmittelbar Betrof- im Fall von Contergan richtig war, geht hier an der fenen, ihre Angehörigen und Hinterbliebenen keine Lebenswirklichkeit der Be troffenen vorbei. auch nur annähernd adäquaten Entschädigungen er- hielten. Viertens. Selbst im Rahmen seiner eigenen Logik weist das vorliegende Gesetz erhebliche Mängel Strenggenommen, hält dieser Zustand trotz der im auf. Darauf ist vor allem in der Anhörung, aber auch Jahre 1993 von der Bundesregierung eingerichteten in der heutigen Debatte schon aufmerksam gemacht humanitären Soforthilfe noch immer an. Das bleibt worden. auch richtig, obwohl wir nicht übersehen, daß Mi- nister Seehofer in seinem Amt der erste war, der Die Verwirklichung des Vorschlags des 3. Unter- überhaupt, wenn auch unter großem Druck, begon- suchungsausschusses, auf freiwilliger Basis einen nen hat zu handeln. Dafür, aber auch für die Aner- Fonds zu bilden, in den Pharmaindustrie und ihre kennung staatlicher Mitschuld und für seine Bitte um Versicherungen sowie der Staat in adäquatem Um- Verzeihung an die Opfer hat er sich zu Recht Respekt fang einzahlen, wäre zweifellos die beste Va riante erworben. gewesen. Bekanntlich hatte schon der Ausschuß Schwierigkeiten vorausgesehen und für den Fall des Um so mehr muß der heute als Auftrag aus der Ar- Nichtzustandekommens einer solchen Lösung einen beit des 3. Untersuchungsausschusses vorliegende öffentlich-rechtlichen Fonds auf gesetzlicher Basis Gesetzentwurf enttäuschen. Seinem Anspruch, das vorgeschlagen. Gelänge auch das nicht, sollte der Problem abschließend zu regeln, und vor allem den Bund sofort in Vorleistung treten und die Haftungs- Hoffnungen der Opfer auf eine angemessene Ent- ansprüche an Stelle der Be troffenen geltend machen. schädigung wird er keineswegs gerecht. Meine Damen und Herren, unserer Meinung nach Folgende Gründe lassen eine andere Wertung muß dies die Handlungsmaxime von Parlament und nicht zu: Regierung bleiben. Erstens. Der 3. Untersuchungsausschuß hat be- Wir lehnen deshalb das vorliegende Gesetz ab und stimmen den Entschließungsanträgen von SPD und kanntlich das Verschulden vor allem der beteiligten Pharmafirmen und Blutspendeorganisationen, aber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu. auch von Bundes- und Landesbehörden festgestellt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Aber so, als stünde dies nicht schwarz auf weiß in dem von allen Parteien angenommenen Abschlußbe- (Beifall bei der PDS sowie des Abg. richt des Ausschusses, geht das vorliegende Gesetz Dr. Hansjörg Schäfer [SPD]) erneut von einer - ich zitiere - „weitgehend unver- meidbaren Arzneimittelkatastrophe" aus. Gleichzei- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der tig sollen die Empfänger von Stiftungsleistungen auf Kollege Dr. Hinrich Knaape, SPD. die vom Ausschuß begründeten Haftungsansprüche verzichten. Das ist eine inakzeptable Zumutung. Dr. Hans-Hinrich Knaape (SPD): Herr Präsident! Zweitens. Mindestens 700 Millionen DM sind nach Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses heute über ein Stiftungsgesetz abschließend ent- für eine Entschädigung notwendig, die das Prädikat scheiden, sollten wir uns, um Lehren zu ziehen, das 3812 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Dr. Hans-Hinrich Knaape Vorspiel noch einmal kurz ins Gedächtnis rufen - teschaft kein Summa-cum-laude-Zeugnis aus. Aber auch, da in Zukunft ständige Wachsamkeit gefordert auch der Gesetzgeber kann sich nicht ausschließen. ist. Denn die Möglichkeit des Auftretens neuer, bis- Wir sollten unser Versagen nicht dahinter verstek- her nicht bedachter schädlicher Wirkungen bei Arz- ken, daß wir uns darin gefallen, uns gegenseitig neimitteln ist immer gegeben, und Be troffene brau- polemisch, mit starken Worten - mitunter sogar in be- chen gesicherte Hilfe auf der Grundlage greifender schimpfender Weise - Vorwürfe zu machen. Gesetze, nicht nur ideell, sondern vor allem finan- ziell. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]) Was kompetenter ärztlicher Sachverstand erdachte und in die Therapie einführte, brachte für die an der Die Betroffenen haben das Recht - unser Verständ- Hämophilie Erkrankten Hoffnung, schuf bei ihnen nis ist auf ihrer Seite -, ihre Gefühle in jeglicher Form ein neues Lebensgefühl und festigte den Glauben an zu äußern. Wir Politiker sollten uns nicht nur mäßi die helfende und heilende Kunst der Ärzte. Das Ver- gen, sondern auch zurückhalten und alles daranset- trauen in die Sicherheit des Arzneimittels Blut war zen, nach befriedigenden und nicht nur tragenden sowohl bei den Ärzten als auch bei den Patienten ge- Lösungswegen für die Zukunft zu suchen. Wo geben, standen doch bekannte Namen von pharma- menschliches Leid die politische Auseinanderset- zeutischen Weltfirmen und das Deutsche Rote Kreuz zung bestimmt, darf nicht persönliche Profilierung mit seinem Blutmonopol in Deutschland für die Zu- die Handlungsweise lenken. verlässigkeit. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Als erste Mutmaßungen 1983 zum begründeten F.D.P.) Verdacht und dann zur Gewißheit wurden, daß ein durch Blut und Blutprodukte übertragenes Virus, Das, was zu sagen ist, kann auch in angemessener vermittelt durch diese Therapie, die Hämophilen mit Form behandelt werden. Aber offenbar - diese Lehre einer neuen, tödlichen Krankheit infizierte, trat fol- müssen wir ziehen - scheint im politischen Umgang gendes ein: miteinander, insbesondere wenn die Rechte einer be- troffenen Minderheit durchgesetzt werden müssen, Erstens. Ärzte therapierten weiter mit Hochdosen, am Anfang grober Ton und Umgang notwendig zu stellten Hypothesen pro und contra die neue Erkran- sein. Muß dies aber wirklich sein? kung auf und publizierten sie. Sie unterließen es aber weitgehend, ihre Patienten aufzuklären, die Unsere Gesetze sind nicht so vollkommen, daß für möglichen Konsequenzen in vollem Umfang zu alles bereits eine Regelung gegeben ist. Daß dies durchdenken und diese den Patienten mitzuteilen, nicht der Fall war, belegt doch gerade das anste- um ihnen eigene Entscheidungen in bezug auf die hende Stiftungsgesetz. Defizite sollten wir aber sofort Therapie anheimzustellen. aufgreifen und einer Lösung zuführen. Zweitens. Die blutverarbeitende pharmazeutische Wie im 3. Untersuchungsausschuß praktiziert, ha- Industrie wußte infolge ihres weltumspannenden In- ben wir durch kritisches, aber auch kompromißberei- formationsnetzes bald um die Gefahr, stoppte aber tes Aufeinanderzugehen von Regierungskoalition nicht die Verarbeitung des Blutes, schloß lediglich und Opposition gemeinsam getragene Entscheidun- besondere Risikospender aus und stellte nach langen gen über Zusammenhänge gefällt. Unsere Schlußfol- Übergangszeiten auf neue - mehr oder weniger vi- gerungen jedoch haben nicht das gebracht, was wir russichere - Produktionsverfahren um. wollten. Ich möchte fragen: Konnte das überhaupt er- Drittens. Die staatlichen Kontrollorgane in Bund reicht werden? und Ländern und auch die Bundesärztekammer tole- Es stimmt traurig, wenn gerade das gemeinsam be- rierten diese Vorgehensweise. Richtig und konse- schlossene, klare Untersuchungsergebnis dazu führt, quent Gedachtes blieb in den Schubladen. Bürokra- daß Verursacher nur durch Bitten und Drängen zur tie und mangelnde Durchsetzungskraft Wissender ta- Gründung der Stiftung bewegt werden konnten, wo ten ein Übriges, und die Zeit lief gegen die Patien- doch Pflicht gefordert wäre. Es geht nicht an - da ist ten. die Politik gefragt -, daß Betroffene durch eine Das Ergebnis keimen wir. Es beschämt uns. Was ist Menge einander aufhebender und sich widerspre- nun mit der Hilfe? chender Gesetzesparagraphen förmlich zugeschüttet und zum Schweigen gebracht werden und Hilfe aus- Der vorliegende Gesetzentwurf über humanitäre bleibt, weil die, die entschädigungspflichtig sind, Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen blockiert werden, da sie sonst an anderer Stelle ist tragfähig, aber nicht befriedigend. durch überzogene Forderungen an die Grenze ihres- (Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ finanziellen Leistungsvermögens gebracht würden. CSU]) Auf der anderen Seite sträuben sich weitere, zu zah- len, um nicht einem Präzedenzfall Vorschub zu lei- Es ist zwar eine Lösung, aber wird der Würde nicht sten. Ist das der Umgang miteinander? gerecht, mit der die infizierten Bluter ihre todbrin- gende Erkrankung durchleben, und stellt dem Staat Unsere Aufgabe ist es, die Voraussetzungen zu Bundesrepublik Deutschland, den deutschen Bun- schaffen, daß das Arzneimittelrecht mehr Sicherheit desländern und der blutverarbeitenden pharmazeuti- und Schutz, aber auch Bef riedigung von berechtig- schen Industrie, dem Deutschen Roten Kreuz und ten Ansprüchen Geschädigter zuläßt. Es bringt insbesondere auch Kollegen aus der deutschen Ärz nichts, wenn wir das gestörte Vertrauen gegenüber Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3813 Dr. Hans-Hinrich Knaape Ärzten, pharmazeutischen Herstellern, dem Deut- zustellen - das ist durch den Untersuchungsausschuß schen Roten Kreuz und auch gegenüber den auf- geschehen -, und wir haben die Möglichkeit, durch sichtsführenden Bundes- und Länderbehörden wei- finanzielle Hilfe die Lebenssituation der Be troffenen ter beschädigen. zu verbessern. (Zustimmung des Abg. Dr. Dieter Thomae Wir haben nach sehr zähen und schwierigen Ver- [F.D.P.]) handlungen Ende März der Öffentlichkeit ein Kon- zept für Hilfsmaßnahmen vorgestellt. Die Eckpunkte Der 3. Untersuchungsausschuß hat dazu beigetra- dieses Konzepts sind in dem Gesetzentwurf umge- gen, das Vertrauen wiederherzustellen, indem er un- setzt worden, der am 11. Mai 1995 von den Koaliti- voreingenommen die Sachverhalte und Zusammen- onsfraktionen im Deutschen Bundestag eingebracht hänge aufdeckte. Nur aus unseren Fehlern können worden ist und heute im Plenum abschließend bera- wir lernen; wir müssen uns aber auch zu ihnen be- ten wird. Damit lösen wir ein Wo rt ein, den Betroffe- kennen. nen so rasch wie möglich finanzielle Hilfe zur Verfü- gung zu stellen. Die Einlösung dieses Wortes sind wir An dem Gesetz unbefriedigend ist der geringe fi- ihnen schuldig. nanzielle Rahmen, mit dem die Stiftung ausgestattet ist. Zudem steht insbesondere der Kapitalstock nicht Ich möchte mich heute deshalb zuallererst aus- von Anfang an zur Verfügung. Auf der anderen Seite drücklich bei den Koalitionsfraktionen bedanken, die verzinsen sich Gelder, die für Entschädigungsleistun- dieses Gesetzesvorhaben von Anfang an mitgetra- gen vorgesehen sind, auf die aber nicht zurückge- gen und gefordert haben. Sicherlich kann man lange griffen werden kann, weil eine Schuldanerkennung über die Höhe der jetzt zur Verfügung stehenden Voraussetzung für diesen Zugriff wäre. Bleibt nur der Mittel streiten. Man muß sich aber immer wieder Appell an die Solidarität und die Hoffnung, daß frei- überlegen, vor welchem Hintergrund wir entschie- willige Zuwendungen an die Stiftung erfolgen. den haben. Es geht um schnelle finanzielle Hilfe. Die Betroffenen haben nicht alle Zeit der Welt. Des- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der halb wäre es moralisch nicht zu verantworten gewe- F.D.P.) sen, die Betroffenen durch Ankündigung neuer Ver- Es bleibt aber auch der Appell an die Spender in handlungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu ver- unserer Bevölkerung, zu bedenken, daß aus Blut le- trösten. bensnotwendige Medikamente gewonnen werden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und daß Blut ein besonderer Stoff ist, in dem sich vie- les aus der Umwelt, was wir in unseren Körper auf- Wir haben jetzt ein Ergebnis, das sich sehen lassen nehmen, wiederfindet. Dies schließt die Möglichkeit kann, und das ist für mich entscheidend. ein, daß diese Stoffe auch auf andere übertragen werden können, wenn das eigene Blut weitergege- Gerne hätte ich heute meinen Dank für die Unter- ben wird. Das, was zum bedenklichen Arzneimittel stützung des Stiftungsgesetzes auch der SPD-Frak- aus Blut führte, beginnt bei jedem Spender und legt tion ausgesprochen. daher Pflichten und Verpflichtungen auf. Mit dem (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Teilen kann Appell an die Solidarität a ller, wieder vermehrt Blut man das!) zu spenden, möchte ich schließen. - Ja, Teilen davon kann man das. So möchte ich mich Ich danke Ihnen, daß wir diese Debatte doch mit bei Ihnen, Herr Dr. Knaape, ausdrücklich bedanken. einiger Würde zu Ende gebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Danke. Sie haben auch Ihre Probleme mit dem Gesetzent- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der wurf. Sie könnten sich - wie wir alle - mehr vorstel- F.D.P.) len, aber die differenzierte Einlassung, die Sie zu die- ser außerordentlich schwierigen und sensiblen Ange- legenheit heute als Vertreter einer Oppositionsfrak- Das Wort hat Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: tion vorgetragen haben, zeigt, daß Sie ein Politiker Herr Bundesminister Seehofer. mit Format sind. Ich möchte mich dafür bedanken. Aber ein anderer Teil der SPD-Bundestagsfraktion Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: hat sich auch heute wieder sehr polemisch und ei- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und gentlich unverantwortlich eingelassen. Deshalb kann Herren! Wir wissen alle, daß wir den Menschen, die ich in diesen Dank nicht die gesamte SPD-Fraktion durch Blutprodukte infiziert wurden und infolgedes- einbeziehen. sen an Aids erkrankt sind, ihr tragisches Schicksal (Widerspruch bei der SPD - Ulrich Heinrich nicht mehr abnehmen können. [F.D.P.]: Sehr bedauerlich!) Ich weiß aus vielen Gesprächen, daß wir auch Tatsache ist: Der Gesetzentwurf ist mit den Län- kaum die Möglichkeit haben, den Be troffenen aus ih- dern, insbesondere mit den SPD-geführten Ländern, rer Verzweiflung über die Infektion und den Verlauf auf Punkt und Komma vereinbart. ihrer Krankheit herauszuhelfen. Aber wir haben als Politiker die Pflicht, durch eine Aufklärung der Sach- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wie war das mit verhalte Vertrauen bei den Betroffenen wiederher- den Grünen?) 3814 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Bundesminister Horst Seehofer Die Ministerpräsidenten haben sich vor wenigen Ta- Ich möchte trotzdem den Ministerpräsidenten aller gen noch einmal damit beschäftigt und ausdrücklich Bundesländer und den Gesundheitsministern und auch schriftlich festgehalten - das ist mir zur Verfü- -senatoren der Länder danken, daß auch sie ihren gung gestellt worden -, daß sie an ihrem Volumen Beitrag leisten. Alle Seiten mußten kompromißbereit von 50 Millionen DM festhalten. sein; es wäre sonst zu überhaupt keiner Lösung ge- kommen. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Gab es auch Koalitionen?) Ich möchte auch den Personen, die sich auf seiten der Unternehmen für eine humanitäre Hilfe einge- Herr Schmidbauer, das scheinen Sie vergessen zu setzt haben, danken, vor allem auch dem Präsiden- haben. Wenn Sie dieses Gesetz - ich zitiere Sie - „als ten des Deutschen Roten Kreuzes, der sich in der schlimmes Spiel mit den Todesängsten der Opfer des Endphase persönlich besonders engagiert hat, daß es Aids-Skandals" bezeichnen, auch auf der Seite des Deutschen Roten Kreuzes zu einer freiwilligen Lösung kam. (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) Meine Damen und Herren, auch ich persönlich kann mir vorstellen, ich hätte sie dann richtet sich dies auch gegen Ihre SPD-Minister- höhere Leistungen mir sogar gewünscht. Auch ich hätte mir gewünscht, präsidenten, die höhere Leistungen ausdrücklich ab- daß wir den Kreis der Berechtigten noch umfangrei- gelehnt haben und nicht einmal bereit waren, ihren cher hätten gestalten können. Beitrag in einer Gesamtsumme zu zahlen. (Dr. [SPD]: Sie hätten (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das entlarvt die sich auch bei der Industrie dafür einsetzen SPD!) können!) Herr Schmidbauer, wenn Sie von enttäuschten Kritiker müssen sich immer wieder vor Augen füh- Hoffnungen reden, müssen Sie sich die Erwiderung ren: Die Alte rnative zu der jetzt im Gesetz gefunde- gefallen lassen: Sie selbst setzen in unverantwortli- nen Lösung wäre gewesen: keine Lösung für die Be- cher, ja in schäbiger Weise gegenüber den Betroffe- troffenen. Es gibt keine Möglichkeit - da besteht nen Hoffnungen, die niemals erfüllbar sind, in die Übereinstimmung mit den Ländern -, die Beteiligten Welt und beschimpfen anschließend die Bundesre- rückwirkend zu verpflichten. Bis zum Schluß der gierung dafür, daß sie diese Hoffnungen nicht erfüllt. Verhandlungen war nicht sicher, ob überhaupt ein Ergebnis erzielt werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Unter diesen Umständen, meine Damen und Her- ren, betrachte ich die Summe von 250 Millionen DM als Erfolg und bin allen Beteiligten dankbar, die be- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister, reit sind, diesen Betrag auf freiwilliger Grundlage zu gestatten Sie eine Zwischenfrage? leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Nach dem nächsten Satz sehr gerne. Die Eckpunkte des Gesetzes sind bekannt: 250 Millionen DM sind verfügbar und werden durch Herr Schmidbauer, lassen Sie mich in allem E rnst eine Stiftung ausgezahlt. Unmittelbar und mittelbar sagen: Wie Sie sich zu diesem Thema bis zum heuti- vor dem 1. Januar 1988 HIV-Infizierte erhalten mo- gen Tage verhalten haben - das werde ich persönlich natlich 1 500 DM, an AIDS Erkrankte 3 000 DM. Kin- Ihnen nie vergessen -, ist ein abschreckendes Bei- der von verstorbenen Infizierten können bis zum spiel für Unkollegialität und Unseriosität. 25. Lebensjahr 1 000 DM monatlich beanspruchen. Ehepartner von verstorbenen Infizierten erhalten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ebenfalls 1 000 DM monatlich bis zum Ablauf von 5 Jahren. Herr Präsident, ich möchte meine gerade gege- Wesentlich ist, daß die infizierten und die an AIDS bene Zusage zurückziehen; denn ich möchte mich erkrankten Personen rückwirkende Leistungen ab aus bestimmten Gründen mit Herrn Schmidbauer dem 1. Januar 1994 beanspruchen können. Auf diese nicht mehr unterhalten. Weise können gleich zu Beginn der Leistungen Kapi- (Beifall bei der CDU/CSU) talbeträge zur Verfügung gestellt werden, die dem Wunsch vieler Be troffener nach Kapitalabfindung - Ich bin politische Streitkultur gewöhnt und habe sie zumindest teilweise - entgegenkommen. immer wieder praktiziert. Nur, meine Damen und Diese finanziellen Leistungen werden zusätzlich Herren, wenn jemand ein schlimmes Schicksal, ein zu bereits geleisteter Entschädigung und anderer fi- uns alle bewegendes Schicksal von einzelnen Men- nanzieller Hilfe, z. B. aus dem Fonds „Humanitäre schen zum Anlaß nimmt, gewissermaßen auf deren Soforthilfe", gezahlt, d. h., es gibt keinerlei Anrech- Rücken parteipolitische Spiele zu treiben, dann ist nung auf andere Hilfe- oder Sozialleistungen. meine Schmerzgrenze der politischen Streitkultur in der Bundesrepublik Deutschl and erreicht. Ich weiß, daß viele mit einer höheren Kapitalabfin- dung gerechnet haben. Deshalb habe ich sehr be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wußt am 20. Januar 1995 im Bundestag vor über- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3815

Bundesminister Horst Seehofer schwenglichen Hoffnungen gewarnt. Wir haben be- Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Herr Präsi- reits damals deutlich gemacht, daß wir nicht alle dent! Meine Damen und Herren! Zur Geschäfts- Wünsche und Vorstellungen umfassend werden er- grundlage will ich feststellen, daß ich keine anderen füllen können. Erwartungshaltungen geweckt habe als die, die der 3. Untersuchungsausschuß dem Bundestag empfoh- Ich halte fest, daß die jetzt vorgesehene finanzielle len hat, die dieser einstimmig angenommen hat Hilfe die Lebenssituation der Be troffenen nachhaltig verbessert. Das ist das Wesentliche, was zählt. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Meine Damen und Herren, ich möchte zu den gest- rigen Anträgen im Haushaltsausschuß und zu dem und zu denen der Minister erklärt hat, daß er sie aus- heute von der SPD gestellten Änderungsantrag in al- drücklich billige und trage. Nicht mehr und nicht we- lem Ernst etwas sagen, damit jeder weiß, was es be- niger habe ich getan. deuten würde, wenn heute hier oder demnächst im (Beifall bei der SPD) Bundesrat ergänzende Anträge zu diesem vorgeleg- ten Gesetzentwurf beschlossen würden. Meine Da- men und Herren, wir können die Be troffenen - und Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Wir kommen da besteht Übereinstimmung mit der Ansicht der jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen Bundesländer - nicht rückwirkend zu einer Leistung der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzent- gesetzlich verpflichten. Wir haben es hier mit einer wurf über die humanitäre Hilfe für durch Blutpro- Stiftung zu tun, die auf den freiwilligen Zusagen der dukte HIV-infizierte Personen, Drucksachen 13/1298 Beteiligten beruht und die gewissermaßen als Ab- und 13/1831. schluß dieser Verhandlungen in ein Gesetz gegossen Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der wird. SPD auf Drucksache 13/1858 vor, über den wir zuerst Alle Beteiligten haben mir bis zum heutigen Tag - abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsan- auch schriftlich - erklärt: Wenn dieses in schwierigen trag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag Verhandlungen ausgehandelte Konzept heute vom ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen Deutschen Bundestag oder demnächst vom Bundes- der gesamten Opposition abgelehnt. rat verändert wird, gilt dies als Wegfall der Ge- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der schäftsgrundlage, und wir müssen die Verhandlun- Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- gen von vorne beginnen. Dann haben wir zwar ein zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gesetz, aber die Beteiligten - ich sage das ausdrück- Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit lich, damit keine Überraschungen entstehen - wer- den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der den keine Hilfen zahlen, weil das auf dem Prinzip Opposition angenommen. der Freiwilligkeit beruht. Wir haben rechtlich keine Möglichkeit, diese freiwillig zugesagten Leistungen Dritte Beratung zwangsweise einzufordern. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, das zu berücksichtigen, wenn wir an- und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die schließend über den vorliegenden Gesetzentwurf ab- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- stimmen. Jede Veränderung des Konzepts führt ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der dazu, daß die Hilfe nicht sofort geleistet werden Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition bei kann. Enthaltung und bei Gegenstimmen der Opposi tion, und zwar bei der PDS, angenommen. Deshalb bitte ich alle, sich des Ernstes der Lage be- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- wußt zu sein. Außerdem bitte ich darum, diese Dis- ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache kussion endlich zu beenden. Wichtig ist nicht, daß 13/1832. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- wir jetzt lange debattieren und diskutieren; wich tig trag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent- ist, daß wir jetzt helfen. schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition Ich rechne fest damit, daß der Bundesrat dem Ge- abgelehnt. setz in seiner Sitzung am 14. Juli zustimmen wird. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Meine Damen und Herren, die Zustimmung durch ßungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Bundesrat und die Beschlußfassung heute in die- NEN auf Drucksache 13/1841. Wer stimmt für diesen sem Haus ist für die Betroffenen das wichtigste Si- Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltun- gnal. Es ist ein Signal dafür, daß wir in unserem gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stim- Lande nach langwierigen und schwierigen Verhand- men der Koalition bei unterschiedlichem Abstim- lungen zur praktizierten Nächstenliebe noch fähig mungsverhalten der SPD gegen die Stimmen des sind. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis e und Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die den Zusatzpunkt 2 auf: Aussprache. 4. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Zu einer Erklärung zur Aussprache erteile ich dem Waltraut Schoppe und der Fraktion BÜND- Kollegen Horst Schmidbauer das Wort. NIS 90/DIE GRÜNEN 3816 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Forum der Nichtregierungsorganisatio- Forum der Nichtregierungsorganisationen nen (NGO-Forum) auf der VN-Weltfrau- und Vierte VN-Weltfrauenkonferenz 1995 in enkonferenz in Peking Peking

- Drucksache 13/1427 — - Drucksache 13/1836 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für (federführend) die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgese- Auswärtiger Ausschuß hen. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen. Innenausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Frak- wicklung tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Kollegin b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rita Grießhaber. Dr. Edith Niehuis, Ch ristel Hanewinckel, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Chen Vierte Weltfrauenkonferenz der Verein- Minlin ist eine von vielen Frauen, die seit Jahren hin- ten Nationen vom 4. bis 15. September ter Gittern sitzen. Wie Amnesty Interna tional berich- 1995 in Peking tet hat, bestand ihr „Vergehen" da rin, daß sie als - Drucksache 13/1441 Lehrerin an ihrer Schule Informationsveranstaltun- gen organisiert und an Demons trationen für mehr —Überweisungsvorschlag: Demokratie in China teilgenommen hatte. Als sich Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach der Niederschlagung der Proteste 1989 im ge- (federführend) samten Land ein Klima des Terrors ausbreitete, Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß wurde Chen Minlin von einem ihrer Schüler denun- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- ziert. Sie wurde festgenommen und zu acht Jahren wicklung Freiheitsentzug verurteilt.

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten China ist das Gastgeberland der Vierten UN-Welt- Waltraut Schoppe, Rita Grießhaber, Irmin- frauenkonferenz. Bei der Entscheidung für Peking gard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordne- als Tagungsort spielten Menschenrechtsfragen keine ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Rolle. Um so mehr kommt es darauf an, die Teil- GRÜNEN nahme von Delegationen aus der Bundesrepublik Menschenrechte und Demokratie für ganz stark dazu zu nutzen, daß die Frage der Men- Frauen verwirklichen schenrechte auf der Tagesordnung der Weltfrauen- konferenz einen herausragenden Platz einnimmt. - Drucksache 13/1551 — Überweisungsvorschlag: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (federführend) Auswärtiger Ausschuß Wir haben in unserem Antrag „Menschenrechte Innenausschuß und Demokratie für Frauen verwirklichen" darauf Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- hingewiesen, daß die Anerkennung der unteilbaren wicklung und universellen Menschenrechte für Frauen durch- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten zusetzen ist. Dabei müssen insbesondere die Men- Christina Schenk, Pe tra Bläss, Heidemarie schenrechtsverletzungen an Frauen in China selbst Lüth, weiterer Abgeordneter und der zur Sprache kommen. Das betrifft Zwangssterilisatio- Gruppe der PDS nen genauso wie Zwangsabtreibungen; es bet rifft aber auch die von China gegenüber Tibet prakti- Weltfrauenkonferenz zierte Zwangsumsiedlungspolitik und Bevölkerungs- politik. - Drucksache 13/1622 - e) Beratung des Antrags der Fraktionen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) NEN und F.D.P. Menschenrechte von Frauen und Mädchen sind Vierte Weltfrauenkonferenz vom 4. bis unveräußerlicher, integraler und untrennbarer Be- 15. September 1995 in Peking standteil der allgemeinen Menschenrechte und un- terliegen keinerlei religiösen, kulturellen oder tradi- Mehr Chancen für Frauen in Entwick- tionellen Einschränkungen; darauf möchte ich hin- lungsländern weisen. Hinter diese Feststellung der UN-Menschen- - Drucksache 13/1837 - rechtskonferenz in Wien 1993 dürfen die Beschlüsse von Peking nicht zurückfallen. Ich fordere Sie, Frau ZP2 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ Nolte, als deutsche Delegationsführerin dazu auf, CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sich ganz energisch dafür einzusetzen, daß solche F.D.P. Rückschritte nicht eintreten. Konkret bedeutet das, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3817 Rita Grießhaber daß gesetzliche Vorgaben zur Geburtenkontrolle, zu aufnehmen, statt ihn ge trennt zu veröffentlichen? Klitorisbeschneidungen oder anderen Verstümme- Das war wirklich nicht nötig. Ich finde, Sie sollten ei- lungen über internationale Abkommen als Men- nen neuen Anlauf nehmen und in Zukunft kooperati- schenrechtsverletzungen zu bekämpfen sind. ver arbeiten.

Die Weltfrauenkonferenz wird insgesamt sehr Das Ziel der Weltfrauenkonferenz soll sein, die Zu- stark vom Engagement der Frauengruppen und den sammenarbeit zwischen den Regierungen und den Problemen der Frauen in der sogenannten Dritten praxisnäher arbeitenden Nichtregierungsorganisa- Welt geprägt sein. Schuldenkrise, Strukturanpas- tionen zu verbessern. Wir empfehlen Ihnen wirklich, sungspolitik und steigende Inflationsraten, aber ge- auf dem vorher eingeschlagenen Weg stärker fortzu- nauso interne Probleme wie Korruption und Mißwirt- fahren. schaft führen in Entwicklungslände rn zu einer Ero- Ein weiterer Punkt - dazu gibt es einen interfrak- sion im sozialen und wirtschaftlichen Bereich. tionellen Antrag - ist die Teilnahme aller Frauen- Preise für Grundnahrungsmittel steigen drastisch an; gruppen in Peking, die das wollen. Es darf nicht sein, Geld für Wasser, Mieten, Schulgeld und Geld für me- daß die chinesische Regierung Druck auf die Verein- dizinische Versorgung sind oft kaum mehr aufzubrin- ten Nationen ausübt, daß Lesben, Prostituierte oder gen. Bei ohnehin niedrigstem Haushaltsbudget be- Exiltibeterinnen von der Teilnahme ausgeschlossen deutet dies, daß Frauen, die dafür sehr oft allein ver- werden. antwortlich sind, häufig nicht mehr wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen - und das bei wachsen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Arbeitsbelastung, die u. a. auch einer fortschrei- bei der SPD und der PDS) tenden Umweltzerstörung geschuldet ist. Wenn die Weltgemeinschaft beschlossen hat, die Wir wollen, daß Projekte endlich näher an der Le- Weltfrauenkonferenz in China zu veranstalten, dann bensrealität von Frauen orientiert sind und daß ihre mit allen Frauen dieser Welt und nicht nur mit de- Art des Wirtschaftens, die zumeist die ökologischere nen, die der chinesischen Regierung genehm sind. ist, gefördert wird. Frauen wie Männer sollen glei- (Beifall im ganzen Hause) chermaßen die Verantwortung für die gesellschaftli- che, ökonomische, politische und kulturelle Entwick- lung ihrer Gesellschaft tragen. Nehmen wir diesen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Maßstab, meine Damen und Herren, ist der Blick auf Bundesministerin, Frau Nolte. unsere bundesrepublikanische Realität beschämend.

In einem hochentwickelten Land wie der Bundes- Claudia Nolte, Bundesministerin für Familie, Senio- republik Deutschland haben wir es Ende des ren, Frauen und Jugend: Herr Präsident! Meine Da- 20. Jahrhunderts immer noch nicht geschafft, daß men und Herren! Es sind nur noch wenige Wochen Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt an al- bis zum Beginn der Vierten Weltfrauenkonferenz, ei- len Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilha- ner Aktion für Gleichberechtigung, Entwicklung und ben. In der Bundesrepublik wird es - das wird seit Frieden, die vom 4. bis 15. September 1995 in Peking der Vereinigung vorgeführt - durch die Ausschlie- stattfinden wird und die für mich den vorläufigen Hö- ßung von Frauen in bestimmten Bereichen schlim- hepunkt in einer Reihe von Weltkonferenzen bildet, mer, als es vorher war. Fortschritte werden nicht er- die deutlich gemacht haben, daß die weltweite Stär- zielt. kung der Frauenrechte eine unabdingbare Forde- rung der Völkergemeinschaft ist. Ohne eine Verbes- Denken Sie an die Runden Tische der Wendezeit serung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen in den neuen Bundesländern! Dort hatten wir eine Teilhabe der Frauen läßt sich Politik in keinem der Teilnahme von Frauen, sie waren überall präsent und für die Zukunft der Menschheit so entscheidenden überall aktiv mitbeteiligt. Wo sind sie heute, wie ist Bereiche erfolgreich gestalten. ihre Repräsentanz in der Politik? Sie sind zurückge- Mit der Zusammenführung der Ergebnisse des drängt worden, sie sind verschwunden, und es sind Umweltgipfels in Rio 1992, der Menschenrechtswelt- nur noch einige wenige übriggeblieben. Was die Er- konferenz in Wien 1993, der Weltbevölkerungskon- werbsarbeitsquote angeht, so lag sie in der ehemali- ferenz in Kairo 1994, des Sozialgipfels in Kopenha- gen DDR Ende der 80er Jahre bei ungefähr 90 %. In- gen im März dieses Jahres im Abschlußdokument zwischen ist nur noch die Hälfte dieser Frauen er- der Vierten Weltfrauenkonferenz soll, wie Gertraude werbstätig. Die übrigen sind aus dem Berufsleben Mongella, die Generalsekretärin der Pekinger Konfe- herausgedrängt worden. Diese Dinge sind in dem renz, ihren Anspruch formulierte, „das Schlüsseldo- Beri cht der Bundesregierung nicht kritisch beleuch- kument für die soziale Entwicklung im 21. Jahr- tet. hundert" geschaffen und sollen damit wich tige Wei- chenstellungen für die Zukunft der Menschen vorge- Es gab eine neue Form der Zusammenarbeit mit nommen werden. den Nichtregierungsorganisationen. Wir stellen dies als einen erfreulichen Fortschritt fest. Aber, Frau Das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung und Nolte, warum nicht gleich den zweiten Schritt ma- die Verbesserung ihrer politischen, sozialen, wirt- chen - ich weiß, es geschah unter Ihrer Vorgängerin, schaftlichen und gesundheitlichen Situa tion sind Frau Merkel - und den Be richt der Nichtregierungs- nicht nur Voraussetzung für die Gleichberechtigung organisationen in den offiziellen Regierungsbericht der Geschlechter und für die Gewährleistung der 3818 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Bundesministerin Claudia Nolte Menschenrechte an sich. Dies sind vielmehr auch schenrechtsverletzungen in China vor. In meinem notwendige Grundlagen für die nachhaltige, erfolg- Gespräch mit der Vizepräsidentin des chinesischen reiche Wirkung z. B. aller Bevölkerungs- und Ent- Volkskongresses und Vorsitzenden des Allchinafrau- wicklungsprogramme. enverbandes, Frau Chen Muhua, habe ich mich ent- schieden gegen die Diskriminierung von Mädchen Weltweit haben insbesondere in den letzten zwei sowie die Einkindpolitik mit Zwangsabtreibungen Jahrzehnten die Frauen durch ihre Aktivitäten, und Zwangssterilisationen als eklatante Menschen- durch beständiges und zähes Ringen dazu beigetra- rechtsverstöße gewandt und meine Hoffnung zum gen, daß ihre Situa tion ins Blickfeld gerückt wurde, Ausdruck gebracht, daß die Konferenz posi tive Aus- daß das Gebot der Gleichberechtigung und Förde- wirkungen auf die Menschenrechtssituation in China rung von Frauen von der Staatengemeinschaft aner- insgesamt haben wird. kannt wurde. Auf dieser Grundlage gilt es, in Peking die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Si- Meine Damen und Herren, für die Bundesregie- tuation von Frauen zu richten und sie für die nach rung steht fest, daß die Aktionsplattform von Peking wie vor vorhandenen Ungleichgewichte zwischen auf den Ergebnissen von Rio, Wien, Kairo und Ko- den Geschlechtern zu sensibilisieren. Die Hinder- penhagen aufbauen muß. Die auf diesen Konferen- nisse für die rechtliche, ökonomische, soziale und zen von der Staatengemeinschaft im Konsens akzep- kulturelle Gleichberechtigung von Frauen sind zu tierten Grundsätze müssen jetzt auf der Weltfrauen- benennen und vor allem Maßnahmen zu deren Be- konferenz in konkrete Handlungsstrategien umge- seitigung zu formulieren. Von Peking muß ein Signal setzt werden. Das gilt für mich nicht nur für die Men- für Gleichberechtigung, für Entwicklung und für schenrechte, sondern auch z. B. für die in Kairo er- Frieden ausgehen. reichte Übereinkunft über Fortpflanzungsrechte und Fortpflanzungsgesundheit oder die in Kopenhagen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vereinbarte 20/20-Regelung in der Entwicklungspoli- Dem Abschlußdokument dieser Konferenz wird tik. Ich bin entschlossen, alles dafür zu tun, daß diese daher eine besondere Bedeutung zukommen. Leider Ergebnisse weiterentwickelt werden. Dazu brauchen wird dessen Vorbereitung diesen hohen Anforderun- wir aber die Zustimmung aller an dieser Konferenz gen noch nicht gerecht. Der Entwurf für die Aktions- beteiligten Staaten. Dies wird, wie die Erfahrungen plattform läßt zu vieles noch offen: die Möglichkeit, der Vergangenheit zeigten, nicht leicht sein. durch zähes Ringen und harte Detailarbeit in Peking daraus das Schlüsseldokument zu machen, aber Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen auch die Möglichkeit, hinter das bisher Erreichte zu- Bereichen und auf allen Ebenen des politischen, ge- chen Lebens ist für rückzufallen. Grundsätzlich strittig sind nach wie vor sellschaftlichen und wirtschaft li mich und meine Kolleginnen in der Europäischen z. B. wichtige Passagen zu Menschenrechten, zu Fortpflanzungsrechten und Fortpflanzungsgesund- Union ein zentrales Anliegen. heit, zu Bildung und Ausbildung. Im internationalen Vergleich schneiden wir in Für die Bundesregierung hat die Anerkennung Deutschland hinsichtlich Bildung und Berufsausbil- und Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen dung von Frauen gut ab. Rechtlich sind Frauen Män- als eines integralen Bestandteils der unteilbaren, un- nern hinsichtlich des Zugangs zu allen Ressourcen veräußerlichen und universellen Menschenrechte in gleichgestellt. Dennoch kann auch in Deutschland Peking Priorität. Es ist gut, daß wir dabei die breite nicht von einer gleichberechtigten Teilhabe von Unterstützung aller Fraktionen des Deutschen Bun- Frauen in allen Lebensbereichen gesprochen wer- destages haben. Ohne die Wahrung der Menschen- den. Die hohe Arbeitslosigkeit und die Situation der rechte von Frauen und Mädchen ist Gleichberechti- Frauen insbesondere in den neuen Bundesländern, gung zwischen den Geschlechtern nicht zu errei- die Vertretung in parlamentarischen Gremien, in den chen. Parteien, die Stellung von Frauen im Beruf sowie die Einkommenssituation von Frauen, die Situa tion be- Für mich geht es in Peking nicht nur darum, sich hinderter Frauen, die Doppelbelastung von Frauen auf die Formulierung der Menschenrechtsweltkonfe- durch Familien- und Erwerbsarbeit verdeutlichen renz zu beziehen. Wir müssen diese bestärken und dies beispielhaft. konkrete Strategien entwickeln, damit Regierungen und Institutionen ihre Bemühungen verstärken, die Der Bericht der Bundesregierung für die Vierte Menschenrechte von Frauen und Mädchen zu schüt- Weltfrauenkonferenz nimmt zu diesen und anderen zen und zu fördern. Geschlechtsspezifische Gewalt kritischen Punkten klar Stellung. Zum Beispiel stellt und alle Formen der sexuellen Belästigung und Aus- er fest: beutung sind unvereinbar mit der Würde des Men- - schen, sind Menschenrechtsverletzungen, die be- Das Einstellungsverhalten der Betriebe zeigt kämpft werden müssen. Dazu gehören insbesondere deutlich, daß männliche Bewerber um Ausbil- Vergewaltigungen, Frauenbeschneidungen, vorge- dungsplätze bevorzugt eingestellt werden. burtliche Selektion je nach dem Geschlecht des Kin- Er macht deutlich, daß auch in Deutschland weitere des, Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisatio- Fortschritte zu mehr Gleichberechtigung dringend nen. notwendig sind. Mit der Grundgesetzergänzung, Vor diesem Hintergrund stellt sich die Auswahl des dem Gleichberechtigungsgesetz, den frauenspezifi- Tagungsortes der Konferenz als sehr problematisch schen Regelungen zur Arbeitsmarktpolitik und mit dar. Uns liegen verschiedene Berichte über Men der Anerkennung von Pflege- und Erziehungslei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3819 Bundesministerin Claudia Nolte stungen in der Rente haben wir bereits wich tige Peking wird aber nur eine Etappe bleiben. In je- Etappen zurückgelegt. Ich wünsche mir - und dafür dem Fall wird es notwendig sein, über die Vie rte arbeite ich -, daß wir in diesen Bereichen zu weiteren Weltfrauenkonferenz hinaus den in Gang gesetzten Fortschritten kommen werden. Dialog fortzusetzen. Auf einer Konferenz mit den an der nationalen Vorbereitung beteiligten Frauen wol- Meine Damen und Herren, parallel zur Regie- len wir die Ergebnisse von Peking auswerten und rungskonferenz findet das Forum der Nichtregie- diskutieren. Mein Ziel ist es, so den Impuls aus der rungsorganisationen statt. Zu diesem Frauenforum Vorbereitung und aus der Weltfrauenkonferenz haben sich 36 000 Personen angemeldet, und es gibt selbst auch nach Peking für unsere na tionale Gleich- rund 5 000 Anfragen in bezug auf Veranstaltungen berechtigungspolitik zu nutzen. oder Stände. Die Behandlung dieses Forums durch das Gastge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) berland hat in den letzten Monaten zu Recht zu wachsendem Unmut und weltweitem Protest geführt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Im April dieses Jahres wurde es von der chinesischen Kollegin Dr. Edith Niehuis. Regierung von Peking nach Huairou, rund 50 km vom Veranstaltungsort der Vierten Weltfrauenkonfe- renz entfernt, verlegt. Ich habe zu dieser Vorgehens- Dr. Edith Niehuis (SPD): Herr Präsident! Sehr ge- weise Chinas mehrfach eindeutig Stellung genom- ehrte Kollegen und Kolleginnen! Als 1985 auf der men; denn für mich ist der Austausch von Informatio- Dritten Weltfrauenkonferenz in Nairobi ein umfang- nen und Ansichten zwischen den Teilnehmerinnen reiches Strategiedokument und Resolutionen zum der Regierungskonferenz und des NRO-Forums ele- Thema „Gleichheit - Entwicklung - Frieden" be- mentar. Er gehört zur guten Tradi tion pluralistischer schlossen wurden, hofften die Frauen der Welt, daß und demokratischer Kultur. sich ihre Situation von nun an verbessern würde, daß die Gleichstellung von Frauen voranschreiten würde. Seit einigen Tagen ist nun endgültig klar, daß es Zehn Jahre danach müssen wir feststellen, daß sich bei Huairou als Ort des Forums der Nichtregierungs- hier und dort zwar die rechtliche Situation der organisationen bleiben wird. Trotz weltweiter Inter- Frauen verbessert haben mag, die tatsächliche Situa- vention, nicht zuletzt durch die Europäische Union, tion allerdings nicht. Ganz im Gegenteil: Die Frauen- war die chinesische Regierung nicht bereit, Räum- armut ist seither weltweit gewachsen - auch in der lichkeiten zentral in Peking zur Verfügung zu stellen. Bundesrepublik. Die Frauenarbeitslosigkeit hat welt- Ihre Zusage, die technische Ausstattung und die Ver- weit zugenommen - auch in der Bundesrepublik. Ge- kehrsanbindung vom Forum zur Regierungskonfe- walt gegen Frauen existiert ungebremst öffentlich renz zu verbessern, ist für mich nur eine Notlösung. und im verborgenen. In der Bundesrepublik guillen Die EU-Präsidentschaft hat, damit die Zusagen un- Frauenhäuser über. Frauen leiden als Migrantinnen bedingt eingehalten werden, die Absicht geäußert, und Flüchtlingsfrauen - auch in der Bundesrepublik. eine Demarche an die chinesische Regierung zu rich- Mädchen- und Frauenhandel nimmt zu - besonders ten. Ich habe dies ausdrücklich unterstützt. auch in Europa. Durch die räumliche Trennung ist eine fruchtbare Die Menschenrechte der Frauen werden weltweit Kommunikation zwischen Forum und Regierungs- verletzt. Die Situa tion der Frauen hat sich nicht ver- konferenz zumindest erheblich erschwert. Auch Par- bessert, sondern verschlechtert. Frauenfeindliche lamentarierinnen ist außerhalb der Regierungsdele- Tendenzen nehmen zu. So mancher schwer er- gation eine angemessene Beteiligung nicht möglich. kämpfte Fortschritt ist gefährdet, und manchmal Aus diesem Grund habe ich entschieden, weitere auch in der Bundesrepublik. Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen Zu Recht erwarten die Frauen von der Vierten und Parlamentarierinnen in die offizielle Regierungs- Weltfrauenkonferenz in Peking, daß dort Beschlüsse delegation aufzunehmen. gefaßt werden, die ganz konkrete Schritte zur Durch- Der regelmäßige Informationsaustausch mit deut- setzung der Menschenrechte von Frauen und zur schen Nichtregierungsorganisationen - sowohl de- Umsetzung der Gleichstellung beinhalten. Weltfrau- nen, die am NRO-Forum teilnehmen, als auch denen, enkonferenzen sind Regierungskonferenzen, d. h. die zur Regierungskonferenz zugelassen werden - ist die Regierungen müssen sich bewegen, wenn sich mir ein wichtiges Anliegen. Wir werden daher recht- überhaupt etwas für die Frauen bewegen soll. Darum zeitig Vereinbarungen für Gespräche vor Ort treffen, hat jede Frau, denke ich, zunächst auf ihre eigene um auch auf diese Weise Bedingungen für eine mög- Regierung zu schauen, wenn sie ihre Erwartung um- lichst reibungslose Kommunikation zu schaffen. gesetzt sehen will. Ein Blick auf die deutsche Regie- rung gibt leider keinen großen Anlaß zur Hoffnung. Abschließend möchte ich an dieser Stelle die Gele- genheit nutzen, all den Frauen herzlich zu danken, Weltfrauenkonferenzen haben nur eine Chance die in ihren Organisationen, aber auch im nationalen auf Erfolg, wenn zwei Punkte gewährleistet sind: Er- Vorbereitungskomitee und in den Arbeitsgruppen stens. Regierungen müssen bereit sein, eine kritische zur nationalen Vorbereitung der Vierten Weltfrauen- Bestandsaufnahme über die Situa tion der Frauen konferenz beigetragen haben durch Informations- zehn Jahre nach Nairobi vorzunehmen, Defizite auf- und Diskussionsveranstaltungen und vor allem durch zuzeigen und konkretes Regierungshandeln anzu- in akribischer Kleinarbeit erarbeitete Stellungnah- kündigen. Zweitens. Regierungen müssen bereit men zur Aktionsplattform. sein, in der Vorbereitungsphase, in der Umsetzungs- 3820 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Edith Niehuis und Nachbereitungsphase den kritischen Dialog mit Liest man den Bericht über die Gleichstellung der den Frauennetzwerken, mit den Nichtregierungsor- Frau im Erwerbsleben, dann stellt man fest, daß die ganisationen zu führen. In beiden Punkten hat die Bundesregierung über noch so eindeutige Zahlen Bundesregierung in der Vorbereitungsphase versagt. der Frauenbenachteiligung mit einer Nonchalance hinweggeht, daß es Frauen nur empören kann. So (Beifall bei der SPD) heißt es in dem Be richt wortwörtlich, Teilzeitarbeit Als das damalige Ministerium für Frauen und Ju- sei eine Domäne der Frauen, gend 1992 das nationale Vorbereitungskomitee (Christel Hanewinckel [SPD]: Das kann gründete, in dem überwiegend Frauen aus Nichtre- doch nicht wahr sein!) gierungsorganisationen mitwirkten, und Frauen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen auf- und die geringfügigen sozialversicherungsfreien Be- gefordert wurden, in zwölf Arbeitsgruppen zu schäftigungen spielten für Frauen eine große Rolle. Aspekten der Frauenpolitik mit Blick auf die Welt- frauenkonferenz tätig zu werden, war dies ein guter (Christel Hanewinckel [SPD]: Eine Schande!) Start. Schließlich entsprach dies einer Aufforderung Welch eine Erfolgsstory der erwerbstätigen Frau, der Vereinten Nationen, den Vorbereitungsprozeß könnte man meinen. zur Stärkung des Frauennetzwerkes und der Frauen- politik zu nutzen. Die Frauen bei uns haben zwei Leider versäumen Sie, in Ihrem Be richt das tragi- Jahre lang engagiert gearbeitet. Doch leider, muß ich sche Ende dieser Erfolgsstory mitzuerzählen. Sie be- sagen, war die Bundesregierung eine unzuverlässige haupten ganz im Gegenteil, in Deutschland gebe es Partnerin. keine Altersarmut. Daß vier Fünftel der über 65jährigen Sozialhilfeempfänger Frauen sind, wird (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ geflissentlich verschwiegen. Daß Frauen nur 42 % DIE GRÜNEN) der durchschnittlichen Rente der Männer erhalten, Anders als zugesagt hat die Bundesregierung es findet man wohl im Statistik-, aber nicht im Analyse- vermieden, die Ergebnisse der zwölf Arbeitsgruppen teil, wohin es eigentlich gehört hätte. in ihrem nationalen Bericht zu verarbeiten. Sie hat es Indem Sie Daten verschweigen und Zusammen- vermieden, die Ergebnisse der Arbeitsgruppen als hänge nicht herstellen, führen Sie die Weltöffentlich- Anhang zum nationalen Bericht zu veröffentlichen. keit mit Ihrem Bericht über die Situation der Frauen Und anders als zugesagt hat das na tionale Vorberei- im Industrieland Deutschland hinters Licht. tungskomitee keine Gelegenheit bekommen, über den nationalen Be richt der Bundesregierung, der die Erklärungs- und analysebedürftig wäre auch die Situation der Frauen in Deutschland beschreibt, zu Tatsache gewesen, warum sich die verbesserte Aus- diskutieren. bildung von Frauen nicht in besseren beruflichen Möglichkeiten niederschlägt. Erklärungs- und analy- Ihr Lob, Frau Ministerin, wird den Frauen sicher- sebedürftig wäre die Tatsache gewesen, warum die lich guttun. Aber ich sage genauso ganz deutlich: Sie Geburtenziffern in der Bundesrepublik europaweit haben das Engagement der Frauen in Deutschland im unteren Bereich liegen. Die rapide fallende Ge- nicht genutzt, sondern die Frauen enttäuscht. burtenrate in den neuen Bundesländern nach der (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Wende wird völlig verschwiegen. GRÜNEN und der PDS) Kurzum: Sie verschweigen in dem nationalen Be- d die Sie haben das nationale Vorbereitungskomitee ei- richt, daß es die Frauen sind, die in Deutschl an gentlich zu einem Feigenblatt verkommen lassen persönlichen, sozialen und ökonomischen Lasten der und damit das Frauennetzwerk und mit ihm die Vereinbarkeit von Beruf und Familie faktisch alleine Frauenpolitik geschwächt. Dies ist kein gutes Omen zu tragen haben. für die Vierte Weltfrauenkonferenz in Peking. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Die nationalen Berichte der Regierungen haben GRÜNEN und der PDS) eine große Bedeutung für die Weltfrauenkonferenz. Um die verheerend hohe Frauenarbeitslosigkeit in In ihnen wird deutlich, inwieweit die einzelnen Re- den neuen Bundesländern wegzudiskutieren, stellt gierungen bereit sind, zehn Jahre nach Nairobi auch die Bundesregierung hingegen fest - ich zitiere -: eine kritische Bilanz zu ziehen, nicht nur Erfolge, sondern auch Defizite aufzuzeigen. Nur das Benen- Eine echte Wahlmöglichkeit zwischen Fami lie nen von Defiziten gibt doch die Chance, zukünftig und Beruf gab es in der DDR im Gegensatz zur konkrete Politik für Frauen zu entwickeln und umzu- Bundesrepublik Deutschl and aus ideologischen setzen. Diese Chance hat die Bundesregierung wil- Gründen nur in Ausnahmen. lentlich vertan. (Christel Hanewinckel [SPD]: Das ist (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Schwindel!) GRÜNEN und der PDS) Das heißt, Sie gaukeln der Welt in Ihrem nationalen Der von Ihnen vorgelegte nationale Bericht ist weit Bericht vor, es gäbe in Deutschland eine echte Wahl- davon entfernt, eine wirklichkeitsnahe und wahr- möglichkeit zwischen Familie und Beruf, keine ge- heitstreue Darstellung der Probleme und Erfolge bei schlechtsspezifischen Ideologien, keine patriarchali- der Umsetzung der S trategien von Nairobi zu sein. schen Strukturen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3821

Dr. Edith Niehuis Und weil die Bundesregierung wider besseres Wis- Unzuverlässigkeit in der Vorbereitungsphase nicht sen diesen Eindruck vermitteln möchte, fällt das Ka- wiederholt, sondern sich kooperativ und als verbind- pitel „Gewalt gegen Frauen" ausgesprochen dürftig liche Partnerin auch gegenüber den Nichtregie- aus. Spätestens an dieser Stelle hätte gesagt werden rungsorganisationen verhält. müssen, daß es die auch in der Bundesrepublik Deutschland vorhandene patriarchalische Ideologie (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ist, die, weil Frauen untergeordnete verfügbare We- GRÜNEN und der PDS) sen sind, Gewalt gegen Frauen in diesem Ausmaß überhaupt erst ermöglicht. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.). GRÜNEN und der PDS) (F.D.P.): Herr Präsident! Anders als Sie Ihren Be richt hier gelobt haben, hat Dr. Irmgard Schwaetzer Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es war zweifellos sich die Bundesregierung mit diesem nationalen Be- ein mutiger Schritt, die Vierte UN-Weltfrauenkonfe- richt völlig zu Recht lächerlich gemacht, vom Forum renz nach China einzuladen. Bei den Vorbereitungen der Nichtregierungsorganisationen angefangen bis kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hin zur Katholischen Frauengemeinschaft. Letztere die chinesischen Verantwortlichen erst in einem rela- stellt in ihrer Stellungnahme fest, daß - ich zitiere - tiv späten Stadium entdeckt haben, daß dies keine „die Generalsekretärin der Vie rten Weltfrauenkonfe- Propagandaschau nach kommunistischem Muster renz, Gertraude Mongella, darauf hingewiesen habe, werden kann und werden darf, sondern daß sich die daß sie keinen Jubelbericht erwarte, sondern eine Nichtregierungsorganisationen auf jeden Fall die wahrheitsgetreue Darstellung der Probleme und Er- Freiheit nehmen werden, das zu sagen, was sie sich folge. Die katholischen Frauen Deutschlands bedau- vorgenommen haben, nämlich auch gegen Men- ern, daß der Bericht der Bundesregierung dieser Er- schenrechtsverletzungen in China und wo auch im- wartung nur in wenigen Teilen entspricht." Diesem mer auf der Welt zu protestieren. Bedauern können wir uns nur anschließen. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN und der PDS) Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb die Wir bedauern dies um der Frauen in Deutschland chinesischen Verantwortlichen versucht haben, daß willen, aber auch um des Erfolgs der Weltfrauenkon- Forum der Nichtregierungsorganisationen sozusa- ferenz willen. Mit großer Sorge beobachten wir, daß gen in ein kleines Ghetto 60 km außerhalb von Pe- die UN-Konferenzen den Entwurf der Aktionsplatt- king zu verlegen. Ich sage an dieser Stelle, daß es form, die in Peking verabschiedet werden soll, von mutig gewesen wäre, während der letzten Vorberei- Verhandlung zu Verhandlung verschlechtert haben. tungsrunde im April in New York eine klare Ent- Es besteht die Gefahr, daß die Beschlüsse der Vie rten scheidung zu treffen, die besagt hätte: Entweder ist Weltfrauenkonferenz weit hinter die Ergebnisse frü- auch das Forum der Nichtregierungsorganisationen herer UN-Konferenzen in Wien, Rio, Kairo und Ko- mitten in Peking, oder aber die Konferenz wird z. B. penhagen zurückfallen. Die Leidtragenden werden nach Australien verlegt. auch die Frauen in den Industrieländern, aber sehr viel mehr die Frauen in den Entwicklungslände rn (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der sein. SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Grießhaber hat hier völlig zu Recht auf die Zu diesem Schritt hat sich leider auch die Bundes- problematische Menschenrechtssituation in China regierung nicht aufraffen können. Ich fürchte, daß es hingewiesen. Peking ist ein problematischer Veran- jetzt zu spät ist, um das Ganze noch offenzuhalten. staltungsort. Wir werden in Peking auf den Dialog Das heißt, es geht jetzt darum, daß die Bundesregie- mit Nichtregierungsorganisationen angewiesen sein. rung wirklich alles daransetzt, diese Konferenz doch Insofern begrüße ich den interfraktionellen Antrag, noch zu einem Erfolg zu führen. Ich sage das in be- den wir heute gemeinsam vorgelegt haben. Mit aller zug auf zwei Dinge: sowohl in bezug auf die Organi- Kraft müssen wir darauf drängen, daß die chinesi- sation als auch auf den Inhalt der Aktionsplattform. sche Regierung ihre Behinderung der Nichtregie- Beides ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Vorbe- rungsorganisationen aufgibt. reitung völlig unbefriedigend. Seitens der SPD möchte ich Sie, Frau Nolte, wie Zur Organisation: Liebe Kolleginnen und Kolle- Sie es eben angekündigt haben, ausdrücklich ermu- gen, es muß wirklich klar sein, daß die Regeln, die tigen, im europäischen Verbund Ihre Stimme zu er- jetzt für die Zulassung der Nichtregierungsorganisa- heben, um die zu befürchtende Verwässerung des tionen gefunden worden sind und die die Möglich- Aktionsplanes zu verhindern und um klare fo rt keit für Tibeterinnen sowie chinesische Dissidentin- -schrittliche Entscheidungen für die Frauen zu tref- nen oder Oppositionelle bieten, ein Visum für Peking fen. zu erhalten, durchgesetzt werden. Es muß möglich sein, daß sich Frauen, die Menschenrechtsverletzun- National wird es nach der Weltfrauenkonferenz gen sowohl in China als auch in Tibet miterlebt ha- darauf ankommen, daß wir die Ergebnisse in der ben, dazu äußern können. Bundesrepublik nachbereiten und umsetzen. Wir er- warten dann von der Bundesregierung, daß sie die (Beifall im ganzen Hause) 3822 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Dr. Irmgard Schwaetzer Es geht schließlich um Zwangssterilisationen, es Die Aktionsplattform bleibt auch in für Frauen exi- geht um Zwangsabtreibungen, es geht um die Tö- stentiellen Fragen wie z. B. bei der Familienplanung tung neugeborener Kinder, es geht um zwangsweise hinter dem zurück, was auf anderen UN-Konferen- Umsiedlungen von Tibetern, es geht um Folter bei zen erreicht worden ist. Familienplanung ist gerade willkürlicher Inhaftierung und es geht um Tötungen für Frauen in der Dritten Welt eine existen tielle in Haft. Bei all diesen Dingen dürfen wir nicht zu- Frage. Frauen sind diejenigen, die auch die wirt- schauen und selbstverständlich nicht schweigen. schaftlichen Grundlagen für ihre Familien sichern Wenn diese Konferenz do rt stattfindet, muß das auch und die deshalb nicht staatlicher Willkür ausgesetzt thematisiert werden. werden dürfen. Deswegen ist es notwendig, daß auch das Ergebnis von Peking deutlich festschreibt, (Beifall im ganzen Hause) daß die Methoden der Familienplanung selbständig Ich denke, auch daraus wird klar werden, daß wir und eigenverantwortlich von einem Paar entschieden Anstöße geben wollen. Denn letztlich kann eine posi- werden dürfen. tive wirtschaftliche Entwicklung, wenn sie in Unfrei- (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer) heit stattfindet, nicht bef riedigen. Sie wird auch nicht dauerhaft friedlich verlaufen. Dies sehe ich auch im Zusammenhang mit einem anderen Problem, das uns sehr bedrücken muß, näm- Aktionsplattform. Auch hier wird Zum Inhalt der lich mit der Frauenbeschneidung. Frauenbeschnei- die Bundesregierung noch viel Arbeit investieren dung darf keine Frage der kulturellen Eigenständig- müssen. Es war der ganz große Durchbruch der Men- keit oder der kulturellen Gegebenheiten eines Lan- schenrechtskonferenz von Wien 1993, festzuschrei- des sein. Frauenbeschneidung ist ein lebensbedro- ben, daß Menschenrechtsverletzungen unteilbar sind hender Eingriff für die jungen Mädchen und Frauen, und daß sie keinerlei kulturelle Relativierung vertra- die sich dem unterziehen müssen. Deshalb muß die gen. Was in der Aktionsplattform jetzt schon enthal- Aktionsplattform sicherstellen, daß dies weltweit ver- ten ist, bedeutet an vielen Stellen eine unerträgliche boten wird. kulturelle Relativierung von Menschenrechtsverlet- zungen, die, wie ich finde, bedauerlicherweise auch (Beifall im ganzen Hause) hier bei uns in manchen der öffentlichen Diskussio- nen nicht ganz ausgeschlossen ist und der wir mit Lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas zu ei- Entschiedenheit entgegentreten müssen. nem Punkt sagen, der uns auch in der Vorbereitung unseres eigenen Antrages zur Entwicklungspolitik (Beifall bei der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/ sehr bewegt hat: Die Aktionsplattform könnte in ih- DIE GRÜNEN) rer gegenwärtigen Formulierung den Eindruck ver- mitteln, daß schon dann, wenn eine ausreichende Die Ächtung von Menschenrechtsverletzungen Entwicklung stattgefunden habe, Frauenrechte um- und der Konsens von Wien müssen sich in der Akti- fassend gewährleistet seien. Wir Frauen in den Indu- onsplattform wiederfinden, sonst darf diese Aktions- strieländern wissen, daß dies nicht der Fall ist. Ich plattform für die Bundesregierung nicht akzeptabel bitte deshalb die Bundesregierung, sorgfältig darauf sein. zu achten, daß ein solcher Eindruck in der Aktions- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: plattform nicht festgeschrieben wird. Sehr gut!) Meine Damen und Herren, es gibt insgesamt wirk- Aber gerade weil die innenpolitische Auseinander- lich noch viel zu tun. Aber wenn die Konferenz denn setzung hier eine Rolle gespielt hat, lassen Sie mich stattfindet: Fahren wir hin und geben wir Anstöße, auch noch einen innenpolitischen Aspekt anspre- damit sich die Entwicklung für Frauen weltweit ver- chen: Frau Nolte, Sie haben sich auch zu den Rech- bessert. ten von Ausländerinnen bekannt. Ich wünschte mir, daß wir gemeinsam - auch mit Ihnen - in der Bundes- (Beifall im ganzen Hause) republik Deutschland durchsetzen könnten, daß auch ausländische Ehefrauen von Beginn ihres Auf- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat die enthaltes an ein eigenständiges Aufenthaltsrecht in Kollegin Petra Bläss. der Bundesrepublik Deutschl and haben. (Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜND Petra Bläss (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) und Herren! Die unter dem Motto „Aktion für Gleich- berechtigung, Entwicklung und Frieden" im Septem- Es ist wirklich nicht zu akzeptieren, daß Frauen von ber dieses Jahres in Peking stattfindende Vierte ihren Ehemännern abgeleitete Rechte haben. Wieso Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen ist eine- stellen wir eigentlich Ausländerinnen schlechter als Chance, die Situation von Frauen weltweit ins öffent- Deutsche? liche Bewußtsein zu bringen und kritisch zu analysie- Es ist auch wichtig, daß Vergewaltigung in der ren sowie gemeinsam wirkungsvolle Wege zu finden, Bundesrepublik Deutschl and nicht nur rechtstatsäch- ihre strukturelle Benachteiligung abzubauen und lich als Asylgrund ausreicht, wie es derzeit prakti- Veränderungen hin zu einer realen Chancengleich- ziert wird, sondern auch im Gesetz als eigenständi- heit der Geschlechter in Angriff zu nehmen. ger Asylgrund definiert wird. Um die hochgesteckten Ziele - die Verwirklichung (Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜND der 1985 in Nairobi beschlossenen Zukunftsstrate- NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) gien für Aktionen zur Förderung der Frauen zu über- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3823 Petra Blass prüfen sowie eine verbindliche Aktionsplattform zur Gestatten Sie mir einige kurze Anmerkungen zum verbesserten Umsetzung der S trategien zu verab- Vorbereitungsprozeß auf nationaler Ebene. Der im schieden -, zu erfüllen, reicht es allerdings bei wei- Herbst 1994 vorgelegte na tionale Bericht zeigt den tern nicht aus, sich auf hehre Absichtserklärungen Unwillen der Bundesregierung, eine realis tische Bi- und Fassadenverschönerungen zu beschränken; lanz der Situation von Frauen in der Bundesrepublik denn die Lage von Frauen hat sich im zurückliegen- zu ziehen. Spezifische Erfahrungen ostdeutscher den Jahrzehnt im Weltmaßstab nicht entscheidend Frauen sowie globale Fortschritte und Probleme seit verbessert. Nach wie vor sind sie durch die pat riar- der letzten Weltfrauenkonferenz in Nairobi werden chal strukturierte Gesellschaft von der Entschei- völlig unzureichend berücksichtigt. Die Entwicklung dungsfindung in allen gesellschaftlichen Bereichen von 1985 bis 1994 wird als kontinuierlicher frauenpo- weitgehend ausgeschlossen. litischer Prozeß dargestellt. Damit werden die drama- tischen Veränderungen im Leben der Ostfrauen Frauen werden — mit graduellen Unterschieden - ebenso ignoriert wie die Kompliziertheit des deut- in allen Regionen der Erde wegen ihres Geschlechts schen Einigungsprozesses. benachteiligt und diskriminiert. Sie haben weder Von einem ehrlichen Dialog zwischen Regierung ausreichende wirtschaftliche noch politische Macht, und Nichtregierungsorganisationen im nationalen sind in überproportionalem Maße Opfer von Kriegen Vorbereitungsprozeß kann nach dem skandalösen und militärischen Auseinandersetzungen und wer- Umgang mit der quantitativ und qualitativ maßstab- den wegen ihres Geschlechts verfolgt oder mißhan- setzenden Arbeit von über 300 Frauen in den zwölf delt. Noch immer werden der Hälfte der Menschheit Arbeitsgruppen des nationalen Vorbereitungskomi- elementare Menschenrechte wie das Recht auf Frei- tees wohl nicht die Rede sein. Die nämlich sind - heit und Sicherheit der Person vorenthalten. Noch ebenso wie das NRO-Frauenforum in seinem Memo- immer wird Gewalt gegen Frauen nicht als Men- randum - in ihrem Be richt zu dem Ergebnis gekom- schenrechtsverletzung geächtet. men: Die Armut hat insbesondere unter Frauen ra- pide zugenommen. Durch Frauen geleistete Arbeit Frauenrechte sind Menschenrechte, und Men- wird überwiegend gar nicht als solche definiert und schenrechte sind unteilbar - eine Selbstverständlich- ist nicht existenzsichernd. Frauen sind überproportio- keit, die noch lange nicht selbstverständlich ist. Die nal arbeitslos oder in sozial ungeschützten Beschäfti- volle Verwirklichung der Menschenrechte für Frauen gungsverhältnissen. Frauen sind zunehmend Opfer erfordert gravierende strukturelle Veränderungen in männlicher Gewalt, vor allem in Ehe und Familie. allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Die Der Anteil von Frauen, die in Politik, Wirtschaft, Bil- bestehenden Strukturen der internationalen Wirt- dung oder Kultur an den Entscheidungen beteiligt schaftsbeziehungen orientieren sich ausschließlich sind, ist gering und geht weiter zurück. an den marktwirtschaftlichen Modellen der patriar- chalen Wachstums- und Leistungsgesellschaft der Entscheidend nach Peking wird sein, in welchem nördlichen Industriestaaten. Maße die Bundesregierung ihre vollmundigen Ab- sichtserklärungen auf internationaler Bühne auf na- Zu Recht verweisen NGOs auf besorgniserregende tionalem Parkett umsetzt; denn davon, daß die Ober- Defizite bei den regionalen Regierungstreffen im nahme einer fortschrittlichen Diktion noch l ange Vorfeld der Pekinger Konferenz. Es gibt einen star- keine andere Politik bedeutet, konnten wir uns am ken Widerstand dagegen, wirtschaftliche Probleme heutigen Vormittag einmal mehr überzeugen. Frau wie Strukturanpassung, ungerechte Handelsbezie- Nolte, ich kann mich noch sehr gut an Ihre Worte vor hungen, Verschuldung, nachhaltige Landwirtschaft, dem nationalen Vorbereitungskomitee erinnern: Konsumgewohnheiten in den Industrieländern und Sie sprachen vom Selbstbestimmungsrecht der umweltzerstörendes Handeln anzusprechen. Es be- Frau, von Menschenrechten, die auch aus ideolo- steht eine Tendenz, Lippenbekenntnisse zu Frauen- gisch-religiösen Gründen nicht einzuschränken sind. rechten zu formulieren, ohne die Bedingungen in Be- Ihre Rede in der heutigen Debatte um die Neurege- tracht zu ziehen, unter denen diese Rechte realisiert lung des § 218 war für uns Frauen ein Schlag ins Ge- werden können. sicht. Ich denke, daß Sie hier ziemlich doppelzüngig argumentiert haben. Es gibt keine oder nur unzureichende Anerken- nung für die lesbische Lebensweise und die Bedürf- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne- nisse von behinderten Frauen, von eingeborenen ten der SPD) Frauen und den Frauen in den früheren sozialisti- schen Staaten. Der bisherige Stand der Erarbeitung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, der Aktionsplattform auf UN-Ebene hat deutlich wer- Ihre Redezeit ist wirklich sehr überzogen. den lassen, daß einer Debatte um die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgewichen wird und die Gefahr nicht von der Hand zu weisen Petra Bläss (PDS): Abschließend möchte ich dar- ist, über eine Politik der kleinen Schritte die notwen- auf verweisen, daß wir es sehr begrüßen, daß zu zwei digen Strukturveränderungen aus dem Blick zu ver- Aspekten, nämlich zu Frauen in den Entwicklungs- lieren. Befürchtungen, daß die Pekinger Dokumente ländern sowie zur Einforderung angemessener Be- hinter die Ergebnisse der Kairoer Weltbevölke- dingungen für das parallel zur UN-Frauenkonferenz rungskonferenz und der Wiener Menschenrechts- stattfindende NGO-Forum, interfraktionell zwei An- konferenz zurückgehen, sind nicht grundlos. träge vorliegen. Die PDS unterstützt beide. 3824 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nein, Frau Kol- Bereichen auch immer, ob in der Umwelt, der Wirt- legin, jetzt müssen Sie wirklich aufhören. schaft, der Bevölkerungsentwicklung, im Handwerk oder im Gesundheitswesen: Ohne Frauen wird es keinen Fortschritt geben. „Frauen werden nicht ge- Petra Bläss (PDS): Ja. fragt, aber sie sind die Antwort." So steht es auf (Beifall bei der PDS) einem Plakat, das auf Entwicklungsländer aufmerk- sam macht. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Erika Reinhardt. Wenn man weiß, daß über 50 % der Weltbevölke- rung Frauen sind, sie aber nur 1 % des Landes besit- zen, sie weltweit zwei Drittel der Arbeit leisten, aber Erika Reinhardt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! nur ein Zehntel des Welteinkommens haben, nur Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! 1975 fand 16 % aller Frauen in Entwicklungsländern eine abge- die erste Weltfrauenkonferenz in Mexiko statt. Sie schlossene Pflichtschulausbildung besitzen, zwei stand, wie nun die vierte Weltfrauenkonferenz in Pe- Drittel aller Kinder, die niemals eine Schule besuch- king, unter dem Motto „Gleichberechtigung, Ent- ten oder sie zu früh verlassen haben, Mädchen sind wicklung und Frieden". und weltweit von 800 Millionen Analphabeten Obwohl die damals gestellten Forderungen grund- 600 Millionen Frauen sind, dann wird, glaube ich, sätzlich an alle Länder, Regierungen und Organisa- deutlich, welchen Stellenwert Frauen noch heute in tionen gerichtet waren, wurden Frauen in den Ent- den Entwicklungsländern haben. wicklungsländern besonders angesprochen. Die na- Ich verkenne nicht die Problematik, die sich ergibt, tionalen und internationalen Entwicklungshilfegeber wurden aufgefordert, ihre bisherige Pra xis bezüglich wenn in bestehende Kulturen eingegriffen wird; aber wir können auf der anderen Seite nicht hinnehmen der Projekte und Programme im Blick auf die Integra- und zusehen, daß in Teilen dieser Welt Mädchen aus tion von Frauen zu überprüfen und verstärkt Maß- nahmen in Entwicklungsländern zu fördern, um den verschiedenen Gründen nicht geboren werden dür- rt sind oder als Handelsware Frauen zu helfen, als gleichwertige Partner am Ent- fen, daß sie nichts we gelten. Das sind grobe Menschenrechtsverletzungen wicklungsprozeß teilzunehmen. gegen Mädchen und Frauen. Davor dürfen wir die Ich danke in diesem Zusammenhang auch Mini- Augen nicht verschließen. ster Spranger, der in seinem Ministerium ein Frauen- referat eingerichtet hat, das uns die Chance gibt, ver- Ich finde es gut und freue mich, daß wir einen ge- stärkt auf Projekte für Frauen hinzuwirken. meinsamen Antrag gestellt haben. Ich glaube, das ist ein Zeichen der Solidarität. Es ist schön, daß es uns (Beifall bei der CDU/CSU) gelungen ist, die Zielsetzungen für die Frauen in Ent- Die zweite Weltfrauenkonferenz in Kopenhagen wicklungsländern in einem interfraktionellen Antrag 1980 setzte ihren Schwerpunkt auf Beschäftigung, so deutlich zum Ausdruck zu bringen. Gesundheit und Bildung - Bereiche, in denen Frauen besonders benachteiligt sind. Obwohl einige Verbes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) serungen erreicht werden konnten, blieb das Fazit Dieser Antrag enthält die wich tigsten Ziele, die im eher negativ, und es wurden weitere Verbesserungen Bereich der Frauenförderung in Entwicklungslän- gefordert. dern erreicht werden müssen. Wir fordern deshalb Zum Abschluß der Frauendekade wurde im Jahre alle Regierungen und UN-Organisationen auf, dar- 1985 in Nairobi die dritte Weltfrauenkonferenz auf hinzuwirken, daß die Rechte der Frauen auf Be- durchgeführt. Man wollte über die erreichten Ziele teiligung in allen gesellschaftlichen Gruppen und In- Bilanz ziehen. Auch sie fiel nicht positiv aus. stitutionen durchgesetzt werden.

Zwanzig Jahre sind nun seit der ersten Weltfrauen- Durch den Aufbau einer eigenen Existenz und die konferenz vergangen. Obwohl Impulse gegeben Mitwirkung in der Politik haben Frauen die Chance, werden konnten und in einzelnen Ländern auch aktiv an der Entwicklung ihres Heimatlandes teilzu- kleine Verbesserungen erreicht wurden, ist die Situa- nehmen. Eine aktive Beteiligung an einer Entwick- tion der Frauen in Entwicklungsländern noch immer lung fördert zugleich das Selbstwertgefühl der nicht befriedigend. Frauen. Eine zusätzliche Stärkung verhindert nicht Anspruch und Wirklichkeit klaffen noch sehr weit den Fortschritt, sondern hilft, ihn zu fördern. auseinander, so daß man sich fast die Frage stellt: Lohnt sich der Aufwand für solche Weltfrauenkonfe- Die Vierte Weltfrauenkonferenz in Peking bietet renzen? Bringen sie etwas? Ich sage ja. Denn nur so nun die Chance, dies alles deutlich zu machen. Der werden wir auch die Weltöffentlichkeit erreichen, gemeinsame interfraktionelle Antrag soll die Grund- Mißstände aufzeigen und gemeinsam Lösungsan- lage für die Verhandlungen in Peking sein. sätze finden können. Es ist notwendig, verstärkt auf In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen, Frau die Situation von Frauen vor allem in den Entwick- lungsländern aufmerksam zu machen. Ministerin Nolte, ganz herzlich auch für das danken, was Sie hier gesagt haben. Ich bin ganz sicher, Sie Frauen tragen die Hauptlast der Probleme, die sich werden uns in Peking gut vertreten. aus der Unterentwicklung ergeben, und spielen im Entwicklungsprozeß eine Schlüsselrolle. In welchen (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3825

Erika Reinhardt Denn nur in einer gemeinsamen Anstrengung aller menbedingungen sehr unterschiedlich sind. Den- Staaten, internationaler Organisationen, Basisgrup- noch erweist sich Frauendiskriminierung in den mei- pen und NGOs kann es uns gelingen, weitere Ver- sten traditionellen wie auch modernen Gesellschaf- besserungen herbeizuführen. ten als Strukturmerkmal. So hat die UNDP, United Nations Development Program, wiederholt darauf Frauen werden nicht gefragt, aber sie sind die Ant- hingewiesen, daß nirgendwo auf der Welt Frauen „so wort. Sorgen wir dafür, daß sie auch gefragt werden. gut" wie Männer behandelt werden und alle Länder (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so auf der Skala der menschlichen Entwicklung „ab- wie bei Abgeordneten der SPD und des steigen", wenn die Ungleichheit zwischen den Ge- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schlechtern in die Indexberechnung einbezogen würde. Das macht man lieber nicht, das wäre zu ge- fährlich für die Männer. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat die Ab- geordnete Adelheid Tröscher das Wo rt. Immer noch ergeben sich die unterschiedlichen Le- benslagen und -chancen zwischen Mann und Frau Adelheid Tröscher (SPD): Frau Präsidentin! Kolle- aus den ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu Be- ginnen und Kollegen! Was für Themen haben wir schäftigung, Einkommen, wirtschaftlichen Ressour- heute auf der Tagesordnung? § 218, HIV und jetzt die cen, Gesundheitsversorgung, Ernährung, Erziehung Anträge zu Peking. Wenigstens zwei Themen befas- und Ausbildung. Soziale Entwicklungen wie grund- sen sich intensiv mit Frauen. Das müßte öfter so sein, legende Veränderungen in traditionellen Familien- und Gesellschaftsstrukturen, Migra tion, Urbanisie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne rung, der Kontrast zwischen traditioneller und mo- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN derner Lebensweise sowie oft ungünstige wirtschaft- und der PDS) liche Entwicklungen für die Mehrheit der Bevölke- damit sich bei uns nach den langen Reden und Be- rung beeinflussen in starkem Maße die Rolle der kenntnissen vielleicht auch mehr tut. Frau in den verschiedenen Ländern der Dritten Welt. Die zunehmende Differenzierung des Südens in är- Es wurde schon öfter erwähnt - ich sage es noch mere und reichere Länder kann nicht darüber hin- einmal, man kann es nicht oft genug sagen -, wie wegtäuschen, daß sich in den neunziger Jahren die lange wir schon an den Frauenfragen arbeiten. Das gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die gilt auch für die Vereinten Nationen. Schon 1980 leg- Mehrheit der Frauen nicht verbessert haben. ten sie nämlich der Weltöffentlichkeit folgende Stati- stik vor: Über die Hälfte der Menschen sind Frauen - (Zustimmung bei der SPD) das ist bekannt -; sie erzeugen 80 % der Weltnah- rungsmittel, verrichten zwei Drittel der Weltarbeits- Fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung in den stunden, erhalten ein Zehntel des Welteinkommens - Ländern des Südens lebt in existenzbedrohender Ar- das ist doch mächtig -, besitzen 1 % des Eigentums, mut; der überwiegende Teil hiervon sind Frauen. Das und sie stellen - das füge ich noch hinzu, und das Erscheinungsbild von weiblicher Armut hat unter- macht dann erst den Vers gereimt - zwei Drittel aller schiedliche Facetten wie Einkommensarmut, gerin- Analphabeten auf der Welt. ges Alphabetisierungsniveau, fehlende Berufsausbil- dung und Altersarmut. Hinter diesen statistischen Angaben verbergen sich vielfältige Formen der Benachteiligung und Dis- Frauen sind auch weiterhin nur ungenügend in kriminierung von Frauen: die ungerechte Lastenver- den politischen und gesellschaftlichen Prozeß dieser teilung in der Familie, die wirtschaftliche Ausbeu- Länder integriert. Gleichzeitig eröffnen sich aber tung der Frau, der Verlust ihrer Kontrolle über Res- durch Umbruchprozesse in diesen Ländern neue sourcen und schließlich die ungleiche Bewertung Chancen für Frauenpolitik - zum einen, weil das von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Ausmaß der Benachteiligung und Unterdrückung Zwar haben das Jahrzehnt der Frau von 1975 bis von Frauen stärker hervortritt, zum anderen, weil 1985 und die 1979 verabschiedete Konvention zur sich die Betätigungsfelder für Frauen erweitert ha- Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der ben. Das, was von vielen Entwicklungsorganisatio- Frau der Schlüsselrolle von Frauen im Entwicklungs- nen heute gepredigt wird, daß nämlich Frauen der prozeß und ihren Rechten weltweite Öffentlichkeit Schlüssel zu mehr und besserer Entwicklung in Län- verschafft. Darüber hinaus wurde eine Neuorientie- dern der Dritten Welt sind, muß sich nun auch end- rung internationaler Frauenpolitik eingeleitet; doch lich einmal in der Politik der Bundesregierung aus- sind trotz der zahlreichen internationalen Fortschritte drücken. im Bereich der formalen Gesetzgebung die politi- - schen Auseinandersetzungen um den Rechtsstatus (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der Frau keinesfalls abgeschlossen. Die uns hier vor- der PDS sowie der Abg. Dr. Angelika Kö- liegenden Anträge zur Vierten Weltfrauenkonferenz ster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) verdeutlichen dies erneut. Frauen sollen jedoch nicht nur verbesserte Mög- Allgemeine Aussagen über Zusammenhänge von lichkeiten zur Teilhabe an der Entwicklung ihrer gesellschaftlicher Entwicklung und der Situation von Länder erlangen, sondern gleichzeitig auch von ihr Frauen sind schwierig, da die politischen, wirtschaft- profitieren. Frauenförderung darf sich nicht mehr auf lichen, kulturellen und eben auch religiösen Rah frauenspezifische Projekte beschränken; denn mit je- 3826 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Adelheid Tröscher der Veränderung im Interesse von Frauen muß eine Die Bundesregierung jedoch hat dieses b risante Veränderung der Männerrolle einhergehen. Thema überhaupt noch nicht begriffen. Dem Bun- desminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der (Beifall bei der SPD sowie der Abg. eigentlich hier sein sollte Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) - ich begrüße den Staatssekretär -, fehlt der politi- Es muß zum selbstverständlichen Prinzip der Ent- sche Impetus, der D rive, um es modern auszudrük- wicklungszusammenarbeit werden, Männer in frau- ken, um sich gegenüber seinen Kolleginnen und Kol- enfördernde Maßnahmen als Zielgruppe einzubezie- legen im Kabinett durchzusetzen. hen (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/ Das Beklagen und Jammern vieler Kolleginnen und DIE GRÜNEN]) Kollegen aus den Reihen der CDU im Ausschuß hin- sichtlich der Etatkürzungen kann ich verstehen. Was - in der stillen Hoffnung, daß sie dann auch mitma- aber tun Sie, um Ihren Minister aus seiner Loyalitäts- chen. Eine nachhaltige Verbesserung zugunsten der starre zu retten? Situation von Frauen impliziert, daß die bestehenden (Beifall bei der SPD und der PDS) Machtverhältnisse verändert werden. Letztendlich geht es um mehr Macht und Entscheidungsbefug- Nichts. nisse für Frauen. Und die gehen dann vermutlich den Männern ab; das macht den Prozeß so schwierig. Die Versäumnisse im Etat 1995 sind eklatant. So wurden alle unsere Anträge, die Verbesserungen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE auch und vor allem für Frauen zum Ziel hatten, abge- GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord lehnt. Wut und Enttäuschung bei denen, die erkannt neten der F.D.P.) haben, daß die Frauen der Schlüssel sind, um über- haupt eine nachhaltige Entwicklungszusammenar- Um dies zu erreichen, ist es vor allem wichtig, daß beit zu erreichen, sind nur allzu verständlich. wir uns u. a. einsetzen: für die Chancengleichheit (Beifall bei der SPD sowie der Abg. von Mädchen und Frauen beim Zugang zur Ausbil- Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/ dung sowie der Berufsaus- und -fortbildung; eine ei- DIE GRÜNEN] und des Abg. Manfred Mül- genständige ökonomische Sicherung von Frauen; ler [Berlin] [PDS]) eine wirksame Gesetzgebung im Bereich der Frauen- förderung; qualifikationsadäquate Beschäftigung Unser kurzfristiges Denken muß endlich durch und Bezahlung von Mädchen und Frauen; Maßnah- eine Konzeption, die auch ins nächste Jahrtausend men, die die Vereinbarkeit von Familienarbeit und reicht, abgelöst werden. Das kurzfristige Denken des Erwerbsarbeit für beide Geschlechter sicherstellen; Nordens führt unweigerlich zur Katastrophe, und die tatsächliche Teilhabe der Frauen an gesellschaft- zwar schneller, als wir denken. Wir haben uns an all lichen Entscheidungsprozessen; eine deutliche Erhö- die schrecklichen Bilder und Berichte gewöhnt und hung des Anteils reiner Frauenprojekte und anderes sitzen zu Hause im Wohnzimmer. Absurder kann mehr. Sie finden das in dem interfraktionellen Antrag man sich die Situa tion der Welt, die Krieg, Hunger, noch einmal deutlicher beschrieben. Armut, Mord und Tod zum Medienereignis macht, nicht vorstellen. Wie konkret Armutsbekämpfung und Überlebens- sicherung durch Frauenförderung aussehen kann, Ist es eigentlich die totale Unfähigkeit, daß wir ein- zeigt die Arbeit des Marie-Schlei-Vereins. Der 1984 fach nicht erkennen wollen, daß es schon fünf nach in Erinnerung an die erste und einzige bundesdeut- zwölf ist? Die Tatenlosigkeit wird uns einholen - sche Entwicklungsministerin gegründete Verein för- nicht gleich, aber ganz sicher gilt dies für die nächste dert Frauenprojekte, die Frauen im Süden planen, Generation. Dann ist es zu spät. Jetzt zählt Hand- durchführen und verwalten. So lernen Frauen Leder- lung, nicht Lippenbekenntnisse. verarbeitung, Tischlerei, traditionelle Kosmetik, Vielen Dank. Elektrotechnik, Polsterei, kommunale Selbstverwal- tung - das ist ein ganz wichtiger Faktor -, den Auf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- bau von Nahverkehrsunternehmen und vieles an- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN dere mehr. und der PDS) - Auch so können Frauenprojekte ein Ausweg aus Irrwegen sein. Frauenprojekte können zwar die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Frau Kol- Weltwirtschaftsordnung und die Weltarbeitsteilung legin Tröscher, nachdem Ihre Fraktion tüchtig ge- nicht verändern. Sie können Frauen aber dabei un- klatscht hat, darf Ihnen nun das ganze Haus zu Ihrer terstützen, einen eigenständigen Weg zu gehen und ersten Rede gratulieren. den Grad ihrer Ausbeutung deutlich zu vermindern. (Beifall) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Man Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Bärbel Soth- fred Müller [Berlin] [PDS]) mann. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3827

Bärbel Sothmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Vor allem fordern die Frauen der Unionsfraktion: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frauen Die Unteilbarkeit von Menschenrechten muß welt- sind auf dem Vormarsch. In Deutschland und auch weit akzeptiert werden. Sie dürfen keiner wie auch im übrigen Europa haben sie die Männer in puncto immer gearteten Einschränkung durch Religion, Kul- Bildung und Ausbildung längst eingeholt. Bald wer- tur und Tradition unterliegen. Gewalt gegen Frauen den die Akademikerinnen sogar in der Überzahl muß weltweit geächtet werden. sein. In diesem Zusammenhang müssen wir in Peking Immer mehr Frauen rücken in die Chefetagen von auch auf die Menschenrechtssituation in China hin- Wirtschaftsunternehmen und Banken vor. In weisen, das u. a. seine Geburtenkontrolle auf eine Deutschland werden inzwischen neun Großstädte Art und Weise betreibt, die ganz einfach an den von Frauen regiert. Von hier aus darf ich der neuen Pranger gestellt werden muß. Oberbürgermeisterin in Frankfurt, Pe tra Roth, noch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, einmal herzlichen Glückwunsch zu ihrem hervorra- der F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/ genden Wahlergebnis aussprechen. DIE GRÜNEN)

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir fordern außerdem, daß in jedem Land der Erde die spezifischen Hindernisse der Gleichberechtigung Meine Damen und Herren, in Pakistan und Ban- beseitigt werden. In den Entwicklungsländern ist die gladesch, in der Türkei und in anderen Ländern ist gleichberech tigte Teilhabe von Frauen an Bildung der sogenannte mächtigste Mann im Staat eine Frau. und Ausbildung vorrangig. Meine Vorrednerinnen Doch der schöne Schein trügt - selbst in Industrielän- haben bereits darauf hingewiesen. dern, auch in Deutschland, wo die Gleichberechti- In den Industrieländern, auch in Deutschland, ha- gung der Frau seit Jahren gesetzlich verankert ist ben Frauen vor allem Schwierigkeiten, einen ihrer und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gün- meist hohen Qualifikation entsprechenden Arbeits- stig sind. platz zu finden. Sie haben Probleme, Familie und Be- ruf miteinander zu vereinbaren. Hier ist ein Umden- Wir Frauen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ken in Unternehmen, bei politischen Entscheidungs- haben eine Resolution zur Vierten Weltfrauenkonfe- trägern und bei jedem einzelnen Bürger erforderlich. renz in Peking verabschiedet, in der wir die Defizite in Sachen Gleichberechtigung aufgelistet haben. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Es hat mich furchtbar entsetzt, von dem Ergebnis einer neuen Bedauerliche Tatsache ist: Die gleichberech tigte Studie aus Nürnberg zu hören, nach der deutsche Teilhabe von Frauen in allen Bereichen, auf allen Männer, und zwar aller Altersgruppen, die Frauen Ebenen des politischen, gesellschaftlichen und wirt- mehrheitlich am liebsten in der traditionellen Rolle schaftlichen Lebens ist noch nicht hergestellt. Frauen sehen. Es ist unzumutbar, daß Frauen heutzutage sind überproportional von Arbeitslosigkeit be troffen. noch vor die Alternative gestellt werden: Familie Sie haben nicht die gleichen Chancen im Erwerbsle- oder Beruf. Dies schadet sowohl den Frauen als auch ben wie Männer. Sie sind in den Entscheidungsgre- dem Familienleben und unserer Wi rtschaft. mien aller Bereiche deutlich unterrepräsentiert. Die Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, auf Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Er- die Fähigkeiten und Qualifikationen gut ausgebilde- werbsarbeit sind unzureichend und unflexibel. Ge- ter Frauen zu verzichten. Deshalb müssen wir end- walt gegen Frauen stellt nach wie vor ein gravieren- lich die Rahmenbedingungen kinder- und familien- des Problem dar. Weltweit sind mehrheitlich die freundlicher gestalten. Ich erinnere hier nur an den Frauen von Analphabetentum betroffen. Sie und ihre Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der Kinder leiden am stärksten unter der Armut. dringend realisiert werden muß. Zwangsprostitution ist in vielen Ländern keine Sel- tenheit. Diese Zustände, meine Damen und Herren, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sind unhaltbar. und der F.D.P.) Einen großen Beitrag dazu, die Hindernisse bei der (Beifall bei der CDU/CSU) Gleichberechtigung in den einzelnen Ländern effek- tiv zu beseitigen, können die vielen Nichtregierungs- Außerdem hat die Weltbevölkerungskonferenz organisationen, also die NGOs, leisten, die parallel 1994 in Kairo festgestellt, daß ohne die Einbeziehung zur Weltfrauenkonferenz tagen werden. Verbände, von Frauen weder das Problem des Bevölkerungs- Frauengruppen, Parteien können die Gleichberechti- wachstums gelöst noch die Armut bekämpft werden gung auf Grund ihrer vielfältigen Erfahrungen einen kann. Ich erwarte, daß die Weltfrauenkonferenz in großen Schritt nach vorn bringen, wenn eine rei- Peking die Frauen der Welt in Sachen Gleichberech- bungslose Kommunikation zwischen den Foren ge- tigung einen großen Schritt voranbringt. währleistet ist. Seit der letzten Weltfrauenkonferenz in Nairobi vor Aber was sich da im Vorfeld an Behinderungen zehn Jahren sind zwar weltweit Fortschritte zu ver- der NGOs von chinesischer Seite abzeichnet, ist ein zeichnen, aber auch Rückschritte, die es aufzuzeigen Unding. Wir fordern daher die chinesische Regierung und zu analysieren gilt. Die Aktionsplattform von Pe- auf, ihre Obstruktionspolitik umgehend einzustellen, king muß konkrete Maßnahmen enthalten. Frau d. h., ungehinderten Zugang zum NGO-Forum zu Schwaetzer hat dies vorhin eindrucksvoll dargestellt. gewähren - leider 45 km von Peking entfernt -, 3828 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Bärbel Sothmann Rede- und Pressefreiheit zu garantieren und Frauen Nichtregierungsorganisationen und zur Weltfrauen- aus Taiwan und Tibet einreisen zu lassen. Unser in- konferenz auf Drucksache 13/1836. Wer stimmt für terfraktioneller Antrag - er ist hier schon besprochen diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der worden - unterstreicht dies. Antrag ist ebenfalls einstimmig angenommen wor- den. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 und den Zusatzpunkt 3 auf: Im Grundsatz sind sich über die hier angeführten Kernforderungen alle Fraktionen einig. Und das ist 5. Beratung der Beschlußempfehlung und des gut so. Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) Meine Damen und Herren, Peking muß ein Erfolg werden, und wir wollen dazu beitragen. Auch ich - zu dem Antrag der Abgeordneten wünsche Ihnen, Frau Ministerin Nolte, viel Erfolg. Dr. Friedbert Pflüger, Hans-Dirk Bierling, (Hamburg), weiterer Abge- Wir müssen alles daransetzen, das immense brach- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU liegende Potential, das in den Frauen dieser Welt sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, steckt, zu aktivieren und zu nutzen. Davon hängt Dr. Olaf Feldmann, Dr.-Ing. Karl-Hans Laer- nicht weniger als unsere Zukunft ab. Oder anders, mann, weiterer Abgeordneter und der Frak- um mit der Generalsekretärin der 4. Weltfrauen- tion der F.D.P. konferenz zu sprechen: Die Frauen sind nicht das Problem, sondern die Männer. - Entschuldigung, ich Weitgehende Einsatzbeschränkungen für habe mich versprochen. Die Frauen sind nicht das Landminen Problem, sondern die Lösung. - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Ich danke Ihnen. Kröning, Uta Zapf, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD (Heiterkeit - Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) Verbot von Landminen und Unterstützung der Länder der „Dritten Welt" bei der Lö- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe die sung ihrer Probleme durch Minen und an- Aussprache. dere gefährliche Munition Interfraktionell wird vorgeschlagen den Antrag der - zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Forum der Tippach, Andrea Lederer, Hein rich Graf Nichtregierungsorganisationen auf Drucksache 13/ von Einsiedel, weiterer Abgeordneter und 1427, den Antrag der Fraktion der SPD zur Weltfrau- der Gruppe der PDS enkonferenz in Peking auf Drucksache 13/1441 und Weltweite Achtung der Landminen den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verwirklichung von Menschenrechten und De- - zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika mokratie für Frauen auf Drucksache 13/1551 zu Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE überweisen zur federführenden Beratung an den GRÜNEN Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaft- Achtung von Landminen liche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Innen- - Drucksachen 13/1299, 13/1308, 13/1302, ausschuß und den Auswärtigen Ausschuß. 13/1304, 13/1780 - Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der (Wiesloch) Gruppe der PDS zur Weltfrauenkonferenz auf Druck- Angelika Beer sache 13/1622. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Dr. Olaf Feldmann Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von Steffen Tippach CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Zu- ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten An- stimmung der Gruppe der PDS abgelehnt. neliese Augustin, Dr. E rich Riedl (München) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab-- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der geordneten Rudolf Bindig, Dr. Ingomar Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNIS- Hauchler und der Fraktion der SPD sowie der SES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. zur Weltfrauen- Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Dr. Irmgard konferenz auf Drucksache 13/1837. Wer stimmt für Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P. diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. Minenräumung zu humanitären Zwecken als Beitrag sinnvoller Demobilisierung sowie zur Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Förderung des Wiederaufbaus Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. zum Forum der - Drucksache 13/1844 - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3829 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die daß kaum ein Land auf der Welt dazu bereit und in Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich der Lage ist. Die Bundesregierung würde sich damit sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. - vielleicht zusammen mit dem einen oder anderen Land - isolieren. Auch müssen wir sehen, daß das Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat zuerst der Minenprotokoll der Vereinten Nationen bisher über- Abgeordnete Friedbert Pflüger. haupt erst von 42 Staaten unterzeichnet und ratifi- ziert worden ist. Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Frau Präsiden- tin! Meine Damen und Herren! Wir beschließen (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Leider!) heute - hoffentlich - einen gemeinsamen Antrag von - Das ist sehr bedauerlich, Herr Kollege Feldm ann. CDU/CSU, F.D.P. und SPD zu weitgehenden Einsatz- Aber wenn wir wollen, daß mehr dazukommen, dann beschränkungen für Landminen und zur Unterstüt- dürfen wir die Latte nicht immer höher legen. zung der Lander der Dritten Welt bei der Lösung der Minenproblematik. Ich glaube, daß das eine sehr (Beifall bei der F.D.P. - Dr. Olaf Feldmann wichtige Initiative des Deutschen Bundestages ist. Es [F.D.P.]: Genau so ist es!) ist ein kleiner, aber doch bedeutsamer Schritt auf dem Weg zur Ächtung dieser furchtbaren Minen, die Deshalb halte ich es, Herr Kollege Feldmann, für auf der Welt jede Woche 200 Zivilisten töten oder ver- richtig, daß wir uns gemeinsam darauf konzentrie- stümmeln. ren, Antipersonenminen, diese fürchterlichen, gegen Zivilpersonen gerichteten Verstümmelungsinstru- Ich möchte den Fraktionen der F.D.P. und der SPD mente, zu ächten; denn dafür können wir auf einen für die stets sachliche und faire Zusammenarbeit Konsens hoffen. danken. Wir haben einzelne Unterschiede in den Be- ratungen gehabt und haben uns dennoch auf einen (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wir müssen das gemeinsamen Antrag verständigen können. Das ist Wesentliche und das Machbare handhaben!) eine wichtige Unterstützung für die Bundesregie- rung. Ich möchte zusätzlich zu dem, was wir hier vor- schlagen, zwei Punkte ansprechen. Es gibt - ich bin Ich weise darauf hin, daß der Deutsche Bundestag von den Internationalen Ärzten für die Verhinderung in der Resolution, die heute zur Debatte steht, den des Atomkrieges darauf hingewiesen worden - in „konstruktiven Beitrag der Bundesregierung zur Guatemala eine fabelhafte Initiative des dortigen Vorbereitung der Überprüfungskonferenz" von Wien Parlamentes vom 11. Mai 1995. Dabei handelt es sich ausdrücklich begrüßt. Deshalb glaube ich, daß wir um einen Gesetzentwurf zur Besei tigung von Minen mit diesem gemeinsamen Antrag bei den Wiener und Explosivkörpern aus der militärischen Konfron- Verhandlungen im September der Bundesrepublik tation. Nach diesem Gesetzentwurf ist es die Pflicht Deutschland ein sehr ehrgeiziges Verhandlungsman- der guatemaltekischen Regierung, beim Minenräu- dat geben. men Hilfe zu leisten, auch Geld zur Verfügung zu stellen und die Bevölkerung aufzuklären. Ich hoffe sehr - ich glaube, das kann ich im Namen aller, auch im Namen der Kollegen der Grünen sa- Dieser Gesetzentwurf ist ein wirklich erstklassiges gen -, daß die Bundesregierung das Beste daraus Beispiel, das zeigt, wie die Arbeit, die über Nichtre- macht und wir in Wien bei der Achtung von Minen gierungsorganisationen begann und die von der einen entscheidenden Schritt nach vorn tun. Bundesregierung unterstützt worden ist, in einem Land dazu führte, Bewußtsein dafür zu schaffen, wie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - wichtig es für die Entwicklungspo litik eines Landes Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Deswegen ma ist, Minen zu räumen und dafür auch Mittel und Per- chen wir die Sache gemeinsam!) sonen zur Verfügung zu stellen. Wir hoffen, daß viele Danken möchte ich aber auch den vielen Bürgerin- diesem Beispiel des guatemaltekischen Parlamentes itiativen, mit denen wir in den letzten Wochen im Rechnung tragen und ähnliches tun. Dialog standen, den vielen NGOs - den Nichtregie- Ich möchte des weiteren auf eine Ini tiative von rungsorganisationen - aus dem kirchlichen Bereich, zwei amerikanischen demokratischen dem Initiativkreis zum Verbot von Landminen, insbe- Kongreßabge- ordneten hinweisen, Patrick Leahy und Lane Evans. sondere Pater Jörg Alt für sein Engagement, Grup- Beide haben den Vorschlag gemacht, daß man denje- pen wie dem Roten Kreuz sowie Rupe rt Neudeck mit nigen Ländern, die dem Minenprotokoll der Verein- seiner Cap Anamur. Sie alle haben sehr viel dazu bei- ten Nationen nicht beitreten, keine Waffen mehr lie- getragen, dieses Thema der Öffentlichkeit überhaupt fert, daß man diese Länder also von jeglicher militäri- erst bewußtzumachen. Sie haben mit ihrer Beratung scher Zusammenarbeit ausschließt. inhaltlich dazu beigetragen, daß wir hier heute über - eine, wie ich glaube, doch ganz vernünftige Resolu- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sehr guter Vor- tion entscheiden. schlag!) Ich möchte diesen Organisationen aber auch sa- - Ich finde, das ist ein guter Vorschlag. Ich würde gen, daß wir ihren Anliegen nicht in allen Punkten mich freuen, wenn die Bundesregierung prüfte, ob folgen konnten. Im Gegensatz zu manchen dieser nicht auch sie einer solchen Idee nähertreten kann. Organisationen glauben wir nicht, daß es sinnvoll ist, bei den Wiener Verhandlungen ein generelles Ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- bot von Landminen anzustreben. Wir müssen sehen, wie bei der F.D.P.) 3830 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Friedbert Pflüger Das würde dem, was wir heute machen, ein bißchen zerstören, durch das Gebot ihrer Detektierbarkeit mehr Nachdruck verleihen. und durch das Verbot aller fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus. Diese Posi tionen un- Meine Damen und Herren, ich komme zum terstreicht die Beschlußempfehlung - das ist keine Schluß. Ich freue mich über diese gemeinsame Posi- leere Floskel -; dies ist wich tig, weil diese Positionen tion. Meine Fraktion, die CDU/CSU, wird auch in Zu- noch längst nicht von einer hinreichenden Zahl von kunft alle Anstrengungen unternehmen - auch ge- Staaten unterstützt werden. genüber den mit uns befreundeten westlichen Län- dern und der Bundeswehr -, daß Antipersonenminen Nicht geeinigt haben sich Koalition und SPD auf auch in jeder Form der Verteidigung keine Rolle ein allgemeines Verbot von Antipersonenminen. mehr spielen. Das ist keine Forderung für den Sankt- Ausgangspunkt der Koalition war, dafür einzutreten, Nimmerleins-Tag, sondern eine Forderung für heute. während die SPD forde rte, dieses Verbot schon auf Wir bitten, das ernst zu nehmen. die Tagesordnung der Wiener Konferenz zu setzen. Konsens ist nun, die Forderung gleich nach der Wie- Nochmals herzlichen Dank - und alles Gute für die ner Konferenz weiterzuverfolgen und dadurch auf Bundesregierung bei der Wiener Konferenz. der internationalen Tagesordnung zu halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie bei Abgeordneten der SPD) Dennoch fordere ich die Bundesregierung auf, noch einmal den Versuch zu machen, Österreich, die Schweiz, Belgien und Norwegen sowie die noch Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt kleine Gruppe weiterer Staaten - auch Kambodscha der Kollege Volker Kröning. übrigens, dieses leidgeprüfte Land - zu unterstützen, die für ein sofortiges Verbot aller Antipersonenminen Volker Kröning (SPD): Frau Präsidentin! Meine ohne Selbstzerstörungsmechanismus eintreten. Im- sehr verehrten Damen und Herren! Der Auswärtige merhin hat dies auch die jüngste Versammlung aller Ausschuß legt mit den Stimmen aller Fraktionen Parlamentarier der Welt, nämlich der Interparlamen- tarischen Union, einstimmig beschlossen. (Steffen Tippach [PDS]: Gegen die PDS!) Nicht geeinigt haben wir uns auch auf ein Export- - gegen die Gruppe der PDS - dem Deutschen Bun- verbot für alle Landminen. Doch die SPD hat durch- destag die von Herrn Kollegen Pflüger schon vorge- gesetzt, daß das von der Bundesregierung im vorigen stellte Beschlußempfehlung vor, die aus den beiden Jahr beschlossene dreijährige Exportmoratorium für Anträgen der Koalition und der SPD hervorgegangen Antipersonenminen unbefristet verlängert wird. Un- ist. Der Deutsche Bundestag ist damit, soweit ich sere generelle Forderung halten wir als Minderhei- sehe, das erste Parlament aller Teilnehmerstaaten tenvotum aufrecht. Die SPD bleibt - unabhängig von dieser Konferenzen, das sich zu den beiden Themen, dem Minen- und Sperrkonzept der Bundeswehr, das gegen dem besseren Schutz der Zivilbevölkerung noch zu erörtern sein wird - bei der Auffassung, daß die versteckten Killer und der wirkungsvolleren Hilfe der Export von Antipanzerminen unter humanitären für die betroffenen Länder, äußert. Gesichtspunkten abzulehnen ist. Er ist auch rü- Der deutschen Politik kommt bei diesen rüstungs- stungskontrollpolitisch unsinnig. kontroll- und abrüstungspolitischen Treffen beson- dere Bedeutung zu, auch wenn die Minenprotokoll (Beifall bei der SPD) Überprüfungskonferenz und die Minenräum-Konfe- renz bisher bei weitem nicht die Aufmerksamkeit Dies gilt insbesondere, meine Damen und Herren, ti wie die Konferenz zur Verlängerung des Nichtver- für nicht fernverlegte, sondern handverlegte An breitungsvertrages genießen. Dies war das Motiv der -panzerminen ohne Selbstzerstörungsmechanismus. interfraktionellen Verständigung, und dies muß ein Über deren Verbot oder Einsatzbeschränkung hat man offenbar auf dem Vorbereitungstreffen gar nicht parteien- und parlamentsübergreifendes Thema blei- tive hierfür liegen auf der H and. ben. gesprochen; die Mo Hauptanliegen des Auswärtigen Ausschusses und Mit Genugtuung stelle ich demgegenüber fest, daß des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungs- es gelungen ist, den aus dem SPD-Antrag stammen- kontrolle - ebenso des Verteidigungsausschusses, den Schwerpunkt Minenräumung in den gemeinsa- der die Angelegenheit mitberaten hat - sind die Er- men Text aufzunehmen. streckung des Minenprotokolls auf innerstaatliche Konflikte und seine Ratifizierung durch eine deut- Es geht natürlich nicht nur darum, durch Konkreti- als bisher. Denn Mi- sierung des humanitären Rechts auf dem Feld der lich größere Zahl von Staaten - nen sind vor allem Waffen der Armen. Zu Recht Rüstungskontrolle Schlimmeres zu verhindern, son- spricht der Generalsekretär der Vereinten Nationen dern auch darum, den schlimmen Zuständen abzu- von einem „humanen Desaster", das die Menschheit helfen, von denen unser Text am Anfang nachdrück- noch lange nicht unter Kontrolle habe. lich spricht. Nach den Vorbereitungstreffen für die Überprü- Beides, Prävention und Hilfe, ist nötig. Wenn der fungskonferenz besteht die Chance, auch die Inhalte VN-Bericht zur Genfer Konferenz, der in diesen Ta- des Minenprotokolls zu verbessern: besonders durch gen bekannt geworden ist, davon spricht, daß 1994 Einsatzauflagen für handverlegte Antipersonenmi- rund 100 000 Minen entschärft worden sind, doch im nen, die sich nicht nach einer bestimmten Zeit selbst selben Jahr 2 bis 5 Millionen Minen in Asien, in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3831 Volker Kröning I Afrika, in Nahost und auf dem Balkan verlegt wor- - Darum werden wir ringen. - Wir legen uns noch den sind, gibt es nur die Alte rnative „Kapitulation nicht auf einen bestimmten Haushalt oder eine Son- oder Zupacken". Deshalb müssen den Worten Taten derbewilligung, wie sie jetzt in Rede steht, fest. Aber folgen. ich fordere die Bundesregierung auf, schon auf der Wiener Konferenz in der nächsten Woche ein Zei- Die Koalition versteht die Forderung nach perso- chen zu setzen. neller und technischer Unterstützung internationa- ler Minenräumaktionen nur als Prüfbitte. Das geht Zum Schluß auch von uns ein Wo rt an die Öffent- aus dem Text allerdings nicht hervor. Aber diesen lichkeit und die nichtstaatlichen Organisationen. Wir Streit wollen wir beiseite lassen. Wir haben deshalb - danken für die kritische Begleitung unserer Arbeit ich glaube, alle haben sich dem angeschlossen - im im Bundestag. Diese Arbeit steht am Anfang. Wir Verteidigungsausschuß darum gebeten, daß die Bun- brauchen diese Begleitung. Ich hoffe vor a llem, daß desregierung gleich nach der Sommerpause zu den unter allen kurz- und mittelfristigen Forderungen die Forderungen Stellung nimmt, die wir gemeinsam eine nach einem Verbot aller Minen, die nicht mit ei- aufgestellt haben. nem wirkungsvollen Selbstneutralisierungs- und Selbstzerstörungsmechanismus ausgerüstet sind, (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist eine ge mehr Gehör bei denen findet, die diplomatisch und meinsame Forderung!) politisch zu entscheiden haben. Dies schließt ein, daß die Bundesrepublik Deutschland, deren Vertreter - In der Tat. - Wir müssen noch die Realisierungs- überall das Fernziel des Verbots aller Antipersonen- chancen abklopfen. Dem dient die Runde, die wir minen beschwören, diese Waffenart sofort aus dem uns vorgenommen haben. Bestand der Bundeswehr ausmustert. (Dr. Olaf Feldmann IF.D.P.]: Das wollen wir Wir bitten um Annahme der Beschlußempfehlung auch!) und des Antrags.

