FRANKFURTER POSITIONEN 2015 FESTIVAL FÜR NEUE WERKE 22.01.– 01.02.2015 AUSGESCHLOSSEN. BRÜCHE ZWISCHEN DEN WELTEN EINE INITIATIVE DER BHF-BANK-STIFTUNG INHALT 96 DAS SCHWARZE WASSER von Roland Schimmelpfennig

102 IBSEN: GESPENSTER 06 Grusswort von Markus&Markus

11 Thema 2015 – Ausgeschlossen. Brüche zwischen den Welten 119 “FLOW MY TEARS, THE POLICEMAN SAID” (von Stefan Mumme) von Hassan Khan

15 Frankfurter Positionen – Festival für neue Werke 126 BATUCADA von Marcelo Evelin / Demolition Inc.

FP EXTRA 136 AUSGESCHLOSSEN. BERICHTE VON VERDECKTEN WIRKLICHKEITEN 18 Ausgeschlossen? Gesellschaftliche Symposium, Konzeption: Institut für Sozialforschung Konflikte in zeitgenössischen Stücken und Performances 146 ZWEI UHR NACHTS 19 Verhandlung, Revision, Zäsur – die politischen Versprechen von Falk Richter des Theaters (von Nikolaus Müller-Schöll) DIE MITWIRKENDEN 28 Ist dies wirklich wahr? Zur Beglaubigung sozialer Wirklichkeit im Gegenwartstheater 162 Die Künstler der Frankfurter Positionen 2015 (von Melanie Hinz) 166 Die Jurys

À JOUR 169 Der Programmbeirat der Vortragsreihe à jour

40 Fundstücke von Serhat Karakayali 170 Service Eintrittskarten, Veranstaltungsorte, Theaterbar, Kontakt, 44 Weil es sagbar ist Fotonachweise, Impressum (von Carolin Emcke) 173 Die BHF-BANK-Stiftung 46 Care / Lebenssorge (von Cornelia Klinger)

48 Industrial 9 / 11. Sklav_innen des Wettbewerbsvorteils Dieses Programmbuch: (von Thomas Seibert) Das Festival Frankfurter Positionen präsentiert spartenübergreifend neue Werke zeitgenössischer Künstler_innen und Künstlergruppen FRANKFURTER POSITIONEN 2015 und stellt sie in einen thematischen Zusammenhang. Das künstlerische und auch das begleitende diskursive Programm entsteht in mehreren 54 ENSEMBLE MODERN MEETS GAGAKU Stufen – von der Auswahl des thematischen Schwerpunkts durch die Kompositionen von und Frédéric D’haene BHF-BANK-Stiftung über die Auswahl der Künstler durch Jurys bis hin zur Inszenierung, der Präsentation der Werke. Dieses Programmbuch 69 RECHT. ÖKONOMIEN DES HANDELNS 2 lenkt die Aufmerksamkeit auf die jeweiligen Denk- , Arbeits- und von Daniel Kötter und Hannes Seidl Vorgehensweisen der beteiligten Künstler und Wissenschaftler. In der hoch spannenden Phase der Arbeit an ihren Positionen haben wir 86 GAUNERSTÜCK sie gebeten, uns Auskunft über ihre individuellen Vorgehensweisen von Dea Loher oder wichtige Inspirationsquellen zu geben. Ihre Antworten versammelt dieses Textbuch unter den Informationen zu den einzelnen Werken im Programm 2015. 2 3 DAS NETZWERK DER FRANKFURTER POSITIONEN 2015

BHF-BANK-Stiftung Deutsches Theater Berlin Ensemble Modern Frankfurt LAB Gessnerallee Zürich Goethe-Universität Frankfurt am Main Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main Institut für Sozialforschung (IfS) Kunstenfestivaldesarts Brüssel Künstlerhaus Mousonturm MMK Museum für Moderne Kunst Nationaltheater Mannheim Reigakusha Ensemble Tokyo Ro Theater Rotterdam

Schauspiel Frankfurt S. Fischer Verlag Städelschule / Portikus Suhrkamp Verlag Verlag der Autoren Medienpartner ist hr2-kultur -

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werden wieder ein einzigartiges werden wieder ein einzigartiges

GRUSSWORT als Lesung oder diskursiver Ansatz vorge nur Erstmals initiierte die BHF-BANK-Stiftung 2001 die Frankfurter Positionen Erstmals initiierte die BHF-BANK-Stiftung 2001 Frankfurter Positionen und aus dieser anfänglichen Initiative ist inzwischen ein renommiertes geworden, welches in diesem Jahr zum siebten Mal Festival für neue Werke stattfindet. Das große Zuschauerinteresse bestätigt uns in unserem Engagement und zeigt uns, dass der Diskurs zu den Zeitthemen, auch gerade aus dem Blickwinkel der Künste, gesucht wird. Unser Leitgedanke für dieses Festival ist, den sich immer schneller vollzieh ­ mit zeitgenössischen künstlerischen enden gesellschaftlichen Wandel Positionen kritisch zu begleiten. Dafür wollen wir den beteiligten Künstlern den Freiraum schaffen, sie für ihre Entwicklungsarbeit und Entwürfe benötigen. Gleichzeitig geben wir ihnen persönliche Sicherheit durch unsere finanzielle Unterstützung. Die künstlerischen Ergebnisse werden dadurch vielfältig und faszinierend, obwohl es auch vorkam, dass eine entworfene Position schließlich nicht als fertige Produktion präsentiert ­ werden konnte. Zum Beispiel entfiel die Inszenierung eines Stücks und stattdessen wurde es eben stellt. Dass dies nur sehr selten passiert ist, haben wir in erster Linie dem großen Netzwerk von engagierten Kulturinstitutionen zu verdanken. Ohne einlassen, die noch die sich auf das Wagnis unsere Kooperationspartner, im Zusammenspiel mit den Künstlern zu produ unbekannten, neuen Werke zieren, könnten die Frankfurter Positionen nicht stattfinden. Auch die siebten Frankfurter Positionen Experimentierfeld der Künste sein. Im MMK Museum für Moderne Kunst, im Bockenheimer Depot, in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt, im Frankfurt LAB und Künstlerhaus Mousonturm werden die Ergebnisse der von den unterschiedlichen Fachjurys vergebenen zehn Werkaufträge Autoren, Schauspieler, vorgestellt. Berühmte und renommierte Künstler, Regisseure, Komponisten und Ensembles bereichern Musiker, Theatermacher, das kulturelle Leben Frankfurts mit ihren Arbeiten und Themen. für elf Tage

06 07 - Gagaku - soll diskutiert werden, wie und soll diskutiert werden, wie und warum wir Missstände in unserer heutigen Gesellschaft nicht wahrnehmen, warum wir Missstände in unserer heutigen Gesellschaft nicht wahrnehmen, obwohl wir doch eigentlich von ihnen wissen. Auf eine neue Aktivität im Rahmen der Frankfurter Positionen ist der BHF-BANK-Stiftung besonders hinzuweisen, da sie uns für das Wirken wichtig ist. Schon vor dem Festival stehen die Frankfurter Positionen in einem engen Dialog mit den künstlerischen Hochschulen Frankfurt. An der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Städelschule ist bedachte bildende Künstler Hassan Khan für der mit einem Werkauftrag mit einer Stiftungsprofessur zu Gast. Gemeinsam das Wintersemester mit dem Theaterwissenschaftlichen Institut der Goethe-Universität und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt wird im ein Seminar für die Studierenden der Dramaturgie und Wintersemester Nicht nur künstlerische, sondern auch wissenschaftliche Positionen werden Nicht nur künstlerische, sondern auch wissenschaftliche Positionen werden verhandelt. Gemeinsam mit dem Institut für Sozialforschung veranstalten à jour und ein Symposium. Anhand eines Reigens von wir die Vortragsreihe Berichten über verdeckte Wirklichkeiten Musik, die traditionelle japanische Hofmusik, geben. Dank dieser Ausweitung Musik, die traditionelle japanische Hofmusik, geben. Dank dieser Ausweitung der Frankfurter Positionen wird also im besten Sinne ein intensiver Dialog zwischen der professionellen Kunst und Ausbildung stattfinden. Für das vorliegende Programmbuch haben wir die beauftragten Künstler oder welche tatsächli gebeten, uns einen Hinweis zu geben, welche Texte, chen Gegebenheiten, Filme, Zeitungsberichte oder Fotos sie bei ihren freuen uns, dass Auftragswerken begleitet oder zu diesen angeregt haben. Wir alle einen persönlichen Beitrag geliefert haben, was dieses Programmbuch hoffen, dass Sie die nach unserer Ansicht besonders reizvoll macht. Wir Lektüre zu einem Besuch des Festivals anregt. Regie angeboten, in dem die beauftragten Autoren und Theatermacher als Regie angeboten, in dem die beauftragten Autoren und Theatermacher als Seminarleiter unterrichten. Zugleich geben diese in einer der Öffentlichkeit zugänglichen Gesprächsreihe FP Extra im Künstlerhaus Mousonturm bei der Stückentwicklung. Schließlich wird das Auskunft über ihr Vorgehen für die Frankfurter Positionen 2015 eingeladene Reigakusha Ensemble einen Einblick in die den Studierenden in Workshops aus Tokyo

08 09 - - LOUIS GRAF ZECH des Kuratoriums Vorsitzender der BHF-BANK-Stiftung THEMA 2015 Von Stefan Mumme Von zwischen Ethnien, Religionsgemeinschaften, zwischen Ethnien, Religionsgemeinschaften, – integrieren. Selbstbilder wie Weltbilder integrieren. Selbstbilder wie Weltbilder Normalität AUSGESCHLOSSEN. BRÜCHE ZWISCHEN DEN WELTEN Staatengruppen. Ist nicht die Inklusion, sondern die Exklusion des Fremden, Staatengruppen. Ist nicht die Inklusion, sondern Exklusion des Fremden, Vorsitzender des Vorstands des Vorstands Vorsitzender der BHF-BANK-Stiftung Für die Frankfurter Positionen wünschen wir allen Zuschauern spannende, Für die Frankfurter Positionen wünschen wir allen Zuschauern spannende, Unseren unterhaltende und erkenntnisreiche Werkpräsentationen. Kooperationspartnern und den vielen beteiligten Künstlern Ensembles wünschen wir toi, toi! DIETMAR SCHMID heutzutage universalistische Ansprüche als Es spricht manches dafür, sich über nicht tragfähig anzusehen: Alltäglich sind wir mit einer Vielfalt schneidender und überlagernder Kulturen Systeme konfrontiert, gepaart mit einer zunehmenden Individualisierung, die von pragmatischen Optimierungsstrategien geprägt ist. Daraus folgende Diskrepanzen sind nicht neu, doch sie lassen sich immer weniger in einigermaßen konsensuale Konzepte der len, die es nicht gibt. Stattdessen nehmen Ausschließungen, Ressentiments und Gewaltpotenziale zu drohen zu zerbrechen, werden zu leeren Floskeln, die den Schein einer drohen zu zerbrechen, werden leeren Floskeln, die den Schein einer Übereinkunft über gelingendes Zusammenleben aufrechterhalten wol

10 11 - - - - versäumt haben, sich mit versäumt haben, sich mit – vielleicht aufgrund ihrer seit Jahrhunderten vielleicht aufgrund ihrer seit Jahrhunderten – diesen uns immer noch unbekannten Kulturen vorbehaltslos zu beschäftigen. diesen uns immer noch unbekannten Kulturen vorbehaltslos zu beschäftigen. hat man die alten Kolonialherren Eines jedenfalls ist gewiss: Vielerorts besser studiert, als uns vielleicht lieb ist. Ist unsere Gewissheit, dass es eine Annäherung nur bei Zugrundelegung der in Europa schmerzhaft durch bestehenden wirtschaftlichen Überlegenheit Anderen der derzeit dominante Treiber der Weltpolitik? Sind wir den Sind wir den der Weltpolitik? Anderen der derzeit dominante Treiber Herausforderungen der vielfach erstrebten Entgrenzung und Globalisierung gewachsen? Diese Frage hat viele Facetten: Sie schließt zum Beispiel die Gesetzgebung und Normsetzung in Nationalstaaten ein. Auch dort sind partikula die vor allem ökonomi ristische Fragmentierungen auf dem Vormarsch, schen Notwendigkeiten geschuldet sind. Die damit einhergehenden Ausdifferenzierungen, die unterschiedlichen, unvereinbaren Strukturen normativ nur unzureichend unterlegen können, erzeugen im Ergebnis ein hybrides Konfliktfeld, auf dem die Schlachtordnung unbestimmt und für den einzelnen nicht kalkulierbar ist. In einem solchen partikularistischen Gebilde geht es im Grunde nicht mehr darum, allen vergleichbare Rechte situationsbedingt zu rechtfertigen. einzuräumen, sondern deren Verletzung Die europäische und nordamerikanische Politik wird nicht müde, unsere demokratischen Grundwerte, die sie als Bedingung für nachhaltige als einheitlichen multilaterale Beziehungen setzt, überall auf der Welt Maßstab einzufordern. Allerdings wird die Übertragung dieser Grundwerte in vielen Staaten wie zum Beispiel in China oder Indien wegen ihrer angebli chen Unvereinbarkeit mit den dortigen gesellschaftlichen Entwicklungen und abgelehnt. Können wir diese Ablehnung damit kulturellen Traditionen abtun, dass dies ein fadenscheiniges Argument der an Machterhaltung interessierten politischen Führung sei? Auch wird unterstellt, dass diese Kulturen in der Entwicklung rückständig seien und ihnen unsere Epoche Aufklärung erst noch bevorstünde. Doch nicht verleugnen lässt sich, dass es die westlichen Gesellschaften gesetzten Aufklärung geben darf, nicht vermessen? Auch wenn wir deren Errungenschaften in unserem Rechtsraum für unverrückbar halten, können

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unter Einbezieh- – die Heterogenität, – auch die Aufträge zur Erstellung neuer auch die Aufträge zur Erstellung neuer – erfährt und andere, unter Umständen Aufklärung erfährt und andere, unter Umständen FRANKFURTER POSITIONEN POSITIONEN FRANKFURTER FESTIVAL FÜR NEUE WERKE FÜR NEUE WERKE FESTIVAL jenseits universalistischer Horizonte – wir deshalb ausschließen, dass eine Bevölkerung von mehr als einer Milliarde wir deshalb ausschließen, dass eine Bevölkerung von mehr als einer Milliarde Menschen nicht ihre eigene ebenso bedenkenswerte Strategien entwickelt? Müssen wir also im Mikro- wie Makrokosmos nicht nur Brüche zwischen den Welten konstatieren, sondern auch zum Ausgangspunkt einer Debatte über normative machen, die sich nur frag Interventionen und Konzepte der Verbundenheit mentarisch und dezentral in immer neu zu findenden Formen schaffen lässt? Werke an die beteiligten Künstler erteilt. Die Frankfurter Positionen werden an die beteiligten Künstler erteilt. Die Frankfurter Positionen werden Werke Die 2001 erstmals veranstalteten Frankfurter Positionen verstehen sich Die 2001 erstmals veranstalteten Frankfurter Positionen verstehen sich ver als Erfahrungs- und Erkenntnisfeld: In einem etwa zweijährigen Turnus suchen sie, mit den Mitteln verschiedener Sparten der Künste sowie mit suchen sie, mit den Mitteln verschiedener Sparten der Künste sowie à jour eine Positionsbestimmung zu dem sich der begleitenden Vortragsreihe in und zu den Veränderungen vollziehenden gesellschaftlichen Wandel der Lebenswelt zu formulieren. Die Frankfurter Positionen initiieren so einen kontinuierlichen kreativen Prozess mit dem Ziel, neue Sichtweisen und soziale Fantasie zu entwickeln. Die siebten Frankfurter Positionen finden vom 22. Januar bis 01. Februar 2015 statt. Das Projekt ist eine Initiative der BHF-BANK-Stiftung, die ung unabhängiger Fachjurys

14 15 RÜCKBLICK RÜCKBLICK Gestaltungsmöglichkeiten zu Beginn Gestaltungsmöglichkeiten zu Beginn – Versuche über die zeitgenössische Urteilskraft Versuche – Über die Optimierung von Mensch und Natur – Frankfurter Positionen 2011 mit dem Leitthema Frankfurter Positionen 2011 Gemeinsam im Niemandsland mit dem Leitthema Frankfurter Positionen 2013 An der Grenze? Über die Zukunft Moderne Frankfurter Positionen 2008 mit dem Leitthema Leben erfinden des 21. Jahrhunderts Frankfurter Positionen 2006 mit dem Leitthema Gut ist was gefällt von einem breiten Kultur-Netzwerk getragen, in dem diesmal 20 Institutionen getragen, in dem diesmal 20 Institutionen von einem breiten Kultur-Netzwerk zusammenarbeiten. Seit der Etablierung des Projekts haben so an die 120 Komponisten, Choreografen und Filmer Theaterautoren, bildende Künstler, in ihrem Bereich zu schaffen und diese die Möglichkeit erhalten, neue Werke in und mit bedeutenden Institutionen zu präsentieren. Frankfurter Positionen 2001 mit dem Leitthema Frankfurter Positionen 2003 nicht würfeln? Warum

16 17 FP EXTRA VERHANDLUNG, REVISION, ZÄSUR – DIE POLITISCHEN VERSPRECHEN DES THEATERS Von Nikolaus Müller-Schöll AUSGESCHLOSSEN? GESELLSCHAFTLICHE KONFLIKTE IN ZEITGENÖSSISCHEN STÜCKEN Was ist der Grund dafür, dass das Theater hierzulande UND PERFORMANCES noch immer eine solch große und aller Krisensymptome und Klagen zum Trotz beinahe ungebrochene Wertschätz- ung genießt, dass ihm so viel Kredit gerade mit Blick auf seine Bedeutung für Demokratie, Aufklärung und die Wie gehen lokale, nationale und globale soziale Konflikte Zukunft des Gemeinwesens entgegengebracht wird? in das Gegenwartstheater ein? Inwiefern wird das Theater In drei Anläufen werde ich mich nachfolgend auf das kon- seiner seit den Zeiten der bürgerlichen Aufklärung des zentrieren, was ich in einem philosophischen Sinne die 18. Jahrhunderts beschriebenen Aufgabe noch gerecht, politischen Versprechen des Theaters nennen ­möchte: ein Spiegel der Gesellschaft zu sein und zugleich ihre Im ersten Schritt möchte ich dafür plädieren, Theater, Kritik, Reparaturwerkstätte und Gegenwelt? Wie teilt sich, wie es in Griechenland in seiner abendländischen Form was die Gesellschaft bewegt, Autoren, die heute fürs begründet wurde, als den Ausgang aus jeder Form einer Theater schreiben, mit? Inwiefern antworten die Arbeits- geschlossenen Ordnung und Auflösung ontologischer und Darstellungsformen, die unter Titeln wie Performance Bestimmungen zu begreifen. Im zweiten Schritt möchte oder Postdramatisches Theater seit langem im außer- ich mit Blick auf das große Zeitalter der humanistischen deutschen Kontext und in der freien Szene, in den vergan- Theaterutopie, die bürgerliche Aufklärung des 18. Jahr- genen zwei Jahrzehnten zunehmend auch in den großen hunderts, den umfassenden Anspruch des Theaters Stadt- und Staatstheatern Einzug gehalten haben, im Zeitalter der Aufklärung wie auch die große Gefahr auch auf Erfahrungen mit dem Sozialen und der Politik? festhalten, die mit dem so aufgewerteten Theater ein­her­ Erstmals sind die beteiligten Künstler der Frank- ging. In einem dritten Schritt möchte ich dann ein kur- furter Positionen eingeladen, zusätzlich zu ihren Werken zes Plädoyer für ein Theater der Potentialität als Stätte in Form eines Vortrags oder in Gesprächen von ihrer der Unterbrechung und Ausstellung des an anderem Ort künstlerischen Arbeit, ihrer Vorgehensweise oder Position fixierten und stabilierten Wissens, der Politik und der zu berichten. Im Rahmen einer Hauptseminars der Hoch- Kunst halten. schule für Musik und Darstellende Kunst und der Goethe- Universität gestalten Studierende der Regieklasse der HfMDK und der Studiengänge Dramaturgie und Theater-, 1. Verhandlung – das Ereignis des Theaters Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität (Theodor W. Adorno, Jean-Luc Nancy) Einführungen und Publikumsgespräche mit eigenen Beiträgen zu den Künstlern und ihren Werken und ste- Der französische Philosoph Jean-Luc Nancy erinnerte hen dabei auch in engem Austausch mit den Dramaturgen vor einiger Zeit daran, dass die Tragödie einer Definition des Künstlerhaus Mousonturm, des Deutschen Theater Brechts zufolge dadurch gekennzeichnet sei, dass Berlin, des Nationaltheater Mannheim und des Schauspiel sie vom Kult ausging. Vom Kult, so erklärt er, das heißt: Frankfurt. Die griechische Tragödie geht von der Religion und damit von der Unmittelbarkeit, von der Präsenz der Götter

18 19 aus. Sie verlässt die Präsenz und dieser Abschied, so 2. Revision – Gotthold Ephraim Lessing, der Philosoph, begründet das Theater. Nancy lässt Friedrich Schiller, Michel Foucault uns begreifen, dass das Ereignis, für welches das Theater in seiner abendländischen Prägung steht, die Wenn das abendländische Theater heute so gedacht Erfahrung einer anfänglichen Abwesenheit ist. Theater werden kann, so liegt dem nicht zuletzt die Vermittlung gilt ihm als ein Synonym für die Unhintergehbarkeit durch das europäische 18. Jahrhundert zugrunde, das der Darstellung und in dieser Hinsicht für den Ausgang in seinen Theaterreformen speziell in Frankreich und aus jeder geschlossenen Ordnung, die Auflösung Deutschland an die antiken Versprechen anzuknüpfen jeder Seins-Behauptung, es ist Deontologisierung oder versucht. Aus heutiger Perspektive hinterlässt es Dekonstruktion von Metaphysik, von Kult, von Reli- dabei allerdings ein zwiespältiges Erbe. gion, kurz: von jeder Ordnung der Unmittelbarkeit. Mit Einerseits wird in Frankreich und Deutschland in dieser transzendentalen Bestimmung von Theater, der Mitte des 18. Jahrhunderts das Theater gesellschaft- deren Eigenheit ist, dass sie zugleich die Geltung jeder lich aufgewertet, etwa weil man glaubt, es als Stätte transzendentalen Bestimmung unweigerlich immer sinnlicher Erkenntnis in den Dienst einer rationalen von Neuem in Frage stellt, knüpft Nancy nicht zuletzt Weltordnung nehmen zu können. Diesem Ziel dient die an die Ästhetische Theorie Theodor W. Adornos an, Bemühung um eine neue Schauspielkunst unterm Vor- worin der tragische Diskurs der Antike im Unterschied zeichen des naturgetreuen oder natürlichen Spiels, der zu älteren Tragödientheorien als Verhandlung und Wahrscheinlichkeit und der Illusionserzeugung. Es kommt nicht als Urteil gedeutet wird. Doch Nancy radikalisiert zur Literarisierung des Theaters, seiner Neukonzeption Adornos Deutung des Theaters als Verhandlung des im Geiste der Aufklärung und des aufsteigenden Bürger- an anderem Ort, etwa im Mythos, Niedergelegten tums. Im Zentrum steht dabei die Vorstellung, dass das und Abgeschlossenen. Nancy gibt zu bedenken, dass Theater neben den Parlamenten, Universitäten und Theater selbst von Beginn an für die Notwendigkeit Gerichtssälen eine der Stätten bürgerlicher Öffentlichkeit, immer neuer Verhandlungen steht, weil das Dispositiv einer der Orte der öffentlichen Erörterung der das des Schauspiels, wie Nancy schreibt, das eines ‚unter Gemeinwesen und seine Verfassung betreffenden Fragen uns‘, einer unter Menschen geschehenden, insofern zu werden vermag. Hatte Kant in seiner Beantwortung rein mittelbaren Handlung ist. Was Nancys Erläuterung, der Frage Was ist Aufklärung? konstatiert, dass wir seine Theorie des Theaters als eines Ereignisses, nahe- nicht in einem aufgeklärten Zeitalter, sondern in einem legt, ist, dass das Theater als Ausgang aus dem Kult Zeitalter der Aufklärung leben, so war diese bürgerliche der Ort und die Zeit der Erfahrung der Abwesenheit von Öffentlichkeit für ihn und das Zeitalter der Schlüssel Unmittelbarkeit ist. Anders ausgedrückt könnte diese zur Vollendung der Aufklärung, Öffentlichkeit als Ort der Erfahrung auch formuliert werden als die Erfahrung Übersetzung zwischen Theorie und Praxis, zwischen der dessen, was jede Seinsbehauptung, jede geschlossene reinen praktischen Vernunft und der politischen Sphäre. Ordnung sprengt und zu neuerlicher Definition, neu- In diesem Kontext lässt sich etwa Lessings Kampf erlicher Verhandlung und neuem Urteilen nötigt. Theater gegen die Intoleranz lesen, wie er ihn in seiner Ausein- wäre somit über jede historische und empirische andersetzung mit dem Pastor Goetze und dann auf Erscheinungsform hinaus das demokratische Medium dem Theater in Nathan dem Weisen führt: Theater als par excellence, und die Erbschaft seiner griechischen andere Kanzel, als Ort der Revision der an anderem Begründung läge genau darin: Theater ist Demokratie. Ort gehegten Vorurteile. Doch die häufig als Aufwertung des Theaters betrachtete Wandlung in der Mitte des 18. Jahrhunderts,

