Plenarprotokoll 19/81

Deutscher

Stenografischer Bericht

81. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 16: Dr. (DIE LINKE). 9475 B a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: (BÜNDNIS 90/ Strategie Künstliche Intelligenz der DIE GRÜNEN). 9475 D Bundesregierung Drucksache 19/5880. 9471 A (CDU/CSU). 9476 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. (AfD). 9477 C Ausschusses für Bildung, Forschung und Falko Mohrs (SPD). 9478 B Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe (FDP) . 9479 B Kamann, , , (DIE LINKE). 9480 A weiterer Abgeordneter und der Frakti- on der AfD: Künstliche Intelligenz – Dr. (BÜNDNIS 90/ Forschung und Anwendung für den DIE GRÜNEN). 9480 D Innovationsstandort Deutschland Nadine Schön (CDU/CSU). 9481 C und zum Wohl unserer Gesellschaft fortentwickeln René Röspel (SPD). 9482 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Mario (CDU/CSU). Brandenburg (Südpfalz), Dr. h. c. 9483 D , , (AfD) . 9484 B weiterer Abgeordneter und der Frakti- on der FDP: Strategie der Bundesre- gierung zu Künstlicher Intelligenz Tagesordnungspunkt 9: erfolgsorientiert ausrichten – zu dem Antrag der Abgeordneten Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Anna Christmann, Dieter Janecek, Dr. , Roman Johannes Reusch, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter Leif-Erik Holm, weiteren Abgeordneten und und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE der Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs GRÜNEN: Künstliche Intelligenz – eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes Auf Grundlage europäischer Werte über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbe- entwickeln und zum Wohl von Ge- helfen in Umweltangelegenheiten nach der sellschaft und Umwelt gestalten EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechts- Drucksachen 19/6062, 19/5629, 19/5667, behelfsgesetz – UmwRG) 19/7742. 9471 C Drucksache 19/7702. 9485 C , Bundesministerin BMBF. 9471 D Dr. Dirk Spaniel (AfD). 9485 D Joana Cotar (AfD). 9472 C (CDU/CSU). 9486 C Dr. Manja Schüle (SPD). 9473 C Roman Müller-Böhm (FDP). 9487 D (Südpfalz) (FDP) . 9474 C (SPD). 9488 D II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dr. Dirk Spaniel (AfD). 9490 D (DIE LINKE). 9506 C Klaus Mindrup (SPD). 9491 B Erwin Rüddel (CDU/CSU). 9507 D (DIE LINKE). 9491 D Jörg Schneider (AfD). 9508 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ (SPD) . 9509 C DIE GRÜNEN). 9492 D (FDP). 9510 C (CDU/CSU). 9494 A Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 9511 C Tagesordnungspunkt 18: (CDU/CSU). 9512 D Erste Beratung des von den Fraktionen der Paul Viktor Podolay (AfD). 9513 C CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs (SPD) . 9514 B eines Gesetzes zur Verbesserung der Infor- mation über einen Schwangerschaftsab- Dr. (FDP). 9515 B bruch Drucksache 19/7693. 9495 D (DIE LINKE). 9515 C Dr. , Bundesministerin Dr . (CDU/CSU) . 9516 C BMJV. 9496 A (SPD). 9517 B (AfD) . 9496 C (CDU/CSU) . 9518 B (CDU/CSU). 9497 D

Stephan Thomae (FDP). 9498 D Tagesordnungspunkt 20: Cornelia Möhring (DIE LINKE) . 9500 A a) Antrag der Abgeordneten Manuel Höferlin, (BÜNDNIS 90/ Jimmy Schulz, , weiterer DIE GRÜNEN). 9501 A Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Digitalisierung ernst nehmen – IT-Si- Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin cherheit stärken BMFSFJ . 9502 C Drucksache 19/7698. 9519 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 9503 B b) Antrag der Abgeordneten Anke Domscheit-­ Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin Berg, Dr. Petra Sitte, , BMFSFJ . 9503 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umsetzung effektiver Maß- Elisabeth Winkelmeier-Becker nahmen für digitale Sicherheit statt (CDU/CSU). 9503 D Backdoors (DIE LINKE) . 9504 B Drucksache 19/7705. 9519 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU). 9505 B in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 19: Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, , Matthias W. Birkwald, wei- Antrag der Abgeordneten Uwe Schulz, Joana terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Cotar, Dr. , weiterer Ab- LINKE: Zwei-Klassen-System in der Pflege- geordneter und der Fraktion der AfD: Schutz versicherung beenden der Kritischen 5G-Infrastruktur vor staats- Drucksache 19/7480. 9506 B nahen Netzwerkausrüstern Drucksache 19/7723. 9519 D in Verbindung mit Manuel Höferlin (FDP). 9519 D (CDU/CSU) . 9521 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Uwe Schulz (AfD) . 9522 B Antrag der Abgeordneten Nicole Westig, (SPD). 9523 B , , weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Dr. André Hahn (DIE LINKE). 9524 B Mehr Transparenz in der Pflege-Debatte – Dr. (BÜNDNIS 90/ Finanzierung der Pflege generationenge- DIE GRÜNEN). 9525 A recht sichern Drucksache 19/7691. 9506 C Michael Kuffer (CDU/CSU). 9526 A Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019 III

Saskia Esken (SPD) . 9527 A Zusatztagesordnungspunkt 11: (CDU/CSU). 9528 A Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zum Sozialstaatskonzept der SPD vor dem Hin- Tagesordnungspunkt 21: tergrund eines drohenden Haushaltsdefizits (FDP) . 9538 C a) Antrag der Abgeordneten Dr. , Beate Müller-Gemmeke, Tabea Dr. (CDU/CSU). 9539 D Rößner, weiterer Abgeordneter und der (AfD) . 9541 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geschäftsgeheimnisgesetz – Schutz für (SPD). 9542 A Arbeitnehmerinnen, Journalisten, Hin- Susanne Ferschl (DIE LINKE). 9543 C weisgeberinnen und Wirtschaft nach- bessern Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/7453. 9529 B DIE GRÜNEN). 9545 A b) Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, (CDU/CSU). 9546 A Dr. André Hahn, Doris Achelwilm, wei- Ulrike Schielke-Ziesing (AfD). 9547 B terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Presse, Arbeitnehmervertre- (SPD). 9548 B tung und Whistleblower im Geschäfts- (FDP). 9549 C geheimnisgesetz schützen Drucksache 19/7704. 9529 C (CDU/CSU). 9551 B Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/ (Erfurt) (SPD). 9552 C DIE GRÜNEN). 9529 C (CDU/CSU). 9554 A (CDU/CSU). 9530 C (AfD). 9531 D Nächste Sitzung . 9555 C Dr. (SPD). 9533 A Roman Müller-Böhm (FDP). 9533 D Anlage 1 Niema Movassat (DIE LINKE) . 9534 D Entschuldigte Abgeordnete. 9557 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU). 9535 D (SPD). 9536 C Anlage 2 Dr. (CDU/CSU). 9537 C Amtliche Mitteilungen. 9558 B

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(A) (C)

81. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anna Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Christmann, Dieter Janecek, Tabea Rößner, nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: Künstliche Intelligenz – Auf Grundlage a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- europäischer Werte entwickeln und zum gierung Wohl von Gesellschaft und Umwelt ge- stalten Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesre- gierung Drucksachen 19/6062, 19/5629, 19/5667, 19/7742 Drucksache 19/5880 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (B) Überweisungsvorschlag: die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Mangels Wi- (D) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) derspruchs ist das so beschlossen. Ausschuss für Inneres und Heimat Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie der Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung, Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Anja Karliczek. Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ordneten der SPD) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Haushaltsausschuss Forschung: Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolle- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und richts des Ausschusses für Bildung, Forschung Herren! Künstliche Intelligenz ist der Treiber des Wan- und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) dels, unseres Zusammenlebens und unserer Arbeit. Sie – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe kann unser Leben spürbar leichter machen. Sie kann zur ­Kamann, Joana Cotar, Uwe Schulz, weiterer Lösung großer Fragestellungen entscheidend beitragen. Abgeordneter und der Fraktion der AfD Allein im Gesundheitsbereich wird eine bessere Daten- analyse schnellere, zielgenauere Therapien für schwe- Künstliche Intelligenz – Forschung und re Krankheiten wie beispielsweise Krebs ermöglichen. Anwendung für den Innovationsstandort Aber auch unser Verkehr kann sicherer werden. Oder sie Deutschland und zum Wohl unserer Ge- kann auch Antworten liefern für eine kluge Energiewen- sellschaft fortentwickeln de. Das zeigt: Künstliche Intelligenz hat riesiges Potenzi- – zu dem Antrag der Abgeordneten Mario al! Für unsere Wirtschaft, aber auch für jeden Einzelnen Brandenburg (Südpfalz), Dr. h. c. Thomas von uns. Sie hat schon längst angefangen, unser Leben Sattelberger, Katja Suding, weiterer Abge- zu verändern. ordneter und der Fraktion der FDP Lassen Sie mich kurz die vier Säulen unserer Strategie erklären. Strategie der Bundesregierung zu Künst- licher Intelligenz erfolgsorientiert aus- Erstens. Die künstliche Intelligenz ist für unsere ge- richten samte Wirtschaft wichtig. Deshalb werden wir unsere 9472 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Bundesministerin Anja Karliczek (A) Wirtschaft und natürlich insbesondere unsere mittelstän- Persönlichkeitsrechte und individuelle Freiheit sind die (C) dische Wirtschaft unterstützen, künstliche Intelligenz für Grundlagen unseres Zusammenlebens. Unser Grundge- sich nutzbar zu machen. Hier setzen wir auf unsere For- setz wird in diesem Jahr 70 Jahre alt, und ich glaube, da- schung, auf eine enge Zusammenarbeit von Forschung, rauf können wir sehr stolz sein. Entwicklung und Praxis. Nur dann werden wir im Wett- bewerb zwischen den USA und China mithalten können. Die neue Technologie kommt, und dazu führen wir ei- Unser Ziel ist es, Deutschland zum weltweit führenden nen intensiven Dialog. Was sind die Chancen? Was sind KI-Standort zu machen. die Risiken? Wir gehen in die Gesellschaft hinein. Des- halb starten wir im März unser Wissenschaftsjahr 2019 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zum Thema „künstliche Intelligenz“. KI-Systeme sind ordneten der SPD) lernende Systeme, und unsere KI-Strategie ist es auch. Wir investieren bis 2025 3 Milliarden Euro. Damit leis- Herzlichen Dank. ten wir einen entscheidenden Beitrag für unsere interna- tionale Wettbewerbsfähigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Zweitens. Der Wettbewerb, vor dem wir stehen, ist in erster Linie ein Wettbewerb um Talente. Auch in sie in-

vestieren wir. Wir schaffen die Rahmenbedingungen da- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: für, dass die Besten der Welt zu uns kommen. Wir richten Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Joana Cotar, 100 neue KI-Professuren an den Hochschulen ein. Wir AfD. legen ein ambitioniertes Nachwuchsprogramm auf; denn (Beifall bei der AfD) auch die nächste Generation von KI-Spezialisten soll in Deutschland zu Hause sein. Joana Cotar (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Die Drittens. Wir vernetzen uns. Deutschland ist in einer Regierung möchte, dass Deutschland in Zukunft beim guten Ausgangslage. Wir verfügen über eine internatio- Thema „künstliche Intelligenz“ an der Weltspitze mit- nal wettbewerbsfähige, gut aufgestellte Forschungsland- spielt. Dafür hat sie letztes Jahr ihr sogenanntes Strate- schaft. Wir fördern die KI-Forschung seit vielen, vielen giepapier vorgelegt. Nein, ich korrigiere mich: Nicht die Jahren. Wir haben exzellentes Know-how im Deutschen Bundesregierung hat dieses Papier vorgelegt, sondern Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Wir haben die Unternehmensberatungsgesellschaft Roland Berger vier Zentren gegründet: in Berlin, München, Dortmund hat das getan. Wie so oft fehlt es der Regierung anschei- (B) und Tübingen. All dies werden wir zu einem Netzwerk nend an Fachkräften. Den Verstand muss man sich von (D) mit weiteren Standorten – die Big-Data-Zentren und das außen einkaufen. Vielleicht sollten Sie bei der nächsten DFKI – ausbauen. Wir wollen eine Exzellenz, die in ganz Bundestagswahl von Anfang an Unternehmensberater Deutschland sichtbar ist. Forschung und Lehre können als Kandidaten aufstellen. Das wäre ehrlicher und wür- wir nur noch vernetzt denken: national, europäisch, aber de dem Steuerzahler viel Geld sparen, meine Damen und auch international. Herren. Unsere Stärke liegt in der Arbeitsteiligkeit. So haben (Beifall bei der AfD) wir zum Beispiel mit Japan verabredet, noch enger als Aber kommen wir zu Ihrem Papier. Von einer Strategie bisher zum autonomen Fahren gemeinsam zu forschen. kann und möchte ich hier nicht wirklich sprechen. Es ist Vor allem aber werden wir mit Frankreich zusammenar- eher Stückwerk. Künstliche Intelligenz ist eine der wich- beiten. Die vor uns liegende technologische Entwicklung tigsten Schlüsseltechnologien der Zukunft. Für manche ist so bedeutend, dass wir mindestens auf europäischer ist sie sogar die Stunde null der Wirtschaft. Hier sind Ebene, wenn nicht sogar in der gesamten demokratischen massive Investitionen nötig, um unser Land nach vorne Welt gemeinsam unsere Werte als Leitplanken des tech- zu bringen, um sich den Herausforderungen stellen zu nologischen Fortschritts verankern müssen. Denn indi- können. China und die USA machen es vor. viduelle Freiheit, Toleranz und demokratisches Mitei- nander sind die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens. Die Regierung will nun, wie wir gehört haben, bis Diese Prinzipien werden wir auch im technologischen 2025 500 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stel- Wandel hochhalten. Mit ihnen werden wir „KI made in len – ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist bei weitem Germany“ zum Leuchten bringen. nicht genug, um, wie angekündigt, ganz vorne mitspie- len zu können. Zum Vergleich: In China sollen bis 2030 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- umgerechnet 150 Milliarden Dollar investiert werden. ordneten der SPD) Rechnen Sie sich aus, welches Land in Zukunft führen- Das ist die vierte Säule, auf der unsere Strategie ba- der Standort für KI sein wird. siert. Wir sind nicht in China. Totale Kontrolle durch den (Beifall bei der AfD) Staat werden wir niemals akzeptieren. Wir sind aber auch nicht in den USA. Wir gehen einen anderen, einen eige- Die zweite Baustelle: die Bildung. Die Bundesre- nen Weg. Wir lassen uns von unserem christlichen Men- gierung möchte 100 KI-Professuren schaffen, wie wir schenbild leiten. Jeder technologische Fortschritt hat sich gehört haben. Klingt gut. Aber woher kommen diese dahinter einzureihen. Wir sind überzeugt: Künstliche In- Topprofessoren, und welche Gehälter wollen Sie ihnen telligenz muss dem Menschen dienen. Menschenwürde, zahlen? Glauben Sie, dass KI-Spezialisten für typisch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9473

Joana Cotar (A) deutsche Unigehälter nach Deutschland kommen wer- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) den, während sich andere Länder um sie reißen? Von der Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Manja Regierung kein einziges Wort zur konkreten Umsetzung! Schüle, SPD. Sie wollen – Zitat – „international attraktive und konkur- renzfähige Arbeitsbedingungen“ schaffen. Prima! Aber (Beifall bei der SPD) wie sollen die konkret aussehen? Auch darüber kein Wort in Ihrem Papier! Dr. Manja Schüle (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Nächster Punkt: der Datenschutz. Ohne Daten kein Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuschauer! Im Normal- Lernen, ohne Lernen keine künstliche Intelligenz. Kaum fall schätze ich meinen Koalitionspartner wirklich, auch ein Wort der Bundesregierung zu einer Datenpolitik, wenn wir oft unterschiedlicher Meinung sind. Das ist hier die nicht nur den Bürger schützt, sondern auch der Ent- im Hause auch keinem entgangen. Als ich gestern aber wicklung der künstlichen Intelligenz entgegenkommt. die Pressemitteilung der Kollegen Schön und Schipanski Stattdessen schaffen wir uns mit Verordnungen wie der gelesen habe, wurde meine Einstellung zur heutigen De- DSGVO immer mehr Hemmnisse, die dafür sorgen, dass batte ein bisschen strapaziert. Aber der Reihe nach. wir den Ansprüchen der KI gar nicht gerecht werden können. Wir diskutieren heute die KI-Strategie der Bundesre- gierung. Diese Debatte wird für meinen Eindruck manch- (Beifall bei der AfD) mal etwas zu spöttelnd, zu vereinfachend oder aber sogar Auch hier sind andere Länder weiter, ist der Mindset der panikverursachend geführt. Da ist der Vorwurf immer: Gesellschaft ein anderer. Sie glauben, Deutschland und zu wenig, zu langsam, zu unambitioniert. Ich wiederho- die EU setzen Standards in Sachen Datenschutz, und le gerne noch einmal, was darin steht: Zwölf KI-Zentren andere werden ihn kopieren. Mit Verlaub, das ist eine werden gegründet. 100 zusätzliche Professuren werden genauso irrige Annahme wie bei der deutschen Energie- eingerichtet. Jedes ostdeutsche Bundesland erhält ein Zu- wende. kunftszentrum. Über die nächsten fünf Jahre unterstützen wir ein europäisches KI-Innovationscluster. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Der Regierung fehlt schlicht der Ehrgeiz beim Thema Das alles wird 3 Milliarden Euro kosten. Also, so etwas „künstliche Intelligenz“. Mit diesem Papier schafft sie wie „zu unambitioniert, zu langsam und zu wenig“ kann keine Wende. Mit diesem Papier wird sie die Menschen ich da nicht erkennen. Das ist auch kein Hausaufgaben- draußen nicht begeistern, ihnen die Ängste nicht nehmen. heft, das ist eine Umsetzungsstrategie. Genau das wäre doch eigentlich nötig. (B) Natürlichen müssen wir darüber diskutieren, wie wir (D) Die Vorschläge der AfD: Schaffen Sie ein bis zwei mit der datengetriebenen Ökonomie umgehen. Es ist ja themenoffene Leuchtturmprojekte mit ordentlichem nun schon fast eine Binsenweisheit, dass wir mit unse- Budget zwecks internationaler Sichtbarkeit. Richten Sie ren klassischen industriellen Erfolgsmodellen in Europa die nationale Förderung der KI-Forschung themenoffe- und in Deutschland unter Wettbewerbsdruck geraten. ner aus. Denken Sie an Gesundheit, Pflege, Sicherheit. Aber weder lassen wir uns auf die Einschätzung ein, der Schaffen Sie endlich die Voraussetzungen für die Ver- nächste Technologieschritt werde uns automatisch ins ständnisförderung in Schulen. Nehmen Sie mehr Geld dystopische Unheil führen – frei nach dem Motto: Termi- in die Hand. Versprechen Sie Finanzierungsinstrumente nator statt C-3PO –, noch sind wir, die Sozialdemokraten wie den Tech Growth Fund nicht nur, planen Sie die Gel- und , das rote Gespenst, das staatlich ver- der auch im Haushalt ein. Weiten Sie die KI-spezifische ordnet, Daten offenzulegen. Der erste Satz ist nur eine Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen pessimistische Einstellung, der zweite Satz ist eine Un- deutlich aus. terstellung aus Ihrer Pressemitteilung, und das finde ich (Beifall bei der AfD) unlauter. (Beifall bei der SPD) Richten Sie zur Förderung von Technologietransfer und Unternehmensgründungen nicht nur internationale und Richtig ist, dass auch der Zugang zu Daten über Ent- überregionale Kompetenzzentren ein, sondern auch regi- wicklung und Innovationskraft eines Landes entscheidet. onale Innovationscluster; bestes Beispiel das Cyber Val- Über das Wie können wir noch streiten, liebe Kollegin- ley in Baden-Württemberg. Unterstützen Sie bestehende nen und Kollegen, aber lassen Sie uns die Debatte seriös Initiativen von Open Data und Open Access. Fördern Sie führen. Hören Sie auf damit, zu behaupten, wir würden Normung und Standardisierung. Fördern Sie den Unter- die kleinen und mittelständischen Unternehmen zwin- nehmergeist in Deutschland. Verstärken Sie die gesell- gen, ihre Daten offenzulegen, sie mit asiatischen, chine- schaftliche Debatte über KI. sischen oder amerikanischen Plattformen zu teilen. Hö- ren Sie auf damit! Im Übrigen waren gestern in unserer Machen Sie den Menschen Mut! Zeigen Sie Ehrgeiz, Anhörung die kleinen und mittelständischen Unterneh- und wagen Sie einmal wirklich einen großen Wurf! Nur men sogar dafür, dass es mehr Datenoffenheit gibt. so können wir tatsächlich vorne mitspielen. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. Was wir brauchen, sind Anreizsysteme für Datenkoope- (Beifall bei der AfD) rationen. Das ermöglicht nämlich Innovation und Wett- 9474 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dr. Manja Schüle (A) bewerb. Dazu wird auch Falko Mohrs gleich noch etwas Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) sagen. Und nein, ich finde nicht, dass unser wertvoller Mario Brandenburg, FDP, ist der nächste Redner. Rohstoff, unsere Daten, ausschließlich ein paar wenigen Digitalunternehmen zugänglich sein soll. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mario Brandenburg (Südpfalz) (FDP): Warum sollen Monopole im Übrigen nur in klassischen Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Wirtschaftsbereichen aufgebrochen werden dürfen? Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren ein weite- res Mal das Best-of der ministerialen KI-Thesen; denn Ich bin fest davon überzeugt, dass Europa und spezi- das Wort „Strategie“ dürfen wir ja auf Ihren Wunsch hin ell Deutschland die einmalige Chance besitzen, bei der nicht mehr benutzen. Auf unsere Kleine Anfrage hat uns Entwicklung – da stimme ich Ihnen zu, Frau Karliczek – Herr Meister nämlich erklärt, dass sogenannte Perfor- selbstdenkender Maschinen an erster Stelle zu stehen, mance-Indikatoren – KPIs – zur Messung der Erreichung und zwar durch den sorgsamen Umgang mit Daten und von Zielen in einer ganzheitlichen Strategie wie der un- durch eine europäische Forschungs-, Investitions- und seren nicht angebracht seien. Innovationslandschaft; da können wir nämlich in der Tat noch eine Schippe drauflegen. Dabei werden wir weder (René Röspel [SPD]: Und die betriebswirt- das Verhalten der Menschen in unserem Land überwa- schaftlich orientiert sind!) chen wie in China, noch werden wir es ausschließlich ökonomisch verwerten wie in den Vereinigten Staaten Das war eine sehr interessante Information. Ich habe von Amerika. Ja, bei uns steht der Mensch im Mittel- dann überlegt, wer von Ihnen die Franzosen anruft, die punkt, aber nicht als Objekt, sondern als mündiger Bür- sehr wohl Indikatoren zur Erfolgsmessung in ihrer Stra- ger, liebe Kolleginnen und Kollegen. tegie verankert haben. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP) Wenn wir diesen Gedanken weiterspinnen, dann stellt Die Pessimisten behaupten, niemals würden KI-Ex- sich doch die Frage: Wann ist diese Strategie denn dann perten aus Harvard, Berkeley oder dem MIT nach Pots- eigentlich erfolgreich? Wenn in zehn Jahren alles noch dam, Greifswald oder Dresden kommen. Die Grünen ha- so ist wie jetzt, weil nichts schiefgegangen ist? Wenn wir ben sich in der letzten Sitzung des Bildungsausschusses Technologieführerschaft haben? Wenn wir Vollbeschäfti- sogar zu der Behauptung verstiegen, deutsche KI-For- gung haben? Oder aber erst dann, wenn Milch und Honig schende würden keinerlei Rolle auf internationalem Par- fließen und die Chinesen anrufen und sagen: „Wir hören kett spielen. Da frage ich Sie: Wofür halten Sie eigentlich (B) auf; ihr habt gewonnen“? Liebe Kolleginnen und Kol- (D) das DFKI in Saarbrücken? Für eine Kita? Dort wird seit legen, es ist vollkommen unklar, wann diese Strategie 30 Jahren geforscht, und zwar im Bereich der künstlichen erfolgreich ist. Intelligenz: 1 000 Wissenschaftler aus 60 Nationen und mittlerweile 240 Projekte. Es wird außerdem zunehmend unklar, wer eigentlich wofür zuständig ist. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP) Beispiele gefällig, Frau Christmann? Gerne! Die Wis- senschaftler Schmeier, Kiefer und Bernardi forschen bei- Wenn man sich auf internationaler Bühne hinter vorge- spielsweise an Pepper. Pepper ist ein kleiner künstlicher haltener Hand mit unseren Kollegen unterhält, dann er- Kumpel für ein krankes Kind, der ihm helfen soll, wieder zählen sie, dass sie mit Zuständigen in Deutschland ge- gesund zu werden. sprochen hätten – viermal, fünfmal –, dass teilweise aber kein Rückruf gekommen ist und dass sie teilweise über- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) haupt nicht wissen, wer wirklich den Hut aufhat. Das, Es wird daran geforscht, der Mutter und dem Kind ei- liebe Kolleginnen und Kollegen, ist schon bedenklich; nen schnellen Weg zum nächsten Zug zu zeigen, wenn denn während andere Länder mit klaren Zielsetzungen, im Hauptbahnhof wieder der Aufzug ausgefallen ist. Ja, klaren Zuständigkeiten und gebündelter Kompetenz an es wird auch daran geforscht, KI-Start-ups mit der Land- dieses Thema herangehen, kommt Deutschland mit ei- wirtschaft zusammenzubringen, um den besten Zeitpunkt nem Debattierbus mit drei federführenden Ministerien, der Düngung von Gerste zu ermitteln; für die Biertrinker 16 Bundesländern, einer Staatsministerin für Digitales unter uns vielleicht eine relevante Information. und einem Bundesminister für besondere Aufgaben an- gefahren. Dies ist ein Problem. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP) Auf dieser deutschen Forschungstradition möchten Das alles könnte man relativ humorvoll nehmen, wenn wir aufbauen. Ja, wir werden KI zur Schlüsseltechnolo- man damit nicht wirklich die Hoffnungen vieler Gründer gie für unser Land machen – für unser Land, aber vor und kluger Menschen in diesem Land riskieren würden. allem für die Menschen. Wir haben den ersten Teil der digitalen Transformation Herzlichen Dank. faktisch nicht unbedingt gewonnen. Jetzt muss es um Ge- schwindigkeit gehen. Daher meine Bitte: Definieren Sie (Beifall bei der SPD) klare, messbare Zielkriterien, die die Bürger, Sie und wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9475

Mario Brandenburg (Südpfalz) (A) verfolgen können; denn nur dann wissen wir, wann wir Ich habe in den unzähligen Debatten zur KI mal einen (C) gegensteuern und unterstützen müssen, Frau Ministerin. sehr schönen Satz gehört, den ich Ihnen hier nicht erspa- ren möchte: Nicht vor künstlicher Intelligenz müssen wir (Beifall bei der FDP) uns fürchten, sondern vor menschlicher Dummheit. Gründen Sie ein Digitalministerium, welches den Quer- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem schnitt bündelt und im Prinzip – um es betriebswirtschaft- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich zu sagen, Herr Röspel – ein Programm-Management in den verschiedenen Bereichen durchführen kann. Frau Die KI-Strategie der Bundesregierung beginnt mit der Ministerin, rufen Sie bitte Ihre Freundin, die Kanzlerin, Aussage, dass die Technologie dem Menschen dienen an, und lassen Sie sie eine Aufbruchrede an die Nation soll. Gegen diese Aussage habe ich nichts einzuwen- halten, genauso wie das viele andere Staatsoberhäupter den. Schaut man sich die KI-Strategie aber konkret an, getan haben, dann vermisst man genau diese Ebene. Die Logik dieses Papiers besteht darin, rein wettbewerbsorientiert, rein (Beifall bei der FDP) standortpolitisch zu denken. Wer von KI made in Ger- und vermitteln Sie ein positives Bild, wohin es gehen many spricht, dem muss ich sagen, dass er das gesamte soll. Wesen dieses Prozesses nicht verstanden hat. (Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Joana (Beifall bei der LINKEN) Cotar [AfD]) Derzeit werden in vielen Ländern KI-Strategien ent- – Man kann es versuchen. wickelt. Wenn man sich die im Einzelnen anschaut, dann stellt man fest: Sie sind alle ziemlich ähnlich. Man be- Letzter Gedanke, dann sind Sie mich auch wieder los. kommt auch immer die gleichen Beispiele vorgeführt. Die Entwicklung der Algorithmen von morgen ist ein Da fragt man sich doch ernsthaft: Wieso entwickelt internationaler Teamsport. Die Einführung von offenen man das nicht arbeitsteilig? Wieso werden solche Dinge und transparenten Messkriterien ist nicht Ausdruck der wie KI-Wettrüsten an die Spitze gestellt? Wir brauchen Gängelung durch die Opposition. Das ist vielmehr ein eine gesellschaftliche Diskussion über die Ziele und die gängiges Mittel für die Messung des Erfolgs von Stra- Ethik von KI. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe, die tegien. Deswegen tun Sie uns bitte den Gefallen, und er- wir hier leisten müssen. Da sind eben Fragen zu stellen: stellen Sie klare Messpunkte! Was ist gesellschaftlich sinnvoll? Was ist gewollt? Wie Danke schön. kann die Diskriminierung von Menschen und Gruppen verhindert werden? Wie sichern wir gute Arbeit? Welche (Beifall bei der FDP) (B) Sicherheitsstandards brauchen wir? Und natürlich auch: (D) Welche ordnungspolitischen Entscheidungen müssen ge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: fällt werden, um die Konzentration von Monopolmacht Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Petra Sitte, zurückzudrängen? Da brauchen wir Transparenz und Die Linke. Kontrolle. Wir brauchen klare Verantwortlichkeiten und schließlich eine klare Entscheidung zum Thema „Einsatz (Beifall bei der LINKEN) KI-basierter Waffensysteme“. Dazu können wir heute schon klar Nein sagen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Künstliche neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Intelligenz berührt die Menschen auf jeden Fall erst ein- mal emotional. Die einen sind verunsichert und reagieren Die Bundesregierung hat keine Strategie vorgelegt. eher ablehnend, andere freuen sich darauf. Ein Grund Sie hat lediglich einen Maßnahmenkatalog der Ministe- mehr, die KI als das zu bezeichnen, was sie wirklich ist, rien zusammengefasst. Das halten wir für gesellschafts- nämlich als maschinelles Lernen oder eben gar als au- politisch höchst fahrlässig. Mithin geht es in einer rastlo- tomatisierte Statistik. Unter diesem Blickwinkel lassen sen, an Daten nimmersatten Informationsgesellschaft um sich bestimmte Vorstellungen, die es in der Gesellschaft nichts Geringeres als um die Ausgestaltung menschlicher gibt, zurückdrängen. Das mag insgesamt ein bisschen Freiheit im 21. Jahrhundert. banal oder langweilig klingen. Verglichen mit futuristi- Ich danke Ihnen, liebe Kollegen. schen Vorstellungen von sogenannter starker KI und der Ersetzung des Menschen ist es das vielleicht tatsächlich. (Beifall bei der LINKEN) Aber wir sprechen für die vorhersagbare Zukunft von selbstlernenden Systemen, die quasi Erfahrungen in der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Mustererkennung sammeln und dann entscheiden. In ein- Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächs- zelnen Bereichen – das wissen wir längst – wie Bilder- te Redner. kennung, bei Go- oder Schachspielen sind diese Systeme mindestens genauso gut wie Menschen oder teilweise (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schon deutlich besser. Aber wie bei jeder Technologie liegt die Verantwortung für den Einsatz und die ethische Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Konzeption für diesen Einsatz bei uns, bei den Menschen. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau (Beifall bei der LINKEN) Karliczek! Sehr geehrter Herr Minister in Abwesenheit 9476 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dieter Janecek (A) Altmaier! Eine kleine Vorbemerkung sei mir gestattet: auch eine Green-IT-Strategie, um diese Problematik auf- (C) Ich hoffe wirklich sehr, dass die Umsetzungsstrategie der zufangen, sonst gibt es ein klimapolitisches Desaster. Bundesregierung nicht auf den gleichen Fakten basiert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wie Herrn Scheuers Mobilitätsstrategie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der entscheidende Punkt für uns ist – auch Frau Sitte sowie bei Abgeordneten der LINKEN) hat das angesprochen –: Wir werden diese die Techno- logie betreffenden Fragen in der Gesellschaft nicht be- Seit gestern wissen wir, dass die Forscher, die er anführt, antworten können, wenn wir die Menschen nicht mit- sich um den Faktor 1 000 verrechnet haben. Ich hoffe, nehmen. Deswegen brauchen wir einen klaren sozialen dass wir hier nicht in diese Richtung kommen. Anker . Wir schlagen vor, nach dem Vorbild von Schwe- den und Großbritannien eine soziale Innovationsstiftung (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zu gründen, damit KI-Anwendungen eben nicht nur von SES 90/DIE GRÜNEN) der Industrie, von den Großen genutzt werden, sondern Herr Altmaier bemüht ja das Bild eines KI-Airbus. auch in der Fläche, bei den Menschen vor Ort. Übrigens Nun frage ich mich: Was ist das für ein Bild? Kriegen gilt das auch für Menschen mit Behinderung, für die In- wir künftig ein großes KI-Unternehmen oder wie bei Sie- klusion, für all diese Themen. Technologie muss für alle mens Tausende von KI-Mitarbeitern in einem KI-Indus- da sein. Das ist unser grüner Ansatz. triegiganten? Beglücken wir die Welt mit den Ideen einer zentralistischen Instanz? Ich glaube, das ist ein völlig Ich danke Ihnen. schiefes Bild. Ich glaube, die Frage ist doch: Wie schaf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fen wir es, dass die Tausenden von verschiedenen An- sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) wendungen – in der Medizin, in der Umweltschutztech- nik, in der öffentlichen Verwaltung – in der Gesellschaft Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gemeinwohlorientiert wirken und übrigens auch unseren Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Andreas Ressourcenverbrauch in der Ökonomie nicht steigern, Steier, CDU/CSU. sondern ganz klar senken? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Das Letzte, was wir brauchen, sind marktbeherr- schende monopolistische oder oligopolistische Markt- Andreas Steier (CDU/CSU): und Machtstrukturen durch KI. Auch darauf muss die Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie- Bundesregierung eine ganz klare Antwort geben: Wie be Kolleginnen und Kollegen! Schauen wir in der Ge- (B) schaffen wir es, in unserem Land einen fairen Wettbe- (D) schichte ein bisschen zurück: Wir haben in den 90er-Jah- werb zu gewährleisten? Im Süden Deutschlands, wo ich ren Standards im Bereich der künstlichen Intelligenz herkomme, haben wir zum Beispiel 1 500 Nischenwelt- gesetzt, gerade im Bereich der Industrie 4.0. Damals war marktführer. Um die geht es. Auch für die kleinen Unter- es die Regierung von Helmut Kohl, die die künstliche In- nehmen müssen wir einen Wettbewerb garantieren, bei telligenz als Thema besetzt hat. Anfang der 2000er-Jahre dem alle dabei sind. haben wir erlebt, dass durch neue Entwicklungen gera- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) de im Hardware- und Softwarebereich in einem dyna- mischen Consumermarkt Entwicklungen in den USA Wir – Anna Christmann und ich – haben vor kurzem stattfanden und dort Standards gesetzt wurden. Wenn wir quasi den Guru der französischen KI-Strategie Cédric jetzt auf die weitere Entwicklung schauen, dann müssen Villani – Sie nicken bei der SPD – bei uns zu Gast ge- wir sehen, dass es darum geht, die digital getriebenen habt, eine sehr beeindruckende Persönlichkeit, Träger Anwendungen mit der Physik, der Mechanik zu ver- der Fields-Medaille. Sie müssen sich mal anschauen, was einbaren. Da wird neue Wertschöpfung geschaffen. Da die Franzosen schon vorgelegt haben. Wir müssen das kommt die traditionelle Stärke unserer Industrie, unse- Rad nicht neu erfinden. Wir finden aber, dass es bei Ihnen rer Wirtschaft zur Geltung. Die Bundesregierung gibt in ein paar Leerstellen gibt. Eine Leerstelle ist zum Beispiel der KI-Strategie eine entscheidende Antwort. Sie bündelt das Thema „ökologische Wirtschaft“. Es ist in der fran- die Kräfte, die wir in Forschung und Industrie haben, um zösischen Strategie ganz klare Maßgabe, KI dafür einzu- neue Standards zu setzen und Entwicklungen voranzu- setzen, den Ressourcenverbrauch zu senken, intelligente treiben. Steuerungssysteme im Bereich der Mobilität, der Ener- gienetze einzusetzen. Da erwarten wir von Ihnen, dass Lassen Sie mich eine entscheidende Frage stellen: Sie auch etwas vorlegen; denn in Zeiten der Klimakrise Wie gehen wir dabei mit den Daten um? Es wurde eben können wir nicht über KI reden, ohne diese Themen ganz viel über Daten diskutiert. Wir müssen uns die Frage klar nach vorne zu stellen. stellen: Wie schaffen wir einerseits einen ethischen und moralischen Rahmen, und wie schaffen wir andererseits (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) genug Freiraum, um auch Entwicklungen zuzulassen? Ich rede gerne über Positives; aber man muss auch ne- Eine weitere entscheidende Frage ist: Wie stellen wir gative Szenarien sehen. Der Stromverbrauch durch die zukünftig sicher, dass wir Daten hier bei uns speichern Digitalisierung, durch die KI ist nach der französischen können? Die Bundesregierung hat auch darauf entschei- Strategie – das ist ein Szenario – im Jahre 2030 bis zu dende Antworten geliefert. Wir müssen nach der Vorlage zehnmal höher als heute. Wir brauchen also definitiv der Strategie jetzt an die konkrete Ausarbeitung gehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9477

