Schöne Bilderhandschriften

Herausgegeben von Karl-Heinz Hellenbrand, Wolfgang Schmid und Patrick Trautmann

Libri Pretiosi Mitteilungen der Bibliophilen Gesellschaft Trier e. V. 20

Trier 2017

1 DANKSAGUNGEN

Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren, die durch ihre Artikel zum Gelingen des vorliegenden Heftes von LIBRI PRETIOSI beigetragen haben. Ein besonders herzlicher Dank geht an all diejenigen, die für dieses Heft Abbildungen zur Verfügung gestellt haben.

MITGLIEDSBEITRAG

Alle Mitglieder werden gebeten, den Mitgliedsbeitrag von EUR 20 — ermäßigt EUR 10 — im ersten Viertel des jeweiligen Jahres zu entrichten.

TITELBLATT

Das Titelblatt zeigt eine Initiale aus einer St. Galler Handschrift des 10. Jahrhunderts. Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars Trier, Hs. 106.

IMPRESSUM

LIBRI PRETIOSI (ISBN 978-3-947470-08-2) erscheint jährlich als Mitgliederzeitschrift von Pro Libris – Bibliophile Gesellschaft Trier e. V.

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Geschäftsführer: Patrick Trautmann ([email protected])

Vorstand: Dr. Hans-Joachim Kann (1. Vorsitzender, † 2015), Prof. Dr. Wolfgang Schmid (2. Vorsitzender und Schriftleiter der Zeitschrift), Patrick Trautmann (Geschäftsführer), Dr. Karl-Heinz Hellenbrand (Schatzmeister), Gaby Fischer (Kustodin), Marco Brösch, Gabriele Neusius (Beisitzer), Dorothee Serwe und Sybille Schneider (Kassenprüfer)

Redaktion: Prof. Dr. Wolfgang Schmid ([email protected]), Dr. Karl-Heinz Hellenbrand, Patrick Trautmann

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2 3 INHALT:

EDITORIAL REZENSIONEN:

Franz Ronig und die (Erforschung der) Wolfgang Eckhardt, Julia Neumann, Tobias Trierer Buchmalerei Schwinger und Alexander Staub (Hg.), Was- serzeichen, Schreiber, Provenienzen. Neue Hans-Walter Stork ...... 5 Methoden der Erforschung und Erschließung von Kulturgut im digitalen Zeitalter. Frank- WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE: furt 2016. (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband 119) Der Traum von Heldentum und Liebe – Stauferbegeisterung und Ritterromantik Patrick Trautmann ...... 81 in Kaiser Heinrichs Romfahrt und in der Manessischen Liederhandschrift Uwe Jochum: Bücher: Vom Papyrus zum E- Book, Darmstadt 2015 Wolfgang Schmid ...... 6 Patrick Trautmann ...... 83 Umb der layen willen Die religiöse Unterweisung der Laien in der Michael Bender: Forschungsumgebungen in Zeit des frühen Buchdrucks den Digital Humanities. Nutzerbedarf – Wis- senstransfer – Textualität (Sprache und Wis- Michael Oberweis ...... 14 sen, 22). Berlin/Boston 2016, XIII, 341 S.

Die Mainzer Karmelitenbibliothek Matthias Schneider ...... 83 Schlaglichter auf einen rekonstruierten Wissensraum Verzeichnis der Verfasserinnen und Verfasser ...... 87 Annelen Ottermann ...... 25

Die Illustrationen der byzantinischen Rand- psalterien – Der Chludovpsalter und seine Verwandten

Christine Stephan-Kaissis ...... 43

BERICHTE:

Projektskizze: Digitale Edition der Medulla Gestorum Treverensium (1514) des Johann Enen – Grundstein für ein Portal der Rheinischen Heiltumsdrucke –