Bei der gleichen Gelegenheit wird die Bundesregie- Danke schön. rung dann auch schon zu den Ergebnissen der bevor- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der stehenden Genfer Minenräum-Konferenz Stellung F.D.P.) nehmen können.

(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Hoffentlich zu Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat guten Ergebnissen!) jetzt die Kollegin Angelika Beer.

- Das hoffe auch ich. - Deshalb begrüße ich es, Herr Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollege Feldmann, daß die Mitglieder des Ausschus- Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- möchte begründen, warum wir die Beschlußvorlage lung den Anstoß zu einem weiteren gemeinsamen einer großen Koalition, SPD-Fraktion plus Regie- Antrag von Koalition und SPD gegeben haben, nach rungskoalition, ablehnen, und die Hauptkritikpunkte dem Minenräumaktivitäten durch ein Bündel zusätz- benennen. licher Maßnahmen vor allem vor Ort unterstützt wer- den sollen. Dies entspricht auch dem Appell von (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das wird aber Herrn Staatsminister Schäfer in der Debatte am schwer!) 12. Mai 1995, die Soforthilfe für die be troffenen Staaten zu verstärken. Der Antrag, den Sie hier zur Abstimmung stellen, fällt hinter die Mindestanforderungen der internatio- Ich darf deshalb wiederholen, was ich in dieser De- nalen Hilfsorganisationen zurück. Sie wissen das; batte erklärt habe. Lassen Sie es sich gesagt sein; das ist hier genannt worden. dies ist über alle inhaltlichen Divergenzen hinweg (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Aber er ist reali- der Hauptimpuls der Nichtregierungsorganisationen, stisch, Frau Kollegin!) die sich in der letzten Zeit an uns gewandt haben: 3 Millionen DM als deutscher Jahresbeitrag zu dieser - Er ist sehr wenig realis tisch, Herr Kollege Feld- humanitären Aufgabe sind skandalös wenig. mann. Ich möchte begründen, warum.

(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Es ist wenig!) Sie hinken dem europäischen Standard und der europäischen Einsicht, daß es sich hier um eine Mas- Ich sehe, daß in der Koalition Bewegung entstanden senvernichtungswaffe handelt, hinterher. Ich möchte ist. Ich will Sie ermuntern, diese Bewegung fortzuset- aus zwei Beschlüssen des Europaparlaments von zen. Beide Texte, die Empfehlung des Auswärtigen heute zitieren. Sie werden sehen, daß Ihr Antrag Alt- - Ausschusses und der interfraktionelle Antrag, for- papier ist. dern einen angemessenen finanziellen Beitrag zu Darin werden die Regierungen und auch die Bun- den internationalen Minenräumprogrammen. Was desregierung aufgefordert, durch na tionale Gesetz- dies heißt, will ich vorsichtig-realistisch beziffern. Es gebung die Einstellung der technologischen For- müßte nach unserer Meinung mindestens der zehn- schung zur Herstellung und/oder Perfektionierung fache Betrag, also 30 Millionen DM jährlich, sein. von Landminen zu veranlassen (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sagen Sie uns (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das Europapar- nur noch, woher wir es nehmen sollen!) lament kann leider nichts durchsetzen!) 3832 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Angelika Beer und die Umstellung der Unternehmen, die Minen Es ist an und für sich ein schlüssiger Antrag. Wir herstellen, in die Wege zu leiten. werden Ihrem Antrag zur Minenräumung zustim- men. Er macht deutlich, daß auf der einen Seite Ihre Genau das steht in dem Antrag von BÜNDNIS 90/ Formulierung in der Beschlußempfehlung ein Frei- DIE GRÜNEN; genau das ist die Forderung der inter- brief für die Neuentwicklung und den Einsatz von nationalen Kampagne von UNICEF, „Brot für die Minentechnologie ist und daß auf der anderen Seite Welt" und vieler anderer. Ich denke, Sie haben nicht unter dem Feigenblatt der Minenräumung versucht versucht, den Spielraum zu nutzen, den zu haben Sie wird, so zu tun, als nähme man dieses Problem ernst- vorgeben. haft in Angriff. Das ist nicht so. Was unter dem Strich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dabei herauskommt: Ihre Argumenta tion eben hat Minen mit einem Selbstzerstörungsmechanismus als Wir müssen sehen, daß Ihr Antrag - das ist unser sicher bezeichnet. Sie wissen, daß das nicht stimmt. Vorwurf vor allen Dingen an die SPD, die ja umge- Es gibt Expertisen, die besagen, daß 10 % dieser kippt ist; bis vor einiger Zeit haben Sie die Forderun- Waffen weiterhin scharf sind. Das heißt, weiterhin gen der Hilfsorganisationen noch mitgetragen - ei- sterben Menschen, und ganze Flächen sind nicht be- nen Anlaß zum Feiern bedeutet, nämlich für die wohnbar. Diesen Widerspruch, der darin besteht, daß Chefetagen in den Rüstungsfabriken. Die Profiteure, man auf der einen Seite sagt, wir ächten Minen, und die bisher verdient haben, haben durch Ihren An- daß man auf der anderen Seite dafür sorgt, daß eine trag, über den heute beschlossen werden soll, eine der gemeinsten Waffen überhaupt erst in die Produk- Legitimierung bekommen, an der neuen Mine, der tion gehen kann, wollen wir deutlich machen. perversen sogenannten intelligenten Mine weiterzu- forschen. Sie haben einen Kniefall vor dem Militär (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist aber ne gemacht, das darauf besteht, im Rahmen der Planun- ben der Frage! Das beantwortet nicht die gen für die Krisenreaktionskräfte auch zukünftig so- Frage! - Dr. Uwe Küster (SPD): Das ist doch genannte intelligente Minen einzusetzen. Eierei! Heißt das, daß Ihre Meinung ständig nach dem Wind geht?)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab und neh- eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kröning? men den Antrag zur Minenräumung an.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja; Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, natürlich. gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kolle- gen Kröning? Volker Kröning (SPD): Frau Kollegin, können Sie das Haus darüber informieren, was hinter dem Sin- Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. neswandel Ihrer Fraktion und auch Ihrer Person steht? Denn Sie haben diese Beschlußempfehlung im Unterausschuß mit Enthaltung bedacht; Sie haben Volker Kröning (SPD): Frau Kollegin, ich bin nach diese Beschlußempfehlung im Auswärtigen Aus- dieser Antwort gezwungen, eine weitere Frage zu schuß mit beschlossen. Könnte es sein, daß Ihnen un- stellen. Sie haben gehört, warum wir einen interfrak- ter der berechtigten Kritik der Hilfsorganisationen, tionellen Antrag verabredet haben. mit der wir uns auseinandergesetzt haben, die Argu- Darf ich Sie fragen, ob Sie auch zur Kenntnis ge- mente ausgegangen sind? nommen haben, daß wir sowohl beim letztenmal als (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) auch heute die damalige Forderung und das heutige Minderheitenvotum, alle Antipersonenminen zu äch- ten, aufrechterhalten haben und daß wir auch erklärt Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr haben - weil sich hier nicht eine abrüstungspoliti- Kröning, ich kann Ihnen das gerne beantworten; viel- sche, sondern eine verteidigungspolitische Frage leicht bleiben Sie so lange stehen. stellt -, uns diesem Gegenstand gemeinschaftlich Wir befinden uns ja in einem sehr fließenden Dis- noch im Verteidigungsausschuß zuwenden zu wol- kussionsprozeß. Die Argumente, die nachträglich so- len? wohl von den Militärs als auch gerade von seiten der SPD gekommen sind, haben uns veranlaßt, Ihren An- Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr trag nicht nur mit Enthaltung zu bedenken, sondern Kollege Kröning, es wäre gut gewesen, wenn sich ihn abzulehnen, um die ungeheuerliche Menschen- Ihre Fraktion - wie auch im Europaparlament - vor-- verachtung dessen deutlich zu machen, was heute her mit für eine Fachanhörung ausgesprochen hätte. beschlossen werden soll. Wir haben kritisiert - und tun es weiterhin -, daß Ich komme jetzt auf den Antrag zu sprechen, der Sie mit Ihrem Einknicken nur noch Antipersonenmi- heute, ich glaube, von der CDU/CSU und F.D.P. zur nen ächten wollen. Das heißt, Sie akzeptieren An ti Minenräumung vorgelegt wurde. -tankminen, Antipanzerminen. Sie akzeptieren Mi- (Abg. Volker Kröning [SPD] meldet sich zu nen mit Selbstzerstörungsmechanismus und Neutra- einer weiteren Zwischenfrage) lisationsmechanismus für die militärische Planung. Das heißt, daß Sie die Weiterentwicklung dieses De- - Moment bitte. sasters akzeptieren. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3833 Angelika Beer Es sind heute pro Tag 90 Menschen, Kollege Pflü- Aber das, was dort schwarz auf weiß geschrieben ger, die diesem Minenterror zum Opfer fallen. Ihre steht, heißt für mich, daß hier leider gezielt der Rü- Haltung im Ausschuß ist insofern inkonsequent und stungswettlauf für eine neue Minengeneration von konterkariert diese Entwicklung, weil Sie so tun und Ihrer Regierung vorbereitet wird. Sie werden mit Ih- auch Herr Kinkel auf der internationalen Überprü- rem von uns durchaus zu begrüßenden Engagement fungskonferenz so tun wird, als wenn Deutschland gegen Minen mißbraucht, um die neue Killerwaffe mit einem lächerlichen Embargo Vorreiter der An ti zu legitimieren. Dem - das werden Sie verstehen - -minenkampagne sei. können wir nicht zustimmen.

(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: „Lächerlich" (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist aber nennen Sie das?) böse!) In Wahrheit sorgt der deutsche Staat dafür, daß in be- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die internatio- zug auf die Minentechnologie der Spielraum, den nale Kampagne ist mit der Überprüfungskonferenz Europa uns heute mit seinem Beschluß aufzeigt, frei- nicht beendet, sondern in Ländern wie Kambodscha willig verschenkt wird, die Möglichkeit nämlich, Ihre und vielen anderen entstehen Kampagnen auch der tatsächlichen Forderungen als Minderheitenvotum Opfer selber. Diese Opfer werden ihre alten Ansprü- international durchzusetzen. che - Anspruch auf Rehabi litation nach dem Verursa- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Minen sind cherprinzip, Anspruch auf Vernichtung, auf Ächtung doch nicht gleich Minen!) all dieser Waffen, aller Minen - sehr deutlich ma- chen. Dieser Protest wird nicht in der sogenannten Dritten Welt steckenbleiben, sondern wird direkt hier Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie in Bonn landen, und Sie werden damit konfrontiert eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Pflü- werden. ger? Das Thema wird uns über viele Jahre erhalten blei- ben. Ich meine, wir werden mit internationalem (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Angelika Beer Druck und mit der Unterstützung des Europaparla- ments diese scheinheilige Politik beenden können - Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Kollegin Beer, möglicherweise, indem wir eine Mehrheit gegen die haben Sie nicht auch den Eindruck, daß zwischen Weiterfinanzierung neuer Minensysteme finden -, dem, was Sie heute hier sagen, nämlich der Bezeich- um endlich gebührende humanitäre Hilfe zu leisten. nung des gemeinsamen Antrags von CDU/CSU, F.D.P. und SPD als Altpapier einerseits und Ihrer sehr Vielen Dank. sachlichen und konstruktiven Haltung in den Aus- schüssen andererseits ein eklatanter Unterschied be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht? und bei der PDS) Was hat sich eigentlich wirk lich an neuen Argu- menten in den letzten Tagen ergeben, daß Sie so fun- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat damental anders abstimmen? Könnte es nicht viel- jetzt der Abgeordnete Olaf Feldmann. mehr sein, daß Sie eingeknickt sind und der sachli- chen Position in den Ausschüssen hier eine Schau- fensterposition gegenüberstellen? Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P. begrüßt, daß (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und die vorliegenden Anträge noch vor der Sommer- der SPD - Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sie pause hier im Deutschen Bundestag verabschiedet will leider nur eine Schau abziehen!) werden.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Dies ist ein wichtiges Signal für die UN-Minen- Kollege Pflüger, wir haben versucht, mit sehr guten räumkonferenz, die Anfang Juli in Genf stattfinden Argumenten auch in Ihrer Fraktion eine Sensibilität wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Signal für das Problem zu wecken. Das haben wir geschafft. ist um so überzeugender, je geschlossener wir im Das haben vor allem die internationale und die deut- Deutschen Bundestag auftreten. sche Kampagne geschafft. Wir haben sehr konstruk- tiv mit einzelnen zusammengearbeitet. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen aber feststellen, daß die Regierung nicht bereit ist, einzelne Posi tionen von Abgeordne- Das hat auch unser Auftreten bei der NVV-Konfe- ten zu übernehmen. Ich muß mich da insbesondere renz in New York gezeigt. auf die Antwort auf eine Kleine Anfrage beziehen, bei der die Beantwortung von 51 Fragen an 33 Punk- Unser interfraktioneller Antrag zur Einsatzbe- ten aus Gründen der Geheimhaltung abgelehnt schränkung für Minen, Frau Kollegin Beer, ist nur ein wurde. erster Schritt, aber er ist ein realis tischer Ansatz. Ich hatte Gelegenheit, diese Geheimdaten einzu- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sehen. Ich darf sie, wie Sie wissen, hier nicht zitieren. NEN]: Unzureichend!) 3834 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Olaf Feldmann Sie wissen doch ganz genau: Das Europäische Parla- Das Minenprotokoll des UN-Waffenübereinkom- ment kann leider seine Beschlüsse nicht umsetzen mens muß auch für innerstaatliche Konflikte gelten, und nicht durchsetzen. da die meisten Minen in Bürgerkriegsgebieten ver- legt werden. Zur Durchsetzung dieses Verbots bedarf (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ es eines wirkungsvollen Verifikationsmechanismus. NEN]: Weil Sie es politisch nicht mittragen Auch das wollen wir. wollen! Sonst wäre das doch kein Problem!) Darüber hinaus fordern wir die Bundesregierung Ich habe gestern selber in Brüssel die Debatte ge- auf, bei der Überprüfungskonferenz auf Bestimmun- hört. gen über ein Verbot bzw. über Beschränkungen Im Gegensatz dazu steht hinter dem Antrag, den beim Verkauf von Landminen zu drängen. Auch das wir gemeinsam mit der SPD vorlegen, ein Durchset- geht weit über das hinaus, was im Augenblick Usus zungswille. Wir wollen das realisieren, was wir hier ist. heute als politisches Signal verstehen. In diesem Zusammenhang will ich mein persönli- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der ches Unverständnis darüber zum Ausdruck bringen, SPD) daß wir immer noch Millionen für die Weiterentwick- lung von Minen ausgeben. Ich wi ll das hier in dieser Daß sich die Grünen und die PDS dem gemeinsa- Deutlichkeit sagen. men Antrag verschließen, ist ein Zeichen mangeln- der Politikfähigkeit. Lassen Sie mich das hier so deut- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- lich und so hart sagen. ten der CDU/CSU und der SPD - Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr (Beifall bei der F.D.P.) gut!) Mit Ihrem Antrag, Frau Kollegin Beer, jagen Sie Illu- Wir Liberalen haben unser besonderes Augenmerk sionen nach, schlimmer noch: Sie gaukeln den Men- auf den entwicklungspolitischen Aspekt der Land- schen vor, daß wir die Fragen von heute auf morgen minenproblematik gerichtet. Beim Thema Minen lösen könnten, so, als ob es nur an unserem guten können wir uns nicht nur auf das humanitäre Völker- Willen hier im Deutschen Bundestag läge. recht berufen, gleichzeitig aber die entwicklungspo- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne litische Komponente vernachlässigen. ten der CDU/CSU) Deshalb fordern wir weitere Anstrengungen zur Sie diskreditieren dadurch unsere sachliche Arbeit. Koordinierung der Minenräummaßnahmen als eine besonders effektive A rt und Weise der Entwicklungs- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne hilfe. Immer mehr Entwicklungsprojekte werden ten der SPD) massiv insbesondere durch Antipersonenminen be- Unser Antrag ist auf das derzeit Machbare gerich- hindert. Zukünftig müssen wir diesen Aspekt stärker tet. Sie wissen, daß nur 42 Staaten bisher das Minen- bei der Finanzierung von Minenräumaktivitäten be- protokoll ratifiziert haben. Wir wollen ebenso wie rücksichtigen. Sie einen Umdenkungsprozeß in Gang setzen, und Der im November 1994 auf Initiative von Außenmi- zwar vor allem bei den Staaten, die noch weit hinter nister Kinkel eingerichtete UN-Minenräumfonds unserer Position zurückliegen. bietet die Möglichkeit, abgestimmte Aktionen der (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Staatengemeinschaft in enger Zusammenarbeit mit NEN]: Dann seien Sie mal Vorbild und tun den betroffenen Ländern durchzuführen. Diese Sie etwas!) Chance wollen wir nicht ungenutzt lassen. Hier wollen wir überzeugen. Wir sind mit unserem Die Bundesregierung könnte auch ein Zeichen set- Antrag vorbildlich, im europäischen Rahmen, aber zen und das im Juni 1994 auf drei Jahre bef ristete Ex- auch weltweit. Deswegen wollen wir uns auf das We- portmoratorium für Landminen unbefristet verlän- sentliche konzentrieren gern. Da wir aber auch über das technische Know- how und qualifizierte Fachleute verfügen, sollte die (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Bundesregierung die Voraussetzungen dafür schaf- NEN]: Und Minen produzieren! Toll!) fen, daß auch Deutschland inte rnationale Minen- und den Leuten keine unrealis tischen Flausen in den räumaktionen wirkungsvoll unterstützen kann. Kopf setzen. (Beifall bei der F.D.P.) Wir fordern ein weltweites Verbot der Entwick- Warum sollte sich die Bundeswehr in geeigneten- lung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes Fällen nicht an humanitären Aktionen beteiligen von fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsme- können? chanismus und von metallosen Minen. Dieses Verbot - das steht auch in unserem Antrag - muß auch auf (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Hat sie Antipersonenminen und Sprengfallen ausgedehnt ja schon, am Golf z. B.!) werden. Auch die nichtstaatlichen Hilfsorganisationen könn- Ich halte auch das Votum, das Herr Kröning hier ten durch die Förderung der Ausbildung von Exper- eingebracht hat, für prinzipiell richtig. Ich stimme ten und die Nutzung des Minendokumentationszen- dem zu. trums der Bundeswehr unterstützt werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3835 Dr. Olaf Feldmann Wir greifen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Sie froh, daß zumindest dieser Schritt getan wor- diesem Antrag nicht nach den Sternen. Aber wir ha- den ist! ben Vorschläge erarbeitet, die sich in Kürze realisie- ren lassen. Deswegen bitten wir die Grünen, zumin- Als ob es darum ginge, daß Frau Beer, Herr Pflüger dest unserem zweiten Antrag, den wir heute mit ein- oder ich hier in diesem Hause in Frohsinn verfallen bringen, dem Antrag „Minenräumung zu humanitä- sollen! Mit Sicherheit hält sich die Freude bei denje- ren Zwecken", zuzustimmen. nigen Menschen in Grenzen, die in Angola mit dem Bus über eine Antitankmine fahren. Genau diese (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ nämlich und ebenso die Landminen neuerer Genera- NEN]: Das haben wir doch schon angekün tion tauchen in dem vorliegenden Antrag im Zusam- digt!) menhang mit Sanktionsüberlegungen überhaupt nicht auf. Im Interesse einer schnellen Hilfe für die von Minen betroffenen Menschen wäre ein gemeinsames Vor- Anstatt im Zusammenhang mit den Vereinten Na- gehen wünschenswert und notwendig. tionen nur bei dem Wort „Tornado" in Pawlowsche Unsere Anträge ermöglichen es, den politischen Si- Reflexe zu verfallen, sollten Sie doch endlich einmal gnalen auch konkrete Taten folgen zu lassen. die Aussagen von UN-Organisationen wie UNHCR oder UNICEF oder auch zahlreichen kirchlichen Or- Vielen Dank. ganisationen ernst nehmen, die eine Unterscheidung von „guten" und „schlechten" Landminen schlicht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so als sinnlos und gefährlich bezeichnen. wie bei Abgeordneten der SPD) In Übereinstimmung mit diesen Organisationen hat die mit ihrem Antrag verschiedene Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat PDS Vor- jetzt der Kollege Steffen Tippach. schläge gemacht. Wir haben gesagt: Achtung von Entwicklung, Export und Einsatz aller Arten von Landminen. Wir haben gesagt: Geben Sie Steffen Tippach (PDS): Frau Präsidentin! Werte 100 Millionen DM für den UN-Minenräumfonds! Kolleginnen und Kollegen! Da wurden nun Berge von Papier beschrieben, Sitzungen abgehalten und (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: So ist Opposi- Anträge gestellt. tion einfach!) (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Und die PDS Wir haben gesagt: Rehabili tieren und entschädigen stand abseits!) Sie Minenopfer! - Wir standen doch nicht abseits. Wir haben doch Nichts davon haben Sie für bemerkenswert gefun- auch einen Antrag eingebracht; das wollte ich ge- den. Nicht, daß die Bundesregierung dies nicht um- rade sagen. Wir waren bei den Beratungen dabei setzen und bezahlen könnte: Sie wi ll es nicht umset- und standen keineswegs abseits. zen und bezahlen! Das Ergebnis davon ist ein Sack voll heißer Luft. Das macht den vorliegenden Antrag zu einem Fei- Daß nun auch die SPD mit draufsteht, macht den genblatt für ein „Weiter so" von Bundesregierung ganzen Sack nicht voller. Der kleinste gemeinsame und Rüstungsindustrie. Die ganze Ausrichtung des Nenner von SPD, F.D.P. und CDU/CSU besteht aus Antrags ist falsch. Genau deswegen werden wir ihn wohlklingenden Absichtserklärungen, Unverbind- ablehnen. lichkeiten und jeder Menge Eigenlob. Danke. Da soll ein Exportmoratorium für Minentypen ver- längert werden, die mangels Vorhandensein sowieso (Beifall bei der PDS) nicht exportiert werden können. Die Rehabilita tion von Minenopfern kommt in dem gemeinsamen An- trag ebensowenig vor wie die irrsinnige Summe von Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt 354 Millionen DM, die 1994 für die Entwicklung von die Kollegin Anneliese Augustin. Minen und Verlegesystemen ausgegeben wurde. Für den UN-Minenräumfonds soll ein „angemessener Anneliese Augustin (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Beitrag" geleistet werden. Was darunter zu verste- Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Wo- hen ist, zeigt die Bundesregierung bisher mit einer chen werde ich mit drei unserer Kolleginnen aus dem Beteiligung von null DM. Die einzig konkrete Zahl Deutschen Bundestag in Angola und in Mosambik des Antrages ist die der weltweiten Minenopfer. Ich sein. Beides sind Länder, die durch Bürgerkriege und - befürchte nur, daß deren Zahl durch diesen Antrag andere kriegerische Auseinandersetzungen unsäg- nicht weniger wird. lich gelitten haben. Auch heute noch werden Men- Staatsminister Schäfer sagte am 12. Mai in der er- schen Opfer dieser entsetzlichen Kriege. Beispiels- sten Lesung der Anträge: weise der zehnjährige Manuel Jamba, dem durch eine Mine beide Beine weggerissen wurden. Manuel Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr ist leider kein Einzelfall. Rund 10 000 Zivilisten welt- ein Exportmoratorium für Antipersonenminen weit sterben jedes Jahr durch diese explosive Hinter- beschlossen. Reden Sie das jetzt nicht herunter, lassenschaft. Viele Tausende mehr überleben zwar, und sagen Sie nicht, das sei alles zuwenig. Seien müssen aber ihr Leben als Krüppel fortsetzen. 3836 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Anneliese Augustin Daher müssen wir der Räumung von Minen inter- in der Bundesrepublik Deutschland die Sensibilität national und national noch mehr als bisher Bedeu- für dieses Problem schaffen. Ich danke auch jedem tung beimessen, und das gerade im Blick auf die einzelnen, der dort unter Einsatz seiner Gesundheit kommende UN-Minenräumkonferenz in Genf, in der und seines Lebens diese unglaublich gefährliche Ar- Fachleute dieses Thema diskutieren werden. beit leistet. Im vergangenen Jahr hat die westliche Geberge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. meinschaft - das sagt die UNO - lediglich 70 Mil- Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]) lionen DM für Minenräumung ausgegeben. Es hat schon jemand ausgerechnet: Wenn wir in dieser Ich möchte Sie alle einladen, unseren interfraktio- langsamen Gangart weitermachen, dann werden nellen Antrag zu unterstützen. Ich hoffe, daß unsere über tausend Jahre vergehen, bis wir mit diesem Pro- Initiative sich zu einem wirkungsvollen Beitrag für blem weltweit fertiggeworden sind. Frieden und Wiederaufbau dieser durch viele Kriege und Bürgerkriege wahrhaft geschundenen Länder (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ entwickelt. NEN]: 4 300 Jahre!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das geht nicht. Ich hoffe, daß wir uns an diesen Zeit- horizont auf keinen Fall gewöhnen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt spricht für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Bundesregierung Herr Staatsminister Helmut Schäfer. Allerdings sollten wir in aller Ehrlichkeit sagen: Wir machen uns daran, aber auch wir werden nicht sehr schnell vorankommen. Wir werden Monate und Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Jahre, ja Jahrzehnte brauchen, bis wir in den so ge- Amt: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! schundenen Ländern die Möglichkeit geschaffen ha- Die Bundesregierung begrüßt nachhaltig den nach ben, daß wieder Ackerbau und Viehzucht bet rieben unserer letzten Debatte am 12. Mai 1995 erzielten werden können. breiten parlamentarischen Konsens. Ich freue mich natürlich darüber, daß - Herr Kol- Die Verschärfung internationaler Verbote und Re- lege Pflüger hat es erwähnt - in Guatemala, übrigens gelungen im Minenbereich sowie Unterstützungs- ausgehend von einem Projekt einer deutschen NGO, maßnahmen für betroffene Staaten stellen für die eine Gesetzesinitiative erwachsen ist, in der Minen- Bundesregierung wich tige abrüstungspolitische räumung zur Pflichtaufgabe gemacht wird, und in Ziele und zugleich humanitäre Anliegen ersten Ran- der gleich präzisiert wurde, wie man dabei vorgehen ges dar. soll. Hoffnungsfroh stimmt mich auch die Tatsache, daß sowohl dos Santos als auch Savimbi in Angola (Beifall bei der F.D.P.) bereits jetzt Zeichen gegeben haben, daß sie etwa Der gemeinsame Antrag wird der deutschen Dele- 1 000 Soldaten freistellen werden, damit diese die gation auf der bevorstehenden Wiener Überprü- Minenräumung lernen; das muß sorgfältig erlernt fungskonferenz zum UN-Waffenübereinkommen werden, um die Risiken herabzumindern. den Rücken stärken. Wichtig ist aus der Sicht der (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Gute Bundesregierung, daß der Antrag über das in Wien Nachrichten!) voraussichtlich Erreichbare hinausweist. Daran sieht man, daß Minenräumung auch eine Wien ist ein erster und wich tiger Schritt auf dem Möglichkeit zur Demobilisierung dieser Soldaten ist. Weg zu einem weltweiten Verzicht auf Antipersonen- Diese Sorge machen wir uns seit langem: Was wird minen. Weitere Schritte - darüber sind wir alle uns aus den zu demobilisierenden Soldaten? einig - müssen natürlich folgen. Ich meine, es war ganz gut, daß wir in unserem (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- zweiten Antrag einmal die ganze Bandbreite dessen, ten der CDU/CSU) was nun getan werden muß, klargemacht haben. Bereits jetzt gibt es entsprechende Initiativen. So Beispielsweise müssen Orthopädiezentren, Rehabi li treffen sich seit heute Vertreter aus 35 Ländern, dar- tions- und chirurgische Zentren in einem integrier--ta unter auch eine deutsche Delega tion, in Budapest, ten System eingerichtet werden. Ich bin sehr zuver- um über Beschränkungen der Produktion, der Lage- sichtlich, daß unsere gemeinsame Anstrengung er- rung und des Exports von Antipersonenminen zu be- folgreich sein wird. Ich freue mich, daß Sie, Frau raten. Auf der Tagesordnung steht unter anderem Beer, wenigstens diesem einen Antrag von uns zu- eine einschneidende Reduzierung der weltweiten - stimmen, wenngleich ich es überhaupt nicht verste- Bestände an Antipersonenminen ohne Selbstzerstö- hen kann, daß Sie dem anderen nicht zustimmen. rungsmechanismus. Weltweit bedarf es eines noch größeren Engage- In der kommenden Woche werde ich selber in ments. Aber wir können durchaus mit dem zufrieden Genf an der internationalen Minenräumkonferenz sein, was die Bundesrepublik Deutschland und auch der Vereinten Nationen teilnehmen. Wir müssen den die Europäische Union auf diesem Gebiet bereits er- vom Minenproblem betroffenen Ländern auch Hilfe reicht haben. Ich möchte an dieser Stelle ausdrück- lich ganz herzlich den vielen NGOs danken, die sich (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Und zwar so vor Ort mit diesem Thema befassen, auch denen, die schnell wie möglich!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3837

Staatsminister Helmut Schäfer bei der Minenräumung, bei der Aufklärung über Mi- ging nicht von heute auf morgen. Hier haben auch nengefahren und bei der Rehabilita tion von Minen- Resolutionen nicht von heute auf morgen geholfen. opfern anbieten. Darüber gibt es keinen Zweifel (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Auch da hatten Ich brauche aber nicht mit leeren Händen nach die Grünen eine Position, die absolut un- Genf zu fahren. Die Bundesregierung hat bereits in haltbar war!) der Vergangenheit Minenräumprogramme der Ver- einten Nationen, aber auch von Nichtregierungsor- Frau Kollegin Beer, auch auf dem Weg der Grünen ganisationen unterstützt. Wir fördern derzeit solche zur völligen Abschaffung des Autos gehen Sie schrittweise vor - wenn ich mir erlauben darf, dies zu Programme in Mosambik, Angola und Afghanistan. Für die nächsten drei Jahre hat das Auswärtige Amt sagen. aus Mitteln der Ausstattungshilfe 10 Millionen DM (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und für Minenräummaßnahmen veranschlagt. der CDU/CSU) (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sehr gut! Zwar Sie haben allerdings schon beträchtliche Erfolge er- keine 30 Millionen, aber immerhin 10 Mil zielt. Die neue nordrhein-westfälische Landesregie- rung ist wahrscheinlich auf dem Weg, das fortzuset- -lionen!) zen. Ich wäre sehr dankbar, wenn noch weitere Mittel aus dem Haushalt für diese Zwecke zur Verfügung ge- (Günter Rixe [SPD]: Na, na, na!) stellt werden könnten. - Doch. Es geht über Antwerpes wahrscheinlich hin- Aber Geld allein räumt keine Minen. Minenräu- aus, Herr Kollege. mung ist immer noch eine mühselige und gefahrvolle Tätigkeit. Ich bin mir sicher, daß wir beim nächsten Mal un- seren gemeinsamen Zielen und dabei besonders dem (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) weltweiten Verzicht auf Antipersonenminen und der wirksamen Hilfe für die vom Minenproblem betrof- Daher ist es wichtig, geeignete mechanische Räum- fene Bevölkerung einen weiteren Schritt näherge- verfahren weiterzuentwickeln und zum Einsatz zu kommen sein werden. bringen. Denn Techniken und Kenntnisse entschei- den sehr oft über das Leben und die Gesundheit Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Fraktionen auch des Räumpersonals. und weise darauf hin, daß wir mit der heutigen De- batte - ich sage das noch einmal - nicht am Ende an- Die Bundesregierung wird deshalb dem UN-Mi- gekommen sind. Wir werden uns mit diesem Thema nenräumfonds eine Datei des Minendokumentations- noch viel intensiver zu befassen haben zentrums der Bundeswehr zur Verfügung stellen, die Angaben zu 467 weltweit vorkommenden Minenty- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- pen enthält. Diese Datei soll die Planung von Minen- NEN]: Sie müssen die Hardthöhe noch räumprogrammen erleichtern und die Sicherheit des überzeugen! ) eingesetzten Räumpersonals erhöhen. Ich werde und Frau Beer Gelegenheit geben, immer wieder dem UN-Sekretariat in der nächsten Woche in Genf festzustellen, es gehe alles nicht schnell genug. die ersten Datensätze übergeben. Vielen Dank. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Zuruf von der CDU/CSU: Wir nehmen Sie Die Bundesregierung ist bereit, sich auf dem Ge- beim Wort!) biet der Minenräumung künftig noch stärker zu en- gagieren. Der gemeinsame Antrag von Koalition und SPD enthält hierzu wichtige Anregungen, die die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- Bundesregierung sorgfältig prüfen wird. mit die Aussprache.

Natürlich ist die Bundesregierung nicht der einzige Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Akteur in diesem Bereich, sondern handelt in enger Ausschuß empfiehlt unter I. seiner Beschlußempfeh- Abstimmung mit ihren Partne rn und - das möchte ich lung auf Drucksache 13/1780 die Annahme der Ent- an dieser Stelle besonders betonen - mit den nationa- schließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- len und internationalen Hilfsorganisationen, die in lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die den besonders be troffenen Ländern tätig sind. Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von BÜND- Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, daß NIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen. wir heute im Bundestag nicht zum letztenmal über dieses Thema gesprochen haben. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Leider nicht!) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu weitgehenden Einsatzbeschränkungen für Landmi- Ich erinnere mich an die langjährigen Debatten über nen, Drucksache 13/1780 Nr. II. Der Ausschuß emp- die Abschaffung der chemischen Waffen. Auch dies fiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1299 damit für 3838 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluß- Gemeinschaftsinitiative Ausbildungsplatzsi- empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die cherung Beschlußempfehlung ist damit mit den Stimmen des Hauses angenommen worden. - Drucksache 13/1838 — Überweisungsvorschlag: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- Ausschuß far Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem gie und Technikfolgenabschätzung (federführend) Antrag der Fraktion der SPD zum Verbot von Land- Ausschuß für Wirtschaft minen und zur Unterstützung der Länder der Dritten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Welt, Drucksache 13/1780 Nr. II. Der Ausschuß emp- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß fiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1308 für erle- digt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußemp- Zum Berufsbildungsbericht liegt ein Entschlie- fehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer ßungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Enthaltung ist die Beschlußempfehlung im übrigen NEN vor. mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschus- gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - ses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur weltwei- Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so be- ten Achtung der Landminen, Drucksache 13/1780 schlossen. Nr. II. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1302 für erledigt zu erklären. Wer Ich eröffne hiermit die Aussprache. Das Wort hat stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- der Herr Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers. ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, und PDS bei einer Enthaltung angenommen worden. Wissenschaft, Forschung und Technologie: Frau Prä- Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschus- sidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir dis- ses zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE kutieren heute den Berufsbildungsbericht und damit GRÜNEN zur Ächtung von Landminen, Drucksache auch über die Ausbildungsplatzsituation im Jahre 13/1780 Nr. II. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag 1995. Sie haben bei der Lektüre dieses Berufsbil- auf Drucksache 13/1304 für erledigt zu erklären. Wer dungsberichtes gelesen, daß ich zwei Schwerpunkte stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- gesetzt habe: erstens die Ausbildungsplatzsituation, probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung zweitens die Umsetzung des Maßnahmenkataloges ist gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zur Stärkung und Modernisierung der beruflichen NEN und PDS angenommen worden. Bildung. Ich glaube, beides gehört zusammen. Es ist zwar wahr, daß im Moment im öffentlichen Interesse Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der naturgemäß die Frage der Lehrstellensituation steht. Fraktion der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Minen- Deshalb will ich zuerst dazu kurz Stellung nehmen. räumung zu humanitären Zwecken als Beitrag sinn- Für die Bundesregierung ist die Sicherung eines voller Demobilisierung sowie zur Förderung des Wie- ausreichenden Ausbildungsplatzangebotes eine deraufbaus, Drucksache 13/1844. Wer stimmt für die- zentrale Aufgabe. Wir wollen auch in diesem Jahr, sen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der daß jeder junge Mann und jede junge Frau, die eine Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an- Lehrstelle haben will und übernehmen kann, einen genommen worden. Ausbildungsplatz bekommt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6a und 6b auf: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Es hat leider in den vergangenen Wochen eine regierung zum Teil sehr, sehr heftige Diskussion über die Zah- Berufsbildungsbericht 1995 len gegeben. Ich glaube, wir können übereinstim- mend feststellen, daß die Konfusion, die zum Teil da- - Drucksachen 13/1300, 13/1502 (Berichti- durch entstanden ist, daß zur Begründung verschie- gung) dener Auffassungen unterschiedliche Zahlen aus un- terschiedlichen Quellen verwandt worden sind, für —Überweisungsvorschlag: die jungen Leute ganz sicherlich nicht zur Aufklä- - Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo rung der Situation beigetragen hat. gie und Technikfolgenabschätzung (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Die Bundesregierung hat sich deshalb darum be- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung müht, im letzten Gespräch zur Zukunftssicherung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß des Standortes Deutschland bei Bundeskanzler Hel- mut Kohl zu einer Klärung dieser Situa tion beizutra- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ste- gen. Ich möchte an Sie alle, auch an die Öffentlich- phan Hilsberg, Günter Rixe, Peter Enders, keit, appellieren, diese dort übereinstimmend festge- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der stellten Zahlen der weiteren Diskussion zugrunde zu SPD legen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3839

Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers Wir haben auf der Basis der Zahlen der Bundesan- desregierung ihre nach der Privatisierung ursprüng- stalt für Arbeit Ende Mai eine Zwischenbilanz gezo- lich am Eigenbedarf orientierte Planung von 5 900 gen. Es ist festzustellen, daß wir in den westlichen Plätzen nachhaltig nach oben korrigiert. Sie werden Bundesländern auch in diesem Jahr wieder einen fast 9 000 Ausbildungsplätze anbieten. Ausbildungsplatzüberschuß haben. Man muß dazu- sagen, daß dieser Überschuß kleiner ist als in den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - vergangenen Jahren; aber es gibt nach wie vor einen Zuruf von der CDU/CSU: Das ist beacht- Ausbildungsplatzüberschuß. Es gibt - auch das muß lich!) man dazusagen - durchaus regionale Unterschiede. Wer mit dem Finger auf andere zeigt, der sollte Es ist sicherlich im Norden der Republik schwieriger selbst in den Spiegel schauen. Ich muß sagen, daß als im Süden. Aber dies bedeutet, daß wir das Ziel im ich mit den bisherigen Reaktionen auf Länderebene Westen ganz sicher erreichen werden. nicht zufrieden bin. Ich habe z. B. in den letzten Wo- chen, für mich völlig unverständlich, wieder Vor- In den neuen Bundesländern ist die Situation si- würfe von der zuständigen Ministerin des Landes cherlich schwieriger. Do rt besteht auch unstreitig Brandenburg in der Öffentlichkeit gehört. Es ist Handlungsbedarf. Aber die Frage, mit welcher Stra- schon ein Stück Unverfrorenheit, dem Bund Vor- tegie man zur Lösung dieses Problems antritt, ist na- würfe zu machen, gleichzeitig allerdings auf die ent- türlich eine zentrale Frage. Die Bundesregierung sprechende Rundfrage, die wir bei allen Bundeslän- setzt darauf, daß es, wenn wir den jungen Leuten dern gemacht haben, wie sich denn die Länder in schnell helfen wollen, richtig ist, daß wir versuchen, diesem Jahr verhalten wollen, nicht oder nur unzu- so viele Ausbildungsplätze wie möglich zu mobilisie- reichend zu antworten und statt dessen kommentar- ren. Das heißt gleichzei tig, daß wir dirigistische Maß- los zu übermitteln, daß die Ausbildungsplatzange- nahmen nicht ergreifen werden, weil diese dazu füh- bote für die Laufbahnausbildung im mittleren und ren würden, daß das gesellschaftspolitisch wich tige gehobenen Dienst 1995 in Brandenburg um 45 % zu- Ziel nicht erreicht werden kann. rückgefahren worden sind. Das ist nicht die Vorbild- funktion, von der ich spreche. Ich habe keinerlei Zweifel, daß die Wirtschaft alles daransetzt, ihre Zusage in Ost und West einzuhalten, Nachdem ich von der Kollegin Hildebrandt einen 1995 erheblich mehr Ausbildungsplätze zur Verfü- Brief bekommen habe, den es auch im letzten Jahr gung zu stellen, als dies 1994 der Fall war. In den gegeben hat - als dann wieder alle jungen Leute ei- neuen Bundesländern werden wir insgesamt rund nen Ausbildungsplatz bekommen haben, hat sie ver- 130 000 Ausbildungsplätze brauchen. Ich gehe da- gessen, einen entsprechenden Dankesbrief zu von aus, daß wir uns in den nächsten Wochen noch schreiben -, habe ich ihr angeboten, daß ich mich mit anstrengen müssen, um eine Lücke von weiteren einem Brief an sie wenden werde, wenn wir das Ziel 15 000 Plätzen zu schließen. nicht erreichen. Ich erwarte allerdings im umgekehr- ten Fall von ihr eine entsprechende posi tive Mittei- Die SPD geht in ihrem Antrag von einer Lücke von lung. 20 000 Ausbildungsplätzen aus. Das entspricht nicht den bisherigen Erfahrungen mit der Entwicklung der Das, was wir an konkreten Vorschlägen in den Ent- letzten Jahre. Aber selbst wenn man diesen Pessimis- schließungsanträgen haben, hat mich allerdings zum mus zugrunde legt, dann heißt die gute Botschaft Teil gewundert - zum Teil deshalb gewundert, weil jetzt, kurz vor Ende des Monats Juni, daß bereits dort Forderungen aufgestellt werden, die bereits um- heute 85 % bis 90 % der Jugendlichen in den neuen gesetzt worden sind. Ländern mit einem betrieblichen Ausbildungsplatz Das betrifft zum einen das Thema Ausbildungsbe- werden rechnen können. Ich finde, das ist drei Mo- rater. Sie wissen, daß wir nach dem 1. Juli mit einem nate vor Ende des Vermittlungsjahres und zweiein- Sonderprogramm in einem Umfang von 54 Millio- halb Monate nach der Zusage der Wirtschaft ein nen DM 150 Ausbildungsplatzentwickler in den durchaus gutes Ergebnis. neuen Bundesländern einsetzen, die in den Betrie- ben, die noch nicht ausbilden, helfen wollen, die na- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) türlich zum Teil vorhandenen bürokratischen Hemm- nisse zu überwinden. Ich habe gesagt, daß dies bedeutet, daß wir noch weitere Schritte gehen müssen. Dazu gehört auch die Wir wollen des weiteren, wie do rt gefordert, im Vorbildfunktion der öffentlichen Hand. Ich habe Rahmen der vorhandenen Programme die Anstren- deshalb kein Verständnis dafür, daß etwa im Hin- gungen zu einer besonderen Förderung von jungen blick auf den Bund in den Anträgen der SPD Vor- Frauen und Mädchen weiterführen. würfe enthalten sind. Das kann nur auf Nichtwissen, auf schlechter Recherche oder darauf beruhen, daß Wir werden aufgefordert, überbetriebliche Ein- man die Anträge zu früh geschrieben hat und die Sa- richtungen zu fördern. Ich will in diesem Zusammen- che inzwischen überholt ist. hang darauf hinweisen, daß wir den neuen Ländern bei der Förderung überbetrieblicher Ausbildungs- Die Bundesregierung hat bereits gehandelt. In der stätten absoluten Vorrang gegenüber den alten Län- Bundesverwaltung werden wir das Ausbildungs- dern gegeben haben. 330 Millionen DM wurden bis- platzangebot für anerkannte Ausbildungsberufe in her eingesetzt. 1995 werden wir weitere 120 Mil- diesem Jahr um mehr als 5 % erhöhen. Das ist vor- lionen DM - ich sage das noch einmal - vorrangig in bildlich. Bahn und Post haben auf Drängen der Bun- den neuen Ländern investieren. 3840 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers Ich glaube, daß auf Grund dieser Situa tion alle Sie sehen, meine Damen und Herren, daß das Chancen da sind, daß wir das wich tige gesellschaftli- Thema berufliche Bildung ein Thema ist, das der che Ziel erreichen, daß junge Leute am Beginn ihres Bundesregierung sehr am Herzen liegt. Wir sind froh, Arbeitslebens eine Ausbildungschance bekommen. daß wir gerade in diesem Bereich in den letzten Mo- Dies ist ein wichtiger Punkt. naten so große Erfolge erzielen konnten. Vielen Dank. Den Vorschlag der Grünen, eine mögliche Lücke auf dem Ausbildungsmarkt in den neuen Ländern zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einem Teil durch ein Mobilitätshilfeprogramm zu schließen, halte ich für bedenkenswert. Wir haben Das Wort hat ähnliche Überlegungen bereits in der Runde beim Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: jetzt die Senatorin für Arbeit und Frauen des Landes Bundeskanzler am 14. Juni diskutiert. Berlin, Frau Dr. Christine Bergmann.

Ich begrüße auch den Vorschlag der Grünen, Senatorin (Berlin): Frau durch weitere tarifliche Vereinbarungen zur Ausbil- Dr. Christine Bergmann Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her- dungsplatzsicherung und zu Übernahmemodellen ren! Herr Rüttgers, wenn ich Sie hier so reden höre, die Verantwortung der Wirtschaft in den Vorder- wird mir manchmal ganz anders, weil ich mich frage, grund zu stellen. Ich will in diesem Zusammenhang wer von uns eigentlich eine falsche Wahrnehmung die chemische Industrie ausdrücklich loben, die dies hat. anläßlich des Abschlusses ihres Tarifvertrages ge- macht hat. Ich will mich auch ausdrücklich beim (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Deutschen Gewerkschaftsbund bedanken, der in ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN diesem Jahr erstmals erklärt hat - das ist auch für die und der PDS) Betriebe wichtig -, daß er in den Betrieben, die über Bedarf ausbilden, nicht auf einer Übernahme der jun- Wenn ich Sie reden höre, habe ich das Gefühl, uns gen Leute in feste Arbeitsverhältnisse nach Ende der liegen einfach nur die falschen Zahlen vor, und des- Ausbildung bestehen wird. Das ist natürlich für die wegen sehen wir dieses Problem im Moment als so Betriebe ein wich tiges Signal, daß sie über Bedarf groß an. ausbilden können, ohne später mit dem Betriebsrat Ich komme noch zu einzelnen Punkten und wi ll Probleme zu bekommen. vorweg nur folgendes sagen: Es stimmt, wir haben im vergangenen Jahr in Berlin die Jugendlichen zum Daneben steht natürlich der Maßnahmenkatalog, Jahresende untergebracht, aber fragen Sie nicht, wie stehen die Maßnahmen zur Verbesserung der beruf- - natürlich mit einer Gemeinschaftsinitiative, mit lichen Ausbildung. Darüber haben wir in einer frü- Hilfe beträchtlicher Landesprogramme und auch da- heren Debatte gesprochen. Ich halte das für einen durch, daß wir eine ganze Menge in die Warte- zentralen politischen Punkt. Viel zuwenig Leute in schleife geschoben haben, die natürlich jetzt einen Deutschland wissen, daß die Frage der Ausbildungs- Ausbildungsplatz suchen. In diesem Jahr haben wir plätze nicht nur ein Problem des Jahres 1995 ist, son- all dies nicht: Es gibt diesen Puffer nicht mehr; eine dern weil wir in den kommenden Jahren bis weit ins größere Anzahl von Jugendlichen drängt auf den nächste Jahrtausend, also über 2005 hinaus, zahlen- Ausbildungsmarkt; wir haben einen Rückgang an mäßig steigende Jahrgänge haben werden, müssen Ausbildungsplätzen zu verzeichnen; es gibt keine wir auch im Bereich der qualitativen Ausstattung un- Gemeinschaftsinitiative. Deswegen machen wir uns seres dualen Systems Veränderungen vornehmen. solche Sorgen. Ich habe in einer der Debatten schon einmal darüber berichten können, und der Maßnahmenkatalog gibt Um auch das noch einmal vorneweg zu sagen: Es dies wieder. geht nicht um meine Sorgen oder um Ihre Sorgen, sondern darum, daß Jugendliche über Monate hin- weg nicht wissen, was mit ihnen wird. Dies heißt z. B., daß wir das Verfahren zur Festle- gung von Berufsbildern drastisch auf zwei Jahre ver- (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) kürzt haben. Das ist für diejenigen, die sich mit be- Denen kann ich dann zwar sagen: Im letzten Jahr ha- ruflicher Bildung beschäftigen, eine kleine Revolu- ben wir es noch hinbekommen; aber das nützt denen tion. Das heißt, dafür zu sorgen, daß leistungsstarke nichts. Sie stehen jetzt da und fragen: Was wird mit junge Leute eine besondere Begabtenförderung er- mir im September? halten; das heißt: Neudefinition neuer Berufe, soge- nannter Zukunftsberufe; das heißt auch, ein beson- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf deres Programm für Lernschwache aufzulegen. Kutzmutz [PDS]) Wir haben in Berlin vor kurzem den langjährigen Das sind Punkte, die wir zum Teil in diesem Jahr Bezirksleiter der IG Metall Horst Wagner in den Ru- noch umsetzen werden, die zum Teil im kommenden hestand verabschiedet. Horst Wagner ist ein Mensch, Jahr abgeschlosssen werden können und die dazu der in seinem ganzen Leben politisch sehr engagiert beitragen werden, die Situa tion auf dem Ausbil- war, in unterschiedlichen Ämtern: im Parlament, in dungsmarkt zu verbessern, also die Anzahl der Aus- der Regierung, in der Gewerkschaft. Er sagte in sei- bildungsplätze zu erhöhen. ner Abschiedsrede, daß ihn ein Problem am Ende sei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3841 Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin) ner beruflichen Laufbahn besonders bewege, näm- Wir kennen doch die Situa tion - ich muß das nicht lich die Tatsache, daß wir jetzt eine ähnlich dramati- im Detail ausführen -: Es besteht eine erhebliche sche Ausbildungsplatzsituation haben wie zu Beginn Ausbildungsplatzlücke. Ich will gar nicht darüber seiner beruflichen Tätigkeit vor mehr als 40 Jahren. streiten, welche Zahlen die richtigen sind.

Aus diesen Worten klingt die ganze Verzweiflung Ich beziehe mich noch einmal auf den Osten. Trotz und Sorge über die Ausbildungsmisere - Verzweif- eines wirtschaftlichen Aufschwungs ist das Angebot lung deshalb, weil es offensichtlich eben nicht mehr an Lehrstellen gegenüber 1994 nur um 1,7 % gestie- hinreichend gelingt, den jungen Menschen am Be- gen, während sich die Bewerberzahl im gleichen ginn ihres Lebensweges eine Perspektive zu geben, Zeitraum um 14,5 % erhöhte. Das sind 2,3 Bewerber und Sorge darüber, wie sich eine solche für viele nie- oder Bewerberinnen pro Stelle. Im Ostteil Berlins ist derschmetternde Lage auf unser Gesellschaftssy- die Situation noch kritischer; da sind wir bei einer stem, auf unser Zusammenleben und auf das Politik- Quote von 3,7. Die Gesamtzahl will ich jetzt einmal verständnis auswirken muß. Ich kann das nicht so außen vor lassen. cool betrachten, wie Sie das offensichtlich können, Das Problem besteht natürlich nicht ausschließlich Herr Rüttgers. in Ostdeutschland. Auch in den Altbundesländern gibt es Regionen - Sie haben das angesprochen -, in (Beifall bei der SPD) denen eine erhebliche Unterversorgung besteht. Auch hier nimmt die Zahl der Bewerber um einen Wir haben eine ganze Reihe von Problemen, die Ausbildungsplatz zu, und die Zahl der Ausbildungs- alle etwas miteinander zu tun haben: Wir stehen vor plätze geht zurück. Es reicht auch nicht, die rechneri- einer nicht nur vorübergehend hohen Arbeitslosig- schen Größen von Nachfrage und Angebot in zahlen- keit. Das Grundrecht auf freie Berufswahl ist faktisch mäßige Übereinstimmung zu bringen. Es geht natür- nicht mehr realisierbar - obwohl es uns in Art. 12 des lich auch darum, für junge Menschen Wahlmöglich- Grundgesetzes garantiert wird -, weil einfach nicht keiten zu schaffen. Es geht darum, die richtigen, die genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. zukunftsorientierten Ausbildungsplätze bereitzustel- len. Das kann und wird die Wirtschaft nicht alleine Es gibt auch eine hohe Zahl von nicht zukunftssi- lösen, selbst wenn sie dazu bereit ist. Ich habe dies- cheren Ausbildungsplätzen - auch das gehört, so bezüglich entschieden mehr Zweifel als Sie. glaube ich, mit in diese ganze Diskussion hinein -, weil noch zu viele Ausbildungsplätze in Bereichen Wenn wir uns einmal die Situa tion bezüglich der angeboten werden, die eben nicht zukunftsträchtig Ausbildungsplätze in den Betrieben anschauen, sind, während uns in anderen Bereichen, von denen dann stellen wir fest, daß zwei Drittel der Betriebe in wir wissen, daß es dort bessere Perspektiven gibt, Deutschland überhaupt nicht ausbilden. In Thürin- z. B. im Dienstleistungsbereich, Ausbildungsplätze gen, so habe ich mir sagen lassen, gibt es den fehlen. Viele junge Menschen müssen eben befürch- schlechtesten Stand überhaupt: Nur 7 % der Betriebe ten, daß sie nach der Ausbildung - wenn sie das bieten Ausbildungsplätze an. Glück hatten, einen Ausbildungsplatz zu bekom- men - nicht übernommen werden und sich an die Große leistungsfähige Ausbildungsstätten, die für Ausbildung womöglich eine Umschulung anschließt, eine überbetriebliche Ausbildung geeignet sind, ma- was an sich schon irgendwie schizophren ist. chen dicht. Manche bieten diese Einrichtungen dann dem Land zum Kauf an, damit sie dort außerbetrieb- (Dr. Liesel Hartenstein [SPD]: Ja!) liche Ausbildung finanzieren können. (Günter Rixe [SPD]: Genau!) Herr Rüttgers, ich frage mich wirk lich, was das für ein Zynismus ist, wenn Sie in dieser Situation erklä- Das alles soll es geben. ren - Sie haben es hier wieder getan -, die Ausbil- Der Trend, daß Ausbildungsstätten mit Blick auf dungsfrage sei eine Angelegenheit der Wi rtschaft, die Kosten dichtmachen, hält an. Länder und Ge- also nicht eine des Staates, und man dürfe mit staat- meinden sind dann gezwungen, außerbetriebliche lichen Maßnahmen nicht zu früh eingreifen, um die Ausbildungsstätten einzurichten und eine Art Not- Wirt schaft nicht aus der Verantwortung zu nehmen. ausbildung zu garantieren. Das wird über Mittel der Bundesanstalt für Arbeit und über staatliche Subven- (Günter Rix e [SPD]: Ja, das ist immer die tionen finanziert. Gleichzeitig aber beklagt die Wirt- Ausrede! - Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: schaft, daß die Qualität der außerbetrieblichen Aus- Ich sehe das überhaupt nicht zynisch! Das bildungsstätten nicht ihren Standardvorstellungen trifft die Wahrheit!) entspreche, und we rtet die außerbetriebliche Ausbil- dung damit im Grunde ab. Auch ich will das nicht. Ich glaube, keiner von uns will die Wirtschaft aus der Verantwortung entlassen. Das läßt sich auch belegen. Es gibt Untersuchun- Aber meine Frage ist natürlich: Was tun Sie denn gen, z. B. die Verbleibsstudie des IAB, die zeigen, über Appelle hinaus, um diese Verantwortung einzu- daß der Anteil der Arbeitslosen, die eine außerbe- fordern? triebliche Ausbildung absolviert haben, um das Dop- pelte höher ist als der Anteil der Arbeitslosen, die be- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei trieblich ausgebildet wurden. Auch dies - wir sind Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE heute häufiger bei Frauenthemen - ist wieder ein GRÜNEN) Frauenthema; denn 71 % der außerbetrieblichen 3842 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin) Ausbildung wird von Mädchen in Anspruch genom- Auswirkungen dieser Zitterpartien auf die Jugendli- men, weil ihre Chancen, einen betrieblichen Ausbil- chen bewußt? Mir erzählen mittlerweile schon 14- dungsplatz zu bekommen, wesentlich schlechter und 15jährige im Ostteil Berlins oder in Branden- sind. burg, sie hätten keine Chancen in dieser Gesell- schaft. Ich erschrecke jedesmal sehr. Es stimmt so na- In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf ei- türlich nicht, aber es ist ein Stück Lebensgefühl, das nen anderen Punkt hinweisen: Es sind übrigens auch junge Menschen heutzutage haben, wenn sie sich wieder Mädchen, die hinsichtlich der in Mobilität fragen: Wie wird eigentlich mein Start in die Arbeits- bezug auf die Arbeitsplätze ganz weit vorn liegen, welt sein? Das kann uns wirk lich nicht kaltlassen. obwohl man ihnen das in der Regel nicht zuspricht. In den neuen Bundesländern läßt sich bekannter- Ich bitte Sie also nachdrücklich, unverzüglich die maßen - das wissen Sie auch - eine betriebliche Aus- Gespräche darüber zu beginnen, wie die Gemein- bildung nur noch mit Subventionen sicherstellen. schaftsinitiative Ausbildungsplätze weitergefüh rt 60 % der Ausbildungsplätze werden schon jetzt sub- werden kann. Es liegt ein sehr vernünftiger Vor- ventioniert, wovon ca. 24 % auf außerbetriebliche schlag der SPD-Fraktion auf dem Tisch. Ich fordere Ausbildungsplätze entfallen. Sie auf, die dazu erforderlichen Mittel bereitzustel- len. Die Länder werden sich ihrerseits auf vernünf- Wir wissen auch, daß die Bemühungen der Bun- tige Weise an dem nötigen Finanzvolumen, wie wir desanstalt für Arbeit, der Kammern und Verbände, es bisher auch schon getan haben, beteiligen. bei den Betrieben um die Bereitstellung von mehr Ausbildungsplätzen zu werben, in der Gesamtbilanz (Zuruf von der F.D.P.: Na!) des Ausbildungsplatzbedarfs nur von mäßigem Er- folg gekrönt sind. Sie sind zu loben; denn sie tun das - Ja, das haben wir immer getan. - dafür sind wir alle -, und das eine oder andere Wir kennen das Spielchen schon. Wenn es nicht so kommt auch dabei heraus. Wenn Sie sich aber be- bitter wäre und nicht auf dem Buckel der Jugendli- stimmte Regionen wie z. B. mein Wohngebiet, Mar- chen ausgetragen würde, könnte ich sagen: Jedes zahn/Hellersdorf, anschauen, werden Sie erleben, Jahr dasselbe Theater. Seit Januar kämpfen wir um daß es keinen einzigen Ausbildungsplatz gibt. Wir eine solche Gemeinschaftsinitiative, und irgendwann haben das praktiziert. kommt sie dann. Die Hinweise auf die unterschiedliche regionale Verteilung von Ausbildungsplätzen und die Klage Es zeigt auch keine Wirkung mehr und wird nach über die mangelnde Mobilität der jungen Leute tref- meinen Erfahrungen mittlerweile auch von der Wirt- fen das Problem nicht im Ke rn. schaft mit Häme aufgenommen, wenn Sie meinen, Lösungen erst kurz vor dem neuen Ausbildungsjahr Meine Damen und Herren, ich möchte auch hier anbieten zu müssen. Wir wissen doch schon heute - sagen, daß es einen Königsweg in der Frage der Aus- darüber gibt es keinen Zweifel -, daß staatliche Sub- bildungsplätze genausowenig gibt wie bei der Be- ventionen zur Stützung der Ausbildungssituation in kämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich werfe Ihnen, den neuen Ländern unvermeidbar sind. meine Damen und Herren von den Regierungsfrak- tionen, nur vor, daß Sie noch nicht einmal den ernst- Aber ich möchte noch einen anderen Punkt an- haften Versuch unternehmen, das Problem wirklich sprechen, meine Damen und Herren. zu lösen.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE die von Ihnen angemeldete Zeit ist vorbei. Sie dürfen GRÜNEN) zwar länger sprechen, aber ich wollte Sie doch dar- Ich finde wirklich fast keine Worte dafür, daß wir auf hinweisen. jetzt, zu Beginn der großen Ferien, noch immer keine (Zuruf von der CDU/CSU: Reden Sie ruhig Informationen darüber haben, ob und in welcher weiter! Wir hören Ihnen gerne zu!) Weise die dringend erforderliche Gemeinschaftsin- itiative fortgeführt werden soll. Ich habe eingangs gesagt, wie die Situation ist und daß wir sie im ver- Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin): Ich gangenen Jahr nur bewältigt haben, weil wir die kürze das ab. — Wir brauchen also zum einen drin- Gemeinschaftsinitiative und noch einiges andere gend die Gemeinschaftsinitiative, um in diesem Jahr hatten. über die Runden zu kommen, aber das reicht nicht. Wir wissen also immer noch nicht, ob und wann Wir müssen zum zweiten ganz andere Fragen be- wir eine solche Gemeinschaftsinitiative bekommen antworten, nämlich: Wie gehen wir gegen Betriebe werden. Herr Rüttgers, ich hatte gehofft, das heute vor, die aus berechtigten oder vorgeschobenen Grün- von Ihnen zu hören. Es gibt vielleicht noch eine Gele- den zunehmend auf Ausbildung verzichten? Wie lö- genheit, sich dazu zu äußern. sen wir dieses Problem längerfristig? Ich ziele damit Die Bedingungen sind eindeutig schlechter gewor- nicht auf eine Ausbildungsabgabe ab - ich halte sie den. Wir haben mehr junge Menschen, die auf Aus- für nicht sehr vernünftig; wir wollen die Be triebe bildungsplätze warten. Ich weiß nicht, ob Sie es für auch nicht zusätzlich belasten -, aber schauen wir richtig halten, die Spannung noch ein wenig auf- doch einmal in die Nachbarländer, z. B. nach Däne- rechtzuerhalten. Sind Sie sich eigentlich wirklich der mark. Dort gibt es eine Umlagefinanzierung und ei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3843 Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin) nen Fonds, in den alle einzahlen, die, die ausbilden, In den alten Bundesländern sank das Angebot an und die, die nicht ausbilden, und auch die öffentliche Ausbildungsplätzen um 11,4 %. Gleichzeitig steigt Hand. Aus diesem Fonds wird die Ausbildung finan- die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in Ost und ziert. West. (Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein) Der Bund, der ja eigentlich Vorbildfunktion hat, baute im letzten Jahr ein Viertel seiner Ausbildungs- Solche Modelle wären doch zumindest eine ernst- plätze ab, trotz Ihrer Beschönigungen, Herr Minister. hafte Diskussion wert, um Jugendlichen zu signali- Wir haben die Zahlen. Übereinstimmung wurde auch sieren, daß wir ihnen ihr Recht auf Ausbildung zubil- hier mit Teilen der Wirtschaft erzielt. Da braucht es ligen wollen, daß wir ihnen ihr Recht auf Zukunft ge- einen nämlich nicht zu wundern, wenn sich zuneh- ben wollen - mend gerade große Betriebe aus der Berufsbildung zurückziehen. Mittelständischen und kleineren Be- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin! trieben, Handwerksbetrieben, die ihre Ausbildungs- pflicht ernst nehmen und viel Zeit und Geld in Aus- bildung investieren, d. h. zum Teil für die Großbe- Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin): - und triebe die Kastanien aus dem Feuer holen, werden daß wir uns wirklich nicht unserer Verantwortung nach Abschluß der Ausbildung die Fachkräfte abge- entziehen und uns drücken wollen. worben. Danke. In den neuen Bundesländern kommt hinzu, daß (Beifall bei der SPD und der PDS) Handwerksbetriebe, kleinere Firmen, die bisher aus- gebildet haben, sich nunmehr gezwungen sehen, sich aus der Ausbildung zurückzuziehen. Rationali- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle- sierung und Kostendruck sind für sie enorm gestie- gin Elisabeth Altmann. gen. So kann unserer Meinung nach keine zukunfts- orientierte Politik aussehen. Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ Mit unserem Entschließungsantrag wollen wir auf DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Ver- diesen skandalösen Mangel an Lehrstellen hinwei- ehrte Kollegen und Kolleginnen! Meine Zahlen, Herr sen. Davon sprach der DGB - und nicht nur der Minister Rüttgers, resultieren aus den Antworten auf DGB - Ende April. Wir möchten aber auch praktika- zwei Kleine Anfragen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE ble Lösungsvorschläge erarbeiten. Es geht uns GRÜNEN vom Ende letzten Monats und der Frage- darum, sowohl kurz- wie auch längerfristig wirksame stunde in der letzten Woche, als Frau Yzer geantwor- Wege aufzuzeigen. tet hat. Sie sprach von 130 000 betrieblichen Ausbil- dungsplätzen, Herr Minister, die im Osten benötigt Wir stimmen mit der SPD besonders darin überein, werden, und nicht von 130 000 Ausbildungsplätzen - daß die Neuauflage einer Gemeinschaftsinitiative das ist ein Unterschied -, denen 73 000 Suchende ge- Ost von Bund und Ländern geboten ist. genüberstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir konnten es in der letzten Woche auch aus der und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Presse entnehmen: Die Angst vor der Arbeitslosig- der PDS) keit sitzt vielen Jugendlichen im Nacken. 36 % der jungen Leute aus dem Westen und 53 % der jungen Es sind hierbei alle Mobilisierungsreserven zur Leute aus dem Osten sahen Arbeitslosigkeit als ihr Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsstellen zu größtes Problem an. nutzen. Das gilt für betriebliche, betriebsnahe und überbetriebliche Ausbildungen. Viele Eltern, Lehrer und Lehrerinnen verfolgen jetzt am Schuljahresende mit Sorge die Situa tion der Auch wir fordern den öffentlichen Dienst auf, aktiv Schulabgänger und Schulabgängerinnen. Viele der zur Behebung der Ausbildungsmisere beizutragen. Schüler und Schülerinnen haben bis jetzt noch im- Bund, Länder und Kommunen sind gefragt. Es darf mer keinen Ausbildungsplatz gefunden, und am aber nicht darauf hinauslaufen, daß in Ausbildungs- 1. September beginnt die Ausbildungszeit. berufen ausgebildet wird, für die hinterher keine be- ruflichen Verwendungsmöglichkeiten bestehen. In der Kanzlerrunde am 15. März hat die Wirt- schaft zugesagt, in den beiden kommenden Jahren Meine Damen und Herren, lassen Sie uns insbe- einen Zuwachs von ca. 10 % bei den Ausbildungs- sondere in den neuen Bundesländern alle Möglich- stellen zu verwirklichen. Am 15. Juni hat sie ihre Zu- keiten nutzen. Es ist besser, eine überbetriebliche sage noch einmal bekräftigt. Ausbildungsstelle zur Verfügung zu stellen, als gar keine. Damals wurde Einvernehmen erzielt. Aber wie sieht jetzt, Ende Juni, die Realität aus? In den neuen Auch Mobilitätshilfen, wie sie der Herr Minister Bundesländern fehlen, wie auch immer, 70 000 bis eben schon positiv erwähnt hat, können ein Weg 100 000 Ausbildungsplätze. Das heißt, die Hälfte der sein, um Ausbildungsstellen zu vermitteln. Hier wi ll Suchenden findet keine Stelle. Was tun mit diesen er- ich aber keinem Ausbildungstourismus das Wort re- werbslosen Jugendlichen? Sie stehen auf der Straße, den, denn die Frau Meisterin stellt nicht mehr wie in und das sorgt für sozialen Zündstoff. alten Zeiten das Kraut auf den Tisch, sondern sie sitzt 3844 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) am PC und schreibt die Rechnungen, um die Firma Unter Berücksichtigung der Landesförderpro- über Wasser zu halten. Ihr Haus ist auch zu klein, um gramme wurden 1994 rund 45 000 betriebliche Aus- die Auszubildenden dort unterzubringen. Die Spitz- bildungsplätze gefördert. Das sind mit den außerbe- wegromantik ist also out. trieblichen Ausbildungsverträgen ca. 60 % der 1994 in den neuen Bundesländern vergebenen Ausbil- Wenn jedoch junge Menschen bereit sind, in ande- dungsplätze, die staatlich gefördert worden sind. ren Regionen der Bundesrepublik ihre Ausbildung Meine Damen und Herren, dies ist zuviel. Da stimme zu beginnen und zu absolvieren, dann muß das auch ich mit Ihnen, Kollegin Bergmann-Pohl, völlig über- honoriert werden. Die meist geringen Ausbildungs- ein. vergütungen reichen dafür nicht. Denken wir nur an die oft horrenden Mieten. Die Gefahr dabei ist aller- Kritisch bemerkt der vorliegende Berufsbildungs- dings, daß es zu einer regionalen Ausdünnung bericht daher, daß eine Entwicklung zugunsten einer kommt. Wir freuen uns, daß der Herr Minister Rütt- von der Wirtschaft selbst zu verantwortenden Ausbil- gers diesen und auch andere unserer Vorschläge hier dung in den neuen Bundesländern noch nicht zu er- positiv erwähnt hat, und wir hoffen auch auf gemein- kennen ist. 1994 ist eine gegenläufige Entwicklung same Umsetzung. eingetreten. Sowohl aus förderungs- als auch aus ordnungspolitischer Sicht sind Fehlentwicklungen Wir fordern nämlich in unserem Entschließungsan- festzustellen, denen entschieden entgegengewirkt trag darüber hinaus die verstärkte Förderung von werden muß. Ausbildungsstellen insbesondere für Frauen und Mädchen auch in von Männern dominierten Berufen, Der Bericht geht davon aus, daß die Lehrstellen- weiterhin die Förderung überbetrieblicher Ausbil- platznachfrage 1995 bei etwa 600 000 liegen wird. dungsstellen vor allem in den neuen Bundesländern Bis Mai meldeten sich in den alten Bundesländern - wie auch die SPD -, die Förderung von Verbund- 411 000 Bewerber an, denen 471 000 Lehrstellen ge- ausbildungsprojekten in den neuen Bundesländern. genüberstanden. Das waren die kurzfristigen Ziele. Durchaus schlechter ist dagegen die Situa tion in Langfristig jedoch muß das duale System in Ost den neuen Bundesländern; dies ist hier schon mehr- und West - ich glaube, darüber ist sich das Haus ei- mals angesprochen worden. Dort stehen den 130 000 nig - wieder funktionsfähig gemacht werden. Bewerbern derzeit 73 000 betriebliche Ausbildungs- stellen gegenüber. Ein Teil der Bewerber wird erfah- rungsgemäß eine weitere schulische Ausbildung, ein Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, es anderer Teil - ein Erfahrungswert: m an geht von scheint am Thema zu liegen, daß alle Redner zu etwa 17 000 aus - der Bewerber wird eine berufliche überziehen versuchen. Sie sind am Ende Ihrer Rede- Ausbildung in den alten Bundesländern aufnehmen. zeit. Im Endergebnis lag die Anzahl der bet rieblichen Ausbildungsverträge 1994 um 20 000 höher als die (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ Elisabeth Altmann Anzahl der vermittelten Verträge im Mai 1994. Ein DIE GRÜNEN): Noch einen Satz. Einen Exportschla- ähnlicher Zuwachs ist auch 1995 realistisch zu erwar- ger wie das duale System darf man nicht auf diese ten. Nach den positiven Meldungen der Wirtschaft Weise ruinieren. werden ca. 15 000 betriebliche Ausbildungsstellen Es liegt also an uns, daß wir nicht allein auf das durch die „Aktion Plus" hinzukommen. Bis zu 10 000 Versprechen der Wirtschaft setzen. Wir alle sind auf- Ausbildungsstellen können 1995 über die reguläre gefordert, für die junge Genera tion aktiv zu werden AFG-Förderung gestellt werden, so daß mit der und außerdem dafür zu sorgen, daß in Ost und West Summe von 115 000 Ausbildungsplätzen zu rechnen jeder, jede einen Ausbildungsplatz bekommt. ist. Aber dies ist noch immer eine Differenz von 15 000 Ausbildungsstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das vom Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für betriebliche Ausbildung, in dem alle Kammern und freien Berufe organisiert sind, unterstützte Programm Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege „Aktion Plus" muß noch stärker werden. Seitens mei- Dr. Karlheinz Guttmacher, Sie haben das Wort. ner Fraktion möchte ich dem Kuratorium der Deut- schen Wirtschaft für Berufsbildung zum 25. Jubiläum, Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Sehr geehrter das es in dieser Woche begeht, recht herzlich gratu- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und lieren Herren! Im ersten Teil des Berufsbildungsberichts (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) stellt die Bundesregierung die Ergebnisse der Ausbil- dungsstellenbilanz von 1994 dar. Das wichtigste Er- und ihm auch dafür danken, daß es sich in die beruf- gebnis ist wohl, daß 1994 jeder Auszubildende einen liche Ausbildung in diesem starken Maße einge- Ausbildungsplatz erhalten hat. Dabei ist die posi tive bracht hat. Ich möchte ihm auch dafür danken, daß Vertragsentwicklung von 1994 darin zu sehen, daß in es auf seiner Tagung am Montag wieder hat erken- den neuen Bundesländern 6 000 betriebliche Ausbil- nen lassen, wie ernst es ihm ist, sich für eine berufli- dungsstellen zusätzlich geschaffen werden konnten. che Ausbildung einzusetzen, um sie auf einen neuen, Sehr negativ hat sich dabei gezeigt, daß die Anzahl einen stärkeren Weg zu bringen, so daß wir nicht im- der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze doppelt so mer wieder diese Engpässe kurz vor der Sommer- hoch -12 600 Verträge - ausgefallen ist. pause haben und so viele Ausbildungsplätze fehlen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3845

Dr. Karlheinz Guttmacher Ein Ziel ist, Mitnahmeeffekte der Länderförderung Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, und die betriebsferne, außerbetriebliche Ausbildung ist der Ausbau abschlußorientierter Aufstiegsfortbil- im Rahmen der Gemeinschaftsinitiativen zurückzu- dung unerläßlich. Hierfür wird es mit Beginn des führen und eine Förderung zu entwickeln, die eine Jahres 1996 neue Förderinstrumente geben. Mit ei- sich selbst tragende betriebliche Berufsbildung un- ner guten, aufeinander abgestimmten beruflichen terstützt und mittelfristig sicherstellt. Erstausbildung und einer anschließenden Aufstiegs- fortbildung werden die Attraktivität der beruflichen Über den Aufbau einer regionalen betriebsnahen Ausbildung aufgewertet und die Gleichwertigkeit Ausbildungsinfrastruktur könnten wesentliche der beruflichen und allgemeinen Bildung hergestellt. Hemmnisse und Schwierigkeiten bei der betriebli- chen Ausbildung beseitigt und bisher nicht ausbil- Ich danke Ihnen. dende Betriebe in die Lage versetzt werden, selbst Ausbildung zu übernehmen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Der Berufsbildungsbereich gibt für die betriebs- nahe Infrastruktur sehr richtig folgende Aktivitäten Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle- an: eine verstärkte Beratung und Informa tion, prakti- gin Rosel Neuhäuser. sche Hilfen bei der Aufnahme und Durchführung von Ausbildung für ausbildungsunerfahrene Be- Rosel Neuhäuser (PDS): Herr Präsident! Meine Da- triebe, Entwicklung eines zusätzlichen betrieblichen men und Herren! In den letzten Wochen habe ich auf Ausbildungsengagements im Rahmen von Verbund- Einladung von Gewerkschaften und Verbänden an modellen zwischen Bet rieben und bet rieblichen un- vielen Gesprächen zur Berufsausbildung und zur genutzten Ausbildungsplätzen, Betreuung von Aus- Perspektive der Jugendlichen teilgenommen. Nicht bildungsverbünden und anderen Ausbildungsinsti- nur in den neuen Bundesländern - in Thüringen oder tutionen sowie eine intensive Ausbildungsplatzwer- auch in Sachsen-Anhalt -, sondern auch in Nord- bung. rhein-Westfalen machten die Teilnehmer deutlich, Meine Damen und Herren, wir danken dem Mi- daß ihr Vertrauen in die Versprechen von Politik schwer erschüttert ist. Mit Zweckopti- nisterium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und und Wirtschaft mismus - „die Wirtschaft wird ihr Versprechen schon Technologie, daß es Ausbildungsplatzentwickler halten" - ist der mehr als angespannten Lage auf einsetzt, die den Mitarbeiterstab bei den Kammern dem Ausbildungsmarkt nun wirklich nicht zu begeg- ergänzen und praktische Hilfestellung bei der beruf- lichen Ausbildung besonders den Betrieben geben, nen. die erstmalig ausbilden. Nach Angaben der Landesarbeitsämter in Sach- sen-Anhalt und Thüringen werden mit Beginn des (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ausbildungsjahres im Oktober dieses Jahres bis zu Ebenso halten wir es für richtig, daß das Bundesmini- 5 000 Jugendliche ohne Lehrstelle bleiben. Frau sterium für Wirtschaft vorrangig Ausbildungsberater Dr. Bergmann hat in ihren Ausführungen vorhin sehr und Ausbildungswerber im Rahmen der „Aktion deutlich und eindrucksvoll dargestellt, wie die Situa- Plus" einsetzen wird. tion in Berlin ist. Ich kann ihren Ausführungen nur zustimmen. Die überbetrieblichen Bildungsstätten - vorrangig in den neuen Bundesländern - werden auch in die- Die vom Hauptausschuß des Bundesinstituts für sem Jahr mit 120 Millionen DM gefördert. Dies wird Berufsbildung aufgestellte Forderung, daß Bund und zu einem Zuwachs von 800 neuen Werksplätzen füh- Länder in Anlehnung an das Programm des L andes ren - additiv zu den bereits geschaffenen 11 000 Sachsen ein Mobilitätsprogramm für Lehrstellenbe- überbetrieblichen Ausbildungsplätzen. werber auflegen sollten, ist bei Licht besehen aber auch bedenklich. Es kann doch nicht angehen, daß Meine Damen und Herren, die im vorliegenden gerade die Unternehmen mit den größten Ausbil- Bericht vorgegebenen und bereits eingeleiteten dungsreserven auf der einen Seite ihre Gewinne ein- Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der berufli- fahren und auf der anderen Seite die Kosten für die chen Ausbildung erscheinen mir besonders wertvoll Ausbildung ihrer Fachkräfte entweder den Klein- zu sein. Die Aktualisierung und Modernisierung der und Mittelbetrieben überlassen oder dem Bund und Berufsausbildung durch Neuordnung der Ausbil- den Ländern bzw. sogar den Auszubildenden und dungsberufe muß im Vordergrund stehen und zeit- deren Eltern aufbürden. Denn nichts anderes bedeu- lich innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein. tet dieses hochgelobte Mobilitätsprogramm. Ich denke, das hat auch der Herr Rüttgers noch einmal Eine schnelle Differenzierung der dualen Ausbil- deutlich gemacht. dung muß sowohl für die leistungsstarken Auszubil- denden als auch in besonderem Maße für junge Ar- Ich muß immer wieder von dem Beispiel der Aus- beitnehmer mit individuellen und sozial bedingten bildungsplätze in den Opel-Werken in Eisenach aus- Motivationsschwächen und Leistungsgrenzen erfol- gehen, welche monatlich ihre Bilanz ziehen und trotz gen, um eine qualifizierte und auf dem Arbeitsmarkt alledem noch auf dem gleichen Ausbildungsniveau verwertbare Berufsausbildung durchzuführen. Mehr stehen. Über die damit verbundenen längerfristigen praxisorientierte Ausbildungsgänge und Stufenaus- Strukturveränderungen und ihre Folgen scheint man bildung werden zu Recht von der Wi rtschaft gefor- mit diesem neuesten Feuerwehreinsatz nicht nachge- dert. dacht zu haben. 3846 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Rosel Neuhäuser Ich fürchte, auch die heutige Debatte um den Be- Leistung und Benachteiligten, nach Durchlässigkeit, rufsbildungsbericht verläuft in gewohnter Routine. Verfügbarkeit und gerechter Finanzierung muß für Die Koalition spricht davon, daß Probleme einer Lö- alle Bildungswege gelten. Dazu sind auch Besitz- sung zuzuführen sind. Ein Termin wird vorsichtshal- stände und Leistungsbereitschaft zu hinterfragen. ber nicht genannt. Die Opposition bemängelt, daß immer weniger Probleme gelöst werden. Ich begrüße die Aussage im Bericht, daß u. a. die Berufsbildung attraktiver gegenüber der Ausbildung Gleichgültig, wie die Debatte auch ausgehen wird an den Hochschulen dargestellt werden muß, daß Ju- - das Problem bleibt: Die Zahl junger Menschen in gendliche mit geringeren Bildungschancen ihre Ost und West, die keinen Ausbildungsplatz bekom- Chance bekommen sollen und daß außerbetriebliche men und sich in das Heer der Arbeitslosen einreihen, Einrichtungen verringert werden müssen. An dieser wächst von Jahr zu Jahr. Statt neuer Ideen und Kon- Stelle möchte ich dafür danken, daß sie, wenn es nö- zepte, die grundlegende Lösungsansätze bieten, tig war, auch mit Bundesunterstützung gefördert greifen die Verantwortlichen wieder einmal zu So- wurden. Ich möchte aber darauf hinweisen - das sagt fort- und Sonderprogrammen. „Kleckern statt Mot- auch der Antrag von der SPD -, daß das eigentlich zen" würden junge Menschen dazu sagen. auch ein Warnsignal ist. Eines läßt sich heute schon ohne große prognosti- Bei Lehrstellen ist weiterhin eine unterschiedliche sche Fähigkeit vorhersagen: Wir brauchen im Bun- Betrachtung erforderlich - das wurde gesagt - hin- destag eine Debatte um gesamtgesellschaftliche Ver- sichtlich der Zustände in Ost und West, der Regionen änderungen auf breiter Ebene und ein langfristiges und der Möglichkeiten für Mädchen. Konzept, welches Wege und Möglichkeiten aus der Ausbildungs- und Arbeitsplatzkrise herauszukom- Der Anteil staatlicher Förderung lag in den neuen men, aufzeigt. Bundesländern im vorigen Jahr bei 60 %. Wir sollten Lösungsansätze wie die Einführung einer Ausbil- uns bewußt machen, daß die Forderung nach zentral- dungsumlage als eine Möglichkeit, Ausbildungs- staatlichem Eingriff letztlich meist zugunsten außer- plätze und überbetriebliche Ausbildung zu finanzie- betrieblicher Lehrstellen erfolgt. Das gibt zu denken. ren, müssen ernsthaft in Angriff genommen werden. (Zuruf von der F.D.P.: Ja!) (Zuruf von der SPD: Das hat noch niemand gemacht!) Ich ersuche darum - das ist von Herrn Dr. Guttma- cher angesprochen worden -, daß bei der Neuord- Anderenfalls stehen wir auch beim nächsten Berufs- nung der Ausbildungsberufe, die eine wesentliche förderungsbericht vor den gleichen Problemen. Dazu Maßnahme für die Zukunft ist, auch auf Tradi tion darf es im Interesse der jungen Menschen, die am und Spezifik geachtet wird, daß ein angemessenes Anfang ihres Lebens stehen, nicht kommen. Überleben auch traditioneller Berufe ermöglicht (Beifall bei der PDS) wird. Ich möchte auf die Lehrstellensituation und die Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- diesbezüglichen Maßnahmen eingehen. Angesichts lege Dr. Rainer Jork. sichtbarer und beschriebener Defizite sind Schlußfol- gerungen zur Qualität, zum Verhalten und zu den Möglichkeiten von Wirtschaft und öffentlichem Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die jährliche Be- Dienst und zur zukünftigen Entwicklung erforder- fassung mit Analyse und Zukunftsfragen der Berufs- lich. bildung ist aus meiner Sicht überaus sinnvoll. Berufs- Wie sich bei dem Versuch einer eigenen Recherche bildung ist instationär, lebendig hinsichtlich der Be- zeigte, ist es schwierig, fast unmöglich, Einflußgrö- troffenen und Befaßten und hinsichtlich der Inhalte, ßen für die Ausbildungsbereitschaft zu quantifizie- wie ein Betrieb eben nur verkaufen kann, wenn er ren. Ich habe das für Betriebe in den neuen Bundes- preiswert gefragte Produkte anbietet, also dynamisch ländern versucht. Aber es besteht durchaus ein er- und stabil ist. heblicher Zusammenhang mit und eine Abhängig- Berufsbildung ist ein Teil des gesamten Bildungs- keit von der Wirtschaftslage, z. B. von der Auftrags- systems; Berufsbildung ist wesentlich. Aber das Ge- und Ertragslage, von der Lage in bezug auf das Ei- samtbildungssystem ist nicht mehr immer in sich genkapital, von der Kreditwürdigkeit aus der Sicht stimmig, wie auch der Blick auf den Beschäftigungs- der Banken, von der Umsatz- und Gewinnentwick- markt und die Diskrepanz zwischen Attraktivität und lung. Ich möchte es deutlich sagen: Wichtig, auch für Bedarf zeigen. Innovationsbedarf zu Inhalt und Or- die Schaffung von Lehrstellen in den neuen Bundes- ganisation sowie Finanzierung besteht. ländern, sind Maßnahmen zur Bereitstellung von Ri- sikokapital und zur Bereitstellung von Liquiditäts- Es muß doch zu denken geben, daß zwei Studen- krediten, die zu den Forderungen gehören, die die ten durchschnittlich so lange auf einem Studienplatz CDU-Abgeordneten der neuen Bundesländer in der verweilen, daß ein gleichaltriger Facharbeiter zehn vergangenen Berliner Tagung mit formuliert haben. Jahre Steuern gezahlt hat, um die Durchschnittsko- sten für ein Universitätsstudium mitzufinanzieren. (Dr. [SPD]: Nun man los!) Die Forderung nach Qualität, nach Chancengerech- tigkeit und Differenziertheit, nach Förderung von - Auch das läuft, Herr Glotz. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3847

Dr.-Ing. Rainer Jork Auf das Aktionsprogramm der Wirtschaft haben Doris Odendahl (SPD): Herr Kollege Jork, bevor wir bereits in der Aktuellen Stunde am 17. Mai hin- ich etwas bejuble, würde ich gern wissen, wie viele gewiesen. Ich habe damals auch auf die Notwendig- in Sachsen dieses Programm in Anspruch nehmen. keit hingewiesen, die Verantwortungskette zu be- Dann könnte man einmal hochrechnen, welche Mög- rücksichtigen: zuerst also Wirtschaft und öffentlicher lichkeiten insgesamt angesichts der jetzt bestehen- Dienst, dann Länder und Bund. Die Wirtschaft ist aus den Differenz dadurch zu erzielen sind. meiner Sicht nicht aus der Pflicht zu entlassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Die Antwort kann ten der CDU/CSU und der F.D.P.) ich Ihnen für dieses Jahr, wie Sie selber wissen, na- türlich noch nicht geben, denn das Programm läuft Ich sehe die Gefahr, daß Sie mit zu früher Diskussion erst. Ich kann Ihnen nur etwas zum letzten Jahr sa- möglicherweise genau dazu beitragen. gen. Es war ein anderes Programm, auch wenn es Mobilitätsprogramm hieß. Es ist am Anfang, weil es Ich will am Beispiel von Sachsen zeigen, was be- relativ spät kam, nicht im erwarteten Maße in An- reits getan ist und was ein Land tun kann, was auch spruch genommen worden. die Länder mit einer SPD-geführten Regierung tun können. Ich möchte allgemein sagen: Brandenburg Weil das so war, kam das Programm in diesem Jahr fordert; Sachsen handelt. - Frau Bergmann, auch in früher. Es wurde in der A rt geändert, daß es auch für Berlin darf man handeln. Lehrstellen in Sachsen unter der Voraussetzung, daß die Entfernung über ein definie rtes Maß geht, gilt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und daß die Förderung nicht zurückzuzahlen ist, Auch in Sachsen gibt es eine kritische Situa tion. wenn eine Arbeit in Sachsen begonnen wird. Als Resultat einer Recherche kann ich sagen, daß es Eine aktuelle Zahl für dieses Jahr gibt es also noch 2 100 Bewerber mehr als im Vorjahr gibt. Sachsen nicht. Für das letzte Jahr kann ich sie Ihnen gem ge- steht auf dem Standpunkt, daß die Fortführung der ben. Es gab keinen Grund für Eupho rie. Deshalb Gemeinschaftsinitiative Ost nicht angestrebt werden sind Optimierungsbemühungen auf diesem Gebiet sollte, vielleicht vorerst nicht, weil Eigenverantwor- nötig. tung greifen muß. Es gibt zwei Bewerber auf eine an- gebotene Stelle. Das ist auch früher gesagt worden. Ich komme zum dritten Programm, der Förderung Es gibt da sehr große Streuungen hinsichtlich der Re- von Ausbildungsverbänden für überbetriebliche gionen und den Möglichkeiten für Mädchen. In Lehrgänge. Das dient der Verringerung der Gesamt- Plauen liegt das Angebotsverhältnis bei 1,62, in kosten und ist Geld, das den Veranstaltern gegeben Arenaberg sogar bei 4. Also es gibt vier Bewerber für wird, und zwar in erhöhtem Maße dann, wenn weib- einen Platz. liche Bewerber, die in gewerblich-technischen Beru- fen ausgebildet werden, gefördert werden - also (Doris Odendahl [SPD]: Was geschieht denn?) auch hier für die Mädchen ein besonderes Pro- gramm. - Darauf muß das Land reagieren. Dazu, Frau Oden- dahl, will ich jetzt etwas sagen. Es gibt ein viertes Programm - ich möchte es kurz machen - zur Einrichtung überbetrieblicher Ausbil- Es gibt fünf Förderprogramme. Das zu wissen ist dungsstätten und ein fünftes zur Förderung der interessant auch im Zusammenhang mit dem Antrag, überbetrieblichen Lehrunterweisung. den Sie stellen. Als erstes nenne ich ein Programm zur Bereitstellung zusätzlicher Ausbildungsplätze. Insgesamt werden in Sachsen in diesem Jahr mehr Das betrifft die Förderung von Betrieben mit einer als 100 Millionen DM für die Förderung von Lehrstel- Größe bis zu 50 Arbeitsplätzen, auch mehr. Es be- len unter dem besonderen Aspekt der Förderung von zieht sich ebenfalls auf die Ausbildungsmöglichkeit Mädchen und regionaler Schwerpunkte ausgege- für Mädchen. Es gibt eine einmalige Zuwendung von ben. 3 000 DM, bei Mädchen, die gefördert werden, sind es 6 000 DM. Ich darf darauf hinweisen, daß die Arbeitsplatzent- wickler vom Bund gefördert werden. Es ist dazu be- Das zweite - das ist eben angesprochen worden - reits etwas gesagt worden. Ich nenne es deshalb, ist das Mobilitätsprogramm. Es bietet einen Aus- weil es letztlich Gegenstand eines Ihrer Anträge ist. gleich für die Mehrkosten bei auswärtiger Unterbrin- gung. In bezug darauf sollte man wissen, Frau Oden- Es bleiben in Sachsen aus jetziger Sicht zwischen dahl, daß in Sachsen eben auch Geld gegeben wird, 6 000 und 8 000 Defizitstellen. Das heißt, es wird wei- ter zu handeln sein. Ich möchte aber darauf hinwei- wenn man eine Ausbildungsstelle in Sachsen be- - kommt, daß der Kredit zinslos ist und daß die Rück- sen, daß wir noch nicht am Ende der Sache sind. Wir zahlung erlassen wird, wenn man anschließend in sprechen vom ersten und vom zweiten Glied der Sachsen Arbeit findet. Kette so, wie ich es gesagt habe. Ich hoffe, daß es funktioniert.