Andreas Steier (A) Die Zeit dafür ist gekommen. Wir müssen sicherstellen, Modellierung rein, damit wir mit zusätzlicher Datenmo- (C) dass diese Daten bei uns weiterhin gespeichert, genutzt dellierung für Sicherheit sorgen können. Hier können wir und verwertet werden können. unsere Erfahrung weiter ausbauen, auch Vertrauen ge- winnen, wenn wir durch Qualität und Sicherheit überzeu- (Beifall bei der CDU/CSU) gen. Das gilt es, jetzt umzusetzen. Ich freue mich schon Die Ausarbeitung der KI-Strategie liegt jetzt vor uns. auf die konkrete Ausarbeitung. Ich helfe der Bundesre- Wir müssen nun die entsprechenden Schritte gehen. gierung auch gerne weiter. 50 Millionen Euro stehen bereits in diesem Jahr, also Vielen Dank. 2019, im Bundeshaushalt zur Verfügung. Jetzt gilt es, diese zu konkretisieren und mit gemäßigtem und schnel- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lem Schritt voranzugehen. ordneten der SPD) Weiterhin müssen wir dafür sorgen, dass wir auch bei uns eine Infrastruktur vorhalten, die hier Antworten gibt. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Chipentwicklung Nächster Redner ist Dr. Marc Jongen, AfD. bei uns vor Ort vorantreiben, dass wir zum einen die Wertschöpfungstiefe auch bei uns sicherstellen, dass wir (Beifall bei der AfD) zum anderen aber durch eine Chipproduktion, also eine Entwicklung bei uns, für Datensicherheit sorgen und ein Dr. Marc Jongen (AfD): Einfallstor hier schließen können. Ich höre aus der Indus- Herr Präsident! Werte Abgeordnete! So langsam trie bereits positive Stimmen, die weiterhin am deutschen spricht es sich auch in Deutschland herum: Die künstli- Standort interessiert sind. Das gilt es jetzt hier konkret che Intelligenz – KI oder englisch AI – ist dabei, die In- umzusetzen. dustrie, die Wirtschaft, die Arbeitswelt, in der Folge auch (Beifall der Abg. [CDU/CSU]) Kultur und Gesellschaft in atemberaubendem Tempo zu revolutionieren. Auf immer mehr Feldern, wo früher der Wir müssen bei der Softwareentwicklung dafür sor- Mensch benötigt wurde, um zu analysieren, um Entschei- gen, dass wir Daten speichern können und diese weiter dungen zu treffen, um geistige und körperliche Arbeit zu nutzen können. Jetzt gilt es, diese in der Ausarbeitung der verrichten, übernehmen selbstlernende Algorithmen im KI-Strategie voranzutreiben. Dann können wir auch hier Verein mit Robotern das Ruder. Nicht einmal als Endver- weiter dafür sorgen, dass die Wertschöpfung in Deutsch- braucher ist der Mensch mehr vor der Übernahme durch land stattfinden kann. Algorithmen sicher, siehe das selbstfahrende Auto. Aber wir dürfen auch in der Datenpolitik nicht über- (B) Die politisch entscheidenden Fragen lauten dabei: (D) treiben. Es wurde eben angesprochen: Die DSGVO hat Wie kann es gelingen, die vielen Berufsfelder und Ar- sehr hohe Standards gesetzt, Standards insbesondere im beitsplätze, die durch KI schlicht überflüssig werden, Bereich der Persönlichkeitsdaten. Wir müssen aber auch im selben Umfang und in der nötigen Geschwindigkeit weiterdenken und die Frage beantworten: Wie gehen wir durch neue zu ersetzen? Oder werden wir bald von einer mit anonymisierten Daten um? Gerade im Gesundheits- Antiquiertheit des Menschen auch in Bezug auf die Ar- bereich lässt sich hier großes Wachstumspotenzial ver- beit sprechen müssen? So viel ist sicher, werte Kollegen: wirklichen. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir Die vielen Milliarden, die Sie in die Ertüchtigung von mit weiteren synthetischen Daten umgehen, wie wir dort Migranten für den Arbeitsmarkt stecken, zusätzliche funktionale Sicherheit herstellen können. Nur mit Qualität und funktionaler Sicherheit haben wir (Zurufe von der SPD: Och!) in der Vergangenheit immer wieder auf dem Weltmarkt sind schon allein wegen der KI in den Sand gesetzt, weil überzeugen können. Das gilt es auch hier bei syntheti- diese geringqualifizierten Arbeitsplätze die ersten sind, schen Daten sicherzustellen. die wegfallen, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall bei der AfD) sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Sodann: Werden wir die oberste Kontrollinstanz über Ich nenne ein Beispiel. Vielleicht hat der eine oder die rapide wachsende Macht der Algorithmen bleiben, andere im Frühjahr letzten Jahres das sogenannte auto- oder wird uns dieser Prozess im wahrsten Sinne des Wor- nom fahrende Fahrzeug gesehen, das in Amerika leider tes über den Kopf wachsen? Und mit „wir“ meine ich einen Fahrradfahrer überfahren hat. Wenn man sich das nicht nur philosophisch das menschliche Subjekt, son- genauer anschaut, dann sieht man, dass dieses Fahrzeug dern vor allem politisch den Bürger als Souverän in der nur mithilfe von visuellen Daten versucht hat, sich durch Demokratie. den Verkehr zu quälen. Das wurde nur mit realen Daten gespeist. Wer schon einmal in den USA gewesen ist – ich Das Strategiepapier Künstliche Intelligenz der Bun- war über Weihnachten noch mal dort –, der weiß: Man desregierung deutet nicht darauf hin, dass die Koaliti- sieht kaum einen Fahrradfahrer auf der Straße. Auf der on überzeugende Antworten auf diese Fragen hätte. Für Autobahn sieht man noch viel weniger Fahrradfahrer. unsere Kanzlerin war bis vor kurzem selbst das Internet Das heißt, das trainierte Fahrzeug, das mit realen Daten noch „Neuland“. Insofern muss man es wohl honorieren, über die Straßen gefahren ist, hat den Fahrradfahrer nur dass der politische Handlungsbedarf in Sachen KI jetzt als Rauschen erkannt. Da gilt es, neue Standards zu set- erkannt worden ist. Eine wirkliche Strategie, das heißt zen. Es kommen synthetische Daten rein, es kommt eine ein Gesamtkonzept, eine leitende Idee, sucht man in Ih- 9478 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dr. Marc Jongen (A) rem Papier vergebens, werte Kollegen. Es ist eine An- knapp gegen menschlichen Redner in politischer Debat- (C) einanderreihung von Absichtserklärungen, bei denen oft te. – Die KI hat dabei vor allem Archive aus Zeitungs- eher der fromme Wunsch Vater des Gedankens ist, als artikeln für den Aufbau der eigenen Argumente genutzt. eine realistische Lageeinschätzung. Der menschliche Redner hat an der Stelle vielmehr das breite gesellschaftliche Bild gezeigt. Egal ob gewonnen (Beifall bei der AfD) oder nicht: Das zeigt am Ende die rasante Entwicklung, So schreiben Sie: die wir mit der KI in den letzten Jahren und Jahrzehn- ten weltweit erlebt haben. 1997 gewinnt die KI gegen „Artificial Intelligence ... made in Germany“ soll den menschlichen Schachweltmeister, 2011 gegen den zum weltweit anerkannten Gütesiegel werden. Menschen im TV-Quiz, 2016 gab es den chinesischen Es ist ja schön, dass Sie auf „Made in Germany“ über- Go-Moment. haupt noch Wert legen, nachdem Sie dabei sind, die deutsche Automobilindustrie durch völlig sinnfreie Denke ich an die Debatte zurück, dann kann ich mir Stickoxidgrenzwerte und andere Schikanen systema- ehrlicherweise einen Verweis auf meinen Vorredner nicht tisch zu ruinieren. Aber darauf, wie Sie den gigantischen ganz ersparen. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei Rückstand aufholen wollen, in dem sich Deutschland manchen hier im Bundestag nicht so lange dauert, bis die und Europa gegenüber China und den USA bereits befin- KI auch die menschliche Debatte und Qualität der Argu- den, bleiben Sie eine Antwort weitgehend schuldig. 100 mente überflügeln wird. hochkarätige neue KI-Professuren wollen Sie an deut- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen Universitäten besetzen, dabei sind die deutschen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Besoldungsvorschriften völlig ungeeignet, auch nur 10 internationale Spitzenkräfte ins Land zu holen. Selbst die Im Grunde ist es aber genau das nicht, was wir mit europäische Konkurrenz, Beispiel Holland, hängt uns re- der künstlichen Intelligenz verfolgen. Es geht nicht da- gelmäßig hier ab. rum, dass KI den Menschen ersetzt, sondern in unserer Sie wollen Standards setzen, um den Markt zu be- Strategie geht es darum, dass KI den Menschen ergänzt, stimmen, unter anderem auch ethische Standards. Aber die Fähigkeiten erweitert, dass die KI assistiert. Dass die glauben Sie wirklich, werte Kollegen, dass China sich künstliche Intelligenz ein Riesenpotenzial zur Verände- an die Standards von Diversität und Geschlechtergerech- rung im Arbeitsalltag und auch in der Wirtschaft beiträgt, tigkeit anpassen wird, die Sie der künstlichen Intelligenz sehen wir an allen Ecken und Enden. Wir haben Studien, einimpfen wollen? Vor allem die Grünen sind in ihrem dass das Bruttoinlandsprodukt bis 2030 allein durch den Antrag wieder einmal wahre Weltmeister der politischen Einsatz von künstlicher Intelligenz um über 11 Prozent (B) Korrektheit und sehen ihre Chance, sich eine virtuelle ansteigen wird, 430 Milliarden Euro. Das allein ist ein (D) Welt nach ihren ideologischen Vorstellungen zu model- wichtiger Grund, warum wir die künstliche Intelligenz in lieren, die dann auf die reale Welt zwingend zurückwir- der Strategie, in der Arbeit der Bundesregierung und un- ken soll – eine große Gefahr, die die AfD in der Enquete-­ serer Fraktion in den Mittelpunkt stellen. Und wichtig ist Kommission KI sehr wachsam im Auge behalten wird, dabei: Technologischer Fortschritt ist nie Selbstzweck, meine Damen und Herren. sondern muss der Gesellschaft immer einen Fortschritt und eine positive Veränderung bringen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Wir meinen, dass sehr viel mehr unternommen werden Steier [CDU/CSU]) muss, auch sehr viel mehr Geld in die Hand genommen werden muss, wenn Deutschland als KI-Standort nicht Es ist klar, dass die Strategie der Bundesregierung ein völlig abgehängt werden soll und tatsächlich führend wichtiger Auftakt, ein Startpunkt für unsere Arbeit mit werden soll. der künstlichen Intelligenz ist. Und ganz ehrlich, lieber (Dr. [SPD]: Ich bin sehr ge- Mario Brandenburg, da hilft es auch nichts, wenn du die spannt!) ewige Schallplatte der FDP auflegst, wie ihr es in jeder digitalpolitischen Debatte tut, nämlich dass ein Digi- Die AfD wird hierzu bald konkrete Anträge stellen. Wir talministerium das einzig Wahre und alles andere über- freuen uns auf die weitere Debatte. flüssig ist. Meine Güte! Nachdem ihr eure Strategie im Vielen Dank. Bundestagswahlkampf auf das Thema Digitalisierung beschränkt habt, lasst euch doch mal nach anderthalb (Beifall bei der AfD) Jahren was Neues einfallen! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Falko Mohrs, SPD, ist der nächste Redner. CDU/CSU – Mario Brandenburg [Südpfalz] (Beifall bei der SPD) [FDP]: Ihr könnt es ja auch einfach mal um- setzen!) Falko Mohrs (SPD): Diese Schallplatte kann keiner mehr hören. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Am Dienstag gab es eine interessante Überschrift, Frau Cotar, eine Sache zu Ihnen. Sie beschweren sich die da lautete: Maschine gegen Mensch: IBMs KI verliert darüber, dass hier externer Sachverstand genutzt wurde. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9479

Falko Mohrs (A) Ich würde Ihnen ehrlicherweise vielleicht mal zu ein we- Aber eines ist auch klar: Geld ist nicht alles, auch nicht (C) nig externem Sachverstand raten. bei KI. KI braucht auch Mut bei den Rahmenbedingun- gen. Wir reden hier seit Jahren und auch heute schon wie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des der über Probleme, Fragen und Risiken. Aber was muss Abg. Dr. [BÜNDNIS 90/DIE denn genau im Kartellrecht, im Verbraucherschutzrecht, GRÜNEN]) im Bereich des Datenschutzes oder bei der IT-Sicherheit Dann wären Ihre Argumente vielleicht etwas besser. Ihre getan werden? Wo genau verläuft denn die Grenze zwi- Fraktionsvorsitzende, auf deren Platz Sie sitzen, brüstet schen öffentlichen und nichtöffentlichen Daten, und was sich ja immer damit, dass sie doch die Unternehmerin, schlussfolgern wir denn daraus? Die Fragen sind ja seit die Start-up-Gründerin, die Unternehmensberaterin sei. Jahren im Raum, aber völlig ungeklärt. Das liegt nicht Ich weiß gar nicht, ob sie in ihrem Berufsleben lang ge- zuletzt daran, dass in der Bundesregierung einfach nie- nug in einer Firma gewesen ist, um das wirklich von sich mand dafür wirklich zuständig ist. behaupten zu können. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Sie, Frau Ministerin, und Ihre Kollegen von SPD und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Joana Union sprechen hier vor allem über die ethischen Fragen; Cotar [AfD]: Das ist billig, Herr Mohrs!) aber sie müssen eben auch einmal beantwortet werden. Denn, Herr Mohrs, technischer Fortschritt – das ist ganz Herr Jongen, Sie haben gesagt, dass Sie in der KI-En- richtig – muss den Menschen dienen, aber er muss auch quete wachsam sein werden. Ich würde mir wünschen, gelebt werden. Wir können ihn sowieso nicht aufhalten. Sie wären nicht nur wachsam, sondern würden sich auch beteiligen. Wachsam zu sein, reicht an der Stelle nämlich (Beifall bei der FDP – Falko Mohrs [SPD]: überhaupt nicht. Will ja auch keiner! – Zuruf des Abg. [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will Ihnen da gerne mal ein Beispiel nennen: Seit Jahrzehnten setzen wir Roboter zur Entschärfung und Meine Damen und Herren, für uns ist klar: Wir ver- zur Aufspürung von Bomben ein. Warum akzeptieren folgen mit der Strategie Künstliche Intelligenz der Bun- wir eigentlich gleichzeitig 3 300 Verkehrstote jedes Jahr, desregierung eindeutige, klare Ziele. Wir wollen, dass obwohl die KI die Mobilität mit dem autonomen Fahren Deutschland, dass Europa Weltmarktführer in dem Be- doch so viel sicherer machen könnte, reich wird. Dabei geht es nicht nur um den Bereich der Forschung und Innovation, in dem wir gut aufgestellt (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anke (B) sind. Dabei geht es uns auch darum, dass wir den Trans- Domscheit-Berg [DIE LINKE]) (D) fer sicherstellen. Das werden wir schaffen. und das auch noch mit unserer Technologie? Herzlichen Dank. Ein zweites Beispiel. Wir haben junge deutsche Fir- men, die in der Krebsfrüherkennung extrem weit sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und mithilfe von KI sehr viele Leben retten wollen. Dies der CDU/CSU) wird ihnen aber durch den Gemeinsamen Bundesaus- schuss unmöglich gemacht; denn er braucht geschlagene Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zwei Jahre, bis eine Bewertung von Hilfsmitteln vorge- Daniela Kluckert, FDP, ist die nächste Rednerin. nommen wird. In zwei Jahren, meine verehrten Damen und Herren, sind diese Firmen aber entweder insolvent (Beifall bei der FDP) oder eben abgewandert. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – René Daniela Kluckert (FDP): Röspel [SPD]: Es geht um Sicherheit! Das Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! muss man schon abwägen!) Innovationen und neue Entwicklungen brauchten schon Was wir endlich brauchen, ist erstens eine schonungs- immer Mut. Genauso braucht KI Mut. Wenn wir auf die lose Analyse. Wir müssen jede einzelne Norm kennen, Finanzen schauen, dann sehen wir da vor allem 3 Milli- die in Deutschland die Entwicklung von KI hemmt. arden Euro zusätzlich. Doch eine echte Strategie für eine Zweitens brauchen wir echte Entscheidungen, damit hier Innovation braucht eben auch echte Haushaltsmittel. Unternehmen überhaupt investieren und Wissenschaftler (Beifall bei der FDP) hierherkommen wollen. Drittens brauchen wir – das ist sehr dringend – Reallabore, damit wir mal ausprobieren Auch 3 Milliarden Euro in den nächsten sechs Jahren können, was denn funktionieren könnte. können Peanuts werden, wenn sie einfach nur auf ver- schiedenste Einzelprojekte verteilt werden. Hier mal ein (Andreas Steier [CDU/CSU]: Haben wir Vergleich: China investiert das 30‑Fache, und in China doch!) gibt es auch keine Restriktionen bei der Bezahlung von Dann könnten wir das, was funktioniert, für ganz Forschern. Wenn wir hier in Deutschland nicht aufpas- Deutschland übernehmen. sen, dann wandern unsere klügsten Köpfe ab. KI braucht Mut, liebe Bundesregierung. Ich hoffe, Sie (Beifall bei der FDP) haben ein bisschen mehr Mut als in den letzten Jahren 9480 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Daniela Kluckert (A) und auch mehr Mut, als diese Strategie erahnen lässt, und KI bringt also eine neue Stufe, die Bundesregierung of- (C) setzen auch etwas um. fensichtlich nicht. (Beifall bei der FDP) Letztes Beispiel: die Errichtung eines deutschen KI-Observatoriums, das die Auswirkungen von KI be- obachten soll. Aufgrund dieser scharfen Beobachtungen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: soll dann später irgendwann vielleicht die unverbind- Jessica Tatti, Fraktion Die Linke, ist die nächste Red- liche Auditierung von KI wenigstens geprüft werden. nerin. Die Bundesregierung will offensichtlich unsere Zukunft (Beifall bei der LINKEN) durch bloßes Beobachten und Prüfaufträge gestalten. Also, das ist wirklich mal ein spannender Ansatz. Jessica Tatti (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN – René Röspel Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und [SPD]: Das ist Technikfolgenabschätzung! Kollegen! Eine Strategie ist die Beschreibung einer lang- Das ist ein völlig richtiger Ansatz! Jetzt wi- fristigen Planung zur Erreichung genau beschriebener dersprechen Sie sich aber selber!) Ziele. Zu einer Strategie gehören die erforderlichen Res- Plattformen wie Deliveroo stehlen sich aus ihrer sourcen und überprüfbare Zwischenziele, damit anhand Verantwortung als Arbeitgeber, was die Bundesregie- von Kennzahlen gemessen werden kann, ob die Maßnah- rung aufmerksam beobachtet. Unternehmen wie Ama- men auch erfolgreich sind. zon überwachen ihre Beschäftigten auf Schritt und Tritt Wenn ich mir das Kapitel zur Arbeitswelt im Strate- mit digitalen Technologien, und Sie beobachten in aller giepapier zur künstlichen Intelligenz anschaue, lese ich, Ruhe, was der Markt so treibt. Beobachten ist aber – sei dass der Einsatz von KI zu einer – ich zitiere – „neuen es noch so ambitioniert – keine Ausrede für die Untätig- Stufe der Veränderung“ führe, „mit deutlichen Unter- keit dieser Bundesregierung. schieden zur bisherigen Automatisierung und Digitali- (Beifall bei der LINKEN – Falko Mohrs sierung.“ Ziel der Bundesregierung ist – und das freut [SPD]: Wiederholen macht es aber nicht rich- mich besonders –, dass KI „verantwortungsvoll und ge- tiger, Frau Kollegin!) meinwohlorientiert“ entwickelt und genutzt wird und zur „Steigerung des Wohlergehens der Erwerbstätigen“ Das Papier hat, was die Arbeitswelt und die Beschäf- führt. Das finde ich wunderbar. tigten angeht, den Namen „Strategie“ nicht verdient. Werfen Sie es einfach weg! Legen Sie uns was Vernünf- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tiges vor! (B) neten der SPD) (D) (Beifall bei der LINKEN) Dann kommen die Maßnahmen, die zur Erreichung dieser hehren Ziele führen sollen: eine Nationale Weiter- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: bildungsstrategie. Der Fokus auf Weiterbildung ist auch Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Anna völlig richtig. Allerdings sind weder die Nationale Wei- Christmann, Bündnis 90/Die Grünen. terbildungsstrategie noch der Ausbau und die Förderung der beruflichen Weiterbildung neue Ideen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der LINKEN: Das stimmt!) Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das alles steht bereits in der Umsetzungsstrategie „Digi- NEN): talisierung gestalten“ und im verabschiedeten Qualifizie- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und rungschancengesetz aus dem vergangenen Jahr. Ich gehe Kollegen! Wir hatten diese Woche im Forschungsaus- jetzt nicht wieder auf die Mängel des Qualifizierungs- schuss den EU-Forschungskommissar Carlos Moedas chancengesetzes ein, aber ich frage: Wo ist denn die neue zu Besuch, und er hat an etwas sehr Wichtiges erinnert, Stufe? nämlich daran, dass das weltweite Internet durchaus in (Beifall bei der LINKEN) Europa, beim CERN, erfunden worden ist. Nur leider sind dann von den Anwendungen, die sich daraus so Die Bundesregierung schreibt, sie wolle die betrieb- vielfältig ergeben haben, nicht mehr so viele aus Europa liche Mitbestimmung und den Beschäftigtendatenschutz gekommen. weiterentwickeln. Ich begrüße es natürlich, dass sich die Bundesregierung, wenn auch im Schneckentempo, den Jetzt haben wir mit der KI aber wieder eine Technolo- Forderungen der Gewerkschaften und meiner Fraktion gie, die durch Grundlagenforschung durchaus noch mal anzunähern scheint. Aber auch diese Willensbekundung ganz entscheidend weiterentwickelt werden kann. Das ist nicht neu, sondern ergab sich bereits aus der Debatte heißt, wir haben wieder die Stunde von Europa. Europa zur Digitalisierung der Arbeitswelt. Was da drinsteht, ist ist stark in Grundlagenforschung, und wenn wir jetzt un- überhaupt nichts Neues. sere Kräfte bündeln, dann können wir weltweit aus Euro- pa heraus die Standards für KI setzen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Matthias W. Birkwald [DIE Europa könnte richtig zeigen, was es kann. Aber was LINKE]: Ach! Das ist ja ein Ding!) macht die Bundesregierung? Sie verlieren sich in kleins- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9481

Dr. Anna Christmann (A) ten Aktivitäten wie 20 KI-Trainer hier und 12 Zentren Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) dort, statt glasklar auf ein europäisches Forschungsnetz- Nadine Schön, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. werk zu setzen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie setzen – das haben Sie eben auch mehrfach gesagt – Nadine Schön (CDU/CSU): auf „AI made in Germany“ statt auf „AI made in Europe“, und das ist ein Fehler. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie kann man die Ernte um 30 Prozent stei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gern? Indem man mit KI Pflanzenschädlinge bestimmt Andreas Steier [CDU/CSU]: Das steht doch in und zielgenau bekämpft. Wie kann man Stromkosten der Strategie drin!) senken? Indem man mit KI ein kluges Management Es gibt da längst auch die europäischen Initiativen von Wetterdaten, Strompreisen und Verbrauchsbedar- ­ELLIS und CLAIRE, Forschungsnetzwerke, die gerne fen macht, das Ganze geschickt mixt und entsprechend Unterstützung hätten. Sie lassen sie aber leider links lie- steuert. Wie kann man Krebsdiagnosen und -therapien gen. Dabei muss es unbedingt unser Ziel sein, dass so verbessern und dadurch zur Bekämpfung von Krebs bei- eine weitreichende Technologie wie maschinelles Lernen tragen? Indem man mit KI die Kompetenzen der Ärzte von Menschen entwickelt wird, die unsere Werte teilen. erweitert und Therapieempfehlungen generiert. Dann hat sie nämlich das Potenzial, bei ökologischen All das wird heute schon gemacht, und zwar von deut- und sozialen Herausforderungen zu helfen und uns den schen Unternehmen: von deutschen Start-ups, die deut- Alltag zu erleichtern. Überlassen wir es hingegen auto- sches Wissen aus der Forschung generiert und in kluge kratischen Systemen wie China, kommt Social Scoring Geschäftsmodelle überführt haben und damit die Pro- dabei heraus. Das müssen wir verhindern. bleme der Welt in den nächsten Jahren lösen. Das sind (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erfolgreiche deutsche Unternehmen, und darauf können wir sehr stolz sein. Es wäre daher dringend an der Zeit, dass Sie eine klare Initiative für eine europäische Entwicklung für KI und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- für globale Standardsetzung für ihre Anwendung erar- ordneten der SPD) beiten. Aber mit der Umsetzung hat es die Bundesregie- rung ja leider nicht so sehr. Denn von den angekündigten Natürlich muss die Opposition zur KI-Strategie der Milliarden sind bisher nur 50 Millionen Euro dieses Jahr Bundesregierung sagen, dass es zu wenig ist, dass es überhaupt in den Haushalt eingestellt, und – das kommt noch ein bisschen mehr sein sollte und schneller gehen (B) noch dazu – sie sind ja noch nicht mal verteilt. Auf unse- müsste und was Sie sonst noch so gesagt haben. Aber (D) re Nachfrage hin hat die Bundesregierung uns mitgeteilt, was mich optimistisch stimmt, ist, dass die Debatte heute man arbeite gerade noch am Gesamtkonzept zur Vertei- eigentlich schon von Optimismus geprägt war. Ich finde, lung dieser 50 Millionen Euro. Immerhin haben Sie er- das brauchen wir auch. Denn Zukunft wird aus Mut ge- kannt, dass die Strategie offenbar noch nicht dafür taugt, macht. Wir müssen optimistisch in die Zukunft schauen. überhaupt zu wissen, wofür man das Geld ausgibt. Aber (Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE wir stellen fest: Sie haben 3 Milliarden Euro ins Schau- GRÜNEN) fenster gestellt, und jetzt wissen Sie noch nicht mal, was Sie mit den 50 Millionen Euro dieses Jahr machen sollen. – Ich freue mich, dass die Grünen der gleichen Meinung Das ist zu wenig. sind. – Wir müssen anpacken, statt nur zu meckern. Wir brauchen mehr Optimismus und mehr Start-up-Mentali- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tät, und das, liebe FDP, kann man nicht messen. Das ist Dabei gäbe es wirklich genug Ideen, was man sofort entweder da, oder es ist nicht da. tun könnte. Wir haben dazu Vorschläge gemacht – schau- en Sie gerne in unseren Antrag, der seit Herbst vorliegt –: KI stellt einiges auf den Kopf, und deshalb müssen unter anderem 100 Millionen Euro für ein europäisches auch wir einiges auf den Kopf stellen, und zwar deutlich Forschungsnetzwerk, aber zum Beispiel auch für soziale schneller als bisher. Es ist gut, dass wir über 100 neue Innovationen und für mehr Frauen in der KI-Entwick- KI-Professuren schaffen. Hier entstehen die Ideen von lung. Denn es kommt auch darauf an, wer KI entwickelt, morgen. also auf Diversität. Da haben Sie auf Nachfrage vor allem Liebe Frau Christmann, Sie kritisieren, dass das ganze den Girls’ Day erwähnt. Ich finde den Girls’ Day super, Thema angeblich nicht europäisch eingebettet ist. Aber (Beifall der Abg. Dr. es gibt diese europäischen Verbünde. Es gibt CLAIRE, [SPD]) wo gerade das Deutsche Forschungszentrum für Künstli- che Intelligenz die Federführung übernimmt und wo aus aber ich glaube, das kann nicht der ganze Weg sein, um Deutschland heraus der europaweite Forschungsverbund die KI-Expertinnen zu gewinnen, die wir brauchen. gesteuert und geprägt wird. Wir sind da mit dabei, und Danke schön. deshalb ist Ihre Kritik an der Stelle völlig fehl am Platz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE der FDP) GRÜNEN]: Hören Sie überhaupt zu?) 9482 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Nadine Schön (A) Dass sich in den Ländern im Bereich der digitalen die Marktmacht haben und die auf einem großen Daten- (C) Bildung einiges bewegt, ist gut. Ich finde allerdings, reichtum sitzen. es reicht nicht, nur nach der Infrastruktur zu rufen, die (Andrea Nahles [SPD]: Sie haben es noch der Bund bezahlt, sondern auch die Inhalte müssen sich nicht gelesen!) ändern. Computing bzw. digitale Grundkompetenzen braucht zukünftig jeder. Jeder einzelne Schüler muss Ich will nicht, dass wir diesen Datenreichtum öffnen, da- nicht nur wissen, wie er mit dem PC arbeitet, sondern er mit sich andere daraus bedienen. muss auch wissen, wie er mit Daten arbeitet. Das muss sich schneller als bisher ändern. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Da ist der Mut ganz schön schnell verloren gegangen!) Deshalb ist es richtig, dass die Ministerin nicht nur Hier brauchen wir Schnittstellen und Interoperabilität. eine KI-Strategie vorlegt, sondern auch eine nationale Wir müssen dafür sorgen, dass die Unternehmen diese MINT-Strategie, dass wir Wert darauf legen, dass jeder Datenschätze gemeinsam nutzen können, aber am besten Schüler mit dem Thema MINT und mit IT zu tun hat, hier, damit nicht andere Großkonzerne darauf zugreifen. und dass wir hier gerade auch einen Schwerpunkt auf die Deshalb ist Ihr Konzept an der Stelle zu hinterfragen. Frauen und Mädchen legen. Ich freue mich aber, dass Experten etwa in der Daten- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ethikkommission und auch in der Enquete-Kommission gerade parallel an Antworten auf diese Fragestellungen Verwaltung muss sich ändern, Regulierung und Ge- sitzen. Ich denke, dass sich in den nächsten Wochen und setzgebung ebenfalls. Das Thema Reallabore wurde Monaten sehr viele kluge Vorschläge ergeben. Die müs- angesprochen. Natürlich brauchen wir neue Methoden. sen wir umsetzen, und dann kommen wir in unserem Aber das ist Teil der KI-Strategie. Speziell Reallabore Land auch gut voran. und Testfelder werden in der Strategie erwähnt und sogar schon umgesetzt. Im BMWi gibt es längst ein Programm (Beifall bei der CDU/CSU) für Reallabore. Das gilt es zu nutzen. Wir müssen Inno- vationen testen und ausprobieren können, damit wir auch Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: als Gesetzgeber wissen, wo man die Regulierung ent- René Röspel, SPD, ist der nächste Redner. sprechend anpassen muss. Wir brauchen neue Freiräume, und das ist die große Chance, die auch in der KI-Strategie (Beifall bei der SPD) der Bundesregierung enthalten ist. René Röspel (SPD): (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ordneten der SPD) Herren! Am Ende einer Debatte mit wenig Redezeit kann man es sich vielleicht leisten, auf ein paar grundsätzli- Unternehmen müssen agiler werden und Daten teilen. che Fragen oder Betrachtungsweisen zurückzukommen. Denn Fakt ist: Wir brauchen gerade zum Training von Wir haben gerade viel darüber gehört, dass es wichtig künstlicher Intelligenz unglaublich viele Daten, und zwar ist, KI, künstliche Intelligenz, in Deutschland weiter zu in guter Qualität. Deshalb ist es gut, dass die Bundes- erforschen, zu fördern und zu unterstützen. Das ist alles regierung dafür gekämpft hat, dass wir in Brüssel jetzt richtig, und das ist auch gut so, und das soll auch weiter- bei der Urheberrechtsreform eine Regulierung schaffen, hin gemacht werden. Wir haben von Frau Schüle, Falko die KI-freundlich ist und es ermöglicht, mit Text- und Mohrs, aber auch von Nadine Schön ganz viele Beispiele Data-Mining auch wirklich diese Datenschätze zu heben, dafür gehört, was in Deutschland tatsächlich schon ge- die wir vor Ort haben. Bei der ganzen Diskussion um Ar- macht wird. Das ist eine große Fülle. Das ist auch gut, tikel 13 der Urheberrechtsreform, die wir in diesen Tagen und wir sind international tatsächlich relativ gut aufge- gerade in den sozialen Netzwerken erleben, gerät das lei- stellt. der aus dem Blick. Wir brauchen hier eine KI-freundliche Regulierung, und gerade dafür hat die Bundesregierung Aber trotzdem muss man an der einen oder anderen in den letzten Tagen gesorgt. Stelle sagen: Diese Debatten sind häufig eine Instrumen- tendebatte, also wir diskutieren hier politisch: Welche Es gilt, den Datenreichtum der Unternehmen besser zu Details muss man vielleicht ändern? Welche Instrumente nutzen. An der Stelle finde ich interessant, was die SPD sind besser? Was ist falsch in der Strategie? Was ist zu in den letzten Tagen vorgelegt hat. In vielen Punkten sind detailliert in der Strategie? Wo ist das, was die Bundes- wir einer Meinung. Auch wir sind der Meinung, dass regierung vorgeschlagen hat, zu offen, zu groß? Dann man Open Data von staatlicher Seite besser nutzen muss. ist die Frage: Ist es eigentlich sinnvoll, dass wir hier In­ Das war übrigens eine Initiative, die wir in der letzten strumentendebatten führen? Ich bin für politischen Streit Legislaturperiode gemeinsam vorangetrieben haben und gerne zu haben. Aber ist es im Bereich der künstlichen die nun die Bundesregierung in die Tat umsetzen muss. Intelligenz und der Frage, wie man sie voranbringt, sinn- voll, politisch über Instrumente zu streiten? Aber, um noch mal auf diesen Punkt einzugehen, wer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) soll dazu gezwungen werden, seine Daten offenzulegen? Sie sprechen in Ihrem Konzept von Unternehmen mit Sollten nicht vielmehr die Bundesregierung und die Re- Marktmacht. Wir haben aber auch viele Mittelständler, gierungskoalition für gute Vorschläge aus der Opposition Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9483

