1 Experiment:˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ Künstler ge mein schaften Salons im Fanny Hensel-Saal April–Juni 2014 Experiment: Künstlergemeinschaften Salons im Fanny Hensel-Saal April-Juni 2014

Eine Veranstaltungsreihe der Hochschule für Musik und Theater Hamburg unter Leitung von Prof. Dr. Beatrix Borchard in Kooperation mit Dr. Bettina Knauer und Prof. Marc Aisenbrey – gefördert durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die Gerhard Trede-Stiftung 5 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Inhalt

Sinfonia domestica I 8 Pauline de Ahna und

Das verborgene Band 36 Fanny Hensel und Felix Mendelssohn Bartholdy

Stimme und Geige 58 Amalie und Joseph Joachim – und Johannes Brahms

Sinfonia domestica II 100

Impressum 102 Bild- und Textnachweise 102 7 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Statt eines Vorworts ein Zitat

Wie in tausend anderen Dingen, so sind dem Künstler und als solchem natürlich be- sonders dem Musiker auch in der Liebe feinere Sensibilität, reicheres Phantasievermö- gen, stärkere Erlebniskraft Quell intensiveren Glücks und zugleich tieferen Leidens. Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt! Dieser Gegensatz von höchster Lust und schmerzlichstem Leid wird vom Künstler in unerbittlichem Auf und Nieder einer weit- ausschwingenden Kurve immer wieder durchmessen und findet auch in seiner Liebe die entsprechende Resonanz, bei dem einen Meister stärker, bei dem anderen weniger stark zutage tretend. In ihm liegt auch die Problematik der Musikerehe, die von der Frau besondere Einfühlungsgabe verlangt und im gewissen Sinne Wandlungsfähigkeit ebenso erfordert wie Stetigkeit. Geliebte und Mutter, Muse und werktätige Mitstreiter­ in im Lebenskampf, diese seltene Mischung bringt vielleicht die sicherste Gewähr, im Ehebund mit einem Künstler, der doch bis zu einem gewissen Grade stets ein Kind bleibt, voll zu bestehen und eine Verbindung dauernd und haltbar zu gestalten.

Aber wie vielgestaltig sind die Frauencharaktere, die in die Lebensgeschichte unserer großen Musiker eingegangen sind! Hier Egoismus und kalte Berechnung, da opfernde Liebe, und wieder heroischer Verzicht, gleich rasch sich verzehrendem Strohfeuer. Aber eine Frau, sie hält immer stand, sie eifert dem Schaffenden zu den herrlichsten Kunstwerken an, sie versagt nie, sie enttäuscht nie. Es ist die Frau, die sich der Künstler in seinen Träumen erstehen läßt, deren Idealbild in der Welt seiner Töne Spiegelung findet und die sich nur diese und jene Gestalt in der Wirklichkeit borgt.

So ist es naheliegend, daß der schaffende Musiker im Konzertsaal, auf der Opernbühne die Verkörperung seines Frauenideals sucht und zuweilen auch findet, daß gerade die Künstlerin, die sein Werk überzeugend zu deuten weiß, auch als Frau am leichtesten Zugang zu seinem Herzen findet. Umgekehrt sieht der Komponist in der Geliebten ger- ne das Urbild dessen, was er in einer Opernrolle, in einem musikalischen Kunstwerk zu gestalten wünscht.

Aus: Roland Tenschert, Musikerbrevier. Nachdenkliches und Ergötzliches aus dem Reich der Musik. Wien 1940, S. 56f. 8 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ Sinfonia domestica I Ich weiß, daß einige Leute glauben, das Werk sei eine spaßhafte Darstellung des häuslichen Glücks. Aber ich gestehe, daß ich nicht spaßig sein wollte, als ich sie Pauline de Ahna und Richard Strauss komponierte. Was kann denn auch ernsthafter sein, als das Eheleben? Die Heirat ist das ernsteste Ereignis im Leben, und die heilige Freude einer solchen Vereinigung wird durch die Ankunft des Kindes erhöht.

Richard Strauss mit seiner Familie in Berlin, 1904. 10 11 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Die erwachte Rose Rote Rosen Nichts (1880) (1883) (1885) (1885)

Die Knospe träumte von Sonnenschein, Weißt du die Rose, die Du mir gegeben? Ja, du weißt es, teure Seele, Nennen soll ich, sagt ihr, meine Vom Rauschen der Blätter im grünen Hain, Der scheuen Veilchen stolze, heiße Daß ich fern von dir mich quäle, Königin im Liederreich? Von der Quelle melodischem Wogenfall, Schwester; Liebe macht die Herzen krank, Toren, die ihr seid, ich kenne Von süßen Tönen der Nachtigall, Von Deiner Brust trug noch ihr Duft Habe Dank. Sie am wenigsten von euch. Und von den Lüften, die kosen und das Leben, Einst hielt ich, der Freiheit Zecher, Fragt mich nach der Augen Farbe, schaukeln, Und an dem Duft sog ich fest mich Hoch den Amethysten-Becher, Fragt mich nach der Stimme Ton, Und von den Düften, die schmeicheln und fester. Und du segnetest den Trank, Fragt nach Gang und Tanz und Haltung, und gaukeln. Habe Dank. Ich seh Dich vor mir, Stirn und Schläfe Ach, und was weiß ich davon! Und beschworst darin die Bösen, Und als die Knospe zur Ros’ erwacht, glühend, Bis ich, was ich nie gewesen, Ist die Sonne nicht die Quelle Da hat sie mild durch Tränen gelacht Den Nacken trotzig, weich und weiß heilig, heilig an’s Herz dir sank, Alles Lebens, alles Lichts? Und hat geschaut und hat gelauscht, die Hände, Habe Dank. Und was wissen von derselben Wie’s leuchtet und klingt, Im Aug noch Lenz, doch die Gestalt Ich, und ihr, und alle? – Nichts. Wie’s duftet und rauscht. erblühend voll, Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812–1864) Wie das Feld blüht um Sonnenwende. Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812–1864) Als all ihr Träumen nun wurde wahr, Da hat sie vor süßem Staunen gebebt Um mich webt Nacht, die kühle, Und leis geflüstert: Ist mir’s doch gar, wolkenlose, Als hätt ich das alles schon einmal erlebt. Doch Tag und Nacht, sie sind in eins zerronnen. Friedrich von Sallet (1812–1843) Es träumt mein Sinn von Deiner roten Rose Und von dem Garten, drin ich sie gewonnen.

Karl Stieler (1842–1885) 13 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Weimar 10.Mai 1894

Meine Verlobung mit Fräulein Pauline de Ahna, Groh. Sächs. Hofopern-Sängerin, beehre ich mich ergebenst mitzuteilen.

Richard Strauss Großherzogl. Sächs. Kapellmeister

Theaterzettel der Uraufführung vom 10. Mai 1894.

Richard Strauss’ Musikdrama „“ ging am Donnerstag unter ungemein starkem Erfolg in Szene. Der Komponist wurde nach jedem Aktschluß wiederholt gerufen, zu Beginn des dritten Aktes mit Beifallsbezeugungen empfangen und nach Schluß des Werkes mit einer Ovation geehrt. Die Mitwirkenden leisteten auf der Bühne Ausgezeich- netes, die Reproduktion der ungemein schwierigen Partitur von Seiten der Hofkapelle unter Strauss war eine glänzende.

Fräulein de Ahna hat sich eigentlich an der Freihild zur vollen Künstlerschaft empor­ Pauline de Ahna als Freihild und gesungen. Heinrich Zeller als Guntram. 14 15 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Die Georgine Es blüht und duftet heut auf jedem Grabe, (1885) Ein Tag im Jahr ist ja den Toten frei, Komm an mein Herz, daß ich dich wieder Warum so spät erst, Georgine? habe, Das Rosenmärchen ist erzählt, Wie einst im Mai. und honigsatt hat sich die Biene ihr Bett zum Schlummer ausgewählt. Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812–1864)

Sind nicht zu kalt dir diese Nächte? Ständchen Wie lebst du diese Tage hin? (1886) Wenn ich dir jetzt den Frühling brächte, du feuergelbe Träumerin, Mach auf, mach auf, doch leise mein Kind, Um keinen vom Schlummer zu wecken. wenn ich mit Maitau dich benetzte, Kaum murmelt der Bach, kaum zittert im begöße dich mit Junilicht, Wind doch ach, dann wärst du nicht die Letzte, Ein Blatt an den Büschen und Hecken. die stolze Einzige auch nicht. Drum leise, mein Mädchen, daß nichts Wie, Träum’rin, lock’ ich vergebens? sich regt, So reich’ mir schwesterlich die Hand, Nur leise die Hand auf die Klinke gelegt. ich hab’ den Maitag dieses Lebens Mit Tritten, wie Tritte der Elfen so sacht, wie du den Frühling nicht gekannt; Die über die Blumen hüpfen, und spät wie dir, du Feuergelbe, Flieg leicht hinaus in die Mondscheinnacht, stahl sich die Liebe mir ins Herz; Zu mir in den Garten zu schlüpfen. ob spät, ob früh, es ist dasselbe Rings schlummern die Blüten am Entzücken und derselbe Schmerz. rieselnden Bach Und duften im Schlaf, nur die Liebe ist Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812–1864) wach.

Allerseelen Sitz nieder, hier dämmert’s geheimnisvoll (1885) Unter den Lindenbäumen, Die Nachtigall uns zu Häupten soll Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, Von unseren Küssen träumen, Die letzten roten Astern trag herbei, Und die Rose, wenn sie am Morgen erwacht, Und laß uns wieder von der Liebe reden, Hoch glühn von den Wonnenschauern der Wie einst im Mai. Nacht. Gib mir die Hand, daß ich sie heimlich Adolf Friedrich, Graf von Schack (1815–1894) drücke Und wenn man’s sieht, mir ist es einerlei, Pauline de Ahna Strauss, ca. 1900. Gib mir nur einen deiner süßen Blicke, Wie einst im Mai. 16 17 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Mädchenblumen Epheu Cäcilie (1888) (1894) Aber Epheu nenn’ ich jene Mädchen Kornblumen mit den sanften Worten, Wenn du es wüßtest, mit dem Haar, dem schlichten, hellen Was träumen heißt von brennenden Kornblumen nenn ich die Gestalten, um den leis’ gewölbten Brau’n, Küssen, die milden mit den blauen Augen, mit den braunen seelenvollen Rehenaugen, Von Wandern und Ruhen mit der Geliebten, die, anspruchslos in stillem Walten, die in Tränen steh’n so oft, Aug in Auge, den Tau des Friedens, den sie saugen in ihren Tränen gerade sind Und kosend und plaudernd, aus ihren eigenen klaren Seelen, unwiderstehlich; Wenn du es wüßtest, mitteilen allem, dem sie nahen, ohne Kraft und Selbstgefühl, Du neigtest dein Herz! bewußtlos der Gefühlsjuwelen, schmucklos mit verborg’ner Blüte, die sie von Himmelshand empfahn. Wenn du es wüßtest, doch mit unerschöpflich tiefer Dir wird so wohl in ihrer Nähe, Was bangen heißt in einsamen Nächten, treuer inniger Empfindung als gingst du durch ein Saatgefilde, Um schauert vom Sturm, da niemand können sie mit eigner Triebkraft durch das der Hauch des Abends wehe, tröstet nie sich heben aus den Wurzeln, voll frommen Friedens und voll Milde. Milden Mundes die kampfmüde Seele, sind geboren, sich zu ranken Wenn du es wüßtest, liebend um ein ander Leben: Mohnblumen Pauline de Ahna in einem New Yorker Fotostudio. Du kämest zu mir. an der ersten Lieb’umrankung Mohnblumen sind die runden, hängt ihr ganzes Lebensschicksal, Wenn du es wüßtest, rotblutigen gesunden, denn sie zählen zu den seltnen Blumen, und sie nimmer erreicht, wie sehr sie Was leben heißt, umhaucht von der die sommersproßgebraunten, die nur einmal blühen. sich sehne. Gottheit die immer froh gelaunten, Wasserrose, so nenn’ ich die schlanke, Weltschaffendem Atem, kreuzbraven, kreuzfidelen, Wasserrose nachtlock’ge Maid, alabastern von Wangen, Zu schweben empor, lichtgetragen, tanznimmermüden Seelen; in dem Auge der ahnende tiefe Gedanke, Zu seligen Höhn, Kennst du die Blume, die märchenhafte, die unter’m Lachen weinen als sei sie ein Geist und auf Erden gefangen. Wenn du es wüßtest, wenn du es wüßtest, sagengefeierte Wasserrose? und nur geboren scheinen, Wenn sie spricht, ist’s wie silbernes Du lebtest mit mir. Sie wiegt auf ätherischem, schlankem die Kornblumen zu necken, Wogenrauschen, Schafte Heinrich Hart (1855–1906) und dennoch oft verstecken wenn sie schweigt, ist’s die ahnende Stille das durchsicht’ge Haupt, das farbenlose, die weichsten, besten Herzen, der Mondnacht; sie blüht auf schilfigem Teich im Haine, im Schlinggewächs von Scherzen; sie scheint mit den Sternen Blicke zu gehütet vom Schwan, der umkreiset sie die man, weiß Gott, mit Küssen tauschen, einsam, ersticken würde müssen, deren Sprache die gleiche Natur sie sie erschließt sich nur dem Mondenscheine, wär’ man nicht immer bange, gewohnt macht; mit dem ihr der silberne Schimmer umarmest du die Range, du kannst nie ermüden, in’s Aug’ ihr zu gemeinsam: sie springt ein voller Brander schau’n, so blüht sie, die zaub’rische Schwester aufflammend auseinander. das die seidne, lange Wimper umsäumt hat, der Sterne, und du glaubst, wie bezaubernd von umschwärmt von der träumerisch seligem Grau’n, dunklen Phaläne, was je die Romantik von Elfen geträumt hat. die am Rande des Teichs sich sehnet von ferne, Felix Ludwig Julius Dahn (1834–1912) 18 19 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Morgen! Und still gleich mir betrachte um uns das Brät sie mir drei, (1894) (1896) Heer Ißt sie mir zwei, Der trunknen Schwätzer – verachte sie Um ein einziges Vöglein Und morgen wird die Sonne wieder Ich ging den Weg entlang, der einsam lag, nicht zu sehr. Treib ich kein Verräterei. scheinen Den stets allein ich gehe jeden Tag. Nein, hebe die blinkende Schale, gefüllt mit und auf dem Wege, den ich gehen werde, Die Heide schweigt, das Feld ist Mein Schätzlein hat gesagt, Wein, wird uns, die Glücklichen sie wieder einen menschenleer; Ich soll sein gedenken, Und laß beim lärmenden Mahle sie inmitten dieser sonnenatmenden Erde… Der Wind nur weht im Knickbusch um Er wöllt mir auf den Abend glücklich sein. und zu dem Strand, dem weiten, mich her. Drei Küßlein auch schenken; wogenblauen, Doch hast du das Mahl genossen, den Schenkt er mir drei, Weit liegt vor mir die Straße ausgedehnt; werden wir still und langsam niedersteigen, Durst gestillt, Bleibt’s nicht dabei, Es hat mein Herz nur dich, nur dich stumm werden wir uns in die Augen Dann verlasse der lauten Genossen Was kümmert michs Vöglein, ersehnt. schauen, festfreudiges Bild, Was schiert mich das Ei. Und kämest Du, ein Wunder wär’s für mich, und auf uns sinkt des Glückes stummes Und wandle hinaus in den Garten zum Ich neigte mich vor dir: ich liebe dich. Aus: Achim von Arnim und Clemens Brentano, Schweigen. Rosenstrauch, Des Knaben Wunderhorn Und im Begegnen, nur ein einzger Blick, Dort will ich dich dann erwarten nach John Henry Mackay (1864–1933) Des ganzen Lebens wär er mein Geschick. altem Brauch, Wiegenlied Und richtest du dein Auge kalt auf mich, Und will an die Brust dir sinken, eh du’s (1899) Ich trotze Mädchen dir: ich liebe dich. erhofft, Träume, träume, du mein süßes Leben, Doch wenn dein schönes Auge grüßt Und deine Küsse trinken, wie ehmals oft, Von dem Himmel, der die Blumen bringt. und lacht, Und flechten in deine Haare der Rose Blüten schimmern da, die leben Wie eine Sonne mir in schwerer Nacht, Pracht. Von dem Lied, das deine Mutter singt. Ich zöge rasch dein süßes Herz an mich O komme, du wunderbare, ersehnte Nacht! Träume, träume, Knospe meiner Sorgen, Und flüstre leise dir: ich liebe dich. John Henry Mackay (1864–1933) Von dem Tage, da die Blume sproß; Detlev von Liliencron (1844–1909) Von dem hellen Blütenmorgen, Hat gesagt – bleibt’s nicht dabei Da dein Seelchen sich der Welt erschloß. (1898) Träume, träume, Blüte meiner Liebe, (1897) Von der stillen, von der heilgen Nacht, Mein Vater hat gesagt, Da die Blume seiner Liebe Auf, hebe die funkelnde Schale empor Ich soll das Kindlein wiegen, Diese Welt zum Himmel mir gemacht. zum Mund, Er will mir auf den Abend Und trinke beim Freudenmahle dein Herz Drei Gaggeleier sieden; Richard Dehmel (1863–1920) gesund. Siedt er mir drei, Und wenn du sie hebst, so winke mir Ißt er mir zwei, heimlich zu, Und ich mag nicht wiegen Dann lächle ich und dann trinke ich still Um ein einziges Ei. wie du … Mein Mutter hat gesagt, Ich soll die Mägdlein verraten, Sie wollt mir auf den Abend

Richard Strauss und Pauline De Ahna, ca. 1910. Drei Vögelein braten; 20 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ Aus Pauline de Ahna-Strauss’

Kleine Grießknöderl in Suppe · Für Kochbuch4 Personen 34 g weiche Butter (2–3 EL), 1 Ei, 2 EL Grieß, Salz, frisch geriebene Muskatnuß, 1 l Hühnerbrühe

Butter, Ei, Grieß, Salz und Musaktnuß verrühren. Erscheint die Masse zu klebrig, noch etwas Grieß hinzufügen. Ist sie zu trocken, etwas Milch darunterrühren. Die Grießmasse ½ Stunde quellen lassen. Die Hühnerbrühe erhitzen. Mit Teelöffeln von der Masse Klößchen abstechen und in der heißen, aber nicht kochenden Hühnerbrühe 10 Minuten ziehen lassen. Die Grießklößchen sind gar, wenn sie an die Oberfläche steigen.

Hirnbavesen · Für 4 Personen

1 Kalbshirn, 1 Semmel vom Vortag, 1 Ei, Salz, 1 EL gehackte Petersilie, Butterschmalz zum Braten

Das Kalbshirn unter fließendem kalten Wasser zwei- bis dreimal abspülen und Blut ­sowie verfärbte Häutchen entfernen. Anschließend 1 bis 2 Stunden in kaltes Wasser ­legen. Das Hirn in sprudelndem Wasser etwa 5 Minuten blanchieren. Inzwischen die Semmel in Wasser einweichen. Das Hirn abtropfen lassen, dann sehr fein schneiden. Die Semmel ausdrücken. Hirnstücke, Semmel und Ei zu einem Teig ­verkneten. Salzen und die Petersilie untermischen. Aus dem Teig Kroketten formen und diese in heißem Butterschmalz ausbacken.

Die Villa Strauss in Garmisch; Foto: Josef Lehmkuhl. Schokoladen-Auflauf · Für 4 Personen

250 ml Sahne, 85 g Schokolade, 35 g Butter, 40–45 g Mehl, 4 Eiweiß, 50 g Zucker, 2 Eigelbe, Butter für die Form

Das Backrohr auf 200 Grad vorheizen. Die Schokolade in Stücke brechen und in der Milch schmelzen. Die Butter zerlassen, das Mehl darunterrühren und mit der Schoko- ladenmilch ablöschen. Die Masse unter ständigem Rühren einmal aufkochen lassen. Abkühlen lassen. Die Eiweiße zusammen mit dem Zucker steif schlagen. Die Eigelbe unter die Schokoladenmasse ziehen. Zuletzt den Eischnee unterheben. Eine feuerfeste Auflaufform ausfetten, die Masse einfüllen und etwa 45 bis 60 Minuten backen. 22 23 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Hans Hotter über die Skatpartien Richard Strauss, im Hause Strauss ZWEITER AUFZUG / ERSTE SZENE Die Skatpartie Der Meister spielte ein wenig zu riskant, überreizte sich, wie man beim Skat sagt, und Komfortables Wohnzimmer mit guten modernen Bildern und Bronzen im Hause merkte schon nach drei Strichen, daß er keine Chance mehr hatte zu gewinnen. Wü- des Kommerzienrats. Am Skattisch in der Mitte des Zimmers unter einem tend warf er die restlichen Karten auf den Tisch und brach zornig in jene Worte aus, die großen Luster sitzen der JUSTIZRAT, der KOMMERZIENRAT, der KAMMERSÄNGER aus seinem Mund gehört zu haben sich wahrscheinlich nur wenige rühmen können: und KAPELLMEISTER STROH beim Skatspiel „Jetzt leckt’ mich alle am …!“ Mit diesem einen Spiel hat er fast 800 Mark verloren, mit Der Justizrat mischt die Karten und gibt aus. all den Contras, Recontras und Subs. Mit wilder Energie und Verbissenheit, seinem un- glaublichen Können und auch einer gehörigen Portion Glück gelang es ihm, innerhalb von zwei Stunden seinen Verlust bei uns auf ca. 300 Mark herunterzuarbeiten. Dann DER KOMMERZIENRAT DER JUSTIZRAT betrat seine Gattin Pauline den Raum und erkundigte sich, wie lange das denn heute Ach! Sie kennen sie nicht, Herr Justizrat! Er soll die Frau riesig gern haben – wieder dauere. „Ja, also, meine Herren“, sprach der Herr des Hauses resignierend, Ein Ekel! Er ist ein reizender Mensch. „dann mach ma halt Schluß, und“, mit gedämpfter Stimme auf die Skatabrechnung Aber die Frau: einfach fürchterlich! DER KOMMERZIENRAT deutend, „das erledigen wir schon noch. Ich bring Sie noch hinaus.“ Wir erhoben uns, Wie sie ihn auch oft behandelt, Strauss begleitete uns bis zur Straße, nicht ohne noch einen kurzen prüfenden Blick in DER KAMMERSÄNGER sogar vor Leuten! die Richtung des Hauses geworfen zu haben. Dann griff er kurz in die Rocktasche, hol- Sie haben etwas gegen die Frau. te drei zerknüllte Hundertmarkscheine hervor; drückte sie mir in die rechte Hand und STROH grunzte ärgerlich: „Und jetzt schaut’s, daß weiterkommt’s, Saubuam, elendige!“ Damit DER KOMMERZIENRAT Ich finde, die Frau wird schwer verkannt. drehte er sich auf dem Absatz um und schritt rasch zu seinem Haus zurück. Kunststück, bei die Behandlung! Sie ist sehr temperamentvoll, vielleicht zu hitzig – STROH Aber es ist doch eine sehr tüchtige Frau! DER KAMMERSÄNGER ruft Schneider! Neunundzwanzig haben DER KOMMERZIENRAT Sie! Sechzig Gute für mich! Für ihn vielleicht. STROH DER KAMMERSÄNGER fortfahrend ein bisschen wild und rück- Gucki sichtslos sie spielen immer weiter aber ich glaube, sie hat ein gutes Herz und sie DER JUSTIZRAT sorgt sehr gut für ihn. Wer spielt aus? DER KOMMERZIENRAT STROH Na ja, irgendeinen Vorzug muss sie wohl Ich! Bei Grand die Asse auf den Tisch. haben. Zum Justizrat Sie haben ja das Richard Strauss bei seiner Lieblingsbeschäftigung Skat, Vergnügen, sie nicht zu kennen, aber mit dem befreundeten Dirigenten Fritz Cortolezis. Sie spielen wen sie näherer Bekanntschaft würdigt – 24 25 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

schlaflose Nächte, sag’ ich Ihnen. Acht- keinen König mehr zum Reinschmei- DER JUSTIZRAT DER KOMMERZIENRAT zehn! Achtzehn! Herr Kammersänger! ßen? Neunundfünfzig ohne vier! kostet Ich gebe Kontra. Seit wann denn? ein Vermögen!