Matthias Schneider ...... 77

2 3 Gerichtsszenen. Schließlich erreichte Hein- WISSENSCHAFTLICHE rich sein Ziel: die Kaiserkrönung in Rom. BEITRÄGE Die „Romfahrt“ endet jedoch nicht mit der Rückkehr in die Reichs- und Tagespolitik, Der Traum von Heldentum sondern damit, dass der junge Kaiser in sei- und Liebe nem Kampf um die Rechte des Reichs den Tod fand. Bereits sein Vater Heinrich VI. war Stauferbegeisterung und durch seinen Tod in der Schlacht bei Worrin- Ritterromantik in Kaiser gen (1288) zum Helden geworden; sein Sohn Heinrichs Romfahrt und in der Johann der Blinde fiel 1346 in der Schlacht Manessischen Liederhandschrift bei Crécy. Die in der Bilderhandschrift kon- struierte glanzvolle Vita Heinrichs VII. ist Wolfgang Schmid eine Empfehlung, bei der nächsten Königs- wahl wieder einen Kandidaten aus dem Hau- 1308 wurde Heinrich aus dem Hause se Luxemburg zu wählen. Wahrscheinlich Luxemburg zum römischen König gewählt. entstand unsere Bilderhandschrift im Vorfeld Als erster deutscher Herrscher nach dem der Wahl Karls IV. im Jahre 1346. Zudem Staufer Friedrich II. im Jahre 1220 zog er wird unterstrichen, was für eine wichtige nach Rom, um sich zum Kaiser krönen zu Stütze der Reichspolitik Kurtrier ist, von lassen. Doch seine hochfliegenden Pläne für der finanziellen Unterstützung des Unter- ein luxemburgisches Kaiserhaus zerschlugen nehmens bis hin zum Bild des streitbaren sich, nach seinem Bruder Walram und seiner Erzbischofs Balduin, der mehrfach mit dem Frau Margarete starb Heinrich auf seiner Schwert in der Hand dargestellt ist (fol. 19, Romfahrt im Jahre 1313 und wurde in Pisa 22, 28, Tafeln 1b, 2a und 3a). begraben. Zu seinem Nachfolger wählten die Die Bilderhandschrift ist darüber hinaus Kurfürsten Ludwig den Bayern. ein Denkmal für die Teilnehmer der „Rom- Ungefähr drei Jahrzehnte später ließ fahrt“, darunter Adelige aus dem Reich, vor Heinrichs Bruder Balduin von Luxemburg, allem aber zahlreiche Ritter aus Kurtrier und Erzbischof von Trier, eine Bilderhandschrift Luxemburg. Wappen und Banner ermög- anfertigen. Sie umfasst 73 Federzeichnun- lichen eine Identifizierung. Die Mitstreiter gen auf 37 Pergamentblättern in Folio und sind häufig als geschlossen hinter dem Kö- wurde vermutlich von einem in Paris ge- nig reitendes Gefolge dargestellt, oft auch schulten Buchmaler angefertigt, worauf die als Teilnehmer von Einritten und Hoftagen, zurückhaltende, fast monochrome Kolorie- vor allem aber auch tapfere Ritter in der rung hinweist. Sie zerfällt in drei Teile, ei- Schlacht. Mehrere Bilder zeigen das mit ei- nen Prolog von fünf Blättern, die eigentliche nem furor teutonicus von links heranspren- „Romfahrt“ von 29 sowie den Tod und das gende Reichsheer, das den Gegner hinweg- Begräbnis Kaiser Heinrichs auf drei Folios. fegt. Banner, Schilde sowie die Wappenmän- Die Bilderhandschrift enthält mehrere tel der Ritter und Pferde identifizieren die Botschaften. Sie deutet die „Romfahrt“ nicht einzelnen Beteiligten. Im dichten Gedränge als Fiasko, sondern als Erfolgsgeschichte. gibt es einen heftigen Reiterkampf, Mann Zahlreiche Reiterbilder zeigen, wie König gegen Mann. Schädel werden gespalten, Heinrich an der Spitze eines geschlossen Köpfe liegen auf dem Boden. hinter ihm reitenden Reichsheeres nach Aber entspricht diese Darstellung des Oberitalien zieht. 13mal wird die Übergabe Krieges als ritterlichem Zweikampf den Tat- der Stadtschlüssel gezeigt, auf die das Ze- sachen? Auf fol. 12 sieht man die Belagerer remoniell des feierlichen Adventus in den von Brescia, von denen einer eine Armbrust italienischen Städten reduziert wird. Hinzu abschießt, auf fol. 19 (Tafel 1b) kämpfen auf kommen fünf Hoftage, Eidesleistungen und beiden Seiten kleine Soldaten mit Bogen, 6 7 Armbrust und Wurfgeschossen und auf fol. Auch die Frage der Vorlagen unserer Bil- 29 finden sich kleine Belagerer von Florenz. derhandschrift ist durchaus noch ein span- Die Nichtadeligen sind in der Regel einem nendes Forschungsfeld. Natürlich liegt es Bedeutungsmaßstab entsprechend kleiner nahe, den umfangreichen und detaillierten dargestellt als die Adeligen. Wir finden zwei- Bericht, den die Balduin von Luxemburg be- mal eine Armbrust, einmal eine Lanze, ein- treffenden Kapitel der „Gesta Treverorum“ mal einen Bogen (ein nicht dargestellter Bo- enthalten, heranzuziehen. Dass man die Bil- genschütze tötete den Grafen Walram) und der der „Romfahrt“ nicht ohne einen Blick einmal – bei der Belagerung von Brescia – in die umfangreichen chronikalischen und eine Wurfschleuder, eine Verteidigungsblide. urkundlichen Quellen der oberitalienischen Fußtruppen und Belagerungsmaschinen sind Städte interpretieren kann, haben die Rezen- sonst nicht dargestellt. Stattdessen sehen wir sionen zu der Neuausgabe von 2009 gezeigt. hochgerüstete Adelige mit bunten Wappenrö- Möglicherweise dienten auch die von Otto cken und Pferdedecken in den gleichen Far- von Freising begonnenen und von Rahewin ben beim Reitergefecht Mann gegen Mann. fortgesetzten „Gesta Friderici“, die Taten Eine bemerkenswerte Ausnahme finden wir Kaiser Friedrichs I., als Vorlage: Sie schil- auf fol. 27 (Tafel 2b): Hier ist die Eroberung dern nicht nur die Italienzüge Barbarossas, der Burg San Giovanni bei Montevarchi die als Vorbild des gesamten Unternehmens dargestellt. Ein todesmutiger Streiter erklet- gedient haben könnten, sondern auch detail- tert auf