René Röspel (A) offen sein? Oder sollte man nicht auch umgekehrt sagen: Alle diese Fragen der gesellschaftlichen Weiterent- (C) „Da läuft die Strategie der Bundesregierung gut“? wicklung, finde ich, müssen wir diskutieren. Und dann muss man überlegen: Wie ist KI eigentlich zu entwickeln Müssten wir nicht eigentlich gemeinsam parlamen- und zu nutzen? Da haben jedenfalls wir als Sozialdemo- tarisch eine Idee entwickeln, wie künstliche Intelligenz kratie eine Gesellschaft im Kopf, in der die Menschen bzw. vor allen Dingen die Rahmenbedingungen für Wis- frei, selbstbestimmt und ohne Druck von außen leben senschaftlerinnen und Wissenschaftler so gestaltet wer- und in der KI tatsächlich zum Nutzen der Gesellschaft den können, dass sie freier, besser und verlässlicher for- angewandt wird. schen können? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der CDU/CSU) Denn am Ende entscheiden gar nicht wir politisch über Es gab dazu die kluge Entscheidung dieses Parlaments, das, was dabei herauskommt, sondern das tun die Wis- eine Enquete-Kommission einzusetzen. Wenn die tat- senschaftlerinnen und Wissenschaftler. Deswegen sollten sächlich gut arbeitet – das ist ja festzustellen –, werden wir uns politisch konzentrieren und auch über die großen wir interfraktionell genau diese Ziele diskutieren – mit Fragen diskutieren. Ausnahme einer Fraktion, die nicht auf Zusammenfüh- Häufig ist in der Diskussion eben auch der Wettbe- rung, sondern nur auf Spaltung ausgerichtet ist, mit dem werbsgedanke zu spüren. Da gucken wir sehr panisch Ergebnis, dass der AfD-Sprecher, der tatsächlich Ahnung darauf: Was machen die USA? Wie viel Geld geben sie von der Sache hat, aus der AfD ausgetreten ist; das muss dafür aus? Was geben wir aus? Sind 3 Milliarden Euro auch einmal gesagt werden. viel oder wenig? Übrigens zu Ihrer Zahl von 50 Millio- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen Euro, Anna Christmann: Wenn man sich die unter- der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- schiedlichen Etats der Bundesregierung anguckt, dann SES 90/DIE GRÜNEN) stellt man fest: Wir geben jetzt schon über 140 Millionen Euro für künstliche Intelligenz aus. Wenn man den gest- Sie verlieren Ihren Sachverstand und brauchen mehr ex- rigen Parlamentarischen Abend des Deutschen Zentrums ternen Sachverstand. für Luft- und Raumfahrt besucht hat, konnte man erfah- Der Wunsch an die Enquete-Kommission ist, dass tat- ren, wie viel Geld über die institutionelle Finanzierung sächlich die gesellschaftlichen Fragen diskutiert werden. für künstliche Intelligenz ausgegeben wird. Also, wir ge- Dann können wir politisch gemeinsam Vorstellungen ben schon viel Geld aus. Aber ist das wirklich die wahre entwickeln, wofür wir KI eigentlich brauchen. Betrachtungsweise? Vielen Dank. (B) Die USA sind doch viermal größer als Deutschland. (D) 1 400 Millionen Chinesen stehen 80 Millionen Deut- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen gegenüber. Das Land ist 17‑mal größer als unseres. der CDU/CSU) Glauben wir allen Ernstes, dass wir das 17‑Fache an Geld ausgeben und mit den Chinesen vielleicht gleichziehen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: können? Umgekehrt: Macht man eine Pro-Kopf-Betrach- Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Ronja Kemmer, tung, stellt man fest: All unsere gesellschaftlichen Daten CDU/CSU. in Deutschland sind viel besser. Also, ich will darauf hi- naus: Müssen wir uns eigentlich das Ziel setzen, Welt- (Beifall bei der CDU/CSU) marktführer in diesem Bereich zu werden, in dem die Konkurrenz groß ist? Oder müssen wir nicht vielmehr Ronja Kemmer (CDU/CSU): die Frage stellen: Welches Ziel haben wir eigentlich ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sellschaftlich? Wo wollen wir hin? Darüber können wir Jetzt, zum Ende der Debatte, glaube ich, kann man zu- auch eine politische Debatte führen. sammenfassen, dass schon viele wichtige Punkte ange- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie sprochen worden sind. Deswegen will ich mich auf einen des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE Bereich fokussieren, in dem ich besonderen Handlungs- GRÜNEN]) bedarf sehe: auf den Einsatz von KI im Mittelstand. Vor diesem Hintergrund ist es gut, dass in der KI-Strategie Wie können wir künstliche Intelligenz nutzen, damit die die KMU besonders genannt werden und vor allem auch Menschen in unserem Land besser leben? Vielleicht wer- deren Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit ge- den wir nicht Technologie- und Weltmarktführer, wenn stärkt werden sollen. wir diese Ziele verfolgen und uns fragen: Wie werden Menschen besser leben? Wie können wir Arbeit so ver- Der Mittelstand hat unser Land stark gemacht. ändern, dass Menschen nicht Angst haben, ihren Arbeits- (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) platz zu verlieren, ohne dass etwas anderes kommt? Wir haben eine große Vielfalt von Betrieben. Sie sind (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wichtige Zentren vor Ort und in der Fläche für Innovati- onen. Sie sind letztendlich das wirtschaftliche Rückgrat Dazu kann man sich auch einmal die Verdi-Vorschläge in den Gemeinden, aber auch unseres gesamten Landes. angucken. Wie können wir eigentlich die Effizienzge- winne nutzen, um damit Sozialsysteme, Pflegesysteme, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Gesundheitssysteme oder das Ehrenamt zu stärken? der SPD) 9484 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Ronja Kemmer (A) Aber wie sieht das künftig aus? Ich wünsche mir, dass und zwar einer zur Interpretation von Kundenanschrei- (C) wir auch in 20 Jahren noch Weltmarktführer und Hidden ben. Wir wissen genau, was in einem solchen Fall pas- Champions in ganz Deutschland verteilt haben. siert: Es gibt die nächste Rationalisierungswelle. Ja, wir brauchen KI-Ökosysteme in den Ballungszen- Was machen Sie als Regierung, wenn Sie sagen, Sie tren. Wir brauchen Leuchttürme. Aber wir brauchen KI wollen Organisationsstrukturen überdenken und neu de- eben auch in der Fläche. Ich denke, das ist realistisch; finieren? aber das ist kein Selbstläufer. Vieles wird davon abhän- gen, wie gerade im Mittelstand die Chancen von KI ge- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie ist nutzt werden. Da haben wir einen gewissen Aufholbe- doch gar keine Regierung! Sie ist Abgeordne- darf. Wenn man sieht, wie viele Mittelständler heute in te!) KI investieren, dann ist das doch noch ziemlich zurück- Wie unterstützen Sie denn in dem Fall die Arbeitnehmer? haltend. Im Vergleich zur Industrie ist es eben so, dass Wie unterstützen Sie die Bundesagentur für Arbeit dabei, Entwicklungsabteilungen, dass IT-Abteilungen mit dem das vorauszudenken? Wie werden in dem Fall die weite- Tagesgeschäft meistens schon ziemlich gut ausgelastet ren Ausbildungen durchgeführt, gerade im Hinblick da- sind und dass auch in den Führungsetagen wenig Zeit ist, rauf, dass auch durchaus qualifizierte Arbeitsplätze jetzt sich mit dem Thema KI auseinanderzusetzen. sukzessive wegfallen werden? Könnten Sie das mal et- Hier gilt es, aufzupassen, dass wir Potenziale nicht was konkretisieren? verschenken, dass wir auch ganz klar sehen: Viele Schlüsseltechnologien können durch KI auf neue Inno- Ronja Kemmer (CDU/CSU): vationsstufen gehoben werden. – Aber es geht eben nicht Ja, das mache ich sehr gerne. Ich will zunächst mal nur um Produktivitätssteigerungen. Es geht um komplett anmerken, dass hier schon wieder der Unterschied zwi- neue Geschäftsmodelle. Es geht um neue Produkte. Es schen der AfD und den anderen Fraktionen im Haus geht auch darum, Organisationskulturen und Prozesse deutlich wird. Es geht nicht darum, Ängste zu schüren. ganz neu zu denken. Es wäre schön, wenn Sie sich mal mit Fakten und Studi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU en auseinandersetzen würden. Wir haben die Studie des sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Fachkräftemonitors, die besagt, dass wir durch die digi- tale Transformation in den nächsten Jahren ein Plus von Hier sind wir auch politisch gefragt, die Weichen richtig über 1 Million Jobs in unserem Land haben werden. Ja, zu stellen. natürlich, wir werden auch Arbeitsplätze verlieren. Des- Viele wichtige Punkte in der Strategie mit Blick auf wegen ist aber insgesamt das Thema „Weiterbildung und (B) KMU wurden schon genannt. Wir haben die Kompetenz- lebenslanges Lernen“ ganz wichtig. (D) zentren, in denen künftig KI-Trainer KMU beraten kön- ( [CDU/CSU]: Genau so ist nen, wie KI-Anwendungen relevant einzubringen sind. es!) Wir haben die Reallabore, mit denen auf der einen Seite gute Experimentierräume für die Unternehmen geschaf- Entscheidend ist: Wir haben ein Plus an Jobs und kein fen werden können; auf der anderen Seite stellt sich für Minus. Politisch ist es die Aufgabe, dass wir die Rah- uns als Gesetzgeber aber dabei die Frage: Wo besteht menbedingungen richtig gestalten und nicht nur Ängste denn konkreter Handlungsbedarf? schüren, weil wir so in diesem Land nicht vorankommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Frau Kollegin Kemmer, der Kollege Hebner, AfD, NISSES 90/DIE GRÜNEN – René Röspel würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. [SPD]: Das ist das Problem, wenn der AfD die Fachkräfte verloren gehen!) (CDU/CSU): Ronja Kemmer Zurück zu den wichtigen Punkten in der Strategie. Ja, gerne. Mein dritter Punkt – Stichwort: steuerliche Forschungs- (Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- förderung – wurde auch schon angesprochen. Klar ist NEN]: Kommt jetzt irgendwas mit Flüchtlin- auch: Wir können und müssen von staatlicher Seite viel gen?) Geld in die Forschung geben. Aber das kann eben nicht nur staatliches Geld sein. Wir brauchen private Investi- tionen. Und vor allem müssen wir darauf achten, dass (AfD): Martin Hebner sich die Innovationsausgaben nicht auf immer weniger Frau Kemmer, Sie hatten gerade sehr nett gesagt, dass Unternehmen konzentrieren, sondern in der Fläche erhal- wir Organisationsstrukturen in den Firmen neu definie- ten bleiben. ren müssten. Ich weiß jetzt nicht, ob Sie schon einmal in einer Firma tätig gewesen sind. Ich zum Beispiel war als Vierter Punkt. Wir müssen Plattformen schaffen, um Diplom-Informatiker bei einem großen Versicherungs- den Mittelstand und Start-ups, insbesondere KI-Start- konzern für die Einführung einer KI-Anwendung beglei- ups, besser zusammenzubringen, um für mehr Austausch tend zuständig, und Transfer zu sorgen. (Falko Mohrs [SPD]: Warum sind Sie denn Bei aller Liebe, liebe Linke, zur Kritik, die Bundesre- da nicht geblieben?) gierung sei untätig: Sie haben in der Debatte als einzige Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9485

Ronja Kemmer (A) Fraktion keinen eigenen Antrag eingebracht. Vielleicht europäischer Werte entwickeln und zum Wohl von Ge- (C) fangen Sie an dieser Stelle erst mal bei sich selber an. sellschaft und Umwelt gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit Zuruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD gegen die Insgesamt wird im Bereich KI bis 2022 ein Potenzial Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke bei für den europäischen Raum in Höhe von 10 Milliarden Enthaltung der FDP angenommen. Euro vorausgesagt. Deswegen will ich zum Schluss ein- fach nur sagen: Liebe Grüne, KI made in Germany und Damit rufe ich Tagesordnungspunkt 9 auf: KI made in Europe – das gehört zusammen. Das ist kein Erste Beratung des von den Abgeordneten Gegensatz, sondern das ist ineinander verzahnt. Dr. Dirk Spaniel, Roman Johannes Reusch, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Leif-Erik Holm, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs eines Wir setzen dafür die Rahmenbedingungen. Sie haben Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über er- noch vor einigen Monaten kritisiert, es gebe keine Stra- gänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in tegie, jetzt kritisieren Sie es gebe eine Strategie, wo wir Umweltangelegenheiten nach der EG-Richt- natürlich für unser Land eine Vision und die entsprechen- linie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsge- den Maßnahmen benennen. Von daher: Die Strategien setz – UmwRG) Deutschlands und Europas gehören natürlich zusammen. Wir arbeiten daran. Drucksache 19/7702 Herzlichen Dank. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- heit (f) ordneten der SPD) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Federführung strittig Damit schließe ich die Aussprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Zu Tagesordnungspunkt 16 a wird interfraktionell die die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei- Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 19/5880 an nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Ich bitte, die Plätze wieder einzunehmen. schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offen- (B) (D) bar der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dr. Dirk Spaniel, AfD. Tagesordnungspunkt 16 b. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For- (Beifall bei der AfD) schung und Technikfolgenabschätzung auf der Drucksa- che 19/7742. Dr. Dirk Spaniel (AfD): Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der und Herren! Halb Deutschland ist betroffen durch Fahr- Fraktion der AfD auf Drucksache 19/6062 mit dem Titel verbote. Diese Fahrverbote sind durch Klageverfahren in „Künstliche Intelligenz – Forschung und Anwendung für Luftreinhalteplänen verankert worden. Und diese Klage- den Innovationsstandort Deutschland und zum Wohl un- verfahren wurden vor allen Dingen von der Deutschen serer Gesellschaft fortentwickeln“. Wer stimmt für diese Umwelthilfe durchgeführt. Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung ange- (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nommen gegen die Stimmen der AfD bei Enthaltung der Politiker von CDU/CSU und FDP haben in Interviews FDP mit den Stimmen der übrigen Fraktionen. und Talkshows großspurig angekündigt, gegen die Deut- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- sche Umwelthilfe vorzugehen. Das Verbandsklagerecht fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der bzw. die Gemeinnützigkeit solle aberkannt werden. Al- Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/5629 mit dem lerdings ist es wie so oft: Den großspurigen Ankündigun- Titel „Strategie der Bundesregierung zu Künstlicher In- gen folgte: nichts. telligenz erfolgsorientiert ausrichten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – (Beifall bei der AfD) Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung Die erste Vorlage, die sich dieses Themas annimmt, mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Die Linke bei kommt hier und heute von der AfD. Enthaltung von AfD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP angenommen. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- Etliche Bürger haben mich angeschrieben, und wir ha- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- ben uns die europäische Gesetzgebung zu diesem The- tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/5667 ma mal genauer angeschaut. Wieder einmal haben wir mit dem Titel „Künstliche Intelligenz – Auf Grundlage festgestellt: Das Problem liegt nicht in der EU-Richtlinie 9486 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dr. Dirk Spaniel (A) begründet, sondern in der ungeschickt oder gezielt bös- halb Deutschland lahmlegen kann. Das wollen wir än- (C) willigen Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht. dern.

(Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – [DIE LINKE]: Sie schützen wieder einmal die Be- Die AfD will mit dem vorliegenden Gesetzentwurf trüger in der Autoindustrie! – Weitere Zurufe das Umwelt- und Verbandsklagerecht keinesfalls ab- von der LINKEN) schaffen. Im Gegenteil: Das Verbandsklagerecht soll Zum Abschluss noch ein paar Worte an die Kollegen auf Landkreise und Gemeindeebene ausgedehnt werden, von CDU und CSU. Es reicht nicht, wenn Sie sich medi- damit zukünftig auch Bürger eines kleinen Gebiets die al echauffieren, sich betroffen fühlen und über die Aber- Möglichkeit haben, sich umweltrechtlich Gehör zu ver- kennung von Gemeinnützigkeit diskutieren. Bei diesem schaffen, beispielweise gegen die Verschandlung unserer Gesetzentwurf müssen Sie Farbe bekennen. Sie können Natur durch Windräder. beweisen, dass Sie sich für die Interessen der Bürger in (Beifall bei der AfD) unserem Land einsetzen oder ob Sie nur Sonntagsreden halten. Wir wollen nicht die Ausschaltung von Umweltorga- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) nisationen, wir wollen aber endlich Fehlentwicklungen im Verbandsklagerecht beheben. Wir wollen nicht, dass Nutzen Sie diese Chance! Machen Sie endlich wieder Organisationen in Deutschland das Verbandsklagerecht Politik im Interesse unseres Landes und seiner Bürger! missbrauchen, um sich selbst zu bereichern. Diesen Or- Wenn Sie es nicht machen, dann geben wir den Takt vor. ganisationen geht es weder um saubere Luft noch um die Vielen Dank. Natur. Es ist schlicht ein Geschäftsmodell. (Beifall bei der AfD) Das Verbandsklagerecht im Zuge der Umsetzung einer europäischen Richtlinie gibt es seit zwölf Jahren. Eine Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bestandsaufnahme zeigt, dass dringender Handlungs- Jetzt erteile ich dem Kollegen Torsten Schweiger, bedarf für eine Gesetzesänderung besteht. Das Problem CDU/CSU, das Wort. will ich Ihnen kurz erklären: Vereinigungen mit wenigen Hundert Mitgliedern können volkswirtschaftlich wichti- (Beifall bei der CDU/CSU) ge Projekte aufhalten oder gar verhindern. Viele dieser Vereinigungen verfolgen kommerzielle Ziele oder sind Torsten Schweiger (CDU/CSU): Abmahnvereine. Durch die Intransparenz der Finanzie- (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (D) rungsstrukturen ist es möglich, dass Wettbewerber sowie Kollegen! Ja, wir werden Farbe bekennen, aber sicher- ausländische Organisationen oder Staaten heimischen lich nicht die, die Sie sich an dieser Stelle wünschen. Unternehmen direkt schaden können. Eine Gesetzesän- Deswegen will ich zunächst einmal sachlich auf die Din- derung ist deshalb dringend erforderlich. ge eingehen. (Beifall bei der AfD) Im Umwelt- und Naturschutzrecht gibt es in der Tat die Besonderheit, dass Umweltverbände Klagen vor Wir wollen, dass sich anerkannte Umweltvereinigun- Verwaltungsgerichten erheben können, ohne in den ei- gen zukünftig ausschließlich statt wie bislang vorwie- genen Rechten betroffen zu sein. Diese sogenannte Um- gend dem Ziel des Umweltschutzes zu widmen bzw. zu weltverbandsklage hat ihre gesetzlichen Grundlagen unterwerfen haben. im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und im Bundesnatur- schutzgesetz sowie natürlich in den landesrechtlichen Wir wollen, dass Finanzierungsstrukturen offengelegt Bestimmungen, die da ja oftmals sehr verschieden sind. werden. Wo kommen die Spender her? Sind es ausländi- Zentrale Forderungen des vorliegenden Gesetzentwurfs sche Unternehmen, sind es fremde Staaten? Momentan zielen daher zunächst richtigerweise auf die Vermeidung ist das alles verschleiert. von missbräuchlichen Klagemöglichkeiten der Verbände Wir wollen, dass Spenden von außerhalb der EU nicht ab. mehr angenommen werden dürfen, um zu unterbinden, Als unbestimmte Rechtsauslegung, was missbräuch- dass ausländische Organisationen unsere Wirtschaft lich ist und was nicht, werden Einschränkungen vorgese- lahmlegen können. hen, die aus Sicht unserer Fraktion verwaltungstechnisch nicht praktikabel sind bzw. eher zu weiteren strittigen (Beifall bei der AfD – Zurufe vom BÜND- Auseinandersetzungen führen werden. NIS 90/DIE GRÜNEN) So soll zum Beispiel das Verbandsklagerecht nur noch Zukünftig sollen Vereinigungen nur noch anerkannt Verbänden zugestanden werden, deren Mitgliederzahl werden, wenn sie mindestens 0,1 Prozent der Wahlbe- in ihrem Tätigkeitsbereich – das wurde gesagt – einem rechtigten in ihrem Tätigkeitsgebiet als Mitglieder auf- Tausendstel der dort Wahlberechtigten entspricht. Ganz weisen. Das entspricht übrigens dem Europawahlrecht. abgesehen von der Frage, wie das abschließend ermittelt Die großen Umweltorganisationen NABU und BUND und auf dem aktuellen Stand gehalten werden soll, stehen haben damit kein Problem. Es ist aber ein Unding, dass bei Klagebefugnis weiterhin alle Rechtsinstanzen mit er- eine Organisation mit wenigen Hundert Mitgliedern heblichen Verfahrensdauern offen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9487

Torsten Schweiger (A) Verbände mit Verbandsklagerecht im Umweltschutz in der Planungsphase an, worauf ja das im letzten Jahr (C) sollen ausschließlich dem Umweltschutz verpflichtet verabschiedete Gesetz zur Planungsbeschleunigung zielt. sein. Auch für die Durchführung wäre ein Gesetz nach dem Beispiel des Infrastrukturbeschleunigungsgesetzes – Eine regelmäßige Prüfung der Einstufung als gemein- wie nach der Wiedervereinigung – zielführender, da es nützige Organisation ist ein durchaus richtiger Ansatz im grundsätzliche rechtsstaatliche Möglichkeiten nicht aus- vorliegenden Entwurf. Allerdings eröffnen die Kriterien hebelt, aber mit Instanzeinschränkungen maßgeblich zu im Gesetzentwurf wiederum Auslegungsmöglichkeiten. Verfahrensverkürzungen beigetragen hat. Damit wird dieser Ansatz in der Praxis nicht halten, was er auf dem Papier verspricht. Wenn – wie in jüngster (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ Vergangenheit – zum Beispiel von der schon genann- CSU]) ten Deutschen Umwelthilfe Klagen geführt werden, die Hier sind weitere Initiativen der Koalition in dieser Le- sich offenbar nicht mehr nur an konkreten Einzelfällen gislatur geplant. Ich würde mich freuen, wenn sie breit orientieren, sondern eher schon als flächendeckend und unterstützt würden. von grundsätzlicher Natur zu bezeichnen sind, ist die von mir eingangs genannte Überprüfungsmöglichkeit der Insgesamt werden wir dem vorliegenden Entwurf in Gemeinnützigkeit durchaus ein legitimes Mittel. Das ist dieser Form nicht zustimmen; denn als Resümee ist zu auch vor dem Hintergrund, dass Prozesse und Abmah- sagen: Gut gedacht ist nicht immer gut gemacht! nungen nicht zum Geschäftszweck werden dürfen, si- (Lachen bei der AfD) cherlich richtig. In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Erörte- Um nicht missverstanden zu werden: Mehr Transpa- rungen. renz in Fragen der Finanzierung solcher Verbände wäre nicht nur bei der Deutschen Umwelthilfe wünschens- Vielen Dank. wert, sondern auch bei einer Vielzahl anderer NGOs. (Beifall bei der CDU/CSU) Dies würde auch die redlichen Verbände, die es ja auch gibt, vor einem Generalverdacht bewahren. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Roman Müller-Böhm, FDP, setzt diese Erörterungen NEN]: Welche sind unredlich? – Oliver fort. Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch unglaublich!) (Beifall bei der FDP)

(B) Aber diese Prüfung – und da unterscheiden sich unsere (D) Vorstellungen von denen der Vorlage – muss natürlich er- Roman Müller-Böhm (FDP): gebnisoffen erfolgen und darf nicht mit eingeschränkten Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Zielrichtungen versehen werden. Die Änderungen der Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Umweltgesetzgebung der letzten Jahre führten unzwei- von der AfD vorgelegte Gesetzentwurf beschäftigt sich felhaft zur Zunahme von Verbandsklagen; insbesondere mit Rechtsbehelfen für Verbände in Umweltangelegen- zieht natürlich die Möglichkeit, dass von den klagenden heiten. Aber was heißt das eigentlich konkret? Konkret Verbänden im laufenden und in weiteren Verfahren noch geht es hierbei um die Deutsche Umwelthilfe. Und Sachverhalte neu eingebracht werden können, da muss man auch einmal sagen: Das ist natürlich ein proble­matischer Fall. Wir reden über einen Verein, der (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gerade einmal 361 Mitglieder hat, aber dafür immerhin NEN]: Die haben ja auch recht gehabt!) 100 Mitarbeiter, und mit diesen Mitgliedern und Mitar- die Verfahren in die Länge. Die Einführung der Präklu- beitern ein ganzes Land tyrannisiert und ihm irgendwie sion, mit der das immer wieder neue Einbringen nach- seinen Willen aufzwingen will, träglicher Argumente ausgeschlossen werden soll, ist der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten richtige Ansatz. der CDU/CSU und der AfD – Zurufe vom (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einen Verein, der sinnvolle Instrumente des Rechtsstaats Das hat auch die Justizministerkonferenz Ende letzten pervertiert, um eigene Politik zu betreiben. Und genau Jahres so gesehen und einen Antrag aus Bremen ange- so darf es nicht weitergehen, meine Damen und Herren! nommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Aber auch Breite und Tiefe der Klagen nahmen zu. der CDU/CSU und der AfD) Finale Rechtsauslegungen durch Gerichte haben zu Ent- wicklungen geführt, die diskutabel sind. So richten sich Die Deutsche Umwelthilfe ist im Grunde ein plumper mittlerweile Klagemöglichkeiten zum Schutz der Natur Abmahnverein. Sie benutzt sehr kritische Grenzwerte. gegen den Trassenausbau, der ja gerade notwendig ist, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu forcieren. NEN]: Rechenfehler der Lungenärzte!) Solche Entwicklungen sind aber nicht durch den vor- gelegten Gesetzentwurf behebbar, zumal der Entwurf Übrigens, liebe AfD, haben wir im Deutschen Bundes- als Ziel benennt, dass die Behinderung von Infrastruk- tag auch schon einen eigenen Antrag zu dem Thema turmaßnahmen ausgeschlossen werden soll. Das fängt eingebracht. Ihre Ausführungen gerade eben treffen also 9488 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Roman Müller-Böhm (A) einfach nicht zu. Wir fordern ganz klar, die Grenzwerte noch permanent abmahnen will. Das ist absolut unan- (C) temporär auszusetzen, damit wir hier Fahrverbote vorü- ständig und unfassbar. bergehend auf jeden Fall vermeiden können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU und der AfD – Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Sie aber scheinen das zu vergessen. GRÜNEN) Die Deutsche Umwelthilfe lässt sich dann auch noch Ich muss jetzt aber auch noch auf die deutsche Bun- von bestimmten Autokonzernen mit ganz gezielten Ge- desregierung zu sprechen kommen. Ich bin jetzt einmal schäftsinteressen teilweise finanzieren und fördern, so naiv und nehme an, sie tut etwas in der Richtung, wird (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der da jetzt aktiv. Aber nein! Sie fördert die Deutsche Um- AfD) welthilfe bei deren Klimakreuzzug auch noch finanziell über Förderprogramme und Gemeinnützigkeit. Ich frage um somit ihren Kulturkampf gegen das Auto voranzutrei- Sie jetzt ganz ehrlich: Wie sollen wir eigentlich irgendei- ben. Ich sage es ganz deutlich: Diese Umweltinquisition nem Handwerker, kleinen Mittelständler oder einem Au- namens Deutsche Umwelthilfe ist genauso kurzsichtig topendler, der tagtäglich fleißig zur Arbeit fahren muss, wie ihr historischer Beiname. Es bringt rein gar nichts, erklären, dass er brav Steuern zahlt, Sie aber über Ge- absolut nichts, das Auto einfach von bestimmten Straßen meinnützigkeit und Fördermittel hintenrum dafür sorgen, weg- und in andere Straßen hineinfahren zu lassen. Die- dass diese Leute noch schlechter zur Arbeit kommen? Er- ser überzogene Hass auf den Individualverkehr mit dem klären Sie das mal draußen jemandem! Automobil verschlimmert gerade in Metropolen wie in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, die bereits vorhandenen (Beifall bei der FDP und der AfD sowie der Mobilitätsprobleme enorm. Genau das hat die Deutsche Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Umwelthilfe zu verantworten, und das ist einfach unver- Es stellt sich einfach die Frage, liebe Union – tut mir antwortlich. leid –, warum Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher sagt, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten die Deutsche Umwelthilfe sei semikriminell, aber ihr der AfD und des Abg. Klaus-Peter Willsch dann dagegen selbst kaum etwas tut. Das ist doch un- [CDU/CSU] – Widerspruch beim BÜND- glaubwürdig. NIS 90/DIE GRÜNEN) Also, was brauchen wir? Wir brauchen eine vernünf- Aber schauen wir uns ruhig einmal die Geschäfts- tige Lösung, um den Missbrauch von Rechtsbehelfen ab- (B) (D) praktiken der Deutschen Umwelthilfe näher an: Wer über zustellen. Dabei allerdings Umweltverbände, die anstän- 2 Millionen Euro mit Abmahnschikanen gegen Einzel- dige Arbeit leisten, zu sabotieren, kann auch nicht das händler erwirtschaftet, sich dabei auch noch selbstlos Ziel sein. Das wäre ein Kollateralschaden, den wir nicht gibt und dann Mitarbeitern Gehälter zahlt, von denen in Kauf nehmen können. Die Lösung muss so sein, dass manche Bürgerinnen und Bürger nur träumen können, der Rechtsstaat hier eine angemessene und ausgewogene der missbraucht Rechtsbehelfe eigentlich nur zur persön- Antwort findet. lichen Bereicherung und gängelt damit die Gesellschaft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Rechtsstaat Vielen Dank. ist eben kein Versorgungswerk, und Rechtsbehelfe sind (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten kein Renditeprodukt. der AfD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten GRÜNEN]: Eine reine AfD-Rede!) der CDU/CSU und der AfD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist ja eins zu eins AfD!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wir wissen doch, der Rechtsstaat lebt von der Akzep- Klaus Mindrup, SPD, ist der nächste Redner. tanz, davon, dass unsere Gesetze angemessen angewandt werden. Die Deutsche Umwelthilfe hingegen nutzt den (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Rechtsstaat einfach nur aus und beschmutzt nebenbei auch noch die seriöse Arbeit mancher sehr guter Um- Klaus Mindrup (SPD): weltverbände. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kollegen! Die AfD-Fraktion legt hier einen Gesetzent- der AfD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE wurf zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes GRÜNEN]: Sie wollen doch eine Rechtsstaats­ vor, der die Voraussetzungen an die Anerkennung von partei sein! Das ist eine unsägliche Rede!) Umweltverbänden verschärfen soll. Ziel des Gesetzent- wurfs ist es, eine vermeintliche Gefahr des Missbrauchs Was dabei nicht so stehen gelassen werden darf, ist, dass des Verbandsklagerechts in Umweltangelegenheiten aus- sie all das auch noch mit einer moralischen Überlegen- zuschließen. heit tut, die so unglaublich arrogant daherkommt, dass sie gerade die Fleißigen dieser Gesellschaft mit einem Ich könnte mich jetzt kurz fassen und sagen: „Das ist „ökologische Marktüberwachung“ genannten Titel auch alles Unsinn“; aber damit würde ich es der AfD zu ein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9489