20 21 aus der bis heute dessen große Wertschätzung in Gesell- aus heutiger Sicht als Ideologie, die einen bestimmten schaft, Politik und Wissenschaft speziell in den deutsch- Menschen, eben den Bürger, zum Maß aller Menschen sprachigen Ländern resultiert, ist nicht zu trennen erheben will – auf Kosten von all dem, was später der fran- von einer mit ihr einhergehenden Verarmung des Theaters. zösische Philosoph Georges Bataille einer allgemei- Geopfert wird nicht zuletzt das fortan als niedere Form nen Ökonomie zurechnen wird, die er der beschränkten abgewertete und marginalisierte nomadische Theater, Ökonomie des Bürgertums des 18. Jahrhunderts ent- etwa die Tradition der Commedia dell’arte mit ihrem gegensetzt: auf Kosten also des Genusses, der Triebe, singulär pluralen Harlekin. Die auffälligste und meist­ der zügellosen Zerstreuung und Verausgabung, des diskutierte Erscheinungsform dieser Aufwertung ist eine Müßiggangs. Ausgegrenzt aus der neuen Ordnung des allgemeine Tendenz zur Disziplinierung zunächst der Menschlichen wird jahrhunderttypisch auf der einen Seite beteiligten Spieler des neuen, reformierten und aufgeklär­ der so genannte Pöbel, auf der anderen Seite aber ten Theaters, dann auch seiner Zuschauer. Dessen auch das Tier und mit ihm das Tierische am Menschen, Ambivalenz wird vielleicht in keinem Text anschaulicher und nicht zuletzt die Frau, die im Theater einer bestän­ als in der berühmten, häufig zitierten Rede Vom Wirken digen Erhöhung wie Erniedrigung unterliegt, als Heilige der Schaubühne auf das Volk, die Schiller im Jahr 1784 und Hure erscheint, so oder so als Imagination des Weib- in der Deutschen Gesellschaft in Mannheim vorträgt. lichen in einer von Männern geschaffenen fiktiven Welt. Dem ersten Anschein nach wird darin eben jene Tradition Kein anderer hat die in der Literaturwissenschaft neuerlich beschworen, die Nancy mit dem antiken als paradoxes Ritual der Individualität beschriebene Theater als dem Ausgang aus dem Kult verbindet: Die Logik der literarischen Aufklärung besser beschrieben als Gerichtsbarkeit der Bühne fängt an, wo das Gebiet der Michel Foucault in seiner kurzen Abhandlung über Das weltlichen Gesetze sich endigt, schreibt Schiller etwa Leben der infamen Menschen. Waren die von Foucault in und führt in seinem Text so eindringlich das Programm diesem Aufsatz untersuchten und vor­gestellten Lettres der Schaubühne als einer moralische(n) Anstalt aus, de cachet Anklageschriften, in denen das Leben der dass der Text bis heute zu den im deutschsprachigen sonst nicht geschichtsfähig erachteten Menschen ein- Raum am häufigsten zitierten Rechtfertigungsdiskursen ging, weil sie jemand aus der Welt schaffen wollten, also des Theaters gehört. Es ist eine Eloge auf das Theater die denkbar unvorteilhaftesten Zeugnisse über diese, als Stätte der Verbreitung von Wahrheit, Sittlichkeit, so erscheint in seiner Darstellung der Literatur als Erbe Weisheit und der Bildung der Herzen und der Nation. dieser Briefe auch diese und mit ihr das bürgerliche Doch spätestens, wenn wir lesen, dass die Schaubühne Theater in wenig vorteilhaftem Licht: Ist sie ihm einer- […] der gemeinschaftliche Kanal sei, in welchen von seits der Diskurs der Infamie, also der Diskurs, der das- dem denkenden bessern Teile des Volks das Licht der jenige zur Sprache bringt, was überall sonst nicht der Weisheit herunterströmt, um sich von da aus in milde- Rede oder Fabel wert erachtet wird, so bezeichnet er sie ren Strahlen durch den ganzen Staat zu verbreiten, doch andererseits im gleichen Zug als Zwangssystem, erkennen wir, dass hier tatsächlich ein proto-totalitäres durch welches das Abendland den Alltag verpflichtet Erziehungsmodell vertreten wird, welches das, was hat, in Diskurs zu gehen. Die Wendung gegen Literatur am Ende der Erziehung stehen soll, von allem Anfang dürfte sich nicht zuletzt der Hypothese verdanken, dass an voraussetzt und mithilfe eines hinterrücks operie- sie gerade dort, wo sie vermeintlich die Anderen zur renden Instruments, eben des Theaters, durchzusetzen Sprache bringt, tatsächlich deren Ansprüche verrät. Sie sucht. Wie Schillers Bild deutlich macht, geht es darum, ist untrennbar zugleich Repräsentation und Verrat des die Weisheit dem Volk gleichsam einzutrichtern. Der in Dargestellten. Es geht in die Darstellungen der Literatur Schillers Schriften zu findende Humanismus erscheint nur um den Preis seiner Andersheit, seiner Alterität ein.

22 23 Es ist von daher schlüssig, wenn die Moderne wie auch gibt, wovon, wie Brecht es formuliert, seine Entwick- die Postmoderne im Theater mit der Infragestellung eben lungsfähigkeit kommt. jenes Modells von Theater beginnt, das in den Reformen des 18. Jahrhunderts als privilegierte Stätte bürgerlicher Alle drei Aspekte wurden in den experimentellen Aufklärung und Selbstverständigung behauptet wurde. Theaterformen der vergangenen Jahrzehnte dort aufge- griffen, wo Theater in einem politischen Sinne begriffen und versucht wurde: 3. Zäsur der Darstellung – Friedrich Hölderlin, Bertolt Brecht und das Theater der Potentialität – So exponieren etwa die Gruppe Rimini Protokoll und in ihrer Tradition die so genannten Bürgerbühnen in Den radikalsten Entwürfen Brechts ist eigen, dass sie ihren Arbeiten das Anwesende dort, wo sie Experten aus das Theater als Stätte zur Zertrümmerung von Ideologie der Wirklichkeit vor Augen stellen und mit ihnen sozia- begreifen, die an anderen Orten produziert worden ist. le Realität und zugleich die Möglichkeit, sich ihr durch Dies gilt speziell für seine Theorie und Praxis der soge- Spielarten des Eigensinns zu widersetzen. nan­nten Lehrstücke, die zum Teil als Stücke nur für die Spielenden gedacht waren, denen dabei im Spiel die – So ließen die Theaterarbeiten der Choreografin und Erfahrung der Aporien des Politischen vermittelt werden Regisseurin Wanda Golonka am Schauspiel Frankfurt sollte, um sie neuerlicher Diskussion und dem Eingriff und an der Volksbühne am Rosa Luxemburg-Platz nie- zu öffnen. Es ist diese Vorstellung, die der Philosoph mals vergessen, unter welchen Umständen, in welchem Wolfgang Heise später auf die Formel gebracht hat, man Gebäude, auf welcher Bühne in welcher Stadt sie statt- solle das Theater als Laboratorium sozialer Fantasie finden. In der Analyse und Ausstellung der Darstellung begreifen. Für ein solches Laboratorium wären an Brechts führen sie im Theater mit jeder Arbeit und über sie hinaus­ Arbeit vor allem drei Aspekte hervorzuheben: deren Rahmung vor, das Dispositiv der Darstellung, das damit auch immer wieder neuerlich zur Diskussion – Zum einen greift sein Theater, wie Walter Benjamin es gestellt wird. formuliert hat, die große alte Chance des Theaters auf, das Anwesende zu exponieren. Dies geschieht durch – So erinnert der Regisseur und Choreograf Laurent die – mit Hölderlin gesprochen – Zäsur der Darstellung Chétouane in der Inszenierung klassischer Texte bzw. in Benjamins und Brechts Worten: durch deren ges- beständig daran, dass eine Distanz die Darstellenden tische Unterbrechung. vom Dargestellten trennt. Es kommt nicht länger zur Einverleibung und Aneignung des Anderen, sondern – Zum zweiten verweist sein Theater beständig auf das vielmehr zur Ausstellung des Zwiespalts zwischen dem Verhältnis der aufgeführten Handlung zu derjenigen, die Darsteller und dem, was er darstellt. Dadurch wird aber im Aufführen überhaupt gegeben ist, es besinnt sich also der Blick auf die in jeder Darstellung und jedem Darstel- auf die eigene Medialität und vergisst niemals über dem ler verborgenen anderen Möglichkeiten geöffnet, auf Dargestellten die Art und Weise der Darstellung. das Dargestellte als eine viele Möglichkeiten nicht nur bergende, sondern beständig auch noch verbergende – Zum dritten kann sein Theater als Theater der Poten­- Handlung. tialität begriffen werden, insofern es den Menschen als ein nicht so leicht Erschöpfliches, viele Möglichkeiten Alle drei Beispiele und noch viele weitere können als in sich Bergendes und Verbergendes zu begreifen heutige Formen einer Öffnung des überkommenen

24 25 Theaters begriffen werden, die Theater nicht länger von diejenigen, die etwa heute inmitten einer vorgeblich der Institution, dem Haus oder einem Kanon her begreift, ­globalisierten Welt daran erinnern, dass auch und gerade sondern vielmehr von den mit ihm verbundenen politi- die vermeintliche Globalisierung und ihre große Erzählung schen Versprechen her. des sich selbst regulierenden Marktes in der einen Welt nichts anderes ist als eine Geschichte, eine Konstruktion, die dringend der Verhandlung, der Revision und der Zäsur Schlussbemerkung bedarf.

Was also wäre aus einer zugleich philosophischen wie politischen Sicht auf die Tradition eines sich poli- tisch begreifenden Theaters die Antwort auf die eingangs gestellten Fragen nach der Bedeutung des Theaters für Demokratie, Aufklärung und die Zukunft des Gemeinwesens: Trägt man die großen politischen Versprechen des Theaters zusammen, wie sie aus- gehend vom Theater der Antike, des 18. und des 20. Jahrhunderts formuliert wurden, so lassen sich aus ihnen für ein heutiges Theater – ganz gleich, ob wir von dem hochsubventionierten Theater im deutschspra- chigen Bereich, von den erwähnten experimentellen Formen an seinem Rande oder aber von nomadischen Theaterformen andernorts sprechen – zwei Antworten ableiten: Will das Theater nicht zum Museum oder zum Teil der Unterhaltungsindustrie werden, so ist ein doppeltes Anknüpfen an das beschriebene Erbe, das von der Antike über das 18. Jahrhundert, Hölderlin und Brecht bis in die Gegenwart reicht, notwendig: Zum einen muss sich das Theater auf die in seiner abendlän- dischen Geschichte formulierten Versprechen besinnen, sich als Möglichkeit einer radikalen Dekonstruktion aller gegebenen und vermeintlich ewigen Ordnungen, aller Institutionen und Vereinbarungen begreifen, als Ort und Zeit einer Öffentlichkeit, in der Aufklärung sich ereig- nen kann, als Erfahrungsraum und Laboratorium sozialer Fantasie. Zum anderen aber muss es sich vor allem für jene Ansprüche der Anderen öffnen, die in der klas- sischen Geschichtsphilosophie wie in den von ihr abge- leiteten Geschichtsschreibungen des abendländischen Theaters und der Künste keine Rolle spielen. Das sind, um den Titel aufzugreifen, den diese Veranstaltung trägt, nicht zuletzt die in seiner Tradition Ausgeschlossenen,

26 27 IST DIES WIRKLICH WAHR? ZUR BEGLAUBIGUNG Die letzten zwei Stunden zuvor war der grauhaarige ­SOZIALER WIRKLICHKEIT IM GEGENWARTSTHEATER Mann durch dokumentarische Filmbilder durch die Von Melanie Hinz beiden Performer Markus Schäfer und Markus Wenzel zur Figur des John Gabriel Borkman stilisiert worden: einen Untoten, den sie in der niedersächsischen Provinz suchten und fanden. Im Stil einer Doku-Fiktion eines Die Gretchenfrage dokumentarischer Formen zieht sich Privatsenders präsentierten die beiden Performer, wie sie nicht nur wie ein roter Faden durch den kunstwissen- John Gabriel Borkman dabei halfen, seine Messie- schaftlichen Diskurs zum Thema, sondern hängt auch wie Wohnung aufzuräumen, die übersät war von Schimmel, ein Damoklesschwert über Premierenfeiern von doku- Zeitungen und anderem überwuchernden, stinkenden mentarischen Theaterperformances, auch wenn diese Zeug. Der nicht-professionelle Darsteller fungierte in den erstmal den Anschein machen, sie verlaufen wie alle medialen Dokumenten, mit denen die Performer auf der anderen Premierenfeiern auch. Im November 2013 stand Bühne in Interaktion traten, als Projektionsfläche für das ich mit dem Performancekollektiv Markus&Markus Publikum, um den historischen Diskurs der Ibsen-Figur zusammen, die gerade ihre Adaption des Ibsen-Stücks zu aktualisieren. Aus einer Vielzahl medialer Dokumente John Gabriel Borkman im Theaterhaus Hildesheim wie Filmreportagen, Fotos aus dem Familienalbum gezeigt hatten. Es wurde Bier getrunken und geraucht. oder Fakten eines Lebenslaufs konstruierten Markus Ein Mann mit längerem, gelocktem grauen Haar trat Schäfer und Markus Wenzel ein dokumentarisches hinzu, der Protagonist des gezeigten Theaterabends war. Figurenporträt über den sozialen Aufstieg und Fall eines Er verkörperte dort John Gabriel Borkman, jene Ibsen- Mannes. Die Konstruktionsmaschine der dokumenta- Figur, die durch Bankgeschäfte, Spekulationen und dem rischen Bilder war dabei als Vorgang der Inszenierung Betreiben eines Bergwerks reich wurde, durch Betrug durch die Performer sichtbar und schützte zugleich an ihren Kunden im Knast landete und in den letzten die Identität des Mannes, der der biografierten Figur sein Jahren ihres Lebens in einer Dachkammer hauste. In Gesicht gab. Am Ende kam der Mann leibhaftig auf die der Performance war der grauhaarige Borkman-Darsteller Bühne und setzte sich zu Markus Schäfer und Markus in mediale Bildern gebannt, nur zwei Minuten live auf Wenzel ins naturalistisch nachgebaute Bühnenbild eines der Bühne gewesen und hatte kein Wort gesprochen. Wohnzimmers der Jahrhundertwende. Seine Anwesen- Ich wusste nicht seinen Namen, im Ankündigungstext heit auf der Bühne stellte Theater als eine dokumenta- zur Produktion wurde er unter Mitwirkende als John rische Situation aus – als Sichtbarmachung der geteilten Gabriel Borkman ausgegeben. Hatte er sich tatsäch- Wirklichkeit im Hier und Jetzt von Zuschauenden und lich auf eine Anzeige Messie gesucht gemeldet, wie in der Darstellern. So wurde die mediale Erzählung in die Unmit- Inszenierung berichtet wurde, oder war er ein Schau- telbarkeit von Theater als sozialer Teilhabe überführt. spieler oder ein nicht-professioneller Darsteller, der sich bereit erklärt hatte, in Filmszenen mitzuwirken? Der Zugleich blieb der Protagonist des Abends ein Gespenst Borkman-Darsteller holte eine Flasche Champagner her- in meiner Wahrnehmung, das von der Anwesenheit vor und sagte todernst, er habe die Flasche noch aus gesellschaftlicher Realität erzählte – bei gleichzeitiger seiner Messie-Wohnung rausgefischt, da habe sich ja Unschärfe seiner eigenen Identität: Was von der viel über die Jahre angesammelt. Es war jener Moment, Erzählung und den Bildern war wirklich wahr und Teil den Hans-Thies Lehmann den Einbruch des Realen im seiner Lebensrealität? War er mal ein niedersächsischer postdramatischen Theater nennt, in dem die Grenze von Großindustrieller? Ritt er auf Elefanten? Lebte er in einer Kunst und Leben ineinanderfällt. verschimmelten Wohnung in der niedersächsischen

28 29 Provinz? Das geschaffene Wahrnehmungsdispositiv und sowohl im Naturalismus und im Zeitstück der Weimarer Narrativ lief während der Premierenfeier weiter und ­ Republik Anfang des 20. Jahrhunderts und im Doku- verstrickte mich in eine ethische Situation. Dass dies mentartheater und neo-avantgardistisch-performativer ­passieren konnte, ist ein Effekt dokumentarischen Formen der 1960er Jahre zu verortet. Der heutige Trend Theaters, das als offene Form, nicht mit dem Black endet, wird maßgeblich durch die Inszenierung des nicht-pro- ­sondern darüber hinaus Wirklichkeitsanspruch erhebt. fessionellen Darstellers oder des so genannten Experten Ich wollte die Premierenfeier verlassen und umarmte des Alltags (Rimini Protokoll) bestimmt, der in den zum Abschied alle Personen, die ich gut kannte. Als ich frühen dokumentarischen Formen noch nicht live und an dem Mann einfach vorbei trat, sagte er zu mir: „Du in Farbe zur Aufführung kam. Doch die dokumenta­ weißt ja, ich stinke.“ Wer dachte hier was über wen? Es rische Inszenierung von Laien ist kein theaterspezifisches war jener Moment, in dem der Untote der Inszenierung Phänomen, sondern hat auch in anderen Kunstformen, sich zum Subjekt seiner Situation erhob, den inszenier- beispielsweise in Scripted-Reality-TV-Formaten, einen ten Schutzrahmen verließ und mir beglaubigen wollte: Der Boom erfahren. Warum sind ausgerechnet Nicht-Profis zu Messie, von dem im Stück die Rede war, das bin ich. Er einer Währung für das Dokumentarische geworden? wies sich als Objekt der Theaterperformance aus, in dem Inwiefern nehmen nicht-professionelle Darsteller selbst er das Narrativ der Ibsen-Performance in eine Referenz den Stellenwert von Dokumenten im Theater ein? Können zu sich selbst setzte. In meiner Rezeption kollabierten sie überhaupt als Dokumente bezeichnet werden? Und die Differenz von Figur und Privatperson – und ­letztlich wie unterscheiden sich die ­dokumentarischen Inszenier- auch der fiktionale Rahmen des Theaters, da der Darstel- ungsstrategien von nicht-professionellen Darstellern ler auch nach der Show noch dieselbe Rolle spielte. Die in Theaterproduktionen? Im Folgenden möchte ich die Aussage des Borkman-Darstellers konstruierte Realität, Bedeutung des Dokuments für das Dokumentartheater sie brachte aber keine ‚Wahrheiten‘ oder ‚Gewissheiten‘ der 1960er Jahre und seinen Paradigmenwechsel in über seine erlebte Lebensgeschichte hervor, sondern gegenwärtigen Kunstformen darlegen, um dann Überle- eine politische Situation im Hier und Jetzt, zu der ich mich gungen zu aktuellen Inszenierungen anzustellen. verhalten musste. Kurzweg umarmte ich den Fremden. Diese Anekdote ist eine paradigmatische Erzählung über die Unschärferelation von Fiktion und Realität im gegen- Das Dokument als authentisches Material wärtigen dokumentarischen Theater. Ausgehend von der (Peter Weiss) im Dokumentartheater der erlebten Situation mit dem Borkman-Darsteller möch- 1960er Jahre te ich der These nachgehen, ob der nicht-professionelle Darsteller im Rahmen des Theaters durch seine Präsenz Das dokumentarische Theater ist ein Theater der selbst als Dokument fungiert und definiert werden kann – Berichterstattung. Protokolle, Akten, Briefe, ­statistische als ein beglaubigender Beweis für eine außertheatrale Tabellen, Börsenmeldungen, Abschlussberichte von Existenz der im Theater verhandelten Inhalte bzw. als ein Bankunternehmen und Industriegesellschaften, Medium, das Realität erst konstruiert. Regierungserklärungen, Ansprachen, Interviews, Äußer- ungen bekannter Persönlichkeiten, Zeitungs- und Seit der Jahrtausendwende ist im Gegenwartstheater Rundfunkreportagen, Fotos, Journalfilme und ­andere (wie in anderen Künsten auch) ein neuer Trend zum Doku- Zeugnisse der Gegenwart bilden die Grundlage der mentarischen zu beobachten. Dies stellt zum Beispiel Aufführung. Mit diesen Notizen zum dokumentarischen Andreas Englhart in seiner Einführung Das Theater der Theater legte der Theatermacher und Schriftsteller Gegenwart fest, der die Ursprünge des Dokumentarischen Peter Weiss 1968 eine Programmatik und Poetik dar,

30 31 die den Begriff des Dokumentartheaters als neue Der Umgang mit den Dokumenten durch die Schriftsteller Kunstform maßgeblich prägte. Dokumentartheater folgte dabei den Prämissen der Wissenschaft: das wird erst zu diesem, weil es sich explizit auf Dokumente Dokument als Zitat und Beleg. Die ‚Wahrheit‘ der bezieht. In der Aufzählung der möglichen Dokumente Dokumente sollte das Theater zu einem parteilichen Ort von Peter Weiss, die zur Grundlage dokumentari­schen der Kritik und des Tribunals machen. Das dokumenta­ Theaters werden können, taucht der Darsteller als rische Theater in den sechziger Jahren war zugleich dokumenta­risches Material nicht auf. Als Ausgangspunkt von Kritik am Abbildcharakter des Dokumentarischen der Stückentwicklung und Gegenstand des Dokumentar- begleitet. Marianne Kesting bestritt, dass sich die theaters gilt für Peter Weiss vor allem das schriftlich Wirklichkeit von Ausschwitz durch künstlerische Normen fixierte Dokument, das er als authentisches Material darstellen lasse. Die Verwendung von Dokumenten zu bezeichnet. Der Stellenwert des Textdokuments ist dar- Auschwitz würde diese sowohl als historische Belege auf zurückzuführen, dass die Produzenten, die zum abwerten wie die Kunst durch die Bezugnahme auf deutschen Dokumentartheater der 1960er Jahre gezählt Dokumente zur Anti-Kunst verkomme. Martin Walser werden – wie Peter Weiss, Rolf Hochhuth, Heinar ­kritisierte, dass Theater durch seine spezifische fiktive Kipphardt oder Hans Magnus Enzenberger – allesamt Rahmung per se Illusionstheater sei, die Trennung von Schriftsteller sind, die Dokumentarliteratur ­verfassen. Kunst und Wirklichkeit auch im Dokumentartheater Ihre Dokumentar-Dramen beruhen auf dokumentarisch nicht aufgehoben werden könne. Der Zuschauer sehe belegten Fakten. Von diesem Material aus entwickeln Kunst, die als Realität behauptet werde. Peter Handke die Schriftsteller ihre Stücke. Das Dokumentarische im schloss Theater als einen Ort politischer Veränderbarkeit Theater wird so in ein neues Verhältnis zur ­sozialen aus. Am Wahrheitsgehalt des Dokumentarischen und Wirklichkeit gesetzt, das die Anfänge des Dokumenta- was diese Kunstform auszeichnete, schieden sich seit rischen bei Erwin Piscator und Bertolt Brecht in den den sechziger, siebziger Jahren die Geister. Trotz aller 1920er Jahren weiterentwickelt, wie Arnold Blumer in sei- Schwierigkeiten der Definition von dokumentarischem nem Buch Das dokumentarische Theater der sechziger Theater in den 1960er Jahren fasst Arnold Blumer Jahre in der Bundesrepublik Deutschland herausstellt: zusammen: Mit diesem Begriff wird ein Theater bezeich- Piscators und Brechts Dramenstoffe gründen sich auf net, das politisch ist in dem Sinne, daß es politische gefundenen Fabeln. Beim dokumentarischen Theater der Willensbildung anstrebt, ein Theater, das auf Dokumenten sechziger Jahre ist das entscheidend Neue jedoch ‚die basiert und dabei die Tendenz hat, sich vom Illusionären Dokumentierbarkeit des Themas, der Fabel, der Figuren. abzukehren. Blumer fügt seiner Definition noch einen Negativ ausgedrückt: es war die Abkehr vom Fiktiven‘. Rat hinzu, der bereits auf die dokumentarische Praxis Damit wird das Paradox des Dokumentarischen formu- im Gegenwartstheater verweist, wie ich es eingangs am liert: der Wunsch nach einer Abbildung der Wirklichkeit Beispiel der Ibsen-Performance von Markus&Markus im immer schon fiktiven Rahmen des Theaters. beschrieben habe: Vor allem aber sollte es sich immer dessen bewusst sein, daß es mit künstlerischen Mitteln Der Rekurs auf Dokumente der Zeit durch die Schrift- zu arbeiten hat, d. h. daß es als Kunst erst Wirklichkeit steller des Dokumentartheaters der 1960er Jahre herstellt und somit nicht nur Theater bleibt, sondern zum ­entstand als eine politische Geste des Entschleierns: politischen Theater wird. Das Dokumentartheater der Mit Ende der Adenauer-Ära und Beginn der 1968er-­ 1960er Jahre ist an der Poetik des Dokumentarischen Bewegung entstand eine Kritik und historische interessiert. Aufarbeitung des Nationalsozialismus, an der die Dokumentardramatiker entscheidend partizipierten.

