Sonntag, 02.12.2018 SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs: Vorgestellt von Christine Lemke-Matwey

Teil eines Mammut-Projekts Schumann Frage Sony 19075889192

Wegweisende Einspielung Paavo Järvi / Brahms Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68 Haydn-Variationen Sony 19075869552

Unanfechtbar Sinfonie Nr. 6 a-Moll Berliner Philharmoniker BPHR 180231

Vollendete Unvollendete Schubert Unfinished Florian Boesch Stefan Gottfried Aparté AP 189

Wunderbar Die Nacht Anja Lechner Pablo Marquéz ECM 4817172

Stilsicherer Spaß Miroir(s) Opra Arias Elsa Dreisig Orchèstre National Michael Schønwandt Erato 0190295634 131

Signet SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs… mit Christine Lemke-Matwey, ich hoffe, Sie haben einen gemütlichen ersten Advent!

Für die nächsten anderthalb Stunden mit neuen CDs habe ich versucht, einen roten Faden zu finden, und der geht ungefähr so: Christian Gerhaher singt Schumann-Lieder, die erste Platte einer ganzen Schumann--Edition bei Sony, das soll heute der Anfang sein. Dann kommt Brahms, der Weg ist ja nicht weit: Brahms‘ erste Sinfonie, und auch diese Neuaufnahme ist Teil eines größeren Projekts, das die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und ihr Dirigent Paavo Järvi kürzlich begonnen haben, alle vier Sinfonien wollen sie machen – und das nach ihren hoch gelobten Zyklen mit allen Beethoven- und allen Schumann-Sinfonien. Ein großes Versprechen also. Und das gab 1987 auch Simon Rattle am Pult der Berliner Philharmoniker mit Gustav Mahlers sechster Sinfonie, sein Debüt bei dem Orchester, das er später dann 16 Jahre lang leiten sollte. Auf dem Programm seines Abschlusskonzerts in diesem Sommer: Mahlers Sechste. Wir hören einmal hinein in 16 Jahre Rattle-Arbeit an Mahler. Mahler wäre ohne ganz viele Komponisten nicht denkbar, am allerwenigsten aber ohne Schubert. Der Bariton Florian Boesch und der Concentus Musicus Wien haben gerade die Unvollendete und Orchesterbearbeitungen seiner Lieder eingespielt, und danach gleich noch einmal Schubert: wieder Lieder, wieder bearbeitet, diesmal für Cello und Gitarre – die neue CD der Cellistin Anja Lechner bei ECM. Und der Schluss, der gehört Giaochino Rossini, schließlich befand sich zur Schubert-Zeit ganz Wien im Rossini-Fieber: die junge dänisch-französische Sopranistin Elsa Dreisig mit „Una voce poco fa“. Jetzt aber: Christian Gerhaher, Gerold Huber und „Die Blume der Ergebung“.

Robert Schumann: Die Blume der Ergebung op. 83,2 2‘48

Was für ein herrliches Lied, voller Demut und Verheißung, sehnsüchtig, romantisch, die Liebe als Inbild der Natur: das Schumann-Lied „Die Blume der Ergebung“ nach einem Gedicht von Friedrich Rückert, komponiert 1850, also kein später, aber doch eher ein reifer Schumann.

Gesungen hat der Bariton Christian Gerhaher, der mit dieser CD ein Mammut-Projekt anstößt: alle Lieder von auf 10 CDs, das ist der Plan für die nächsten Jahre. Bewundernswert und lobenswert ist diese Anstrengung allemal, heute mehr denn je: Weil das Lied, die kleine leise lyrische Form, es in einer lauten plärrigen Welt wie der heutigen doch ziemlich schwer hat. Und weil gleichzeitig nichts so gut in diese Welt passen würde wie das Lied. Es wäre sozusagen das perfekte Ding im Zeitalter von Youtube, Twitter & Co.: Dauert nicht lang, ist gut konsumierbar, die Auswahl ist riesig und für Emotionen ist auch gesorgt. Und wie singt Christian Gerhaher Schumann heute? Mit hellem Baritontimbre, exquisit textverständlich wie immer – und maximal unpathetisch. Vielleicht ist er damit der Interpret des 21. Jahrhunderts, mit dieser gewissen Nüchternheit und Sachlichkeit. Vielleicht ist Schumann auch der richtige Komponist fürs 21. Jahrhundert: mit seiner Feier der Mittelstimmen, mit der Gleichberechtigung zwischen Stimme und Klavier, mit der gebrochenen Naivität seiner Musik, dem Gespür für Ironie. Insofern macht die Interpretation hier alles richtig. So recht zu Herzen gehen aber will dieser Gesang nicht, und ich frage mich, warum. Wegen Gerhahers Distanziertheit? Weil er alles unter Kontrolle hat? Oder ist zu Herzen gehen einfach die falsche Kategorie?