einer Leiter einen zinnenbewehrten liert die Zerstörung Mailands 1162. Themen Turm, auf dem zwei Verteidiger mit Steinen des diplomatischen Zeremoniells und der nach ihm werfen. Nachträglich ist der tapfere symbolischen Kommunikation wird dabei Mann beschriftet: Johannes Barbier primus. eine große Aufmerksamkeit geschenkt. Er ist deutlich kleiner dargestellt und besitzt Zum Zweiten stellte die Darstellung des kein Wappen, es handelt sich also nicht um geschlossen hinter dem Kaiser reitenden einen Adeligen, aber um einen Mann, dessen Reichsheeres eine Fiktion dar, die ebenso Heldentat die Bilderhandschrift trotz seines wenig den Tatsachen entspricht wie die Dar- niederen sozialen Standes dokumentiert. stellung der Feldschlachten als Folge von Halten wir fest: Die Bilderhandschrift von ritterlichen Zweikämpfen. Auch hier wird Kaiser Heinrichs Romfahrt besitzt retrospek- auf die große Zeit des Rittertums im Zeital- tive Züge, und zwar in doppelter Hinsicht: ter der Staufer zurückverwiesen. Einhundert Zunächst einmal war das ganze Unterneh- Jahre später haben sich durch neue Techni- men ein Anachronismus. Seit Friedrich II. im ken der Kriegsführung und die zunehmende Jahre 1220 war kein römischer König mehr Territorialisierung – die ja gerade mit dem zu einer Kaiserkrönung nach Rom gezogen. Namen Balduins von Luxemburg verbunden Vorher waren es Friedrich Barbarossa (1155) ist – gänzlich andere Rahmenbedingungen und der langjähriger Gegenkönig Otto IV. ergeben: Der Adel verlor ganz erheblich an (1209). Heinrich VII. versuchte, an die Itali- politischer und militärischer Bedeutung. enpolitik der Staufer anzuknüpfen. In diesen Schlagen wir jetzt einfach einmal die Ma- Kontext gehört auch die Überführung seiner nessische Liederhandschrift auf. Auf fol. 18 Vorgänger Adolf von Nassau († 1298) und (Tafel 5) finden wir den Herzog Johann von Albrecht von Habsburg († 1308) in den Kai- Brabant, der 1288 an der Schlacht von Wor- serdom in Speyer. Auch die Luxemburger ringen teilgenommen hatte. Er starb 1294 bei Karl IV. (1355) und Sigismund (1433) sind einem Turnierunfall. Wir haben also eben- noch zur Kaiserkrönung nach Rom gezogen. falls ein großformatiges Pergamentblatt, Aber von einer ambitionierten Italienpolitik das aber, anders als die „Romfahrt“, nicht und einer Wiederherstellung der Rechte des in zwei Register geteilt ist. Die Kolorierung Reiches in Oberitalien kann man kaum noch ist aufwendiger, einige Partien sind sogar sprechen. vergoldet. Der Hintergrund ist in der Regel 6 7 – wie auch in Kaiser Heinrichs Romfahrt – Der Turmhahn und die Fahnen sprengen den leer. Die Rahmen sind farbig gefasst. Die Bildrahmen. Beschriftungen beschränken sich auf den Jetzt stellen sich mehrere Frage: Was ma- Namen des Dargestellten, deren Liedertexte chen diese Schlachten- bzw. Kampfesszenen auf den folgenden Seiten stehen. in einer Liederhandschrift, die Minnelieder Von rechts nach links sprengt der Herzog zusammenstellt? Zweitens fragt man sich mit drei Begleitern heran. Zwei von ihnen nach dem Zusammenhang mit gleich drei holen mit ihren Schwertern aus, die – um die Kreuzzugsdarstellungen. Zum Dritten zeigt Dramatik der Darstellung zu steigern – den sich ein enger Zusammenhang mit den Tur- Rahmen des Bildes überschneiden. Der dritte nierdarstellungen in der Liederhandschrift. hält das Banner des Herzogs. Wie die Klein- Und schließlich ist als Viertes die Frage von ode und die Waffenröcke zeigen, handelt es Interesse, wer eigentlich Werner von Hom- sich um drei Adelige. An der Spitze reitet der berg war. Herzog Johann von Brabant. Es ist der dra- Nun finden wir Werner von Homberg matische Moment dargestellt, in dem er die auch auf fol. 10 (Tafel 1a) in der Bilderhand- Verfolgten einholt. Einer dreht sich gerade schrift von Kaiser Heinrichs Romfahrt. Wer- herum, wobei er wirkungsvoll den Rahmen ner hat an der Belagerung von Mailand im tangiert. Der andere Verfolgte macht eben- Jahre 1311 teilgenommen. Wir erkennen ihn falls kehrt und holt mit dem Schwert aus. Zu im Vordergrund, wie er in voller Rüstung in spät, Herzog Johann spaltet ihm mit einem der Mitte des Reichsheeres heranreitet und gewaltigen Hieb den Schädel. einem der Aufständischen mit einem gewal- Auf fol. 43 (Tafel 8) sehen wir den Grafen tigen Hieb den Schädel spaltet. Das Blatt Werner von Homberg. Der aus der Schweiz fällt durch seine aufwendige Kolorierung stammende Ritter kämpfte 1304 mit dem aus dem Rahmen. Viele Autoren, auch der Deutschen Orden in Litauen und fand 1320 Verfasser, dachten bisher, der Ritter mit dem bei der Belagerung von Genua den Tod. schwarzen Reichsadler auf goldenem Schild Vielleicht sollte die Schlacht in der Bilder- sei König Heinrich VII. Dazu passt die pro- handschrift dargestellt werden. Von rechts minente Darstellung im oberen Register, zu sprengt Graf Werner an der Spitze seines der eine ebenfalls aufwendig kolorierte Dar- Gefolges heran. Das Gedränge ist so groß, stellung eines Hoftags unten gehört. Wir hät- dass die Zahl der Begleiter kaum zu zählen ten also Heinrich VII. als streitbaren Kriegs- ist. Schwerter sind nicht dargestellt, nur ein fürsten und als milden Friedensfürsten, der Banner, aber die Waffenröcke und Helm- auf beiden Wegen die Interessen des Reichs kleinodien zeigen, dass es sich ebenfalls in Italien durchsetzt. Werner von Homberg um Adelige handelt. An der Spitze reitet führt aber, wie