DER KAMMERSÄNGER DER KAMMERSÄNGER DER KAMMERSÄNGER Einen Moment, ich bin noch nicht auf DER JUSTIZRAT Bei Null ouvert? Schon immer bei uns. dem Kontor, halte ich – zum Kammersänger Sehr fein gespielt, dass Sie Pique nicht brachten! ROBERT DER KOMMERZIENRAT DER KOMMERZIENRAT zu Stroh Du hättest dieses Spiel nicht Rekontra. Nicht zu fassen! Na, also achtzehn. Vierundzwanzig! ­gewonnen! Legt die Karten auf. DER KAMMERSÄNGER DER JUSTIZRAT ROBERT DER KOMMERZIENRAT Passen! Für Sie, mein Herr! behaglich Ach, so ein Skätchen ist Das ist aber doch kein Kontra, ein Genuss, die einzige Erholung nach ich bitte Sie! DER JUSTIZRAT ROBERT Musik! Passen! tritt ein Guten Abend, meine Herren! DER JUSTIZRAT Entschuldigen Sie, aber die Probe war DER KOMMERZIENRAT Mit zwei Sieben? DER KOMMERZIENRAT nicht abzukürzen – spottend Besonders, wenn die Frau Nein! Diese Maurer! Einen auf achtzehn recht weit weg ist! DER KOMMERZIENRAT hängen zu lassen! DER KAMMERSÄNGER Trotzdem, Sie sehen ja! spottend Am Anfang jeder Spielzeit ROBERT DER JUSTIZRAT ­haben Sie immer einen kolossalen gutmütig Na ja, Sie wissen: ich habe ROBERT Ja, das einzige, was heute billig ist! ­Probeneifer, so gegen den März zu legt ­meine Frau sehr gerne, nur beim Skat ist Keine Leichenreden! Aufschreiben! er sich. es angenehm, wenn keine Damen im Zweihundert Gute für mich! Sie geben! DER KOMMERZIENRAT Nebenzimmer. nimmt auf Zwei Wenzel! ROBERT DER KAMMERSÄNGER Naja, einmal im Jahr. Wenn ihr euch das DER KOMMERZIENRAT Wie lange bleiben Sie diesmal, Meister? DER KAMMERSÄNGER alles merken würdet, was ich euch da Alle Augenblicke steckt eine den Kopf Da siehst du, ob wir gemauert haben. sage, für drei Jahre müsst’ es genügen. zur Tür herein: „Sind die Herren schon ROBERT bald fertig?“ „Gleich, mein Engel,“ Vier Wochen. Noch zwei Konzerte DER KOMMERZIENRAT STROH sagt er, hol dich der Satan, denkt er. ohne das übrige. Coeur solo. Die Herren können Sie können gleich eintreten, verehrter Oder: „Gewinnen die Herren?“ Nur ein Zum Kommerzienrat Sie reizen. schenken! Meister, noch dieses Spiel! Vorwand, um schnell nachzusehn, ob der Gatte verliert oder gewinnt, und zu DER KOMMERZIENRAT DER JUSTIZRAT DER KAMMERSÄNGER Hause dann, au wei! Gleich, ich habe noch nicht ausgepackt. zu Robert Wie geht es Ihrer dröhnend Hast du schon zur Nacht Zehn! Frau Gemahlin? ­gebetet, Desdemona! ROBERT Na, so schlimm ist’s nicht. DER KAMMERSÄNGER ROBERT STROH Null auf dem Pferde! Gibt’s nicht. Nur Solo. Ich danke, gut. Habe heut einen ruft Neunundfünfzig. Haben Sie denn Brief von ihr, sie hat jetzt recht nette 26 27 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Gesellschaft: ein junger Mann, der mit ROBERT DER KOMMERZIENRAT ­geworden, danke ich ihr, besonders die ihr spazierengeht und Sport treibt. Sehr wohl! Wenn er auf meiner Frau Hilflos? Davon hab’ ich noch nichts Gesundheit! Sie hat mich aufgepulvert. ­herumhackt, muss ich sie doch ver­ ­gemerkt. DER KAMMERSÄNGER teidigen. Ich nehme zu Grand auf. DER KOMMERZIENRAT Na, hör’n Sie, Meester?! ROBERT Aufpulvern, das kann sie! Dynamit! DER JUSTIZRAT Doch, oft rührend hilflos und kindlich ROBERT Einer verdirbt’s immer. dabei, das hat mir die Nerven gestählt. ROBERT Wieso? Meine Frau, die kennen Sie nicht. Nervosität gibt’s nicht: Mangel an Nur nicht übertreiben! Mir tut das gut, STROH ­Selbstzucht. ich muss Leben und Temperament um DER KOMMERZIENRAT zu Robert Sie sind wirklich ein mich haben. Jeder Mensch hat seine Na, ich kenne sie. ­rührender Ehemann! DER KOMMERZIENRAT zwei Seiten, der Unterschied ist nur, dass Na, hör’n Sie – das ist stark! der eine nur das Gute zeigt, das sind die ROBERT ROBERT Menschen mit der angenehmen Fläche. Auch Sie nicht! Und ich fühle mich sehr wohl dabei. ROBERT Während sie, – sie ist eine von den ganz Behaupte ich gegen jeden! zarten, schamhaften Naturen mit rauher DER KOMMERZIENRAT DER KOMMERZIENRAT Schale, ich kenne manche – es sind die Oho! Das wundert mich ja, Sie haben keine DER KAMMERSÄNGER Besten! Ein Igel, nach außen mit Sta- Nerven! Ramsch! cheln gepanzert – Das Dienstmädchen ROBERT tritt ein und gibt Robert ein Telegramm. Weil sie Ihnen einmal – ROBERT DER KOMMERZIENRAT Zum Kammersänger Bitte, geben Sie für Gott sei Dank nicht! Alles Training! Sie selbst sind allerdings ein gutes mich – er hat das Telegramm geöffnet DER KOMMERZIENRAT ­Beispiel. Ich mit einer solchen Frau und starrt es fassungslos an. einmal? Ein Dutzend reicht nicht – DER KOMMERZIENRAT ­sässe längst im Irrenhause! Daran fehlt es Ihnen ja nicht. DER JUSTIZRAT ROBERT DER JUSTIZRAT Was gibt’s? Doch nichts Unangenehmes? wie ich gerne zugebe, unangenehme DER KAMMERSÄNGER Ich habe fünfundsechzig. Was ist Ihnen? Dinge und sehr mit Unrecht, deswegen ruft Schwarz, Ihr Ludersch! kennen Sie sie doch nicht genau. ROBERT ROBERT STROH zum Kommerzienrat Trotz Ihres Was soll denn das heissen? DER KOMMERZIENRAT So ein Glückspilz! ­schlechten Spiels. Danke für noch nähere Berührung. DER JUSTIZRAT Bin schon nervös genug. ROBERT DER KOMMERZIENRAT Darf man wissen, von wem? Dass ich gezwungen bin, ihr gegenüber, Natürlich, wenn ich an die Frau nur DER KAMMERSÄNGER die hitzig, starker Phantasiemensch, von denke, bekomme ich das Zittern. ROBERT Sind wir hier zum Unterhalten oder zum etwas mangelnder Selbstdisziplin oft Jedenfalls von meiner Frau. Skatspielen? Schieberamschrunde. rührend hilflos – ROBERT mit Wärme Und für mich ist sie grade DER KOMMERZIENRAT das Richtige. Ich habe ein Talent zum Sticht der Igel? Verdösen, Verbummeln; was aus mir 28 29 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

ROBERT ROBERT DER KAMMERSÄNGER DER KOMMERZIENRAT Ich bitte, jetzt keinen Scherz! Aber ich habe keine Ahnung. Schwach auch er, schwach alle! Vierundzwanzig!

DER JUSTIZRAT STROH DER KOMMERZIENRAT DER JUSTIZRAT Doch nicht wirklich was Ernsthaftes? Das sagt ein jeder, wenn’s herauskommt. Wahrlich, ich sage euch: mit der Frau ist Ich passe! schon im Frieden nicht zu spaßen, nun ROBERT ROBERT ein solcher Kriegsanlass, oh je, oh je, er DER KAMMERSÄNGER Ich bin sprachlos. Zu Stroh Lesen Sie! Ich muss schon bitten! tut mir leid! Passe.

STROH STROH DER KAMMERSÄNGER DER KOMMERZIENRAT liest „Du kennst Mieze Maier. Deine Entschuldigen Sie, aber ich begreife ja, Ein Fehltritt, ist er solcher Büßung wert? Ich spiele Treff solo! ­Untreue erwiesen. Wir sind auf immer dass es peinlich ist, wenn das Frauchen geschieden.“ Keine Unterschrift. es erfährt. STROH Dass er die Mieze Maier auch kennt, das ROBERT ROBERT hätt’ ich ihm allerdings nicht zugetraut! Meine Frau unterschreibt nie eine Da hört sich aber doch schon die ­Depesche. Ist sie verrückt? ­Geschichte auf … plötzlich ruhig DER JUSTIZRAT Die Herren entschuldigen, wenn ich Nun, wie wär’s, meine Herren, spielen DER JUSTIZRAT Sie verlasse, aber mir ist die Lust zum wir noch ein bißchen, uns von dem Schon lang ein wenig. Spielen vergangen. Ich muss die Sache Schrecken zu erholen? erst überdenken – die Herren sind ja zu ROBERT vieren! Adieu! Schnell ab. DER KOMMERZIENRAT Nun hören Sie auf! Das ist kein Scherz Meinen Sie nicht, man sollte sich nach mehr. Mieze Maier! DER KOMMERZIENRAT dem Meister doch ein bißchen umsehn, Verfluchte Chose! Frau Christine wird er schien wirklich aufs tiefste er­ STROH ­toben! schrocken? Ich werde ihn morgen an­ Sie kennen die auch? rufen, wenn er die Sache ein bißchen DER KAMMERSÄNGER ­beschlafen hat. ROBERT Ich möchte nicht in seiner Haut stecken! Wer ist denn das? Sie setzen sich wieder zum Spiel, DER JUSTIZRAT Stroh gibt die Karten aus. STROH Ich habe es ihm eigentlich nicht Nun, so etwas’ – so, so, la la. ­zugetraut! DER KOMMERZIENRAT Achtzehn! ROBERT STROH Sie kennen sie? Das Muster eines Ehemanns! DER JUSTIZRAT Zwanzig! STROH DER JUSTIZRAT Richard Strauss mit Schwiegertochter und Flüchtig. Nun, er wird sich schon herauswinden! Pauline in Garmisch. 30 31 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

An Das wollte ich dir brechen (1918) Wohl in dem dunklen Klee, Doch fing es an zu sprechen: Heilige Nacht! Heilige Nacht! „Ach, tue mir nicht weh! Sterngeschlossner Himmelsfrieden! Alles, was das Licht geschieden, Sei freundlich im Herzen, Ist verbunden, Betracht dein eigen Leid, Alle Wunden Und lasse mich in Schmerzen Bluten süß im Abendrot. Nicht sterben vor der Zeit!“

Bjelbogs Speer, Bjelbogs Speer Und hätt’s nicht so gesprochen, Sinkt ins Herz der trunknen Erde, Im Garten ganz allein, Die mit seliger Gebärde So hätt ich dir’s gebrochen, Eine Rose Nun aber darf’s nicht sein. In dem Schoße Mein Schatz ist ausgeblieben, Dunkler Lüste niedertaucht. Ich bin so ganz allein. Im Lieben wohnt Betrüben, Heilige Nacht, züchtige Braut, Und kann nicht anders sein. Deine süße Schmach verhülle, Wenn des Hochzeitsbechers Fülle Clemens Brentano (1778–1842) Sich ergießet; Also fließet Einerlei In die brünstige Nacht der Tag! (1918)

Clemens Brentano (1778–1842) Ihr Mund ist stets derselbe, Richard Strauss, Pauline de Ahna und ihr Sohn Franz 1910. Sein Kuß mir immer neu, Ich wollt ein Sträußlein binden Ihr Auge noch dasselbe, (1918) Sein freier Blick mir treu; O du liebes Einerlei, Schlechtes Wetter Ich glaube, Mehl und Eier Ich wollt ein Sträußlein binden, Wie wird aus dir so mancherlei! (1918) Und Butter kaufte sie ein; Da kam die dunkle Nacht, Sie will einen Kuchen backen Kein Blümlein war zu finden, Achim von Arnim (1781–1831) Das ist ein schlechtes Wetter, Für’s große Töchterlein. Sonst hätt ich dir’s gebracht. Es regnet und stürmt und schneit; Ich sitze am Fenster und schaue Die liegt zu Hause im Lehnstuhl Da flossen von den Wangen Hinaus in die Dunkelheit. Und blinzelt schläfrig ins Licht; Mir Tränen in den Klee, Die goldnen Locken wallen Ein Blümlein aufgegangen Da schimmert ein einsames Lichtchen, Über das süße Gesicht. Ich nun im Garten seh. Das wandelt langsam fort; Ein Mütterchen mit dem Laternchen Heinrich Heine (1797–1856) Wankt über die Straße dort. 32 33 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

mehr so poetisch gehört habe wie von Pauline. Ebenso „Trau durch die Dämmerung“, „Gedächtnisdenkmal“ „Morgen“, „“ in ganz gleichmäßigem Ton und poetischer Stimmung. „Jung Hexenlied“ und viele andere Novitäten für Amerika mußte sie da capo singen. Lugano, 22. Mai 1947 Sie pointierte vortrefflich, sprach ausgezeichnet aus. Ihre Freihild war die einzige gesang- Richard Wagners 124. Geburtstag lich und darstellerisch perfekte Leistung in den beiden „Guntram“-Aufführungen von Weimar und München. Nach dem Zusammenbruch deutscher Opernkultur am 1. September 1944 meiner lieben Frau ein kleines Gedächtnisdenkmal, bevor ich selbst dieses zerstörerische Künstler­ Als Gast sang sie in München und Karlsruhe unter Mottl die Elsa, die heilige Elisabeth dasein verlasse. von Liszt unter Nocodé und Kniese in Dresden und Bayreuth, außerdem das erste ­Blumenmädchen der zweiten Gruppe in Bayreuth, die zweite Rheintochter und Ich lernte Pauline etwa 1887 in Feldafing kennen, wo ich bei meiner braven Tante ­Marcelline („Fidelio“) in München. ­Johanna Pschorr wie schon öfter in ihrer schön gelegenen Villa zu Gast war. Dort ­besuchte mich 1892 auch Cosima Wagner mit Eva und aß friedlich mit ihrem alten Auf meinen Konzertreisen in Paris bei Colonne und Lamoureux [sang sie] in Barcelona, ­Gegner zu Mittag. Paulinens Vater, der wackere General de Ahna, hatte Madrid (Liebestod), Amsterdam, Berlin, Frankfurt, Köln etc. meine für sie instrumen- eine schöne Baritonstimme und war so musikalisch, daß er das Meistersinger-Duett tierten Lieder („Cäcilie“, „Rosenband“, „Liebeshymnus“, „Morgen“, „Wiegenlied“, „Freund- (Hans Sach-Walter) des III. Aktes sich selbst einstudieren konnte. Pauline hatte schon liche Vision“) immer da capo. ­einige Monate auf der Münchner Musikschule studiert und in einem Prüfungskonzert im Odeon sogar mit Dilettantenmut die „Freischütz“-Arie naiv und unter dem Beifall Schade, daß sie sich früh dem schönen Beruf einer vorbildlich ausgezeichneten Hausfrau ihrer militärischen Verehrer herausgeschmettert. Da dem Vater die Umgangsformen am und Mutter zugewandt hatte. Odeonsplatz nicht paßten, übergab er sie mir zum Unterricht, zu dem ich gleichzeitig Darstellungsstunden bei Frau Julie Ritter – die Nichte Richard Wagners und selbst gute Schauspielerin – empfohlen hatte. Pauline hatte schon schauspielerisches Talent, das durch die gütige, kluge Gattin Alexander Ritters in gute Bahnen gelenkt wurde. Ich ­studierte in München mit Pauline Agathe, Elsa, Gretchen von Gounod, und als ich 1889 als Kapellmeister nach Weimar ging, folgte mir Pauline als Schülerin dahin. Nach einem erfolgreichen Debüt als Pamina wurde 1890 auch sie als jugendlich dramatische Sängerin engagiert und sang im Laufe von vier Jahren Agathe, Elsa, Friedensbote in ­„Rienzi“, Hänsel (Uraufführung), Mignon, Venus, Elvira, Pamina, Königin („Fauler Hans“), „Fürst und Sänger“ (Mottl), „Der König hat’ s gesagt“ (Chabrier), „Fidelio“(!) und Isolde (!!!) ohne Strich, „Guntram“.

Sie hat (noch immer) eine schöne symphatische Stimme, hatte in Weimar noch bei Frau Merian, Schwester der Witwe Joachims Raffs und Lehrerin Karl Scheidemantels, etwas Unterricht zur Befestigung der Kopfstimme, durchaus poetischen Vortrag, was später beim Vortrag meiner Lieder ihr besonders in Amerika viel Beifall brachte. Dort schrieb ein Kritiker: „Frau Strauss trug die Lieder ihres Gatten so lebendig vor, daß man glaubte, sie habe dieselben komponiert, während er ziemlich gelangweilt (overbored) am Klavier saß.“ Ihre ausgezeichnete Atemführung kam ihr besonders in der Pamina-Arie, der ­As-dur-Kavatine der Agathe, dem Gebet der Elisabeth (Bayreuth) zugute, die ich niemals 35 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Vier letzte Lieder Beim Schlafengehen (1948) Nun hat der Tag mich müd gemacht, für Sopran und Orchester, nach Gedichten soll mein sehnliches Verlangen von Hermann Hesse und Joseph von freundlich die gestirnte Nacht Eichendorff wie ein müdes Kind empfangen. Hände, laßt von allem Tun Frühling Stirn, vergiß du alles Denken, Alle meine Sinne nun In dämmrigen Grüften wollen sich in Schlummer senken. träumte ich lang Und die Seele unbewacht von deinen Bäumen und blauen Lüften, will in freien Flügen schweben, Von deinem Duft und Vogelsang. um im Zauberkreis der Nacht Nun liegst du erschlossen tief und tausendfach zu leben. In Gleiß und Zier von Licht übergossen Hermann Hesse (1877–1962) wie ein Wunder vor mir. Du kennst mich wieder, Im Abendrot du lockst mich zart, Wir sind durch Not und Freude es zittert durch all meine Glieder gegangen Hand in Hand; deine selige Gegenwart! vom Wandern ruhen wir beide Hermann Hesse (1877–1962) nun überm stillen Land. Rings sich die Täler neigen, September es dunkelt schon die Luft. Zwei Lerchen nur noch steigen Der Garten trauert, nachträumend in den Duft. kühl sinkt in die Blumen der Regen. Tritt her und laß sie schwirren, Der Sommer schauert bald ist es Schlafenszeit. still seinem Ende entgegen. Richard Strauss beim nachmittäglichen Kaffee mit seiner Frau Pauline und Daß wir uns nicht verirren seinem Sohn Franz und dessen Ehefrau Alice. Golden tropft Blatt um Blatt in dieser Einsamkeit. nieder vom hohen Akazienbaum. O weiter, stiller Friede! Sommer lächelt erstaunt und matt So tief im Abendrot. In den sterbenden Gartentraum. Wie sind wir wandermüde – Lange noch bei den Rosen Ist dies etwa der Tod? bleibt er stehn, sehnt sich nach Ruh. Langsam tut er Joseph von Eichendorff (1788–1857) die müdgeword’nen Augen zu.

Hermann Hesse (1877–1962) 36 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ Das verborgene Band Fanny Hensel und Felix Mendelssohn Bartholdy

Fanny und Felix; Bildmontage.

Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy, Sommer 1829: Eben habe ich meine Lieder fertig geschrieben u. bitte Dich, verfahre damit, nicht als seyen sie aus der Ferne an Dich gerichtet, denn das giebt der Sache nur einen relativen Werth, sondern als hätte ich die Lieder mit den und den Fehlern gemacht, und bäte Dich um eine kritische Rücksicht darauf. Eins ist darunter, welches ich für eins meiner besten Lieder halte …

Felix an seinen Bruder Paul, am 3. Juli 1829 aus Schottland: …um mich herum waren nur Musiker aber keine Musik, und schon wollte ich mich zwingen, doch irgend einen Geschmack an ihren Machwerken zu finden, da kamen ­Fannys Lieder. Ich denke es ist die schönste Musik, die jetzt ein Mensch auf der Erde ­machen kann. Wenigstens hat mich nie etwas so durch und durch belebt und ergriffen. … Den Schluss vom 2ten mit dem Vöglein in der Linden, spielte ich mir gestern Nacht ein paar mal ganz ruhig vor, und machte dann in meinem Zimmer Tollheiten, und schlug auf den Tisch, mag wohl auch sehr geweint haben, dann spielte ich ihn aber eine Viertel- stunde lang immer fort, und nun kenne ich ihn genau … 38 39 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Während ihrer gemeinsam verlebten Kindheit und Jugend in der Leipziger Straße weiß adressiert, ein kurzes Lied ohne Worte in A-Dur, das Felix Mendelssohn Bartholdy in jeder von dem anderen, woran er gerade arbeitet. Die beiden tauschen ihre Gedanken Sorge um die hochschwangere Schwester aus München nach Berlin schickt, sowie eine täglich aus und erhalten gemeinsam Unterricht bei C. F. Zelter. Dabei entstehen Frühfassung seines später als op. 30,2 erschienenen Liedes ohne Worte in b-Moll, mit ­Vertonungen, die man durchaus miteinander vergleichen kann. Melodische Motive, dem er kurz darauf zur Geburt ihres Sohnes gratuliert. Die diesen Kompositionen bei- Tempobezeichnungen oder Formen, die sie in ähnlicher Weise verwenden, lassen einige gefügten Zeilen deuten verschiedene Kriterien der Bewertung adressierter bzw. nicht- Kompositionen von Fanny und Felix miteinander korrespondieren. adressierter Musik an, ebenso beginnt sich darin bereits eine unterschiedliche Haltung der beiden KorrespondentInnen gegenüber adressierter Musik abzuzeichnen. Felix Mendelssohn Bartholdy befindet sich dabei offenbar in einem Konflikt zwischen Korrespondenz in Tönen „Wahrheit“ als zentrale Forderung an adressierte Musik und ästhetischen bzw. kompo- sitionstechnischen Kriterien, die für die Qualität nicht-adressierter Musik maßgeblich Die unter der Bezeichnung Lied ohne sind. Die zeitgebundene und persönliche Wahrheit eines konkreten Augenblicks zwi- Worte berühmt gewordene Variante des schen Verfasser und Adressatin dient ihm in der Ankündigung des b-Moll-Liedes – lyrischen Klavierstücks wurzelt in be- wenn auch zögernd – als Argument, das die Vernachlässigung ästhetischer Aspekte sonderem Maße in der gemeinsamen rechtfertigen kann: Ich hätte Dir gern ein Lied geschickt, aber es ist zu schlecht geraten. – musikalischen Jugend der Geschwister Eben sehe ich es mir noch einmal an und denke: Ach was! das Herz war schwarz, Du ver- Fanny Hensel und Felix Mendelssohn stehst Dich darauf: da ist es […]; ist Dirs zu schlecht, so kann ich nicht helfen, mir war so, Bartholdy. Die erste mit dem Titel Lied als ich Euern halb ängstlichen, halb erfreuten Brief bekam. versehene Klavierkomposition Felix Mendelssohn Bartholdys ist eine Ein­ In den Worten, die das A-Dur-Lied tragung ins Stammbuch der Schwester ­begleiten, klingt eine weitere an nicht- als Geburtstagsgeschenk. Bezogen auf adressierte Musik zu stellende Forde- dieses Stück ist die Bezeichnung Lied rung an, deren Mangel, bezogen auf ohne Worte in einem Brief Fanny Hensels adressierte Musik, angebracht sein kann: an Karl Klingemann aus dem Jahr 1828 […] ich möchte gern bei Dir sein u. Dich erstmals nachgewiesen. Klavierstücke, sehn, u. Dir was erzählen, es will aber die auf die späteren Lieder ohne Worte nicht gehn. Da habe ich Dir denn ein verweisen, finden sich in den Übungs- Lied aufgeschrieben, wie ichs wünsche u. büchern Fanny Hensels schon wesent- meine; dabey habe ich Dein gedacht u. es Das Geburtshaus Fanny und Felix Mendelssohns lich früher, und es ist denkbar, daß Kom- ist mir sehr weich zu Muthe dabey. Neues in der Großen Michaelisstraße 14, Hamburg. positionen dieser Art zunächst ein Spiel ist wohl fast nicht drin, denn Du kennst der in enger künstlerischer Gemein- mich ja u. weißt wer ich bin; der bin ich schaft aufgewachsenen Geschwister denn immer noch, u. so magst Du da­ ­waren, die einander ihre Kompositionen zur Begutachtung zeigten und in Tage- und rüber lachen u. Dich freuen, denn was Stammbüchern musikalisch miteinander kommunizierten. Musikalische Anspielun­ anderes kann ich Dir wohl sagen u. wün- gen und gegenseitige Zitate, die insbesondere Lieder mit und ohne Worte als Mittel schen; was besseres aber nicht; Neuartig- vertrauter Kommunikation ausweisen, finden sich vor allem in den Kompositionen der keit als Forderung an eine Musik, mit der Geschwister aus der Zeit der ersten Reisejahre Felix Mendelssohn Bartholdys. Lieder ein junger Komponist sich der Öffent- mit und ohne Worte wurden nun auch in Briefen verschickt. Bekannte Beispiele hierfür lichkeit präsentiert, tritt hier hinter die Fanny Hensel, Portrait 1847, Stahlstich von Eduard Mandel sind der Liederkreis, den Fanny Hensel im Mai 1829 an den Bruder nach England Ansprüche zurück, denen nach der nach einer Zeichnung von Wilhelm Hensel (1794–1861). 40 41 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Brieftheorie des 18. Jahrhunderts ein „guter bürgerlicher Brief“ zu genügen hatte: ­Fanny Hensel brauchte bekanntlich ein Leben lang, um endlich gegen das „Interdict“ Er sollte ein Gespräch ersetzen und den – in diesem Fall eben altbekannten und ver- von Vater und Bruder mit ihren Kompositionen an die Öffentlichkeit zu treten. Es ist trauten – Verfasser bei der Adressatin vertreten. Fanny Hensel, der der Weg in eine die Frage, ob sie dabei die Trennung von „privater“ – an einen Kreis Eingeweihter ­anonyme Öffentlichkeit versperrt war, mußte der musikalische Gesprächspartner ­gerichteter – und „öffentlicher Musik“, […] so deutlich vollzieht, wie die – ausgespro- ­zugleich das sachverständige Publikum ersetzen. Für den an den Bruder adressierten chenen oder unausgesprochenen – Implikationen der Autorschaft dies nahelegten. Liederkreis fordert sie ausdrücklich die Haltung eines „Collegen“ ein: Eben habe ich ­Gerade unter den Kompositionen, die sie am Ende ihres Lebens herausgab bzw. für die meine Lieder fertig geschrieben und bitte Dich, verfahre damit, nicht als seyen sie aus der Veröffentlichung vorbereitete und aus denen ihr während der Italienreise gewachsenes Ferne an Dich gerichtet, denn das giebt der Sache nur einen relativen Werth, sondern als kompositorisches Selbstbewußtsein spricht, befinden sich solche, die als Antworten hätte ich Lieder mit den und den Fehlern gemacht, und bäte Dich um eine kritische auf Kompositionen ihres Bruders die frühe Praxis dialogischen Komponierens fort­ Rücksicht darauf. setzen.

Fanny Hensel geriet nicht durch das Komponieren an sich in Widerspruch zum Neben dem Klaviertrio op. 11 gilt dies für das Lied ohne Worte op. 6,1, das Fanny Hensel ­Frauenbild ihrer Zeit, vor dessen Hintergrund Vater und Brüder ihr verboten, Musik als ebenso wie das Trio in den letzten Herbst- und Wintermonaten vor ihrem Tod kom­ ihren Beruf zu betrachten. Komponieren als „gesellige Erbauung im häuslichen Rah- ponierte. Das Lied op. 30,3, auf das sie sich dabei bezieht, entstand mehr als elf Jahre men“ – oder in dessen Verlängerung auch als Kommunikation mit den abwesenden früher und war aufgrund seiner leichten Spielbarkeit vermutlich auch schon zu ihrer Mitgliedern des Hauses – war durchaus mit den gesellschaftlichen Rollenzuweisungen Zeit eines der bekanntesten Lieder ohne Worte Felix Mendelssohn Bartholdys. Mit den an eine Frau vereinbar. Lieder mit und ohne Worte, die als Ergüsse unmittelbarer Emp- kurzen Ritornellen, in seiner Schlichtheit und Kürze, gehört es zu den sogenannten findung galten und nicht als „tönende Erkenntnis“, – wie die Sonatenform mit ihren „Chorliedern ohne Worte“, für die es unter Fanny Hensels Klavierstücken keine Ent- Verfahren thematisch-motivischer Arbeit – schienen nach den Vorstellungen der Zeit sprechung gibt. Als kürzestes der gedruckten Lieder ohne Worte Felix Mendelssohn diesem Rahmen angemessen. Ein Widerspruch zu den an sie gerichteten Rollenerwar- Bartholdys überhaupt steht es schon äußerlich im denkbar größten Gegensatz zu tungen ergab sich für Fanny Hensel erst aus dem Wunsch, mit ihrer Musik an die Öf- ­Fanny Hensels Klavierschaffen. Weder Kürze noch Einfachheit sollten jedoch über die fentlichkeit zu treten. Maßgeblich hierfür waren auch die Bedingungen der Autorschaft Bedeutung der Chorliedminiaturen Felix Mendelssohn Bartholdys hinwegtäuschen, selbst: Wir haben früher darüber gesprochen, und ich bin immer noch derselben Mei- die gerade aufgrund ihrer äußeren Begrenztheit als Prototypen seiner Auseinander­ nung, – ich halte das Publiciren für etwas Ernsthaftes (es sollte das wenigstens sein) und setzung mit dem Goethe-Zelterschen Liedideal angesehen werden können. Das „Chor- glaube, man solle es nur thun wenn man als Autor ein Leben lang auftreten und da­ lied“ fehlt in keiner der zu Felix Mendelssohn Bartholdys Lebzeiten herausgegebenen stehen will. Dazu gehört aber eine Reihe von Werken, eins nach dem andern, – von Sammlungen mit Liedern ohne Worte. Wie wichtig ihm selbst die chorliedartigen einem oder zweien ist nur Verdruß von der Öffentlichkeit zu erwarten, oder es wird ein ­Miniaturen waren, ist darüber hinaus an dem zentralen Platz abzulesen, den er ihnen sogenanntes Manuscript für Freunde, was ich auch nicht liebe. Ein Autor ist ein einzel- jeweils in der Mitte der ersten drei Hefte zuwies. ner, er schafft nicht nur Werke, sondern „ein Werk“. Die Einheit des Autors und des Werks ergeben sich aus „einer Reihe von Werken“, die sich aufeinander beziehen – Fanny Hensel nimmt den Dialog mit dem Lied ihres Bruders zunächst über das be- oder auch voneinander abgrenzen lassen. Adressierte Texte – oder adressierte Musik kannte Thema von op. 30,3 auf. Die erste Melodiephrase von op. 6,1 korrespondiert in – stören diese Einheit, denn sie implizieren die Antwort eines anderen. So verstanden ihrem rhythmisch-metrischen Grundmuster sowie ihrem melodischen Gestus deutlich ist der Begriff Autor […] der Angelpunkt für die Individualisierung in der Geistes-, Ideen- hörbar mit derjenigen aus Felix Mendelssohn Bartholdys Lied. […] Während sich die und Literaturgeschichte. (Michel Foucault, Was ist ein Autor?) Er macht – auch in der HörerInnen von Felix Mendelssohn Bartholdys op. 30,3 durch das Eingangsritornell Musikgeschichte – den Kontext unsichtbar, in dem die Werke produziert werden, und eingestimmt auf Tonart, Tonraum, Taktart und Tempo in der berechtigten Erwartung schließt Frauen gleich in doppeltem Sinne aus: erstens als „Mitautorinnen“, Material- eines liebenswürdigen Stücks ohne weitere Überraschungen […] beruhigt zurücklehnen lieferantinnen oder auch als „Frau an seiner Seite“, und zweitens durch den unauflös- können, werden sie in Fanny Hensels op. 6,1 bereits beim Einsatz des Themas verun­ baren Widerspruch zu einem Rollenbild, das es einer Frau verwehrte, sich überhaupt sichert. Analog zu op. 30,3 eröffnet sie ihr Lied zwar ebenfalls mit einer kurzen Einstim- als „einzelne“ zu denken. Ein weiblicher Autor war eine „contradictio in adjecto“. mung auf die Tonart As-Dur, die Melodie setzt jedoch schon nach einem halben Takt 42 43 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ein, und zwar in Quintlage und über einer betonten Durchgangsdissonanz im Baß. Felix Mendelssohn Bartholdy Die Liebende schreibt Wenn die Melodie im zweiten Takt auf betonter Zeit zum ersten Mal den Grundton er- (1809–1847) Ein Blick von deinen Augen in die meinen, reicht, erklingt dazu mit f-Moll die Tonika-Parallele. Schon am Anfang werden wir also Ein Kuß von deinem Mund auf meinem Nachtlied darauf vorbereitet, daß die Grundtonart des Liedes immer in der Schwebe bleibt. [ …] Munde, Fanny Hensel erweist sich in ihrem Lied als „musikalische Vagabundin“, die weder in Vergangen ist der lichte Tag; Wer davon hat, wie ich, gewisse Kunde, der selbstgewählten Tonart beheimatet ist, noch zu der Melodie zurückfindet, die sie Von ferne kommt der Glocken Schlag. Mag dem was anders wohl erfreulich eingangs in Anknüpfung an das Lied ihres Bruders anstimmt. Vagabundin ist sie auch So reist die Zeit die ganze Nacht, scheinen? in ihrer Behandlung der Gattung, die ihr als Frau zugewiesen war und die sie sich an- Nimmt manchen mit, der’s nicht gedacht. Entfernt von dir, entfremdet von den geeignet hatte. Sie sprengt die Form von der Melodie her – von innen heraus – ohne Wo ist nun hin die bunte Lust, Meinen, daß die Sonatenform, die unter dem Deckmantel des Liedes hervorscheint, als solche Des Freundes Trost und treue Brust, Führ’ ich stets die Gedanken in die Runde erreicht würde. Aneignung wird dabei zum grundsätzlichen Infragestellen aller Vor­ Des Weibes süßer Augenschein? Und immer treffen sie auf jene Stunde, gaben durch die ihr „auferlegte“ Gattung. Aus dem Dialog mit dem schlichten Lied des Will keiner mit mir munter sein? Die einzige: da fang’ ich an zu weinen. Bruders, in dem Fanny Hensel diese für sie durchaus typische Form der Aneignung der seinen gegenüberzustellen scheint, spricht neben aller Vergeblichkeit, mit der ihr Lied Da’s nun so stille auf der Welt, Die Träne trocknet wieder unversehens: gegen die eigenen Grenzen anzurennen scheint, zugleich das Selbstbewußtsein, – im Ziehn Wolken einsam übers Feld, Er liebt ja, denk’ ich, her, in diese Stille, Lied zwar keine kompositorische „Heimat“ gefunden, durch dieses hindurch jedoch Und Feld und Baum besprechen sich, – O solltest du nicht in die Ferne reichen? O Menschenkind, was schauert dich? eine eigene Stimme bewahrt zu haben. Vernimm das Lispeln dieses Liebewehens; Wie weit die falsche Welt auch sei, Mein einzig Glück auf Erden ist dein Wille, Aus: Cornelia Bartsch: Das Lied ohne Worte op. 6,1 als offener Brief, in: Beatrix Bleibt mir doch Einer nur getreu, Dein freundlicher zu mir; gib mir ein Borchard und Monika Schwarz-Danuser (Hrsg.): Fanny Hensel geb. Mendelssohn Der mit mir weint, der mit mir wacht, Zeichen! Bartholdy. Komponieren zwischen Geselligkeitsideal und romantischer Musikästhetik. Wenn ich nur recht an ihn gedacht. Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) 2. Auflage Kassel 2002). Frisch auf denn, liebe Nachtigall, Du Wasserfall mit hellem Schall! Allnächtlich im Traume seh’ ich dich Gott loben wollen wir vereint, Allnächtlich im Traume seh’ ich dich Bis daß der lichte Morgen scheint! Und sehe dich freundlich grüßen, Joseph von Eichendorff (1788–1857) Und laut aufweinend stürz’ ich mich Zu deinen süßen Füßen.

Du siehst mich an wehmütiglich Und schüttelst das blonde Köpfchen; Aus deinen Augen schleichen sich Die Perlentränentröpfchen.

Du sagst mir heimlich ein leises Wort Und gibst mir den Strauß von Zypressen. Ich wache auf, und der Strauß ist fort, Und das Wort hab’ ich vergessen.

Heinrich Heine (1797–1856) 44 45 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Auf dem Teich, dem Regungslosen Leise zieht durch mein Gemüt Der Herbstwind rüttelt die Bäume Ach Lieb, ich muß nun scheiden

Auf dem Teich, dem Regungslosen, Leise zieht durch mein Gemüt liebliches Der Herbstwind rüttelt die Bäume, Ach Lieb, ich muß nun scheiden, Weilt des Mondes holder Glanz, Geläute; Die Nacht ist feucht und kalt; gehn über Berg und Tal, Flechtend seine bleichen Rosen klinge, kleines Frühlingslied, kling hinaus Gehüllt im grauen Mantel die Erlen und die Weiden, In des Schilfes grünen Kranz. ins Weite. Reite ich einsam, einsam im Wald. die weinen allzumal. Kling hinaus bis an das Haus, wo die Hirsche wandeln dort am Hügel, Und wie ich reite, so reiten Sie sahn so oft uns wandern Veilchen sprießen! Blicken in die Nacht empor; Mir die Gedanken voraus; zusammen an Baches Rand, Wenn du eine Rose schaust, sag, ich lass sie Manchmal regt sich das Geflügel Sie tragen mich leicht und luftig das eine ohn' den andern grüßen. Träumerisch im tiefen Rohr. Nach meiner Liebsten Haus. geht über ihren Verstand. Heinrich Heine (1797–1856) Weinend muß mein Blick sich senken; Die Hunde bellen, die Diener Die Erlen und die Weiden Durch die tiefste Seele geht Erscheinen mit Kerzengeflirr; vor Schmerz in Tränen stehn, Wenn sich zwei Herzen scheiden Mir ein süßes Deingedenken, Die Wendeltreppe stürm' ich nun denket, wie's uns beiden Wie ein stilles Nachtgebet. Wenn sich zwei Herzen scheiden, Hinauf mit Sporengeklirr. erst muß zu Herzen gehn. Die sich dereinst geliebt, Nikolaus Lenau (1802–1850) Im leuchtenden Teppichgemache, Felix Dahn (1834–1912) Das ist ein großes Leiden, Da ist es so duftig und warm, Wie's größ'res nimmer gibt. Durch den Wald, im Mondenscheine Da harret meiner die Holde, Herbstlied Es klingt das Wort so traurig gar: Ich fliege in ihren Arm! Durch den Wald, im Mondenscheine, Fahr' wohl, fahr' wohl auf immerdar! Ach, wie so bald verhallet der Reigen, Sah ich jüngst die Elfen reuten; Wenn sich zwei Herzen scheiden, Es säuselt der Wind in den Blättern, Wandelt sich Frühling in Winterzeit! Ihre Hörner hört ich klingen, Die sich dereinst geliebt. Es spricht der Eichenbaum: Ach, wie so bald in traurendes Schweigen Ihre Glöckchen hört ich läuten. «Was willst Du, törichter Reiter, Wandelt sich alle die Fröhlichkeit! Da ich zuerst empfunden, Mit Deinem törichten Traum?» Ihre weißen Rößlein trugen Daß Liebe brechen mag: Bald sind die letzten Klänge verflogen! Güldnes Hirschgeweih und flogen Mir war's, als sei verschwunden Heinrich Heine (1797–1856) Bald sind die letzten Sänger gezogen! Rasch dahin, wie wilde Schwäne Die Sonn' am hellen Tag. Bald ist das letzte Grün dahin! Kam es durch die Luft gezogen. Mir klang's im Ohre wunderbar: Alle sie wollen heimwärts ziehn! Fahr' wohl, fahr' wohl auf immerdar! Lächelnd nickte mir die Köngin, Ach, wie so bald verhallet der Reigen, Da ich zuerst empfunden, Lächelnd, im Vorüberreuten. Wandelt sich Lust in sehnendes Leid. Daß Liebe brechen mag. Galt das meiner neuen Liebe, Wart ihr ein Traum, ihr Liebesgedanken? Oder soll es Tod bedeuten? Mein Frühling ging zur Rüste, Süß wie der Lenz und schnell verweht? Ich weiß es wohl, warum; Heinrich Heine (1797–1856) Eines, nur eines will nimmer wanken: Die Lippe, die mich küßte, Es ist das Sehnen, das nimmer vergeht. Ist worden kühl und stumm. Das eine Wort nur sprach sie klar: Ach, wie so bald verhallet der Reigen! Fahr' wohl, fahr' wohl auf immerdar! Ach, wie so bald in traurendes Schweigen Mein Frühling ging zur Rüste, Wandelt sich alle die Fröhlichkeit! Ich weiß es wohl, warum. Karl Klingemann (1798–1862) Emanuel Geibel (1815–1884) 47 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Ein Schifferkleid trag’ ich Fanny Hensel zur selbigen Zeit, (1805–1847) und zitternd dir sag’ ich: das Boot ist bereit! Aus meinen Tränen O komm jetzt, wo Lunen Aus meinen Tränen sprießen noch Wolken umzieh’n, Viel blühende Blumen hervor, laß durch die Lagunen, Und meine Seufzer werden Geliebte, uns flieh’n! Ein Nachtigallenchor. Thomas Moore (1779–1852) Übers. Ferdinand Freiligrath (1810–1876) Und wenn du mich lieb hast, Kindchen, Schenk’ ich dir die Blumen all’, Des Mädchens Klage Und vor deinem Fenster soll klingen Das Lied der Nachtigall. Der Eichwald braust, die Wolken ziehn, Das Mägdlein sitzt an Ufers Grün, Heinrich Heine (1797–1856) Es bricht sich die Welle mit Macht, mit Macht, Wenn ich in deine Augen seh’ Felix Mendelssohn Bartholdy, 1830. Cécile Mendelssohn Bartholdy, geb. Jeanrenau, 1846. Und sie seufzt hinaus in die finstre Nacht, Wenn ich in deine Augen seh’, Portrait von James Warren Childe. Portrait von Eduard Magnus (1799–1872). Das Auge von Weinen getrübet. So schwindet all’ mein Leid und Weh; „Das Herz ist gestorben, die Welt ist leer, Doch wenn ich küße deinen Mund, Und weiter gibt sie dem Wunsche nichts So werd’ ich ganz und gar gesund. Auf Flügeln des Gesanges Dort wollen wir niedersinken mehr, Wenn ich mich lehn’ an deine Brust, Unter dem Palmenbaum, Du Heilige, rufe dein Kind zurück, Kommt’s über mich wie Himmelslust; Auf Flügeln des Gesanges, Und Liebe und Ruhe trinken, Ich habe genossen das irdische Glück, Doch wenn du sprichst: ich liebe dich! Herzliebchen, trag ich dich fort, Und träumen seligen Traum. Ich habe gelebt und geliebet!“ So muß ich weinen bitterlich. Fort nach den Fluren des Ganges,