Hören Sie Lieder des späten Schumann, sein op. 142, vier Gesänge, von denen Ihnen mindestens zwei wahrscheinlich bekannt vorkommen: „Trost im Gesang“, „Lehn‘ deine Wang‘ an meine Wange“, „Mädchen-Schwermuth“ und „Mein Wagen rollet langsam“.

Robert Schumann: Vier Gesänge op. 142: „Trost im Gesang“, „Lehn‘ deine Wang‘“, „Mädchen-Schwermuth“, „Mein Wagen rollet langsam“ 8‘35

Christian Gerhaher und Gerold Huber mit vier Liedern von Robert Schumann. Das Ganze trägt zwar eine Opuszahl, 142, ist aber weniger als Zyklus zu begreifen, denn als nachgelassene Sammlung, was man schon daran sieht, dass zwei der vier Lieder ursprünglich in die „“ gehörten und von Schumann aussortiert wurden. An sich aber soll das Zyklische in Gerhahers Schumann-Projekt eine wichtige Rolle spielen, das Denken in Werkgruppen, das Befolgen einer „lyrischen Dramaturgie“. Wir sind gespannt – gerade wegen gewisser Einwände und Unbehaglichkeiten.

Weiter geht es hier mit: Brahms. Fulminant waren die Reaktionen schon auf die erste Brahms- Einspielung von Paavo Järvi und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, der zweiten Sinfonie mit der Akademischen Festouvertüre und der Tragischen Ouvertüre. Von „unnachahmlicher Flexibilität“ konnte man da lesen, von einem „schlanken, präzisen Orchesterapparat“ bei gleichzeitiger „romantischer Fülle“. Das klingt ein bisschen nach der Quadratur des Kreises bei Brahms und das ist es wohl auch. Denn Järvi und die Bremer spielen zwar auf modernen Instrumenten, aber sie artikulieren so bewusst und so genau, als hätten sie zumindest eine aufführungspraktisch informierte Vergangenheit. Haben sie aber nicht, und das ist der Clou. Es gibt von Clara Schumann das schöne Wort, Brahms‘ Klaviersonaten seien allesamt „verschleierte Sinfonien“, und daran musste ich denken, als ich die Erste jetzt zum ersten Mal in Järvis Interpretation gehört habe: Das Orchestrale ist in seiner Musik gewissermaßen immer schon angelegt – das Kammermusikalische aber lässt sich ebenso wenig leugnen. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen bringt das toll auf den Punkt, mit Tiefenschärfe und Leichtigkeit, mit einem irren Puls. Wie konnte es eigentlich sein, fragt man sich, dass Brahms jahrelang vor Beethovens mächtigem sinfonischen Schatten geflohen ist, wen er so eine Musik schreibt?

Un poco sostenuto – Allegro, der erste Satz aus der Sinfonie N° 1 in c-Moll op. 68. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi.

Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68 16‘13

Die erste Sinfonie von in einer neuen, wegweisenden Einspielung mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und dem estnischem Dirigenten Paavo Järvi. Erschienen bei Sony, neben der Ersten finden sich übrigens noch die Haydn-Variationen auf der CD, ebenfalls sehr lohnenswert.