Klaus Mindrup (A) fach machen. Deswegen habe ich ein bisschen genauer sche Kommission sagt, unser Recht erfülle dort nicht die (C) hingeschaut, internationalen Rahmenbedingungen. Es ist also genau andersherum, als Sie es hier erzählen. Die 7. Vertrags- (Zuruf von der AfD: Vielen Dank!) staatenkonferenz wird 2021 tagen. Ich nehme an, dass was hinter dem Antrag steht. wir hier als Gesetzgeber wieder etwas zu tun haben wer- den: Wir werden dieses Recht anpassen müssen, wenn Der Antrag basiert erst einmal auf dem falschen Ge- wir nicht anschließend wieder ein Strafverfahren von der rücht, wir würden in Deutschland schärfere Umweltvor- EU bekommen möchten. Das ist die Wahrheit: Wir sind schriften als in anderen Ländern haben und wir würden eben nicht die Vorreiter in dem Fall, sondern wir müssten Umweltschutzorganisationen in Deutschland stärkere mehr tun – ganz im Gegensatz zum dem, was Sie hier Rechte als in anderen Ländern einräumen. Das stimmt sagen. nicht. Deswegen muss ich noch etwas zu dem Rechts- rahmen sagen, der hier dahintersteckt. Rechtsrahmen (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- und Voraussetzung für dieses deutsche Recht ist die KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Århus-Konvention, die 1998 in Dänemark unterschrie- NEN) ben wurde. Deutschland hat sie allerdings erst nach der Ich komme also zu einem ersten Zwischenfazit: Der rot-grünen Regierungsübernahme 1998 ratifiziert, als AfD geht es um nichts anderes als um die Einschränkung letzter EU-Vertragsstaat. Da sieht man schon, dass da- von Bürgerrechten. hinter ein gewisser Sprengstoff steht. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ( [AfD]: So ein Blödsinn, echt!) NEN]: So ist das!) Wir können hier auch ganz offen reden – Sie haben es Die Århus-Konvention ist die einzige internationale Ver- ja in Ihrer Rede getan; aber Sie haben es in dem Gesetz- einbarung im Umweltschutz, die auch Bürgerinnen und entwurf nicht getan –: Ihnen geht es um die Deutsche Bürgern und Nichtregierungsorganisationen Rechte ver- Umwelthilfe. leiht. Es gibt keinen anderen internationalen Vertrag, der das tut. Deswegen ist das eine ganz wichtige Konvention. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Herr Kollege Mindrup – – KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Klaus Mindrup (SPD): Nein. Für diese Konvention haben sich vor allen Dingen die (B) Bürgerbewegten aus den osteuropäischen Ländern und (D) der ehemaligen DDR eingesetzt; sie haben das aus ihrer Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Erfahrung der Unterdrückung heraus gemacht. Wer jetzt Moment! Lassen Sie mich erst mal fragen! Gestatten die Rechte der Bürgerinnen und Bürger einschränken Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spaniel? will, die uns dieses Erbe überlassen haben, der tritt das Erbe der friedlichen Revolution mit Füßen. Klaus Mindrup (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Die Antwort bleibt Nein. ten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) DIE GRÜNEN – Karsten Hilse [AfD]: So ein Schwachsinn! Das kann doch wohl nicht wahr sein!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Danke. Weiterhin liegt dem Vorschlag der Fraktion der AfD die Annahme zugrunde, dass die Anerkennungsregeln für Umweltverbände in Deutschland zu weit gefasst seien. Klaus Mindrup (SPD): Das Gegenteil ist der Fall. Die Anerkennungsregeln für Also, es geht um die Deutsche Umwelthilfe; das ist ja Umweltverbände sind in Deutschland mit die stärksten hier eben auch gesagt worden. Ich möchte mir gar nicht in der EU. Es gibt andere Länder, die überhaupt keine vorstellen, wie es wäre, wenn die Deutsche Umwelthil- staatliche Zulassung für Klagerechte verlangen. Deswe- fe von Migrantinnen und Migranten gegründet worden gen steht der Vorschlag der AfD weder mit völkerrecht- wäre; das als kleine Nebenbemerkung hier. lichen noch mit europarechtlichen Rahmenbedingungen (Beifall der Abg. [SPD]) im Einklang. Es geht Ihnen gar nicht darum, Lösungen für ein re- Es ist sogar anders: Die Frage, ob die geltenden stren- ales Problem zu finden. Mir ist nicht bekannt, dass die gen Anerkennungsvoraussetzungen in Deutschland über- Deutsche Umwelthilfe Software von Autos manipuliert haupt mit der Århus-Konvention übereinstimmen, ist hätte. Mir ist auch nicht bekannt, dass die Deutsche Um- strittig. Es gibt gerade ein Verfahren gegen die Bundesre- welthilfe Autos verkauft hätte, die dreckiger sind als ver- publik Deutschland, weil unsere Anerkennungsverfahren sprochen. zu streng sind, weil wir zum Beispiel Stiftungen nicht zulassen. Der Beschwerdeausschuss der internationalen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Konvention hat schon getagt, und es sieht so aus, als der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE würden wir das Verfahren verlieren. Auch die Europäi- GRÜNEN) 9490 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Klaus Mindrup (A) Mir gefällt an der Deutschen Umwelthilfe auch nicht al- Es ist ganz klar gesetzlich ausgeschlossen, dass die (C) les; das kann ich Ihnen sagen. Aber die Deutsche Um- Umweltschutzorganisationen durch Klagen eigene Vor- welthilfe hat ihre Rechte wahrgenommen, die ihr unser teile haben; dann müssten sie auch den Weg vor die Ge- Gesetz gibt, und sie hat vor Gericht fast überall gewon- richte antreten. Das tun sie aber nicht. Die AfD will das nen; das muss man doch zur Kenntnis nehmen. Problem also gar nicht lösen. Das Missbrauchspotenzial, das Sie ansprechen, ist gar nicht gegeben. Diese Verbrei- Was wollen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf? Es geht Ih- tung von Verschwörungstheorien ist gefährlich, weil sie nen gar nicht darum, hier Lösungen zu finden, sondern die Stimmung in unserem Land vergiftet. Sie wollen ablenken von den realen Problemen. Wir müssen die Luft in unseren Städten sauberer machen; das (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- ist doch vollkommen klar. Darauf haben vor allen Dingen KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- die einen Anspruch, die Probleme haben: Das sind die NEN – [AfD]: Ihre Stim- Asthmatiker und die kleinen Kinder. Wir müssen doch mung!) eine Politik machen, die die schützt, die zu schützen sind. Als ich Ihren Gesetzentwurf gelesen habe, habe ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mir die Frage gestellt: Wer ist denn als Nächstes dran? der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Die unabhängigen Gerichte, GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Und wir müssen natürlich klar sagen, was wir machen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) müssen: Wir brauchen eine bessere Verkehrspolitik; das ist völlig unstrittig. Es gibt ja Beschlüsse der Bundesre- die die Deutsche Umwelthilfe bestätigen? Die Anwäl- gierung, die da in die richtige Richtung gehen: Stärkung te, die das machen? Die Gewerkschaften? Unabhängige des Umweltverbundes, Stärkung des öffentlichen Nah- Forschungsinstitute? Wenn man Ihre Reden hört, braucht verkehrs. man nicht viel Fantasie, um diese Liste zu verlängern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Und wir brauchen saubere Autos, um unsere Gesund- heit zu schützen – ganz egoistisch –, aber wir brauchen Die Menschen in unserem Land erkennen, was hier ge- auch saubere Autos, weil in der Welt zukünftig nur noch rade passiert: Sie treten die freiheitlich-demokratische saubere Autos verkauft werden können. Grundordnung mit Füßen. (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (D) KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd NEN) Baumann [AfD]: So ein Blödsinn!) Das wissen die Kolleginnen und Kollegen in den Werken Wenn Sie davon reden, dass hier eine Umweltschutzor- auch; sie wissen, dass unsere ganze Exportindustrie da- ganisation Spenden offenlegen soll, dann fangen Sie ran hängt, dass wir das schaffen. doch erst mal bei sich selber an! Aber wir brauchen auch Nachrüstung; vollkommen (Beifall bei SPD sowie bei Abgeordneten der klar, das haben wir als SPD immer gesagt. Da sind die LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Automobilindustrie und der Bundesverkehrsminister in GRÜNEN – Dr. [AfD]: der Pflicht. Ich kann Ihnen sagen: Mit dieser Strategie Schämen Sie sich! So ein Stuss!) werden wir die Grenzwerte wieder einhalten und beides schaffen: die Verbraucherrechte schützen – die von Ihnen Ich kann Ihnen eines sagen: Wir werden Sie damit nicht immer zitierten Menschen, die wenig Geld haben, schüt- durchkommen lassen. Die Menschen in diesem Land er- zen – und die Gesundheit schützen. Das geht nämlich kennen, welch Geistes Kind Sie sind. zusammen. Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der (Beifall bei SPD sowie bei Abgeordneten der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]) GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Geben Sie Jetzt möchte ich noch einen weiteren Aspekt beleuch- mal Ihre Zeitungen ab!) ten: was ich hier wiederfinde an Prinzipien bei der AfD. Sie bedienen wieder das Sündenbockprinzip. Es wird an Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: der Stelle ganz verschlagen, wo Sie sagen, es gibt inter- Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen nationale Mächte – ich weiß gar nicht, wer das sein soll –, Dr. Dirk Spaniel, AfD, das Wort. (Karsten Hilse [AfD]: Wir wissen es!) die sich jetzt quasi der Umweltschutzorganisationen be- Dr. Dirk Spaniel (AfD): dienen, um unser Land zu schädigen. – Dafür müssten Vielen Dank, Herr Präsident. – Also, erst mal stelle ich Sie einen Beleg bringen. Das tun Sie aber nicht. fest, dass die SPD-Fraktion offensichtlich kein Problem Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9491

Dr. Dirk Spaniel (A) damit hat, dass die Deutsche Umwelthilfe viele Klage- ganze Zeit reden, ist gemeinnützig. Finanzämter prüfen (C) verfahren gewonnen hat so etwas. An anderer Stelle gab es eine Anhörung, weil Sie diese Gemeinnützigkeit angegriffen haben. Diese Or- ( [SPD]: Was reden Sie da für ganisation legt ihre Informationen offen; sonst wüssten einen Schwachsinn!) Sie das alles ja gar nicht. Das ist also wieder ein faden- und das halbe Land terrorisiert. scheiniges Argument. (Zuruf des Abg. Ralph Lenkert [DIE Jetzt kommen wir zu dem entscheidenden Punkt: Sie LINKE]) tun immer wieder so, als sei die Deutsche Umwelthilfe das Problem. Das scheint offensichtlich von Ihnen gebilligt zu werden und in Ihrem Interesse zu sein. (Enrico Komning [AfD]: Richtig!) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Das Problem sind aber die Überschreitungen der Grenz- werte, die Betrügereien und die falschen Regulierungen. Zweitens. Die Århus-Konvention sagt ganz klar, dass Das haben unabhängige Gerichte festgestellt. innerstaatliches Recht regelt, welche Organisation aner- kannt wird und welche nicht. Das innerstaatliche Recht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Bundesrepublik Deutschland bestimmen wir hier. So- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE mit ist eine Änderung dieser innerstaatlichen Anerken- GRÜNEN) nung sehr wohl konform mit dieser Konvention. Ich habe Respekt vor der Gewaltenteilung. Ich achte un- Wir haben gesagt, wir wollen Transparenz. Es kann abhängige Gerichte. Das tun Sie offenbar nicht. Wer dies doch nicht in Ihrem Interesse sein, dass es keine Transpa- nicht tut, achtet nicht unseren Rechtsstaat. renz darüber gibt, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Doch! Natür- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der lich!) LINKEN) wer hinter Umweltorganisationen steht – das sagt sehr viel über Ihr Verständnis von Demokratie. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Sabine Leidig, (Beifall bei der AfD) Fraktion Die Linke. Selbstverständlich wollen wir auch – wir wollen (Beifall bei der LINKEN) auch – eine demokratische Verankerung von solchen Or- (B) ganisationen. Es kann nicht sein, dass 300 oder 400 Men- (D) schen in diesem Land darüber bestimmen, wie in unse- Sabine Leidig (DIE LINKE): rem Land Fahrverbote oder sonstige Einschränkungen Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! geregelt werden. Aus diesem Grunde sagen wir ganz Liebe Gäste! Ich kann nahtlos an das anschließen, was klar: Das, was in der Gesetzgebung momentan verankert der Kollege Mindrup hier prima vorgelegt hat. Seit Mo- ist, soll mit unserem Gesetzentwurf korrigiert werden. naten macht die politische Rechte hierzulande mobil ge- Das stärkt die Interessen der Bürger in diesem Land und gen den gemeinnützigen Verein Deutsche Umwelthilfe. verbessert die Demokratie und die Akzeptanz. – Wenn (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie ist ge- Sie das nicht wollen, dann spricht das Bände. mein, aber nicht nützig!) (Beifall bei der AfD) Warum? Weil die Umwelthilfe dafür kämpft, dass die Vorschriften zum Schutz von Umwelt und Menschen ein- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gehalten werden. Tatsächlich hat sie nämlich schon vor Herr Kollege Mindrup, Sie mögen erwidern. Sie ha- vielen Jahren belegt, dass Autohersteller die gesetzlichen ben das Wort. Grenzwerte nicht einhalten. Sie hat Briefe geschrieben. Sie hat Messungen vorgelegt. Sie hat Studien gemacht. Klaus Mindrup (SPD): Sie hat in Ministerien vorgesprochen. Und sie hat gefor- dert, dass echte Messungen am Auspuff vorgenommen Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihre Ausführungen werden. Der Verband der Automobilindustrie war dage- zur Århus-Konvention zeigen, dass Sie die Prinzipien der gen und hat sich durchgesetzt. So konnten Hunderttau- Århus-Konvention nicht verstanden haben. sende Fahrzeuge mit Betrugssoftware verkauft werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Die Deutsche Umwelthilfe hat gegen diese Gesetzesver- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- stöße geklagt, und das ist gut so. NEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen sie nur der Form nach einhalten. Aber das Vor einem Jahr hat das Bundesverwaltungsgericht Grundprinzip der Århus-Konvention ist Beteiligung, Öf- ein Grundsatzurteil gesprochen und festgestellt, dass fentlichkeit und Klagerechte, und genau das wollen Sie beschränkte Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge einschränken. möglich sind, wenn nur so die Luftqualität in belasteten Sie haben gesagt, es gebe keine Transparenz. Natür- Städten erhalten werden kann. Seither überschlagen sich lich gibt es die; denn die Organisation, über die wir die die Parteien hier rechts im Haus mit Vorstößen, wie man 9492 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Sabine Leidig (A) die Umwelthilfe außer Gefecht setzen kann. Die AfD Zwecke. Sie sagen: Kein Steuergeld mehr für die Um- (C) will ihre Befugnisse einschränken. Die FDP will die Pro- welthilfe. – Wir sagen: Kein Steuergeld für die Gewinne jektmittel aus dem Bundeshaushalt streichen. Die CDU von Daimler, BMW, Porsche und VW. will beides und stellt dazu noch die Gemeinnützigkeit (Beifall bei der LINKEN) infrage. Sie verlangen vollständige Transparenz von der Um- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zu welthilfe. Das ist völlig in Ordnung. Aber wir verlangen Recht!) vollständige Transparenz für alle politischen Akteure, Sie wollen eine unbequeme Stimme zum Schweigen auch für den Verband der Automobilindustrie, der in den bringen. Sie wollen den Leuten weismachen, dass die Ministerien und im Kanzleramt ein und aus geht. Umwelthilfe an den Fahrverboten schuld ist. Das ist (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wirklich ein plattes Ablenkungsmanöver. neten der SPD) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Sie sagen: Wer Umweltrecht einklagt, schadet der NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- deutschen Wirtschaft. – Wir sagen: Es sind die Spitzen- ten der SPD) manager und ihre Seilschaften in der Politik, die den Ich kann nur empfehlen, vor allen Dingen Ihnen von größten Schaden anrichten. der FDP, die Ausführungen des ehemaligen Innenminis- (Beifall bei der LINKEN) ters Gerhart Baum zu lesen. Ich zitiere: Sie wollen den unbequemen Teil der Zivilgesellschaft Es ist das Versagen der Politik, das zu dieser Situ- schwächen. Wir wollen das Gegenteil. Wir lassen nicht ation geführt hat. Die Politik hat über Jahrzehnte zu, dass mächtige Unternehmen wie Daimler, Amazon gemeinsame Sache mit der Automobilindustrie ge- und Co die Demokratie in Gefahr bringen. Auch deshalb macht und so notwendige Innovationen verhindert. brauchen wir Vereine wie die Deutsche Umwelthilfe, den Dort liegt die Verantwortung für die aktuelle Bedro- BUND, Greenpeace, Attac, Robin Wood und all die an- hung der Umwelt und der individuellen Mobilität deren, die sich nicht einschüchtern lassen. Vielen Dank und auch für die Bedrohung der Arbeitsplätze. für eure Arbeit! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – GRÜNEN) Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ruiniert wei- Ich sage Ihnen: Was die Parteien hier rechts und Die ter!) (B) Linke ganz klar unterscheidet, ist: Sie wollen die Auto- (D) mobilgesellschaft weiterfahren lassen, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Genau!) Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin. koste es, was es wolle. Wir hingegen wollen soziale und ökologische Alternativen stark machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Deutsche Umwelthilfe nimmt rund 8 Millionen Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Euro im Jahr aus Spenden, Bußgeldern und öffentlichen Kollegen! Kollegen von der AfD, egal was Sie vorlegen: Projektmitteln ein. Sie gibt für Umwelt- und Verbrau- Man fragt sich, ob Sie eigentlich die letzten 60 Jahre im cherschutz auch wieder 8 Millionen Euro aus. Sie sagen, Winterschlaf verbracht haben. das sei ein fragwürdiges Geschäftsmodell. Wir sagen: Fragwürdig ist das Geschäftsmodell der Autokonzerne, (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ihr wollt das SPD) Land ruinieren, wie ihr schon einmal eines ru- iniert habt!) Haben Sie denn gar nichts mitbekommen von notwen- dig gewordenen Veränderungen, von gesellschaftspoli- die immer größere Autos bauen, weil sie daran am meis- tischen Entwicklungen? Egal ob die Gleichstellung, die ten verdienen, die Grenzwerte unterlaufen, sich vor Ent- Globalisierung, die großen Atomunfälle oder die Klima- schädigungszahlungen drücken und Milliardengewin- veränderung: Alles scheinen Sie verschlafen zu haben. ne an die Aktionäre ausschütten. Damit muss endlich Immer öfter greifen Sie die Grundlagen des Rechtsstaats Schluss sein. an, weil Sie sie nicht verstehen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Alexander (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gauland [AfD]: Die Linke hat ja Erfahrungen sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf im Ruinieren von Ländern!) des Abg. Dr. Dirk Spaniel [AfD]) Die Deutsche Umwelthilfe bekommt vom Bund Geld Das Verbandsklagerecht ist eine großartige zivilge- für gemeinnützige Projekte, bis zu 5 Millionen Euro jähr- sellschaftliche Errungenschaft, weil es ermöglicht, Rech- lich. Die Automobilindustrie bekommt Hunderte Milli- te der Allgemeinheit einzuklagen. Mit dem 2006 in Kraft onen Euro aus dem Bundeshaushalt für eigennützige getretenen Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz wurde dem Er- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9493

Sylvia Kotting-Uhl (A) halt unserer natürlichen Lebensgrundlagen vor Gericht meinung eines wild gewordenen Facharztes, der nie wis- (C) eine Stimme gegen rein wirtschaftliche Interessen gege- senschaftlich publiziert hat, ben. Was für ein großartiger und dringlicher Fortschritt! Aber Sie verstehen das nicht. (Widerspruch von der AfD – Michael Grosse-­ Brömer [CDU/CSU]: Und 100 Kollegen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der aber mal eben den gesamten Forschungsstand zu Luft- LINKEN – Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: schadstoffen infrage stellt, Ich sage nur: Toyota!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihr Gesetzentwurf will klagebefugte Umweltvereini- sowie bei Abgeordneten der SPD und der gungen und die darin engagierten Bürgerinnen und Bür- LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: ger so gängeln, dass eine effektive Arbeit nahezu unmög- Was Ihnen nicht passt, gehört nicht hinein!) lich wird. Die Abmahntätigkeit von Verbänden empört Ihr Anstandsgefühl. Dabei lassen Sie aber völlig außer dessen vermeintliche Expertise sich nun als von Rechen- Acht, dass eine Abmahnung ja immer auf rechtswidriges fehlern und falschen Ausgangswerten gespickt heraus- Verhalten folgt. Sie zielen auf die Schwächung des Ver- stellt. braucherschutzes und solidarisieren sich mit denjenigen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die sich rechtswidrig verhalten. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wer die Arbeitskraft eines ganzen Ministeriums zur sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Verfügung hat, der sollte, bevor er die gesamten Grund- Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE lagen der Grenzwerte infrage stellt, sein Ministerium GRÜNEN]: So sieht es aus!) erst einmal die Rechnung eines Dr. Köhler überprüfen Sowohl die von Ihnen geforderte Erhöhung der erfor- lassen. derlichen Mitgliederzahl als auch die Aushöhlung der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzierung der Umweltverbände haben nur eines im sowie bei Abgeordneten der SPD) Sinn: die Schwächung der demokratischen Teilhabe. Die gesamte Debatte um die Luftschadstoffe hat völlig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Boden verloren. Wer 60 Jahre verschlafen hat, legt einen Gesetzent- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Hat den Bo- wurf wie diesen vor: europarechts- und völkerrechtswid- (B) den endlich erreicht!) (D) rig; denn sowohl das Europarecht wie auch das Völker- recht sehen vor, dass das Umweltrecht auch mit Mitteln Dazu haben Sie von der Union und der FDP kräftig beige- der gerichtlichen Verfahren effektiv durchzusetzen sein tragen. Sie haben ein Klima geschaffen, in dem eine be- muss. trügerische Automobilindustrie plötzlich Welpenschutz braucht, in dem man einem Bundesverkehrsminister die (Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Verdrehung von Tatsachen durchgehen lässt und in dem Verbände wie die DUH setzen sich für die Durchset- ein Umweltverband, der sich für die Durchsetzung des zung des Rechts ein – mit Erfolg. Die DUH hat bisher Rechts einsetzt, an den Pranger gestellt wird. noch keine Klage verloren. Aber für die AfD sagt das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nichts über die Berechtigung des Anliegens aus, sondern Dr. Alexander Gauland [AfD]: Und Sie schaf- über die besondere Bösartigkeit des Klägers. Recht und fen ein Klima, das dieses Land ruiniert! Die Gesetz spielen für Sie so wenig eine Rolle wie Wissen- Grünen sind eine Gefahr für Deutschland!) schaftlichkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsam mit der AfD sägen Sie an den Grundwer- sowie bei Abgeordneten der SPD und der ten des Rechtsstaats, wenn Sie einem Umweltverband, LINKEN) der Ihnen zu erfolgreich wird, die Gemeinnützigkeit ab- sprechen wollen, ihn, wie Herr Schweiger es tat, unred- Zumindest Letzteres gilt leider auch für andere in diesem lich nennen und ihn, wie Herr Müller-Böhm es tat, gar Haus. zum Inquisitor erklären. Vielleicht wären ja selbst manchem in der AfD die ei- Bei der AfD habe ich keine Hoffnung, genen Vorlagen peinlich, wenn nicht sogar ein Minister der amtierenden Bundesregierung Ihnen mit seinen ver- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Gott sei Dank drehten politischen Maßstäben den Weg bereiten würde. haben Sie keine Hoffnung! Das lässt mich sehr hoffen! – Armin-Paulus Hampel [AfD]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir sind die Hoffnung!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) dass sie aus ihrem demokratischen Tiefschlaf erwacht. Wie gefährlich entfernt sich ein Minister von sachlichen Aber Sie von der Union und Sie von der FDP sollten sich Grundlagen, wenn er frohlockt, nun kämen endlich Fak- darauf besinnen, was die Grundlagen unseres zivilgesell- ten in die Stickoxiddebatte, allein aufgrund der Einzel- schaftlichen Lebens in Recht und Freiheit sind, und sich 9494 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Sylvia Kotting-Uhl (A) nicht mit dem ganz rechten Teil in diesem Haus gemein sen, dass uns der Europäische Gerichtshof in seinem Ur- (C) machen. teil vom 15. Oktober 2015 hier einen Riegel vorgescho- ben hat. Das sitzt uns bis heute im Nacken, weshalb wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN uns bei der Durchsetzung unserer politischen Wünsche sowie bei Abgeordneten der SPD und der immer wieder limitiert sehen. LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: So ein grüner Stuss!) (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU]) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Michael Mit Ihrem Gesetzentwurf kommen Sie, liebe Kolle- Kuffer, CDU/CSU. ginnen und Kollegen von der AfD, einfach zu spät. Sie wollen uns wieder etwas vorschlagen, was mit höherran- (Beifall bei der CDU/CSU) gigem Recht schlicht unvereinbar ist.

Michael Kuffer (CDU/CSU): Jetzt einmal zum Inhalt des Gesetzes. Nach Arti- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es kel 10a der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie sollen geht darum, wie man dem mehr als zweifelhaften Ge- die Mitgliedstaaten der EU das Ziel wahren, der betrof- schäftsmodell der Deutschen Umwelthilfe die Grundlage fenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten entzieht. zu gewähren. In Deutschland dürfen Umweltverbände und -organisationen daher klagen, wenn sie a) nach ihrer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Satzung nicht nur vorübergehend die Ziele des Umwelt- der AfD – [BÜNDNIS 90/ schutzes fördern und b) gemeinnützige Zwecke im Sinne DIE GRÜNEN]: Genau das ist es! Dass Sie von § 52 der Abgabenordnung verfolgen. jetzt darüber reden!) Letzterer Punkt ist mir besonders wichtig. Die Deut- Es ist einfach eine rechtstechnische Frage. Es ist schon sche Umwelthilfe steht diesbezüglich in der Kritik. Ich abstoßend – das muss ich Ihnen wirklich sagen –, mit sage auch: Sie steht zu Recht in der Kritik. Die CSU und welchem Vokabular hier in der Debatte zur Lösung einer auch die CDU haben auf ihren Parteitagen deshalb be- rechtstechnischen Frage aufgewartet wird. schlossen, eine Prüfung der Gemeinnützigkeit der Deut- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Steffi schen Umwelthilfe anzustoßen. Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Herr Scheuer eigentlich?) (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ (B) CSU] – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ (D) Es wird – ganz egal, ob von links oder von rechts in die- DIE GRÜNEN]: Das ist der erste Schritt! Und sem Haus – überhaupt kein Beitrag zur Lösung geleistet. der zweite kommt!) Ich erinnere mich an die erste Wortmeldung des Kol- Gleiches hat die Bundesregierung angekündigt. legen Spaniel, der sagt: Es reicht nicht, wenn Sie sich medial echauffieren. – Das sagt die Partei, die uns heute (Dr. [AfD]: Angekündigt? wieder einen Gesetzentwurf vorlegt, von dem sie entwe- Die hat den Antrag schon vorliegen!) der weiß oder zumindest wissen müsste, dass er nicht im Mindesten mit der Rechtsprechung des Europäischen Förderungsbewilligung für den Erhalt öffentlicher Gerichtshofs in Einklang zu bringen ist. Nicht im Min- Mittel bei zweifelhaften Methoden kritisch zu beleuch- desten! Ganz ehrlich: Den Tag, an dem Sie einmal hier ten, ist legitim. Aber deshalb Europarecht zu brechen, vorne etwas vorlegen, was Sie vorher gelesen und stu- ist kein probates Mittel, und es ist für uns kein probates diert haben, streiche ich mir im Kalender an. Ich weiß Mittel, mit dem wir diesem Ziel nachgehen werden. Das nicht, ob das in dieser Legislaturperiode noch sein wird. kann ich Ihnen ganz deutlich sagen. Aber ich bin echt gespannt, ob es irgendwann passieren wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Der Deutscher Bundestag hat im Sommer 2017, liebe Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist der Un- Kolleginnen und Kollegen, die Novellierung des Um- terschied zwischen uns und euch! Das ist ja welt-Rechtsbehelfsgesetzes beschlossen. Damit sind das Dilemma!) wir einer völkerrechtlichen Verpflichtung aus der År- hus-Konvention und den daraus abgeleiteten EU-Richt- Das führt mich zu Ihrem Gesetzentwurf, aus dem ich linien in Deutschland nachgekommen. Wir sind damals mal zwei Punkte zitieren will. Erstens. Sie wollen die Zu- der unmissverständlichen Aufforderung des EuGH nach- lassung von Verbänden vor Gericht verbieten, wenn die- gekommen, die Vorgaben der einzelnen Richtlinien ge- se „Spenden von außerhalb des Geltungsbereiches dieses mäß der Århus-Konvention eins zu eins umzusetzen. Gesetzes“ erhalten. Sie können versichert sein, dass die Unionsfraktion (Lachen der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜND- damals alle rechtlichen Möglichkeiten zur Planungsbe- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Oliver Krischer schleunigung ausgeschöpft hat, die mit dem Europarecht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die AfD vereinbar waren. Aber da sind die Grenzen halt eng. Man verbieten! – Zuruf des Abg. Armin-Paulus sieht das beim Thema „materielle Präklusion“. Sie wis- Hampel [AfD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9495

Michael Kuffer (A) Der Humor ist wirklich speziell. Kehren Sie doch erst Wir machen sozialverträgliche, ökologisch und ökono- (C) einmal vor Ihrer eigenen Haustüre! misch sinnvolle Klimaschutzpolitik, bei der sich die Bür- ger weiterhin beteiligen sollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Karsten Hilse [AfD]: Weiter verarscht füh- len! Ganz genau!) Spendengelder aus der Schweiz mit unklarer Identität des Spenders gehören wohl kaum zu einer hinnehmbaren Vielen Dank. Praxis im Parteienrecht. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander (Armin-Paulus Hampel [AfD]: CDU und Gauland [AfD]: Das heißt, es ändert sich Spenden! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: nichts! Wie immer bei der CDU!) CDU-Spendenaffäre! – Weitere Zurufe von der AfD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dass sich jemand wie Sie dann über derartige Praktiken Damit schließe ich die Aussprache. echauffiert, ist einfach falsch. Sorry. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- entwurfs auf der Drucksache 19/7702 an die in der Ta- ordneten der SPD) gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Aus- Herr Kollege Kuffer, der Kollege Hampel möchte Ih- schuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. nen eine Zwischenfrage stellen. Die Fraktion der AfD wünscht Federführung beim Aus- schuss für Recht und Verbraucherschutz.

Michael Kuffer (CDU/CSU): Ich lasse zunächst abstimmen über den Überwei- Nein, danke. sungsvorschlag der AfD, also die Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Wer stimmt (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ich würde für diesen Vorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist auch keine zulassen bei Spenden!) der Vorschlag gegen die Stimmen der AfD mit den Stim- men des übrigen Hauses abgelehnt. Zweitens. Den Zugang zu Gerichten wollen Sie Um- weltverbänden künftig nur noch gewähren, wenn diese (B) Damit lasse ich nun abstimmen über den Überwei- (D) „mindestens eins vom Tausend der wahlberechtigten sungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Einwohner in ihrem Tätigkeitsbereich“ als Mitglieder- die Vorlage federführend an den Ausschuss für Umwelt, zahl aufweisen können. In Deutschland könnten dem- Naturschutz und nukleare Sicherheit zu überweisen. Wer nach Umweltverbände nur noch dann klagen, wenn sie stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt rund 62 000 Mitglieder oder mehr haben. dagegen? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag ge- gen die Stimmen der AfD mit den Stimmen des übrigen (Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Ja!) Hauses angenommen. – Ja, genau. Das zeigt wieder: Sie haben es nicht gele- Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 18 auf: sen. – Gucken Sie sich das EuGH-Urteil vom 15. Okto- ber 2009 an. Darin werden Sie finden, dass bereits die Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Vorgabe einer Mindestanzahl von 2 000 Mitgliedern uni- CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- onsrechtlich problematisch bewertet worden ist. Lesen setzes zur Verbesserung der Information über Sie es halt mal, Himmel noch mal, bevor Sie uns hier einen Schwangerschaftsabbruch dauernd mit solchen Schaufensterdebatten aufhalten. Drucksache 19/7693 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Klaus Mindrup [SPD]: Und verste- Überweisungsvorschlag: hen!) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Wenn Sie diese pauschale Ausgrenzung – es geht näm- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit lich genau darum, die solide arbeitenden Verbände nicht zu treffen – zum Bestandteil Ihrer Gesetzgebung machen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für wollen, dann führen Sie damit die Öffentlichkeitsbetei- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei- ligung als elementares Gut unseres Rechtsstaats ad ab- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. surdum. Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich, die Plätze Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss: Es bleibt dabei: einzunehmen. Wir lehnen Ihren Entwurf ab. Wir halten uns an Europa und an Völkerrecht. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesjustizministerin Dr. Katarina Barley. (Karsten Hilse [AfD]: Sie halten lieber Sonn- tagsreden!) (Beifall bei der SPD) 9496 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

(A) Dr. Katarina Barley, Bundesministerin der Justiz und Für die Ärztinnen und Ärzte bedeutet das, dass sie all (C) für Verbraucherschutz: diese Informationen auch über ihre Homepage den hil- Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Da- fesuchenden Frauen zur Verfügung stellen können. Das men und Herren hier im Saal und an den Bildschirmen! bedeutet auch ganz wesentlich Rechtssicherheit für die Die Diskussion heute betrifft ein Thema, das viele Emo- Ärztinnen und Ärzte. tionen auslöst. Das hat damit zu tun, dass gerade für uns (Beifall bei der SPD) Frauen davon ein sehr persönlicher Lebensbereich be- rührt wird: unser Körper, unsere Sexualität, ganz grund- Das heißt, die Frauen werden es künftig wesentlich leich- legende Lebensentscheidungen. Es ist gut und richtig, ter haben, in der Notlage, in der sie sich befinden, an die dass wir diese Debatte führen, sowohl politisch als auch Informationen zu kommen, die sie brauchen. gesellschaftlich. Es ist auch gut und richtig, dass sie sehr emotional geführt wird. Ich bitte Sie deshalb heute, diesen Schritt zu tun, um die Situation dieser Frauen besser zu machen. Trotzdem Diese Debatte hat sich auf grundsätzliche Fragen müssen wir diese große gesellschaftliche Debatte weiter- ausgeweitet, die im Zusammenhang mit dem Schwan- führen; da sind sich, glaube ich, fast alle in diesem Haus gerschaftsabbruch stehen. Heute und hier im Deutschen einig. Und wir müssen daraus auch in Zukunft weitere Bundestag geht es allerdings um einen sehr konkreten Schlüsse ziehen. Punkt, nämlich die Information über Schwangerschafts- abbrüche. Und da ist die Frage: Wie sieht die Lage der- Herzlichen Dank. zeit aus für die Frauen, die ungewollt schwanger werden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und Informationen darüber haben wollen, wo sie einen der CDU/CSU) Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen können? Die Lage sieht nicht so gut aus; darüber waren sich Vizepräsident : hier die meisten, glaube ich, auch einig. Es gibt keine se- Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Redner riöse Stelle im Internet, wo sie eine Liste von Ärztinnen erhält das Wort der Kollege Jens Maier, AfD-Fraktion. und Ärzten bekommen können, die Abbrüche vorneh- men. Es gibt auch keine Hotline, wo sie diese Informati- (Beifall bei der AfD) onen bekommen. Und nach unseren Informationen ist es so, dass auch Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen Jens Maier (AfD): häufig nicht über solche Adressen verfügen oder sie zu- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- mindest nicht weitergeben. Wegen der Rechtsunsicher- ren! Der Gesetzentwurf der Koalition zum Thema „Wer- (B) heit, die damit verbunden ist, verzichten auch Ärztinnen bung für den Abbruch der Schwangerschaft“, § 219a (D) und Ärzte, die solche Schwangerschaftsabbrüche vor- StGB, trägt den Titel: nehmen, teilweise darauf, diese Informationen auf ihre eigene Homepage zu stellen. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Infor- mation über einen Schwangerschaftsabbruch Deswegen besteht Handlungsbedarf, und die Position der SPD ist hinreichend zum Ausdruck gebracht wor- Als ich das gelesen hatte, dachte ich mir: Das hätte ja den. Wir haben jetzt in der Bundesregierung einen Ge- noch viel schlimmer kommen können. Denn die Linken, setzentwurf erarbeitet, der sich darauf konzentriert, die die Grünen und zuletzt auch die FDP – das fand ich ganz Situation dieser Frauen in dieser sehr schwierigen Lage besonders schlimm und peinlich – standen da wie eine zu verbessern. Ich sage: Dieser Gesetzentwurf verbessert Phalanx und forderten die Abschaffung des § 219a StGB. die Lage dieser Frauen wesentlich, und zwar gegenüber der jetzigen Lage ( [FDP]: Das fordern wir immer noch aus voller Überzeugung!) (Beifall bei der SPD) Und dann die SPD, die diesen hier vorliegenden Ge- und auch gegenüber einer reinen Abschaffung des § 219a. setzentwurf mitträgt. Was haben Sie von der SPD im Vor- Warum? Sie werden künftig, wenn dieses Gesetz kom- feld getönt! Zunächst hatte die SPD-Bundestagsfraktion men sollte, im Internet aus seriöser Quelle eine immer im Dezember 2017 einen Gesetzentwurf beschlossen, der aktuelle Liste finden, bei welchen Ärztinnen und Ärzten die Abschaffung des § 219a StGB vorsah. sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen (Dr. Eva Högl [SPD]: Natürlich!) können und welche Methoden diese Ärztinnen und Ärzte anwenden. Sie werden seriöse Informationen zum Ab- Im SPD-Propagandablatt „Vorwärts“ erschien am 22. Fe- lauf, zu der Methodik von Schwangerschaftsabbrüchen bruar 2018 ein Gastbeitrag von Frau Högl, vorfinden. Sie werden diese Liste der Ärztinnen und Ärz- (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) te, die Abbrüche vornehmen, auch über das Hilfetelefon „Schwangere in Not“ bekommen können; dahin wenden in dem es heißt: sich viele, die sich in einer akuten Notlage befinden. Und diese Liste wird auch über die Beratungsstellen zur Ver- Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben unseren Ge- fügung gestellt werden können, die Anlaufstellen für Hil- setzentwurf zunächst nicht in den Deutschen Bun- fesuchende sind. destag eingebracht. Denn wir setzen weiter auf Ge- spräche mit CDU/CSU, FDP, Grünen und Linken, (Beifall bei der SPD) um eine fraktionsübergreifende Lösung zu erarbei- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9497