32 33 Dokumente wie Protokolle oder Interviews werden als ­wechselseitig bedingen: die zunehmende Inszenierung ontologische Größe erachtet: Das Dokument wird von von Authentizität in den Künsten bei gleichzeitiger den Theatermachern als Zeichen eingesetzt, das per Erfahrung der Theatralität von Alltag und Gesellschaft. se auf eine außer dem Theater befindliche Wirklichkeit Genau auf dieser Schnittstelle einer Ästhetik der verweist. Der Glaube an die soziale Beweiskraft der Unentscheidbarkeit zwischen Leben und Kunst bewegt Dokumente ist Teil eines Denkens, das Theater wie Welt sich die Inszenierung von nicht-professionellen als Text begreift und dem Publikum die Aufgabe der Darstellerinnen und Darstellern. Angesichts einer allum- Interpretation im hermeneutischen Sinne zuweist. Das fassenden Inszenierung von Gesellschaft und der damit spezifische Wahrnehmungsdispositiv des Theaters als einhergehenden Schwierigkeit für Theaterzuschauer, ein fiktionaler Rahmen wird dabei für den Dokument- ­häufig nicht mehr unterscheiden zu können, ob es sich Begriff nicht mitreflektiert. Im Zuge eines pictorial turn hier [im Theater] um eine Inszenierung handelte oder in den Kulturwissenschaften ist dieser Dokument-Begriff um die Wirklichkeit, ob nicht die Wirklichkeit generell für eine aktuelle Analyse künstlerischer Formen des eine Inszenierung ist bzw. jede Inszenierung Wirklichkeits- Dokumentarischen veraltet. Es stellt sich damit die Frage, bezüge aufweist (Andreas Englhart), ist das ­gegen ­ ob die Produktivität des Dokument-Begriffs damit an wärtige Dokumentartheater, wie andere dokumentarische sein Ende angelangt ist oder ob es Möglichkeiten seinem Kunstformen auch, heute im Gegensatz zu seinen theoretischen Erweiterung gibt. Ursprüngen von einem Paradigmenwechsel in der Reflex- ion und im Umgang mit dem Dokumentarischen gekenn- zeichnet: das verwendete Dokument (beispielsweise Der nicht-professionelle Darsteller als Zeugnis ein Foto, ein Interview) verweist nicht mehr zwangsläufig im dokumentarischen Gegenwartstheater auf eine außer ihm liegende Wirklichkeit, sondern konst- ruiert selbst Realität. Das Dokumentarische wird zu einem Unser digitalisiertes Zeitalter hat eine Überfülle von doku- Phänomen unserer Wahrnehmung. In unserer Rezeption mentarischen Bildern hervorgebracht, auf die jeder von von dokumentarischen Arbeiten sind wir beständig mit der uns schnell und global zugreifen kann. Globalisierung Glaubensfrage beschäftigt: Ist dies wirklich wahr? Das und Transnationalisierung der Mediengesellschaft erhö- semiotische Konzept des Dokument-Begriffs gelangt hen den Verwertungsdruck und die Kommerzialisierung damit an sein Ende. Er wird abgelöst von einem Konzept ­dokumentarischer Formen, schreibt die Kunstwissen- der Gegenwärtigkeit: Bestimmte Materialien wie Fotos, schaftlerin Hito Steyerl in ihrem luziden Essay-Buch Protokolle, Filme können im Theater wie in anderen Die Farbe der Wahrheit. Steyerl kategorisiert das Doku- Künsten auch durch Authentifizierungsstrategien als mentarische als ein Unschärfeprinzip, bei dem die Zeugnisse einer sozialen Wirklichkeit inszeniert werden Unterscheidung zwischen der Welt und dem Bild, dem und ­auratisch erfahren werden. Nur in diesem Sinne kann Ereignis und seinem Abbild, zwischen Beobachter der nicht-professionelle Darsteller im fiktiven Rahmen und Beobachtetem zunehmend verwischt wird. Damit­ des Theaters als spezifisches Dokument bezeichnet einher geht im Kontext einer Mediengesellschaft ein ­werden: Er wird durch seine Präsenz zum Zeugnis – zur grundsätzlicher Zweifel an der Echtheit von Dokumenten: Bescheinigung seiner Selbst und seines sozialen Das Reale, beispielsweise die fotografische Abbildung Gewordenseins. Anders als ein Schauspieler, dessen eines Kriegsschauplatzes, ist immer schon fingiert. Körper und Stimme auf eine professionelle Ausbildung verweist, der durch die Darstellung von Figuren ­seine In der Theaterwissenschaft haben zwei Begriffe seit Identität überschreitet, wird der nicht-professionelle den neunziger Jahren den Diskurs bestimmt, die sich Darsteller als ein sozial beschriebener Körper, als Habitus

34 35 (nach Bourdieu) ausgestellt. Die Spuren des Realen an Bürgerbühne, die am Staatsschauspiel Dresden seit seinem Körper, seiner Stimme, seiner Bewegung kon- der Spielzeit 2009 / 2010 besteht. In Mannheim, struieren in der Rezeption von Zuschauerinnen und Karlsruhe, Salzburg, Aalborg und Aarhus wurden mitt- Zuschauern in der fiktiven Theatersituation paradoxerwei- lerweile ähnliche Modelle gegründet. Bürgerinnen se die Erfahrung von Realität. Nicht-Profis werden als und Bürger aller Altersklassen treten in professionellen Selbstdarsteller als echt behauptet und erfahren, zugleich Inszenierungen als Protagonisten in verschiedenen haben nach Miriam Dreysse ihre Erzählungen fiktio- Besetzungen auf: als Stellvertreter für soziale Gruppen, nalen Charakter, da sie für die Zuschauer keine ontolo- Spielerinnen von dramatischen Rollen, Experten gische Konsistenz besitzen, sondern im Moment der des Alltags oder Selbst-Darsteller. Auffällig ist jedoch, Aufführung sprachlich erzeugt werden. Die Inszenierung dass dokumentarische Inszenierungsstrategien mit von nicht-professionellen Darstellern als dokumenta- den Bürgerinnen und Bürgern überwiegen. Doch eine rische Zeugnisse im Theater ist durch Dramaturgie und Inszenierung kann noch nicht per se als dokumenta- szenische Arrangements immer von fingierten Akten risch bezeichnet werden, wenn Bürgerinnen und Bürger begleitet und führt so zu einer Verunsicherung der Grenze auf der Bühne stehen. Vielmehr muss zwischen ihnen von Realität und Fiktion. und der Darstellung auf der Bühne ein Konnex von der Regie hergestellt werden, der ihre soziale Realität – ihren Habitus, ihre Expertisen oder ihre Biografie – in ein Bürger auf der Bühne als dokumentarische ­dialektisches Verhältnis zum Thema der Inszenierung Beglaubigung sozialer Wirklichkeit setzt. Möglicherweise wird der dokumentarische Zugriff auch deshalb so häufig gewählt, um die Frage der Das Dokumentarische ist im Gegenwartstheater häufig Legitimierung und des Handwerks – warum ausgerech- gerade an die explizite Thematisierung und Ausstellung net Laien und nicht Schauspieler in einer professionellen von nicht-professionellen Darstellern gebunden. Nicht- Inszenierung besetzt werden – auszuschalten. professionelle Darstellerinnen und Darsteller haben die Ästhetik und Spielweisen des Gegenwartstheaters in Während die Dokumentartheatermacher der ­sechziger den letzten Jahrzehnten entscheidend geprägt. Sie ­treten Jahre ihre Stücke auf Grundlage von historischen als Protagonisten in Tanzaufführungen von Royston Dokumenten entwarfen, die sie in Archiven vorfanden, Maldoom, Pina Bausch oder Jerome Bel, als Chöre in werden die Dokumente, auf die sich heutige dokumen­ Klassikerinszenierungen von Volker Lösch oder in Perfor- tarische Theaterformen mit nicht-professionellen mances von Gob Squad, She She Pop oder Rimini Darstellern beziehen, häufig erst im Probenprozess durch Protokoll auf. Letztere haben zugleich ein neues Label Interviews generiert. Die Form des Interviews gehört für sie erfunden, um den Dilettantismus-Vorwurf aus- zu den zentralen Dokumenten des dokumentarischen zuschalten: Nicht-professionelle Darsteller fungieren Theaters. Neu ist im Gegensatz zu den sechziger Jahren, in ihren Inszenierungen als sogenannte Experten des dass dieses genau dadurch zu authentifiziertem Material Alltags und bringen damit ihre ganz eigene Kompetenz wird, weil es von den Produzenten des Dokuments mit: Sie brauchen kein schauspielerisches Handwerk, selbst und nicht von Schauspielern gesprochen wird. weil ihr Leben Probe genug war für das, was sie auf Der nicht-professionelle Darsteller verweist mit seinem der Bühne zu erzählen haben. Seit 2010 werden diese Text auf sich selbst und sein Leben. Genau dadurch künstlerischen Entwicklungen eines Theater des Nicht- besetzt der Nicht-Profi selbst die Stelle des dokumenta- Perfekten (Jens Roselt) auch in einer eigenen Sparte an rischen Materials, da er Inhalt und Form zugleich ist. Er Stadt- und Staatstheaters gebündelt: der sogenannten wird selbst zum Zeugnis seiner Lebensgeschichte – oder

36 37 behauptet zumindest im Moment der Aufführung, dass in ein Spiel der Wahrnehmung über die Unschärfen des seine Erzählung wahr sei. Dokumentarischen übersetzt wird. Und genau daran ­entzündet sich unsere Schaulust an nicht-professionellen Darstellern. Fazit: Produktives Zweifeln über das, was wahr ist Eine ungekürzte Version dieses Artikels wurde zuerst ­veröffentlicht in der dänischen Theaterzeitschrift Peripeti: Während Kennzeichen des Dokumentartheaters der Melanie Hinz. 2014. Den ikke-professionelle skuespiller sechziger Jahre ist, dass die Schriftsteller an die som dokument? Om bekraeftelse af sozial virkelighted Authentizität der schriftlichen Dokumente ­glauben, i samtidstreatret. In: Peripeti. Tidsskrift for dramaturgiske wie das Weiss-Zitat gezeigt hat, ist die Gegenwart studier. Dokumentarisme. 21. 49-62. des Dokumentarischen von einem permanenten Zweifel begleitet, ob die vermeintlichen dokumentarischen Fotografien, Reportagen oder nicht-professionelle­ Dar- steller überhaupt wahr sind. Steyerl beschreibt ­diesen Zweifel als eine immer schon gegebene Begleiter scheinung des Dokumentarischen: Wir wissen, dass unser Wissen über Dokumentarismus ungewiss ist. Und permanente Ungewissheit stellt auch nahezu unweigerlich unsere Reaktionen auf dokumentari- sche Bilder dar. Der dauerhafte Zweifel, die nagende Unsicherheit darüber, ob das, was wir sehen, wahr, ­realitätsgetreu oder faktisch ist, begleiten dokumentari- sche Bilder wie ihr Schatten. Der Zweifel ist kein Mangel, der verschämt verborgen werden muss, sondern die Haupteigenschaft zeitgenössischer dokumentarischer Bilder. In der Ära allgemeiner Ungewissheit können wir eines mit Gewissheit über sie sagen: Wir zweifeln immer schon, ob sie wahr sind. Steyerls Beobachtungen zu Film und Fotografie lassen sich auch auf das Doku- mentarische im zeit­genössischen Theater über­tragen: Theatermacherinnen und Theatermacher spielen mit unserer Wahrnehmung und unseren Zweifeln über das Dokumentarische. In produktiver Weise machen sie uns damit zu Autoren unserer eigenen Wirklichkeit und stellen heraus, dass diese schon immer subjektiv und eine Frage der Perspektive ist. Nicht-professionelle Darsteller dokumentieren mit ihrer Nicht-Perfektion, ihrer Präsenz, der Ausstellung ihres Habitus und mit dem Rekurs auf ihre eigene Biografie eine soziale Wirklichkeit, die wiederum durch die Bühnensituation

38 39 AUSGESCHLOSSEN. BERICHTE VON VERDECKTEN WIRKLICHKEITEN

À JOUR VORTRAGSREIHE ZU DEN FRANKFURTER POSITIONEN

FUNDSTÜCKE Von Serhat Karakayali

AUSLÄNDER (RAUS) HELFT DIESEM VOLK

In dieser überschriebenen migrantenfeindlichen Schmiererei wird Rassismus als ein Entwicklungsmangel der Gesellschaft apostrophiert. Vordergründig ein Appell an die Migranten, hier – in der Umkehrung ihrer rassistischen Entwertung – gleichsam als kulturelle Entwicklungshelfer einen Modernisierungsbeitrag zu leis- ten. Umgedreht wird dabei auch die Exklusionsrhetorik.

Migranten sind keine Belastung, sondern werden AUS DER BROSCHÜRE O. A.: „LEBEN EINZELN UND FREI WIE EIN BAUM UND BRÜDERLICH WIE EIN gebraucht – nicht wegen ihrer Arbeitskraft, sondern weil WALD, DAS IST UNSERE SEHNSUCHT“ (FREIBURG 1983) sie uns helfen, bessere Menschen zu werden.

40 41 FOTO: BLOG VON JULIEN GOUESSE: WWW.GOUESSEJ.WORDPRESS.COM FOTO: CARRIE SLOAN (WWW.FAIRIMMIGRATION.ORG)

ÉTRANGERS... NE NOUS LAISSEZ PAS SEULS WE ARE HERE BECAUSE YOU ARE THERE AVEC LES FRANCAIS!! Das Transparent rechtfertigt Migration, indem die Die an eine Wand gesprayte Bitte unterstreicht die Geste Ursachen der Migration, historische und gegenwärtige­ der kulturellen Bereicherung und geht darüber hinaus, ökonomische und politische Beziehungen, im Kollektiv indem sie zum Ausdruck bringt, dass Migranten nicht der Bürger der Einwanderungsländer lokalisiert­ ­wer nur kulturelle Vielfalt bringen, sondern auch Anküpfungs- den. Die damit konstituierte Beziehung besteht aus punkte bieten für all jene, die mit den ­politischen oder Tätern oder, etwas weniger moralisch formuliert, Ver- kulturellen Verhältnissen unzufrieden sind. Beide Gruppen antwortlichen und Opfern. werden dabei in ihrem Minoritär-Sein, als eigenständiges Kollektiv angerufen.

SERHAT KARAKAYALI war Gast der Vortragsreihe à jour am 12.11.2014. Der Titel seines Beitrags lautete: Connecting People. Zur Rationalität des Einschlusses. Serhat Karakayali ist Soziologe am Berliner Institut für empirische Migrations- und Integrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin.

42 43 WEIL ES SAGBAR IST Verzweiflung und Schmerz legen sich wie eine Schale Von Carolin Emcke um die betroffene Person und schließen sie ein. So ­vergrößert sich der Radius der Gewalt, weitet sich aus und beschädigt. Erlittene Gewalt nistet sich ein, sie lagert sich ab, lässt erstarren, artikuliert sich in Gesten, […] Wieder und wieder bitten Menschen in Not, Einge- Bewegungen, Wortfetzen oder im Schweigen. schlossene oder Ausgeschlossene, Opfer von Krieg oder Darin aber, in dem Schweigen der Opfer von Gewalt, ein Gegenüber darum, davon zu erzählen. […] extremem Unrecht und Gewalt, liegt die ­perfideste Bestimmte Erlebnisse scheinen nicht erst die Kunst solcher Verbrechen: seine eigenen Spuren zu Möglichkeit zu begrenzen, sie zu beschreiben, sondern ­verwischen. Denn wenn sich strukturelle und physische schon das Vermögen, sie zu erfassen. Extremes Unrecht Gewalt einschreibt in ihre Opfer, wenn sie die physi- und Gewalt stellen eine Anomalie dar, sie widerspre- sche und ­psychische Integrität einer Person verletzt, chen jeder unversehrten Welterfahrung. Sie brechen ein in wenn ­extremes Unrecht und Gewalt die erzählerische das Leben von Menschen, die nicht begreifen können, Kompetenz angreift, dann bleibt sie unbemerkt und was ihnen da geschieht. Das Erlebnis scheint entkoppelt wirkt fort. […] von allem, was vorher geschah, es reiht sich nicht ein in die eigene Geschichte, in das Verständnis dessen, was Aus: Carolin Emcke: Einleitung in: Weil es sagbar ist. und wer man selbst einmal war und wer die anderen Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit. Frankfurt am waren. Und das Erlebnis scheint entkoppelt von allem, Main: S. Fischer Verlag 2013, S. 13-21; hier: 13, 14 f., 16. was geschehen sollte, es passt nicht zu der eigenen mora- lischen Erwartung, zu dem, was und wer andere sein sollten. Der zivilisatorische Bruch eines Unrechts zieht sich durch verschiedene Schichten, erschüttert zwei- Die, die nicht gesehen werden lautet der Titel von Carolin fach: die Beziehung des Opfers zu sich selbst und seine Emckes Vortrag bei à jour am 14.01.2015. Beziehung zur Welt. Diese normative Störung vertieft den Riss zwischen innerhalb und außerhalb der Zone CAROLIN EMCKE ist Philosophin, Reporterin und freie der Gewalt, zwischen Betroffenen und Außenstehenden. Autorin. So werden Leid und Gewalt zu einem sprachli- chen Problem: Die Erlebnisse scheinen nicht beschreib- bar, weil die Betroffenen sie selbst nicht verstehen, weil sie alles zu übersteigen drohen, was vorher an Erfahrung zählte. Zu harmlos wirken die üblichen Begriffe ange- sichts des Schreckens, zu flach. Um die Verwüstungen zu beschreiben, müssten Worte, eines nach dem anderen, an dies angelegt werden, wie Pailletten an einen Stoff, bis sie alles bedecken. Und die Erlebnisse erscheinen anderen nicht ver- mittelbar, weil sie die, die sie durchleiden, absondern von denen, die verschont wurden. Zu kurz scheint jede Erzählung angesichts des Schreckens, zu dünn, um die Last der ganzen Erfahrung tragen zu können. […]

44 45 CARE / LEBENSSORGE vielen Hinsichten ganz neue Bedeutung erlangt haben, Von Cornelia Klinger obwohl durch die Vermittlung durch Technik und /oder Geld alte Lebenssorgetätigkeiten neue Anerkennung ­finden, wirken die negativen Einstellungen und Wertungen bis heute sehr hartnäckig nach. Immer noch bestimmt […] Die Ursache für diese alte Art der Verachtung der die Nähe zum bzw. Ferne vom Körperlichen / Materiellen Lebenssorge liegt in der Verachtung des Körpers, die Rangordnung der Tätigkeiten. Außerdem ­entstehen und die Ursache für die Verachtung des Körpers resul- andere Kontingenzverdrängungsstrategien. So wird tiert aus seiner Kontingenz, das heißt aus der in der modernen Gesellschaft mehr oder weniger still- Zufälligkeit und Hinfälligkeit des Lebens, aus seiner schweigend davon ausgegangen, dass Kontingenz nur Anfänglichkeit und Endlichkeit, aus seiner Beliebigkeit, ein marginales ­handicap darstellt, von dem nur einige ­seiner Flüchtigkeit und Unberechenbarkeit, aus seiner Menschen unter unglücklichen Umständen (im Zustand Fragmentierung / Partikularität und der unübersicht­lichen von Krankheit oder Behinderung) oder alle Menschen Vielfalt / Pluralität des Lebendigen. Um mit dem Chaos, nur vorübergehend (im Zustand von Kindheit und Alter) das die Welt und das eigene Dasein darstellt, fertig betroffen sind, so dass am strahlenden Bild des Men- werden zu können, entwickeln Gesellschaften Strategien schen als autonomen, souveränen, ­omnipotenten Subjekt zur Kontingenzbewältigung, die häufig auf symbo- keine Kratzer entstehen. Tatsächlich sind Menschen lischer Segregierung und herrschaftlicher Delegierung nicht nur in bestimmten Situationen und Zuständen auf beruhen. Es wird das Feste vom Flüssigen, das Gekocht die Fürsorge anderer angewiesen, sondern in jedem te vom Rohen, die Vernunft vom Wahnsinn, die Ordnung Moment und unter allen Umständen, in jedem Augenblick vom Chaos geschieden, um wenigstens in einem ein- über die ganze Spanne ihrer Existenz ­hinweg. Kontingenz gegrenzten trockenen Bereich Gewissheit und Sicherheit heißt Zufälligkeit und Beliebigkeit, aber Kontingenz ist zu gewinnen. Dieses Ordnungsprinzip, mit dem der bibli- keine nur zufällige und beliebige Qualität des Lebens, sche Gott im Schöpfungsakt das Land vom Meer schei- sondern eine grundsätzliche und konstante Kondition […]. det, ist zugleich ein Herrschaftsprinzip: Die Aufgaben der Auseinandersetzung mit der Kontingenz resp. mit der Cornelia Klinger in: Ute Gerhard und Cornelia Klinger obskuren, intransigenten und volatilen Materie werden im Gespräch über Care / Fürsorgliche Praxis und von oben nach unten, vom Herrn an den Knecht, vom Lebenssorge, in: Feministische Studien. Zeitschrift für Mann an die Frau delegiert. Diejenigen, die die Drecks- interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung arbeit der Kontingenzbewältigung machen, erfahren 31.11., S. 267-277, hier: 270 f. dafür wenig Dank, Lohn oder Anerkennung, ­sondern sie werden vielmehr selbst mit Kontingenz identifiziert, sie ­werden als anders, schwarz und schmutzig verachtet und CORNELIA KLINGER ist Philosophin. Sie beteiligt sich am ausgegrenzt. Symposium der Frankfurter Positionen mit einem Beitrag Je weiter die Optionen zur realen Kontingenz- über Sorge / Care (siehe Seite 143). beherrschung durch gesellschaftlichen und tech­ nologischen Fortschritt wachsen, desto weniger ­sollte Bedarf an den alten Strategien der Segregierung, Stratifizierung und Delegierung bestehen. Obwohl der menschliche Körper, die als irrational abqualifizierten Gefühle, namentlich die Sexualität, in der Moderne in

46 47 INDUSTRIAL 9 / 11. SKLAV_INNEN DES WETTBEWERBSVORTEILS Von Thomas Seibert

Am 11. September 2012 brennt in Karatschi / Pakistan eine Textilfabrik aus. Wenig später kommt es in Dhaka / Bangladesch zu einem weiteren Großbrand, kurz darauf stürzt wenige Straßen weiter ein neun­ stöckiger Fabrikkomplex in sich zusammen. Knapp 1.500 Menschen sterben, fast doppelt so viele werden ­verletzt. Ungezählte Leben bleiben verstört zurück, viele ohne Einkommen. Darin jedenfalls sind sie nicht allein. Ein regelmäßiges Einkommen fehlt den meisten der 14 Millionen Einwohner_innen Dhakas und den meisten der 20 Millionen Einwohner_innen Karatschis. Im Land der Auftraggeber_innen wirkt das als Wettbewerbsvorteil, der sich noch an der Ladentheke auszahlt, auch für uns. So wie es aussieht, sind alle Beteiligten des globa- len Zusammenhangs ausnahmslos je an ihre Position ­gebunden. Seit dem Industrial 9 / 11 wissen wir zumin- dest das. Einigen hilft das weiter, hier wie dort. Start von Ground Zero, nennt das der Anwalt der Überlebenden.