Dort weiß ich den schönsten Ort; Heinrich Heine (1797–1856) Es rinnet der Tränen vergeblicher Lauf, Heinrich Heine (1797–1856) Die Klage, sie wecket die Toten nicht auf; Dort liegt ein rotblühender Garten Venetianisches Gondellied Doch nenne, was tröstet und heilet Im wunderschönen Monat Mai Im stillen Mondenschein, die Brust Die Lotosblumen erwarten Wenn durch die Piazetta Nach der süßen Liebe verschwundener Im wunderschönen Monat Mai, Ihr trautes Schwesterlein. die Abendluft weht, Lust, Als alle Knospen sprangen, dann weißt du, Ninetta, Da ist in meinem Herzen Die Veilchen kichern und kosen, Ich, die Himmlische, will’s nicht versagen. Wer wartend hier steht. Die Liebe aufgegangen. Und schaun nach den Sternen empor, Du weißt, wer trotz Schleier „Laß rinnen der Tränen vergeblichen Lauf, Heimlich erzählen die Rosen Heinrich Heine (1797–1856) und Maske dich kennt, Es wecke die Klage den Toten nicht auf! Sich duftende Märchen ins Ohr. Wie die Sehnsucht Das süßeste Glück für die traurende Brust, Es hüpfen herbei und lauschen im Herzen mir brennt. Nach der schönen Liebe verschwund’ner Die frommen, klugen Gazelln, Lust, Und in der Ferne rauschen Sind der Liebe Schmerzen und Klagen.“ Des heil’gen Stromes Well’n. Friedrich Schiller (1759–1805) 48 49 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Bitte Wanderlied Warum scheint denn die Sonn’ auf die Au, so kalt und verdrießlich herab? Weil' auf mir, du dunkles Auge, Von dem Berge zu den Hügeln, Warum ist denn die Erde so grau, Übe deine ganze Macht, Niederab das Tal entlang, und öde wie ein Grab? Ernste, milde träumerische, Da erklingt es wie von Flügeln, Unergründlich süße Nacht. Da bewegt sichs wie Gesang; Warum bin ich selbst so krank und trüb? Nimm mit deinem Zauberdunkel Und dem unbedingten Triebe Mein liebes Liebchen sprich Diese Welt von hinnen mir, Folget Freude, folget Rat, O sprich mein herzallerliebstes Lieb, Daß du über meinem Leben Und dein Streben, sei’s in Liebe! warum verließest du mich? Einsam schwebest für und für. Und dein Leben sei die Tat. Heinrich Heine (1797–1856) Nikolaus Lenau (1802–1850) Denn die Bande sind zerrissen, Das Vertrauen ist verletzt; Maienlied Sechs Lieder für eine Stimme Kann ich sagen, kann ich wissen, Läuten kaum die Maienglocken, mit Begleitung des Pianoforte Welchem Zufall ausgesetzt, Leise durch den lauen Wind, (op. 1) Ich nun scheiden, ich nun wandern, Hebt ein Knabe froh erschrocken, Wie die Witwe trauervoll, Aus dem Grase sich geschwind. Schwanenlied Statt dem Einen, mit dem Andern Schüttelt in den Blütenflocken, Fanny und Wilhelm Hensel. Fort und fort mich wenden soll! Es fällt ein Stern herunter Seine feinen blonden Locken, aus seiner funkelnden Höh, Bleibe nicht am Boden heften, Schelmisch sinnend wie ein Kind. das ist der Stern der Liebe, Frisch gewagt und frisch hinaus! Und nun wehen Lerchenlieder Nachtwanderer den ich dort fallen seh. Kopf und Arm mit heitern Kräften, Und es schlägt die Nachtigall, Überall sind sie zu Haus; Ich wandre durch die stille Nacht, Es fallen vom Apfelbaume, Von den Bergen rauschend wieder Wo wir uns der Sonne freuen, Da schleicht der Mond so heimlich sacht der weißen Blätter so viel, Kommt der kühle Wasserfall. Sind wir jede Sorge los, Oft aus der dunkeln Wolkenhülle, es kommen die neckenden Lüfte, Rings im Walde bunt Gefieder, Daß wir uns in ihr zerstreuen, Und hin und her im Tal, und treiben damit ihr Spiel. Frühling, Frühling ist es wieder Darum ist die Welt so groß. Erwacht die Nachtigall Und ein Jauchzen überall. Es singt der Schwan im Weiher, Dann wieder alles grau und stille. Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) und rudert auf und ab, Und den Knaben hört man schwirren, O wunderbarer Nachtgesang, und immer leiser singend, Goldne Fäden, zart und lind, Warum sind denn die Rosen so blaß Von fern im Land der Ströme Gang, taucht er ins Flutengrab. Durch die Lüfte künstlich wirren, Leis Schauern in den dunkeln Bäumen -- Warum sind denn die Rosen so blaß? Und ein süsser Krieg beginnt. Es ist so still und dunkel, Irrst die Gedanken mir, o sprich mein Lieb warum? Suchen, fliehen, schmachtend irren, verweht ist Blatt und Blüt’, Mein wirres Singen hier, Warum sind denn im grünen Gras Bis sich Alle hold verwirren. der Stern ist knisternd zerstoben, Ist wie ein Rufen nur aus Träumen. die blauen Veilchen so stumm? O besel’gend Labyrinth! verklungen das Schwanenlied. Joseph von Eichendorff (1788–1857) Warum singt denn mit so kläglichem Laut, Joseph von Eichendorff (1788–1857) Heinrich Heine (1797–1856) die Lerche in der Luft? Warum steigt denn aus dem Balsamkraut verwelkter Blütenduft? 50 51 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Morgenständchen Gondellied Fanny Hensel, Das Jahr – mit Gedichten und Vignetten von Wilhelm Hensel In den Wipfeln frische Lüfte, O komm zu mir, wenn durch die Nacht Fern melod’scher Quellen Fall Wandelt das Sternenheer, Durch die Einsamkeit der Klüfte, Dann schwebt mit uns in Mondespracht Waldeslaut und Vogelschall, Die Gondel übers Meer. Scheuer Träume Spielgenossen, Die Luft ist weich wie Liebesscherz, Steigen all’ beim Morgenschein Sanft spielt der goldne Schein, Auf des Weinlaubs schwanken Sprossen Die Zither klingt und zieht dein Herz Mai September Dir in’s Fenster aus und ein. Mit in die Lust hinein. Nun blüht das fernste, tiefste Thal. Fließe, fließe, lieber Fluß Und wir nah’n noch halb in Träumen O komm zu mir, wenn durch die Nacht Nimmer werd ich froh. Und wir thun in Klängen kund, Wandelt das Sternenheer, Was da draußen in den Bäumen Dann schwebt mit uns in Mondespracht Singt der weite Frühlingsgrund. Die Gondel übers Meer. Regt der Tag erst laut die Schwingen: Das ist für Liebende die Stund’, Sind wir Alle wieder weit – Liebchen, wie ich und du; Aber tief im Herzen klingen So friedlich blaut des Himmels Rund, Lange nach noch Lust und Leid. Es schläft das Meer in Ruh. Joseph von Eichendorff (1788–1857) Und wie es schläft, da sagt der Blick, Was keine Zunge spricht, Die Lippe zieht sich nicht zurück, Und wehrt dem Kusse nicht. O komm zu mir, wenn durch die Nacht Wandelt das Sternenheer, Dann schwebt mit uns in Mondespracht Die Gondel übers Meer.

Thomas Moore (1779–1852) Übers. Emanuel Geibel (1815–1884) 52 53 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Ach! wie ist es doch gekommen Suleika

Ach! wie ist es doch gekommen, Ach, um deine feuchten Schwingen, Daß die ferne Waldespracht West, wie sehr ich dich beneide: So mein ganzes Herz genommen, Denn du kannst ihm Kunde bringen Mich um alle Ruh gebracht. Was ich in der Trennung leide!

Wenn von drüben Lieder wehen, Die Bewegung deiner Flügel Waldhorn gar nicht enden will, Weckt im Busen stilles Sehnen; Weiß ich nicht, wie mir geschehen, Blumen, Auen, Wald und Hügel Und im Herzen bet ich still. Stehn bei deinem Hauch in Tränen.

Könnt ich zu den Wäldern flüchten, Doch dein mildes sanftes Wehen Mit dem Grün in frischer Lust Kühlt die wunden Augenlider; Mich zum Himmelsglanz aufrichten – Ach, für Leid müßt’ ich vergehen, Stark und frei wär da die Brust! Hofft’ ich nicht zu sehn ihn wieder.

Hörnerklang und Lieder kämen Eile denn zu meinem Lieben, Nicht so schmerzlich an mein Herz, Spreche sanft zu seinem Herzen; Fröhlich wollt ich Abschied nehmen, Doch vermeid’ ihn zu betrüben Zög auf ewig wälderwärts. Und verbirg ihm meine Schmerzen.

Joseph von Eichendorff (1788–1857) Sag’ ihm, aber sag’s bescheiden: Moritz Daniel Oppenheim (1800–1882), Seine Liebe sei mein Leben, Felix Mendelssohn-Bartholdy spielt vor Goethe, 1864. Freudiges Gefühl von beiden Wird mir seine Nähe geben.

Marianne von Willemer (1784–1860) Johann Wolfgang von Goethe Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) West-östlicher Divan Blumen- und Zeichenwechsel

Um nicht zu viel Gutes von der sogenannten Blumensprache zu denken oder etwas Zartgefühltes davon zu erwarten, müssen wir uns durch Kenner belehren lassen. Man hat nicht etwa einzelnen Blumen Bedeutung gegeben, um sie im Strauß als Geheim- schrift zu überreichen, und es sind nicht Blumen allein, die bei einer solchen stummen Unterhaltung Wort und Buchstaben bilden, sondern alles Sichtbare, Transportable wird mit gleichem Rechte angewendet. Doch wie das geschehe, um eine Mitteilung, einen Gefühl – und Gedankenwechsel hervorzubringen, dieses können wir uns nur vorstellen, wenn wir die Haupteigen- schaften orientalischer Poesie vor Augen haben: den weit umgreifenden Blick über alle Weltgegenstände, die Leichtigkeit zu reimen, sodann aber eine gewisse Lust und ­Richtung der Nation, Rätsel aufzugeben, wodurch sich zugleich die Fähigkeit ausbildet, 54 55 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Rätsel aufzulösen, welches denjenigen deutlich sein wird, deren Talent sich dahin Trauben, die blauen Soll ich vertrauen? neigt, Scharaden, Logogryphen und dergleichen zu behandeln. Quecken Du willst mich necken. Hiebei ist nun zu bemerken: wenn ein Liebendes dem Geliebten irgendeinen Ge- Nelken Soll ich verwelken? genstand zusendet, so muß der Empfangende sich das Wort aussprechen und suchen, Narzissen Du mußt es wissen. was sich darauf reimt, sodann aber ausspähen, welcher unter den vielen möglichen Veilchen Wart ein Weilchen. Reimen für den gegenwärtigen Zustand passen möchte. Daß hiebei eine leidenschaft- Kirschen Willst mich zerknirschen. liche Divination obwalten müsse, fällt sogleich in die Augen. Ein Beispiel kann die Feder vom Raben Ich muß dich haben. ­Sache deutlich machen, und so sei folgender kleine Roman in einer solchen Korres­ Vom Papageien Mußt mich befreien. pondenz durchgeführt. Maronen Wo wollen wir wohnen? Blei Bin dabei. Die Wächter sind gebändiget Rosenfarb Die Freude starb. Durch süße Liebestaten; Seide Ich leide. Doch wie wir uns verständiget, Bohnen Will dich schonen. Das wollen wir verraten; Majoran Geht mich nichts an. Denn, Liebchen, was uns Glück gebracht, Blau Nimm’s nicht genau. Das muß auch andern nutzen, Traube Ich glaube. So wollen wir der Liebesnacht Beeren Will’s verwehren. Die düstern Lampen putzen. Feigen Kannst du schweigen? Und wer sodann mit uns erreicht, Gold Ich bin dir hold. Das Ohr recht abzufeimen, Leder Gebrauch die Feder. Und liebt wie wir, dem wird es leicht, Papier So bin ich dir. Den rechten Sinn zu reimen. Maßlieben Schreib nach Belieben. Ich schickte dir, du schicktest mir, Nachtviolen Ich laß es holen. Es war sogleich verstanden. Ein Faden Bist eingeladen. Ein Zweig Mach keinen Streich. Amarante Ich sah und brannte. Strauß Ich bin zu Haus. Raute Wer schaute? Winden Wirst mich finden. Haar vom Tiger Ein kühner Krieger. Myrten Will dich bewirten. Haar der Gazelle An welcher Stelle? Jasmin Nimm mich hin. Büschel von Haaren Du sollst’s erfahren. Melissen *** auf einem Kissen. Kreide Meide. Zypressen Will’s vergessen. Stroh Ich brenne lichterloh. Bohnenblüte Du falsch Gemüte. Trauben Will’s erlauben. Kalk Bist ein Schalk. Korallen Kannst mir gefallen. Kohlen Mag der *** dich holen. Mandelkern Sehr gern. Rüben Willst mich betrüben. Und hätte mit Boteinah so Karotten Willst meiner spotten. Nicht Dschemil sich verstanden, Zwiebeln Was willst du grübeln? Wie wäre denn so frisch und froh Trauben, die weißen Was soll das heißen? Ihr Name noch vorhanden? 56 57 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Vorstehende seltsame Mitteilungsart wird sehr bald unter lebhaften, einander ­gewogenen Personen auszuüben sein. Sobald der Geist eine solche Richtung nimmt, tut er Wunder. Zum Beleg aus manchen Geschichten nur eine. Zwei liebende Paare machen eine Lustfahrt von einigen Meilen, bringen einen ­frohen Tag miteinander zu; auf der Rückkehr unterhalten sie sich, Scharaden aufzu­ geben. Gar bald wird nicht nur eine jede, wie sie vom Munde kommt, sogleich erraten, sondern zuletzt sogar das Wort, das der andere denkt und eben zum Worträtsel um­ bilden will, durch die unmittelbarste Divination erkannt und ausgesprochen. Indem man dergleichen zu unsern Zeiten erzählt und beteuert, darf man nicht fürchten, lächerlich zu werden, da solche psychische Erscheinungen noch lange nicht an dasjenige reichen, was der organische Magnetismus zutage gebracht hat.

Marianne von Willemer, 1809. Portrait von J.J. de Lose (1755–1813)

Hast mir dies Buch geweckt, du hast’s gegeben; Denn was ich froh, aus vollem Herzen, sprach, Das klang zurück aus deinem holden Leben, Wie Blick dem Blick, so Reim dem Reime nach. J.W. Goethes Ginkgo Biloba, Originalschrift von 1815 mit aufgeklebten Ginkgo-Blättern. 58 59 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ Stimme und Geige Amalie und Joseph Joachim – und Johannes Brahms

Von ewiger Liebe

Dunkel, wie dunkel in Wald und in Feld! Abend schon ist es, nun schweiget die Welt.

Nirgend noch Licht und nirgend noch Rauch, Ja, und die Lerche sie schweiget nun auch.

Kommt aus dem Dorfe der Bursche heraus, Gibt das Geleit der Geliebten nach Haus,

Führt sie am Weidengebüsche vorbei, Redet so viel und so mancherlei:

„Leidest du Schmach und betrübest du dich, Leidest du Schmach von andern um mich, Amalie Schneeweiss und Joseph Joachim. Werde die Liebe getrennt so geschwind, Schnell, wie wir früher vereiniget sind.

Scheide mit Regen und scheide mit Wind, Schnell wie wir früher vereiniget sind.“

Spricht das Mägdelein, Mägdelein spricht: „Unsere Liebe sie trennet sich nicht!

Fest ist der Stahl und das Eisen gar sehr, Unsere Liebe ist fester noch mehr.

Eisen und Stahl, man schmiedet sie um, Unsere Liebe, wer wandelt sie um?

Eisen und Stahl, sie können zergehn, Unsere Liebe muß ewig bestehn!“

Wendisches Lied 60 61 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Ich lese ihre Briefe. Erstaunlich sind sie, sehr lebendig, witzig, voller Übermut, ­mitunter auch schlechtgelaunt. Manchmal seitenlang nur Koseworte – im Lesesaal Partnerwahl der Hamburger Universitätsbibliothek, wo die Briefe aufbewahrt werden, gehen die Köpfe hoch – habe ich laut gelacht? Rasch aufs Papier geworfene Zeilen. Die Joseph Joachim an Heinrich Joachim Handschrift ist meist flüchtig, raumgreifend, Spuren eines Menschen, Berührungen Hannover, 20.12.1862 auf Papier. Hannover, am 20ten

Die ersten 43 Briefe sind von ihr – wo sind die Antworten Joseph Joachims? Lieber, guter Heinrich Zumeist sind ihre Briefe undatiert; selten ist ein Ort angegeben, manchmal der da du nichts mehr über dein Reisevorhaben schreibst, so schließe ich, daß es aufgescho- ­Wochentag. Bevor ein Brief beginnt: Bleistifteintragungen des ältesten Sohnes – ben ist, aber ich hoffe sehr, nicht aufgehoben. Du wirst hier von allen unseren Bekannten ­Datierungsversuche, oft sind verschiedene Jahreszahlen angegeben, dann wieder den herzlichsten Empfang haben, und ich kann dir eine sehr angenehme, neue Bekannte durchgestrichen. Auch sonst finden sich seine Lektürespuren. Wörter oder Namen, versprechen, eine österreichische Sängerin, die eine wundervolle Stimme hat, und voll die er nicht lesen konnte, hat er über die Zeilen geschrieben, aber selten. Wie mag er musikalischer und körperlicher Anmuth ist. Ein einfaches, seelenvolles Geschöpf, auf das sich beim Lesen der Briefe seiner Eltern gefühlt haben? Die jahrelangen gerichtlichen die Bühne keinen nachtheiligen Einfluß gehabt hat, cosa rarissima!! Auseinandersetzungen, die Scheidung, all das war vermutlich eine große Belastung • für ihn. Als ältester Sohn vertrat er zwar den Vater, aber sicherlich hatte er auch eine enge Beziehung zur Mutter. Als erstes Kind wird Johannes Joachim oft in den Briefen Joseph Joachim an Theodor Avé-Lallement erwähnt – Schwangerschaft und Geburt, der erste Zahn, die ersten Worte, später Hannover, 31.1.1863 Schulärger. In der Bewunderung der Altistin Fräul. Weis treffen wir wieder einmal recht zusammen, Die frühesten Briefe Amalie Joachims stammen aus der kurzen Verlobungszeit im lieber Avé! Ich meine, man hört es der Stimme schon an, eine wie reine, tiefe Natur in Frühjahr 1863. Der erste erhaltene Brief von Joseph Joachim wurde am 7. April 1865 dem Mädchen wohnt, das seit dem 18ten Jahr den Vater verloren hat und später, Mutter aus London abgeschickt. Er datierte genau, aber auch seine Handschrift ist flüchtig. und Schwester am Todtenbett pflegend, unberührt von jeder Spur des Theatertreibens in Sehnsüchtig nimmt er ihren spielerischen Ton auf. Das Schreiben war seine Sache der weltlichen Kaiserstadt geblieben ist. Da ist die warme Kunstliebe einmal wieder recht nicht – das merkt man: Seite um Seite füllt er mit Angaben über Konzerte, teilt mit, eine Wundergabe vom Himmel gewesen, und ich glaube, daß das edle Mädchen bei der daß er „erfolgreich“ gewesen sei, fragt nach den Kindern, erzählt wenig. Immer Echtheit ihres Strebens immer Höheres erreichen wird, sich und andern zum Trost. ­wieder fordert er Briefe von seiner Frau ein. ­Bescheidenheit und Ehrgeiz gehen aber auch hier, wie sie sollen Hand in Hand.