Jens Maier (A) ten, die im Deutschen Bundestag eine Mehrheit fin- obwohl man nur die Daten aufbereiten müsste, die oh- (C) det. nehin nach § 18 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes an das Statistische Bundesamt gemeldet werden müssen. Die AfD hat man da gar nicht mit einbezogen. Hier wird unnötig jedes Jahr der Gegenwert eines Einfa- (Dr. Eva Högl [SPD]: Warum auch?) milienhauses in mittlerer Wohnlage zum Fenster rausge- schmissen. Das war auch richtig so; denn in dieser Frage kann es mit uns keinen Kompromiss geben, meine Damen und (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Widerlich!) Herren. Liebe SPD, wieder nichts Bedeutsames zustande ge- (Beifall bei der AfD – Dr. bracht, wieder hinter den Erwartungen der eigenen Kli- [DIE LINKE]: Eben!) entel zurückgeblieben. Kein Wunder, dass sich immer mehr Ihrer linken Wähler von Ihnen abwenden. Man darf sich hier nichts vormachen: Das Ziel, den § 219a StGB ganz abzuschaffen, hat die SPD nie aufge- (Beifall bei der AfD – Dr. geben. [SPD]: Dann schauen Sie sich mal die Umfra- gen an! – [SPD]: Thema!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ihre sozialreformerischen Experimente, mit denen Sie Ihre Jugendorganisation hat auf ihrem Bundeskongress jetzt Ihr Image aufbessern wollen, werden ebenso enden: Anfang Dezember 2018 sogar noch eins draufgesetzt. Als Tiger gestartet, als Bettvorleger geendet. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Leier! (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Leier!) Dieser Fall zeigt wieder einmal, welche Bedeutung Unter dem Titel „Für ein Recht auf reproduktive Selbst- Sie von der SPD in der Koalition und darüber hinaus in bestimmung: Legalisierung von Schwangerschaftsabbrü- der politischen Landschaft haben. Entweder können Sie chen“ wurde beschlossen, sich für eine Streichung der sich nicht wirklich durchsetzen, so wie hier, oder Sie set- aktuellen gesetzlichen Regelung der §§ 218 bis 219b zen sich durch, und dann kommt dabei nur Schädliches StGB einzusetzen, für unser Land, für unser Volk heraus. Ziehen Sie endlich (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Konsequenzen. Machen Sie das, was Ihnen der junge, Dr. Eva Högl [SPD]: Selbstverständlich! Das süße Kevin empfiehlt: Treten Sie aus der Regierung aus, ist unsere Position!) kündigen Sie die Koalition, und machen Sie den Weg frei für Neuwahlen. was einen Schwangerschaftsabbruch bis kurz vor der Ge- (B) burt des Kindes rechtlich möglich machen würde. (Beifall bei der AfD) (D) (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Da- Wir von der AfD sehen weiterhin keinen An- rum geht es hier gar nicht!) lass, irgendetwas an dem § 219a StGB zu ändern. Bei 100 000 Abtreibungen pro Jahr ist indiziell nachgewie- Schämen Sie sich gar nicht? sen, dass es keinen Mangel an Informationsmöglichkei- (Zuruf von der AfD: Pfui!) ten gibt. Das wurde nur als Vorwand herbeikonstruiert, um alte linke Forderungen nach der Legalisierung von Noch mal: Als ich diesen Entwurf gelesen habe, dach- Schwangerschaftsabbrüchen wieder auf die Tagesord- te ich: Das hätte noch viel schlimmer kommen können. nung zu setzen. Die SPD hat bei ihren Verhandlungen nämlich eins nicht erreicht, was aber das eigentliche Ziel der ganzen Geset- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da zesinitiative war: den Einstieg in den Ausstieg aus dem kennen Sie sich als Mann ja aus!) § 218 StGB. Wir lehnen auch die Verschwendung von Steuergel- (Zuruf von der SPD: Quatsch!) dern für ein neues, unnötiges Informationsmedium ab. Ich nehme an, dass Frau Barley auch deshalb hier so in Vielen Dank. dieser Trauerstimmung gesprochen hat. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Dieser Gesetzentwurf enthält bestenfalls eine Verände- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: rung und Aktualisierung des Zugangs zu Informationen, Vielen Dank, Herr Kollege Maier. – Als nächster Red- ändert aber an der Grundstruktur des Schutzes des unge- ner erhält das Wort der Kollege Thorsten Frei, CDU/ borenen Lebens nichts, was in dem Referentenentwurf CSU-Fraktion. auch zutreffend an den Anfang gestellt wurde. (Beifall bei der CDU/CSU) Ärgerlich ist allerdings – hier hat sich die SPD wohl durchgesetzt –, dass für die Bürokratiekosten, die nun Thorsten Frei (CDU/CSU): entstehen, zusammengerechnet 416 500 Euro pro Jahr Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich ausgegeben werden müssen, glaube, immer dann, wenn es um die rechtlichen Rah- ( [SPD]: Die kriegen wir menbedingungen der ethischen Fragen von Beginn und gerade noch so zusammen!) Ende des menschlichen Lebens geht, geht es um die um- 9498 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Thorsten Frei (A) strittensten und auch herausforderndsten Themen, die wir den jährlich etwa 700 000 Geburten in Deutschland setzt, (C) hier im Deutschen Bundestag zu beraten haben. Wenn darf man Zweifel an diesem Argument haben. Jeder von man sich an die Debatten der Jahre 1974 – da habe ich uns, der mal ins Internet geht und eine Suchmaschine be- größere Schwierigkeiten – und 1992 erinnert, dann sieht tätigt, wird sehr schnell an alle möglichen Informationen man, dass das natürlich ganz umstrittene gesellschaftli- kommen. Deswegen, glaube ich, ist das in der Tat kein che Debatten waren, bei denen es allerdings gelungen durchschlagendes Argument. ist, am Ende zu einer Lösung, zu einem Kompromiss zu kommen, der nicht nur damals, sondern auch in den letz- Nichtsdestotrotz: Wenn Frauen in schwierigen Le- ten mehr als 25 Jahren zu einer Befriedung geführt hat. benssituationen der Auffassung sind, dass diese Informa- Deswegen ist es natürlich auch nicht verwunderlich, dass tionen auch nach einer Beratung für sie nicht leicht zu- man jetzt bei der Frage des Werbeverbots für Schwan- gänglich sind, dann sollten wir alles dafür tun, dass sich gerschaftsabbrüche ähnlich emotional mit diesem Thema das ändert. Dieser Gesetzentwurf macht das möglich. umgeht. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird beispielsweise die entsprechende Ärzteliste, monatlich Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, löst keinen gro- aktualisiert, im Netz zur Verfügung stellen, sodass diese ßen Jubel aus. Das haben wir in den bisherigen Reden Informationen für Frauen leicht zugänglich werden. schon gehört, und das wird auch die weitere Debatte zei- gen; denn es ist natürlich ein Kompromiss, der für viele (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und die von uns auch ein schmerzhafter Kompromiss ist – egal Männer? Schwangerschaften entstehen nicht in welche Richtung die eigene Argumentation gegangen ohne Befruchtung!) ist. Aber, ich glaube, wer sich ehrlich macht, muss sa- Umgekehrt wird auch Rechtssicherheit für Ärzte ge- gen, dass bei dieser schwierigen Frage und bei den aus- boten. Deswegen möchte ich an der Stelle sagen: Wer einanderklaffenden Vorstellungen hier im Haus und auch zu diesem Gesetzentwurf die Auffassung vertritt, dass es in der Gesellschaft nichts anderes als ein schmerzhafter keine Rechtssicherheit für Ärzte gibt, muss sich wirklich Kompromiss möglich war. Deswegen ist die Lösung, die fragen, ob es ihm am Ende um die Rechtssicherheit geht jetzt auf dem Tisch liegt, auch ein Erfolg an sich; das oder ob es nicht viel eher darum geht, dass man die Gren- muss man, glaube ich, ganz klar formulieren. zen des Rechts auszuloten versucht oder vielleicht auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ganz bewusst übertritt, weil dieses Recht nicht mit den der SPD) persönlichen Vorstellungen in Einklang zu bringen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ich will offen bekennen: Aus meiner Sicht – und da Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Weil es spreche ich sicherlich auch für viele Kolleginnen und falsches Recht ist! – Dr. Kirsten Tackmann (B) Kollegen hier im Haus – hätte es keiner Änderung des (D) [DIE LINKE]: Sie sind doch sonst immer für § 219a des Strafgesetzbuches bedurft. Rechtssicherheit!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Diese Frage muss man, glaube ich, schon klar beantwor- Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das glaube ten. ich unbesehen!) Uns als Union geht es darum, dass Werbung für Er ist für uns ein integraler Bestandteil dessen, was wir Schwangerschaftsabbrüche auch zukünftig unter Strafe 1992 hier im Hause vereinbart haben. steht. Das ist mit dem Gesetzentwurf tatsächlich gelun- (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen. Ein zweiter Punkt ist uns wichtig. Wir wollen, dass NEN]: Und das ist falsch!) die Beratung im Mittelpunkt steht. Wir sollten im parla- mentarischen Verfahren im Blick haben, ob wir für die Deswegen ist es für mich auch ganz besonders wichtig, Pluralität der Beratung noch etwas erreichen können. Das dass es im Gesetzentwurf nicht nur um die schwierige Entscheidende aber ist: Beratung muss an erster Stelle Konfliktsituation der Frau – diese ist völlig zu Recht in stehen. Beratung ist das Wichtigste – als Hilfestellung, den Fokus genommen worden –, sondern – das hat uns als Unterstützung und keinesfalls als Bevormundung. das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidun- gen aufgetragen – eben auch um das Lebensrecht des Herzlichen Dank. Ungeborenen geht. Das muss in einer solchen Güterab- (Beifall bei der CDU/CSU) wägung letztlich auch betrachtet werden. Dem kommt dieser Gesetzentwurf nach. Deswegen kann man, glaube ich, schon sagen: Es ist ein guter Gesetzentwurf. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Frei. – Als nächster Redner (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und erhält das Wort der Kollege Stephan Thomae, FDP-Frak- der SPD) tion. Wir müssen an der einen oder anderen Stelle das Er- (Beifall bei der FDP – Dr. Kirsten Tackmann gebnis durchaus vom Ende denken. Es ist die Kritik ge- [DIE LINKE]: Es reden bisher nur Männer!) äußert worden, dass Frauen in schwierigen Lebens- und Konfliktsituationen nicht über genügend Informatio- nen verfügen können. Wenn man die 100 000 Schwan- Stephan Thomae (FDP): gerschaftsabbrüche – in manchen Jahren sind es sogar Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! 130 000 Schwangerschaftsabbrüche – ins Verhältnis zu Verehrte Kollegen! Die Regierung legt uns heute einen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9499

Stephan Thomae (A) Gesetzentwurf zur Verbesserung der Information über ei- danken darüber machen, wie sie aufklärt. Das zeigt die (C) nen Schwangerschaftsabbruch vor. Das ist ein reichlich ganze Absurdität des Vorhabens. prosaischer Name – wenn man sich mal überlegt, wie (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ die Koalition ihre Gesetze bislang nennt: Starke-Fami- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der lien-Gesetz, Gute-Kita-Gesetz, jetzt kommt ein Geord- LINKEN) nete-Rückkehr-Gesetz aus dem Innenministerium. Hier haben Sie sich nichts einfallen lassen. Ich schlage vor: Sie wenden das schärfste Schwert des Rechtsstaates Nennen Sie Ihr Gesetz doch Koalitionsfriedensrettungs- an – die Ultima Ratio, das letzte Mittel –, um Rechtsgüter gesetz; denn nur darum geht es Ihnen! Das ist der Zweck zu schützen, nämlich unser Strafrecht, um strafbares Un- dieses Gesetzes. recht zu ahnden. Schon die Vorstellung, dass eine sach- liche Information über erlaubte Tätigkeiten strafbares (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Unrecht sein könnte, ist doch absurd. Es ist absurd, zu der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE glauben, dass das strafbar sein muss. GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Es geht Ihnen nicht wirklich um eine Verbesserung der der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Information über Schwangerschaftsabbrüche. GRÜNEN) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr Sie treiben es sogar noch auf die Spitze. Sie sagen: Was wolltet nicht regieren! Deswegen müsst ihr bei den einen, nämlich bei der Bundesärztekammer und keine Kompromisse machen!) bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, gesetzlicher Auftrag ist, ist, wenn es ein Arzt macht, so Wenn es Ihnen um eine Informationsverbesserung schlimm, dass er mit dem schärfsten Schwert des Staates ginge, dann wäre doch der Maßstab, auf den es uns im- rechnen muss, dem Strafrecht, der Ultima Ratio unseres mer angekommen ist, dass die sachliche Information Staates. über Schwangerschaftsabbrüche, die ein Arzt vornimmt, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der nicht mehr strafbar sein soll. Als Beispiel nenne ich die LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus Gießener Ärztin, Frau Hänel. Das war für uns immer die [FDP]: Unglaublich!) Messlatte. Auch für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, war das immer der Maßstab bzw. die Messlatte. Ihre Logik ist, dass dieselbe sachliche Information bei dem einen gesetzlicher Auftrag und bei dem anderen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten strafbares Unrecht ist. Das ist absurd. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (D) Ihr Gesetzentwurf bleibt deutlich unter dieser Mess- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten latte. Der Arzt darf weiterhin nicht frei informieren, darf der LINKEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE weiterhin nicht aus seiner beruflichen Erfahrung schöp- LINKE]: Komplett absurd!) fen. Sie benutzen das Strafrecht als Allzweckwaffe der Politik (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten statt als Ultima Ratio, als letztes Mittel des Rechtsstaates. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Das kann hier nicht sinnvoll sein. GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Er darf nicht sagen: Das sind die Fragen der Frauen und LINKEN) Mädchen, die zu mir kommen. Ich beantworte diese aus meiner beruflichen Erfahrung und stelle diese Informa- Welches gesetzlich geschützte Rechtsgut verletzt der tionen zur Verfügung. – Der Arzt ist doch derjenige, der Arzt eigentlich, wenn er sachliche Informationen über das weiß. eine erlaubte Tätigkeit veröffentlicht, die man sowieso woanders, bei der Bundesärztekammer oder bei der Bun- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ge- deszentrale für gesundheitliche Aufklärung, finden kann? nau!) Welches Rechtsgut wird hier verletzt, dass das Strafrecht bemüht werden muss? Die Frauen und Mädchen können sich weiterhin nicht bei den Ärzten, zu denen sie gehen wollen, frei informieren. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist keine echte Verbesserung der Information für die NEN]: Gute Frage!) Frauen. Wenn Sie diese Frage – damit komme ich zum Schluss, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herr Präsident – nicht überzeugend beantworten können, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE dann ist Ihr Gesetzentwurf nicht nur absurd – das sind wir GRÜNEN) ja schon gewohnt –, er ist vor allem verfassungswidrig. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Woher kommt das riesige Misstrauen, das Sie den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ärzten entgegenbringen? Kammerversammlungen müs- sen erst darüber befinden, wie informiert werden soll, Deswegen kündige ich Ihnen an – das ist mein letzter welche Texte sich anbieten. Eine Behörde, die Bundes- Satz –, dass wir in der parlamentarischen Beratung einen zentrale für gesundheitliche Aufklärung, muss sich Ge- Änderungsantrag einbringen werden, der zeigen wird, 9500 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Stephan Thomae (A) wie man es nach unserer Auffassung verfassungskon- denseiten verlinken dürfen. Das kann man natürlich auch (C) form regeln kann. „Rechtssicherheit“ nennen, nicht? Die Fachleute haben dann die Sicherheit, dass sie sich mit fachlicher Informa- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tion nicht weiterhin strafbar machen. Das, finde ich, ist ganz toll. Ehrlich. Herr Kollege, Sie sollten jetzt wirklich zum Schluss kommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Stephan Thomae (FDP): und des Abg. Stephan Thomae [FDP]) Wir kündigen aber auch an, dass wir, wenn Sie Ihren Sie setzen im Ergebnis Informationen weiterhin mit Gesetzentwurf nicht verändern, eine Normenkontroll- Werbung gleich und meinen wohl, dass Frauen durch klage anstrengen werden. Wir laden Sie, die Linken, die fachliche Infos zu sehr verwirrt werden. Bei aller Wert- SPD und die Grünen, ein, sich uns anzuschließen. schätzung, Ministerin Barley: Ich kann wirklich nicht Vielen Dank. verstehen, dass Sie das als Erfolg verkaufen. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE LINKEN) GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die jetzt vor Gericht stehenden Ärztinnen und Ärzte würden sich mit ihren Webseiten immer noch strafbar Herr Kollege Thomae, herzlichen Dank für Ihren Bei- machen. Kollege Thomae hat darauf hingewiesen: Das trag. – Als nächste Rednerin spricht zu uns die Kollegin war eigentlich mal der Maßstab, den Sie uns hier verspro- Cornelia Möhring, Fraktion Die Linke. chen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Was macht (Beifall bei der LINKEN) ihr da bloß? Jetzt habt ihr nicht mal das Durchhaltever- mögen, die entsprechende Empörung auszuhalten, macht lieber Verrenkungen und versucht, die Debatte möglichst Cornelia Möhring (DIE LINKE): vor den Europawahlen zu beenden. Glaubwürdigkeit, lie- Danke. – Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! be Kolleginnen und Kollegen von der SPD, geht anders. Ich kann mich den Worten des Kollegen Thomae schon mal vollumfänglich anschließen. Ich möchte aber die (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Gelegenheit nutzen und auch noch mal in Erinnerung ru- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- (B) fen, warum es diese Debatte um den § 219a überhaupt ten der FDP) (D) gibt; denn ich habe schon den Eindruck, dass die für den Entwurf verantwortlichen SPD-Ministerinnen zumindest Ihr macht das vor allem in einer Zeit, in der Abtrei- das Ausmaß des Problems und auch die Beschlusslage bungsgegner militanter werden, sich weltweit mit rechten der eigenen Partei und Fraktion verdrängt haben. Kräften vernetzen und gegen jede Selbstbestimmung zu Felde ziehen. Das ist verantwortungslos. Dass schwange- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) re Frauen durch Gehsteigbelästigungen eingeschüchtert Der § 219 ist ein Relikt aus der Nazizeit. werden sollen und die Union ständig das Thema Lebens- schutz mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch in Ver- (Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ganz falsch!) bindung bringt, zeigt doch, was für ein Klima geschaffen Durch § 219a werden Ärztinnen und Ärzte kriminali- wird. siert und in ihrer freien Berufsausübung eingeschränkt. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-­ Sie dürfen nicht darüber informieren, ob sie die Leistung Brömer [CDU/CSU]: Wie erstaunlich! Le- anbieten, und sie dürfen auch nicht darüber informieren, bensschutz ist Ihnen nicht wichtig, das hört wie sie Abbrüche durchführen. In der medizinischen man bei der Rede! Das ist unfassbar, was Sie Ausbildung kommt diese Leistung übrigens gar nicht da sagen!) mehr vor. Der § 219a birgt als Frauenbild die verantwortungs- Da müssen fortschrittliche Kräfte doch gemeinsam ge- lose Schwangere, die keine Informationen verarbeiten genhalten. Aber die Änderung des § 219a stärkt solchen kann, nicht alleine entscheidungsfähig ist und auf Wer- Leuten den Rücken. bung hereinfällt. In der Folge führen immer weniger Pra- xen noch Abbrüche durch. Mit Ihrem Kompromiss, der Mal ganz abgesehen davon, liebe Kolleginnen und jetzt auch noch in einem Affenzahn durch den Bundestag Kollegen der SPD: Es gibt politische Fragen, bei denen gepeitscht werden soll, werden diese Folgen nicht umge- gibt es ein Richtig und ein Falsch. Da hilft überhaupt kehrt, sondern vielleicht sogar verschärft. kein technokratisches Gerede. Denn innerhalb des Straf- gesetzbuches kann es keine Lösung geben. Solange das Frau Barley, Sie sagen, es wird Rechtssicherheit ge- Strafrecht als schärfstes juristisches Schwert Schwanger- schaffen. Tja, Ärztinnen und Ärzte dürfen dann schrei- schaftsabbrüche regelt, gibt es kein Recht auf körperliche ben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Aber Selbstbestimmung, sondern allerhöchstens eine Erlaub- es wird auch festgeschrieben, dass sie nicht über die nis. Frauen brauchen aber keine Erlaubnis. Sie brauchen Methoden und Abläufe informieren und nur zu Behör- das klare und das eindeutige Recht, dass nur sie alleine Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9501

Cornelia Möhring (A) entscheiden können, ob sie eine Schwangerschaft fort- Zu Recht sind die Entrüstung und der Widerstand ge- (C) führen oder ob sie sie beenden wollen. gen dieses Gesetz groß, und zwar auch, weil die Union die Auseinandersetzung um § 219a zu einer Debatte um (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- § 218 macht. Und da sage ich noch einmal: Das ist unred- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – lich. Das steht hier nicht auf der Tagesordnung. Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Unterir- disch, Frau Kollegin!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) Deswegen sagt meine Fraktion ganz klar: Der § 219a muss gestrichen werden! Keine miesen Kompromisse! Sie gehen sogar so weit und übernehmen eins zu eins Positionen der Abtreibungsgegner. Diese Studie für sage Vielen Dank. und schreibe 5 Millionen Euro ist ein unmissverständli- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- cher Beleg dafür. Ich frage Sie ganz konkret: Wissen Sie, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wo Sie da gerade hinsteuern? (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die wissen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: das! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist das Schlimme, dass die das wissen!) Vielen Dank, Frau Kollegin Möhring. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Ulle Schauws, Frak- Stattdessen machen Sie Verrenkungen, um diesen Para- tion Bündnis 90/Die Grünen. grafen – er ist aus dem Jahre 1933 – weiter zu legitimie- ren und ihn ja nicht streichen zu müssen. Akrobatik ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das, was Sie hier machen. Jetzt wäre die einmalige Chance – das sage ich klar in Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtung Union –, die Lage für ungewollt schwangere Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frauen umfassend zu verbessern und dieses unerträgli- Wenn ich ein Mathematikstudent in den Endzwanzigern che Schüren von Misstrauen gegen sie zu beenden, wäre, eine Abneigung gegen Sexualaufklärung und nicht den Hauch einer Ahnung von Frauen hätte, wenn mein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Hobby wäre, das Internet nach Ärztinnen und Ärzten zu bei der FDP und der LINKEN) durchforsten, die Schwangerschaftsabbrüche durchfüh- die Leistungen der Ärztinnen und Ärzte ohne Vorbehalt ren, um sie reihenweise anzuzeigen, dann, meine Damen anzuerkennen und eine gute, einvernehmliche Lösung und Herren, würde ich mich über dieses restriktive Ge- ohne den § 219a zu finden. Aber Sie in der Union haben (B) setz der Bundesregierung freuen. sich entschieden, genau diesen Kurs nicht zu fahren, wei- (D) Warum? Weil § 219a im Strafgesetzbuch stehen ter zu entmündigen und eine, wie ich finde, gefährliche bleibt, trotz der Gerichtsverfahren gegen Ärztinnen und Stimmung zu erzeugen Ärzte, trotz einer deutlichen Mehrheit in allen Umfragen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die Streichung. Schon die kleinste Abweichung vom und bei der LINKEN – Elisabeth Winkelmeier-­ erlaubten Begriff auf der Homepage der Ärztinnen und Becker [CDU/CSU]: Wir haben das Thema Ärzte würde es möglich machen, sie auch weiterhin an- nicht auf die Tagesordnung gesetzt!) zuzeigen. Darum stelle ich Ihnen von der Bundesregie- rung eine zentrale Frage: Wem dient dieses komplizierte gegen die klare Haltung etlicher Organisationen, auch Gesetz? aus den Kirchen, und gegen die Mehrheit der Bevölke- rung. Und diese Verantwortung tragen Sie von der So- (Stephan Thomae [FDP]: Dem Koalitionsfrie- zialdemokratie mit. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir las- den!) sen Ihnen das nicht durchgehen, auch wenn Sie das hier Dient es den Ärztinnen und Ärzten? Gibt es ihnen nächste Woche abschließen wollen. Rechtssicherheit? Stärkt es ihre Berufsfreiheit? Können (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie die Staatsaufgabe, Schwangere in jeder Lebenslage und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten bestmöglich zu versorgen, ohne Einschränkung erfüllen? der FDP) Oder dient dieses Gesetz den Frauen in diesem Land? Nein! Dieser Kompromiss dient weder den Frauen noch Meine Damen und Herren, es ist ja nicht das ers- den Ärztinnen und Ärzten, meine Damen und Herren. te Mal, dass hier herablassend über Frauen gesprochen wird, wenn es um ihre reproduktiven Rechte geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN – Michael (Ingmar Jung [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal, Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist falsch!) was die Grünen in Hessen in dieser Frage ma- chen!) Dieses Gesetz signalisiert den Abtreibungsgegnern: Weitermachen, Stimmung machen gegen Frauen, gegen – Hören Sie gerne mal zu. – Ich sage nur: Smarties. Herr Ärztinnen und Ärzte, gegen Selbstbestimmung. Und das Spahn scheint also erneut besorgt, dass die Frauen nicht ist fatal. eigenverantwortlich entscheiden können. Er will für eine horrende Summe genau hingucken, wie schlecht es ihnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wirklich geht. Verstehen Sie mich nicht falsch: Studien bei der FDP und der LINKEN) sind wichtig, wenn es Erkenntnisdefizite gibt. Aber wenn 9502 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Ulle Schauws (A) es diese nicht gibt und wenn es dieses von Abtreibungs- Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, (C) gegnern behauptete Post-Abortion-Syndrom erst recht Senioren, Frauen und Jugend: nicht gibt, dann muss man sehr, sehr kritisch fragen: Wo- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- für wollen Sie diese 5 Millionen Euro wirklich bewilli- ren! Bei diesem Thema – man merkt es an der hitzigen gen? Diskussion – könnten die Positionen nicht unterschiedli- cher sein. Das ist auch innerhalb der Regierungskoalition (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, so, und das ist kein Geheimnis. bei der FDP und der LINKEN) Unsere schwierige Aufgabe war es, zwischen der Po- Wenn Sie sich um Frauen sorgen, dann nehmen Sie sition, den § 219a nicht anzurühren, und der SPD-Positi- dieses Geld in die Hand für eine bessere Versorgung on, ihn abzuschaffen, einen Kompromiss zu finden, einen durch Hebammen und Geburtsstationen. Das würde Weg, den alle drei Regierungspartner mitgehen können. Frauen helfen. Unser Ziel in den Verhandlungen war – diese Position haben wir mit Katarina Barley immer vertreten –, einer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, seits das Informationsrecht der Frauen zu stärken und bei der FDP und der LINKEN) anderseits Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte zu schaffen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Beides nicht geschafft!) Das waren die beiden wesentlichen Punkte, mit denen Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wir auch in die Verhandlungen gegangen sind. Ich komme zum Schluss. – Aber hören Sie auf, zu Es ist ganz klar: Jede Frau, die vor der Frage steht, suggerieren, Frauen wüssten nicht, was sie tun. Sie von ein Kind trotz schwieriger Umstände zur Welt zu bringen Union und SPD verantworten mit, dass laufende Klagen oder nicht, die Schwangerschaft abzubrechen oder nicht, nicht eingestellt werden und betende Abtreibungsgegner befindet sich in einer Notsituation. Sie ist in einer außer- weiter Beratungsstellen und Arztpraxen belagern. Das ist gewöhnlichen Lebenssituation, und es ist ganz klar, dass ein unhaltbarer Zustand für alle. weder eine Frau in dieser Lage noch eine Ärztin, ein Arzt sich diese Entscheidung leicht macht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD)

(B) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir haben dafür gestritten, dass die Informationen (D) im Vergleich dazu, wie sie jetzt sind, verbessert werden: Frau Kollegin, Sie haben jetzt noch einen Satz. dass der Zugang zu Informationen verbessert wird, dass es endlich – das ist schon lange gefordert worden – eine Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verlässliche Liste über Ärztinnen und Ärzte geben wird, die das machen, und dass auch öffentlich darüber infor- Ich sage: Unsere Oppositionsgesetzentwürfe zur miert wird, welche Methoden sie anwenden. Wir haben Streichung liegen vor. Es liegt auch ein Gesetzentwurf in erreicht – auch das war eine wesentliche Forderung –, der Schublade der SPD. Sie haben es jetzt in der Hand. dass in Zukunft jeder Arzt, jede Ärztin in Deutschland Lassen Sie uns gemeinsam § 291a streichen! darüber informieren darf, dass er bzw. sie Schwanger- Vielen Dank. schaftsabbrüche vornimmt. Das war bisher nicht so. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) Es ist ein Fortschritt, dass wir das geschafft haben und dass das nun möglich ist. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir haben vereinbart, dass von der Bundeszentrale Vielen Dank, Frau Kollegin Schauws. – Ich möchte für gesundheitliche Aufklärung, der Bundesärztekammer jetzt darauf hinweisen, dass im Zuge der weiteren Bera- und dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaft- tung meine Geduld mit der Aufforderung, zum Schluss liche Aufgaben diese Informationen in den 1 600 Bera- zu kommen, am Ende ist. Es macht keinen Sinn, dass die tungsstellen bundesweit auch verfügbar gemacht werden. Redner dann immer noch 20, 30 Sekunden überziehen. Ich werde von § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung Ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: brauch machen und nach einmaliger Mahnung das Wort Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der entziehen. Kollegin Keul? Als nächste Rednerin rufe ich auf die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Franziska Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Giffey. Senioren, Frauen und Jugend: Ich würde gerne weiter ausführen. – Wir haben mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den Apotheken in Deutschland eine Zusammenarbeit da- der CDU/CSU) rüber, dass sie über unser Hilfetelefon „Schwangere in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9503

Bundesministerin Dr. Franziska Giffey (A) Not“ informieren. Das Angebot dieses Hilfetelefons be- informieren, sondern Rechtssicherheit, weiterhin straf- (C) steht schon jetzt, und wir wollen dies noch weiter ausbau- rechtlich verurteilt zu werden. en. Rund um die Uhr in 18 Sprachen werden alle Frauen informiert, die in dieser Notsituation sind. Ich sage hier (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- einmal die Nummer: 0800 40 40 020. Dieses Hilfetelefon SES 90/DIE GRÜNEN) ist rund um die Uhr an jedem Tag des Jahres verfügbar. Es informiert Frauen über Ärzte, die Schwangerschafts- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: abbrüche vornehmen, über die Methoden, die sie anwen- Frau Ministerin, wollen Sie antworten? – Bitte. den, über die Hilfsangebote, über die Beratungsstellen. Es war uns ganz wichtig, dass wir zu einem solchen An- Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, gebot kommen. Das ist gelungen. Senioren, Frauen und Jugend: (Beifall bei der SPD) Wir reden hier über ein Gesetz für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit, für Verfahren, die schon lau- Es ist aber ganz klar: Wir wollen, dass es darüber hi- fen, und zwar nach den bisherigen Regeln. nausgeht. Wir sehen, dass wir Versorgungslücken in Deutschland haben. Wir sehen, dass wir klare Verbesse- Wir reden davon, dass Ärztinnen und Ärzte in Zukunft rungen bei der Qualifizierung der Ärztinnen und Ärzte wissen, dass sie über die Tatsache informieren dürfen, brauchen. Deshalb haben wir – und das ist mit dem Bun- dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. desgesundheitsminister vereinbart – auch ausgemacht –, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass er ein Konzept dafür vorlegen muss, wie er diese Qualifizierung der Ärzte fortentwickeln und verbessern Das ist ganz klar eine Sicherheit, die alle Ärztinnen und will. Das wird er bis zum Ende des Jahres auch tun. Ärzte in Deutschland haben werden und wir reden auch darüber, dass Ärztinnen und Ärzte in Zukunft wissen, (Beifall bei der SPD) welche Informationen sie auf ihre Internetseite stellen dürfen. Im Beratungsgespräch dürfen sie natürlich auch Wir wollen, dass Ärztinnen und Ärzte genau wissen, darüber hinaus informieren. Jeder Arzt, jede Ärztin hat welche Informationen sie auf ihre Internetseite stellen die Freiheit und die Sicherheit, im Beratungsgespräch all können und zu welchen Informationen sie verlinken das in eigenen Worten zu sagen. können. Das haben wir vereinbart. Das ist für einige von Ihnen vielleicht nicht ausreichend. Aber es ist das, was Es geht hier einzig und allein um die Internetinforma- möglich war. Das ist eine deutliche Verbesserung der Si- tion. Diese wird zukünftig ganz klar über die Bundes- tuation. zentrale für gesundheitliche Aufklärung, die Bundesärz- (B) tekammer und über das BAFzA zur Verfügung gestellt (D) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden. Das heißt, ein Link auf der Homepage des Arztes NEN]: Reden Sie es doch nicht schön! Das ist wird in die Lage versetzen, diese Information zu geben. das Schlimmste daran!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Das kommt den Zielen zugute, die wir uns gesetzt haben, ten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜND- nämlich die Informationen für die Frauen zu verbessern NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine und auch für die Rechtssicherheit der Ärztinnen und Ärz- Informationsfreiheit!) te. Vielen herzlichen Dank. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Kollegin Keul, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ich weiß, dass ich das nicht erzwingen kann, aber es ist der CDU/CSU) ein Gebot der Höflichkeit, die Antwort stehend abzuwar- ten.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die Kollegin Katja Habe ich ja!) Keul hat das dringende Bedürfnis zu einer Kurzinterven- tion. Ich gestatte sie. Frau Kollegin Keul, Sie haben das Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Wort. Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): habe eine Frage, weil Sie gesagt haben, es gebe jetzt Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte. Das kann legen! Meine Damen und Herren! Seit gut einem Jahr man so oder so sehen. Sicher ist jedenfalls, dass sowohl führen wir in diesem Haus eine sehr kontroverse Debatte Frau Hänel als auch alle anderen Ärztinnen, die bislang über die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibun- angezeigt worden sind, nach Ihrem Gesetz weiterhin gen. Heute liegt erstmals ein Kompromiss als Grundlage strafrechtlich verurteilt werden müssen. Ist Ihnen das vor, den die Minister der Koalition erarbeitet haben. Erst eigentlich klar? Was ist das also für eine Rechtssicher- einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie das auf den Weg heit, die sie haben? Sie haben keine Rechtssicherheit, zu gebracht haben. 9504 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) Die Kurzbotschaft dieses Kompromisses lautet: Das Sie haben heute viele Aspekte gehört, mit denen ver- (C) Werbeverbot nach § 219a StGB bleibt in der Substanz er- fassungsrechtliche Bedenken zu diesem Gesetzentwurf halten. Das war für uns essenziell. Aber wir greifen auch vorgebracht wurden. Diese werden wir wahrscheinlich zwei Anliegen auf, die diejenigen, die für eine Abschaf- auch in der Anhörung mitgeteilt bekommen. Mich wür- fung sind, in den Mittelpunkt gestellt haben, und zwar de interessieren: Halten Sie das Verfahren in dieser Form einmal aus dem Blickwinkel der Frauen und zum ande- und in diesem Tempo für seriös? Wie sollen sich die ren aus dem Blickwinkel der Ärzte: Experten in dieser kurzen Zeit zu Ihrem Gesetzentwurf äußern? Können Sie zusagen, dass Sie, je nachdem, was Wir verstehen, dass Frauen bei einer ungewollten die Experten am Montag sagen, genug Zeit einräumen, Schwangerschaft in einer schwierigen Situation sind und damit diese möglicherweise angebrachten verfassungs- Informationen suchen. Heutzutage schauen sie typischer- rechtlichen Bedenken in Ihren Gesetzentwurf einfließen weise ins Netz und suchen dort nach Informationen, wo können? Oder sind diese Anhörung am Montag und das sie gegebenenfalls eine Abtreibung durchführen lassen ganze Verfahren eine Farce, und wollen Sie das Ganze können, nach Informationen über medizinische Fragen hier im Parlament schnell durchpeitschen? usw. Deshalb haben wir uns vorgenommen, valide si- cherzustellen, dass die Frauen an diese Informationen (Beifall bei der LINKEN – Stephan Thomae kommen. Wir haben die Bundeszentrale für gesundheit- [FDP]: Letzteres! – Michael Grosse-Brömer liche Aufklärung im Blick. Sie soll dafür sorgen, dass [CDU/CSU]: Einmal zu schnell, einmal zu medizinisch verlässliche Informationen zur Verfügung langsam!) gestellt werden. Ich bin mir sicher, dass dort nicht der Fehler gemacht wird, einen Fötus mit Schwangerschafts- Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): gewebe zu vergleichen. Danke für Ihre Frage. – Ich habe eingangs gesagt, Wir haben die Bundesärztekammer gebeten, sich da- dass wir diese Debatte seit Anfang dieser Legislaturperi- rum zu kümmern, dass es immer eine aktuelle Liste über ode führen. Das ganze Pro und Kontra ist nun wirklich in entsprechende Ärztinnen und Ärzte gibt. Da gab es bis- allen Varianten zigmal abgewägt worden, und alle Argu- her Defizite; das muss man einräumen. Solche Informa- mente sind ausgetauscht worden. tionslücken werden in Zukunft verlässlich geschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-­ Brömer [CDU/CSU]: Das will er nicht wis- Für diese beiden Punkte wäre eigentlich keine Geset- sen!) zesänderung nötig gewesen. Das hätte man auf dem ein- fachen Wege über eine Vereinbarung oder eine Anwei- Die Eckpunkte zu unserem Gesetzentwurf – bleiben sung machen können; aber es schadet auch nicht. Sie bitte stehen – liegen seit Ende des letzten Jahres vor (B) und sind jetzt nur noch einmal konkretisiert worden. Von (D) Meine These ist übrigens, dass die Frage, wo und wie daher sehe ich überhaupt keine Einschränkung in der um- eine Abtreibung erfolgen kann, in der Phase des Ob, also fassenden Diskussion. Alles liegt auf dem Tisch, und al- wenn es darum geht, ob sich die Frau für das Kind ent- les ist bekannt. Ich glaube, die Positionen sind halbwegs scheidet oder für eine Abtreibung, nicht die entscheiden- klar und sicher. de Rolle spielt. Das kommt zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Entscheidung gefallen ist. Dann möchten die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frauen natürlich alle Details wissen. Da hat es nie eine Ob ein Verfahren ordnungsgemäß abläuft – ja oder Beschränkung gegeben, weder nach der heutigen Rechts- nein? –, das richtet sich nach der Verfassung und der Ge- lage noch zu einem anderen Zeitpunkt. schäftsordnung. Da sehe ich überhaupt kein Problem. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-­ NEN]: Das stimmt nicht, Frau Kollegin!) Brömer [CDU/CSU]: So ist das! Sehr gut!) Der Arzt ist verpflichtet, dann, wenn es zu einer Abtrei- Ich möchte auf die Situation zurückkommen, in der bung kommen soll, jede Information zu geben. die Frau noch über das Ob eines Schwangerschaftsab- bruchs entscheidet. Da ist aus unserer Sicht weiterhin Vizepräsident Wolfgang Kubicki: entscheidend, dass die Beratung der richtige Ort ist, um die anderen Fragen zu entscheiden: Was sagt der Partner Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des dazu? Welche Hilfen habe ich, wenn ich mich für ein Le- Kollegen Movassat von der Fraktion Die Linke? ben mit dem Kind entscheide? Auch die Grundrechte des Kindes, etwa sein Lebensrecht, werden in der Beratung Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): erörtert. Ja. Deshalb ist dort der wichtigste Platz. Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Am Niema Movassat (DIE LINKE): Ende der Beratung ist die Frau frei in ihrer Entscheidung. Danke, Frau Kollegin, dass Sie meine Zwischenfrage Sie braucht niemandem etwas zu erklären. Sie braucht zulassen. – Sie bringen Ihren Gesetzentwurf heute das nichts zu rechtfertigen. – Deshalb: Alle, die hier weiter erste Mal in den Bundestag ein, und schon am Montag die Freiheit der Frau reklamieren, haben bitte zur Kennt- werden wir im Rechtsausschuss eine Expertenanhörung nis zu nehmen, dass die Frau diese Entscheidung frei dazu haben. Das ist ein irrsinnig schnelles Tempo. treffen kann. Es ist der Ausdruck des höchsten Respektes Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9505