THOMAS SEIBERT ist Südasienkoordinator von medico international, Philosoph und Aktivist. Er beteiligt sich am Symposium der Frankfurter Positionen mit einem Beitrag über Textilfabriken in Asien (siehe Seite 145).

Fotos: Gordon Welters / medico international

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54 55 56 57 58 59 KONZERT Greenwood der Komponist im Herbst 2011 im Zusammenhang der Konzerte des Ensemble DONNERSTAG Modern beim Festival Sacrum Profanum in 22.01. Krakau kennenlernte. FREITAG 23.01. Dann folgt die Komposition Music with silent aitake’s des Belgiers Frédéric D’haene. Sie führt beide Ensembles und Kunstrichtungen ENSEMBLE MODERN MEETS GAGAKU zusammen, nicht in Form einer Fusion, son- Gagaku-Musik und Kompositionen von dern einer Koexistenz beider Kulturen, deren Steve Reich und Frédéric D’haene Unterschiede durch den Fluss der Musik über- wunden werden. Ziel des Projekts ist nicht die Uraufführung und deutsche Erstaufführung Vermischung der Musik-Kulturen, sondern Ensemble Modern dass beide Stile ihre jeweils charakteristische Reigakusha Ensemble Tokyo musikalische Logik behalten.

19.30 Uhr Gagaku: Traditionelle japanische Hofmusik Frankfurt LAB für Gagaku-Ensemble (7. bis 9. Jhdt.) Steve Reich: Radio Rewrite (2012) (Deutsche Erstaufführung) Der Abend konfrontiert Gagaku und westli- Pause che zeitgenössische Musik: Das Reigakusha Frédéric D‘haene: Music with silent aitake’s Ensemble aus Tokyo präsentiert die tradi­ für Gagaku-Ensemble und ein Ensemble für tionelle japanische Zeremonial- und Hofmusik zeitgenössische Musik (2006) (Uraufführung) Gagaku aus dem 7. bis 9. Jahrhundert. Das Dirigent: Kasper de Roo Ensemble Modern ist mit der deutschen Erst- aufführung von Steve Reichs Radio Rewrite zu erleben – die ursprünglich angekündigte REIGAKUSHA ENSEMBLE Komposition von Lars Petter Hagen entfällt. Das 2012 entstandene Stück Radio Rewrite ist Yuko Hirai, Mami Imanaka, Ko Ishikawa, Remi inspiriert von zwei Songs der britischen Rock- Miura, Naoko Miyamaru, Mayumi Miyata, band , dessen Gitarristen Jonny Hanako Nakamura, Kahoru Nakamura, 60 61 Mika Nakata, Eri Komatsu, Takeshi Sasamoto, STEVE REICH Katsuhiko Tabuchi, Yasumasa Tanaka, Nobukazu Taniuchi Steve Reich (geboren 1936 in New York) ist einer der berühmtesten Vertreter der US- amerikanischen und einer der ENSEMBLE MODERN berühmtesten lebenden Komponisten über- haupt. Seine Musik hat großen Einfluss auf Dietmar Wiesner, Flöte Komponisten und Musiker weltweit. Er lernte Christiane Albert, Flöte Schlagzeug und studierte Philosophie an Nina Janßen-Deinzer; Klarinette, der Cornell University in Ithaka, New York, Sopransaxofon Komposition an der New Yorker Juilliard Ib Hausmann, Bassklarinette University und am Mills College in Oakland, N.N. Tenorsaxofon Kalifornien bei Darius Milhaud und Luciano Saar Berger, Horn Berio. Über die Beschäftigung mit identischen Valentín Garvie, Trompete Sprachaufnahmen auf mehreren­ Tonbandge- Sava Stoianov, Trompete räten kam er zur Technik der Phasenverschie- Uwe Dierksen, Posaune bung, die er auf instrumentale Besetzungen Jeroen Mentens, Posaune ausweitete. Seine Musik ist vom , west- Hermann Kretzschmar, Klavier afrikanischer Schlagzeug- und balinesischer Rumi Ogawa, Schlagzeug Gamelanmusik geprägt. Aufgeführt wurde Rainer Römer, Schlagzeug Reichs Musik von großen Orchestern und Jagdish Mistry, Violine Ensembles überall in der Welt, u. a. von den Giorgos Panagiotidis, Violine Philharmonikern New Yorks und Los Angeles’, Megumi Kasakawa, dem Symphonieorchester , dem Eva Böcker, Violoncello , dem Ensemble Modern, dem Michael M. Kasper, Violoncello Ensemble Intercontemporain. Choreografen Paul Cannon, Kontrabass wie Anne Teresa de Keersmaeker, Jirí Kylían, Norbert Ommer, Klangregie Jerome Robbins, Wayne McGregor und Christopher Wheeldon haben zu seiner Musik Choreografien erarbeitet.

62 63 FRÉDÉRIC D’HAENE Kaiserhof, aber auch zur Ausgestaltung von Festen an shintoistischen Schreinen und Der aus Belgien stammende Komponist buddhistischen Tempeln gespielt wird. Ihre Frédéric D’haene (geboren 1961) studierte in Geschichte lässt sich über mehr als 1.200 Kortrijk, Gent und Lüttich sowie Musikwis- Jahre bis in die Nara-Epoche­ (710 bis 794) senschaft an der Universität von Gent. Er zurückverfolgen. Damals orientierte sich war Schüler von Frederic Rzewski, Walter der junge, noch im Aufbau befindliche Insel- Zimmermann, Henri Pousseur und des slowe- staat an China und übernahm von dort auch nischen Komponisten Vinko Globokar. Er nahm zahlreiche Musikarten, Musikinstrumente an den Darmstädter Ferienkursen für Neue und Tanzformen, die ­ihrerseits bereits Importe Musik teil und unterrichtete­ einige­ Zeit am aus anderen asiatischen Kulturen, u.a. aus Konservatorium in Lüttich und der Universität Indien, West- und Zentralasien darstellten. Gent. D’haenes kompositorische Arbeit grün- In Japan wurden ­diese Traditionen zu einer det auf einer Vorstellung von Pluralismus: ­spezifisch japanischen Darbietungskunst Er wendet sich dagegen, eine Welt oder eine assimiliert, die sich unter dem Sammelbegriff Sprache zu wählen und sucht eine Ästhetik Gagaku bis heute in lebendiger Praxis der Koexistenz. Er kombiniert Elemente unter- erhalten hat. schiedlicher Herkunft oder gegensätzliche Der Terminus Gagaku stammt aus dem Konzepte – wie Ost und West, Stasis und Konfuzianismus und meint eine würdevolle­ , Dynamik oder Einfachheit und Komplexität. korrekte Musik, die nicht in erster Linie Was unvereinbar scheint, gewinnt neue ästhetisch gefallen, sondern ethisch bilden Dimensionen und wird erweitert, ohne seine will. Als Klangsymbol kosmischer Ordnung ursprüngliche Natur zu verlieren. trägt sie dazu bei, den Menschen als ein harmonisches Wesen zu vollenden, das von extremen Gefühlen frei einen mittleren­ DIE JAPANISCHE TRADITION Weg der Ausgeglichenheit und heiteren DES GAGAKU Gelassenheit erreicht. Archaische Einfachheit und ein weitgehender Verzicht auf unmittel­ Mit Gagaku bezeichnet man in Japan eine baren Gefühlsausdruck sind denn auch besondere Gattung instrumentaler und voka- Merkmale der Gagaku-Musik. Ihr betont ler Ensemblemusik, die vornehmlich bei ­langsames Vortragstempo hebt das alltäg-­ zeremoniellen und rituellen Anlässen am liche Zeitempfinden auf und verweist auf 64 65 die Zeitlosigkeit kosmischer Ordnung. Mit ÜBER MUSIC WITH SILENT AITAKES Klängen des Himmels erzeugt Gagaku eine enthobene, feierliche Atmosphäre, in der „Als Tadatoshi Miyagawa, mein Ratgeber in meinen Studien des die Begegnung der Menschen mit Ahnen, Gagaku, mich bat, ein Werk für Gagaku zu schreiben, fand ich Göttern und Buddhas möglich wird. Gagaku darin nicht viel Sinn: In der Welt und Zeit, in der wir heute leben, ergießen sich alle kulturellen Strömungen in einen großen Ozean. umfasst heute sehr unterschiedliche Arten Und davon ausgehend müssen wir neue Formen, Universen und von Musik: Gesänge, Instrumentalmusik und Traditionen entwickeln. Ich entschied mich, für Gagaku zu kompo- Tänze der höfischen Shintō-Zeremonien; inst- nieren, aber diesem moderne westliche Musik und ein westliches Ensemble gegenüber zu stellen. rumentalbegleitete Lieder (Saibara, Rōei), die Music with silent aitakes ist die erste Komposition eines in stilisierter Form Volkslieder des Altertums europäischen Komponisten für Gagaku und westliches Ensemble. bewahren; und vor allem Ensemblemusik, Für Gagaku zu komponieren ist nicht dasselbe, wie für Gagaku- Instrumente zu komponieren. Das Stück ist in westlicher Notation die entweder konzertant (Kangen) oder zur niedergeschrieben, die Musik für Gagaku jedoch in traditioneller Begleitung von Tänzen (Bugaku) aufgeführt Gagaku-Notation gedacht und kann, wenn nötig, in diese umge- wird. Die Orchestrierung ist standardisiert: schrieben werden. Die nähere Beschäftigung mit Gagaku wirft einige Fragen Die Melodie, die den Kern einer Gagaku- auf: Ein erstes Problem ergibt sich aus der Stimmung: Die Gagaku- Komposition ausmacht, wird von den meist Instrumente werden in einer anderen Stimmung gespielt. Eine mehrfach besetzten Blasinstrumenten Hichiriki mögliche Lösung wäre, die Gagaku-Instrumente auf westliche Art zu stimmen – wie es beinahe immer in Kompositionen für Gagaku- (kleine Oboe) und Fue (Querflöte) heterophon und westliche Instrumente geschieht – was zwar einfach ist, mir aber vorgetragen und von der Shō (Mundorgel) künstlerisch bedeutungslos erscheint. Ich zog daher das Nebenein- mit Akkorden im hohen Tonregister gleich- ander zweier unterschiedlicher Stimmungen in Erwägung, als eine neue Ebene und ein neues Konzept von Dissonanz. Die gesamte sam eingehüllt. Die Saiteninstrumente Gakusō Musik von Music with silent aitakes entspringt dieser beständigen (13-saitige Wölbbrettzither Koto) und Biwa Ebene an Dissonanz, die manchmal akzentuiert ist, manchmal in (4-saitige Laute) stützen die Melodie mit Konsonanz überwunden wird. […] Das Gagaku, traditionell eine profund melodische Musik, ­charakteristischen Arpeggien im Bassregister. wird hier in eine harmonische Musik transformiert, die Material und Eine große und eine kleine Trommel sorgen strukturelle Modifikationen des traditionellen Gagaku in sich trägt. zusammen mit einem kleinen Bronzegong für Die größte Herausforderung für die Musiker wird sein, die Akkorde zu spielen, miteinander zu verbinden und dabei eine Balance im Klang den rhythmisch-metrischen Rahmen. dieser Akkorde zu finden. Die gespielten Akkorde sind (mit einigen Ausnahmen) Konfigurationen und Kombinationen der aitakes – den Heinz-Dieter Reese traditionellen Gagaku-Akkorden der Shō. […] Ein weiteres grundlegendes Problem in der Begegnung mit Gagaku ist die Art des Ensemblespiels. Gagaku musiziert ohne Dirigent, anders als das westliche Ensemble. Im Ensemblespiel des

66 67 Gagaku spielen traditionelle rhythmische Muster, die durch perkussive Instrumente ausgeführt werden, eine wichtige Rolle. Dies ist auch hier der Fall. Im Gegensatz dazu folgt die Musik des westlichen Ensembles komplett anderen rhythmischen und metrischen Prinzipien (andere Zählweisen und Taktarten eingeschlossen), ist jedoch gleichzeitig völlig integriert in und determiniert durch spezifische Muster der Kakko mit den Namen Katarai und Mororai. Dies resultiert in einer abenteuerlichen, doch faszinierenden, interaktiven Art des Ensemble- Spiels, in der der Dirigent nicht nur das westliche Ensemble leitet, sondern zur selben Zeit auch dem Fluss des Gagaku folgen muss. Dort muss der Kakko-Spieler das eigene Ensemble anführen und gleichzeitig dem Fluss des westlichen Ensembles folgen. Das Werk Music with silent aitakes, in dem beide Formationen, Gagaku und westliches Ensemble, zusammen spielen und in dem beide ihre jeweils charakteristische, musikalische Logik und ihre Dynamiken behalten, strebt nicht die Fusion, sondern ihre Koexistenz zweier verschiedener Kulturen an. Unterschiede bleiben grundlegende Unterschiede, und können gleichzeitig durch den Fluss der Musik überwunden werden. Music with silent aitakes verneint, auf der Suche nach trans- kultureller Befreiung, kulturellen und politischen Nationalismus.“

Frédéric D’haene

68 RECHT. RECHT.RECHT. Ökonomien des Handelns 2 Handelns des Ökonomien

73 PERFORMANCE im Spätsommer 2014 der Videokünstler und Regisseur Daniel Kötter und der Komponist FREITAG Hannes Seidl und begleiteten sie kontinuierlich 23.01. mit Kamera und Mikrofon. Vor ihrer Reise auf SAMSTAG die Moselinsel wurden die Protagonisten auf- 24.01. gefordert, kurze Statements zu verfassen, die allen gemeinsam als Diskussionsgrund- lage dienen sollten (Auszüge aus diesen RECHT. ÖKONOMIEN DES HANDELNS 2 Dokumenten sind hier im Festivalprogramm von Daniel Kötter und Hannes Seidl dokumentiert).

Uraufführung Bereits auf der Insel standen den Denkern Koproduktion Daniel Kötter / Hannes Seidl, Solisten des Ensembles NADAR als Künstlerhaus Mousonturm Festkapelle und klangliche Konfrontation zur Seite. Jetzt, auf der Bühne, rücken 20.00 Uhr experimenteller Dokumentarfilm und Live- Künstlerhaus Mousonturm Konzert zusammen, doppeln, begleiten und ­kommentieren sich gegenseitig und lassen ­territoriale Bedingungen von Recht und Musik Sechs Rechtswissenschaftler und NGO- im Zusammenspiel aller Ebenen zu einer Mitarbeiter diskutieren, streiten, tanzen und ­konkreten Reflexion und Erfahrung werden. feiern auf einer Moselinsel im Niemandsland direkt vor dem Städtchen Schengen in Idee, Regie, Komposition, Film: Luxemburg. Drei Jahrzehnte nach dem ers- Daniel Kötter, Hannes Seidl ten Schengener Abkommen fragen sie sich, wie sich weltweit Gerechtigkeit durch Recht durchsetzen ließe? Ihr Auftrag: ein ENSEMBLE NADAR ­neues, transnationales Recht zu erschaffen,­ das den Ansprüchen tradierter nationaler Marieke Berendsen, Violine Rechtspraxis genügt und zugleich neue, glo- Katrien Gaelens, Flöte bale Anforderungen berücksichtigt. Diese Yves Goemaere, Perkussion außergewöhnliche Gelehrtenrepublik initiierten Pieter Matthynssens, 74 75 Thomas Moore, Posaune und untersucht das Verständnis der Rolle von Dries Tack, Klarinette Bildern, Institutionen und der künstlerischen Kobe Van Cauwenberghe, Gitarre Praxis im Allgemeinen. Ein Schwerpunkt liegt Wannes Gonnissen, Klangregie für ihn auf der Zusammenarbeit mit Kompo- nisten und Choreografen (u.a. Hannes Seidl, Constanze Fischbeck). Seine Arbeiten wur- KÖTTER / SEIDL den auf zahlreichen internationalen Film- und Videokunstfestivals, in Galerien, Theatern Der Komponist Hannes Seidl und der und Konzerthäusern in Europa, in den USA, Regisseur und Videokünstler Daniel Kötter Kanada, Mexiko und Nigeria gezeigt. arbeiten seit mehreren Jahren als Künstlerduo an der Realisierung außergewöhnlicher Musiktheaterproduktionen. Ihre Projekte ­lassen sich zwischen Installation, Musiktheater und AUS DEN ARBEITSMATERIALIEN DER PROTAGONISTEN VON Performance ansiedeln. Hannes Seidl wurde­ RECHT. ÖKONOMIEN DES HANDELNS 2: 1977 geboren, er studierte Komposition bei Nicolaus A. Huber, Th. Neuhaus und Beat RECHTSRAUM HERSTELLEN Furrer. Seine Musik wurde international auf von Fabian Steinhauer renommierten Festivals mit Ensembles wie den Neuen Vocalsolisten, Ensemble Modern, Zahlreich sind die Legenden, die erzählen, dass es Rechte gibt, sobald es Räume gibt und dass man, um Recht überhaupt frei schaffen zu Klangforum Wien oder dem Sinfonieorchester können, zwar keine Ziffer und Zeichen vorfinden darf, aber unbedingt des Hessischen Rundfunks aufgeführt. Seine Erde haben muss. Terra Nullius, die Figur aus dem römischen elektronischen Arbeiten entstanden u. a. Bodenrecht, die mal als Wüste, mal weißer Fleck und auch als Insel sich durch die Rechtsgeschichte zieht, ist aber weder Stoff noch Form, am Zentrum für Kunst und Medientechnologie weder Zeichen noch Spur, es ist bestellbarer Raum und insofern (ZKM) in Karlsruhe und an dem von Pierre Gelegenheit zur Technik. Boulez gegründeten Institut de Recherche et Recht und Raum haben sich historisch gründlich verstrickt und raum- Coordination Acoustique / Musique (IRCAM) in besessene Juristen […] sind insofern eher Effekte von Praktiken der Paris. Seit 2008 arbeitet Hannes Seidl regel- Teilung, Begrenzung, Limitierung, Abschirmung und Linienziehung als mäßig mit dem Videokünstler Daniel Kötter wirklich originelle Autoren. Sie zeichnen nur jene Praktiken auf, mit denen das Recht hergestellt wird und diese Praktiken hängen am Raum. zusammen. Der Regisseur, Filmemacher und Selbst die wohl bekannteste Diagnose zur Zerstreuung des Gesetzes, Videokünstler Daniel Kötter wurde 1975 gebo- Deleuzes und Guattaris Studie zum Anti-Ödipus kann nicht mehr, als ren. Er entwickelt alternative Konzertformate 76 77 simultan von der Deterritorialisierung und der Reterritorialisierung des des Scheidens klären, destillieren, also auch mit dem behandeln will, Rechts zu sprechen. Das Recht, auch das globale und digitale Recht was er sagt, dann ist es wichtig, seine Konstellation und ihre Spannung jenseits des Nationalstaates, macht Schritte, wirklich schweben herauszuarbeiten. Die liegen darin, dass es überhaupt etwas gibt, kann es nicht, es hüpft im Raum. Vor allem bleibt es selbst ein Effekt das vom Abschied über den Unterschied zur Entscheidung reicht (und von Techniken, die Raum herstellen. zwar in beide Richtungen!) und das in einem Begriff aushaltbar ist, obschon er eine solche Spannbreite einnimmt. Schon das Wort zieht Man soll einmal versuchen, den Raum nicht von seinem Stoff, nicht zusammen, was auseinanderfällt, und es trägt die Drift in seinem von seinem Material, nicht von seiner Form, nicht von seinen Zeichen Bestand selbst. Auch das ist wohl kein Problem, das nur Wörter hätten. und Spuren her zu denken, sondern von den Techniken, die ihn Das Thema wäre schon beendet, wenn man den Begriff vorschnell herstellen. In abstrakter Hinsicht ist es das Scheiden, das den Raum definieren und seiner Vieldeutigkeit berauben würde, statt die Gelegen- herstellt. heit zu nutzen, auch über den Nutzen und Nachteil der Definitionen, also über ihren Mangel nachzudenken. Scheiden ist ein vieldeutiger Begriff. Das Wort reicht schon vom Verabschieden und Abscheiden über das Unterscheiden und Wenn der Leser nicht sofort erfährt, was denn mit Scheiden eigentlich Ausscheiden bis hin zum Entscheiden. Der Begriff ist sogar noch mit oder letztlich gemeint ist, dann mag das dem Stil einer Reihe von Begriffen der Teilung, Abspaltung, Entfernung, Abstraktion, Absolution juristischen Schreibtechniken widersprechen, die doch gerne schnell und Sonderung verwandt […]. Selbst die Vorstellung vom Distinkten Eindeutigkeit ankündigen und einzulösen versprechen. Es gibt Schulen, hat etwas mit ihm zu tun. Das Scheiden kommt als Trennung und als die lehren, die Zweideutigkeit des Rechts zu unterschlagen oder nach Heiligung vor. Es zerschneidet, weil es trennt, aber es heilt auch und Möglichkeit auszuradieren, es selbst als ein eindeutiges Produkt zu macht ganz, etwa wenn Unterscheidungen dazu dienen, ein Phänomen verkaufen und dann lieber zu schweigen, als das Ausradierte weiter als Ganzes zu fassen, zu ‚reinigen‘ und alles aus ihm auszuscheiden, zu thematisieren. Als würden die Menschen das Recht nur schlucken, was nicht zu ihm gehört. Dieser Begriff gehört zu jenen Grundbe- wenn es einseitig sei. Was für ein Wahnsinn und was für eine griffen, die fundamental zweideutig sind. […] Die Zweideutigkeit setzt Unterschätzung. aber prinzipiell und schon vor dem Begriff, vor der Sprache und vor der Schrift ein. […] Diese Ausradierung kann sich ohnehin nicht halten. Kehren wir noch einmal zu den Beispielen der Zweideutigkeit zurück: Diejenigen, die als Das Land war schon zweideutig, bevor man über es redete und es Nicht-Europäer und Illegale behandelt werden, die weder den Himmel beschrieb, man konnte auf ihm laufen und stolpern. Das Meer erreichen noch die Erde und die schließlich vom Meer verschluckt war schon zweideutig, bevor man es besang, es konnte einen tragen werden, melden sich irgendwann zurück. Was der Vernunft entsprechen und verschlingen. Insofern ist es kein Wunder, dass die Praktiken und einen Grund haben muss, muss die Doppeldeutigkeit auflösen, des Scheidens im Recht ebenso vielfältig und vieldeutig sind aber es kann das nur, indem es aus Aporien Passagen macht. Es ist wie die Begriffe: Sie reichen von den technisch ausgerüsteten und darum Teil der Scheidekunst, für das Scheiden keine Definition mit raffinierten Bürokratien ausgestatteten Grenzen, die zum Beispiel vorauszusetzen, sondern eine Definition mitzumachen, also auch die Europäer von Nicht-Europäern und Legale von Illegalen scheiden, Zweideutigkeit mitzumachen. Das Scheiden ist keine Gegebenheit, über die Registraturen, Verfahren und Formulare der Bürokratie bis hin es ist eine listig konstruierte Gabe, die geübt werden muss. zu der hochdifferenzierten Schriftsprache juristischer Dogmatik, wie sie universitär in Klausuren geübt und später von der Gesetzgebung über die Justiz bis hin zur Exekutive Einsatz finden soll.