• Auffällig ist der Unterschied zu seinen Briefen an Gisela von Arnim: Ihr gegenüber versuchte er sich im Jean Paulschen Schwärmton; die Briefe haben etwas seltsam Joseph Joachim an Johannes Brahms ­Gespreiztes. Die im Plauderton geschriebenen Briefe an seine Frau hingegen wirken [Hannover],19.2.1863 natürlicher: Briefe als Versuch, körperliche Nähe herzustellen? Mein lieber Johannes, Ein großer Bogen – aber es wird doch wenig darauf kommen; das wenige aber ist wert von Dir gelesen zu werden: Du mußt meine BRAUT bald kennen lernen, teuerster Freund! Ich bin verlobt, ja, ja, ja, dreimal gesegnetes Wort. Meine Ursi heißt mit ihrem Familiennamen Schneeweiß, ist eine Steyermärkerin, und hat eine Altstimme, die man nur zu hören braucht, um von der Tiefe und Reinheit ihres Wesens zu wissen. Und nun erwarte nicht, daß ich dir vorschwärme, von ihrer Lieblichkeit und Schönheit, von ihrer Güte und ihrem Übermut, von allem was mich in Ernst und Scherz glückselig macht, 62 63 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ von Stund’ zu Stunde mehr! Und lasse Dich von den gewöhnlichen Ideen, die leider mit Scholz] darf dies sehen – die anderen alle nicht, gelt? Wer sind doch die beiden Verehre- unserer tiefgesunkenen Opernwelt zusammenhängen, nicht beirren, liebster Johannes, rinnen? Frl. Agathe doch nicht – was meinst du? Ich muß immer an die Arme denken u. wenn du hörst, daß meine Braut der Bühne angehört seit ihrem 16ten Jahre (jetzt ist sie glaube doch noch daß sie trotz all ihrer Lustigkeit dich recht lieb hat u. recht unglücklich 23); Du wirst nichts davon merken, so einfach und rein ist ihr Sinn, ihre Erscheinung ist, sei immer recht lieb mit ihr – doch nicht gar zu viel – ich weiß nicht was das Beste ­geblieben. Ich bin unaussprechlich glücklich. […] Adieu alter, ältester, liebster Johannes. ist – wenn du lieb bist, wird es ihr gewiß noch schwerer dich zu vergessen. Thue, Herz, Dein Joseph. was du willst – wie kann ich dir etwas sagen! –

• Ich will dich nun nicht mehr anders als „mein Joseph“ nennen – obwohl ich den Namen Amalie Schneeweiss an Bernhard Scholz nicht ganz gerne habe. Du hast aber so geschrieben, u. nun wird er mir bald der Schönste [Hannover] 18.3.1863 sein. Mein Joseph! Ich bin deine Ursi – weißt du das schon? Nun will ich noch einen traurigen Brief nach Wien schreiben – traurig nicht für mich! Ich denke oft darüber nach, was wohl uns so schnell zusammen führte – und kann’s Ach, mein Joseph – könnte ich dir sagen, wie lieb ich dich habe! nicht finden. Ich bin doch ein so lächerlich dummes Ding, u. war’s noch viel mehr als ich Adieu, mein Herz, bald sehe ich dich u. dann will ich dir sagen, was du aus der hierher kam […] ­Herzenstasche [?] genommen – u. was du damit gethan hast. Deine Ursi

Mittwoch Vor der Hochzeit • Amalie Joachim an Joseph Joachim Amalie Joachim an Joseph Joachim Hannover, Frühjahr 1863 Göttingen [?], Februar oder März 1863 Wenn du fort bist, dann sehe ich immer wieder, wie du so mein liebes einziges Freundel Und ob, mein süßes E-----chen, ob ich bald wieder kommen werde! Hätte ich mich nicht bist, und daß ich doch gar nicht ohne dich leben könnte. Ich habe dich furchtbar lieb, geschämt u. mir nicht vorgenommen noch kurze Zeit vernünftig zu sein – so wäre ich wenn du neben mir sitzest u. wenn ich dich nicht habe – wird mir so – so weh – ich auf der 1. Station schon wieder umgekehrt u. zu dir geflogen. Glaubst du denn, ich sehne kanns dir gar nicht sagen u. ich möchte hinaus laufen u. den Kopf ganz in die Erden ver- mich nicht nach dir! Mir ist’s recht unbehaglich, u. traurig bin ich auch. Wie sehne ich graben u. mich todt weinen. Und so ist’s mir heute den ganzen Tag und ich weiß mir mich wieder an deiner Seite zu sitzen – ganz still, u. meinen Kopf an dein liebes treues nicht zu helfen. – Dann war ich unter fremden Leuten heute u. habe alle lästigen Be- Herz zu legen: nur so bin ich glücklich! Gelt, wenn ich einmal zu sterben komme – suche abgemacht – und war überall recht vernünftig u. dabei recht traurig. Ich habe so wirst du mich so halten – u. so werde ich dir mit dem letzten Blick noch sagen, wie doch neulich gesagt, du dürftest nicht mehr von mir fort – ich wollte mit dir gehen – u. lieb – wie unendlich lieb ich dich hatte. nun ist’s doch wieder so. doch werde ich belohnt; denn Freitag ist Fidelio [Beethoven] u. Liebchen, ich schreibe dummes Zeug, u. wollte dir schon wieder viel erzählen – ich würde mich noch viel mehr freuen, wenn du die Parthie mit mir durchnehmen weiß doch nichts mehr! – könntest – u. nicht erst am selben Tag ankämst. da werde ich immer an dich denken – Ich hatte schon Probe, welche im Ganzen gut ging. Die liebe Leonore Ouverture gar nicht ruhig sein – dich sehen wollen – mit dir wieder plaudern und dich küssen u. ­[Beethoven] wird gemacht, welche ich erst in Münster hörte. Damals mit tausend werde es nicht können nicht dürfen – wie dumm! Gelt, du kommst früh? nicht mit dem Schmerzen u. heute! Ich bin so stolz, wie eine Königin da gesessen u. freute mich, daß die letzten Zug. Eigentlich ist es jetzt doch eine furchtbare Aufgabe für mich, noch solche Leute noch nichts wußten – ich also noch so selig aussehen konnte oder so traurig – sie Parthien leisten zu müssen. Ich bin doch nur halb bei der Sache u. kann mich zu hatten keine Erklärung dafür. – Ist’s dir nicht auch peinlich – wenn du weißt, die Leute ernstem Studium nicht mehr haben. – Wäre doch die Zeit schon herum! Ich sehne mich um dich herum denken: jetzt sieht er froh aus – er denkt an sie – oder warum schaut er so nur für dich, nur in dir zu leben u. fühle zu gut, daß ich nicht die Kraft habe, es so lan- so betrübt – ist sie nicht lieb – oder gut gegen ihn? Nur unser lieber Bär [Bernhard ge noch auszuhalten. – 64 65 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Ich bin recht müde, lieber Freund, u. will zu Ruhe. Gut Nacht u. halt deine Ursi lieb! Hochzeit Dienstag Abend. Amalie Schneeweiss an Luise Scholz o.O. [Hannover], 23.5.1863

Die erste Wohnung Ich habe mich doch zu einem weißen Kleide entschlossen u. mir eben schönen Mull dazu ausgesucht. Darüber nehme ich eine Wolke von Seidentüll – u. gleichen recht großen Amalie Joachim an Joseph Joachim Schleier. Jo soll eine schöne Braut finden – und ich will auch mich einst an eine weiße o.O. [Hannover], 26.3.1863 Braut erinnern. […] Da ich aber Sonntag noch singe wird die Hochzeit wohl erst später sein – ich glaube Mittwoch den 3ten. Mittwoch ist ja der Tag wo wir uns fanden so soll Grüß Gott, mein lieber, lieber Mann! Soll ich dir noch mehr schreiben? Ich meine, du er uns auch vor der Welt vereinigen! – Unser Häuschen sieht so hübsch als nur möglich wolltest nur einen Gruß, gelt? Nun, ich bin aber sehr brav, und will dir noch erzählen, aus – u. ich freue mich unendlich darauf. Die meubles werden recht hübsch u. Alles wird wie furchtbar lieb ich heute war. Ich bin nämlich mit Luisen [Luise Scholz] in die schöne schön sein! Ich habe nun den Stoff gewählt u. in’s grüne tief rothen Sammt – in mein Wohnung gegangen u. habe mich in den Keller führen lassen, um höchst eigenäugig ­Erkerstübchen Kornblauen Rips gewählt. nachzusehen, ob es feucht sei, habe ihn aber recht hübsch und trocken gefunden. Dann • war ich den ganzen Abend bei Luisen, u. wir haben die Wohnung ganz wunderschön ein- gerichtet – überhaupt höchst nützliche hausfrauliche Gespräche geführt. So habe ich im- Joseph Joachim an Ellen Joachim mer von dir sprechen können und habe dich dabei immer lieber u. lieber bekommen u. o.O.u.D.[Hannover, 10.6.1863] kann es nun vor Sehnsucht nach dir kaum aushalten. – Dearest Ellen, Warum bist du doch so dumm, u. bist von mir fort u. warum bin ich so dumm u. gehe I write in my wedding dress, for I am just about to leave for going to church. It is the dir nicht nach? Ach, mein liebes Herz, warum ist’s denn nicht schon Mai? Ich frage zu Schloßkirche, and the blessed hour for changing our rings (is it the same ceremony in dumm – drum – gut Nacht! […] Adieu, Liebes, tausend Grüße England Ringe wechseln?) is 12. von deiner Ursi d 26 März 1863 Schwanger oder: „Die natürliche Consequenz Mir ist’s leid, ein unbeschriebenes Plätzchen fortzuschicken u. will dir doch nichts mehr von dem allen aber ist, daß meine Frau keinesfalls vorerzählen. Soll ich von meiner Lieb u. Sehnsucht sprechen? gelt nein – das darf ich nicht. Du kannst sonst nicht ruhig bei den fremden Leuten bleiben. Bitte spiel recht reisen kann …“ schön, und denke dabei: an mich. Amalie Joachim an Joseph Joachim Hannover, 18.2.1863 oder 1864 Liebstes bestes Muzel Mußtest du dich denn vor dem Concert durch Proben caput machen lassen? Ich wollte den verschiedenen Directoren nichts spielen wol aber was ’malen’ u. nicht zur Probe kommen, treiben Sie’s zu toll. Du kommst dann müde u. angegriffen zur Uzzi u. erzählst ihr nichts u. bist krank. – 66 67 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Muzzi! Uzzi ist auch krank, im Herzl. ihr thut’s weh um den Muzzi – u. wenns nit haben. – Du hast lange auf Brief warten müssen. es schadet dir aber nicht. Kannst Du bald kommt so wirds schlimm. Der Hunderl ist auch fort u. nicht wieder kommen u. mal sehen, wie’s thut! Ich habe mich doch auch heute erst gefreut über den dicken Brief, Uzzi ist ganz allein. war aber sehr enttäuscht – als ich Gedrucktes hervorzog. Du … In den Signalen stand Ich war viel bei Menschen u. im Wald – es ist aber doch noch nicht Frühling, wenn neulich aus London. ’J. der Einzige ist wieder da’. Ist das nicht grob? Was sollst du den ichs auch durchaus will! Und die Leute wissen alle, daß mein Hunderl fort ist, weil ich es Leuten der Einzige sein? Das bist du mir und sonst hat gar niemand das Recht dich so habe ausrufen lassen. Denke, für 10 Groschen singt ein Kerl in jedem Hause der Stadt das zu nennen. Sag das den verdammten Engländern. Ich mochte die Kerle nie leiden – nun traurig schöne Lied daß ein gelber Affenpinscher seiner Herrin treulos wurde, auf den Na- aber sind sie mir auch zuwider. – men Molly oder Nancy hört und der redliche Finder selben Hauptstr. 4 abgeben muß. Vor Grüß deine Freunde aber doch, auch wenns Engländer sind. Was einen verrückten Ankauf wird gewarnt! Frage Stockh[ausen] ob er je für so billiges Honorar gesungen hat. – Brief von Schlesinger schickst du mir! das ist ja der höhere[?] Journaliste! – Sei so gut u. Muzzi, Sevel, Miezel, Hansel, Thier, großes u. kleines, Mauzel, Viecherl, Afferl u. so fa. beantworte meine Fragen, sonst glaube ich, du hast eben so wenig Zeit meine Briefe zu Leb wol! Spiel morgen recht schön. Wär ich dabei! lesen wie mir zu schreiben. Deine Uzzi Adieu, Uzzi • • Amalie Joachim an Joseph Joachim Amalie Joachim an Joseph Joachim Hannover, Anfang Juni 1864 o.O. [Hannover], 7.6.1864 Freitag Abend 11 Uhr Donnerstag d. 5ten

Liebes gutes Joerl Lieb’s Joerl. Heute kam wieder Briefel – u. ich mußte herzlich darüber lachen. Na wart’ […] Ich hatte heute wieder einen bösen Tag; war so verstimmt u. mißmuthig daß ich mir ich werd dich öfter warten lassen! Das trägt doch ein. Ich verschwende 5 Groschen nach- gar nicht zu helfen wußte; habe dir auch einen sehr unlieben Brief geschrieben – ihn aber einander – u. schreibe mir die Finger krumm – u. habe keinen Lohn; nun bin ich mal doch nicht weg geschickt. Nun ist’s ein wenig heller in mir – und meine Feder plaudert nachlässig u. es bringt gute Früchte! Gut, Sonnl soll ich das überall einführen u. dich ein nicht Dinge aus – die mein dummer Kopf ihr vorsagt. – denke Joerl – noch über 4 Wochen wenig kurz halten? - muß ich allein hier sein! Du hast doch keine Ahnung davon, wie traurig dies ist. – In der einen schlaflosen Nacht scheinst Du meine Briefe durchgelesen zu haben – viel- Unsere Wohnung ist gar nicht mehr so lieb wie früher. Es geht gar nichts gut – u. sieht leicht zum 1ten Mal! und da fällt dir eine unbeantwortete Frage auf. Nein, wie du lieb recht dumm u. unschön aus. Du wirst vielleicht wieder ein bißchen Harmonie in das bist! Guck nach, Sonnl – ob nicht noch mehrere zu finden sind. Ganze bringen. Von den Eltern erhielt ich gestern Brief. Die alten Klagen u. Vorwürfe! Ich werde ihnen einmal einen Brief schreiben, so wie sie gewöhnlich von mir kommen – nicht für sie ein- Sonnabend. gerichtet – ob sie dann noch Lust zu mehr haben? – Wir wollen heute in den Wald fahren. So weit kam ich gestern, war aber zu müde um den Brief zu vollenden. Heut kam deiner es ist ziemlich hübsch und ich sehne mich nach Grün. (Um Gotteswillen, mißverstehe an, u. ich bin recht froh darüber. Heute wird endlich die letzte Hand an unsere Wohnung mich nicht!) Drei Wochen war ich nicht draußen u. das Herz ist mir schon eng! Übrigens gelegt u. dann ist wieder Ordnung. wird dir unsere Wiese auch gefallen, wenn du sie wieder siehst. ich glaube sie gibt deinen berühmten englischen nicht viel nach. – Ich habe jetzt wenig Zeitung gelesen – u. weiß Bis jetzt, mein Herzl, räuspere ich noch, werde aber morgen versuchen, ob ich singen nicht wie es in der Welt aussieht – mir scheint aber doch daß die Engländer der Teufel kann – keinesfalls wird meine Stimme bis „in die Tiefe der Seele“ dringen. Sie wird sein holen soll – samt ihrer kleinen hübschen Prinzeß Wales so voll Wolken u. Schleim, wie der Hannoversche Himmel. – denke mal, die Blattern ha- [Auf Seite drei unten ist ein kleiner viereckiger, rosafarbener Zettel mit einem aufge- ben sich hier gezeigt; da habe ich Angst bekommen u. mich gestern impfen lassen; und es nähten weißen Haar befestigt. Aufschrift:] dieses Haar ist von Ursis Kopf. Wenn du nicht geht an. Heute habe ich schon kleine Knöpfe auf dem Arm. Constanze ebenfalls. Bin ich bald kommst werden alle so weiß. nicht klug? Edel ist sehr besorgt um uns – u. wirklich recht lieb. Ich bin froh ihn hier zu 68 69 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Willst du, daß ich dir einen Brief von Prinzeß Luise für sie schicke? ich thue’s mit Ver­ gnügen u. wünsche daß es dir auch bekomme. Eigentlich ist’s doch ein Sündel daß du dort bist. Ein Deutscher Jo welcher sein Reisegeld mit welchem er zu seiner Frau nach­ reisen sollte – für Schlaf Halst [?] wegschenkt – geht nun nach Engl. und spielt den Kerlen u. Lords Beethoven u. Bach vor. Pfui Gukuk – ich möcht’ nicht du sein! – Wieso spielst du in einer Matinee bei Lord Dudley? Bist du deinen ehemaligen Ansichten untreu gewor- den – oder der geladene Gast? Sollte dir Heinrich fürsorglicher Weise vorsagen, daß ein Gatte u. zukünftiger Vater Pflichten hat, sich so viel Geld zu verdienen als nur möglich? Bitte, lieb’s Joerl das darf nicht sein! Ich wollte lieber nicht so bequem leben, wie jetzt – nur thue du nichts anderes als sich im strengsten – strengsten Sinn mit unseren An- sichten vom Künstlerehre verträgt! doch, Dir sollte ich dies nicht sagen, du wirst nichts thun was mir wehe thut u. meinen Joerl ein bißchen nur von seiner Höhe bringt! Gelt?

1 Stunde später Lieb’s Vicherl, mein linkes Ärmchen ist schon ganz roth u. geschwollen – die 9 Knöpfe werden schon so groß u. beißen ganz stark. Ich muß natürlich kratzen darf aber am Arm nicht, thu’s aber im Gesicht. Gut daß du nicht hier bist sonst würdest du immer zanken. Die Uzzel ist stark krank, sie hat großes Wehweh u. das wird noch schlimmer werden. […] Amalie Joachim

Dienstag 12 Uhr Amalie Joachim an Joseph Joachim Eben kommen so hübsche kleine Kleidchen u. Hemdchen. Alles sieht so lieb aus. Freust Hannover, ca. 22.6.1864 du dich denn gar nicht, Joerl? Was ich noch Schönes bestellt habe – weißt du noch gar Freitag nicht. denke: eine schöne Wiege. das Ganze ist von Eisen – schön bronziert. Ein schöner Guß mit Verzierungen u. sehr hübsch gearbeitet – wenigstens besagt dies die Zeichnung u. Liebes gutes Muzikanterl drin hängt von Drahtgeflecht ein schöner Korb. Es geht nicht zum wiegen das lasse ich Ich bin schon so ungeduldig und langweile mich furchtbar. Du Esel, komm doch mal u. fest machen. Es wird sehr schön aussehn, gelt? mit rother Seide wirds gefüttert u. kleine sei ein bißchen lieb mit mir. – In den Signalen stand heute daß du in 8ten philharm. Kissen u. Decken kommen hinein u. eine kleine Prinzessin die schläft dadrin – u. weint Concert dein Concert spielen wirst. Du schreibst mir auch gar nicht, was du spielst, nie – sie wird immer lustig sein – u. dich anlachen u. dann wieder kleine ganz fette Ärm- wann u. wo. chen dir entgegenstrecken. Gelt? – Denke, eine hübsche weiße Decke wurde mir anonym Das ist nicht lieb! geschickt. Ich möchte mal wissen von wem? Und viele ganz weiße Kleidchen sind da. • Gelt, die Prinzessin muß – bis sie heirathet weiße Kleidchen tragen? u. rothe u. blaue Bänder im Zopf, das gefällt mir so gut u. schön muß sie sein, ganz fein u. blond wie ein Amalie Joachim an Joseph Joachim Elf u. lange Haare bekommt sie auch. Und schöne feine Finger die spielen am Klavier Hannover, 23.6.1864 ­herum u. sie spielt so schön auch ohne daß sie übt. Scalen werden nur gespielt und sin- den 23ten Juni 1864 gen muß sie wunderschön – Schubert – so fein u. schön wie ichs mir denken kann. Bist du zufrieden? Und die Wiege ist so stark daß alle die 4 Kinder, welche mir der Kuckuck Lieb’s Joerl! versprochen hat, darin liegen u. strampeln können. das zweite ist ein dicker Prinz Groß Ich werde nun etwas faul mit dem Schreiben, aber, mein Thierchen, es ist auch auf die u. stark. Na, das hat noch Zeit, bis ich mir bestelle wie der aussehen muß. – […] Länge zu langweilig u. bleibst du noch fort – so schreibe ich am Ende gar nicht mehr. – 70 71 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Was du mir betreff meines Religionswechsel’s schreibst – ist recht lieb u. hübsch; ich freue Amalie Joachim an Joseph Joachim mich auch mit dir darüber zu sprechen. doch kann ich deine Ansicht – es leichter zu o.O.u.D. [Hannover, 30.6.1864] ­nehmen – mich jetzt nicht zu quälen usw. nicht theilen. Wäre mein Leben jetzt abge- Mein liebes Muzifankerl! schlossen – so würde ich aber gar nichts thun – ich habe bis jetzt für mich genug gehabt Ich bin heute morgen ganz erschrocken über dein Brieferl! Was Unklares u. Dummes hab – habe in den schwersten Augenblicken immer Gottvertrauen besessen u. Ruhe u. Trost ich denn geschrieben, das dir Sorge machen konnte? Mein Liebchen, ich bin so klar u. ru- gefunden; nun aber treten in mein Leben neue Hoffnungen, neue Pflichten. Werde ich hig u. quäle mich auch gar nicht – weder mit „confessionellen Scrupeln“ noch mit „phi- mit dem auskommen was ich in mir habe – um einem anderen Wesen so viel geben zu losophischen Büchern“ – Mein gescheites Eselchen, die philosophischen Bücher der Un- können, was dieses für sein Leben braucht? Werde ich erst auf kindliche – dann auf erns- ruh bestehen aus der Bibel u. etwas Kirchengeschichte was mich beides sehr interessiert tere Fragen genügende Antwort geben können? Schau, lieb’s Joerl, ich habe mein Leben mich aber weder körperlich noch geistig angreift. In mir und in meinem Häuschen ist immer noch zu leicht genommen – laß mich jetzt durch alles gehen – was sich nur biet- aber kein Nebel! Ich bin ganz klar – u. freue mich meines Lebens u. bin recht faul! Bist du het was ich für mich nothwendig halte – um dann frei zu sein – um mit Klarheit in allen heute in 6 Tagen hier – so schreie ich Hurrah! i. freue mich gränzenlos – u. dann wirst du Lagen handeln zu können – um dem lieben kleinen Thierchen, dessen Herzchen täglich sehen, daß ich nicht um ein bißchen gescheiter geworden u. wenn möglich noch ver- lebhafter schlägt so recht Mutter sein zu können – wie ich es wohl möchte. – rückter. Gott weiß, was ich dummes geschrieben habe, was dich so bewegen konnte. Ich glaube und hoffe aber, daß dich die Abwesenheit von deiner Uzzi ein wenig dumm Frl. Unruh ist ja in vielem langweilig u. geht oft recht weit ab, aber sie hat so viel Liebes u. macht u. du zwischen den Zeilen meiner Briefe noch recht viel gelesen hast, was nicht da Gutes in sich u. hat sich jetzt so warm meiner angenommen – daß es Unrecht von mir stand. Eserl, denke nur immer daran, daß ich 25 Jahre alt bin – u. mich nun, wo ich so wäre auch nur einen kleinen Scherz über sie machen zu lassen – u. ihr nicht von ganzem glücklich bin – wo nun Alles um mich Sonnenschein ist – mir kein dummes Zeug vorma- Herzen dankbar zu sein. Sie hat in keiner Weise sich an mich gedrängt, u. ich habe sie chen werde – u. jetzt, wo ich innere Ruhe so sehr brauche nicht anfangen werde. Also ­gebeten in dieser Sache eine Rathgeberin zu sein. Sie fürchtet nur, Du wirst es als Eingriff dummes, gescheites Esel, sei lieb, gut und brav komm bald u. glaube daß die Uzzel viel in Deine Rechte betrachten u. meint du wirst selbst mit mir alles lesen u. besprechen zu einfach ist, um sich mit unnöthigen Dingen zu quälen, daß sie ihren Gott fest im ­wollen. Ich habe sie ganz beruhigt. Du wirst nicht Zeit haben mit mir etwas zu treiben Herzerl hält. u. dich lieb hat! du kleiner Dummkopf! was längst hinter dir liegt – u. dir vielleicht nur Verstimmung bringt. – Mertens kann ich deine Grüße nicht ausrichten – den sehe ich ja gar nicht. Glaubst du denn ich könnte ohne dich mit irgend einem fremden Menschen über so heilige Sa- Von Scholzens erhielt ich heute Brief. Sie werden dir nächstens schreiben; thue mir die chen sprechen? Ich werde doch nicht gleich nachdem du kaum beim Häuschen draußen Liebe u. antworte ihnen herzlich. Vielleicht läßt sich doch endlich über die Verstimmung bist – einen anderen Menschen hereinrufen – um mit ihm „philosophische Bücher“ zu wegkommen u. im nächsten Winter wird es dir gewiß oft lieb sein wen du Jemanden studiren? Pfui tausend, Joerl, was bist du doch so dumm – du gescheites Eserl! Ich merke hast – mit dem du musicieren kannst. Er ist endlich doch eine liebe prächtige Natur u. aber, daß du in großen Zweifeln befangen bist u. über etwas, was nicht weniger heilig ist. schließlich der einzige Musicant hier. Sie schrieb lieb u. warm u. spricht so lieb von ihren „Dein Concert ist ein unklares Mittelding zwischen Sinfonie u. Concert“. Dies kommt dir Kindern u. meinem zukünftigen Glück, daß mir’s ganz warm wurde. – Beiliegenden Brief wol nur jetzt so vor in dem Musik fernen London. Wärest Du nur nicht hingegangen – machte ich ganz gedankenlos auf, entschuldige! – wenigstens nicht ohne mich! Ich fürchte, du bist recht müde, wenn du wieder kommst – und wirst recht lange brauchen ehe du in Stimmung kommst – wieder so ein „Mittelding“ Grüße Heinrich u. Ellen. Miß Horsley zu schreiben kam ich noch nicht zu. Es wird aber fertig zu machen. Dein Concert ist schön u. gefällt mir, wird noch Vielen Freude machen – dieser Tage gewiß geschehen. wenn auch die dummen Engländer es nicht gleich verstehen können. – Tausend Grüße von Deiner U. […]. Eben war Hr. Landau hier. Fr. Wittgenstein schrieb mir auch u. sie wollte in 3 Wochen hier durchkommen – um mein Kindchen aus der Taufe zu heben. Ich antwortete sehr • lieb u. dankte für jetzt – bäte aber für später. Bin ich klug? Adieu, mein Thierchen. Sei lieb u. hab mich lieb. Dein Uzzel. 72 73 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Weise; die preußischen Offiziere wolen es aber nicht gelten lassen und besuchen deshalb Das erste Kind: Johannes, keine Gesellschaft oder Concert, wo er erscheint. Er soll sich immer sehr taktvoll beneh- men. Mir wars sehr interessant ihn zu sehen. – Sonnabend ging der Zug zu früh fort – wir geboren 12. September 1864 blieben also bis 5 Uhr. Es war recht hübsch da – da die Leute über unsere Musik wahr- haft selig waren u. dankbar. Den Sonntag wollte ich bei Fr. Stockhausen zubringen, be- Amalie Joachim an Julie von Asten kam aber den Morgen die Post daß sie mich nicht erwarten könne da sie – einen Jungen Hannover, 23.9.1864 bekommen hätte. Stockhausen war an dem Tag, wo sie ihr Kind erwartete in Schwerin Hann. d. 23ten Sept. 1864 und sang ein Concert. Sie war froh, daß er nicht zu Hause war. Wen bewunderst du mehr? Ich wäre gestorben, wenn ich dich in dem Augenblick, wo unser drittes Ich zur Liebe gute Schmulie! Welt kam nicht hätte sehen können! Ich blieb Sonntag, Heute Montag früh mußten wir Mein lieber Jo hat nun doch vergessen im Drange der Geschäfte und Briefschaften Dir mit dem Dampfschiff nach Harburg – u. hier sind wir! Hier fand ich deinen Brief, und die Anzeige von dem wichtigen Ereignisse zu machen. Ich thue es nun selbst, obwohl das Bubi so lieb als möglich und hübsch und mit einem zweiten Zähnchen! Das war noch mit zitternden Händen. recht schnell und wieder ganz gut. Das erste Zähnchen guckt oben ein wenig heraus und Am 12ten Sept. um 4 ½ Uhr Abends kam ein großer kräftiger Junge an. Der Schelm ist so klein und weiß. Du wirst dich freuen, wenn du das Bubi siehst! Es wird täglich hüb- hat mich 17 Stunden recht gemartert, nun aber geht Alles gut, u. ich bin seit 4 Tagen scher und ist schon sehr groß. Ich habe mich heute gewundert wie es wächst. – ­wieder auf. Grüße Alle herzlich u. schreibe bald. Adieu – behalt mich lieb unds Mivi Ich kann heute noch nicht mehr erzählen. Wir sind aber sehr glücklich u. der kleine Dein Ursi Junge ist sehr hübsch. Von Herzen Deine Ursi • Amalie Joachim an Joseph Joachim Hannover, 20.3.1865 Montag d. 20ten