das Banner eindeutig zeigt, Graf Werner, dessen voluminöser Wappen- einen geteilten goldenen Schild, der zweimal rock das Bild beherrscht. Er holt mit seinem mit einem Adler belegt ist. Der König bzw. Schwert aus, ebenso der verfolgte Ritter, Kaiser dagegen führt im Wappen nur einen der sich gerade herumdreht. Sein Begleiter Adler und ist zudem durch eine Krone ge- ist bereits getroffen. Vor einem Burg- oder kennzeichnet. Wir hätten also einen bedeu- Stadttor stellen sich Verteidiger in Form von tenden Kriegsfürsten und Minnesänger vor Fußtruppen entgegen. Sie sind deutlich klei- uns, dessen Nachruhm gleich zwei Bilder- ner dargestellt als die Ritter und mit Schwer- handschriften sicherten. tern, Speeren und Schilden bewaffnet. Links Zum Zweiten: Um 1300 entstand am oben erkennt man eine Burg, vielleicht das Oberrhein – wahrscheinlich in – der belagerte Genua mit einer Kirche, einem Plan, die Lieder der Minnesänger, die in Ver- Turm und einem Erker, von wo aus mehre- gessenheit zu geraten drohten, in einer Sam- re Frauen das Kampfgeschehen verfolgen. melhandschrift zusammenzutragen. Diese Ihre Gesten lassen ihre Aufregung erkennen. Tätigkeit zog sich bis gegen 1340 hin, betei- 8 9 ligt waren insgesamt elf Schreiber und vier noch nicht einmal den Namen wussten. Fast Maler. Es entstand ein prachtvoll ausgestat- alle Dichter – 116 von 138 – erhielten da- teter Codex aus 426 beidseitig beschriebenen rüber hinaus ein Wappen, das oftmals Ele- Pergamentblättern, der die Texte von 140 mente aus dem Namen, der Biographie oder Dichtern enthält, Texte, von denen mehr als dem Minnelied aufgreift. Man mag daran die Hälfte nur in dieser Handschrift überlie- zweifeln, ob alle diese Minnesänger adeli- fert sind. Der Codex ist mit 138 ganzseitigen gen Standes waren. Aber ihre Nobilitierung Miniaturen ausgestattet, die die einzelnen entspricht dem überhöhten Bild des Minne- Minnesänger darstellen. sängers, der oftmals als prachtvoll gekleide- Wenn man den Codex nicht nach seinem ter, thronender, einem Schreiber seine Lie- Aufbewahrungsort als Große Heidelberger der diktierender Dichterfürst dargestellt ist; Liederhandschrift benennt, wird er als Ma- diese Überhöhung des Berufsstandes steht in nessische Liederhandschrift bezeichnet. Die einem merkwürdigen Gegensatz zu den Kla- Züricher Patrizier Rüdiger († 1297) und sein gen über eine unzulängliche Honorierung Sohn Johannes Manesse († 1304) werden an durch die Fürsten. Hervorzuheben ist auch einer Stelle als Sammler von Liederbüchern der heraldische Schmuck, der wesentlich gelobt, an anderen Stellen werden ein Bürger aufwendiger ist als der der „Romfahrt“: Fast und eine Äbtissin aus Zürich, der Konstan- alle Wappen besitzen neben dem Schild ein zer Bischof und die Äbte von Einsiedeln und Kleinod und oft auch eine spärliche Helm- Petershausen genannt. Der Codex entstand decke. Weiterhin ist bemerkenswert, dass die also nicht an einem Fürstenhof, sondern im Wappen innerhalb des Bildgefüges breiten Milieu des städtischen Patriziats, des Stadta- Raum einnehmen. Deshalb mussten die Ma- dels, und er wurde erst nach der Blütezeit des ler in den meisten Bildern Schild und Klein- Minnesangs, die zwischen 1180 und 1200 od voneinander trennen und nebeneinander lag, in Auftrag gegeben. platzieren. Der war eine literarische Die 138 Bildnisse lassen sich verschiede- Kunstform, in der ein Ritter eine sozial höher nen Gruppen zuordnen: Zunächst die Dich- stehende Dame verehrte. Er schilderte ihr in ter- bzw. Autorenbildnisse und dann die bewegenden Worten seine Liebe und seinen Reiterbilder, die an Reitersiegel erinnern. Schmerz. Bei der Jagd und bei Turnieren, Der mit Abstand größte Teil der Illustratio- im Krieg und auf Kreuzzügen vollbrachte er nen kreist um das Thema Minne, das in al- Heldentaten, die letztlich seiner moralischen len Variationen präsentiert wird. Die Ritter Vervollkommnung dienten. Höfische Liebe sind in der Regel außerordentlich schlank blieb jedoch stets unerfüllte Liebe. Deshalb und haben lange blonde Locken; es ist das ist auch in der Liederhandschrift keine einzi- gleiche Schönheitsideal, das wir auch in der ge Hochzeit dargestellt. „Romfahrt“ finden. Auch die kostbaren, mit Die Anordnung der Minnesänger erfolg- Pelz gefütterten Mäntel findet man in beiden te nach Ständen. Den Auftakt machen der Handschriften. Dabei ist in der Liederhand- Stauferkaiser Heinrich VI. († 1197), der schrift anhand des weißen Flecks zu erken- staufische König Konradin († 1268), König nen, dass es sich um kostbare Eichhörnchen- Tyro von Schotten, eine literarische Figur, felle handelt. Die Damen wirken in der Regel und König Wenzel II. von Böhmen († 1305). recht mädchenhaft, sie führen häufig einen Es schließen sich Herzöge, Markgrafen und Schoßhund mit, ein Attribut ihrer Vornehm- Grafen an, ritterbürtige Dienstmannen, Pa- heit, aber auch der Unnahbarkeit, ein Schutz trizier, Geistliche, Gelehrte und schließlich vor Übergriffen ihres Liebhabers, der wiede- einfache Spielleute. rum auf die Zuneigung seiner Herzensdame Die Maler der Miniaturen standen vor zu ihrem Hund eifersüchtig ist. Überhaupt ist dem Problem, dass sie 138 Minnesänger die Zahl der Regel- und Grenzverletzungen porträtieren mussten, von denen sie zum Teil etwa durch eine Entführung oder durch ge- 8 9 walttätige Verehrer, die sogar in das Schlaf- von St. Matthias oder zu den Naumburger