Diese Praktiken reichen von einem stummen Bereich bis in die Sprache. Scheiden ist und bleibt zweideutig. Wenn man den Begriff

78 79 „IHR SOLLT WISSEN“ modernster Überwachungstechniken installieren und erproben, die nach Von Felix Hanschmann ihrer Anwendung auch innerhalb von Europa schreien werden. Ihr sollt wissen, dass die Europäische Verteidigungsagentur gemeinsam mit „Ihr sollt wissen“1, dass Menschen bei dem Versuch, nach Europa Rüstungsunternehmen und mit Unterstützung unserer europäischen zu kommen, im Mittelmeer ertrinken. Ihr sollt wissen, dass im Regierung auf Synergien drängt, die sich aus der Nutzung militärischen Mittelmeer Leichen im Wasser treiben und dass sie an den Stränden Geräts in der Bekämpfung von Flüchtlingen ergeben. Ihr sollt wissen, angeschwemmt werden, an denen wir Urlaub machen. Ihr sollt wissen, dass wir völkerrechtlich, europarechtlich und im nationalen Recht garan- dass viele von ihnen nicht schwimmen können und diejenigen unter tierte Menschenrechte jeden Tag ignorieren und mit Füßen treten. […] ihnen, die schwimmen können, bei dem Versuch, sich über Wasser zu halten, oft ihre Kräfte verlieren. Ihr sollt wissen, dass Väter und Mütter in tobender See ihre Kinder fest an sich drücken. Ihr sollt wissen, BEITRAG ZUM DREH RECHT dass sie verzweifelt versuchen, Kinder vor dem Ertrinken zu retten. Von Maximilian Pichl. Schengen 27. bis 28. September 2014 [...] Ihr sollt wissen, dass Menschen sterben, weil es nach Absetzen von Hilferufen aufgrund unklarer Kompetenzen Stunden dauert, bis DER RAUM DES RECHTS Rettungskräfte das sinkende Schiff erreicht haben. Ihr sollt wissen, dass Fragt man nach dem Raum des Rechts, so würden klassische Staats- Flugzeuge und Schiffe von Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Rechtswissenschaftler_innen antworten: Dort wo Recht gesetzt das Ertrinken von Menschen aus unmittelbarer Nähe anschauen, aber wird und wo es gilt, ist der Raum des Rechts. Mit dieser Antwort nicht eingreifen. Ihr sollt wissen, dass Flüchtlinge vom europäischen ist die Vorstellung verbunden, dass das Recht in klar abgrenzbaren Recht wie vom Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Räumen zur Geltung gelangt, seine Grenzen damit klar bestimmbar illegalisiert und kriminalisiert werden. Ihr sollt wissen, dass das von seien. Doch verändert man die Blickrichtung und schaut zu den unseren Regierungen gemachte Recht ihre Einreise und ihren Aufenthalt Rändern der Europäischen Union, erscheint die soeben gefundene für rechtswidrig erklärt. Ihr sollt wissen, dass es das europäische und Antwort von allen real existierenden Widersprüchen bereinigt. Denn das Recht der Mitgliedstaaten erlaubt, abzuschiebende (was ein Wort: auf dem Mittelmeer, dem Kristallisationspunkt des europäischen Abschiebung; wie Figuren auf dem Feld eines Brettspiels, wie ein Migrationskontrollregimes, findet sich kein Raum des Rechts, vielmehr Gegenstand, der selbst nicht handeln kann) Flüchtlinge bis zu achtzehn überlagern sich unterschiedliche Formen des Rechts. Seerechtliche Monaten in Gefängnissen einzusperren. Ihr sollt wissen, dass das Konventionen regeln die internationale Schifffahrt und setzen Budget der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX innerhalb Maßstäbe, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise in weniger Jahre von 19 Millionen Euro auf 89 Millionen Euro gestiegen Seenot geratene Personen von Schiffsbesatzungen gerettet werden ist. Ihr sollt wissen, dass diese Agentur zwar die Sicherung der können; Polizei- und ordnungsrechtliche Gesetze reglementieren den Außengrenzen der Europäischen Union als ihre Aufgabe reklamiert, sich Einsatz von nationalen Grenzschutzpolizist_innen; das Migrations- für die Rettung von Menschenleben aber unzuständig erklärt. Ihr sollt und Ausländerrecht verfügt, wie Migrant_innen in Staaten einreisen wissen, dass wir unsere Außengrenzen militärisch abschirmen, dass wir können; EU-Verordnungen erlauben den Einsatz von supranationalen Aufklärungssatteliten, Drohnen, Offshore-Sensoren und automatisierte Akteuren wie FRONTEX sich an nationalen Grenzschutzmaßnahmen biometrische Identifizierungssysteme einsetzen, um Flüchtlinge zu zu beteiligen; menschenrechtliche Konventionen schränken diese erkennen, aufzuspüren und zurückzuschicken. Ihr sollt wissen, dass Grenzschutzmaßnahmen wiederum ein; und nicht zuletzt bilaterale wir dort, an den von uns nicht wahrgenommenen Rändern, ein Labor Abkommen zwischen europäischen und afrikanischen Staaten erschaffen ein Rechtsregime, das an allen vorher genannten Normen 1 Elie Wiesel, Hochschullehrer, Publizist, Friedensnobelpreisträger, Gefangener in vorbei die Rückführung von Migrant_innen nach Afrika spezifisch den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald, Überlebender des Holocaust: „Ihr sollt wissen, dass kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen reguliert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat den können schön oder noch schöner sein. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber Raum des Rechts von dem konkreten Staatsterritorium abgelöst. illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?“ Mit seiner Rechtsprechung erstreckt er die Geltung der Menschenrechte

80 81 nicht nur auf das Staatsgebiet, sondern überall dorthin, wo staatliche Denn das Recht auf Ausreise ist nur ein halbes Recht – es ist kein Recht Exekutiven eine tatsächliche Kontrolle über das Leben von Menschen auf Einreise. Und wer seine Grenzen sichern darf gegen die Einreise, haben, beispielsweise auf den Schiffen der Grenzschutzbehörden. dem darf auch geholfen werden. Sauber abgeschnitten sind die Rechte und Freiheiten der anderen, kurz vor der Grenze. So sichern wir Auf dem Mittelmeer finden sich viele unterschiedliche Räume und unseren Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. […] eine klare Hierarchie zwischen diesen Rechtsregimen ist keineswegs deutlich auszumachen. Ein Verständnis für die Räume des Rechts kann daher keiner rein normativen Perspektive entspringen. Menschenrechte THE MENTAL BORDERS ARE STILL ALIVE gelten nicht, nur weil sie in Konventionen festgeschrieben stehen. Von Ruddy Doom Die Räume des Rechts sind von den Strategien der jeweiligen Akteure zu rekonstruieren, die sich auf das Recht berufen. […] Borders originally come into existence in the human brain: us and them. Later on, political and religious borders transform amorph feelings into short cut laws, both sociological and legal. The otherness Von Nora Markard is presented as logical, or historical and sometimes enforced as a necessary condition to defend the identity. Let me give you an example. […] Schengen ist ein Erfolg für die Trennung des Raums des Rechts In pre-colonial Rwanda Hutu and Tutsi were different layers of a vom Raum des Nicht-Rechts. Hinter der Grenze liegt der Raum der common society. The relationship was complicated, expressing an Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Der Raum ohne Grenzen. unequal upstairs – downstairs backbone. But, the categories had both Ein Raum des Rechts auf Freizügigkeit. In ist wer drin ist! Das geht lines of fissure and of contact. The Germans found these constructions natürlich nur, weil wir seitdem erfolgreich die Grenzen dieses Raumes too confusing. For them these were two distinct races. The Tutsi were verteidigt haben. An der Grenze zur Türkei, um Ceuta und Melilla: labelled natural-born leaders as they were supposed to be biologically Zäune sichern den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. superior. After WWI, the Belgians stepped into the boots of the Um Spanien, Italien, Griechenland: das Meer. Ohne Unterlass patrouil- Germans and embraced their racial ideology. Tutsi were seen as whites lieren unsere Schiffe dieses Meer, um die Unfreien, die Unsicheren, except for their colour. Hutu and Tutsi were marked into the official die Rechtlosen fernzuhalten aus dem Raum der Freiheit, der Sicherheit papers, turning a pseudo-anthropological category into a juridical und des Rechts. Dass sie dabei ertrinken, ist ein Drama, mit dem concept. Differences were frozen into essentialist and exclusive terms. wir nur schlecht leben können. Aber wenn wir sie retten, müssen wir In pre-colonial times Rwanda could not be compared with a modern sie mitnehmen – denn leider nehmen wir das Recht mit aufs Meer. state in the European sense. For example, there were no fixed borders, but, there was a commonsense about the existence of a heartland, Aber auch hierfür haben wir eine Lösung gefunden. Wir freuen Rwanda. As centralization was incomplete, many tensions and violent uns, dass wir mit ein paar Vielleichts und ein paar Versprechungen clashes existed between hills, regions and so on. During one of these für Visumserleichterungen unsere Nachbarstaaten gewinnen konnten, conflicts, a group – both Hutu and Tutsi – fled the kingdom and resettled für uns unsere Grenzen zu sichern. Wir bauen ihre Kompetenzen in what later became the Kivu. The Belgian administration regarded aus, stocken ihre Ressourcen auf, schicken ihnen hochauflösende them as Kinyarwanda – speaking Congolais. Satellitenbilder. Sie patrouillieren dafür für uns, halten die Massen zurück. Und vielleicht vereinbaren dann einige von uns mit ihnen ein At the end of the Mobutu era, when the president organized elections to paar Studienvisa. disorganize the country, the Banyamulenge – now seen as Tutsi – were denied political rights. They were defined as strangers. The rest of the Eine Mauer haben sie uns gebaut, eine unsichtbare Berliner Mauer, an story is known: a genocide and a protracted war and civil war in Eastern der nordafrikanischen Küste. Ein Hoch auf die unsichtbaren Grenzen. Congo cannot simply be reduced to the colonial heritage. From the point of view of international law, the borders are still there. In reality

82 83 they barely exist as armies and militia cross them at any time. And as the shadow-economy is dominating the scenery, smuggling is the daily negation of the borders. But what is probably worse: the mental borders between sections of the population are still alive and kicking.

FESTTAGSREDE – 30 JAHRE SCHENGENER ABKOMMEN Von Laura Adamietz

[…] In den Raum des Rechts wird man an sich hinein geboren. Doch wird man in diesem Raum und von diesem Raum erst wahrgenommen, wenn man nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich existiert, wenn man registriert ist. Und bei dieser Registrierung wird seit jeher eine folgenschwere Zuordnung vorgenommen, auf deren Basis entschieden wird, wie viele und welche Rechte der neue Mensch haben wird. „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren“ heißt es seit der Französischen Revolution. Waren damit alle Menschen gemeint? Nein, nur Männer. Frauen wurden aus diesem freien, gleichen, brüderlichen Menschenrechtsraum ausgegrenzt. Seit es Bürgerrechte gab, wurde es wichtig, festzuhalten, also zu registrieren, wer welchem Geschlecht angehört. […]

Das Recht darf nicht vergessen, was Geschlecht ist, ebenso wenig, wie es vergessen darf, was Rasse ist. Denn solange die Gefahr besteht, dass die Gesellschaft Zuschreibungen vornimmt, brauchen wir das Recht, um dagegen zu kämpfen. Und dann müssen wir diese Zuschreibungen benennen können. Mit dem Recht. Aber das Recht darf sich selbst keiner Zuschreibung, keiner Ausgrenzung mehr schuldig machen. […] Es müsste sich entschuldigen für jede erfolgte falsche Zuweisung! Und weil Zuweisungen falsch sein können, und weil binäre Zuweisungen sowieso nie alle Geschlechtsidentitäten abbilden können, müssen sie abgeschafft werden. […]

84 85 STÜCK GAU NER

86 87 88 89 90 91 THEATER dem großen Coup – doch Maria und Jesus Maria brauchen mehr als das. Sie brauchen SAMSTAG ein Wunder, Herrn Wunder, einen mysteriösen 24.01. Juwelier, der überraschende Pläne hat … Dea SONNTAG Loher, eine der maßgeblichen Dramatikerinnen 25.01. ihrer Generation, hat mit ihrem neuesten Text ein überraschendes Stück vorgelegt, das wie eine Milieuerzählung beginnt, das Genre GAUNERSTÜCK der Kriminalgeschichte streift, um dann in den von Dea Loher Wunderräumen und Zufallsketten des Lebens die Frage nach dem Schicksal neu zu stellen. Uraufführungsinszenierung Ein Gaunerstück auch insofern, als dass Loher Deutsches Theater Berlin herkömmliche Dramaturgien auflöst und Koproduktion mit dem Ro-Theater Rotterdam ihren Figuren, deren Träumen und Abgründen eine weitere Dimension eröffnet. 20.00 Uhr, 24.01. 18.00 Uhr, 25.01. Regie: Alize Zandwijk Schauspiel Frankfurt Kammerspiele Bühne und Kostüme: Thomas Rupert Musik: Beppe Costa Dramaturgie: John von Düffel Maria und Jesus Maria sind Zwillinge. Ihr Vater, Mit: Judith Hofmann, Fania Sorel, Hans ein Spanier, dem sie ihre ungewöhnlichen Löw, Miquel de Jong, Beppe Costa Namen verdanken, verlässt ihre Mutter sehr ­(Live-Musik / Porno Otto), Elias Arens früh. Sie wird Alkoholikerin im freien sozialen Fall. Irgendwann verlassen auch die Kinder ihre Mutter, fest entschlossen, die Chance, DEA LOHER die sie nicht haben, zu nutzen und sich ihren Teil vom Leben zu ergattern – zu ergaunern, Die Dramatikerin Dea Loher wurde 1964 in wenn es sein muss. Wand an Wand zwischen Traunstein geboren. Sie studierte Philosophie der transsexuellen Wahrsagerin Madame und Germanistik in München. Schon ihr Bonafide und einem geräuschvollen Sex-Filmer ­zweites Stück Tätowierung, setzte sich im namens Porno-Otto träumen die beiden von Repertoire durch. Mit Fremdes Haus begann 92 93 1995 am Staatstheater Hannover die Zusam- menarbeit zwischen der Autorin und dem Regisseur Andreas Kriegenburg, der seither die meisten ihrer Theaterstücke uraufführt. Dea Lohers Dramen sind in über 15 Sprachen übersetzt und werden in aller Welt gespielt. Für ihr literarisches Schaffen erhielt sie zahlrei- che Preise und Auszeichnungen, unter ande- rem 2006 den Bertolt-Brecht-Preis der Stadt Augsburg und 2009 den Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung.

„Sie fragen mich nach dem Ausgangspunkt für das Stück: Ein paar Sätze eines Staatsanwalts in einem Interview. Natürlich wird er nach seinem interessantesten Fall gefragt. Oder einem ungelösten. Oder einem unlösbaren. Ein Raubüberfall in einem Reisebüro. Der Inhaber, gefesselt und geknebelt, stirbt am Tatort, Herzinfarkt. Der oder die Täter sind mit der Beute verschwunden, sie bleiben unentdeckt, der Fall kann nicht aufgeklärt werden. Viele Jahre später – die Tat ist längst verjährt – führt die inzwischen mögliche DNA-Analyse zu einem Mann, der den Überfall gesteht. Der Besitzer des Reisebüros war ein Freund von ihm, beide hatten die Tat geplant, um die Versicherung zu betrügen. Den Herzinfarkt hatte keiner auf der Rechnung. Das banale Verbrechen, in eine alltägliche Realität hineingeplant, verändert alles, unvorhersehbar und unumkehrbar. Tod und Schrecken statt Einbruch des Wunderbaren. Der mögliche Reichtum und die wahrscheinliche Einsamkeit des Überlebenden. Was für eine Zukunft kann es da noch geben, aber vor allem, welche Gegenwart muss ihr voraus gegangen sein…“

Dea Loher

94 95 A DAS RZE Wasser SCHW

96 97 THEATER Freunde von früher – und früher war alles egal, die Herkunft, das Geld, die Schule, die Eltern. SONNTAG Heute ist einer Minister, und der andere ver- 25.01. kauft Autos, und eine sitzt an der Kasse im Supermarkt. Die Stadt ist groß genug, aber manchmal läuft man sich doch über den Weg. DAS SCHWARZE WASSER Es regnet, und er bringt die weinende Frau zu von Roland Schimmelpfennig ihrer Wohnung, in der Wohnung haben schon ihre Eltern gewohnt. Und später fragt ihn sei- Uraufführungsinszenierung ne Ehefrau: Alles in Ordnung? Ja, sagt er, aber Nationaltheater Mannheim von diesem Tag an ist nichts mehr in Ordnung, Produktion Nationaltheater Mannheim nichts.“

19.30 Uhr Roland Schimmelpfennig Frankfurt LAB

Der Autor verwebt meisterhaft die Vergangen- Eine magische Nacht, am schwarzen Wasser heit mit der Zukunft; sein melancholischer,­ voller Sterne: Eine Gruppe Jugendlicher poetischer Blick beschwört die Unschuld der ­überwindet für einen kurzen Moment alle ersten großen Liebe und die Utopie des gegen- gesellschaftlichen Gegensätze. Liebestrunken seitigen Verstehens über soziale Schranken und übermütig „fahren sie in den Himmel“. hinweg. Doch die Realität wird ihre Hoffnungen ent- täuscht haben; die Jugendlichen von einst Inszenierung: Burkhard C. Kosminski begegnen sich in einer Gegenwart wieder, Bühne: Florian Etti die die Parallelwelten und die gegenseitigen Kostüme: Lydia Kirchleitner Vorurteile zementiert hat. Musik: Hans Platzgumer Licht: Nicole Berry „Er trifft sie zufällig auf der Straße. Sie fängt Dramaturgie: Tilman Neuffer plötzlich an zu weinen, und er fragt sie, ob Mit: Katharina Hauter, Ragna Pitoll, Anke er ihr helfen kann, immerhin kennen sie sich Schubert, Boris Koneczny, Reinhard Mahlberg, doch von früher. David Müller 98 99 ROLAND SCHIMMELPFENNIG „Ich habe beim Schreiben des Textes für die Frankfurter Positionen DAS SCHWARZE WASSER nicht auf andere Materialien zurück­ gegriffen, nicht einmal auf das Internet. Deshalb fällt es mir schwer, Roland Schimmelpfennig ist der zurzeit ­ nun eine Liste mit assoziierten Texten oder Bildern zu erstellen. meistgespielte Gegenwartsdramatiker Mein Text selbst montiert parallele Lebensweisen von einheimischer Deutschlands. Seine Stücke werden in über angesessener Oberschicht und eingewanderter muslimischer Unterschicht in einer Großstadt wie zum Beispiel Frankfurt oder Berlin, 40 Ländern aufgeführt. Er wurde 1967 in wobei das Stück aber weder in Frankfurt noch in Berlin spielt. Der Göttingen geboren, arbeitete zunächst als Text bezieht sich auf klassische Ausländerviertel, (in Berlin wären Journalist und begann dann ein Regiestudium, dies Kreuzberg, die Gegend um das Kottbusser Tor), auf Kebab-Buden, sowie auf Vorstadtvillen (in Berlin wären das Dahlem, Zehlendorf).“ wurde Regieassistent und später Mitarbeiter der künstlerischen Leitung der Münchner Roland Schimmelpfennig Kammerspiele. Schimmelpfennig, der ­weiter als Regisseur tätig ist, steht mit seinen Theatertexten in der Tradition literarischer Dramatik: Für ihn ist der literarische Text der Ausgangspunkt und zentrale Referenz der Inszenierungen. Er hat für sein Werk ­zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhal- ten. Er schrieb Auftragsarbeiten für das Schauspielhaus Zürich, das Deutsche Theater Berlin, das Schauspielhaus Bochum, das Wiener Burgtheater und andere. 2010 erhielt er den Mülheimer Dramatikerpreis für sein Stück Der goldene Drache.

100 101 Ibsen:

103 TER

104 GESPENS 105 PERFORMANCE Am 30.04.2014 sind wir mit ihm nach Basel gefahren. Am 22.05.2014 waren wir auf ­seiner MITTWOCH Beerdigung.“ IBSEN: GESPENSTER ist 28.01. eine Hommage, ein feierliches Requiem, ein DONNERSTAG Museum für den verstorbenen Osvald. Auf der 29.01. Bühne prallt ein gesellschaftlicher Diskurs auf ein Drama, dessen Protagonist bereits tot ist.

IBSEN: GESPENSTER Mit: Katarina Eckold, Lara-Joy Hamann, von Markus&Markus Manuela Pirozzi, Markus Schäfer, Markus Wenzel und als Gast Margot Uraufführungsinszenierung Koproduktion Markus&Markus, Künstlerhaus Mousonturm, Gessnerallee Zürich MARKUS&MARKUS

20.00 Uhr Markus&Markus ist ein Theaterkollektiv aus Künstlerhaus Mousonturm Hildesheim, das sich dem politischen Theater verschrieben hat. Markus&Markus konfron­ tieren Dokumentationen der Wirklichkeit mit In Ibsens Drama Gespenster bittet Osvald der Bühne als Illusionsmaschine. Ihr erstes­ seine Mutter, ihm Sterbehilfe zu leisten. Sie Stück Polis3000: autonomia entstand 2011 zweifelt. Einige Schweizer Organisationen im Theaterhaus Hildesheim und wurde mit bieten genau diese Hilfe seit dreißig Jahren dem Preis des Kapitalismusschredder- und bis heute innerhalb einer juristischen Festivals ausgezeichnet. Im Mai 2012 wurde Grauzone an. „Wir sind Markus&Markus. Wir Markus&Markus mit der Produktion Polis3000: wollen keinen Schauspieler mehr sehen, der respondemus zum Stückemarkt des Berliner so tut, als wolle er sterben. Wir werden unse- Theatertreffens eingeladen. Ihre dritte ren Osvald wirklich mit einer Person besetzen, Produktion, Polis3000: oratorio, entstand für die mit einer Sterbehilfe-Organisation den den Freischwimmer 2012 / 13 auf Kampnagel eigenen Tod plant. Am 01.04.2014 haben wir Hamburg. unseren Osvald getroffen – wir haben jeden Tag mit ihm verbracht, außer zwei Montage. 106 107 Markus&Markus sind Katarina Eckold generell gilt: die zeit rennt. daher werden wir jetzt versuchen hier ­(geboren 1976), die als Kamerafrau, Cutterin, ranzuklotzen. und ihr seid jederzeit herzlich willkommen. einfach herkommen und fertig. bald ist‘s vorbei. Animations-, Sound- und Videodesignerin arbeitet, Lara-Joy Hamann (geboren 1989), heute haben wir auch dinge mitgenommen. ordner voll mit die als Produktionsleiterin, Konzeptionistin briefkorrespondenzen, in denen margot ihr leben beschreibt. das ist ihr abgeheftetes leben. diese briefe sind wie tagebücher. an freundinnen. und Übersetzerin wirkt, Manuela Pirozzi an ihre psychologin. und so. (geboren 1980) als Bühnen- und Kostümbild- nerin, Markus Schäfer (geboren 1983) als ihre lieblings-cds hat sie uns auch mitgegeben. verrückt. die sind jetzt bei uns und nicht mehr bei ihr. Konzeptionist, Autor und Performer und Markus Wenzel (geboren 1988) als Konzep- und: nur weil es neulich auch thema war: wir werden in dem stück mit tionist, Autor und Performer. den realen vornamen hantieren.

wir schmeißen einen drehplan in die dropbox. zur orientierung. der wird sich sicherlich von tag zu tag entwickeln, konkretisieren und verändern, da wir wohl versuchen werden, auch von tag zu tag das nächste treffen auszumachen. AUSZUG AUS EINER E-MAIL-KOMMUNIKATION ZWISCHEN DEN MITGLIEDERN DER PERFORMANCE-GRUPPE MARKUS&MARKUS wir haben ein gutes gefühl! WÄHREND DER BEGLEITUNG VON MARGOT, DIE MIT DER HILFE EINER SCHWEIZER ORGANISATION IHREN EIGENEN TOD PLANTE: sehr herzlich aus einer spelunke hier um die ecke.