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Jork, die Einige Bemerkungen zu den Anträgen, die uns zur Kollegin Odendahl würde gern eine Frage stellen. Diskussion vorliegen. In ihnen ist eine Menge guter Gedanken enthalten. Das kann wohl auch nicht an- ders sein. Im Ausschuß sprechen wir ja konstruktiv Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Aber sicher. über die Fragen. 3848 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr.-Ing. Rainer Jork Es gibt aus meiner Sicht einige Unverträglichkei- Rüttgers, eines haben Sie mit Ihren drei Vorgängern, ten und Widersprüche im Vorspann, auf die ich jetzt die wir hier seit 1990 erleben durften, gemeinsam, nicht eingehen möchte. Es gibt inakzeptable Aussa- nämlich das Unvermögen, ein ausreichendes und gen, so z. B. das, was zur Umlagefinanzierung ge- auswahlfähiges Ausbildungsplatzangebot in Ost- sagt wird. Ich halte das Strafgeld nicht für sinnvoll, deutschland zur Verfügung zu stellen. weil ich der Meinung bin, daß wir damit keine kon- kreten Plätze schaffen. Es ist ein rein fiskalisches Pro- (Beifall bei der SPD) blem. In Ihrer für Sie typischen Rhetorik, die von zyni- Die positiven Gedanken sind aus meiner Sicht aber scher Langsamkeit gekennzeichnet ist, präsentieren leider redundant, weil es - unter Bezug auf die ge- Sie eigentlich nur ein mehr oder weniger schwaches nannten Programme - ohnehin läuft. Krisenmanagement, flankiert von frisierten Zahlen, (Zuruf von der SPD: Wo laufen Sie denn?) die schöngeredet werden. Ich finde es aber gut, daß wir uns an den Stellen Die Jugendlichen brauchen keine Aussicht auf 85 einig sind. Ich sehe darin eine Bestätigung für das, bis 90 % Sicherheit, was Ausbildungsplätze anbe- was angesprochen und gemacht worden ist. langt, sie brauchen jetzt Ausbildungsplatzsicherheit.

Das Mobilitätsprogramm, das von den 90 Kollegen Die Jugendlichen sind für uns das wich tigste des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN im Unterschied Potential, das wir haben. zu den Kollegen der SPD angesprochen ist, habe ich unter Bezug auf Sachsen genannt. Wenn Sie die Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie sich Aspekte, die sich aus der Frage von Frau Odendahl auf ihren Ausbildungsplatz freuen können, weil das ergeben, beachten, meine ich, daß es eine gute Sa- mit ihrer gesamten Lebensperspektive zu tim hat. Da che ist. Es besteht nicht die Gefahr, daß die Leute ab- kann ich mich doch nicht einfach nur in rein appella- geworben werden. Diesen Punkt halte ich gegen- tiver Weise zum Interessenvertreter der Wirtschaft über den Voraussetzungen aus dem Vorjahr für deut- machen, sondern ich muß beiden gemeinsam helfen. lich verbessert. Über die Ursachen des Ausbildungsnotstands ist lan- ge genug diskutiert worden. Es laufen außerdem noch weitere Landespro- gramme. Ich meine, daß das Programm neuer Berufe Eines muß ich dazu ganz klar sagen: Ihr Entla- tatsächlich für die Erhöhung der Attraktivität und der stungsangriff, Herr Minister, gegenüber der Bran- Leistungsfähigkeit geeignet ist. denburger Arbeits- und Sozialministerin ist schlicht Der Berufsbildungsbericht zeigt nicht eine Krise in entlarvend. Die Tatsache, daß Sie das hier so schil- der Berufsbildung, sondern Grundsatzkonflikte im dern und sich darüber beschweren, zeigt, daß Frau gestörten, unterschiedlich geschätzten und subven- Hildebrandt mit ihrem B rief und ihrer Politik recht tionierten Bildungssystem. Dabei ist die Frage nach gehabt hat; denn sonst hätten Sie sich nicht nach der der Attraktivität für die Lehrlinge, aber auch für die Devise „getroffene Hunde bellen" beschwert. Sie Wirtschaft von Belang. sollte das so weiter betreiben. Es ist immer ein gutes Kennzeichen für funktionierende Interessenvertre- Es sind politische Konzepte und Mut gefordert, tungen, wenn sich der Adressat öffentlich darüber Mut in jeder Frage. Die Lösung wird sich nicht allein beschwert. im Bereich der Berufsbildung ergeben. Es sind zu de- finierende Gleichgewichtsstörungen zu besei tigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch hier ist eine ganzheitliche Be trachtung erfor- derlich. Es ist sicherlich richtig, daß sehr viel Geld in den Ausbau der überbetrieblichen Bildungsstätten in So wünsche ich mir z. B., daß die Aufstiegsförde- Ostdeutschland gesteckt wurde. Das muß auch so rung so gestaltet wird, daß Meisterschüler nicht bleiben; denn bei all den guten Zahlen darf nicht schlechter als Studenten gestellt werden. darüber hinweggegangen werden, daß die Dichte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der überbetrieblichen Bildungsstätten in Ostdeutsch- land noch weit hinter den normalen Verhältnissen in Ich hoffe, daß der Berufsbildungsbericht im näch- Westdeutschland zurückbleibt. Deshalb brauchen sten Jahr Fortschritte bei der Lehrstellenbereitstel- wir das noch einige Jahre. lung, bei der Gesetzgebung zur Meisterförderung und der Zukunftsgestaltung der Berufsbilder vermel- Wir haben einen Antrag „Gemeinschaftsinitiative det. Ost" präsentiert. Verglichen mit dem Krisenmanage- ment, das Sie hier bieten, denke ich, Sie brauchen Ich danke. ihn einfach nur zu übernehmen, und das Problem ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gelöst - schlicht und einfach. Wir haben unsere Auf- gaben erfüllt. Dazu ist schon viel gesagt worden.

Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- Außerbetriebliche Bildungsplätze sind schlicht not- lege Stephan Hilsberg. wendig, ohne sie wird es nicht gehen. Herr Jork hat das im Grunde genommen durch die Blume genauso Stephan Hilsberg (SPD): Herr Präsident! Meine geschildert. Wollen wir doch einmal sehen, ob Sie Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister wirklich ohne ein solches auskommen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3849

Stephan Hilsberg Der nächste Punkt, der sehr wichtig ist: Wir brau- Zwischenfrage zuläßt; denn seine Redezeit ist abge- chen eine bessere Ausstattung der Berufsschulen in laufen. Ostdeutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Stephan Hilsberg (SPD): Ich bedanke mich für die ten der PDS) Aufmerksamkeit. Sie müssen dort einfach mal hingehen. Schon die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- normalen Instrumente - Werkzeuge und Hilfsmittel -, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mit denen die Lehrer do rt arbeiten müssen, sind zum Teil schon 20 Jahre alt. Ich will damit nicht sagen, Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- daß dort alles schlecht ist, aber es ist für moderne Ar- lege Dr. Martin Mayer. beitsplätze und Betriebe veraltet. Da müssen Verbes- serungen hin, das schaffen die neuen Länder nicht aus eigener Kraft. Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Meine Damen und Herren! In den neuen Bundeslän- Wir müssen natürlich versuchen, zusätzliche Res- dern haben junge Menschen in der Tat große Pro- sourcen zu heben. Einer Ihrer Ansätze war, Ausbil- bleme, einen Ausbildungsplatz zu finden. Deshalb ist dungsplatzfinder - so war doch der schöne Begriff - es in dieser Sondersituation gerechtfertigt, daß der einzusetzen; Sie nannten sie auch Arbeitsplatzfinder. Staat mit Programmen eingreift. Diese Sondersitua- Im Erfinden von Namen kann man immer gut sein, tion darf aber nicht dazu führen, daß generell die aber ob das so schnell dem Problem abhilft, weiß ich Forderung erhoben wird, der Staat solle mehr Geld nicht. aufwenden, der Staat solle in die berufliche Bildung eingreifen. Das Gegenteil brauchen wir: In der beruf- Eines sollten Sie sich zu Herzen nehmen. Das ist lichen Bildung muß die Verantwortung weiterhin bei unsere Idee einer Verbundausbildung. Damit kom- den Meistern und Ausbildern in den Betrieben blei- men Sie dem Problem bei, daß bestimmte Betriebe, ben. Das ist die Stärke der beruflichen Bildung in obwohl sie wollen, nicht ausbilden können, weil ih- Deutschland, die in allen Teilen der Welt Bewunde- nen die Ausbildereignung abgeht. Dieses Problem rung und Nachahmung findet. könnten wir mit der Verbundausbildung lösen; denn dann schließen sich viele Betriebe zusammen. Damit (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Peter Glotz können wir das Problem in den Griff bekommen. [SPD]: Das bestreitet aber auch gar nie- mand!) Einen Teil der Gelder, den Sie für Ausbildungs- platzfinder zur Verfügung stellen, würde ich in die Aus eigener Erfahrung in einer dreijährigen Lehr- Organisationskosten des Modells stecken. Dann ha- zeit weiß ich ben Sie mindestens 3 000 oder 4 000 zusätzliche Ar- beitsplätze. Da kann man schon etwas machen. (Zuruf von der SPD: Das ist schon ein paar Tage her!) Das Stichwort Mobilitätshilfe ist ein interessantes Wort. Wer das als Lösungsvariante für Ostdeutsch- - das ist wahr; ich schäme mich meines Alters nicht! -, land sieht, der ist nicht im richtigen Film. Das ist daß die Verbindung von Arbeit im Betrieb und be- doch im Grunde genommen nichts anderes als ein gleitender Ausbildung in der Berufsschule die Be- subventioniertes Programm zum Export von Jugend- geisterung für den Beruf weckt und eine hervorra- lichen von Ostdeutschland nach Westdeutschland. gende Voraussetzung für das spätere berufliche Le- Das hilft uns nun wirklich nicht. Es trifft auch nicht ben ist. Ich möchte, weil hier viel von staatlichen Ein- die Neigung der Jugendlichen. Ich wette, auch aus griffen gesprochen worden ist, dem Erzgebirge, wo es wirklich jämmerlich aussieht, (Jörg Tauss [SPD]: Warum denn eigentlich?) wollen die Jugendlichen nicht wegziehen. Sie wollen vor Ort einen Ausbildungsplatz haben. Das sind ihre noch einmal sagen: Der Auszubildende darf sich Interessen, und die müssen wir versuchen zu lösen. nicht als Schüler fühlen, der gelegentlich mal im Be- Wenn Sie jetzt nicht einfach mit Mobilitätshilfen trieb vorbeikommt, sondern er muß sich als Betriebs- kommen, sondern mit Mobilitätsdarlehen nach der angehöriger fühlen, der in der Berufsschule ergän- Devise „Das kannst du zurückzahlen, wenn du zu- zend unterrichtet wird. rückkommst" , und das in einem Land, in dem 20 % Für die Entwicklung der beruflichen Bildung ist es Arbeitslosigkeit herrschen - ich bitte Sie, Herr Jork, wenig hilfreich, wenn von Rednern der Opposi tion wem wollen Sie das denn anbieten? und in Anträgen ständig Mißtrauen gegen die Wirt- (Beifall bei der SPD) schaft gesät wird, - Der Sommer wird schnell vorübergehen; er wird in (Zuruf von der SPD: Das tun wir doch gar zwei Monaten zu Ende sein. Sie sollten bis dahin Ihre nicht!) Hausaufgaben gemacht haben. Wir haben unsere etwa mit dem Vorwurf, sie würde ihre Zusagen nicht jetzt vorgelegt. Es ist zwar richtig, daß wir immer einhalten. konstruktiv zusammenarbeiten, aber irgendwann muß man auch mal springen. (Beifall bei der CDU/CSU) Statt immer wieder an der beruflichen Bildung in den Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Jork, ich Betrieben herumzumäkeln und ständig zusätzliche kann nicht mehr fragen, ob Kollege Hilsberg eine Forderungen zu erheben - die stellvertretende DGB- 3850 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) Vorsitzende hat das heute wieder getan, indem sie Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Ich eine Frauenquote gefordert hat; das ist völlig kontra- glaube schon, daß es in kleinen Handwerksbetrieben produktiv; das wird dazu führen, daß immer mehr zu Problemen führen kann, wenn man eine Quote Betriebe gar nicht mehr ausbilden wollen -, einführt. Das soll nicht heißen, daß ich das Anliegen von Frau Engelen-Kefer, daß auch Mädchen in tech- (Widerspruch bei der SPD) nische Berufe gehen, nicht unterstütze. Aber das soll sollten wir die große Leistung aller Meister und Aus- nicht durch eine starre Quote erreicht werden. bilder in Handwerk, Handel, Verwaltung und Ge- Schauen wir uns vielmehr die Vorschriften der Ge- werbe anerkennen. Die Ausbildung junger Men- werbeaufsicht und des Arbeitsrechts an, und wir schen in den Betrieben verlangt neben fachlichem werden feststellen, warum manche Betriebe nicht Können viel Geduld, Ausdauer und persönlichen gleichzeitig Burschen und Mädchen ausbilden. Ich Einsatz. glaube, wir müssen in diesem Punkt Vorschriften ab- bauen und dürfen nicht neue Vorschriften machen, (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) um so neue Arbeits- und Ausbildungsplätze zu ge- Viele Handwerksmeister und Inhaber kleiner Ge- winnen. werbebetriebe sind sich bewußt, daß sich die Ausbil- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dung für den Betrieb finanziell nicht trägt - ich habe in den letzten Tagen mit vielen Bet riebsleitern dar- Ich möchte abschließend sagen: Die Bestimmung über gesprochen -, und dennoch bilden sie aus: aus von neuen Ausbildungsinhalten darf nicht zu einer Verantwortung für den Berufsstand, der nur dann generellen Ausweitung von theore tischen Inhalten eine Zukunft hat, wenn qualifizierter Nachwuchs da gegenüber der Praxis führen. Es kommt vielmehr ist, und aus Sorge und Solidarität mit den jungen darauf an, entsprechend den verschiedenen Anfor- Menschen, denen sie eine Chance geben wollen. Ich derungen der einzelnen Berufe Theo rie und Praxis meine, dieser gute Wille der Ausbilder darf durch unterschiedlich zu bewerten. Ich meine, dann haben den Gesetzgeber nicht überstrapaziert und über Ge- wir in Deutschland die Vielfalt in der Berufsausbil- bühr in Anspruch genommen werden. dung, die allen jungen Menschen - entsprechend ih- ren Neigungen und Fähigkeiten - die richtige (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Chance bietet. In einer Zeit raschen technischen und wirtschaftli- chen Wandels müssen auch Ausbildungsinhalte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rasch angepaßt werden. Deshalb möchte ich den Bundesminister für Bildung in besonderer Weise lo- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Günter ben und unterstützen, Rixe, Sie haben jetzt das Wo rt. (Horst Kubatschka [SPD]: Das haben wir geahnt! - Weiterer Zuruf von der SPD: Das Günter Rixe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ge- scheint bei Ihnen Pflicht zu sein!) ehrten Damen und Herren! Da ich nur noch eine daß er es zu seinem persönlichen Anliegen gemacht Restredezeit von vier Minuten habe, lege ich einmal und sich vorgenommen hat, Ausbildungsinhalte neu alles zur Seite, was ich vorbereitet habe, um auf das zu ordnen, und zwar nicht in einer Zeit von fünf Jah- duale System zurückzukommen. ren, sondern in wesentlich kürzerer Zeit. A lle, die Wir haben jetzt immer nur über die Ausbildungs- daran beteiligt sind, sind aufgerufen, mitzuwirken, platzmisere in den neuen Ländern und ein bißchen daß Ausbildungsberufe den neuen Erfordernissen über die alten Ländern geredet. Aber über das duale angepaßt werden. System und über den Berufsbildungsbericht haben (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wir nicht ausführlich diskutiert. Wir werden dazu noch Gelegenheit haben, wenn wir ihn hier verab- Daß damit Ballast abgeworfen wird, ist selbstver- schieden. ständlich. Wenn ich mir diesen Berufsbildungsbericht an- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Mayer, sehe, dann stelle ich fest, daß es immer nur die glei- Herr Kollege Büttner würde gerne eine Zwischen- chen Vorstellungen und die gleichen Lösungen gibt. frage stellen. Es gibt nichts Neues. Im letzten Jahr wurden laut Be- rufsbildungsbericht in den neuen Ländern von 118 000 Ausbildungsplätzen 71 000 Ausbildungs- Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Bitte plätze staatlich gefördert. Das sind sage und schreibe sehr. 60 %. Ich sage hier: Wenn wir dem nicht entgegen- treten, kommt das duale System auf die schiefe Vizepräsident Hans Klein: Bitte. Bahn. Es ist gefährdet. (Beifall bei der SPD und der PDS) Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Kollege Mayer, haben Sie die Aussage vorhin wirk lich ernst Weil es gefährdet ist, müssen wir uns neue Mög- gemeint - bezugnehmend auf die Außerungen von lichkeiten überlegen. Wir können nicht immer nur Frau Engelen-Kefer -, daß ausbildende Bet riebe sagen: Wir müssen den Anteil der ungelernten Kräfte nicht mehr ausbilden würden, wenn sie Mädchen erhöhen, wir müssen eine Differenzierung in der Be- ausbilden müßten? rufsausbildung einführen, wir müssen eine Begab- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3851

Günter Rixe tenförderung organisieren. Nein, wir müssen uns an sie mit dem einprozentigen oder 1,5prozentigen oder Finanzierung des dualen Systems machen. Wir die wie auch immer bemessenen Anteil an der Lohn- müssen überlegen, ob wir das Ganze nicht umstel- und Gehaltssumme den Ausgleich schaffen und mit len. diesem Geld beispielsweise eine außer- oder überbe- triebliche Ausbildung finanzieren. Ich will in der kurzen Zeit versuchen, einige Punkte zu nennen - mehr bleibt mir nicht übrig. Zum Wir könnten die Kammern auch bundesweit zu ei- Beispiel würde ich mal überlegen, ob wir nicht die nem überbetrieblichen Ausgleich verpflichten und hohe Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungen, die dann die Möglichkeit schaffen, den Be trieben, die jedes Jahr mehr werden, die jedes Jahr Hunderte das Soll übererfüllen, in ihren Bilanzen eine Rück- von Millionen DM mehr kosten, weil das duale Sy- stellung zu genehmigen und ihnen zu erlauben, stem nicht funktioniert, in den Griff bekommen, diese später wieder zu „verfrühstücken". Wir müssen wenn wir in der Lehrzeit von dreieinhalb Jahren die - dies habe ich so frei formuliert - an einigen Punk- ersten eineinhalb bis zwei Jahre in die außerbetrieb- ten nachdenken, Herr Rüttgers. liche Ausbildung verlegen und dann den schon gut vorgebildeten Auszubildenden bzw. Lehrling erst in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dem dritten und vierten Lehrjahr in den Betrieb Wir müssen überlegen, wie wir die Berufsbildungs- schicken. Das spart dem Staat, Herr Minister, 50 % finanzierung hinbekommen. Hierzu reichen keine Kosten. Darüber sollten wir einmal nachdenken. Appelle, Kanzlergespräche, Ausbildungsfonds oder Jetzt zur weiteren Finanzierung. Es gäbe z. B. die Ausbildungsgespräche. Wir werden in diesem Jahr Möglichkeit, einen überbetrieblichen Leistungsaus- die Ausbildungsquote nicht erfüllen. Es wird nicht je- gleich zu schaffen: Alle Betriebe und öffentlichen der einen Ausbildungsplatz bekommen. Wir müssen Verwaltungen zahlen einen ganz bestimmten Pro- darüber langfristig gemeinsam nachdenken. zentsatz von ihrer sozialversicherungspflichtigen Lohn- und Gehaltssumme. Dieser Betrag wird in ei- Danke schön. nen Fonds eingezahlt, aus dem die Betriebe unter- (Beifall bei der SPD und der PDS) stützt werden, die mehr ausbilden. Die Kammerum- lagen und Branchenfonds, die es bereits gibt, die von Gewerkschaften und Arbeitgebern in bestimmten Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- Branchen eingeführt worden sind, sollten wir dem sprache. gesamten Berufsbildungssystem überstülpen. Viel- leicht würde dies helfen. Der Arbeitgeber, der die Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- gen auf den Drucksachen 13/1300, 13/1502 und 13/ Quote erfüllt oder sogar übererfüllt, bekommt eine Unterstützung. 1838 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse vorgeschlagen.

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Rixe, die Der Antrag der SPD zu einer Gemeinschaftsinitia- Kollegin Altmann würde Ihnen gern eine Zwischen- tive Ausbildungsplatzsicherung auf Drucksache 13/ frage stellen. 1838 soll zusätzlich dem Ausschuß für Wirtschaft, dem Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Ju- gend sowie dem Haushaltsausschuß überwiesen Günter Rixe (SPD): Bitte. werden.

Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Kollegin. Der Entschließungsantrag der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1846 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ Berufsbildungsbericht. DIE GRÜNEN): Herr Kollege R ixe, Sie sprachen vors hin von einem Fondsmodell zur Finanzierung des Besteht hierüber Einverständnis? - Dies ist offen- dualen Systems. Wir hatten in unserem Antrag eine sichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so Umlagefinanzierung vorgeschlagen. Die SPD hat beschlossen. sich vorhin dazu kritisch geäußert und gesagt, daß sie es nicht unterstützen wolle. Wie paßt das zusam- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7a bis c auf: men? a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates zu den Emp- Günter Rixe (SPD): Wir wollen keine Umlagefinan- zierung, die wir schon einmal hatten und die durch fehlungen der Kommission des Ältesten- rates für die Rechtsstellung der Abgeord- Verfassungsgerichtsurteil abgeschafft worden ist. Wir wollen einen Leistungsausgleich schaffen. Wir neten in den Vorlagen vom 16. Juni 1995 wollen alle daran beteiligen. - Drucksache 13/1803 - Ich fahre in meinen Ausführungen fort: M an b) Erste Beratung des von den Fraktionen der Kammern per Verord- könnte z. B. überlegen, die CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- nung oder Gesetz zu verpflichten, in ihrem Bereich wurfs eines ... Gesetzes zur Änderung dafür zu sorgen, daß die Ausbildungsquote erfüllt des Grundgesetzes wird, daß jeder einen Ausbildungsplatz bekommt. Wenn die Kammer dies nicht macht oder schafft, soll - Drucksache 13/1824 - 3852 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsident Hans Klein Überweisungsvorschlag: Dieses Reformpaket mit seinen Entscheidungen Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- zur Verbesserung der parlamentarischen Arbeit im ordnung (federführend) Plenum und in den Ausschüssen, mit einer struktu- Rechtsausschuß rellen Reform zur Entschädigung des Abgeordneten Innenausschuß und den Beschlüssen des Ältestenrats zur Verkleine- c) Erste Beratung des von den Fraktionen der rung des Parlamentes stellt ein Gesamtpaket dar. CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- Warum ist dieses Reformpaket wichtig? Ich denke, wurfs eines Achtzehnten Gesetzes zur Än- wir debattieren darüber aus unserem eigenen Selbst- derung des Abgeordnetengesetzes und ei- verständnis, aber auch, weil wir sehr wohl wissen, in nes Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung welcher Weise - übrigens in allen entwickelten De- des Europaabgeordnetengesetzes mokratien - die parlamentarische Demokratie auf dem Prüfstand steht. - Drucksache 13/1825 — Überweisungsvorschlag: Unsere Arbeit im Parlament und als Abgeordnete Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- war gerade in der vergangenen Zeit von andauern- ordnung (federführend) der Kritik begleitet. Wir müssen uns der Tatsache Innenausschuß Rechtsausschuß stellen, daß das Vertrauen der Bürgerinnen und Bür- Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO ger - ob zu Recht oder zu Unrecht - immer stärker von der Frage begleitet ist: Wie groß ist eigentlich die Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Problemlösungsfähigkeit der parlamentarischen gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Demokratie? Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Ich nehme an, daß die Gespräche, die allenthalben geführt wer- Viele erwarten, daß ihnen die komplexen und im- den, eher Konsensus signalisieren. Dann ist dies so mer komplexer werdenden Sachverhalte verständli- beschlossen. cher dargestellt werden. Sie wollen wissen, was das Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt Parlament tatsächlich für sie leistet. Sie wollen auch der Kollegin Professor Dr. Rita Süssmuth. eine Erklärung dafür haben, warum Entscheidungen in der parlamentarischen Demokratie oft so lange Zeit brauchen - länger als in anderen Staatsformen. (CDU/CSU): Herr Präsident! Dr. Rita Süssmuth Ich antworte oft darauf: Nur die Diktatur ist schnell. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach längerer Zeit Insofern sind es mühsame Prozesse. befaßt sich der Deutsche Bundestag heute wieder einmal mit der Reform seiner Arbeit, aber auch mit der Rechtsstellung seiner Abgeordneten. Wir wissen auch - und erfahren es -, daß nur ein kleiner Teil unserer Arbeit sichtbar wird, und zwar Im Vorfeld haben viele Kritiker bei dem, was sie über das Plenum. Deswegen gilt es, die Arbeit dieses draußen gehört haben, gesagt: Ihr habt gute Absich- Plenums anders zu gestalten. Es gilt aber zugleich, ten, aber ihr werdet das Reformpaket nicht schaffen. die Anforderungen an Transparenz, Effizienz und - Nun widerlegen wir die Skeptiker und bringen das Leistungsfähigkeit des Parlaments in den Ausschüs- Reformpaket als Beschlußempfehlung und Be richt sen und den Arbeitsgruppen sichtbar zu machen, da- des Ältestenrats - in Verbindung mit der Einbrin- mit der unsichtbare Teil kleiner wird. gung zweier Gesetze - wie geplant noch vor der Sommerpause ein, und jetzt kritisieren andere dieses In Verbindung mit diesen Erwartungen - Transpa- Vorgehen als zu eilig und bezeichnen es als Eilpaket. renz, Effizienz und Leistungsfähigkeit - geht es zu- Ich denke, daß eine wirklich lange Beratungsphase gleich um die finanzielle Ausstattung des Mandats. in der 12. und jetzt erneut in der 13. Wahlperiode vor- Die gegenwärtige Regelung wird weithin als unbe- ausgegangen ist. friedigend empfunden. Einerseits erschwert sie uns Die Rechtsstellungskommission hat unter dem zunehmend die Rekrutierung von Abgeordneten aus Vorsitz unseres Kollegen Hans-Ulrich Klose inner- allen Gruppen der Bevölkerung und ist damit zum halb kurzer Zeit in dieser Wahlperiode ein überzeu- Problem einer repräsentativen Zusammensetzung gendes Reformkonzept zu den wichtigsten Struktur- des Parlaments geworden, zum anderen hat uns die fragen vorgelegt. Herr Kollege Klose, wir danken Ih- Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, in eigener nen und allen Mitgliedern der Rechtsstellungskom- Sache entscheiden zu müssen, seit 1975 immer wie- mission für die geleistete Arbeit. der den unberechtigten Vorwurf der Selbstbedie- nung eingebracht. Welche Berufsgruppe, so frage (Beifall im ganzen Hause) ich, hat sich übrigens in der Vergangenheit acht Wir haben sie - bei allen Kontroversen - in einer sehr Nullrunden hintereinander auferlegt und damit ei- guten Atmosphäre und sehr zügig erledigen können. nen wesentlichen Sparbeitrag geleistet? Dennoch läßt sich dieses Vorurteil nicht aus der Welt schaffen Ich glaube, daß wir heute ebenso noch einmal un- und betrifft somit das Selbstverständnis des Parla- serem früheren Kollegen Helmuth Becker danken ments ganz nachhaltig. sollten, der die Vorarbeiten für dieses Reformkonzept geleistet hat und uns weiterhin mit seiner großen Er- Kritischen Stimmen, die uns vorwerfen, wir wollten fahrung in verschiedenen politischen Ämtern zur den in der Vergangenheit geleisteten Verzicht jetzt Verfügung steht. rückgängig machen, halte ich entgegen: Der Ver- (Beifall im ganzen Hause) zicht ist tatsächlich geleistet worden. Mittel sind ein- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3853

Dr. Rita Süssmuth gespart worden und werden nicht zurückgeholt. Die geordnete, maximal um 100 Abgeordnete zu verklei- Kritiker übersehen auch, daß das Reformpaket neben nern. Die Entscheidung über das Ob der Verkleine- Mehrausgaben auch Kürzungen enthält und damit rung wollen wir jetzt treffen; das Wie einer Verklei- langfristig aufkommensneutral wird. nerung bedarf sorgfältiger Vorbereitung.

Zu den wichtigen Vorschlägen, die wir in der Der Ältestenrat schlägt dazu vor, daß ich hierzu im Rechtsstellungskommission ausgearbeitet haben, Einvernehmen mit den Fraktionen unverzüglich eine zählt erstens die Reform der parlamentarischen Ar- Kommission einsetze. Sie soll eine Stellungnahme zu beit. Dafür ist kennzeichnend, daß wir einen Tag in allen im Zusammenhang mit einer Verkleinerung des der Woche - wir haben von der „Donnerstagsde- Parlaments entscheidungserheblichen Fragen erar- batte" gesprochen - eine Kernzeit haben, während beiten, insbesondere auch zu der des Neuzuschnitts der wir uns im Parlament auf die zentralen Themen der Wahlkreise. Dabei hat sie neben der Bevölke- ausrichten, die uns wich tig sind, die der Bevölkerung rungszahl auch die räumliche Ausdehnung der wichtig sind und an denen erkannt wird: Der ein- Wahlkreise in Betracht zu ziehen. Verbindliche zelne Parlamentarier stellt sich mit seinen Posi tionen Grundlage der Arbeit der Kommission soll die Beibe- und Überzeugungen in der Debatte, ob es um Ar- haltung des geltenden Wahlrechts sein. Die Kommis- beitslosigkeit, Umweltfragen oder Friedensfragen sion soll ihren Bericht spätestens im Frühjahr 1997 geht. Während dieser Plenarzeit wollen wir keine vorlegen, damit die Umsetzung noch in der parallelen Ausschußberatungen mehr, damit wir 13. Wahlperiode mit Wirkung für die 15. Wahlperiode wirklich Präsenz gewährleisten können. Es geht uns erfolgen kann. auch darum, daß wir Debatten lebendig gestalten Kritiker argumentieren mit Blick auf die Zeitdi- können, wofür wir eine längere Vorbereitungszeit mension, daß dies ein ungedeckter Wechsel auf die brauchen. Zukunft sei. Wer so redet, hat keine Ahnung davon, daß insbesondere Wahlkreisreformen ein Gebiet Im übrigen möchte ich sagen: In bezug auf den lee- sind, bei dem jeder Ortsverband, jeder Unterbezirk ren Plenarsaal hilft es uns wenig, immer wieder zu seine - gesetzlich nicht vorgesehene - Mitbestim- betonen, daß es gute und gewichtige Gründe gibt, mung einfordert. dem Plenarsaal fernzubleiben. Wenn die Öffentlich- keit diesen Plenarsaal via Fernsehen fälschlicher- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weise für den einzigen Arbeitsraum des Parlaments hält, ist das um so schwieriger. Was immer an An- Die Entscheidung über eine mögliche Verlänge- strengungen unternommen worden ist, die Arbeit rung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre soll zu- der Fülle von Parlamentsgremien sichtbar zu ma- nächst zurückgestellt und in Verbindung mit dem chen, die sechs Siebtel des parlamentarischen Eis- vorzulegenden Be richt endgültig getroffen werden. bergs an die Wasseroberfläche zu holen - es war Abteilung 3 schließlich betrifft die Rechtsstellung nicht zu vermitteln. der Abgeordneten. Der Ältestenrat empfiehlt hier mehrheitlich, Strukturveränderungen bei Abgeord- Wir wollen das Plenum von hochspeziellen Fach- netenentschädigung und Abgeordnetenversorgung debatten entlasten. Diese sollen künftig stärker in die vorzunehmen. zuständigen Fachausschüsse verlagert werden. Zu dieser erweiterten öffentlichen Ausschußberatung Im einzelnen schlagen wir vor: Hinsichtlich der Re- sind dann nach Entscheidung der Ausschußmitglie- gelung der Abgeordnetenentschädigung soll die Be- der die Medien für die interessierte Öffentlichkeit zu- soldung unabhängiger Richter stufenweise bis zum gelassen. Auch Besuchergruppen könnten hier zu- Jahr 2000 zum Maßstab werden. Dazu soll in der Ver- sätzlich Einblick in die Arbeit gewinnen. fassung geregelt werden, daß sich die Abgeordne- tenentschädigung künftig nach den Jahresbezügen Außerdem wird das Instrument der Regierungsbe- eines Richters an einem obersten Bundesgericht be- fragung reformiert, um seine politische Bedeutung, stimmt. Lebendigkeit und Aktualität zu erhöhen. Die Regie- rung soll dem Parlament künftig einmal in der Sit- Es gibt immer wieder den Einwand, wir seien mit zungswoche zu aktuellen Fragen Rede und Antwort nichts vergleichbar, weil wir eine Gruppe eigener stehen. Den von der Regierung vorgegebenen The- Art, eine Gruppe sui gene ris, seien. Gleichzeitig sol- men soll dabei maximal ein Viertel der Zeit einge- len wir aber bestimmen, was eine angemessene Ent- räumt werden. schädigung ist. Insofern kann man nur Bezugsgrößen nehmen, die in vergleichbarer Tätigkeit liegen, was Änderungen sind auch in der Geschäftsordnung in ihren Verantwortungsbereich bet rifft. Mängel gibt es bezug auf Beschluß- und Beratungsfähigkeit vorge- da immer, aber ich denke, wir haben jeweils die Er- sehen, ebenso in bezug auf Möglichkeiten, Debatten fahrung gemacht, daß Zielvorgaben, wie sie schon - einvernehmlich zu verlängern. Es muß auch möglich 1977 bestanden, weit unterschritten wurden und sein, Tagesordnungspunkte einvernehmlich abzuset- auch niemals die Vorgabe eingelöst worden ist, daß zen oder die Sitzung zu unterbrechen. ein Abgeordneter eine Entschädigung erhalten solle, die nicht geringer ausfallen dürfe als die Besoldung Der zweite Teil der Parlamentsreform bet rifft die des obersten Beamten, den er kontrolliert. Davon Verkleinerung des Deutschen Bundestages. Der Äl- sind wir weit entfernt und sind erheblich abge- testenrat empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung rutscht. dazu mehrheitlich, den Bundestag mit Wirkung von der 15. Wahlperiode auf deutlich unter 600 Ab (Zuruf von der SPD: Wohl wahr!) 3854 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Rita Süssmuth Hinsichtlich der Kostenpauschale hat der Ältesten- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- rat empfohlen, sie wegen der Vielzahl der mandats- lege Wilhelm Schmidt. bedingten Elemente als Gesamtpauschale mit Abgel- tungscharakter zu erhalten und für 1995 in der Höhe unverände rt zu belassen. Anschließend soll die Ko- Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr geehrter stenpauschale jährlich an die Entwicklung der allge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe meinen Lebenshaltungskosten und spezifischer Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in den ver- Preisindizes angepaßt werden. gangenen Jahren in der Öffentlichkeit sehr oft über die Arbeitsweise unseres Parlaments auseinanderge- Dabei war für uns erstens leitend, daß eine andere setzt oder befassen müssen. Wir haben nicht selten Form den Verwaltungs- und den tatsächlichen Ko- über das Erscheinungsbild des Parlaments gespro- stenaufwand maßgeblich erhöhen würde, zweitens chen. Wir haben uns die Unübersichtlichkeit man- aber auch der Gesichtspunkt des verfassungsrecht- cher Plenardebatten und parlamentarisch-politischer lich schützenswerten Interesses des Abgeordneten, Themen vor Augen führen lassen müssen. Wir haben seine mandatsbezogene Tätigkeit nicht anderen Stel- die Rolle des Parlaments als Verfassungsorgan im len offenlegen zu müssen. Auch dies ist in die Be- Verhältnis zu den anderen Verfassungsorganen nicht trachtung und in die Beratung mit einzubeziehen. selten zu besprechen gehabt. Zu nachhaltigen Einschnitten kommen wir dage- gen beim Übergangsgeld. Das Übergangsgeld wird Ich glaube, es ist richtig, daß wir endlich auf den von heute 36 Monaten auf die Hälfte reduziert, und Punkt kommen. Daß dies in einer Weise geschieht, nach dem vierten Monat des Ausscheidens aus dem die von einer großen Mehrheit getragen wird, macht Parlament werden alle Einkünfte, gleich aus welcher mir, macht meiner Fraktion Mut. Das sollte uns allen Quelle, auf das Übergangsgeld angerechnet. Mut machen; denn ich bin sicher, daß wir auf dieser Basis zu einer wirklichen Verbesserung der Verhält- Ebenso soll die Struktur der Altersentschädigung nisse in diesem Hause kommen. verändert werden. Für jedes Jahr der Mitgliedschaft im Parlament ist eine lineare Steigerung von 3 % pro Sowohl die veröffentlichte Meinung als auch die Jahr und eine Begrenzung des Höchstsatzes auf Meinung vieler Menschen draußen im Lande gipfel- 69 %, der nicht mehr nach 18, sondern erst nach ten nicht selten in Beg riffen, die am Ende mit Politik- 23 Jahren erreicht wird, vorgesehen. verdrossenheit umschrieben worden sind. Von daher glaube ich: Wir müssen davon herunterkommen; wir Regelungsbedarf besteht nach wie vor für die Kol- müssen dazu unseren Beitrag leisten. Wir müssen da- leginnen und Kollegen, die dem 12. Bundestag und bei — da bin ich sicher — mutig vorangehen. zuvor der ersten frei gewählten Volkskammer ange- hört haben. Dieses Problem wird Gegenstand der Dabei sollte der Deutsche Bundestag selbstkritisch Gesetzesberatung sein. feststellen, daß er in der Vergangenheit nicht selten einige durchaus nicht unwesentliche Beiträge zu sol- Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich chen Urteilen in der Öffentlichkeit beigetragen hat. zum Schluß noch auf eines hinweisen: Ich denke, wir Wer in diesem Hause war nicht selbst oftmals über haben heute über das Gesamtpaket zu entscheiden langatmige Debatten, die keine Rededuelle mehr und sollten nicht der Versuchung erliegen, es wieder waren, verärgert und bestürzt? aufzuschnüren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, ten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE DIE GRÜNEN) GRÜNEN) Die drei Körbe bilden eine Einheit. Das galt für un- Wer hätte nicht gern mehr spannende Ausschußsit- sere Beratungen in der Rechtsstellungskommission; zungen gehabt, vor allen Dingen mit Öffentlichkeit so wird es in der öffentlichen Diskussion gesehen; oder Fachöffentlichkeit versehen? und wir sollten sie auch entsprechend beraten. So er- kläre ich es mir auch, daß das öffentliche Echo auf (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Überlegungen in Rechtsstellungskommission und DIE GRÜNEN) Ältestenrat zur Parlamentsreform bislang sehr ausge- Wer hat eigentlich noch Klarheit über die vielen wogen und überwiegend positiv ausfällt. Damit dies von Parlamentarierinnen und Parlamentariern be- so bleibt, erhoffe ich mir eine faire und verantwor- setzten Gremien in diesem Hause? Die Anzahl von tungsbewußte Debatte in diesem Hause wie auch au- 270, die in der vorigen Legislaturpe ri ßerhalb. ode genannt worden ist, scheint mir in dieser 13. Wahlperiode Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir es eher noch größer geworden zu sein. schaffen, das vorliegende Reformpaket in seinen Grundzügen zu verabschieden, dürfte dies einer der (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wohl wahr!) größten Abschnitte in der Parlamentsreform seit 1969 sein. Ich denke dabei nicht nur an den tomatenpolitischen Sprecher in der deutsch-niederländischen Parlamen- Ich danke Ihnen. tariergruppe, unseren Kollegen Jakob Mierscheid.

(Beifall im ganzen Hause) (Heiterkeit bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3855

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Manche in der SPD-Fraktion und auch andere Einge- Ich glaube, daß während der gesamten Zeit der Ar- weihte wissen es: Es handelt sich um den fiktiven beit in der Rechtsstellungskommission untereinander Abgeordneten, der sich über die Zahl, geradezu die Einvernehmen darüber bestand, trotz unterschiedli- Unzahl dieser Gremien lus tig gemacht hat. cher Positionen in der einen oder anderen Frage im- mer wieder ernsthaft zu versuchen, uns an die Lö- (Zuruf von der SPD: Herr Kollege, er wird sung der Probleme zu begeben, die ich vorhin skiz- nicht bezahlt!) ziert habe und die noch vielfältiger sind, als das in der kurzen Zeit darstellbar ist. Grundlage der Lösung Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, das Wo rt der Probleme war also der übergreifende Konsens. „fiktiv" muß in diesem Zusammenhang zurückge- wiesen werden. Wir sind dann zu dem Ergebnis gekommen, das wir Ihnen heute präsentieren, von dem ich aber (Beifall bei der SPD) schon jetzt sagen muß, daß es nicht endgültig ist. Wir wollen weitere Beratungen im Geschäftsordnungs- Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ich werde das ausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen, mit dem Kollegen Mierscheid persönlich zu klären um über die noch offenen Fragen zu sprechen. Wir versuchen. Vielen Dank, Herr Präsident. hoffen, dann sobald wie möglich ein endgültiges Er- gebnis präsentieren zu können. Ich komme zum (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) Schluß meiner Rede noch einmal darauf zurück, wie Aber seien wir wieder ehrlich und vor allen Dingen das geschehen soll. ernst! Wer ist nicht auch als Abgeordnete oder Abge- Frau Präsidentin Süssmuth hat in ihrem Beitrag ordneter - von den Bürgerinnen' und Bürgern ganz schon auf die drei Teilbereiche aufmerksam ge- zu schweigen - ab und zu hoffnungslos überfordert, macht, die das Gesamtpaket umfaßt. Der Abschnitt wenn es um einen Überblick über die parlamentari- ,,Parlamentsreform" mit seinen beiden Teilbereichen sche Debattenlage, über das geht, was hier bei uns „Struktur und Darstellung der parlamentarischen Ar- besprochen wird? Wer möchte nicht die unendliche beit" und „Verkleinerung des Deutschen Bundesta- Papier- und Informationsflut gesenkt, die über- ges" ist dabei von herausragender Bedeutung, weil schwappende Bürokratie in diesem Hause bereinigt mit ihm versucht wird, eine ganze Reihe von Punkten wissen? Ich glaube, es ist wichtig, daß wir uns diesen aufzuarbeiten und zu verändern, die wir in den ver- Herausforderungen stellen, und möchte darauf hin- gangenen Jahren immer wieder auf den Weg der weisen, daß der 12. Deutsche Bundestag dies auch parlamentarischen Debatte bringen wollten. schon getan hat. Nach dieser vorgeschlagenen Organisa tions- und Ich schließe mich nahtlos dem Dank an unseren Strukturreform wollen wir z. B. mit dem veränderten Vorarbeiter im besten Sinne des Wortes, Dr. Helmuth Instrument der Donnerstags-Kerndebatte operieren. Becker, an, den Frau Präsidentin Süssmuth eben aus- Der Öffentlichkeit, und zwar nicht nur denjenigen, gesprochen hat. die an einem bestimmten politischen Thema interes- (Beifall im ganzen Hause) siert sind, sondern auch denen, die sich für die politi- sche Arbeit an sich interessieren, muß klar werden, Er hat in diesem Hause unglaublich viel dazu beige- daß der Donnerstag der Tag ist, an dem etwas im tragen. Es ist schade, daß er heute nicht hier sein Bundestag passiert: Da finde ich etwas Interessantes. kann; sonst hätten wir ihm den Dank auch persönlich Da kann ich mitdenken und auch einmal reagieren, aussprechen können. Denn wir können auf den Er- z. B. durch Leserbriefe oder durch B riefe an den Peti- fahrungen und der Arbeit der 12. Legislaturpe riode tionsausschuß, an den Bundestag, an die Fachaus- in weiten Teilen durchaus aufbauen, wenn wir heute schüsse oder an die Präsidentin. dieses Dreierpaket vorlegen. Ich will das nicht provozieren - wir bekommen oh- In diesen Dank schließe ich unseren Kollegen und nehin schon eine Menge Briefe -, aber ich glaube Vizepräsidenten Klose ein, schon, daß es nicht uninteressant ist, diese Öffnung (Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]) gegenüber dem Bürger noch deutlicher zu machen, als das bisher der Fall ist. der in den ersten Monaten dieser Legislaturpe riode mit einer unglaublichen Energie die zusammenfas- Wir werden - auch das finde ich ermutigend - eine sende und vor allen Dingen auch ergebnisorientierte lebendigere Form von Fragestunde und Regierungs- Arbeit in der Rechtsstellungskommission geleitet hat. befragung bekommen. Wer in den letzten Jahren die Herzlichen Dank dafür! Einführung des neuen Instruments der Regierungs- befragung erlebt hat, muß zugeben, daß hier etwas (Beifall im ganzen Hause) danebengegangen ist. Dieses Instrument besser zu Ich will auch Sie selbst, liebe Frau Präsidentin, ein- nutzen ist eine Aufgabe, der wir uns wirk lich stellen beziehen, die Sie sich nicht nur in der heutigen De- müssen: mit Blick auf das Verhältnis zwischen Parla- batte, sondern sehr oft auch im Umfeld dieses The- ment und Regierung aber auch - das will ich aus mei- mas sehr engagiert haben und damit natürlich man- ner Sicht, der Sicht der SPD, nicht verhehlen - mit che Resonanz auf uns in eine posi tive Richtung ge- Blick auf das Verhältnis zwischen Opposi tion und bracht haben. Einiges wäre sonst vielleicht anders Mehrheit. gelaufen. Auch Ihnen herzlichen Dank! (Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND- (Beifall im ganzen Hause) NIS 90/DIE GRÜNEN]) 3856 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Von daher wird gerade das, was wir als eine neue Der entscheidende Ansatz ist, daß wir mit einer Möglichkeit niedergelegt haben und womit wir uns Verkleinerung des Parlaments dafür sorgen wollen, dann sehr intensiv auseinandersetzen müssen, si- daß es mehr Transparenz, mehr Effizienz - moderne cherlich zu mehr Lebendigkeit und mehr Aktualität Schlagworte aus der Wirtschaft - auch bei uns gibt, führen. die wir umzusetzen gedenken. Aber um es einfacher zu sagen: Wir wollen, daß der Laden hier besser Als vielleicht sogar den wich tigsten Punkt der läuft. neuen Arbeit im Parlament, so hoffe ich jedenfalls, möchte ich die Öffentlichkeit der Ausschußsitzun- ( [CDU/CSU]: Der Satz war gen bei wichtigen Themen und die Einführung einer gut, aber „der Laden" wohl nicht!) erweiterten öffentlichen Ausschußsitzung hervorhe- - Ich wollte es nur einmal ganz einfach ausdrücken, ben. In den Fällen, wo der federführende Ausschuß Herr Kollege Oswald. mit den mitberatenden Ausschüssen bei wichtigen Themen gemeinsam öffentlich tagt, könnte sich eine zusätzliche Zusammenarbeit mit den Fachleuten und Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schmidt, auch eine zusätzliche Öffnung gegenüber den ich wollte nur an die Adresse des Kollegen Oswald Bürgerinnen und Bürgern ergeben. Das wollen wir sagen: Ihr Counterpart, der Kollege bei der SPD, hat nutzen. Ich hoffe, daß die Ausschüsse dies als eine sich genauso erregt wie Sie. Chance verstehen, ihre Arbeit noch transparenter zu machen. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Der Counter- Wir werden uns also noch klarer und intensiver als part ist der Kollege Dr. Küster, der gerade den Dienst bisher an der Öffentlichkeit und ihren Reaktionen bei uns übernommen hat. messen lassen müssen und - so sind wir das Ganze, Ich respektiere das. Das Hohe Haus soll besser wie ich finde, auch angegangen - ebenso messen las- funktionieren. Einverstanden? sen wollen. Das ist der neue Konsens, die neue Rich- tung, die wir bei allen Fraktionen, auch bei denen, (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) die dem Gesamtpaket in dem Maße vielleicht noch nicht zustimmen können, gespürt haben. Daran wol- len wir arbeiten, ganz besonders an diesen Dingen. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schmidt, Ich glaube, das ist das, was dann vielleicht dazu füh- sind Sie bereit, eine Frage des Kollegen Lamme rt zu ren wird, daß wir mit einem neuen oder veränderten beantworten? Geist bei der Arbeit des Hauses miteinander umge- hen. Das sind Prüfsteine, denen wir uns selber zu Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Gerne. stellen haben, die wir bewältigen müssen, die unsere Arbeit auch in der Leitung des Hauses verändern werden, vom Präsidium über die Geschäftsführun- Dr. (CDU/CSU): Lieber Kollege gen bis hin zu jedem einzelnen Abgeordneten. Schmidt, mich würde interessieren, ob im Zusam- menhang mit der von Ihnen gerade vorgenommenen Zweiter Teil des Komplexes: die Verkleinerung Charakterisierung des Parlaments als Laden die des Deutschen Bundestages. Ich weiß, daß es sehr SPD-Fraktion daran denkt, in Zukunft für die Bera- viele gibt - übrigens auch in der SPD-Fraktion -, die tungszeiten die gegenwärtig geltenden Bestimmun- an dieser Stelle noch eine ganze Reihe von Sorgen gen des Ladenschlußgesetzes zugrunde zu legen? haben. Ich will ausdrücklich an dieser Stelle sagen: Diese Sorgen nehmen wir ernst, diese Sorgen haben (Heiterkeit bei der CDU/CSU) wir nicht leichtfertig an die Seite geschoben. Ich werde mich darum kümmern - darin sind sich alle, Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ich antworte die das heute einbringen, auch einig -, daß wir diese gerne in der Weise, daß wir das ernsthaft prüfen wer- Sorgen in den weiteren Beratungen der Ausschüsse den, um es genauso ernsthaft zu beantworten, wie nicht beiseite schieben. Sie die Frage gestellt haben. Aber ich kehre dann gerne wieder zum Ernst des Themas zurück. Ich bitte Ich denke aber, daß es gut war, daß wir uns z. B. dafür auch um Verständnis, denn wir befinden uns in bei den Diskussionen in der SPD-Fraktion sehr früh- einer Phase, in der wir - bei aller Lockerheit - die zeitig mit allen Beteiligten auf eine breite Basis ge- Dinge sehr ernsthaft regeln müssen und wollen. stellt haben. Wir haben nicht nur die Fachgruppen, die ohnehin in diesen Prozeß einbezogen werden Die Verkleinerung hat auf die Arbeit der Abgeord- müssen, integriert, sondern auch die Landesgruppen neten entscheidenden Einfluß. Es geht um die Pro- - also eine ganz breite Streuung von Meinungen - blematik, die schon jetzt relativ großen Wahlkreise haben sich mit diesem Thema befaßt. Deswegen gut betreuen zu können. Wenn sie um zusätzlich weiß ich, wie schwierig es an der einen oder anderen 10 % oder etwas mehr größer werden sollten, dann ist Stelle auch bei uns ist. Darum bin ich um so froher, das natürlich noch alles viel schwieriger zu schaffen; sagen zu können, daß es in der SPD-Fraktion auch zu denn man muß in seinem Wahlkreis schon herum- diesem Punkt eine breite Mehrheit gegeben hat und kommen. Dabei muß man sich schon entsprechend daß wir dazu, wie bisher, entsprechend stehen wer- engagieren, was viele, was eigentlich alle - das setze den und dies in den parlamentarischen Beratungen, ich einmal voraus - in ebendieser Weise tun. Aber ich jedenfalls prinzipiell, tragen werden. denke schon, daß es vor dem Gesamtinteresse, das Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3857

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) hinter der Parlamentsreform steht, doch hinzuneh- auch in der eigenen Fraktion besei tigt. Welche Vor- men sein dürfte, daß wir in sehr verträglicher Form schläge auch immer durch die Medien gegeistert eine Verkleinerung des Parlaments und damit eine sein mögen, sie werden von uns nicht weiterverfolgt, Vergrößerung von Wahlkreisen auf den Weg bringen. sondern wir werden auf der Basis des jetzt geltenden Rechts an die Verkleinerung herangehen. Dazu ste- Wenn man es genau betrachtet, ist es etwa so - das hen wir jedenfalls. ist die Rechnung, die m an sich da vor Augen führen sollte -, daß wir von gegenwärtig 328 Wahlkreisen (Zuruf von der F.D.P.: Sehr gut!) mindestens auf 299 Wahlkreise heruntergehen wür- den. Ich denke, das ist eine Größenordnung - also Im Geschäftsordnungsausschuß und in den ande- minus 29 Wahlkreise -, die man schon verkraften ren Ausschüssen werden wir Gelegenheit haben, die kann. Einzelheiten zu besprechen. Ich glaube, es gilt, auch Wir brauchen dazu übrigens sehr nachdrücklich noch das eine oder andere von dem zu besprechen, auch die Mitarbeit der Länder, die uns natürlich beim bei dem wir in den letzten Wochen das Gefühl hat- Zuschnitt der Wahlkreise helfen müssen. Darum ist ten, es paßt noch nicht so ganz in diese Landschaft das ganze Paket, was die Verkleinerung des Parla- der Veränderungen hinein, die wir erzeugen. Ich will ments anbetrifft, auch nicht in kurzer Zeit zu schaf- hier gar keine Beispiele nennen, obwohl ich da na- fen, sondern wir wollen das natürlich auch sehr be- türlich jetzt eine ganze Reihe aus der Erfahrung der sonnen machen, und jeder Beteiligte soll sich vor O rt, Arbeit der vergangenen Monate referieren könnte, auch in den Ländern, in den Landkreisen und Ge- weil ich glaube, daß wir an dieser Stelle eher noch meinden, darauf einstellen können. Belastungen hineinbringen würden, die das Ganze nicht verträgt. In der Ausschußarbeit aber sollte das Ich glaube, es ist wich tig, daß das auch in diesen dennoch offen stattfinden. Zusammenhang gestellt wird, weil wir natürlich auch immer wieder mit der Resonanz rechnen: Ihr verän- Wir sollten auch nicht verlorene Schlachten „zu- dert bei der Wahlkreisreform, die ja dann damit ver- rückholen". Ich will das einmal in dieser Weise be- bunden sein muß, auch unsere Strukturen vor O rt. nennen. Die Vorstellungen, für die man z. B. im Rah- Und das ist nicht leicht. Wer Kommunalreform und men der Verfassungsreform keine verfassungsän- Wahlkreisreform schon einmal erlebt hat - und viele dernden Mehrheiten hier im Hause bekommen hat, von denen sitzen ja hier im Hause -, der weiß, wie sollte man im Rahmen der Parlamentsreformdebatte sehr man Überzeugungsarbeit leisten muß. Darum nicht wieder zur Diskussion stellen, sosehr das viel- geht das nun wirklich nicht im Schnelldurchgang. leicht auch reizen mag. Deshalb werden wir dies in einem sorgfältigen Ver- fahren mit einem Gremium, das die Präsidentin zu Zur Rechtsstellung der Abgeordneten will ich berufen hat, zu erledigen versuchen. noch einige wenige Sätze sagen. Frau Präsidentin Süssmuth hat das Wesentliche zum Ausdruck ge- Alle Beteiligten, die Ihnen diese Gesetzentwürfe bracht. Auch hier geht es darum, liebe Kolleginnen heute vorlegen, werden allerdings darauf pochen, und Kollegen, daß wir versuchen, die Stellung des daß wir bei dieser Arbeit nicht von dem Grundsatz- Abgeordneten an sich zu festigen. Hier geht es nicht beschluß abgehen, den der Ältestenrat uns allen in erster Linie darum - wie uns manche draußen empfiehlt, nämlich die Verkleinerung tatsächlich glauben machen wollen -, sich noch stärker als bis- durchzuführen. Es ist schon sehr wich tig, daß sich her mit Entschädigung, also mit Diäten zu bedienen. die Bemühungen immer wieder daran orientieren Das ist ein Element von vier, wenn nicht sogar von müssen. mehr. Aber es ist natürlich so, daß wir an dieser Über die Verlängerung der Wahlperiode von vier Stelle schon sehr nachdrücklich die Posi tion des Ab- auf fünf Jahre ist sehr häufig diskutiert worden. Auch geordneten an sich, seine Rechtsstellung in diesem hierüber muß man in den Gremien weiter sprechen. Hause in den Vordergrund stellen, wenn wir darum Wir konnten uns noch nicht entschließen - schon gar ringen, auch diesen Komplex zu lösen. nicht unter dem Aspekt, daß wir die Verkleinerung des Parlaments jetzt nicht sofort lösen können und Ich sage in dem Zusammenhang noch einmal und nicht lösen wollen -, dieses Einzelelement in das Pa- bekräftige das, was schon gesagt worden ist - es muß ket aufzunehmen. Wir werden das zu einem späteren gerade an dieser Stelle wiederholt werden -: Dies ist Zeitpunkt beleuchten und dann auch zu entscheiden genau der Punkt, wo wir sagen, es kann nur im Paket haben. beschlossen werden. Glaube niemand, daß wir mit einer Art von Rosinenpickerei eine Frage lösen könn- Was aber wichtig ist - ich glaube, das ist eine ten, wenn wir uns bei einer anderen Frage vielleicht Grundaussage, die Sie gerade von mir als Sprecher unbequemen Reaktionen seitens der Öffentlichkeit - der SPD-Fraktion erwarten -: Wir wollen im Zusam- gegenübersähen und dann auf eine Lösung verzich- menhang mit der Verkleinerung des Parlaments teten! nicht an den Prinzipien des geltenden Wahlrechts rütteln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der F.D.P.) ten der CDU/CSU) Hier gab es in den vergangenen Monaten und Jah Ich will das ausdrücklich für uns, für meine Fraktion, ren immer wieder Irritationen. Wir haben sie in der gesagt haben. Wir haben das mit großer Mehrheit als Rechtsstellungskommission, im Ältestenrat, aber Leitlinie über diesen Prozeß gestellt. 3858 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Ich will hinzufügen, daß wir, wenn es um die Ent- auch hier im Hause einen riesigen bürokratischen schädigung geht, einen Zustand herbeiführen - prin- Aufwand erzeugen. zipiell betrachtet -, der uns auf der Basis des Bundes- verfassungsgerichtsurteils zu den Diäten im Jahre (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der 1975 und des ersten Abgeordnetengesetzes von 1977 F.D.P.) in den seinerzeitigen Grundsatzzustand zurückfüh- Das können wir im Interesse eines Abbaus von Büro- ren hilft, allerdings in einer, wie ich finde, durchaus kratie nicht hinnehmen. verträglichen Form: in sechs Schritten, die wohlge- merkt bis zum 1. Januar 2000 dafür sorgen, daß wir, Das Übergangsgeld reduzieren wir bewußt ganz die Abgeordneten dieses Hauses, die schon ge- drastisch. Die Halbierung der Höchstbezugsdauer nannte Besoldungsgruppe für Richter an obersten und ähnliches spielen dabei eine Rolle. Daß wir beim Bundesgerichten, R 6, erhalten. Altersruhegeld eine angemessene Lösung - auch unter Zugrundelegung der neuen Entschädigungs- Wenn jemand meint, das sei zuviel, dann soll er für größen - anstreben, sollte meiner Meinung nach den Deutschen Bundestag doch kandidieren. Sollen auch deutlich gesagt werden. sie doch wirklich ernsthaft um die Mandate ringen! Wir wollen uns an der Stelle auch so etwas wie zu- Der Gesamtkomplex - ich habe es gesagt - steht sätzliche Chancen eröffnen, Nachwuchs zu gewin- zur Diskussion. Er steht meiner Ansicht nach nicht nen und Möglichkeiten zu eröffnen, auch Querein- zur Disposition. Wir sollten uns an diesem Paket steiger, orientieren. Wir sollten in den Kommissionen und in den Ausschüssen nachdrücklich an der Reform arbei- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem ten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Insgesamt bedarf dieses Parlament solch neuer Im- die in anderen Berufen ebenfalls die Möglichkeit ha- pulse, in der Hoffnung und in der Erwartung, daß sie ben, viel Geld zu verdienen, für dieses Parlament zu uns bei unserer Arbeit beflügeln werden. gewinnen. Ich bin sicher, daß das als eine neue Mög- Vielen Dank. lichkeit durch die Lande geht, parlamentarische Ar- beit zu beleben, neu zu organisieren und aus festge- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der fügten Strukturen herauszub ringen. Ab dem Jahre F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS) 2000 oder 2002, in jedem Fall dann, wenn es interes- sant sein könnte - ich sage das ganz bewußt sehr hy- pothetisierend -, ist das meiner Meinung nach mög- Vizepräsident Hans Klein: Kollege Gerald Häfner, lich. Sie haben das Wort.

Daß Abgeordnete Knochenarbeit leisten und nicht Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr einmal mit einer Arbeitszeit - jahresdurchschnittlich Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer das gerechnet - von 80, manchmal vielleicht 75 Wo- Parlament richtig verstehen will, der muß auch wis- chenstunden zurechtkommen, muß der Öffentlich- sen, daß hier besondere Regeln und Gebräuche herr- keit doch einmal ganz offensiv und, wie ich finde, schen, die sich etwas von dem abheben, was der Nor- sehr nachdrücklich klargemacht werden. malbürger gewöhnt ist. Wer im Privatleben z. B. zu Weihnachten ein Paket abschickt, möchte meistens (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der etwas geben, und die angemessene und verbreitete F.D.P.) Reaktion darauf ist Freude. Im Bundestag gelten an- Damit fordere ich keine Umrechnung auf Stunden- dere Gesetze: Wenn der Bundestag ein Paket lohn ein; aber es ist natürlich schon so, daß wir an der schnürt, möchte er auch etwas nehmen, und deshalb Stelle selbstbewußt genug sein sollten, auch auf ist als Reaktion konstruktive Skepsis angebracht. diese Punkte hinzuweisen. Wer es nicht ertragen Man muß genau in das Paket hineinschauen; denn kann, muß sich nicht zur Wahl stellen; auch das sage die vielen schönen Dinge, die herum gepackt sind, ich. dienen immer auch dem Verbergen des eigentlichen Inhalts. (Beifall des Abg. Peter Conradi [SPD]) (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Was wollen Sie denn herausnehmen, Herr Häfner?) Andererseits ist es so, daß wir diese Punkte in das richtige Verhältnis zu rücken haben. Das gehört ein- - Wenn Sie zuhören, Herr Wiefelspütz, dann werden fach dazu. wir uns gleich in der Sache verständigen. Zur Kostenpauschale möchte ich ganz kurze Hin- Die den Bundestag be treffenden Regeln sind auch weise geben. Ich bekräftige das, was Frau Süssmuth sonst anders, als Bürgerinnen und Bürger es vermu- gesagt hat. Wir können keine drastische Senkung ten würden. Sie kennen z. B. die Passage im Grund- hinnehmen, wie sie z. B. die Kissel-Kommission vor- gesetz, wonach Abgeordnete an Aufträge und Wei- geschlagen hat, auf die wir uns an mancher Stelle be- sungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen un- rufen und auf die wir immer wieder hinweisen, näm- terworfen sind, und wissen, daß demnach ein tat- lich auf 1 000 DM Pauschale zurückzugehen und al- sächlicher Fraktionszwang gegen das Grundgesetz les andere einer Einzelabrechnung zu überlassen. verstieße und wir deshalb in diesem Hause keines- Das würde bei jedem Abgeordneten selbst, aber falls einen Fraktionszwang kennen oder gar ausüben Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3859

Gerald Häfner und ihn nur gelegentlich bei wichtigen Debatten auf- Der Vorschlag, endlich öffentliche Ausschußsitzun- heben. Wem das als ein Widerspruch erscheint, der gen zuzulassen - das haben wir ja zwölf Jahre lang kennt die besonderen Regeln und Gebräuche im Ho- vorgeschlagen; ich würde noch weitergehen -, ist ein hen Hause noch nicht. sehr sinnvoller Vorschlag,

(Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Gut, daß wir (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Damit do rt das jetzt alle von Ihnen erfahren!) auch nur Fensterreden gehalten werden!) - Ich habe von „wir" gesprochen. - Eine weitge- hende Parlamentsreform müßte viele Fragen, darun- weil wir das Redebedürfnis, von dem Sie zu Recht ter auch diese, angehen. sprechen, nicht dadurch bef riedigen können, daß wir das alles ins Plenum hinein verlagern. Es langweilt ja Weniges ist so schwierig wie eine fundamentale auch oft, wenn das, was im Ausschuß schon zweimal Parlamentsreform im Deutschen Bundestag. Es sind durchgesprochen wurde, hier wiederholt wird, nur immer wieder Anläufe gemacht worden, und stets damit man in der Öffentlichkeit reden kann. Aber die sind sie steckengeblieben oder haben allenfalls zu Öffentlichkeit will das gar nicht, jedenfalls nicht in allzu kleinen Sprüngen geführt. Deshalb möchte ich dieser Form, wahrnehmen. deutlich sagen, daß ich das, was heute auf dem Tisch liegt, für einen Fortschritt halte. Ich halte es für nicht Es gibt eine Reihe weiterer Punkte, die mir in die- weitgehend genug, aber ich halte es für einen Fo rt sem Zusammenhang wichtig erscheinen, beispiels- -schritt, den wir nicht kaputtreden, sondern unterstüt- weise die Regierungsbefragung. Wir wissen alle, wie zen sollten. spannend es z. B. in Großbritannien sein kann, wenn der Regierungschef selbst antwortet und dann mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Rede und Gegenrede eine echte Befragung stattfin- Zuruf von der SPD: Was ist aus den Grünen det. geworden!) (Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND- Ich möchte aber, daß wir einen Schritt weiterge- hen. Der Hauptansatzpunkt im Ältestenrat waren ja NIS 90/DIE GRÜNEN] und der Abg. Dr. Rita das Ansehen und die Würde des Parlamentes. Ich Süssmuth [CDU/CSU]) will Ihnen deutlich sagen: Mir ist das Ansehen des Auch bei uns wird einiges gemacht. Wir haben es da- Parlamentes nicht egal; denn der Deutsche Bundes- mals von der Initiative „Parlamentsreform" so ge- tag ist das Herz unserer Demokratie. Wenn sich die wollt; aber was daraus geworden ist, ist eher peinlich Bevölkerung von unserer Arbeit gelangweilt oder und leicht langweilig. Man macht es entweder rich- gar angewidert abwendet, dann gefährdet das lang- tig, oder man läßt es. Ich hoffe, daß der Versuch, der fristig nicht nur unsere Arbeit, sondern auch die par- jetzt unternommen wird, hier etwas bessert. lamentarische Demokratie. Deshalb müssen wir drin- gend darüber nachdenken, wie wir unsere eigene Vor allem aber glaube ich, daß es nötig ist, daß wir Arbeit verbessern können. unser Verhältnis zu den Bürgerinnen und Bürgern Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist das, worauf verbessern und verändern, daß das Parlament durch- man sich gemeinsam geeinigt hat. Es ist ein Schritt lässiger wird, daß das Parlament die Möglichkeit nach vorne, aber wir bitten, liebe Kolleginnen und schafft, daß Bürgerinnen und Bürger auch zwischen Kollegen: Laßt uns nicht mit diesem ersten Schritt den Wahlen politisch mitreden und mitentscheiden haltmachen, sondern laßt uns eine ganze Reihen von können. Schritten weitergehen! Schließlich meine ich: Jeder vernünftige Betrieb Ich habe wie viele von uns auch in anderen Län- unterzieht sich alle paar Jahre einer Organisationsre- dern Parlamente besucht. Bei solchen Besuchen er- form, alle paar Jahre werden Strukturen und Abläufe scheint einem manchmal fragwürdig, was einem vor- überdacht, untersucht und verbessert. Warum beauf- dem bei uns als unverrückbar erschien. Beispiels- tragen wir — ich würde da gar keine Hemmungen ha- weise gestehen viele demokratische Parlamente auf ben - als Deutscher Bundestag nicht einmal ein Or- dieser Erde ganz selbstverständlich den Fraktionen ganisationsberatungsunternehmen, Strukturen und gleich lange Redezeiten zu, weil sie sich sagen, um Abläufe hier zu untersuchen und festzustellen, was einen bestimmten Gesichtspunkt darzulegen, benö- man effektiver machen könnte? Ich glaube, da würde tigt man eine etwa gleich lange Zeit. Es werden die man eine ganze Menge finden. Ich allein quille vor Gesichtspunkte nicht dadurch mehr, weil eine Frak- Vorschlägen, zu deren Darstellung mir die Redezeit tion mehr Mitglieder hat. Das ist guter Usus in vielen, nicht bleibt, schon fast über. auch sehr traditionsreichen, Parlamenten dieser Erde und macht sofort die Debatten ungleich viel lebendi- Lassen Sie mich am Schluß noch etwas zu der - ger, weil Rede auf Gegenrede in gleichem Wechsel Frage sagen, die in diesem Paket das Problematisch- folgt. ste darstellt, zur Frage des Geldes. Auch hier möchte ich ein Bekenntnis ablegen, das m anche vielleicht (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Vor al wundert. Für mich ist es eine verfassungsrechtliche len Dingen kommen einige überhaupt nicht und verfassungspolitische Frage, daß die Abgeord- mehr zum Reden!) neten für ihre Tätigkeit angemessen entschädigt wer- - Das ist ein Problem, über das wir reden müssen. den und daß Angehörigen aller Berufsgruppen der Zugang zum Abgeordnetenmandat offensteht. Des- (Heiterkeit bei der SPD) wegen dürfen die Abgeordnetendiäten nicht zu 3860 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Gerald Häfner niedrig fallen. Umgekehrt ist es in Zeiten, in denen legen Klose an, obwohl wir mit den Ergebnissen viele Bürger den Gürtel enger schnallen müssen, nicht so zufrieden sind wie insbesondere die ersten auch eine Frage des Maßes und der politischen Ver- beiden Vorredner. antwortlichkeit, im Parlament Ähnliches zu tun. Wer sich den Sinn für die Bedeutung der parla- Die Grünen haben lange Zeit Diätenerhöhungen in mentarischen Debatte für die Glaubwürdigkeit de- diesem Hause abgelehnt. Jetzt sind wir aber an ei- mokratischer Entscheidungen bewahrt hat, der weiß, nem anderen Punkt angekommen. Sie alle kennen wie wichtig die Entscheidung über die Änderungen die Zahlen der Entwicklung der Gehälter z. B. im Be- der Geschäftsordnung ist, die vorgeschlagen werden reich der leitenden Angestellten. Diese Gehälter stie- und die nach unserer Überzeugung die durchgrei- gen von 1976 bis 1993 um 128 %, die Abgeordneten- fendsten eigentlich seit dem Bestehen des Deutschen diäten sind um 38 % gestiegen. Bundestages sind. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wir sehen in den Vorlagen kein Paket. Ein Paket Selbst viele Lehrer verdienen weniger, ist ein Zeichen der Schwäche. Die Größe des Parla- wenn sie hierherkommen!) ments, die Regeln seiner Arbeitsweise, die Rechte des einzelnen Abgeordneten, die Art und Höhe sei- Wir sind der Meinung, daß wir gemeinsam über eine ner Entschädigung müssen jeweils für sich begrün- allerdings maßvolle und angemessene Erhöhung det sein und können eben nicht politisch gegenein- sprechen müssen. ander verrechnet werden. Auch halten wir den Vorschlag für sinnvoll, die Ab- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- geordnetenentschädigung an eine Bezugsgröße, wie ten der CDU/CSU, der SPD und der PDS) sie mit dem Gehalt für oberste Bundesrichter vorge- schlagen wird, anzukoppeln. Wir meinen aber - wenn Wir wollen eine Parlamentsreform, das ist der Sie mir dies zum Abschluß noch gestatten, Herr Prä- Kernpunkt unserer Überlegungen. Der Bundestag sident -, daß wir, wenn wir eine solche Bezugsgröße muß wieder der zentrale Ort der politischen Debatte suchen, eine maßvolle Bezugsgröße suchen müssen. werden. In unseren Augen wäre z. B. das Grundgehalt R 6 - es (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) liegt im Moment bei 11 063 DM - eine solche maß- volle Bezugsgröße. Eine entsprechende Entschei- Damit steht und fällt das Ansehen der parlamentari- dung würde uns der Notwendigkeit entheben, in schen Demokratie und übrigens der Abgeordneten. Schritten anzuheben, würde aber ermöglichen - was Unsere frühere Kollegin Frau Hamm-Brücher hat das gemeinsam gewollt ist -, eine Bezugsgröße zu haben, Problem des Parlaments darin gesehen, daß die Ver- an der man sich in Zukunft orientieren kann. Gleich- antwortung für das Parlamentsgeschehen anonymi- zeitig hätten wir nicht das hineingepackt, was in ein siert und die Wirkungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordnetengehalt wirklich nicht hineingehört, minimiert worden sind. Das ist im Prinzip richtig. Na- nämlich das 13. Monatsgehalt, das Urlaubsgeld, den türlich ist der Bundestag keine Horde von Einzel- Ortszuschlag und all die anderen Zuschläge, die im kämpfern, er ist aber auch keine Kongregation von Grunde Treueprämien aus dem Beamtenrecht sind Edelkomparsen. und für Abgeordnete nicht passen. (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, noch ha- Wir müssen die angemessene Ausgewogenheit zwi- ben wir die alte Struktur der Redezeiteinteilung. schen den Handlungsmöglichkeiten des einzelnen (Heiterkeit) und der notwendigen Arbeitsteilung durch die Frak- tionen wiederfinden. Es ist richtig - das hat Herr Häf- ner ausgeführt -, daß die Initiativmöglichkeiten des (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich Gerald Häfner einzelnen auch im Laufe der Geschichte des Bundes- schließe, Herr Präsident, an dieser Stelle meine Rede. tages und seiner Geschäftsordnungen immer weiter - Lassen Sie uns gemeinsam über diese Dinge reden! verringert worden sind und daß wir im Vergleich zu Es handelt sich um Fragen innerhalb des gemeinsam den Geschäftsordnungen anderer Parlamente in die- angedachten Pakets. Lassen Sie uns, wenn wir das ser Frage nicht gut abschneiden. Paket gemeinsam auf den Weg geschickt haben, gleich das nächste schnüren! Die meisten anderen Parlamente kennen das Recht jedes einzelnen Abgeordneten, Gesetzentwürfe ein- Ich danke Ihnen. zubringen. Viele Parlamente kennen keine Rednerli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sten. Es gibt dort eine großzügige Handhabung der - sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Redezeiten. Sie ratifizieren nicht nur, sondern sie be- SPD und der PDS) raten. Darum halten wir die Richtung der hier ge- machten Vorschläge für richtig; viele stammen auch von uns: Verbesserung des Rederechts des einzel- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wo rt dem nen, die Möglichkeit, schon in erster Lesung Anträge Kollegen Dr. Burkhard Hirsch. zu stellen, Vitalisierung der Fragestunde, übrigens natürlich auch der Regierungsbefragung, die zu ei- Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Präsident! Meine ner Befragung der Parlamentarischen Staatssekre- sehr geehrten Damen und Herren! Wir schließen uns täre geworden ist. Es ist ebenfalls notwendig, das allen Danksagungen an die Präsidentin und den Kol Plenum von Fachdebatten zu entlasten und diese in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3861 Dr. Burkhard Hirsch öffentliche Ausschußsitzungen zu verlagern, an de- werden uns der Veränderung dieses Kerns unseres nen jeder teilnehmen kann. Es ist richtig, die Rechte Wahlrechtes entschlossen widersetzen. des Präsidiums zu verstärken, nämlich die Debatte je nach der Präsenz des Hauses verlängern oder auch (Beifall bei der F.D.P. und der PDS) abbrechen zu können, wenn Bundestag und Bundes- Hier beginnt der Weg in den Zwei-Parteien-Staat. rat erkennbar nicht genügend interessiert sind, Wenn der Wähler das will, dann muß es akzeptiert werden. Er ist der Souverän. Aber wir werden uns (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: mit allen Mitteln dagegen wehren, wenn offen oder Auch weitere Rechte des Präsidiums wären heimlich, bewußt oder unbewußt durch eine Verän- wünschenswert!) derung des Wahlrechts der Wille des Wählers mani- Ich mache keinen Hehl daraus, daß wir bei man- puliert wird und die kleineren Parteien aus dem Bun- destag herausgedrängt werden. chen Vorschlägen gern weitergegangen wären als die Rechtsstellungskommission, gerade was Rede- (Beifall bei der F.D.P. und der PDS sowie und Antragsrechte, auch Gruppenanträge angeht. des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD]) Wir sollten in diesen Fragen mehr die Erfahrungen anderer Parlamente nutzen. Vizepräsident Hans Klein: Kollege Hirsch, gestat- Die Verkleinerung des Bundestages ist weder ein ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefels- Wert an sich noch ein Mittel, sich andere Entschei- pütz? dungen zu erleichtern. Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Ich will nur einen Satz (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der noch sagen; dann selbstverständlich. SPD) Das ist in der Geschichte der Bundesrepublik Sie kann nur im Zusammenhang mit der Funktions- schon mehrfach versucht und von uns immer wieder fähigkeit des Bundestages einen Sinn haben oder verhindert worden. gar nicht. Herr Kollege Wiefelspütz. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD) Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Kollege Hirsch, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in der Ent- Der Bundestag ist allen öffentlichen Behauptungen schließung, über die wir am Schluß dieser Debatte zum Trotz keineswegs größer als andere Parlamente beschließen werden, ausdrücklich als politische auch. Selbstbindung dieses Parlamentes festgeschrieben wird, daß Veränderungen am Wahlrecht nicht vorge- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne nommen werden sollen? ten der SPD und der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Die Parlamente von England, Frankreich und Italien BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sind in ihrer absoluten Größe durchaus mit dem Bun- destag vergleichbar, obwohl sie bedeutend weniger (F.D.P.): Verehrter Herr Kol- Wähler repräsentieren. Es gibt auf der Welt über- Dr. Burkhard Hirsch lege, ich nehme das zur Kenntnis. Aber Sie müssen haupt nur drei Parlamente, nämlich die der Vereinig- auch zur Kenntnis nehmen, daß Sie durch den Be- ten Staaten, Japans und Rußlands, in denen jeder schluß, den Sie heute vorlegen, schon jetzt festschrei- einzelne Abgeordnete noch mehr Einwohner und ben wollen, daß der Bundestag verkleinert wird, Wähler vertritt als heute schon jedes Mitglied des ohne daß Sie den Kollegen sagen, was es für jeden Deutschen Bundestages. einzelnen von ihnen bedeutet. Das ist der Punkt. Die Probleme der Verkleinerung liegen in der Ar- (Beifall bei der F.D.P. und der PDS sowie bei beitsfähigkeit der kleineren Fraktionen, außerdem Abgeordneten der SPD) darin, daß sie dann in einem oder mehreren Bundes- ländern wegen der sehr unterschiedlichen Bevölke- Darum wiederholen wir dringend unseren Vor- rungsgrößen der Länder in der Bundesrepublik über- schlag, zwar die Wahlkreiskommission zu beauftra- haupt keinen Bundestagsabgeordneten mehr stellen gen, Vorschläge zu machen, die Entscheidung aber werden, und schließlich in den Überlegungen, das erst dann zu treffen, wenn sie auf der Grundlage von Wahlrecht zu verändern. Dieser dritte Punkt trifft Tatsachen getroffen werden kann. alle, jeden von Ihnen, nicht nur 28. Wir warnen vor dem Versuch, Herr Kollege Wie- - felspütz, durch ein einfaches Gesetz die jetzt notwen- Wenn die Kollegen erkennen werden, daß ihre digen Anpassungen der Wahlkreise an die Bevölke- Wahlkreise wegfallen oder daß ihre Wahlkreise zu groß werden oder daß sich ihre Wahlkreise durch die rungsdichte zu verschieben und damit für die Wahl 1998 das zwingende Verfassungsgebot der Gleich- Veränderung des Zuschnittes in der politischen Zu- heit der Stimmen zu beschädigen. sammensetzung verändern - das weiß bis jetzt keiner von Ihnen -, spätestens dann wird die Forderung er- Eine letzte Bemerkung zu den Diäten. Die Höhe hoben ,werden, die Wahlkreise unberührt zu lassen der Diäten muß unserer Verantwortung und unserer und die Parität zwischen den direkt gewählten Abge- Arbeitsleistung angemessen sein. Wir sind für eine ordneten und den Listenmandaten zu verändern. Wir maßvolle Anhebung auf etwa 12 000 DM; aber wir 3862 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dieter Wiefelspütz sind entschieden dagegen, sie an ein Beamten- oder Wir werden der Überweisung der Vorlagen an die Richtergehalt zu koppeln und das dann auch noch in Ausschüsse zustimmen und hoffen auf eine Bera- die Verfassung zu schreiben. Damit würden wir eine tung, die der Bedeutung dieser Vorlagen angemes- scheinbare Objektivität vorspiegeln, die es in Wirk- sen ist. lichkeit nicht gibt, solange wir selbst die Beamten- oder Richtergehälter in ihrer Höhe bestimmen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der PDS) (Beifall bei der F.D.P.)

Der Abgeordnete hat ein Recht auf angemessene Vizepräsident Hans Klein: Kollege Manfred Mül- Entschädigung. Jeder Bürger muß das passive Wahl- ler, Sie haben das Wo rt. recht ausüben können, ob er reich oder arm ist. Er soll für die Zeit des Mandats einen Lebensstandard Manfred Müller (Berlin) (PDS): Herr Präsident! haben, der seiner Verantwortung entspricht, der ihm Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich schließe unabhängige Entscheidungen ermöglicht, ohne daß mich zunächst dem vielfach geäußerten Dank an die er eine weitere Erwerbstätigkeit ausüben müßte. Mitglieder der Rechtsstellungskommission für die Und schließlich soll er sich am Ende der Mandatszeit von ihnen geleistete Arbeit und ihr Bemühen, einen nicht aus finanziellen Gründen auf Wohl oder Wehe möglichst breiten Konsens zu erzielen, an. Wir haben um eine Wiederwahl bemühen müssen. Das ist der uns daran konstruktiv beteiligt. Maßstab, nichts sonst. Dieser Dank bedeutet jedoch keineswegs, daß wir Das Bundesverfassungsgericht hat uns verpflich- mit allen Vorschlägen oder gar mit den jetzt von den tet, selbst darüber zu entscheiden. Das hat nichts mit Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion unter- der Richterbesoldung zu tun, nichts mit Beförde- breiteten Anträgen in vollem Umfang einverstanden rungsaussichten, Urlaubsanspruch, 13. Monatsgehalt, wären. Ortszuschlägen, Dienstleistungspflicht, Pensen- schlüssel und Geschäftsverteilung. Die von allen Fraktionen für notwendig erachtete grundlegende Parlamentsreform - so unsere Ein- (Beifall bei der F.D.P.) schätzung - wird allerdings weitgehend verfehlt, wenn sie sich lediglich auf eine Verbesserung der Wir sind Abgeordnete, nicht Richter und nicht Be- Struktur und Darstellung der parlamentarischen Ar- amte. Wir haben ein öffentliches Amt, aber wir sind beit beschränkt. kein öffentlicher Dienst. Die öffentliche Kritik an unserer Arbeit hat doch (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne eigentlich klargemacht, worum es der Öffentlichkeit, ten der SPD und der PDS) worum es den Bürgerinnen und Bürgern geht: er- stens um eine wachsende Legitimationskrise auch Die hier vorgeschlagenen Regelungen sollen den des Deutschen Bundestages gegenüber der Bevölke- Anschein einer Objektivierung erwecken. Es soll rung, die wir im Bundestag vertreten sollen, und über die Diätenhöhe im Ergebnis genausowenig öf- zweitens um den immer geringer werdenden Einfluß fentlich diskutiert werden wie darüber, ob die lineare der Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung Übertragung des Tarifergebnisses auf die Richter der und der Verwaltung, aber auch gegenüber den admi- Stufe R 6 angemessen ist oder nicht. Das Bundesver- nistrativen und parlamentarisch nicht legitimie rten fassungsgericht hat einer solchen Automatik ein- Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union. dringlich und wiederholt und mit sorgfältiger Be- gründung widersprochen. Es ist lächerlich, genau Für den Bundestag werden in der Öffentlichkeit - das nun in die Verfassung hineinzuschreiben, gerade neben Problemen wie mangelhafte Effizienz und Ar- um dem Verfassungsgericht zu entgehen. beitsüberlastung - auch die Abhängigkeit des Bun- destages und seiner Abgeordneten von der Exeku- Wir wiederholen unseren Vorschlag, ebenso wie tive, die mangelhafte Repräsentanz der Bürgerinnen bei der Parteienfinanzierung das Initiativrecht auf und Bürger durch die Abgeordneten und durch das eine unabhängige Kommission zu übertragen, um Parlament sowie deren unzureichende Kompetenzen auf diese Weise zu einer wirklichen Objektivierung bei wichtigen gesellschaftlichen Planungsprozessen zu kommen. Aber den Mut zur Entscheidung und so- etwa im wirtschaftlichen und beschäftigungspoliti- viel Selbstbewußtsein, vor Freund und Gegner auch schen Bereich hervorgehoben. Dies sind Probleme, in dieser Sache zu sagen, was notwendig und richtig die das System der repräsentativen Demokratie ist, selbst betreffen. - (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das Durch mehr direkte Bürgerbeteiligung, wie wir sie machen wir doch, Herr Hirsch!) vorgeschlagen haben, könnten wir die Politikver- drossenheit überwinden helfen. Davon findet sich sollten wir als freigewählte Abgeordnete nun wirk- nichts in den bisher gemachten Vorschlägen. lich aufbringen. Als handlungsfähig im Bundestag erscheinen näm- (Beifall bei der F.D.P. - Wilhelm Schmidt lich im wesentlichen die Regierung, die Partei- und [Salzgitter] [SPD]: Ich finde Ihre Schärfe Fraktionsspitzen sowie die Ministe rien, aber weniger sehr unangemessen!) die Abgeordneten und das Parlament selbst. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3863

Manfred Müller (Berlin) Diese Probleme sind also bekannt. Der Handlungs- Erstens. Wir werden nicht mehr in eigener Sache bedarf ist groß; in den unterbreiteten Vorschlägen tätig, und der Selbstbedienungsvorwurf bleibt reine wird dies jedoch weitgehend ausgelassen. Ich muß Polemik. deshalb davon ausgehen, daß eine grundsätzliche (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Wer entschei- Lösung unserer strukturellen Krise gar nicht in An- det über die Richtergehälter?) griff genommen werden soll. - Dazu komme ich jetzt. Zu den Argumenten bezüglich einer Verkleine- rung des Parlaments hat dankenswerterweise Herr Zweitens. Die Koalitionsfraktionen sitzen zukünf- Vizepräsident Hirsch schon einiges gesagt, so daß ich tig am Verhandlungstisch, wenn es um die Erhöhung das hier nicht zu wiederholen brauche. der Bezüge z. B. des öffentlichen Dienstes geht, und zwar nicht auf seiten der öffentlichen Arbeitgeber, Strikt abzulehnen - und ich bin nicht sicher, daß sondern vielleicht auf seiten der Gewerkschaften. das Wahlgesetz nicht doch geändert werden soll - ist auch der Versuch, mit einer Verkleinerung des Deut- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Müller, die schen Bundestages ab der 15. Wahlperiode bereits in Redezeit ist schon ein Stück überschritten. der 14. Wahlperiode Eingriffe in das bundesdeutsche Wahlrecht vorzunehmen, nämlich hinsichtlich der Manfred Müller (Berlin) (PDS): Ich bin sofort fertig. mindestens drei Direktmandate, die eine Partei er- zielen muß, um auch dann in das Parlament einzuzie- Eine Heranführung innerhalb von nur drei Jahren hen, wenn die Fünf-Prozent-Hürde nicht übersprun- an die Richterbezüge würde allerdings zu überhöh- gen werden konnte. ten Diätenerhöhungen führen. Wir werden uns des- halb für eine Streckung der Übergangsphase und da- Mir zeigt diese Diskussion, dieser Angriff auf das mit eine geringere Diätenerhöhung solange einset- Bundeswahlgesetz, daß es den Initiatoren der Ver- zen, wie den Kolleginnen und Kollegen des gesam- kleinerung des Deutschen Bundestages auch um die ten öffentlichen Dienstes ständig die leeren öffentli- Verringerung des Einflusses kleinerer Parteien, Frak- chen Kassen vorgehalten werden. tionen und Gruppen im Deutschen Bundestag geht. Danke schön. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das (Beifall bei der PDS) steht doch gar nicht in dem Paket drin!) Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem Wenn mit der Verkleinerung des Deutschen Bundes- Kollegen Gerhard Scheu. tages solche Möglichkeiten eröffnet werden, sind aus diesem Grunde entsprechende Versuche abzuleh- nen. Gerhard Scheu (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich dem Im übrigen weise ich darauf hin, daß das Bundes- Dank an den Vorsitzenden der Rechtsstellungskom- verfassungsgericht in seiner Entscheidung über die mission des Ältestenrates, Herrn Vizepräsident Verfassungsmäßigkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel Klose, anschließen. Herzlichen Dank für die gelei- ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß regional stete Arbeit! Ich freue mich, daß wir so gut zusam- verankerte Parteien wie z. B. die PDS und - mit Ver- menarbeiten konnten. laub - auch die CSU über mindestens drei Direkt- Lassen Sie mich zu einem Verfassungsproblem mandate den Einzug in das Bundesparlament erzie- und zu einem Wahlrechtsproblem Stellung nehmen. len können und deshalb eine Benachteiligung regio- Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes soll zukünftig in nal verankerter Parteien durch die Fünf-Prozent- den Sätzen 2 und 3 wie folgt lauten: Sperrklausel nicht vorliegt. Die Abgeordnetenentschädigung bestimmt sich Wenn nun die Hürde der Direktmandate höher ge- nach den Jahresbezügen eines Richters an einem legt wird, dann folgt daraus zwangsläufig die Not- obersten Bundesgericht. Das Nähere, insbeson- wendigkeit einer Reduzierung der Sperrklausel. Dar- dere über die Abgeordneten- und Altersentschä- über könnten wir gern reden. digung sowie die Amtsausstattung, wird durch Bundesgesetz oder aufgrund eines Bundesgeset- (Beifall bei der PDS) zes geregelt. Dieser Gesetzesantrag ist verfassungsrechtlich a) zu- Die vorgeschlagene Diätenerhöhung kann schon lässig, b) geeignet und c) notwendig, um für die Zu- gar nicht mit einer geplanten Verkleinerung des kunft - wie Satz 1 fordert - eine „angemessene" Ent- Parlaments begründet werden. Für mich kann sich schädigung der Mitglieder des Deutschen Bundesta- eine Begründung für eine Diätenerhöhung über- ges zu gewährleisten, auch wenn das erst ab 1. Ja- haupt nur aus einer wirkungsvolleren Arbeit der nuar 2000 eintritt. Alternativen dazu sind nicht in Parlamentarierinnen und Parlamentarier ergeben. Sicht. Eine Anbindung der zukünftigen Diätenerhöhun- gen an die Einkommensentwicklung anderer Be- Zu a): Maßstab für die Zulässigkeit ist das in A rt. 79 rufsgruppen, also wie hier vorgeschlagen der Be- Abs. 3 festgelegte demokratische und rechtsstaatli- züge der Richter an Bundesgerichten, hat aus zwei che Prinzip. Artikel 79 Abs. 3 hindert den verfas- Gründen etwas für sich: sungsändernden Gesetzgeber nicht an positiv-recht- 3864 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Gerhard Scheu licher Modifizierung aus sachgerechten Gründen. lungen fragen, ob Ihnen denn wirklich nicht bewußt Von einer Preisgabe des Demokratieprinzips durch ist, daß nirgendwo in der Verfassung steht, daß die den neuen Artikel 48 Abs. 3 Satz 2 kann nicht die Ministergehälter von den Tarifergebnissen abhängig Rede sein. Die Bestimmung der angemessenen Ab- wären, und ob Ihnen denn wirklich nicht bewußt ist, geordnetenentschädigung ist durch den Verweis auf daß die Rechtsstellung eines Abgeordneten, eines die Bundesrichterbezüge so offen, daß dem demo- unabhängigen und freien Abgeordneten, nach unse- kratischen Gesetzgeber, was durch den Verweis in rer Verfassung eine völlig andere ist als die eines Mi- Art. 48 Abs. 3 Satz 3 auf die näheren Regelungen nisters? durch Bundesgesetz noch verstärkt wird, hinreichen- der materieller Entscheidungsspielraum verbleibt. (Zustimmung bei der F.D.P.) Der verfassungsändernde Gesetzgeber macht durch den neuen Satz 2 in Art. 48 Abs. 3 selbst die Verbin- dung zwischen Abgeordnetenentschädigung und Gerhard Scheu (CDU/CSU): Herr Kollege Hirsch, Bezügen der Bundesrichter für die Öffentlichkeit im ursprünglich war das Erlangen der Position eines Reichsministers die Endstufe der Beamtenkarriere. In Grundgesetz deutlich. Für den demokratischen Wil- der Realität der parlamentarischen Demokratie der lensbildungsprozeß ist damit offenkundig, daß fortan Bundesrepublik, des Bundes und der Länder, ist das jede Änderung der Richterbesoldung auf die Ent- die Ausnahme. Minister des Bundes und der Länder schädigung der Bundestagsabgeordneten ausstrahlt, die vom Demokratieprinzip gebotene öffentliche kommen aus dem Parlament und beziehen ihre Legi- timation durch das Parlament. Kontrolle also stattfinden kann. Sachverständige der Wissenschaft haben schon an (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Aber nicht nur anderer Stelle betont, eine dera rtige Indexierung auf aus dem Parlament!) der Ebene der Verfassung selbst sei zulässig. Ich ver- - Nicht nur. Deshalb ist es fragwürdig - wir hatten weise nur auf den Aufsatz von Linck in ZParl 95, das ja beim Amtsbezügegesetz angesprochen -, ob 376ff. es in Zukunft möglich sein soll, die Bezüge aller Mit- Der Einwand, der eben von mehreren Rednern vor- glieder von Verfassungsorganen in einem sogenann- getragen worden ist, damit säßen die Abgeordneten ten Amtsbezügegesetz zu regeln. des Deutschen Bundestages künftig am Verhand- lungstisch mit der ÖTV, ist unzulässig, unbegründet Ich habe mich ja nur dagegen gewandt, daß man dem Abgeordneten unterstellt, er säße dann mit der und sachlich nicht richtig. An diesem Verhandlungs- tisch sitzen seit 40 Jahren bekanntlich die Minister ÖTV am Tarifverhandlungstisch. Ich habe darauf überhaupt keinen Einfluß. Ich glaube auch nicht, daß des Bundes und der Länder, Herr Vizepräsident Hirsch, noch niemand hat jemals das anscheinend man das den Mitgliedern dieses Parlaments und dem Regelungsziel des A gottgewollte Prinzip beanstandet, daß die Bundesmi- rt. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes unterstellen sollte, weil es nach 18 Jahren Erfah- nister und die Landesminister unmittelbar an B 9, B 10 und B 11 orientiert sind. rungssammlung darum geht, die Rechtsstellung des Abgeordneten besser als bisher zu regeln. (Beifall bei der CDU/CSU und des Bundes ministers Horst Seehofer) Herr Kollege Hirsch, das Wort „angemessen" im Art. 48 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes setzt schon seinem Begriff nach notwendig voraus, daß man an Vizepräsident Hans Klein: Der Kollege Hirsch etwas mißt, eine Maßgröße heranzieht. Diese Maß- möchte gern eine Zwischenfrage stellen. größe kann nicht im Himmel, sie muß auf Erden ge- funden werden. Den Maßstab, den wir gewählt ha- Gerhard Scheu (CDU/CSU): Wenn ich hiermit zu ben, halte ich für vertretbar. Ende bin, Herr Hirsch. - Für die Regelung statussi- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) chernder Ansprüche betont Art. 48 Abs. 3 Satz 3 neuer Fassung den Parlamentsvorbehalt. Wir wer- den dem jüngsten Urteil des Verfassungsgerichtshofs Vizepräsident Hans Klein: Der Kollege Hirsch NRW vom 16. Mai 1995 im Zuge der Gesetzesbera- möchte Ihnen eine weitere Frage stellen. tungen, z. B. im Bereich des § 12 Abs. 3, noch ent- sprechen, soweit es auf Grund von Abs. 3 Satz 3 er- forderlich ist. Das Wesentliche, d. h. die grundlegen- Gerhard Scheu (CDU/CSU): Ja, wenn Sie die Zeit den Strukturelemente, die die Gestaltung des Abge- anhalten. ordnetenmandats maßgeblich bestimmen, muß - durch Parlamentsgesetz nach den Grundsätzen der „Außenrechtssetzung" erfolgen. Anderes kann nach Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Kollege. hinreichender Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung von Hilfsorganen des Par- Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Kollege, ich laments geregelt werden. möchte die Redezeit nicht weiter unangemessen ver- Bitte, Herr Hirsch! längern. (Zuruf von der SPD: Aber! Aber! - Gegen- Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Kollege Scheu, ruf des Abg. Joachim Hörster [CDU/CSU]: darf ich Sie zu Ihrem Vergleich mit den Tarifverhand- Wenn's hilft!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3865

Dr. Burkhard Hirsch Ist es nicht in Wirklichkeit doch so, daß Sie unabhän- Die Gesamtzahl derartiger Richterstellen beläuft gig von den Begründungen, die Sie bringen, darauf sich im Augenblick - Stand 1993 - auf 320, wovon abzielen, daß eben nicht mehr offen und öffentlich 258 in die Besoldungsgruppe R 6 und 62 Stellen in über die Höhe der angemessenen Abgeordnetenbe- die höhere Besoldungsgruppe R 8 - Vorsitzender soldung entschieden werden soll, also ohne große öf- Richter - eingestuft sind. fentliche Debatte? Die unmittelbare Anknüpfung an diese Bezugs- (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Darum geht es größe bestimmt positiv den Begriff der Angemessen- heit im Sinne des Satzes 1 des A . 48 Abs. 3 des überhaupt nicht! - Wilhelm Schmidt [Salz- rt gitter] [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Grundgesetzes. Sie entscheidet die seit 1978 anhal- Ihre Unterstellung ist völlig unangemessen!) tende und dem Gedanken der parlamentarischen Demokratie auf Dauer abträgliche Kontroverse auf der Ebene der Verfassung. Wird nicht in Wirklichkeit der Versuch gemacht, durch die Aufnahme eines konkreten Maßstabs in Zu c): Die Neufassung ist auch notwendig, um den die Verfassung den Schein einer verfassungsrechtli- Verfassungsauftrag des Satzes 1 in Zukunft anders chen Verpflichtung zu erzeugen? als in der Vergangenheit erfüllen zu können. Die gel- tende Diätenregelung zog seit langem den Vorwurf (Zuruf von der CDU/CSU: Er will es nicht der Entscheidung in eigener Sache - auch heute wie- kapieren!) der - und den der Selbstbedienung auf sich. Wie unbegründet dieser Vorwurf war und ist, bele- gen die tatsächlichen Anpassungssätze: Vom April Gerhard Scheu (CDU/CSU): Herr Kollege Hirsch, 1977 bis zum Juni 1995 - also im Verlaufe von 18 Jah- es geht nicht um die Begründung einer verfassungs- ren - ist die Entschädigung mit einer effektiven Jah- rechtlichen Verpflichtung. Es geht darum, in Zukunft resrate von lediglich 1,81 % angehoben worden. Für für jeden in Deutschland - nach Beendigung des die Kostenpauschale ist der jährliche Steigerungssatz Schulbesuchs bekommt man die Verfassung des Lan- mit 1,59 % noch geringer. Eine Perpetuierung dieser des und die Verfassung des Bundes in die Hand ge- Entwicklung - durch Ihren Vorschlag würde sie drückt - ersichtlich zu machen, woran sich die Be- zwangsläufig eintreten - hätte ernstliche, sich schon züge eines Abgeordneten des Deutschen Bundesta- heute andeutende Beeinträchtigungen der Funkti- ges orientieren. Deutlicher und öffentlicher als in der onsfähigkeit der Volksvertretung zur Folge. Ledig- Verfassung selbst kann man das nicht regeln. lich vordergründig plausibel ist der Hinweis, das Par- lament habe diese Entwicklung selbst zu vertreten, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) weil es seit Jahren nicht das Selbstbewußtsein auf- bringe, den Berichten der Bundestagspräsidenten, Zu b): Ich halte diesen Maßstab, Herr Kollege den Empfehlungen unabhängiger, sachkundiger und Hirsch, für den geeignetsten unter allen denkbaren. erfahrener Persönlichkeiten aus allen gesellschaftli- - Damit möchte ich die Beantwortung Ihrer Frage be- chen Gruppen - „Leber-Bericht" vom Juni 1990 und enden, damit Sie nicht meinen, ich möchte meine die „Kissel-Kommission" vom Mai 1993 - zu entspre- Rede unangemessen fortsetzen. chen.