zimmer der unbekleideten Dame eindringen, Stiftern. so groß, dass gelegentlich Zweifel am Ideal Retrospektive Tendenzen weist auch die der höfischen Minne geweckt werden. ritterliche Welt auf, wie sie in den Illustrati- Einen breiten Raum nimmt das Thema onen dargestellt ist. Die höfische Minne war „Jagd“ ein, von der Jagd mit Falken über die eine Fiktion, eine literarische Kunstform. Vogeljagd, den Kampf gegen nicht ungefähr- Interessanterweise entstand der Codex Ma- liche Wildschweine und Bären bis hin zum nesse nicht an einem Fürstenhof, sondern im Fischfang. Zum einen war die Jagd der Sport patrizischen Milieu, wo man sich für die Rit- des Adels schlechthin, der zudem im Hofle- terideale und die Minnelyrik begeisterte. Das ben eine wichtige Rolle spielte. Zum Zwei- Bild des verklärt dargestellten Rittertums ge- ten konnte sich der Ritter als intelligenter, hört eher in die Regierungszeit der Staufer als zielstrebiger, listenreicher und geschickter in die Balduins von Luxemburg, in der bei- Jäger beweisen und damit seine ritterlichen de Handschriften entstanden. Das Rittertum Tugenden unter Beweis stellen. So sind die sei ein Traum von „Heldentum und Liebe“ Parallelen zwischen der Jagd und der Minne, schrieb Johan Huizinga in seinem „Herbst dem Jäger und dem Liebhaber unübersehbar. des Mittelalters“. Er hatte zwar die Hofkul- Eine weitere Gruppe von Illustrationen tur der burgundischen Niederlande des 15. verbildlicht Themen des Hoflebens: den hö- Jahrhunderts vor Auge. Was er schrieb, lässt fischen Tanz oder das Spiel (Schach, Back- sich auch auf die höfische Gesellschaft des gammon). Von Erzbischof Balduin von Lu- 13./14. Jahrhunderts übertragen. xemburg berichten die „Gesta Treverorum“, Ein wichtiges Thema, das zudem einen er habe sich in seiner Freizeit mit seinen Brückenschlag zu den gezeigten Schlach- Gefährten im Springen, Laufen und Stei- tenszenen bildet, sind Turniere, die ebenfalls newerfen gemessen. Insofern entspricht es breiten Raum einnehmen. Wie bei der Jagd durchaus höfischen Standards, wenn Burg- konnten die Adeligen hier ihre Geschick- graf Heinrich von Lienz auf fol. 115 beim lichkeit und ihren Kampfgeist unter Beweis Steinewerfen dargestellt ist. Ein Wurf- oder stellen, konnten miteinander und um die Zu- Kegelspiel zeigt fol. 339, zwei modisch ge- neigung der Damen wetteifern. Wir sehen kleidete junge Herren werfen mit Bällen auf fol. 11 Herzog Heinrich von Breslau als oder Scheiben auf ein unbekanntes Ziel, ein strahlenden Sieger, wie er nach gewonnenem Diener schenkt Wein aus und stellt eine ge- Turnier von seiner Dame einen Blütenkranz bratene Gans hin. empfängt. Sie sitzt mit drei weiteren Frauen Bevor wir auf die Kampf- und Schlach- hinter einer prächtigen Arkade. Der Ritter ist tenszenen zurückkommen, sei festgehalten, von zahlreichen Turnierhelfern und Musi- dass auch die Manessische Liederhand- kanten umgeben. Auf der Wappendecke des schrift retrospektive Tendenzen aufweist, Pferdes lesen wir viermal das Wort AMOR. und zwar in mehrfacher Hinsicht: Zunächst Herzog Heinrich hat also gekämpft, um sei- fixiert sie die Denkmäler einer literarischen ne Liebe zu beweisen, und er hat gewonnen. Gattung, deren große Zeit vorüber ist und in Freilich besteht der Preis nur in einem Blu- Vergessenheit zu geraten droht. Die Minne- menkranz. lieder werden nicht nur gesammelt, sondern Es gibt zwei Grundformen des Turniers, in einem prachtvoll illustrierten Codex prä- den Buhurt, das Massengefecht, und den sentiert, in dem sich auch die freilich phanta- Tjost, den Einzelkampf. Unsere Maler stel- sievollen Bildnisse der Autoren finden. Die- len höchst dramatische Szenen dar, zwei se Bildergalerie weist Parallelen auf zu den gerüstete Reiter prallen im vollen Galopp Stifter- bzw. Bischofsserien im Codex Eg- aufeinander, ihre Lanzen zersplittern und berti, auf dem goldenen Buch von Prüm, am der Verlierer wird vom Pferd geworfen. Tur- Karlsschrein in Aachen, an der Staurothek nierhelfer unterstützen sie, feuern sie an und 10 11 kämpfen auch gegeneinander. Auf der Tribü- der Linke drückt ihn an seiner Schulter hin- ne sitzen Musiker und die Damen (fol. 52, unter. Ihre Helme haben die Verlierer schon 61, 192, 397). Auch die Bilderhandschrift verloren, sie liegen auf dem Boden. Die drei von Kaiser Heinrichs Romfahrt zeigt auf Gewinner holen mit dem Schwert aus. Ob sie fol. 34 (Tafel 3b) ein Turnier, das mitten im damit zuschlagen? Oder werden sie eher den Krieg in Pisa stattfand. Auffällig sind die Schwertknauf benutzen? ansonsten nicht verwendeten Helmkleinode Im Mittelpunkt einer anderen Miniatur und die Krönchen auf den Turnierlanzen, die steht Graf Albrecht von Heigerloch, der 1298 verhindern, dass sich die Ritter aufspießten. in einer Schlacht bei seiner Burg Leinstetten Neben Turnieren mit Lanzen gab es fiel. Davon ist jedoch auf fol. 42 (Tafel 7) Kämpfe mit Schwertern. Der Balkon mit nichts dargestellt, wir sehen den Grafen in den Damen und die Wappen machen deut- voller Rüstung und zu Pferd von links heran- lich, dass es sich auch hier um ein Turnier preschen, wie er einen Gegner an der Schulter handelt. Gleich fünf Damen beobachten mit packt und mit seinem Schwert weit ausholt, großer Erregung das Duell eines Herrn von um ihn zu erschlagen. Seinen Helm hat dieser Scharffenberg, bei dem die beiden unge- schon verloren. Links sprengt ein Bannerträ- rüsteten