1. APRIL 2. APRIL guten abend! guten abend! wir sind in düsseldorf angekommen. zum glück. aus dem auto hat man nichts mehr gesehen, so voll war das. die wohnung ist schön. so. gestern sind wir um halb zehn aus der wohnung von margot gekrochen. heute war‘s halb elf. mal sehen wie das weitergeht. margot möchte ab ostern ihre ruhe haben. das heißt: wir können jetzt erster drehtag. sieben stunden. gedichte, gespräche, fragen. wirklich bis maximal karsamstag arbeiten. „ihr müsst gas geben. die zeit läuft.“ eindrückliche dinge. heftige situationen. die kamera hat niemanden deswegen gleich ein wichtiger punkt: ein abschiedsfest. das finden alle interessiert (im sinne von gestört oder irgendwas, die war halt einfach da). toll. und alle sollen dabei sein. danach werden wir margot erst wieder in basel sehen. also: wann? karfreitag oder samstag wären ideal, und es das abendmahl ist für karsamstag angesetzt. wäre super, wenn wir uns zügig auf einen termin einigen könnten. das ganze wird auf margots balkon stattfinden. dazu gibts sangria. die wird bis zum 3. april. herzlichst! nachmittags zubereitet. und könig pilsener. und trockenen weisswein. und pizzaservice. klassisches abendmahl eben. ostern. klar.

108 109 3. APRIL 4. APRIL guten abend! guten abend! also. es ist so: es wird hier jeden tag krasser. wir versuchen, ruhe zu die begrüßung kam heute direkt vom balkon, als wir auf den hof fuhren: bewahren. es geht uns gut. aber man merkt: es ist viel. „hallo, ich schmeiß euch den schlüssel runter. bringt bier mit aus dem keller. wir besaufen uns heute.“ zweiter drehtag. 4 stunden filmmaterial. es gab kaffee und kuchen und eis und brot und wurst und eier und bier und käse und tomatensaft und „wenn ich länger leben müsste, müsste ich mir einen größeren tisch weinschorle und kekse. anschaffen!“ äußerungen dieser art haben wohl damit zu tun, dass wir recht häufig mit margot an gedeckten tischen sitzen. auch heute. aber wir haben heute einen schönen ausflug gemacht. mit dem rollator im diesmal erst zum schluss. wir lernen! auto zum rhein. dann mit der fähre rüber nach kaiserswerth. fähre und fluss sind ja auch wichtige motive, sagt man. dritter drehtag. 4 stunden filmmaterial. katarina glaubt eher fünf. uns gehts entsprechend. manchmal heult einer. aber wir lassen uns nichts wo wir auch mal hinsollen, ist das zukünftige grab von margot. da fahren anmerken. klar. eher auf dem klo oder so. wir aller wahrscheinlichkeit nach in den nächsten wochen gemeinsam so langsam kennen wir uns in der biographie ganz gut aus. und jetzt mit ihr hin. wird das ganze auch noch bebildert. wir haben in fotoalben geblättert auch. das totenlied haben wir heute auch mitgeteilt bekommen. die cd hat margot uns zur sicherheit direkt bestellt. es ist eine spezielle version ein neuer programmpunkt für die nächsten tage: wir schmücken ihre von abendstille überall. wohnung österlich. das wünscht sie sich. nächsten donnerstag gehts ans zukünftige grab. es ist nicht möglich, hier kleinteilig zu schreiben, was hier los ist (man kann es allerdings anhand der nahezu lückenlosen videodokumentation mitgenommen haben wir heute: 15 fotoalben, also alle, die sie hat. und nachvollziehen, wenn man viel zeit mitbringt). aber wenn margot plüschtiere. zum abschied vom balkon winkt, oder gundi von unten zum balkon hochschreit: katarinaaaaa, markus, markus, oder wenn margot, wenn abendessen war gut. wie immer. man klingelt, einfach durch die sprechanlage sagt: bringt ihr bitte den mülleimer hoch oder anruft, um zu fragen, was katarina isst und sehr herzlich! was nicht oder fragt, ob wir ein paar gänseblümchen mit hochbringen können - also, das ist inzwischen alles sehr surreal und irgendwie schön. „die frau preisig hat doch zu mir gesagt, ich soll mir noch ein paar schöne wochen machen und das mach ich jetzt mit euch!“ 6. APRIL ganz herzlich! guten abend!

heute haben wir die woche voll gemacht. morgen ist frei. wir sind ganz schön zerschlagen. und margot auch.

fünfter drehtag. katarina schätzt: viereinhalb stunden filmmaterial. wir

110 111 waren auf burg linn. die ist bei krefeld. da war margot früher immer. ist wir haben mit margot über ihre lieblinssachen für die inszenierung hingeradelt und hat sich auf ein bänkchen gesetzt und hat gelesen. und gesprochen. lieblingsblumen: margeriten. lieblingsbild: die umarmung jetzt sind wir heute mit ihr da gewesen. seit 20 jahren fährt sie nicht von klimt. usw. mehr mit dem fahrrad und seitdem war sie eigentlich auch nicht mehr da. es war schön. herrliche kulisse. wir sind gelaufen und wollten uns dann kam sie heute mit einer ganz neuen textsorte. selbst geschriebene immer auf ein bänkchen setzen. und immer kurz bevor wir da waren, hat texte aus bzw. über die zeit der suizide und der irrenanstalt. die tragen sie gesagt: „ach guck mal, da vorne ist noch ein schönes bänkchen“, titel wie: „die sache mit dem seil“. und dann sind wir weiter gelaufen, bis wir beim letzten bänkchen angekommen waren. der rhythmus hier zieht ein bisschen an. morgen früh geht‘s schon weiter beim orthopäden. und übermorgen geht‘s auch schon früh einen schönen sonntag abend wünschen wir! richtung grab. deswegen jetzt schnell schluss und gute nacht!

fünf stunden material.

7. APRIL guten abend! 9. APRIL heute hatten wir endlich frei. markus sagt: „das war auch gut so“ und guten abend! katarina irgendwas von „bitter nötig“. EIN essen hat heute wieder nicht geklappt. es waren zwei. mittags wir freuen uns, dass manu morgen kommt und sind gespannt, gab‘s spargelcremesuppe. und bohnensuppe. und später gab‘s kaffee was passiert, wenn zu dem ganzen kaffeegemetzel vor ort noch und kuchen. schokoladenkuchen dazu kommt. aber wir freuen uns durchaus auf dieses! heute morgen ging‘s direkt zum orthopäden. das war ein sehr guter termin, weil margot direkt das formular, das sie für den 1. mai brauchte, jetzt geht‘s in woche zwei! mitnehmen konnte. danach war sie sehr gelöst. herzliche grüße aus der küche! wir kriegen die förderung von der stadt zürich für dieses projekt. wir rasten aus! vier stunden material haben wir heute, das muss ja aus traditionellen gründen auch in die mail.

8. APRIL wir haben alles österlichst geschmückt heute. und den anderen schmuck haben wir abgebaut. und eingepackt und mitgenommen. guten abend! in gespenster geht es ja auch um die last der ahnen, die auf den jungen manu hat knopfaugen. margot hat schon vom balkon geschaut, um zu lastet. und je länger wir hier sind, desto klarer sehen wir margots sehen, ob manu o.k. ist. ist sie. gespenster. viel ist da von ihrer mutter. von der sie sich wohl nie gelöst hat. im abschiedsbrief zitiert sie deren lebensmotto, unter dem sie zeitlebens gelitten hat und das sie in den selbstmord getrieben hat. und immer wieder sagt sie sachen wie: „da halt ich es ganz mit meiner

112 113 mutter. tot ist tot. da kommt nichts mehr.“ in diesem sinne: esst mehr fleisch! sehr herzlich! das war woche zwei. morgen ist frei. das ist gut.

10. APRIL 13. APRIL guten abend! guten abend! ein kleiner brief an frau preisig von margot. der geht so: „liebe frau dr. noch achtzehn tage. preisig, mit äußerst wenigen ausnahmen sind wir täglich einige stunden beisammen, arbeiten fleißig, lassen aber auch freude und genuss nicht jetzt beginnt woche drei in düsseldorf! zu kurz kommen – ganz nach ihrer empfehlung. […] mit herzlichen grüßen freuen sich auf ein wiedersehen am 30. dieses monats – ihre“ bis morgen! und dann haben wir da alle unterschrieben. wir waren am friedhof. der ist sehr schön. und auch das grab. „hier lieg ich gerne.“ wir haben dann auch gesagt, dass wir sie mal besuchen 15. APRIL kommen. „ach siehst du, hätte ich da jetzt die kerze hingestellt, wär ich hingefallen und hätte probeliegen gemacht.“ guten abend! heute haben wir sehr wenig filmmaterial. drei stunden. heute haben wir mit margot ein lied gehört. das hat sie früher mal für jemanden, der das lied wohl sehr mochte, im hinterletzten laden in einen guten abend. heute ist bergfest. und bis morgen. krefeld ausgegraben. margot macht nämlich gerne anderen menschen eine freude. heute haben wir das lied aus dem internet ausgegraben. und als sie es dann auf einmal hörte, da glänzten ihre augen und sie wippte beseelt mit. 12. APRIL http://www.youtube.com/watch?v=F8gpXAdQQeU guten abend! margot träumt nachts häufig von uns. wir haben über margots inszenierungswünsche gesprochen. da kam ein blumenwagen dazu, der immer auf ihrem balkon stand und den wir so etwa dreieinhalb stunden material. heute mitgenommen haben. wir müssen ihn noch zusammenbauen. denn dieses jahr kommt er nicht mehr auf den balkon und er stand auseinandergelegt im keller. 16. APRIL und: wir sollen zylinder tragen! guten abend! es gab gulaschsuppe und für die vegetarier dosenfutter.

114 115 heute waren wir am see. da war sie früher immer. aber seit sehr langem beim gehen hat sie uns noch den oldtimer in der garage gezeigt. der ist nicht mehr, weil der weg da zu holprig ist für ihren rollator. und ohne uns schön. vier gänge. fünf stunden material. wäre sie da nicht mehr hingegangen. aber als wir dort waren, da merkte man, dass es ihr viel bedeutet. und man merkt auch langsam, oder morgen sehen wir margot das letzte mal in meerbusch. meint zu merken, dass sie jetzt abschied von dingen nimmt. man sieht es ihr an. und manchmal sagt sie es auch. das war schön an diesem see! traurig und schön. 19. APRIL morgen machen wir sangria. für samstag. und für alle. als guten tag! ostergeschenk. „wir müssen sehr viel sangria machen!“ sangria wurde an die nachbarschaft verteilt. frau hammacher ist 93 also dann. und ist dem tod wahrscheinlich auch recht nahe. „jetzt müssen wir bald abtreten“, sagt margot und frau hammacher nickt und sagt: „wir sehen uns dann nach den feiertagen.“ margot sagt ja und geht.

17. APRIL erika möchte gerne am abend des 30. mit uns allen essen. margot findet das gut. guten abend! jetzt fahren wir alle gemeinsam zum abschiedsfest. inzwischen haben wir unseren eigenen schlüssel zu wohnung und keller. margot ist recht zufrieden. heute hat sie gedroht: „wenn das hier so weitergeht, dann sag ich das mit basel ab und mach euch euer theaterstück kaputt.“ 20. APRIL einkaufen auf dem markt. blumen: „die werden noch richtig schön. guten abend! die blühen den ganzen sommer, da haben sie lange davon, frau brachmüller!“ heute geht es um das abschiedsfest von gestern abend. wir haben unsere zeit mit margot in meerbusch abgeschlossen und uns morgen werden wir margot einem steno-diktat unterziehen. hoffentlich verabschiedet. am gestrigen 19. april haben wir sechseinhalb stunden schläft sie heute nacht filmmaterial angefertigt.

die Freundin begann zu erzählen, wie alles anfing „davon hat sie eigentlich immer geredet, aber als sie dann angefangen hat, bei der 18. APRIL deutschen gesellschaft für humanes sterben informationen einzuholen, da dachte ich, dass schafft sie eh nicht, das ist ja eine komplizierte jetzt sinds noch dreizehn tage. aber es war auch unser letztes normales angelegenheit. aber sie hat sich da durchgeboxt.“ abendessen heute. und anschließend hat margot uns ihre halbe speisekammer mitgegeben. morgen fahren wir weg aus düsseldorf.

116 117 21. APRIL guten abend! wir haben unsere zelte in düsseldorf abgebrochen. es ist ostermontag.

23. MAI guten tag! gestern, am 22. mai, wurde margot in süchteln beigesetzt. drei wochen nachdem sie gestorben ist. die beisetzung hätte ihr sicher gefallen. sie war ganz schlicht. das wetter war genauso schön wie vor einigen wochen, als wir dort standen und sie sagte, dass ihr der platz gefällt und sie gerne hier ruhen würde. die urne war schön. wir hatten noch ein paar gänseblümchen gepflückt, die wir margot dann mitgegeben haben. jetzt hat sie da ihr letztes plätzchen gefunden. „so hat sie es gewollt. und jetzt ist es so.“ weiter ging es nach meerbusch. dort fanden wir eine leere wohnung vor. ganz traurig. der balkon verwaist. die regale leer. wir haben einiges mitgenommen, für unser kleines theaterstück: den aschenbecher, eine lila tagesdecke, ihren rollator mit schirm, das ganze osterzeug, den dorena-teddy, alle anderen plüschtiere, auch das von ihrem bett, den atmenden hund, deeds körbchen, nippes, das messer mit abgebrochener klinge, die gabel mit margots namensgravur, goldene ordner, bilder von der familie, klimt, die schönen bretter, auf denen es immer wurst und käse gab, die raben vom balkon, eine lila edelstein-kette, die sie öfter trug, sogar die schöne puppe im korbsessel und all solche dinge.

bis später! HASSAN

118 119 120 121 AUSSTELLUNG

DONNERSTAG 29.01.

“FLOW MY TEARS, THE POLICEMAN SAID” von Hassan Khan

Neue Installation

19.00 Uhr (ERÖFFNUNG) MMK Museum für Moderne Kunst Ausstellungsdauer: 30.01. bis 12.04.2015

HASSAN KHAN

Der Künstler, Musiker und Schriftsteller Hassan Khan (geboren 1975) arbeitet mit Bild, Klang, Text und Raum. Er lebt und arbeitet in Kairo, wo er früher Teil einer selbstorganisier- ten, hoch innovativen, aber selten öffentlichen Kunst- und Musikszene im Untergrund war. Er gilt seither als Wegbereiter, vor allem auf KHAN dem Gebiet experimenteller Musik und Video- kunst. Mit seinen künstlerischen Installationen und Performances, die eine gegenwärtige ­kulturelle Perspektive zum Ausdruck bringen, ist er heute international präsent. In der Auseinandersetzung mit Sprache und vertraut 122 123 erscheinenden Objekten und Subjekten, die EIN GEDICHT VON WILLIAM BLAKE AUS DEM JAHR 1794, er persönlich oft verdeckt gehaltenen Bezügen DAS FÜR HASSAN KHAN EINE BESONDERE BEDEUTUNG HAT: gegenüberstellt, erforscht er den steti- gen Wechsel zwischen Persönlichem und A DIVINE IMAGE Formalem. Auf diese Weise, so Khan, wird das Cruelty has a Human Heart kulturelle Artefakt – ob Kleidung, Musik oder And Jealousy a Human Face; Poesie – entsentimentalisiert. Dieser Status Terror the Human Form Divine, erlaubt dem Publikum, ihm unter den eigenen And Secrecy the Human Dress. Bedingungen zu begegnen. Für die Frankfurter The Human Dress is forged Iron, Positionen wird der Künstler in seiner typi- The Human Form a fiery Forge, schen Vorgehensweise kulturelle Artefakte The Human Face a Furnace seal’d, The Human Heart its hungry Gorge (Musik, Filmmaterial, Texte, Objekte u. a.) durch eine facettenreiche Schichtung von Video, digi- taler Animation, Performance, Dokumentation, Skulptur, Text, Fotografie oder Klang in ver- schiedenen Formen und Formaten befragen. Er erarbeitet dafür eine Abfolge von Arbeiten, die den gesamten Raum des MMK 3 bespie- len. Neben grafischen Arbeiten, Sound- und Lichtinstallationen wird eine große Glas- Skulptur entstehen.

Am Donnerstag, 05.02.2015 ist Hassan Khan mit dem Konzert Taraban im Portikus zu Gast.

124 125 Batu cada

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TANZ Trommeln auf Töpfen und Pfannen bei Festen und wütendes Trommeln bei Protest. Für FREITAG Marcelo Evelin ist BATUCADA eine allego- 30.01. risch-politische Intervention – die unbekleideten SAMSTAG Körper der Tänzer verwandeln sich in musika- 31.01. lische Instrumente, in Agitationsmaschinen, in Objekte exzessiven Begehrens. Die als ­endlose Karnevalsparade beginnende Performance BATUCADA zeigt zusehends ihre dunkle Seite und ist von Marcelo Evelin / Demolition Inc. bald kaum mehr von einem grimmigen Protest- marsch zu unterscheiden. Uraufführung Frankfurter Version Koproduktion Marcelo Evelin / Demolition Inc., Konzept, Idee, Regie: Marcelo Evelin Künstlerhaus Mousonturm, Künstlerische Zusammenarbeit mit: Kunstenfestivaldesarts Brüssel Carolina Mendonça, Elielson Pacheco, Layane Holanda, Sho Takiguchi 19.30 Uhr Mit: Andrez Ghizze, Hitomi Nagasu, Rosângela Frankfurt LAB Sulidade, Márcio Rodrigues, Adolfo De Souza, Cleyde Silva Pereira, João Da Silva, Fagner Da Costa Silva, Vanessa Nunes Soares, Vitor BATUCADA ist eine urbane Parade, ein De Sampaio Pereira, Danton Barros Araujo, maskierter Protest, ein Ausbruch der inne- Vitor Fontineles De Areia, Fabien Marcil, ren Revolution. Der brasilianische Choreograf Erivelto Viana, Daniel Santos Da Silva, Dora Marcelo Evelin erforscht fundamentale Monteiro Smeke und weiteren Mitwirkenden Grundlagen und Extreme des menschlichen­ aus Frankfurt Miteinanders und vereint in seinem 30 Tänzer umfassenden Ensemble Menschen ver- schiedener Nationalitäten, Berufe, sozialer MARCELO EVELIN / DEMOLITION INC. Klassen, Altersgruppen, ethnischer Gruppen und Überzeugungen. Der Titel BATUCADA Der Tänzer, Choreograf, Regisseur und bezieht sich auf die Perkussionsgruppe in der Wissenschaftler Marcelo Evelin stammt aus Samba-Musik, meint aber auch ausgelassenes dem brasilianischen Bundesstaat Piauí, wo er 132 133 1962, in Teresina, geboren wurde. Er studierte Marcelo Evelin ist einer der drei Inkarnationen von Pieter Breughel Tanz in Paris und Amsterdam und trat Arthur dem Älteren, die sich heute rund um die Welt finden lassen (von den anderen zwei lebt einer in Atlanta USA und einer in Transsylvanien); Rosenfelds Tanztheater-Ensemble Meekers eine Reinkarnation von Breughel, ja, von dem, der häufig Hieronymus bei. Nach einer Assistenz bei Pina Bausch Bosch kopiert hat. Aber Marcelo ist mehr Breughel als Bosch, denn begann er seine Arbeit als Choreograf und Marcelo liebt Schwerter, wie Breughel. Und da sind Schwerter, die über alle diese Köpfe fliegen, gründete in den Niederlanden das Ensemble zweiundzwanzig Köpfe habe ich gezählt und zweiundzwanzig Demolition Inc. Seit 2006 ist er Intendant Schwerter, sie sagten mir, keines hätte ich gesehen, aber ich habe sie des Teatro João Paulo II in Teresina-Piauí. gesehen. Wie immer waren es flammende Schwerter, auch hier. Ich sah flammende Schwerter in den Blicken. Und ich sah Dort gründete er die beiden Projekte Centro Körper bluten, in Widersprüchen und Missverständnissen. Auch Haut und Núcleo de Criação do Dirceu, die eine sah ich brennen, in Abschieden. Plattform für Forschung und Entwicklung zeit- Frivolität macht keinen zittern. Sorglosigkeit weckt nicht ein Lachen. genössischer Bühnenkunst bieten sollen. Jeder Tropfen Schweiß hat seinen Besitzer. Spucken heißt gebären und erlauben zu sterben. Alles Material besteht zu fünfzig Prozent aus Hass.“

„ALLES VERLANGEN UND BEGEHREN“ Auszug aus einem Text des Autors Rodrigo Garcia über einer Probe von Marcelo Evelin in São Paulo

„Ich habe die Darsteller gesehen, die mit Marcelo Evelin arbeiten, wie sie Hand in Hand aus einem Fenster geflogen kommen (einer hat den Fuß einer Frau gepackt, natürlich noch immer fliegend), und wie sie wiederkehren, voller Schokolade, gebadet in Glück, in Schweiß, alles Zähne und Lippe, alles Verlangen und Begehren. Alles, was vom Himmel in Marcelos Universum spricht, spricht auch von Düsternis. Ich nenne das ein Eden in Schatten gehüllt. Die süßeste Hölle, in die ich seit langem meinen Fuß gesetzt habe. Körper und Masken verschmelzen miteinander auf so maliziöse Weise, dass man unmöglich erkennen kann, ob es sich um maskierte Menschen handelt, die aneinander kleben, um Masken, die den Körper besitzen; ich meine, der Besitzer ist der hinterlistige Überzug für das Menschenwesen: ich zählte Dutzende nackter Kapuzengolems, rundherum im Kreis rennend, Töpfe und Pfannen aneinanderschlagend wie Verrückte (Verrückte sind die überlegene Rasse).