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) gegenüber der Frau, dass sie diese Entscheidung alleine Gerade das Werbeverbot in § 219a stellt einen ganz (C) trifft und auch alleine verantwortet. wichtigen Baustein dar. Die Zielrichtung, die dort ver- folgt wird, können, glaube ich, losgelöst von der inhalt- (Beifall bei der CDU/CSU) lichen Diskussion heute und den Emotionen, alle Frakti- Ich fände es im Übrigen auch gut, wenn wir zusätzlich onen hier verfolgen. Die Idee dahinter ist nämlich: Eine eine Liste der Beratungsstellen ins Netz stellen würden. Frau in dieser schwierigen Situation soll maximale, um- fassende Hilfestellung bekommen, um diesen Konflikt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) aufzulösen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es die- Mit dem Kompromiss legen wir auch den Streit darü- se umfassende Hilfe eben dann nicht gibt, wenn die Frau ber bei, ob Ärzte auf ihrer Homepage über die Tatsache, sich bei ihrer Entscheidung, auch wenn sie sich diese dass sie Abtreibungen durchführen, informieren dürfen. Entscheidung nicht einfach macht, unter Umständen von Gerade war von den unausgelasteten Mathematikstu- relativierenden, oberflächlichen Momenten leiten lässt. denten die Rede. Für sie habe auch ich keine Sympathie. Das sind zum Beispiel Sätze wie: „Die Abtreibung geht Sie kommen mir ein bisschen vor wie die Deutsche Um- bei mir anonym“, „Sie können bar bezahlen“, „Ihr Bauch welthilfe der Abtreibungsärzte. gehört doch Ihnen“. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was ist das für ein Frauenbild?) NEN]: Das war jetzt wirklich unterirdisch!) Oder es ist ein Satz wie der von Frau Dr. Hänel, die sagt – Die DUH ist auch nicht unbedingt mit viel Sympathie Herr Präsident, ich zitiere –: verbunden. Jedes faschistische System zielt auf die reprodukti- ven Rechte von Frauen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss. (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Verbietet den Frauen doch am besten das Gebären!) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Der Gesetzgeber will vielmehr, dass die Frau Gele- Was uns hier vereint, ist der Wille, den gesellschaft- genheit hat, in diesem Konfliktprozess lichen und politischen Kompromiss, den wir in diesem Land haben, weiterzutragen, ihm ein Update zu geben. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das Ich glaube, in diesem Sinne werden wir die Beratungen ist auch ein Konflikt der Männer! Es gibt bei führen. Menschen keine Selbstbefruchtung! Hände (B) aus den Taschen!) (D) Herzlichen Dank. den Konflikt aufzuarbeiten, damit sie Zeit hat, für sich (Beifall bei der CDU/CSU) die Frage zu beantworten: Warum will ich dieses Kind? (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt spricht jetzt der Kollege Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion. alle – ich verstehe das Amüsement gerade nicht –, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ist eher Entsetzen, ehrlich gesagt!) Ich habe eine Bitte an die hinteren Reihen der CDU/ CSU-Fraktion: Es wäre nett, wenn Sie Ihren eigenen Red- dass die Probleme, die dahinterstehen, weitreichender nern zuhören und die Unterhaltungen einstellen würden. und tiefgreifender sind. Da geht es nämlich darum, dass die Frau das Kind nicht will, weil es Rahmenbedingun- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): gen gibt, die von Gewalt geprägt sind. Die Frau will das Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen Kind nicht, weil der Mann Alkoholiker ist. Die Frau will und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! das Kind nicht, weil der Mann unter Umständen so viel Die §§ 218 bis 219b StGB stellen ein fein austariertes Druck auf sie ausübt. – Wir wissen wir doch alle, wie wir Konstrukt dar. Dieses Konstrukt beinhaltet Schutz in hier sitzen, dass das eigentliche Problem dann mit der zwei Richtungen: zum einen den Schutz des ungebore- Abtreibung doch nicht gelöst ist, sondern dass es weiter nen Lebens, zum anderen die Idee, Frauen in einer ganz besteht. schwierigen Lebenssituation Hilfestellung zu geben. In (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Mann, dem Moment, wo Sie aus diesem Konstrukt auch nur ei- Mann, Mann! So kann nur ein Mann reden!) nen Teil rauslösen, ist dieser Schutz nicht mehr lückenlos gewährleistet. – Wir reden von Gleichberechtigung, und jetzt sollen meine Argumente weniger wert sein, weil ich ein Mann (Stephan Thomae [FDP]: Das bestreite ich bin? aber! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Geschichte stimmt einfach (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nicht!) der FDP) 9506 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Alexander Hoffmann (A) Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole (C) Werbeverbot wichtig. Das Ziel muss sein, dass die Ent- Westig, Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, scheidung „Ich treibe ab“ im Konfliktberatungsgespräch weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP oder danach getroffen wird und eben nicht schon vorher anhand bestimmter relativierender Parameter – weil es Mehr Transparenz in der Pflege-Debatte – Fi- günstig ist, weil es unkompliziert ist, weil es vielleicht nanzierung der Pflege generationengerecht kein großes Ding ist – und dass man ins Konfliktbera- sichern tungsgespräch nicht nur geht, um sich den Schein abzu- Drucksache 19/7691 holen. Überweisungsvorschlag: (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ich Ausschuss für Gesundheit (f) weiß nicht, was Sie für Frauen kennen!) Finanzausschuss Haushaltsausschuss Wir von der Unionsfraktion sind sehr froh, dass das Werbeverbot bei diesem Kompromiss bestehen bleibt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Es ist feiner geschliffen und mit Sicherheit etwas praxis- tauglicher gemacht. Bevor ich die Aussprache eröffne, biete ich den Kol- leginnen und Kollegen Gelegenheit, möglichst zügig die Plätze zu tauschen und ihre Gespräche, soweit möglich, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: einzustellen. Das gilt auch für die Mitglieder der Fraktion Herr Kollege kommen Sie bitte zum Schluss. der SPD, der FDP und der CDU/CSU. – Es ist unsere gemeinsame Zeit. Das wird von den Redezeiten wieder Alexander Hoffmann (CDU/CSU): abgezogen, keine Sorge. Aber wenn wir das beherzigen, dann glaube ich, dass Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Aus- die Debatte, vor allem vor dem Hintergrund unseres ge- sprache und erteile zunächst das Wort der Kollegin Pia meinsamen Ziels, Frauen in dieser schwierigen Situation Zimmermann, Fraktion Die Linke. Hilfestellung zu geben, in den weiteren Beratungen weit- aus weniger emotional – (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Pia Zimmermann (DIE LINKE): (B) Herr Kollege, Sie haben jetzt noch einen Satz. Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- (D) legen! Die Dramatik des Pflegenotstands kann man daran Alexander Hoffmann (CDU/CSU): erkennen, dass selbst Bundesminister Spahn von einer – sein dürfte als heute. notwendigen Grundsatzdebatte über die Finanzierung der Pflege spricht und Herr Lauterbach wieder mal die Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Bürgerversicherung für die Pflege fordert, obwohl wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. doch gar nicht im Wahlkampf sind. Jürgen Braun [AfD]) ( [CDU/CSU]: Ist doch nichts Neues!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Mit diesen Worten, liebe Kolleginnen und Kollegen, Wir haben Konzepte vorgelegt. Wir wollen, dass beenden wir die Aussprache. schnell gehandelt und nicht nur geredet wird. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs (Beifall bei der LINKEN) auf Drucksache 19/7693 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu an- Deshalb schlagen wir einen ersten Schritt vor, um die derweitige Vorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann ist die Pflege besser zu finanzieren, einen ersten Schritt, um Überweisung so beschlossen. mehr Geld für gute Pflege bereitzustellen, ohne dass die Versicherten weiter belastet werden, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 sowie Zusatz- punkt 9 auf: (Beifall bei der LINKEN) 19. Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia einen ersten Schritt zu wirklicher Generationengerech- Zimmermann, Susanne Ferschl, Matthias W. tigkeit, damit die jungen, gesünderen Menschen in der Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak- privaten Pflegeversicherung nicht nur für sich vorsorgen, tion DIE LINKE einen ersten Schritt zu wirklicher Solidarität, damit alle Besserverdienenden gute Pflege für alle mitfinanzieren. Zwei-Klassen-System in der Pflegeversiche- rung beenden (Beifall bei der LINKEN) Drucksache 19/7480 Es ist doch absurd: Die Rücklagen der gesetzlichen Überweisungsvorschlag: Pflegeversicherung reichen nicht mal drei Monate. Die Ausschuss für Gesundheit Rücklagen der privaten Pflegeversicherung von 34 Mil- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9507

Pia Zimmermann (A) liarden Euro reichen fast 30 Jahre. Das ist doch wirklich Das werden sie auch tun. Der Protest auf der Straße lässt (C) absurd, meine Damen und Herren. sich nicht mehr aufhalten. Ich freue mich darüber sehr. Der Protest auf der Straße, wie er jetzt von Niedersach- (Beifall bei der LINKEN) sen ausgeht, ist das Salz und ist der Pfeffer in der Suppe Und warum ist das so? Weil Junge, Gesunde, meist für unsere Arbeit hier im Deutschen Bundestag. Besserverdienende, die noch keine Pflege brauchen, in (Beifall bei der LINKEN) den privaten Versicherungen sind. Das ist ungerecht, und das wollen wir ändern. Meine Damen und Herren, glauben Sie als Regierung wirklich, dass Ihre halbherzigen arbeitgeberfreundlichen (Beifall bei der LINKEN) Reformen den jetzigen Zustand ändern werden? Haben Um diese Systemfrage geht es. Das zeigt auch der Antrag Sie Konzepte tatsächlich für alle Pflegebereiche, zum der FDP. Sie bleiben sich treu, verehrte Kolleginnen und Beispiel für die ambulante Pflege? Dort wird die tarifli- Kollegen: mehr private Vorsorge zum Wohle der Versi- che Bezahlung der Pflegekräfte oft nicht durch die Kas- cherungen, mehr Wettbewerb sogar zwischen den priva- sen refinanziert. Es reicht nicht, tarifliche Bezahlung ins ten Pflegeversicherungen Gesetz zu schreiben. Es muss auch gesichert sein, dass tatsächlich alle 109 Krankenkassen den Tariflohn glei- (Nicole Westig [FDP]: Weil es nachhaltig chermaßen akzeptieren und bezahlen. ist!) (Beifall bei der LINKEN) und noch mehr Pflegevorsorgefonds, die Versicherungs- beiträge am Finanzmarkt parken und so der Versorgung Sie verabschieden ein Gesetz für 13 000 zusätzliche entziehen – als hätte der private Markt mit dem Pflege- Pflegekräfte in Pflegeheimen. Sie könnten auch 30 000 notstand nichts zu tun, als würde noch mehr Wettbewerb oder 300 000 zusätzliche Stellen versprechen. Das blei- die Pflege besser machen. Das ist so absurd. Das will ich ben leere Worte, wenn Sie keine Finanzgrundlage schaf- an dieser Stelle gar nicht weiter kommentieren. fen, um Pflegekräfte sofort besser zu bezahlen, damit niemand mehr aus dem Beruf flieht. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, wenn Sie nicht den Aus- Meine Damen und Herren, Die Linke fordert konse- verkauf der Pflegeeinrichtungen an Renditejäger unter- quent einen Paradigmenwechsel. Wir wollen gute Pflege binden, bleiben die Menschen mit Pflegebedarf und die für alle solidarisch finanzieren. Das heißt, jeder und jede Pflegekräfte Spielball im internationalen Finanzmarkt. zahlt den gleichen Anteil vom gesamten Einkommen, im Pflegekräfte sind keine billigen Arbeitskräfte, die ihren Übrigen auch von Kapitaleinnahmen, in die Pflegeversi- Beruf aus Dankbarkeit ausüben und mit einer Schach- cherung ein, und zwar ohne Beitragsbemessungsgrenze. tel Pralinen abgespeist werden können. Menschen mit (B) Die Pflegeversicherung finanziert alle Leistungen, die (D) Pflegebedarf haben ein Recht darauf, professionell und für eine gute und bedarfsgerechte Pflege notwendig sind. mit Würde versorgt zu werden, egal wo sie wohnen und Als Einstieg in diese Pflegevollversicherung werden die egal wie dick ihr Geldbeutel ist. Angehörige und Famili- Eigenanteile sofort gedeckelt. en müssen sich darauf verlassen können, dass sie überall (Beifall bei der LINKEN) und jederzeit die Unterstützung bekommen, die sie be- nötigen. Gute, bedarfsgerechte Pflegeangebote müssen für alle Menschen verfügbar und bezahlbar sein. Niemand wird (Beifall bei der LINKEN) bei der Versorgung bevorzugt oder benachteiligt. Des- halb wird die private in die soziale Pflegeversicherung Die Überführung der privaten Pflegeversicherung in überführt. die soziale Pflegeversicherung wäre ein Anfang. Damit entsteht eine nachhaltige Finanzierungsgrundlage. Wei- Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich würde tere Schritte müssen natürlich folgen. vorschlagen, Sie folgen einfach mal Ihrem Gewissen und nicht dem Koalitionszwang. Sie haben bereits mehr So- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. lidarität angekündigt; jetzt können Sie Ihr Versprechen (Beifall bei der LINKEN) einlösen. Wir als Linke haben tatsächlich nicht den Ehr- geiz, die einzige Partei zu bleiben, die sich wirklich für Vizepräsident Wolfgang Kubicki: soziale Gerechtigkeit einsetzt. Vielen Dank, Frau Kollegin Zimmermann. – Als (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Nächstes erhält das Wort der Kollege Erwin Rüddel, Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE CDU/CSU-Fraktion. GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU) Auch viele Pflegekräfte wollen sofortige Veränderun- gen. Nicht nur in Niedersachsen kämpfen sie gemeinsam Erwin Rüddel (CDU/CSU): und auch mit uns Linken für gute Arbeitsbedingungen Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und gute Löhne. Die Pflegekräfte haben die Nase voll und Herren! Die Linke bleibt ihrer Linie treu, von Entscheidungen über ihren Kopf hinweg. Sie wollen endlich mitbestimmen und nicht nur mit verwalten. (Beifall bei der LINKEN) (Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Reden Sie doch obwohl das in der Pflegepolitik zu keinem Ergebnis nicht einen solchen Propaganda-Unsinn!) führt. In der letzten Legislaturperiode wollte man die 9508 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Erwin Rüddel (A) private Pflegezusatzversicherung abschaffen, dann die Zu den Eigenanteilen. Wir müssen die systembeding- (C) private Pflegeversicherung. Jetzt will man wieder die ten Steigerungen der Eigenanteile für stationär versorgte private Pflegeversicherung abschaffen und gleichzeitig Pflegebedürftige eingrenzen. In Kliniken wird die Pflege die Rücklagen einkassieren. Das ist verfassungswidrig. voll über die Krankenversicherung finanziert; im Heim Bevor wir uns Enteignungsfantasien hingeben, sollten gibt es einen Festbetrag. Die allseits erwünschte bessere wir konkret über Aufgaben reden, die sich für die Pflege Bezahlung von deutlich mehr Pflegekräften in der Al- stellen und die wir dann im Sinne der Betroffenen lösen tenpflege erhöht deshalb die individuelle Belastung der sollten. Pflegebedürftigen. Hier besteht Handlungsbedarf. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die dynamische (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Steigerung der Eigenanteile für die Pflegebedürftigen Dr. Andrew Ullmann [FDP]) einbremsen. Der Bundesgesundheitsminister hat in die- Wir müssen Strukturen angehen. Hier sehe ich vier sem Kontext kürzlich die Notwendigkeit neuer Finanzie- Schwerpunkte: Personal, Digitalisierung, Eigenanteile rungsmodelle betont. Dem stimme ich ausdrücklich zu. und Sektorengrenzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Zum Personal. Mit Beginn des Jahres haben wir ein Paket in Kraft gesetzt für mehr Stellen, attraktive Arbeits- Schließlich die Sektorengrenzen. Nach meiner Über- bedingungen und Hilfen bei der Betreuung zu Hause. Er- zeugung sollte künftig ausschließlich die Qualität der möglicht werden damit 13 000 zusätzliche Stellen in der Versorgung ausschlaggebend sein und nicht der Ort der stationären Altenpflege. Sie werden über Behandlungs- Pflege. Deshalb sollten wir Sektorengrenzen abbauen pflege und damit über die Krankenversicherung kosten- und Unterschiede in der Versorgung einebnen. Innovative neutral für die Pflegebedürftigen finanziert. Jetzt sind die Versorgungsformen könnten auch die Angehörigenpflege Träger und – das spreche ich explizit an – die Kassen ge- in alle Versorgungskonzepte einbinden und es damit den fordert, das konsequent und unbürokratisch umzusetzen. Familien ermöglichen, sich bei hauswirtschaftlichen Tä- tigkeiten nicht nur im ambulanten Bereich, sondern auch (Beifall der Abg. [CDU/CSU]) im stationären Bereich einzubringen, um die Kosten zu Denn Dreh- und Angelpunkt für eine menschenwürdi- begrenzen. ge Pflege sind und bleiben möglichst viele qualifizierte Fachkräfte. Die Ausbildungszahlen entwickeln sich Gott Was wir brauchen, sind viele kreative Ideen für gute sei Dank sehr positiv. Wir bauen zudem auf Wiederein- Pflege und keine Ideologie. stiegsprogramme und viele Rückkehrer aus Teilzeit in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) Vollzeit. Wir müssen faire Löhne zahlen und alles daran- (D) setzen, den Pflegeberuf durch den Abbau überflüssiger Bürokratie und mehr gesellschaftliche Anerkennung at- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: traktiver zu machen. Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster erhält (Beifall bei der CDU/CSU) das Wort der Kollege Jörg Schneider, AfD-Fraktion.

Zur Digitalisierung. Bei der Digitalisierung setzen wir (Beifall bei der AfD) auf altersgerechte Assistenzsysteme und E-Health-Lö- sungen. Sowohl in der häuslichen Umgebung wie auch in den Pflegeheimen können digitale Innovationen die Jörg Schneider (AfD): Pflegekräfte wirklich entlasten, damit sie mehr Zeit für Zuwendung für ihre Patienten haben. Wir müssen ferner Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Synergieeffekte im System besser nutzen; denn auch die ren! Liebe Zuschauer! Mein Kollege Paul Podolay wird medizinische Versorgung in der Fläche wird morgen an- sich gleich mit dem Antrag der Linken auseinanderset- ders aussehen als heute. zen. Ich werde mich mit dem Antrag der FDP befassen. Ein Kritikpunkt ist: Wenn Sie Transparenz in der Pfle- Konsequente Digitalisierung und Vernetzung, Pro- ge fordern, dann sollten Sie vielleicht auch eine etwas zesssteuerung und technische Assistenz werden hohe kritischere Bestandsaufnahme dessen machen, was die Priorität haben. Die soziale Pflegeversicherung ist keine Regierung bisher getan hat. Wenn man das tut, kommt Vollkaskoversicherung. Deshalb ist – unabhängig von man nämlich ziemlich schnell zu dem Ergebnis, dass es familiärer Unterstützung – Eigenverantwortung unverän- bei der Pflege im Zentrum eigentlich nicht um die finan- dert gefordert. ziellen Fragen geht, sondern dass es andere Fragen gibt, die zu beantworten sind, vor allen Dingen zum Thema (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Personal. wie der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]) Ich mache jetzt mal die Bestandsaufnahme für Sie: Wir brauchen Neuanreize zur privaten Vorsorge, und wir sollten auch Projekte zur betrieblichen Pflegevorsor- Im Koalitionsvertrag war vorgesehen, dass die Be- ge fördern. Da gehe ich mit dem Antrag der FDP einher. zahlung der Pflegekräfte verbessert wird. Jetzt haben Sie festgestellt, dass das im deutschen Tarifsystem ein biss- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten chen schwierig ist. Tatsächliche Verbesserungen – bis- der CDU/CSU) lang Fehlanzeige! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9509

Jörg Schneider (A) Sie haben dort 13 000 zusätzliche Stellen schaffen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) wollen. Wenn man es umrechnet, ist das für eine Pflege- Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Als nächste einrichtung mit 40 Beschäftigten eine halbe Stelle. Rednerin erhält das Wort die Kollegin Heike Baehrens, SPD-Fraktion. (Zuruf von der SPD: Besser als nichts!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hinzu kommt, dass die meisten neuen Stellen bisher der CDU/CSU) wohl eher auf dem Papier bestehen dürften. Das heißt auch hier: Tatsächliche Verbesserungen – Fehlanzeige! Heike Baehrens (SPD): Sie wollten die Attraktivität des Pflegeberufs verbes- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie- sern und haben dazu Ausbildungsgänge zusammenge- be Kolleginnen und Kollegen! Gegensätzlicher könnten fasst. Aus mehreren Ausbildungsgängen wurde jetzt ein die Anträge ja nicht sein: Während Die Linke fordert, die Pflegeberuf. Dadurch wird die Ausbildung schwieriger, Milliardenrücklagen der privaten Pflegeversicherung zu vielleicht für den einen oder anderen Bewerber etwas zu nutzen, um die soziale Pflegeversicherung zu stärken, schwierig. Ob man damit tatsächlich den Pflegeberuf at- fordert die FDP unter der Überschrift „Mehr Ehrlichkeit traktiver gestaltet, versehe ich zumindest mit einem gro- in der Pflegedebatte“ quasi ein Konjunkturprogramm für ßen Fragezeichen. die private Versicherungswirtschaft. Sie sehen schon: Das Thema Pflege hat sicherlich viel (Beifall der Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU] mit Finanzen zu tun; aber es gibt andere wichtige Aspek- und Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/ te. Vor allen Dingen gibt es halt Personalknappheit. Da DIE GRÜNEN]) könnte natürlich eine Lösung sein, dass man mehr Ange- Spannende Debatten zeichnen sich ab. hörige motiviert, zu Hause die Pflege ihrer Angehörigen wahrzunehmen. Meine Sympathie liegt dort, wo wir ganz konkret die Pflege heute verbessern können. Ehrlichkeit in der Pfle- (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Oh, der gedebatte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, große Pflegedienst!) brauchen wir tatsächlich, aber in einem anderen Sinne, als Sie es uns mit Ihrem Antrag nahelegen. Das wäre in der Tat dann auch finanziell zu flankieren, und dazu finde ich im FDP-Antrag überhaupt nichts, ob- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der wohl das sehr viel mit Finanzen zu tun hat. Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Im Koalitionsvertrag finde ich dazu einiges. Ich ma- (B) (D) che also mal weiter mit der Bestandsaufnahme: Sie woll- Ich erinnere an die letzte Pflegedebatte und an Ihre, ten die Situation der pflegenden Angehörigen verbessern. Frau Westig, falsche Behauptung, mit dem Pflegeperso- Nun, es gab da leichte Verbesserungen im Bereich der nal-Stärkungsgesetz sei nichts für die ambulante Pflege Rehamaßnahmen, es gab eine Verbesserung im Bereich getan worden. Das war unehrlich; denn das Personal in der Brückenteilzeit. Da sind Sie sicherlich auf dem rich- der ambulanten Pflege haben wir gestärkt, indem wir da- tigen Weg. Andererseits wollten Sie die pflegenden An- für gesorgt haben, dass endlich Tarifgehälter auch in der gehörigen auch bei der Rente besserstellen. Das soll jetzt häuslichen Krankenpflege anerkannt werden. ein Stück weit über die Grundrente erfolgen. Aber ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der habe doch erhebliche Bedenken, ob das ausreichend ist. CDU/CSU) In Summe stelle ich fest, dass der Antrag der FDP Nun fordern gerade Sie Ehrlichkeit in der Debatte. Sie durch seine Fixierung auf die Finanzierung an den tat- schreiben in Ihrem Antrag – ich zitiere –: sächlichen Problemen weitgehend vorbeigeht, vor allen Dingen, wenn ich mir anschaue, was Sie da machen wol- Die private Pflegepflichtversicherung zeigt … auf- len: Sie wollen umwidmen. Sie wollen Geld, das eigent- grund ihres kapitalgedeckten Finanzierungssystems lich für die Altersversorgung gedacht ist, für die Pflege mit Bildung von Altersrückstellungen, dass Genera- umwidmen. Das bedeutet aber doch letztendlich, irgend- tionengerechtigkeit auch in der Pflege funktionieren wo Löcher zu stopfen, indem man an anderer Stelle kann. schon vorhandene Löcher noch größer macht oder neue Was für ein Unsinn, noch dazu in Zeiten von Niedrig- erzeugt. Das ist meiner Meinung nach keine zielführende zinsen! Idee, die Sie da angeboten haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Wir werden Ihren Vorschlag im Ausschuss diskutie- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren. Ich meine, wir sollten auf jeden Fall die finanziellen Mit ein paar wenigen Kennzahlen möchte ich Sie gern Aspekte im Zusammenhang mit pflegenden Angehörigen zu mehr Ehrlichkeit in der Pflegedebatte ermuntern: Gute hinzufügen. Insofern stimmen wir der Überweisung in 9 Millionen Versicherte in der privaten Pflegeversiche- den Ausschuss zu und freuen uns auf die Diskussionen rung haben über 34 Milliarden Euro Rücklagen angesam- dort. melt, Geld also, das nicht für die Verbesserung der Pflege Ich danke Ihnen. heute eingesetzt wird. Und woran liegt das? Das bei- tragspflichtige Einkommen der Privatversicherten liegt (Beifall bei der AfD) um 60 Prozent über dem der gesetzlich Versicherten. Da 9510 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Heike Baehrens (A) entzieht sich eine ganz große Gruppe der Solidarität in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) unserer Gesellschaft. Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Nicole Westig, FDP-Fraktion, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deren Beteiligung doch optimiert werden kann. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Und während in der normalen Pflegeversicherung rund 350 Euro je Versicherten im Jahr ausgegeben werden, (FDP): belaufen sich die Leistungsausgaben der privaten Pflege- Nicole Westig versicherung lediglich auf 90 Euro pro Jahr. Selbst wenn Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- man die Beihilfeleistungen für Beamte mitrechnet, erhal- be Frau Zimmermann, wenn Sie unseren Antrag absurd ten die gesetzlich Versicherten immer noch etwa dreimal finden, dann haben wir wohl etwas richtig gemacht. mehr Leistungen als die Privatversicherten. – Die pri- (Beifall bei der FDP) vate Pflegeversicherung hat Versicherte mit wesentlich höherem Einkommen und einem wesentlich geringeren Herr Schneider, Sie haben vielleicht nicht zugehört, Krankheits- und Pflegerisiko. Während also 10 Prozent aber wir haben in den vergangenen Monaten viele De- der Versicherten Geld auf die hohe Kante legen, sollen batten über die Pflege geführt, und ich habe eigentlich sich 90 Prozent der Versicherten um ihre Pflege Sorgen immer eine kritische Bestandsaufnahme gemacht. Hier machen? Das kann nicht gerecht sein. war die Finanzierung das Thema. Deswegen haben wir das einmal etwas aufgefächert. Allerdings bin ich sehr (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gespannt auf die Vorschläge der AfD, darauf, wie Sie zu DIE GRÜNEN) besserer Pflege beitragen wollen. Wer es mit der Generationengerechtigkeit in der Pfle- (Niema Movassat [DIE LINKE]: Die haben ge ehrlich meint und wer eine ehrliche Pflegedebatte will, keine Vorschläge!) der muss sich klar dazu bekennen: Alle Menschen haben Ich habe zum Beispiel einen Vorschlag zur häuslichen ein Recht auf würdevolle Pflege, egal welchen sozialen, Pflege, über den Sie einmal nachdenken können: Die beruflichen, finanziellen Hintergrund sie haben. – Da- häusliche Pflege wird ja in der Regel, zu einem ganz gro- rum muss die soziale Pflegeversicherung auf eine solide ßen Anteil, von Frauen erledigt. Sie könnten ja ein Pro- Grundlage gestellt werden. gramm vorschlagen, wie man auch Männer in die häusli- che Pflege bringen könnte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Indem Frau- (B) en genauso viel verdienen wie Männer zum (D) Die FDP schreibt es in ihrem Antrag selbst: Gesetzli- Beispiel!) che und private Pflegeversicherung haben gleiche Leis- tungen, gleiche Zugangsvoraussetzungen. Darum sollten Darauf wäre ich sehr gespannt. Sie den nächsten Denkschritt auch noch gehen und sich (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dafür aussprechen, das Doppelsystem in der Pflegeversi- der CDU/CSU – [AfD]: cherung abzuschaffen. Für Diverse, auch in der Pflege! – Gegenruf (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- des Abg. [FDP]: Das ist Ihr neten der SPD) Niveau bei den Zwischenrufen! – Weiterer Zuruf von der AfD: Dafür haben wir Gleich- Wir brauchen eine gesetzliche Pflegeversicherung, in die stellungsbeauftragte!) alle Bürgerinnen und Bürger einzahlen und die so leis- Frau Baehrens, zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. tungsfähig ist, dass niemand mehr Angst haben muss, mit Es gibt Ängste in der ambulanten Pflege. Ich habe das den Kosten für die Pflege überfordert zu werden. neulich noch bei mir vor Ort auf der Kommunalen Kon- Wie war das noch mit dem letzten Versuchsballon der ferenz Alter und Pflege erfahren können. Sie finden kei- FDP zur privaten Pflegevorsorge? Und wohin wechselte ne Leute, und durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz der Kurzzeit-Gesundheitsminister der FDP? Natürlich und die Vorschriften im Zusammenhang mit den Kran- zu einem der größten Anbieter der Pflege-Bahr-Policen. kenhäusern wird diese Sorge noch verstärkt. Nein, auf solche Klientelpolitik für Versicherer werden (Claudia Moll [SPD]: Stimmt nicht!) wir als SPD uns nicht einlassen. Von daher ist dieses Gesetz für die ambulante Pflege Ja, wir brauchen eine ehrliche Pflegedebatte. Ehrlich wirklich ein Problem. ist es, zu sagen: Gute Pflege kostet. Eine gute Pflege für (Beifall bei der FDP – alle Menschen in unserer Gesellschaft können wir uns [SPD]: Was ist denn die Alternative?) nur gemeinsam und solidarisch leisten. Ich rede auch gerne über Möglichkeiten, die Pflege Vielen Dank. heute zu verbessern, aber ich stehe hier nicht, um Politik nur für diese Legislaturperiode zu machen. Ich möchte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch Politik für nachfolgende Generationen machen, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE]) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9511

Nicole Westig (A) für die Generationen, die jetzt nicht auf die Straße ge- – ich beziehe das eh nicht auf mich – rügefähig ist. Ich (C) hen können, weil sie noch gar nicht geboren sind. Ich habe mich dagegen entschieden. Ich will nur eines sa- habe den Anspruch, auch Politik für morgen zu machen, gen: Wo Die Linke ist, ist immer vorne, jedenfalls bei nicht nur für heute. Deswegen finde ich es sehr wichtig, den Zwischenrufen. dass wir diese Diskussion führen und die schrumpfende junge Generation nicht länger gegen die wachsende alte Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächstes spricht Generation ausspielen. zu uns die Kollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/ Die Grünen. (Beifall bei der FDP – Harald Weinberg [DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) LINKE]: Schwachsinn!)