(Zuruf von der SPD: Herr Hirsch sollte die Die außerordentliche Empfindlichkeit des Vor- Verfassung immer unter dem Arm tragen!) wurfs der Selbstbedienung, die realen Bedingungen des politischen Gegeneinanders der im Parlament Ich fahre also mit meinen Ausführungen fo rt: Eine vertretenen Parteien, das meist kritische Klima in an den Jahresbezügen eines Richters ausgerichtete den Medien und die konstant schwierige Lage der Abgeordnetenentschädigung wird dem Rang und öffentlichen Haushalte verhinderten, selbst mit zu- der Bedeutung der Abgeordneten des Deutschen treffenden Argumenten, den objektiv richtigen Zeit- Bundestages und ihrer Inanspruchnahme durch das punkt zu finden. Aus diesem Dilemma kann im Er- Mandat in angemessener und nicht überziehender gebnis nur eine Ergänzung des Art. 48 Abs. 3 her- Weise gerecht, zumal Abgeordnete bei der Aus- ausführen. übung ihres Mandats gemäß Art. 38 des Grundgeset- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zes nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sind, was dem Status der richterlichen Unabhängig- Meine Damen und Herren, wir, CDU/CSU und keit nach Art . 97 des Grundgesetzes eher entspricht SPD, halten diese Entscheidung für erforderlich, da- als dem Status eines auftragsgebundenen und wei- mit auch in Zukunft gewährleistet ist, daß aus allen sungsabhängigen Beamten. Schichten der Bevölkerung qualifizierte, leistungsfä- hige und den Gedanken der parlamentarischen De- Auch die seinerzeitige Herauslösung der Richter- mokratie verpflichtete Mitbürgerinnen und Mitbür- besoldung aus dem allgemeinen Beamtenbesol- ger das Amt eines Abgeordneten übernehmen kön- dungsrecht beruhte auf vergleichbaren, aus der Un- nen. Das ist der Kern des Vorschlages. abhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt begrün- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) deten Erwägungen. Ich möchte an dieser Stelle für Sie, Herr Hirsch, doch auf die Entscheidung verwei- Dies ist ein so hoher Belang, daß man zwar ein- sen: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in zelne Fragen der technischen Ausgestaltung sehen der amtlichen Sammlung, 32. Band, S. 199ff. kann, wir aber vor allem sehen müssen, welche Fol- 3866 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Gerhard Scheu gen es im Jahre 2015 für die parlamentarische Demo- Der letzte Punkt: Wenn eine solche Reform erfol- kratie hat, wenn dies so weitergeht. Haben Sie schon gen muß und wird, ist sie technisch nur durchführ- einmal eine Hochrechnung gemacht? All diejenigen, bar, wenn wir bei der Wahl 1998 von gewissen An- die uns raten: „Seid selbstbewußter", sind dann, passungsvorschriften des Wahlrechts suspendieren. wenn es um die Umsetzung geht, sofort mit dem Vor- wurf der Selbstbedienung bei der Hand. (Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/ CSU]) Herr Abgeordneter Hirsch, 1787 hatte der Konvent von Philadelphia auf einer Tagung die Verfassungs- In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob bestimmung aufgenommen: Entschädigt die Abge- Wahlrechtsverzerrungen, die das geltende Wahlrecht ordneten „reichlich und fest", und dies nicht des- ermöglicht, perpetuiert werden können, wenn man halb, weil der amerikanische Kongreß meinte, dies kein Risiko für die Gültigkeit dieser Wahl eingehen sei erforderlich, um Geld zu verdienen. Man war viel- möchte. Dies allein ist der Hintergrund und nicht mehr der Meinung - wie Amerikaner es sind -: Gute eine Änderung des Wahlrechts. Ich kann hier nur sa- und viel Arbeit ist auch eine hohe Entschädigung gen, daß das einstimmige Meinung der Fraktion der wert. CDU/CSU und wohl auch der SPD ist. Dies ist auch in der Kommission verbindlich so gesagt worden.

(Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Die hätten Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, diesem sich über Ihren Vorschlag aber kaputtge Gesamtvorschlag - Verkleinerung des Parlaments, lacht!) Reform des Parlaments, Reform des Art. 48 und Re- form der Abgeordnetenentschädigung - im Interesse - Es ist eben ein maßvoller Vorschlag. des langfristigen Funktionierens der parlamentari- schen Demokratie zuzustimmen. Wir sind es der Zu- Zum Schluß komme ich zur Frage der Verkleine- kunft schuldig. rung des Parlaments: Es liegt in der Einschätzungs- prärogative des Parlaments, ob die Mehrheit meint, Danke sehr. auf Dauer sei mit einer Größenordnung auf der Basis der jetzt erreichten Größe und dem jetzt geltenden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wahlrecht - das Parlament kann durch Überhang-, Ausgleichsmandate und andere Vorschriften vergrö- ßert werden - die Effizienz nicht mehr gewährleistet. Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- Es stellt in der Geschichte des Parlamentarismus sprache. einen ungewöhnlichen und für die kleineren Par- teien - meine eigene Partei, die CSU, gehört auch zu Ich leite das Abstimmungsverfahren über die Be- den kleineren Parteien - schmerzlichen Schritt dar, schlußempfehlung des Ältestenrates zu den Empfeh- einer solchen Verkleinerung zuzustimmen. Ob sie lungen der Kommission des Ältestenrates für die aber erforderlich ist, liegt in der Einschätzungspräro- Rechtsstellung der Abgeordneten auf Drucksache gative des Parlaments. 13/1803 ein. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- lung? - Gegenprobe! - Wer enthält sich der Stimme? Wenn man Vergleiche anstellt, sollte man in bezug - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. auf Deutschland berücksichtigen: Wir haben eine Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetz- ausgeprägte föderalistische Struktur, wir haben eine entwürfe auf den Drucksachen 13/1824 und 13/1825 ausgeprägte kommunale Selbstverwaltung mit Ober- an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse bürgermeistern und Landräten, wir haben Hunderte vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf zur Änderung des von Landtagsabgeordneten. Das muß man alles zu- Grundgesetzes auf Drucksache 13/1824 soll zusätz- sammen sehen, wenn man das Verhältnis zwischen lich dem Innenausschuß überwiesen werden. Der Volksvertretern und Einwohnerzahl berechnet. Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetenge- Daran gemessen, erscheint die Größe gerechtfertigt. setzes und des Europaabgeordnetengesetzes soll ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung nur dem Haushalts- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ausschuß überwiesen werden. Besteht dazu das Ein- verständnis des Hauses? - Dies ist der Fa ll. Dann Ich trete für diese Größenordnung ein. Es wäre sind die Überweisungen so beschlossen. möglich gewesen, uns auf andere Größenordnungen zu verständigen. Ich halte diese für erforderlich. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Herr Kollege Hirsch, wir sind bereit, noch im Sep- - tember einen verbindlichen Gesetzesbeschluß einzu- Erste Beratung des von den Fraktionen der bringen, der festschreibt, daß diese Verkleinerung a) CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs auf dem Grundsatz der Parität zwischen Wahlkreisen eines Vierten Gesetzes zur Änderung des und Listenabgeordneten, b) auf der Basis des gelten- Fünften Buches Sozialgesetzbuch (4. SGB V- den Verhältniswahlrechts und c) auf der Fortgeltung Änderungsgesetz - 4. SGB V-ÄndG) des § 4 - der Erst- und Zweitstimme - erfolgt. Wir sind bereit, dies im September durch ein Gesetz ver- - Drucksache 13/1826 — bindlich festzulegen. Damit ist der Vorhalt, es gehe Überweisungsvorschlag: um eine Änderung des Wahlrechts, durch Gesetz Ausschuß für Gesundheit (federführend) ausgeräumt. Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3867

Vizepräsident Hans Klein Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diesem Gesetz beispielsweise auch Regelungen zu- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind gunsten der Pharmaindustrie oder der Zahnärzte- Sie damit einverstanden? - Dagegen erhebt sich schaft enthalten seien. Dieses Doppelspiel werden kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. wir Ihnen nun nicht mehr ermöglichen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt un- (Rudolf Dreßler [SPD]: So!) serem Kollegen Wolfgang Lohmann. Sie werden, meine sehr verehrten Damen und Her- ren, bei der 4. Novelle Gelegenheit haben, zu unse- Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): ren Vorschlägen ganz klar, Herr Dreßler, ja oder nein Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und zu sagen, ohne Wenn und Aber, einfach nur ja oder Herren! Die CDU/CSU-Fraktion bringt heute mit der nein. 4. Novelle eine weitere Novelle zum SGB V in erster Lesung in die parlamentarischen Beratungen ein. Wir hatten Ihnen ja eben vorgeschlagen, die Reden Das Thema, um das es bei dieser 4. SGB-V-Novelle zu Protokoll zu geben, dann wären wir bei dem Er- geht, ist nicht neu, sondern es wurde u. a. bereits im gebnis gewesen; aber Sie wollten die Gelegenheit vergangenen Jahr unter dem Stichwort „ GKV-An- nutzen, einen Rundumschlag zu tätigen. Deswegen passungsgesetz " beraten. sprechen wir jetzt in der ersten Lesung hier in dem Wir schlagen mit diesem Gesetzentwurf zwei Zeitrahmen, der vorgesehen ist. punktuelle Änderungen beim vertragsärztlichen Ho- (Rudolf Dreßler [SPD]: Das ist parlamentari- norarbudget in den alten und neuen Bundesländern scher Brauch!) vor, die ein Gesamtvolumen von insgesamt 840 Millionen DM ausmachen. Wir werden durch klare Botschaften dafür sorgen, (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) daß Sie gesundheitspolitisch Farbe bekennen müs- sen, und zwar nicht nur im Bundestag, sondern auch Es geht erstens um die Stärkung der hausärztli- im Bundesrat, chen Versorgung durch eine gezielte Aufbesserung des vertragsärztlichen Honorarbudgets noch in die- (Zuruf von der SPD: Jawohl!) sem Jahr. Durch 600 Millionen DM für das vertrags- ärztliche Honorarbudget in den alten und neuen und das nicht nur mit einer vierten SGB-V-Novelle. Bundesländern wird zusätzlich zu den bereits erfolg- Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Herrn Bundes- ten internen Umschichtungen dafür gesorgt, daß minister Seehofer jetzt doch zu bitten - um nicht zu noch in diesem Jahr die hausärztliche Grundvergü- sagen, ernsthaft aufzufordern -, das Trauerspiel um tung spürbar angehoben werden kann. die Positivliste nun endlich zu beenden. Nachdem Es geht zweitens um die Anhebung der vertrags- wir jetzt gehört haben, daß schwerwiegende Verfah- ärztlichen Gesamtvergütung in den neuen Ländern rensmängel zur Folge haben, daß das Institut eine um zusätzlich 4 %. Dadurch werden für das vertrags- zeitliche Verzögerung um mindestens acht Wochen ärztliche Honorar in den neuen Ländern insgesamt bis Ende August für sich in Anspruch nimmt, mit der 240 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt. Konsequenz, daß die entsprechenden Prüfungen nicht stattfinden können, meinen wir nun dieses Man sollte nun meinen, meine sehr geehrten Da- Spiel beenden zu müssen. Wir werden deswegen men und Herren, daß Sie von der SPD-Opposition - nach der Sommerpause auch Herr Dreßler - oder Sie von der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN diesem Gesetzentwurf zustim- (Zuruf von der SPD) men könnten. Jedermann weiß, daß die Stärkung der hausärztlichen Grundversorgung und die Förderung - seien Sie ganz beruhigt - eine weitere Novelle ein- der sogenannten sprechenden Medizin eines der bringen und Ihnen vorschlagen, die Rechtsgrundla- Lieblingsthemen der SPD im Bundesrat und auch im gen Ihrer sogenannten Positivliste zu streichen. Bundestag ist. Sie werden dann wieder Gelegenheit haben, der Aber ich bin mir der Tatsache bewußt, daß gerade staunenden Öffentlichkeit mitzuteilen, warum Sie Sie im Bundestag und auch im Bundesrat die Initia- nun ausgerechnet diese Listenmedizin weiterhin tive unserer Fraktion erneut ablehnen werden. brauchen oder warum Sie meinen, daß sie gebraucht wird. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Was?) Wir werden Ihnen in einer weiteren SGB-V-No- Dies wird diesmal ohne Erfolg sein; denn das Gesetz velle eine Festzuschußregelung beim Zahnersatz ist bekanntlich zustimmungsfrei. vorschlagen, wie das seit Monaten ohne Ergebnis (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Herr Dreßler, diskutierte Problem der Amalgam- bzw. Inlayversor- stimmt das?) gung bei der vertragszahnärztlichen Versorgung zu einem insbesondere für die Patienten dann zufrie- Bereits bei den Beratungen zum GKV-Anpas- denstellenden Ergebnis führt. sungsgesetz im vergangenen Jahr haben Sie argu- mentiert, daß Sie zwar eigentlich für eine Stärkung Sie werden auch dann, Herr Kirschner, Gelegen- der hausärztlichen Versorgung wären, daß Sie die- heit haben, hier noch einmal zu erklären, warum Sie sem Gesetz aber nicht zustimmen könnten, weil in mit dem Totschlagargument Zwei-Klassen-Medizin 3868 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) dafür eintreten, daß Patienten finanziell überhaupt bereiten wir die dritte Reformstufe im Gesundheits- nichts bekommen, wenn sie sich für die nach ihrer wesen seit Beginn dieses Jahres vor. persönlichen Auffassung bessere zahnmedizinische Versorgung entscheiden. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sehr gut!) Trotz aller Schwierigkeiten bin ich gerade vor dem Wir werden Ihnen in einer weiteren SGB-V-No- Hintergrund unserer jüngsten Gespräche mit Ärzten, velle eine Regelung vorschlagen, die die Festbetrags- Kassen und Krankenhäusern davon überzeugt, daß regelung zugunsten bestimmter innovativer patent- es letztendlich gelingen wird, ein geschützter Wirkstoffe deutlich einschränkt, und Sie Konzept für alle Leistungssektoren, d. h. auch für das Krankenhaus, werden dann im Deutschen Bundestag die Gelegen- zu erarbeiten. Dabei gilt der Satz, daß es ohne Bei- heit haben, zu sagen, warum Sie zwar immer für tragssatzstabilität im Krankenhaus stabile Beitrags- Pharmaforschung zu sein behaupten, aber seit Mona- sätze in der GKV nicht geben wird. ten oder gar seit Jahren alle Vorschläge blockieren, die uns diesem Ziel zumindest etwas näher bringen Ich bin aber überzeugt - damit komme ich zum würden. Schluß -, daß die jüngsten Horrormeldungen über die Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenver- Wir werden eine weitere SGB-V-Novelle einbrin- sicherung im ersten Quartal des Jahres 1995 für die gen und Ihnen eine Regelung vorschlagen, die end- Gesamtentwicklung in diesem Jahr nicht repräsenta- lich die seit nunmehr zwei Jahren ungelöste Proble- tiv sind. Ärzten und Krankenkassen gemeinsam wird matik - das müßte Ihnen ein Anliegen sein, Herr es wohl gelingen, diesen Trend zu stoppen. Gerade Dreßler - der Finanzierung der Instandhaltungsinve- im Hinblick auf diese unsere Erwartung haben wir stitionen im Krankenhaus einer zufriedenstellenden diese SGB-Novelle eingebracht. Lösung zuführt. Danke. Sie werden dann erklären können, warum Sie zwar für Beitragssatzstabilität in der Krankenversi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) cherung sind, aber nicht davor zurückschrecken, den Kassen still und leise gut 5 Milliarden DM ohne Kom- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun pensation aufs Auge zu drücken. dem Abgeordneten Rudolf Dreßler das Wo rt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Rudolf Dreßler (SPD): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Angesichts der bemerkenswerten Diese Zweigleisigkeit - um das Wo rt „Doppelzün- Fähigkeit der Koalition aus CDU/CSU und F.D.P., gigkeit" zu vermeiden - Ihrer Sozial- und Gesund- ihre Gesetzesvorhaben mit blumigen Namen zu heitspolitik werden wir auf den Punkt bringen, damit schmücken - man denke nur an „ Gesundheits-Re- für jedermann klar wird, wofür Sie in der Sozial- und formgesetz " 1989, „Beschäftigungsförderungsge- Gesundheitspolitik stehen. Sie stehen für die Anhe- setz" 1986 usw. -, erscheint der Name, der uns heute bung der Pflichtversicherungsgrenze, das heißt mehr beschäftigt, „4. SGB V-Änderungsgesetz", als er- Umverteilung zu Lasten der sogenannten Besserver- staunlich nüchterner Titel. Er schlägt insoweit eigent- dienenden. Sie stehen für die Verlängerung der ge- lich ganz aus der Art. setzlichen sektoralen Budgetierung - das steht ja überall zu lesen -, das heißt auf Dauer inte rne Ratio- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Was lehrt uns nierungen, letztlich zu Lasten der Patienten. Sie ste- das?) hen für die Systemsteuerung durch Gesundheitskon- Wenn man sich dieses Gesetz näher anschaut, ferenzen. Das ist aus Ihren Papieren ersichtlich. Das dann wäre auch in diesem Falle eine etwas blumi- heißt mehr Planung, mehr Bürokratie, das heißt staat- gere Wortwahl bei seiner Bezeichnung durchaus licher Dirigismus in Reinkultur. angebracht. Mir schwebt dabei etwa „ Krankenver- Sie stehen für die sogenannte Listen- und Pla- sicherungskostenexplosionsbeschleunigungsgesetz " nungsmedizin; Sie wollen eine Positivliste. vor. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) (Widerspruch bei der SPD) Dieser Titel würde den Sachverhalt treffender kenn- - Sie wollen eine Positivliste. - Sie wollen ein soge- zeichnen. nanntes Primärarztkonzept, Sie setzen nicht auf den mündigen Versicherten, sondern darauf, den mün- Es ist schon erstaunlich, auf welchen Weg der Bun- digen Patienten und Versicherten zu bevormunden. desgesundheitsminister sich zu begeben bereit ist. - Mit der Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion - (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: So sind die So das hat sein Sprecher Lohmann hier gerade richtig zis nun mal!) dargestellt - wird er dabei nicht rechnen können, er rechnet auch nicht damit. Er ist sich augenscheinlich Ziel unserer Gesundheitsstrukturpolitik ist demge- auch schon deshalb über die Konsequenzen klar. genüber, eine hochwertige Versorgung der Versi- cherten bei gleichzeitiger Beitragssatzstabilität durch Der Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, Freiheit und Verantwortung der Selbstverwaltungen gibt vor, die Lage der Hausärzte verbessern zu wol- zu sichern. Wir wollen nicht mehr, wir wollen weni- len. Dieses Anliegen ist unstrittig. Er greift dabei al- ger Staat auch im Gesundheitswesen, und deswegen lerdings zu einem Mittel, das uns bereits vor der Bun- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3869

Rudolf Dreßler destagswahl angedient worden war: die Erhöhung Sie werden außerdem erklären müssen, wie Sie zu der hausärztlichen Vergütung um 600 Millionen einem eigenen Honorarverteilungsmaßstab für Haus- DM, und zwar finanziert von den Krankenkassen. ärzte stehen. Das war es dann aber auch schon. Das sind nur vier Fragen, aber es sind die für die (Klaus Kirschner [SPD]: Vom Beitragszah Hausärzte entscheidenden. Diese Fragen haben ler!) nicht Sie vorgelegt, Herr Lohmann, die wird die SPD- Ist das nun wirklich alles, was die Bundesregierung Fraktion vorlegen. Wenn Sie dann zustimmen, kön- zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung in- nen Sie diesen Unsinn, Versichertengelder in Höhe haltlich auf der Pfanne hat? von 600 Millionen DM einzusetzen, um ein Verspre- chen des Finanzministers zur Klimaverbesserung auf (Bundesminister Horst Seehofer: Ja! - Hei dem Ärztetag zu erfüllen, streichen. So einfach ist terkeit im ganzen Hause) das. - Für das Protokoll: Der Minister hat gesagt, ja, das (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zurufe sei alles. Der nächste Offenbarungseid, und das noch von der CDU/CSU) vor dem Deutschen Bundestag! Ich frage: Wo sind die inhaltlich-strukturellen Ver- Die zweite Maßnahme, die in diesem Gesetz ent- änderungen in der hausärztlichen Versorgung, die halten ist, umfaßt die Summe von 240 Millionen DM, die Betroffenen gegenüber den Fachärzten endlich mit denen Budgetüberschreitungen in der Versor- aus ihrer Nachteilsituation befreien? In diesem Ent- gung in Ostdeutschland ausgeglichen werden sollen. wurf Fehlanzeige. Genau hier aber liegen die eigent- Weit wichtiger als jene 240 Millionen DM zugunsten lichen lösungsbedürftigen Fragen und Probleme, der ostdeutschen Vertragsärzte ist das Signal, das mit und um deren Klärung drücken sich Regierung und einem solchen Gesetzgebungsvorhaben ausgesendet Koalitionsfraktionen. wird. Es kann niemanden in diesem Hause überraschen, Übrigens, meine Damen und Herren, wie zusam- daß die SPD-Fraktion nach einer Bundestagswahl ei- mengeschustert dieses Gesetz ist, zeigt ein schwerer nem Vorschlag der Regierung nicht zustimmt, den handwerklicher Fehler: Die Regelung, mit der den sie vor der Wahl bereits abgelehnt hat. Denn bevor es Vertragsärzten im Osten Deutschlands 240 Millionen vergessen wird: Diese schale Brühe, die uns heute DM erspart werden sollen, ist so abgefaßt, daß auch serviert wird, ist bereits ein zweiter Aufguß. Zahnärzte davon begünstigt würden, obwohl sie von einem möglichen Regreß gar nicht betroffen sind. Ist (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Ihnen das, Herr Seehofer, in Ihrer Eile, den Ärzten CSU]: Beim zweitenmal schmeckt manches eine Gefälligkeitsgesetzgebung zu servieren, entfal- besser als beim erstenmal!) len, oder ist das ein Diener vor der Zahnärztepartei Angesichts des Gesetzgebungsvorhabens der Regie- Deutschlands, die sich heute noch F.D.P. nennt? rung wiederhole ich: 600 Millionen DM mehr für die Hausärzte lösen, wie Sie, Herr Lohmann, genauso (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nein! Nein!) wissen wie ich, nicht deren Probleme. Im Gegenteil: Spätestens in wenigen Monaten würden wir aber- - Herr Thomae, ich wiederhole hier nur den Aus- mals über die Notwendigkeit von Verbesserungs- spruch eines Ihrer Abgeordneten, der von diesem maßnahmen für Hausärzte beraten müssen. Wir Pult aus erklärt hat: „Wir, die F.D.P., sind die Zahn- brauchen eine strukturelle Veränderung in der haus- ärztepartei Deutschlands. " Es müßte Ihnen doch ge- ärztlichen Versorgung. fallen, wenn ich das hier wiederhole. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Bundesminister Horst Seehofer: Das liegt aber zehn Jahre zurück!) Was wir nicht brauchen, sind finanzielle Bonbons oder Beruhigungspillen, die eine kurze Zeit über die Koalition und Opposition haben in Lahnstein den Mängel hinwegzutäuschen vermögen, aber sie nicht Entwurf eines Gesundheitsstrukturgesetzes be- wirklich ausräumen. schlossen, in dem die Budgetierung enthalten ist. Die Koalition wird also Gelegenheit haben, meine Damen und Herren, noch in diesem Jahr zum sozial- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ demokratischen Konzept zur Verbesserung der CSU]: Aber befristet!) hausärztlichen Versorgung Stellung zu nehmen. Aber nicht nur das: Sie haben auch gesetzlich gere- Diese Koalition wird z. B. erklären müssen, wie sie zu - eigenen, nur von Hausärzten abrechenbaren Gebüh- gelt, was zu geschehen hat, wenn Budgets über- renpauschalen steht. Sie wird hier erklären müssen, schritten werden. Das ist ebenso einfach wie logisch: wie sie zu einer eigenständigen Gesamtvergütung Budgetüberschreitungen müssen von denjenigen fi- für die hausärztliche Versorgung steht. Sie wird er- nanziell zurückgeholt werden, die sie heraufbe- klären müssen, wie sie zu eigenen Vertragsverhand- schworen haben. Wieso soll das nach den Plänen von lungen der Hausärzte in den kassenärztlichen Verei- CDU/CSU und F.D.P. nicht mehr gelten? nigungen mit den Krankenkassen steht. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist doch ein ganz anderes CSU]: Das machen wir alles!) Thema!) 3870 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Rudolf Dreßler Die SPD-Fraktion besteht auf der Einhaltung die- Wer eigentlich, Herr Lohmann, soll die Absichtser- ses Grundsatzes. Damit das klar ist, wiederhole ich: klärung der Regierung, für stabile Beitragssätze sor- Dieses Parlament - jedenfalls die Seite zu meiner Lin- gen zu wollen, noch ernst nehmen, wenn Sie durch ken - ist nicht der Vollstrecker leichtfertiger Vergü- dieses Gesetzesvorhaben dokumentieren, daß Sie tungs- und Honorierungsversprechen, die der Bun- sich mit dieser These noch nicht einmal selbst ernst desgesundheitsminister vor Ärztetagen abgibt. nehmen?

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Dr. Winfried Wolf [PDS]) CSU]: Das ist ja albern!) Wie ist das eigentlich mit dem ständigen Gerede Ist man sich eigentlich auf Ihrer Seite bewußt, wel- des Gesundheitsministers von zu hohen Lohnneben- ches Signal für andere Bereiche man mit diesem Ge- kosten, die unsere internationale Wettbewerbsfähig- setzgebungsverfahren aussendet? Vor dem Hinter- keit gefährdeten? Wenn das stimmt, dann belegt die- grund großer Budgetprobleme im laufenden Jahr si- ses Gesetzesvorhaben: Gefährdungsfaktor Numero gnalisiert man nämlich, das mit der Budgetierung sei eins in diesem Land für Lohnnebenkosten sind seit alles nicht so ernst gemeint, im Fall der Fälle werde spätestens 1991 alleine die Bundesregierung und die man schon auf den gesetzlich vorgesehenen Mecha- sie tragenden Fraktionen. nismus bei Budgetüberschreitungen verzichten und das Ganze, um des lieben Friedens willen mit den (Beifall bei der SPD) Ärzten, den Krankenkassen aufladen. Ich halte das für ein verhängnisvolles Signal. Auch daran wird Herr Seehofer sagt, die Verbesserung der psycho- sich die SPD-Bundestagsfraktion nicht beteiligen. therapeutischen Versorgung könne ohne Selbstbetei- ligung der kranken Menschen nicht finanziert Die Fachleute des Gesundheitswesens rechnen für werden. Er lehnt sie also ab. Aber gleichzeitig wirft das nächste Jahr mit einem neuen Kostenschub in er den Ärzten mit einem Gesetz 840 Millionen DM der Krankenversicherung. Schon für das laufende hinterher. Wie paßt das denn zusammen, Herr Jahr prognostiziert der Verband der Angestellten- „Bundeskrankenversicherungsexplosionsbeschleuni- krankenkassen ein mögliches Defizit von bis zu gungsminister" ? 2,5 Milliarden DM. Selbst der Bundesgesundheitsmi- (Lachen bei der SPD) nister bezeichnet die Kostenlage als bedrohlich. Es ist nicht verantwortungsvoll, Herr Lohmann, wenn Wer solche unsinnigen Gesetzesvorhaben auf Kiel Sie hier so tun, als sei das für die CDU/CSU-Fraktion legt, muß sich darüber im klaren sein, Pipifax. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Daß Sie am Ende des Jahres falsch CSU]: Das habe ich nicht gesagt!) liegen!) was er anrichtet. Ich bin mir darüber im klaren, Herr Dies ist ein Alarmsignal, Herr Lohmann. Das sollten Seehofer, wie das Ergebnis dieses Versuches ausse- Sie viel ernster nehmen, als Sie das gerade getan ha- hen wird - das gilt auch für Sie, Herr Lohmann; ben. schreiben Sie sich es auf! -: (Beifall bei der SPD) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein, das kann ich so behalten! Das Wenn man vor diesem Hintergrund ein Gesetzge- bißchen, was Sie sagen, kann man noch bungsvorhaben in Angriff nimmt, das weitere Kosten auswendig behalten!) in Höhe von 840 Millionen DM - einer knappen Mil- liarde Deutsche Mark - verursacht, dann ist das Dieses Gesetz wird das Bundesgesetzblatt nicht er- schlicht unverantwortlich. reichen. Ich danke Ihnen. Es bleiben eigentlich nur zwei Erklärungsmöglich- keiten: Hier wird hemmungslose Klientelpolitik be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ trieben, oder die Koalition und der Bundesgesund- DIE GRÜNEN - Wolfgang Lohmann [Lü- heitsminister haben zur Lösung der Probleme keiner- denscheid] [CDU/CSU]: Das wäre ja noch lei Konzept. Statt dessen ist Chaos angesagt: Novelle schöner, wenn ich mir das aufschreiben eins, zwei, drei, vier, fünf. würde!)

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Das Wo hat CSU]: Damit Sie Farbe bekennen müssen!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: rt die Abgeordnete Marina Steindor. Die SPD zittert vor Angst vor diesen Novellen. Da kann ich nur sagen: Von Konzeption keine Spur, Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Chaos scheint mir die richtige Beschreibung Ihres Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Zustandes zu sein. jetzt mit vier Minuten Redezeit wieder einmal in die- ses realsatirische Theater zwischen den beiden gro- (Beifall bei der SPD) ßen Parteien geraten. Ich muß mich sehr kurz fassen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3871

Marina Steindor Herr Minister Seehofer, ich nehme Sie jetzt einfach Im Augenblick konkurrieren die verschiedensten einmal beim Wort. Sie haben hier mehrfach ausge- gesundheitspolitischen Gremien um die Hausärzte. führt, daß Sie einen großen Wurf in der Reform des Haben Sie jemals eine Zusammenschau bet rieben? Krankenversicherungsrechts und des Gesundheits- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ rechts machen wollten, und lassen uns immer wieder wissen, daß seit dem Jahre 1977 47 Gesetze mit 6 800 CSU]: Ja!) Einzelbestimmungen ergangen seien, das sei eine Insgesamt wird hier nämlich eine Abzockermentali- Chaospolitik, das sei konzeptionslos gewesen, und tät gefördert; denn die Hausärzte werden in Zukunft Sie machten jetzt alles besser. die Möglichkeit haben, erstens über dieses Geldge- Jetzt haben wir hier gehört, daß in der Zukunft ge- schenk, so es den Bundestag passiert, zweitens über radezu eine Kaskade von Einzelbestimmungen auf die Pauschalvergütung und drittens über das modell- uns zukommen wird, hafte Hausarztabo Geld zu bekommen. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sind Sie der Meinung, daß die Hausärzte zuviel verdie- CSU]: Damit Sie die Entscheidung haben! nen?) Nur Ihnen zuliebe machen wir das!) Abschließend möchte ich sagen - ich sehe hier die um die Sozialdemokratie vorzuführen. Haben Sie drei Nullen; sich schon einmal überlegt, daß Sie mit Ihren Ankün- digungen bei diesem Vorführeffekt vielleicht un- (Heiterkeit bei der CDU/CSU - Wolfgang glaubwürdig werden? Zöller [CDU/CSU]: Ich sehe nur eine!) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ die sind Ihrer Meinung nach auf dem Konto der CSU]: Nee!) Hausärzte; wir sehen das nicht so -: Unsere Partei hat hier schon häufig deutlich gemacht, daß wir für die Das ist nämlich unsere Auffassung. Stärkung der Hausärzte sind. Sie verhandeln zur Zeit auf dem Petersberg mit (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ den Krankenkassen, der Krankenhausgesellschaft, CSU] und Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja, den Ärzten usw. Mir war es völlig unverständlich, bitte!) wie Sie in einer Verhandlungssituation einem Ver- handlungspartner ein Geldgeschenk anbieten kön- Aber Ihrem Gesetz können wir nicht zustimmen. nen, das zu Lasten eines anderen Verhandlungspart- ners geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war doch schon vor einem Jahr!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es handelte sich bei dem Hinweis auf die drei Nullen nicht etwa Das kann doch wohl nicht mit rechten Dingen zuge- um Personen, sondern um die Ziffern auf der Rede- hen. zeituhr des Podiums. Sie haben immer gefordert: „Vorfahrt für die (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ach so!) Selbstverwaltung." Aber was Sie hier machen, ist Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Dieter Thomae doch direktes Hineinregieren in die Selbstverwal- das Wort. tung. Man hätte innerhalb der Ärzteschaft Umvertei- lungen vornehmen und so das Problem lösen müs- sen. Sie versuchen, uns zu suggerieren, daß das Geld Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Herr Präsident! Meine nur an die Hausärzte geht. Nein! Es geht an die ge- sehr geehrten Damen und Herren! Schon im letzten samte Ärzteschaft; denn dann müssen die Fachärzte Jahr haben wir diesen Gesetzentwurf eingebracht. weniger Geld zugunsten der Hausärzte abgeben. Herr Dreßler, die Ärzte haben innerhalb ihres Sy- Das ist der Effekt, den Sie erzielen. stems eine Umschichtung in Höhe von 600 Millionen DM vorgenommen. Das war eine der Bedingungen. Sie machen sich selbst - das hat Herr Dreßler schon sehr schön ausgeführt - mit Ihren Forderungen Wir erfüllen jetzt die zweite Bedingung, daß der nach Beitragssatzstabilität unglaubwürdig, weil es zu Gesetzgeber das Hausarztwesen stärkt. Ich halte das Beitragserhöhungen kommt. Sie regieren in das auch für richtig; denn wir alle wissen, daß wir häufig Krankenkassenrecht hinein. Ich habe den Eindruck am Wochenende und an Abenden dringend den gewonnen, daß Sie die Ärzteschaft mit diesem Geld Hausarzt aufsuchen müßten. Da dies leider nicht für Ihre dritte Stufe der Gesundheitsreform einkau- geht, werden diese Fälle ins Krankenhaus abgescho- - fen wollen. ben. Die Kosten hierfür sind erheblich höher als die 600 Millionen DM, die wir jetzt investieren, um mit- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So billig sind tel- und langfristig das Hausarztwesen erheblich zu die Ärzte nicht! - Zur SPD gewandt: Das stärken. Einkaufsmodell stammt von Ihnen! Wer ein kaufen will, das seid doch ihr!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich habe auch den Eindruck gewonnen, daß Sie so Es ist die Politik der Bundesregierung, das Hausarzt- politisch erpreßbar werden, daß das keine Politik ist, wesen zu stärken. Daß wir in der Vergangenheit Feh- die uns weiterführt. ler gemacht haben, will ich offen bekennen. 3872 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Dieter Thomae Es ist auch an der Zeit, die Vergütung in den Letzter Punkt: Auch die SPD-geführten Länder neuen Bundesländern anzuheben. Gegenwärtig be- sind natürlich nicht unschuldig daran, daß im Kran- trägt die Vergütung in den neuen Bundesländern kenhauswesen bei der Renovierung und der Ersatz- 67,2 % der Vergütung in den alten Bundesländern. beschaffung wenig passiert. Auch dies wollen wir än- Die Kosten für die technische Ausstattung und die dern. Miete sind in den letzten Jahren nennenswert ange- hoben worden. Aus diesem Grunde müssen wir eine (Klaus Kirschner [SPD] meldet sich zu einer Anhebung vollziehen. Nur so geben wir den Ärzten Zwischenfrage) • drüben überhaupt die Chance, weiter praktizieren zu können. Andernfalls wird es do rt zu erheblichen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Engpässen kommen. Thomae - -

Daher hat die Koalition - ich denke, auch an Sie Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Lieber Klaus Kirschner, aus den neuen Bundesländern - die entscheidende die Zeit ist vorbei. Aufgabe, hier eine Anhebung herbeizuführen. (Klaus Kirschner [SPD]: Deine Zeit ist abge- Wenn Sie das als einen Ausgleich für die Budget- laufen!) überschreitung bezeichnen, wissen Sie ganz genau, daß dies so nicht stimmt. Das ist falsch, Herr Dreßler. Ich beantworte die Frage anschließend sehr gerne. Wir brauchen eine Angleichung. In allen anderen Be- Herzlichen Dank. reichen liegt das Niveau erheblich höher. Bei der zahnärztlichen Vergütung und auch im Arzneimittel- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) bereich haben wir diesen Unterschied nennenswert minimiert. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der Abgeordneten Ruth Fuchs das Wo rt. Ich bin froh, daß Herr Lohmann sehr deutlich ge- sagt hat, daß wir endlich die Richtung der Koalition Dr. Ruth Fuchs (PDS): Herr Präsident! Meine Da- und die der Opposition in der Gesundheitspolitik men und Herren! Nach dem vorliegenden Gesetzent- klarstellen müssen. wurf sollen die Vergütungen der Hausärzte im ge- Ich bin auch froh, daß wir jetzt entschieden haben, samten Bundesgebiet um 600 Millionen DM und die die Positivliste zu kippen. Auch Sie sind über die jet- der Vertragsärzte in den neuen Bundesländern um zige Ausgestaltung der Positivliste im Entwurf nicht 240 Millionen DM aufgestockt werden. begeistert. Sie lehnen die völlige Ausgliederung von Zunächst einmal ist festzustellen, daß diese zusätz- Gruppen ebenfalls ab, aber Sie haben auch keine Lö- lichen Mittel zweifellos solchen Gruppen zugute sungen. Wir von der F.D.P. haben immer gesagt: Die kommen sollen, die tatsächlich zu den vergleichs- Positivliste ist Teufelswerk. Ich bin froh, daß dies weise Benachteiligten unter den ärztlichen Lei- heute durch entscheidende Argumente bewiesen stungsanbietern gehören. wird. Seit langem ist bekannt, daß insbesondere Kinder- Lassen Sie mich auf Ihre Aussagen aus dem Wahl- ärzte und Allgemeinmediziner, die gemeinsam mit kampf zurückkommen. Herr Dreßler, auch Sie unter- Internisten in erster Linie die hausärztliche Versor- stützen die Forschungsarbeit der Pharmaindustrie. gung tragen, zu den finanziell am schlechtesten ge- Sie haben im Wahlkampf draußen sehr deutlich ge- stellten Ärzten zählen. sagt, daß Sie etwas unternehmen werden, damit der (Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ Forschungsstandort Deutschland gestärkt wird. CSU]) (Rudolf Dreßler [SPD]: Richtig!) Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Qualität und Effektivität der gesamten gesundheitlichen Versor- So! Dann gehen Sie mit der Koalition und bringen gung ist diese Situation ausgesprochen kontrapro- den Gesetzentwurf ein, damit die Forschungsmög- duktiv. lichkeiten nennenswert verbessert werden! (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wo sie recht Die Koalition wird Ihnen nicht mehr die Gelegen- hat, hat sie recht!) heit geben zu sagen: „Wir hätten gerne zugestimmt, Sie hat neben den unbefriedigenden Weiterbildungs- wenn die anderen Punkte nicht in diesem Gesetz möglichkeiten maßgeblich dazu beigetragen, daß enthalten gewesen wären." Wir bieten Ihnen eine der Anteil der Allgemeinmediziner unter den Ver- faire Chance, unserem Gesetzeswerk zu folgen. Sie tragsärzten ständig weiter gesunken ist. brauchen keine Ausflüchte mehr, sondern können ja oder nein sagen. Diese Absicht verfolgen wir mit den Gesundheitspolitisch ist aber nach allen - übrigens Einzelgesetzen. auch internationalen - Erkenntnissen das genaue Gegenteil notwendig. Hochqualifizierte und hoch- Auch im Bereich des Amalgam und der Zuzahlung motivierte Hausärzte sind heute angesichts der fo rt wollen wir eine Veränderung, da die Bürger wirklich -schreitenden Spezialisierung in der Medizin die bereit sind, auf Amalgam zu verzichten. Dazu möch- wichtigste Voraussetzung für ein bürgernahes, fach- ten sie zumindest den Anteil der Erstattung für Amal- lich leistungsfähiges und zugleich wi rtschaftliches gam in eine andere Versorgung mitnehmen können. Gesundheitswesen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3873

Dr. Ruth Fuchs Dieser grundsätzliche Strukturfehler des Kranken- wünsche ihn zu der Genesung, die er durch deutsche versorgungssystems ist allerdings mit einer einmali- Hausärzte und Fachärzte erreicht hat. gen Mittelzuweisung, deren Wirkung noch dazu in (Heiterkeit - Beifall bei der CDU/CSU und kürzester Zeit verpuffen muß, nicht zu beheben. Das der F.D.P. - Rudolf Dreßler [SPD]: Danke!) um so mehr, als die praktischen Auswirkungen der regierungsamtlichen Gesundheitspolitik bis zum Es ist eigentlich ein ganz einfaches Gesetz: 4 % Ho- heutigen Tag exakt in die entgegengesetzte Rich- norarerhöhung für die ostdeutschen Ärzte, die seit tung führen. drei Jahren budgetiert sind. Meine Damen und Her- ren, 4 % nicht deshalb, um Wohlgefälligkeiten zu ver- Gerade auch seit dem Gesundheitsstrukturgesetz teilen, sondern um der Tatsache Rechnung zu tragen, ist es entgegen seinen Intentionen zu erneuten Zu- daß im Gegensatz zu allen anderen Gesundheitsbe- rücksetzungen und zur wirtschaftlichen Schlechter- rufsgruppen - von den Zahnärzten über Krankenhäu- stellung der Hausärzte gekommen. ser, über Pflegepersonal - die ostdeutschen Ärzte in Ähnliches gilt auch für die Vertragsärzte in den ihrem Einkommensniveau weit, weit zurückliegen. neuen Bundesländern. Mit der jetzt zugestandenen Während die meisten Berufsgruppen schon bei 80, 90, leichten Verbesserung ihrer Einkommen räumt die ja sogar 100 % des Einkommensniveaus im Westen lie- Regierung ein, was sie lange Zeit hartnäckig geleug- gen, liegen die ostdeutschen Allgemeinärzte, Human- net hat: Der besonderen Situation dieser Ärzte wurde mediziner, unter 70 % des westdeutschen Niveaus. im Gesundheitsstrukturgesetz eben doch nicht ad- Meine Damen und Herren, wir können nicht im- äquat Rechnung getragen. Punktwerteverfall, ten- mer davon reden, daß wir nach der staatsrechtlichen denziell sinkende Umsätze, in der Regel rasch stei- Einheit Deutschlands endlich auch die soziale Ein- gende Praxiskosten und eine meist hohe Verschul- heit Deutschlands vollenden müssen, nein, wir müs- dung kennzeichnen in vielen Fällen ihre Lage. sen diesen Worten auch Taten folgen lassen. So belief sich beispielsweise Ende 1994 nach An- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gaben der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklen- burg-Vorpommern der Anteil der Vertragsärzte mit Es wird einmal ganz interessant sein, wie sich die einem existenzgefährdenden Praxisumsatz auf im- neuen Länder, Herr Dreßler, nach Ihrer Einlassung merhin 15 bis 20 %. Akut kommen die möglichen im Bundesrat zu diesem Aspekt stellen. Überschreitungen der Arznei- und Heilmittelbudgets (Zuruf von der F.D.P.: Hochinteressant!) und die von daher drohenden Regreßforderungen hinzu. Nun hat ja der Herr Dreßler gesagt, diesem Mi- nister sei ein schwerwiegender handwerklicher Feh- Statt die spezifischen Erfahrungen der ostdeut- ler passiert, weil diese vierprozentige Erhöhung nicht schen Ärzte und ihrer Mitarbeiter für neue koopera- nur für die Humanmediziner, sondern auch für die tive Praxismodelle und andere innovative Entwick- Zahnärzte gilt, lungen zu nutzen, die auch dem Gesundheitswesen in den alten Ländern zugute kommen würden, hat (Zuruf von der F.D.P.: Das hat er nicht ver- man fast alle und nicht wenige von ihnen höchst un- standen!) freiwillig in die schon 1990 längst überholte Einzel- und angeblich sei dies ein Kniefall vor der Zahnärzte- praxis gedrängt. partei F.D.P. Nun, Herr Dreßler, möchte ich Ihnen ein- mal vorlesen, was Sache ist. Somit ist eine wirkliche Verbesserung ihrer berufli- chen Situation jetzt ebenso wie in den alten Ländern (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die Rede war nur durch tiefgreifende strukturelle Reformen in der falsch!) medizinischen Versorgung zu erreichen. Im heute geltenden Recht heißt es in § 72 Abs. 1 Satz 2: Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. „Soweit sich die Vorschriften dieses Kapitels auf (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Wolf Ärzte beziehen, gelten sie entsprechend für gang Zöller [CDU/CSU]) Zahnärzte. " In dem Gesetzentwurf, den die Koalition heute ein- bringt, heißt es: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Gesundheit, Horst See- „ § 72 Abs. 1 Satz 2 gilt nicht. " hofer. Herr Dreßler, ich habe Verständnis dafür, daß man als Opposition handlungsunfähig ist; aber daß Sie - Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: auch nicht lesen können oder nicht lesen lassen kön- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß nen, das ist Ihr Problem. sich schon um ein bedeutsames Gesetz handeln, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wenn der stellvertretende Oppositionsfraktionsführer ordneten der F.D.P.) im Bundestag, Rudolf Dreßler, wieder in der Lage ist, hier aufzutreten. Es freut mich, daß er nach seiner Zur Aufstockung der hausärztlichen Vergütung in schwierigen Kreuzbandoperation offensichtlich nicht Höhe von 600 Millionen DM: Herr Dreßler, ich nur mit dem Mundwerk, sondern auch auf den Fü- möchte Sie darauf hinweisen, daß die gesetzlichen ßen wieder gut zu Hause ist, und ich beglück Krankenkassen vorhaben, das, was Sie als großes 3874 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Bundesminister Horst Seehofer Entgegenkommen und Verschleuderung von Gel - Lieber Herr Kirschner, es kann doch nicht so sein, daß wir die niedergelassenen Hausärzte deshalb be- -dern zugunsten von Hausärzten einstufen, gemein- sam mit den Ärzten im Zuge der Selbstverwaltung strafen, weil andere - darunter auch die Bundeslän- 1996 zu vereinbaren. der und die Krankenhäuser - mehr Geld ausgeben, als der Gesetzgeber es in diesen Bereichen vorgese- Sie werden doch, wenn die Krankenkassen als An- hen hat. walt der Versicherten und der Patienten den Ärzten diese 600 Millionen DM für 1996 im Zuge der Selbst- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) verwaltung zugestanden haben, nicht sagen können, daß das Verschleuderung oder unsozial ist, wenn so Ich lasse auch folgendes nicht durchgehen, Herr etwas der Deutsche Bundestag mit seiner Mehrheit Dreßler: Es kann doch nicht sein, daß Sie den Ärzten beschließt. Das ist eine Beleidigung der Selbstver- die 600 Millionen DM für einen sinnvollen gesund- waltung und der Krankenkassen; die möchte ich heitspolitischen Zweck nur deshalb vorenthalten, nicht zulassen. weil die von der SPD regierten Bundesländer pau- senlos dabei sind, ihre Aufgaben, die sie über den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Länderhaushalt zu finanzieren hätten - nämlich die Krankenhausinstandhaltung -, in die Krankenversi- Dann gibt es dieses ewige Geschwätz von der Stär- cherung hineinzuschieben - was sie zunehmend kung des Hausarztes. Jeder in Deutschland ist für die tun -, mit der Folge, daß wir do rt Defizite schreiben. Stärkung des Hausarztes. Jeder erklärt, durch die Dafür können Sie doch die niedergelassenen Ärzte Kontaktierung von Hausärzten müsse endlich ver- nicht haftbar machen. So ist die tatsächliche Lage, mieden werden, daß die Menschen Doppel- oder so- Herr Dreßler. gar Mehrfachuntersuchungen hinnehmen müssen. Tagtäglich schreiben mir Patienten, wie häufig sie Ich appelliere an Sie, daß Sie diesem allgemeinen bei verschiedenen Ärzten untersucht und geröntgt Geschwätz jetzt endlich Taten folgen lassen, damit werden, wie oft diagnostiziert und therapiert wird. wir den Hausärzten nicht nur eine zusätzliche Lei- Das ist eine riesige Verschleuderung von Volksver- stung abverlangen, sondern diese zusätzliche Lei- mögen. Deshalb reicht es nicht, wenn man mit schö- stung entsprechend auch honorieren. Wir können nen Sätzen sagt: Wir wollen den Hausarzt stärken. den Ärzten in den neuen Bundesländern, einschließ- Meine Damen und Herren, wenn man ihn stärken lich Berlin (Ost) - das wird im Berliner Wahlkampf will, muß man die zusätzliche Leistung der Hausärzte ein sehr interessanter Aspekt werden -, nicht einer- auch entsprechend honorieren. seits zumuten, von einem planwirtschaftlichen auf ein marktwirtschaftliches Gesundheitssystem mit all (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den Kosten und Umstellungsschwierigkeiten umzu- Der Hausarzt ist nach unserem Verständnis der er- steigen, und dann andererseits sagen: „Wir greifen ste Ansprechpartner. Zu ihm soll der Patient gehen. euch nicht unter die Arme. " Denn sie sind doch auf Bei ihm soll das weitere diagnostische und therapeu- dem Gebiet des Gesundheitswesens das Schlußlicht tische Verfahren abgeklärt werden. Das ist eine Zu- aller Einkommensgruppen in den neuen Bundeslän- satzleistung. dern. Herr Dreßler, wenn Sie als Abgeordneter, wenn wir Das unterscheidet uns mittlerweile, Herr Dreßler: Politiker etwas zusätzlich leisten, dann wollen wir in Sie reden ständig, stehen tatsächlich aber auf der regelmäßiger Abfolge eine Diätenerhöhung. Wenn Bremse und sind nicht in der Lage zu handeln. Noch wir den Ärzten zusätzliche Leistungen auferlegen, vor wenigen Monaten haben Sie mir vorgeworfen, dann können wir nicht verlangen, daß sie das zum wir bräuchten überhaupt keine neue Gesundheitsre- Nulltarif tun. form. Doch mittlerweile arbeiten Projektgruppen der SPD an der Formulierung neuer Gesundheitsrefor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) men; diese sind schon wesentlich weiter als der Ge- sundheitsminister. Jetzt kommt die schöne Mär: Wie wird das finan- ziert? Herr Dreßler, wegen der Honorare der nieder- Meine Damen und Herren, die Zukunft dieses Lan- gelassenen Ärzte hätten wir in den letzten 10 bis des gehört nicht der SPD, die ständig auf der Bremse 15 Jahren nie eine Gesundheitsreform gebraucht; steht und Reformen verhindert. denn die Arzthonorare haben sich in Westdeutsch- land in den letzten zehn Jahren ziemlich exakt im (Klaus Kirschner [SPD]: Wollen Sie uns das Rahmen der allgemeinen Lohnentwicklung bewegt. Denken verbieten? - Rudolf Dreßler [SPD]: Deshalb hätten wir keine Gesundheitsreformen ge- Das ist doch Unsinn!) braucht. Die Zukunft dieses Landes gehört jenen, die am (Abg. Klaus Kirschner [SPD] meldet sich zu Steuer sitzen und die Reformen durchführen, und einer Zwischenfrage) das ist diese Koalition. - Nein. - Die Ärzte sind die einzigen, die sich im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zuge dieser dreijährigen Budgetierung mit ihrem Honorar exakt an die Sparvorgaben des Deutschen Bundestages gehalten haben. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aus- (Zuruf des Abg. Klaus Kirschner [SPD]) sprache. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3875

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Geset- halte im obersten Einkommensfünftel. Nach zahllo- zentwurfs auf Drucksache 13/1826 an die in der Ta- sen Änderungen seit 1987 ist neben dem wachsen- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es den steuerrechtlichen Durcheinander festzuhalten: dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Kaum ein Mensch versteht den § 10e EStG noch; er Dann ist die Überweisung so beschlossen. dient oft mehr der Möglichkeit, Steuern zu verkür- zen, als dem Erwerb von Wohneigentum. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a und b auf: Die soziale Schieflage der Wohneigentumsförde- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten rung wurde durch das sture Festhalten der Koalition Otto Reschke, Achim Großmann, Dr. Ulrich an der progressionsabhängigen Förderung ständig Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und verschärft. Die Eigentumsquote in Deutschland ist der Fraktion der SPD kaum gestiegen, und der Neubau von Eigenheimen Neugestaltung der Wohneigentumsförde- und Eigentumswohnungen hinkt der allgemeinen rung Wohnungsentwicklung hinterher. Dies alles hat die falsche Reform 1987 gebracht, an der wir heute noch - Drucksache 13/1501 - kranken. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Nach langem Drängen der SPD hatte der Deutsche Finanzausschuß (Federführung strittig) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundestag schon 1991 einstimmig einen Entschlie- Haushaltsausschuß ßungsantrag zur Reform der steuerlichen Wohn- eigentumsförderung verabschiedet. Ein neues, bes- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten seres Förderungskonzept sollte möglichst bald ent- Dieter Maß (Herne), Achim Großmann, wickelt und umgesetzt werden, wobei das Wo rt Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abge- „bald" dick geschrieben worden ist. ordneter und der Fraktion der SPD Wohnungsbaugenossenschaften stärken - Die Regierung hat die Reform immer wieder ver- Mitglieder steuerlich fördern sprochen, aber auch immer wieder verschoben. Je- der fragt sich mit Recht, warum die Entscheidung - Drucksache 13/1644 — über eine allseits anerkannte wohnungs- und sozial- Überweisungsvorschlag: politische Notwendigkeit fünf Jahre lang im Koaliti- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau onsklüngel hängenbleiben mußte. Viele Modelle Finanzausschuß (Federführung strittig) wurden diskutiert; entschieden wurde nichts. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgese- Koalition und Regierung haben sich nun vor dem hen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so Hintergrund unseres Antrags darauf geeinigt, beschlossen. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Na, Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Herr na!) Abgeordnete Otto Reschke. den § 10e EStG auf eine einkommensunabhängige Otto Reschke (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Investitionszulage umzustellen. - Wir freuen uns verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestags- darüber, Herr Kansy; ich komme gleich noch darauf fraktion - - zurück. (Unruhe) Eine Bemerkung vorab, worauf wir uns einigen sollten: Ob Eigenheimabzugsbetrag, ob Bau- oder In- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, vestitionszulage - oder wie auch immer wir das nen- eine Sekunde, ehe Sie anfangen! - Meine Kollegen, nen wollen -, es muß klar sein, daß die Wohneigen- darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen oder Ihre Unter- tumsförderung im Steuerrecht angesiedelt bleiben haltung draußen zu führen? - Das gilt auch für den muß und nicht dem jährlichen Zugriff des Finanzmi- Kollegen Dreßler. - Herr Kollege Dreßler, es ist keine nisters ausgesetzt werden darf. Darüber sollte woh- gute Sitte in diesem Haus, dem Redner den Rücken nungspolitische Einigkeit bestehen. zuzuwenden. Bitte, Herr Reschke. (Beifall bei der SPD)

Die Koalition schlägt nun also vor, daß acht Jahre Otto Reschke (SPD): Wir haben den Antrag einge- bracht, damit die parlamentarische Beratung über lang 5 000 DM für Neubauten und 2 200 DM für Alt- die Reform der Wohneigentumsförderung endlich in bauten gezahlt werden sollten. Auf welcher Grund- Gang kommt. Die Dringlichkeit der Reform ist ja bis- lage diese Zahlen beruhen, bleibt unklar. Sind die her nur von der Koalition bestritten worden, nicht Beträge aus der Luft gegriffen, oder gibt es einen Be- von den Fachleuten. zug zu den realen Bau- und Anschaffungskosten? Fest steht: 44 % Förderung beim Erwerb von Immobi- Das Fördervolumen von mittlerweile 17 bis lien aus der zweiten Hand, wie Sie vorschlagen, sind 18,5 Milliarden DM jährlich wird größtenteils fehlge- unzureichend und vor allen Dingen ungerecht ge- leitet. Die Hälfte der Förderung geht heute an Haus- genüber den Käufern in den Ballungsgebieten. 3876 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Otto Reschke Die geltenden Einkommensgrenzen von 120 000 Zur Beantwortung dieser Fragen haben Sie Mitar- bzw. 240 000 DM sollen erhalten bleiben. Dem stim- beiter im Hause, die uns zuarbeiten müssen. Wir wol- men wir zu. Ab einem Einkommen von 80 000/ len und müssen dies bewe rten. Wir brauchen einen 160 000 DM für Ledige/Verheiratete muß aber nach klaren Rahmen für die Neuregelung und keine Mo- unserer Auffassung ein allmähliches Abschmelzen gelpackung für Investoren und Eigenheimbauer. der Förderung vorgenommen werden. Die Zeit für Beratung und Verabschiedung sowie (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Ha zur Vorbereitung der Finanzverwaltung ist äußerst ben Sie von der F.D.P. abgeschrieben!) knapp bemessen. Zuviel we rtvolle Zeit ist seitens der Bundesregierung schon vertan worden. In den ersten - Zu Ihren Nullen komme ich noch, Herr Kollege. - drei Monaten dieses Jahres lag die Zahl der geneh- So kann Geld eingespart werden, um die Förderung migten Einfamilienhäuser um rund 10 % unter dem für Schwellenhaushalte und für Familien in Ballungs- vergleichbaren Wert des Vorjahres. Die Auftragsein- gebieten zu verbessern. gänge für den Wohnungsbau gingen im ersten Quar- tal insgesamt um 16 % zurück. Attentismus ist bei In- Das Baukindergeld wollen Sie pro Kind auf 1 500 vestoren, aber auch bei Käufern bereits festzustellen. DM erhöhen. Es muß geprüft werden, ob der Zeit- Dafür trägt die Koalition Verantwortung. raum der Auszahlung bei Familien mit Kindern nicht von 8 auf 10 Jahre ausgedehnt werden kann, um ein Wir wollen eine einfache, sozial gerechte und effi- Ausklingen zu ermöglichen. ziente Förderung. Dazu gehört eine einkommens- unabhängige Förderung durch Abzug von der Steu- Bei der Vorsparförderung und bei der Bausparprä- erschuld, bei zu geringer Steuerschuld wird dieser mie bleiben Sie hinter den ursprünglichen Ankündi- Betrag ausgezahlt. Das Baukindergeld wird erhöht, gungen des Finanzministers - übrigens vor der Wahl - und der Bezugszeitraum wird verlängert. Bei Ein- zurück. Er hat damals eine Anhebung der Höchst- kommen über 80 000 bzw. 160 000 DM erfolgt eine sparbeträge auf 1 200 bzw. 1 400 DM und eine Kin- Absenkung der Förderung zugunsten der Schwellen- derkomponente in Höhe von 500 DM vorgeschlagen. haushalte. Wir wünschen, daß Ehepartner ihre För- Die SPD hielt die Anhebung der Höchstsparbeträge derung kumulieren können. Warum eine solche ohne Kinderkomponente für unzureichend. Da stim- Möglichkeit, die eigentlich Geld spa rt, in den Vor- men wir dem Finanzminister zu. schlägen der Koalition nicht enthalten ist, fragen wir uns. Wir werden das auch in den Fachberatungen Seit fast 10 Jahren haben Sie die Umstellung auf hinterfragen. eine einkommensunabhängige Förderung immer wieder abgelehnt. Sie schwenken offensichtlich auf (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Die unsere Linie ein. Wir freuen uns darüber, insbeson- kostet Milliarden!) dere für die Eigenheimer mit unteren und mittleren Einkommen, die nun in den Genuß einer besseren Diese Förderung muß durch eine ökologische Förderung kommen sollen. Die späte Einsicht in ver- Komponente ergänzt werden, beispielsweise durch nünftige Lösungen hat das Optionsmodell der F.D.P. eine zusätzliche Förderung von Niedrigenergiehäu- und das Schuldzinsenabzugsmodell von Waigel sern in Höhe von 750 DM jährlich; man kann sich überwunden. Sachverstand, Herr Bauminister Töp- auch auf andere Summen einigen, wir wollen einmal fer, setzt sich zum Glück doch manchmal durch. Wir sehen, was im Topf enthalten ist. Auch hier hat die freuen uns darüber. Koalition bislang keinen entsprechenden Vorschlag gemacht. (Zuruf von der SPD: Wir helfen ja auch!) Die Bausparprämie und die Einkommensgrenzen Allerdings ist Vorsicht geboten. Die Steuer- und Fi- bei der Vorsparförderung müssen deutlich erhöht nanzpolitik der Koalition läßt sich nur noch als kon- und durch eine Kinderkomponente für Familien mit zeptionsloser Zickzack beschreiben. Kindern und für Alleinerziehende ergänzt werden.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Gewurschtel!) Wir sind mit der Koalition einig, daß die Reform des § 10e EStG aufkommensneutral erfolgen muß. Den Bundesfinanzminister frage ich: Sind die Vor- (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Mit schläge im einzelnen durchgerechnet worden? Sind diesen Forderungen von Ihnen unmöglich!) Kürzungen in anderen Bereichen geplant, um die Verbesserung beim Baukindergeld und bei der Vor- Allerdings müssen ehrliche Zahlen auf den Tisch. Bis sparförderung gegenzufinanzieren? Findet etwa der zur letzten Woche hieß es auf Grund einer Auskunft - F.D.P.-Vorschlag zur Abschaffung der Eigentumsför- des Finanzministeriums bis in den Finanzausschuß derung über den zweiten Förderweg im sozialen hinein noch: Uns stehen 14 bis 15 Milliarden DM zur Wohnungsbau durch die Hintertür Eingang in die Verfügung. Sie reklamieren 17 Milliarden DM in der neue Regelung? Hier geht es immerhin um ein För- Umschichtung. Wenn wir den Vorabzug dazuneh- dervolumen von 411 Millionen DM im Jahr. men, kommen wir auf 18,5 Milliarden DM. Herr Finanzminister, legen Sie die Zahlen auf den (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist Tisch, wieviel zur Umschichtung zur Verfügung da schon drin!) steht! Um die geplante Neuregelung inhaltlich zu be- werten: Was kostet sie eigentlich? Es ist also einiges zu finanzieren. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3877

Otto Reschke Die SPD wird darauf drängen, die Möglichkeit der Auch den Vorschlägen, die die Länder gemacht Umschichtung vollständig auszuschöpfen. So kön- haben, nen durch den Wegfall der Werbungskosten vor Be- zug jährlich zusätzlich 1,5 Milliarden DM eingespart (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wo ist werden. Warum die Koalition hier nur 300 000 DM der Bundesrat? - Dr. Uwe Küster [SPD]: Wo umschichten will, ist uns fraglich. Es könnte aber ist denn der Finanzminister?) sein, Kollege Braun, daß Sie in Ihrer Pressemitteilung liegt ja kein einheitliches Konzept zugrunde. Im übri- um drei Nullen verkürzt worden sind. Schauen Sie gen war es gut, daß ein tüchtiger Bauminister diese dort nach, unter Ziffer 7: Anstatt 300 000 DM muß es verschiedenen Vorstellungen zusammengeführt und vermutlich 300 Millionen DM heißen. Das haben Sie daraus ein vernünftiges Konzept entwickelt hat. noch gar nicht bemerkt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Peanuts! - Dr.- Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Ich wußte Lieber Kollege Reschke, wenn vor dem Hinter- gar nicht, daß Sie seine Pressemitteilung le grund quälender Auseinandersetzungen zwischen sen!) Scharping und Schröder von einem „steuerpoliti- Wir wollen keinen wohnungspolitisch sinnlosen schen Zickzack" der Koalition gesprochen wird, ist das schon etwas stark gegriffen. Verzicht auf mehr Steuermillionen. Wir fordern die Bundesregierung auf, umgehend einen Gesetzent- Ich komme zu der Frage, ob wir das durchgerech- wurf für die Reform der steuerlichen Wohneigen- net haben, was wir vorschlagen. Natürlich haben wir tumsförderung vorzulegen, der den Eckpunkten un- das durchgerechnet. Wir haben es mit dem Finanz- seres Antrages entspricht. minister abgestimmt. Ich habe allerdings den Ein- Wir sind zum Konsens bereit, und wir sind eben- druck, die Vorschläge, die Sie jetzt als Alternative falls bereit, gemeinsam so schnell wie möglich im frü- präsentiert haben, sind nicht durchgerechnet, weil hen Herbst die Rahmenbedingungen festzulegen, sie eine beträchtliche Ausweitung des Finanzvolu- mit allen Dingen, die abzuwägen sind, damit zum mens mit sich bringen würden, das uns auf keiner 1. Januar 1996 die Neuregelung der steuerlichen För- politischen Ebene zur Verfügung steht. derung in Kraft tritt. Wir hoffen, daß die Lernfähig- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - keit bei Ihnen - Konsensfähigkeit bei uns kommt Achim Großmann [SPD]: Haben Sie unsere hinzu - bewirkt, daß Investoren und Bauherren Einsparungsvorschläge nicht gehört?) schnell eine neue Lösung an die Hand bekommen. Denn die SPD will draufsatteln. Herzlichen Dank. Trotzdem: Der SPD-Antrag reißt keine Gräben auf; (Beifall bei der SPD) er ist eine gute Brücke zur Verständigung. Der woh- nungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Achim Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Großmann, hat in einer ersten Stellungnahme von ei- Wort dem Abgeordneten We rner Dörflinger. nem großen Schritt zu einer parteiübergreifenden Lösung gesprochen. Auch das ist unser Ziel. Werner Dörflinger (CDU/CSU): Herr Präsident! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kol- und der F.D.P.) lege Reschke, das waren freundliche, optimistisch stimmende Töne. Auf der anderen Seite muß einem Allerdings beginnen wir nicht - ich glaube, dar- natürlich die SPD ein Stück weit leid tun. Da formu- über sind wir uns einig - bei der Stunde Null, was die liert sie einen Antrag; über ihn redet niemand, auch Eigentumsförderung angeht. Es gibt ja neben der nicht in der Öffentlichkeit. Vielmehr wird über ein steuerlichen Förderung die Direktförderung, die die durchdachtes, in die Zukunft weisendes Konzept der Länder auszugestalten haben. Koalition geredet. Ich finde es ebenfalls nicht ganz korrekt, wenn (Achim Großmann [SPD]: Na, na, na, na!) dargestellt wird - wie es der SPD-Antrag tut -, daß, Vielleicht ist das das Schicksal der Opposition. rein prozentual gesehen, der Anteil des Wohneigen- tums am Gesamtneubauvolumen seit 1988 zurückge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gangen sei. Wenn man die absoluten Zahlen, die Be- zugsgrößen betrachtet, dann kommt man zu einem Herr Kollege Reschke, auch Sie haben sich weitge- anderen Ergebnis, z. B. dazu, daß im Jahre 1994 hend mit den Vorstellungen der Koalition auseinan- 215 000 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäu- dergesetzt, mit einigen polemischen Schlenkern, auf - die ich kurz eingehen will. sern fertiggestellt worden sind und daß wir beson- ders erfreuliche Fortschritte auch in den neuen Bun- Was heißt da „Blockade"? Ich glaube, wir sollten desländern gemacht haben. uns einfach dazu bekennen, daß das Thema zu wich- tig war, um es über das Knie zu brechen. Es ist im Trotzdem sind wir uns darin einig: Eine Neurege- Gegenteil notwendig gewesen, auch unterschiedli- lung ist notwendig. Wir sind uns hoffentlich auch che Gesichtspunkte zwischen Wohnungspolitikern darin einig, daß die neue Regelung einfacher als die und Finanzpolitikern auszudiskutieren. bisherige sein muß. Da stimme ich dem Kollegen Reschke ganz ausdrücklich zu. Wir sollten uns aller- (Achim Großmann [SPD]: Fünf Jahre lang!) dings dann auch konkret an diese Maxime halten 3878 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Werner Dörflinger und die Neuregelung jetzt nicht mit Dingen befrach- der Privatisierung nach dem Altschuldenhilfe-Ge- ten, die wir im Rahmen der steuerlichen Förderung setz; dort vor allem beim Erwerb aus dem Bestand. nur schwer regeln können, sosehr sie vielleicht sach- Auch deswegen ist es wichtig, daß zusätzliche Hilfen lich begründet sein mögen. angeboten werden.

Wir sollten auch sehen - da stimme ich ebenfalls Mein Kollege Meister wird auf Details unserer dem SPD-Antrag zu -, daß die steuerliche Förderung Neuregelung noch eingehen. Die Grundlinien sind allein nicht ausreicht, sondern daß es flankierender bekannt: einheitliche Förderbeträge statt progres- Maßnahmen bedarf, beispielsweise bei der Bereit- sionsabhängiger Förderung, Baukindergeld von stellung von preisgünstigem Bauland. Ich meine, 1 500 DM, eine spürbare Verbesserung des Vorspa- daß dort die Gemeinden zu zweierlei gefordert sind: rens - Stichwort Bausparförderung. Die Koalition hat erstens, daß ein ausreichendes Angebot an Bauland diese Festlegungen präzisiert, und - was ich für gemacht wird. Wir können in Bonn nicht von der Not- wichtig halte - sie hat in diesem sensiblen, nicht wendigkeit reden, die Eigentumsquote wesentlich zu ganz einfachen Bereich auch Handlungsfähigkeit be- erhöhen, um dann auf der anderen Seite zu erleben, wiesen. Angesichts mancher Töne gegenüber unse- daß Politiker der gleichen Fakultät vor Ort beispiels- rem Koalitionspartner möchte ich sagen, daß der An- weise eine offensive Baulandpolitik aus welchen teil, den die F.D.P. zu dieser Einigung erbracht hat, Gründen auch immer blockieren. durchaus Respekt verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU) Es war meines Erachtens richtig - das war auch Ich glaube, wir sollten zweitens verstärkt darüber das Anliegen der Koalitionsfraktionen -, den gesam- nachdenken, ob es nicht ein Stück vor Ort praktizier- ten Fragenkomplex aus dem Jahressteuergesetz her- ter Familien- und Sozialpolitik sein sollte, daß die Ge- auszunehmen, weil uns sonst ein völlig unklarer zeit- meinden selbst dann, wenn sie dafür finanzielle Op- licher Horizont ebenso gedroht hätte wie ein Vermitt- fer bringen müssen, verstärkt Baugrundstücke in lungsverfahren, bei dem dann womöglich sach- Erbbaupacht insbesondere für Familien mit Kindern fremde Argumente in einem komplizierten Abstim- zur Verfügung stellen, weil sonst die Belastung für mungsprozeß hineingekommen wären. Dazu ist das das Grundstück und die Erschließung so hoch ist, Thema zu wichtig. daß zum einen das Eigenkapital allein dafür benötigt wird und zum anderen die daraus resultierende Verstärkte Eigentumsförderung ist aber auch unter Fremdfinanzierung Familien in ein fast nicht kalku- wirtschaftlichen Aspekten notwendig. Wir erleben lierbares Abenteuer stürzt. Das sollten wir vermei- eine gespaltene, nicht ganz klar überschaubare Ent- den. wicklung, sowohl was den Bedarf als auch was die Nachfrage beim Mietwohnungsbau angeht. Deswe- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gen ist es sicher unter mittelfristigen Aspekten not- wendig, daß wir ein stabilisierendes Element in die Wir haben in der Koalitionsvereinbarung formu- Baukonjunktur einziehen, indem wir die Eigentums- liert - der Bundeskanzler hat es in seiner Regierungs- förderung - da besteht Übereinstimmung - stärker erklärung betont -, daß wir uns daran halten wollen, fördern und ausbauen als bisher. uns auf die wirklich bedürftigen Kreise in der Bevöl- kerung zu konzentrieren, daß wir die Eigentums- Da wir uns auf die Aufkommensneutralität verstän- quote auch aus gesellschaftspolitischen Gründen er- digt haben, sollten wir auch den Mut haben, zu sa- höhen wollen und daß wir als wichtigste Zielgruppe gen, daß wir, weil wir einigen wichtigen Zielgruppen Familien mit Kindern haben. Denn es ist bereits ge- mehr geben wollen als bisher, vielleicht bei anderen sagt worden, im internationalen Vergleich ist die auch etwas wegnehmen müssen. Wohneigentumsquote in Deutschland zu niedrig. Auch das Alter, mit dem man im Durchschnitt in (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sonst Deutschland Wohneigentum erwirbt, nämlich geht es nicht!) 38 Jahre, ist zu hoch, auch im internationalen Ver- gleich. Wir alle wissen, daß mindestens 70 bis 80 % - Sonst geht es nicht. unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger tatsächlich Genauso wie wir das in bezug auf den sozialen von den eigenen vier Wänden träumen. Das ist be- Wohnungsbau im Bestand gesagt haben und sagen sonders wichtig für Familien mit Kindern; denn sie und dort vor einem wichtigen Reformschritt stehen, sollten zu einem Zeitpunkt zu Wohneigentum kom- genauso sollten wir es auch bei der steuerlichen Ei- men, zu dem die Kinder tatsächlich auch noch etwas gentumsförderung in aller Deutlichkeit sagen. von den eigenen vier Wänden haben und nicht schon dabei sind, das Haus zu verlassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Ein gemeinsames Ziel ist unbestritten das Inkraft- treten zum 1. Januar 1996, um Attentismus in der Die Neuregelung ist auch für die neuen Bundes- Baukonjunktur zu vermeiden. Wir erwarten bald ei- länder besonders wichtig. Wir wissen, daß § 10e des nen Gesetzentwurf, die notwendigen Abstimmungs- Einkommensteuergesetzes jetziger Prägung für die prozesse mit den Bundesländern, zügige Beratungen neuen Länder praktisch wirkungslos war, auch bei im Ausschuß, die Fähigkeit zum Kompromiß. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3879

Werner Dörflinger Wenn ich aber die Arbeit im Ausschuß in den letz- beim unteren Einkommensdrittel ankommen soll, ten Monaten und Jahren betrachte, dann bin ich nämlich für sozialen Wohnungsbau, Wohngeld und ganz sicher, daß wir zu diesem Kompromiß finden Maßnahmen gegen Wohnungslosigkeit und Obdach- und daß wir zum 1. Januar 1996 das Inkrafttreten des losigkeit, und zwar für wirklich echte Bauförderung. Gesetzes erreichen. Damit haben wir ein Datum, das Ich denke, diese Propo rtionen müssen zurechtge- für die Häuslebauer in unserem Land, für die Fami- rückt werden. Es muß mindestens „Waffengleich- lien und das selbstgenutzte Wohnungseigentum hell" zwischen den verschiedenen Förderinstrumen- wichtig ist. ten geschaffen werden. Herzlichen Dank. Das zweite ist: Wir müssen uns klar darüber sein, das Einkommen des sogenannten Schwellenhaus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) halts liegt knapp oberhalb der Einkommensgrenze des sozialen Wohnungsbaus. Also nehmen die unte- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der ren zwei Fünftel der Bevölkerung an der Einkom- Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig das Wort. mensförderung nicht teil. Man sollte das anerkennen, was jetzt von der Ko- Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE alition als Konzept vorgestellt worden ist. Es bedeu- GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und tet in bestimmten Maßen eine Verbesserung gegen- Kollegen! Ich denke, es ist bei diesem Thema wich- über der bisherigen Eigentumsförderung. Das sollte tig, sich zunächst über die grundsätzlichen Proportio- man auch nicht kleinreden. Es gibt eine bessere Ab- nen zu verständigen und damit noch einmal über die grenzung zwischen der Steuerpflicht und dem An- Maßstäbe in unserer Wohnungspolitik nachzuden- teil, der Subvention ist, als bei dem bisherigen § 10e. ken, zumal wir nachher noch den Tagesordnungs- Es wird etwas mehr Gerechtigkeit geschaffen zwi- punkt Wohnungslosigkeit/Obdachlosigkeit hier be- schen der Förderung der besserverdienenden Haus- sprechen werden. halte und der Haushalte mit mittleren Einkommen. Dazu haben wir einen sehr bescheidenen Antrag Allerdings wünschen wir uns da noch etwas mehr gestellt, nämlich 300 000 Mark für ein Sofortpro- Klarheit, eine Absenkung der oberen Einkommens- gramm, für eine Gemeinschaftsinitiative gegen Ob- grenzen und eine Degression in der Förderung, ähn- dachlosigkeit zur Verfügung zu stellen. lich wie Herr Reschke sie vorgeschlagen hat. (Achim Großmann [SPD]: Es sind 300 Mil Die Erhöhung des Baukindergeldes findet selbst- lionen DM! - Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/ verständlich unsere Zustimmung. Wir halten auch CSU]: Darauf kommt es nicht an!) das Konzept für staatliche Bürgschaften für Ostdeut- sche für einen guten Vorschlag. - Entschuldigung, 300 Millionen. Das war der Hitze geschuldet. - Dieser Antrag wird, wie wir längst wis- Dennoch wollen wir den Ball etwas weiter werfen. sen, niedergestimmt. Dafür ist in einem Haushalts- Wir sind der Meinung, daß die Novellierung der Ei- vermerk die kleine Summe von 50 Millionen für den gentumsförderung nicht aufkommensneutral gestal- sozialen Wohnungsbau festgelegt worden. tet werden darf, sondern daß die Förderung deutlich abgesenkt werden muß, damit in der Förderung ein Statt dessen reden wir jetzt über - Bund, Länder Stück Umverteilung möglich wird. Das heißt Degres- und Gemeinden zusammen gesehen - 17 Millionen sion bei den Zulagen mit steigenden Einkommen, DM. niedrigere Einkommensobergrenzen, Abschaffung der Förderung von Zweitwohnungen und Abschaf- (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Da fung der üppigen Vorkostensubvention, die nach wie fehlen wieder drei Nullen, diesmal sind es vor bei Ihnen vorgesehen ist. Milliarden!) - Es ist wirklich schlimm heute. Ich bin bescheiden Auf keinen Fall - das ist uns besonders wichtig - geworden. 17 Milliarden, Sie haben völlig recht, Sie darf die Eigentumsförderung weiterhin ein Anreiz haben die Zahlen schließlich in die Öffentlichkeit ge- zur Eigentumsumwandlung sein. Es ist einer der gro- geben. ßen Fehler der letzten Jahre gewesen, daß letztlich die Eigentumsumwandlung subventioniert worden Ich finde es wichtig, daß endlich einmal etwas ehr- ist und es damit zur Vernichtung bezahlbarer Miet- lichere Zahlen als im Subventionsbericht auf den wohnungen kam, so daß wir uns jetzt hier mit den Tisch kommen. Wir müssen dem gegenüberstellen - Wohnungssorgen der kleinen Leute befassen müs- jetzt nehme ich die Zahlen in der richtigen Größen- sen. Das darf so nicht weitergehen. ordnung -: Wohngeld knapp 3 Milliarden, sozialer - Wohnungsbau mit allen Förderwegen 2,7 Milliarden Des weiteren sind wir der Meinung - dieser Punkt und Eigentumsförderung auf Bundesebene ist uns wichtig, auch wenn das rechtsimmanent nicht 7,4 Milliarden. sofort zu lösen ist -: Was den Eigentümern billig ist, muß den Mietern recht sein. Wir fordern darum, an- Dazu muß ich ganz deutlich sagen: Hier stimmen ders als die SPD, nicht nur die Gleichstellung mit Ge- die Proportionen nicht. Es geht nicht an - das ist un- nossenschaftsmitgliedern und Genossenschaftsbei- sere erste Forderung, auch wenn ich überhaupt nicht trägen, sondern auch mit Mieterinvestitionen, egal, weiß, wie sie erfüllt werden soll -, daß für die Eigen- ob der Mieter Mieter oder gleichzeitig Genossen- tumsförderung ein so deutlich höherer Betrag zur schaftsmitglied ist. Wir halten das insbesondere im Verfügung gestellt wird als für das, was letztlich Osten für wichtig, wo sehr viel Mieterselbsthilfe an- 3880 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Franziska Eichstädt-Bohlig gereizt werden und wirklich ein Beitrag zur Investiti- Hause. Das wissen wir; das passiert immer wieder. onstätigkeit in der Erneuerung geleistet werden Aber es ist für mich heute eine ganz besondere könnte. Hier muß endlich ein Stück neuer Raum ge- Freude, zu diesem ungeheuer wichtigen Thema für öffnet werden. unser Land sprechen zu können, zu einem Thema, das bei der Bevölkerung mit vielen positiven Erwar- Beim nächsten Punkt, den Genossenschaftsmit- tungen besetzt ist. gliedern, geht uns das Konzept nicht weit genug. Wir wollen gleichzeitig die Förderung für andere Formen (Achim Großmann [SPD]: Qualität vor von Gemeinschaftseigentum. Wir sind der Meinung, Quantität!) daß auch Hausgemeinschaften, Selbsthilfegruppen, die Häuser oder Hausgruppen erwerben oder ge- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie meinsam bauen wollen, in die Förderung einbezogen eine Zwischenfrage? werden sollten; nicht nur das Individualeigentum sollte immer in den Mittelpunkt gerückt werden. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Ich stelle (Zuruf von der CDU/CSU: Hafenstraße!) anheim. - Es gibt auch andere Formen als die Hafenstraße, aber warum auch nicht die Hafenstraße? Auch das Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich sehe aus sind Bürger unseres Landes. Wenn sie Eigentum er- Ihrer Geste, daß Sie eine Zwischenfrage zulassen. werben wollen, dann sollten Sie nicht so pingelig sein. Dr. Karl-Heinz Hornhues (CDU/CSU): Herr Kol- Ein anderer Punkt ist uns noch sehr wichtig. Ich lege, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß denke an mehr Phantasie im Bereich des Vorspa- die meisten anderen Kollegen, wie Sie auch, die rens. Ich möchte es einmal ganz konkret sagen: nicht an allen Debatten teilnehmen, ihr Thema für Warum muß die Bausparprämie immer nur an Wü- genauso wichtig halten wie das, was Sie jetzt für stenrot gehen? Wir wünschen uns, daß gerade im wichtig halten, und fänden Sie es nicht vielleicht fair, Osten, auch wenn Sie schon die Privatisierung dort künftig, von dieser Rede an, bei allen Debatten stän- so forcieren - - dig präsent zu sein, damit Sie die Bedeutung der an- deren Themen genauso wichtig nehmen wie das (Zuruf von der CDU/CSU: LBS! - Hilde Ihre? brecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Keine Werbung für einzelne Gesellschaften!) Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Werter Herr - Lassen Sie mich doch mal reden, oder stellen Sie Kollege, ich habe keineswegs einzelne Mitglieder Fragen; dann bekomme ich noch ein bißchen Rede- dieses Hauses kritisiert. Ich selbst war heute die mei- zeit. - Wir möchten, daß Mietkaufmodelle in die För- ste Zeit der Debatte nicht anwesend, derung einbezogen werden, damit das vorgesparte (Zuruf von der SPD: Hört! Hört! - Zuruf von Geld in die Gebäude gehen kann und nicht zu Wü- der CDU/CSU: Aha!) stenrot oder Schwäbisch Hall geht. Das fänden wir wirklich sinnvoller. was naheliegend ist, da ich mich auf diese Rede vor- zubereiten hatte. Gleichwohl möchte in deutlich ma- Last, not least vermissen wir ganz besonders - wir chen, daß es betrüblich ist - wenn auch angesichts gehen davon aus, daß nicht nur die Koalition, son- unserer Arbeitsbelastung leider unvermeidlich -, daß dern auch Herr Töpfer an diesem Modell mitgearbei- wir immer wieder einmal nicht anwesend sein kön- tet hat - jegliche ökologische Komponente. Das fin- nen, obwohl die Bevölkerung von uns im Grunde er- den wir wirklich sehr enttäuschend, weil wir wissen, wartet, daß wir wichtige Debatten in diesem Hause daß gerade der Eigenheimbau eine sehr flächenfres- gemeinsam erleben. Aber das Thema kennen Sie seit sende Bauform ist. Deswegen möchten wir eine be- langer Zeit; das beklagen wir alle, nur haben wir kei- scheidene Anfangsförderung und dann einen Öko- nen Lösungsansatz parat. Bonus, der in dem Maße steigt, in dem flächenspa- rend gebaut wird, in dem Niedrigenergiehäuser ge- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Deswegen baut werden und in dem der Einsatz regenerativer sollte man seine Rede so nicht beginnen! - Energien zum Zuge kommt. Das halten wir für nötig, Zuruf von der SPD: Das Thema Parlaments- wenn wir irgendwann ökologisch vorankommen wol- reform war doch vor zwei Stunden!) len. Lassen Sie mich in meiner Freude über das heutige Danke schön. Thema einfach fortfahren, wobei ich allerdings dar- auf hinweisen muß: Ich habe elf Minuten Redezeit - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und nicht sieben Minuten, wie mir hier signalisiert wird. Ich bitte, das zu ändern, denn sonst bekommen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile jetzt wir kleinere Probleme. dem Abgeordneten Hildebrecht Braun das Wo rt . Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Sekunde, Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Präsi- Herr Kollege. Ob wir Probleme bekommen, das ent- dent! Meine Damen und Herren! Die Bedeutung ei- scheide ich. Sie haben noch eine Redezeit von sieben nes Themas für unser Land ist oft umgekehrt propor- Minuten und 20 Sekunden. Ich bitte, sich danach zu tional zur Präsenz der Abgeordneten in diesem richten, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3881

Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Mir wurde Nun noch einige Anmerkungen zu den getroffe- mitgeteilt, daß ich elf Minuten hätte. nen Einzelregelungen des Koalitionskompromisses: Besonders erfreulich ist, daß es uns gelungen ist, das staatlich geförderte Vorsparen wieder für einen er- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich bin nicht heblichen Teil der Bevölkerung möglich zu machen. bereit, hier über Redezeit zu diskutieren. Bitte fahren (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie fort. Wir haben eine beträchtliche Ausweitung, nahezu eine Verdoppelung der Einkommensgrenzen er- Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Gut. Wenn reicht. Gerne hätten wir die Grenzen noch höher ge- es jetzt wie durch ein Wunder weniger Minuten ge- setzt, da eigentlich nicht einsichtig ist, warum z. B. worden sind, muß ich eben etwas weniger vortragen. Unverheiratete mit einem Einkommen von mehr als 50 000 DM im Jahr generell keine Vorsparförderung (Heiterkeit - Zuruf von der SPD: Etwas darf erhalten sollen. die F.D.P. noch reden!) Unverheiratete Menschen zeichnen sich durch Wohneigentum bedeutet mehr Freiheit, bedeutet eine Tendenz zur Pa rtnersuche aus, was von mir als erweiterte Selbstbestimmung. Wenn wir von Eigen- Mitglied der Kinderkommission des Bundestages tum sprechen, dann meinen wir insbesondere das ausdrücklich begrüßt wird. Verfügungsrecht des Eigentümers, der sein Haus (Heiterkeit - Otto Reschke [SPD]: Wer hat oder seine Wohnung verkaufen, vererben, vermie- Ihnen diese Rede denn geschrieben? Verra- ten, unbeschränkt nach eigenen Vorstellungen aus- ten Sie das mal!) gestalten oder mit Grundpfandrechten belasten und somit Kredite für andere Zwecke ermöglichen kann. Warum sollen denn junge Menschen in der Werbe- phase, die gut verdienen, nicht bereits kräftig vorspa- Wohneigentum ist eine hervorragende Form der ren und dabei unterstützt werden, um möglichst bald Altersvorsorge. Sicherheit im Alter zu garantieren ist nach der Eheschließung eine Wohnung für die zu ein ganz wichtiges Anliegen. Wie könnte es ein gründende Familie bauen zu können? Mehr an Sicherheit geben als durch die eigenen vier Während in anderen Ländern der Erwerb der Wände? Wohneigentum steht auf der Wunschliste selbstgenutzten Immobilie mit durchschnittlich der Menschen ganz oben. Die Vision vom persönli- 32 Jahren erfolgt, findet dieser wichtige Schritt in chen Glück hat laut Allensbach eine ganze Menge Deutschland im Durchschnitt erst mit 39 Jahren statt. mit Wohneigentum zu tun. Dies wollen wir eigentlich ändern. Alle diese Gründe rechtfertigen allerdings nicht Zweitens. Ich freue mich ganz besonders über die ohne weiteres den Einsatz von mehr als 17 Milliarden Erhöhung des Baukindergeldes von 1 000 DM auf DM an Steuergeldern. Entscheidend sind vielmehr 1 500 DM pro Jahr. Dieser Schritt, der zu Aufwen- zwei Aspekte: dungen des Staates allein für das Baukindergeld in Höhe von 5 Milliarden DM pro Jahr führen wird, ist Erstens. Der gesellschaftspolitische und sozialpoli- wichtig und richtig. Frau Eichstädt-Bohlig, allein die- tische Ansatz: Wir wollen, daß möglichst viele Men- ser Betrag liegt in der Tat höher als der für die Förde- schen Eigentümer werden, fachlich gesprochen: Die rung des sozialen Wohnungsbaus durch den Bund. Wohneigentumsquote soll erhöht und damit dem eu- Aber das ist richtig. Wir wollen den Menschen, die ropäischen Standard angepaßt werden. Das gilt ins- auch im Interesse unseres gesamten Staatswesens besondere für die neuen Bundesländer; es gilt aber die Entbehrungen und Risiken der Elternschaft auf auch für die Großstädte, in denen wir auch im We- sich nehmen, nachdrücklich dabei helfen, das geeig- sten zum Teil erstaunlich niedrige Wohneigentums nete Nest für die Familie bauen und finanzieren zu quoten haben. können. Zweitens. Wohneigentumsförderung ist eine be- Drittens. Auf unseren Wunsch hin wurde ein Burg- sonders preiswerte Förderung. Diese Botschaft geht schaftsmodell für ostdeutsche Bürger vereinbart, besonders an die Grünen. Mit deutlich weniger Geld welches denjenigen, die den Mut zum Erwerb von als bei allen anderen Förderungsmöglichkeiten kann Wohneigentum haben, den Weg zum Erfolg erleich- der Neubau von Wohnungen bewirkt werden, sei es tern wird. Wir wollen, daß der Staat dann mit einer beim Mietwohnungsbau oder sei es gar beim sozia- Bürgschaft in Höhe von 20 % das Risiko auf sich len Wohnungsbau. nimmt, wenn die Bank nach sorgfältiger Prüfung des Kreditantrages unter Berücksichtigung des Eigenka-- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - pitals, des Wertes des Objekts und der finanziellen Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!) Leistungsfähigkeit des Antragstellers eine Vollfinan- zierung des Kaufs oder des Baues der Wohnung be- Wer in die dann selbstgenutzte Wohnung einzieht, stätigt. Natürlich muß dann die Bank, die bei der Kre- macht eine andere Wohnung frei. Mehr Wohnungen ditprüfung die Sorgfalt eines ordentlichen Kauf- bedeuten somit eine Entspannung des Wohnungs- manns verletzt, gegenüber dem Staat schadenser- marktes und tendenziell niedrigere Mieten. So profi- satzpflichtig sein. Wir wollen aber definitiv nicht, daß tieren alle außer denen, die besonders viel verdie- der Erwerber ein eigenes Avalkreditverfahren beim nen, von der Wohneigentumsförderung. Staat durchlaufen muß. Wir wollen mich nicht, daß 3882 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Hildebrecht Braun (Augsburg) der Staat als Bürgschaftsgeber die Kreditprüfung mit rechtzeitig nach den Sommerferien, aber vor dem eigenem Personal noch einmal durchführt. Gerade in 1. Januar 1996 die nötigen Gesetzesmodifizierungen solchem Zusammenhang fordern wir den schlanken zu verabschieden und damit dazu beizutragen, daß Staat. Eine Doppelprüfung sollte nur in Ausnahme- ab dem 1. Januar 1996 die Dinge besser werden. fällen in Frage kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- ten der CDU/CSU) wie bei Abgeordneten der SPD) Unser Bürgschaftsmodell wird vielen Ostdeut- schen, die in 40 Jahren Sozialismus zuwenig Eigen- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem kapital ansammeln konnten, die Finanzierung durch Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick das Wo rt. die Bank möglich machen. Dies wird der Privatisie- rung von Wohnungsbeständen Auftrieb geben, die bisher allzuoft daran gescheitert ist, daß der kaufwil- Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Herr Präsident! lige Mieter die Finanzierung nicht leisten konnte. Meine Damen und Herren! Geprägt von einer ver- knöcherten Eigentumsideologie ist in der Bundesre- (Uwe Lühr [F.D.P.]: Sehr richtig!) publik Deutschland schon seit langem eine Entwick- lung im Gang, die die Wohnungspolitik lediglich auf Viertens. Das System der Investitionszulage hat Vermögenspolitik reduziert. Dabei herrscht in die- einen klaren Vorteil gegenüber dem bisherigen § sem Land Wohnungsnot, nicht Wohneigentumsnot. 10 e des Einkommenssteuergesetzes. Es ist einfach und für jedermann verständlich. Jeder kann genau Auf dem Lande und in den Vororten der Städte so- kalkulieren, mit welchen Beträgen er rechnen wie für Menschen, die am Ort ihr gesichertes Ein- kann. Dies war bisher sehr viel schwieriger und oft kommen haben nur unter Mithilfe des Steuerberaters möglich. Frau Eichstädt-Bohlig, die Investitionszulage wird auch (Otto Reschke [SPD]: Sie sind über Klein- an diejenigen gezahlt, die gar keine Steuern zah- Machnow nie hinausgekommen!) len, mit anderen Worten, an den untersten Einkom- - doch, ein Stück weiter bin ich schon gekommen -, mensbereich. Dies ist so. Nehmen Sie zur Kenntnis, ist Wohnungseigentum in Form von Einfamilienhäu- daß dies ein wesentlicher Gesichtspunkt des Ge- sern, Doppel- und Reihenhäusern - vor allem auch samtmodells ist. für Familien mit Kindern - eine akzeptable Wohn- form. (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie können doch hoffentlich Daß Eigenheimbau für Normalverdiener unter den rechnen, Herr Braun!) herrschenden Umständen mehr und mehr unbezahl- bar wird, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. Sicherlich sind wir nicht glücklich darüber, daß das Aber diese Akzeptanz besagt überhaupt nicht, daß Optionsmodell letztlich nicht zum Tragen kam. Aber das Wohnen zur Miete als etwas Minderwertiges ab- dadurch, daß wir auf diese Variante, die sehr viel qualifiziert werden darf. Für die Bewohner der Städte Sinn gemacht hätte, verzichtet haben, haben wir es ist es ganz normal, zur Miete zu wohnen - vor allem, zugleich ermöglicht, daß in anderen Bereichen eine wenn Mobilität im Berufsleben dazu zwingt. deutlich stärkere Förderung zum Tragen kam, und das begrüßen wir. Das Menschenrecht auf eine angemessene und be- zahlbare Wohnung für alle zu gewährleisten ist für Wir wollen sicherstellen, daß durch die Verände- uns Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Reform rung der Rahmenbedingungen der Wohneigentums- der Wohnungspolitik. An dieser Zielstellung messen förderung der befürchtete Einbruch im Wohnungs- wir auch die vorliegenden Anträge der SPD. bau nicht eintritt, mit dem wir sonst bereits Ende 1996 rechnen müßten. Dies würde erstens zu Lasten Widersinnig ist es, daß die SPD einerseits die Ge- des Arbeitsmarktes gehen und zweitens insbeson- nossenschaften stärken will, aber andererseits die dere zu Lasten der Mieter. Denn wenn weniger Woh- Zwangsprivatisierung von Genossenschaftswoh- nungen gebaut werden, wirkt sich dies auf den Miet- nungen in Ostdeutschland mitbeschloß und bis wohnungsmarkt aus, was wir alle in den letzten Jah- heute auch nicht bereit ist, diesen Fehler zu korrigie- ren erfahren und erlebt haben. ren. (Achim Großmann [SPD]: Das ist doch völli- Ich muß zum Schluß kommen und möchte mich ger Unfug!) - deshalb nicht mehr zur Frage der steuerlichen För- derung der Wohnungsgenossenschaften äußern, - Das stimmt. was allerdings für alle wohl von Interesse gewesen wäre. Zur Begründung für die Zwangsprivatisierung kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungs- Ich möchte nur betonen, daß das Interesse der Par- bestände in Ostdeutschland wird behauptet, daß do rt teien, die hier die Regierung stellen, und der Partei, der Anteil selbstgenutzter Eigentumswohnungen die im Bundesrat im wesentlichen das Sagen hat, an laut IFS-Studie von 1993 nur 26,4 % betrug. Dabei der Wohneigentumsförderung offenkundig ist. Ich werden rund 17 % Genossenschaftswohnungen nicht bin überzeugt davon, daß wir es schaffen werden, mitgezählt. Das entspricht voll und ganz dem Denk- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3883