Joseph lieber Joseph mein! Vor einer Stunde kam ich von Hamburg – jetzt erst! wirst du denken – und habe so viel zu erzählen daß ich gar nicht weiß wo anfangen. In Hamburg war es sehr schön; Saul [Händel] ging Abends viel besser und mir u. Allen war es leid, daß Du nicht da warst. Ich war so gut bei Stimme wie seit Monaten nicht, und habe mit großer Lust u. Freude gesungen. Die Hamburger sagen ich hätte noch nie so schön gesungen. Freitag früh ­fuhren wir nach Kiel. Leider war schlechtes Wetter – furchtbarer Ostwind so daß ich ans große Wasserl [?] nicht fahren konnte. Ganz Kiel war in Aufregung über das Concert. Fr. Michaelis nahm uns sehr lieb auf. – Der Herzog kam ins Concert, was uns natürlich sehr aufregte. Er sieht gar angenehm u. hübsch aus: eine große kräftige Gestalt, kluges, hübsches u. etwas melancholisches Gesicht. Ich sang Blondchens Lied mußte unwill­ kürlich bei den Worten „hoffe u. vertraue“ auf ihn sehen. Die Leute meinten, er sei sehr ergriffen gewesen u. hätte Thränen in den Augen gehabt. Wie schändlich wird doch der Mann behandelt! Die Kieler betrachten ihn als ihren Herren u. zeigen es ihm auf alle 74 75 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

auf die Barthschen Briefe gleich antworten, daß du augenblicklich fort bist. […] Er auf Reisen mit Brahms Bagge will auch kommen Deine Uzzi • Joseph Joachim an Amalie Joachim Lichtenthal, 18.10.1866 Joseph Joachim an Amalie Joachim Lichtenthal den 18ten Zürich, 23.10.1866 Zürich am 23ten Oktbr Liebes Kind Ich bin gestern Nachmittag zwischen 3 u. 4 hier angekommen, und hatte in Frankfurt Liebes Frauerl nur 20 Minuten, in Heidelberg 10 Aufenthalt, weil der Zug sich um 20 Min. für Frankfurt Hier siehts gar traurig aus, lauter Nebel und Regen! Aber gutes Orchester (auch in Basel) verspätet hatte. Dafür habe ich nun bloß noch knappe 4 Stunden nach Basel! Unterwegs und Suser (Sauser) d. h. Most! Ich wollt ich könnt dir einen Schoppen schicken; schmeckt schlief ich famos, u. da ich deine Stiefel anzog, ohne trotz Nachtkälte zu frieren; bin auch gut, Mama. Das Konzert in Basel fiel sehr gut aus, wir werden dort wohl nächste Woche ganz frisch. Brahms war mir bis Station Oos entgegen gegangen. Abends ½ 7 hörten wir eine Soirée geben, und hier heute über 8 Tagen eine. Der Theater-Director wollte mich schon alle zusammen, die Entführung an, die scheußlich gesungen aber vom Orchester engagiren, aber das nahm ich natürlich nicht an. Übrigens kommen eine Masse kleiner gut gespielt wurde. Was habt Ihr wohl während all der Zeit gemacht? Die beiden kl. Städte mit Garantien 400-500 Frcs. Morgen spielen wir in Schaffhausen, Donnerstag ­Mivis gefüttert und gewaschen, großes Mivi, und an den Joerl gedacht? Wie er an Euch über 8 Tage in Aardlau, Winterthur, Zopfingen etc wollen sie uns auch. u. an Dich zu Allermeist? Na ja, so wird’s wohl gewesen sein. Das Fortreisen ist mir den Abend furchtbar schwer angekommen; es war aber doch richtig, daß ich nicht wieder [quer über die Seite] Mit Brahms geht’s, aufschob. Man muß zu Zeiten hart gegen sich sein können. Hier habe ich wohl wirklich sonst wäre das Herumspielen mit Saiten- Freude gemacht, und ich soll dich tausendmal von allen grüßen. Frau Schumann wird plagen scheußlich. Spaßeshalber schicke nächstens (in 8 bis 14 Tagen) ihre Eugenie in der Pension zu Wolfenbüttel besuchen, ich Dir etwas Basler republikanische auch möchte sie gerne zur Peri nach Hamburg. Das wird dich gewiß freuen. Wie es mit Réklame von einem der anständigsten den Schweizer Konzerten aussieht wissen wir nicht; wir werden wol an manchen Orten Männer dort, Herrn Dr. Bernouilli, ein welche geben, u. muß das doch schließlich was bringen, obwohl Rieter jetzt nicht sehr Mitglied der Concert-­Direction. Das dazu rieth. Ich erwarte in Basel am 20ten ein Brieferl, und bin schon ganz vergnügt scheint Styl: Brahms wurde neulich der ­darüber. Küsse die Buben und grüße die Black und sei von Herzen umarmt von deinem Mozart unserer Zeit in einem Artikel­ einzigen Freunde. ­genannt. Wie mag’s erst Ulmann hier ­treiben!! In Zürich schlagen wir unser • Hauptquartier auf, bis auf Weiteres Amalie Joachim an Joseph Joachim ­adressiere nur immer an Rieter. Was Hannover, 19.10.1866 ­machen die Mäuse? Und unsere beiden den 19ten Mäuschen? Küsse sie ab vom Papa, der dir bald wieder schreibt, thu du es auch. Liebster Joerl! Adieu, Liebes, Dein Jo. Ich habe recht viele Mühe mit Hermann welcher entwöhnt wird. Die zwei Tage, die • ­Maria fort war gingen ganz gut – aber als er sie gestern Nachmittag wieder sah, wollte er durchaus trinken. Ich habe ihn des Nachts bei mir u. heute Nacht kam er alle zwei Stunden. Es ist wirklich rührend wie kläglich er schreit – und nur mit großer Mühe ist er zu beruhigen. Ich hoffe in einigen Tagen sind wir aber in Ordnung mit ihm. Ich werde Johannes Brahms und Joseph Joachim 1867. 76 77 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Joseph Joachim an Amalie Joachim Joseph Joachim an Amalie Joachim Zürich, 29.10.1866 Zürich, 31.10.1866 Zürich, den 29ten Oktbr Mein liebes, gutes Uzzerl Beifolgend das Programm von gestern Abend, das dir gewiß auch Freude macht. Jetzt Liebes Kind fängt das Concertiren an mir Spaß zu machen, Brahms kömmt immer mehr in Zug mit Wenn man so ein concertgebendes Leben führt, 4-5 Mal in der Woche zu spielen hat, Spielen. so kommt man zu gar nichts. Dein Brieferl hab ich vorgestern in Bern vor dem Concert • erhalten, nun wollte ich dir hier gestern Nachmittag antworten, es war aber für unser Concert morgen hier und für die anderen Städte so mancherlei zu besorgen, daß ich Joseph Joachim an Amalie Joachim aber nicht dazu kam. Meinen Vorschlag und Wunsch, wie es scheint, das Holländ’sche Basel, 6.11.1866 Engagement anzunehmen, habe ich reiflich erwogen – mein Schluß ist aber, daß es wirk- Lieb’s Mameli! lich nicht geht. Du darfst mir im Winter in der kalt feuchten holländischen Luft nicht Ich bin eben in der Fähre über den Rhein gefahren und auf den Bergen ein wenig ge­ vier Abende hinter einander singen und die Eisenbahnfahrten obendrein machen. Das klettert […] Es hat etwas Rührendes wie er [Bülow] sich Liszt und Wagner aufopfert; vor allen Dingen. Nun aber auch möchte ich, da ich Pasdeloup einmal zugesagt habe, schade daß seine guten Eigenschaften keinen anderen Begeisterungs-Kanal gefunden. nicht ohne weiteres um ein paar Hundert Thaler vor der Zeit abhandeln. Wir fahren fort uns zu meiden. [Unten am Rande eingefügt: Ich hätte doch als eine Gefälligkeit es zu erbitten] • Man muß in Geschäftssachen streng gewissenhaft sein. Ferner ist, da ich schon einmal Joseph Joachim an Amalie Joachim in Paris bin, 4 Wochen reichlich wenig Aufenthalt – mit noch geringerer Zeit hätte ich Mühlhausen, 11.11.1866 weder nutzen noch Genuß. Tröste dich also mein Utzerl; wir verlieren nicht einmal soviel, Liebes Frauerl denn wenn ich wirklich in Paris eine Woche abknapste so müßte ich statt 400 mit Wie geht’s dir? Ich verlange so sehr nach deinen Zügen; nun Avenue Montagne, 29. 3000 frcs. fürlieb nehmen; außerdem aber rechne ich darauf auf dem Rückweg in Brüssel Eben will ich dahin abfahren; Bülow sitzt im Café des Hotels bei mir – er war mit seinem (1000 frcs.) zu spielen, und wer weiß was der Zufall sonst noch bringt. So lasse uns denn Schüler hierher nachgefahren, und als wir uns in einem schmalen Gang begegneten, und den ursprünglichen Plan festhalten und telegraphiere Gerlings ab; ohnehin ist’s schofel, erst aneinander vorbeigegangen waren (wie in Basel) drehte er plötzlich um, und fiel daß die Leute uns zusammen gar so viel weniger biethen; etwas ließe man sich gefallen. mir um den Hals. Das klingt komisch – aber die Wärme von dem kleinen, polemischen Mein liebes gutes Mivi, ich finde eine so anstrengende Reise, wie wir sie im Januar vor­ politischen, Gott weiß was alles, Kerl that mir doch wohl. Wenn man Jugendzeit frisch haben, ist diesen Winter nach der langen, langen Krankheit ganz genug. Wie geht’s denn miteinander verlebt, bleibt doch immer was davon im Herzen sitzen, und das ist gut. die mit deinem Rheumatismus? Hast du schon Doppelfenster in der Schlafstube? Das Concert war hier sehr voll; die Aufnahme enthusiastisch. Aber nun von Hamburg! ­Äscherst [?] du dich mit dem Hermäni auch Nachts nicht gar zu sehr ab? Hebst du den Erzähle recht bald. Brahms und Bülow grüßen. Ich werde erst morgen früh zu Onkel schweren Burschen, unsern Ältesten, auch nicht unnöthig? Bernhard, komme zu spät an, und habe mich nicht gemeldet. Leb’ wohl, tausendfachliebes Herzl. Küße die Buben vom Papa. Liebes, Gutes, schreibe mir darüber vor deiner Hamburger Reise. Du bist gewiß mit Bagge d. Jo die Peri durchgegangen. Wie ist’s mit dem guten Mann geworden? Mein Brief wird wohl zu spät gekommen sein, um eine Aenderung zu treffen – und nun sitzt der eifersüchtige Jo im Nebel und kann nicht über die Berge kucken! Kuckuck!!! Ach, wär ich doch ein ­Vogel, oder ein elektrischer Funke noch lieber. Mivi, trotz Brahms, ich säße wahrhaftig lieber bei Euch. […]

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Der Ton der Briefe des Ehepaares Joachim verändert sich im Laufe der Jahre. Joseph Joachim schreibt auf Tourneen, zumeist auf seinen Konzertreisen nach England, Ama- lie Joachim von zu Hause aus. Damit sind die Themen vorgegeben. Sie berichtet von Kindern und Bekannten, von ihren privaten oder öffentlichen Auftritten, von Opern- und Theaterbesuchen. Er erzählt von seinen Konzerten, von anderen Künstlern oder Bekannten. Zu Beginn der Berliner Zeit ist sie 30, er 38 Jahre alt. Er ist häufig unter- wegs und mit dem Aufbau der Hochschule beschäftigt. Sie nutzt die wenigen Möglich- keiten, um auf Konzertreisen zu gehen. Im Sommer fährt sie mit den Kinder nach Salzburg, wo das Ehepaar seit 1876 ein eigenes Haus besitzt. Amalie Joachim ist gern unterwegs und langweilt sich, wenn Krankheit oder Schwangerschaften sie ans Haus binden. In den Berliner Jahren bringt sie weitere drei Kinder zur Welt.

Auf Reisen findet auch sie nur selten Zeit, um in Ruhe zu schreiben. Rasch niederge- schriebene Zeilen informieren über das Wichtigste, über Erfolg oder Mißfolge, über die Höhe der Einnahmen, über Begegnungen oder erstmalig gehörte Stücke. Persön- liches gerinnt zur Formel. Was für ihn selbstverständlicher Teil seiner künstlerischen Arbeit ist, bleibt für sie Ausnahme, gebunden an seine Einwilligung.

Während der Trennungszeit unterschreibt Amalie Joachim ihre Briefe anfangs noch mit „Ursi“. Später zeichnete sie nur noch mit Amalie Joachim oder ihren Initialen A. J., so als wolle sie auf ihrer Ehe, bzw. auf ihrer Zugehörigkeit zu ihrem geschiedenen Mann beharren. Die Versöhnungsangebote, in denen sie ihn mit „Jo“ anspricht, unter- schreibt sie mit „Ursi Joachim“: sie verbindet also den offziellen Namen mit dem ver- trauten Kosenamen der Vergangenheit. Von Joseph Joachim sind ab 1880 keine Briefe an Amalie Joachim erhalten. Ebenso fehlt ihre Korrespondenz aus den letzten acht- zehn Lebensjahren.

Amalie und Joseph Joachim, 1868 80 81 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

wurde nach jeder Nummer zweimal gerufen – u. jedesmal empfangen – mir wird von Sie unterwegs – Er zu Hause ­allen Leuten gratuliert – ich aber habe nicht das Gefühl so recht gefallen zu haben. Ich bin den Leuten hier zu ernst – Amalie Joachim an Joseph Joachim Ich glaube, wir werden, wenn die Schumann nicht neue Pläne schmiedet hier nur 3 Wien, 16.11.1872 Conzerte geben können, da der Saal nicht zu haben ist. Dann käme ich noch vor Deinem Conzerte am 16ten nach Hause, das wäre himmlisch, nicht wahr? Ich wäre so froh!!! – Ich habe sehr viel zu sagen, aber es fällt mir nix ein, außer daß Frau Sch.[umann] mich Ich habe Brahms versprochen im Saul [Händel] zu singen am 1ten März. Ich ginge also zwingen will die Hälfte von den Einnahmen zu nehmen. Was soll ich thun? […] Anfang Januar mit Dir – aber nur nach Holland; blieb dann zu Hause – käme hierher u. Grüße meine Lieben alle; Deine Uzzi sänge dann in Barmen die Penelope. Was meinst Du dazu? da wäre ich 6 Wochen ruhig zu Hause. – Hier möchte ich gerne im Oratorium singen am 1ten März – du kannst gerne • für mich in Amsterdam annehmen – dort kann man jeden Tag singen. – Grüße meine Joseph Joachim an Amalie Joachim lieben Kinderl recht tausendmal. […] Grüß Gott dich lieber Vater! Ich habe dich auch o.O.u.D. [Berlin], 19.[11.1872] sehr lieb u. bin ein gutes Weibi. Deine Ursi • Wilhelmj habe ich nun Sonntag gehört und war gegen den ersten Eindruck sehr ent- täuscht. Soviel innere Leere hatte ich nicht erwartet – nicht einmal im Recit.[ativ] des Joseph Joachim an Amalie Joachim A moll Quart. von Beeth:[oven] ein einigermaßen sicheres Erfassen des äußerlichen o.O. [Berlin], 25.11.1872 ­Effekts, geschweige wirkliches Leben. Dabei David’sche schlechte technische Angewohn- heiten, nicht einmal eigene; aber ein pomadiges, sinnliches Schwelgen in der Geige, Meine feste Überzeugung ist übrigens, daß du dich erst allmählig recht in Gunst beim die herrlich klang. Publikum singen wirst. Noch ist’s überall so gewesen, und ich denke, man kann sich Und nun lese die Kritik! Voll war’s nicht (500 Thaler Einnahme brutto bei 1 ½ ­darüber nur freuen. ­Thalern.) Das Abendlied [Schumann] spielte er in D dur, statt des dämmerigen Des, • eine Oktave tiefer auf der G Saite, und wieder, ohne die Begleitung in der Oberstimme zu ändern. Geradezu­ dumm. – Amalie Joachim an Joseph Joachim Man sollte eigentlich nur für sich und ein paar Freunde musiciren. Wien, 26.11.1872 Lieber Jo! • Ich denke, Du hast nun meinen ausführlichen Brief […] ich bin förmlich zerrissen von Amalie Joachim an Joseph Joachim allen möglichen Geschäften. Heute war ich beim Kaiser mit dem Gesuch. Er sprach nur Wien, 22.11.1872 [nach Berlin] sehr wenig und schien übler Laune, was so viel heißt wie nicht bewilligt. Nun, dieser Lieber Jo ­Wille, es kommt Gott sei Dank wenig darauf an. Ist Franz wieder drüben, können sie ihm du hast mir einen rechten Schrecken eingejagt mit der Nachricht, daß die Kinder den ja doch nichts thun. Über unsere weiteren Pläne hier ist noch wenig bestimmt! Ich glau- Keuchhusten haben. Daß du es mir so lange verschwiegest u. gerade zum 1. Konzert hier be, es wäre gut, die Concerte mit dem 3ten zu schließen – ich wäre dafür. Ich weiß noch mitteilst, war nicht sehr vorsichtig – denn – ich kann wohl sagen, mit großer Überwin- nicht was wir neulich eingenommen – es wird aber kaum sehr viel sein – die Conzerte dung habe ich gesungen, u. war recht verstimmt den ganzen Tag! – Gott gebe nur, daß die sind dies Jahr hier schlecht. Epstein sagt mir, daß er sehr oft 40 Billetts zu den Conzerten Krankheit ohne üble Folgen – vornehmlich für Mie ist! – Ich hatte gestern keinen Augen- bekommt. Bülow hat viel darauf gezahlt. Brahms sehe ich gar nicht. Ich bin sehr unbe- blick frei Dir zu schreiben, deshalb frug ich telegraphisch an, um frische Nachrichten zu haglich in Wien u. könnte nicht mehr hier leben! Wärst Du hier, ginge es mir besser – haben. – aber so habe ich ja wenig von den Leuten, zu denen ich gehöre, den Musikern! […] Über das Conzert kann ich nicht viel berichten. Es war voll – aber entsetzlich heiß – Ich sehne mich nach Hause zu den kranken Kinderln u. ginge lieber heute als morgen! ich fühlte mich aber nicht sehr behaglich. Ich war sehr gut bei Stimme, aber sehr nervös – Glaubst Du denn daß wir vor Weihnachten noch ein Concert haben könnten in Wien u. 82 83 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