Die Pflegeversicherung ist bewusst als Teilkasko an- Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gelegt. Die aktuelle Pflegepolitik wiegt die Menschen NEN): aber in der Illusion, sie sei eine Vollkaskoversicherung. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nein, Herr Dadurch, dass die Pflegebeiträge ständig erhöht werden, Präsident, Sie sind nicht doof. Das kann man wirklich glauben die Menschen: Ich zahle mehr Beitrag, also be- nicht behaupten. Sie sind ein guter Präsident. komme ich eine gute Pflege. – Nein, ohne Eigenvorsorge ist keine gute Pflege leistbar. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Marianne Schieder [SPD] – Tino Sorge [CDU/CSU]: (Beifall bei der FDP) Der Valentinstag ist doch vorbei!) Wenn Sie die soziale und die private Pflegeversicherung Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir zusammenführen, wird es vielleicht für einen kleinen verhindern wollen, dass sich der Pflegenotstand in eine Moment besser, aber doch nicht langfristig. Pflegekatastrophe verwandelt, dann müssen wir die Pro- (Beifall bei der FDP) bleme in unserer Gesellschaft endlich ehrlich benennen – Der Minister hat vor einiger Zeit gesagt, er wolle eine (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther Grundsatzdebatte darüber führen, wie wir die Pflege [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) künftig generationengerecht finanzieren. Heute ist er lei- konsequent, ohne Ideologie und vor allem im Interesse der mal wieder nicht anwesend. der Menschen, die älter werden, ihrer Familien und ihrer (Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: „Mal wieder“ Versorgungssicherheit. ist nicht angebracht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) Wir haben vor einiger Zeit bereits den ersten Aufschlag sowie des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU]) (D) gemacht und einen Entschließungsantrag vorgelegt. Jetzt Der demografische Wandel führt auf der einen Seite machen wir den nächsten Schritt. Wir haben an das Mi- zu einer steigenden Zahl von pflegebedürftigen Men- nisterium eine Kleine Anfrage gestellt. Dort wollte man schen und auf der anderen Seite dazu, dass wir für diese allerdings nichts von Generationengerechtigkeit wissen. auch zusätzliche Pflegefachkräfte brauchen. Gleichzeitig Es ging beispielsweise darum, was man im Zusammen- sehen wir, dass die ausgebildeten Fachkräfte der gebur- hang mit dem Pflegevorsorgefonds machen kann, damit tenstarken Jahrgänge in Rente gehen oder bereits aus dort keine Negativzinsen mehr anfallen. Hier ist nichts in dem Beruf ausgestiegen sind. Die Folge ist, dass immer der Planung. mehr Familien mit ihren pflegebedürftigen Angehörigen Frau Weiss, vielleicht können Sie das, was der Minis- alleingelassen oder finanziell überfordert werden. Pfle- ter in Interviews sagt, nämlich dass er darüber sprechen gedienste kündigen bereits laufende Verträge, Pflegehei- will, und das, was das Ministerium macht, ein wenig zu- me legen Betten still; an allen Ecken und Enden fehlt es sammenführen. an Personal. Das gilt übrigens nicht nur für die Alten- pflege, sondern zum Beispiel auch für die Versorgung schwerstkranker Kinder. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Warum haben wir einen Pflegenotstand? Weil man in Deutschland sehr lange der Meinung war, dass Pflege- fachkräfte am unteren Ende der Gehaltsskala gehalten Nicole Westig (FDP): werden können, nach dem Motto: Pflegen kann eigent- Wir sind jedenfalls bereit, diese Debatte zu führen; wir lich jeder. – Dabei ist professionelle Altenpflege genau haben einen Aufschlag gemacht. Ich freue mich auf die das Gegenteil. Langzeitpflege ist ein Beruf der Zukunft Diskussion. Denken wir auch an morgen! mit hohen Ansprüchen an Qualifizierung und Qualität. (Beifall bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und bei der FDP sowie des Abg. Erich Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Irlstorfer [CDU/CSU]) Vielen Dank, Frau Kollegin. – Herr Kollege Weinberg, Es ist sicher einer der größten Fehler gewesen, dass diese ich habe kurz darüber nachgedacht, ob Ihr Zwischenruf: Koalition das bei der Ausbildungsreform im letzten Jahr „Die Liberalen sind doof“ wieder bewusst nicht umgesetzt hat. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Manche!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 9512 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Kordula Schulz-Asche (A) Aber wenn wir es nicht schaffen, die Altenpflege zu ei- was verfassungswidrig wäre. Halten Sie sich also einfach (C) nem attraktiven, selbstverantwortlichen und selbstbe- mal an Ihre eigenen Experten! wussten Beruf zu machen – das gilt übrigens auch für Niedersachsen –, dann werden wir nicht genug junge (Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: So ist es!) Menschen finden, die bereit sind, in der Pflege zu arbei- Meine Damen und Herren, es ist offensichtlich, dass ten. Und das ist eine Katastrophe. die Finanzierung der Pflege gerade in Zeiten des demo- grafischen Wandels keine Frage von Markt und Kapital, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sondern von Menschlichkeit und Solidarität ist. sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben heute auch deswegen einen Pflegenotstand, weil die Bereitschaft, die Pflegeversicherung nach ihrer Wenn wir eine gute Pflege wollen, wenn wir Pflegekräfte Einführung den wachsenden Herausforderungen an- in ausreichender Zahl und mit bester Qualifikation wol- zupassen, bei den nachfolgenden Regierungen nie vor- len, wenn wir den Menschen Versorgungssicherheit ge- handen war. Am deutlichsten wird das daran, dass der ben wollen und trotzdem die Beitragssätze der Pflegever- Kostenanteil, den die Pflegebedürftigen heute selber zur sicherung in den nächsten 40 Jahren stabil halten wollen, Pflege beitragen, in den letzten Jahren immer weiter an- dann brauchen wir eine Pflege-Bürgerversicherung, die gestiegen ist, was dazu führt, dass Familien tatsächlich die finanziellen Lasten auf allen Schultern gerecht ver- finanzielle Probleme bekommen. teilt. Das ist heute Generationengerechtigkeit. Die Anbeter der privaten Vorsorge hatten mit der FDP (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in der vorletzten Legislaturperiode ja den sogenannten Pflege-Bahr eingeführt. Wenn Sie sich die Zahlen angu- Lassen Sie mich am Ende ganz kurz an die älteren cken, sehen sie: Das war ein absoluter Flop. Menschen in diesem Land wenden, in Ost und West, in Stadt und Land. Wir brauchen für gute Pflege in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunft den Zusammenhalt der Gesellschaft. Deswegen sowie der Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU]) bitte ich Sie: Halten Sie immer dagegen, wenn Hass und Hetze gegen einzelne Gruppen, egal welcher Hautfarbe Deshalb stellt sich natürlich die Frage, warum die FDP und welcher Religion, in unserem Land voranschreiten. heute wieder mit der alten Leier von noch mehr kapital- Gehen Sie dagegen an! Wir alle brauchen die Solidarität gestützter Finanzierung in der Pflegeversicherung um die und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Ich bitte Ecke kommt – und dies auch noch in Zeiten von Niedrig- Sie alle, daran teilzuhaben und mitzuwirken. und Negativzinsen. Warum lernen Sie nicht endlich aus (B) Ihren ideologischen Fehlern der Vergangenheit? Danke schön. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch die von Ihnen gewünschte Stärkung der pri- vaten Pflegeversicherung ist genau das Gegenteil von Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Generationengerechtigkeit. Privatversicherte erhalten Vielen Dank für Ihre Worte, Frau Kollegin Schulz- heute im Rahmen des Sozialgesetzbuchs XI die gleichen Asche. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Leistungen wie diejenigen, die in der sozialen Pflegever- Erich Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion. sicherung versichert sind. Aber die niedrigen Prämien der privaten Pflegeversicherung locken junge, gesunde (Beifall bei der CDU/CSU) und einkommensstarke Menschen an. Gerade deshalb befindet sich die private Pflegeversicherung derzeit vor einer dramatischen demografischen Herausforderung. Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Die Zahl der Pflegebedürftigen in der Privatversicherung Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! wird bis zum Jahr 2060 um über 280 Prozent steigen. Ich denke, die Debatte zeigt sehr deutlich, wie notwendig Und jetzt sagen Sie mir bitte, was Sie glauben, wie dann es ist, bei einem so großen Sachverhalt wie der Pflege trotz aller Rücklagen die Versicherungsprämien noch ge- immer wieder in die Diskussion zu gehen, sich immer zahlt werden können und wer diese Prämien überhaupt wieder auszutauschen und die Dinge immer wieder zu noch zahlen kann. Das ist keine Generationengerechtig- hinterfragen. Es ist notwendig – unser Minister hat das keit, sondern das genaue Gegenteil. angekündigt und ist auch bereits dabei –, dass wir eine Diskussion über die gesetzliche und die private Pfle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geversicherung führen. Das ist ein Thema, das gesell- sowie bei Abgeordneten der SPD) schaftspolitisch relevant ist. Ganz kurz zum Antrag der Linken, der ja im Prinzip Ich glaube aber auch, dass wir gewisse Eckpfeiler in die richtige Richtung geht: Ich empfehle Ihnen einfach brauchen, die die Systematik festzurren. Hier über Voll- einmal, den Sachverständigen zuzuhören, die Sie selber kasko/Teilkasko und die Generationengerechtigkeit zu zu Stellungnahmen zu Ihren Anträgen eingeladen haben. philosophieren und dabei teilweise Jung gegen Alt in Dann wissen Sie, dass die Abschaffung der Beitragsbe- Stellung zu bringen, finde ich fatal. Es ist ein gemeinsa- messungsgrenze in Deutschland nicht möglich ist, weil mes Ziel dieser Großen Koalition, aber auch der Opposi- die Pflegeversicherung dadurch steuerähnlich würde, tionsparteien, die Generationengerechtigkeit im Kontext Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9513

Erich Irlstorfer (A) einer Situation in Deutschland, in der wir den Anfang des ten Bereich, aus den Kirchen, aus den Kommunen, aus (C) demografischen Wandels erleben, neu auszurichten. freien Trägern – mit allem, was dazugehört. Aber in der Diskussion brauchen wir den Ansatz des Miteinanders. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nur miteinander können wir die Dinge verbessern. Die Natürlich stelle ich mir schon die Frage, welche Punkte Spielwiese in der Politik ist nicht die Straße, sondern der im Endeffekt eine Lösung bedeuten könnten. Die Finan- Verhandlungstisch. Ich rufe Sie daher auf: Bringen Sie zierung muss immer wieder überprüft werden, vor allem sich ein, um die Situation zu verbessern! ordnungspolitisch. Wenn wir der Meinung sind, dass wir Beitragserhöhungen in der Pflegeversicherung benöti- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen, dann ist es nur richtig, das so zu formulieren und es der FDP) den Menschen auch zu erklären. Ich möchte aber darum bitten: Lassen Sie uns das Ganze Ich komme zum Punkt Personal. Wir haben in der in einer angemessenen Geschwindigkeit beginnen. Die letzten Legislaturperiode viele Dinge geregelt, gerade in Große Koalition ist bereit, der Minister auch und wir als der Ausbildung. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass Parlament und Abgeordnete sowieso. wir mehr Akquise benötigen, dass wir auch mehr Moti- Herzlichen Dank. vation benötigen, wenn es um die Aus- und Weiterbil- dung geht. Ich bin mir auch hundertprozentig sicher, dass (Beifall bei der CDU/CSU) wir die notwendigen finanziellen Mittel und auch den notwendigen politischen Willen haben, diese Dinge zu regeln. Aber wir müssen die Menschen motivieren. Wir Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dürfen hier keine Horrorszenarien an die Wand malen, Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Red- sondern müssen die Menschen motivieren, diesen Beruf ner erhält das Wort der Kollege Paul Viktor Podolay, zu wählen. AfD-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Ich glaube aber auch, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass die Stabilisierung des Arbeitsmarkts Paul Viktor Podolay (AfD): im Bereich Pflegekräfte nur in einem engen Miteinander Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und mit den Unternehmerinnen und Unternehmern gelingen Herren! Die Herausforderungen, vor denen das deutsche kann. Ich halte nichts davon, wenn man laufend private Pflegesystem steht, sind enorm; sie werden uns noch Einrichtungen verteufelt. Das ganze System der Pflege- über Jahrzehnte beschäftigen. Die Altersstruktur unse- (B) versicherung wäre ohne private Investitionen und ohne rer Gesellschaft verändert sich dramatisch. Lebten im (D) private Betreiber nicht möglich. Jahr 2013 noch 81 Millionen Menschen in Deutschland, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und so wird die Einwohnerzahl nach Berechnungen des Sta- der FDP) tistischen Bundesamtes im Jahr 2060 bei 68 Millionen liegen. Schon im Jahr 2030 werden die Menschen mit Dass wir für eine Tarifgebundenheit sind, ist natürlich einem Alter ab 65 Jahren etwa 29 Prozent der Bevölke- völlig klar. rung ausmachen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sagen Sie (Reinhard Houben [FDP]: Deswegen brau- mal was zur Reform!) chen wir Zuwanderung!) Dass wir für ordentliche Arbeitsbedingungen sorgen Das ist fast jeder Dritte. An dieser demografischen Ent- wollen, dass wir eine ordentliche Bezahlung wollen, ist wicklung wird deutlich, dass die umlagefinanzierte Pfle- die Basis, ist die Grundlage. Aber hören Sie doch bitte geversicherung den Bürgern auf Dauer keine verlässli- auf, die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber gegeneinan- che Absicherung gegen die Pflegerisiken im Alter bieten der aufzuhetzen und Szenarien zu entwerfen, die es gar wird. Der Charakter der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht gibt. führt automatisch dazu, dass den Versicherten enorme (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eigenanteile verbleiben, die durch sie zu tragen sind. Ich möchte es noch einmal klar formulieren, weil es Die hiermit verbundenen Ungerechtigkeiten werden hier die Tendenz gibt, zu sagen: Wer in der Pflege Geld durch die vollständige Aufgabe der kapitalgedeckten pri- verdienen möchte, handelt unanständig. – Das ist Un- vaten Pflegeversicherung aber nicht gelöst. Außerdem sinn, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wenn man wird der demografische Wandel vor den Türen der priva- in solche Einrichtungen investiert, ist das eine Zukunfts- ten Pflegeversicherung ebenfalls nicht haltmachen. Mit investition. Und es ist auch normal, dass man, wenn man der Integration der privaten Pflegeversicherung in die ge- ordentlich unternehmerisch tätig ist, auch Geld verdient. setzliche Pflegeversicherung müssten dann auch diejeni- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen Familienmitglieder kostenfrei mitversichert werden, der FDP – Harald Weinberg [DIE LINKE]: die bislang in der privaten Pflegeversicherung Beiträge Nicht zu glauben!) zahlen. Die Einführung einer Pflege-Bürgerversicherung lenkt von dem systemeigenen Problem ab, nämlich die Ich möchte unterstreichen, dass wir hier vor allem ausufernden Kosten im Pflegebereich in den Griff zu be- einen Mix an Unternehmen benötigen: aus dem priva- kommen. 9514 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Paul Viktor Podolay (A) Wie bereiten wir uns auf die künftige demografische Die Linke fordert, das Zwei-Klassen-System in der (C) Entwicklung und den Pflegenotstand vor? Sicher nicht Pflegeversicherung zu beenden. Ich sage: Das wollen wir dadurch, dass ein funktionierendes Pflegeversicherungs- auch. system in einem anderen System aufgelöst wird, welches nicht funktioniert. Wir setzen daher auf mehr Präventi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Pia on im Gesundheitswesen, damit die Zahl die Pflegefäl- Zimmermann [DIE LINKE]: Na, dann!) le nicht so exorbitant steigt, wie es in der letzten Zeit geschieht. Die Menschen müssen gesund alt werden. Doch weder wollen wir das in einer Hauruckaktion von Gesunde Ernährung, Bewegung und geistige Aktivie- heute auf morgen, rung – das sind die wichtigen Gesichtspunkte, die vor (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Sie haben ja Pflegebedürftigkeit im Alter bewahren können. noch zehn Jahre Zeit!) (Beifall bei der AfD) noch wollen wir die Menschen, die heute in der privaten Natürlich muss eine nachhaltige Familienförderung das Pflegeversicherung sind, zum Beispiel die Freiberufler, gesunde Altwerden in der Familie finanziell ermögli- die Selbstständigen und die Beamten, in die gesetzliche chen. Das ist nicht nur für unsere Senioren humaner, son- Pflegeversicherung zwingen. Vielmehr wollen wir die dern auch für die Gesellschaft kostengünstiger. gesetzliche Pflegeversicherung für diese Berufsgruppen öffnen, um sie langfristig zu einer gemeinsamen Pflege- Der Antrag der Linken ist unausgereift; das ist ideo- versicherung für alle weiterzuentwickeln. Wir haben das logischen Zielen geschuldet. Ich weiß, wovon ich rede. einmal Pflege-Bürgerversicherung genannt. Ich habe schließlich 36 Jahre in einem kommunistisch regierten Land gelebt. Eines ist ganz klar – da muss ich Ihnen zustimmen –: (Zuruf von der LINKEN: Na ja!) Das aktuelle System ist nicht zukunftsfähig, und es ist auch nicht gerecht. Aktuell erfolgt eine Risikoselektion Sämtliche Probleme, die mit einer Auflösung der pri- zugunsten der privat Pflegeversicherten. Die Folge ist, vaten Pflegeversicherung verbunden sind, werden aber dass einige wenige Menschen in der privaten Pflegever- komplett ignoriert. Deshalb lehnt die AfD den Antrag der sicherung von dem System profitieren, indem sie zum Linken ab. Teil deutlich geringere Beiträge zahlen müssen. Das geht zulasten der Mehrheit der Versicherten in der gesetzli- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. chen Pflegeversicherung durch höhere Beiträge. (Beifall bei der AfD) Langfristig möchten wir weg von der Teilkosten- hin (B) zu einer Vollkostenversicherung, am besten im Rahmen (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: einer Bürgerversicherung. Indem wir das Nebeneinander Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung auflö- hat das Wort die Kollegin Claudia Moll, SPD-Fraktion. sen, können wir eine bessere Pflege für alle erreichen, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Claudia Moll (SPD): die für die Betroffenen und ihre Familien finanzierbar ist. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das heißt, mit mehr Solidarität in der Pflegeversicherung Kollegen! In der letzten Legislaturperiode haben wir erreichen wir eine Verbesserung für sehr viele Menschen viel auf den Weg gebracht: mehr Leistungen für Pflege- in unserem Land. bedürftige, Entlastung für Angehörige und eine bessere Pflegeberatung. Die Reform des Pflegebedürftigkeits- Die soziale Pflegeversicherung und die private Pflege- begriffs ist die größte Reform der sozialen Pflegeversi- versicherung haben gleiche Leistungsansprüche: die Bei- cherung seit ihrer Einführung. Deutlich mehr Menschen tragsfreiheit für Kinder und die Orientierung der Beiträge können nun erstmals Leistungen der Pflegeversicherung der privaten Pflegeversicherung an der sozialen Pflege- beziehen, und der Bedarf an Pflege kann sehr viel besser versicherung. – Das war jetzt ein komischer Satz. verfolgt werden, als es mit dem alten System möglich war. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD)

In dieser Legislaturperiode haben wir weitergemacht. Ja, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ich weiß, das ist nur ein Anfang. Eines können Sie mir glauben: Mir geht das auch zu langsam. Ich hätte es auch Wir gehen davon aus, dass Sie ihn aufgeschrieben ha- am liebsten gestern. Aber jeder weiß, dass das nicht so ben, Frau Kollegin Moll. einfach ist. In weiten Teilen der Bevölkerung ist die Erhöhung des Claudia Moll (SPD): Pflegesatzes zur Finanzierung der Versicherungen akzep- Ja. tiert. Wir sind damit in diesem Bereich auf einem guten Weg. (Heiterkeit) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9515

Claudia Moll (A) Daher ist die Bürgerversicherung in der Pflegeversiche- eine Bürde, die von meiner Generation kaum einer bereit (C) rung relativ hürdenfrei einzuführen. wäre zu tragen; denn Ihre Idee der einheitlichen Zwangs- versicherung muss finanziert werden. (Beifall bei der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Genau so ist es!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: – Nicht? Herr Kollege Ullmann, erlauben Sie eine Zwischen- In der Pflegeversicherung müssen Beiträge aus allen frage des Kollegen Weinberg? Einkommensarten gezahlt werden. Beamte und Beamtin- nen müssen die Wahlfreiheit haben, und neue Beamtin- Dr. Andrew Ullmann (FDP): nen und Beamte müssen in die Bürgerversicherung auf- Gerne. genommen werden können. Für uns ist klar, dass wir angesichts einer immer wei- Harald Weinberg (DIE LINKE): ter steigenden Anzahl von Pflegebedürftigen – bis 2045 Es ist sehr nett, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. sind es bereits 5 Millionen Menschen – eine Umgestal- Die Diskussion über Generationengerechtigkeit haben tung der Pflegeversicherung in Angriff nehmen müssen. wir schon öfter geführt. Auch Sie wiederholen dieses Wie Sie sehen, sind wir da schon deutlich weiter als die Thema ständig. Die Wiederholung ist eine wichtige rhe- Linksfraktion, die gar kein Konzept vorlegt, torische Figur, habe ich mal gelernt. (Lachen bei der LINKEN) Ich möchte Sie fragen, ob Sie Herrn Mackenroth und sondern nur fordert: Macht mal! das Mackenroth-Theorem kennen? Mackenroth war ein Sozialpolitiker. Er hatte eine etwas schlechte Vergangen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heit: Er war ehemals Nazi, dann war er bei der Union. der CDU/CSU) Herr Mackenroth hat eine richtige These aufgestellt: Jeder Sozialaufwand einer Periode ist logischerweise Vizepräsident Wolfgang Kubicki: immer aus der Wirtschaftsleistung der gleichen Periode Frau Kollegin, herzlichen Dank für diesen wunderba- zu erbringen. – Das gilt für private Vorsorge im Übrigen ren Beitrag. – Als nächster Redner erhält das Wort der genauso wie für die soziale Vorsorge. Es gibt keine an- Kollege Dr. Andrew Ullmann, FDP-Fraktion. dere Quelle als die jeweilige Wirtschaftsleistung. Wenn unser Bruttoinlandsprodukt wächst, ist die Finanzierung (Beifall bei der FDP) der Sozialleistungen, auch der Pflegeversicherung, eine (B) Frage der Verteilung. (D) Dr. Andrew Ullmann (FDP): (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und CDU/CSU: Wie war jetzt die Frage? – Gegen- Kollegen! Eines vorab: Durch das impertinente Wieder- ruf des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE]: holen Ihres Modells einer einheitlichen Zwangsversiche- Ob er es kennt!) rung in der Pflege wird Ihr Ansatz nicht richtiger. Wett- bewerb, Qualität und Generationengerechtigkeit spielen Dr. Andrew Ullmann (FDP): bei Ihnen keine Rolle. Wir brauchen hier keine Debatte über Wirtschaftsthe- (Beifall bei der FDP – Harald Weinberg [DIE oretiker aufzusetzen. LINKE]: Bei Ihnen wird es auch nicht besser!) (Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE Ein solcher Populismus macht mich traurig. Mir fehlt LINKE]) auch einfach die Fantasie, mir vorzustellen, wie ein sol- – Herr Weinberg, einen Moment! – Vielmehr geht es da- ches Zwangssystem gerechter sein soll, vor allem, wie es rum, zu zeigen, dass wir Generationengerechtigkeit er- finanziert werden soll. reichen wollen. Es gibt verschiedene Blickwinkel. Aber (Beifall bei der FDP) was nützt uns das, wenn wir die relative Belastung immer höher und höher schrauben und die nächsten Generatio- Sehr geehrte Damen und Herren, meiner Generation nen, die Kindeskinder, überhaupt kein Geld mehr übrig geht es relativ gut. Aber haben Sie an die jungen Men- haben, sondern alles in die Umlage geht? Wir müssen schen gedacht, junge Menschen wie meine Kinder, die erkennen, dass es andere Wege gibt als die Umlagefinan- heute 18 und 21 Jahre alt sind, denen wir allein schon zierung. mit der Finanzierung der Rente unserer Generation eine schwere Last zu tragen geben? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es hat sich gezeigt, dass die private Pflegevorsorge funk- tioniert. Man sollte zu einer Mischung kommen. Das ist Sie wollen mit Ihrem vorliegenden Antrag, liebe Kolle- unser Modell. ginnen und Kollegen von Die Linke, den jungen Men- schen eine weitere Bürde auferlegen, (Beifall bei der FDP – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Am besten einen Pflegevorsorge- (Beifall bei der FDP) fonds einrichten!) 9516 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dr. Andrew Ullmann (A) – Wir haben einen Pflegevorsorgefonds. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Ullmann. – Als (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ja, genau! nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Georg Sag ich doch!) Kippels, CDU/CSU-Fraktion. – Ja. (Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herr Kollege, setzen Sie freundlicherweise Ihre Rede Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zeigt, fort? Diese Zwiegespräche bringen nichts. dass man ein gewisses Phänomen bei diesem Thema of- fensichtlich nicht vermeiden kann. In der Regel lautet der Dr. Andrew Ullmann (FDP): Generalvorwurf der Opposition, wenn Problemlösungen von der Regierung vorgelegt werden: Das ist viel zu spät, Herzlichen Dank. – Reden wir über Generationenge- das ist nur reaktiv, man hätte das Problem doch viel frü- rechtigkeit. Unsere Gesellschaft wird immer älter, und her erkennen können. einer immer größeren Zahl von Pflegebedürftigen stehen immer weniger junge Menschen gegenüber. Ich kenne (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE keinen, der seinen Kindern zur Last fallen möchte. Ich GRÜNEN]: Hätte man ja auch! Die Enquete verstehe niemanden, der fremden Kindern zur Last fallen des Bundestages war in den 90er-Jahren!) will. Deswegen fordern wir als Freie Demokraten eine Nun haben wir die besondere Situation, dass der Mi- nachhaltige und generationengerechte Politik. nister zu einem frühen Zeitpunkt auf eine Problemstel- lung, die sich in Zukunft entwickeln könnte, hinweist (Beifall bei der FDP) und anregt, eine Debatte über das Thema zu führen. Ich glaube allerdings, seine Fantasie hat nicht gereicht, sich Hierzu gehören neben einem stabilen Rentenkonzept vorzustellen, dass die erste Reaktion der Opposition – auch Konzepte zur Weiterentwicklung der Kranken- und bedauerlicherweise auch unseres Koalitionspartners; Pflegeversicherung. Die GroKo ist bisher fantasielos. Sie Frau Baehrens, verzeihen Sie mir den Vorwurf – in dem denkt nur von Beitragssteigerung zu Beitragssteigerung. Reflex besteht, auf die Bürgerversicherung auszuwei- Meine Kollegin Nicole Westig hat aufgezeigt, wohin der chen. Das sind alte Kamellen, um es in der Sprache der Weg gehen soll. Das muss die Basis sein, auf der wir eine fünften Jahreszeit zu sagen. Es ist vor allen Dingen, wie (B) Politik der Vernunft und Weitsicht entwickeln. gern angenommen wird, keine Wunderdroge, um Finan- (D) zierungsprobleme in medizinischen Versorgungssyste- Der Vorschlag, den Sie, liebe Fraktion Die Linke, mit men zu lösen. Ihrem Antrag vorgelegt haben, ist ein Hohn für alle arbei- tenden Menschen. Sie entlasten weder die Arbeitnehmer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mit kleineren noch die Arbeitnehmer mit mittleren Ein- In der Tat ist anhand der letzten beiden Beitragser- kommen. Stattdessen wollen Sie die nachkommenden höhungen in der Pflegeversicherung die Entwicklung Generationen belasten und ihnen von Anfang an Mühl- erkennbar, dass aufgrund der Struktur der Pflegebe- steine um den Hals hängen. dürftigen, der Veränderung der gesellschaftspolitischen (Beifall bei der FDP – Pia Zimmermann [DIE Situation, der Kostensituation im Pflegesystem eine Beitragserhöhung – nach normalen rechnerischen Kal- LINKE]: So ein Quatsch!) kulationen – unvermeidbar sein wird. Aber eine Analyse Die Babyboomer wollen sozial verantwortlich, selbstbe- setzt meines Erachtens zunächst die Kontrolle im Bereich stimmt und generationengerecht älter werden. Das von der Kostenentstehung voraus. Da ist es ganz wichtig, sich Ihnen vorgelegte Konzept ist reine Ideologie. Sie, liebe in Erinnerung zu rufen, dass die Pflegeversicherung im Linke, lehnen private Vorsorge aus ideologischen Grün- Gegensatz zur Krankenversicherung damals, bei ihrer Einführung vor über 20 Jahren, eine ganz andere Grund- den ab. Sie lehnen eine kapitalgedeckte Säule zur Finan- ausrichtung hatte. Es sollte eine Versorgungsergänzung zierung der Pflege aus ideologischen Gründen ab. Ihnen sein – kein komplett in sich geschlossenes Versorgungs- geht es um Gleichmacherei und um Umverteilung. system –, indem der Patient von fachkundiger Seite, Arzt (Beifall bei der FDP – Pia Zimmermann [DIE und Krankenhaus, geführt und therapiert wird. LINKE]: Umverteilung, das ist richtig!) In der Pflegeversicherung haben wir hingegen einen ganz entscheidenden und nicht zu unterschätzenden ei- Uns hingegen geht es um Generationengerechtigkeit und genen Einflussbereich des zu Pflegenden, des Patienten. nachhaltige Finanzierbarkeit. Nur so kann es funktionie- Er trifft wahnsinnig wichtige Entscheidungen für die ren, und nicht anders. Wahrung seiner Würde, die Erhaltung seiner Selbstbe- stimmung. Dies kann natürlich auch Kosten auslösen, die Danke schön. dann neben den Pflegesätzen, welche anhand der Pflege- grade festgelegt sind, in die Kalkulation einfließen. (Beifall bei der FDP – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Schlechte Rede war das!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9517

Dr. Georg Kippels (A) Wenn wir uns entscheidend mit der Problemlösung ge kümmere und dies der größte Fehler des Antrags wäre, (C) befassen wollen, müssen wir nach den zahlreichen Ver- finde ich wirklich absurd. besserungen, die wir in den letzten Jahren in der Pflege mit ihren Instrumenten herbeigeführt haben – die natür- (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei lich auch mit Kostensteigerungen einhergingen –, eine Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE gewisse Steuerung vornehmen, und zwar dergestalt, dass GRÜNEN) der Pflegende angesichts der Vielzahl der Leistungs- Wenn sie etwas gut gemacht hat, dann, dass sie sich mit angebote auch eine Beratung erhält, was für ihn in der der Finanzierung beschäftigt. Zu dem Rest komme ich konkreten Pflegesituation nützlich und hilfreich ist. Dies nicht mehr; das haben die Kollegen schon gesagt. könnte insbesondere die Familie, die sich aus persönli- chen, familiären oder auch gesundheitlichen Gründen (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU nicht in der Lage sieht, den Familienangehörigen selbst und der FDP) zu pflegen, dabei unterstützen, dem Betroffenen vor allen Sie haben richtig gesagt: Das, worum wir uns in der Dingen Hinweise zu geben. Pflege kümmern müssen, ist in allererster Linie die Fra- Und – das hat Kollege Rüddel in seiner Rede zu ge: Wie kommen wir an mehr Personal? Wie gelingt es, diesem Tagesordnungspunkt heute ausführlich darge- dieses Personal vernünftig zu bezahlen? stellt – die Pflege muss sich auch neuen und modernen (Beifall bei der SPD) Hilfsmitteln widmen, die Selbstständigkeit und Eigen- verantwortlichkeit im eigenen Wohnumfeld ermögli- Und wie sorgen wir dafür, dass die Arbeitsbedingungen chen. Denn häufig ist der Weg in die stationäre Pflege und viele andere Dinge dort auch stimmen? Um das zu im Grunde genommen eine Flucht in die behütete Situa- schaffen, brauchen wir die entsprechende Finanzierung, tion, weil es durch andere Hilfsmaßnahmen leider nicht brauchen wir die Mittel; denn das geht nicht einfach möglich ist, zu Hause, in der Eigenverantwortlichkeit, zu so. Die Wege, die hierfür gefunden werden, sind unter- verbleiben, obwohl vielleicht nur relativ wenige Defizite schiedlich – sehr unterschiedlich zwischen der FDP und ausgeglichen werden müssen. den Linken –, aber es sind zumindest Vorschläge da, wie wir das Ganze finanzieren können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Schneider: Nein, wir wissen durchaus, wie wir Die Initiative unseres Ministers ging dahin, eine unterstützen können – es geht um die Akzeptanz der Ta- Grundsatzdebatte anzustoßen. Sie sollte mit einer Grund- rife –, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr satzanalyse der Problemstellung beginnen. Wir sollten Geld bekommen. Sie müssen sich unsere Gesetze nur wertfrei und unideologisch zunächst einmal die Kosten- einmal ansehen! Wir haben dafür gesorgt, dass die Tarife (B) auslöser und die Kostendimensionen in den jeweiligen im Bereich der Krankenpflege übernommen werden und (D) Bereichen betrachten und in einem zweiten Ansatz nach dort entsprechend bezahlt wird. Lösungen suchen. Aber, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken – dies auch als kleinen Hinweis (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten an unseren Koalitionspartner –: Bitte nicht mit alten Ka- der CDU/CSU) mellen, sondern mit neuen Ideen! Besser kann man das doch nicht sicherstellen. Herzlichen Dank. Aber wissen Sie, mich wundert auch nicht, dass Sie bei Anhörungen im Gesundheitsausschuss im Zweifel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sprachlos sind und keine Fragen mehr haben. Man muss halt zuhören und überdenken, was gesagt wird. Dann Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kann man auch Fragen dazu stellen. Vielen Dank, Herr Kollege Kippels. – Als nächster (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Redner erhält der Kollege Dirk Heidenblut, SPD-Frak- Abgeordneten der FDP) tion, das Wort. Genauso interessant finde ich allerdings den Vorwurf (Beifall bei der SPD) der FDP an die Kolleginnen und Kollegen von den Lin- ken, sie kämen – ich will das erste Wort nicht wieder- Dirk Heidenblut (SPD): holen – immer wieder mit denselben Sachen, nämlich mit der Bürgerversicherung. Herr Kollege Kippels, jetzt Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle- müssen Sie ganz stark bleiben: Ja, wir sind nach wie vor ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und für die Bürgerversicherung. – Ich finde, das kann man Herren! Das, was wir heute erleben, ist so etwas wie ein gar nicht oft genug wiederholen, damit auch Sie irgend- Antragsspagat; denn gegensätzlicher könnten die Anträ- wann dafür sind; denn das überzeugt letzten Endes. ge kaum sein, die uns heute vorliegen. Das zeigt auch die Diskussion; das macht die Sache ja auch ganz inte- (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Karin ressant. Maag [CDU/CSU]: Wo sind die Argumente? Es sollten auch Argumente kommen!) Und ja, Herr Kollege Schneider, die Anträge richten sich beide auf die Finanzierung der Pflege. Ich habe zwar – Ja, die Argumente bringen wir auch – das ist kein Pro- auch viel an dem Antrag der FDP auszusetzen, aber ihr blem – und haben sie auch schon gebracht. Kollegin Moll vorzuwerfen, dass sie sich um die Finanzierung der Pfle- hat eine ganze Reihe von Punkten dazu genannt. 9518 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dirk Heidenblut (A) Ein wesentliches Argument ist: Wir müssen die Finan- tei wirtschaftliche Zusammenhänge erklären muss, hätte (C) zierung der vielen guten Leistungen, die wir in der Koa- ich nicht gedacht. Geschätzte Kollegen von der FDP, Ihr lition durchaus gemeinsam durchsetzen können, auf die Antrag ist leider Unfug. Sie fordern in Ihrem Antrag vor Beine stellen, und dazu brauchen wir andere Systeme. allem den Ausbau der privaten Vorsorge in der sozialen Sicher ist auch in Ihrem Antrag der eine oder andere As- Pflegeversicherung, und das, obwohl Sie wissen, dass die pekt, den man gebrauchen kann. Aber – um das ehrlich privaten Zuzahlungen der Patientinnen und Patienten in zu sagen – da Sie anderen Wiederholungen vorwerfen –: den Pflegeheimen immer weiter steigen So ganz neu sind die Dinge, die Sie da gebracht haben, auch nicht unbedingt. Vielleicht ärgern Sie sich nach wie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vor darüber, dass Sie sie in der letzten Legislaturperiode und mittlerweile jeder dritte Heimbewohner aufgrund nicht wiederholen konnten. Da sind die Linken Ihnen halt Pflegebedürftigkeit zusätzlich Sozialhilfe in Anspruch ein bisschen voraus; die haben das öfter tun können. nehmen muss. Sie sagen den Menschen also: Ihr müsst (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der nur besser privat vorsorgen, dann ist alles kein Problem! – SPD) Damit verkennen Sie das eigentliche Versprechen, mit dem der Gesetzgeber die Einführung der sozialen Pfle- Insofern: Wir müssen uns mit der Finanzierung be- geversicherung begründet hat, und dieses Versprechen ist schäftigen. Wir müssen noch viel Geld in die Hand für mich auch 25 Jahre nach ihrer Einführung bindend. nehmen und in die Pflege investieren. Einen Punkt hat Die Politik hat den Menschen damals versprochen, dass Kollege Rüddel ganz am Anfang aufgegriffen, nämlich diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet und eine durch- die Zuzahlung, die Eigenanteile gerade in der stationä- schnittliche Rente erworben haben, im Pflegefall eben ren Pflege. Da müssen wir ran, die müssen wir dringend nicht zum Sozialfall werden. Wir brauchen also für die begrenzen. Die AWO hat dazu gerade eine große Peti- fünfte Säule der gesetzlichen Sozialversicherung eine tion gestartet. Da sollten wir als Koalition eine Lösung neue Antwort. finden. So verstehe ich auch die Vorschläge von Herrn Spahn, über die Finanzierung nachzudenken. Eine alte Antwort gibt einmal mehr Die Linke. Lassen Sie doch die Privatversicherten endlich in Ruhe! Die ge- Lassen Sie mich zum Schluss in Richtung FDP noch setzliche und die private Versicherung, das sind Systeme, eines sagen. Ich habe festgestellt, dass Sie sich immer die sind unterschiedlich konzipiert, da sind unterschied- wieder auch mit den schönen Titeln, die wir für unsere liche Finanzierungssysteme unterlegt. Wenn jemand pri- Gesetze haben, beschäftigen und sagen, wir müssten da vat vorsorgen oder eine private Versicherung abschließen vielleicht noch weitere schöne Titel finden. Ich hätte ei- möchte, dann soll er das auch zukünftig tun. nen schönen Titel für Ihren Antrag, der die Sache auch (B) transparent und griffig machen würde: „Hilf dir selbst, Um ehrlich zu sein: Ich bin von Ihrem Antrag ein- (D) sonst hilft dir keiner!“ – Antrag der FDP. Vielleicht nut- fach enttäuscht. Die Pflege ist das Megathema der Zu- zen Sie das! Das machen Sie in Nordrhein-Westfalen ja kunft – für die Älteren, aber eben auch für die Jüngeren auch. in unserem Land. Und das ist Ihnen gerade einmal eine halbe Seite wert? Die Namen Ihrer Fraktionsmitglieder Danke. auf dem Antrag sind länger als das, was Sie inhaltlich (Beifall bei der SPD und der LINKEN – beitragen. Michael Theurer [FDP]: Eigenverantwor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tung!) der FDP sowie der Abg. [AfD])

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Deswegen lehnen wir beide Anträge ab, wenn sie dann in Herzlichen Dank, Herr Kollege Heidenblut. – Als letz- den Ausschuss überwiesen sind. te Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erhält die Kollegin Emmi Zeulner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Ich bin der Meinung: Wir brauchen eine echte Lösung; denn Pflege muss verlässlich sein – für alle, nicht nur für (Beifall bei der CDU/CSU) diejenigen, die es sich leisten können.