Klaus-Jürgen Warnick schema der Bonner Koalition, die genossenschaftli- Viertens. Notwendig ist auch eine wesentlich stär- ches Eigentum als minderes Eigentum abqualifiziert. kere öffentliche Förderung des genossenschaftli- chen Wohnungsbaus. Wir sind für eine steuerliche (Otto Reschke [SPD]: Sie nehmen noch die Gleichstellung der Wohnungsbaugenossenschaften Datschen mit dabei!) mit den Selbstnutzern und für eine steuerliche Förde- - Da müssen Sie IFS fragen. - Rechnet man das ge- rung der Geschäftsanteile, die Genossenschaftsmit- nossenschaftliche Wohneigentum nämlich hinzu, er- glieder ihrer Genossenschaft zur Verfügung stellen. gibt sich für die westlichen Bundesländer eine Wohn- Fünftens. Gleichermaßen zu fördern ist auch der eigentumsquote von ca. 46 % und für die östlichen kommunale Wohnungsbau, der gemeinnützigen Bundesländer eine Wohneigentumsquote von ca. Prinzipien folgt und der für wirtschaftlich Schwache, 43%. deren Einkommen für eine Beteiligung am genossen- Wie unehrlich die Privatisierungspolitik der Bun- schaftlichen Wohnungsbau nicht ausreicht, sowie für desregierung ist, wird auch an den Ergebnissen andere Haushalte mit Zugangsproblemen unver- deutlich. Wer erwarb denn die Grundstücke, die zichtbar ist. Finanzierungsquellen können durch den Häuser und Wohnungen im Beitrittsgebiet, das Wegfall ungerechtfertigter Steuervorteile und Ab- schreibungsregelungen sowie durch weitgehende Volkseigentum, also das Eigentum der Bevölkerung der DDR? Mehr als zwei Drittel der privatisierten Abschöpfung von Planungs- und Spekulationsge- kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen winnen bei Grundstückskäufen erschlossen werden. gingen nicht an die Menschen, für die man angeb- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. lich die Privatisierung so knallhart durchboxt, son- dern an westdeutsche Kapitalanleger. (Beifall bei der PDS) Der Vorsitzende der Expertenkommission „Woh- nungspolitik", Professor Sinn, berichtete in der letz- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das ten Bauausschußsitzung, daß nur 5 % der über die Wort dem Abgeordneten Dr. Michael Meister. Treuhand verkauften Wohnungen an Ostdeutsche gingen, 86 % an wohlhabende Bürger Westdeutsch- (CDU/CSU): Herr Präsident! lands, an Banken und an Immobilienfirmen sowie Dr. Michael Meister Meine Damen und Herren! Mit der Neuregelung der 9 % an Investoren mit ausländischem Kapital. Zwei Wohneigentumsförderung beweist die Koalition nach Drittel der restituierten Wohnungsbestände sind be- der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs er- reits in den Händen Westdeutscher. neut ihre Kompetenz für die Familie. (Zuruf von der CDU/CSU: Waren sie denn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gehindert?) um 50 % von Statt Wohneigentum für Ostdeutsche zu bilden, er- Die Erhöhung des Baukindergeldes folgte ein in Deutschland einmaliger Vermögens- 1 000 DM auf 1 500 DM unterstreicht den hohen Stel- lenwert der Familie in der Politik der Union. transfer, und dies wurde mit Milliarden an Steuergel- dern auch noch gefördert, und es wird heute noch (Beifall bei der CDU/CSU) gefördert. Heuchlerisch ist es, dies dann auch noch als Aufbauleistung und Transferleistung für Ost- Mit dieser Offensive für mehr Wohneigentum vor- deutschland zu verkaufen. rangig für die Familien mit Kindern wird das Baukin- dergeld um 1,8 Milliarden DM auf insgesamt 5 Mil- Da uns permanent Eigentumsfeindlichkeit vorge- liarden DM angehoben. Die SPD, wie es Frau Mat- worfen wird, möchte ich in fünf Stichpunkten unsere thäus-Maier verlautbaren ließ, springt mit ihrem Mo- Positionen benennen: dell von einem Baukindergeld von 1400 DM eindeu- Erstens. Wir sind für die Bildung von selbstgenutz- tig zu kurz. tem Wohneigentum, wo sie sinnvoll und wirtschaft- (Zuruf des Abg. Achim Großmann [SPD]) lich machbar ist. Eine Begrenzung der Wohnungs- bauförderung allein auf die Eigentumspolitik lehnt - Am 13. Juni wurde das veröffentlicht, Herr Kollege die PDS ab. Großmann. Zweitens. Wir lehnen die steuerliche Förderung Angesichts des Haushaltsmoratoriums in dem Ko- beim Erwerb von Wohnungen aus dem Bestand ab; alitionsvorschlag von 1 500 DM setzt unser Vorschlag denn die Umwandlung von Miet- in Eigentumswoh- nungen schafft keine neuen Wohnungen. Statt des- (Achim Großmann [SPD]: Jetzt wiederholen sen werden preiswerte Wohnungen vernichtet und Sie den Unsinn von Frau Rönsch!) der Wohnflächenkonsum gesteigert. eindeutig einen Schwerpunkt bei Familien mit Kin- Drittens. Für uns bleibt die Forderung nach ersatz- dern, und dies wird mit dieser Reform eindrucksvoll loser Streichung der Zwangsprivatisierung von umgesetzt werden. kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) im Altschuldenhilfe-Gesetz auf der Tagesordnung, so wie es uns Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland immer wieder als vorrangi- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, gen Auftrag mit auf den Weg nach Bonn geben. gestatten Sie eine Zwischenfrage? 3884 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Gerne, Herr Präsi- -samtvolumen noch eingehen. Ich gehe davon aus, dent. daß die Länder, da sie ja wie der Bund einen Anteil zu finanzieren haben, sehr wohl das Gesamtvolumen Achim Großmann (SPD): Herr Kollege Meister, um sich vornehmen und dabei auch erkennen werden, das direkt richtigzustellen: Baukindergeld kann man daß das SPD-Modell, was vorgelegt worden ist, das ja nur dann miteinander vergleichen, wenn man Moratorium nicht einhält, und deshalb gehe ich da- auch die Laufzeit miteinander vergleicht. Die SPD von aus, daß ein weiteres Schlachtfeld eröffnet wird, fordert seit mehreren Jahren, seit fast zehn Jahren, auf dem sich dann Herr Schröder und Herr Schar- das Baukindergeld auf 1 200 DM aufzustocken, es ping streiten werden, wie die Frage zu lösen ist. aber zehn Jahre zu zahlen. Das würde 12 000 DM (Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der entsprechen. F.D.P.: Sehr wahr! - So ist es!) Was Sie jetzt vorlegen, 1 500 DM acht Jahre lang Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Vor- zu zahlen, ergibt auch 12 000 DM. Wären Sie bereit, schlag einer Bauzulage mit einer Grundförderung für zur Kenntnis zu nehmen, daß wir über dieselbe acht Jahre über je 5 000 DM für Neubauten und je Summe Baukindergeld reden und daß Sie erst nach 2 200 DM für Altbauten unter Beibehaltung der be- mehreren Jahren auf unsere Forderung eingegangen stehenden Einkommensgrenzen trägt ebenso unse- sind? ren Zielen der Koalitionsvereinbarung Rechnung. (Zuruf von der CDU/CSU: Liquiditätspro Kein anderes Modell kann ähnlich einfach in die bleme in den ersten Jahren!) tägliche Praxis umgesetzt werden. Die CDU/CSU- Fraktion begrüßt diese Verfahrensvereinfachung; sie Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Herr Kollege sorgt für mehr Transparenz bei den Bauwilligen und Großmann, es spielt natürlich schon eine Rolle, wann innerhalb der Verwaltung. Damit ist sie auch den man das Geld bekommt. Wenn ich das Wohneigen SPD-Vorstellungen deutlich überlegen, etwa hin- tum erwerbe, dann habe ich natürlich in der An- sichtlich der dort angedachten absinkenden Förder- fangsphase, in den ersten Jahren die Hauptliquidi- beiträge, gestaffelt nach Einkommensgrenzen. tätsprobleme, und deshalb ist es nach unserer Mei- nung notwendig, daß do rt das Geld gezahlt wird. Wir bekennen uns auch zu dem Ziel der Steige- rung der Wohneigentumsquote deutlich über 40 % (Beifall bei der CDU/CSU) hinaus und zur Senkung des Durchschnittsalters von 38 Jahren, in dem heute Wohneigentum erworben Ich hoffe, daß das die Antwort von unserer Seite ist. wird. Deshalb konzentrieren wir öffentliche Förder- Beachtlich fand ich in dem Zusammenhang auch mittel auf den Personenkreis, der ohne diese Hilfe die Kritik der Grünen, die ja in diesen Bereich hinein kein Wohneigentum bilden kann. Die Bezieher mitt- kritisiert haben, daß die 7,4 Milliarden DM Wohn- lerer Einkommen werden in unserem Modell bewußt eigentumsförderung zu hoch seien. bevorzugt und auch nicht als Schwellenhaushalte be- zeichnet, um gerade ihnen die Tür zur Eigentumsbil- Meine Damen und Herren, ein Drittel dieses Gel- dung zu öffnen. Hierbei handelt es sich auch nicht des geht für das Baukindergeld in Richtung Familie, um eine sozialpolitische Transferleistung, sondern und mich überrascht schon, daß die Fraktion BÜND- um eine Verbesserung der Treffsicherheit der Förde- NIS 90/DIE GRÜNEN hier die Familienförderung kri- rung und einen effizienteren Einsatz der Fördermit- tisiert. tel.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, (Achim Großmann [SPD]: Alles bei uns ab- entschuldigen Sie bitte; gestatten Sie eine Zwischen- geschrieben!) frage der Kollegin Rönsch? Wir stehen für finanzpolitische Solidität, Herr (Zuruf von der SPD: Sie will Ihnen helfen; Großmann, sagen Sie ja!) (Achim Großmann [SPD]: Alles bei uns ab- geschrieben!) Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Gern, Frau Kolle- gin Rönsch. und halten mit unserem Vorschlag die Auf kommens- neutralität - Herr Reschke hat vorhin die Rechnung angesprochen - ein. Wir haben unser Modell gerech- Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Herr net, aber die SPD-Wünsche nach Mehrausgaben las- Kollege Dr. Meister, stimmen Sie mit mir überein, sen einmal mehr offen, woher die zusätzlichen Gel- - daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion viel- der kommen sollen. leicht ihre Finanzierung erst einmal in Niedersach- sen vorlegen sollte? Denn dann wird sie wieder auf (Beifall bei der CDU/CSU - Achim Groß- Normalmaß reduziert. mann [SPD]: Sie haben nicht zugehört!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Die Frage, die Herr Kollege Reschke an den Fi- nanzminister adressiert hat, müßten Sie einmal an die Frau Kollegin Matthäus-Maier richten. Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Kollegin Rönsch, ich werde auf die Frage der Länder (Achim Großmann [SPD]: Sie haben nicht und den Finanzierungsanteil der Länder und das Ge zugehört!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3885

Dr. Michael Meister Auch die Äußerung der Kollegin Eichstädt-Bohlig, stehen wir eindeutig auch im Einklang mit den Vor- die sich eindeutig für eine Reduzierung der Eigen- schlägen der Expertenkommission „Wohnungspoli- tumsförderung ausgesprochen hat, ist sehr interes- tik" . Deshalb war es nach unserer Meinung sehr sant; denn das heißt letztendlich, daß die Fraktion wohl sinnvoll, Herr Kollege Reschke, zunächst diese BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht an einer höheren Vorschläge abzuwarten und dann Modelle zu ent- Eigentumsquote interessie rt ist, sondern hier für eine wickeln. Sozialisierung votiert. Mit diesen Maßnahmen wird auch der besonderen Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koa- Situation in den neuen Bundesländern Rechnung ge- lition ist handlungsfähig. tragen, und wir vermeiden es auch, unterschiedliche (Achim Großmann [SPD]: Das merkt man!) Rechtslagen herbeizuführen, was den § 10e bet rifft. Als Wohnungsbaupolitiker haben wir erreicht, daß Eine Differenzierung zwischen Bestand und Neu- mit der Abkopplung vom Jahressteuergesetz 1996 bau halten wir ebenso wie die SPD auf Grund der Platz für unsere Argumente als Wohnungsbauer ge- „Sickereffekte" für gerechtfertigt. Eine einheitliche schaffen wurde. Mit dem Inkrafttreten am 1. Januar Behandlung hätte eine Absenkung der Bauzulage 1996 erweisen sich auch Ihre Angriffe, die Sie in den bei Neubauten deutlich unter 5 000 DM pro Jahr be- vergangenen Monaten erhoben haben, als reine Po- deutet. Eine solche Alternative halten wir für nicht lemik, Herr Großmann. Ich kann Ihre Aufregung akzeptabel. Zudem stellt die Möglichkeit, Reparatur- durchaus verstehen. Ich lade Sie herzlich ein, auf kosten bis zu 22 500 DM beim Vorkostenabzug gel- Ihre parteipolitische Profilierung, die Sie betrieben tend zu machen, ein gewisses Ausgleichselement bei haben und die Sie auch beim Familienleistungsaus- Altbauten und der do rt vorhandenen geringeren gleich nach wie vor betreiben, Grundförderung dar. (Achim Großmann [SPD]: Sie können die Meine Damen und Herren, die Union möchte den Leute doch nicht für dumm verkaufen!) Zwang zum Schuldenmachen im Steuerrecht nicht weiter befördern. Deshalb setzen wir uns gleichzeitig zu verzichten und hierüber - wie es der Kollege Dörf- für eine Verbesserung der Vorsparförderung als ein linger schon vorgeschlagen hat - mit uns in einen wesentliches Element zur Anhebung der Eigentums- Dialog einzutreten, um zu einer gemeinsamen Lö- quote ein. Herr Kollege Dörflinger ist auf die Daten sung, zu einem gemeinsamen Modell zu kommen. bereits eingegangen. (Achim Großmann [SPD]: Das ist nicht fair, (Achim Großmann [SPD]: Da haben Sie sondern eine Verdummdeubelung!) aber erst einmal Ihren Finanzminister über- Daß die SPD-Fraktion bei der Beratung ihres An- zeugen müssen!) trages von einem durchgerechneten Modell über- rascht wird, zeigt nach meiner Meinung eindrucks- Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch Ih- voll die Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Re- rer Idee mit der Kumulation bei Ehepartnern läßt gierungskoalition. sich im ersten Moment einiges abgewinnen. Wenn man jedoch etwas genauer hinsieht, erwachsen dar- (Achim Großmann [SPD]: Das haben Sie aus auch eine Menge Nachteile. Ich nenne hier das jetzt schon zwei- oder dreimal gesagt!) Stichwort Alleinerziehende, die dadurch offenkundig benachteiligt würden. Die Bundesregierung wird dieses Modell als Stel- lungnahme zu Ihrem Antrag in den Ausschüssen ein- (Achim Großmann [SPD]: Lesen Sie unseren bringen. Antrag! Das steht alles bei uns drin!) Von seiten der Koalitionsfraktionen besteht der fe- Die Kumulation, Herr Kollege Großmann, erfordert ste Wille, diese Reform zum 1. Januar 1996 in Kraft auch niedrigere Einkommensgrenzen und das stu- zu setzen. Klare Bedingungen für die Häuslebauer fenweise Auslaufen der Grundförderung. Genau das und für die Bauwirtschaft werden allen helfen. erzeugt neue Bürokratie und weniger Durchschau- (Achim Großmann [SPD]: Und die Koalition barkeit bei denjenigen, die gefördert werden. ist handlungsfähig!) (Achim Großmann [SPD]: Sie haben unse- Meine Damen und Herren, in acht Jahren erhält ren Antrag gar nicht gelesen!) eine Familie mit zwei Kindern nach unserem Modell eine direkte Zulage von 64 000 DM beim Neubau - Ich habe Ihren Antrag sehr wohl gelesen, Herr Kol- und von 41 600 DM beim Altbau. Den Bürgern in den lege Großmann, und Kollege Maaß kann ja nachher neuen Bundesländern nutzt diese progressionsunab- noch einmal dazu Stellung nehmen. hängige Lösung besonders. Sie konnten auf Grund der Einkommensunterschiede bisher nur selten in Gestatten Sie mir abschließend zu dem zweiten den Genuß einer Förderung nach dem bestehenden Antrag der SPD zu den Genossenschaften noch ein § 10e des Einkommensteuergesetzes kommen. paar Worte. Unser Ziel als Unionsfraktion ist die För- derung des Wohneigentums. Eigentum zeichnet sich Um der knappen Eigenkapitalsituation in den dabei durch die Verfügungsgewalt des Eigentümers neuen Bundesländern Rechnung zu tragen, haben aus. Wir sind gern bereit, auch darüber in den Aus- wir zusätzlich ein Bürgschaftsmodell vorgesehen, schüssen mit Ihnen eine Diskussion zu führen, wie um hier eine Abstützung zu gewährleisten. Damit wir den Eigentumsbegriff in diesem Zusammenhang 3886 Deutscher Bundestag 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Michael Meister definieren und wie wir dann für diesen Eigentumsbe- Wir wollen damit erreichen, daß die Wohnungsver- griff auch eine Förderung bestimmen. sorgung für Familien mit mittleren Einkommen durch die Wohungsbaugenossenschaften gestärkt Herzlichen Dank. wird. Privates gemeinschaftliches Eigentum mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dauernden Nutzungsrechten gibt den Nutzungsbe- rechtigten Sicherheit in der Wohnungsversorgung auf Lebenszeit. Diese Rechte können in den Satzun- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem gen sogar vererbbar ausgestaltet werden - wie wir Abgeordneten Dieter Maaß das Wo rt. meinen, ein Stück sozialer Sicherheit. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wissen Sie Dieter Maaß (Herne) (SPD): Herr Präsident! Meine noch, wann die Neue Heimat ihren Woh- Damen und Herren! Seit Monaten verkündet die' nungsbau aufgegeben hat für eine Mark?) Bundesregierung stolz ihre Erfolge im Wohnungs- bau. - Auch darüber können wir noch sprechen. - Dies ist eine Wohnmöglichkeit, die der Eigentumswohnung (Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!) als Form des individuellen Eigentums nahekommt. Da ich selbst in einer Genossenschaftswohnung Was aber fehlt, sind Wohnungen zu sozialverträg- wohne, weiß ich, wovon ich spreche. lichen Mieten. Dieser Mangel ist bei weitem nicht beseitigt, und dies kritisieren wir an Ihrer Politik. Ein wesentlicher Vorteil genossenschaftlichen (Zuruf von der CDU/CSU: Ach was, das Wohnens soll an dieser Stelle nicht unerwähnt blei- geht doch schon wieder in die andere Rich ben - jetzt passen Sie genau auf -: Über alle wichti- tung!) gen Entscheidungen in der Genossenschaft - das gilt insbesondere für den Einsatz genossenschaftlichen Länger als zwei Jahre haben Sie unsere Vor- Kapitals - wird demokratisch entschieden, entweder schläge blockiert, indem Sie auf das zu erwartende direkt durch die Mitglieder oder über ein Delega- Ergebnis der von Ihnen 1992 eingesetzten Experten- tionsverfahren. Über Jahrzehnte sind diese demokra- kommission verwiesen haben. Dazu gehörte auch tischen Entscheidungsprozesse entwickelt worden. unser Antrag „Förderung des genossenschaftlichen Diesen Bestandteil gelebter Demokratie wollen wir Wohnungsbaus". Nun liegt das Expertengutachten Sozialdemokraten stärken. vor. 964 Seiten sind es geworden; lediglich zwei Sei- ten davon beschäftigen sich mit Wohnungsbauge- (Beifall bei der SPD) nossenschaften - ein bißchen wenig, wie ich finde. Ziel ist vor allem die Aktivierung privaten Kapi- Denn nach Angaben des Gesamtverbandes der tals, über das die Genossenschaftsmitglieder verfü- Wohnungswirtschaft gibt es insgesamt 1 950 Woh- gen und das für den Wohnungsneubau eingesetzt nungsbaugenossenschaften, davon 800 in den neuen werden kann. Dafür sollen sie dann eine Förderung Bundesländern. 3 Millionen Frauen und Männer sind erhalten, die der Förderung des selbstgenutzten Mitglieder. Der Wohnungsbestand liegt bei Wohneigentums vergleichbar ist. Wir machen in un- 2,2 Millionen; mehr als 7 % der Bevölkerung leben serem Antrag dafür Vorschläge. Der wesentliche ist, somit in Genossenschaftswohnungen. Wohnungs- daß die steuerliche Begünstigung nicht ausschließ- baugenossenschaften gibt es vor allem in Groß- und lich auf das Eigenkapital gerichtet sein darf; es muß Mittelstädten. Sie sind die Anbieter preiswerten und auch auf die Herstellungskosten anwendbar sein. bedarfsgerechten Wohnraums, geeignet für Familien Wenn durch die steuerliche Förderung Mitglieder mit Kindern und ältere Menschen. von Genossenschaften in die Lage versetzt werden, Sondergeschäftsanteile von ihrer Genossenschaft zu Die Kapitalbeteiligung der Mitglieder in Genos- erwerben, dann wird dem Wohnungsbau über die senschaftsanteilen in den alten und den neuen Bun- Genossenschaften viel privates Kapital zufließen. desländern liegt bei 5 Milliarden DM. Derzeit inve- stieren die Wohnungsbaugenossenschaften in den al- Es wird ein Angebot gemacht für Bürgerinnen und ten Bundesländern rund 2,5 Milliarden DM in den Bürger in unserem Land, die einerseits auf Grund ih- Neubau und bis zu 1 Milliarde DM in die Bestandser- res Einkommens für den sozialen Wohnungsbau haltung und Modernisierung. In den neuen Bundes- nicht mehr in Frage kommen, deren Einkommen ländern wurden allein 1994 rund 7 Milliarden DM in aber andererseits für den frei finanzierten Woh- den Bestand investiert. Zusammen ergibt sich also nungsbau zu gering ist. Dies kann doch nur im Inter- ein Volumen von ca. 10 Milliarden DM. esse der Bundesregierung sein, die der Wohnungs- bauförderung immer weniger Geld zur Verfügung - Wenn man diese Zahlen betrachtet, so ist die Fest- stellt und angesichts knapper Kassen auf die Aktivie- stellung im Expertengutachten, daß die meisten Ge- rung von privatem Kapital angewiesen ist. nossenschaften nicht mehr in den Wohnungsbau in- vestieren, weil sie nicht mehr der Baupflicht nach Ich warne aber davor, unseren Antrag nur von der dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz unterlie- steuerlichen Betrachtungsweise her zu beurteilen. Es gen, schlicht falsch. Nach wie vor investieren Genos- geht auch darum, genossenschaftliches Eigentum senschaften in den Wohnungsbau, und das wollen nicht als Eigentumsform zweiter Klasse anzusehen. wir mit unserem Antrag noch forcieren. Nach meiner Auffassung entspricht mittelbares Ei- gentum viel stärker der Forderung des Grundgeset- (Beifall bei der SPD). zes in Art. 14 Abs. 2. 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Dieter Maaß (Herne) Meine Damen und Herren, über eine angemessene Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte. Wohnungsversorgung der Menschen hinaus gibt es für Wohnungsbaupolitiker weitere Schwerpunkte. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Kol- Ich will sie stichwortartig nennen: kostensparendes lege Maaß, stimmen Sie mir zu, daß das Opfer, das Bauen, ökologisches Bauen, Wohnen im Alter, An- ein Genossenschaftsmitglied bei Rückgabe seines bieten von Sozialeinrichtungen, betreutes Wohnen. Anteils finanziell zu erbringen hat, einfach zu groß ist Sich dieser Aufgaben anzunehmen, fühlen sich Ge- und daß deswegen die Mobilität, d. h. die Bereit- nossenschaften verpflichtet. Beispiele dafür gibt es schaft, zu einem anderen Ort zu wechseln, wo man bereits, z. B. die Bielefelder Freie Scholle mit ihrem z. B. eine berufliche Chance hätte, eingeschränkt integrierten Altenhilfezentrum. Wir Sozialdemokra- wird? ten erkennen diese Leistung an und wollen sie stär- ker unterstützen. Ein Beitrag dazu ist unser vorlie- gender Antrag. Dieter Maaß (Herne) (SPD): Woher wissen Sie das? Man kann doch Regelungen schaffen, durch die Ich wundere mich, daß die Unterstützung aus den diese Dinge organisiert werden. Es gibt beispiels- Reihen der C-Parteien bisher weitgehend ausgeblie- weise in den skandinavischen Ländern solche Mo- ben ist, weil kirchlicher Wohnungsbesitz häufig auf delle. genossenschaftlicher Grundlage beruht. Wenn es aber um soziale Gerechtigkeit geht - so sollte unser (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Auch bei Antrag gesehen werden -, sind wir Sozialdemokra- uns!) ten eben immer noch die beste Adresse. Wir können uns diese gemeinsam ansehen. Das ist Unser Antrag beinhaltet zusätzlich den Auftrag an also durchaus möglich. die Bundesregierung, den Genossenschaftsgedan- Wir möchten ganz sichergehen, daß der Baumini- ken auf der Grundlage des heute gültigen Rechts of- ster seine Absicht, den Genossenschaftsgedanken fensiv zu vertreten und dessen Möglichkeiten an ohne Änderung bestehender Gesetze weiterzuent- Hand von geeignetem Mate rial öffentlichkeitswirk- wickeln, in die Tat umsetzt. sam darzustellen. Meine Damen und Herren, am 2. und 3. Mai dieses Jahres fand in Lübeck ein Kongreß der deutschen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Wohnungsbaugenossenschaften statt. Die Fraktio- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten nen des Deutschen Bundestages hatten Vertreter zur Hildebrecht Braun? Eröffnung entsandt; es gab viele freundliche Worte zur Begrüßung. Auf diesem Kongreß wurde ein Ma- nifest verabschiedet, in dem es unter Punkt 5 heißt: (Herne) (SPD): Bitte schön. Dieter Maaß Ein Genossenschaftsmitglied investiert privates Kapi- tal für die wohnliche Selbstversorgung und kann zu Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Kol- Recht die gleiche steuerliche Förderung erwarten lege Maaß, könnten Sie sich vorstellen, daß die zö- wie für selbstgenutztes Wohneigentum. gerliche Haltung der jeweiligen Regierungskoalition Meine Damen und Herren, wir sehen dies ganz ge- in diesem Land im Hinblick auf eine steuerliche Un- nauso. Deshalb haben wir diesen Antrag einge- terstützung der Wohnungsgenossenschaften ihren bracht. Ich fordere Sie auf, ihn in den anstehenden Grund darin haben könnte, daß das Genossen- Ausschußberatungen zu unterstützen. schaftsrecht insgesamt einer dringenden Modernisie- rung bedürfte, damit es der heutigen Zeit und den Schönen Dank. Erfordernissen insbesondere im Hinblick auf die Mo- bilität der Genossenschaftsmitglieder gerecht wird? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der PDS)

(Herne) (SPD): Herr Braun, dies kann Dieter Maaß Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun ich überhaupt nicht nachvollziehen. Warum sollen dem Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen Genossenschaftsmitglieder nicht mobil sein? Man und Städtebau, Dr. Klaus Töpfer, das Wo rt . kann die Geschäftsanteile doch zu den gleichen Be- dingungen, zu denen man sie erworben hat, wieder an die Genossenschaft veräußern. Das ist doch nur Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- eine Frage der Logik. Genossenschaftsmitglieder nung, Bauwesen und Städtebau: Herr Präsident! sind heute genauso mobil wie Mieter anderer Woh- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich nungen. Diese Frage verstehe ich nicht. möchte mit Freimut gestehen: Der heutige Tag ist für den Bauminister ein guter Tag. (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Darf ich noch eine Frage stellen?) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Heute morgen haben wir zusammen mit der Perso- nal- und Sozialkommission eine Regelung für die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie eine weitere Frage? Wohnungsförderung der von Bonn nach Berlin Um- ziehenden gefunden und das Personalkonzept ein- vernehmlich verabschiedet. Heute nachmittag haben Dieter Maaß (Herne) (SPD): Ja. wir beides auch im Kabinett so verabschiedet. 3888 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Wir haben heute nachmittag im Kabinett auch die Die Regelung muß auch familienfreundlicher sein. neue Förderung des selbstgenutzten Wohneigen- Wenn ein Polizeibeamter mit zwei Kindern nicht tums verabschiedet. Dies ist nun wirklich ein ganz mehr sein eigenes Haus bauen kann, ist in unserem wichtiger Schritt in dieser Legislaturpe riode. Land etwas falsch. Deswegen müssen wir das gezielt verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abge- Die Reaktionen auf diese Arbeit sind durchaus er- ordneten I ris Gleicke und Achim Großmann freulich, zumindest so, daß man weiß: Wir sind in die [SPD]) richtige Richtung gegangen. Hier kommen wir auch Das ist nur ein Beispiel. Ich bin gerne bereit, andere zum Ziel, nämlich am 1. Januar 1996 eine neue Rege- zu ergänzen. lung im Gesetzblatt stehen zu haben. Damit verbunden brauchen wir natürlich eine Kon- Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen zentration auf die Schwellenhaushalte, wie man Baugewerbes, Herr Eichbauer, schreibt, er rechne technisch sagt, also auf diejenigen, die an der damit, daß die neue Lösung und weiter niedrige Zin- Schwelle dazu stehen, die Entscheidung für ein Ei- sen zu einer gewissen Stabilisierung im Wohnungs- genheim zu treffen. Das sind auch die, die begünstigt bau beitragen. werden sollen. Wenn eine Familie mit zwei Kindern und einem Die Landesbausparkassen sagen, die Eckwerte des Bruttojahreseinkommen von 62 000 DM und einem Modells seien ein entscheidender Schritt zu einer zu versteuernden Einkommen von 50 000 DM durch dauerhaften tragfähigen Reform, die Nachfolgerege- unsere Regelung 64 000 DM Zulage bekommt und lung zu § 10e biete eine gute Basis für die Zukunft damit etwa 9 500 DM mehr als bei der alten Rege- und bevorzuge gerade die mittleren Einkommensbe- lung, ist das ein Zeichen dafür, daß wir genau die er- zieher deutlich. reichen, die wir erreichen müssen, wenn wir die Ei- Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen gentumsquote erhöhen wollen. Katholiken, Frau Waschbüsch, sagt, daß die Aufstok- Natürlich kippt dies bei hohen Einkommen um. Bei kung des Baukindergeldes von 1 000 auf 1 500 DM einem zu versteuernden Einkommen von über pro Kind außerordentlich zu begrüßen sei. Sie fährt 100 000 DM wird es weniger geben als bisher. Ich fort, daß zugleich der Koalitionsplan, die Wohnungs- mache daraus überhaupt keinen Hehl: Wenn wir auf- bauförderung generell verstärkt auf Familien mit kommensneutral umverteilen, um die Schwellen- mittlerem Einkommen auszurichten, sehr zu begrü- haushalte besser zu erreichen, steht selbstverständ- ßen sei. lich an anderer Stelle etwas weniger zur Verfügung. Wir haben also auch in diesem Bereich etwas er- Das waren drei Reaktionen auf unseren Entwurf. reicht. Dadurch ist eine sozialere Ausgestaltung mög- Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. lich geworden. Auch unser Kollege Großmann sagt, dies sei ein Diese ganz wichtige Entwicklung wird durch die großer Schritt hin zu einer parteiübergreifenden Lö- Vorsparförderung flankiert. Meine Damen und Her- sung. Da bin ich sicher: Wir haben am 1. Januar 1996 ren, lassen Sie mich auch das ganz deutlich sagen: eine neue Förderung des selbstgenutzten Wohn- Das hat gesellschaftspolitische und auch gesamtwirt- eigentums. schaftliche Vorzüge. Es ist belegt, daß diejenigen, die gezielt auf Wohneigentum hin sparen, bei gleichem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Einkommen eine höhere Sparquote aufweisen als diejenigen, die das nicht tun. Wir brauchen in unse- Meine Damen und Herren, die Eckpunkte sind rer Gesellschaft mehr Sparen; das ist - ich sage das dargestellt worden. Sie sind in dieser für meine Be- noch einmal - Vorsorge für die Zukunft und für das griffe gut genutzten Zeit nur erreichbar gewesen, Alter. Das dient der Stabilisierung des Kapitalmarkts; weil wir wirklich gut zusammengearbeitet haben. denn das Kapital braucht unsere Gesellschaft, unsere Deswegen darf ich in ganz besonderer Weise den Wirtschaft dringlich. Wir müssen die gesamtwirt- Kollegen aus den Koalitionsfraktionen herzlich dan- schaftliche Sparquote stabilisieren, damit wir auch ken, die sich mit großem Engagement darum geküm- die großen Aufgaben, die wir zu bewäl tigen haben, mert haben, daß wir dorthin gekommen sind. Auch lösen können. Wenn wir fast eine Verdoppelung der das sollte man dabei deutlich gesagt haben. Einkommensgrenzen bei der Bausparförderung er- reichen, ist das ohne jeden Zweifel eine gute, eine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sinnvolle Sache. Was ist unser Ziel, meine Damen und Herren? Wir Natürlich - ich sage es noch einmal - kann man da- wollen vereinfachen. Der bisherige § 10e ist in seiner mit viele zusätzliche Fragen verbinden. Frau Eich- Undurchsich tigkeit eigentlich schon unsozial. Gar städt-Bohlig, aus vorangegangenem Tun werden Sie keine Frage: Wenn ihn nur noch wenige Fachleute sicherlich gut nachvollziehen können, daß ich gern verstehen, kommt derjenige, der sich den besseren auch eine ökologische Komponente in Betracht Steuerberater nicht leisten kann, zu kurz. Die Rege- zöge. Aber ich muß mich immer fragen, wozu das lung muß einfach sein. führt. Ich bekomme Beifall dafür, daß ich ein Gesetz einfacher, überschaubarer mache, und gehe hinter- (Achim Großmann [SPD]: Ich finde es sehr her selber hin, hänge noch ziemlich viele zusätzliche gut, daß Sie das sagen!) Zielwerte an und mache damit das Gesetz wieder Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3889 Bundesminister Dr. Klaus Töpfer weniger handhabbar und damit, wie ich meine, wie- Deswegen frage ich jetzt nicht: Wer hat an welchem der etwas weniger sozial. Lassen Sie uns also dar- Tag dieses oder jenes vor dem anderen gedacht? über nachdenken, wie wir anders vorgehen können. Vielmehr frage ich: Ist das eine sinnvolle Lösung? Ich Wir haben eine Wärmeschutzverordnung. Diese muß sage noch einmal: Sie ist äußerst sinnvoll, gerade in diesem Jahrzehnt noch einmal novelliert werden; auch für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen daran ist an anderer Stelle zu arbeiten. Überfrachten Bundesländern. wir also nicht ohne Not ein Instrument! Denn da- durch bleiben die Überschaubarkeit und die Verwal- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tungsvereinfachung wieder auf der Strecke. Ich kann der F.D.P. und dem Kollegen Braun dazu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nur gratulieren, daß wir der Förderung eine Bürg- schaftsvariante hinzugefügt haben. Es ist sicherlich Es hat bei uns viele andere Diskussionen gegeben. ein sinnvolles und vernünftiges Vorgehen, gerade Ein wichtiger Punkt ist für uns natürlich: Wie wirkt den Nachteil auszugleichen, den man in den neuen unser Handeln in den neuen Bundesländern? Es ist Bundesländern hat, weil man keine Haftungsmög- eigentlich eine ökonomische Banalität, daß ein In- lichkeit einbringen kann und damit im Zweifel teu- strument, das nicht mehr an die Steuerprogression rere Kredite bekommt. Ich bin mit Ihnen der Mei- anknüpft, dort besser wirkt, wo die Einkommen noch nung, bei der Bürgschaftsgewährung sollte es keine niedriger sind. Diese Zulageregelung bedeutet eine Bürokratie geben; vielmehr sollten wir weiter helfen. in ganz besonderer Weise für die Bürgerinnen und Einen letzten Satz zu den Genossenschaften. Die Bürger in den neuen Bundesländern geeignete Um- Zeit - es ist schon schlimm - geht immer so schnell stellung. herum. Ich hatte gedacht, ich hätte elf Minuten, aber ich habe nur zehn. Wissen Sie, Herr Braun, diese (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine Minute fehlt mir jetzt.

Jetzt erreichen wir dort Eigentumsbildung. Herr Kollege Maaß, ich sage Ihnen ganz ehrlich: Genossenschaften bedeuten für mich fast ein Stück Ich wage zu behaupten, daß der alte § 10e in den innerer Überzeugung. Ich bin in einer Wohnung ei- neuen Bundesländern bisher nur sehr, sehr wenig ner Kolping-Wohnungsgenossenschaft in Walden- gewirkt hat. burg in Schlesien geboren worden. Daran hat noch mein Vater mitgearbeitet. Da konnte wirklich eine (Otto Reschke [SPD]: Das haben wir immer Muskelhypothek mit eingebracht werden. Das hört bestätigt!) sich zwar ein bißchen nostalgisch an. Ich möchte aber wieder dahin kommen, das so zu machen. Aller- - Nun freuen Sie sich doch bitte einmal darüber, daß dings möchte ich mehr Eigentumsqualität für das ich ein Argument aufgreife, von dem Sie sagen: Wir Mitglied einer Genossenschaft haben. haben schon so gut gedacht, wie du jetzt endlich auch denkst. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

(Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgit Wenn wir das erreichen können, dann sind wir ein ter] [SPD]) Stück weiter.

Das ist doch irgendwie nachvollziehbar. Wenn der Wir können nicht alles auf einmal machen. Lassen Kollege Großmann uns bescheinigt, das sei ein gro- Sie uns ein bißchen Zeit. Ich bin der Überzeugung, ßer Schritt hin zu einer parteiübergreifenden Lösung, daß wir auch die Frage der Selbsthilfe in Angriff neh- dann können Sie mir doch nicht hinterher vorwerfen, men könnten. Außerdem bin ich der Meinung, daß daß ich etwas gedacht habe, was Sie möglicherweise das, was Frau Eichstädt-Bohlig an anderer Stelle ge- auch schon gedacht haben. sagt hat, gar nicht so schlecht hineinpaßt. Lassen Sie uns das machen! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Es wird immer gesagt: Alles das geht nur, wenn ihr Zuruf von der SPD) nicht an das Genossenschaftsgesetz geht. - So viel Selbstbewußtsein sollten Sie doch haben, einzuge- - Wissen Sie, ich habe bei allem, was wir bisher ge- stehen, daß man die Genossenschaftsidee durch die macht haben, nach einem Kompromiß nicht danach Novellierung eines Gesetzes sogar noch besser ma- gefragt: Wem muß ich denn welchen Teil des Kom- promisses zurechnen? chen kann, als es gegenwärtig der Fall ist. Dabei bin ich nicht einmal der Meinung, daß wir die Novellie- - rung unbedingt brauchen. Aber wir müssen das alles (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Ihr freut besser überprüfen, besser planen. euch nie!) (Vorsitz: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) Denn ich habe immer die Besorgnis gehabt, dadurch die Basis für weitere Zusammenarbeit eher zu schwä- Es geht mir darum, daß wir diese sehr alte und sehr chen als zu stärken. überzeugende Idee nicht fallenlassen. Deshalb müs- sen wir ihre Attraktivität erhöhen. Das ist doch das, (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist was der Kollege Braun mit der Mobilität gemeint hat: wahr!) Natürlich können die Genossenschaftsmitglieder 3890 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer nach Rückgabe ihres Geschäftsanteils, praktisch zum letzten Tage werden Sie auch ersehen, daß wir im Nominalwert, fortziehen. Aber sie nehmen eben oberen Bereich einsparen wollen, um im unteren Be- nicht an dem Wertzuwachs ihres Eigentums teil, das reich etwas drauflegen zu können. Herr Töpfer hätte sie dort gehabt haben. der Vollständigkeit halber noch andere Stellungnah- men zitieren können, die besagen: 5 000 DM sind re- (Zustimmung bei der F.D.P.) lativ knapp. Deswegen wollen wir hier ein Stückchen weiterkom- Ich meine, sich hier hinzustellen und so zu tun, als men. Darüber sollten wir in aller Klarheit miteinan- ob man das Rad erfunden hätte, mit dem andere der reden können. schon seit zehn Jahren fahren, ist nicht fair. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich verspreche Ihnen, daß wir im Ausschuß ordent- lich und vernünftig miteinander diskutieren werden. Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Das ist ein guter Tag für den Bauminister. Besonders Vielen Dank. gut wird er nicht nur dadurch, daß wir uns jetzt auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- die Schulter klopfen und sagen „Wir sind auf dem ten der CDU/CSU) richtigen Weg", sondern auch dadurch, daß wir uns in aller Zügigkeit und mit allem Nachdruck zusam- mensetzen und fragen, wie wir das hinbekommen, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die damit wir das im August oder September in einem Aussprache. Gesetzentwurf umsetzen können. Am besten ist es, wenn dieses Gesetz im Bundesgesetzblatt steht. Das Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- muß bis zum 1. Januar 1996 der Fall sein, damit uns lagen auf den Drucksachen 13/1501 und 13/1644 an die Baukonjunktur nicht wegen des Attentismus von die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Bauherren zusätzliche Probleme macht. Alles kann vor. Interfraktionell ist inzwischen vereinbart wor- zusammenpassen. Lassen Sie uns an die Arbeit ge- den, daß die Federführung beim Ausschuß für Raum- hen! ordnung, Bauwesen und Städtebau liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenbar der Fall. Ich danke Ihnen sehr herzlich. Dann ist die Überweisung so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Das Wo zu ei- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: rt Berichts des Ausschusses für Raumordnung, ner Kurzintervention hat der Kollege Großmann. Bauwesen und Städtebau (18. Ausschuß) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt - zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska kommt ein dickes Lob!) Eichstädt-Bohlig und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Achim Großmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Sofortprogramm zum Abbau von Obdach- Kolleginnen und Kollegen! Das dicke Lob kommt; losigkeit denn Herr Töpfer hat hier eine gute Rede gehalten. Deshalb ist es auch für die Sozialdemokratische Par- - zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele tei, und die sozialdemokratische Fraktion ein guter Iwersen, Achim Großmann, Robert Antret- Tag. Nach zehn Jahren scheint das Gesetz werden zu ter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion können, was wir Ihnen seit zehn Jahren beibringen der SPD wollen: eine Änderung der Eigentumsförderung Wohnungslosigkeit - Obdachlosigkeit und beim selbstgenutzten Wohneigentum. Es war auch Wohnungsnotfälle in der Bundesrepublik deshalb ein guter Tag, weil Herr Töpfer gesagt hat, daß es bis jetzt eine sozial furchtbar ungerechte Lö- Deutschland und Maßnahmen zu ihrer Be- sung war. kämpfung - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Herr Meister, Sie sind zum erstenmal in den Bun- Dietmar Kansy, Werner Dörflinger, Herbe rt destag gewählt worden. Ich will Ihnen persönlich Frankenhauser, weiterer Abgeordneter und zwei oder drei Sätze sagen: Aus dem alten Politikver- der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ständnis heraus macht es vielleicht Sinn, aufeinander ordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), loszugehen und Wahrheiten dabei nicht oder nur Dr. Klaus Röhl, Horst Friedrich, Lisa Peters halb auszusprechen. Mein Politikverständnis ist das und der Fraktion der F.D.P. nicht. Ich halte dieses Politikverständnis für ein völli- ges Auslaufmodell, das spätestens mit Ablauf dieses Obdachlosigkeit - eine gesamtgesellschaft- Jahrzehnts bzw. dieses Jahrhunderts der Vergangen- liche Herausforderung heit angehören wird. - zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Wenn Sie sich unsere Vorschläge ansehen, dann Fischer (Berlin), Franziska Eichstädt-Bohlig, werden Sie feststellen, daß wir uns zu den Alleiner- Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) und der ziehenden geäußert haben. Aus den Statements der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3891

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Maßnahmen zur Vermeidung von Woh- ständigkeit des Bundes oder der Länder oder der Ge- nungsverlust und zur Bekämpfung der Ob- meinden, Mitschuld oder Nicht-Mitschuld der Betrof- dachlosigkeit fenen - dies sind sicherlich alles Themen, über die wir weiter streiten können und werden. Aber über - Drucksachen 13/96 (neu), 13/247, 13/288, allem, was wir tun, verblassen diese Gegensätze, 13/1617, 13/1848 - wenn wir, was quasi als unsichtbare Überschrift über Berichterstattung: unserem Antrag steht, unserem Handeln heute das Abgeordnete Dr.-Ing. Dietmar Kansy Motto geben: „Was Ihr dem geringsten meiner Brü- Gabriele Iwersen der tut ...". Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Wir bekennen uns als Deutscher Bundestag zur Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt Mitverantwortung. Wir möchten dazu beitragen, daß keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. in diesem Lande nicht weggeguckt oder ein Bogen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol- gemacht wird, wenn man auf Betroffene stößt. Wir lege Dr. Kansy, CDU/CSU. möchten ermuntern, sich nicht nur auf allen staatli- chen Ebenen des Problems stärker anzunehmen und sich nicht nur auf die Verbände zu verlassen, son- Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU): Herr Präsi- dern sich auch als Mitbürgerin und Mitbürger mit- dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der verantwortlich zu fühlen und auf die jeweils mögli- Bundesbauminister hat eben diesen Tag als einen che Art und Weise zu helfen. guten Tag für die Eigenheimer dargestellt, und er war es tatsächlich. Das Spektrum unserer Sorgen im Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ursachen für Bereich des Wohnungsmarktes ist breiter. Ich hoffe Obdachlosigkeit - das haben die vielen Gespräche sehr, es wird heute auch ein guter Tag für die Ob- gezeigt -, für den Verlust der Wohnung oder die dachlosen. Schwierigkeiten, sich mit Wohnraum zu versorgen, Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundes- sind vielfältig. Neben Einkommensproblemen - oft tag hat sich in den letzten Jahren in vielfacher Weise durch Verlust des Arbeitsplatzes - oder Partnertren- mit dem Thema Obdachlosigkeit befaßt. Wir haben nung können Krankheit, Verschuldung, Suchtpro- mit den kommunalen Spitzenverbänden, mit den bleme oder persönliche Konfliktsituationen und sehr verschiedenen Hilfsorganisationen und insbesondere oft ein Zusammentreffen der verschiedenen Faktoren der Auslöser sein. mit den Betroffenen selbst gesprochen: mit Männern und Frauen, die auf der Straße leben oder lebten und Es ist nicht zu übersehen: Darüber hinaus wirkt aus eigener Anschauung klarmachten, was Obdach- sich soziale Ausgrenzung in der Gesellschaft natür- losigkeit in einer Wohlstandsgesellschaft bedeutet. lich auch am Wohnungsmarkt aus. Angehörige von Dennoch waren wir uns immer der Tatsache bewußt, Haushalten mit besonderen finanziellen, sozialen daß der Schwerpunkt der unmittelbar wirksamen oder persönlichen Problemen treffen häufig auf er- Maßnahmen und Hilfen auf kommunaler Ebene hebliche Vorbehalte, und das natürlich besonders in liegt, und das bleibt auch so. Zeiten knappen Wohnungsangebots. Aber in diesen Gesprächen wurde deutlich, daß er- heblicher Hilfebedarf besteht. Es wurde deutlich, In dem interfraktionellen Antrag machen wir eine daß die Angebote noch wesentlich stärker auf die Reihe von Vorschlägen, äußern Wünsche an die Bun- konkrete Situation der Betroffenen abgestimmt wer- desregierung und stellen Forderungen an die Bun- den müssen, insbesondere auf ihre Bereitschaft, sich desregierung, an die Landesregierungen sowie an selbst zu helfen. die Kommunen. Die Bundesregierung fordern wir als erstes auf, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Meine Damen und Herren, wir haben auch eines § 15 a des Bundessozialhilfegesetzes vorzulegen, der gelernt: Wohnungslose und Obdachlose, die zum Teil die Sozialhilfeträger stärker als nach der bisherigen längere Zeit auf der Straße leben und sich häufig in Ermessensvorschrift - das ist sie nämlich - verpflich- besonders schwierigen Notlagen befinden, nehmen tet, die Zahlung rückständiger Mieten zu überneh- in vielen Situationen Regelangebote nicht an. Dies men, wenn anderenfalls Obdachlosigkeit droht. geschieht auch auf Grund von Vorbehalten oder ne- gativen persönlichen Erfahrungen mit Behörden und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Hilfseinrichtungen. Natürlich gelten diese Vorbe- halte auch gegenüber uns, den Politikerinnen und Wir mußten uns davon überzeugen, daß in vielen Ge- Politikern. meinden der Betrag, den man für die anschließende Unterbringung dieser Menschen in Pensionen und In dieser Situation haben sich die Fraktionen der Hotels ausgibt, doppelt und dreimal so hoch ist, wie CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. in diesem Hause, wenn man die Mieten in einer solchen Notlage über- die in vielen Bereichen der Wohnungs- und Gesell- nommen hätte. schaftspolitik unterschiedliche Positionen vertreten, zusammengerauft und sind zu der Auffassung ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kommen, daß wir heute nicht ein weiteres Mal un- sere unterschiedlichen Positionen bekräftigen, son- Aber wir machen hier nicht nur F riede, Freude, dern uns als Deutscher Bundestag diesem Problem Eierkuchen. Eine mißbräuchliche Inanspruchnahme stellen. Meine Damen und Herren, mehr Staat oder dieser verstärkten Leistungsverpflichtung z. B. in weniger Staat, mehr Markt oder weniger Markt, Zu- den Fällen, in denen die Miete von vornherein im 3892 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Dr.-Ing. Dietmar Kansy Vertrauen auf die Leistung nach § 15 a bewußt nicht Wir fordern die Bundesregierung auf, über den bis- gezahlt werden sollte, muß dabei ausgeschlossen herigen Umfang hinaus künftig bundeseigene Lie- werden. Das sind wir den Steuerzahlern in diesem genschaften auch zugunsten von Wohnprojekten für Lande schuldig. Obdachlose verbilligt abzugeben. Wir fordern zweitens von der Bundesregierung, zur Trotz unterschiedlicher Positionen in der Woh- Sicherstellung der bisher in einer Verwaltungsvor- nungspolitik fordern wir die Bundesregierung und schrift angeordneten Mitteilung der Gerichte an die Landesregierungen gemeinsam auf, die Wohnungs- Sozialverwaltung über den Eingang einer Räu- bauförderung weiterzuentwickeln und mit dem Ziel mungsklage im Falle einer Kündigung, meist nach einer größeren Effizienz und höheren sozialen Treff- § 554 BGB, einen Gesetzentwurf vorzulegen mit dem sicherheit umzugestalten. Wir haben das vorhin in Ziel, die Mitteilungspflicht der Ge richte auf die ver- dem letzten Debattenpunkt schon angesprochen. fassungsrechtlich erforderliche Grundlage zu stellen und zu prüfen, welche rechtlichen Voraussetzungen Meine Damen und Herren, der Bundestag hat im geschaffen werden müssen, damit die Sozialverwal- derzeitigen Haushalt 50 Millionen DM speziell für tungen in die Lage versetzt werden, bei Räumungs- die Förderung von Obdachlosenprojekten vorgese- klagen rechtzeitig vorbeugende Hilfen einleiten zu hen. Wir bitten die Bundesregierung und die Landes- können. regierungen, darüber schnellstens Verwaltungsver- einbarungen zu treffen und die Mittel umzusetzen. Ein dritter Punkt: Um aus dem Teufelskreis „Ohne (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Arbeit keine Wohnung, ohne Wohnung keine Ar- beit" herauszukommen, fordern wir die Bundesregie- Wir appellieren auch an die Länder und Kommu- rung auf, durch gesetzliche Änderung auch woh- nen, an unsere Kolleginnen und Kollegen in den Lan- nungslosen Personen die Möglichkeit einzuräumen, desparlamenten und in den Räten der Städte und Ge- eine meldefähige Anschrift zu haben, wenn man ei- meinden, der Vermeidung und dem Abbau von Ob- nen neuen Anlauf im Leben nimmt, die nicht von dachlosigkeit hohe politische Priorität einzuräumen. vornherein den Status der Obdachlosigkeit erkennen läßt und - was viele von uns nicht wissen - deren (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Fehlen oft tragische Einschnitte in das Leben der be- troffenen Menschen hat. Wir fordern sie auf, die Instrumente zum Erhalt von Wohnraum, zur Hilfe in bestehenden Notlagen, zur Wir können die Probleme nicht mehr unter Polizei- Schuldenberatung und Finanzierungsberatung zu und der Ordnungsgesetzgebung des letzten Jahr- bündeln und - ich wiederhole mich - sie stärker prä- hunderts anpacken, wenn wir Zukunft gestalten wol- ventiv einzusetzen und nicht zu warten, bis es zu len, sondern müssen neue Maßstäbe setzen. spät ist. (Beifall des Abg. Uwe Lühr [F.D.P.]) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- wie bei Abgeordneten der SPD) Dringend erforderlich ist es viertens, das Wohn- geld an die gestiegenen Mieten anzupassen und so- Wir erwarten von Bund, Ländern und Gemeinden, zial fortzuentwickeln, um in Grenzfällen das Entste- die Wohnungsversorgung von sozial benachteilig- hen der Obdachlosigkeit zu verhindern. ten Bevölkerungsgruppen durch Förderung bauli- cher Maßnahmen, aber auch durch den stärkeren Er- (Beifall der Abg. Lisa Peters [F.D.P.]) werb von Belegungsrechten im Neubau und im vor- handenen Wohnungsbestand zu verstärken und si- Trotz zunehmender Kenntnisse über die Ursachen cherzustellen, daß auch im Rahmen von Kooperati- der Obdachlosigkeit wissen wir immer noch zuwe- onsverträgen mit Wohnungsunternehmen und mit nig. Wir fordern deswegen von der Bundesregierung, Trägern gemeinnütziger Einrichtungen usw. Hilfe das Problemfeld Obdachlosigkeit weiter wissen- kommt. schaftlich zu begleiten und vorhandene Lösungsan- sätze zu bewerten, um unsere heutigen Beschlüsse Schließlich erwarten wir, daß alle staatlichen Ebe- nach einem gewissen Zeitraum zu überprüfen und nen in ihrem Bereich die Informationsgrundlagen gegebenenfalls zu ergänzen. verbessern und vorliegende Erhebungen zusammen- führen. Wir bitten die Bundesregierung, weitere Modell- projekte zur Errichtung neuen und zur Sanierung Zum Abschluß noch ein ernstgemeintes Wort. Es bestehenden Wohnraums mit Hilfe der von der Ob- gibt natürlich manche Bedenken. Wir kennen die dachlosigkeit Betroffenen mitzufördern, um Woh- Kneipenwitze von den Wermutbrüdern, die als erstes nungslosen nicht nur Wohnraum, sondern gleichzei- mal arbeiten sollen, bevor sich die Öffentlichkeit ih- tig auch wieder soziale Verantwortung und Arbeit rer Probleme annimmt, und vieles andere. Wir haben mit diesen Projekten zu verschaffen. ebenfalls zu unserem Entsetzen aus manchem Beam- tenbereich Aussagen nach dem Motto gehört: Das Wir erwarten von der Bundesregierung darüber haben wir ja noch nie gehabt. - Bitte, lassen wir uns hinaus, daß gemeinsam mit den Ländern die Grund- dadurch nicht abschrecken. Ich meine, wenn wir das lage für bundesweite Wohnungslosenstatistiken in Mögliche nicht tun, weil wir uns mit unseren unter- der Bundesrepublik Deutschland geschaffen und ge- schiedlichen Vorstellungen gegenseitig überfordern, prüft wird, ob sich dabei die Definition des Deut- werden wir unserer gemeinsamen Verantwortung schen Städtetages sinnvoll anwenden läßt. nicht gerecht werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3893

Dr.-Ing. Dietmar Kansy Deswegen bitte ich das ganze Haus um Zustim- Wieder versuchen Polizei und Ordnungsämter, die mung zu diesem gemeinsamen Entwurf. Obdachlosen als Gefahr für die öffentliche Sicher- heit und Ordnung zu behandeln, wie einen Gegen- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und stand, der stört, wie ein herrenloses Tier, das man der SPD) einfangen und ins Tierheim bringen muß. Und die Kommunen stehen mit leeren Händen da. Deshalb muß der Deutsche Bundestag alles daran- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Kollegin Gabriele Iwersen, SPD. setzen, um Schritt für Schritt die Situation der Woh- nungslosen zu verbessern, den Städten zu helfen, die sozialen Brennpunkte zu entschärfen mit dem Ziel, sie aufzulösen, und die Entstehung neuer zu verhin- (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- Gabriele Iwersen dern. Da sind sozialpolitische und städtebauliche leginnen und liebe Kollegen! Nach dem Krieg lebten Maßnahmen vonnöten, und am wichtigsten wäre die Menschen in Deutschland in überfüllten Woh- Geld - eine Mangelware in den öffentlichen Kassen. nungen, in teilweise zerstörten Häusern, entfestigten und umgebauten Bunkern, in Kasernen und Barak- Trotzdem stehen heute drei Anträge zum Thema ken. Wohnungslosigkeit / Obdachlosigkeit / Wohnungsnot- fälle zur Diskussion und Abstimmung. Manch einer (Zuruf von der CDU/CSU: Von welchem wird sich fragen, warum die SPD ausgerechnet zu so Land reden Sie?) einem Thema einen gemeinsamen Antrag bzw. Be- schlußvorschlag mit den Koalitionsparteien erarbeitet Mit der Verbesserung der Wohn- und Lebensverhält- hat, wo doch allseits bekannt ist, was für voneinan- nisse verschwanden die Notunterkünfte weitgehend der abweichende Einschätzungen und Grundhaltun- aus dem Stadtbild. Nur am Rande blieben einzelne gen wir in sozial- und wohnungspolitischer Hinsicht Notunterkünfte für die Wohnungslosen, die Zwangs- haben. geräumten mit ihren Kindern, denen niemand mehr eine Chance geben wollte. (Zuruf von der CDU/CSU: Oh, wir haben heute schon viele Übereinstimmungen fest- In Wilhelmshaven war es die Jachmann-Kaserne gestellt!) aus Kaisers Zeiten am Rande eines nach dem Krieg gesprengten Hafenbeckens. Die Menschen, die es - Ja, wir können feststellen - das hat Herr Dr. Kansy dorthin verschlug, wurden die „Jachmänner" ge- klar betont -, daß wir ungeachtet dieser unterschied- nannt, auch die Kinder, deren Zukunftsaussichten lichen Einschätzungen bereit gewesen sind, in die- von vornherein fast gleich null waren. Abhilfe kam in sem Punkt Zusammenarbeit zu suchen und zu fin- den 70er Jahren, als dann endlich engagierte Sozial- den. politikerinnen und Sozialpolitiker und auch Verwal- Das ist einfach zu erklären. Die Zahl der konsens- tungsangestellte und Beamte in den meisten Kom- fähigen Punkte, die zwar in den zahlreichen Bericht- munen, so auch in Wilhelmshaven, systematisch die erstatterrunden umformuliert wurden, in ihrem we- abbauten, Wohnungen im Obdachlosenunterkünfte sentlichen Gehalt aber „gerettet" werden konnten, ganzen Stadtgebiet erwarben und die Wohnungslo- ließ das Festhalten an dem von mir schon 1993 vorge- sen fortan in Normalwohnungen weitestgehend un- schlagenen gemeinsamen Vorgehen im Kampf ge- terbringen konnten. Die Gettos mit ihren sozialen gen die Obdachlosigkeit als sinnvoll und richtig er- Problemen wurden abgebrochen oder durch Stadtsa- scheinen. nierung in menschenwürdige Wohnquartiere ver- wandelt. Diese Entwicklung endete aber leider 1990, Dabei hat der Beschlußvorschlag wie jeder echte als aus bekannten Gründen eine Wanderungsbewe- Kompromiß - heute ist sehr viel über Kompromisse gung einsetzte, auf die niemand vorbereitet war. gesprochen worden - natürlich allen Beteiligten viel Flexibilität, aber auch die Bereitschaft zum Nachge- Ich erzähle das deshalb, weil niemand glauben ben abverlangt. Nach meiner Ansicht hat der CDU/ soll, wir würden die Leistungen der Kommunen ge- CSU-F.D.P.-Antrag erheblich an Substanz gewon- ringschätzen. Sie waren erfolgreich, bis die Nach- nen, während ich zugeben muß, daß die SPD einige frage auf dem Wohnungsmarkt sprunghaft stieg, bis Forderungen nicht in vollem Umfang hat durchset- mehr Menschen in die Städte drängten, als Wohnun- zen können. gen gebaut wurden, der Platz und das Geld knapp wurden und die Arbeitslosigkeit steil anstieg. Während die Union in ihrem Antrag überwiegend Prüfaufträge an die Bundesregierung erteilen wollte In dieser Situation wurde nicht nur der Existenz- - das kann man im Originalantrag nachlesen -, z. B. kampf härter. Viele Menschen fanden einfach keine zur Möglichkeit der verstärkten Übernahme von Perspektive für ihr eigenes Leben, wurden aus der Mietschulden bei drohendem Verlust der Wohnung, Bahn geworfen und landeten am Rande oder auch forderte die SPD die konsequente Umwandlung des außerhalb dieser Gesellschaft. Ihnen zu hellen ist un- § 15 a BSHG in eine Sollvorschrift in der festen sere Pflicht, denn erneut sind menschenunwürdige Überzeugung, daß die Zahlung von durchschnittlich Unterkünfte entstanden; mehr und mehr Menschen 1 800 DM pro Wohnungsnotfall in keinem Verhältnis leben auf der Straße oder in unzumutbaren Behaus- zu den anfallenden Kosten steht, die eine Zwangs- ungen. Wir haben darüber hier im Haus schon oft ge- räumung für den städtischen Sozialhaushalt bedeu- sprochen. tet. 3894 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Gabriele Iwersen Da zur Zeit keine bezahlbaren Wohnungen Leerste- ein Einstieg, obwohl ich sagen muß, daß wir nicht die hen, bleibt oft nur die Unterbringung in einer Pen- Augen vor dem wahren Ausmaß der Wohnungsmi- sion oder in einem Hotel übrig - bei Kostenüber- sere verschließen dürfen. Also, unser Anliegen, Woh- nahme durch die Stadt. Schon nach 14 Tagen sind nungsnotfälle in ihrer Gesamtheit zu ergründen, ist die ersparten 1 800 DM Mietrückstand verbraucht, jetzt auf eine Wohnungslosenstatistik reduziert wor- denn der Beherbergungsbetrieb verlangt für eine den. vierköpfige Familie ungefähr 3 000 DM im Monat. Schließlich vermietet er ja einzelne Betten und nicht Die SPD hat noch zusätzlich das Thema Melde- großflächige Wohnungen. Dazu kommen Umzugsko- rechtsrahmengesetz eingebracht. Das finde ich sehr sten, die Unterbringung der Möbel auf einem Spei- positiv. In keinem der Anträge war dieses Thema cher und, wenn endlich eine Wohnung gefunden ist, ursprünglich enthalten. Trotzdem hat sich die Be- meist auch noch Kaution und Maklergebühren. Vor- richterstatterrunde bereit gefunden, dieses aufzu- hin haben wir ja gehört: Für eine vierköpfige Familie nehmen, um, wie auch schon Herr Dr. Kansy gesagt zahlt der Staat bzw. der andere Steuerzahler, wenn hat, jedem die Möglichkeit zu geben, eine neue, sich Leute ein Haus bauen, 64 000 DM. Das ist natür- feste Anschrift zu finden und damit natürlich auch lich schon ein bißchen mehr. den ersten Schritt in ein eigenes Zuhause. Ich wollte eigentlich darüber sprechen, daß die (Beifall bei der SPD) Übernahme der Mietschulden zunächst unzumutbar Eigentlich müßte ich jeden Satz in diesem Be- teuer erscheint, dies aber letzten Endes den Sozial- schlußvorschlag einzeln erläutern und alle noch haushalt entlastet und den von Wohnungslosigkeit übriggebliebenen Forderungen und Wünsche mei- Bedrohten den Verlust ihrer sozialen Bindungen und ner Fraktion auflisten, aber die Redezeit ist knapp, ihres sozialen Umfeldes erspart. Das ist gerade für und noch knapper ist das Geld, wie wir wissen. die Kinder von unschätzbarem Wert. Trotzdem wird sich die SPD weiter mit dem Thema beschäftigen, wird neue Anträge stellen und Vor- (Beifall bei der SPD) schläge unterbreiten, die der Wohnungsnot ein Ende Der Beschlußvorschlag enthält jetzt die Aufforde- machen sollen. Wenn es alle politisch Verantwortli- rung an die Bundesregierung, einen konkreten Ge- chen ernsthaft wollen, wird das Problem zu lösen setzentwurf vorzulegen. Wie der aussehen soll, hat sein; denn unsere Gesellschaft kann die Entstehung Herr Dr. Kansy beschrieben. Ich denke, dies ist eine sozialer Brennpunkte vermeiden, wenn das Geld nur Formulierung, mit der wir leben können, auch wenn in richtige Kanäle gelangt. das Wort Soll-Vorschrift krampfhaft vermieden wor- Ich bedanke mich jedenfalls bei dem Kollegen den ist. Wir Sozialdemokraten sind etwas mehr für Herrn Dr. Kansy für die konstruktive Zusammenar- die klare Wortwahl zu haben, aber die Formulie- beit und wünsche mir ähnliche Erfolge bei der rungshilfen, die mit eingebracht worden sind, erfül- Lösung der jetzt ausgeklammerten Probleme des len hoffentlich den gleichen Zweck. Städtebaus und der Wohnungspolitik. Denn ohne Ähnlich verlief die Diskussion zur rechtzeitigen eine Wiederbelebung der Städtebauförderung wird Mitteilung der Amtsgerichte über die Räumungskla- die Sanierung der sozialen Brennpunkte bestimmt gen an die Kommunen. Aus dem Prüfauftrag wurde nicht gelingen. eine klare Forderung nach einem Gesetzentwurf. Wenn wir heute keine Forderung nach Geld für ein Auch dies hat Herr Dr. Kansy angesprochen. Aus der Sonderprogramm stellen, Herr Dr. Kansy, heißt das Verwaltungsvorschrift soll ein Gesetz werden. Wir nicht, daß es auch ohne Geld geht, sondern nur, daß wollen auch überprüft haben, inwieweit Räumungs- wir heute Ihre Zustimmung zu diesem ersten Teil un- klagen, die nicht auf Mietrückstände zurückgehen, serer Forderungen erwarten. Deshalb keine weiteren den Sozialverwaltungen mitgeteilt werden können, Forderungen. damit diese rechtzeitig vorbeugende Hilfe einleiten können. Ich bedanke mich. Ähnlich, aber für uns weniger erfolgreich, verlief (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- die Beratung zur Wohnungsnotfallstatistik. Die Koa- ten der CDU/CSU und der F.D.P. - Dr.-Ing. lition wollte prüfen, ob eine derar tige Erfassung von Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wir bedanken Daten möglich und sinnvoll sei. Wir wollten eine ver- uns auch bei Ihnen, Frau Kollegin!) bindliche Definition in Anlehnung an den Deutschen Städtetag, um so schnell wie möglich Zahlen über Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Wohnungsnotfälle in allen Gemeinden zu bekom- Kollegin Andrea Fischer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- men. Wir wollten die Anzahl von Notunterkünften er- NEN. fahren, von Kommunen geduldete Provisorien, die Zahl der Übernachtungen von Obdachlosen in Ho- tels und Pensionen, natürlich durch die Sozialhilfe- Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- träger finanziert. All dies wollten wir wissen, um För- NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- dermittel zur Behebung dieses Notstandes treffge- gen! Die beiden Reden, die eben gehalten wurden, nauer einsetzen zu können. machen deutlich, daß alle hier im Hause von dem Ausmaß der Obdachlosigkeit bedrückt und der Auf- Leider mußten wir nachgeben. Es wird jetzt keine fassung sind, daß dringend Abhilfe geboten ist. Aus Wohnungsnotfallstatistik geben, sondern zunächst diesem Grunde haben wir es auch immer für sinnvoll eine Wohnungslosenstatistik. Aber dies ist zumindest und notwendig erachtet, einen interfraktionellen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3895

Andrea Fischer (Berlin) Antrag zu diesem Thema zu stellen. Im Laufe der Dasselbe gilt für den sozialen Wohnungsbau. Sie Verhandlungen wurde uns allerdings immer deutli- haben ihn ausgeschlossen. Wir wissen alle, daß die cher, daß dieser Antrag auf eine ausgesprochen un- Mittel für den sozialen Wohnungsbau in der letzten verbindliche und unpräzise Liste von Forderungen Zeit knapp geworden sind. Deshalb müssen wir jetzt hinauslaufen würde, die in keiner Weise dem ent- darüber nachdenken, ob wir die knapper werdenden sprechen, was Stand der Fachdebatte ist, und die Mittel nicht auf die wirklich Bedürftigen konzentrie- auch nicht den langjährigen Erkenntnissen von So- ren müssen, wenn wir es für die breiten Schichten zial- und Wohnungspolitikerinnen und -politikern nicht mehr machen können. Statt dessen schlagen entsprechen. Sie erneut Modellprojekte und Forschung vor. Wir wissen so unglaublich viel über Obdachlosigkeit. Ich habe den Eindruck - das sage ich auch an die Das ist ein Ausweichen vor dem Handeln. Wir müs- Adresse der Kollegin von der SPD -, daß die Kon- sen jetzt etwas tun und dürfen nicht länger darüber sensfähigkeit für den Preis der Unverbind lichkeit lamentieren. Das heißt, wir müssen Strukturen än- verkauft wurde. Dies hilft im Moment überhaupt dern. nicht weiter und entspricht, wie gesagt, nicht dem Stand der Diskussion. Natürlich wird die Obdachlosigkeit in den Kommu- nen bekämpft. Aber die von mir aufgezählten Punkte (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sie fallen alle in die Regelungskompetenz des Bundes, sind nicht politikfähig, Frau Kollegin! Das werden in Bundesgesetzen geregelt. Deswegen bin ist alles!) ich der Meinung, daß wir da endlich ranmüssen. - Herr Kollege Kansy, ich komme gleich darauf. Sie Wenn wir den Menschen wirklich helfen wollen, haben gerade sehr viele Sachen aufgeführt, die wir müssen wir an die Gesetze ran, die in der Diskussion auch wollen. sind. Nur dann wäre der heutige Tag ein guter Tag für die Obdachlosen. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Warum sind Sie dann ausgestiegen?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Das will ich Ihnen gerne beschreiben. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Weil Kollegin Lisa Peters, F.D.P. Sie nicht alle Ihre Forderungen durchge setzt haben!) Lisa Peters (F.D.P.): Herr Präsident! Meine lieben - Aber Herr Kollege, wir fangen doch nicht bei Nu ll Kollegen und meine Kolleginnen! Das Thema heute an, sondern wir beziehen uns auf eine langjährige kann man mit den Worten Arbeitslosigkeit, Woh- Debatte. nungslosigkeit, Obdachlosigkeit umschreiben, wenn man es auf wenige Worte begrenzen wi ll. Das wäre Sie haben gerade über eine Sollvorschrift in § 15 a aber zu einfach. Das Thema ist viel umfassender. BSHG und über die Notwendigkeit gesprochen, die Sozialämter verbindlicher in die Pflicht zu nehmen, (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) damit durch Übernahme von Mietschulden vermie- Ich persönlich wurde schon sehr früh bei meiner den werden kann, daß Leute überhaupt irgendwann ehrenamtlichen Arbeit mit der Obdachlosigkeit und in „Läusepensionen" untergebracht werden. Sie ha- deren Auswirkungen auf die Familien, besonders ben selber gesagt, daß das langfristig kostensparend auf die Kinder, konfrontiert. Das sitzt mir heute noch ist. Warum können Sie sich also nicht zu dieser Soll- in den Knochen. 1968 wurde meine älteste Tochter vorschrift durchringen? eingeschult. Im Einzugsbereich unserer Grundschule (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN befand sich ein „Obdachlosenasyl". So war damals und bei der PDS) noch die offizielle Bezeichnung, jedenfalls bei uns, Frau Iwersen. Kinder und deren Eltern, die dort Das ist gebundenes Ermessen. Das heißt, Sie haben wohnten und diese Straße mit der bekannten Haus- die Möglichkeit, bei Mißbrauch trotzdem die Lei- nummer bei der Schulanmeldung angeben mußten, stung zu verweigern. Das wird doch seit Jahr und wurden einem bestimmten Bereich zugeordnet und Tag längst diskutiert. trugen, für mich jedenfalls, unsichtbar einen Stempel auf der Stirn. Das Wohngeld muß erhöht werden, sagen Sie. Das wissen wir alle. Wir meinen aber, daß gegenüber Die Schulkinder, die mit diesem Makel behaftet dem Status quo ein verbindlicher Rhythmus festge- waren, daß sie im Obdachlosenasyl wohnten, hatten legt werden muß, das Wohngeld anzupassen und keine Chance, eine weiterführende Schule anzusteu- diese Anpassung nicht dem Zufall und dem guten ern. Ich habe das in meiner langjährigen Tätigkeit er-- Willen zu überlassen. fahren müssen. Auch wenn die Kinder dann 14 oder 15 Jahre alt waren und es um Ausbildungsplätze Dasselbe gilt für die Verbesserung des Mitteilungs- ging, gab es für sie keine Ausbildungsplätze. Das verfahrens bei Räumungsklagen. Natürlich wollen war einfach nicht nachzuvollziehen. wir das alle. Warum machen Sie aber nur das Verfah- ren für die Mitteilung anders und schaffen durch Diese Situation hat mein Verhalten bis heute ge- Fristverlängerung bei den Räumungsklagen nicht prägt. Schon in der Zeit meiner Schulelternratstätig- auch noch die Voraussetzung dafür, daß die Sozial- keit habe ich versucht, die Situation dieser Kinder zu ämter eingreifen können? verbessern. 3896 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Lisa Peters Seit Oktober 1972 bin ich nun Ratsfrau in Buxte- Für mich und unsere Fraktion gilt jedenfalls, daß hude. Wir haben uns intensiv um die Situa tion der wir an diesen Dingen weiterarbeiten. Ich stelle fest, Obdachlosen gekümmert und haben uns damit be- daß wir auf einem guten Weg sind und daß wir noch schäftigt. Vieles Wünschenswerte, was heute hier ge- offensiver an die Sache herangehen müssen. Wenn nannt worden ist - ich will es nicht alles aufzählen -, es uns dann gelingt, viele in das Boot zu ziehen, verwirklichen wir dort seit Jahren. Die Dinge, die wir dann sind wir einen Schritt weiter. hier gesetzlich anordnen wollen, werden dort so erle- digt. Ich denke, Herr Kansy, damit kommen wir Ih- Ich darf mich noch einmal bei den Mitgliedern der rem Wunsche nach, frühzeitig etwas zu tun. Bundesarbeitsgemeinschaft „Wohnungslosenhilfe" für die aktive Mitarbeit bedanken, ganz besonders aber bei den vielen Menschen in unserem Lan Frau Iwersen, Sie haben in der letzten Wahlperi- de, den vielen Ehrenamtlichen, die sich mit der Obdach- ode den Anstoß für die jetzige Ini tiative gegeben. Sie losigkeit beschäftigt haben, den Vereinen, Verbän- haben die Anträge gestellt. Wir sind in Gesprächen den und Kirchen. Wenn wir diese Hilfe nicht gehabt beteiligt worden. Viele von uns haben mit den Woh- hätten, würde es noch viel schlimmer aussehen. nungslosen gesprochen. Wir haben das Problem wirklich öffentlich gemacht. Ich freue mich auf das Weiterarbeiten. Ich freue mich auch auf den 1. Juli 1996, an dem wir klare Ant- Ich denke, wir haben den Be troffenen der Arbeits- worten von der Bundesregierung bekommen. loseninitiative Mut gemacht und vieles bewirkt. Für mich waren die Gespräche in der vorigen Wahlperi- Herzlichen Dank. ode sehr, sehr wichtig und sehr aufschlußreich. Sie haben uns die Vielfalt der Ursachen der Obdachlo- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und sigkeit aufgezeigt. der SPD)

Ich kann immer wieder nur feststellen - es ist hier Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der so oft gesagt worden -, man muß die Sache im Ent- Kollege Klaus-Jürgen Warnick, PDS. stehen bekämpfen. Hier sind die Gemeinden und Städte, deren Verwaltung und Ratsmitglieder ge- fragt. Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden An- Sie müssen das Problem, die Herausforderung er- träge zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit sind kennen und annehmen. Das ist das Wesentliche, Ergebnis eines langen Erkenntnisprozesses vor allem nämlich diese Sache einfach anzunehmen. Deshalb in den Reihen der Koalition. Mittlerweile leugnet nie- ist vieles gescheitert. Es geschieht jetzt mehr und mand mehr, daß wir in einem der reichsten Länder mehr. der Erde ca. 1 Million Wohnungslose vom gesell- schaftlichen Leben ausgegrenzt haben. Alle im Bun- destag vertretenen Parteien waren sich einig, daß Wir wissen aber auch, daß es die Gemeinden und schnellstmöglich Maßnahmen gegen das weitere An- Städte trotz gesetzlicher Grundlage nicht allein wachsen von Wohnungslosigkeit ergriffen werden schaffen können. Überall wird die Ini tiative und die müssen. Herausgekommen an praktisch greifbaren Aktivität des Bundestages begrüßt. Ich freue mich Ergebnissen ist aber herzlich wenig. Wie sollte es sehr, daß es zu einer gemeinsamen Beschlußempfeh- auch anders sein, wenn die Mehrzahl der Bundes- lung der Koalition und der SPD gekommen ist. politiker die Ursachen der Wohnungslosigkeit noch immer im Verhalten des einzelnen und nicht als ge- Auch wenn noch viele Wünsche offengeblieben samtgesellschaftliches Problem begreift? sind - das ist hier heute abend mehrfach angespro- chen worden -, denke ich, daß doch einiges umge- Zur Bekämpfung des Elends der Be troffenen wird setzt werden kann und wir auf dem richtigen Weg deshalb auch hauptsächlich mit verwaltungstechni- sind. schen Maßnahmen reagiert. Auf konkrete Schritte der Ursachenbekämpfung, wie z. B. starke Auswei- Wenn die Lösungsmöglichkeiten, die in dem An- tung des sozialen Wohnungsbaus bei gleichzeitiger trag genannt sind, demnächst in die Tat umgesetzt Reduzierung der ungerechtfertigten Steuervorteile werden, kann ich mir schon vorstellen, daß rückstän- beim Einfamilienhausbau für Gutbetuchte, konnten dige Mieten - Herr Kansy, Sie haben das näher aus- Sie sich leider nicht einigen. geführt - unter gewissen Voraussetzungen übernom- Der vorliegende gemeinsame Antrag von der Koa- men werden können. Die Gerichte müßten rechtzei- lition und der SPD ist jedoch ein Weg in die richtige tig die Räumungsklagen melden. Der Obdachlose Richtung. Er sieht aber zu wenige konkrete Maßnah- hätte eine ständige Anschrift; diese Anschrift ist die men und nur sehr kleine kosmetische Eingriffe in das erste Voraussetzung, um überhaupt wieder einen Ar- bestehende System vor. Die Anträge vom BÜNDNIS 90/ beitsplatz zu bekommen. Das Wohngeld wäre ange- DIE GRÜNEN sind da schon wesentlich konkreter. paßt. Es gäbe eine aktuelle Statistik, Forschungsauf- träge würden vergeben und Modellprojekte einge- (Gabriele Iwersen [SPD]: Die sind abge- richtet. Ich denke, daß wir davon noch einiges ge- schrieben worden!) brauchen können. Auch die Wohnungsbauförderung würde auf diese Personengruppe eingestellt. - Das hätten Sie doch auch machen können. Deutscher Bundestag 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3897

Klaus-Jürgen Warnick Die Kritik am mangelnden Willen zu größeren Ein- Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: schnitten in das bestehende System der ungerechten Verteilung des produzierten Volksvermögens ändert Zweite und dritte Beratung des von der Bun- nichts an der Tatsache, daß die vorgeschlagenen Re- desregierung eingebrachten Entwurfs eines gelungen grundsätzlich nicht falsch sind und eine Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tierseu- geringfügige Verbesserung der Situation der Betrof- chengesetzes fenen erwarten lassen. Auch kleine und hasenfüßige - Drucksache 13/672 - Schritte bringen uns ein Stück voran. Ich werde mich deshalb den Anträgen nicht verschließen, wobei ich (Erste Beratung 27. Sitzung) den weitergehenden Antrag vom BÜNDNIS 90/DIE Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- GRÜNEN trotz Kritik an einzelnen Passagen klar fa- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und vorisiere. Forsten (10. Ausschuß) Der Antrag von den Koalitionsparteien und der - Drucksache 13/1764 - SPD sieht einen Bericht der Bundesregierung über die Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen bis Berichterstattung: zum 1. Juli 1996 vor. Wir werden die Umsetzung der Abgeordnete Marianne Klappert beschlossenen Maßnahmen mit großer Aufmerksam- keit verfolgen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1840 Ich danke Ihnen. vor. (Beifall bei der PDS) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Interfrak- tionell ist außerdem vereinbart worden, daß Redebei- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die träge auch zu Protokoll gegeben werden können. - Aussprache. Hierzu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- empfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Frak- Redebeiträge zu Protokoll gegeben: Siegf ried Hor- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einem Sofortpro- nung (CDU/CSU), Marianne Klappert (SPD), Ulrike gramm zum Abbau von Obdachlosigkeit, Drucksa- Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Günther Bre- che 13/1848, Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den An- dehorn (F.D.P.), Eva Bulling-Schröter (PDS) sowie der trag auf Drucksache 13/96 (neu) abzulehnen. Wer zuständige Bundesminister Borche rt ' ). Damit erüb- stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- rigt sich die Debatte. probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen Dann kommen wir zur Abstimmung über den von von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Än- PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen. derung des Tierseuchengesetzes, Drucksachen 13/ 672 und 13/1764. Dazu liegt ein Änderungsantrag Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Druck- empfehlung des Ausschusses für Raumordnung, sache 13/1840 vor, über den wir zuerst abstimmen. Bauwesen und Städtebau zum Antrag der Fraktion Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegen- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Maßnahmen zur Ver- probe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist meidung von Wohnungsverlust und zur Bekämpfung mit den Stimmen der Koalition und gegen die Stim- der Obdachlosigkeit, Drucksache 13/1848, Nr. 2. Der men von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS bei Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. 1617 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Beschlußempfehlung ist mit den gleichen Mehrheits- Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- verhältnissen wie zuvor angenommen. zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen ? - Der Ge- setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- der Koalition und der SPD bei Gegenstimmen von empfehlung des Ausschusses für Raumordnung, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einer Gegenstimme Bauwesen und Städtebau zu den Anträgen der Frak- aus der Gruppe der PDS bei ansonsten Stimmenthal- tionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Frak- tung der PDS angenommen. tion der SPD zur Obdachlosigkeit, Drucksache 13/ 1848, Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf Wir kommen zur den Drucksachen 13/247 und 13/288 zusammenzu- dritten Beratung fassen und in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- ist mit den Stimmen der Koalition und der SPD sowie ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der mit wenigen Stimmen der Gruppe der PDS bei Ge- Gesetzentwurf ist mit den Mehrheitsverhältnissen genstimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ei- wie zuvor angenommen. nigen Stimmen aus der Gruppe der PDS angenom- men. s) Anlage 5 3898 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Insgesamt ist der Weiterbetrieb dieser Anlage ein sicherheitstechnischer Skandal. Beratung des Antrags der Abgeordneten Hel- mut Wilhelm (Amberg), Michaele Hustedt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Manuel Kiper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Selbst zu DDR-Zeiten wurden von der zuständigen Behörde Sicherheitsmängel festgestellt. Trotz alle- Einstellung des Betriebs im Endlager Morsle- dem wurde eine dringend notwendige ordnungsge- ben (ERAM) mäße atomrechtliche Überprüfung durch eine Ge- - Drucksache 13/1378 nehmigungsfiktion ersetzt. —Überweisungsvorschlag: Gemäß Anlage zu § 3 des Gesetzes über die Um- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit weltverträglichkeitsprüfung bedarf eine wesentliche Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für rechtliche Änderung einer Anlage zur Endlagerung - die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die und um nichts anderes handelt es sich bei dieser Ge- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN soll 5 Minuten nehmigungsfiktion für Morsleben - der Durchfüh- Redezeit erhalten. Sind Sie damit einverstanden? - rung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Dabei Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. kann es keinen Unterschied machen, daß Morsleben nicht - wovon das Gesetz über die Umweltverträg- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol- lichkeitsprüfung ausgeht - durch ein förmliches Ver- lege Helmut Wilhelm, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. fahren, sondern eben durch einen Gesetzgebungsakt genehmigt wurde. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Her- Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil ren! Die Atompolitik der Bundesregierung hat ein vom 9. August 1994 ebenfalls festgestellt, daß die enormes atomares Müllproblem provoziert. Die si- Bundesrepublik die EG-Richtlinie über die Umwelt- chere Endlagerung für Atommüll ist nach wie vor un- verträglichkeitsprüfung verspätet umgesetzt hat. geklärt. Der Entsorgungsdruck ist um so größer, da in Gemäß Art. 12 Abs. 1 dieser Richtlinie ist es schon Kürze Atommüll aus der Wiederaufarbeitung in von daher nicht gestattet, Projekte, für die das Ge- Großbritannien und Frankreich vertragsgemäß zu- nehmigungsverfahren nach dem 3. Ju li 1988 einge- rückgenommen werden muß. Dadurch wird sich der leitet wurde - wie bei Morsleben -, von der Pflicht Bedarf an Lagerkapazitäten nahezu verdoppeln. zur Umweltverträglichkeitsprüfung auszunehmen. Tatsächlich wurde aber eine Umweltverträglichkeits- Doch man macht es sich sehr leicht. Schließlich hat prüfung für den derzeitigen Betrieb von Morsleben man durch die Wiedervereinigung ein Endlager nach aus gutem Grund nicht durchgeführt. dem Motto geschenkt bekommen: Einem geschenk- ten Gaul schaut man nicht ins Maul. Genauso ver- Wir fordern deshalb, erstens im Weg der Bundes- fährt die Bundesregierung. In Morsleben wird einge- aufsicht die umgehende Einstellung des Einlagerbe- lagert ohne Rücksicht auf sicherheitstechnische und triebes anzuordnen juristische Defizite. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zur Darstellung der rechtlichen Situa tion möchte und bei der PDS) ich einige Fakten zur Chronologie des Endlagers Morsleben ausführen. Am 22. April 1986 erhielt das und zweitens im derzeit durchgeführten Planfeststel- Endlager eine Dauerbetriebsgenehmigung nach dem lungsverfahren für die Zeit nach dem Jahr 2000 den damaligen Recht der DDR durch das seinerzeit zu- Erlaß eines Planfeststellungsbeschlusses zur Sti ll ständige Staatliche Amt für Atomsicherheit. Nach -legung und zum sicheren Abschluß der Anlage zu be- den Regelungen des Einigungsvertrags wurde diese antragen. Eine verantwortungsvolle Politik erfordert in bundesdeutsches Recht überführt und gilt damit dies. als Planfeststellungsbeschluß gemäß § 9 des Atomge- setzes bis zum 30. Juni des Jahres 2000 fo rt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS) Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25. Juni 1992 die rechtliche Situation als fiktiven Planfeststellungsbeschluß qualifiziert. Diese Ent- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der scheidung erfolgte allein nach rechtlichen und nicht Kollege Kurt-Dieter Gri ll, CDU/CSU. nach sicherheitstechnischen Gesichtspunkten. Da - bei war es nämlich egal, daß erstens keine Langzeit- sicherheitsanalyse nach Stand von Wissenschaft und Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Herr Präsident! Technik vorliegt - übrigens auch eine grundlegende Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wilhelm, es Forderung der Reaktorsicherheitskommission -, daß überrascht bei Kenntnis des BÜNDNISSES 90/DIE zweitens die Vorrichtungen für eine Eingangskon- GRÜNEN und ihrer Politik im Zusammenhang mit trolle des angelieferten Atommülls vollständig fehlen kerntechnischen Anlagen überhaupt nicht, wenn Sie - im Klartext: eine Kontrolle findet nicht statt — und wider besseres Wissen - sonst müßte man Ihnen vor- daß drittens im Nachbarschacht ohne Abschottung werfen, Sie hätten sich in der Sache nicht hinrei- zyanidhaltige Abfälle lagern, die die Eigenschaft ha- chend informiert - den Vorwurf erheben, daß ohne ben, die Auslaugung und Freisetzung von Radioakti- Rücksicht auf technische und juristische Gegeben- vität zu fördern und zu beschleunigen. heiten durch die Bundesregierung eine Risikositua- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3899

Kurt-Dieter Grill tion geschaffen worden sei. Ich finde, Sie sollten et- gen. Insofern ist der überwiegende Teil des An tra- was vorsichtiger mit solchen saloppen Vorhaltungen ges, den Sie hier vorgelegt haben, überflüssig, weil sein. er nichts anderes fordert als das, was die Bundesre- gierung tut. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: nehmen diese Risikosituation aber hin!) Nichts!)

- Das stimmt doch überhaupt nicht. - Das ist typisch für Sie. Es hätte mich sehr verwun- dert, wenn Sie an dieser Stelle zugegeben hätten, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Natür daß das Bundesumweltministerium ernsthaft an der lich!) Sicherheitstechnik, an Umweltverträglichkeitsprü- fungen und an all den Dingen arbeitet, die notwen- Wenn man den Bericht der Bundesregierung bzw. dig sind, um dem Ziel der Sicherheit des Menschen die Darstellungen, die dazu vorliegen, liest und sich gerecht zu werden. Dann wären Sie nämlich nicht mit den Fakten beschäftigt - mit den in Auftrag ge- mehr die GRÜNEN, oder ich wäre nicht mehr in der gebenen Gutachten, mit der Langzeitsicherheit, auch Union. mit der Frage der Stillegung, mit der Umweltverträg- (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf des Abg. lichkeitsprüfung für das, was jetzt seitens der Bun- Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ desregierung veranlaßt worden ist -, dann kann man DIE GRÜNEN]) sich nicht ernsthaft hier in den Deutschen Bundestag stellen und der Bundesregierung eine bewußte Unsi- - Ich komme gleich dazu, Herr Wilhelm. cherheitsstrategie - und das ist das Fatale an Ihrer Argumentation -, eine Nachlässigkeit in Fragen der Im Prinzip ist der Antrag überflüssig. Er dient eh Sicherheit der Bevölkerung vorwerfen. Dies ist un- nur der Beruhigung einer gewissen Klientel, er dient verantwortlich, was Sie da tun, nicht der Sicherheit der Menschen. Er hat dieses Ziel auch nicht im Auge. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Jenseits der Frage Morsleben will ich Ihnen zwei zumal dann, wenn man einkalkuliert, daß Morsleben Dinge mit auf den Weg geben. Ich habe in den Ener- ja auch - nicht nur, aber auch - der Bewäl tigung des giekonsensverhandlungen 1993 erlebt, wie Joschka Rückbaus von kerntechnischen Anlagen aus der ehe- Fischer im Hinblick auf eine bestimmte Argumenta- maligen DDR dient. tion der Sozialdemokraten vorgetragen hat - und das ist einer der wenigen Sätze von ihm, den ich mit- Ich habe mit großem Staunen - wie ich das auch an trage -, es sei moralisch und ethisch nicht verant- vielen anderen Stellen tue - festgestellt, daß ausge- wortbar, wenn wir in Westdeutschland, die wir aus rechnet die PDS Ihnen bei einem solchen Vortrag der Nutzung der Kernenergie unseren Wohlstand ge- auch noch Beifall klatscht, diejenigen, die Verant- wonnen hätten und noch gewönnen, die Probleme wortung dafür tragen, daß die Umwelt in einem sol- der Endlagerung internationalisieren oder im Aus- chen Zustand übergeben worden ist. Das ist wirklich land lösen würden. Er hat sich ausdrücklich zu einer eine Schizophrenie und an Chuzpe nicht mehr zu nationalen Lösung der Entsorgung im Sinne von überbieten. Endlagern bekannt. Ich teile diese Posi tion.

(Zurufe von der PDS: Oh!) (Zustimmung bei der CDU/CSU - Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da Ich denke, meine Damen und Herren, Sie haben haben Sie ihn aber mißverstanden! - Wei- selber eigentlich in Ihrer Begründung deutlich ge- tere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- macht, daß eine ganze Reihe von Argumenten offen- NEN) sichtlich nicht tragen. Sie haben sich ja allein und ausschließlich auf die formale Argumenta tion der - Ich kann nicht verstehen, warum Sie einen so in- haltsschweren und richtigen Satz auch noch bestrei- Umweltverträglichkeitsprüfung eingelassen. Dieses trägt schon gar nicht. Wenn man sich alle dafür ver- ten wollen. fügbaren Grundlagen - vom Einigungsvertrag bis (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zur Umweltunion, vom europäischen Recht bis hin Das machen wir doch gar nicht!) zum Atomgesetz - zu Gemüte führt, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß gerade die Begründung, Was mit Ihnen, meine Damen und Herren, nicht zu - die Sie gewählt haben, keine Begründung für das erreichen ist, ist eine Einlösung dieses Satzes durch Ziel ist, das Sie mit Ihrem Antrag verfolgen. konkretes Handeln. Denn Sie sagen doch nicht nur zu Morsleben nein, sondern Sie sagen zu Gorleben Mit dem Planfeststellungsverfahren für den Be- nein, Sie sagen zu Schacht Konrad nein, Sie fordern trieb über das Jahr 2000 hinaus ist eine Umweltver- überall den Abbruch der Verfahren. Die Wahrheit bei träglichkeitsprüfung in Arbeit, in deren Rahmen alle den Grünen ist doch folgende. Man könnte jeden Argumente aufgegriffen werden, die bei der Diskus- Standort in dieser Republik aussuchen, er würde nie sion über ein solches Endlager berücksichtigt wer- ihre Zustimmung finden, den müssen. Auch über den Weiterbetrieb hinaus ist die Frage einer Stillegung in die Diskussion einbezo- ( [CDU/CSU]: Eben!) 3900 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Kurt-Dieter Grill weil sie nach der Methode handeln: Wir fordern den Für den Fall einer wahrscheinlich nur zeitlich befri- besten Platz. Und wer den besten Platz fordert, wi ll steten Genehmigung des atomaren Endlagers müßte in Wahrheit gar kein Endlager. das aber bedeuten - das sagt zumindest der gesunde Menschenverstand -, nur so einzulagern, daß man (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ den radioaktiven Müll im Bedarfsfall auch wieder NEN) herausholen könnte. Denn nach dem 30. Juni 2000 Das ist die Politik des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- ist in jedem Fall der Nachweis der Langzeitsicherheit NEN. Das heißt, Sie lassen mit der Politik, die Sie notwendig, möchte man den Müll guten Gewissens hier und an jedem anderen Standort be treiben, in dort lassen. Auch wenn die Bundesregierung diese Wahrheit die Menschen mit den sicherheitstechni- Langzeitsicherheit sehr gerne herbeireden möchte: schen Problemen, mit den Konsequenzen des aus der Bis heute ist sie nicht in Sicht; ob sie nachgewiesen Nutzung der Kernenergie gewonnenen Wohlstandes werden kann, ist mit einem großen Fragezeichen zu alleine. Deswegen ist Ihre Posi tion in keiner Weise versehen. und an keiner Stelle verantwortbarer als das, was wir Ihnen auf der Grundlage langfristig erarbeiteter si- Wir müssen feststellen, daß die Bundesregierung cherheitstechnischer Gutachten, Untersuchungen leider nicht in dieser Weise konservativ - soll bedeu- und Konzepte vorschlagen. Ich denke, daß wir Ihren ten: vorsorglich, bewahrend, schützend - h andelt. Antrag deswegen auch mit gutem Recht ablehnen Abgesehen davon, daß wir ihr dringend empfehlen, werden. wenigstens bereit zu sein, den Bet rieb des Endlagers vorsorglich vorübergehend einzustellen, wäre es im (Beifall bei der CDU/CSU) Hinblick auf die fehlende Langzeitsicherheit ange- bracht, von der unverantwortlichen Einlagerungspra- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat xis des Verkippens Abstand zu nehmen. Diese Praxis Herr Kollege Reinhard Weis, SPD. ist selbst in der Betriebsgenehmigung der DDR von 1986 nicht enthalten.

Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Sehr geehrter Herr (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aha!) Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben Des weiteren sollte sie unbedingt von der problema- ist bereits seit langem ein Thema meiner Fraktion. tischen Einlagerung mittelradioaktiven Mülls Ab- Mit mehreren parlamentarischen Initiativen sind wir stand nehmen. schon in der letzten Legislaturpe riode und auch be- Aber ich muß noch auf einen zweiten Punkt einge- reits bei der Verhandlung des Einigungsvertrages hen, nämlich genau den Bereich, den unsere Kolle- aktiv geworden, und wir haben uns hier im Bundes- gen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tag damit beschäftigt. zum Zentrum ihres Antrags gemacht haben: Obwohl Bis heute ist es dabei unser Bemühen, in einem der Bundesregierung nach ihrem eigenen Bekunden breiten parlamentarischen Konsens auch mit der Re- sehr an einem Weiterbetrieb von Morsleben nach gierungskoalition - wie sonst wären Mehrheiten zu- dem 30. Juni 2000 gelegen sein müßte, unternimmt sammenzubekommen? - eine bef riedigende Lösung sie derzeit wenige Anstrengungen, einen Planfest- für diese DDR-Altlast zu erreichen. Leider müssen stellungsbeschluß für die Zeit nach diesem Stichtag wir jedoch feststellen, daß die Bundesregierung, wie sicherzustellen. Im Gegenteil, die Bundesregierung schon seit Jahren, dieser Zusammenarbeit ausweicht zögert die notwendige Zusammenarbeit mit dem und nur das Ziel verfolgt, dieses Endlager auf jeden Land Sachsen-Anhalt hinaus. Die Tatsache, daß es Fall auch langfristig zu nutzen, obwohl die Eignung bereits heute als sicher gilt, daß sich die ursprünglich von zahlreichen Fachleuten und offiziellen Gutach- für Mitte 1996 geplante Einreichung der Planungsun- tern bezweifelt wird. terlagen bis Ende 1997 verzögert, belegt das. Es ist fraglich, ob dieser Termin von seiten der Bundesre- (Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser: gierung gehalten werden kann, so daß ein Planfest- Unglaublich! ) stellungsbeschluß zum 30. Juni 2000 ernsthaft ge- Ich wollte hier auch kurz auf die Geschichte des. fährdet ist. ERAM eingehen, aber Herr Wilhelm hat mir das - als Für dieses Verhalten gibt es nur zwei mögliche Ur- hätten wir zusammen formuliert - fast wortgleich ab- sachen: Erstens. Die Bundesregierung selbst zweifelt genommen. Ich möchte deshalb an der nur formalju- erheblich an einem Ausgang des Planfeststellungs- ristischen Entscheidung des Bundesverwaltungsge- verfahrens, der einen Weiterbetrieb ermöglicht. richts vom Juni 1992 anknüpfen. Die müssen wir zur Zweitens. Die Bundesregierung interessiert der Aus- Kenntnis nehmen. Aber sie kann uns nicht beruhi- gang des Planfeststellungsverfahrens deshalb über-- gen; denn die Gefahrenpotentiale bestehen. Aller- haupt nicht, weil sie möglicherweise beabsichtigt, dings - so die Urteilsbegründung des Bundesverwal- die Einlagerung in Morsleben mit einem Sonderge- tungsgerichts - entbindet diese vorläufige Betriebs- setz durchzudrücken. Daß diese Befürchtung berech- genehmigung den Be treiber keineswegs davon, das tigt ist, belegen Aussagen aus dem BfS. zur Vermeidung etwaiger Sicherheitsrisiken Erfor- derliche entsprechend den Sicherheitsstandards des Letzteres wäre aber besonders deshalb fatal, da bundesdeutschen Rechts zu veranlassen sowie im der letzte, noch zu DDR-Zeiten erstellte Sicherheits- Planfeststellungsverfahren ein Konzept zur Langzeit- bericht des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit sicherheit für den Zeitraum nach der Bef ristung vor- und Strahlenschutz von 1989/90 zumindest erhebli- zulegen. che Zweifel an der Berechtigung der alten Betriebs- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3901

Reinhard Weis (Stendal) genehmigung aus dem Jahre 1986 erkennen läßt. Daß die DDR auf dem Gebiet des Umweltschutzes Die Bundesregierung würde also dann nicht nur die kein besonderes Vorbild war, ist eine allseits be- bisherige Sicherheitsphilosophie für atomare Endla- klagte Tatsache. Herr Kollege Gri ll, das beklagen ger aufgeben, sie würde sogar hinter Sicherheitser- auch wir. Deshalb haben wir uns grundlegend geän- wägungen der DDR zurückgehen, und die gelten ei- dert. gentlich bis heute auf diesem Gebiet nicht als beson- ders beispielhaft. Richtig: Eine Studie des BMU kam nach Sichtung der Unterlagen zu verheerenden Schlußfolgerungen. Diese Studie weist mit besorgniserregender Ein- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte denken Sie dringlichkeit auf Probleme hin, die ich hier nur stich- an die Zeit! wortartig anreißen möchte. Erstens: Die Geologie des Salzstockes weist erhebliche Probleme auf, welche die Langzeitsicherheit grundsätzlich in Frage stellen. Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Ja. - Bezugneh- Zweitens: Die Statik des Grubengebäudes ist man- mend auf den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE gelhaft berechnet. Drittens: Laugenzuflüsse sind ein GRÜNEN, den wir jetzt behandeln und überweisen Indiz für Kontakte zum Grundwasser. Viertens: Ab- wollen, sind unsere Hauptforderungen: erstens sofor- fälle wurden mangelhaft konditioniert. Fünftens: Der tige Beendigung der Einlagerungspraxis, die die ra- Brandschutz ist mangelhaft. Sechstens: In der dioaktiven Abfälle nicht rückholbar verschwinden Schachtanlage befindet sich Sondermüll, der beim läßt; zweitens ein Einlagerungsmoratorium bis zum Kontakt mit Wasser giftige Gase entwickelt. - Trotz- Abschluß des Planfeststellungsverfahrens, das den dem soll die Betriebsgenehmigung für Morsleben bis Betrieb nach dem 30. Juni 2000 bewerten soll; drit- zum Jahre 2000 gelten, ohne daß je in einem Verfah- tens eine zügige Zuarbeit für das Planfeststellungs- ren unter Beteiligung Dritter ein Sicherheitsnachweis verfahren in Sachsen-Anhalt durch die Bundesregie- erbracht worden wäre. rung. Die westdeutschen EVU verbringen nun Woche für Ich hoffe, daß sich die Bundesregierung und die sie Woche ihre Abfallmassen in diese Kaligrube. Es wer- tragenden Fraktionen in den Ausschußberatungen den Tatsachen geschaffen, die die Gesundheit nach- auf eine solche konstruktive Arbeit, die auf weite Zu- folgender Genera tionen gefährden. Könnten die Bür- stimmung treffen würde, einlassen werden. ger in einem Verfahren nach dem Atomgesetz oder in einer Umweltverträglichkeitsprüfung ihr Grund- Vielen Dank. recht auf Verfahrensbeteiligung wahrnehmen, kä- men Ungereimtheiten, Versäumnisse und Gefahren (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE für gegenwärtige und zukünftige Genera tionen zur GRÜNEN und der PDS) Sprache, die das sofortige Aus für Morsleben bedeu- teten. Das Wort hat Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Der Beschluß, Morsleben per Gesetzgebungsver- Herr Professor Ortleb, F.D.P. fahren für die Einlagerung atomarer Abfälle offenzu- halten, ist unserer Meinung nach nicht ausreichend legitimiert. Das Parlament kann nicht stellvertretend Dr. Rainer Ortleb (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anhörung des Beitrags des für den einzelnen Grundrechte wahrnehmen. Einzig Kollegen Grill und in Kenntnis der gründlichen Aus- die Offenlegung der Sicherheitsunterlagen, gefolgt führungen, die der Herr Kollege Parlamentarischer von einem ergebnisoffenen Verfahren, in welchem Staatssekretär Walter Hirche noch tätigen wird, kann die Zweifel an der Sicherheit artikuliert werden kön- ich nur folgendes äußern: Die rechts- und sachbezo- nen, könnte die notwendige Legitimität bringen. genen Probleme zur Angelegenheit sind danach ge- Wir bestreiten deshalb die Rechtmäßigkeit des Be- klärt, oder ihre Lösung ist auf dem Wege. Eine Befas- triebes von Morsleben; denn das Recht auf Verfah- sung des Deutschen Bundestages ist aus meiner rensteilhabe ist ebenso wie der Schutz von Leben Sicht nicht notwendig. und körperlicher Unversehrtheit ein Grundrecht. Ins- Ich danke Ihnen. besondere widersprechen wir der Rechtsauffassung des BMU, daß, wenn ein Staat ein Endlager be treibt, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) er sich selbst überwacht und eine Bürgerbeteiligung deshalb nicht erforderlich sei. Weil Grundrechte be- troffen sind, könnte dieses Parlament die Einlage- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der rung zwar stoppen, sie aber ohne Beteiligung der Kollege Rolf Köhne, PDS. Bürger nicht billigen. Mit einer solchen Auffassung tritt die Bundesregie- Rolf Köhne (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- rung im Fall von Morsleben nicht nur die Rechts- nen und Kollegen! 1990 hat die Bundesregierung das nachfolge der DDR an. So, wie die Bundesregierung Endlager Morsleben von der DDR geerbt. Es ist ein- den Bürgern das Grundrecht auf Verfahrensbeteili- sichtig, daß atomare Endlagerung in staatlicher Ver- gung beschneidet, tritt sie in diesem Fall auch in die antwortung erfolgen muß. Es ist aber nicht einsichtig, Fußstapfen des vormundschaftlichen Staates. Glau- daß damit auch die von der DDR erteilte Betriebsge- ben Sie mir: An dieser Ignoranz sind schon ganze nehmigung geerbt worden sein soll. Staaten zugrunde gegangen. 3902 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Roll Köhne Wir unterstützen deshalb - das ist unser Fazit - den Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Herr Kol- Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir forde rn lege Grill. den sofortigen Einlagerungsstopp. Wir fordern eine Umweltverträglichkeitsprüfung und die Veröffentli- chung der bis heute gewonnenen Untersuchungser- Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Herr Kollege Beh- gebnisse. rendt, wie beurteilen Sie in dem Zusammenhang die- ses Vorwurfs an die Bundesregierung den einstimmi- Ich danke Ihnen. gen Beschluß des Bundes und der Länder vom Okto- ber 1990, also auch aller SPD-regierten Länder, ein (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ Lager für nichtwärmeentwickelnde Abfälle - S tich- DIE GRÜNEN) wort Schacht Konrad - sofort in Ang riff zu nehmen und in die Tat umzusetzen, und in diesem Zusam- menhang die Art der Verweigerungshaltung und der Das Wort hat der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Verzögerungstaktik der niedersächsischen Landesre- Kollege Wolfgang Behrendt, SPD. gierung?