134 135 Verdeckten Wirklichkeiten von Berichte

136 137 SYMPOSIUM wir rechtfertigend in Kauf und wieder andere verbleiben in einem diffusen Zwischenbereich. FREITAG Dass wir ganze Bereiche unserer Wirk- 30.01. lichkeit nicht sehen, vielleicht auch nicht sehen SAMSTAG wollen, kann ganz unterschiedliche Gründe 31.01. haben: Sie liegen fernab an den Rändern unse- rer Welt, so dass sie gar nicht zu uns zu gehö- ren scheinen; sie fallen uns nicht weiter auf, AUSGESCHLOSSEN. BERICHTE VON weil sie so durchschnittlich und so normal sind, VERDECKTEN WIRKLICHKEITEN dass wir uns an sie gewöhnt haben; sie werden begraben unter Schlagzeilen und Bilderfluten, Konzeption, Organisation und Moderation: die Elend und Ungerechtigkeit nicht erschließen, Institut für Sozialforschung (IfS), Frankfurt am sondern paradoxerweise weit eher verbergen; Main: Sidonia Blättler, Axel Honneth, Sighard ihre Schrecken sprengen die Sprache, mittels Neckel, Juliane Rebentisch derer wir uns normalerweise verständigen; sie werden verhandelt an Orten, von denen die 16.00 bis 19.00 Uhr, Freitag, 30.01.2015 Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. 12.15 bis 19.00 Uhr, Samstag, 31.01.2015 Oft sind es Erfolgsgeschichten, die den Frankfurt LAB Ausschluss verdecken: So verschwinden Destabilisierung und wachsende Unsicherhei- ten in der Arbeit im Schatten einer Gesell- THEMA schaft, die sich nach wie vor als Arbeitsgesell- schaft versteht und ihren Erfolg an ­niedrigen Die Ausgrenzung von Menschen und Arbeitslosenzahlen bemisst. Im Schatten ihres Menschengruppen verletzt grundlegende erfolgreichen ökonomischen Aufstiegs und Normen unserer Gesellschaft. Sie widerspricht Anschlusses an die Weltwirtschaft werden in den Grundsätzen rechtlicher Gleichheit, sozi- Ländern des globalen Südens große Teile der aler Teilhabe und politischer Partizipation. Bevölkerung entrechtet, enteignet­ und gewalt- Gleichwohl sind Ausschließungen Teil unserer sam ins Elend getrieben. gesellschaftlichen Realität. Es gibt Formen der Dass Exklusion auch das Resultat von Entrechtung und Gewalt, die sich der öffentli- Inklusion sein kann, das zeigen die sogenann- chen Wahrnehmung entziehen, andere nehmen ten Working Poor in den reichen Ländern des 138 139 Nordens ebenso wie die Arbeiterinnen und PROGRAMM Arbeiter in den Textil- und Chipfabriken Asiens: Vermeintlich erfolgreich integriert in das FRIEDERIKE BAHL kapitalistische System, bleiben sie von den Versprechungen auf Aufstieg, Wohlstand und AUFSTIEGSBLOCKADEN UND ZUKUNFTSVERLUST – DAS DIENSTLEISTUNGSPROLETARIAT AM RANDE DER Wohlergehen ausgeschlossen. ARBEITSWELT

Das Symposium besteht aus einem Reigen Die Vorstellung, dass Anstrengung sich lohnt, gehört zu den Kern- versprechen des deutschen Arbeitsmarktes. Aber gilt das auch für den kurzer Vorträge mit anschließender Bereich einfacher Dienstleistungen? Markierte Dienstleistungsarbeit Diskussionsmöglichkeit. Ziel ist es, in ver- einst den Weg der Lohnarbeit von einer proletarischen Beschäftigung dichteter Form verborgene Ausschließungen zum Garanten sozialen Aufstiegs, lassen sich in den Jedermanns- arbeitsmärkten von Sichern, Säubern und Service heute Handarbeit, ­sichtbar zu machen, Rationalitäten von ­­ Dequalifizierung und Niedriglohn beobachten. Ein- und Ausschluss zu analysieren, zu fragen,­ weshalb wir Leid und Gewalt oft nicht wahr- Friederike Bahl, Soziologin, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten nehmen, obwohl wir sie wahrnehmen­ ­könnten, gehören: Wandel der Arbeitswelt, Soziologie sozialer Ungleichheit, und zu ermitteln, mit welchen Methoden sich politische Soziologie. verdeckte Stigmatisierung, Missachtung und Ausgrenzung erschließen und ins HARALD DERN Bewusstsein holen lassen. Nicht nur verborge- ne Wirklichkeiten am unteren Ende oder am DAS AUFSCHLIESEN VON WIRKLICHKEIT BEI DER FALLANALYTISCHEN TÄTERPROFILERSTELLUNG Rande unserer Gesellschaft sollen zur Sprache kommen, sondern auch andere schwer Operative Fallanalysen und darin eingebettete Täterprofile haben es zugängliche Welten wie unsere Psyche, hoheit- in mehrerlei Hinsicht mit verdeckten Wirklichkeiten zu tun. Einerseits haben die Täter in der Regel ein großes Interesse daran, unentdeckt lich verdeckte Bereiche der Polizei oder zu bleiben, andererseits ist der verstehende Aufschluss von Fällen nur ­gesellschaftliche Eliten. möglich, wenn man es der Wirklichkeit nicht weiter erlaubt, sich hinter Vorab-Annahmen zu verstecken.

Harald Dern, zertifizierter Polizeilicher Fallanalytiker, ist Erster Kriminalhauptkommissar am Kriminalistischen Institut, Fachbereich KI 13 beim BKA Wiesbaden (Operative Fallanalyse, Forschungs- und Beratungsstelle für Gewalt- und Jugendkriminalität). Er veröffentlicht zu Methoden der Fallanalyse und kriminologischen Themen.

140 141 ANSELM FRANKE ROLF HAUBL

DIE UMKEHRUNG DES FORENSISCHEN BLICKS IM SCHATTEN DES PERFEKTEN MENSCHEN. BEHINDERTENFEINDLICHKEIT AUS PSYCHOANALYTISCHER Vom Fingerabdruck bis zur Internet-Ortung: Forensische Methoden PERSPEKTIVE kommen zum Einsatz, wenn es dem Staat um die Überwachung der Bevölkerung geht. In Film und Medien fasziniert solche Forensik. In der Begegnung mit Männern, Frauen und Kindern, die schwer Die von Eyal Weizman und Anselm Franke 2014 kuratierte Ausstellung körperlich und mehr noch: schwer geistig behindert sind, werden FORENSIS hat die Blickrichtung verschoben und ihr Widerstands- Ängste mobilisiert, die aus einer Erschütterung narzisstischer Illusionen potenzial untersucht. Wie setzen Individuen und unabhängige resultieren. Solche Ängste erschweren die von der Bildungspolitik Organisationen bildgebende Verfahren zur Ermittlung, Darstellung und geforderte Inklusion, zumal dann, wenn sich im Neoliberalismus eine Bekämpfung von Missständen und Machtmissbrauch ein? Biopolitik durchsetzt, die den perfekten Menschen in Aussicht stellt.

Anselm Franke leitet seit 2013 den Bereich Bildende Kunst und Film Rolf Haubl ist Professor i. R. für Soziologie und psychoanalytische am Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Er war Kurator der Biennale Sozialpsychologie an der Goethe-Universität, Frankfurt am Main, sowie von Taipeh 2012; im Haus der Kulturen der Welt kuratierte er u. a. Direktor und Leiter des Forschungsschwerpunkts Psychoanalyse und gemeinsam mit Diedrich Diederichsen The Whole Earth, gemeinsam Gesellschaft am Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt am Main. mit Annett Busch After Year Zero (beide 2013). Er ist Chefkurator der Shanghai-Biennale 2014. CORNELIA KLINGER

JULIA FRIEDRICHS SORGE / CARE. BERICHT VON EINER VERDECKTEN WIRKLICHKEIT IM INNEREN DER WELTGESELLSCHAFT GESCHLOSSENE GESELLSCHAFTEN Zu den wichtigsten Faktoren, die soziale Ungleichheit, Diskriminierung Über wenige Milieus weiß man so wenig wie über das der Reichen. und Ausschluss erzeugen, gehört die Befassung mit den Gegebenheiten Es gibt kaum verlässliche Daten, nur wenige offene Interviews, menschlicher Endlichkeit: Natalität, Morbidität und Mortalität. Vom Beobachtungen sind rar. Julia Friedrichs recherchiert seit zehn Jahren gesellschaftlichen Prozess ausgeschlossen werden nicht nur diejenigen, bei denen, die sich gerne bedeckt halten: an Business Schools und die mit diesen Merkmalen behaftet sind (Kinder, Alte, Kranke, Elite-Internaten, in exklusiven Netzwerken und gehobenen Haushalten. Behinderte), sondern diskriminiert und marginalisiert werden auch jene, die ihnen sorgend zur Seite stehen. Der Vortrag fragt nach den Julia Friedrichs ist Autorin von Dokumentationen, Reportagen und Ursachen und nach den Veränderungen im Umgang mit der verdeckten Sachbüchern. Sie arbeitet für die ARD und DIE ZEIT. 2008 erschien Wirklichkeit der conditio humana in Gegenwart und Zukunft. ihr Bestseller Gestatten: Elite, im März 2015 wird ihr neuestes Buch herauskommen, für das sie über zwei Jahre lang Erben traf. Cornelia Klinger ist apl. Professorin für Philosophie an der Eberhard- Karls-Universität in Tübingen. Sie forscht und lehrt insbesondere in den Feldern Politische Philosophie, Ästhetik und Gender Studies.

142 143 SEBASTIAN MOSER TOBIAS PIEPER

DIE INFORMELLE EROBERUNG DES URBANEN RAUMS – DIE LAGER FÜR ASYLSUCHENDE – THESEN ZUR MIKROPHYSIK DER PFANDSAMMLER HERRSCHAFT IN DER DEUTSCHEN FLÜCHTLINGSPOLITIK

Sie sind mittendrin. Und doch nicht ganz dabei – die Pfandsammler. Seit 1982 werden Asylsuchende und geduldete Migrant_innen in Sie gehören zu den fremden Bekannten des urbanen Raums, den sie lagerähnlichen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Nach lange mit umherschweifendem Blick nach den zurückgelassenen Resten rückläufigen Antragszahlen werden derzeit wieder Lager aufgebaut, der Anderen absuchen. Obgleich jeder sie kennt, ist doch wenig über schätzungsweise mehr als 100.000 Menschen in isolierten Unterkünften die Personen mit den Plastiktüten und den Handkarren bekannt. Nicht segregiert, Tendenz weiter steigend. Von den Lebensbedingungen nur wird der logistische Aufwand des Sammelns von Pfandgebinden in den Unterkünften ausgehend, lässt sich das System erschließen, verkannt, verkannt werden auch die Gründe, die so viele Menschen auf welches unerwünschte Migrant_innen über Jahrzehnte bürokratisch die Straßen treiben. verwaltet und kontrolliert.

Sebastian J. Moser ist Soziologe. Seit Anfang 2014 ist er Mitglied des Tobias Pieper ist Politikwissenschaftler und Psychologe. Er hat über Centre Max Weber in Lyon sowie Lehrbeauftragter an Einrichtungen in Flüchtlingspolitik und Lagerunterbringung geforscht, Betroffene von Deutschland, Frankreich und der Schweiz. rechter und rassistischer Gewalt betreut; zurzeit ist er vor allem an der Seite von chronisch Erkrankten mit psychiatrischen Diagnosen tätig.

SILKE ÖTSCH THOMAS SEIBERT STEUEROASEN: RECHTSRAHMEN FÜR KARTEILEICHEN IM DIENSTE VON PRIVILEGIERTEN INDUSTRIAL 9 / 11. SKLAV_INNEN DES WETTBEWERBSVORTEILS

Steueroasen begünstigen einseitig transnationale Unternehmen und Am 11. September 2012 brennt in Karatschi / Pakistan eine Textilfabrik reiche Privatpersonen. Warum wurden Steueroasen jahrzehntelang aus. Wenig später kommt es in Dhaka / Bangladesch zu einem geduldet, obwohl die Praktiken anerkannten Gerechtigkeitsvorstellungen weiteren Großbrand, kurz darauf stürzt wenige Straßen weiter ein eklatant widersprechen? Der Beitrag streicht die Verwendung von neunstöckiger Fabrikkomplex in sich zusammen. Die Arbeiter_innen, die suggestiver Metaphorik im Feld der Offshore-Ökonomie heraus. Was Auftraggeber_innen und die Konsument_innen: Sie sind alle Teil eines Oase genannt wird, ist ein juristisches Konstrukt, das Scheinbuchungen globalen Zusammenhangs und je an ihre Position gebunden. ermöglicht und Personen auf dem Papier transferiert. Thomas Seibert ist Südasienkoordinator von medico international, Silke Ötsch ist Universitätsassistentin am Institut für Soziologie der Philosoph und Aktivist. Er bereist seit mehreren Jahren Pakistan und Universität Innsbruck und ehrenamtlich tätig für Attac und weitere Bangladesch. zivilgesellschaftliche Netzwerke. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. Finanzialisierung, Globalisierung und Offshore-Ökonomie.

144 145 ZWEI UHR 147 NACHTS 148 149 THEATER TO CREATE A SPACE OF EMERGENCE

SONNTAG Als Autor und Regisseur entwickelt Falk 01.02. Richter auf seinen eigenen Texten basierende­ Theaterprojekte gemeinsam mit einem Ensemble aus Musikern, Schauspielern und ZWEI UHR NACHTS Tänzern. Text, Tanz und Musik wirken in von Falk Richter ­diesen Aufführungen zusammen, weniger um eine Geschichte zu erzählen, sondern um Uraufführung bestimmte Themen einzukreisen und aufzu­ Produktion Schauspiel Frankfurt fächern. „Es geht mir darum, wieviel plant man in so einer Produktion und wie schafft man 20.00 Uhr es, Räume zu schaffen, in denen sich Dinge Bockenheimer Depot auch unvorhergesehen entwickeln können beziehungsweise, wie schafft man es, Räume zu schaffen, also kreative Arbeitsräume, in Text, Regie, Choreografie: Falk Richter denen dann vorhersehbar ist, dass Dinge ent- Mit: Constanze Becker, Johanna Lemke, stehen, die man so allein am Schreibtisch Lisa Stiegler, Jorijn Vriesendorp, Timo nicht entwickeln kann“, sagt Falk Richter. Im Fakhravar*, Denis Kooné Kuhnert, Probenprozess mit den Tänzern, Musikern, Maximilian Meyer-Bretschneider*, Schauspielern – in der Arbeit mit ihnen, mit Marc Oliver Schulze sowie Helgi Hrafn Musik und Text und Bewegung entstehen neue Jónsson und Valgeir Sigurðsson (Musik) Dinge. „Ich selbst komme ja mit Texten und Bühne: Katrin Hoffmann Recherchematerial – Notizen, Filmausschnitten, Kostüme: Marysol del Castillo Youtubeclips und ähnlichem zur Probe – und Video: Chris Kondek entwickle die endgültige Fassung des Stücks Dramaturgie: Sibylle Baschung dann erst wirklich im Probenprozess mit allen künstlerisch Beteiligten gemeinsam.“

*Mitglied des SchauspielSTUDIO. Das SchauspielSTUDIO Frankfurt wird ermöglicht durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain 150 151 FALK RICHTER ZWEI UHR NACHTS

(Ein Arbeitstext) Falk Richter zählt zu den erfolgreichsten deut- von Falk Richter schen Dramatikern und Theaterregisseuren. 2014 Er wurde 1969 in Hamburg geboren und Zwei Uhr nachts ­studierte Schauspielregie an der Universität die Stadt gibt keinen Laut von sich. Hamburg und lieferte 1996 mit seiner Seit Wochen bin ich nicht vor die Tür gegangen, Inszenierung Silikon von Gerardjan Rijnders habe mir hier diese Filme angeschaut, Notizen gemacht, ein vielbeachtetes Regie-Debüt. Es folgten Szenen herausgeschrieben, abgetippt. Inszenierungen in Frankfurt, Hamburg, Manchmal schlage ich einfach mit der Faust auf meinen Computer ein Berlin, Düsseldorf, in der Schweiz, Holland, oder zerschlage die Scheiben, danach bin ich sehr ruhig. Wenn ich rausgehe, dann stürzt alles, jeder Sound, jedes Bild, alles, Österreich und den USA. Sein Stück Gott ist auf mich, in mich, alles viel zu laut und... Und wenn ich mit jemandem ein DJ wurde in zehn Sprachen übersetzt spreche, dann werde ich der, ich. Bin. Etwas anderes. Ich bin das, was und wird seit seiner Uraufführung 1999 an zahl- mir gegenübersteht und. Werde was der sagt. Und tue, was der will. reichen Bühnen im In- und Ausland gespielt. Seit meiner Kindheit habe ich diese Falk Richter wirkt auch als Opernregisseur und Übersetzer. In den vergangenen Jahren Störung? hat er zunehmend freie Projekte mit Musikern Krankheit? und Tänzern, basierend auf eigenen Texten entwickelt. Für die groß angelegte Crossover- Begabung? Produktion For The Disconnected Child (UA Verschiebung? 2013) mit der Schaubühne und der Staatsoper im Schiller Theater in Berlin erhielt Falk Richter Ich weiß es nicht, wie ich das nennen soll. den Friedrich-Luft-Preis. Ich nehme alles wahr, alles.

Keinen Filter, keinen Schutz.

Jedes Geräusch,

jedes Sirren,

jeden Klang,

152 153 jedes Atmen. und uns gegenseitig beim Küssen die Lippen zerbeißen, ABER WIR WERDEN NIE EINS, WIR WERDEN NIE EINS, DAS MACHT MICH Die Maschinen nachts auf stand-by, FERTIG, ÄNDER DAS JETZT HIER SOFORT, LOS KÜSS MICH, HALT MICH SO FEST, DASS ICH KEINE LUFT MEHR BEKOMME. der Wind draußen, Sei alles für mich, sag mir, was ich zu tun hab, sag mir, dass du immer hier bleiben wirst, zumindest heute Nacht, zumindest für die nächsten die Stille, zwei Stunden. GEH NICHT, GEH NICHT, BLEIB BITTE, BITTE BLEIB. und jedes Gefühl, das ich jemals gefühlt habe.

Plötzlich ist es da in mir und spült mich weg. MISSTRAUEN UND WUT

Alles rutscht weg. Auszug aus einem Gespräch zwischen Falk Richter und Eva Illouz Falk Richter spricht mit der israelischen Soziologin Eva Illouz über Ich kann nicht mehr laufen. Identitäten und Beziehungen in Onlineforen, Wut und Wutmanagement und Widerstand. Mein Herz tut weh, ich kann kaum atmen. FALK RICHTER Ich würde mit Ihnen gerne über Vertrauen in moder- Irgendwie habe ich immer das Bedürfnis, LÖSUNGEN für alles zu nen Beziehungen sprechen. Beziehungen, die über Internetportale finden, klare Regeln, Richtlinien, aber nach zwei Tagen verstehe ich vermittelt werden. Zunächst einmal werden die Leute ja aufgefordert, überhaupt nicht mehr, wieso ich mich für oder gegen irgendetwas sich dort selbst sehr detailliert und formalisiert zu beschreiben, man entschieden habe. muss sich selbst, seinen Körper, seine Persönlichkeit, aber auch seine Wünsche, sein Begehren in Einzelteile zerlegen und genau kate­- Hier fehlt ein Körper. Diese Abwesenheit eines anderen Körpers hat so gori-sieren. Man muss sich also erst einmal von außen betrachten, seltsame Wunden in meine Haut gefressen, hier... seltsam... löst sich bewerten, beschreiben mit Hilfe formalisierter Bewertungsbögen. Man auf... langsam... kein Schutz mehr... weg... alles weg... nichts mehr da... wird angehalten, sich möglichst so vorteilhaft zu präsentieren, dass man auch schnell Interessenten findet. Dabei tritt man in Konkurrenz Küss mich. mit sehr vielen anderen Nutzern. Gleichzeitig werden einem aber auch unermesslich viele mögliche Partner angeboten. Um erfolgreich Jetzt und für immer, sei alles für mich, jetzt hier sofort, hol mich hier zu sein, muss man sich nun gut verkaufen auf einem recht aggressiven raus, ich kann mich zur Zeit mit nichts verbinden, mit nichts identi- Markt und man muss überhaupt erst einmal in der Flut der Optionen fizieren, nichts gibt mir Halt, nichts rettet mich. ALSO KÜSS MICH, eine Entscheidung treffen können, wen man eigentlich live treffen will. aber küss mich so, dass du es meinst, ernst meinst, dass du mich Leute, die sich in Internetdatingforen begeben, manipulieren oftmals meinst, DASS DU MICH, NUR MICH, NUR MICH MEINST, dass du ihre Profile. Sie nutzen dieselben Techniken, die auch in der Werbung mich begehrst, und willst, und ohne mich nachts nicht mehr schlafen genutzt werden, um ein Produkt anzupreisen. Haben denn diese Leute kannst, beiß dich fest, tu mir weh, lass uns eins werden, JETZT eigentlich Vertrauen in die Echtheit der anderen Profile, die ihnen da HIER SOFORT, lass uns alle Grenzen einreißen, die ÜBERHAUPT im virtuellen Raum begegnen? ZWISCHEN MENSCHEN BESTEHEN KÖNNEN. ICH MUSS RAUS HIER, RAUS HIER, AUS DIESEM, DIESEM DAS HIER, DAS, DAS, EVA ILLOUZ Nein, überhaupt nicht. Die Grundannahme eines jeden DAS, DIESER EINGESCHLOSSENEN HERMETISCH ABGERIE- Nutzers ist, dass man den Profilen nicht vertrauen kann. Die meisten GELTEN KÖRPERHÜLLE. Wir können uns ficken, bis das Blut spritzt Nutzer machen falsche Angaben zu ihrem Alter, ihrem Einkommen, und

154 155 sie stellen manipulierte oder komplett falsche Fotos von sich ins RICHTER Die erhöhte Komplexität schafft dann also wieder Vertrauen. Profil. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass niemand sich beim Muss man sich diese Dates als eine sehr paranoide Veranstaltung vor- Onlinedating vertraut. Einige Sites versuchen bereits, auf dieses stellen, wenn keiner der Beteiligten dem anderen vertraut? Misstrauen zu reagieren und fordern die Nutzer auf, keine Angaben zu ihrem Alter zu machen. Man gibt dann dort nur noch seinen ILLOUZ Es gibt diesen Film Mr. und Mrs. Smith. Die Struktur der Geburtstag, aber nicht mehr das Geburtsjahr an. Es gibt also dieses in dem Film beschriebenen Beziehung entspricht ziemlich genau der Grundmisstrauen und wenn sich die Leute dann live treffen, wird Struktur moderner Internetdates. Mr. und Mrs. Smith arbeiten beide es komplizierter. Internetdating hat einen grundlegenden Wandel in als Undercover-Agenten, wissen aber jeweils nichts von der geheimen der Art hervorgerufen, wie heute Dates ablaufen. Die Treffen ähneln Aktivität des Partners. Sie spielen sich also unentwegt etwas vor und einem Businessmeeting, bei dem jede Seite davon ausgeht, dass versuchen gleichzeitig herauszufinden, wie der andere wirklich ist. der andere lügt oder etwas verschweigt. Beide Seiten versuchen Ihre Beziehung und das, was sie voneinander wissen und allmählich herauszubekommen, ob das Produkt, das der andere zu verkaufen übereinander in Erfahrung bringen, verschiebt sich dauernd, sie versucht, nicht doch irgendwelche Fehler oder Schwächen hat, müssen ihr Verhältnis zueinander immer wieder neu austarieren und die er verschweigt. Beide sind hauptsächlich damit beschäftigt, den stets prüfen, ob sie neue Informationen über den anderen bekommen, anderen der Lüge zu überführen. Die Treffen sind also von einem die ihnen mehr Gewissheit über das wahre Leben, das wahre Selbst grundlegenden Misstrauen geprägt, und trotzdem will man etwas von des anderen geben könnten. Sie sind ein Liebespaar, sie sind dem anderen: eine romantische Beziehung. Und die erfordert Geschäftspartner, sie sind auch Agenten und sie müssen Informationen wiederum Vertrauen. Man will sich fallen lassen können. Es gibt also über die wahre Identität des anderen herausfinden. Dies scheint mir ein ständiges Hin und Her zwischen diesen beiden gegensätzlichen eine der fundamentalen Veränderungen in Beziehungen zu sein: Haltungen von Misstrauen und Vertrauen. Man versucht unentwegt herauszufinden, wie der andere wirklich ist. Ist er wirklich so, wie er sich gibt, stimmt es wirklich, was er sagt, RICHTER Hat das die Leute davon abgehalten, sich live zu treffen? fühlt er wirklich das, was er vorgibt zu fühlen? Und der fundamentale Verbringen sie stattdessen ihre Zeit lieber mit Chatten und machen Unterschied zu früheren Jahrhunderten liegt darin, dass dieses nicht mehr den Schritt vom virtuellen Raum in den realen, weil sie zu Misstrauen nie endet. Das Misstrauensverhältnis bleibt bestehen. Im wenig Vertrauen haben, dass derjenige, den sie da treffen, irgend- 17. Jahrhundert zum Beispiel gab es bestimmte Techniken, die Angaben etwas mit dem zu tun hat, was er in seinem Profil angegeben hat? und Aussagen eines potenziellen Partners zu überprüfen. Man holte Informationen über den anderen ein und überprüfte, ob seine Angaben ILLOUZ Onlinedating ist trotz dieses großen Misstrauens enorm zu seinem Beruf, seinem Einkommen, seiner Herkunft korrekt waren. populär, vor allem in den USA. Das Misstrauen hält die Leute also Hatte er nicht gelogen, so beruhigte sich die Lage und man begab sich nicht davon ab, sich live zu treffen. Viele wollen einfach nicht allein in eine Beziehung grundsätzlichen Vertrauens. Man fragte nicht mehr sein und suchen eine Beziehung und glauben weiterhin, dass sie weiter. Heute ist das anders. Wir haben ein grundsätzliches Misstrauen diese Beziehung über Datingseiten finden können. in den anderen. Und wir haben ein grundsätzliches Misstrauen in unsere Möglichkeiten, den anderen wirklich zu überprüfen. Wenn also RICHTER Die Datingseiten haben ja auch ein enormes Angebot an Angaben zu Einkommen und Hochschulabschluss überprüft sind, Profilen, das einem immer suggeriert, dass man irgendwann schon fragen wir weiter: Ist der andere wirklich so, wie er vorgibt zu sein? jemanden finden wird. Meint er wirklich alles, was er sagt? Fühlt er wirklich so, wie er vorgibt zu fühlen? Mr. und Mrs. Smith können ihr gegenseitiges Misstrauen ILLOUZ Gerade die Portale, die enorm viele und sehr ausdifferen- nicht mehr beruhigen, es bleibt bestehen. Sie sind ständig dabei, sich zierte Fragenkataloge entwerfen, werden mehr und mehr genutzt. gegenseitig zu verhören, sie sind Agenten, die einander ausspionieren und versuchen, am Verhalten des anderen abzulesen, ob irgend- etwas an ihm nicht stimmt. Diese Beziehungen sind ähnlich wie in der

156 157 Wirtschaft, wo man davon ausgeht, dass der andere sich nicht an einen Vertrag hält oder den Vertrag jederzeit aufkündigt. Es kommt also nie Ruhe in die Beziehung, da man immer davon ausgeht, dass der andere ohne Vorankündigung die Beziehung aufkündigt, ein neues Projekt beginnt. Man hegt also unentwegt einen Verdacht gegen den anderen. Und man ist immer damit beschäftigt, den anderen zu überprüfen. Wir sind also wie Polizisten, die einander überwachen und verhören.