eins am 3. Januar oder so? Antwort! […] Küsse meine Kinderl, meine lieben süssen tau- für einen Sonntag das Theater und die Sänger anbot, am 15ten wahrscheinlich sein sendmal u. sei geküsst von deiner sehnsüchtigen Ursi wird) wieder hier sein, indem das sehr nützen könne etc. etc. Es wird nun wohl so werden, daß ich das Beethovensche Concert (unter Eckert) beitrage, und ich wollte, Du sängest • auch die Alceste [Gluck] oder so was Schönes. Eigentlich ist es mir lieb, wenn mir die Joseph Joachim an Amalie Joachim ­Sache wenig Zeit nimmt in dieser Weise; denn nun kommen die Proben zu meinem o.O. [Berlin], 29.11.1872 Schulconcert, die Quartette etc. etc. Daß Du zum 2ten Concert so schönen Erfolg gehabt, freut mich sehr; möge es bis zum Saul [Händel] crescendo gehen. Mein Telegramm wurde durch den Wunsch veranlaßt, baldmöglichst einen Tag zu einem • Conzert für die durch die Überfluthungen an der Küste heimgesuchten bestimmen zu können. Vorgestern besuchte mich Herr v. Burt, um mir Moltkes Bitte um unsere Mit­ Amalie Joachim an Joseph Joachim wirkung zu bestellen, und gestern widerfuhr unserm Haus die Ehre, daß der Mann mit Wien, 4.12.1872 dem Adlerblick, und dem Weisenmund persönlich seinen Dank brachte. Das ist doch Liebster. sehr lieb vom alten Herrn, und mir thut’s nur leid, daß weder ich noch Du zu Hause Da wir immer andre Pläne machen, so ist der neueste der, daß ich hoffe, dein Wohl-­ ­waren. Ich hebe mir die eingebogene Karte gut auf. […] Ich hoffe nun auf baldige Ant- tätigkeits Conzert ist nicht am 15ten. dann sänge ich doch hier im Philharmonischen wort von Dir, da Deine Anwesenheit für das Gelingen für unerläßlich gehalten wird. […] die Rhapsodie – was ich – aufrichtig gesagt, gerne thäte, weil das gesungen zu haben in Glaubst Du, daß Frau Schumann darin eine Nummer spielen möchte? Schaden könnte Wien eine große Ehrensache ist – u. ich früher einmal es Dessoff abschlug – vor Jahren! es ihren eigenen Unternehmen nicht; man bittet aber selbst intimste Freunde nur ungern. Ich erwarte also heute dein Telegramm. Morgen gehen wir nach Pesth […] Hernach Sondire einmal! Dann ließe sich ein schönes Programm entwerfen. – Ich habe mich über haben wir nichts vor, wie du aus der Carte sehen kannst. Am 8ten singe ich dann Alceste Dein heutiges Briefchen sehr gefreut, und daß ich recht habe, wenn ich glaube, Du wirst [Gluck], und könnte am 10ten – 11 in Berlin sein. Ich bin neugierig wie es sich entschei- Dich noch in die Gunst der Wiener singen, geht daraus hervor. […] Heute wird hier det – u. freue mich jedenfalls Euch bald zu sehen. Grüße die Kinderl. Deine Uzzi. […]. Brahms’ Requiem in der Kirche von Holländer aufgeführt, leider fürchte ich, mit unge- • nügender Zahl; ich gehe aber hin. Im 1ten Quartett des 2ten Cyclus mache ich D dur v. Beethoven, A moll von Schubert und G dur Sextett von Johannes [Brahms]. Sage es ihm, Joseph Joachim an Amalie Joachim und daß wir heute die erste 3stündige Probe von seinem Stück hatten. Der Zudrang zu o.O.u.D. [Berlin, 6.12.1872] dem 2ten Cyclus ist noch größer als früher. Wer weiß, ob für Dich Platz bleibt. Wenigstens mußt Du vorerst versprechen, für die Überschwemmten zu singen. Die Kinder sind recht Gestern hätte ich Dich gern hier gehabt: Brahms’ Sextett ging wirklich fein und sprach munter […]. Onkel Chrysander hat wieder Trauben geschickt, die schmecken ihnen gar sehr an, was sowohl durch Applaus als durch Einzel-Urtheile zu Tage kam. Ich hatte es gut. nicht einmal erwartet, wenigstens ersteren nicht. […] Über das Concert-Programm vom 15ten ist noch nichts näher bestimmt; Niemann will mit der Stehle das Liebesduett aus • der Walküre singen, wenn’s Wagner erlaubt. Ich hoffe, er thut’s nicht! Am Sonntag soll bei Joseph Joachim an Amalie Joachim Frau v. Schleinitz alles definitiv besprochen werden, und ich muß also richtig auch hin. – o.O. [Berlin], 1.12.1872 Morgen Abend bin ich bei Moltke, keine Gesellschaft, nur wenige [fehlt ein Wort] Freunde. Er ließ sagen, ich möchte [nicht denke], daß es auf Musik abgesehen sei. [Ich wisse] aber, Eben hatte ich eine Freude, um die mich viele, selbst Du und Brahms beneiden mögen, daß er sich natürlich dennoch sehr darüber freuen würde, und ich will ihm also vor­ da es das nicht in Wien giebt! Ich fuhr eine Viertelstunde mit Moltke in einem 2sitzigen spielen, Gelt, das [thätst Du] auch. Nun genug geschwatzt … Wägelchen, da er so liebenswürdig war, mich aus der Concertconferenz bis an unser • Haus zu bringen. Die Ehre wollte ich baarhäuptig genießen, aber er guckte in die Höhe und frug, ob ich denn mit dem Hut anstoße? Der alte Herr war sehr freundlich in seiner ruhig majestätischen Weise, wünschte, Du möchtest zu dem Concert (das nun, da Hülsen 84 85 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Joseph Joachim an Amalie Joachim Amalie Joachim an Joseph Joachim o.O.u.D. [Berlin, 8.12.1872] o.O.u.D. [Wien, 9.12.1872] Wäre ich heute lieber in Wien gewesen! Lieber Jo. Heute in 8 Tagen wird auch das Concert, wo Du und ich im Theater wirken, vorüber Wieder andre Pläne – hoffentlich definitive! Ich komme direkt über Breslau am Donners- sein. Ein ordentliches Programm ist von Eckert mit den Sängern noch nicht zu Stande tag früh. Sollte ich Mittwoch nicht abreisen können – weil ich noch so Manches zu gebracht; das kam heute in der Conferenz bei Fr. v. Schleinitz zum Vorschein; unter thun habe, so telegraphire ich rechtzeitig.- Grüße die Kinderl! Triumpflied enthusiastisch ­andern Dingen das Jessonda-Duett und der „Liebeszauber“ aus der Walküre mit Klavier. aufgenommen – ist prachtvoll. Ich opponirte gegen Beides, gegen letzteres bloß, wenn wir nicht die Orchester-Stimmen D. Uzzi. • zur Begleitung haben können, da man nicht arrangirte Sachen bringen darf, wo ein ­Orchester zur Verfügung steht. Eckert hat geantwortet, daß Niemann gar nicht singen Amalie Joachim an Joseph Joachim wollte, wenn nicht dies Stück, selbst mit Clavier. Ich sagte, daß mir das vorkäme, als Koblenz, 3.6.1874 hängte man einen Kupferstich unter Gemälde in einer Gallerie, und man gab mir Recht; Coblentz, 3ter Juni Moltke meinte, man könne ja dann allenfalls auch ohne Niemann das Concert geben. Es ist allerlei Komisches zu erzählen bei der Concertarrangirerei, wovon denn mündlich. Lieber Jo! Frau v. Schleinitz benahm sich übrigens taktvoll und nett; ich muß ihr dies nachsagen. Simrock hat dir wahrscheinlich schon verrathen, daß ich krank war – u. so will ich denn – Bei Moltke war’s ganz angenehm gestern Abend, cirka 18 Personen, nicht steif, er selbst nicht hinterm Berge halten. Es ist wieder beßer, aber noch nicht ganz gut u. ich habe aber leider von ½ 10 bis 11 abwesend, zu Kaisers befohlen. Wir warteten seine Rückehr ­Citronenfarbige Augen ein Zeichen, daß mein Leiden aus der Galle kommt. Du weißt ab und gingen ½ 12 auseinander. Es wurde viel musicirt, Burt sang recht hübsch, also, warum ich oft so „grantig“ bin. – […] Deine Uzzi rein und mit guter, deutlichster Aussprache Schumann und Händel. […] Eben war • der neue Decernent beim Kultus für Kunst bei mir – Dr. Schöne, Härtels Schwiegersohn. Wir hatten ein langes, Gutes prophezeiendes Gespräch. Amalie Joachim an Joseph Joachim o.O.u.D. [Karlsbad, 11.7.1874] • GELD? Amalie Joachim an Joseph Joachim GELT GELD! o.O.u.D. [Wien, 7.12.1872] HUNGER – DURST, Lieber Jo! REGEN – HITZE. Es geht leider etwas schlecht mit meiner Reise nach Berlin. Fr. Schumann hat nun doch SCHLAF – SPRUDEL. ein Conzert in Dresden arrangirt u. dieses ist leider am 13ten. Ich werde also nach dem Conzerte in der Nacht wahrscheinlich ankommen u. bitte Dich mir gleich zu sagen, wann am Sonnabend die Probe sein wird. Mit der Alceste bin ich einverstanden – nur haben wir hier auch nur die Arie – wie ich sie immer singe – ohne Chor od. Oberpriester, da es nicht geschrieben werden konnte. Magst Du sie so nicht machen lassen, so nimm eine andere Arie – von meinen oft gesungenen – am liebsten aber bleibe ich bei der ­Alceste für’s große Haus. – Ich bin gestern von Pesth gekommen, wo vorgestern Conzert war. Es war übervoll u. wir haben eine hübsche Einnahme. […] Grüß Gott, küße die Kinder. deine Ursi

• 86 87 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Er unterwegs – Sie zu Hause Sie in Königsberg

Amalie Joachim an Joseph Joachim Amalie Joachim an Joseph Joachim o.O.u.D. [Winter 1874/75] o.O.u.D. [Königsberg, 15.11.1875] Lieber Jo! Gestern war Barth bei mir, lieber Jo, u. erzälte mir unter andern Dingen, daß A. v. Werner Es ist zwar noch „vorkonzertlich“ – meine Stimmung also ebenso erwartungsvoll wie Direktor der Akademie wird. Er, Werner habe ihr die Bedingungen mitgetheilt, unter ­unbehaglich – ich schreibe aber doch – da der Brief sonst erst morgen Abend abgeht. ­welchen er das Direktorat annehmen würde. Nun hat er zwar nicht gesagt, was er für ­Leider war ich gestern durch Schlaflosigkeit u. enorme Hitze im Waggon wahrscheinlich, sich beansprucht erzälte aber, daß er für jeden Lehrer also Maler wie Meierheim etc. total heiser; ich hoffe, daß ich heute doch gut bei Stimme bin […]. Wenigstens habe ich 6000 Fl. verlangt habe, da keiner unter der Summe es annehmen könne. Nun beschwört Alles gethan um gut bei Stimme zu sein – bin bei dem rauhen Wetter nicht vor die Thüre dich Barth du mögest doch jetzt ordentliche Forderungen stellen, er ist bereit irgend­ gegangen. – Landau ist hier, geht morgen zurück, wir haben zusammen gegeßen u. welche Wege für dich zu machen, damit die Musikschule der Malerschule gleichgestellt ­wollen zusammen soupiren. Brauchst aber nicht eifersüchtig zu sein! – wird.- Es drängt freilich, da Werner die Eingabe schon gemacht hat, oder gewiß vor Nun hör, Schatz, ich reise Mittwoch früh nach Stettin u. komme von dort etwa um ­Ostern noch abgeben wird. Du wirst natürlich nichts thun – um auch den lieben Schöne 6 Uhr Abends nach Berlin. Aber Stettiner-Bahnhof! zu schonen aber – ich schreibe es dir doch – vielleicht wirken die großen Londoner Nun leb wohl. Danke Sophie für Ihren Brief und give her my best love, also to the ­Verhältniße etwas ermuthigend auf dich – und Heinrich!! Besprich dich doch mit ihm! – ­children. – Grüße auch die gute Frl. Schnatter. – Es ist auch zu traurig wie Ihr fort humpeln müßt – u. dein Ruf nimmt es doch mit dem Deine Ursi. von Herrn Werner u. Consorten auf! - • Morgen singt Stockhausen […] die ganze Winterreise in der Singakademie. – Ich hätte freilich große Lust, sie selbst – u. allein im April noch zu singen – da ich von allen Seiten Amalie Joachim an Joseph Joachim gebeten werde ein Conzert zu geben. Rubinstein hat in 3 Conzerten an 4000 Fl. rein o.O.u.J. [Königsberg], 6.11.[1875] ­eingenommen! Ich möchte auch gern einnehmen – […] Lieber Jo. Nun höre was nettes!- Schulze will mit dem Chor u. Solisten die ich noch aussuchen Das Conzert ging gut von statten. Es war voll, die Leute sehr aufmerksam – soll, den „Häuslichen Krieg“ [Schubert] einstudieren. Janitsch soll einen verbindenden aber sehr kühl – was bei der enormen Kälte im Saal wohl begreiflich war. Die Damen Text machen u. dann wollen wir das Ganze nach Deiner Rückkehr bei uns singen. Du saßen in Pelzmäntel u. ich – Armes – mit nackten Schultern. Während des Singens sollst’s dirigiren. Ich freue mich darauf. Du auch? – Schulze sagt, daß es für den Chor nur ­konnte ich ­meinen Hauch sehen! – Ich war nicht ganz gut bei Stimme, d.h. die Stimme nützlich sein kann, u. ist sehr froh, wenn wir ihn für solche Dinge an uns heran ziehen. klang gut, doch war ich ihrer nicht ganz sicher – doch ist mir gar nichts weder im […] Bleib gesund – bei uns ist’s sehr kalt – jeden morgen über 10 Grad. f.f. noch im p.p. mißlungen Alceste [Gluck] u. Sandmännchen [Brahms] sind genug Adieu Deine Ursi. contraßirend!!

• Sonnabend. Amalie Joachim an Joseph Joachim o.J. Königsberg, 7.11.[1875] Lieber Jo! Das zweite Conzert ist nun auch glücklich vorüber. d.h. das Vorübersein ist das glück- liche dran, denn sonst wars gerade so wie vorgestern: kalt u. das Publikum geradezu ­erstarrt! Ich habe sowas von Kälte noch nie erlebt! Kaum daß sie sich entschließen, die Hände zu rühren. […] Die Jakobson sagt „die sind zu dumm zum klatschen!“ Ich habe 88 89 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ manches nicht schlecht gesungen aber ohne Zweifel singt man beßer, wenn man ein wenn ich ihr nicht gehorche. Glaube mir u. meine nicht, daß also Vorwürfe oder Bitten empfängliches Publikum vor sich hat! – […] Heute Abend gehe ich nach Danzig – mich ändern können. Hotel du Nord. Grüße Alle herzlichst. Daß es dir furchtbar schwer wird, neben mir zu leben, das glaube ich dir. Ich würde dich von meiner Person längst haben, wären nicht die Kinder da, auf welche auch ich, 7ten Nov[ember] soweit ich es vermag Rücksicht nehmen muß – u. welche von dir sowol als von mir ein Deine Lowena Stück ihres Lebensglückes verlangen. – Ich bringe ihnen ein Opfer – indem ich zu bleiben • gedenke u. du mußt es ebenfalls bringen. Jetzt noch bin ich ihnen ebenso, wenn nicht Amalie Joachim an Joseph Joachim mehr, nöthig als du u. deßhalb harre ich aus – u. will ihnen u. dem Hause u. der Welt O.O.u.J.[Danzig], 9.11.[1875] ­gegenüber meine Pflicht redlich erfüllen. Kannst du nicht auch so denken wie ich? Ich Lieber Jo! habe dich im Großen u. Ganzen nie belogen. Ich habe dir längst gesagt, daß ich dir nicht Das Wetter ist heute so schön, wonnig und sonnig, daß wir einen Plan gemacht haben. – mehr angehöre. Ich sage dir nochmals, daß ich, da ich dich über mich selbst längst Deine Genehmigung habe ich hoffentlich – es handelt sich nur um wenige Stunden, die ­aufgeklärt habe, mich einer Lüge nicht schuldig weiß. […] Dies wollte ich dir sagen; ich später nach Hause komme. Wir wollen morgen nach Oliva an die See. Gelt, du hast ­„erbitten“ will ich eigentlich nichts – aber nochmals will ich dich darauf aufmerksam nichts dagegen? Ich komme dann Donnerstag früh am Ostbahnhofe an – Bitte komme machen, auf das Unrecht, welches du Simrock zufügst, wenn du meinst, ich stünde in mir aber ja nicht entgegen, denn es ist früh u. zu weit von unserem Häuschen! Bleibe ­besonderer Beziehung zu ihm. So wenig, als neulich wo ich, um überhaupt einen Schluß ­gewiß zu Bette. Wir frühstücken dann gemüthlich zusammen. Ich habe solche Sehnsucht in unsere Unterredung zu bringen, dir die Möglichkeit eines „Verhältnisses“ zugab – so die See wieder einmal zu sehen, daß du mir den Abstecher verzeihen mußt. wenig bestätige ich dies heute; betone aber ganz besonders, daß dies mit Simr.[ock] am […] Das Conzert ging glücklich vorüber – das Publikum war netter als in Königsb.[erg] allerwenigsten der Fall ist. Du blamirst mich vor ihm u. seiner Frau auf die unerhörteste aber der Saal [wieder?] kalt!! – […] Ganz deine Ursi: Weise u. bringst mich dadurch gewiß zu einem Gewaltstreich. Ich habe nicht Lust mich 9ten Nov.[ember] lächerlich vor der Welt zu machen – u. du sollst daßselbe zu vermeiden suchen – was aber sollen die Leute von uns denken, wenn du Simr.[ock] ohne Beweis zu haben stets auf unser „Verhältniß“ anredest? Was soll er u. Cläre von mir denken? Und was von dir? –

Du hast mich gestern auch gefragt, was geschehen soll indem du dies Zusammenleben Eheliche Auseinandersetzungen nicht ertragen willst. Darauf kann ich dir heute so wenig als gestern eine Antwort geben – wenn ich nicht den Kindern Unrecht thun will. Das einzige, was „vernünftig“ wäre, ist, Amalie Joachim an Joseph Joachim daß du reistest, u. darin deine Pflichterfüllung suchst, daß du den Kindern ein Vermögen o.O.u.D. erwirbst.