Wolfgang Behrendt (SPD): Herr Präsident! Meine Wolfgang Behrendt (SPD): Ich weiß, daß es Ihr be- Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat sonderes Steckenpferd ist, die niedersächsische Lan- beginnen. Die Bundesregierung hat im Jahr 1994 er- desregierung an den Pranger zu stellen und so zu klärt, daß durch die Einlagerung der Abfälle im soge- tun, als liege hier allein die Wurzel allen Übels. Die nannten Endlager Morsleben ab Januar 1995 deut- Wurzel des Übels liegt darin, daß Sie kein wirklich lich werde, daß auch das Problem des endgültigen entsorgungspolitisches Konzept entwickeln und Verbleibs der radioaktiven Reststoffe gelöst sei. nicht alle denkbaren Möglichkeiten entsprechend Diese Äußerung und die Tatsache, daß wir heute neu untersuchen, sondern sich lediglich auf wenige über das Endlager Morsleben diskutieren müssen, Standorte kaprizieren, deren Problematik Sie durch- machen deutlich, daß wir hier nur einen Bankrott der aus kennen. Entsorgungspolitik der Bundesregierung konstatie- ren können. (Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Die Bundesregierung hat es versäumt, ein vernünf- tiges entsorgungspolitisches Konzept zu erarbeiten. Sie lebt im Grunde nur von der Hand in den Mund. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kollege Beh- Meine Damen und Herren von der Regierungskoali- rendt, lassen Sie noch eine weitere Zwischenfrage tion, seien Sie ehrlich: Sie halten nur deshalb stur an zu? Morsleben fest, weil das sozusagen der einzige Ak- tivpunkt in Ihrer Bilanz ist. Sonst haben Sie nichts (SPD): Ich will meinen Beitrag aufzuweisen. Wolfgang Behrendt jetzt ohne Unterbrechung zu Ende führen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Weng [Ger Das ist wirk lich schade!) lingen] [F.D.P.]: Während Sie jetzt das Kon zept bringen!) Ich nenne Ihnen deutlich unsere Posi tionen: Wir halten es erstens angesichts der ungeklärten Endla- Die Tatsache, daß Sie auch in Gorleben und Salz- gerungsproblematik für notwendig, den Ausstieg aus gitter Probleme haben, daß die Erschöpfung der Zwi- der Kernenergie jetzt sorgfältig vorzubereiten. Wir schenlagerkapazitäten in den Atomkraftwerken wissen, daß damit die Endlagerungsprobleme auch droht, daß es in externen Zwischenlagern auch bald nicht ad hoc beseitigt sind, wir wissen aber auch, daß zu Engpässen kommen wird, macht deutlich, daß es ein Ausstieg ein Anwachsen dieser Probleme verhin- bisher auf der Seite der Regierung keinerlei Ansatz dern würde. Ihre Politik wird dazu führen, daß sie in für ein vernünftiges Entsorgungskonzept gibt, daß unabsehbarer Form anwachsen werden. Sie bisher auch nicht bereit sind, weiter nach Lager- möglichkeiten in anderen Bundesländern zu suchen, Wir sind zweitens der Auffassung, daß die Entsor- und daß Sie im Grunde den Versuch unternehmen, gungsanlagen nicht auf ein oder zwei Bundesländer sich auf wenige Lager, auf zwei Bundesländer zu konzentriert werden dürfen, sondern daß es hier eine konzentrieren - mit dem Ergebnis, daß dies auch von vernünftige Lastenaufteilung geben muß. der Bevölkerung nicht wird akzeptiert werden kön- (Beifall bei der SPD) nen, weil denkbare Alternativen nicht untersucht - worden sind. Ich fordere die Bundesregierung und die sie tragen- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: den Parteien auf, Standorte mit unterschiedlichen Wo bleibt jetzt Ihr Konzept?) geologischen Formationen zu untersuchen, um tat- sächlich zu objektiven Ergebnissen und zu Lösungen zu kommen, die auch von den Betroffenen akzeptiert Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege werden können. Behrendt, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Wir sind drittens der Meinung, daß nur nach Ab- schluß aller Erkundungen endgültige Entscheidun- Wolfgang Behrendt (SPD): Ja, bitte schön. gen über einzelne Standorte fallen dürfen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3903

Wolfgang Behrendt Die Bundesregierung hat es versäumt, ein vernünf- - Aber natürlich ist das das Konzept. Herr Kollege tiges Endlagerkonzept zu entwickeln. Ihre Energie- Schmidt, Sie wissen das doch ganz genau. politik und ihre Entsorgungspolitik sind nicht dazu angetan, den zukünftigen Herausforderungen ge- Das zweite ist, meine Damen und Herren: Bevor recht zu werden. Wir brauchen deshalb ein vernünf- Sie hier an diese Stelle treten und die Bundesregie- tiges Konzept, das nicht nur auf sichere Endlage- rung auffordern, alte rnative Standorte zu benennen, rungsmöglichkeiten, sondern auch auf eine umwelt- klären Sie doch einmal in Ihrer Partei, wer von Ihnen verträgliche Energieversorgung für die nächsten bereit ist, einen alternativen Standort zu akzeptieren! Jahre und eine entsprechende Nutzung aller Res- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Len- sourcen, die wir im Bereich der Energieeinsparung ken Sie doch nicht ab! Das haben wir längst haben, ausgerichtet ist. beschlossen!) Sie, meine Damen und Herren von der Regierungs- Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Dis- koalition, setzen hier weiterhin auf den ungehemm- kussion zwischen Herrn Schröder, Herrn Spöri und ten Ausbau der Atomenergie, und damit werden Sie Herrn Schäfer. Herr Schröder und Frau Griefahn sind die Probleme nur potenzieren. doch in Baden-Württemberg gewesen und haben (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE darum gebeten, daß im Schwarzwald Granit unter- GRÜNEN und der PDS) sucht wird. Spöri und Schäfer haben beide nach Hause geschickt und gesagt: Macht das mal schön in Gorleben, bei uns im Schwarzwald wird nichts unter- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Grill, Sie haben sich noch einmal zu Wort gemeldet. sucht! Sie haben es sofort. So prompt sind wir hier. Oder soll ich Ihnen den Entschließungsantrag der SPD-Landtagsfraktion aus Mecklenburg-Vorpom- Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Herr Präsident! mern vorlesen, die bei Benennung des Bundesamtes Meine Damen und Herren! Herr Behrendt, es kann für Geowissenschaften und Rohstoffe in bezug auf hier nun wirklich nicht so unwidersprochen stehen- mögliche Alternativen als allererstes den Beschluß bleiben, wenn sich hier jemand hinstellt und jenseits gefaßt haben: „Mecklenburg-Vorpommern darf nie aller Realitäten und Vereinbarungen von einem Kon- das Atomklo der Bundesrepublik Deutschland wer- zept redet, das nicht vorhanden sei, der Bundesregie- den "? rung schwerwiegende Vorwürfe macht und vollkom- men vergißt, daß alle Beschlüsse, die zur Frage der Das heißt, Sie zeichnen sich genauso wie BÜND- Entsorgung in Deutschland gefaßt worden sind - an- NIS 90/DIE GRÜNEN durch folgendes aus - ich gefangen unter der Führung von weiß, worüber ich rede, meine Damen und Herren -: 1979 über 1981 bis hin zur Bund-Länder-Entschei- Sie fordern alterna tive Standorte, andere Medien, dung 1990 -, unter Beteiligung der sozialdemokra- und da, wo es stattfinden soll, stehen Ihre Partei- tisch geführten Länder ge troffen worden sind. freunde und sagen: Nein danke! Das ist Ihre A rt von Entsorgungspolitik. Ich sage noch einmal, Herr Ministerpräsident Schröder und die Ministerpräsidentenkonferenz un- (Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: ter der Führung durch Joh annes Rau haben sich für Und zwar seit Jahren!) eine intensive Nutzung des Schachtes Konrad ausge- Sie haben überhaupt kein Recht und keine morali- sprochen, haben die Bundesregierung aufgefordert, sche Legitima tion, dieser Bundesregierung den Vor- das schnellstmöglich umzusetzen. Nur in diesem Zu- wurf zu machen, sie hätte kein Konzept. sammenhang wird doch die Tatsache virulent, daß die Leute, die das beschlossen haben, selber eine (Wilhlem Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Verzögerungstaktik be treiben. eine unzulässige Scharfmacherei, und ein (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sicher Konzept haben Sie trotzdem nicht!) heitsfragen sind von Interesse, keine Verzö Sie sind, Herr Schmidt, überhaupt nicht in der Lage, rungstaktik!) an irgendeiner Stelle dieser Republik - Dabei ist interessant, daß im niedersächsischen Landtag - nun hören Sie mir bitte gut zu - die Sozial- Die Zeit, Herr demokraten mit der CDU zusammen den Antrag der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kollege! Grünen, das Planfeststellungsverfahren für den Schacht Konrad abzubrechen, abgelehnt haben. Ich sage Ihnen, daß der Ministerpräsident des Landes (CDU/CSU): - Handlungsfähig- Kurt-Dieter Grill - Niedersachsen den Schacht Konrad bis zum heuti- keit nachzuweisen. Sie verbreiten Lügen. Das ist das gen Tage für nutzungsfähig hält. Alles andere kön- einzige Konzept, das Sie haben. nen Sie nachlesen. Ich empfehle Ihnen die Lektüre und sich nicht hierherzustellen und an Konzepten (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich Kritik zu üben, die Sie selber zu verantworten haben. verwahre mich dagegen, Herr Präsident! Das als erstes. Wir verbreiten keine Lügen!) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist aber trotzdem kein Konzept der Bundesre Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt spricht für gierung!) die Bundesregierung Herr Staatssekretär Hirche. 3904 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- - Moment, Herr Schmidt, wer hat diese Diskussion ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- denn angefangen und ausgeweitet? Ich komme cherheit: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! gleich auf Morsleben zu sprechen. Seien Sie mal Es ist schon erstaunlich, wie vergeßlich die Sozialde- ganz ruhig, und werden Sie nicht nervös, wenn man mokratie geworden ist. Ich glaube, Sie kennen ihren Ihre ganze Konzeption versucht aufzupiksen und als großen Parteitagsbeschluß von 1957 nicht mehr, der sehr durchsichtig darstellt! Sie haben die ganze Sa- die Ara der Kernenergie in Deutschland eingeläutet che angerührt, und jetzt wollen Sie andere dafür hat. haftbar machen, daß Sie Ihre eigene Meinung geän- dert haben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie Meine Damen und Herren, zu Morsleben möchte können ja bis 1865 zurückgehen!) ich folgendes sagen: Es ist doch so, daß diese Bun- desregierung nicht deshalb handelt, weil sie sich ir- Sie sind damals davon ausgegangen - ich sehe noch gend etwas ausgedacht hat, sondern weil der Deut- diesen schönen Beschluß, der übrigens die Über- sche Bundestag, die erste Gewalt im Staate, im Rah- schrift „Atom macht frei" trug -, daß Sie, wenn aus- men des Einigungsvertrages beschlossen hat, Mors- reichend Energie zur Verfügung steht, in der Gesell- leben fortzuführen. schaft mehr verteilen und mehr Gerechtigkeit her- stellen können. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das (Wolfgang Behrendt [SPD]: Wir haben in war ein Husarenstreich!) der Zwischenzeit dazugelernt! - Wilhelm Meine Damen und Herren, es ist eine typische, Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Absolut lächer aber trotzdem bedenkliche Erscheinung, daß die So- lich, Herr Kollege Hirche, was Sie von sich zialdemokraten, die dem Einigungsvertrag zuge- geben!) stimmt haben, versuchen, sich jetzt aus den Konse- Herr Kollege Schmidt hat das gemeinsam mit mir im quenzen, die damit beschlossen worden sind, heraus- niedersächsischen Landtag noch vertreten. zustehlen. Er hatte damals eine andere Auffassung auch zu (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Konrad, als er hier heute vorgetragen hat. Unglaublich!) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ich weiß gar nicht, was die Bürger von einer Partei, Unglaublich! So alt ist er schon!) von einem Bundestag insgesamt denken sollen, der einige Jahre danach versucht zu sagen: Das war alles Diese Bundesregierung hat ein klares Konzept für nicht so gemeint. Diese Entscheidung im Rahmen die Entsorgung der atomaren Abfälle in der Bundes- des Einigungsvertrages halte ich auch heute noch für republik Deutschland. Das betrifft die Frage der sachgerecht; denn es ging 1990 - auch heute - schwachaktiven atomaren Abfälle; da läuft das Plan- damm, nicht alles zu zerschlagen. feststellungsverfahren vorschriftsmäßig. Knüppel zwischen die Beine versucht die niedersächsische (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie neh Landesregierung zu werfen. Auch das Erkundungs- men doch alle Sicherheitsrisiken in Kauf!) verfahren in Gorleben läuft vorschriftsmäßig. - Das ist vom Deutschen Bundestag geprüft worden, (Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD] Herr Kollege Schmidt. Genau darum ging es. meldet sich zu einer Zwischenfrage) Wegen einer fehlenden zusätzlichen formalen Prü- Herr Kollege Behrendt, genau das, was Sie gefor- fung wird im Hinblick auf die Langzeitlagerung noch dert haben, nämlich eine endgültige Entscheidung einmal all das gemacht, was nach dem bundesdeut- erst nach Abschluß der Untersuchung zu treffen, wi ll schen Recht für entsprechende Verfahren in der Bun- die Bundesregierung machen. Wir haben immer ge- desrepublik erforderlich ist. Es ist ganz selbstver- sagt: Wir wollen Gorleben weiter untersuchen, damit ständlich: Für den Fall - als Formulierung angenom- nach der Untersuchung geklärt werden kann, ob der men, aber nicht zugegeben -, daß sich herausstellen Salzstock in Gorleben als Endlager geeignet ist oder sollte, daß es ab 2000 nicht geeignet ist, wird do rt nicht. Dazu werden wir auch kommen. nach unserer Gesetzeslage selbstverständlich nicht weiter abgelagert. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Staatsse- kretär - - (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND - NIS 90/DIE GRÜNEN)

Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Das gilt auch für den unwahrscheinlichen Fall - ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- dies nur angenommen, weil Sie es aufgeworfen ha- cherheit: Nein. - Bundeskanzler Schmidt hat seiner- ben -, daß eine Eignung überhaupt nicht gegeben zeit - - ist; dann würden nach unserer Gesetzeslage natür- lich entsprechende Konsequenzen gezogen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sagen Sie etwas zu Morsleben! Gehen Sie nicht (Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE immer Jahrzehnte zurück!) GRÜNEN]: Haha!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3905

Parl. Staatssekretär Walter Hirche - Was heißt denn „Haha"? daß die notwendigen Grunddaten etwa für ein Still -legungskonzept fehlten. Ich kann auch sagen, daß (Beifall bei der F.D.P. - Dr. Wolfgang Weng bereits auf Grund von Untersuchungen in der ehe- [Gerlingen] [F.D.P.]: Sehr gute Frage! - Abg. maligen DDR, aber auch auf Grund der Sicherheits- Dr. Winfried Wolf [PDS] meldet sich zu ei analyse der Gesellschaft für Reaktorsicherheit aus ner Zwischenfrage) dem Jahr 1990 so viele Daten vorliegen, daß man so- Wir haben eine klare Gesetzeslage. Diese Bundesre- wohl zur Langzeitsicherheit als auch hinsichtlich des gierung handelt - im Unterschied zu den Behauptun- Stillegungskonzeptes Aussagen treffen kann. gen und Unterstellungen, die von Ihrer Seite ge- macht werden - nach Recht und Gesetz; und dabei (Abg. Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜND- wird es bleiben. Wir werden uns von Ihnen nicht irri- NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer tieren lassen. Zwischenfrage) (Beifall bei der F.D.P.) Meine Damen und Herren, alles, was hier dagegen Ich fand es nicht so ganz einwandfrei - Herr Kol- vorgebracht wird, ist reine Polemik. Es ist ganz si- lege Behrendt, ich glaube, Sie waren es -, davon zu cher, daß eine Endverwahrung im Sinne der ein- reden, hier werde im Zweifelsfall ein Sondergesetz schlägigen Sicherheitskriterien erreicht werden versucht. Das reiht sich in eine Polemik ein, die ich kann. Aussagen zur Langzeitsicherheit enthält der aus Ihren Reihen ungern höre. letzte Sicherheitsbericht 1989/90 für das Endlager (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wen Morsleben. den Sie sich, wenn Sie über Polemik spre chen, an Herrn Grill!) - Herr Schmidt, ich glaube, da stehen Sie Herrn Gri ll Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Staatsse- in nichts nach. Es ist eine Eigenschaft, die einem kretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Redner manchmal ganz gut ansteht. Insofern wollen wir das nicht übertreiben. Diese Art von Wortwahl sollten wir uns gegenseitig Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- vielleicht ersparen. Denn solche Worte sind natürlich ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- - wie Sie genau wissen - mit historischen Reminis- cherheit: Nein, ich möchte zum Ende kommen. - zenzen belastet. Ich möchte nicht, daß die Diskussion Maßstab für den Sicherheitsnachweis waren die in- zwischen Fraktionen - welchen auch immer - hier im ternationalen Grundsätze der IAEO und die damals Hause durch solche historischen Reminiszenzen be- geltenden gesetzlichen Grundlagen der DDR. Diese lastet wird. Wir werden uns weiterhin an Recht und Sicherheitseinschätzung ist durch die GRS 1990 be- Gesetz halten. stätigt worden. Auch diese Analysen liefern keinen Hinweis, der Anlaß zur Besorgnis hinsichtlich der Si- Ich weise das, was hier von seiten der Grünen im cherheit geben könnte. Zusammenhang mit dem Europäischen Gerichtshof und der EG gesagt worden ist, zurück. Meine Damen Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und Herren, am 1. Juli 1990 ist auf dem Gebiet der redet hier keine Sicherheit herbei, wie unterstellt ehemaligen DDR das Umweltrahmengesetz in Kraft worden ist. Die Daten sind vorhanden. Es ist aben- getreten. Dadurch wurde das Umweltrecht des Bun- teuerlich, wenn anderes gesagt worden ist. Ich be- des auf die neuen Bundesländer übergeleitet. Dazu daure sehr, daß in der richtigen, politisch korrekten gehörte das UVP-Gesetz. Die UVP-Richtlinie der EG Konjunktivform von Ihnen, Herr Behrendt - Sie sag- galt in den neuen Ländern dagegen erst ab 3. Ok- ten immer „würde, würde, würde", und dahinter tober 1990. Jetzt kommt es: Eine unmittelbare Gel- kam die Unterstellung - versucht wurde, ein Ge- tung der Richtlinie vor diesem Zeitpunkt ist deshalb bäude aufzubauen, das die Unsicherheit erst erzeugt. auch nach Auffassung der Europäischen Kommission Dieser Vorwurf geht in Ihre Richtung. Wir sind bereit, ausgeschlossen. Die UVP-Richtlinie gilt generell - so alles zu prüfen, was an echten Einwänden und Sor- hat es jüngst der Europäische Gerichtshof noch ein- gen auf den Tisch kommt. mal bestätigt - im übrigen nur für Verfahren, die nach dem 3. Juli 1988 eingebracht wurden. Davon Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusam- kann hier überhaupt keine Rede sein. Weder die EG- menfassen: Eine Einstellung des Einlagerungsbetrie- Richtlinie noch das UVP-Gesetz begründen eine bes in Morsleben ist weder aus rechtlichen noch aus nachträgliche Pflicht zur Durchführung einer UVP; sicherheitstechnischen Gründen gerechtfertigt. Der denn durch die Überleitungsregelung in § 57a des Betrieb erfolgt derzeit auf Grund einer gültigen Dau-- Atomgesetzes wurde keine neue Genehmigung er- erbetriebsgenehmigung, die infolge sicherheitserhö- teilt und auch kein neues Verfahren eingeleitet. hender Selbstbeschränkung des Betreibers nicht voll Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, anders ausgeschöpft ist. Die sicherheitstechnischen Anfor- sieht es bei dem 1992 eingeleiteten Planfestellungs- derungen werden vollständig eingehalten. Das 1992 verfahren hinsichtlich des Weiterbetriebs des Endla- beantragte Planfeststellungsverfahren für den Wei- gers in Morsleben für die Zeit ab dem Jahre 2000 terbetrieb über 2000 hinaus wird nach Recht und Ge- aus. Hier wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung setz durchgeführt. Insoweit spielen die Aspekte der durchgeführt. Das ist rechtlich und politisch ganz Langzeitsicherheit und der Stillegung eine beson- selbstverständlich. Es ist überhaupt nicht zutreffend, dere Rolle. Die Arbeiten sind längst angelaufen. 3906 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Parl. Staatssekretär Walter Hirche Vor diesem Hintergrund entbehrt der Antrag der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich frage Sie, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jeder Grund- Herr Staatssekretär, der guten Ordnung halber: Ich lage. Er ist reine Polemik nach dem Motto: „Irgend habe noch zwei weitere Kurzinterventionen. Könnten etwas wird schon hängenbleiben". Aber das werden Sie danach antworten? wir nicht zulassen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit: Ja, gerne. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- ner Kurzintervention hat der Kollege Dr. Wolf, PDS. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Dann ist jetzt der Kollege Reinhard Weis an der Reihe. Dr. Winfried Wolf (PDS): Sehr geehrter Herr Staats- sekretär Hirche, ich wollte Ihnen eine Frage stellen. (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Herr Präsi- Sie hatten nicht die Kraft, eine Frage zuzulassen. dent, darf ich gerade zwei Beobachtungen mitteilen?) (Lachen des Abg. Dr. Wolfg ang Weng [Gerlingen] [F.D.P.] - Heiterkeit beim - Nein, das können Sie nicht, weil ich jetzt dem Kol- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) legen Reinhard Weis das Wort erteilt habe. Es tut mir leid. Deswegen gleich Klartext, und zwar drei Punkte: Ich glaube, es ist ziemlich billig, wenn Sie die Sozialde- mokraten hier mit Verweisen auf die 50er Jahre vor- Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Herr Präsident! führen, eine Zeit, in der die Worte „Atomkraft" und Herr Staatssekretär, ich möchte klarstellen, daß ich „Kernkraft" positiv besetzt waren, in der Atomversu- mit dem Begriff „Sondergesetz" keine besonderen che durchgeführt wurden und das Bikini-Atoll als Assoziationen wecken wollte. Ich habe ihn im Zu- Namensgeber für ein bescheidenes Textil herhalten sammenhang mit der Feststellung gebraucht, daß da- mußte durch, daß heute erkennbar ist, daß die Planfeststel- lungsunterlagen für das Land Sachsen-Anhalt offen- (Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie sichtlich nicht mehr Mitte 1996 zur Verfügung stehen haben davon ge träumt, sie in die DDR zie werden, höchstwahrscheinlich auch die Auflage des hen zu können!) Bundesverwaltungsgerichtes, die Eignung des End- - ich habe nicht davon ge träumt; Sie verwechseln lagers für den Zeitraum nach dem 30. Juni 2000 fest- mich mit jemandem - und in der sich Marxistinnen zustellen, bis zu diesem Datum nicht mehr erfüllt und Marxisten eine weitere Entwicklung auch gar werden kann und dann eine besondere Gesetzge- nicht anders als im weiteren Wachstum von Produk- bung den weiteren Umgang mit dem Endlager re- tivkräften vorstellen konnten. geln müßte. Ich bitte darum, daß der Beg riff „Son- dergesetz" in diesem Zusammenhang nicht so pole- Zweitens. Es gab inzwischen eine Entwicklung, misch bewertet wird. Herr Staatssekretär Hirche, die im Jahr 1973 mit Wyhl angefangen hat und mit Brokdorf, Gorleben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Wackersdorf weitergegangen ist. Am Ende die- ser Entwicklung war klar, daß sie ein neues Bewußt- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt hat der Kol- sein in der Bevölkerung geschaffen hat, das heute in lege Helmut Wilhelm das Wort zu einer Kurzinter- Mehrheiten mündet, die für einen Ausstieg aus der vention. Kernkraft sind. Der gerade präsidierende Vizepräsi- dent des Deutschen Bundestags, Herr Klose, hat da- mals als Hamburger Regierender Bürgermeister im Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE Zusammenhang mit dem AKW Brokdorf den Satz ge- GRÜNEN): Der Herr Staatssekretär hat darauf hinge- prägt, daß man hier einen staatsmonopolistischen wiesen, daß das Gesetz über die Umweltverträglich- Kapitalismus beobachten könne. keitsprüfung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erst am 3. Oktober in Kraft ge treten sei. Zum glei- Dritter und letzter Punkt. Ihnen müßten doch zwei chen Zeitpunkt, zur gleichen logischen Sekunde Punkte zu denken geben. Sie schwören auf p rivates aber trat die Genehmigungsfiktion des Einigungsver- Kapital und Mehrheiten im Volk. Erstens gibt es kein trages in Kraft, also zu einem Zeitpunkt, als das Ge- einziges privates Unternehmen auf der Welt, das be- setz über die Umweltverträglichkeitsprüfung nach reit wäre, für Atomkraft volles Risiko von Anfang bis Ihren eigenen Ausführungen bereits galt. Ich möchte Ende zu übernehmen, weil sie nicht kontrollierbar darauf hinweisen, daß das Bundesverwaltungsge- - ist. Immer muß hier die Gesellschaft einschreiten. richt diese Norm des Einigungsvertrages in seiner Zweitens haben wir heute, spätestens seit Tscherno- Entscheidung als Genehmigungsfiktion qualifiziert byl, klare Mehrheiten in der deutschen Bevölkerung und damit einer Genehmigung nach dem Atomge- für einen Ausstieg. Wenn es schon Mehrheiten gibt, setz gleichgesetzt hat. dann sollten Sie ihnen in diesem Fall auch konkret Rechnung tragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS) Danke schön. (Beifall bei der PDS und beim BÜNDNIS 90/ Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Staatsse- DIE GRÜNEN) kretär. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3907

Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- für die Angelegenheiten der Europäischen Union ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - cherheit: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überwei- Ich möchte zunächst die Gelegenheit wahrnehmen, sung so beschlossen. Herrn Minister Blüm herzlich zu gratulieren. Vor 20 Minuten ist sein erstes Enkelkind auf die Welt ge- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: kommen. (Beifall) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Herzlichen Glückwunsch. Ich denke, das ist würdig, zu dem Antrag der Abgeordneten Robert An- daß es sich im Protokoll des Deutschen Bundestages tretter, Wolf-Michael Catenhausen, Klaus findet, wenn wir schon über Dinge sprechen, die Kirschner, weiterer Abgeordneter und der mehrere Generationen betreffen. Fraktion der SPD und der Fraktion BÜND- Herr Kollege Weis, ich nehme das, was Sie eben er- NIS 90/DIE GRÜNEN läutert haben, gerne entgegen und freue mich, daß Entwurf einer Bioethik-Konvention des Euro- Sie diese Erklärung gegeben haben. Ich verstehe, parates daß Sie in diesem Zusammenhang Fragen und Sor- gen angemeldet haben. Auf dieser Basis läßt sich gut - Drucksachen 13/321, 13/1816 - diskutieren. Die Bundesregierung wird den Versuch Berichterstattung: machen, Ihnen gegenüber nachzuweisen, daß Ihre Abgeordnete Peter Altmaier Sorgen und Ängste unbegründet sind. Margot von Renesse Herr Wolf, ich finde es immer sehr putzig - das ist das Allerschönste -, wenn aus der PDS West Beleh- Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. rungen - in diesem Fall nicht an die Bundesregie- rung, sondern an die SPD - oder Verwahrungen im Nach interfraktioneller Vereinbarung soll die Aus- Namen der SPD kommen. Etwas Erstaunlicheres sprache eine halbe Stunde dauern. Es ist aber eben- kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen. Da muß falls interfraktionell vereinbart worden, daß Redebei- eine sehr enge Realitätswahrnehmung vorliegen. träge zu Protokoll gegeben werden können. - Ich Aber ich nehme es zur Kenntnis und habe auch höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- schon andere Diskussionen erlebt. sen. Herr Wilhelm, ich bleibe auch nach Ihrer Inte rven- Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihren tion bei dem, was ich zur rechtlichen Situa tion hier Redebeitrag zu Protokoll gegeben, also von der Mög- vorgetragen habe. Es ist heute nicht das erste Mal, lichkeit Gebrauch gemacht: der Kollege Peter Alt- daß diese Auseinandersetzung stattfindet. Kollege maier, CDU/CSU-Fraktion, die Kolleginnen Gudrun Klinkert und ich haben auf viele Anfragen, die hier Schaich-Walch und Margot von Renesse von der gestellt worden sind, die Rechtsauskünfte schon ge- SPD, der Kollege Volker Beck (Köln) vom BÜND- geben. Ich bleibe dabei, daß Sie diese Rechtslage NIS 90/DIE GRÜNEN, der Kollege Heinz Lanfer- kennen und daß die wiederholte Infragestellung der mann (F.D.P.), der Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer von Rechtslage nicht einer Klärung dient, sondern der der PDS und desgleichen die Bundesministerin Sa- Versuch einer Verunsicherung vor dem Hintergrund bine Leutheusser-Schnarrenberger. S ) der totalen Ablehnung von Kernenergie ist. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr (Beifall der Abg. Gila Altmann [Aurich] verdienstvoll!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Andere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. - Diese Meinung Ihrerseits, Frau Altmann, respek- tiere ich. Aber eine Meinung rechtfertigt noch nicht, Dann kommen wir zur Abstimmung über die Be- jedes Mittel einzusetzen, d. h. etwa auch Rechtstat- schlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem bestände zu verdrehen und Unsicherheit zu erzeu- Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- gen. SES 90/DIE GRÜNEN zu dem Entwurf einer Bio- ethik-Konvention des Europarates. (Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Unsicherheit erzeugen Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Sie durch Ihre Atompolitik!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1839 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für Auf diese Weise instrumentalisieren Sie Angst für po- diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Ent- litische Zwecke, aber suchen nicht den Weg zur haltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Wahrheit. Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD abge- lehnt. Ich schließe die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Nr. 1 seiner Aussprache. Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/1816 die Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese lage auf Drucksache 13/1378 an die in der Tagesord- Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthal- nung aufgeführten Ausschüsse vor. Außerdem soll die Vorlage dem Rechtsausschuß und dem Ausschuß. *) Anlage 6 3908 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose tungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die und der SPD ist die Beschlußempfehlung bei Stimm- gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Ich sehe keinen Widerspruch und eröffne die Aus- PDS angenommen. sprache. Das Wort hat der Kollege Frank Hofmann, SPD. Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Druck- sache 13/1816 empfiehlt der Rechtsausschuß, den Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- (Volkach) (SPD): Herr Präsident! SES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/321 für er- Frank Hofmann Meine Damen und Herren! Korruption und Beste- ledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluß- haben sich national und international zu ei- empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - chung nem Krebsgeschwür entwickelt. Millionenbeträge Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der gehen der öffentlichen Hand an Einnahmen jährlich Koalitionsfraktionen, des BÜNDNISSES 90/DIE verloren. Millionenbeträge zahlen die öffentlichen GRÜNEN und der SPD sowie zwei Stimmen der PDS Haushalte für überhöhte Rechnungen. bei zwei Enthaltungen aus der Gruppe der PDS an- genommen. Der wirklich Be trogene ist der Steuerzahler; denn im Durchschnitt liegen die Preise bei abgesproche- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15a bis 15c auf: nen Auftragsvergaben um bis zu 30 % über den Marktpreisen. Der hessische Oberstaatsanwalt a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD Schaupensteiner schätzt allein die durch Korruption eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur und Absprachen im öffentlichen Bauwesen verur- Bekämpfung der Korruption durch die Ab- sachten Schäden auf bundesweit ca. 10 Milliarden schaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von DM pro Jahr. Und wer zahlt? Der Steuerzahler. Schmier- und Bestechungsgeldern (Steuerli- ches Korruptionsbekämpfungsgesetz - Auffällig und neu an der Korruption ist der aggres- StKBG) sive Einsatz von Schmiermitteln auch bei bisher als seriös geltenden Unternehmern, mußte der Korrupti- - Drucksache 13/742 — onsspezialist Schaupensteiner kürzlich bei einer Ta- Überweisungsvorschlag: gung berichten. Finanzausschuß (federführend) Innenausschuß (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rechtsausschuß NEN]: Firma S. aus Baye rn!) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung Sichtbar werden vorzüglich funktionierende Mani- Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO pulationsverfahren und Handbücher mit Handlungs- anweisungen für Bestechung. Wer hier noch die b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Chri- Schwarze-Schafe-Theo rie vertritt und weiterhin die stine Scheel, Manfred Such, Elisabeth Alt- Augen vor der Wirklichkeit verschließt, verharmlost mann (Pommelsbrunn), weiterer Abgeordne- nicht nur, sondern trägt zur weiteren Ausbreitung ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von Korruption bei. NEN (Beifall bei der SPD und der PDS) Maßnahmen gegen Korruption

- Drucksache 13/617 — Meine Damen und Herren, es ist nicht hinnehm- bar, daß sich Korruption in unserer Gesellschaft bis Überweisungsvorschlag: zur Salonfähigkeit einrichtet. Es ist nicht hinnehm- Finanzausschuß (federführend) bar, daß sich eine Autobahn neben dem Dienstweg Innenausschuß entwickelt, die durch Korruption entsteht. Die SPD Rechtsausschuß schlägt deshalb vor, Schmier- und Bestechungsgel- Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß der nicht länger auch noch steuerlich zu begünsti- gen. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Frank Hofmann (Volk- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ach), Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeord- GRÜNEN und der PDS) neter und der Fraktion der SPD Die jetzige Regelung verleiht der Korruption die Eindämmung der internationalen Korruption Aura des Erlaubten. Sie hat fatale Wirkungen im Hinblick auf Steuermoral und Steuerwiderstand, - Drucksache 13/1717 — und sie widerspricht der Werteordnung unserer Ver- Überweisungsvorschlag: fassung. Wir müssen vermeiden, .daß das, was die Finanzausschuß (federführend) eine Hand des Staates, Staatsanwaltschaft und Poli- Auswärtiger Ausschuß zei, bekämpft, durch die andere Hand des Staates, Rechtsausschuß das Finanzamt, begünstigt wird. Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3909

Frank Hofmann (Volkach) Unser Steuerrecht fördert nationale und internatio- Herr Faltlhauser, Sie hören mir zu? Es zeigt sich nale Korruptionspraktiken als übliches Geschäftsge- also: Wenn die enge steuerjuristische Logik zu unsin- baren. Es kann doch nicht richtig sein, wenn wir die nigen Ergebnissen führt und der ethischen Grund- Bestechung mit steuerlichen Streicheleinheiten be- überzeugung eklatant widersp richt, war auch schon lohnen. Hier steht die Glaubwürdigkeit des Gesetz- bisher der Gesetzgeber in der Lage, sich für das gebers auf dem Spiel. Sinnvolle und Richtige zu entscheiden.

Ich kenne die Argumentation der Gegenseite, un- (Beifall bei der SPD und des Abg. Rolf Kutz- ser Vorschlag widerspreche der Steuersystematik, mutz [PDS]) das Steuerrecht sei noch nie mit Moral verknüpft ge- Ich fordere die Fraktionen der Regierungskoalition wesen, wie der finanzpolitische Sprecher der CDU/ deshalb dazu auf: Tun Sie das auch hier, stimmen Sie CSU-Bundestagsfraktion, Herr Hauser, in der Presse für die Streichung der steuerlichen Abzugsfähigkeit zitiert wird. Im Steuerrecht gelte der Grundsatz der von Schmier- und Bestechungsgeldern! wertneutralen Besteuerung. Sie behaupten, ein deutscher Alleingang sei nicht Meine Damen und Herren, hier zeigt sich, wie weit opportun. Er schade deutschen Firmen im internatio- sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom Bürger nalen Wettbewerb. entfernt hat. Dafür hat der Steuerzahler zu Recht kein Verständnis. Ich möchte zwei Gegenargumente vortragen. Zum einen: Seit 18 Jahren sind die USA der einzige Staat, (Beifall bei der SPD, und dem BÜNDNIS 90/ der ein Gesetz gegen die Bestechung im Ausland er- DIE GRÜNEN und der PDS) lassen hat. Eine steuerliche Begünstigung ist in den USA ausgeschlossen, und die amerikanischen Fir- Zum einen möchte ich darauf hinweisen, daß der men haben gelernt, wie man fast überall auf der Welt Grundsatz der wertneu tralen Besteuerung, wie er in konkurrieren kann, ohne Bestechungsgelder zu zah- § 40 AO zum Ausdruck kommt, nicht immer gilt, und len. Ich meine, das können unsere innovativen Fir- er gilt auch heute nicht in allen Fällen. men auch leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Hofmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage? und der PDS) Zum anderen: In fast allen westlichen Industrie- staaten sind die steuerlichen Regelungen schärfer als Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Sehr gern. in der Bundesrepublik Deutschland. Von einem Al- leingang könnte bei Annahme unseres Gesetzent- Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Kollege, wurfs keine Rede sein. Im Gegenteil: Derzeit spielt darf ich Sie darauf hinweisen, daß die Wertneutralität die Bundesrepublik eine Sonderrolle, durch die den oder Wertungsneutralität, die Sie gegenüber der deutschen Unternehmen im internationalen Ver- CDU/CSU so vorwurfsvoll instrumentalisieren wol- gleich ein massiver Wettbewerbsvorteil verschafft len, im Text der Abgabenordnung ausdrücklich fest- wird. Die deutschen Finanzämter interessieren sich gelegt ist, und dies schon seit ewigen Zeiten? nämlich nicht für Schmiergelder, die ins Ausland flie- ßen. Meine Damen und Herren, das ist ein Freibrief für die internationale Korruption. Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Herr Staatssekre- (Beifall bei der SPD) tär Faltlhauser, ich gebe Ihnen insoweit recht, daß sie schon sehr lange festgelegt ist. Sie können aber Nach den neusten Erkenntnissen, vorgetragen von nachlesen, wie die Wertneutralität entstanden ist, Herrn Geiger von der OECD, sind Schmier- und Be- wie sie in der Reichsfinanzordnung etwa 1935 formu- stechungsgelder nicht abzugsfähig - das dürfte auch liert worden ist. Wenn Sie das verfolgen, werden Sie für Sie neu sein - in fünf der G-7-Staaten. In Frank- feststellen, wie das entstanden ist. Dann sollten wir reich, dem sechsten G-7-Staat, muß auch der auslän- uns auch im Finanzausschuß noch einmal darüber dische Empfänger genannt werden, und Deutsch- unterhalten. land steht am Ende der Skala der G-7-Nationen. Nur noch Staaten wie Luxemburg, Belgien und Griechen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) land haben ähnlich großzügige Regelungen. Ich möchte darauf hinweisen, daß der § 40 AO so, (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Hört! Hört!) wie er jetzt ist, eine Entstehungsgeschichte hat. Diese Entstehungsgeschichte müssen wir be trachten. Die vom Finanzministerium noch immer vorgetra- gene Auffassung, daß die in den westlichen Indu- Das Gesetz gilt auch heute nicht in allen Fällen. So strienationen betrieblich veranlaßten Schmiergeld- sind z. B. Geldstrafen seit jeher nicht abzugsfähig, zahlungen grundsätzlich als Betriebsausgaben aner- und nach § 4 Abs. 5 Nr. 8 des Einkommensteuerge- kannt werden, ist völlig veraltet und überholt. Ich for- setzes werden Geldbußen, Ordnungs- und Verwar- dere daher Sie, Herr Staatssekretär, hier auf, uns für nungsgelder auch dann vom Steuerabzug ausge- die Diskussion im Finanzausschuß eine aktualisierte schlossen, wenn sie dem Grunde nach Betriebsaus- Übersicht vorzulegen, die auch die Erkenntnisse der gaben darstellen. OECD berücksichtigt. 3910 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Frank Hofmann (Volkach) Fest steht: Die Bundesrepublik Deutschland ist we- symbolisch, sondern tatsächlich bekämpfen wi ll; der Vorreiter in der Bekämpfung der Korruption noch denn bei der Korruption gibt es in a ller Regel keinen Mitläufer. Nein, sie ist Bremser. Sie verschafft den Anzeigeerstatter. Deshalb hat das Steuergeheimnis deutschen Unternehmen Sonderrechte und er- in den eng umgrenzten Fällen zurückzutreten, wo schwert die Bekämpfung der internationalen Korrup- Korruption öffentliche Rechtsgüter verletzt. tion auch in den Entwicklungsländern. Meine Damen und Herren, ich kenne den Vorwurf, Mit dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf zur wir würden damit das Steuergeheimnis aushebeln. steuerlichen Korruptionsbekämpfung haben wir, hat Nein, dies ist nicht der Fall. Wir sind uns der außeror- das Parlament, Gelegenheit, die Bundesrepublik dentlichen Sensibilität in diesem Bereich sehr wohl auch im internationalen Ansehen ein wich tiges Stück bewußt. Deshalb haben wir das Informationsrecht nach vorne zu bringen und den Anschluß an die übri- der Finanzbehörden eng auf die Fälle der aktiven gen G-7-Staaten wiederherzustellen. und passiven Bestechung eingegrenzt. Damit wird (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Chri nicht das Steuergeheimnis gelüftet, aber trotzdem stine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) den Ermittlungsbehörden die Möglichkeit zum Tätig- werden eröffnet. Auch für die Finanzverwaltung hat Mit der jetzigen Regelung fördern wir die Korrup- unser Vorschlag große Vorteile. Er schafft Rechtssi- tionskriminalität. Kriminalisten und Kriminologen cherheit gerade für den einzelnen Finanzbeamten. wissen: Korruptionsdelikte entfalten Ansteckungs-, Nachahmungs-, Sog- und Spiralwirkungen. Wo ist in Ich sehe gute Chancen für die Ini tiative der SPD- dieser Gesellschaft dann noch Platz für den ehrbaren Bundestagsfraktion; denn Fachleute von IHK, Hand- Kaufmann? Wenn der redliche Unternehmer kalku- werkskammer und Staatsanwaltschaften unterstüt- liert, hat er sich verkalkuliert, wenn der kriminelle zen unsere Vorschläge, und die Parteien bewegen Unternehmer schmiert. sich. Ich erinnere hier an den F.D.P.-Parteitagsbe- schluß, jüngst in Mainz gefaßt. Ich hoffe, Herr Thiele, Wer sagt, es gehe in unserer Exportwirtschaft die F.D.P. bleibt nicht auf halber Strecke stecken. heute nicht mehr ohne den Einsatz von Schmiergel- dern, der muß wissen, daß erst die Nachahmungsef- Auch die Bayerische Staatsregierung will - so ist in fekte, die Sog- und Spiralwirkungen die Korruption der „Bayerischen Staatszeitung" vom 5. Mai 1995 zu auf das heute hohe Niveau gehievt haben. Die steu- lesen - den Abzug von Schmiergeldzahlungen als erliche Abzugsfähigkeit der Bestechungs- und Betriebsausgaben im Steuerrecht generell ausschlie- Schmiergelder hat dazu beigetragen, daß wir und die ßen. Finanzstaatssekretär Zeller wird mit den Worten Entwicklungsländer heute so tief im Korruptions- zitiert: „Wer Korruption ächten wi ll, muß auch im sumpf stecken. Steuerrecht klar Posi tion beziehen." Recht hat er, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU. Schließen Die Industrie und die Wirtschaft müßten die eigent- Sie sich den Worten Ihres bayerischen Finanzstaats- lichen Vorreiter der Korruptionsbekämpfung sein; sekretärs an! Stimmen Sie unserer Ini tiative zu! Denn denn sie wären die eigentlichen Gewinner. Sie könn- unser Gesetzentwurf zur steuerlichen Korruptionsbe- ten Kosten sparen und damit ihre Produkte billiger kämpfung ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung auf den Weltmärkten anbieten. Deshalb fordere ich des Krebsübels Korruption, dient der Wiederherstel- Industrie und Wi rtschaft erstens auf, sich zusammen lung der Steuermoral und der gerechten Behandlung mit uns für eine internationale Regelung zur Kor- der Entwicklungsländer. Die Ermittlungsbehörden ruptionsbekämpfung einzusetzen. Die OECD-Richt- brauchen ihn dringend zur wirkungsvollen Verbre- linie gegen die Korruption im internationalen Ge- chensbekämpfung. schäftsverkehr ist hierbei ein wich tiger Schritt in diese Richtung. Ich fordere Indust rie und Wirtschaft Deshalb: Nehmen wir dem Geld seine bestechen- zweitens auf, die Korruptionsbekämpfung end lich zu den Eigenschaften! Streichen wir die Abzugsfähig- einem Ziel im Rahmen ihrer Unternehmenskultur zu keit von Schmier- und Bestechungsgeldern aus unse- machen. rem Steuerrecht!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, Kor- Ich danke Ihnen. ruption ist auch Wegbereiter der organisierten Kri- minalität. Nicht umsonst bezeichnet man in diesen (Beifall bei der SPD) Bereichen Geld auch als Knete, weil man damit Men- schen weichmachen kann. Wir können aber den Schmiergeldstrom, der das Fahrwasser der organi- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die sierten Kriminalität ist, zum Austrocknen bringen. Kollegin Christine Scheel, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- - Gerade die CDU/CSU versteht sich doch sonst immer NEN. als die Partei, die es mit der Verbrechensbekämp- fung besonders ernst nimmt. Hier und heute können (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie es unter Beweis stellen. NEN]: Das war seine erste Rede!) (Beifall bei der SPD) - Wenn es denn so war, gratuliere ich herzlich. Aber ich kann erst gratulieren, wenn ich es weiß. In unserem Gesetzentwurf räumen wir den Finanz- behörden ein besonderes Mitteilungsrecht in Sachen (Beifall bei der SPD) aktiver und passiver Bestechung ein. Das ist zwin- gend notwendig, wenn man die Korruption nicht nur Sie haben das Wort. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3911

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tion im In- und Ausland systema tisch zu unterbin- Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Korrup- den. Es gäbe die Möglichkeit, daß Behörden eine tion wächst und gedeiht, Korruption in den deut- Mitteilungspflicht bekommen; sie könnte viel stärker schen Amtsstuben, im internationalen Geschäftsver- ausgebaut werden. Es gäbe auch die Möglichkeit ei- kehr und auch bei Regierungsaufträgen. Dies ist ner Prüfung des Tatbestandes Haushaltsuntreue. mittlerweile fast täglich in den Zeitungen nachzule- Man versucht, das Ganze immer wieder zu umge- sen. hen, und sagt: „Die bestehende Gesetzeslage reicht aus", obwohl Richter, Staatsanwälte, Polizei und Fi- Wir haben uns in den letzten Monaten bei Staats- nanzbehörden wissen, daß es in diesem Bereich ge- anwaltschaften informiert, die uns mitgeteilt haben, nug Lücken gibt, die es zu schließen gälte. daß die Zahl der Fälle zunimmt. Dies hängt natürlich auch damit zusammen - das muß man ehrlicherweise Wir wissen auch, daß die Korruption erst etwa seit einschränkend sagen -, daß heute mehr ermittelt dem letzten Jahr in den Kriminalitätsstatistiken der wird, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Polizei extra ausgewiesen auftaucht. Das ist ein klei- Allerdings ist unklar, wie groß der Zuwachs ist. M an nes Problem, was die Ermittlungen und auch die Sta- wird sehen, zu welchem Ergebnis die Statistiken, die tistik betrifft, das ist vollkommen klar. Das Problem im Moment erst aufgebaut werden, kommen. wurde aber mittlerweile erkannt, und die Korruption Fest steht, daß Korruption im nationalen und inter- wird jetzt extra ausgewiesen, d. h., es wird uns in nationalen Geschäftsverkehr System hat und daß es den nächsten Jahren hilfreich sein, daß wir wenig- hier mehr oder weniger ausgefeilte Praktiken gibt, stens die Datenlage einigermaßen klar haben. die für die Steuerbehörden, für die Staatsanwalt- Wir finden es jedoch ungeheuerlich - das ist der schaften und auch für die Partner im Geschäftsleben zentrale Punkt -, und - ich sage das einmal ganz mittlerweile immer schwerer durchschaubar sind. flapsig - ich finde es schon fast pe rvers, wenn auf der Fest steht auch - das muß man in diesem Zusam- einen Seite der Gesetzgeber Polizei und Justiz auffor- menhang leider immer wieder ansprechen -, daß dert zu ermitteln und die Verfolgung von Korrup- Korruption der geeignetste Einstieg zur Unterwande- tionsfällen verlangt, auf der anderen Seite aber die rung des Rechtsstaates ist und zu einer ernsten Be- steuerliche Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern drohung der moralischen Grundlagen unserer Ge- auch noch ausdrücklich bestätigt wird. sellschaft führt. In dieser Aussage sind wir uns auch (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der fraktionsübergreifend, denke ich, einig. SPD und der PDS) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genau das ist der zentrale Punkt, wenn es um die Fest steht ferner - ich hoffe, daß wir uns darin Moral und die Grundhaltung in dieser Gesellschaft ebenfalls einig sind -, daß Korruption in internatio- bei dieser Frage geht. nalen Entwicklungsprogrammen dazu geführt hat, daß viele Projekte untergraben wurden und kontra- Ich setze Ihnen noch einen drauf: Das gipfelt in der produktive Entwicklungen mehr oder weniger von- Aussage des Bundesamtes für Finanzen: Kosten - ge- statten gegangen sind über Aufträge, die überdimen- meint sind die Schmiergeldzahlungen - werden in sioniert waren, nicht notwendig gewesen wären und Form nützlicher Abgaben - das sind die Betriebsaus- die viele Länder noch stärker in die Verschuldung gaben - bei der Kalkulation des Auftragsentgeltes hineingetrieben haben, als es leider sowieso schon berücksichtigt. der Fall war. Des weiteren - so heißt es - würde das steuerliche Fest steht auch, daß Korruption eines der größten Abzugsverbot Exportunternehmen bis zur Gefähr- globalen Hindernisse für die wirtschaft liche und die dung von Arbeitsplätzen benachteiligen. Das bedeu- politische Entwicklung ist und daß sie im Geschäfts- tet, daß hier die Arbeitsplätze herangezogen werden, verkehr zu erheblichen ökonomischen Kosten führt. um dieser bestehenden Praxis - ich sage es bewußt so - weiter Vorschub zu leisten. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das ist leider richtig!) Der Kollege Frank Hofmann hat die OECD-Auf- Vor Jahren war es noch so, daß bei der Auftrags- lage etwa 5 % des Volumens als Schmiergelder ange- stellungen angesprochen. Ich versuche dies so, wie setzt und mitverrechnet wurden. Nach Aussagen von ich es mir gedacht habe, zu ergänzen: Es ist faktisch Leuten, die in diesem Bereich arbeiten und nachfor- so, daß zehn Länder, Herr Staatssekretär Faltlhauser, schen, sind wir mittlerweile auf Zahlen gestoßen, die Korruption bei in- und ausländischen Geschäften be- strafen. Dazu gehören nicht nur die USA, sondern bis zu 30 % gehen. Dies hat fatale Auswirkungen auf die wirtschaftspolitische Gestaltung und überhaupt dazu gehören interessanterweise - für mich war dies bis vor wenigen Tagen neu - auch Japan, Dänemark - auf die Markte gerade auch im Zusammenhang mit dem internationalen Handel. und das Vereinigte Königreich. Es gibt noch eine zweite Kategorie. Dazu gehören sechs OECD-Län- (Zuruf von der CDU/CSU: Der Umsatz ist der, die verlangen, daß auch im Ausland ein Empfän- gleichgeblieben!) ger angegeben wird. Dazu zählen z. B. Aus tralien, Österreich, Schweden und Finnland. Nur in vier Län- - Jetzt kommt es. Passen Sie auf. dern - Herr Hofmann hat sie bereits genannt; ich Wir werfen der Bundesregierung vor, daß sie in kann darauf verweisen -, also in drei Ländern außer den letzten Jahren nichts Konkretes - ich betone: der Bundesrepublik Deutschland, ist dies nicht not- nichts Konkretes - unternommen hat, um die Korrup wendig. 3912 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Christine Scheel Ich sage Ihnen ganz klar: Ich bezeichne dies als ei- Gruppe gehe ich allerdings mit sehr gedämpftem nen unzeitgemäßen Merkantilismus, der den Vor- Optimismus in die Ausschußberatungen. stellungen von Moral und einem ehrlichen Wettbe- werb ganz klar widerspricht. Es ist unsere Aufgabe (Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist auch gut als Parlament, sowohl alle Mittel im Steuerrecht als so!) auch die Organisa tion und die Zusammenarbeit der Vielleicht höhlt steter Tropfen doch noch einmal zuständigen Behörden zu Hilfe zu nehmen. Dazu ge- den Stein, und die Koalition bewegt sich. Aber ich hören die Staatsanwaltschaft genauso wie das Kar- glaube, hier können wir nicht sehr viel erwarten. tellamt, die Finanzbehörden und all diejenigen Gre- mien - Steuerfahndung, Rechnungshof -, die an Da- Als gelernte DDR-Bürgerin war ich ja bereit, die ten herankommen können. Es müssen Daten offen- von dem Herrn Bundeskanzler an uns überbrachte gelegt werden können. Es muß eine Vernetzung, die Botschaft, daß sich mit der Wende Leistung nun für Sie oft in anderem Zusammenhang wünschen - ich alle lohne, in der Praxis zu überprüfen. Leider er- denke an die Innenpolitik -, stattfinden, um diesen weist sich jedoch, daß Karl Marx in seiner Analyse Sumpf der Bestechung, von dem ich befürchte, daß wohl gründlicher war: er sich weiter ausweitet, austrocknen zu können. (Zuruf von der CDU/CSU: Wer war das denn?) Es ist Aufgabe der Bundesregierung, ihrer Verant- wortung hier gerecht zu werden. Wir brauchen kon- Die formale Möglichkeit, einen doch beachtlichen krete Initiativen und gesetzliche Vorgaben auf natio- Anteil am gesellschaftlich erarbeiteten Reichtum naler, aber auch auf internationaler Ebene. Wir ha- durch eigene Leistung zu erlangen, bestehe für jede ben sie in unserem Antrag sauber formuliert. Wir wa- und jeden - eine wichtige Triebkraft menschlichen ren die ersten, die einen solchen Antrag gestellt ha- Handelns in der kapitalistischen Produktionsweise. ben. Ich gehe davon aus, daß auch Sie der Auffas- Das ist ja das, was auch Herr Kohl damit ausgedrückt sung sind, daß Korruption keine Kaffeetassenkrimi- hat. nalität ist. Die wissenschaftliche Begründung der sehr einge- (Zuruf von der CDU/CSU) schränkten Realisierungsmöglichkeiten durch Karl Marx hat aber Herr Kohl, denke ich, nie zur Kenntnis - Wir haben unseren Antrag zuerst eingereicht, Sie genommen. Wir durften in den letzten fünf Jahren müssen einmal auf die Drucksachennummer sehen. sehr gründlich miterleben, wie das tatsächlich funk- tioniert. Dabei denke ich an Herrn Schneider in Leip- (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat die SPD zig oder an die vielfältigen Verkäufe der Treuhand wieder abgeschrieben!) von vormals volkseigenem Eigentum, d.h. Eigentum der Bevölkerung der DDR, für 'nen Appel und ein Ei - Das ist nicht mein Problem. an honorige Nadelstreifenherren aus den alten Bun- desländern. Wo Geld ist, kommt immer noch etwas Auf jeden Fall sind die einzelnen Maßnahmen in hinzu. Ich denke, der Volksmund trifft da den Nagel diesem Antrag dargestellt. Ich hoffe, daß wir sie aus- auf den Kopf. führlich diskutieren und daß diejenigen aus der Ko- alition, die in den letzten Wochen bestimmten Me- Über das Wie wird meist geschwiegen. Kleine Be- dien gegenüber geäußert haben, daß man in diesem günstigungen oder Dankzahlungen bis in Millionen- Land gegen Korruption vorgehen muß, diese Ansicht höhe werden gedeckelt, denn eine Krähe hackt der auch bei den Ausschußberatungen und der Endab- anderen kein Auge aus. stimmung zu diesem Antrag zum Ausdruck bringen. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das ist das SED- Vielen Dank. Prinzip!) Wozu auch? Entgegen der öffentlich verkündeten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Lauterkeit - massiv bekundet anläßlich nicht mehr der SPD und der PDS) zu vertuschender Affären - wird die Zahlung von Schmier- und Bestechungsgeldern nicht nur gedul- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Dr. Höll, Sie det, sondern durch ihre steuerliche Absetzbarkeit haben das Wort. als nützliche Abgaben staatlicherseits regelrecht be- fördert. Derjenige, der soviel Geld besitzt, sich Vorteile bei Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Präsident! Meine Da- Auftragsvergaben, bessere Kauf- und Verkaufsmög- men und Herren! Mit den heute zu beratenden Vor- lichkeiten und Informationen zu kaufen, erhält de lagen unternimmt die Opposition einen wiederholten facto einen Teil seiner verauslagten Mittel vom Fi- Versuch, Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung nanzamt zurück. Das heißt dann wieder: Die Allge- von Korruption und Bestechung gesetzlich zu veran- meinheit der braven Steuerzahler darf sich beteili- kern. Durchforstet man die Drucksachen des Bundes- gen, allerdings nur als tölpelhafte Zahler, die brav ihr tages der letzten Jahre, so findet sich u. a. auch eine Geld abgeben. Anfrage der PDS aus der letzten Legislaturpe riode. Zum Trost wird dann von seiten der Regierung ver- Als Resümee meiner nochmaligen Sichtung der kündet - so sinngemäß die Antwort auf unsere vielfältigen Anfragen, Vorschläge und Initiativen von Kleine Anfrage aus dem Jahr 1993 -: Die Streichung SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und meiner der Abzugsfähigkeit der nützlichen Abgaben könnte Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3913

Dr. Barbara Höll zu einem Standortnachteil werden und zu Auftrags- gung beginnen. Wir haben unsere Reden nicht zu einbrüchen führen und die im Standortsicherungsge- Protokoll gegeben. Das konnte ich auch gar nicht, setz eindrucksvoll zum Ausdruck gekommenen Be- weil ich mir nur Stichworte gemacht habe. Die Koali- mühungen der Bundesregierung zur Sicherung und tion hat ihre Reden zu Protokoll gegeben. Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der bundes- deutschen Wirtschaft gefährden. Für sie ist offenbar Korruption kein Thema. Statt sich endlich - wie in den Anträgen der SPD (Andreas Schmidt [Mülheim] [CDU/CSU]: und der Grünen gefordert - na tional und internatio- Das ist unfair! - Birgit Homburger [F.D.P.]: nal im Rahmen der OECD-Empfehlung vom vergan- Das ist eine unfaire, dumme Behauptung!) genen Jahr zu engagieren und beginnend mit der - Wir wollten auch einen Beitrag zur Parlamentsre- Änderung des Steuerrechts auch im S traf-, Zuwen- form dadurch leisten, daß wir das Parlament ernst dungs- und Subventionsrecht entsprechende Schritte nehmen bei einem so wichtigen Thema, auch wenn zur Korruptionsbekämpfung einzuleiten, gefallen es am späten Abend behandelt wird. Wenn das nicht sich die Koalition und die Regierung gemeinsam in mehr möglich ist, können wir uns die Parlamentsre- scheinheiligen Beteuerungen. form sparen. Ich möchte dazu ein aktuelles Beispiel aus der gestrigen Sitzung des Haushaltsausschusses anbrin- Herr Hauchler, gen. Auf der Tagesordnung stand ein Antrag der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen? PDS zur sofortigen Streichung der Schulden der 30 ärmsten Länder der Welt. Er wurde - für mich erwar- tungsgemäß - abgelehnt. Ein Hauptargument dafür - Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Herr Präsident. leider auch von seiten der SPD - war, daß genau ein solcher Schritt zu einer weiteren Bereicherung der reichen Oberschichten in diesen Staaten führe und Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Es gibt die Mög- Korruption dort befördere. lichkeit, zu Protokoll zu geben, und es gibt die Mög- lichkeit, dies nicht zu tun. Aber aus der einen wie der Unseren Vorschlag zur Installierung möglicher anderen Verhaltensweise ein Werturteil abzuleiten Fondslösungen und der Beförderung demokrati- ist, finde ich, nicht zulässig und entspricht nicht der scher Kontrollmechanismen vor Ort wischte die Übung in diesem Hause. Mehrheit im Ausschuß vom Tisch, wohl wissend, daß nicht unerhebliche Bereicherungsquellen tatsächlich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- existierender privilegierter Oberschichten gerade im wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Wirtschaftsgebaren der Industriestaaten bestehen. DIE GRÜNEN) Unterstützt wird dies politisch durch Portokassen wie beim Auswärtigen Amt in Millionenhöhe. Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Also, ich treffe dieses Werturteil, weil ich glaube, daß das Parlament die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zeit! Möglichkeit haben muß, über ein so wich tiges Thema zu debattieren und sich auszutauschen, sonst Dr. Barbara Hall (PDS): Ich komme zum Ende. - hat das keinen Sinn, sonst können wir uns nur noch Die Frage der Bestechungs- und Schmiergelder ist über abgegebene Reden verständigen. rtschaftliches und moralisches, eben nicht nur ein wi Herr Präsident, da bin ich anderer Meinung als sondern tatsächlich auch ein demokratiezerstörendes Sie. oder -zersetzendes Problem. Der jetzige Zustand führt meines Erachtens tatsächlich zur Zersetzung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Gesellschaft und des individuellen Leistungswil- lens. Ich möchte deshalb ausdrücklich erklären, daß Meine Damen und Herren, die OECD hat 1994 die PDS das Anliegen der vorliegenden Anträge un- Empfehlungen zur Bekämpfung der internationalen terstützt. Korruption verabschiedet. Die Bundesregierung hat zugestimmt. Ain Ende meiner Rede komme ich zurück zu Marx: Wenn schon Kapitalismus, dann bitte so organisiert, daß die ihm innewohnenden Triebkräfte noch wirken Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege können und sich entfalten. Die Unterstützung der de- Hauchler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab- mokratischen Sozialistinnen und Sozialisten ist Ihnen geordneten Thiele? dann gewiß. Ich danke. Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Nein, jetzt noch nicht; später gerne. (Beifall bei der PDS) Die Bundesregierung hat diesen Empfehlungen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat zugestimmt, aber nichts unternommen. Herr Professor Hauchler, SPD. Unsere Fraktion hat bereits 1993 einen Antrag ein- gebracht. Die Koalition hat unsere Empfehlung nie- Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Herr Präsident! Meine dergestimmt, die steuerliche Abzugsfähigkeit von Damen und Herren! Ich muß mit einer Entschuldi- Bestechungsgeschäften abzuschaffen. 3914 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 Dr. Ingomar Hauchler Sie haben immer wieder argumentiert, wo alle be- Es entsteht also ein schwerer Schaden. Die Effizi- stechen, müsse auch die Bundesrepublik mitmachen. enz staatlicher Mittel der Entwicklungszusammenar- Wo englische und amerikanische Konzerne beste- beit wird gemindert. chen, müßten auch die deutschen Unternehmen be- stechen können, und das müsse begünstigt werden. Herr Faltlhauser, das nächste Argument richte ich direkt an Sie: Das reißt doch auch ein Riesenloch in (Zuruf von der CDU/CSU: Von Bestechung die Staatskasse. reden nur Sie!) (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wahnsinn!) Nun, dieses Argument ist ja widerlegt. Frank Hof- Ist der Finanzminister nicht mehr für die Staatskasse mann und Frau Scheel haben dargelegt - das ist ja in verantwortlich? Sind Sie nicht in einer Zeit der Fi- OECD-Listen jetzt festgehalten -, daß eben dieses nanzkrise verantwortlich, daß diese Löcher gestopft Argument nicht stimmt. Es ist so, daß wir praktisch werden? Warum greifen Sie in die Tasche des klei- ganz am Schluß der Staaten, die dieses Problem nen Steuerzahlers, um die reichsten Minister und Eli- überhaupt angehen, stehen. ten in Entwicklungsländern mit dem zu bedienen, was die Steuerzahler dann dafür teilweise mit bezah- Wir ziehen also als große Industrienation aktiv Vor- len müssen? teil aus dieser Situation. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht!) Es entsteht also schwerer Schaden, und es gibt Ge- winner und Verlierer in diesem Geschäft. Die Ge- Meine Damen und Herren, es entsteht großer winner sind wenige große Konzerne und reiche Eli- Schaden durch internationale Korruption. Das wer- ten in den Entwicklungsländern. Sie spielen bei die- den Sie auf dieser Seite des Hauses auch nicht be- sem Geschäft zusammen. Die Verlierer sind die klei- streiten wollen. Der internationale Wettbewerb wird nen und mittleren Unternehmen, die bei diesen Prak- verfälscht, die Marktfunktionen werden erheblich tiken gar keine Chance mehr haben; es sind jene in eingeschränkt, ja gar in ihr Gegenteil verkehrt. Wo den Entwicklungsländern, die auf effiziente Hilfe an der Markt keine Wettbewerbsordnung und keinen -gewiesen sind; es sind die Steuerzahler; und es ist Wettbewerbsschutz hat, löst sich Wettbewerb imma- die internationale Gemeinschaft insgesamt, weil nent selbst auf. durch solche Maßnahmen tatsächlich der Zusam- menhalt, das Rechtsbewußtsein interna tional zersetzt (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch ein werden. Horrorgemälde!) Die SPD forde rt von der Bundesregierung endlich Die optimale Allokation durch freie Preisbildung energisches Handeln. Überlegen Sie sich das! Wir durch Konkurrenz wird gestört, und das ist ein öko- haben in dem von uns gestellten Antrag die verschie- nomischer Schaden von Riesenausmaßen. denen Maßnahmen aufgezählt.

(Beifall bei der SPD) Ich denke, die Bundesregierung muß sich wirklich entscheiden. Sie muß ihre Haltung überdenken. Das Ein zweiter Schaden: Das Rechtsbewußtsein wird Ministertrio, das hier vor allem be troffen ist - der Fi- weltweit ausgehöhlt, nicht nur die geschäftliche Mo- nanzminister, der Entwicklungsminister, der Wirt- ral - das wäre ja nicht das Schlimmste -; das hat aber schaftsminister -, muß endlich zusammenwirken, um auch Auswirkungen auf die gesamte gesellschaftli- hier nach vorn zu gehen. che Moral. Wo die Großen das in ihrem Interesse tun, werden die Kleinen sich nicht abhalten lassen. Der Finanzminister muß sich entscheiden, ob er Warum sollte sich eigentlich der Bürger noch an Re- wirklich in die Tasche des Steuerzahlers greifen und geln halten, wenn der Staat ein solches Verhalten der sich verschulden will - man spricht von 10 Milliarden großen Konzerne unterstützt? DM -, um Konzerne und korrupte Eliten zu bedienen und zu fördern, oder ob er unverzüglich diese krimi- (Beifall bei der SPD) nelle und marktwirtschaftswidrige Praxis stoppt. Der Entwicklungsminister muß sich überlegen, ob Ein dritter Schaden: Die internationalen Handels- er die von ihm hochgehaltenen Ziele der Entwick- beziehungen werden dadurch belastet. Es kommt praktisch zu einem Kampf der Staaten um Märkte. lungspolitik, nämlich vor allem Rechtsbewußtsein Nach einer liberalen Auffassung haben die Unter- und Marktwirtschaft in Entwicklungslände rn - die nehmen und nicht die Staaten um Märkte zu konkur- obersten Ziele von Herrn Spranger! -, jetzt revidieren rieren. Die Korruption leistet der Belastung der inter- will; denn wenn er im Kabinett dem zustimmt, wenn nationalen Handelsbeziehungen Vorschub. er nichts gegen diese Praxis tut, wird die Bundesre- gierung mit den von ihr hochgehaltenen Zielen und Vierter Schaden: Es kommt zu einer schweren Kriterien völlig unglaubwürdig. Kein Mensch wird Fehllenkung von Mitteln der öffentlichen Entwick- uns hinsichtlich solcher Kriterien noch ernst nehmen. lungszusammenarbeit und auch zu überhöhten Ko- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sten der Entwicklungsprojekte, weil natürlich die so- genannten Provisionen, wie das manchmal genannt Er muß endlich im Kabinett dafür kämpfen, daß das wird, und die Bestechungsgelder mit in den Preis zumindest im Entwicklungsbereich endlich gestoppt einkalkuliert werden. wird. Das ist seine Aufgabe. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3915

Dr. Ingomar Hauchler Der Wirtschaftsminister muß sich überlegen, ob er Keine Hermes-Bürgschaften für Handelsge- als Liberaler entgegen allen Prinzipien der Sozialen schäfte mit dem Iran und auch eines progressiven Libera- Marktwirtschaft - Drucksache 13/1620 - lismus Wettbewerbsverzerrungen im Welthandel weiterhin Vorschub leisten oder ob er selbst Initiati- Überweisungsvorschlag: ven ergreifen will, um im Rahmen der OECD oder Ausschuß für Wirtschaft (federführend) auch der G 7 endlich Vereinbarungen zu treffen, da- Auswärtiger Ausschuß mit man hier tatsächlich einvernehmlich weiter- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die kommt. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fünf Minu- Meine Damen und Herren, ich denke, daß die Be- ten erhalten soll. Interfraktionell wurde auch verein- kämpfung der internationalen Korruption ein Test bart, daß Redebeiträge zu Protokoll gegeben werden auf die staatliche Handlungsfähigkeit ist. Sollen wir können. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so alles nur laufen lassen? Ist Korruption gottgegeben? beschlossen. Ist Spekulation gottgegeben? Ist denn alles gottgege- ben, oder hat der Staat noch die Kraft, in diesen Fra- Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre gen einzugreifen? Das ist wirklich seine genuine Reden zu Protokoll gegeben: E rich Fritz (CDU/CSU), Aufgabe. Siegmar Mosdorf (SPD), Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), (F.D.P.), Winfried Wolf (PDS) sowie der Parlamentarische Die Zeit, Herr Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Staatssekretär Dr. Kolb.*) Kollege! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Ich bin bald am Ende. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/1620 an die in der Tagesordnung auf- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Nicht bald, son geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federfüh- dern in drei Sätzen! rung soll beim Auswärtigen Ausschuß liegen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Der Mensch ist in sei- so beschlossen. ner ganzen Geschichte immer fehlbar gewesen. Wir alle sind egoistisch. Unternehmen wollen Geschäfte Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf: machen. Jeder versteht das. Nur, der Staat ist dafür Zweite und dritte Beratung des von der Frak- da - das ist seine ureigenste Aufgabe -, die Grenzen tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- zu ziehen, um Markt zu ermöglichen, um Handel ten Entwurfs eines Gesetzes zur flüssig zu machen und um einen Rest von geschäftli- cher Moral und von Wettbewerb zu sichern. Überle- Ergänzung des Pflegeversicherungsgesetzes gen Sie sich das einmal! (PflegeVErgG) Vielen Dank. - Drucksache 13/99 - (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall beim (Erste Beratung 21. Sitzung) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der Erste Beschlußempfehlung und erster Be richt PDS) des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Folgende Kolle- - Drucksache 13/1845 - ginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Dr. Susanne Tiemann, Dr. Winfried Pinger Berichterstattung: und Hans Michelbach, alle CDU/CSU-Fraktion, und Abgeordneter Karl-Josef Laumann Gisela Frick, F.D.P.-Fraktion.*) Ich schließe die Aus- sprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Rede- Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen beiträge können auch zu Protokoll gegeben werden. auf den Drucksachen 13/742, 13/617 und 13/1717 an Kein Widerspruch? - die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse (Gerd Andres [SPD]: Doch!) vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ist das ein Widerspruch? - Bitte. -

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Gerd Andres (SPD): Herr Präsident! Ich will den Widerspruch so formulieren: Angesichts der Tatsa- Beratung des Antrags der Abgeordneten Am- che, daß der Bundesarbeitsminister am heutigen ke Dietert-Scheuer, Angelika Beer, Dr. Angeli- Tage zum erstenmal Opa geworden ist, ka Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall)

*) Anlage 7 Anlage 8 3916 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Gerd Andres würde es sich lohnen, die Aussprache durchzufüh- scher (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Dr. Gisela Babel ren. Wir verbinden diese Tatsache mit dem Hinweis, (F.D.P.), Pe tra Bläss (PDS).*) Auch der Bundesmini- daß es sehr sinnvoll ist, sich nachdrücklich und aus- ster Blüm hat mir gesagt, daß er seine Rede zu Proto- führlich diesem ersten Enkelkind zu widmen und koll gibt. Wir wünschen Ihnen einen schönen Abend. daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen. Anson- sten sind wir einverstanden, daß alle Reden zu Proto- Wir kommen dann zur Abstimmung über die erste koll gegeben werden. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Gesetzentwurf der Fraktion Schönen Dank. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Ergänzung des Pfle- geversicherungsgesetzes. Wer stimmt für diese Be- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der schlußempfehlung? - Gegenprobe) - Enthaltungen? F.D.P.) - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenom- men.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Dann ist das so (Beifall im ganzen Hause) beschlossen. Wir sind damit, meine Damen und Herren, am (Heiterkeit und Beifall) Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf - Ich freue mich sehr über die Heiterkeit im Plenum. morgen, Freitag, den 30. Juni 1995, 9 Uhr ein. Es scheint überhaupt ein heiterer Tag zu sein. Auch so etwas muß es ja einmal geben. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluß der Sitzung: 23.23 Uhr) Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Redebeiträge zu Protokoll gegeben: Karl-Josef Lau- mann (CDU/CSU), Gerd Andres (SPD), Andrea Fi- *) Anlage 9 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3917*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die in Zusatztagesordnungspunkt 1 a entschuldigt bis aufgeführten Vorlagen Abgeordnete(r) einschließlich (Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz o 218 StGB) Adler, Brigitte SPD 29. 6. 95 (Namen der Abgeordneten alphabetisch) Andres, Gerd SPD 29. 6. 95 * Robert Antretter (CDU/CSU): Es ist zu begrüßen, Antretter, Robert SPD 29. 6. 95 * daß die embryopathische Indikation abgeschafft und Behrendt, Wolfgang SPD 29. 6. 95 * damit klargestellt wird, daß behindertes Leben vom Gesetzgeber nicht als unwert betrachtet wird. Ich Bindig, Rudolf SPD 29. 6. 95 * kann mich jedoch aus folgenden Gründen auch nicht Böttcher, Maritta PDS 29. 6. 95 damit abfinden, daß Behinderung zu einer medizini- schen Indikation führen kann. Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 29. 6. 95 * Klaus Durch die technischen Fortschritte in der medizini- Erler, Gernot SPD 29. 6. 95 * schen Therapie und Diagnostik verwischen sich zu- nehmend Stadien der menschlichen Existenz, die Fischer (Unna), CDU/CSU 29. 6. 95 * einst klar definiert waren. Das gilt nicht nur für das Leni Ende des menschlichen Lebens, sondern auch für Horn, Erwin SPD 29. 6. 95 * seinen Beginn. Die neuen Möglichkeiten der Medi- zin bieten Chancen und bergen Gefahren. Als beson- Hornung, Siegfried CDU/CSU 29. 6. 95 * ders gefährdet sehe ich das Leben behinderter Men- Jung (Düsseldorf), SPD 29. 6. 95 schen, vor allem ungeborener behinderter Kinder, Volker an. Der Ruf nach einem Fürsprecher für das ungebo- rene Leben muß deshalb heute lauter sein als jemals, Junghanns, Ulrich CDU/CSU 29. 6. 95 * weil der „Respekt vor dem Leben", wie ihn beispiels- Koschyk, Hartmut CDU/CSU 29. 6. 95 * weise Albert Schweitzer eingefordert hat, insgesamt an Stellenwert zu verlieren droht. Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 29. 6. 95 90/DIE Wir müssen feststellen, daß sich bei Teilen der Wis- GRÜNEN senschaft eine vor allem für die behinderten Men- schen gefahrvolle Denkweise breitmacht. Rechts- Dr. Luft, Christa PDS 29. 6. 95 und Sozialphilosophen formulieren bereits unmißver- Lummer, Heinrich CDU/CSU 29. 6. 95 * ständlich eine „großzügige" neue Ethik, wonach un- geborene Kinder noch keine „Personen" seien und Marten, Günter CDU/CSU 29. 6. 95 * deshalb auch keinen Anspruch auf verfügbares Le- Pfannenstein, SPD 29.6.95 bensrecht hätten. Es verwundert deshalb nicht, daß Georg manche auch bereits wieder von „lebensunwertem Dr. Probst, Albert CDU/CSU 29. 6. 95 * Leben" sprechen. Dr. Scheer, SPD 29. 6. 95 * Werden wir uns demnächst mit der Vorstellung Hermann auseinanderzusetzen haben, es gebe ein abgestuftes Recht auf Leben, etwa für Ungeborene, Behinderte Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 29. 6. 95 oder Alte, also „unnütze" und deshalb ungewollte 90/DIE Menschen? In einer zunehmend materiell geprägten GRÜNEN Leistungs- und Ellbogengesellschaft, in der Egois- Schmidt (Hitzhofen), BÜNDNIS 29. 6. 95 mus, soziale Kälte und ein menschenverachtender Albert 90/DIE Umgang mit diskriminierten Minderheiten um sich GRÜNEN greift, könnten populistische Philosophien dieser A rt llen. Die Folgen wären fatal. auf fruchtbaren Boden fa Schumann, Ilse SPD 29. 6. 95 Siebert, Bernd CDU/CSU 29. 6. 95 * Angesichts dieser mehr als bedenklichen Ten- denzen muß dem Schutz des Lebens am Beginn, am Terborg, Margitta SPD 29. 6. 95 * Ende und wenn es krank ist Vorrang vor allen ande- Wallow, Hans SPD 29. 6. 95 ren Zielen gegeben werden. Gerade einige Ar tikel des noch heute von uns zu beratenden Entwurfs ei- Zierer, Benno CDU/CSU 29. 6. 95 * ner Bioethik-Konvention des Europarates belegen auf aktuelle Weise, daß Wachsamkeit angezeigt ist. Keine der Kolleginnen und Kollegen, die sich der Mühe unterzogen haben, den hier vorliegenden Ge- * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union setzentwurf zu erarbeiten, möchte ich in die Nähe 3918' Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 der aufgezeigten Entwicklung bringen. Aber ich be- das Ja zum Kind als Ziel hat. Trotzdem vermag ich fürchte, daß der Antrag hier - ungewollt - eher ent- der Neuregelung nicht zuzustimmen, weil ich eine, gegenkommt. Deshalb stimme ich dagegen. wie auch immer geartete, Fristenlösung nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann.

Monika Brudlewsky (CDU/CSU): Ich werde diesen Gesetzentwurf ablehnen. Zur Begründung nenne ich Wolfgang Engelmann (CDU/CSU): Dem vorliegen- nur einige Fakten. Die embryopathische Indikation den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und ist nur augenscheinlich verschwunden. Sie ist in die F.D.P. kann ich nicht zustimmen. Durch die vorgese- medizinische Indikation eingeschmolzen und läßt die henen Regelungen betrachte ich den Schutz des vor- Tötung der behinderten ungeborenen Kinder zu un- geburtlichen Lebens in keiner Weise gesichert, er ter dem Deckmantel, für werdende Mütter Schaden wird vielmehr durch die Fristenregelung mit Pflicht- abzuwenden. Offiziell ist damit der Schein gewahrt, beratung sowie insbesondere durch die Einbezie- behindertes Leben zu schützen. In der Praxis wird es hung der embryopathischen Indikation in die medizi- anders aussehen. nische Indikation - an Stelle einer wirklichen Strei- chung - völlig aufgegeben. Eine solche Schutzfunk- Eine Frau braucht sich nicht mehr zu rechtfertigen, tion gewährleistet meiner Überzeugung nach der um ihr Kind töten zu lassen. Sie muß sich nicht vor von Herrn Hüppe und anderen eingebrachte Geset- der Beratungsstelle und nicht vor dem Arzt rechtferti- zesentwurf, den auch ich unterzeichnet habe. gen, so im Interview von Frau Wettig-Danielmeier im „Morgenecho" vom 27. Mai 1995 geäußert. Es ist in dem neuen Gesetz wieder von Verantwortung der Ernst Hinsken (CDU/CSU): Der Kompromißvor- Frau die Rede, in Artikel 1, § 5 Abs. 1. Das Wort schlag zur Neuregelung des Abtreibungsrechts ent- „Verantwortung" wird benutzt im Zusammenhang spricht nach meiner Auffassung in Teilbereichen mit der Entscheidung über Leben und Tod. Verant- nicht der Entscheidung des Bundesverfassungsge- wortung kann nur eine Entscheidung zum Leben be- richtes zu einem besseren Schutz des ungeborenen deuten; ansonsten wäre dieser Ausdruck in einem Lebens. Es ist unbestritten, daß der jetzige Entwurf solchen Gesetz verfehlt angewandt. im Vergleich zu dem vorherigen deutliche Verbesse- rungen beinhaltet. Allerdings bestehen aus meiner Die Beratung sollte zielorientiert geführt werden Sicht nach wie vor schwerwiegende Bedenken. So ist und dann ergebnisoffen bleiben; aber im vorliegen- z. B. offen, ob der Arzt eine Beratungsbescheinigung den Gesetz soll die Beratung schon ergebnisoffen ge- auch dann erteilen darf, wenn die schwangere Frau führt werden. Damit ist die Beratung der subjektiven nicht mitteilt, welche Gründe sie zu einem Abbruch Meinung des Beraters ausgesetzt. der Schwangerschaft bewegen, eine Voraussetzung, Es dient nicht der Meinungsbildung zum Schutz die nach der Entscheidung des Bundesverfassungs- des Lebens, wenn eine Abtreibung zuerst einmal von gerichts unbedingt erfüllt sein muß. Darüber hinaus der Krankenkasse finanziert werden soll. So wird wird die Konfliktsituation bei der Beratung für die weiterhin der Eindruck entstehen, daß die Abtrei- straflose Abtreibung der Schwangeren nicht mehr bung einer Krankheit gleichzustellen ist. Die Kran- wie bei der medizinischen und kriminologischen In- kenkassenfinanzierung trägt zur Verharmlosung der dikation berücksichtigt. Aus diesem Grund werde Tatsache einer Tötung von Leben bei. ich dem parteiübergreifenden Gesetzentwurf nicht zustimmen. Fazit: Das vorliegende fraktionsübergreifende Ge- setz wird in der Praxis keine Verbesserung für den Dr. Barbara Höll (PDS): Als gewählte Vertreterin- Schutz der ungeborenen Kinder bedeuten. Es dient nen und Vertreter des Volkes stimmen wir heute nicht zur Bewußtseinsbildung der Menschen in die über vier verschiedene Gesetzesanträge zur Rege- Richtung, daß das Leben des Menschen in all seinen lung einer für Frauen existentiellen Frage, zur recht- Phasen wirklich nicht verfügbar ist. Wir öffnen mit lichen und damit auch moralischen Bewertung eines diesem Gesetz die Möglichkeit zur nächsten Diskus- Schwangerschaftsabbruchs und dessen Rahmenbe- sion, das menschliche Leben wie zu Beginn mit F ri dingungen, ab. -sten auch am Ende in Krankheit und Alter beenden zu können. Es gibt genügend Beispiele, wie z. B. in Ich werde dreimal mit Nein stimmen und nur dem den Niederlanden, daß der Wertewandel in der Ge- von der PDS eingebrachten Vorschlag zur Grundge- sellschaft, die sich in diesem Fristengesetz ausdrückt, setzänderung zustimmen. Mit dieser meiner Ent- mehr und mehr die Ehrfurcht vor dem Leben schwin- scheidung folge ich nicht nur meinem Gewissen und den läßt. Ich hoffe, daß die jüngeren Generationen meiner politischen Überzeugung, sondern weiß diesen Fehler rechtzeitig bemerken werden und un- gleichzeitig eine Vielzahl von Frauen dieser Repu- serem Parlament diese Fehlentscheidung verzeihen. blik hinter mir. Als Mitglied des Demokratischen Frauenbundes, der größten Frauenorganisation in Werner Dörflinger (CDU/CSU): Ich erkenne an, den neuen Bundesländern, weiß ich aus vielen B rie- daß der gemeinsame Antrag der Fraktionen von fen, Diskussionen und Aktionen insbesondere dieser CDU/CSU, SPD und F.D.P. zum Schwangeren- und engagierten Frauen, daß sie wie ich gerade in der Familienhilfe-Änderungsgesetz Verbesserungen im Frage des Umgangs mit dem Grundrecht jedes Men- Sinne von mehr Lebensschutz Ungeborener bringt - schen, über den eigenen Körper selbst zu bestim- auch gegenüber der seit dem Jahre 1976 geltenden men, von der bundesrepublikanischen Demokratie Rechtslage. Dies trifft insbesondere für die Beratung zutiefst enttäuscht sind und sich schwer getäuscht schwangerer Frauen zu, die eindeutiger als bisher fühlen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3919*

Gerade die im Einigungsvertrag fixierte Verpflich- eine Beratung vorausgeht. Die Beratung muß zwar tung, eine für alle in Deutschland lebenden Frauen zielorientiert geführt werden, nämlich auf die Austra- bessere Regelung zum Schwangerschaftsabbruch zu gung des Kindes hinwirken - dies ist positiv zu beur- finden, gab uns die Hoffnung, endlich nicht nur einer teilen -, die Beratung ist aber auch ergebnisoffen zu zwar praktikablen Fristenlösung zu unterliegen, son- führen. Dadurch wird der Wert geschmälert. Fristen- dern das verbriefte Selbstbestimmungsrecht umfas- lösung bedeutet Erlaubnis zur Abtreibung, zum Tö- send zu erhalten. Vielleicht war unsere Erwartungs- ten. Der Schutz des werdenden Lebens ist mit dem haltung an einen sich demokratisch bestimmenden Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD und und organisierten Staat zu hoch, aber nach meiner F.D.P. nicht mehr gewährleistet. Es ist kein aliud ge- Überzeugung ist die Respektierung der Würde der genüber den früher ge troffenen Regelungen, die Frau ein entscheidender Gradmesser tatsächlicher dann durch das Bundesverfassungsgericht wieder Demokratie. aufgehoben worden sind. Gerade für die Mehrheit von CDU/CSU war früher eine Fristenlösung nicht Freie Entscheidung der Frau, mehr und vielfältige hinnehmbar. Fristen, innerhalb derer ein Schwanger- Beratungsmöglichkeiten, frauenwürdige Bedingun- schaftsabbruch vertretbar wäre, sind nicht zu recht- gen des Abbruchs wie gewährleistete Anonymität fertigen. Eine parlamentarische Mehrheit kann dem und Erstattung der anfallenden Kosten - a ll dies ist einzelnen nicht einräumen, über das werdende Le- nicht verwirklicht worden. Ich kann auch dem viel ben zu befinden. Kein menschliches Leben kann in gepriesenen Kompromißvorschlag nicht zustimmen, Frage gestellt werden. Die Frau kann aber nach die- da er weder das Selbstbestimmungsrecht der Frau sem Kompromißvorschlag frei verfügen, wenn sie garantiert - wozu wir Parlamentarier und Parlamen- sich einer Beratung unterzogen hat. Diese Beratung tarierinnen mit Grundgesetzänderung ja in der Lage ist nicht nachprüfbar. Die Fristenlösung wird nega- wären -, noch schöpft er den möglichen Rahmen des tive Auswirkungen auf das Rechtsbewußtsein in un- BVG-Urteils aus. serer Gesellschaft haben. Die erforderliche Beratung Was ist eine anonyme Beratung, wenn diese dann hat ihren We rt. Ob sie den Schutz des werdenden Le- mit vollständigem Namen und Vergleich des Namens bens verbessert, ist sehr zweifelhaft. Die in den er- mit dem Personalausweis durch die Beraterin abge- sten zwölf Wochen der Schwangerschaft straffrei schlossen wird? Wo ist der sichere Rechtsrahmen, durchgeführte Abtreibung wird als eine Freigabe des wenn Ärzte Frauen nach erfolgtem Abbruch die drei- Lebens des Kindes verstanden werden. tägige Krankschreibung verweigern können? Es ist Bei dem Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und unzumutbar, wenn selbst bei der kriminologischen F.D.P. kommt noch hinzu, daß bei dem Tatbestand Indikation die Entscheidungsfrist für die Frau nur nach § 218 Abs. 2, der medizinischen Indikation, 12 Wochen beträgt. Die seelische Belastung durch auch die soziale Indikation mit einbezogen wurde. die Vergewaltigung macht es Frauen oft unmöglich, die Schwangerschaft festzustellen und zu handeln. Diese meine Haltung bedeutet keine Entmündi- gung der Frau. Das Selbstbestimmungsrecht der Dr. Dionys Jobst (CDU/CSU): Wir stehen erneut Frau hat jedoch seine Grenze, wenn es um ein ande- vor einer verantwortungsbewußten Entscheidung. res Leben geht. Gerade in Deutschland als einem Der Kompromißvorschlag der Fraktionen CDU/CSU, Land mit großem Wohlstand kann grundsätzlich das SPD und F.D.P. bemüht sich, sich an das Urteil des Argument nicht zählen, daß aus sozialen Gründen Bundesverfassungsgerichts anzulehnen. Es gibt abgetrieben werden muß. Dinge, die bei allen Bemühungen, einen Ausgleich zu finden, nicht kompromißfähig sind. Beim ungebo- Ich verkenne nicht, daß es bei einer Schwanger- renen Leben geht es um Leben. Nach dem Grundge- schaft nicht nur Sorgen und Probleme gibt, sondern setz hat jeder das Recht auf Leben. Die Würde des daß es auch Fälle gibt, die für die be troffene Frau Menschen ist unantastbar. Es steht nicht in der men- Zwangs- und Notsituationen bedeuten können. Des- schlichen Verfügungsbefugnis. Dieser Schutz steht halb ist das Ins titut der Beratung hoch zu veranschla- auch dem werdenden Kinde zu. Der Schutz des men- gen. Hier muß aufgezeigt werden, welche Hilfen des schlichen Lebens ist unteilbar. Staates und der Verbände es gibt, um Not- und Zwangssituationen abzumildern und zu bereinigen. Neben dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Staat und Gesellschaft haben die Aufgabe, in be- das das Grundgesetz auslegt, gibt es noch höhere drängten Situationen ausreichend zu helfen. In erster Normen, sittliche Normen. Es geht nicht darum, die Linie müssen wir familien- und kinderfreundliche eigene Moral anderen aufzuzwingen. Es geht eher Verhältnisse schaffen. Die Bundesregierung Kohl hat vielmehr um ein grundlegendes Menschenrecht. beachtliche Leistungen erbracht und die Situa tion Jede Regelung, die das Leben zur Disposi tion stellt, der Familien mit Kindern enorm verbessert. Diese ist mit der staatlichen Schutzpflicht nicht vereinbar Maßnahmen müssen weiter ausgebaut werden. Vor- und somit verfassungswidrig. Das Kind im Mutterleib allem muß in unserem Lande durch Politik und durch hat ein eigenständiges Recht auf Leben. Das ungebo- moralische Autoritäten das Bewußtsein wieder ge- rene Leben ist auch gegenüber der Mutter zu schüt- stärkt werden, um was es beim ungeborenen Leben zen. Eine Abtreibung ist deshalb nur in einer beson- und bei einer Abtreibung geht. deren Ausnahmesituation zu verantworten. Ich sehe mich als Christ, Staatsbürger und Abge- Der Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD ordneter nicht in der Lage, einer Regelung zuzustim- und F.D.P. stellt eine Fristenlösung dar. Eine Abtrei- men, die eine Fristenlösung darstellt und das Verfü- bung ist danach innerhalb der Frist straffrei, wenn gungsrecht über das werdende Leben der Mutter 3920* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 einräumt. Es gilt auch, ein Signal für den Schutz des promisse kann es immer nur im Streit über den richti- werdenden Lebens zu setzen. Durch das Institut der gen Weg dorthin geben. Deshalb legt der neue § 219 Beratung erhält das werdende Leben nicht den not- fest, daß der Frau bewußt sein muß, „daß das Unge- wendigen Schutz. Es ist letzten Endes eine Rege- borene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch lung, bei der die Entscheidungsbefugnis der Mutter ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat". im Vordergrund steht, das Leben des Kindes erst an Menschliches Leben ist unverfügbar. Dies ist nicht zweiter Stelle steht. nur eine Position, die die Kirchen auch in diesen Ta- gen mit großem Ernst anmahnen, sondern die Wer- Peter Keller (CDU/CSU): Dem vorliegenden An teüberzeugung unseres Grundgesetzes. In A rt. 1 GG trag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. heißt es: zum Schwangeren- und Familienhilfeänderungsge- setz stimme ich nicht zu. Durch die hier vorgesehe- Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu nen Regelungen sehe ich den Schutz der ungebore- achten und zu schützen ist Verpflichtung aller nen Kinder wenig gesichert. Er wird vielmehr durch staatlichen Gewalt. die vorgesehene Fristenregelung mit obligatorischer In diese Grundgesetzformulierung sind sowohl Beratung sowie insbesondere auch durch die Einglie- christliche als auch humanistische Überzeugungen derung der embryopathischen Indikation in die me- eingeflossen. dizinische Indikation - anstelle einer Streichung - weitgehendst aufgegeben. Leider ist ein gesellschaftlicher Grundkonsens, daß auch das ungeborene Leben durch diesen Grundsatz Eine bessere Schutzfunktion hätte meiner Über- unserer Verfassung geschützt ist, verlorengegangen. zeugung nach nur der in der zweiten Lesung mehr- Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Ent- heitlich abgelehnte Entwurf eines Gesetzes zum scheidung vom 28. Mai 1993 dennoch unterstrichen, Schutz des ungeborenen Kindes, Drucksache 13/395, daß der Schutzauftrag des Staates ihn verpflichtet, bewirkt. Da dieser Entwurf aber in der dritten Le- „den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen sung nicht mehr zur Abstimmung steht, kann ich Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu erhalten und heute nicht zustimmen. zu beleben". Dazu ist eine strafrechtliche Normie- rung erforderlich, so wie sie die Beschlußempfehlung Jürgen Koppelin (F.D.P.): Bei diesem Gesetzent des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und wurf finden die Möglichkeiten eines Abbruchs bis Jugend vorsieht. Richtig ist aber auch das, was in der zur 22. Woche bei einer zu erwartenden Behinderung gemeinsamen Erklärung der evangelischen und ka- des ungeborenen Kindes nicht meine Zustimmung. tholischen Kirche „Gott ist ein Freund des Lebens" Trotz dieser Bedenken werde ich dem Gesetzentwurf im Jahr 1989 formuliert wurde, daß nämlich das un- zustimmen. geborene Leben nur mit der Frau und nicht gegen sie geschützt werden kann. Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD Insofern ist der „Dritte Weg" zwischen Fristen- und F.D.P. zum Schwangeren- und Familienhilfeän- regelung und Indikationenmodell ein Beratungsmo- derungsgesetz muß ich ablehnen, da ich durch die- dell, von dem das Bundesverfassungsgericht sagt, sen Gesetzentwurf den Schutz der ungeborenen daß es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht ver- Kinder für nicht hinreichend gesichert ansehe. Vor wehrt ist, „zu einem Konzept für den Schutz des allem halte ich die in dem Gesetzentwurf vorgese- ungeborenen Lebens überzugehen, das in der Früh- hene „medizinische Indikation" für zu weit gefaßt phase der Schwangerschaft in Schwangerschafts- mit der Folge, daß sie möglichem Mißbrauch in ho- konflikten den Schwerpunkt auf die Beratung der hem Maße ausgesetzt ist. Die notwendige Schutz- schwangeren Frau legt, um sie für das Austragen funktion für die ungeborenen Kinder sehe ich nur des Kindes zu gewinnen, und dabei auf eine indi- durch den auch von mir eingebrachten Gesetzent- kationsbestimmte Strafdrohung und die Feststel- wurf auf Drucksache 13/395 gegeben. Da dieser in lung von Indikationstatbeständen durch einen Drit- der dritten Lesung nicht mehr zur Abstimmung ten" zu verzichten. Dieses Modell ist besser als eine steht, kann ich bei der Abstimmung über den Ge- Verschärfung des S trafrechts, da dem Recht da- setzentwurf von CDU/CSU, SPD und F.D.P. nur mit durch eine Funktion zugewiesen würde, die es Nein stimmen. nicht erfüllen kann. Indem die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dient, so wie es im Armin Laschet (CDU/CSU): Weder die menschen § 219 vorgesehen ist, besteht die Möglichkeit, die verachtende Fristenregelung, die im Unrechtsstaat Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermu- DDR galt, noch das Indikationenmodell, das in der tigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem - Bundesrepublik Deutschland galt, haben in befriedi- Kind zu eröffnen. Die Beratung gewinnt an Ge- gender Weise zum Schutz des ungeborenen Lebens wicht, so daß die Arbeit der kirchlichen Beratungs- beigetragen. stellen um so bedeutsamer wird. Ein Ausstieg der Kirchen aus der Beratung würde dem Leben nicht Für mich als katholischer Christ ist der Schutz dienen. menschlichen Lebens, auch des ungeborenen und des zu Ende gehenden, Ziel und Maßstab aller Poli- Der Gesinnungsethiker im Sinne Max Webers fühlt tik. Abtreibung ist immer eine Tötung ungeborener sich nicht verantwortlich für die Folgen seines Han- Kinder, so daß es keinen interfraktionellen Kompro- delns. Ich teile zwar die ethische Posi tion der Unter- miß im Streit um das Lebensrecht geben kann. Kom- zeichner des Entwurfs des Abgeordneten Hüppe, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3921* aber ich bestreite, daß dieser Gesetzentwurf einen Gewiß, der geplante Beschluß geht von der Ist wirksamen Beitrag zum Schutz des ungeborenen Le- Lage und der Grundbefindlichkeit weiter Kreise un- bens leistet. Deshalb habe ich diesem Gesetzentwurf serer Gesellschaft aus. Das ist für mich allerdings nicht zugestimmt. keine ausreichende Begründung, um unter Bezug auf eine einseitige Interpretation positiv besetzter Be- Ich teile viele Gründe und Debattenbeiträge von griffe wie „Offenheit", „Toleranz" und „Pluralität" Abgeordneten der SPD und der F.D.P. zwar nicht, meine persönliche Gewissensentscheidung dem ver- aber halte den gemeinsamen Entwurf für die mit den meintlichen Zeitgeist zu opfern. Zum Zeitgeist gehört Mitteln des Gesetzgebers beste Möglichkeit, zum schließlich auch die traurige Beobachtung, daß Schutz des ungeborenen Lebens beizutragen. Da Frauen, die ihr Kind austragen und zur Adop tion frei- dieser Gesetzentwurf auch die ethisch nicht zu recht- geben, heute vielfach scheel angesehen und sogar fertigende embryopathische Indikation abschafft, ist verunglimpft werden, während werdende Mütter, er in einem wesentlichen Punkt im Vergleich zu Ge- die meinen, ihrem Kind keine Chance zum Leben ge- setzentwürfen der 12. Wahlperiode verbessert wor- ben zu können, zumindest stillschweigend tole riert den. Ich stimme ihm deshalb zu. werden. Die Inanspruchnahme der Gewissensfreiheit gilt natürlich für alle und damit auch für die, die sich Werner Lensing (CDU/CSU): Gerade in einer anders entscheiden werden. rechtsstaatlichen Demokratie muß das ursprüngliche, unveräußerliche Recht auf Leben Grundlage der Ge- Heidemarie Lath (PDS): Ich lehne den Kompromiß setzgebung und des menschlichen Zusammenlebens ab; denn es bleibt dabei, daß nicht die Frau über sich sein und bleiben. Hört doch das Recht auf, Recht zu selbst entscheiden kann. Entscheidet sich die Frau sein, wenn es nicht mehr fest auf die unantastbare gegen das Kind, ist das ihr Entscheid, der zu akzep- Würde des Menschen gegründet ist, sondern jeweils tieren ist. Ich möchte in meinem Selbstbestimmungs- dem Willen des Stärkeren bzw. - parlamentarisch ge- recht nicht durch andere eingeschränkt werden, in- sprochen - der Mehrheit unterworfen ist. Dies war im dem der Abbruch nach wie vor im Strafgesetz ver- übrigen - während des Monats Mai - auch der bleibt. Damit wird die Entscheidung nicht erleichtert, Grundtenor aller Veranstaltungen zum 50. Jahrestag sondern sie wird geradezu kriminalisiert. Da dieser des Kriegsendes. Die Botschaft an alle Staaten lau- Entwurf für Jahre angelegt ist, wird er auch noch tete: Die menschliche Gesellschaft hat alle Men- meine drei Töchter und zwei Enkelinnen be treffen. schenrechte zu achten und zu schützen - und dies Langfristig werden auch sie entmündigt. Schutz des gilt natürlich besonders für das Lebensrecht eines je- ungeborenen Lebens wird mit höherer Wertschät- den. zung bedacht als der Schutz des Kindes. Denn ist das Kind geboren, hört die großzügige Zuwendung auch Nach meiner Auffassung wird das vorliegende schon auf. Nicht ausreichende Betreuungsplätze für Gesetz zur Fristenlösung - zugegebenermaßen und Kinder, unzureichende Vereinbarkeit von Familie erfreulicherweise nunmehr mit Beratungspflicht - und Beruf werden durch die Befürworter des Kom- dieser hohen moralischen Verantwortung nicht ge- promisses hingenommen oder sollen später geklärt recht, ermöglicht doch die Fristenlösung innerhalb werden. Aber zuerst wird in die Lebensplanung der der ersten drei Monate die Abtreibung, im Klartext: Frauen eingegriffen. die Tötung eines schützenswerten Lebens. Dies steht für mich im Widerspruch zum fünften Gebot Es ist für mich ungeheuerlich, daß die Ministerin „Du sollst nicht töten" und zu den beiden ersten Frau Nolte entgegen all ihren moderaten Äußerun- Artikeln unseres Grundgesetzes, wo es u. a. heißt: gen im Vorfeld der Entscheidung nun heute eindeu- „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche tig gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen Unversehrtheit." Bedenkt man weiterhin, daß nach entscheidet. übereinstimmender Ansicht vieler Beratungsste llen für mehr als die Hälfte der be troffenen Frauen eine Auch einzelne Regelungen im Kompromiß unter- Abtreibung die zentrale destruktive Entscheidung streichen meine Ablehnung, so z. B. die Regelung im ihres Lebens ist, so schützen wir mit der Fristenlö- § 170b StGB: sung weder die Mutter noch das Kind in ausrei- chendem Maße. Dieser Gedanke des Schutzes ist Verweigerung der Unterhaltspflicht gegenüber ei- mir wichtiger als jede Form irgendwelcher Bestra- ner schwangeren Frau, die deshalb einen Abbruch fungen. Allerdings muß man befürchten, daß wir vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu die Anzahl der Abtreibungen durch dieses neue 5 Jahren bestraft. Gesetz nicht werden reduzieren können. Im übri- Ist das Kind geboren, ist die Problematik sofort gen bleibt eine Abtreibung nach Auffassung des - Bundesverfassungsgerichts ganz eindeutig eine entschärft. So ist die Existenzgefährdung durch rechtswidrige Handlung. Verweigerung der Unterhaltspflicht weit geringer bestraft. Mit einem Wo rt: Ist das Kind geboren, ja Der Staat wiederum hat - nicht einmal auf der Ba- dann hat die Frau die wirk liche eigene Verantwor- sis breitester parlamentarischer Mehrheiten - keiner- tung. Dann muß sie selbst entscheiden. Plötzlich lei Verfügungsrecht über menschliches Leben. Er wird sie solcher Entscheidungen für Wert befunden. kann daher dieses Recht auch nicht anderen einräu- Auch hier zieht sich der unerträgliche Fakt durch men. Auch vor dem Hintergrund dieser Überlegun- die vorgeschlagene Regelung, die befruchtete gen wurde seinerzeit bei uns die Todesstrafe bewußt Eizelle genießt eine höhere Wertschätzung als die abgeschafft. geborenen Kinder. 3922' Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Ich Damit wird klargestellt, daß eine Behinderung nie- erkenne zwar an, daß dieser Gesetzentwurf gegen- mals zu einer Minderung des Lebensschutzes füh- über dem Beschluß des Deutschen Bundestages von ren kann. 1992 einen besseren Schutz des ungeborenen Kindes gewährleistet und zur Zeit ein weitergehender ge- Andere diesbezügliche Regelungen waren für setzlicher Schutz nicht erreichbar ist. Dennoch mich immer ein wich tiger Grund, Gesetzentwürfe stimme ich gegen diesen Gesetzentwurf, weil beson- abzulehnen. Insoweit verweise ich auf meine Er- ders im Hinblick auf die allgemeine Bewußtseinsbil- klärungen nach § 31 GO vom 25. Juni 1992, Nach- dung der Schutz für die ungeborenen Kinder nicht trag zum Plenarprotokoll 12/99, und vom 26. Mai klar genug zum Ausdruck kommt. 1994, Plenarprotokoll 12/230. Als Nichtjurist ver- traue ich auf die auch schriftlich vorgelegte Aus- sage der Justitiare meiner Fraktion, durch den Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Der Schutz des gemeinsamen Antrag werde gerade nicht die menschlichen Lebens, des geborenen und ungebore- Tötung behinderter Kinder in einer Indikation oder nen, ist eine der wich tigsten und höchsten Aufgaben, gar im Rahmen einer erweiterten medizinischen denen ich mich als Abgeordneter verpflichtet fühle. Indikation bis zur Geburt ermöglicht und ge- rechtfertigt, die Behinderung selbst also überhaupt Den Schutz des ungeborenen Kindes sehe ich am kein Grund zum Schwangerschaftsabbruch sein ehesten im Gesetzentwurf der Abgeordneten Hube rt könne. Hüppe, Monika Brudlewsky, Wolfgang Bosbach und weiterer Abgeordneten, Drucksache 13/395, an dem auch ich mitgearbeitet habe, verwirklicht. Ich werde Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Ich stimme daher für diesen Entwurf stimmen. Sollte dieser Ge- schweren Herzens dem zwischen den Koalitionsfrak- setzentwurf jedoch nicht die erforderliche Mehrheit tionen und der SPD gefundenen Kompromißvor- finden, werde ich vor ein noch größeres Gewissens- schlag zu. Er trifft bei weitern nicht alle meine Vor- problem gestellt. stellungen zum Schutze des ungeborenen Lebens und bleibt in vielem hinter dem zurück, was ich mit Papst Johannes Paul II. hat in der „Enzyklika meiner gemeinsam mit vielen anderen Kollegen ge- Evangelium vitae" vom 25. März 1995 u. a. ausge- führten Klage gegen die gesetzliche Regelung des führt: Jahres 1993 zum Bundesverfassungsgericht errei- chen wollte. In dem Wissen und der Überzeugung, Ein besonderes Gewissensproblem könnte sich in daß bei einer Ablehnung des jetzigen Vorschlages den Fällen ergeben, in denen sich eine parlamen- eine aus Sicht des ungeborenen Lebens noch weni- tarische Abstimmung als entscheidend dafür her- ger Schutz bietende Rechtslage folgen würde und ausstellen würde, in Alternative zu einem bereits schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Ent- geltenden oder zur Abstimmung gestellten un- scheidungsnotwendigkeit eine weitere Klage vor gleich freizügigeren Gesetz ein restriktiveres Ge- dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe für mich setz zu begünstigen, das heißt ein Gesetz, das die kein gangbarer Weg ist, stimme ich zu. Dabei macht Anzahl der erlaubten Abtreibungen begrenzt. es mir die obligatorische Konfliktberatung der Schwangeren und die Klarstellung, daß das Ungebo- Später führt der Papst weiter aus, es sei einleuch- rene ein eigenes Recht auf Leben hat, leichter ebenso wie die Aufnahme von Strafvorschriften für tend, „daß es einem Abgeordneten, dessen persönli- das Umfeld der Schwangeren. Bedenken bestehen cher absoluter Widerstand gegen die Abtreibung hinsichtlich der Übernahme von Handlungsmöglich- klargestellt und allen bekannt wäre, dann, wenn die Abwendung oder vollständige Aufhebung eines Ab- keiten nach der embryopathischen Indikation in die treibungsgesetzes nicht möglich wäre, gestattet sein medizinische Indikation. könnte, Gesetzesvorschläge zu unterstützen, die die Letztendlich bin ich jedoch davon überzeugt, daß Schadensbegrenzung eines solchen Gesetzes zum nur eine auf Erhalt des Lebens orientierte und die Ziel haben und die negativen Auswirkungen auf das Folgen des Schwangerschaftsabbruchs darstellende Gebiet der Kultur und der öffentlichen Moral vermin- Beratung der betroffenen Frau ihr auch die schwere dern. Auf diese Weise ist nämlich nicht eine uner- Last deutlich macht, die sie im Falle eines Schwan- laubte Mitwirkung an einem ungerechten Gesetz gerschaftsabbruchs für sich selbst psychisch und gegeben; vielmehr wird ein legitimer und gebühren- physisch auf sich nimmt und nur wenn die Frau von der Versuch unternommen, die ungerechten Aspekte der Fortsetzung der Schwangerschaft überzeugt wer- zu begrenzen". Auch unter Einbeziehung dieser den kann, das Leben des ungeborenen Kindes besse- Aussage des Papstes sehe ich keine andere Möglich- ren Schutz erfährt. keit, als dem gefundenen Kompromiß, Drucksache 13/1850, zuzustimmen. Ich weise aber ausdrücklich auf meine nach wie vor bestehende innere Ableh- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Ich kann dem nung hin. „Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfeän- derungsgesetzes", Drucksache 13/1850, nicht zu- Bei diesem Kompromißvorschlag bzw. Änderungs- stimmen, weil für mich einfach unvorstellbar ist, daß antrag auf Drucksache 13/1850 ist für mich wesent- der Staat außerhalb unausweichlicher kriegerischer lich, daß er eine embryopathische Indikation aus- Anlässe - auf Grund welcher Abwägungen auch im- schließt. In der gemeinsamen Begründung hierzu mer - seine Hand zur Tötung menschlichen Lebens wird wörtlich festgehalten: soll reichen dürfen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3923'