Kontrahenten nur mit Schwert und ger mit erhobenem Schwert heran, links und Schild ausgestattet sind. Auf einem ande- rechts umklammern weitere Begleiter ihre ren Bild besitzen die Streitenden sogar nur Feinde und schlagen mit dem Schwert auf einen Faustschild (fol. 190, 204). Fol. 321v sie ein, vorne rechts liegt ein blutüberström- (Tafel 9b) zeigt einen Zweikampf zwischen ter Mann auf dem Boden. Überall fließt Blut, zwei hochgerüsteten Rittern. Herr Dietmar auch die Pferde der Verlierer sind verwun- der Setzer spaltet seinem Kontrahenten mit det, und vom Schwert des Grafen Albrecht einem gewaltigen Schwerthieb Helm und spritzen die Blutstropfen. Auf der rechten Schädel. Da genau dieses Element sowohl in Seite ist Burg Leinstetten dargestellt. Drei der Liederhandschrift als auch in der „Rom- Frauen stehen auf einem Balkon und schau- fahrt“ mehrfach vorkommt, kann man das en zu. Ihre verzweifelt ringenden Hände Schädelspalten als die waidmännische Art bringen ihre Aufregung zum Ausdruck. Wir bezeichnen, einen Ritter zu erlegen. Man haben also die gleiche Form der Zuschauer- sagt auch Schwabenstreich dazu. beteiligung wie bei einem Turnier und auch Die erregten Gesten und die Mimik der der Reiterkampf mit dem Schwert entspricht drei Frauen, die dem Turnier zusehen, zei- dem. Freilich verschweigt das Bild, dass der gen, dass Minne nicht nur ein Spiel oder Graf in der Schlacht fiel. Die Bilderhand- eine gesellschaftliche Konvention war schrift präsentiert ihn als strahlenden Sieger. und auch nicht einseitig auf den Ritter be- Der Tod auf dem Schlachtfeld machte den schränkt blieb, sondern durchaus auch bei Ritter zum Helden. den Frauen Emotionen weckte; ihre Erre- Neben dem Bedeutungsmaßstab, der gung passt nicht so recht zum Ideal einer Adelige von Nichtadeligen unterscheidet, Hofdame, die sich durch ihre Zurückhal- finden sich in beiden Handschriften auch tung auszeichnet. Überraschend ist auch das Beispiele für unritterliche Kampfesformen. hohe Maß an Brutalität in der ansonsten so In der „Romfahrt“ bewerfen beim Kampf heilen Hofwelt. Doch dürfen wir hier keine um Rom die Italiener die Trierer und Lu- heutigen Maßstäbe anlegen. xemburger Ritter auf fol. 19 mit Steinen. In Neben dem Tjost gab es den Buhurt, bei der Liederhandschrift finden wir auf fol. 229v dem Gruppen aufeinanderprallen. Herzog Al- den „Düring“ (Tafel 9a), der seine Burg vertei- brecht I. von Askanien und Anhalt mit seinen digt. Wir sehen den riesigen Ritter hinter ei- zwei Begleitern ist auf fol. 17 (Tafel 4) klar ner Zinnenbrüstung über dem geschlossenen im Vorteil: Zwei von ihnen haben die Köp- Burgtor, sein Helm besitzt ein gewaltiges fe ihrer Gegner mit dem Arm festgeklemmt, Kleinod, er trägt Schild, Schwert und hält 10 11 eine Lanze in der Hand. Von seinen deutlich Reiter. Christian, der durch ein vollständiges kleiner dargestellten Begleitern werfen drei Wappen bezeichnet wird, trägt eine Becken- Steine, einer schießt mit der Armbrust. Von haube ohne Kleinod, kein Schildzeichen und den fünf Belagerern, auf die ein Steinregen besitzt weder Waffenrock noch Pferdedecke. hinunterprasselt, ist einer tot, die anderen Mit eingelegter Lanze sprengt er seinem Geg- vier sind schwer gerüstet, einer ist von ei- ner hinterher, der gerade einen Pfeil auf ihn nem Pfeil getroffen. Zwei schießen mit einer abschießt. Dieser ist durch seinen schwarzen Armbrust, einer hat eine Fackel und einer ein Bart, seine langen Haare, sein hässliches Ge- Beil, mit denen sie wohl Feuer legen und das sicht, den roten Hut und seine Bewaffnung Tor aufbrechen wollen. Womöglich hat „der als Orientale gekennzeichnet. Die Verfol- Düring“ keinen standesgemäßen ritterbürti- gung findet vor einem Stadttor statt, dessen gen Gegner und überlässt die Verteidigung Türen offen und dessen Fallgitter hochgezo- seinem Steine werfenden Gefolge. gen sind. Oben halten zwei Männer Steine Wohin der vom Mittelrhein stammende als Wurfgeschosse bereit. Reichsministeriale mit Johan Huizinga hat in seinem „Herbst des seinem Segelschiff auf fol. 116 fährt, kann Mittelalters“ auch die Kreuzzugspläne und man allenfalls raten. Es hat zwei Masten, Kreuzzugsgelübde des 14./15. Jahrhunderts Tierköpfe an Bug und Heck und drei deutlich gewürdigt, die in dieser Zeit zu einer literari- kleiner dargestellte Matrosen. Solche Schiffe schen Form erstarrt waren. Zahlreiche Ritter kennen wir auch aus der „Romfahrt“. Nur ist unternahmen eine Pilgerfahrt zu den heiligs- das Gewässer hier von kämpfenden Unge- ten Stätten der Christenheit und verfassten heuern bevölkert. Es handelt sich wohl um nach ihrer Rückkehr ausführliche Reisebe- das Meer. Da Friedrich von Hausen Kaiser richte. Friedrich Barbarossa auf seinem 3. Kreuzzug Die Manessische Liederhandschrift be- begleitete, könnte eine Überfahrt ins Heilige sitzt somit ebenfalls retrospektive Züge, sie Land dargestellt sein. Nach dem Turnier und verklärt die Adelswelt der Staufer- und der dem Krieg ist der Kreuzzug die Krönung des Kreuzritterzeit. Dies gilt nicht nur für die Rittertums. Kunstform des Minnesangs, sondern auch Der ebenfalls vom Mittelrhein stammen- für die Darstellung der Minnesänger, deren de Graf Friedrich II. von Leinigen nimmt in äußere Schönheit ihren vorbildlichen Cha- seinem Gedicht Abschied von einer Dame, rakter, ihre ritterlichen Tugenden und ihre bevor er „gen Pülle“, also wohl nach Apuli- wichtige