RICHTER Eine sehr paranoide Beziehungsstruktur. Ich habe eine Freundin, die immer dann, wenn ihr Mann auf eine Konferenz in eine andere Stadt eingeladen ist, im Internet prüft, ob diese Konferenz wirklich stattfindet, oder ob irgendwelche Ex-Freundinnen von ihm an dieser Konferenz teilnehmen. Sie bleibt also ständig in dieser Bewegung, die sich von Vertrauen zu Misstrauen hin und her bewegt. Sie muss jeden Tag ihr Misstrauen beruhigen, indem sie Fakten sammelt, die ihr die Sicherheit darüber geben, dass ihr Partner wirklich das tut, was er vorgibt zu tun.

ILLOUZ Im 17. Jahrhundert gab es nicht dieses Konzept, dass man unentwegt herausfinden will, wie der andere wirklich tief in seinem Inneren ist und denkt und fühlt. Wie bist du WIRKLICH? Da hat sich diese Erfahrung, die Menschen mit Internetprofilen gemacht haben – nämlich die, dass eine enorme Diskrepanz zwischen Selbst- darstellung und dem realen Erscheinungsbild liegt – in die realen Beziehungen übertragen. Bist du wirklich immer treu? Liebst du mich wirklich unbedingt? Bist du wirklich der Mann oder die Frau, der ich für immer vertrauen kann? Wir stellen diese Fragen, haben aber keine Mechanismen der Überprüfung. Es gibt also diesen Wunsch nach exzessiver Romantik. Ich will, dass du mich immer liebst. Ich will, dass du genauso bist, wie du wirklich bist. Ich will genau wissen, wer du wirklich bist. Gleichzeitig können viele Menschen nicht genau sagen, wer sie eigentlich wirklich sind, und versuchen dies mit Hilfe von Coaches und Psychotherapeuten herauszufinden. Die Coaches müssen ihnen in aufwändigen Prozessen dabei helfen herauszufinden, was sie denn da eigentlich von sich als Produkt verkaufen sollen, wer sie denn nun eigentlich wirklich sind. Und vielleicht lässt sich das gar nicht beantworten. Wer bin ich wirklich? Ich bin immer anders, und zwar in Abhängigkeit davon, mit wem ich gerade zusammen bin.

158 160 161 DIE MITWIRKENDEN DER FRANKFURTER POSITIONEN 2015

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Die beauftragten Künstler der Frankfurter Positionen 2015

1 Marcelo Evelin / Demolition Inc. (Tanz) / Foto © Jakob Hoff 2 Frédéric D’haene (Konzert) / Foto © Miel Pieters 3 Lars Petter Hagen (Konzert) / Foto © Manu Theobald 4 Hassan Khan (Ausstellung) / Foto © Dirk Bleicher 5 Kötter / Seidl (Performance) / Foto © Rahel Kesselring 6 Dea Loher (Theater) / Foto © Alexander Paul Englert 7 Markus&Markus (Performance) / Foto © Sonja Och 8 Falk Richter (Theater) / Foto © Bernhard Musil 5 6 9 Roland Schimmelpfennig (Theater) / Foto: privat 2 8

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DIE SYMPOSIUMSTEILNEHMER

1 Friederike Bahl / Foto Bodo Dretzke © Hamburger Institut für Sozialforschung 2 Harald Dern / Foto privat 3 Anselm Franke / Foto © Jakob Hoff 4 Julia Friedrichs / Foto © Susanne Schleyer 5 Rolf Haubl / Foto privat 6 Cornelia Klinger / Foto © Christian Miekes 7 Sebastian Moser / Foto © Mara Klein 8 Silke Ötsch / Foto © Shabanali Waldafar 9 Tobias Pieper / Foto privat 5 6 10 Thomas Seibert / Foto privat DIE MITGLIEDER DER JURYS DER FRANKFURTER POSITIONEN 2015 und wurde zum Direktor des Folly-Projekts 2013 für die Gwangju Biennale ernannt. (Jury Kunst)

ULRICH KHUON ist seit September 2009 Intendant des Deutschen UWE B. CARSTENSEN ist seit 1989 Leiter des Theater & Medien-Verlages Theaters Berlin. Er studierte Jura, Germanistik und Theologie, arbei- bei S. Fischer in Frankfurt am Main. Zuvor war er als Dramaturg und tete als Theater- und Literaturkritiker und ab 1980 als Chefdramaturg Regisseur an verschiedenen Bühnen tätig, unter anderem am Bayerischen und später Intendant am Stadttheater Konstanz. 1993 ­wechselte Staatsschauspiel in München und Thalia Theater Hamburg. Er arbeitete er an das Niedersächsische Staatsschauspiel Hannover und ­wurde mit Ingmar Bergmann, Werner Schroeter, Klaus-Michael Grüber und Walter 1997 zum Professor an der Hochschule für Musik und Theater Bockmayer. (Jury Theater) Hannover ernannt. Mit Beginn der Spielzeit 2000 / 2001 wechselte er als Intendant an das Thalia Theater Hamburg, das während seiner­ ROLAND DIRY ist seit 2003 Geschäftsführer des Ensemble Modern und Intendanz zweimal zum Theater des Jahres gewählt wurde. Vorsitzender der Internationalen Ensemble Modern Akademie. Er studierte (Jury Theater) Klarinette in Frankfurt am Main und Hannover und legte bei Hans Deinzer sein Konzertexamen ab. Er war Dozent der Darmstädter Ferienkurse ­ BURGHARD C. KOSMINSKI ist seit 2014 gemeinsam mit Matthias für Neue Musik und hat Lehraufträge am Dr. Hoch‘s Konservatorium und Lilienthal Intendant des Festivals Theater der Welt. Kosminski studier- an der Hochschule für Musik in Frankfurt am Main. Seit 1982 ist er Mitglied te Regie und Schauspiel in New York und war leitender Regisseur am des Ensemble Modern und hat über viele Jahre hinweg dessen Gesicht Düsseldorfer Schauspielhaus. Seit 2006 ist er Schauspielintendant auch in geschäftsführenden und inhaltlichen Fragen mitgestaltet. (Jury und künstlerischer Leiter der Internationalen Schillertage am National- Musik) theater Mannheim. Für die Uraufführung von Das Fest von Thomas Vinterberg erhielt er 2001 den Preis für die Beste Regie beim NRW- SUSANNE GAENSHEIMER ist seit 2009 Direktorin des MMK Museum Theatertreffen. (Jury Theater) für Moderne Kunst Frankfurt am Main. Davor war sie von 2001 bis 2008 Sammlungsleiterin und Kuratorin für Gegenwartskunst in der Städtischen ROGER MERGUIN ist seit 2012 Leiter der Gessnerallee Zürich. Galerie im Lenbachhaus in München. Sie kuratierte den Deutschen Als ausgebildeter Tänzer und diplomierter Kulturmanager war er Pavillon auf der 54. und 55. Internationalen Kunstausstellung – La Biennale sechs Jahre lang Co-Leiter der Dampfzentrale in Bern und dort für di Venezia. Für den Deutschen Pavillon 2011, entstanden in Zusammen- die Geschäftsleitung und Programmgestaltung im Bereich Tanz arbeit mit Christoph Schlingensief, wurde ihr der Goldene Löwe als bester verantwortlich. Er etablierte erfolgreich das internationale Festival Länderpavillon verliehen. Anfang 2012 wurde sie u.a. in die Ankaufs- Tanz In. Bern. (Jury Performance) kommission der Bundesrepublik Deutschland, in die Turner Prize-Jury 2013 und in die Findungskommission für den Kurator der 8. Berlin Biennale MANFRED ORTMANN ist seit 1981 Lektor im Suhrkamp Verlag, 2014 sowie für den Kurator der 14. documenta in Kassel 2017 berufen. Theater & Medien. Er studierte Philosophie, Soziologie und Germa- (Jury Kunst) nistik in Frankfurt am Main und war als Schauspieldramaturg an verschiedenen Theatern in Deutschland tätig. (Jury Theater) HEINER GOEBBELS ist Professor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen und Präsident STEPHAN PAULY ist seit 2012 Intendant und Geschäftsführer der Alten der Hessischen Theaterakademie. Er studierte Soziologie und Musik und Oper Frankfurt am Main. Er studierte Philosophie und Theologie sowie komponiert seit 2012 Musiktheaterstücke, szenische Konzerte, Hörstücke Theater- und Opernregie. Er arbeitete als Journalist beim Bayerischen und Kompositionen für Ensemble und großes Orchester, die weltweit Rundfunk, als Managementberater bei der Unternehmensberatung ­gefeiert werden. Als Komponist arbeitet er mit den wichtigsten Ensembles, McKinsey & Co und übte künstlerische Tätigkeiten unter anderem am Orchestern (Ensemble Modern, , Orchestra in the Prinzregententheater München und der Mailänder Scala aus. Von 2004 Age of Enlightenment, Berliner Philharmoniker) und Dirigenten zusammen bis 2012 war Stephan Pauly künstlerischer Leiter und kaufmännischer (Lothar Zagrosek, Sir Simon Rattle, Peter Rundel, Peter Eötvös u. v. a.). Geschäftsführer bei der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg. Im Jahr 2012 erhielt er den renommierten Theaterpreis International Ibsen (Jury Musik) Award. Von 2012 bis 2014 leitete er die Ruhrtriennale. (Jury Musik) MATTHIAS PEES ist seit 2013 Intendant des Künstlerhauses NIKOLAUS HIRSCH ist Professor für Architektur und Kunsttheorie an der Mousonturm in Frankfurt am Main. Der Literaturwissenschaftler Städelschule Frankfurt am Main. Sein architektonisches Werk umfasst und Philosoph arbeitete als Theaterkritiker und Dramaturg, bevor er die preisgekrönte Synagoge in Dresden, European Kunsthalle, unitednati- 2004 in São Paulo ein Produktionsbüro für internationale Kultur- onsplaza und Cybermohalla Hub in Delhi. Hirsch kuratierte unter anderem austauschprojekte gründete. Mit Christoph Schlingensief erarbeitete­ ErsatzStadt an der Volksbühne in Berlin, Cultural Agencies in Istanbul er in Manaus die Oper Der fliegende Holländer und kam 2010 als

166 167 leitender Dramaturg der Wiener Festwochen nach Europa zurück. DER PROGRAMMBEIRAT – À JOUR (Jury Performance) VORTRAGSREIHE ZU DEN FRANKFURTER POSITIONEN 2015

OLIVER REESE leitet seit 2009 das Schauspiel Frankfurt am Main. Er studierte­ Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, Theaterwissenschaft und Komparatistik in München und arbeitete als Dramaturg am Bayer- SIDONIA BLÄTTLER ist Wissenschaftliche Referentin des Instituts ischen Staatsschauspiel, als Chefdramaturg am Ulmer Theater, am Maxim für Sozialforschung (IfS). Ihre Forschungsgebiete: Politische Gorki Theater Berlin sowie am Deutschen Theater Berlin. Reese brachte Philosophie, Politische Ideengeschichte und Gender Studies. zahlreiche Dramatisierungen und Stücke nach biografischen Texten auf die Bühne, wovon Emmy Göring 1999 mit dem Friedrich-Luft-Preis der Berliner AXEL HONNETH ist Professor für Sozialphilosophie an der Goethe- Morgenpost ausgezeichnet wurde. (Jury Theater) Universität Frankfurt, Professor of the Humanities an der Columbia University in New York und Direktor des Instituts für Sozialforschung TOBIAS REHBERGER ist seit 2001 Professor für Bildhauerei an der (IfS). Städelschule Frankfurt am Main, wo er selbst 1987 bis 1992 studiert hat. Seit seiner ersten Einzelausstellung im Jahr 1992 hatte er zahlreiche SIGHARD NECKEL ist Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Galerie- und Museumsausstellungen in der ganzen Welt. Im Jahr 2014 Soziale Ungleichheit an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und widmete ihm die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main eine umfassende Mitglied im Kollegium des Instituts für Sozialforschung (IfS). Zentrale Retrospektive. 2009 erhielt er den Goldenen Löwen auf der Kunstbiennale Forschungsfelder: Symbolische Ordnungen sozialer Ungleichheit, von Venedig. (Jury Kunst) Soziologie des Ökonomischen, Kultursoziologie der Marktgesellschaft, Emotionssoziologie. CHRISTOPHE SLAGMUYLDER ist seit 2006 künstlerischer Direktor des Kunstenfestivaldesarts Brüssel (KFDA). Er studierte zeitgenössische JULIANE REBENTISCH ist Professorin für Philosophie und Ästhetik Kunst an der Université Libre de Bruxelles. Neben einem Lehrauftrag an sowie Vizepräsidentin an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach der École Nationale Supérieure in Brüssel engagierte er sich ab 1994 am Main und Mitglied im Kollegium des Instituts für Sozialforschung in Produktionen der Tanzkompanien rund um die Choreografen Michelle (IfS). Arbeitsschwerpunkte: Ästhetik, Ethik, politische Philosophie. Noiret, Pierre Droulers, Thomas Hauert und Anne Teresa De Keersmaeker. Seit 2002 ist Slagmuylder in der Programmplanung des Kunstenfestival- desarts Brüssel tätig. (Jury Performance)

MARION VICTOR, langjährige Lektorin des Verlags der Autoren, dessen Geschäftsführerin sie von 1999 bis 2010 war, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Malerei an der Universität Stuttgart und an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste. 1975 bis 1981 war sie Dramaturgin in Ulm, Freiburg und Zürich. 1986 wurde sie mit einer Dissertation über Jean Genet promoviert. 2012 erhielt sie einen Ehrendoktor der Pädagogischen Hochschule in Freiburg. (Jury Theater)

168 169 SERVICE MMK 3 (im ehemaligen Zollamt) www.mmk-frankfurt.de Di – So 10.00 – 18.00 Uhr; Mi 10 .00– 20.00 Uhr. Am letzten Samstag im Monat Eintritt frei. Für Kinder unter 6 Jahren EINTRITTSKARTEN Eintritt frei. Domstraße 3; Anfahrt: U-Bahnlinien U4, U5, Haltestelle Dom / Römer; Straßenbahn 11, 12, Haltestelle Römer / Paulskirche; S-Bahnen: Haltestelle Konstablerwache; Parkmöglichkeiten: Parkhaus Karten für alle Vorstellungen im Künstlerhaus Mousonturm Konstabler. Tel. 069 21230447 undim Frankfurt LAB sind über den Vorverkauf des Künstlerhaus Mousonturm ab 01.12.2014 erhältlich: Tel. 069 405895 – 20; online: www.mousonturm.de. PORTIKUS www.portikus.de Karten für ZWEI UHR NACHTS von Falk Richter im Bockenheimer Di – So 11.00 – 18.00 Uhr; Mi 11.00 – 20.00 Uhr. Depot und für die Produktion GAUNERSTÜCK von Dea Loher in Eintritt frei. Alte Brücke 2 / Maininsel, Anfahrt: U-Bahnlinien U4, U5, den Kammerspielen sind über den Vorverkauf des Schauspiel Haltestelle Dom / Römer, Bus 30, 36, Haltestelle Schöne Aussicht; Frankfurt ­erhältlich: Tel. 069 21249494, Mo – Fr 9.00 –19.00 Uhr, Sa, So Parkmöglichkeiten: Parkhaus Sachsenhausen. Tel. 069 96244540 10.00 – 14.00 Uhr; online unter: www.schauspielfrankfurt.de.

Die Abendkassen an den jeweiligen Spielorten öffnen eine Stunde vor Während der Frankfurter Positionen 2015 betreibt labouche bistro Vorstellungsbeginn. und catering im Frankfurt LAB eine Theaterbar. Die Theaterbar öffnet jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn.

VERANSTALTUNGSORTE Das Ensemble Modern wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, die Stadt Frankfurt sowie über die Deutsche Ensemble BOCKENHEIMER DEPOT Akademie e.V., durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft www.schauspielfrankfurt.de und Kunst, die Deutsche Bank Stiftung und die GVL. hr2-kultur ist Carlo-Schmid-Platz 1; Anfahrt: U4, U6, U7; Straßenbahn 16 und Bus Kulturpartner des Ensemble Modern. Linien 32, 36, 50, Haltestelle jeweils Bockenheimer Warte. Das Konzert des Reigakusha Ensemble wird gefördert von der Japan FRANKFURT LAB Foundation, der Nomura Foundation und der Adolf und Luisa Haeuser- www.frankfurt-lab.de Stiftung für Kunst und Kulturpflege. Schmidtstr. 12; Anfahrt: Straßenbahnlinie 11, 21, Haltestelle Mönchhofstraße; Bus 34, Haltestelle Schmidtstraße; Das Frankfurt LAB ist ein Projekt des Ensemble Modern, der Forsythe Parkmöglichkeiten im Hof (Einfahrt Tor B). Tel. 069 73 941 693 Company, des Künstlerhaus Mousonturm, der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main und der Hessischen SCHAUSPIEL FRANKFURT, KAMMERSPIELE Theaterakademie. www.schauspielfrankfurt.de Willy-Brandt-Platz / Neue Mainzer Straße 15; Anfahrt: U-Bahnlinien Das Frankfurt LAB wird ermöglicht durch den Kulturfonds Frankfurt U1, , U3, U4, U5, U8; Straßenbahn 11, 12, Haltestelle jeweils RheinMain, die BHF-BANK-Stiftung, die Adolf und Luisa Haeuser- Willy-Brandt-Platz. Stiftung für Kunst und Kulturpflege, die ALTANA Kulturstiftung, die Crespo Foundation,die Dr. Marschner Stiftung und die Stiftung KÜNSTLERHAUS MOUSONTURM Polytechnische Gesellschaft. www.mousonturm.de Waldschmidtstraße 4; Anfahrt: U-Bahnlinien U4, Haltestelle Merianplatz, U6 / U7, Haltestelle Zoo; Straßenbahn 14, Haltestelle Waldschmidtstraße; Parkmöglichkeiten: Parkhaus Waldschmidtstraße. Tel. 069 405895 – 0

170 171 KONTAKT DIE BHF-BANK-STIFTUNG NEUE WEGE, NEUE SICHTWEISEN

Haben Sie Fragen oder Anregungen, so schreiben Sie bitte an: [email protected]. Soziale Fantasie zu entfalten und zu fördern, ist das Anliegen der 1999 gegründeten BHF-BANK-Stiftung. Ihr Engagement konzentriert Servicetelefon und Kontakt zum Frankfurt LAB: sich auf zwei Felder: soziale und wissenschaftliche Projekte mit Telefon 069 – 73941693 sozial­politischem Hintergrund einerseits und die Förderung der zeit- [email protected] genössischen Künste und des künstlerischen Nachwuchses ande- rerseits. Wir unterstützen unsere Partner nicht nur finanziell, sondern Servicetelefon und Kontakt zum Schauspiel Frankfurt: sind oftmals auch Ideengeber. Wir ermutigen zu Vorhaben, die jen- Telefon 069 – 21249494 seits der aus­getretenen Pfade den Versuch machen, auch mit unkon- [email protected] ventionellen Ideen an alten und neuen Problemen und Themen zu arbeiten. Wir sind davon überzeugt, dass Räume, in denen Neues Das Programm der Frankfurter Positionen 2015 finden Sie auch auf erprobt und kreatives Potenzial erschlossen werden kann, unab- www.frankfurterpositionen.de zum Download. Dort können Sie dingbar für das gesellschaftliche Leben sind. auch unseren Newsletter bestellen, oder Sie besuchen die Frankfurter Positionen auf unserer Facebook-Seite.

FOTONACHWEISE

Seiten 49-53 © Katrin Schilling Seite 57 Reigakusha, Sho, Hichiriki Ryuteki © Shinji Takehara Seite 59 Reigakusha, Kangen, 11 musicians © Shinji Takehara Seite 72-73 Kötter/Seidl Seite 88-91 © Arno Declair Seite 102 © Sonja Och, Markus&Markus Seite 105 Markus&Markus Seite 120-121 © Franck Alix Seiten 129, 131 © Antonio Pistis Seiten 128, 130 © Koen Cobbaert Seite 149 “The Encampment” © Nathan Kensinger Umschlag: Shinji Takehara, Koen Cobbaert, Arno Declair

Wir haben uns bemüht, alle Fotografen der in dieser Broschüre ver- wendeten Bilder zu ermitteln und zu nennen; sollten wir dennoch einen Fotografen vergessen haben, bitten wir dafür um Entschuldigung.

IMPRESSUM

Herausgeber: BHF-BANK-Stiftung; Geschäftsführer: Stefan Mumme Bockenheimer Landstraße 10, 60323 Frankfurt a. M. Redaktion: Sigrid Scherer Gestaltung: www.hort.org.uk Logo: Wiebke Grösch und Frank Metzger Redaktionsschluss: 12.12.2014; Änderungen vorbehalten

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