Hans Peter Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Dem Die heutige Abstimmung wird für die Rechtspraxis Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfege- im Umgang mit dem ungeborenen Leben in Deutsch- setzes muß ich meine Zustimmung versagen. Unum- land, wie auch im Hinblick auf die Bildung des stößliche Maßstäbe für den Schutz jedes menschli- Rechtsbewußtseins über Jahre, wenn nicht Jahr- chen Lebens sind die allgemeinen Menschenrechte zehnte prägende Kraft entfalten. sowie die jedem Menschen zukommenden Grund- rechte unserer Verfassung. Das Grundgesetz geht Für mich hat eine Prüfung ergeben, daß der Mehr- von einer wertgebundenen Verfassung aus, die den heitsentwurf das ungeborene Leben nicht dauerhaft einzelnen Menschen und seine Würde in den Mittel- zu schützen vermag. Entscheidend ist für mich, daß punkt des gesamten Regelwerkes stellt. Dem liegt die Ausweitung des neuen § 218a Abs. 2 die Gefahr die Vorstellung zugrunde, daß der Mensch in der mit sich bringt, daß in der Praxis eine neue „Gene- Schöpfungsordnung einen eigenen selbständigen ralindikation" geschaffen wird. Die Verflechtung von Wert besitzt, der die Achtung vor dem Leben jedes medizinischen und sozialen Prognosen ohne Befri- einzelnen Menschen unabdingbar forde rt. Diese stung eröffnet dem Mißbrauch einen weiteren Spiel- Wertvorstellungen gelten für den geborenen Men- raum. Dem kann ich nicht zustimmen. schen ebenso wie für den ungeborenen. Menschen- rechte und Menschenwürde sind unteilbar. Sie zu Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Dem inter- achten und zu schützen gegenüber jedermann ist fraktionellen Antrag von CDU/CSU, SPD und F.D.P. vornehmste Pflicht des Staates. zum Schwangeren- und Familienhilfeänderungsge- setz kann ich nicht zustimmen, weil er dem Art. 2 un- Diese Überzeugungen hat das Bundesverfas- seres Grundgesetzes und dem dort verbürgten Recht sungsgericht in seinen Leitsätzen vom 28. Mai 1993 auf Leben eines jeden Menschen nicht gerecht wird. eindrucksvoll bestätigt, indem es formuliert hat: „Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes wird auch gegenüber seiner Mutter" und „Der Schwan- durch die Fristenregelung mit obligatorischer Bera- gerschaftsabbruch muß für die ganze Zeit der tung in den ersten drei Lebensmonaten vom Staat Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angese- nicht in der gebotenen Weise gesichert. Der § 218 hen und demgemäß rechtlich verboten sein." In je- Abs. 1 des interfraktionellen Entwurfs geht von der dem Falle also muß unsere Rechtsordnung die Miß- Zulässigkeit einer Abtreibung mit Beratungspflicht billigung jeder Abtreibung deutlich markieren. An aus, wenn „seit der Empfängnis nicht mehr als dieser deutlichen Mißbilligung mangelt es dem Ent- 12 Wochen vergangen sind". Dies ist genau die F ri wurf eines Schwangeren- und Familienhilfegeset- -stenlösung, die ich bereits in früheren Debatten des zes. Bundestages weder mit meinem Gewissen noch mit unserer Verfassung als vereinbar bezeichnet habe. Im übrigen hat das Bundesverfassungsgericht ei- Der rechtliche Schutz eines möglicherweise behin- nen Rahmen aufgezeigt, der die Mindestanforde- derten ungeborenen Kindes wird durch den vorlie- rung an den rechtlichen Schutz ungeborener Kin- genden interfraktionellen Entwurf sogar noch ver- der gewissermaßen katalogisiert. Dabei war dem schlechtert. Es ist zwar richtig, daß dieser Gesetzent- Zweiten Senat nicht zur Prüfung aufgegeben, wie wurf auf eine ausdrückliche embryopathische Indi- der bestmögliche Schutz Ungeborener gewährlei- kation verzichtet. Dies wäre jedoch nur dann zu be- stet werden kann; es st and lediglich die Frage an, grüßen, wenn der Verdacht einer möglichen Behin- welche Mindestanforderungen für einen solchen derung des ungeborenen Kindes nicht zum Anlaß ei- Schutz unsere Verfassung stellt. Auf dieser Grund- ner medizinischen Indikation werden könnte; diese lage obliegt es nun uns, dem Deutschen Bundes- dient als übergesetzlicher Notstand dem Schutz des tag, ein Gesetz zu formulieren, das gleichermaßen Lebens der Mutter und ist deshalb nicht an eine F rist bestmöglichen Schutz und größtmögliche Hilfe ge- gebunden. Da nach dem interfraktionellen Entwurf währt. die embryopathische Indikation in der medizinischen Zum Erhalt schützenswerter Güter steht dem Indikation aufgeht, wird dieser bisher klar umrissene Rechtsstaat ein breit angelegtes abgestuftes Instru- Tatbestand ausgeweitet und ausgehöhlt. Eine derar- mentarium zur Verfügung, das den Bürgerinnen und tige medizinische Indikation eröffnet die Möglichkeit Bürgern auch die Rangordnung der Werte aufzeigt. zur Verschleierung einer nach wie vor bestehenden Der vorliegende Entwurf eines Schwangeren- und embryopathischen Indikation, die zusätzlich nicht Familienhilfeänderungsgesetzes mißt vor dem Hin- mehr durch eine Zwölfwochenfrist begrenzt ist. Dies tergrund dieses Instrumentariums dem in Rede ste- entspricht genau der Regelung im SPD-Gesetzent- henden Gut „menschliches Leben" nicht den außer- wurf, der am 26. Mai 1994 von der CDU/CSU-Frak- tion im Deutschen Bundestag aus guten Gründen ab- ordentlichen Stellenwert bei, der ihm nach meiner - Überzeugung zukommt. Einer Regelung aber, die gelehnt wurde. Ich teile die Sorge der Bundesvereini- dem ohnmächtigen ungeborenen Kind nicht mit al- gung Lebenshilfe, die für die heutigen parlamentari- len zur Verfügung stehenden Mitteln zu seinem schen Beratungen auf die Verschlechterung der Recht verhilft, kann ich nicht zustimmen. Rechtslage für das behinderte ungeborene Kind in ihrer Stellungnahme vom 20. April 1995 aufmerksam gemacht hat. Johannes Singhammer (CDU/CSU): Dem vorlie genden Antrag von CDU/CSU, SPD und F.D.P. zum Ich will ausdrücklich anerkennen, daß der inter- Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz fraktionelle Entwurf in § 219 bei der Beratungsrege- kann ich nicht zustimmen. lung wichtige Klarstellungen zum Schutz des unge- 3924* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

borenen Kindes enthält, insbesondere den Hinweis In beiden Fällen kann ich eine Zustimmung mit auf das gegenüber der Mutter eigenständige Lebens- meinem Gewissen nicht vereinbaren. recht des Kindes. Um so mehr bedauere ich, daß die- ser Entwurf in der entscheidenden Frage des Schut- zes des ungeborenen Kindes in den ersten zwölf Wo- chen und des Schutzes eines möglicherweise behin- Anlage 3 derten ungeborenen Kindes keine Konsequenzen zeigt. Im Gegenteil: Der staatlich gebotene Schutz Erklärung nach § 31 GO des Lebensrechts wird gerade denen fast verwehrt, des Abgeordneten Rolf Köhne (PDS) die als besonders Schwache dieses Schutzes beson- zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung ders bedürfen. Ich werde auch nicht diesem inter- zu den Anträgen „Stromeinspeisungsgesetz" fraktionellen Gesetzentwurf zustimmen, weil etwa (Zusatztagesordnungspunkt 4) über die Opposition und deren Mehrheit im Bundes- rat unter Umständen noch Schlimmeres droht. Ich Selbstverständlich werde ich dem gemeinsamen bin zum Kompromiß nicht bereit, weil dies zur Auf- Antrag aller Fraktionen dieses Hauses zustimmen, gabe wesentlicher Grundsätze führt, die ich in mei- obwohl ich sehr enttäuscht darüber bin, daß es kei- ner Familie gelernt und später auch in meiner politi- nerlei Versuche gegeben hat, meine Gruppe mit in schen Arbeit über Jahrzehnte vertreten habe. diesen gemeinsamen Antrag einzubeziehen. Ich stimme diesem gemeinsamen Antrag insbeson- (CDU/CSU): Dem Alois Graf von Waldburg-Zeil dere deshalb zu, weil er sehr deutlich zum Ausdruck Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz kann ich, trotz der vorgenommenen Änderungen, bringt, daß der Deutsche Bundestag in seltener Ein- mütigkeit zu den umweltpolitischen Zielstellungen nicht zustimmen. Ausdrücklich möchte ich zwar den des Stromeinspeisungsgesetzes steht und die Versu- Verhandlungsführern danken, daß sie als Ziel und che einiger Stromkonzerne, dies durch Gesetzes- Aufgabe der Beratung gemäß § 219 StGB den Schutz bruch zu unterlaufen, verurteilt. des ungeborenen Lebens, die Ermutigung zur Fo rt -setzung der Schwangerschaft sowie die Eröffnung Ich werde aber auch dem Antrag der PDS zustim- von Lebensperspektiven mit dem Kind klar heraus- men, da ich es nach wie vor für notwendig halte, den gestellt haben. Ebenso positiv empfinde ich die Ab- Unternehmen, die durch die Zahlungsverweigerung schaffung der embryopathischen Indikation mit der in finanzielle Schwierigkeiten geraten könnten, un- Klarstellung, daß eine Behinderung niemals zur Min- bürokratisch zu helfen. derung des Lebensschutzes führen darf. Wenn ich dennoch für den Hüppe-Entwurf und ge- gen den Entwurf der CDU/CSU, SPD und F.D.P. Anlage 4 stimme, dann deshalb, weil ich das vom Bundesver- fassungsgericht als verfassungskonform angesehene Erklärung nach § 31 GO Prinzip „rechtswidrig aber straffrei" nicht akzeptie- des Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD) ren kann. Beim Schutz der Gesundheit der Mitmen- zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes schen und Mitgeschöpfe setzt der Staat das Straf- zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, recht intensiv ein, beim Lebensschutz für Geborene soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher noch stärker. Der völlige Verzicht auf Strafandro- und anderer Vorschriften hung beim Schutz für das ungeborene Kind berück- (Tagesordnungspunkt 22 b) sichtigt zwar dessen einmalige Daseinsweise, nimmt ihm aber andererseits den Schutz, der den Gebore- nen zusteht. Ich möchte mit meinem Abstimmungs- Das hier zur Abstimmung stehende Gesetz „Än- verhalten ein Zeichen dafür setzen, daß wir trotz aller derung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, bisherigen Bemühungen Ernst und Bedeutung des beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften" - Lebensrechtes ungeborener Kinder im Auge behal- Drucksache 13/1209 - ändert die ethischen und poli- ten müssen. tischen Prinzipien des Gedankens der allgemeinen Wehrpflicht in einer Weise, die ich mit meinem Ge- wissen nicht verantworten kann. Unter weitgehen- Benno Zierer (CDU/CSU): Keinem der vorliegen- dem Ausschluß der Öffentlichkeit versucht die Mehr- den Entwürfe kann ich meine Stimme geben. Be- heit dieses Hauses damit die schleichende Aushöh- gründung: Der Entwurf des fraktionsübergreifenden lung des auf dem Prinzip des Rechts der Landesver- Gruppenantrags regelt, daß unschuldige Menschen teidigung beruhenden Wehrpflichtgedankens. Aus ohne Strafsanktion getötet werden dürfen. Ich sehe der Verteidigungsarmee soll so auf kaltem Wege eine darin einen Verstoß gegen das fünfte Gebot „Du Interventionsstreitmacht geformt werden. sollst nicht töten". Weitere Ablehnungsgründe sind die Willkür der Festsetzung einer Zwölfwochenfrist. Längst überfällig ist die in dem Gesetz vorgese- Auch lehne ich es ab, daß die Bescheinigung einer hene sozialrechtliche Absicherung von Angehörigen Beratung den Tatbestand des § 218 StGB ausschließt der Bundeswehr bei Einsätzen im Ausland. Da die und die Tötung eines Menschen damit im Strafrecht Koalitionsmehrheit jedoch nicht bereit war, diese so- nicht als Unrecht behandelt wird. Im Entwurf des zialrechtliche Frage von der Grundsatzfrage der Le- Kollegen Hüppe wird ebenfalls willkürlich eine gitimation der Wehrpflicht zu trennen, muß ich dem Zwölfwochenfrist festgelegt, während der die Tötung gesamten Gesetzentwurf meine Zustimmung versa- eines Kindes straflos erfolgen darf. gen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3925 e

Anlage 5 Drittens. Oft sind umwelt- und tiergerechte Ställe mit aufwendiger Isolierung, optimaler Be- und Ent- Zu Protokoll gegebene Reden lüftung, ausreichendem Güllelagerraum etc. erst bei zu Tagesordnungspunkt 12 bestimmten Bestandsgrößen finanziell tragbar. (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tierseuchengesetzes) Zweifellos hat in der Vergangenheit der Zwang zur Rationalisierung • in der landwirtschaftlichen Tierhaltung teilweise zu Fehlentwicklungen ge- Siegfried Homung (CDU/CSU): Die notwendige führt. Man muß aber auch gleichzeitig sehen, daß Anpassung des Tierseuchengesetzes an die geän- hier schon seit Jahren entgegengesteuert wird; ich derte Situation in der Landwirtschaft ist der Aus- nenne hier als Beispiel die Schweine- und Kälber- gangspunkt der heutigen Debatte im Deutschen haltungsverordnung sowie die zahlreichen Umwelt- Bundestag. Im Normalfall wäre dieser Punkt ohne auflagen. Aussprache verabschiedet worden, zumal die SPD einhellig mit der Koalition im Ausschuß gestimmt Die Viehhaltung in Deutschland bewegt sich auf hat. einem schmalen Grat zwischen den Anforderungen an Tierschutz und Umwelt sowie denen der Wirt- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aber wollten ein schaftlichkeit. Ich darf an dieser Stelle darauf hinwei- Spektakel. Deshalb haben sie beharrlich auf eine öf- sen, daß in dem Wort „Landwirtschaft" auch „Wirt- fentliche Aussprache im Plenum gedrungen. Ihnen schaft" steckt und der einzelne Landwirt ohne Be- achtung der betriebswirtschaft lichen Kriterien die geht es aber nicht um die Sache, in der wahrlich um das Vertrauen unserer Verbraucher in eine effiziente Existenz seines Betriebes nicht sichern kann. Die Schweine- und Rindviehhaltung in Deutschland hat Seuchenbekämpfung in Deutschland gerungen wird. in den letzten Jahren einen drastischen Rückgang zu Sie meinten, einen Anlaß gefunden zu haben, um ge- gen die sogenannte Massentierhaltung und gegen verzeichnen; deshalb müssen wir die landwirtschaft- die nach ihrer Meinung industrialisierte Landwirt- liche Tierhaltung stärken und nicht verteufeln. Es kann doch auch von grüner Seite nicht gewollt sein, schaft zu wette rn. Dies unterstreichen sie mit ihrem daß die deutsche Landwirtschaft immer mehr Markt- Änderungsantrag ganz deutlich. Einerseits geben sie sich als Hüter der kleinen bäuerlichen Familien aus, anteile verliert und daß wir unser Fleisch zunehmend aus dem Ausland importieren müssen, wo wir keiner- andererseits wollen sie den meist etwas flächenärme- ren Betrieben auch noch die Tierhaltung vermiesen, lei Einfluß auf die Art der Erzeugung haben. Der Er- halt der Rindviehhaltung steht zudem im unmittelba- indem sie ausgerechnet hier höhere Beiträge einfor- ren Zusammenhang mit der Erhaltung unserer Kul- dern. turlandschaft, besonders in den Mittelgebirgsregio- nen sowie in den für den Ackerbau weniger geeigne- Nun ist aber - wahrscheinlich zu Ihrem Entsetzen - ten Gebieten. ausgerechnet in dieser Gesetzesänderung in § 17 das Wort „Massentierhaltung" durch „Viehhaltung" er- Ich habe versucht, Ihnen einige Fakten näherzu- setzt worden, was ich näher erläutern möchte. bringen, die uns jetzt zur Änderung des Tierseuchen- gesetzes bewegt haben. Es war nämlich meine ei- Der Begriff „Massentierhaltung" wird in der Regel gene Fraktion, die 1991 es gerechtfertigt hielt, bei gezielt zur Verteufelung der landwirtschaftlichen kleineren Tierbeständen ein geringeres Seuchenri- Tierhaltung benutzt, obwohl mir bisher noch niemals siko zu unterstellen und demzufolge die Beiträge zur definieren konnte, was dies in der Schweine- oder Tierseuchenkasse entsprechend zu verringern. Der Rindviehhaltung bedeutet. Wo fängt denn die soge- letzte große Schweinepestzug in Deutschland hat nannte Massentierhaltung an? Sind es 50, 100 oder uns aber deutlich gezeigt, daß die Größe der Be- 1 000 Schweine? 20, 100 oder 200 Milchkühe? Es stände allein kein Indiz für eine erhöhte Gefahr eines macht keinen Sinn, wie hypnotisiert allein auf die Seuchenausbruchs ist. Nur allzu deutlich wurde uns Gesamtzahl der Tiere in einem Bet rieb zu schauen, hier vor Augen geführt, daß die Seuchenabwehror- denn das Wohlbefinden der Tiere hängt nicht von ih- ganisation des Betriebes der entscheidende Faktor rer Zahl ab, sondern in erster Linie von der Qualifika- ist. Stichworte sind hier das „Rein-Raus-Verfahren", tion des Betriebsleiters sowie vom Haltungssystem sachgerechte Gülleentsorgung, Art und Weise des und den baulichen, technischen und hygienischen Tierzukaufs und anderes. Aufgrund dieser Erfahrun- Voraussetzungen. Gerade in dieser Beziehung bieten gen ist es nur konsequent, wenn der Gesetzgeber auf größere Tierzahlen folgende Vorteile: neue Erkenntnisse reagiert. Ich begrüße es deshalb, daß die als ungerechtfertigt erkannte Staffelung der Erstens. Die Kenntnisse eines spezialisierten Tier- Beiträge zur Tierseuchenkasse aufgehoben wird und halters ermöglichen eine bedarfsgerechte Fütterung, das seuchenhygienische Risiko als zusätzliche Be- eine Optimierung der Haltungsbedingungen sowie messungsgrundlage eingeführt wird. Mit der jetzi- eine verbesserte Hygiene und gesundheitliche Be- gen Gesetzesänderung können die Beiträge etwas treuung der Tiere. individueller auf die Bedingungen des einzelnen Be- triebes abgestimmt werden. Natürlich geht die Größe Zweitens. Teilweise werden tiergerechte Haltungs- der Bestände nach wie vor in die Gewichtung ein, da verfahren erst bei größeren Bestandszahlen praktika- sie im Seuchenfall durch eine höhere Entschädi- bel, so z. B. die Haltung von Milchkühen in Boxen- gungssumme die Solidargemeinschaft der Landwirte laufställen oder die Gruppenhaltung von niedertra- stärker belastet. Somit ist eine sachliche Lösung ge- genden Sauen. funden. 3926* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Ich würde mir wünschen, wenn diese Sachlichkeit Einfluß auf die Einhaltung seuchenrechtlicher Be- auch in die öffentliche Diskussion über Tierhaltung stimmungen und die Anwendung möglicher Präven- Einzug fände. Hier ist nämlich in den Medien in letz- tivmaßnahmen zu nehmen. Die Frage ist aber, ob die ter Zeit immer wieder behauptet worden, daß sowohl Entschädigungszusagen des Tierseuchengesetzes an den BSE-Erkrankungen als auch an den EHEC- tatsächlich der richtige Ort sind, um Präventivmaß- Infektionen die sogenannte Massentierhaltung nahmen durchzusetzen oder - anders herum ausge- Schuld sei. Richtig ist, daß bei BSE die Fütterung von drückt - die Risikobereitschaft von tiermästenden Schlachtabfällen und Tiermehl an Rinder die Ursa- Landwirten herabzusetzen. Das Tierseuchengesetz che war, was jedoch bei uns in Deutschland grund- ist nach Ansicht meiner Fraktion eben nicht der rich- sätzlich nicht praktiziert wurde und ohnehin nicht tige Ort, eine vielleicht wünschenswerte Änderung gestattet ist. der Agrarstrukturpolitik sozusagen durch die „kalte Küche" bewerkstelligen zu wollen. Es geht zunächst Zur Frage der EHEC-Infektionen haben anläßlich einmal um Entschädigung im konkreten Schadens- einer Sitzung des Ausschusses für Gesundheit Exper- fall und dann um die Möglichkeit, die Beitragsbe- ten des Robert-Koch-Ins tituts und des Bundesinsti- messung auch von der seuchenhygienischen Risiko- tutsfür gesundheitlichen Verbraucherschutz und Ve- prognose des Betriebes abhängig zu machen. Nur terinärmedizin ausgeführt, daß diese Kolibakterien das steht hier zur Debatte. ubiquitär sind, aber nur etwa 2,5 Prozent der Tierbe- stände befallen sind und es dabei keine klinisch er- Ich will noch einmal in Erinnerung zurückrufen, krankten Bestände gibt und andererseits der Befall daß diese gesetzliche Neuregelung auf die Schwei- ebensowenig wie bei der Salmonellose auf eine be- nepestfälle der Jahre 1993 und 1994 zurückzuführen stimmte Haltungsform beschränkt ist. ist. Und dabei ist deutlich geworden, daß die bis jetzt gültigen Entschädigungsleistungen zu unzumutba- Es ist also besser, in Zukunft beim Thema landwirt- ren Härten bei den Landwirten geführt haben und schaftliche Tierhaltung nicht mit Schlagworten und daß deshalb eine Änderung dringend erforderlich ist. falschen Fakten um sich zu werfen und damit auch noch unsere Verbraucher zu verunsichern; vielmehr Um einen Eindruck von der Größenordnung zu setzen Sie sich besser im Sinne unserer Bauern für vermitteln, in der sich die Seuchenfälle bewegen, bessere Bedingungen für die landwirtschaftliche weise ich darauf hin, daß bis Ende 1994 für Entschä- Tierhaltung ein, indem Sie besonders deutsche Nah- digungen, Ankauf, Folgeschäden etc. nach einer rungsmittel wieder verstärkt nachfragen. Schätzung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten etwa 1,5 Milliarden DM Marianne Klappert (SPD): An sich bleibt mir der aufgebracht werden mußten. Allein in Niedersach- Sinn einer solchen Debatte schleierhaft, da im Agrar- sen mußten für die Schweinepestbekämpfung bis ausschuß weitgehende Einigkeit bestand, der von Mitte April 1994 ca. 65 Millionen Mark ausgezahlt der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderung werden. Für den Ankauf verseuchter Schweine zuzustimmen, und da die vielleicht noch gewünsch- mußte Niedersachsen bis zum September 1994 schon ten Änderungen nach dem Verlauf der Ausschußsit- 400 Millionen Mark aufwenden. Aus diesen Zahlen zungen eine so exponierte Behandlung eigentlich lassen sich leicht Rückschlüsse auf die finanzielle Be- kaum rechtfertigen. Es kann sich bei dieser Debatte lastung der einzelnen Betroffenen ziehen. deshalb nach meinem Dafürhalten wohl lediglich um eine „Schaufensterveranstaltung" handeln, bei der Darüber hinaus muß eben auch in die Debatte ein- es weniger um den Inhalt dieses Gesetzes geht, als bezogen werden, daß die enormen Entschädigungs- vielmehr um eine grundsätzliche Behandlung der leistungen nicht nur durch die tatsächlichen Keulun- Tierseuchenproblematik bzw. der Agrarstrukturpoli- gen erzwungen worden sind. Zur Quantifizierung tik. Denn der Änderungsentwurf beinhaltet eigent- der tatsächlichen Schäden, z. B. auch durch Sperr- lich nichts, was zu großen Kontroversen Anlaß gäbe; oder andere Schutzmaßnahmen, muß diese Zahl es sei denn, man wollte diese Gesetzesänderung als nach Auskunft von Sachverständigen mit fünf mul ti Vehikel für eine Änderung der Agrarstrukturen ge- -pliziert werden. Wenn dabei wie in der Vergangen- brauchen. heit die Minderungen der Entschädigungsleistungen ausschließlich nach Betriebsgrößen um bis zu 40 % Da es aber nun einmal so ist, wie es ist, wi ll ich für erfolgen, dann geht das vielfach an die Existenz der die SPD-Bundestagsfraktion noch einmal deutlich entsprechenden Bet riebe. Darüber kann man nicht machen, warum wir diesem Gesetzentwurf zustim- achselzuckend und mit der Bemerkung „Selbst men, auch wenn wir im Ausschuß selbst Einwände schuld" hinweggehen. gegen zumindest eine Regelung in der Beschlußvor- lage erhoben haben. Zudem haben die Schadensverlaufsstudien der Tierseuchenkassen nachgewiesen, daß es keine au- Ohne Zweifel haben die Schweinepestseuchen- tomatische Abhängigkeit zwischen der Bestands- züge der Jahre 1993 und 1994 für die betroffenen größe und dem seuchenhygienischen Risiko gibt, wie Landwirte zu einer erheblichen finanziellen Bela- normalerweise zu vermuten wäre. Denn offensicht- stung geführt. Und es ist natürlich legi tim, darüber lich verfügen größere Betriebe in der Regel über das nachzudenken, ob die Ausbreitung von Seuchen da- bessere Seuchenmanagement bzw. über eine effekti- durch abgewehrt werden kann, daß man die Ent- vere Vorsorge. Klar ist allerdings, daß im Seuchenfall schädigung für Tierverluste von den Bestandsgrößen große verseuchte Bestände die Solidargemeinschaft abhängig macht. Natürlich ist es möglich, über eine der Landwirte durch eine höhere Schadenssumme gestaffelte Entschädigungszahlung zu versuchen, erheblich belasten. Meine Fraktion hat in den Aus- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3923' schußberatungen deutlich gemacht, daß sie dieses auf deren Seuchensituation hat. Wenn wir uns heute Faktum sehr wohl kennt und daß auch sie der Mei- bei diesem Entschließungsantrag der Stimme enthal- nung ist, daß mit dem Wegfall der Minderung unter ten, dann tun wir das deshalb, weil dieser im Aus- Umständen eine Begünstigung der Großbetriebe ge- schuß nicht diskutiert worden ist und weil wir der Re- geben ist, da zumindest im Hinblick auf deren Gül- gierungsvorlage in der zur Abstimmung vorgelegten leausbringung ein zusätzliches Gefahrenpotential Form zugestimmt haben. geschaffen ist. Womöglich sind auch bei hoher Kon- Wie gesagt, ich hätte mir vorstellen können, daß zentration im Tierbestand die Folgen für viele klei- nere Bestände im Hinblick auf das Andauern eines auch dieses Kriterium in die Neuregelung mit einge- Seuchenzuges leichter in den Griff zu bekommen. flossen wäre. Aber es war offenkundig, daß dafür - auch bei den Bundesländern - keine Mehrheit zu- Gleichwohl halten wir die jetzt gefundene Rege- standegekommen wäre. lung für tragbar, da es bei der Neuregelung ja eben nicht nur um die Abschaffung der nach Bestandsgrö- Insgesamt gesehen hält meine Fraktion die hier ßen gestaffelten Tierseuchenentschädigung geht, vorgelegten Neuregelungen im Tierseuchengesetz sondern auch um die stärkere Berücksichtigung seu- für eine tragfähige Grundlage, im Falle einer Seuche chenhygienischer Risikofaktoren bei der Beitragser- angemessene Entschädigungen zahlen zu können. dieser Änderung des Tierseu- hebung. Das erscheint uns nach den Beratungen im Deshalb werden wir chengesetzes zustimmen. Ich persönlich verstehe Landwirtschaftsausschuß ein gangbarer Weg, um die eine Ungleichbehandlung nicht durch eine andere eine möglichst breite Zustimmung zu diesem Gesetz zu ersetzen oder gar Agrarstrukturpolitik über das auch als ein Signal an die Landwirte, daß wir einer- Tierseuchenrecht be treiben zu wollen. seits die oftmals existenzgefährdenden Folgen einer Tierseuche zu mindern bereit sind, andererseits aber Deshalb haben wir letztendlich im Ausschuß dem auch darauf dringen, daß in den Betrieben selbst - Vorschlag zugestimmt, die bisher geltenden Rege- unabhängig von der reinen Betriebsgröße - die not- lungen hinsichtlich der Minderung der Entschädi- wendige Seuchenvorsorge betrieben wird. gung in Abhängigkeit von der Bestandsgröße aufzu- heben. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Tier- Das unter Umständen größere tierseuchenhygieni- seuchengesetzes hebt die bisherige Minderung der sche Risiko größerer Tierbestände bleibt ja nicht un- Entschädigungsleistungen nach Bestandszahlen auf. beachtet bei dieser Regelung. Es kann nun bei der Eine Minderung wird nun von der Seuchenlage und Beitragsbemessung zu den Tierseuchenkassen als der jeweiligen „Betriebsorganisation" abhängig ge- gezogen eine Beitragsbemessungsgrundlage her an macht. Was diese allgemeine und undifferenzierte werden. Dabei spielt natürlich die Organisa tion der Aussage in der Praxis heißt, wird jedoch offengelas- Betriebe eine große Rolle. Auch hier geht es nicht le- sen und bietet genügend Raum für willkürliche Inter- diglich um die Bestandsgröße. Gedacht werden muß pretationen. darüber hinaus vor allem auch an die Gülleentsor- gung und an die Art und Weise des Tierzukaufs. Eines ist und bleibt aber Tatsache und nicht Inter- pretation: Große Betriebe, die in der Regel wirtschaft- Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, daß ge- lich bessergestellt sind, werden nun den kleineren rade der Tierzukauf ein erheblicher Risikofaktor im Betrieben bei den Entschädigungsleistungen gleich- Hinblick auf die Ausbreitung einer Tierseuche ist. gestellt. Wenn z. B. Ferkel für die Schweinemast in manchmal 50 bis 60 Betrieben gesammelt und dann gemeinsam Die Intention und das Prinzip der geltenden Ent- über weite Entfernungen in die Veredelungsbetriebe schädigungsregelung des Tierseuchengesetzes wird gefahren und/oder in noch nicht vollständig ge- durch den Vorschlag der Bundesregierung auf den räumte und desinfizierte Ställe eingestallt werden, Kopf gestellt: Der vorliegende Entwurf führt indirekt dann liegt das seuchenhygienische Risiko auf der zu einer Förderung hoher Viehdichte, zur Konzentra- Hand. tion von Tierhaltungsbetrieben und zur Benachteili- gung bäuerlicher Gemischtbetriebe. Dabei herrscht Und umgekehrt: Wenn Betriebe sich tatsächlich bereits auf Grund der unterschiedlichen Schlachtko- um eine effektive Seuchenvorsorge bemühen, dann sten von Klein- und Großbetrieben genügend Unge- muß die Möglichkeit bestehen, über eine günstigere rechtigkeit. Bemessung der Beiträge zur Tierseuchenkasse dem Rechnung zu tragen. Deshalb ist die diesbezügliche Die Beitragsbemessung wird aber weiterhin von Neuregelung des Gesetzes unserer Auffassung nach Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehand- sehr begrüßenswert. habt, was im Seuchenfalle zu erheblichen wirtschaft- lichen Verzerrungen zwischen den konkurrierenden Natürlich hätte ich mir auch da noch Weiterungen Betrieben in den einzelnen Bundesländern führt, vorstellen können, wie sie z. B. jetzt - aber leider erst welche durch den Bundesratsvorschlag einer „Kann- jetzt und nicht schon im Ausschuß - durch BÜND- Vorschrift" noch weiter verstärkt werden. NIS 90/DIE GRÜNEN in einem Änderungsantrag eingebracht worden sind. Denn auch mir erscheint Die Probleme und Handlungsnotwendigkeiten unbestreitbar, daß es eine Korrelation des Seuchenri- sind spätestens seit den letzten großflächigen sikos mit der Höhe der Konzentration in einem geo- Schweinepestseuchen deutlich geworden: Vor allem graphischen Raum gibt, daß also die Viehdichte einer die Viehdichte, d. h. die Konzentration der Viehmast- Region einen unter Umständen wesentlichen Einfluß betriebe in einer Region mit den dort anfallenden 3928* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Güllemengen ist entscheidend für Ausbreitung der Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, eine Seuche. Die letzten Fälle der Schweinepest mit verbindliche Definition konkreter vorbeugender Ge- großen Tierverlusten ereigneten sich vor allem in sundheitsschutzmaßnahmen in den Tierhaltungsbe- Regionen mit hoher Schweinedichte, beispielsweise trieben festzuschreiben und eine intensive Aufklä- im Landkreis Cloppenburg und Vechta. Viele rung der Tierhalter hinsichtlich der hygienischen große Mastbetriebe mit Massentierhaltung und die Standards und vor allem in Bezug auf Tierkrankhei- dabei anfallenden Güllemengen vergrößern das Ri- ten und ihre Ausbreitung zu entwickeln. siko der Erkrankung und Verbreitung von Tierseu- chen. Gerade diese Regionen verursachen nach Günther Bredehorm (F.D.P.): Durch die Novellie Ausbruch einer Tierseuche auch die größten öko- rung des Tierseuchengesetzes wird die jetzt geltende nomischen Schäden. Intensivviehhaltungsregionen Regelung einer Minderung der Entschädigung bei sind daher nach dem Verursacher-Risiko-Prinzip in Seuchenfällen in größeren Be trieben aufgehoben. der Beitragsbemessung stärker heranzuziehen; Der aktuelle Schweinepestseuchenzug hat ganz ein- ähnlich wie dies bei der Auto-Haftpflichtversiche- deutig gezeigt, daß die Gefahr eines Seuchenaus- rung üblich ist. bruchs unabhängig von der Größe des Bestandes ist. Eine Reihe von Erstausbrüchen der Schweinepest Von daher ist die jetzige Änderung richtig und not- in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg- wendig. Vorpommern konnte auf die Verfütterung von Fleischabfällen von Wildschweinen aus Gaststätten Eine weitere Änderung im Gesetz gibt es bei der zurückgeführt werden. Auch der direkte Kontakt mit Beitragserhebung zur Tierseuchenkasse. Beiträge Wildschweinen oder der indirekte über Futtermittel können zukünftig nach der Größe der Bestände und und Lagerstroh sowie der unkontrollierte Zukauf ge- unter besonderer Berücksichtigung der seuchenhy- hören zu den möglichen Ansteckungswegen des gienischen Risiken, insbesondere auf Grund der Be- Schweinepestvirus. Das sind Tatsachen, die belegen, triebsorganisation sowie zusätzlich nach Alter, Ge- daß die Betriebe adäquate Vorbeugemaßnahmen er- wicht oder Nutzungsart gestaffelt erhoben werden. greifen müssen. Wir schlagen daher als Grundlage Die Schweinepest mit den enormen Schäden für für die Beitragsbemessung zur Tierseuchenkasse die die betroffenen Landwirte war, insbesondere für die Berücksichtigung von konkreten vorbeugenden Ge- Veredlungsregion Weser-Ems, eine einzige Katastro- sundheitsschutzmaßnahmen in den Tierhaltungsbe- phe. Durch die bisherige EU-Seuchenpolitik mußten trieben vor, die solche Ansteckungswege vermeiden. über 1,4 Millionen Schweine gekeult werden, von Betriebliche Prävention als Hauptkriterium für die denen 95 Prozent gesund waren. Diese Keulungen Staffelung der Beiträge senkt effektiv die tierseu- verursachten direkte Kosten von ca. 500 Millionen chenhygienischen Risiken; letztendlich können nur DM Steuergeldern. Der volkswirtschaftliche Schaden die Betriebe selbst den Ausbruch, die Ansteckung beträgt ca. 1,5 Milliarden DM. und Verbreitung einer Tierseuche verhindern. Bei Ausbruch einer Seuche müssen die Sammel- Leider ist die Schweinepest nach wie vor ein viehtransporte und Viehmärkte gemieden werden - Thema. Die Situation ist insofern schwieriger, als die Maßnahmen, die heute oft nicht eingehalten werden. Virulenz des Erregers nachgelassen hat und deshalb Die Betriebe müssen ihr Augenmerk auf diese der Nachweis und die Rückverfolgung der Ver- Schwachstellen richten und entsprechende Maßnah- schleppungsursachen sich schwierig gestalten. Ich men bei der betrieblichen Vorbeugung ergreifen, fordere die Bundesländer, die ja für die Durchfüh- nämlich Zukäufe nur aus bekannten Herkunftsbe- rung der Seuchenbekämpfung zuständig sind, auf, ständen tätigen, eine Quarantäne für zugekaufte unbedingt die Bekämpfungs- und Vorbeugemaßnah- Tiere einrichten, selbstverständlich keine Abfälle an men intensiv und effektiv umzusetzen. Wir brauchen Tiere verfüttern und geschlossene Systeme praktizie- einsatzfähige Krisenstäbe auf allen Verwaltungsebe- ren und anderes. Das sind Maßnahmen, die sich des- nen. Wir brauchen aber auch eine grundlegende Än- halb als wichtig erweisen, weil Seuchen wie die derung des Produktions- und Vermarktungssystems. Schweinepest in den letzten Jahren nicht durch ein Das Hygienemanagement in den Bet rieben, beim kontinuierliches und latentes Vorkommen des Virus, Tierzukauf und beim Tierhandel muß grundlegend sondern durch wiederholte Neueinschleppungen verbessert werden. Trotzdem: Ohne Ringimpfung mit hervorgerufen wurden. Betriebe, die einen adäqua- einem markierten Impfstoff ist eine konsequente ten vorbeugenden Gesundheitsschutz ihrer Tiere Seuchenbekämpfung wohl nicht möglich. Markierte nachweisen können, sollen deshalb auch in der Bei- Impfstoffe sind in der Entwicklung und zum Teil tragsgestaltung bevorzugt behandelt werden und schon in der Erprobung. Die Weiterentwicklung muß weniger Beiträge zahlen. vorangetrieben werden, damit diese Impfstoffe bald - zum Einsatz kommen können. Der markierte Impf- Problematisch ist die von der Bundesregierung vor- stoff soll nicht zur flächendeckenden Impfung, son- geschlagene Novellierung des Tierseuchengesetzes, dern regional und zeitlich begrenzt um einen Seu- die als indirekte Förderung einer hohen Viehdichte chenherd herum eingesetzt werden. Bundesregie- und Konzentration der Bet riebe wirken wird. Damit rung und insbesondere die EU-Kommission fordere klappt die wirtschaftliche Schere zwischen Groß- ich auf, nun auch den Einsatz markierter Impfstoffe und Kleinbetrieben weiter auseinander und die un- zuzulassen. Wir können die Schweinepest nicht nur terschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingun- mit großflächigen Sperrmaßnahmen und Keulungen gen in den Bundesländern werden weiter ver- bekämpfen, die zu ungeheuren wirtschaft lichen Fol- stärkt. geschäden führen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3929'

Zur Zeit ist auch die Rinderseuche BSE oder „Rin- Nur gesunde Tiere können Leistungen erbringen, derwahnsinn" wieder in der Diskussion. Die Seuche und nur die Produkte gesunder Tiere lassen sich ver- hat inzwischen in Großbritannien - wohl als Folge markten. Dazu gehören tiergerechte Haltung, umfas- des seit 1988 bestehenden Verfütterungsverbots von sender Seuchenschutz, moderne Hygienebedingun- Tiermehl an Wiederkäuer - seinen Höhepunkt über- gen und eine Preispolitik, die Bauern nicht weiter zu schritten. Gleichwohl gelten im Handel mit Rindern unsinnigen Leistungssteigerungen und damit ver- und Rindfleisch aus Großbritannien gewichtige Re- bundenen Folgeerscheinungen zwingt. Deshalb ist striktionen, urn dem Prinzip des vorbeugenden Ver- auch mehr Transparenz über die Haltungs- und Pro- braucherschutzes Rechnung zu tragen. Nachdem duktionsmethoden und die Möglichkeit der Verbrau- nun kürzlich in Großbritannien ein nach dem 1. Ja- cherinnen und Verbraucher, sich umfassend und au- nuar 1992 geborenes Rind an BSE erkrankt ist, ist na- thentisch über Tierhaltung und Produktion zu infor- türlich zu fragen, ob die bisherigen Auflagen für bri- mieren, erforderlich. tisches Rindfleisch zum Schutz unserer Verbraucher noch ausreichend sind. Für die F.D.P. fordere ich eine Tierseuchen sind im allgemeinen keine „Naturer- erneute Überprüfung der EU-Einfuhrregelung für eignisse", denen die Bauern machtlos gegenüberste- Rindfleisch aus Großbritannien. Künftig sollte nur hen. Es gibt Zusammenhänge zwischen Haltung, noch Fleisch von Tieren, die nicht älter als zwei Jahre Fütterung, allgemeiner Tiergesundheit, Be treuung sind, eingeführt werden dürfen. Insgesamt kann man der Tiere, Tierkonzentration einerseits und dem Auf- aber auch festellen, daß inzwischen der deutsche treten von Seuchen andererseits. Verbraucher über den Markt dafür gesorgt hat, daß Diese Zusammenhänge allein am Tierbestand im kaum noch britisches Rindfleisch eingeführt wird, Betrieb aufzuhängen ist völlig falsch. Insofern geht weil es nicht absetzbar ist. der vorliegende Gesetzentwurf in die richtige Rich- tung. Unserer Meinung nach sollte die Entschädi- Eine intensive und optimale Tierseuchenbekämp- gungsregelung aber noch stärker vom seuchenhygie- fung ist die Grundlage einer verantwortlichen Ver- nischen Risiko abhängig gemacht werden. Dazu braucher- und Agrarpolitik. Nicht zuletzt eine undif- könnte man an Hand von Kriterien, die betriebsspe- ferenzierte Diskussion um Tierseuchen hat bei uns zu zifisch zu prüfen sind, eine entsprechende Entschädi- einem Rückgang des Fleischkonsums und zu erhebli- gungsregelung festlegen. Kriterien könnten z. B. na- chen Einkommensverlusten der deutschen Bauern turgemäße Haltungsbedingungen wie Platzbedarf, geführt. Unseren Verbrauchern möchte ich sagen, Bewegungsfreiheit, Futterregime, veterinärmedizini- daß durch die rechtlichen Bestimmungen im Bereich sche Betreuung, Stallhygiene, Zutrittssicherheit, öko- der Tierseuchenbekämpfung, der Fleischhygiene logische Verwertung der Abprodukte und ähnliches und der Lebensmittelüberwachung gerade in sein. Deutschland sichergestellt ist, daß nur gesundheit- lich einwandfreie, qualitätsvolle Ware angeboten Die Tierbestandsgröße allein ist kein Kriterium für wird. Seuchengefahr. Fast alle Ausbrüche von Schweine- pest in Niedersachsen wurden z. B. in kleinen und mittleren Betrieben mit schlechtem Hygieneregime Eva Bulling-Schröter (PDS): Das Thema Tierseu chen war in den letzten Wochen und Monaten zu- registriert und hatten ihre Ursachen in unzureichend nehmend Gegenstand von Sorgen und Angsten von behandeltem Futter sowie im unkon trollierten Perso- Verbraucherinnen und Verbrauchern. Mit Recht for- nenverkehr und in der meist unzureichenden veteri- dern sie gesunde Lebensmittel und Fleisch, das frei närmedizinischen Betreuung. von Hormonen und anderen Rückständen verzehrt Nicht zu akzeptieren ist, daß im Bundestag ein Ge- werden kann. setz beschlossen wird, dessen Kosten die Länder tra- gen sollen. Das ist besonders kritisch für die neuen Nahrungsmittel werden auf Grund des wachsen- Bundesländer, die auf Grund ihrer Finanzschwäche den Umweltbewußtsein immer sensibler beurteilt, vielfach nur den Mindestbeitrag zu den Entschädi- und immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher gungsleistungen erbringen. Das ist ein weiteres Bei- wollen mit Recht über Ergebnisse, Probleme und Ge- spiel, wo länderspezifisch Betriebe benachteiligt fahren, die mit der Tierhaltung verbunden sind, in- werden, keine gleichen Wettbewerbsbedingungen formiert werden. herrschen. Auch der hessische Bauernverband be- klagt gravierende Wettbewerbsnachteile als Folge zu Die Bauern in Deutschland nehmen berechtigte hoher Pflichtbeiträge zur Tierseuchenkasse. Sorgen sehr ernst, da letzendlich auch davon ihr Ruf und somit ihre Existenz abhängen. Oftmals gezwun- Im Lichte der Tierbestandsentwicklung in Ost-, gen durch Dumpingpreise der Einzelhandelsketten aber auch in Westdeutschland und des ständig sin-- und der Lebensmittelindustrie, versuchen bäuerliche kenden Selbstversorgungsgrades mit Fleischerzeug- Betriebe, wirtschaftlich effektiv zu arbeiten. Massen- nissen fordern wir deshalb von der Bundesregierung, tierhaltung mit all ihren Nachteilen kann jedoch daß sie sich an den Kosten der Tierseuchenversiche- zwangsläufig zu erhöhter Seuchengefahr führen. rung beteiligt. Sie könnte dadurch auch einen EU- rechtlich zulässigen Beitrag zum Wiederaufbau der Es muß deshalb sowohl im Interesse der Politik als Tierproduktion in Ostdeutschland leisten. auch der Landwirtschaft selbst liegen, wenn a lles da- für getan wird, daß Tiere so gehalten werden, daß Deshalb stimmt die Gruppe der PDS dem Ände- Seuchen und Krankheiten soweit wie möglich ausge- rungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schlossen werden. NEN zu. 3930e Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, tus kleiner als beim unkontrollierten Zukauf über Landwirtschaft und Forsten: Tierseuchen haben trotz Sammelstellen. Es ist doch nicht mehr als richtig, aller medizinischen und technischen Fortschritte ihre Seuchenvorsorge nicht zu bestrafen, sondern zu ho- Schrecken noch nicht verloren. Ein Schrecken, der norieren und Anreize zu geben. Dies gilt für große besonders die von der Schweinepest betroffenen Re- wie für kleine Bestände. gionen in Atem hält. Zur Straffung und Verbesserung der Tierseuchenbekämpfung hat die Bundesregie- Die Bundesregierung ist der festen Überzeugung, rung - vielfach gemeinsam .mit den für die Tierseu- daß die risikobezogene Beitragsstaffelung und die chenbekämpfung zuständigen Ländern - wich tige volle Entschädigung im Seuchenfall unverzichtbare rechtliche und organisatorische Änderungen vorge- Voraussetzungen für eine Anhebung des allgemei- nommen. Ein weiterer Mosaikstein für eine effektive nen Vorsorgestandards gegen Seucheneinschlep- Tierseuchenbekämpfung bildet nunmehr die Ände- pungen sind. Ich versichere, die Bundesregierung rung des Tierseuchengesetzes. wird diesen Weg der Betriebe für eine konseqente Seuchenvorsorge auch weiterhin mit ihren Möglich- Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten keiten nachdrücklich unterstützen. Entwurf soll die Entschädigung bei Tierseuchen und die Beitragszahlung zur Tierseuchenkasse neu gere- Die besten Regelungen zur Seuchenvorsorge kön- gelt werden. Derzeit werden bei größeren Bet rieben nen nur so gut sein, wie sie in der Praxis umgesetzt die Entschädigungszahlungen um bis zu 40 % ge- werden. Ich appelliere daher eindringlich an Land- kürzt. Diese einseitige Minderung der Entschädi- wirtschaft und Handel, die Seuchenvorsorge ernst zu gung hat viele Tierhalter hart ge troffen und unge- nehmen. Wir müssen in einem Gemeinschaftswerk rechtfertigterweise benachteiligt. Denn das jüngste aller Beteiligten alles daransetzen, die seit Frühjahr Schweinepestgeschehen hat eben die alte Annahme 1993 bei uns grassierende Schweinepest zu stoppen. nicht bestätigt, daß mit zunehmender Betriebsgröße Die Bundesregierung setzt sich dabei auch für eine das Seuchenrisiko zunimmt. Änderung der EU-Tierseuchenpolitik ein. Richtig ist vielmehr, daß das seuchenhygienische Ich freue mich, daß die SPD den Änderungsvor- Gesamtrisiko von weit mehr Faktoren abhängig ist schlag der Bundesregierung zum Tierseuchengesetz als nur von der Anzahl der Tiere. Dies muß sich in unterstützt. Vielleicht konnte diese Debatte sogar die den Entschädigungszahlungen und in den Beiträgen Grünen überzeugen, dem Entwurf der Bundesregie- zur Tierseuchenkasse niederschlagen. rung zuzustimmen. Nach bisheriger Rechtslage haben die Länder die Tierseuchenkassenbeiträge in Abhängigkeit von der Bestandsgröße nach dem Motto erhoben: Je größer der Bestand, umso höher der Beitrag pro Tier. Das be- Anlage 6 deutete - überspitzt formuliert: Dafür, daß ein L and- wirt mit einem größeren Bestand mehr in die Tierseu- Zu Protokoll gegebene Reden chenkasse einzahlen durfte, mußte er im Seuchenfall zu Tagesordnungspunkt 14 eine Kürzung der Entschädigung hinnehmen. (Beschlußempfehlung zu dem Antrag: Das kann so nicht bleiben. Entwurf einer Bioethik-Konvention des Europarates) Mit dem vorliegenden zweiten Gesetz zur Ände- rung des Tierseuchengesetzes hat die Bundesregie- Peter Altmaier (CDU/CSU): Die vorliegende Ent- rung vorgeschlagen, die Entschädigung bestands- schließung ist das Ergebnis einer intensiven und um- größenunabhängig und für alle Betriebe auf 100 % fassenden Diskussion, die wir in den vergangenen festzusetzen. Diesen Änderungsvorschlag hat auch Monaten in den zuständigen Ausschüssen unter Be- der Bundesrat in seiner ersten Lesung gebilligt. teiligung der interessierten Öffentlichkeit geführt ha- ben. Der Bundestag macht dadurch von seinem Außer bei den Entschädigungen muß auch bei der Recht Gebrauch, noch vor Abschluß der Verhandlun- Erhebung der Tierseuchenkassenbeiträge mehr gen über eine „Bioethik-Konvention" des Europara- sachlich fundierte Gerechtigkeit einkehren. Die Bun- tes zu den wesentlichen Fragen, die in dieser Kon- desregierung hat daher als zweite Änderung im Tier- vention zu regeln sind, unmißverständlich Stellung seuchengesetz die Staffelung der Tierseuchenkas- zu nehmen und die Bundesregierung auf diese Weise senbeiträge in Abhängigkeit vom seuchenhygieni- bei ihrer weiteren Verhandlungsführung zu unter- schen Risiko des Betriebes vorgeschlagen. Dies stützen. kommt besonders kleineren Bet rieben entgegen. - Denn der Vorsorgestandard kann in kleineren Be- Damit wird für jedermann sichtbar der Eindruck triebseinheiten einfacher durch technische und orga- widerlegt, die Verhandlungen würden hinter ver- nisatorische Umstellungen erhöht, und damit können schlossenen Türen unter Ausschluß der Betroffenen die Beiträge gesenkt werden. Mit der seuchenhygie- geführt: Bei der öffentlichen Anhörung, die die Bun- nischen Risikostaffelung kann über die Beitragsseite destagsausschüsse für Recht, Forschung und Tech- sichergestellt werden, daß sinnvolle Seuchenvor- nologie und Gesundheit am 17. Mai durchgeführt ha- sorge auch honoriert wird. Denn das Seuchenrisiko ben, haben Sachverständige, Vertreter von Verbän- ist in geschlossenen Beständen kleiner als beim Fer- den und Bürgerinitiativen die Möglichkeit gehabt, kelzukauf und beim Zukauf aus tierärztlich über- ihre Vorstellungen zum Konventionsinhalt ausführ- wachten Betrieben mit bekanntem Gesundheitssta lich darzulegen und zu begründen. Vieles davon ist Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3931' in den Entschließungsentwurf eingeflossen. Wir soll- zeichnet wird, nicht nur in unserem Interesse liegt, ten daher gemeinsam dafür sorgen, daß sich die sondern angesichts der Unterschiedlichkeit oder gar künftigen Diskussionen weniger um Form- und Ver- des Fehlens der bestehenden nationalen Regelungen fahrensfragen als vielmehr um die inhaltlichen Pro- sogar dringend geboten ist. bleme drehen, die mit dem Konventionsentwurf ver- bunden sind. Ich möchte daher nachdrücklich feststellen, daß unsere Fraktion die Bemühungen, die auf den Ab- Die vorliegende parteiübergreifende Entschlie- schluß einer „Bioethik-Konvention" abzielen, be- ßung leistet dazu einen Beitrag. Sie enthält zunächst grüßt und die Bundesregierung ausdrücklich ermu- ein eindeutiges Bekenntnis zur modernen humanbio- tigt, auf dem von ihr schon bisher eingeschlagenen logischen und -medizinischen Forschung, indem sie Weg fortzufahren. Mit gleichem Nachdruck wieder- deren Fortschritt und Verdienste anerkennt und dar- hole ich jedoch, was ich bereits in der Debatte vom auf hinweist, daß auch künftig ausreichende Rah- 26. Januar zum Ausdruck gebracht habe, daß wir menbedingungen für weitere Forschungsfortschritte keine Konvention wollen, die sich darauf beschränkt, gewährleistet sein müssen. auf kleinstem gemeinsamen Nenner Minimalstan- dards festzuschreiben, sondern daß sie an Regelun- Gleichzeitig verharmlosen wir jedoch nicht die gen von Staaten mit hohem Schutzniveau ausgerich- möglichen Gefahren und Mißbräuche, die sich aus tet sein muß. Wir wollen eine wirkliche Verbesserung dem atemberaubenden Tempo der immer schnelle- im Vergleich zur bestehenden Situa tion, keine „Pla- ren Weiterentwicklung unserer technischen Möglich- cebo-Konvention", die in Wirklichkeit nichts oder keiten ergeben. Die Würde des Menschen ist für uns kaum etwas ändert. Deshalb sind wir - so wie auch eine absolute Grenze für die Anwendung dessen, alle anderen Fraktionen - der Auffassung, daß der was technisch und medizinisch „machbar" ist; diese Konventionsentwurf vom Juli 1994 noch in entschei- Grenze werden wir weder jetzt noch in Zukunft über- denden Punkten verbessert werden muß. schreiten. Insoweit sind wir uns mit allen Fraktionen des Bundestages einig. Soweit wir über die einzelnen Punkte, bei denen wir Handlungsbedarf sehen, zwischen den Fraktio- Dies kommt auch im Änderungsantrag der Frak- nen Einigkeit erzielt haben, kann ich auf den Text tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Ausdruck. der vorliegenden Entschließung verweisen. Dies gilt Seine kardinale Schwäche liegt jedoch darin, daß er sowohl für das absolute Verbot von Eingriffen in die nur die eine Seite der Medai lle sieht: Er erwähnt aus- menschliche Keimbahn in A rt. 16 als auch für das schließlich die möglichen nega tiven Aspekte biologi- Verbot der verbrauchenden Forschung an Embryo- scher und medizinischer Forschung, ohne auch nur nen in Art. 15 prädiktive genetische Tests und die da- mit einem Wort auf die Chancen einzugehen, die bei zu beachtenden datenschutzrechtlichen Stan- sich für die Betroffenen aus verbesserten Behand- dards in Art. 17 und 18 oder den Sanktions- und lungs- und Heilmethoden ergeben. Wir von der Überwachungsmechanismus sowie alle anderen in CDU/CSU wollen beides: Wir wollen, daß Deutsch- die Entschließung einvernehmlich aufgenommenen land und Europa in den Bereichen Humanbiologie Punkte. Wir befinden uns mit diesen Forderungen in und Humanmedizin auch künftig eine führende Stel- weitgehender Übereinstimmung mit der Parlamenta- lung behält, aber wir wollen ebenso führend sein, rischen Versammlung des Europarates, deren Mit- wenn es darum geht, die Achtung und Einhaltung gliedern ich an dieser Stelle noch einmal ausdrück- unserer gemeinsamen ethischen Standards zu jedem lich für ihr Engagement danken möchte. Zeitpunkt wirksam und umfassend sicherzustellen. Wir lassen nicht zu, daß Forschungsfreiheit und Men- Eingehen möchte ich statt dessen auf diejenigen schenwürde gegeneinander ausgespielt werden, Punkte, bei denen wir im Rechtsausschuß zunächst weil wir davon überzeugt sind, daß das Spannungs- unterschiedlicher Auffassung waren. A rt. 6 des Kon- verhältnis zwischen dem, was technisch machbar ist ventionsentwurfs beschreibt die Voraussetzungen, und dem, was ethisch verantwortbar ist, durch geeig- unter denen medizinische Eingriffe an nicht einwilli- nete staatliche Regelungen erträglich gemacht und gungsfähigen Personen vorgenommen werden dür- beherrscht werden kann, ohne daß die menschliche fen. Die ursprüngliche Formulierung war viel zu weit Würde und weitere unverletzliche Schutzrechte da- und unbestimmt und ging damit über das hinaus, durch in Frage gestellt werden. was wir für ethisch vertretbar halten. Wir sind des- halb dankbar, daß die Parlamentarische Versamm- Derartige Regelungen benötigen wir auch auf euro- lung des Europarates auch diesen Punkt aufgegriffen päischer und internationaler Ebene. Ihre Notwendig- und ihre Ablehnung der ursprünglichen Formulie- keit ergibt sich aus der raschen Zunahme der interna- rung deutlich gemacht hat. tionalen Verflechtungen und der grenzüberschreiten- den Zusammenarbeit in diesem Bereich. Nur wenn es Gleichwohl zögern wir, uns den in der Entschlie- gelingt, durch die Schaffung geeigneter rechtlicher ßung der Parlamentarischen Versammlung vom Fe- Regelungen mit den tatsächlichen Entwicklungen im bruar 1995 enthaltenen neuen Vorschlag schon jetzt europäischen und internationalen Rahmen Schritt zu vollständig zu eigen zu machen. Dieser Vorschlag halten, können wir diese Entwicklungen mit ruhigem sieht vor, daß medizinische Forschungseingriffe an Gewissen hinnehmen und sogar fördern. Durch die einer nicht einwilligungsfähigen Person ohne deren Diskussion der letzten Monate und die Ergebnisse der höchstpersönliche Zustimmung nicht vorgenommen Anhörung sehen wir uns in unserer Auffassung bestä- werden dürfen, sofern diese Eingriffe keinen unmit- tigt, daß das Zustandekommen einer Konvention, die telbaren Nutzen für die Gesundheit dieser Person ha- von möglichst vielen Staaten des Europarates unter- ben. Viele Sachverständige sind in der Tat der Auf- 3932' Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Fassung, daß bei sogenannten „fremdnützigen" Ein- Schutzniveau dera rt zu ergänzen, daß künftig euro- griffen in die körperliche Unversehrtheit die feh- paweit ein vergleichbares Schutzniveau gewährlei- lende Zustimmung des Be troffenen in keinem Fall stet ist. Der Abschluß einer Konvention, die den in durch die Zustimmung z. B. seines gesetzlichen Ver- der Entschließung des Bundestages skizzierten treters wie Eltern oder Vormund ersetzt werden darf. grundlegenden Anforderungen gerecht wird, bedeu- Andererseits hat die Anhörung vom 17. Mai auch er- tet für die europäischen Bürger daher nicht weniger, geben, daß Situationen vorstellbar sind, in denen die sondern mehr Schutz und Sicherheit vor mißbräuchli- Erforschung und möglicherweise Heilung der betref- cher Anwendung der neuen technischen Möglich- fenden Krankheit auf anderem Wege nicht möglich keiten im Bereich der Medizin. erscheint. Dies soll insbesondere für einige Krankhei- ten gelten, die typischerweise in einem sehr frühen Der deutsche Bundestag wird die weiteren Ver- Lebensabschnitt auftreten und auch nur dann ausrei- handlungen mit großer Aufmerksamkeit begleiten chend erforscht werden können. Wir sehen uns bis- und der Bundesregierung die erforderliche Unter- her nicht in der Lage, uns in dieser Frage eine ab- stützung bei der Verwirklichung ihrer Verhandlungs- schließende Meinung zu bilden, und ich weiß, daß ziele zuteil werden lassen. auch in anderen Fraktionen der Diskussionsprozeß noch nicht völlig abgeschlossen ist. Deshalb wollen wir in den kommenden Wochen und Monaten versu- Margot von Renesse (SPD): Das Projekt „Konven chen, zu einer vertretbaren Lösung zu gelangen. An- tion zur Bio-Medizin" krankt bisher an einem ent- dernfalls sehe ich die Gefahr, daß diejenigen, die zu scheidenden Mangel: Die Bundesregierung hat es Recht auf die Unzulänglichkeiten der ursprünglichen versäumt, die Öffentlichkeit umfassend zu informie- Formulierung von Art. 6 hingewiesen haben, uns ren, sich der öffentlichen Diskussion zu stellen und schon bald vorwerfen könnten, mit einer zu restrikti- die Ergebnisse eines öffentlichen Diskurses in ihre ven Formulierung das Kind mit dem Bade ausge- Meinungsbildung einzubeziehen. Damit hat sie sich schüttet zu haben. den entstandenen Verdacht selber zuzurechnen, es gehe ihr bei der Konvention mehr um die Interessen Abgelehnt haben wir den Vorschlag, in der Kon- des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts vention die Patentierbarkeit menschlicher Gene aus- Deutschland als um die potentiellen Opfer neuer zuschließen, weil wir der Auffassung sind, daß der Technologien, die sie „draußen vor der Tür" lasse. vorliegende Konventionsentwurf zur Regelung die- Der Initiative einiger Abgeordneter, insbesondere ser Frage nicht der geeignete Ort ist: Die Konvention des Kollegen Antretter, ist es zu danken, daß der öf- behandelt die Frage nach der Zulässigkeit und Ver fentliche Diskurs, der sich gleichwohl engagiert ent- antwortbarkeit humanbiologischer und humanmedi- wickelt hat, politische Stimme in der parlamentari- zinischer Forschung, nicht jedoch die Frage nach der schen Versammlung des Europarates und nun auch wirtschaftlichen Verwertung ihrer Ergebnisse. Hinzu im Bundestag erhalten hat. Wir Sozialdemokraten kommt, daß die Patentierbarkeit menschlicher Gene wollen, daß während der weiteren Verhandlungen in den bisherigen Verhandlungen keinerlei Rolle ge- eine wohlinformierte Öffentlichkeit alle Gegen- spielt hat. Wer zum jetzigen Zeitpunkt diese Frage stände der Konvention erörtern kann, bis eine verab- neu in die Verhandlungen einführen will, muß sich schiedungsfähige Konvention vorhanden ist. vorhalten lassen, daß er dabei eine erhebliche Verzö- gerung der weiteren Verhandlungen und damit des Ein überzeugender Textentwurf liegt bisher nicht Konventionsabschlusses in Kauf nimmt. Dies halten auf dem Tisch. Bei allem Respekt vor der ganz ande- wir angesichts der bestehenden Situation für nicht ren Rechtstradition und -sprache des Völkerrechts ist vertretbar. Selbstverständlich schließt dies nicht aus, mehr Präzision bei den Bestimmungen möglich und daß sich in dieser Frage in anderem Zusammenhang, nötig. Eine mißtrauisch gewordene Öffentlichkeit etwa im Hinblick auf eine zu erwartende neue Ini tia- will wirksam geschützt werden vor jedem Machtmiß- tive der EG-Kommission zur Biotechnologie, schon brauch durch Kenner und Könner, durch wirtschaftli- bald Diskussionsbedarf ergeben wird. che und politische Interessen.

Abschließend möchte ich feststellen, daß sich aus Die unerhört neuen Möglichkeiten von Wissen- unserer Sicht das zeit- und beratungsaufwendige schaft und Technik, in das menschliche Erbgut einzu- Verfahren, für das wir uns zur Behandlung des Kon- greifen, lösen keineswegs nur Hoffnungen von Kran- ventionsentwurfs entschieden haben, gelohnt hat. ken und Leidenden auf neue Therapiemethoden aus. Wir haben wichtige Verbesserungsvorschläge formu- Gleichzeitig steigt die Angst davor, daß den Herren liert, von denen wir hoffen, daß sie in den endgülti- dieser Techniken neue Macht zuwächst, die sich auf gen Konventionstext Eingang finden. Wir haben dar- urumkehrbare Weise mißbrauchen läßt. Der ein-- über hinaus aber auch einen wich tigen Beitrag zur zelne Mensch in seiner Wehr- und Hilflosigkeit, vor Versachlichung der Diskussion und zum Abbau von allem in den Grenzsituationen besonderer Verletz- Ängsten und Vorbehalten bei vielen Bürgerinnen lichkeit bei Krankheit und Behinderung, im Prozeß und Bürgern geleistet. Es ist klar geworden, daß es des embryonalen Werdens und des Sterbens, ist der sich bei den Bemühungen zum Abschluß einer Ernstfall für unsere kulturellen Traditionen in Eu- „Bioethik-Konvention" gerade nicht darum handelt, ropa. Wir brauchen einen wirksamen rechtlichen nationale Standards, wie z. B. das deutsche Embryo- Schutzwall um Menschenwürde und Menschen- nenschutzgesetz, auszuhöhlen oder zu umgehen. Es recht, damit nicht Fluch wird, was als Erkenntnis- geht vielmehr darum, die bestehenden nationalen und Kompetenzgewinn Segen für viele sein kann Regelungen durch eine Konvention mit hohem und soll. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3933'

Ich bin dankbar, daß dieses Anliegen von allen daß man rechtliche Grenzen setzen muß, wo sich politischen Kräften im Bundestag geteilt wird, daß Macht von Menschen über Menschen konzentriert, auch die Bundesregierung keine aus der Gewalten- sollten wir anderen vermitteln können. teilung herrührenden Einwände gegen die „Einmi- Gerade um unserer Erfahrungen willen begrüßen schung „ des Parlaments in die Erarbeitung einer völ- wir, daß die Konvention zur Biomedizin den Geist der kerrechtlichen Konvention erhoben hat. Mit der Ko- Europäischen Menschenrechtskonvention atmen alition können wir Sozialdemokraten eine Entschlie- soll. Dort ist der Vorrang des einzelnen - seines un- ßung verabschieden, die auf erfreuliche Weise - nach verletzlichen Rechts und seiner Würde - vor dem Anhörung engagierter Sachverständiger, von Fach- Recht der Allgemeinheit oder der Gruppe verankert. leuten und sogenannten Laien - unser gemeinsames Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat we- Produkt ist. sentlich zur Präzisierung und Durchsetzbarkeit der Wir hätten den Text in zwei Punkten noch gerne individuellen Menschenrechte beigetragen. Diesen ergänzt um das Verbot der Patentierung menschli- Verrechtlichungsprozeß wollen wir auch der Konven- cher Gene und um die Unverzichtbarkeit der persön- tion zur Biomedizin sichern. Auch hier wollen wir lichen Einwilligung bei nur fremdnützigen Eingriffen deshalb die Individualklage ermöglichen, und zwar in das Erbgut. Die Koalition hat diese beiden Forde- bei demselben Gerichtshof, der die Europäische rungen nicht in den Text aufnehmen wollen. Wir ha- Menschenrechtskonvention wachsam und sensibel ben insoweit auf eigene Ergänzungsanträge verzich- handhabt. tet, dies aber nur, weil wir wissen, daß die Koalition Wir wollen mit der Konvention nicht Forschung diese Anliegen nicht in der Sache ablehnt. Wir wer- und Wissenschaft als wesentlichen Ausdruck men- den im weiteren Verhandlungsverlauf Gelegenheit schlichen Erkenntnisstrebens behindern oder gar haben, gemeinsam nach überzeugenden Antworten einschränken. Bei aller begründeten Furcht vor dem, auf die schwerwiegenden Fragen zu suchen. Auch was an Schrecknissen durch die Ergebnisse von For- hier wird der öffentliche Diskurs von Bedeutung sein. schung und Wissenschaft bewirkt wurde: Die Suche Den Ergänzungs- und Änderungsanträgen der nach mehr Verständnis der Zusammenhänge in der Grünen stimmen wir nicht zu. Teils sind die Forde- Natur ist Teil des Menschen selbst. Sie abzustellen ist rungen bereits in dem gemeinsamen Text enthalten - nicht möglich, solange es Menschen gibt. Alle Er- so z. B. das Verbot der Keimbahntherapie -; teils kenntnis aber hat nicht nur positive und erhebende, müssen sie Gegenstand weiterer Beratungen werden sondern auch abgründige Seiten. Aus diesem Gesetz - so das Verbot der Patentierung menschlicher Gene -; tragischer Dialektik menschlichen Denkens und teils sind sie in den ebenfalls öffentlich zu diskutie- Handelns ist kein Entkommen. Um so mehr ist der renden Zusatzprotokollen zu klären - wie der trans- Gesetzgeber verpflichtet, die Gefahren mit wirksa- plantationsmedizinische Umgang mit Embryonen men Regelungen einzugrenzen, die mit der Wissens- und Föten -; teils sind sie aus grundsätzlichen, auch vermehrung einhergehen. Der Gesetzgeber muß ver- verfassungsrechtlichen Gründen in der Sache ver- hindern, daß der Mensch in seiner Selbstherrlichkeit fehlt, so die Forderung nach gesetzlichen Einschrän- all das tut, was er tun kann. Solche Regelungen muß kungsmöglichkeiten für die Forschungsfreiheit. in überzeugender Weise auch die Konvention zur Bio-Ethik bringen. Daß dieses Werk gelingt, ist für Mit unserer Entschließung bekommt die Bundesre- uns alle von zentraler Bedeutung. gierung schweres Gepäck auf den Weg der weiteren Verhandlungen. Wir wissen, daß die deutsche Posi- Gudrun Schaich-Walch (SPD): Der vorliegende tion schon bisher im Verhältnis zu den internationa- Antrag wird von den Gesundheitspolitikerinnen und len Verhandlungspartnern nicht ganz einfach ist. Wir Gesundheitspolitikern der SPD-Bundestagsfraktion haben in unserer Geschichte Erfahrungen gespei- mitgetragen. chert, die uns das Mißtrauen gegen alle nahelegt, die Macht über Menschen innehaben. Wir haben gese- Allerdings haben wir Sorge, daß wesentliche hen, daß der Mensch zu allem fähig ist, was den Aspekte nicht im notwendigen Maße durch diesen Menschen zum Objekt macht, peinigt und erniedrigt. Antrag hervorgehoben werden. Dies möchte ich ver- Gegen die Versuchung der Macht, die sich sogar deutlichen: durch scheinbar philanthropische Ziele verführen Erstens. Ein wesentlicher Kritikpunkt bei der Aus- läßt, hilft keine Sonntagspredigt. einandersetzung um den Konventionsentwurf ist der Art. 6, der medizinische Forschung an geschäftsunfä- Das deutsche Verfassungs- und Rechtsverständnis, higen oder einwilligungsunfähigen Menschen er- gewachsen auf dem Hintergrund schauriger Erfah- laubt. rungen, läßt sich interna tional schwer vermitteln. „Querelles allemandes" mögen andere unsere Ein- Wir sind der Auffassung, daß sehr deutlich ge- wände gegen Lücken und Unschärfen im Konven- macht werden muß, daß jede Forschung in diesem tionstext nennen, ja uns vielleicht sogar verdächti- Bereich verhindert werden muß. Vor dem Hinter- gen, wir wollten schon wieder die internationale Öf- grund unserer Geschichte ist gerade von deutscher fentlichkeit am deutschen Wesen genesen lassen. Ich Seite ein deutliches Zeichen in diese Richtung not- meine, die Bundesregierung muß darauf hinweisen, wendig. Daher hätten wir gern in den Antragstext daß unsere Geschichte nicht nur eine deutsche, son- die klare Formulierung aufgenommen: „An ge- dern vielmehr eine europäische Erfahrung ist, ge- schäftsunfähigen Personen, an einwilligungsunfähi- macht in Mitteleuropa, in einem Land mit klassisch gen Personen und an Personen, die in ihrer Einsichts- europäischer kultureller Tradi tion. Die bittere Lehre, fähigkeit eingeschränkt sind, dürfen Eingriffe nur zu 3934* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 ihrem unmittelbaren Wohl und mit ihrer ausdrückli- teilichen und fachübergreifend mit Vertretern ver- chen persönlichen Zustimmung erfolgen. Nur bei schiedenster gesellschaftlicher Gruppen zusammen- Gefahr für Leib und Leben oder bei einer dauerhaf- gesetzten Bundesethikkommission. ten schweren Schädigung kann mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts der gesetzliche Vertreter Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): einwilligen. " Es ist uns gelungen, mit dem gemeinsamen Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Ent- Geschäftsunfähigkeit und Einwilligungsunfähig- wurf einer Bioethik-Konvention des Europarates nun keit sind zu differenzieren. Geschäftsunfähige kön- endlich auch zum Gegenstand parlamentarischer Be- nen durchaus in der Lage sein, ihre Einwilligung zu ratung im Deutschen Bundestag zu machen. Dieser geben, so daß mit dieser Formulierung lediglich die- Schritt war längst überfällig, gilt es doch, ethisch-me- jenigen von vornherein von einem medizinischen dizinische Standards im Bereich der Anwendung von Eingriff zu Forschungszwecken ausgeschlossen sind, Biologie und Medizin am Menschen auf europäischer die die Tragweite der Entscheidung nicht mehr ein- Ebene festzuschreiben und hierdurch Weichen für schätzen können und daher auch nicht in der Lage nachfolgende Generationen zu stellen. Derartige ent- sind einzuwilligen. scheidende Fragen dürfen nicht irgendwelchen Ge- Denjenigen, die in einer solchen Formulierung heimgremien überlassen bleiben. Sie müssen öffent- eine gravierende Behinderung der Forschung zu La- lich diskutiert werden. sten der Kranken, beispielsweise der Alzheimer- Eine Entschließung des Deutschen Bundestages, Kranken, der Behinderten und von Kindern sehen, die den Willen des Parlaments formuliert und die der kann ich nur entgegnen, daß innova tive Forschung Bundesregierung konkrete Verhandlungsaufträge nach wie vor möglich sein wird. Die im Formulie- erteilt, ist daher durchaus ein - wenn auch ange- rungsvorschlag enthaltene hohe Priorität des Selbst- sichts des Beratungsverfahrens auf europäischer bestimmungsrechts eines jeden Menschen - das be- Ebene nicht zu überschätzender - Fortschritt. Wir ha- tone ich - hält die Möglichkeit offen, beispielsweise ben uns daher bemüht, eine parteiübergreifende In- bei lang währenden Krankheiten wie Alzheimer, de- itiative mitzugestalten. Das, worauf Sie, meine Da- ren Verlauf so ist, daß die Patienten anfangs sehr men und Herren von der SPD-Fraktion und der Re- wohl noch einwilligungsfähig sind, schon zu diesem gierungskoalition, sich aber hier verständigen konn- Zeitpunkt ihre Einwilligung zu späteren Untersu- ten, ist für uns nicht zustimmungsfähig. BÜNDNIS 90/ chungen zu Forschungszwecken einzuholen. DIE GRÜNEN wollen s trenge ethische Standards zur Zweitens. Des weiteren hätten wir gern noch deut- Kontrolle von Forschung und Anwendung von Biolo- licher in den Antragstext aufgenommen, daß die Ver- gie und Medizin. Der von Ihnen vorgelegte Entwurf kann aber einen wirksamen Schutz vor den Gefah- wendung und Weitergabe von Untersuchungsergeb- nissen nur unter strikter Einhaltung des Rechts auf ren der Biomedizin noch lange nicht gewährleisten. informationelle Selbstbestimmung, nämlich nur mit Die Anlage der Konvention ist schon im Ansatz Zustimmung des Be troffenen erfolgen darf. verfehlt. Sie stellt die fundamentalen Menschen- rechte wie Leben und körperliche Integrität mit der Drittens. Ich möchte noch einen weiteren wichti- Freiheit bei Forschung und Anwendung von Biologie gen Punkt ansprechen: Das sind die im Konventions- und Medizin am Menschen auf eine Stufe, unterlegt text erwähnten Ethikkommissionen. Dieser Ansatz sie denselben Beschränkungen! Die in Ihrem Ent- ist nicht zu beanstanden. Die Kontrolle, die jedoch schließungstext gewählte Eingangsformulierung damit gewährleistet werden so ll, kann aber bei uns greift diese Bedenken erst gar nicht auf, vielmehr in Deutschland durch das existierende Ethikkommis- werden die Fortschritte und Verdienste der For- sionswesen nicht garantiert werden. Dies ist bei der schung blauäugig begrüßt. Sachverständigenanhörung lin vergangenen Monat sehr deutlich geworden. Ethikkommissionen nach Vor allem bei der zunehmenden Sorge um den bio- jetzigem Muster erfüllen nicht die Kriterien, die not- technischen Forschungsstandort scheinen sich Wis- wendig sind, um einen gesellschaftlichen Diskurs an- senschaftler und Politiker schwerzutun, die Ängste zuregen und die notwendige Kontrolle über medizi- großer Teile der Bevölkerung überhaupt ernst zu nische Eingriffe und Forschung zu gewährleisten. nehmen. Zunehmend scheint die Sorge um den Wis- Unsere Ethikkommissionen sind mit Fachvertretern senschaftsstandort Priorität zu haben. Bedeutet diese besetzt, die unter spezifisch medizinischen Aspekten Sorge jedoch nicht auch, daß sich die Menschen- ein Vorhaben betrachten, jedoch nicht in der Lage rechte langfristig dem biomedizinischen Fortschritt sind, einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über unterzuordnen haben? alle Gesichtspunkte medizinethischer Fragen zu füh- ren. Wir verwahren uns nachdrücklich gegen den Vor- wurf, die Forschungsfreiheit über Gebühr einschrän- Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion schon ken zu wollen. wir wollen diese bei der Anwendung wiederholt gefordert, daß ein Instrument geschaffen der Biomedizin auf den Menschen - dies sei noch- werden muß, um frühzeitiger als bisher den gesell- mals betont - lediglich den gleichen Einschränkun- schaftlichen Diskurs über ethische und moralische gen unterwerfen wie andere Grundrechte der Euro- Fragen und gesellschaftliche Auswirkungen im Zu- päischen Menschenrechtskonvention auch. Demge- sammenhang mit Medizin, Forschung und Technik genüber legen wir Wert auf die Feststellung, daß die führen zu können. Ein mögliches Instrument sehen Würde des Menschen, die Integrität und das Wohler- wir in der Einsetzung einer unabhängigen, überpar- gehen einer Person - ähnlich wie in der EMRK beim Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3935*

Recht auf Leben und dem Verbot der Folter - durch macht, daß Gentherapie nur zu therapeu tischen, keine vergleichbaren Möglichkeiten eingeschränkt nicht aber zu prophylaktischen oder diagnostischen werden dürfen. Es geht doch wohl nicht an, der For- Zwecken erlaubt ist. Auch darf niemand gegen sei- schungsfreiheit denselben Stellenwert wie dem nen Willen mit Erkenntnissen über gene tisch be- Schutz der Menschenwürde einzuräumen! dingte Krankheiten oder Dispositionen für derartige Krankheiten konfrontiert werden. Nur zur Klarstellung: Bei der Einschränkung der Forschungsfreiheit halten wir im wesentlichen an Vergeblich sucht man auch nach einer Aussage zur den Beschränkungen dieses Rechts im Konventions- Patentierbarkeit der Gene. Auch diesbezüglich hat entwurf fest. Diese Beschränkungen ergeben sich sich der mitberatende Gesundheitsausschuß für ein aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 14. Beim Schutz der Verbot ausgesprochen. Leitlinien für die Organtrans- Integrität und des Wohlergehens einer Person in plantation werden ebenfalls nicht aufgestellt. Ange- Art. 2 wollen wir die Möglichkeit der Beschränkung sichts der immensen Bedeutung dieser Fragen ist dieser elementaren Rechte jedoch auf das unbe- eine Regelung im Rahmen der Zusatzprotokolle nicht dingte Mindestmaß zurückfahren. tragbar. Der vorliegende Entwurf zu einer Entschließung Wir hoffen, daß wir Sie im weiteren Verlauf der Be- enthält im einzelnen durchaus zustimmungsfähige ratungen dieser Konvention noch von unseren wei- Passagen und stellt in Teilen eine Verbesserung der tergehenden Vorstellungen überzeugen können. Fassung des Europarates sowie der Fassung der Par- lamentarischen Versammlung dar. Hervorzuheben ist Heinz Lanfermann (F.D.P.): Der Entwurf einer Bio etwa die Forderung nach Einräumung einer indivi- ethik-Konvention des Europarates hat uns bereits in duellen Klagemöglichkeit bei Verstößen gegen die der Plenardebatte am 26. Januar und anläßlich einer Konvention vor dem Europäischen Gerichtshof für Expertenanhörung am 18. Mai dieses Jahres beschäf- Menschenrechte. Man könnte sich zurücklehnen tigt. Darüber hinaus hat der Rechtsausschuß des und sagen: Immerhin ein Fortschritt! Wer dies tut, Deutschen Bundestages zu einem Antrag der Frak- verkennt jedoch die Bedeutung dessen, worüber wir tion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE hier beschließen. Letztlich geht es bei der sogenann- GRÜNEN eine Beschlußempfehlung und einen Be- ten Bioethik-Konvention um Eingriffe am Menschen; richt abgegeben. das darf man nicht vergessen. Der Text kann daher weniger daran gemessen werden, was in ihm steht, Insgesamt ist erfreulich, daß in Deutschland über sondern er muß daran gemessen werden, wozu er die Parteigrenzen hinweg in grundlegenden Fragen keine Aussage enthält. der Bewertung des Entwurfs einer Bioethik-Konven- tion weitgehender Konsens besteht. Leitlinie unserer Die Voraussetzungen, unter denen Eingriffe an Beratungen muß die Würde des Menschen, eine tra- nicht einwilligungsfähigen Personen vorgenommen gende Säule unserer Verfassung, sein. Sie muß dem werden dürfen, werden nicht geklärt. Mit der von Ih- Zugriff des Staates entzogen bleiben und darf auch nen gewählten Formulierung werden mißbräuchli- nicht im Interesse von Forschung sowie Entwicklung che Eingriffe nicht ausgeschlossen. Sie beinhaltet die neuer Technologien preisgegeben werden. Option, Eingriffe an einwilligungsfähigen Menschen allein zu Forschungszwecken vorzunehmen. Hier- Das schließt aber nicht aus - das möchte ich durch wird die Menschenwürde von Behinderten re- ebenso deutlich sagen -, daß Wissenschaft und For- lativiert, wie uns auch die Sachverständigen in der schung für die Fortentwicklung Europas, aber auch Anhörung bestätigt haben. Die Parlamentarische und gerade für den Wissenschafts- und Wirtschafts- Versammlung des Europarates hat die Bedeutung standort Deutschland von zentraler Bedeutung sind. der Einwilligung in biomedizinische Eingriffe klarge- Von einer breiten Akzeptanz moderner Technologien stellt; diese Haltung sollte sich auch der Entschlie- wird es abhängen, ob Deutschland ein innovativer, ßungstext zu eigen machen. Gerade der Schutz der entwicklungsfähiger Zukunftsstandort sein wird. Behinderten muß bei der weiteren Beratung dieser Hier können und müssen wir einen wichtigen Bei- Konvention im Zentrum unserer Bemühungen ste- trag leisten. Dabei bedarf es einer verantwortbaren hen. Der Gesundheitsausschuß hat mehrheitlich für Güterabwägung. Nicht alles, was technologisch eine eindeutige Beschränkung der Freiheit der For- machbar ist, darf umgesetzt werden. Aber moderne, schung an Behinderten votiert. Daß dies im federfüh- fortschrittliche Technologie ist auch nicht grundsätz- renden Rechtsausschuß nicht durchsetzbar war, ist lich von Übel. Innnovation und Forschung sind der Anlaß zu großer Sorge. Motor gesellschaftlicher Entwicklung. Auch in anderen Fragen läßt der Entschließungs- Deshalb ist eine europäische Konvention zur bio- text zu vieles offen. medizinischen Ethik zu begrüßen, denn sie schafft über die bisherigen Empfehlungen des Europarates - Wir begrüßen die Forderung eines Verbotes des hinaus einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen. Klonens und der Chimärenbildung. Dennoch vermis- Dieser ist auch erforderlich, um die rapide staaten- sen wir gerade im Bereich der Gentechnologie an ei- übergreifende Entwicklung von medizinischer For- nigen Punkten klare Vorgaben. Die Gefahr von Gen- schung, Diagnose und Therapie ethisch-rechtlich zu tests, die Selektion von Menschen nach angeblich bewältigen. Gleichwohl ist in diesem Zusammen- genetischen Defekten und die Nutzung der Technik hang zu beachten, daß die Konvention die Aufgabe zu eugenetischen Zwecken, wird nicht beg riffen. Für hat, den gebotenen rechtlichen Rahmen festzuhal- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist aber nur ein Ent- ten, nicht aber alles ethisch Relevante zu umschrei- schließungstext zustimmungsfähig, der deutlich ben. Die Mindestnormen, die den rechtlichen Rah- 3936* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 men ausmachen, müssen ethisch konsensfähig sein, sens unserer Staats- und Gesellschaftsordnung im können aber nicht alles im Rahmen der verschiede- Rahmen der Bioethik-Konvention Rechnung getra- nen ethischen und rechtlichen Traditionen Gebotene gen wird. enthalten. Um den Anspruch des rechtlichen Cha- Ich erwarte für die Zukunft, daß sich sowohl die rakters der Konvention zu betonen, begrüße ich die entsprechenden Ausschüsse als auch das Hohe Haus Einigung im Rechtsausschuß, den bislang gewählten selbst weiter dieses Themas annehmen werden, um Kurztitel „Bio-Ethik" durch den Titel „Konvention die nun einsetzenden Nachverhandlungen kritisch zur Biomedizin" zu ersetzen, der darüber hinaus den zu begleiten. Sachverhalt auch konkreter erfaßt.