gesellschaftliche Funktion als mi- en, abreist (fol. 26, Tafel 6). Wahrscheinlich les christianus widerspiegelt. Nach der Zeit wollte er am 5. bzw. 6. Kreuzzug Friedrichs der Staufer hatte der Adel durch die zuneh- II. nach Jerusalem von 1228/29 teilnehmen. mende Territorialisierung viel von seiner Dafür spricht auch die Miniatur, die ihn als ursprünglichen Bedeutung eingebüßt, doch hochgerüsteten Ritter zeigt, der aus einem hier feiert die traditionelle Adelskultur mit Stadttor heraussprengt und seinem Gegner höfischen Festen, Jagden, Brettspielen, Tur- den Schädel spaltet. Da dieser in seinem nieren, Kriegen und Kreuzzügen, vor allem Schild als HEID bezeichnet wird, dürfte es aber mit ihrem Minnesang und dem damit sich um einen Orientalen handeln. Drei Män- verbundenen Ideal der höfischen Liebe ihre ner in einem Turm beobachten das Gesche- Auferstehung. hen. Die Blumenranke mit ihren Glocken- In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts blumen erinnert ihn an die Dame in seiner entstanden am Mittel- bzw. Oberrhein zwei Heimat. Bilderhandschriften, die zahlreiche Berüh- Das Thema Kreuzzug wird noch auf ei- rungspunkte miteinander aufweisen. Auch ner dritten Miniatur angesprochen. Der Min- wenn in der Liederhandschrift geistliche Au- nesänger Christian von Luppin verfolgt auf toren durchaus vertreten waren und in der fol. 226 einen mit einem Bogen bewaffneten „Romfahrt“ die Memoria der Luxemburger 12 13 eine große Rolle spielt, kann man beide Wer- Lebensbild“. Damit hat er auch unsere Hand- ke als weltliche Literatur bezeichnen. Die schrift recht treffend charakterisiert. „Romfahrt“ ist primär eine Bilderchronik, die die Taten des ersten Kaisers aus dem Hause Vortrag auf der Jahreshauptversammlung der Biblio- Luxemburg wie auch die Rolle seines erzbi- philen Gesellschaft Trier am 15. November 2016 in der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars in schöflichen Bruders ins rechte Licht rücken Trier. soll. Sie weist dabei zahlreiche Berührungs- punkte mit den Balduin gewidmeten Kapi- Auswahlbibliographie teln der Trierer Bistumschronik, der „Gesta Michel Margue/Michel Pauly/Wolfgang Schmid Treverorum“ auf. Die Liedersammlung ist (Hg.): Der Weg zur Kaiserkrone. Der Romzug Hein- richs VII. in der Darstellung Erzbischof Balduins von vorrangig eine Sammlung von Minnelie- Trier (Publications du CLUDEM 24), Trier 2009. dern. Beide Codices setzten der längst ver- Verena Kessel: Erzbischof Balduin von Trier (1285– gangenen Ritterherrlichkeit der Stauferzeit 1354). Kunst, Herrschaft und Spiritualität im Mittel- ein Denkmal. Die „Romfahrt“ knüpft an die alter. Trier 2012, S. 132–159. Die Manessische Liederhandschrift ist über den Ser- Italienpolitik der Staufer an und zeigt, wie ver der UB zugänglich (http://digi.ub.uni- das tapfere Reichsheer mit dem König an heidelberg.de/diglit/cpg848). der Spitze die Interessen des Reichs in Ita- Codex Manesse – Die Große Heidelberger Lieder- handschrift – Texte Bilder Sachen. Kat. Heidelberg lien durchsetzt, und zwar notfalls im ritter- 1988. lichen Zweikampf mit dem Schwert in der edele frouwen – schoene man. Die Manessische Lie- Hand. derhandschrift in Zürich. Kat. Zürich 1991. Katharina A. Glanz: De arte honeste amandi. Studien Die Maler der Liederhandschrift stan- zur Ikonographie der höfischen Liebe (Europäische den vor der schwierigen Aufgabe, 138 Hochschulschriften 28, 414), Frankfurt 2005. Dichterbilder zu „erfinden“. Hierzu nahm Der Codex Manesse und die Entdeckung der Liebe (Schriften der Universitätsbibliothek Heidelberg 11), man, wenn vorhanden, Ereignisse aus der Kat. Heidelberg 2010. Vita oder Passagen aus den Texten, stellte Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters. Studien Bezüge zum Namen her oder stellte Min- über Lebens und Geistesformen des 14. und 15. Jahr- neszenen bzw. Spiel-, Jagd-, Turnier- und hunderts in Frankreich und in den Niederlanden. 11. Aufl., Stuttgart 1975. Kampfszenen dar; die Übergänge vom Werner Paravicini: Die ritterlich-höfische Kultur des Turnier zum Krieg und zum Kreuzzug sind Mittelalters (Enzyklopädie deutscher Geschichte 32), dabei fließend. Auch dieses Bild weist retro- 2. Aufl., München 1999. Klaus Graf: Retrospektive Tendenzen in der bilden- spektive Elemente auf, aber es ist noch nicht den Kunst vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Kritische einmal für die Stauferzeit zutreffend: Zum Überlegungen aus der Perspektive des Historikers, in: einen zeigt es ein völlig unpolitisches Hof- Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswel- ten im Mittelalter. Festgabe für Klaus Schreiner. München leben, es gab keine Einritte, keine Hoftage, 1996, S. 389-420. keine Gastmähler, keine Taufen, keine Be- erdigungen, ja noch nicht einmal – in einer Sammlung von Minneliedern! – eine Hoch- zeit. Dafür findet man in der „Romfahrt“ auf fol. 5 eine recht unromantische Hochzeit in Speyer. Von der Heiratspolitik und den Part- nerbeziehungen des Adels der Stauferzeit oder des oberrheinischen Patriziats des 14. Jahrhunderts war man ebenso weit entfernt wie von einem Kreuzzug. Insofern zeigen uns die beiden Bilderhandschriften ein schö- nes Bild der guten alten Zeit, das sich jedoch an vielen Stellen als Fiktion erweist. Johan Huizinga überschrieb ein Kapitel „Die Stili- sierung der Liebe“ und eines „Das idyllische 12 13 Abbildungen zum Beitrag von Wolfgang Schmid