Ein Orchester zu neuen Spielweisen, zu einem neuen musikalischen Denken zu animieren, ist immer schwer. Am schwersten aber ist das bei den Berliner Philharmonikern, und jeder neue Chef kann davon ein Lied singen. Simon Rattle hat das geschafft in 16 Jahren in Berlin, er hat den Philharmonikern mehr Mut zum Abseitigen, Skurrilen beschert, eine größere stilistische Flexibilität, eine coolere Ausstrahlung, und nicht zuletzt hat er das Ganze geöffnet, durch die Digital Concert Hall, durch Lunch-Konzerte, Kino-Events und Education-Programme. Er hat also an der Außenwirkung gearbeitet, er hat die Zugangsschwellen gesenkt. Sein Debüt bei den Philharmonikern gab Simon Rattle, mit der sechsten Sinfonie von Gustav Mahler – und zum Abschied in diesem Sommer hat er die Sechste noch einmal dirigiert. Anfang und Ende einer Ära, wenn man so will, eingerahmt in a-Moll und in eine Sinfonie, die wahrhaft katastrophische Zeiten heraufbeschwört: mit Riesenhammerschlägen, mit den typisch Mahlerschen Marschrhythmen und einem Herdenglockengeläut, das keine Idylle mehr kennt, sondern eigentlich nur mehr pure Ironie. Es ist schon faszinierend, wie Simon Rattle diese Versatzstücke modelliert und collagiert, kühlen Kopfes, hoch virtuos, so virtuos, dass die Musik darüber eine große Direktheit bekommt. Jeder Überbau fällt sozusagen weg, jeder spätromantische Überschuss wird getilgt, jede Bedeutungshuberei. Und das war, das ist im Grunde immer Rattles Stärke, das Aufgeklärte, Distanzierte, das dem Transzendieren von Musik in andere, „bessere“ Welten misstraut. Mahler kommt ihm da besonders entgegen, indem er die „bessere“ Welt der Musik mit so etwas Prosaischem wie der Wirklichkeit spickt und konfrontiert.

Und das klingt dann beispielsweise so: der langsame Satz aus der Sinfonie N° 6 in a-Moll, Simon Rattle dirigiert die Berliner Philharmoniker.

Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 6 a-Moll 15‘32

So unanfechtbar wie hier und heute haben die Berliner Philharmoniker in ihrer Geschichte wohl nie gespielt. Und das ist auch das Verdienst Simon Rattles, der diesen Sommer nach 16 Jahren freiwillig seinen Hut als Chefdirigent genommen hat. Wir hörten das Andante moderato aus Gustav Mahlers sechster Sinfonie, das bei Rattle übrigens an dritter Stelle steht, nicht an zweiter, die Reihenfolge der beiden Mittelsätze ist ja nicht ganz klar. Und wie geht es dem Orchester mit diesem Abschied? Manche Philharmoniker sagen, Rattle sei eine Auster und sei es geblieben. Andere sagen, seine Verschlossenheit habe den Reiz der Arbeit erst ausgemacht: Die Vorstellung, die Austernschale würde sich eines Tages doch noch lupfen lassen und ihr Inneres preisgeben. Solche Momente hat es sicher gegeben, so ein gemeinsames Wandeln auf des Messers Schneide – und Rattles Interpretation der Sechsten Mahler gehört dazu. Jetzt neu zu haben ist die Sinfonie bei den Berliner Philharmonikern und ihrem hauseigenen Label. Sie hören SWR2, den Treffpunkt Klassik am Sonntag, ich bin Christine Lemke-Matwey und stelle Ihnen heute neue CDs vor.

Und vieles von dem, was ich gerade über Rattle und die Berliner Philharmoniker gesagt habe, trifft im Grunde auch auf mein nächstes Ensemble zu, den Concentus Musicus Wien. Auch er stand und steht seit dem Tod Nikolaus Harnoncourts 2016 vor einer neuen Ära. Unglaubliche 60 Jahre hat Harnoncourt das Orchester geleitet, und das ist natürlich viel zu schwach ausgedrückt. Er hat es erfunden, gegründet, geprägt, maltraitiert, durch Höhen und Tiefen geführt, und wenn so eine Kraft plötzlich fehlt, dann braucht es Zeit, um sich neu zu orientieren und zu finden. Das hat der Concentus getan, Stefan Gottfried heißt der neue künstlerische Leiter, Dirigent und Cembalist, unterstützt wird er von den Geigern Andrea Bischof und Erich Höbarth, und der Orchestermanager, der heißt Maximilian Harnoncourt, ein Enkel. Jetzt liegt ihre erste CD auf dem Tisch, die erste CD der Post-Harnoncourt-Ära. Sie beschäftigt sich mit – Franz Schubert, auf eine sehr spezielle Art. Die Unvollendete spielt dabei eine Rolle, aber nicht ihrer bekannten, „unvollendeten“, zwei Sätze umfassenden Gestalt, sondern komplett, viersätzig. Das heißt: mit Scherzo und Finale, wobei zum Scherzo von Schubert Skizzen und Instrumentationen überliefert sind. Die haben Nicola Samale und Benjamin-Gunnar Cohrs genommen und weitergesponnen, und demnach könnte der dritte Satz aus der Unvollendeten so geklungen haben:

Franz Schubert: Sinfonie Nr. 7 h-Moll „Unvollendete“ 6‘57

Der Concentus Musicus Wien unter Stefan Gottfried mit dem vervollständigten Scherzo aus Schuberts Unvollendeter – so könnte das also geklungen haben. Gute Gründe für solche Ergänzungsarbeiten gibt es allemal, und dass Schubert selbst es gewiss ganz anders gemacht hätte, ist auch klar.

Neben der vollendeten Unvollendeten finden sich auf dieser CD einige Orchesterbearbeitungen von Schubert-Liedern, Bearbeitungen von Brahms und Anton Webern. Die Motivation der beiden Schubert-Nachfahren, die Klavierstimme zu orchestrieren, ist freilich sehr unterschiedlich: Brahms schrieb die Orchesterarrangements für seinen Sängerfreund Julius Stockhausen, einer der ersten, der die großen Schubert-Zyklen auch zyklisch aufführte, gerne mit Brahms am Klavier. Für Anton Webern hingegen war das Orchestrieren eher ein Mittel, um in die Schubertschen Klangwelten einzutauchen, sie sich zueigen zu machen, mit feinen Farben und sensiblen Effekten.

Franz Schubert: „Der Wegweiser“ aus: (orch. Anton Webern) 4‘06

Fast 200 Jahre Wiener Musikgeschichte: Der Bariton Florian Boesch mit dem „Wegweiser“ aus Schuberts „Winterreise“, orchestriert von Anton Webern und gespielt und begleitet vom Concentus Musicus Wien unter Stefan Gottfried. Toll, diese fahlen Streicher, diese gedämpften Hörner. „Schubert Unfinished“ heißt die CD, erschienen bei dem kleinen Label Apartemusic.

Und weil Sie die „Winterreise“ jetzt noch so gut im Ohr haben, will ich gar nicht lange weiterreden. Noch einmal Schubert also, noch einmal „Winterreise“ – und noch einmal bearbeitet, allerdings für Cello und Gitarre: „Der Leiermann“.

Franz Schubert: „Der Leiermann“ aus: Winterreise 3‘57

Leere Quinten und Drehleiereffekte: Die Cellistin Anja Lechner und der Gitarrist Pablo Marquéz waren das mit ihrer Version des „Leiermanns“ von Franz Schubert. Fehlt einem hier die Stimme, das Wort? Schwierige Frage, natürlich kann man nicht einfach so auf Wilhelm Müller, den Dichter, verzichten, genauso wenig oder vielleicht noch weniger auf viele großartige Sänger und Sängerinnen, die diesen Zyklus gesungen haben. Den Gestus des letzten Liedes aber, des „Leiermanns“, den treffen Lechner und Marquéz ganz genau. Die Gitarre hake sich beim Cello unter, heißt es dazu im Booklet, und beide Instrumente stehlen sich davon „wie zwei illusionslose Tippelbrüder in die Eiseskälte ihrer letzten Winterreise“. Ganz schön desillusionistisch. Irgendwie schaffen es Lechner und Marquéz trotzdem, dass man über dieser Musik nicht verzweifelt. Als würden sie den Leiermann am Ende der Winterreise nicht nur als Spiegelbild des verlassenen, vereinsamten lyrischen Ichs sehen, sondern als einen Bruder in der Kunst. Derjenige, der zu den Liedern seine Leier dreht, das ist eben auch der musikalische Begleiter und Freund.