Ich finde es für nöthig dir heute noch u. zwar schriftlich, da es für uns Beide beßer ist, Jetzt können sie dich eher entbehren als mich. Kannst du dich aber dazu nicht entschlie- mit möglichster Kühle über unsere Angelegenheit zu verhandeln, manches zu sagen, ßen, dann muß die Liebe zu den Kindern eben siegen u. wir müßen suchen für sie, resp. auch zu erbitten. – Ich gestehe dir von vorne herein zu, daß du in jeder Beziehung neben­einander zu leben. Kannst du dich aber nicht überwinden so neben mir zu sein – im Rechte bist, mir Vorwürfe zu machen – aber gleichzeitig sage ich dir, daß diese so muß i c h das Feld räumen. Ich weiß, daß jedes Gericht dir recht geben wird – weiß ­Vorwürfe gänzlich vergeblich sind u. mich zu einer „Umkehr“ in deinem Sinne nicht aber auch, daß du mir nicht die Kinder so entziehen wirst, daß ich ihnen gar nichts ­bewegen werden. Ich meine, du kennst mich gut genug, um zu wissen, daß ich so leicht mehr sein darf. – Du weißt daß ich die Kinder lieb habe. – Du siehst, ich bin zum Äußer- meinen Weg nicht zurück gehe u. – bin ich ihn so weit gegangen, die Consequenzen sten entschlossen – mache mir also keine Vorwürfe mehr – u. finde dich in das Unab­ dann zu tragen verstehe. Meine Handlungsweise gründet wie stets, so auch hier, in einer änderliche. Die Schuld nehme ich auf mich u. sage dir ja daß du in Allem recht hast – inneren Nothwendigkeit – an der ich vielleicht zu Grunde gehe – gewiß aber verderbe, nur wirf mir nicht Falschheit vor – u. verdächtige nicht schuldlose Menschen. Ursi. 90 91 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Joseph Joachim an Heinrich Joachim Joseph Joachim an Heinrich Joachim o.O.u.D. [Berlin, 7.5.1880] Berlin, 20.11.1880 Lieber Heinrich! Von gerichtlicher Scheidung habe ich einstweilen noch nichts geplant und zwar der Du wirst nun längst meine Zeilen haben: morgen ist es schon 14 Tage, daß du fort bist, ­Kinder wegen. Nur dazu bin ich entschlossen einen Winter wie den vorigen nicht wieder mir kommt es wie gestern vor! So vergingen meine Tage in Hoffnung, Aufregung, Ent­ durchzumachen. Ich kann nicht zugeben daß meine Frau in der Welt herumreist ohne täuschung. Meine Frau will alles thun, nur den Umgang mit dem Simrock’schen Haus mir im geringsten Rechenschaft zu geben. Vielleicht geht sie darauf ein mit den beiden nicht ganz fallen lassen, was zur Folge hat, daß sie z. B. im 4tett vor allen Leuten wieder Mädchen und Paul nach Meran oder Nizza zu gehen, ich würde in dem Fall hierblieben, mit Simr.[ock] gesprochen hat. Sie sagt, es könne so ausgelegt werden, als habe ihr Frau immer noch hoffend, daß sie der Kinder wegen zur Raison kommt und das Unwürdige S.[imrock] das Haus verboten, und auch er wäre dadurch ruiniert, wenn sie ihn oeffent- einer Stellung für mich einsieht, wie sie mir sie zugedacht. Die Gerüchte über die Schule lich absichtlich meide, da darin ein Geständnis liege, daß er sich schlecht gegen sie hier sind ganz grundlos; ich habe nicht gekündigt. ­benommen, was sie ja nicht zugiebt. Laßet mich weiteres von Eurer Reise hören wo Ihr immer weilt Also die alte Leier; dabei ist sie manchmal doch so weich und leidend, daß es mir in My love to dear Elly innerster Seele weh thut ihr den Schritt nicht ersparen zu können, den ich thue. Jo Dabei sind alle meine für S.[imrock] compromittirenden Papiere spurlos aus meinem • Schreibtisch verschwunden! Auch der Brief von dem Rechtsanwalt, den ich dir gezeigt. – Joseph Joachim an Heinrich Joachim Meine Frau schwört, daß sie nichts davon weiß. Du kannst denken, wie mich alles das o.O.u.J. [Berlin], 6.8.[1880] erregt. Ich habe nun den Schritt gethan Simr.[ock] beaufsichtigen zu lassen; was auch Mein lieber Heinrich! der Rechtsanwalt besorgen lassen will. Ich glaube, daß es meiner Frau wohl damit recht wie geht es Euch? Mich verlangt herzlich darüber zu hören. Von mir ist zu viel zu sagen, ist zu mir zurückzukehren, daß sie aber ihren Freund geschützt vor öffentlicher Verach- als daß ich es dir schreiben könnte. Ich war, obwohl meine Ferien erst am 1ten August tung sehen will; aber freilich ich soll das über die Forderung stellen, welche ich meiner ­beginnen, schon 10 Tage früher plötzlich nach Salzburg gereist; mein Gemüths- und Ehre halber stellen muß! ­Körperzustand erlaubten mir nicht die angestrengte Thätigkeit hier fortzusetzen. Ich Aber ich bitte um’s Himmels willen nichts in den Zeitungen durch Freunde verbreiten habe nachträglich Urlaub dazu erbeten. Mir war es auch darum zu thun noch mit den zu lassen, jedes Wort wird ja gleich herumgetragen. Es wird früh genug bekannt, wenn Knaben gleichzeitig einige ruhige Tage im Familienkreis zu verbringen, hoffend es würde wir uns trennen. Manchmal glaube ich noch an ein Wunder, daß es noch verhütet werde! das Familienglück auch auf Amalie Eindruck machen. Möchte es so sein! Ich habe ihr Von französischen Zeitungsgerüchten weiß ich keine Silbe. – […] Dein J. J. ganz positiv gesagt, daß wir so nicht einen anderen Winter weiterleben können. Sie soll • entweder mit den drei jüngsten Kindern in einen Ort wie San Remo oder sonst, wo es ihr gefällt, den Winter verbringen, und so hoffentlich den Weg zu unserem Glück zurück­ Joseph Joachim an Heinrich Joachim finden – oder ein Jahr mit mir reisen, um alles zu vergessen. Mag sie das beides nicht, o.O.u.D. [Berlin, 11.12.1880] so wollen wir uns gerichtlich trennen; d.h. ich werde darauf antragen. Meine Fähigkeit Lieber Heinrich! zu dulden ist erschöpft. Jetzt nachdem ich die Knaben von Salzburg zurück in die Schule was soll ich dir schreiben, als daß leider alles beim alten bleibt: ich muß wirklich die gebracht habe bleibe ich jedenfalls 8 Tage hier, wo es ganz erträglich ist, und wo ich aller- Scheidungsklage einreichen, da Amalie darauf besteht, den Verkehr mit S.[imrocks] auf- lei Arbeit für mich zu thun habe: Arrangement der neuen ungarischen Tänze v. Brahms recht zu erhalten, und alles läugnet. Es sei nicht wahr, daß sie ihn heimlich getroffen; etc. etc. Arbeit ist das Einzige was mir Erleichterung bringt. Vielleicht gehe ich lauter Verläumdungen seien das, und ich habe ihn unverantwortlich gekränkt und be- in einer Woche wieder zu den Meinigen zurück. leidigt. Ein und derselbe Refrain immer. Ich kann nicht sagen, wie ich darunter leide; Laß von dir hören und grüße Elly aber der Mensch muß schließlich weiter leben. Ich bitte nach wie vor Niemand etwas da- herzlich von zu sagen; denn man weiß ja nicht wie die Dinge verlaufen. Das Gericht macht ja im- Dein treuer Bruder Joseph mer vor dem Richter einen Sühneversuch. Ich habe vorgestern mit Erfolg meine Variati- onen und Brahms Concert in Leipzig gespielt. 92 93 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Das Hochschul-Concert zu dem Brahms hier war, ist ausgezeichnet gut verlaufen; Ich will es Ihnen also nur ausdrücklich und deutlich sagen, wie ich es Joachim schon er sehr gefeiert worden, für Berlin viel. Ich schicke das Programm. unzählig oft tat, daß er, meiner Einsicht und Meinung nach, Ihnen und Simrock schwers­- Für deine liebevolle Theilnahme innigst dankbar und Frau und Kinder herzlichst tes Unrecht getan und daß ich auch nur wünschen kann, er möge von seinen falschen ­grüßend und entsetzlichen Einbildungen lassen. Dein Joseph J. Ihre Liebe dagegen möge so groß sein, daß sie alles Vorgefallene vergessen kann, seine • Nachgiebigkeit aber und Simrocks guter Wille möchten so groß sein, daß ein erträgliches Johannes Brahms an Amalie Joachim Verhältnis zwischen den beiden Männern statthaben kann. Denn in diesem innigst zu o.O.u.D. [Dezember 1880] wünschenden Falle müßte doch Joachim einen Irrtum seinerseits zugeben und könnte Liebe Frau Joachim! alsdann nicht verlangen, daß Sie und Simrock dafür büßen. Wenn Sie eine Ahnung hätten, wie sehr ich neulich in Berlin wünschte, mich Ihnen ver- Doch möchte ich sagen: Meine Diskretion in der Sache ist so groß, daß ich z. B. mit traulich und herzlichst auszusprechen und wie sehr es mich seitdem drängte, Ihnen so Frau Schumann, meiner besten Freundin, kein Wort darüber gewechselt habe. […] Emp- zu schreiben, dann würden Sie auch empfinden, wie mir Ihr Brief eine wahre Wohltat ist fänden Sie nur einen kleinen Teil der Herzlichkeit (ich schäme mich nicht der Rührung) und dies Schreiben eine Art Befreiung. Mir ist Ihre Angelegenheit so lange bekannt als sie mit der ich an Sie denke und schreibe, und könnte ich doch von ihm so wünschen und existiert, und lassen Sie mich vor allem sagen: mit keinem Wort, mit keinem Gedanken an ihn so schreiben! Aber es ist schwer, ihm gegenüber nicht bitter zu sein und leider habe ich je ihrem Mann recht gegeben d. h. selbstverständlich recht geben können. Wohl auch nicht zu hoffen, daß er Gutgemeintes nicht gar bitter und gar falsch empfinde. habe ich all die Zeit mit Theilnahme Ihrer gedacht, aber wie ganz erfüllt bin ich jetzt Glauben sie denn, daß Sie an mir einen ernsten, treuen Freund haben. Verfügen Sie ­davon, wie möchte ich so gerne etwas tun seitdem ich bei Ihnen war. über mich, wie und wann Sie glauben, daß ich Ihnen nützen kann. Leider, Sie sehen, ich Doch leider – ich habe keinen Mut und kein Vertrauen mehr, und einstweilen empfin- habe wenig Hoffnung, es zu können. Von ganzem Herzen Ihnen ergeben. J. B. de ich nur die Wohlthat, Ihnen ein herzliches Wort sagen zu können. Ich glaube nicht daß irgend jemand Ihre Sache so klar und richtig einsehen kann wie ich. Das mag Ihnen fraglich erscheinen, trotzdem sie wissen, daß meine Freundschaft älter ist als Ihre Ehe. Immerhin aber mag Ihnen aufgefallen sein, daß ich trotz dreißigjähriger Freund- Rette Dein Bild in meinem Herzen schaft, trotz aller Liebe und Verehrung für Joachim, trotz aller künstlerischen Interessen, die mich fesseln sollten, doch so vorsichtig im Umgang mit ihm bin, so selten länger und Amalie Joachim an Joseph Joachim vertraulich verkehre und gar nicht daran denke, in einer Stadt zu gemeinschaftlicher Aigen, 17.8.1882 ­Tätigkeit mit ihm verbunden leben zu wollen. Jetzt brauche ich wohl kaum noch zu ­sagen, daß ich die unglückliche Charaktereigenschaft, mit der Joachim sich und andere Ewig leid wird mirs sein, daß du in solcher Weise gegen mich vorgegangen bist – das du so unverantwortlich quält, früher als Sie kannte. Freundschaft und Liebe will ich einfach die ideale Gestalt welche ich u. so viele Andre in dir sahen – durch deine ’Freunde’ hast und frei atmen wie die Luft. Ich gehe scheu aus dem Wege, kommt mir die schöne Emp- zerstören lassen! Selbst wenn du im Rechte wärest (- was du aber nun u. nimmer bist! – ) findung kompliziert und verkünstelt entgegen, soll sie gar unterhalten und gesteigert dürftest du mich nicht so der Welt – hinwerfen -! Aber ganz abgesehen davon – u. wie werden durch krankhafte peinliche Aufregung. Unnütze durch Einbildung hervorgeru- auch Alles kommen mag – am allerwehesten thut es mir – daß du selbst dich so zerstört fene Szenen sind mir ein Greuel. Auch in der Freundschaft ist eine halbe Scheidung trau- hast, indem du – gemeinen Menschen – Rechte auf dich einräumtest! – […] rig, sie ist aber doch möglich. Und habe ich bei Joachim durch meine Vorsicht auch nur Lebwol! [sic!] einen kleinen Teil gerettet; ohne sie hätte ich längst nichts mehr. Aigen, Liebe Freundin, nach diesem brauche ich Ihnen nicht noch im Einzelnen recht zu A. J. ­geben. Durch das trostlose Hin- und Hergrübeln Joachims wird das Einfachste so aufge- • bauscht, so weitläufig, daß man nicht weiß anzufangen und fertigzuwerden. Er dreht sich eben dann so eigensinnig in jedem kleinsten Kreis wie leider sonst in jedem großen Kreis von Einbildungen und Irrungen, der ihn um all sein Glück bringen kann. 94 95 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Die Pianistin Laura Rappoldi-Kahrer in ihren Erinnerungen Signale für die musikalische Welt, März 1883. Amalie Joachim lebte damals gerade mit ihrem Mann in Scheidung und war tief un- glücklich. Sie weinte den ganzen Tag, ich vermochte sie kaum zu trösten. Selbst während Frau Amalie Joachim ist von einer höchst erfolgreichen Concertreise nach Berlin des Konzerts konnte sie oft ihre Tränen kaum zurückhalten. Alle ihre Freunde, die auch retournirt. Die gefeierte Sängerin gab in Petersburg, Moskau, Reval und Dorpat Joachims Freunde waren, hatten sie verlassen, – nirgends bekam sie einen Konzertsaal, eine Reihe von ausverkauften Concerten und besuchte dann die Städte Bromberg, niemand durfte sie auch nur grüßen, keine Konzertgesellschaft sollte sie engagieren! Stettin, Stargardt etc., wo sie ebenfalls vor übervollen Säälen concertirte. Am So hatte es Joachim befohlen, indem er sagte: ’Wer meiner Frau einen Saal überläßt, 19. März wirkte sie wieder in einer Judas Maccabäus-Aufführung zu Hamburg dort spiele ich nicht mehr, wer meine Frau engagiert, bei dem wirke ich nicht mehr mit!’ mit und rief durch ihren Gesang allgemeine Bewunderung hervor.

• Die in musikalischen Kreisen vielfach ventilirte Ehescheidungsklage eines be- Amalie Joachim an Bartholf Senff rühmten Berliner Künstlers gegen seine Gattin, eine ebenfalls berühmte Sängerin, o.O. [26.3.1883] ist jetzt dahin entschieden worden, daß der klägerische Theil mit seinen Gründen Verehrter Herr Senff! zur Anklage abzuweisen ist, da sich alle die Frau betreffenden Verläumdungen In der letzten Nummer Ihres geschätzten Blattes finde ich mich noch als in Petersburg als unnachweislich herausgestellt haben. Wir sehen uns zur Mittheilung dieser weilend angeführt: ich bin aber schon etwa drei Wochen aus Rußland zurück, nachdem Nachricht veranlaßt, einerseits um allen irrigen Auffassungen des Urtheils vorzu- ich dort außer in Petersb.[burg] noch in Moskau, Reval u. Dorpat sang. – Es ging mir beugen, andererseits um allen ferneren Debatten über diese seit circa zwei Jahren überall gut u. ich hatte ausverkaufte Konzerte. Besonders in der lieben Universitätstadt spielende peinliche Ehestands-Angelegenheit die Spitze abzubrechen. Dorpat war man besonders liebenswürdig u. brachten mir die Studenten nach meinem letzten Konzert vor der Aula ein dreimaligen Hurrah! In Reval mußte ich vier Lieder ­zugeben! – Von Rußland zurückgekehrt konzertirte ich – überall vor vollen Sälen – in Bromberg, Insterburg, Stettin, Stargart, in Pom.[mern] u. sang zuletzt in Hamburg – im Judas Maccabäus [Händel]. Ich wäre Ihnen herzlich dankbar, wenn Sie wieder von meiner künstl.[erischen] Täthigkeit Notiz nähmen – aber zu besonderem Danke würden Sie mich verpflichten, wenn Sie in ihrem Blatte eine kurze Mitteilung darüber brächten, daß Joachim am 22ten D. mit seiner Klage abgewiesen wurde. Alle seine Gründe zur Anklage u. alle Verläumdungen haben sich als unerweislich erfunden! – Vielleicht geht Joachim in 2te Instanz u. der leidige Zustand, in welchem ich mich schon fast zwei Jahre befinden muß, dauert wieder länger fort. Ich aber hoffe, daß diese schreckliche herzzerreißende Sache endlich ihr Ende erreicht hat! – Sie können sich ­vorstellen, verehrter Herr, daß es mir von unendlichem Werte sein muß, wenn das ­Faktum, daß Joachim in ersten Instanz verlohr – in weitere musikalische Kreise kommt – u. wie könnte dies leichter geschehen, als wenn ihr Blatt es mitteilt?! Wenn es Ihnen also möglich ist, über diese Privatsache, welche allerdings recht „unharmonisch“ ist, ­etwas zu sagen, so bitte ich Sie von ganzem Herzen es zu thun! – Ihre dankbar ergebene Amalie Joachim

Ostermontag 1883 Amalie Joachim mit ihren Kindern, ca. 1888. 96 97 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Ständchen Ach, rede, sprich ein Wort nur, Ein einziges, ein klares; Der Mond steht über dem Berge, Gestillte Sehnsucht Gib Leben oder Tod mir, So recht für verliebte Leut’; Nur dein Gefühl enthülle mir, dein wahres! Im Garten rieselt ein Brunnen, Amalie Joachim an Joseph Joachim Sonst Stille weit und breit. Georg Friedrich Daumer (1800–1875) o.O. 23.3.1887 23.3.[18]87 Neben der Mauer im Schatten, Da unten im Tale Da stehn der Studenten drei, Wie oft habe ich gewünscht, todtkrank auf dem letzten Lager zu liegen u. dich dann Mit Flöt’ und Geig’ und Zither, Da unten im Tale zu rufen u. noch einmal an deiner Brust mich auszuweinen u. – dann dich vielleicht Und singen und spielen dabei. Läuft’s Wasser so trüb, doch von manchem zu überzeugen! Sehnsüchtig habe ich dies gewünscht – u. du wirst Und i kann dir’s net sagen, Die Klänge schleichen der Schönsten mich verstehen – da ja auch du so dachtest. – Mir war in den schweren Jahren während I hab’ di so lieb. Sacht in den Traum hinein, des Prozeßes nichts eine Formerfüllung u. auch dies keine, als ich mit meinen Anwälten sie schaut den blonden Geliebten Sprichst allweil von Liebe, zweimal bei dir war. Es war nicht leicht für mich- als Bettlerin an der Seite eines frem- und lispelt: „Vergiß nicht mein!“ Sprichst allweil von Treu’, den Dritten zu dir zu kommen. Ich habe dies stets für ein Handreichen- u. nie neuver­ Und a bissele Falschheit stossen werden angesehen – habe ich mich darin geirrt – so verzeihe es mir. Der Schritt Franz Theodor Kugler (1808–1858) Is auch wohl dabei. kostete so viel Überwindung wie du wol nicht geahnt hast, das sehe ich ja jetzt. Hättest Am Sonntag Morgen, zierlich angetan Und wenn i dir’s zehnmal sag, du damals nur ein Wort für mich gehabt, es wäre mir leicht geworden dir Alles abzu­ Daß i di lieb und mag, bitten, was ich dir angethan. Ich aber konnte nicht sprechen u. mußte abwarten. […] Am Sonntag Morgen, zierlich angetan, Und du willst nit verstehn, Ich fühle es wol, [das] nur du mich für die Ewigkeit vorbereiten kannst – u. daß ich wohl weiß ich, wo du da bist hingegangen, Muß i halt weitergehn. nur an deiner Seite besser werden kann. Ich bin nicht besser geworden in all der Zeit u. und manche Leute waren, die dich sah’n, fürchte ich vergehe ganz in Schmerz u. Unruhe, wenn du nicht kommst u. mein Seelen- und kamen dann zu mir, dich zu verklagen. Für die Zeit, wo du gliebt mi hast, heil errettest. Es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, der es könnte – laß mich nicht Als sie mir’s sagten, hab’ ich laut gelacht, Da dank i dir schön, ­untergehen hier u. dort! – Und in der Kammer dann geweint zu Nacht. Und i wünsch, daß dir’s anderswo Ich schreibe dir – als ob ich mit dir spräche u. als ob meine Zunge mir gelöst wäre Als sie mir’s sagten, fing ich an zu singen, Besser mag gehn. von einem Banne, der darauf lag. Mir ists als müßte ich dir sagen: Ich lasse dich nicht, Um einsam dann die Hände wund zu Volkslied du segnest mich denn! – ringen.

Paul Heyse (1830–1914) Meine Liebe ist grün Aus: Beatrix Borchard, Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim. Meine Liebe ist grün wie der Fliederbusch, Biographie und Interpretationsgeschichte. Mit CD-Rom. Wien. Böhlau 2007. Nicht mehr zu dir zu gehen und mein Lieb ist schön wie die Sonne, Nicht mehr zu dir zu gehen die glänzt wohl herab auf den Fliederbusch Beschloß ich und beschwor ich, und füllt ihn mit Duft und mit Wonne. Und gehe jeden Abend, Meine Seele hat Schwingen der Nachtigall, Denn jede Kraft und jeden Halt verlor ich. und wiegt sich in blühendem Flieder, Ich möchte nicht mehr leben, und jauchzet und singet vom Duft Möcht’ augenblicks verderben, berauscht Und möchte doch auch leben viel liebestrunkene Lieder. Für dich, mit dir, und nimmer, nimmer Felix Schumann (1854–1879) sterben. 98 99 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Der letzte Brief

Amalie Joachim an Joseph Joachim o.O. [29.]5.1896 Mai [18]96.

Ich weiß allerdings gar nicht, wohin diese Zeilen senden – aber, mein Herz drängt mich, Dir ein Wort der Theilnahme über Frau Schumann zu sagen! Mir ist es so nahe gegangen diese Frau nun auch fort zu wißen – sie nie mehr sehen, nie mehr hören zu können – wie muß es erst dir sein, der du ihr im Leben so nahe gestanden hast u. mit welcher dich die schönsten Jugenderinnerungen verbanden. Wie gerne möchte ich dich sehen u. dir die Hand drücken u. dir sagen, daß noch immer dein Schmerz mein Schmerz ist! Es ist ein Wort, welches ich dir damit sage – denn wo ich auch geirrt habe, was mir auch ange- than ist – die Zeit die ich mit dir verbringen durfte war doch meine einzige Lebenszeit. Die Gedanken waren jetzt öfter als sonst in Hannover wo Fr. Schumann kam – ich sie kennen lernte – ich deine Braut war – von ihr u. dir das ungarische Concert zum ersten- male hörte! – Ich habe Großes erleben dürfen – das Größte aber durch dich – mit dir! – Ich will dich nicht stören mit diesen Zeilen konnte aber nicht anders, mußte dir sagen, wie es mir ums Herz ist! Gott grüße dich. A. J.

Joseph Joachim im Alter 100 101 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ Sinfonia domestica II

Der Künstler tötet Materie und Erfahrung, indem er sie in Kunst umsetzt. Die Frau wird geopfert, im Namen der Kunst. Sie muß sterben, damit er zum Schöpfer werden kann.

Elisabeth Bronfen: „Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik“, München 1994. 102 103 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Impressum Bild- und Textnachweise

Redaktion: Prof. Dr. Beatrix Borchard, Dr. Bettina Knauer Sinfonia domestica I Gestaltung: Veronika Grigkar (grigkar.de) wikipedia.de (Richard Strauss) Druck: diedruckerei.de Marianne Reissinger: Und die Schokolade nehmen wir im blauen Salon, Zu Tisch bei Pauline und Richard Strauss, München 1999, S. 19. mdr.de (Oper, MDR FIGARO) wikipedia.org (Pauline de Ahna) crescendo.de (Des Helden Gefährtin: Pauline Strauss) bbc.co.uk (BBC Radio3, composer of the week) Kochrezepte aus: Reissinger 1999. richardstrauss.org Richard-Strauss-Institut Garmisch-Partenkirchen crescendo.de (Zum Jubiläum 2014: Der andere Strauss)

Das verborgene Band Stiftung Preußischer Kulturbesitz wikipedia.de (Felix Mendelssohn Bartholdy) Staatsbibliothek Berlin Jüdisches Museum Frankfurt/M. wikipedia.de (Cécile Charlotte Sophie Mendelssohn Bartholdy) wikipedia.de (Marianne von Willemer, Freies Deutsches Hochstift Frankfurt/M.)

Stimme und Geige Joseph und Amalie (Brahms-Institut Lübeck) Johannes Brahms und Joseph Joachim (Brahms-Institut Lübeck) Amalie und Joseph Joachim, ca. 1873 (Privatbesitz London) Amalie Joachim mit ihren Kindern, ca. 1888 (Privatbesitz Göttingen) Joseph Joachim, ca. 1905 (Privatbesitz London) Beatrix Borchard: Stimme und Geige: Amalie und Joseph ­Joachim. Biographie und Interpretationsgeschichte (= Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte Bd. 5, hrsg. von Reinhard Kapp und Markus Grassl), Wien 2005, 2. Auflage Wien 2007.

Sinfonia domestica II wikipedia.org (The Tales of Hoffmann) Eine Veranstaltungsreihe der Hochschule für Musik und Theater Hamburg unter Leitung von Prof. Dr. Beatrix Borchard in Kooperation mit Dr. Bettina Knauer und Prof. Marc Aisenbrey

Fanny Hensel-Saal der Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Harvestehuder Weg 12 (Eingang Milchstraße) 20148 Hamburg www.hfmt-hamburg.de

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