Tafel 1a: Koblenz, Landeshauptarchiv 1C 1, fol. 10, Der Kampf in Mailand

Tafel 1b: Koblenz, Landeshauptarchiv 1C 1, fol. 19, Belagerung des Turmes Tripezon

54 55 Tafel 2a: Koblenz, Landeshauptarchiv 1C 1, fol. 22, Der Kampf in Rom

Tafel 2b: Koblenz, Landeshauptarchiv 1C 1, fol. 27, Eroberung von Montevarchi

56 57 Tafel 3a: Koblenz, Landeshauptarchiv 1C 1, fol. 28, Gefecht vor Incisa

Tafel 3b: Koblenz, Landeshauptarchiv 1C 1, fol. 34, Turnier in Pisa

56 57 Tafel 4: Heidelberg, Universitätsbibliothek Cod. Pal. Germ. 848, fol. 17r, CC-BY-SA 3.0, Albrecht I. von Askanien und Anhalt

58 59 Tafel 5: Heidelberg, Universitätsbibliothek Cod. Pal. Germ. 848, fol. 18r, CC-BY-SA 3.0, Herzog Johann von Brabant

58 59 Tafel 6: Heidelberg, Universitätsbibliothek Cod. Pal. Germ. 848, fol. 26r, CC-BY-SA 3.0, Friedrich II. von Leiningen

60 61 Tafel 7: Heidelberg, Universitätsbibliothek Cod. Pal. Germ. 848, fol. 42r, CC-BY-SA 3.0, Albrecht von Heigerloch

60 61 Tafel 8: Heidelberg, Universitätsbibliothek Cod. Pal. Germ. 848, fol. 43v, CC-BY-SA 3.0, Werner von Homberg

62 63 Tafel 9b: Heidelberg, Universitätsbibliothek 9b: Heidelberg, Tafel Cod. Pal. Germ. 848, fol. 321v, CC-BY-SA 3.0, Dietmar der Setzer CC-BY-SA Cod. Pal. Germ. 848, fol. 321v, Tafel 9a: Heidelberg, Universitätsbibliothek 9a: Heidelberg, Tafel Cod. Pal. Germ. 848, fol. 229v, CC-BY-SA 3.0, Der Düring CC-BY-SA Cod. Pal. Germ. 848, fol. 229v,

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