„Nacht“ heißt diese neue CD bei ECM, nach einem weiteren Schubert-Lied, und der musikalische Bruder, der findet sich darauf auch in Gestalt des Schubert-Zeitgenossen und Komponisten Friedrich Burgmüller. Vier Nocturnes von ihm stricken Lechner und Marquéz zwischen ihre Schubert-Vignetten, und das ist erstaunlich erhellend. Einerseits kennt man Burgmüller, wenn überhaupt, nur von seinen Klavieretüden her; andererseits ist er genau der „Kleinmeister“, für den man auch Schubert lange gehalten hat. Kleine Form, kleine Besetzung, schon rastet es ein, das Klischee des Harmlosen, Gefälligen, das keine gesellschaftlichen Ansprüche stellt. Wie richtig das im einen Fall sein kann und wie falsch im anderen, das lehrt der Vergleich: ein Nocturne von Friedrich Burgmüller und die Romanze aus Schuberts Bühnenmusik zu „Rosamunde“.

Friedrich Burgmüller: Nocturne Nr. 2 F-Dur 3‘43 Franz Schubert: Romanze aus: Rosamunde D 797 2‘32

Anja Lechner und Pablo Marquéz waren das, zuletzt mit der Romanze aus Schuberts „Rosamunde“, und es ist schon wunderbar, wie zart ein Cello spielen kann, wenn es auf eine Gitarre, ein Zupfinstrument, Rücksicht nehmen will und muss. „Nacht“, Anja Lechners neue CD bei ECM.

Und mit „Rosamunde, Fürstin von Zypern“ stehen wir auch schon auf der Opernbühne, zumindest mit einem Bein. Zu diesem großen Schauspiel von Helmina von Chézy schrieb Schubert die Bühnenmusik, er, der Virtuose der kleinen Formen, strebte also von Anfang an nach dem Großen und Repräsentativen, nach Messen, Sinfonien und Opern. Die Wiener Opernbühne freilich lag zu Schuberts Zeit fest in italienischer Hand, ganz Wien befand sich im Rossini-Fieber. Das war Metternichs erklärter politischer Wille, die fremde Sprache und Nationalität sollte dem bürgerlichen Publikum möglichst wenig Identifikationsfläche bieten für postrevolutionäre Umtriebe. Das ist lange her, längst gehört Rossini zu den Grundnahrungsmitteln der Oper auf der ganzen Welt, und für eine junge Sängerin wie die französisch-dänische Sopranistin Elsa Dreisig ist er das erst Recht. „Miroir(s)“ nennt sie ihre neue CD, die sie nach Frauenfiguren der Opernbühne sortiert: nach Manon zum Beispiel (bei Puccini und Massenet) oder nach Rosina (bei Mozart und Rossini). Die 27-Jährige inszeniert hier den doppelten kompositorischen Blick, und das ist durchaus interessant. Wo kommt die Gräfin aus Mozarts „Figaro“ her, kann man sich ja fragen? Rossini gibt die Antwort, indem er in seinem „Barbier“ Rosinas Vergangenheit beleuchtet. Und Elsa Dreisig hat daran ihren glockenhellen, sehr stilsicheren Spaß. Es spielt das Orchèstre National de Montpellier Occitanie, es dirigiert Michael Schønwandt.

Gioacchino Rossini: „Una voce poco fa“ aus: Il barbiere di Siviglia 6‘14

Und das war's für heute, mit der Arie der Rosina aus dem ersten Akt von Giaochino Rossinis „Barbier von Sevilla“, gesungen von Elsa Dreisig, geht der SWR2 Treffpunkt Klassik mit neuen CDs am Sonntag zu Ende. Alle Angaben zu den Neuaufnahmen finden Sie wie immer im Internet, auf unserer Homepage unter www.swr2.de. Dort können Sie die heutige Sendung auch noch eine ganze Woche lang nachhören. Hier im Programm geht es nach den Nachrichten weiter mit unserem Feature. „Heimat Europa“ haben die Autoren Dietrich Brants und Daniel Stender ihre Sendung genannt, in der sie sich auf doppelte Spurensuche begeben: nach einem Begriff und auf einem Kontinent. Ich bin Christine Lemke-Matwey und wünsche Ihnen einen schönen Tag.