Insgesamt muß es das Anliegen des Gesetzgebers Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Die Geschichte des sein, Akzeptanz für neue, moderne Technologien bei Entwurfes der sogenannten Bioethik-Konvention des den Bürgerinnen und Bürgern zu erreichen. Diese Europarates hinterläßt den deutlichen Eindruck, daß Aufgeschlossenheit wird sich aber nur dann einstel- hier das Parlament im letzten Moment noch Einfluß len, wenn wir uns vorbehaltlos und offen mit den auf eine Entwicklung genommen hat, die andernfalls Ängsten der Menschen auseinandersetzen und sie die Tür für Forschungen und Experimente geöffnet im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen. Des- hätte, die möglicherweise die Menschenwürde zu halb ist es sinnvoll, den Deutschen Bundestag in an- beeinträchtigen geeignet wären und die das gege- gemessener Form über den Fortgang der Verhand- bene Schutzniveau in der Bundesrepublik eher un- lungen zu informieren, damit er auch in Zukunft tergraben, auf keinen Fall aber verbessert hätte. Die seine Vorschläge einbringen oder Weiterungen Ein- Besorgnis, daß diese Sache bei der Bundesregierung halt gebieten kann, die unzulässig in die Rechtsper- nicht in guten Händen sei, wurde durch die Rede von sönlichkeit des Individuums eingreifen. Bundesminister Dr. Rüttgers in der Debatte zur Re- gierungserklärung am 25. November 1995 genährt. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zu- Herr Rüttgers hatte dort prononciert gegen Fesseln sammenhang Art. 6, der Eingriffe bei einwilligungs- für die Forschung, für ein „freizügiges und kreatives unfähigen Personen regelt. Ausgehend von dem Forschen und Entwickeln", für „forschungs- und in- Grundsatz, daß entweder die eigene Einwilligung novationsfreundlichere Rahmenbedingungen" plä- oder ersatzweise die Einwilligung des gesetzlichen diert. Dahinter war die Erinnerung an die „Gren- Vertreters für einen ärztlichen Eingriff vorliegen zen, ... die nicht überschritten werden dürfen," muß, darf ein Eingriff bei Einwilligungsunfähigkeit deutlich zurückgetreten. Da auch die „Bioethik-Kon- jedenfalls nur zum unmittelbaren gesundheitlichen vention" vorgeblich der Fixierung dieser Grenzen Wohl des Betroffenen erfolgen. Darüber hinausge- dienen sollte, da sib tatsächlich aber ihre Ausweitung hende Eingriffe in die körperliche Integrität zu mit sich bringen würde, schien und scheint größte fremdnützigen Forschungszwecken, die mit einem Vorsicht am Platz. tiefergehenden, über das alltägliche Maß hinausge- fragt, ob der ursprüngliche Konven- henden Risiko verbunden sind, müssen an die freie Wenn man tionsentwurf in erster Linie die Menschenwürde oder Zustimmung gebunden bleiben. Eine andere Auffas- die Forschungsfreiheit schützt, so kommt man bei sung kann auch nicht durch das allgemeine Interesse kritischer Betrachtung zu dem Schluß, daß die Aus- am Fortschritt der medizinischen Wissenschaft ge- weitung der Forschungsfreiheit auf Kosten der Men- rechtfertigt werden. schenwürde bewirkt würde. Dies schien allen Kräf- Auch wenn hier weiterer Beratungsbedarf besteht, ten in diesem Hause nicht hinnehmbar. führt meines Erachtens an dieser grundsätzlichen Die Debatte hier im Hause und in den Ausschüs- Haltung kein Weg vorbei. sen sowie nicht zuletzt die öffentliche Anhörung am 17. Mai hat unsere Sachkenntnis gefördert. Sie hat Richtigerweise unstreitig ist, daß Embryonen nur uns aber auch deutlich gemacht, daß eine Reihe un- zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt serer Fragen im Bereich der biologischen und medi- werden dürfen, die sogenannte verbrauchende For- zinischen Forschung nicht befriedigend beantwortet schung also unzulässig ist. Unverrückbar muß jetzt werden können. Dies hat zu der jetzt vorliegenden und in Zukunft auch das Verbot von Eingriffen in die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses geführt. menschliche Keimbahn sein. Sie enthält Forderungen, die wir begrüßen und un- Ich begrüße es sehr, daß wir noch einmal festge- terstützen, etwa was die Konkretisierung der Ein- stellt haben, Gentests nur zu gesundheitlichen Zwek- griffsmöglichkeiten in Individualrechte in Artikel 2 ken zuzulassen und die Weitergabe der gewonnenen Abs. 2 betrifft. Daten in diesem außerordentlich sensiblen Bereich Wir sind allerdings der Meinung, daß Eingriffe an - an hohe datenschutzrechtliche Standards zu knüp- einwilligungsunfähigen Personen, die nicht deren fen, um jeglichen Mißbrauch auszuschließen. unmittelbarem Nutzen dienen, ausgeschlossen wer- den sollten. Insofern bedauern wir, daß die im Aus- Nach alledem bewerte ich die einvernehmlichen schuß für Gesundheit mehrheitlich angenommene Beratungen im Rechtsausschuß als diesem Thema Formulierung nicht in die Beschlußempfehlung auf- sehr angemessen und meine, daß die Abwägung genommen wurde. zwischen dem hohen Gut der Würde des Menschen einerseits sowie der notwendigen, weil gesundheits- Wir sind weiterhin der Meinung, daß Verstöße ge- erhaltenden Forschung andererseits gelungen ist. A ll gen die Konvention wirksam sanktioniert werden dies macht deutlich, daß dem ethischen Grundkon müssen und daß den möglichen Opfern von Verstö- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3937*

Ben gegen die Konvention weitestgehender und tergabe der Ergebnisse solcher Tests nur ganz aus- wirksamer Rechtsschutz gewährleistet werden muß. nahmsweise zulässig sein darf und im übrigen an Auch wir erheben die Forderung, ein Verbot der Pa- strenge Voraussetzungen zu binden ist. tentierung von Genen in die Konvention selbst aufzu- Auch zu den übrigen in dem Entschließungsantrag nehmen. Der Verweis auf die noch ausstehenden angesprochenen Vorschriften, zu denen Änderungs- Protokolle überzeugt in diesem Zusammenhang kei- bedarf angemeldet wird, kann ich feststellen, daß neswegs. Dieses Problem ist nicht weniger grund- keine grundlegenden Auffassungsunterschiede be- sätzlich und bedeutend als andere in der Konvention stehen. Das gilt insbesondere für die folgenden ausdrücklich geregelte Gegenstände. Auch hinsicht- lich des Datenschutzes halten wir die vom Gesund- Punkte. heitsausschuß vorgeschlagene Formulierung für über- Erstens. Auch nach meiner Auffassung ist es drin- zeugender. gend erforderlich klarzustellen, in welchen Fällen im einzelnen ein Abweichen von Rechten und Grund- Die Anhörung hat erneut deutlich gemacht, daß sätzen, die in der Konvention festgelegt werden, er- fortwährend in hohem Tempo durch die internatio- laubt sein soll, wie es in Art. 2 Abs. 2 festgelegt ist. nale Forschung auf biologischem und medizinischem Gebiet Tatsachen geschaffen werden, die die Bio- Zweitens. Das Verbot der Keimbahntherapie in ethik-Konvention überholen. Insofern ist die Formu- Art. 16 darf in gar keiner Weise in Frage gestellt wer- lierung der Beschlußempfehlung, es solle ohne Zeit- den, auch nicht etwa durch abschwächende Bemer- und Termindruck weiter verhandelt werden, zumin- kungen im erläuternden Bericht, was die deutsche dest problematisch. Es muß natürlich ein substantiel- Delegation im Lenkungsausschuß bisher hat verhin- ler Fortschritt erreicht werden. Aber die Entwicklung dern können. drangt auch zu einem schnellen Ergebnis. Nebenbei: Meines Wissens hat sich kein Parlament Wegen der genannten weitergehenden Forderun- eines anderen Mitgliedstaates des Europarats - und gen können wir der Beschlußempfehlung nicht zu- vor allem nicht so intensiv - mit dem Konventionsent- stimmen und werden uns der Stimme enthalten. wurf befaßt wie der Deutsche Bundestag. Ich habe von dieser Stelle aus am 26. Januar 1995 Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi gesagt, daß ich die Debatte über den Konventions- nisterin der Justiz: Wir debattieren heute zum zwei- entwurf im Bundestag begrüße und hoffe, daß die Po- ten Mal über den vom Lenkungsausschuß für Bio- sition der Bundesregierung durch Beratungen in den ethik beim Europarat ausgearbeiteten Entwurf der Ausschüssen und durch eine hoffentlich breite Kon- sogenannten Bioethik-Konvention. Als dieser in der sensfindung Unterstützung erfährt. Diese Hoffnung Sitzung des Bundestages am 26. Januar 1995 erst hat sich erfüllt. Ich bin sicher, daß eine Entschließung mals behandelt wurde, zeigte sich bereits damals des Deutschen Bundestages, wie sie jetzt zur Be- breite Übereinstimmung darin, daß dieser Entwurf so schlußfassung ansteht, ihren Eindruck nicht verfeh- nicht Bestand haben könnte. Bedenken, die damals len wird und die Position der deutschen Delega tion geäußert wurden, haben sich inzwischen verstärkt bei den weiteren Beratungen im Lenkungsausschuß und sind schärfer konturiert herausgearbeitet wor- wesentlich verbessert. den, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Ergebnis- ses der Sachverständigenanhörung, die am 17. Mai Dafür habe ich zu danken. Besonders dankbar bin 1995 stattgefunden hat. Die Vorbehalte gegen den ich aber auch den Berichterstattern dafür, daß es ih- Entwurf haben nunmehr ihren Niederschlag in dem nen gelungen ist, einen Text auszuarbeiten, der von Entwurf einer Entschließung gefunden, die heute be- einem breiten Konsens getragen wird und der hof- schlossen werden soll. fentlich auch weitestgehend Zustimmung findet. Ich hoffe, daß diese Entschließung von möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen mitgetragen wer- den kann. Ich hoffe dies, weil ich der Auffassung bin, daß es nunmehr gelungen ist, die für Deutschland Anlage 7 wichtigsten Ziele für die Verhandlungen in Straß- burg, und zwar weitestgehend einvernehmlich, zu Zu Protokoll gegebene Reden konkretisieren. zu Tagesordnungspunkt 15 Ich empfinde Genugtuung, daß sich keine wesent- (Steuerliches Korruptionsbekämpfungsgesetz) lichen Diskrepanzen zwischen der Auffassung des Parlaments und meiner Auffassung, wie sie auch bis- Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): Bestechung her in Straßburg vertreten worden ist, ergeben ha- und Korruption sind nicht nur wie „Rostfraß", wie- ben. Wir sind uns über die Parteigrenzen hinweg alle der Präsident des Bundeskriminalamts sagt. Sie sind darüber einig, daß erstens der Schutz einwilligungs- eine grobe Verletzung der Treuhänderstellung, die unfähiger Personen, der im Entwurf des Lenkung- jeder Amtsträger einnimmt. Sie kosten unter Um- sausschusses nicht befriedigend geregelt ist, wesent- ständen viel Geld für die Steuerzahler. Sie erzeugen lich verstärkt werden muß, daß es zweitens mit uns Ungerechtigkeiten des staatlichen H andelns, und je- kein Zurückgehen hinter dem mit dem Embryonen- der Bürger fragt sich, wieso er sich eigentlich recht- schutzgesetz erreichten Schutzstandard geben wird mäßig verhalten soll, wenn in und um Amtsstuben und daß drittens die Grenzen der Zulässigkeit von herum Korruption gewittert werden muß. Dann Gentests verdeutlicht werden müssen sowie die. Wei kommt er sich nämlich als der Dumme vor. Es ist eine 3938* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 alte Weisheit: Der Staat muß immer und überall mit könnte helfen. Erforderlich ist aus meiner Sicht auf gutem Beispiel vorangehen, wenn er seinen Bürgern jeden Fall, die geltenden Strafbestimmungen für Be- redliches Handelns abfordern will. stechung und Vorteilsannahme erheblich zu ver- schärfen, und zwar auf hohe Geldstrafen und Frei- Nun ist unser öffentlicher Dienst nicht insgesamt heitsstrafe von mindestens einem Jahr. Dies würde von korrupten Amtsträgern durchsetzt. Panikmache nämlich bedeuten, daß dann der bestochene Beamte ist hier ebensowenig angezeigt wie auf allen anderen unmittelbar sein Amt verlieren würde. Dies ist eine Gebieten, ja ist unverantwortlich, weil sie zu weite- Folge, die wir fordern müssen, um die Integ rität des rem Vertrauensschwund gegenüber staatlichem öffentlichen Dienstes zu wahren. Keiner kann Ver- Handeln beiträgt. Aber den schwarzen Schafen, die ständnis dafür haben, wenn bestechliche Amtsträger es eben gibt, und manchmal nicht zu knapp, muß das dann auch noch gewissermaßen am Tatort weiterwir- Handwerk gelegt werden, und wo ein Sumpf be- ken können. steht, muß er ausgetrocknet werden. Denn schon ein einziger Korruptionsfall ist einer zuviel. Dabei ist es ja keineswegs so, daß das Problem nicht schon sehr viel früher erkannt worden wäre Nur: Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD und nicht heute schon Abwehrmaßnahmen gegen springt eindeutig zu kurz, um das Problem wirksam die Korruption ge troffen würden. Jetzt schon - ver- anzugehen. Er bezieht sich allein auf die steuerliche gessen wir es nicht - ist die Unterrichtung über die Seite des Problems, zu dem mein Kollege Michel- strafrechtlichen und disziplinarischen Konsequenzen bach ja schon Stellung genommen hat. Es bedarf einer Vorteilsannahme obligatorischer Bestandteil schon erheblich weitergehender Überlegungen, be- berufsqualifizierender Aus- und Fortbildung in der vor durch ein Abzugsverbot vom Nettoprinzip unse- öffentlichen Verwaltung. Jetzt schon gibt es die Ver- res Steuerrechts und von seiner moralischen Neutra- dingungsordnungen für die Vergabe öffentlicher lität des „non olet" abgewichen werden könnte. Aufträge, die der Korruption vorbeugen, und nach Schmiergelder werden eben in den anderen Indu- dem Haushaltsgrundsätzegesetz können Vergabe- strienationen im wesentlichen wie bei uns als Be- verfahren seit relativ kurzer Zeit durch neutrale Stel- triebsausgaben anerkannt. Die Bundesrepublik len auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Rufen Deutschland arbeitet deshalb in der Arbeitsgruppe wir also nicht gleich auf der ganzen Ebene nach der OECD-Staaten mit, um eine inte rnationale ein- neuen Bestimmungen und Sanktionen, obwohl dies heitliche Regelung zu erreichen, die dann eben nicht natürlich immer das Leichteste ist! Nicht unbedingt deutsche Exportunternehmen gegenüber ausländi- neue Vorschriften sind in unserem ohnehin schon schen Unternehmen im Regen stehen läßt, das heißt, allzu dichten deutschen Regelungswald angezeigt. Wettbewerbsnachteile mit allen unkalkulierbaren Vielmehr muß in jedem Fall gewährleistet werden, Folgen für die Arbeitsplätze aussetzt. daß die Vorschriften, die bereits bestehen, strikt ein- Um Korruption wirksam zu Leibe zu rücken, ist gehalten werden. Hierauf müssen wir das ständige aber mehr nötig. Wir prüfen derzeit ein ganzes Paket Augenmerk legen. von Maßnahmen: Unbedingt nötig ist darüber hinaus eine aussage- Diese beginnen bei der Sensibilisierung der Öf- kräftige Strafverfolgungsstatistik, wie sie gegenwär- fentlichkeit für das Problem. Denn Korruption ist bei tig entwickelt wird. Sie soll künftig die Fälle Beste- uns vor allem bei der Vergabe von Bauaufträgen, chung gesondert ausweisen. Außerdem soll ein Bun- Führerscheinen, Fahrzeugpapieren, Aufenthaltsge- deslagebild „Korruption" im Bundeskriminalamt er- nehmigungen und Sozialwohnungen anzusiedeln, stellt werden. Beides ist in Vorbereitung. und zwei Drittel der Bestechungsversuche werden spontan gemacht. Hier muß jeder wissen, daß er kein Nun zum internationalen Bereich: In den Mitglied- Kavaliersdelikt begeht, und in der öffentlichen Mei- staaten der Europäischen Union wird auf Grund des nung darf Korruption nicht als clever gelten, sondern Beschlusses des Rates vom Dezember 1994 eine Aus- als schweres Vergehen gegen die Allgemeinheit. dehnung der Bestechungsdelikte auf Amtsträger der Europäischen Union erfolgen. Eine solche Regelung Was aber die organisierte Korruption angeht, so kann freilich nicht so ohne weiteres auch auf Nicht- müssen ganz allgemein die Prävention und die Auf- EU-Staaten ausgedehnt werden. Hierfür muß im deckungsmöglichkeiten verbessert werden. So müs- Rahmen der Arbeitsgemeinschaft der OECD verhan- sen wir alle Kontrollmöglichkeiten stärken ein- delt werden. schließlich der Innenrevision der Behörden. Überlegt werden muß in diesem Zusammenhang eine Zusam- Fest steht: Maßnahmen gegen Korruption im inter- menführung des Sachverstandes - von Rechnungs- nationalen Wirtschaftsverkehr können nachhaltig höfen, Strafverfolgungsbehörden, Finanzämtern und nur im multilateralen Rahmen ergriffen werden. Es Kartellämtern. Allerdings muß größte Zurückhaltung nützt nichts, allein auf weiter Flur hehre Grundsätze bestehen, auf diese Weise das Steuergeheimnis a ll für die Sauberkeit der öffentlichen Amtsträger zu -gemein zu durchbrechen, auch wenn dies zum verkünden, so richtig sie sein mögen. An deutschen Zwecke der Korruptionsbekämpfung geschähe. Sauberkeitsforderungen und -bestimmungen wird die Welt - und schon gar nicht außerhalb Europas - Überlegt werden muß die Einrichtung von Verga- nicht genesen, auch wenn wir dies gern hätten. Bis beausschüssen für bestimmte Baubereiche ebenso heute teilen uns die meisten anderen Länder nicht wie die Trennung der Genehmigungen für die Bau- einmal ihre Erkenntnisse über Bestechungs- und planung und die Ausführung. Auch eine häufige Ro- Korruptionsfälle mit. Die Bundesrepublik Deutsch- tation der die Genehmigung erteilenden Beamten land arbeitet deshalb auf eine Vereinbarung im Rah- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3939' men der OECD hin. Denn Verhaltensweisen wie Be- falten. Die Bundesregierung befindet sich zusammen stechung sind dazu geeignet, wie die OECD festge- mit den anderen OECD-Ländern in den notwendi- stellt hat, „die Entwicklung des internationalen Han- gen, schwierigen Abstimmungsprozessen. dels und der Investitionen durch die Erhöhung der Kosten von Transaktionen und die Verzerrung der Die SPD-Opposition und die Grünen verlangen Wirkung von freien Märkten zu behindern". nun aus populistischen Gründen einen Schnellschuß und einen Alleingang der Bundesrepublik. Wo nur Multilateral muß geprüft werden, wie Bestechung mit fundiertem Sachwissen und präziser Formulie- und Vorteilsannahme auch über die nationalen rung durchgreifende Regelungen gefunden werden Rechtsordnungen hinweg unter S trafe gestellt werden können, soll jetzt mit heißer Nadel genäht werden, können, d. h. auch die Bestechung eines ausländi- um innenpolitisch Aufmerksamkeit und Zustimmung schen Amtsträgers. Denn nach wie vor gilt der Grund- zu erheischen. Dies lehnen wir ab. satz: Jeder Staat ist für die Bestrafung seiner eigenen Bürger zuständig. Eine unmögliche Vorstellung wäre Die CDU/CSU-Fraktion wird die Bundesregierung es, wenn der deutsche Bürger wegen Bestechung be- bei der schwierigen Aufgabe der Bekämpfung der in- straft wird, der ausländische Beamte wegen der ent- ternationalen Korruption weiterhin unterstützen. Sie sprechenden Vorteilsannahme jedoch nicht. Dies erwartet von allen OECD-Ländern ernsthafte Bemü- wäre aber die Folge eines nationalen Alleingangs. hungen, um die in den Empfehlungen angesproche- nen Ziele so bald wie möglich zu erreichen. Wir sind uns alle darüber einig: Die Bekämpfung der Korruption ist eine gesellschaftspolitisch ganz be- Das Phänomen der internationalen Korruption sonders wichtige Aufgabe, für die wir alle Verant- kann jedoch nicht nur über Strafrecht, Steuerrecht wortung tragen. Um sie zu bewältigen, müssen alle und zivilrechtliche Sanktionsmechanismen bekämpft diejenigen zusammenarbeiten, denen das öffentliche werden. Es ist notwendig, das Übel an der Wurzel zu Vertrauen in die Integrität der Amtsführung des öf- packen. fentlichen Dienstes ein Anliegen ist. Viel hängt für Gründe für weite Verbreitung dieses Phänomens unseren Rechtsstaat davon ab, wie wir hier vorgehen in der Dritten Welt sind: stark verbreitete staatswirt- und wie effizient wir dabei sind. Ihr vorliegender Ent- schaftliche Strukturen, weitgehend unkon trolliert re- wurf bringt dabei viel zuwenig. Die Regierungskoali- gierende und entscheidende Machteliten. Mit der tion ist dabei, ein wirksames Maßnahmenpaket aus- neuen Entwicklungspolitik haben wir hierzu wich- zuarbeiten und in Kürze vorzulegen. tige Akzente gesetzt: marktwirtschaftliche Struktu- ren mit echtem Leistungswettbewerb, Partizipation Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Die Bundesregie- auch der großen Bevölkerungsmehrheit der Armen rung hat zusammen mit den anderen OECD-Pa rt und Ärmsten - das bedeutet auch Transparenz von -nern am 27. Mai 1994 Empfehlungen zur Bekämp- Entscheidungen und Kontrolle dieser Entscheidun- fung der internationalen Korruption beschlossen. gen -, Entstaatlichung der EZ soweit möglich, unmit- Diese Initiative wird von der CDU/CSU-Bundestags- telbare Zusammenarbeit mit den Selbsthilfegruppen fraktion nachdrücklich begrüßt. Nach den Aussagen und Selbstverwaltungsorganisationen vor O rt, Unter- von Experten nimmt die schwere Korruption interna- stützung beim Aufbau einer leistungsfähigen, an die tional zu. Wurden früher noch ca. 2 % der Auftrags- Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gebundenen Ver- summe als „Schmiergeld" gezahlt, so sind es heute waltung, Dezentralisierung und kommunale Selbst- zum Teil 15 bis 20 %. Das heißt, es fließen oft Millio- verwaltung mit einer unmittelbaren Verantwortlich- nen-Beträge an hohe Staatsbeamte in den Entwick- keit und Überprüfbarkeit der Entscheidungselifen. lungsländern. Dadurch werden Aufträge für unsin- nige Millionen-Projekte erteilt oder sinnvolle Vorha- Und vor allem Anwendung des Kriterienkataloges ben zu weit überhöhten Preisen durchgeführt, die oft mit einer regionalen und sektoralen Konzentration mit Entwicklungshilfegeldern gezahlt werden. der EZ-Mittel auf reformbereite Länder, Aufbau einer korruptionsfreien Verwaltung. Die Empfehlungen des OECD-Ministerrates müs- sen in nationales Recht umgesetzt werden. Hier hel- Diese Elemente der neuen Entwicklungspoli tik sol- fen keine Alleingänge, auch nicht der Bundesrepu- len auch stärker auf internationaler Ebene umgesetzt blik Deutschland. Alleingänge hätten allenfalls eine werden. Restriktive Posi tionen zur Mittelaufstockung eingeschränkte Wirkung und würden vor allem Wett- für EEF sollen gezielteren Mitteleinsatz auch do rt bewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Un- bewirken. Damit Möglichkeiten für Mißbrauch ein- ternehmen verursachen. Die Umsetzung des OECD- schränken. Beschlusses hat sich nach der Empfehlung des Rates Die SPD hat leider nur allzu oft auf eine EZ über auf das Strafrecht, das Steuerrecht und auf zivilrecht- und durch den Staat gesetzt. Nicht nur falscher ent- liche Regelungen zu erstrecken. Die hier notwendi- wicklungspolitischer Ansatz, sondern auch scheu- gen Veränderungen müssen möglichst gleichzeitig in nengroßes Einfallstor für Mißbrauch, Bestechung Kraft treten. Ein abgestimmtes Verhalten der wichtig- und Korruption. sten OECD-Länder ist nicht im Schnellverfahren zu erreichen. Die Straftatbestände, steuerrechtlichen Fazit: Notwendig ist eine Doppelstrategie: 1. Vor Regelungen und zivilrechtlichen Sanktionsmechanis- allem Ursachen des Übels bekämpfen, 2. ergänzend men sind in den einzelnen OECD-Ländern außeror- dazu strafrechtliche und steuerrechtliche Sanktio- dentlich unterschiedlich. Exakt gleiche Regelungen nen, zivilrechtlichen Schutz entziehen. Bei dieser werden nicht erreichbar sein. Sie müssen jedoch Doppelstrategie wird die CDU/CSU die Bundesregie- gleichartig sein und möglichst gleiche Wirkung ent- rung unterstützen. Wir hoffen sehr, daß wir nach se- 3940e Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode -- 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 riösen Vorbereitungen bereits in absehbarer Zeit zu durch Steuerfreiheit der Erträge begünstigt wird, da wirksamen Erfolgen und guten Ergebnissen kom- es wohl sehr schwer zu vermitteln wäre, wenn der men. redliche Bürger der Steuerpflicht unterläge und der Kriminelle seine Gewinne steuerfrei erwirtschaften Hans Michelbach (CDU/CSU): Vertreter der deut würde. schen Wirtschaft sind weltweit angesehene Partner. Gelobt werden Disziplin, Korrektheit, Verläßlichkeit Das Steuerrecht kann nicht nach der Moralge- und hohe Zahlungsmoral. Wir bauen auf eine frei- schichte der Erträge fragen. Die Rolle des „Moral- heitliche, eigenverantwortliche und marktwirtschaft- hüters" kann das Steuerrecht einfach nicht ausfüllen. liche Unternehmerethik in Verbindung mit einer Was soll es eigentlich noch alles leisten? konsequenten Verfolgung von Mißbrauch und Kor- Dagegen: Spezialprüfungen, Kronzeugenregelun- ruption. Von erfolgreicher Korruptionsbekämpfung gen oder Ausschluß von Korruptionsfirmen bei öf- profitiert die deutsche Wi rtschaft, denn Korruption fentlichen Aufträgen sind der erfolgversprechende verursacht Kosten und verschlechtert die fairen Wett- Weg zur Bekämpfung der Korruption. bewerbschancen. Die Damen und Herren von der Opposi tion sollten Jedoch: Mit irreführenden Schlagzeilen wie dagegen im Steuerrecht zunächst einmal wissen, daß „Schmiergelder sind steuerlich absetzbar", „Bonn Provisionszahlungen gem. § 4 Einkommensteuerge- fördert Schmiergeldzahlung", versucht die Opposi- setz im Rahmen des Grundprinzips der steuerlichen tion in diesem Zusammenhang, bei den Bürgern fal- Gewinnermittlung nur dann abzugsfähig sind, wenn sche Vorstellungen zu wecken und Emo tionen zu sie „betrieblich veranlaßt sind", wie es im Gesetz schüren. Es muß hier einmal klar gesagt werden: heißt. Dies ist in erster Linie dann der Fall, wenn die Diese Meldungen sind schlichtweg falsch, denn Be- Ausgaben dem korrekten Wirtschaftsstreben dienen stechungsgelder im engen Sinne sind steuerlich oder Nachteile von Unternehmen abwenden sollen. eben nicht abzugsfähig. Zahlungen werden doch in der kriminellen Praxis erst dadurch zu „Schmiergel- Sie sollten auch erkennen und der Öffentlichkeit dern", daß ihr Empfänger nicht benannt wird. Und nicht verschweigen, daß die steuerliche Absetzfähig- gerade dann sind die Geldleistungen nach § 160 der keit nicht möglich ist, wenn der Empfänger der Gel- Abgabenordnung nicht absetzbar und können eben der verschwiegen wird, und das ist - wie erwähnt - gerade dann nicht steuerlich geltend gemacht wer- bei Bestechung in der Praxis immer der Fall. den. Wozu also die ganze Aufregung? Es wird so deutlich, daß die heute geltende Steuer- Trotz aller Versuche der skandalträchtigen Aufar- vorschrift einen wesentlichen Vorteil hat: Sie muß beitung ist für Korruption im deutschen Wirtschafts- den Empfänger der Gelder bekannt und den Fluß lauf relativ wenig Platz, sie spielt im Vergleich zu an- der Mittel transparent machen. Die Verabschiedung deren Ländern eine eher untergeordnete Rolle, und Ihres Gesetzes, meine Damen und Herren von der von sicher vorhandenen strafrechtlich relevanten SPD, hätte gerade die Untergrabung einer möglichen Einzelfällen darf nicht auf die gesamte Wirtschaft ge- Informationsquelle zur Folge und könnte erst recht schlossen werden. zu mehr Illegalität und krimineller Schattenwirt- schaft führen. Es ist der aktuellen Debatte über die steuerliche Abzugsfähigkeit von Betriebsausgaben aller Art si- Da im Inland der Empfänger der Zahlungen im cherlich dienlich, wenn man sich einmal Gedanken Steuerrecht ja auch der Steuerpflicht unterliegt, ge- über die Aufgaben des Steuerrechts macht und diese hen dem Staat im Inland darüber hinaus auch keine denen des Strafrechts gegenüberstellt. Steuer- und legalen Einnahmen verloren, obwohl Sie dies be- Strafrecht betreffen diffe rierende Arbeitsfelder, sie haupten. Sie sollten in den Medien keine polemi- werden verschiedenen Ansprüchen gerecht. schen Scheinrechnungen zu möglichen Verlusten Während es beim Steuerrecht um das „Grund- aufstellen, die sich angeblich aus dem geltenden prinzip der steuerlichen Gewinnermittlung" und da- Recht ergeben. mit völlig wertungsfrei um die steuerliche Erfassung Ein weiterer, interessanter Aspekt ist im aktuellen auch des Einkommens aus gesetzes- oder sittenwid- Zusammenhang noch der des Steuergeheimnisses rigen Geschäften geht, ist es die Aufgabe des Straf- und konkret die Frage, ob die Finanzbehörden ihnen rechts, Vergehen zu verfolgen und zu ahnden, also bekannte Bestechungsfälle an die Strafverfolgungs- eine Bewertung z. B. von Einnahmequellen oder behörden weiterleiten dürfen. Und das geltende Zahlungen vorzunehmen. Besteuerung ist wertneu- Recht sagt: Sie dürfen! Voraussetzung dafür ist, daß tral, es gilt der Grundsatz der „Wertungsindifferenz", ein „zwingendes öffentliches Interesse" besteht. der in mehreren Urteilen ausdrücklich unterstrichen - wurde. Es geht nicht um „ungestraft bestechen", Wozu dann überhaupt noch ein Steuergesetz, das sondern um „wirtschaftlich besteuern". nicht weiterhilft? Gemäß § 40 der Abgabenordnung ist es „für die Wir dürfen ein politisches Geschäft mit der Korrup- Besteuerung unerheblich, ob ein Verhalten, das den tion nicht zulassen. Eine Kriminalisierung der steuer- Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil zahlenden Wirtschaft, wie sie von der Opposi tion ver- erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot sucht wird, müssen wir verhindern. Wir sollten aner- oder gegen die guten Sitten verstößt". So wird ge- kennen, daß in keinem Land der Welt das staatliche währleistet, daß derjenige, der durch eine strafbare Auge der steuerlichen Korrektheit so wachsam ist Handlung einen Gewinn erzielt, nicht auch noch wie in Deutschland. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3941'

Überhaupt tut ein Blick über den deutschen Teller- Bestechung zum großen Problem. Inte rnationale Fra- rand auch beim Thema Korruption ganz gut und gestellungen verlangen internationale Antworten. zeigt uns, wie unser System funktioniert. In einer Gefragt ist deshalb multilateraler Einsatz für ein Vielzahl von Ländern wird mit den Zahlungen ge- weltweites Problem. Eine einseitige Diskriminierung nauso verfahren wie im deutschen Steuerrecht - sie der deutschen Wirtschaft darf es dabei nicht geben. werden wertneutral als Betriebsausgaben anerkannt. In einigen Fällen, wie z. B. den Niederlanden und Gisela Frick (F.D.P.): Wir beraten heute Anträge der unter gewissen Bedingungen auch in Belgien, ist so- Opposition zur Bekämpfung der Korruption, insbe- gar noch nicht einmal die Nennung der Empfänger sondere den SPD-Entwurf eines Steuerlichen Korrup- erforderlich. Das halte ich zur Korruptionsbekämp- tionsgesetzes. fung allerdings für unbedingt notwendig. Auch wenn die Opposi tion das offensichtlich an- Ich frage Sie: Warum sollen die Deutschen wieder ders sieht, stelle ich hier klar: Auch die F.D.P. ist ge- einmal einen nationalen, steuerrechtlichen Allein- gen Korruption - wie übrigens wohl alle Fraktionen gang starten und dabei ihrer eigenen Wirtschaft und hier im Hause. Uneinigkeit besteht allenfalls in der deren Wettbewerbsfähigkeit eventuell Schaden zufü- Frage der erforderlichen Maßnahmen zur wirksamen gen? Es versteht sich von selbst, daß ein deutsches Bekämpfung der Korruption. Solo für die deutschen Betriebe eine drastische Be- nachteiligung gegenüber der ausländischen Konkur- Auch die F.D.P. sieht mit Sorge, daß einzelne spek- renz bedeuten würde. Es ist zwar schwierig, Bewer- takuläre Fälle geeignet sind, das Vertrauen der Bür- tungen über die Versagung des Betriebsausgabenab- ger auf „saubere Entscheidungen" in der öffentli- zugs der Gelder anzustellen, aber eines ist klar: Leid- chen Verwaltung zu erschüttern, und damit den Ein- tragende werden die Unternehmen sein, die ohnehin druck erwecken, in einigen Bereichen sei das Zahlen schon eine tonnenschwere Steuerlast auf ihren von Schmier- und Bestechungsgelde rn bereits gängi- Schultern tragen. Aber ihre „Unternehmerfreund- ges Geschäftsgebaren. lichkeit" hat die SPD ja bereits bei ihrer Dauerblok- Andererseits möchte ich jedoch darauf hinweisen, kade der Gewerbesteuerreform bewiesen. daß nach einer Studie des BKA für das Bundesinnen- Ich freue mich, daß unsere Argumente nun endlich ministerium, in der die Korruptiondelikte für das Jahr Wirkung gezeigt haben und hoffe, daß wir die Sache 1994 erstmals statistisch erfaßt wurden, knapp 2 000 im Herbst zum Wohle der Wirtschaft und der Kom- Fälle von Beamtenbestechung registriert wurden. In munen in Deutschland zum Abschluß bringen kön- Relation zur Gesamtzahl der Beschäftigten im öffent- nen. lichen Dienst bewegen sich die registrierten Fälle un- terhalb der 1-Promille-Grenze. In einer „Bananen- Die Deutschen werden in der Rolle des „Einzel- republik" leben wir deshalb wohl nicht, aber die Ent- kämpfers gegen Korruption" wenig Erfolg haben, da wicklung bereitet gleichwohl Anlaß zum Nachden- die Dimension des Problems zu groß ist für einsame ken über wirksame Gegenmaßnahmen. steuerliche Initiativen à la SPD-Antrag. Die F.D.P. setzt dabei nicht so sehr auf strafrechtli- Korruptionsbekämpfung in Theorie und Praxis che, sondern auf präventive Maßnahmen. S trafrecht muß weltweit erfolgen, und ich halte die OECD hier kann präventive Maßnahmen nur flankieren, nicht für ein geeignetes Forum. Bereits im letzten Jahr ha- aber ersetzen! Im übrigen gilt auch hier - wie sonst in ben sich die OECD-Staaten auf eine gemeinsame, der Kriminalitätsbekämpfung auch -, daß die be- multilaterale Bekämpfung der Korruption geeinigt. stehenden gesetzlichen Vorschriften zunächst konse- In einer Abschlußerklärung haben sie sich dazu ver- quent angewendet werden müssen, ehe neue Straf- pflichtet, „konkrete und bedeutsame Schritte", wie vorschriften geschaffen werden. es heißt, auf der jeweiligen nationalen Ebene zu un- Präventionsmaßnahmen, wie wir sie befürworten, ternehmen und diese in der Anerkennung ihrer ge- sollen bereits im Vorfeld korruptiven Verhaltenswei- meinsamen Verantwortung im internationalen Be- sen den Boden entziehen und ein korruptionsanfälli- reich zu verstärken. Der Antrag enthält u. a. eine ges Umfeld gar nicht erst entstehen lassen. Das ist Empfehlung zur Überprüfung der Steuergesetzge- allemal wirksamer, als im nachhinein - und damit zu bung. Dies müssen dann alle gemeinsam tun. spät - mit den Mitteln des Strafrechts zu reagieren. Ein Symposium zur internationalen Bekämpfung Als konkrete Schritte schlagen wir vor: verstärkte der Korruption, das die OECD vom 13. bis 14. März Kontrolle bei der Auftragsvergabe, Rota tion der mit 1995 organisierte, war ein weiterer Schritt hin zu ei- der Auftragsvergabe befaßten Beamten, Ausschluß ner effektiven, konstruktiven multilateralen Zusam- von der Bestechung überführten Unternehmen bei menarbeit. Mehr als 250 Teilnehmer aus der ganzen öffentlichen Vergabeverfahren in der Zukunft. Welt diskutierten gemeinsam über Möglichkeiten der Korruptionsbekämpfung in Staat, Wirtschaft und Bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmier- Gesellschaft. Man einigte sich auf die Bildung eines und Bestechungsgeldern als Betriebsausgaben wol- „Informellen Netzwerks", das unter Koordination der len wir etwas differenzierter vorgehen, als es die Op- OECD dem multilateralen Austausch von Informatio- position in ihren Anträgen vorschlägt. nen und Erfahrungen dienen soll. Die geltende Rechtslage ist bekannt: Nach der Sy- Vereinzeltes Vorpreschen wie die heutigen An- stematik des Steuerrechts sind Schmier- und Beste- träge werden zur Bekämpfung der Korruption nicht chungsgelder Betriebsausgaben im Sinne des § 4 beitragen, erst die internationale Dimension macht Abs. 4 EStG, wenn sie durch den Betrieb veranlaßt 3942' Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 sind. Grundsätzlich sind Betriebsausgaben für ein Auch der weiteren Aufweichung des Steuerge- Unternehmen eher unerwünscht, da sie den Gewinn heimnisses durch einen neuen § 31 b AO können wir mindern. Kein Unternehmen wird sich deshalb da- wegen seines unbes timmten Inhaltes nicht zustim- nach drängen, Schmier- und Bestechungsgelder zu men. Der geltende § 30 Abs. 5 Nr. 5 Buchstabe b AO verteilen, wenn es sich davon nicht konkrete Vorteile reicht aus, um entsprechende Kenntnisse der Finanz- für die Auftragvergabe verspricht. Das Unternehmen verwaltung in den einschlägigen Verfahren an die will mit dem Zahlen sogenannter „nützlicher Abga- Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Eine weitere Klar- ben" sozusagen mit dem „Speck nach der Wurst wer- stellung ist nach unserer Auffassung nicht notwen- fen". Damit handelt es sich bei diesen Zahlungen dig. dem Grundsatz nach um Betriebsausgaben. Für uns ist die Bekämpfung der Korruption ein Allerdings sind diese nur abzugsfähig, wenn ge- überaus ernstes Anliegen. Wir wollen aber wirksame mäß § 160 AO der Empfänger dieser Leistungen be- Maßnahmen und keine Alibiregelungen. nannt wird. Für den nationalen Bereich wird dieses Erfordernis eng gehandhabt, für den internationalen Bereich ist diese Verwaltungspraxis unter gewissen Voraussetzungen etwas großzügiger. Anlage 8 Bisher sind wir davon ausgegangen, daß durch diese Pflicht, den Empfänger zu benennen, zumin- Zu Protokoll gegebene Reden dest im Inland ein sehr gutes Regula tiv vorhanden zu Tagesordnungspunkt 16 ist, Bestechen und Schmieren gerade nicht steuerlich zu honorieren, denn welcher Unternehmer gibt den (Antrag: Keine Hermens-Bürgschaften Empfänger seiner Leistungen schon an und enttarnt für Handelsgeschäfte mit dem Iran) damit sein illegales Verhalten? Erich G. Fritz (CDU/CSU): Uns verbindet mit den Allerdings müssen wir inzwischen doch zugeste- Verfassern des Antrages die Sorge um die Entwick- hen, daß mit der grundsätzlichen Abzugsfähigkeit lung der Menschenrechtssituation im Iran. Die Men- solcher Schmiergelder unter Hinweis auf die „We rt schenrechtskommission des Wirtschafts- und Sozial- -neutralität" des Steuerrechts gemäß § 40 AO - pecu- rates der Vereinten Nationen hat in ihrer 51. Sitzung nia non olet (Geld s tinkt nicht), wußte schon der rö- im März 1995 noch einmal dargestellt, in welcher mische Kaiser Vespasian - in der Öffentlichkeit doch Weise die Menschenrechte in der Islamischen Repu- ein falsches Signal gesehen wird. Die Einheitlichkeit blik Iran verletzt werden durch die weiterhin hohe der Rechtsordnung läßt die Abziehbarkeit von Zahl an Hinrichtungen, Folter, fehlende rechtliche Schmiergeldern im Steuerrecht als Wertungswider- Absicherung bei Gerichtsverfahren, die Diskriminie- spruch erscheinen, der in seiner Symbolwirkung in rung von Minderheiten, Einschränkung der Mei- unserer Gesellschaft nicht unterschätzt werden darf. nungsfreiheit, Unterdrückung des Demonstra tions- rechts und der Frauenrechte. Es besteht also weiter- Deshalb soll auch nach den Vorstellungen der hin genügend Anlaß, sich mit der Situa tion im Iran F.D.P. die Absetzbarkeit von Schmiergeldern im na- auseinanderzusetzen und die Einhaltung der Men- tionalen Bereich aufgehoben werden; insoweit könn- schenrechte in diesem Land einzufordern, das die In- ten wir dem SPD-Antrag immerhin einiges abgewin- ternationale Menschenrechtskonvention unterschrie- nen, nicht aber, wenn es um die verlangten Aufzeich- ben hat. nungspflichten geht. Hier zeigt sich wieder einmal die „große Wirtschafts- und Realitätsnähe" der SPD: Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Denn welcher Unternehmer wird sich wohl - in An- NEN fordert die Beschlußfassung, die Bundesregie- betracht steuerlicher und strafrechtlicher Sanktio- rung aufzufordern, umgehend mit den Mitgliedstaa- nen - um eine penible Aufzeichnung seiner illegalen ten der EU ein abgestimmtes Konzept für Maßnah- Zahlungsströme bemühen? men gegenüber dem Iran zu entwickeln, um auf eine Verbesserung der Menschenrechtssituation im Iran Was den internationalen Bereich angeht, sind wir hinzuwirken. allerdings der Auffassung, daß ein nationaler Allein- gang nicht sinnvoll ist. Nur eine inte rnational ver- Die Auseinandersetzungen zwischen der Bundes- bindliche Regelung kann verhindern, daß unsere Un- republik Deutschland und dem Iran in Sachen Men- ternehmen und damit auch unsere Arbeitsplätze schenrechte haben seit der Errichtung des Khomeini- beim Wettbewerb um internationale Aufträge einsei- Regimes nie aufgehört. Die Bundesrepublik war an tig benachteiligt werden. verschiedenen Anklagen von Menschenrechtsein- richtungen der Vereinten Nationen beteiligt. Das Die F.D.P. wird sich aber dafür einsetzen, daß die Vorgehen gegenüber dem Ir an ist nach Aussagen Bundesregierung im Rahmen der EU und insbeson- der Bundesregierung mit den europäischen Partnern dere im Rahmen der OECD auf eine möglichst abgestimmt. ES gibt deshalb zur gegenwärtigen Si- schnelle und einheitliche Regelung der steuerlichen tuation keinen Bedarf an zusätzlicher Abstimmung Abzugsfähigkeit von Schmier- und Bestechungsgel- gegenüber den Mitgliedstaaten der EU. dern dringt und dabei konstruktiv mitarbeitet. Bis zu einer solchen baldigen Regelung wollen wir in die- Es gibt allerdings Bedarf, das weitere Vorgehen sem internationalen Bereich keine Steuerrechtsände- mit den USA abzustimmen, die ihre Haltung in letz- rung und erteilen insoweit den Anträgen der Opposi- ter Zeit, vor allem wegen des Atomkraftwerkge- tion eine Absage. schäftes mit Rußland, geändert haben. Die Bundesre- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3943' gierung ist bemüht, eine abgestimmte Vorgehens- eklatant verletzt werden, die Handelsbeziehungen weise auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Im Rah- eingefroren werden sollen. Die andere Schule hat -men der Entwicklung einer gemeinsamen Außen den Standpunkt vertreten, daß Handel immer auch und Sicherheitspolitik der Europäischen Union wird zu Beziehungen zwischen Individuen und zwischen auch die Frage der Durchsetzung der Menschen- Gesellschaften führt und daß damit mindestens rechte auf der Tagesordnung stehen. Einen unmittel- Transparenz über die Verhältnisse in den jewei ligen baren Bedarf für die Entwicklung eines besonderen Ländern hergestellt werden kann. Außerdem wurde europäischen Konzeptes gegenüber dem Iran sieht von dieser Schule in den letzten Jahren immer nach- meine Fraktion zur Zeit nicht. Wir unterstützen die drücklicher auf den Erfolg des Konzepts „Wandel Bemühungen der Bundesregierung, in einem kriti- durch Annäherung", das der deutschen Ostpoli tik in schen Dialog auf den Iran einzuwirken. Sollte sich den 70er und 80er Jahren zugrunde lag, verwiesen. dieser Dialog immer stärker zu einem deutschen Mo- nolog entwickeln, so muß neu darüber nachgedacht Ich neige eher zu dieser zweiten Schule, weil ich werden, ob es andere Vorgehensweisen gibt, die er- auch auf „Wandel durch Handel" setze. Allerdings folgversprechender sind. darf es nach meiner Auffassung keine Ökonomie ohne Moral, keine Wirtschaft ohne Ethik geben. Des- In der weiterzuführenden Diskussion sollte die halb muß insbesondere da, wo der Handel durch Bundesregierung in den nächsten Monaten auch staatliche Instrumentarien unterstützt wird, sehr deutlich klarstellen, wie ihr Verhältnis zur iranischen wohl geprüft werden, unter welchen Bedingungen Oppositionsbewegung ist. Insbesondere sollte die der Handel stattfindet und welche Auswirkungen Bundesregierung dem Eindruck entgegenwirken, sie mit ihm auf die Entwicklung der Länder verbunden sei in ihrer Haltung gegenüber der Oppositionsbewe- sind. gung durch das iranische Regime unter Druck zu set- Die Berichte über den Iran in den letzten Jahren zen. sind sehr zwiespältig. Auf der einen Seite scheinen Das Vorgehen der Bundesregierung in der Ausein- die fundamentalistischen Kräfte eher an Einfluß ver- andersetzung um die Wiederherstellung der Men- loren zu haben, auf der anderen Seite ist der Be richt schenrechte im Iran muß zur gegenwärtigen Zeit des UN-Berichterstatters für den Iran, Geynaldo Ga- auch vor dem Hintergrund des Friedensprozesses im lindo Pohl, ein eindrückliches Dokument der alltägli- Nahen Osten beurteilt werden. In dieser Zeit ist jede chen Verletzung von Menschenrechten im Iran. Im Gesprächsmöglichkeit mit dem Iran, die aufrechter- Iran gibt es heute noch eklatante Menschenrechts- halten werden kann, auch zur Einflußnahme in die- verletzungen, die Anwendung von Folter gegenüber ser Frage zu nutzen. Der Iran versucht nach wie vor, Oppositionellen, inhumane Strafen, Bestrafung ohne den Friedensprozeß zu stören. Die Bundesregierung, Rechtsstaatlichkeit, und es werden außerdem viele die - wie der Bundestag - den Friedensprozeß im Na- Grundrechte nicht eingehalten. Das und andere Be- hen Osten mit allen Kräften unterstützt, ist deshalb weggründe haben die USA dazu geführt, jetzt ein gut beraten, ihre Einflußmöglichkeit auf den Ir an zu Wirtschaftsembargo gegen den Iran zu verhangen. nutzen, um eine Verhaltensänderung in Teher an zu Die Bundesregierung hat für unsere entwicklungs- erreichen. politische Zusammenarbeit im Oktober 1991 durch Diese Einflußnahme definie rt sich zu einem Teil ihren Bundesminister Spranger fünf Kriterien für die auch aus den vergleichsweise umfangreichen wirt- Entwicklungszusammenarbeit formuliert: Menschen- schaftlichen Beziehungen mit dem Iran. Diese Wirt- rechte, Beteiligung der Bevölkerung an politischen schaftsbeziehungen werden genau beobachtet und Entscheidungen, Rechtssicherheit, Wirtschafts- und unterliegen, soweit es sich um empfindliche Güter Sozialordnung, Entwicklungsorientierung staatlichen handelt, strengster Überprüfung. Dennoch ist die Handelns. Dabei sind alle Menschenrechte und die Bundesregierung auch verpflichtet, alles zu tun, da- Fragen der Rechtssicherheit sowie der Wirtschafts- mit der Iran seinen Zahlungsverpflichtungen gegen- und Sozialordnung orientiert an der Allgemeinen Er- über Deutschland nachkommt. Aus diesem Grunde klärung der Menschenrechte von 1948 sowie den haben nach wie vor auch Hermes-Bürgschaften ihren beiden UN-Pakten von 1966 über bürgerliche und Sinn. politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kul- turelle Rechte. Trotz dieser Kriterien-Politik hat die Wir lehnen deshalb den Antrag der Fraktion Bundesregierung im Februar dieses Jahres die Her- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab, sind uns aber in der mes-Bedingungen für Iran-Geschäfte verbessert. Beurteilung der Menschenrechtssituation und dem Anspruch, etwas zur Verbesserung der Situa tion im Wie sehen nun die Fakten im Handel mit dem Iran Iran zu tun, einig. aus? In den Jahren 1993 und 1994 hatte die Bundes- republik Deutschland einen Impo rt aus dem Iran in der Größenordnung von ungefähr 1,3 Milliarden DM. (SPD): Beim Handel zwischen Siegmar Mosdorf Im Jahre 1993 haben wir in den Iran für 4,1 Milliarden den Ländern hat sich schon immer die Frage gestellt, DM exportiert. Im Jahre 1994 betrug der Expo rt ob dabei nur ökonomische oder auch gesellschafts- knapp 2,6 Milliarden DM. politische Kriterien zugrunde gelegt werden. Dabei gab es immer zwei Schulen. Die einen haben den Der Bürgschaftsrahmen be trägt bei kurzfristigen Standpunkt vertreten, daß man H andel nur mit sol- Geschäfen 50 Millionen DM, bei mittel- und langfri- chen Ländern betreiben kann, in denen Freiheit, De- stigen Geschäften 100 Milionen DM. Der kurzfristige mokratie und Rechtsstaatlichkeit gesichert sind, und Bürgschaftsrahmen ist ausgeschöpft, der mittel- und daß zu den Ländern, in denen z. B. Menschenrechte langfristige ist noch frei. 3944* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

In den nächsten Jahren wird der Iran für den Welt- von einer modernen Elite gestellt, die die Religion in- handel eine nicht unbedeutende Rolle bekommen. strumentalisiert, um durch Repression und Willkür Dazu wird seine geostrategische Lage zwischen eine Machtposition zu sichern, die durch die wirt- Orient und Okzident beitragen. schaftliche und politische Krise im Lande mehr und mehr geschwächt wird. Wir Sozialdemokraten sind für ein abgestimmtes Vorgehen in der Europäischen Union, weil ein Allein- Die umfangreichen Menschenrechtsverletzungen gang der Bundesrepublik Deutschl and dann, wenn führten auf der diesjährigen Tagung der UN-Men- andere europäische Länder in diese Lücke hineinge- schenrechtskommission in Genf zu einer Verurtei- hen würden, weder positive Auswirkungen auf die lung des Iran. Sowohl von Amnesty Inte rnational als Lage im Iran noch auf die Wirtschaft in Deutschland auch vom bisherigen UN-Berichterstatter für den haben dürfte. Wir werden aber für die Überweisung Iran, Galindo Pohl, dem seit seinem letzten Be richt dieses Antrages in die Ausschüsse stimmen, weil wir die Einreise in den Iran nicht mehr gestattet wird, wollen, daß die eklatanten Verletzungen der Men- werden diese Menschenrechtsverletzungen unverän- schenrechte und der Grundrechte im Iran auf euro- dert dokumentiert. Sie müssen hier im einzelnen päischer Ebene beraten werden und dann ein abge- nicht aufgezählt werden. stimmtes Vorgehen vereinbart wird. Für die Bundesregierung scheint diese Situa tion Fest steht jedoch schon jetzt, daß bei der Genehmi- offensichtlich kein Hinderungsgrund zu sein, ihre gung von Hermes-Bürgschaften an den Iran strikt Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran weiter auszu- darauf zu achten ist, daß keine Dual-use-Güter oder bauen. Als Reaktion auf Kritik daran verweist sie in Technologien aus einem sensitiven Bereich für eine der Regel auf ihren angeblich mit der iranischen Re- Förderung in den Iran für uns in Frage kommen. gierung geführten kritischen Dialog" - eine Unter- nehmung, deren Ziele, deren Akteure und deren Er- Uns ist eine Verbesserung der Grundrechts- und gebnisse allein der Bundesregierung bekannt sind Menschenrechtssituation im Iran von großer Wichtig- und auch bleiben sollen, da nach ihrer Ansicht nur so keit. Wir werden auch sehr genau verfolgen, wie der ein Erfolg erzielt werden kann. Diese Geheimhal- han sich im Fall von Salman Rushdie weiter verhält. tungspolitik legt die Vermutung nahe, daß im Außerdem verlangen wir von der Bundesregierung Grunde genommen nichts geschieht. Aufklärung darüber, was an den Spekulationen dran Selbst der wohlwollendste Beobachter kann sich ist, der deutsche Nachrichtendienst hätte mit dem nicht des Eindrucks erwehren, daß die Bundesregie- iranischen Nachrichtendienst zusammengearbeitet, rung auch weiterhin konsequent ihre bisherige Linie ihn unterstützt und mit ihm kooperiert. Auch diese verfolgt, nämlich in ihrer Außenpolitik der Wi rt Fragen müssen rückhaltlos aufgeklärt werden. Hier -schaftspolitik eine eindeutige Priorität einzuräumen. ist vor allem die Bundesregierung gefordert. Danach wird es darum gehen, in einem abgestimmten Ver- Nun kann man ja durchaus darüber streiten, ob halten die Linie der Europäischen Union festzulegen. z. B. das US-Handelsembargo das richtige Mittel ist, die menschenrechtliche Situation im Iran zu verbes- Darüber hinaus raten wir der Bundesregierung, die sern. Wenn man, wie die Bundesregierung, diese selbst formulierten Kriterien für die Entwicklungszu- Maßnahme ablehnt, reicht es auf der anderen Seite sammenarbeit auch ernst zu nehmen. Kriterien, die nicht aus, nur wieder auf den vielbeschworenen nur auf dem Papier stehen, sind Luftnummern. Krite- „kritischen Dialog" zu verweisen und im übrigen der rien, die einseitig nach parteipolitischen und ideolo- deutschen Wirtschaft zu ermöglichen, völlig unbeein- gischen Kriterien angewandt werden, sind unglaub- druckt ihre Geschäfte zu machen, wenn nicht sogar würdig. Es wird jetzt darauf ankommen, die Entwick- noch von dem Handelsembargo zu profitieren. lung im Iran genau zu verfolgen, in Europa eine ein- heitliche Strategie festzulegen und von diesen Resul- Motiv für das Einfrieren der Hermes-Bürgschaften taten weitere Schritte abhängig zu machen. war von vornherein nicht die menschenrechtliche Si- tuation. Vielmehr ging die Deckungssperre, wie die Bundesregierung selbst erklärt hat, auf akute Zah- Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lungsschwierigkeiten des Iran zurück. Daraus ergibt Im Februar diesen Jahres hat sich die Bundes- NEN): sich im Umkehrschluß ein weiteres Motiv für die regierung entschieden, die bis dahin eingefrorenen Wiederaufnahme der Hermes-Bürgschaften. Der Iran Hermes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem leistet mittlerweile einen jährlichen Schuldendienst Iran wieder aufzunehmen. 150 Millionen DM: keine von 3,3 Milliarden DM. Dem Bundesfinanzminister aufsehenerregend große Summe, aber doch ein ein- wäre es schon unangenehm, wenn diese Zahlung deutiges politisches Signal. Es stellt sich die Frage, ausbliebe. was die Bundesregierung zu diesem Schritt bewogen hat. Die Bundesregierung weiß sich in ihrer Politik in engem Einvernehmen mit ihren europäischen Nach- Die Lage der Menschenrechte im Iran hat sich in barn. Auch der französische Außenminister Juppé keiner Weise verbessert. Experten und Menschen- setzt auf einen „kritischen Dialog" und gleichzei tig rechtler berichten vielmehr von einer Verschärfung intensive Wirtschaftsbeziehungen mit Teheran. der Repression. Dabei geht es nicht vorrangig darum, islamische Wertvorstellungen umzusetzen. Die im Ein gemeinsamer europäischer Versuch, in Sachen Westen populäre Vorstellung einer mittelalterlichen Menschenrechten gegenüber dem Iran tätig zu wer- Herrschaft der Mullahs ist weit entfernt von der poli- den, ist zumindest am 22. Juni diesen Jahres in Pa ris tischen Realität im Iran. Das iranische Regime wird gescheitert. Die Verhandlungen mit Vertretern der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3945* iranischen Regierung, eine Aufhebung der Fatwa ge- dadurch der Ruf der deutschen Industrie nachhaltig gen Salman Rushdie zu erwirken, sind erfolglos ge- geschädigt würde, muß ich wohl nicht weiter ausfüh- blieben. ren. So begrüßenswert es ist, daß es hier eine gemein- Viele deutsche Unternehmen, die traditionelle Lie- same europäische Initiative gab, als punktuelle Maß- ferbeziehungen mit dem Iran unterhalten, sind durch nahme reicht sie nicht aus. Nur durch einen differen- die Aufhebung von Deckungsmöglichkeiten in Ab- zierten, innerhalb der EU-Staaten gemeinsam abge- satz- und Beschäftigungsschwierigkeiten geraten. stimmten Katalog von Maßnahmen und Konditionie- Mit der Entscheidung der Bundesregierung vom rungen kann die iranische Regierung zu einem Kurs- 15. Februar, erneut Deckungsmöglichkeiten zur Ver- wechsel in ihrer Menschenrechtspolitik gebracht fügung zu stellen, ist wieder ein gutes Stück Bere- werden. chenbarkeit in die Handelspoli tik gegenüber dem Iran zurückgekehrt, das den deutschen Unterneh- Wir plädieren nicht dafür, eine Isolierung des Irans men hilft, ihre Märkte zu halten und so Beschäfti- zu betreiben, vielmehr muß der Dialog mit verände- gung in Deutschland zu sichern. rungsbereiten demokratischen Kräften in der irani- schen Gesellschaft gesucht werden. Eine Wiederauf- Welchem deutschen Exporteur möchten Sie die nahme der Gewährung von Hermes-Bürgschaften Aufrechterhaltung der Hermes-Sperre erklären, ohne eine Veränderung im Menschenrechtsbereich wenn gleichzeitig ein lebhafter, vor allem auf Pro- ist jedoch das falsche Signal und gibt ein mögliches dukte der Spitzentechnologie konzentrierter Iran- Druckmittel leichtfertig aus der Hand. Handel der USA floriert? Möchten Sie den Mitarbei- terinnen und Mitarbeitern der Unternehmen, die Paul K. Friedhoff (F.D.P.): „Keine Hermes-Bürg- dann nicht mehr konkurrieren dürfen, erklären, ihre schaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran" lautet Arbeitsplätze seien geopfert worden für eine Men- der moralische Impera tiv. Nicht von Mensch zu schenrechtsdividende, deren Auszahlung aller Erfah- Mensch Waren gegen Geld sollen wir tauschen, son- rung nach nicht erfolgen wird? Die Fraktion der dern vage darauf hoffen, für einen Boykott Men- F.D.P. möchte das nicht. schenrechte zu erlösen. Die Deckungspolitik der Bundesregierung unter- Nicht, daß hier ein Mißverständnis entsteht: Die liegt einer laufenden Prüfung. Jeder Fall wird sorg- F.D.P.-Fraktion läßt sich in ihrem Eintreten für Men- fältig nach Projekt und Warenart geprüft. Unsere Ex- schenrechte von niemandem übertreffen. Nur, im portbestimmungen stehen gewiß nicht in dem Ruf la- Gegensatz zu anderen verlieren wir die Beziehung xer Fahrlässigkeit. Auch andere Staaten überneh- zwischen Ziel und Mittel nicht aus den Augen. Dies men bereits wieder in beschränktem Umfang Iran- ist das eine. Deckungen; ich denke an Frankreich, die Schweiz, Das andere ist: Moral ist doch wohl unteilbar. Und Österreich. wenn das so ist, müssen wir für unsere Politik die Fol- Alle diese Gründe sprechen dafür, die Hermes gen bedenken, die unser Handeln im Iran und in Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran Deutschland hat. nicht zurückzunehmen. Wir würden nichts gewinnen Wer diesen Antrag unterstützt, muß doch wohl der und viel verlieren. Für jeden, der Verantwortung Meinung sein, daß wirtschaftliche Boykottmaßnah- trägt und ernst nimmt, ist die A rt von Symbolpolitik, men dazu beitragen, die Menschenrechtssituation im die aus •dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Iran zu verbessern. Wenn wir zurückschauen, wer- GRÜNEN spricht, keine Handlungsalternative. den wir jedoch feststellen müssen, daß das Abschot- Dr. Winfried Wolf (PDS): Gestatten Sie mir zu Be ten eines Landes eher zur Radikalisierung der Unter- ginn ein Zitat: „Im ewigen Kampf zwischen der drückungsmaßnahmen der Machthaber führt. F ried- Schönheit der Welt und ihrer Grausamkeit gewann licher Warenaustausch kann dagegen viel eher durch die Grausamkeit täglich an Boden." Dieser Satz fin- den Ausbau von Beziehungen und das Vorleben det sich in den „Satanischen Versen" an der Stelle, menschenrechtsorientierter Werte dazu beitragen, in wo Salman Rushdie ein Massaker, beg angen von einem anderen Land ein Klima der Veränderung zu Hindus an Moslems, und Attacken gegen einen „li- erzeugen. beralen" Politiker, beg angen von islamischen Funda- Ich kann mich nicht erinnern, daß die Politik der mentalisten beschreibt. sozialliberalen Koalition ebenso wie die Politik der Bekanntlich sprach die iranische Führung 1989 ei- gegenwärtigen Koalition gegenüber den Staaten des nen Mordaufruf gegen Salman Rushdie, den Advo- damaligen Ostblocks seitens der Grünen mit der For- katen der Toleranz, aus. Bekanntlich hat das Regime derung nach Boykottmaßnahmen begleitet wurde. in Teheran dieses „Todesurteil" oder auch Fatwa im-- Was aber wird passieren, wenn wir dem Antrag fol- mer wieder bestätigt, so vor wenigen Tagen in einem gen würden? Nun, durch neue Hermes-Deckungen Interview, das die staatliche Nachrichtenagentur Irna kann die Einbringlichkeit unserer hohen Iran-Forde- mit dem Vizeaußenminister des Iran, Vaesi, geführt rungen gesichert werden. Wer dies gefährden wi ll, hatte. Bekanntlich ist die Bundesrepublik Deutsch- erweist der deutschen Wirtschaft in schwierigen Zei- land - je nach Statistik - der wich tigste oder zweit- ten einen Bärendienst. Handeln wir jetzt nicht, dro- wichtigste Handelspartner des Iran. Bekanntlich hen zahlreiche Projekte, die wegen der Aufhebung kommt der Iran seit einigen Monaten wieder in den der Deckungsmöglichkeiten nicht fertiggestellt wer- Genuß von Hermes-Bürgschaften, d. h., deutsche Ex- den konnten, zu Investitionsruinen zu werden. Daß porte in den Iran werden steuerlich abgesichert. 3946* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Zur Diskussion steht heute ein ebenso richtiger wie schärft sowie Normen des Völkerrechts und weltweit dürftiger Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE anerkannte demokratische Grundwerte mißachtet. GRÜNEN. Richtig ist: Solche Hermes-Kredite sind Deshalb verfolgt sie seit Jahren eine sehr restriktive abzulehnen. Es ist widersinnig, wenn in der Erklä- Exportkontrollpolitik gegenüber dem Iran. Es wer- rung des G 7-Treffens von Halifax einerseits steht: den auch in Zukunft keine Rüstungsexporte oder Ex- „Wir fordern die iranische Regierung auf, dem Terro- porte sensitiver Güter in den Iran von der Bundesre- rismus eine Absage zu erteilen und insbesondere gierung genehmigt werden. den fortlaufenden Morddrohungen gegen Salman Rushdie und anderen ... ihre Unterstützung zu ent- In Übereinstimmung mit den Partnern der Europä- ziehen." und andererseits mit diesem Regime privile- ischen Union hält die Bundesregierung die Fortfüh- gierte Wirtschaftsbeziehungen unterhalten werden. rung eines kritischen Dialogs mit Iran für sinnvoll. Soweit also uneingeschränkte Zustimmung zu dem Ziel dieses Dialoges ist es, den Einfluß der gemäßig- Antrag der Grünen. ten Kräfte im Iran zu stärker. Diese Politik schließt die kontrollierte Aufrechterhaltung der wirtschaftli- Dürftig an dem Antrag ist: Seine Beschränkungen chen Beziehungen ein. Mit der begrenzten Öffnung auf die Hermes-Kredite und die nur ausschnitthafte von Hermes-Plafondmitteln sollen die Voraussetzun- Darstellung der Menschenrechtssituation im Iran gen dafür geschaffen werden, die zum Stillstand ge- und der gefährlichen Dimension der deutsch-irani- ratenen Projekte fortzuführen. Zudem zeigen die Er- schen Zusammenarbeit. In dem Antrag tauchen nicht fahrungen der jüngeren Geschichte, daß begrenzte auf die deutsche-iranische nukleare Zusammenar- ökonomische Sanktionen, wie die Verweigerung von beit, die teilweise über Rußland vermittelt läuft; das Ausfuhrkreditbürgschaften - wenn überhaupt - nur Thema Rush die; die Weigerung der Lufthansa, Rush geringe Wirksamkeit entfalten und den radikalen die zu befördern; die Aussageverweigerung deut- Kräften in dem be troffenen Land Auftrieb geben. Je- scher Beamten im Mykonos-Prozeß; das massive Ent- denfalls mobilisieren sie nicht die innerstaatlichen gegenkommen der Bundesregierung beim Umschul- Gegner des jeweiligen Regimes. Dieses ist auch der dungsabkommen des Iran 1993/94. Grund, warum sich die Bundesregierung nicht an Aus all diesen Punkten müssen heute konkrete dem totalen Embargo der USA beteiligen, das diese Forderungen gegenüber dem Iran entwickelt wer- vor kurzem gegen den Iran verhängt haben. den. Sie laufen darauf hinaus, daß jede Art privile- Die totale Verweigerung der Gewährung von Her- gierter Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Iran mes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte würde auch und der Bundesregierung abzulehnen sind. die privaten iranischen Besteller treffen, die nichts Die Grünen wollen laut Begründung ihres Antrags mit der Politik der iranischen Regierung zu tun ha- „prüfen", ob ein allgemeines Wirtschaftsembargo, ben. Dies wollen wir nicht. Entscheidend ist, daß wie seitens der US-Regierung gefordert und prakti- keine sensitiven Waren in den Iran geliefert, ge- ziert, „eine geeignete Maßnahme zur Durchsetzung schweige denn mit Hermes-Bürgschaften unterstützt der Menschenrechte im Ir an " sei. Unsere Prüfung er- werden. gibt hier einen negativen Befund. Ein solches allge- meines Embargo ist vielmehr geeignet, eine weitere Es liegt im Interesse dieser Politik, daß die wirt- Eskalation der Konflikte in dieser Region zu begün- schaftlichen und sozialen Verhältnisse im Iran ge- stigen. Es wirkt sich überwiegend nega tiv gegen- stärkt werden. Dazu gehören neben der Pflege der über der zivilen Bevölkerung aus. Im übrigen ist Wirtschaftsbeziehungen, soweit dadurch zivile Akti- nicht zu erkennen, daß die Menschenrechtssituation vitäten gestärkt werden, nun einmal auch ein Min- in Saudi-Arabien eine qualitativ andere als die im destmaß an Unterstützung für ausschließlich zivile Iran wäre. Allein diese Einseitigkeit spricht Bände Iran-Exporte. über die Großmachtinteressenpolitik. Gemessen am deutschen Iran-Exportvolumen und Zum Schluß zurück zu den Hermes-Krediten. an der Größe und Bedeutung des Irans sind die An- Wenn derart Exporte geschmiert werden und die fang dieses Jahres bereitgestellten Hermes-Plafond- Menschenrechtsfrage ausgeklammert erscheinen, mittel von insgesamt 150 Millionen DM in ihrer Höhe dann fällt einem Karl Kraus' Zeilen aus dem Jahr ausgesprochen moderat. In diesem Zusammenhang 1917 ein: sollte auch erwähnt werden, daß es erhebliche irani- sche Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber Ich geb mein deutsches Ehrenwort, Deutschland gibt, an deren Sicherung wir ein Inter- Wir Deutschen brauchen mehr Expo rt ... esse haben. Dem sollte eine angemessene Bereitstel- Wir schlagen uns mit Vehemenz .. . lung von Hermes-Deckungsmöglichkeiten entspre- Wir schlagen kühn die Konkurrenz ... chen. - Krieg ... war einmal, doch jetzt ist's aus, Walhalla ist ein Warenhaus. Im übrigen verfolgt die Bundesregierung die Poli- tik, die Höhe der Hermes-Bürgschaftsmittel für Iran- Dr. Heinrich L. Kolb, Parlamentarischer Staatsse- Geschäfte so auszugestalten, daß das langfristige kretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Bun- Ziel, unser Iran-Obligo kontinuierlich abzubauen, er- desregierung teilt die Besorgnis der US-Regierung reicht wird. hinsichtlich der Verbreitung von Terrorismus, Funda- mentalismus und Massenvernichtungswaffen. Auch Ich meine daher, daß die besseren Gründe dafür die Bundesregierung ist nicht bereit, eine Politik zu sprechen, den Antrag der Fraktion von BÜNDNIS 90/ unterstützen, die internationale Spannungen ver DIE GRÜNEN abzulehnen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3947*

Anlage 9 dem SGB XI die dieser Zuordnung entsprechenden Einkommensgrenzen gemäß §§ 79, 81, BSHG über- zu Protokoll gegebene Reden schritten werden. zu Zusatztagesordnungspunkt 5 (Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung Die Besitzstandsregelung des Artikels 51 PflegeVG des Pflegeversicherungsgesetzes) bezweckt, daß niemand durch die Schaffung der Pflegeversicherung schlechter gestellt werden soll. Wer also nach dem bisherigen Recht der Sozialhilfe Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Das Zustande höhere Leistungen beanspruchen konnte, als sie kommen der Pflegeversicherung war von langwieri- nach dem Pflege-Versicherungsgesetz zu gewähren gen politischen Auseinandersetzungen begleitet. sind, soll keinen Nachteil haben. Jetzt befinden wir uns in der Umsetzungsphase des PflegeVersicherungsgesetzes. Trotz nicht hinwegzu- Nachdrücklich zu kritisieren ist zudem die Verwal- diskutierender Erfolge - z. B. Ende April etwa tungspraxis vieler Sozialhilfeträger, laufende Lei- 1,1 Millionen Menschen im Leistungsbezug der Pfle- stungen nach dem Bundessozialhilfegesetz einfach geversicherung - gibt es auch Probleme, insbeson- einzustellen, obwohl Leistungen der Pflegeversiche- dere beim Übergang von Sozialhilfeleistungen zu rung noch nicht erbracht wurden. Auch wenn über Pflegeversicherungsleistungen. die oft sehr spät gestellten Anträge auf Leistungen der Pflegeversicherung noch nicht entscheiden wer- Bei der Pflegeversicherung geht es um die Pflege- den konnte, rechtfertigt dies keinesfalls die allge- bedürftigen und deren Angehörige, die oftmals in ei- meine Einstellung der Hilfe zur Pflege durch die So- ner ganz schwierigen Lage sind. Dies muß jedem be- zialhilfeträger. Diese haben vielmehr bei unverän- wußt sein, der mit der Umsetzung der Pflegeversi- dert fortbestehender Hilfebedürftigkeit auf Grund cherung betraut ist. Seine Devise muß darum lauten: des Bedarfsdeckungsprinzips der Sozialhilfe die bis- Helfen, helfen, wo immer möglich. Von vielen Sozial- herigen Pflegeleistungen so lange in voller Höhe hilfeträgern wird dies offenbar verkannt, wenn sie weiterzugewähren, bis der vorrangig verpflichtete bereit sind, Zweifelsfragen, die sie mit der Besitz- Träger, die Pflegekasse, seine Leistungen tatsächlich standsregelung des PflegeVersicherungsgesetzes zur Verfügung stellt. Dies allein entspricht der ein- haben, auf dem Rücken der Behinderten und Pflege- deutigen und durch eine ständige Rechtsprechung bedürftigen auszutragen. Die Besitzstandsregelung bestätigten Rechtslage. Um so mehr erwarten wir, in Art. 51 PflegeVG wird - wie die Erfahrungen aus daß sich die Sozialhilfeträger rechtmäßig verhalten vielen Regionen zeigen - nicht entsprechend dem und den Betroffenen die benötigten Leistungen wei- Willen des Gesetzgebers angewandt. tergewähren.

Eingaben aus allen Teilen Deutschlands beklagen Es kann doch nicht in unserem Sinne sein, die Be- bitter, daß die Sozialhilfeträger bei der Anwendung sitzstandsregelung in Art. 51 PflegeVG zu Lasten von der Besitzstandsregelung unterschiedlich verfahren Pflegebedürftigen oder Behinderten auszulegen oder und insbesondere dem vom BMG im Einvernehmen ihnen gesetzlich vorgesehene Leistungen zu verwei- mit dem BMA verfaßten Rundschreiben vom 8. März gern. Es ist jetzt dringend erforderlich, daß alle So- 1995 oftmals keine Beachtung schenken. Viele So- zaialhilfeträger dem Sinn und Zweck des Art. 51 Pfle- zialhilfeträger haben ohne Rücksicht darauf ihre Lei- geVG Rechnung tragen. Auch die übergangsweise stungen eingestellt, obwohl alle Voraussetzungen für Weitergewährung von Sozialhilfeleistungen, bis die vom Gesetzgeber gewollte Besitzstandswahrung diese durch die Leistungen der Pflegeversicherung nach Art. 51 PflegeVG vorliegen. Statt Sozialhilfe abgelöst werden, darf keinem Zweifel unterliegen. praktizieren die Sozialhilfeträger Sozialverweige- Die vorliegende Entschließung wi ll zum Wohle be- rung. Angesichts dieser mit dem Pflege-Versiche- sonders betroffener Mitbürgerinnen und Mitbürger rungsgesetz nicht vereinbaren Verwaltungspraxis genau dies erreichen. Deshalb wird die CDU/CSU- halten wir es für dringend geboten, daß der Deutsche Fraktion der Entschließung gemeinsam mit den an Bundestag zur Wahrung der Rechte und des Wohls -deren Fraktionen des Hohen Hauses zustimmen. der Betroffenen ein deutliches Signal setzt und be- kräftigt, was Inhalt der Besitzstandsregelung ist. Gerd Andres (SPD): Seit dem 1. April 1995 ist die Erstens. Art. 51 PflegeVG ist eine Besitzstandsre- erste Stufe der Pflegeversicherung in Kraft. Damit er- gelung, die auf alle Personen Anwendung findet, die halten Behinderte und Pflegebedürftige erstmals Lei- am 31. März 1995 Pflegegeld nach § 69 Bundessozial- stungen aus dieser neuen Pflegeversicherung. A llen hilfegesetz alte Fassung erhalten haben. am Beratungsverfahren Beteiligten war aus vielen Diskussionen, aus den Anhörungen, aus Fachdebat- - Zweitens. Die Besitzstandsregelung ist auch anzu- ten und den Gesetzesberatungen klar: Mit der Ein- wenden auf Personen, die nicht mindestens der Pfle- führung der Pflegeversicherung dürfen Behinderte gestufe I - erheblich pflegebedürftig - nach dem und Pflegebedürftige, die bisher Leistungen aus an SGB XI zuzuordnen sind. Auch der Personenkreis, der -deren Gesetzen erhalten haben, nicht schlechter ge- bisher keine Leistungen nach dem § 57 SGB V - Pfle- stellt werden oder aus Leistungen herausfallen. Mit gegeld bei Schwerpflegebedürftigkeit im Rahmen der dem heutigen Entschließungsantrag verabschiedet GKV- erhalten hat, fällt unter diese Regelung. der Deutsche Bundestag nach einem ungewöhnli- chen Verfahren eine Posi tion, mit der er dazu beitra- Drittens. Ebenfalls erfaßt werden die Personen, bei gen will, diesen politischen Willen des Gesetzgebers denen infolge einer niedrigeren Einstufung nach nochmals deutlich zu formulieren. Ungewöhnlich ist, 3948* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 daß sich der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung setzt, daß ein Pflegegeld der Krankenversicherung einstimmig auf diesen Entschließungsantrag verstän- bezogen wurde und die Bedürftigkeitsprüfung nach digt hat. Ungewöhnlich ist auch, daß alle Fraktionen BSHG auf die Einkommens- und Vermögensgrenzen zugestimmt haben, daß dieser Entschließungsantrag abgestellt wird, die am 31. März 1995 maßgebend noch auf die Tagesordnung des Deutschen Bundesta- waren, also nicht die neuen Grenzen ab 1. April 1995 ges gesetzt wurde und damit noch vor der Sommer- maßgebend sind. pause beraten und beschlossen werden kann. Mit dieser Entschließung fordert der Deutsche Die SPD-Bundestagsfraktion nimmt für sich in An- Bundestag die Sozialhilfeträger auf, den A rt . 51 spruch, auf die Verabschiedung einer solchen Posi- Pflege-Versicherungsgesetz dem Willen des Gesetz- tion noch vor der Sommerpause gedrungen und da- gebers entsprechend, zum Wohle der Behinderten mit diese Entschließung initiiert zu haben, damit und Pflegebedürftigen anzuwenden. Rechtsunsicherheit und eine unterschiedliche Ausle- gung des Pflege-Versicherungsgesetzes ausgeschlos- Da aus grundsätzlichen Erwägungen und aus zeit- sen werden. lichen Gründen vor der Sommerpause eine Ände- rung des Art. 51 ausschied, wurde der Weg gewählt, Das Pflege-Versicherungsgesetz, das nach mehre- eine einstimmige Beschlußempfehlung des Aus- ren Vermittlungsrunden zwischen Bundesrat und schusses für Arbeit und Sozialordnung und eine Be- Bundestag mit Zustimmung der SPD-Bundestags- schlußfassung des Deutschen Bundestages sehr fraktion verabschiedet wurde, sollte nach dem er- kurzfristig und unter Aussetzung aller sonst üblichen kennbaren Willen aller am Gesetzgebungsprozeß Be- Fristen durchzuführen. Wir verbinden mit diesem Be- teiligten nicht dazu führen, daß Schwerstbehinderte, schluß die Absicht, den Rechtsanwendern den über- die bisher Leistungen aus dem Bundessozialhilfege- einstimmend formulierten Willen des Gesetzgebers setz erhielten, schlechter gestellt werden. Aus die- mitzuteilen, um zu verhindern, daß be troffene sem Grunde wurde im Vermittlungsverfahren der Schwerstbehinderte durch unterschiedliche Rechts- Art. 51 des Pflege-Versicherungsgesetzes eingefügt. auslegungen Nachteile erleiden. Deshalb geht von Im Text der Entschließung, die der Deutsche Bundes- dieser Stelle mein Appell an die Sozialhilfeträger und tag heute verabschiedet, heißt es in Ziffer 2: „ Zahl- an die befaßten Gerichte, das Recht so anzuwenden, reiche Sozialhilfeträger haben das bisher gewährte wie es der dafür zuständige Gesetzgeber gewollt und Pflegegeld nach § 69 BSHG ab dem 1. Ap ril 1995 mit in der Entschließung noch einmal zum Ausdruck ge- Hinweis auf das Pflegeversicherungsgesetz einge- bracht hat. stellt, obwohl alle Voraussetzungen für die vom Ge- setzgeber gewollte Besitzstandswahrung nach A rt. 51 Meinen ausdrücklichen Dank spreche ich den Be- des Pflegeversicherungsgesetzes vorlagen". teiligten im Bundesministerium für Arbeit und Sozial- ordnung, den Vertretern der Fraktionen, dem Aus- In zahlreichen Städten der Bundesrepublik schußsekretariat des Ausschusses für Arbeit und So- Deutschland befassen sich in der Zwischenzeit Ge- zialordnung und den Fraktionsgeschäftsführern aus, richte mit den Klagen Betroffener. So hat beispiels- die mitgeholfen haben, diesen Beschluß des Deut- weise das Verwaltungsgericht Hannover im Wege ei- schen Bundestages zu ermöglichen. ner einstweiligen Anordnung in einem Abgren- zungsstreit um Kosten zwischen der neuen Pflege- Ich hoffe sehr, daß es gelingt, mit dieser Beschluß- versicherung und dem Bundessozialhilfegesetz für fassung Rechtssicherheit herzustellen. Ich hoffe sehr, zulässig erklärt, daß einem Rollstuhlfahrer nach In- daß es Schwerbehinderten und Pflegebedürftigen er- krafttreten der Pflegeversicherung vom Sozialamt spart bleibt, persönlich benachteiligt zu werden, weil kein Pflegegeld mehr gewährt wird. Der Berufstätige der Wille des Bundesgesetzgebers unterschiedlich Hannoveraner, dessen Beine gelähmt sind, hatte ausgelegt und interpretiert wird. Die Lage der betrof- nach dem Bundessozialhilfegesetz bislang 1 031 DM fenen Menschen und die Absicht, weitere solcher Schwerstpflegegeld erhalten. Seit Ap ril hatte das So- Fälle zu verhindern, haben dazu geführt, daß der zialamt jedoch nicht mehr gezahlt, weil der Medizini- Bundestagsausschuß einstimmig votiert hat. Ich wün- sche Dienst der Krankenkasse den Rollstuhlfahrer sche mir ein solches Votum auch für den Deutschen nicht einmal in die unterste Pflegekategorie einge- Bundestag. stuft hatte.

Dieser Fall macht deutlich, daß offensichtlich un- Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ terschiedliche Interpreta tionen des Gesetzes bzw. NEN): Angesichts der Finanznöte, in die viele Kom- der Absicht des Gesetzgebers dazu führen, daß be- munen geraten sind, ist es nur allzu verständlich, toffene Behinderte oder Pflegebedürftige auf einmal daß sie und ihre Spitzenverbände versuchen, mög- - ohne jede Leistung dastehen, ein Zustand, den wir lichst viele Pflege- und Betreuungsleistungen, mit für unerträglich halten. In Ziffer 3 des Entschlie- denen bisher die örtlichen Sozialhilfeetats belastet ßungsantrages, der heute vorliegt, wird deshalb noch wurden, an die Pflegeversicherung abzugeben. We- einmal bekräftigt, daß die Besitzstandsregelung nach nig verständlich und geradezu zynisch ist es aller- Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz auf alle Empfän- dings, wenn solche Befreiungsschläge diejenigen ger von Bundessozialhilfepflegegeld anzuwenden treffen, die auf Leistungen angewiesen sind - und ist, die bis zum 31. März 1995 Pflegegeld bezogen genau dies findet derzeit mit der restriktiven Ausle- haben, daß die Besitzstandsregelung nicht voraus- gung der Bestandsschutzregelung im Pflegeversi- setzt, daß ein Pflegegeldanspruch nach § 37 SGB XI cherungs-Gesetz durch die Träger der örtlichen So- oder nach § 69 BSHG besteht, daß sie nicht voraus- zialhilfe statt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3949'

Um so erfreulicher ist es, daß im Sozialausschuß endgültigen Regelung abzusichern, wird diese Form die Initiative ergriffen wurde und wir heute diesen der Selbstorganisation und Eigenerantwortlichkeit interfraktionellen Antrag beschließen können. Von behinderter Menschen in wenigen Monaten von der jetzt an ist unmißverständlich klar: alle, die vor dem Bildfläche verschwunden sein. Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes Pfle- gegeld erhalten haben, erfüllen die Voraussetzung Wir werden also in der nächsten Zeit mit den Bau- für seine Weitergewährung, unabhängig davon, ob arbeiten an der Pflegeversicherung noch alle Hände sie Ansprüche auf Leistungen der Pflegeversiche- voll zu tun haben. Der wich tigste Baustoff wird dabei rung haben oder nicht. der gute Wille und die Bereitschaft sein, im Interesse der Betroffenen zusammenzuarbeiten. Bei der Klar- An der Pflegeversicherung wird noch viel verän- stellung des Bestandsschutzes für das Pflegegeld wa- dert, verbessert und ergänzt werden müssen. Bei die- ren sie gegeben. Ich hoffe, daß dies auch für die wei- sen langwierigen Bauarbeiten ist der heutige Be- teren Fragen gilt. schluß nur ein erster Arbeitsabschnitt. Das wird ei- nem deutlich, wenn man sich anschaut, weshalb er Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Wir wissen alle, daß es bei überhaupt notwendig geworden ist. jedem neuen Gesetz und bei jeder Gesetzesnovelle enorme Anfangsschwierigkeiten gibt. Bei der Einfüh- Die Klarstellung zum Bestandsschutz wird vor al- rung der Pflegeversicherung, ein ganz neuer Zweig lem zwei Betroffenengruppen zugute kommen, zum der Sozialversicherung, war dies unausweichlich. Je- einen denjenigen, deren Antrag in dem noch immer der, der wie ich an dem Gesetzespaket mitgearbeitet nicht aufgelösten Antragsstau steckt. Ihnen haben hat und um die Vielzahl der Dinge wußte, die gerade viele Sozialämter die bisherigen Sozialhilfeleistun- am Anfang zu regeln und aufzubauen waren, mußte gen gestrichen, obwohl sie noch keine Geld- oder mit erheblichen Anfangsschwierigkeiten rechnen. Sachleistungen aus der Pflegeversicherung erhalten. Zum zweiten kommt er aber auch den schwer Kör- Seit fast drei Monaten werden ambul ante Pflege- perbehinderten zugute, die bisher Pflegegeld nach leistungen durch die Pflegekassen gewährt. Für die dem Bundessozialhilfegesetz erhalten haben, aber Pflegebedürftigen und ihre Familien bedeutet dies in von der Pflegeversicherung nichts mehr zu erwarten fast allen Fällen eine deutliche Verbesserung ihrer haben. Denn Pflegegeld nach dem BSHG konnten Situation. Medizinischer Dienst, Pflegekassen und auch die Schwerbehinderten bekommen, die „nur" Pflegedienste leisten hier seit drei Monaten trotz aller einen mehrfach wöchentlichen Hilfebedarf haben. Anfangsprobleme ganz hervorragende Arbeit. Dagegen gibt es Leistungen der Pflegeversicherung nur für die Menschen, die täglich Hilfe brauchen. Womit wir allerdings nicht rechnen konnten, ist, daß eine Vielzahl von Sozialhilfeträgern die Besitz- Durch diese hohe Zugangsschwelle bleiben fast standsregelung in Art. 51 Pflege-Versicherungsge- eine halbe Million Hilfs- und Pflegebedürftige ohne setz grob fehlerhaft anwenden, obwohl der Gesetz- Ansprüche an die Pflegeversicherung, darunter viele geber im Gesetz, in den gesetzlichen Erläuterungen Behinderte, die sich mit viel Anstrengung und Mühe und auch in sonstiger Art und Weise seinen gesetz- ein Stück ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit geberischen Willen ganz deutlich erklärt hat. selbst zurück erkämpft haben. Die zu hohe Hürde vor der Pflegestufe I „bestraft" damit diejenigen, die Sinn des Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz war ihre Rehabilitation in die eigenen Hände nehmen, ja und ist, daß kein Pflegegeldempfänger durch die sie führt das Prinzip „Rehabilita tion und Prävention Einführung der Pflegeversicherung schlechter ge- vor Pflege" ad absurdum. Die Menschen müssen erst stellt werden soll. Wer also nach dem bisherigen „richtig" pflegebedürftig werden, bevor sie Unter- Recht der Sozialhilfe höhere Leistungen beanspru- stützung erhalten. chen konnte, als sie nach dem Pflege-Versicherungs- gesetz zu gewähren sind, soll keinen Nachteil haben. Der vorliegende Antrag wird denen, die bisher Wer nach heutigem Pflegeversicherungsrecht noch schon Pflegegeld erhalten haben, über diese Zu- keinen Anspruch auf Leistung hat, wohl aber nach gangsschwelle zumindest fürs erste hinweghelfen. altem Sozialhilferecht, soll seine Ansprüche behal- Damit ist das Problem aber noch nicht gelöst. Denn ten. Dies regelt Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz, für all diejenigen, die jetzt und in den nächsten Jah- die sogenannte Besitzstandswahrung. ren noch pflegebedürftig werden und sich nicht auf den Bestandsschutz berufen können, steht eine Re- Es ist von daher überhaupt nicht nachvollziehbar gelung noch aus. und zu tolerieren, daß zahlreiche Sozialhilfeträger dennoch das bisherige Pflegegeld nach § 69 BSHG ab Zu denen, die auf eine schnelle Lösung warten, ge- dem 1. April 1995 mit Hinweis auf das Pflege-Versi- hören auch die Behinderten, die ihre Pflegekräfte cherungsgesetz eingestellt haben, obwohl alle Vor- selbst eingestellt haben. Die Bestandsschutzregelung aussetzungen für die von uns gewollte Besitzstands- nach Art. 51 des Pflegegesetzes hilft den behinderten wahrung nach Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz Arbeitgebern wenig, da das Pflegegeld nicht aus- vorliegen. Selbst ein gemeinsames Rundschreiben des reicht, um die Pflegekräfte zu bezahlen. Was diese Bundesarbeits- und Bundesgesundheitsministeriums Meinen selbstorganisierten Pflegebetriebe brauchen, an die Obersten Landessozialbehörden und die Kom- ist eine Übergangsregelung, wie sie das SGB XI für munalen Spitzenverbände, in dem auf die klare ambulante, teilstationäre oder Kurzzeitpflegeeinrich- Rechtslage hingewiesen wird und eine vernünftige tungen vorsieht, die schon vor dem 1. Januar 1995 Verfahrensweise vorgeschlagen wird, konnte in vielen Pflegeleistungen erbracht haben. Wenn es nicht Fällen die Sozialhilfeträger nicht dazu bewegen, ent- schnell gelingt, das „Arbeigebermodell" bis zu einer sprechend den gesetzlichen Vorgaben zu verfahren. 3950* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Ich gehe in diesem Zusammenhang auch davon Nach wie vor stehen damit gewachsene Strukturen aus, daß die Sozialhilfeträger ihre Leistungen auch in der Behindertenpflege zur Disposi tion. Für die im Rahmen des sogenannten Arbeitgebermodells PDS besteht realer und umfassender Bestandsschutz von Behinderten uneingeschränkt weiter erbringen dann, wenn bisher mögliche Pflegestrukturen weiter- und so diesem Personenkreis ein selbstverantwort- geführt werden können. Wir fordern deshalb von der liches Leben ermöglichen. Bundesregierung eine öffentliche Klarstellung. Das Modell der persönlichen Assistenz wird im Pflegever- Ich hoffe, daß die Sozialhilfeträger durch die Ver- sicherungsgesetz an keiner Stelle erwähnt, weder abschiedung des heute vorliegenden Entschlie- ablehnend noch zustimmend. Wir fragen die Bundes- ßungsantrages, in dem wir nochmal ganz deutlich regierung: Besteht für dieses Modell Bestandsschutz? und dezidiert unseren gesetzgeberischen Willen be- Wir halten nur bei Bestandsschutz für dieses Modell züglich Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz formu- den § 2 im ersten Kapitel des PflVG über die Selbst- liert haben, bewegt werden, jetzt auch in der Praxis bestimmung für eine ehrliche Zielbestimmung. für die Betroffenen in unserem Sinne zu verfahren. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat den Die PDS hält an der Entschließung für unterstüt- Entschließungsantrag über Fraktionsgrenzen hinweg zenswert, daß mit ihr die von der Bundesvereinigung einstimmig beschlossen. Ich begrüße dies hier aus- kommunaler Spitzenverbände angestrebte Ver- drücklich. Es verstärkt das Signal an die Sozialhilfe- schlechterung im Bestandsschutz zurückgewiesen träger. wird. Leider liegt mit dem uns vorliegenden Schrift- wechsel des BMA mit der Bundesvereinigung Kom- Petra Bläss (PDS): Erneut diskutieren wir über die munaler Spitzenverbände die Vermutung nahe, daß Pflegeversicherung, und es ist klar, daß das nicht das hier die Absichten des BMA zur Einschränkung der letzte Mal sein wird. Das be trachtet die PDS als posi- Besitzstandswahrung nur vorweggenommen wur- tiv, gibt es uns doch die Hoffnung, besonders mißlun- den. Das Ansinnen der Bundesvereinigung Kommu- gene und unausgegorene Bestimmungen dieser Pfle- naler Spitzenverbände wird vom BMA nicht eindeu- geversicherung doch noch korrigieren zu können. tig zurückgewiesen. Eine eindeutige Klarstellung in Auch die heute zur Debatte stehende Entschließung dieser Sache - oder auch eine Bekräftigung entspre- ist im wesentlichen eine Bekräftigung des schon ein- chender Positionen - würde manche Ängste abbauen mal geäußerten Willens des Gesetzgebers. Da damit helfen. keine Korrektur auslegbarer und unklarer Gesetzes- formulierungen verbunden ist, ist auch ein Erfolg Dr. Norbe rt Blüm, Bundesminister für Arbeit und zweifelhaft. Die nicht überzeugende Arbeit der Bun- Sozialordnung: Vor etwas über einem Jahr ist es uns desregierung bei der Formulierung des Pflegeversi- gelungen, in einem besonderen Kraftakt die Pflege- cherungsgesetzes sowie die Hast bei der Beschluß- versicherung Wirklichkeit werden zu lassen. Die Ein- fassung im Bundestag trägt ihre bitteren Früchte. Bit- führung der Pflegeversicherung am 1. Januar 1995 ter ist auch, daß der jetzt mit Vehemenz angemahnte und der Beginn der ambulanten Leistungen am Bestandsschutz nicht ausreichend ist. Besei tigt ist 1. April 1995 sind Meilensteine einer aktiven, am nicht die Einschränkung des Wahlrechts zwischen Menschen orientierten Sozialpolitik. Nun ist es wich- Geld- und Sachleistung. Pflegegeld kann nur ge- tig, die Pflegeversicherung mit Leben zu erfüllen, sie wählt werden, wenn dadurch „keine zusätzlichen entsprechend dem Willen des Gesetzgebers zum Sozialhilfeaufwendungen im Bereich der Hilfe zur Wohle der Bürger umzusetzen. Pflege erforderlich" werden. Das pauschale Pflege- geld nach dem BSHG wird nur neben einer Sachlei- Die ersten Monate haben gezeigt, daß die Pflege- stung (nach § 69b BSHG oder nach § 36 PflVG) versicherung ihre Startphase sowie den Beginn der gewährt. Damit hat kein behinderter Arbeitgeber, ambulanten Leistungen insgesamt gut hinter sich ge- der Pflegegeld der Pflegekasse in Anspruch nimmt, bracht hat und die bundeseinheitliche Anwendung Anspruch auf anteiliges pauschales Pflegegeld nach des Gesetzes weitgehend gewährleistet ist. Der Auf- dem BSHG, weil es sich hier um eine gleichar tige bau der Pflegekassen hat reibungslos funktioniert. Leistung handelt. Die Besitzstandsklausel nach Art. 51 PflVG für Personen, die bisher das pauschale Mittlerweile erhalten 1,1 Millionen in häuslicher Pflegegeld nach § 69 BSHG bezogen haben, kann Pflege be treute Menschen entweder erstmals über- hier keine Anwendung finden. Nur wer die Sachlei- haupt Pflegeversicherungsleistungen oder wesent- stung des PflVG beantragt, kann mit einer Weiter- lich höhere Leistungen als bisher. Dies ist ein Erfolg! gewährung eines Aufstocksungsbetrages im Sinne Dennoch wird heute in der Öffentlichkeit nur über § 51 durch den Träger der Sozialhilfe rechnen - wenn die Dinge geredet, die nicht klappen. Die kleinsten das bisher gewährte pauschale Pflegegeld der Sozial- Probleme scheinen einen größeren Nachrichtenwert hilfe zusammen mit dem zu berücksichtigenden Frei- zu besitzen als die größten Anstrengungen und die betrag von 200 DM nach § 57 Abs. 1 SGB V das pau- Dinge, die funktionieren. schale Pflegegeld nach § 37 PflVG übersteigt. Dabei konnte bei realistischer Be trachtung nie- In jedem Fall ist das bisherige Pflegemodell „be- mand eine völlig reibungslose Umsetzung des hinderte Arbeitgeber" nicht weiterzuführen, da ent- Pflege-Versicherungsgesetzes erwarten. Der Aufbau weder bei einem Antrag auf Pflegegeld nach der eines völlig neuen Sozialversicherungszweiges für PflV die Leistung nicht ausreicht oder bei einem An- rund 81 Millionen Menschen kann einfach nicht ge- trag auf Pflegesachleistung fremde, ambulante Dien- lingen, ohne daß es an verschiedenen Ecken ste mit der Leistungserbringung beauftragt werden. knirscht. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47.Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995 3951*

Und im übrigen: Es ist auch nicht immer eine einzig und allein auf die Rechtsvorschrift des § 69 Folge des Pflege-Versicherungsgesetzes, wenn et- BSHG in seiner am 31. März 1995 geltenden Fassung was nicht klappt, und auch nicht die Schuld der abzustellen ist. Pflegekassen oder des Medizinischen Dienstes. Denn die reibungslose Umsetzung des Pflege-Ver- Im übrigen drängt sich der Verdacht auf, daß die sicherungsgesetzes muß durch alle Beteiligten auf Begründungen von den Sozialhilfeträgem nur vorge- Bundes-, Landes- und Ortsebene gemeinsam si- schoben sind, um die von ihnen gewollte Befristung chergestellt werden. der Besitzstandsregelung zu erreichen, die bisher im Gesetz nicht vorgesehen ist. Es ist allein Sache des Heute muß sich der Bundestag mit Schwierigkei- Gesetzgebers, ob er insoweit eine Änderung des ten der Pflegeversicherung im Verhältnis zur Sozial- Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz vornimmt; sie hilfe beschäftigen, die nicht „hausgemacht" und stellt jedoch keinerlei Rechtfertigung dafür dar, auf ganz offensichtlich nicht auf das Pflege-Versiche- dem Rücken der Betroffenen Leistungen mit der Be- rungsgesetz zurückzuführen sind. Dabei geht es um gründung, Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz sei zwei Punkte, nämlich die Besitzstandsregelung in unklar, einfach zu verweigern. Art. 51 des Pflege-Versicherungsgesetzes sowie die übergangsweise Weitergewährung von Leistungen Das, was von den Sozialhilfeträgern hierzu in den durch die Sozialhilfeträger, bis die Pflegeversiche- letzten Wochen zu Lasten der Pflegeversicherung rung ihre Leistungen erbringt. praktiziert wurde, ist nach meiner Erfahrung eine bisher einzigartige und erstmalige Weigerung, den Vielen Sozialhilfeträgern bereitet die Anwendung erklärten Willen des Gesetzgebers auszuführen. Be- der sogenannten Besitzstandsregelung in A rt. 51 des sonders schlimm ist dabei, daß die örtlichen Träger Pflege-Versicherungsgesetzes Probleme. Und dabei bei diesem Boykott des Sozialstaats auch noch von ist die Besitzstandsregelung eindeutig: Nach Art. 51 den kommunalen Spitzenverbänden unterstützt wer- Pflege-Versicherungsgesetz soll niemand, der bis den. zum 31. März 1995 Pflegegeld nach dem Bundesso- zialhilfegesetz erhalten hat, durch die Einführung Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich der Gesetzge- der Pflegeversicherung schlechtergestellt werden. ber die Auswirkungen der Pflegeversicherung auf Trotz dieser klaren Regelung wurde aber vielfach das die Sozialhilfe nicht vorgestellt hat, ist die Einstel- bisherige Pflegegeld nach § 69 Bundessozialhilfege- lung bisheriger Pflegegeldzahlungen durch die So- setz - alte Fassung - ab dem 1. April 1995 mit dem zialhilfeträger, obwohl Leistungen der Pflegeversi- Hinweis auf das Pflegeversicherungsgesetz einge- cherung noch nicht erbracht werden können, weil stellt, obwohl alle Voraussetzungen für die vom Ge- die Anträge bei den Pflegekassen noch nicht ent- setzgeber gewollte Besitzstandswahrung nach A rt. 51 schieden sind. Durch diese Verfahrensweise ist große Pflege-Versicherungsgesetz vorliegen. Unruhe und Verängstigung bei den Pflegebedürfti- gen entstanden. Im wesentlichen wird behauptet, daß der Besitz- stand bei den Personen ausgeschlossen sei, die nicht Nach dem in der Sozialhilfe geltenden Bedarfsdek- mindestens der Pflegestufe I - erheblich pflegebe- kungsprinzip kann es nicht zweifelhaft sein, daß die dürfig - nach dem SGB XI zuzuordnen sind, die bis- bisherigen Leistungen nach dem Bundessozialhilfe- her keine Leistungen nach dem § 57 SGB V - Pflege- gesetz weiter zu gewähren sind, bis die Pflegekasse geld bei Schwerpflegebedürftigkeit im Rahmen der als vorrangig verpflichteter Träger tatsächlich ihre GKV - erhalten haben, bei denen infolge einer nied- Leistungen erbringt. rigeren Einstufung nach dem SGB XI die dieser Zu- ordnung entsprechenden Einkommensgrenzen - Die Praktiken mancher Sozialhilfeträger sowohl §§ 79, 81 BSHG - überschritten sind. bei der Anwendung der Besitzstandsregelung in Art. 51 PflegeVG als auch bei der übergangsweisen Alle diese Begründungen sind sowohl nach dem Weitergewährung von Sozialhilfeleistungen müssen Wortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck des im Interesse und zum Wohl der Behinderten und Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz rechtlich nicht Pflegebedürftigen, aber auch im Interesse der Ak- haltbar, weil sie vor allem den gesetzgeberischen zeptanz der Pflegeversicherung in der gesamten Be- Willen bei der Auslegung dieser Vorschrift entweder völkerung, umgehend beendet werden. gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße berück- sichtigen. Vor allem lassen sie den Grundsatz einer Wenn im Zusammenhang mit dem Beginn der Pfle- dem Pflegebedürftigen möglichst günstigen und geleistungen am 1. April von Chaos und Skandal die wohlwollenden Auslegung und Anwendung des Ge- Rede war, so kann damit nicht der Antragsstau ge- setzes außer Be tracht. meint gewesen sein; der Stau war wegen der vielen verspätet gestellten Anträge unvermeidbar. Wenn es Es war erklärter Wille des Gesetzgebers, daß die beim Anlaufen der Pflegeversicherung einen Skan- bisherigen Pflegegeldempfänger nach § 69 Bundes- dal gegeben hat und noch gibt, so liegt das an der sozialhilfegesetz - alte Fassung - unabhängig von ih- Verweigerungshaltung der Sozialhilfeträger. rer Einstufung nach dem Pflege-Versicherungsgesetz keine Nachteile durch die Einführung der Pflegever- Es ist den Betroffenen nicht zumutbar, zunächst sicherung erleiden sollen. Dieser in der amtlichen Be- auf dem Rechtswege eine Korrektur dieser Praktiken gründung nachzulesende Sachverhalt zeigt eindeu- zu erstreiten, sondern es muß eine sofortige gesetzes- tig und ohne Spielraum für sonstige Auslegungsva- konforme Verwaltungspraxis im Interesse der Betrof- rianten, daß für die Feststellung des Besitzstandes fenen erreicht werden. 3952* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. Juni 1995

Diesem Ziel dient die vorliegende Beschlußemp- ten über die Finanzverantwortung auf dem Rücken fehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- der Pflegebedürftigkeit geben darf. nung. Sie soll ein deutliches Signal an die Sozialhilfe- träger sein, den im Entschließungstext noch einmal Kein Stadtkämmerer, kein Bürgermeister und kein klargestellten Willen des Gesetzgebers bei ihrer Ver- Landrat kann sich nach diesem Votum noch hinter der waltungspraxis zu beachten und die Bestimmungen Schutzbehauptung verstecken, er habe nicht erken- des Pflege-Versicherungsgesetzes richtig anzuwen- nen können, was der Gesetzgeber gewollt habe. Jeder, den. der die Besitzstandsregelungen nun immer noch nicht so anwendet, wie das Gesetz es vorsieht, darf sich nicht wundern, wenn ihm vorgehalten wird, er wolle nur ei- Alle sonstigen Hinweise, beispielsweise überein- nes: Die kommunale Kasse ohne Rücksicht auf die stimmende Äußerungen des Bundesgesundheitsmi- hilfsbedürftigen Pflegebedürftigen und deren Sorgen nisteriums, des Bundesarbeitsministeriums und der und Nöte sanieren. Solches Verhalten ist nicht nur un- Arbeits- und Sozialminister der Länder, sind bisher gesetzlich, sondern auch herzlos. wirkungslos geblieben. Es bleibt zu hoffen, daß die heutige einstimmige Ich bin den Mitgliedern dieses Hohen Hauses sehr Erklärung des Bundestagsplenums als Wink mit dem dankbar dafür, daß sie heute hier noch einmal in gro- Zaunpfahl auch vom letzten Sozialhilfeträger richtig ßer Einmütigkeit klarstellen, daß es keine Streitigkei verstanden wird.

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