Emmi Zeulner (CDU/CSU): (Michael Theurer [FDP]: Da sind wir auf Ihre Vorschläge gespannt!) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- nen und Kollegen! Liebe Frau Westig, wie gesagt, Ihnen Deswegen finde ich es spannend, darüber zu diskutie- persönlich kann ich keinen Vorwurf machen, Sie sind erst ren, das System umzukehren. Das heißt für mich, die seit dieser Legislatur im Gesundheitsausschuss. Aber es Eigenanteile der Pflegebedürftigen müssten gedeckelt liegt in der Natur der Sache: Im Bereich der Pflege ist die werden, und der flexible Anteil muss von der Versicher- FDP vorher einfach sehr unterentwickelt gewesen. Des- tengemeinschaft – unter Umständen auch mithilfe von wegen freue ich mich auch, dass Sie hier die Fahne für Steuermitteln, die wir aber in der Sozialhilfe wieder ein- die Pflege hochhalten. sparen könnten – getragen werden. Denn Pflegebedürf- tigkeit kann jeden treffen; aber keiner weiß, wie lange sie (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- dauert und in welchem Schweregrad sie stattfindet. Mit NIS 90/DIE GRÜNEN) einem festen Eigenanteil kämen wir auch der Idee einer Was soll ich zum Antrag der FDP sagen? Dass ich als verlässlichen zusätzlichen privaten Vorsorge wieder nä- gelernte Krankenschwester einmal einer Wirtschaftspar- her, die Sie ja auch andenken. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9519

Emmi Zeulner (A) Wenn wir das angehen, müssen wir die Bedürfnisse Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. (C) der Menschen auch wirklich ernst nehmen. Das heißt für Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. mich, dass der ambulante Bereich natürlich zwingend Dann sind die Überweisungen so beschlossen. mitgedacht werden muss; denn die Menschen wollen, so- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b sowie lange es geht, in ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Für Zusatzpunkt 10 auf: den ambulanten Bereich muss aber ein System gedacht werden, das den Anreiz setzt, keine ausufernden Leistun- 20. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten gen, welche für die Versorgung nicht gebraucht werden, Manuel Höferlin, Jimmy Schulz, Stephan in Anspruch zu nehmen. Hier bieten die wissenschaftli- Thomae, weiterer Abgeordneter und der chen Vorstellungen von Professor Dr. Klie und Professor Fraktion der FDP Dr. Rothgang ganz spannende Ansätze. Digitalisierung ernst nehmen – IT-Sicher- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- heit stärken SES 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 19/7698 Ich danke unserem Bundesgesundheitsminister Jens Überweisungsvorschlag: Spahn ausdrücklich für seinen Vorstoß, Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Wo ist denn Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz der Herr Spahn?) Federführung strittig diese Debatte zu führen. Er hat wie kein anderer Minister b) Beratung des Antrags der Abgeordneten vorher für die Pflege seinen Teil geleistet, Anke Domscheit-Berg, Dr. Petra Sitte, (Marianne Schieder [SPD]: Oje, oje!) Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE und er setzt zügig das um, was im Koalitionsvertrag auch vereinbart wurde. Er geht dabei mutig voran. Umsetzung effektiver Maßnahmen für digitale Sicherheit statt Backdoors (Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Er ist nicht entschuldigt!) Drucksache 19/7705 Überweisungsvorschlag: Es ist unser erklärtes Ziel, die Abwärtsspirale bei Ausschuss für Inneres und Heimat (f) der Pflege endlich zu durchbrechen. Das geht vor allem Ausschuss Digitale Agenda (f) durch bessere Arbeitsbedingungen, und dafür haben wir Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Federführung strittig (B) auch Maßnahmen eingebracht. (D) Meiner Ansicht nach muss man im Bereich der Pfle- ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe ge vieles weiter- bzw. mitdenken, zum Beispiel das Ca- Schulz, Joana Cotar, Dr. Michael Espendiller, re-und-Case-Management. Wir haben auch eine Reform weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD der Kontrollsysteme im Koalitionsvertrag vereinbart, Schutz der Kritischen 5G-Infrastruktur vor also eine bessere Überwachung der Situation in den Pfle- staatsnahen Netzwerkausrüstern geheimen, weil da teilweise wirklich Verhältnisse sind, die wir so nicht wollen. Es gibt gute Pflegeheime; aber Drucksache 19/7723 wir müssen die schlechten ganz massiv aussortieren – Überweisungsvorschlag: wenn sie denn da sind – und die guten stützen; denn das Ausschuss für Inneres und Heimat (f) haben die Menschen verdient. Ausschuss Digitale Agenda (f) Federführung strittig Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gerade im Bereich der Pflege die gleiche Sorgfalt anwenden müs- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sen, die wir für unsere Kinder und für unsere jungen Leu- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu te ganz selbstverständlich anwenden. Das muss für das keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Alter eben auch gelten, sodass wir wirklich ein Leben Ich bitte alle Beteiligten, zügig den Wechsel vorzu- in Würde auch am Ende der Tage gewährleisten können. nehmen, damit wir mit der Aussprache beginnen können. In diesem Sinne freue ich mich wirklich auf eine gute Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- und spannende zukünftige Debatte über dieses sehr wich- ner das Wort dem Kollegen Manuel Höferlin, FDP-Frak- tige Thema. tion. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Manuel Höferlin (FDP): Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur 37 Prozent der Bevölkerung trauen der Frau Kollegin Zeulner, herzlichen Dank. Mit Ihren Bundesregierung zu, dass sie fähig ist, die Digitalisie- Worten schließen wir die Aussprache. rung voranzutreiben; das sagt eine Studie des Vodafo- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf ne-Instituts. – Gratulation, ich hätte nicht so viel erwar- den Drucksachen 19/7480 und 19/7691 an die in der tet. Eine andere Studie aus dem Jahr 2017 sagt voraus, 9520 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Manuel Höferlin (A) dass bereits im kommenden Jahr mehr als 20 Milliarden siedelt. Es geht darum, Sicherheitslücken zu schließen. (C) Geräte im Internet der Dinge miteinander verbunden sein Andere wollen sie offen halten und für eigene Zwecke werden. 20 Milliarden Geräte, das ist dreimal so viel, wie nutzen – das kann nur schiefgehen. wir Menschen auf der Welt haben. Ich weiß nicht, wie es (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Ihnen geht und was das bei Ihnen auslöst – mich macht BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) diese Zahl sehr nervös; denn die Bundesregierung hängt bei der IT-Kompetenz streckenweise immer noch in der Deshalb wollen wir Freie Demokraten, dass das BSI aus Vorschule fest. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. der Zuständigkeit des Innenministeriums herausgelöst wird. Zusätzlich muss das BSI eine zentrale Meldestelle Fragen Sie doch mal die Bürger, wer eigentlich hier werden – überhaupt eine zentrale Stelle – für die IT-Si- für die IT-Sicherheit zuständig ist. cherheit in Deutschland. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Mein Kollege hat in der letzten GRÜNEN]: Die Opposition!) Woche einen hervorragenden Vorschlag dazu gemacht: Da kommt dann wahrscheinlich die Antwort: Irgendeiner Lassen Sie uns doch bitte die Sicherheit – auch die IT-Si- der fünfzehn oder sechzehn Digitalminister wird es wohl cherheit; die gehört dahin – im Rahmen einer Föderalis- sein. – Das ist desaströs; denn die IT-Sicherheit ist die muskommission III intensiv besprechen; das würde die Achillesferse des Informationszeitalters. IT-Sicherheit deutlich stärken. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der FDP) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun noch ein Wort zur digitalen Selbstverteidigung. Die Bundesregierung vernachlässigt die IT-Sicherheit, Stellen Sie sich vor, Sie werden gehackt und Sie können aber nicht nur. Sie handelt auch teilweise unkoordiniert, trotzdem ruhig schlafen, Sie können ganz in Ruhe Ihre in der Sache sogar schädlich. Die Bürger sind verunsi- Serie auf Netflix oder wo auch immer zu Ende schauen; chert. Die Bundesregierung setzt dem Ganzen die Kro- denn Sie wissen: Es wird nichts Schlimmes passieren. ne auf, weil immer wieder die gleichen Reflexe ziehen, (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Kommt immer wieder das Gleiche wiederholt wird. Ich kann es auf die Seite an!) nicht oft genug sagen: Der Versuch, das Internet vollum- fänglich zu kontrollieren, wird scheitern. Der Staat muss Viele von Ihnen/uns haben zwischen den Jahren/Anfang sich auf die Kernaufgaben konzentrieren, nämlich auf Januar eine solche Situation erlebt. Was ich beschrie- den Schutz der Bürgerinnen und Bürger und auf den ben habe, wäre aber möglich, wenn es ein wirksames Schutz der wichtigen Infrastruktur. Recht auf Verschlüsselung gäbe, wenn die Daten und die (B) E-Mails, die abgeflossen sind, eben verschlüsselt wären. (D) (Beifall bei der FDP) Das Bundesverfassungsgericht hat vor über zehn Jah- Was brauchen wir dafür? In unserem Antrag haben ren das IT-Grundrecht entwickelt. Ich fordere die Bun- wir das Wichtigste zusammengefasst. Liebe Bundesre- desregierung auf, endlich nachzusteuern und dort auch gierung, Sie können sich gerne bedienen – im Namen der wirklich Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger zu Sicherheit ist Ihnen ja auch sonst jedes Mittel recht. gewährleisten. ( [SPD]: Ho!) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Worum geht es im Kern? Erstens. Wir sind überzeugt davon, dass Sie Sicherheitslücken schließen müssen, an- Sie finden in unserem Antrag noch viele weitere Ideen. statt sie für eigene Zwecke offen zu halten, beispielswei- Acht Seiten lassen sich etwas schwierig in vier Minuten se für den Staatstrojaner. quetschen. Der Präsident fängt auch schon an zu blinken Zweitens. Hören Sie endlich auf, Bürgerinnen und (Heiterkeit) Bürger an vielen Stellen zu überwachen, beispielsweise – zumindest hier vorne –; deswegen komme ich auch im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung oder mit den zum Ende. All diese Vorschläge müssen natürlich noch Staatstrojaner. mit einem Satz enden: Es wäre deutlich einfacher, Sie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten würden die IT-Kompetenz und -Steuerung in ein feder- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) führendes und zugleich koordinierendes Digitalministe- rium einbinden. Fangen Sie an, die IT-Sicherheit zu stärken! (Saskia Esken [SPD]: Ach nee!) Kommen wir zu den Sicherheitslücken. Die Sicher- heitslücke selbst ist ein Sicherheitsrisiko; der Name sagt Dann wären wir einen Schritt weiter, das würde die IT-Si- es ja schon. Die erste und letzte Linie der Verteidigung ist cherheit voranbringen. das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Herzlichen Dank. BSI. Das BSI ist dem Innenministerium nachgeordnet. Unser Heimatminister ist heute wieder nicht da; der ge- (Beifall bei der FDP) schätzte Kollege Krings nimmt die Position ein. Sie mer- ken selber: Es gibt da einen gewissen Interessenkonflikt; Vizepräsident Wolfgang Kubicki: denn beim Innenministerium sind auch das Bundeskrimi- Vielen Dank, Herr Kollege Höferlin. Nicht der Präsi- nalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz ange- dent blinkt, sondern die Elektrik da vorne. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9521

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, Ich will Ihnen gerne zwei Punkte nennen. Gerade in (C) möchte ich darauf hinweisen und das auch zu Protokoll dieser Woche gab es zwei Berichterstattergespräche zum geben, dass ich bei einem so wichtigen Thema die Prä- neuen IT-Sicherheitsgesetz 2.0, das umfangreiche Maß- senz der Freien Demokraten und auch von Bündnis 90/ nahmen enthält, die unsere IT-Infrastruktur verbessern Die Grünen für verbesserungsbedürftig halte, werden. Eines fand gerade heute Morgen statt. Dieser Gesetzentwurf wird noch in diesem Jahr in das Plenum (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und eingebracht. Wir werden damit einen entscheidenden der SPD) Beitrag leisten, um unsere IT-Sicherheitsstruktur zu ver- nicht nur bei diesem Thema, sondern insgesamt, meine bessern. sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Vor zwei Wochen haben Bundesminister Seehofer, (Michael Theurer [FDP]: Herr Präsident, der im Übrigen gerade bei der Sicherheitskonferenz in die sind geistig präsent! – Katharina Dröge München ist – das für alle, die sich fragen, wo er gerade [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren ist –, und eine neue Agentur ins eben noch zahlreich vertreten!) Leben gerufen – die Agentur für Cybersicherheit –, die dankenswerterweise auch noch in meinem Wahlkreis an- – Sie meinen, Sie waren vor diesem Thema noch deutlich gesiedelt werden wird. besser präsent? – Sehr gut. Als nächster Redner hat das Wort der Kollege (Manuel Höferlin [FDP]: Das gönne ich Ih- Christoph Bernstiel, CDU/CSU-Fraktion. nen, Herr Kollege!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das BMI plant noch für dieses Jahr eine Informations- kampagne für mehr Cybersicherheit, die deutschlandweit ausgerollt werden soll. Wir haben bereits im vergange- Christoph Bernstiel (CDU/CSU): nen Jahr mehr Stellen in nahezu allen Sicherheitsbehör- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und den im Bereich der IT genehmigt und auch auf den Weg Kollegen! Liebe Gäste! Zunächst einmal vielen Dank an gebracht. Es ist also bei weitem nicht so, dass die Bun- die FDP, dass Sie dieses wichtige Thema der Cybersi- desregierung nichts tut, sondern wir sind dabei, umzuset- cherheit immer wieder auf die Tagesordnung setzen. zen. Liebe FDP, hätten Sie uns bei Jamaika nicht auf dem (Beifall bei der FDP) letzten Meter den Rücken gekehrt, dann wären Sie mit dabei, wüssten das alles und müssten jetzt nicht meinem Dafür gebührt Ihnen wirklich Dank. Das muss man ein- Vortrag gespannt zuhören. fach einmal feststellen. Ich danke Ihnen vor allen Dingen (B) dafür, dass wir als Koalitionsfraktionen die Möglichkeit (Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian (D) bekommen, Ihnen noch einmal zu erklären, was wir Hartmann [SPD]: Da hat er recht!) schon alles in diesem Bereich tun. Zum Zweiten. Es gibt auch Punkte in Ihrem Antrag, (Manuel Höferlin [FDP]: Gerne! Ich bin ge- die wir durchaus sehr kritisch sehen. Eines verwundert spannt!) mich besonders: Sie fordern mehr Staat. Sie sagen: Der Staat ist zuständig für die ganze IT-Sicherheit. – Dabei Ich will zwei Punkte aufgreifen, die in Ihrem Antrag sind Sie doch die liberale Partei und sagen immer: Der durchaus richtig sind. Der erste Punkt ist die Haushalts- Staat soll sich möglichst wenig einmischen. – Was möch- ausstattung. Sie sagen: Wir können nicht nur mehr Staat, ten Sie denn eigentlich? Wissen Sie, was wir in diesem mehr Sicherheitsbehörden fordern, sondern wir müs- Bereich wollen? Das haben Sie ausgelassen. Wir wollen sen auch dafür sorgen, dass sie mit den entsprechenden den Nutzer in die Selbstverantwortung bringen und ihn Haushaltsmitteln und personell ausgestattet werden. – stärken. Auch darüber müssen wir einmal reden, wenn Das haben wir in den letzten Haushaltsverhandlungen wir über IT-Sicherheit reden. Jedes Netz ist nur so sicher getan. Ich hoffe, dass Ihre Fraktion dann auch dabei ist, wie der Anwender, der es verwendet. wenn es in diesem Jahr darum geht, weitere Maßnahmen zu finanzieren. (Manuel Höferlin [FDP]: Nein, digitale Selbstverteidigung! – Dr. Konstantin von Notz Der zweite Punkt ist die Kooperation zwischen Bund [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erklären und Ländern. Daran arbeiten wir schon. Das Leak im Ja- Sie mal den Leuten!) nuar hat gezeigt: Dies hätte vermieden werden können, wenn wir rechtzeitig Bescheid gewusst hätten, was in den Jetzt schauen wir uns einmal ein paar Zahlen an. Ländern passiert. Da gebe ich Ihnen explizit recht. 61 Prozent der Deutschen geben an, dass sie ein und das- selbe Passwort für mehrere Onlineaccounts benutzen. Sie haben viele gute Punkte genannt. Einiges – das 6 Prozent geben sogar an, dass sie nur ein einziges Pass- haben Sie selbst gesagt – ist aufgewärmt. Das hören wir wort für alle Zugänge im Internet haben. hier regelmäßig. Ein Problem bleibt aber nach wie vor bestehen: Sie erkennen nicht, dass wir bereits handeln. (Manuel Höferlin [FDP]: 8 Prozent der Bun- Es hilft nun einmal nicht, wenn Sie immer nur schlaue destagesabgeordneten benutzen nur ein Pass- Anträge stellen und auffordern, aber ignorieren, dass die wort!) Bundesregierung in diesem Bereich bereits alles tut. Auch an dieser Stelle müssen wir ansetzen. Es hilft nichts, (Manuel Höferlin [FDP]: Sie verstecken das dass wir die beste Firewall haben, wenn der Schlüssel aber gut!) dafür direkt vor der Haustür liegt; das ist eine super 9522 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Christoph Bernstiel (A) Analogie. Die zehn häufigsten Passwörter sind: „Hallo“, alter der Digitalisierung, und das ist gut so. Wir als AfD (C) „12345“ und – Achtung, jetzt seit neuem – „123456“. legen mit unserem Antrag den Fokus auf das vieldisku- tierte 5G-Netz, ein Netz, das für kurze Antwortzeiten im (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Datenverkehr vorgesehen ist und das nicht manipulier- GRÜNEN]: Hören Sie auf mit der Bürgerbe- bar oder gar abschaltbar sein darf. Die Frequenzverstei- schimpfung! Das ist unerträglich!) gerungen stehen unmittelbar bevor. Aufgabe der Politik Das Wort „Passwort“ ist nach wie vor unter den Top Ten ist es nun, einen sicheren Netzaufbau zu gewährleisten. der am meisten verwendeten Passwörter. Da müssen wir Aber es gibt eine Schwachstelle im System. Die heißt ansetzen. Genau das machen wir auch, indem wir im wieder einmal: Dr. . Er ist nicht da. In der IT-Sicherheitsgesetz verankert haben, dass wir das BSI Energiewende wirft der Rechnungshof ihm Versagen stärken wollen. vor. Seine sogenannte Gründungsoffensive floppte. Mit der Nationalen Industriestrategie 2030 zeichnet sich das (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Gleiche ab. GRÜNEN]: Das BSI generiert jetzt Passwör- ter für Menschen, oder was?) (Beifall bei der AfD) Das BSI soll in Zukunft die zentrale Anlaufstelle auch für Dieser Minister soll nun 5G zu einem Erfolg führen. Verbraucher sein. Das BSI ist es im Übrigen schon jetzt. Aber das Problem ist: Kaum jemand kennt die zentrale Aber hier geht es um mehr als nur darum, ein paar Hotline des BSI. Ich nenne die Nummer noch einmal: Strategiepapiere auf den Tisch zu legen. Es geht um die 0800 274 1000. Wer also Fragen hat, kann gerne beim Sicherheit unserer Daten. Es geht darum, die nicht zähl- BSI anrufen. Es berät schon heute. Wir wollen das in Zu- baren Interaktionen in der neuen Datenwelt so durchzu- kunft weiter ausbauen und den Bürgern die Möglichkeit führen, dass weder Bürger noch Industrie Schäden da- geben, zu unterscheiden. vontragen. Es geht darum, dass unsere privaten Daten Ein ganz entscheidender Punkt, den ich nicht außen nicht ausgespäht, dass die Produktionsgeheimnisse unse- vor lassen möchte, ist das IT-Sicherheitskennzeichen. rer Wirtschaft nicht nach Fernost abgeleitet werden. Ma- Das wird extra „Kennzeichen“ genannt, weil „Siegel“ et- nipulationsmöglichkeiten von vornherein zu minimie- was Statisches ist. Wir möchten den Bürgern in Zukunft ren, meine Damen und Herren, das ist das Ziel unseres die Möglichkeit geben, zu unterscheiden. Was ist billi- Antrags. Für die AfD stellt 5G insgesamt eine kritische ger: IoT-Schrott aus dem Ausland, der überhaupt keine Infrastruktur da. Das muss auch gesetzlich so verankert Sicherheitskennzeichen hat und keine Updateanforde- werden: im Telekommunikationsgesetz und im Gesetz rungen erfüllt, oder Produkte, die zumindest in der Lage für Cybersicherheit. (B) sind, Mindeststandards zu generieren? Das wollen wir (D) einführen. Dieses IT-Sicherheitskennzeichen – Sie kön- (Beifall bei der AfD) nen sich darauf freuen – wird kommen. Eine große Gefahr für die 5G-Sicherheit lässt sich (Manuel Höferlin [FDP]: Das unterstützen schon heute ausmachen: Huawei. Dieses Unternehmen wir!) ist ein Netzwerklieferant mit engen Bindungen an den chinesischen Staat und somit schon per Gesetz zur Zu- Der Begriff „IT-Sicherheitskennzeichen“ ist natürlich et- sammenarbeit mit dem dortigen Geheimdienst verpflich- was sperrig. Deswegen haben sich schlaue Leute im Mi- tet. Viele Industrieländer sehen hier ein Risiko. Aber die nisterium einen tollen Begriff dafür einfallen lassen. Das Bundesregierung, die wieder ohne Minister hier sitzt, ist der sogenannte elektronische Beipackzettel. Dieser eiert da herum. Schon unter Präsident Obama wurden in wird maßgeblich dazu beitragen, unseren Bürgern in Zu- den USA chinesische Staatskonzerne als Gefahr für die kunft mehr Orientierung zu geben, was sichere und unsi- nationale Sicherheit ausgelistet. In Kanada, Neuseeland chere Geräte sind. In Zukunft könnte es dann hoffentlich und Australien wird das ebenso gehandhabt. Auch Re- heißen: Bei Risiken und Nebenwirkungen im IT-Bereich gierungen in Europa haben erkannt, um was es geht. In fragen Sie das BSI oder Ihre Bundesregierung. Großbritannien, in Norwegen, in Frankreich und auch in (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Polen schrillen die Alarmglocken wegen Huawei laut. GRÜNEN]: Ja, wir rufen die Hotline an!) Aber unsere Bundesregierung zögert und blockiert. Herzlichen Dank. Im Oktober erhielt die AfD von der Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die Antwort, dass die generelle Abschottung öffentlicher Netzinfrastruktur gegen bestimmte Anbieter kein ad- äquater Schutzmechanismus sei. Dann ließ man verlau- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ten, dass die Willensbildung der Regierung noch nicht Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Uwe abgeschlossen ist. Nicht viel schlauer wurden wir durch Schulz. Bundeskanzlerin Merkel. Vor wenigen Tagen sagte sie in ihrer eigenen einfachen Sprache, konkret bezogen auf (Beifall bei der AfD) Huawei – ich zitiere –: Es geht darum, „dass eben nicht die Firma einfach die Daten an den Staat abgibt, die ver- Uwe Schulz (AfD): wendet werden, sondern dass man da Sicherheiten be- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Ta- kommt“. „Dass man da Sicherheiten bekommt“ – ja, was gesordnungspunkt widmet sich der IT-Sicherheit im Zeit- meint sie denn, die Frau Merkel, damit? Was ich meine, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9523

Uwe Schulz (A) ist klar: Mit einfacher Sprache und mit simplen Gedan- rer Sicht nicht im Mittelpunkt einer reinen Digitalpolitik, (C) ken wird das Problem jedenfalls nicht gelöst. sondern im Mittelpunkt der Gesellschaftspolitik steht. (Beifall bei der AfD) Meine Herren von der FDP – die wenigen, die anwe- send sind, obwohl Sie den Antrag vorgelegt haben –, wir Um es noch zu verdeutlichen: Sind die chinesischen Bau- befinden uns auf dem Weg, einerseits das umzusetzen, teile erst einmal drin in 5G, dann bleiben sie auch drin. was wir im Koalitionsvertrag dargelegt haben, und ande- Es gibt kein Zurück mehr, Frau Bundeskanzlerin. rerseits an das anzuknüpfen, was wir mit dem IT-Sicher- Was wir jetzt benötigen, ist aktives Handeln durch die heitsgesetz in der vergangenen Legislaturperiode auf den Regierung. Im Koalitionsvertrag 2013 wurde formuliert: Weg gebracht haben. Wir rücken vor allen Dingen den Wir brauchen Maßnahmen „zur Rückgewinnung der Verbraucherschutz in den Mittelpunkt des zukünftigen technologischen Souveränität“. – Und: Die Koalition – Tuns eines starken BSI. Denn es ist der Mensch, den wir damals – unterstützt „die Entwicklung vertrauenswür- auf dem Weg der erfolgreichen Gestaltung der Digitali- diger IT- und Netzinfrastruktur“. Aber offenbar haben sierung stärken wollen. Ob neue Stellen, mehr Geld oder Sie diese Ziele mittlerweile bereits aufgegeben. Sie hö- die Investition vor allen Dingen in Verschlüsselungstech- ren auch nicht auf die Warnungen befreundeter Länder nologien, wir als Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass und nicht auf Experten wie den ehemaligen BND-Chef wir in die Lage versetzt werden, vom digitalen Wandel Schindler, der gerade aktiv vor Huawei warnt. zu profitieren – und zwar unabhängig vom Staat –, und dass wir auf die Digitalisierung positiv schauen können. Was Sie auf der Regierungsbank wollen, ist etwas Meine Damen und Herren, ich finde, das kann sich sehen anderes. Sie wollen sich elegant aus der Affäre ziehen lassen, und es bedarf der Anträge der FDP nicht. und hoffen darauf, dass die deutschen „Netzbetreiber aufgrund des“ – Achtung – „bestehenden Sicherheits- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten risikos freiwillig“ auf einen Netzausrüster Huawei ver- der CDU/CSU) zichten werden. So steht es im „Handelsblatt“, meine Damen und Herren. Aber Hoffnung ist keine Strategie. Dennoch haben Sie uns zu dieser Debatte eingeladen. Sie wollen sich die Finger nicht schmutzig machen, und Aber was Sie da anbieten, meine Herren von der FDP, ist die deutschen Netzbetreiber bekommen den Schwarzen in Wirklichkeit ein alter Hut, meine Herren von der FDP, Peter. Feige und verantwortungslos ist das. die denn dann da sind. Vielen Dank. (Christian Dürr [FDP]: Das ist keine lustige Rede! Ist Ihnen das schon mal aufgefallen?) (Beifall bei der AfD) (B) Es ist in Wirklichkeit die Diskussion darüber, ob ein Di- (D) gitalministerium geschaffen werden soll. Sie wollen uns Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: außerdem eine weitere Föderalismusreform nicht erspa- Der Kollege Sebastian Hartmann hat das Wort für die ren; denn Sie stellen erneut die Kooperation auf der Bun- SPD-Fraktion. desebene infrage. Ich sage Ihnen in aller Klarheit: Wenn wir ein Kooperationsverbot zum Ziel haben und voll- (Beifall bei der SPD) kommen ausblenden, dass wir eigentlich ein Kooperati- onsgebot brauchen, das staatliche Ebenen dazu bringt, zu Sebastian Hartmann (SPD): überlegen, wie sie Forschung, Technologie, aber auch die Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Sicherheitsbehörden neu vernetzen können, sodass es vor Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! allen Dingen den Menschen nutzt – das Stichwort „Ver- Wir wollen den digitalen Fortschritt. Die SPD will, dass braucherschutz“ ist schon gefallen –, dann verschwenden alle von diesem digitalen Fortschritt und diesem digitalen wir eine Menge Zeit. Wandel profitieren. Darum muss im Mittelpunkt dieser Digitalisierung der Mensch stehen. Der Schutz seiner (Manuel Höferlin [FDP]: Funktioniert aber Souveränität, seiner Freiheit und seiner Sicherheit muss doch nicht!) gestärkt werden. Die Technologie ist nicht nur Selbst- – Entschuldigen Sie mal, Herr Kollege! Was Sie von der zweck, sondern sie ist Mittel zum Zweck. Wir werden sie FDP gemacht haben, ist doch Folgendes: Sie haben sich als Instrument brauchen, um die großen, neuen gesell- der Verantwortung für dieses Land bewusst verweigert. schaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu bewäl- tigen. Wir stehen vor einer Wahl: auf der einen Seite das (Christian Dürr [FDP]: Waren Sie im Novem- chinesische Modell eines starken Staates, der – zensurge- ber dabei, Herr Hartmann?) trieben – keine Menschen- und Bürgerrechte schützt, auf der anderen Seite ein System stark privatwirtschaftlich Wenn Sie hinterher beklagen, dass Sie keine Verant- geprägter Digitalisierung in den Vereinigten Staaten, mit wortung haben, starken Unternehmen, die Daten aber nicht preisgeben (Manuel Höferlin [FDP]: Wir übernehmen und den Datenschutz nicht achten. mit den Ländern Verantwortung, wo es geht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und am Spielfeldrand stehen, alles besser wissen wollen Deshalb erhält der Datenschutz eine besondere Bedeu- und schlaue Tipps geben, dann möchte ich Ihnen an die- tung bei der Gestaltung der Digitalisierung, die aus unse- ser Stelle ein Angebot machen. Ich würdige doch gute 9524 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Sebastian Hartmann (A) Teile Ihres Antrages. Ich verdamme ihn doch nicht in Daten unserer Bürgerinnen und Bürger besser geschützt (C) Bausch und Bogen. werden können. (Christian Dürr [FDP]: Die Ebert-Stiftung hat (Beifall bei der LINKEN) wirklich schlechte Rhetorikseminare!) Dazu muss insbesondere das Bundesamt für Sicherheit in Ich habe doch nur kritisiert, dass Sie ein Digitalminis- der Informationstechnik zu einer unabhängigen Behör- terium schaffen und eine weitere Föderalismusreform de entwickelt werden, deren Kernaufgabe darin besteht, durchführen wollen. die digitale Sicherheit im Land spürbar zu erhöhen. Im Klartext: Das BSI muss aus der Unterstellung des Innen- (Manuel Höferlin [FDP]: Ja, aber das ist doch ministeriums befreit und eine eigenständige Institution richtig! Das ist dringend notwendig!) werden. Ich wollte aber gerade würdigen, dass in Ihrem Antrag (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- bestimmte Teile wirklich gut sind, vor allen Dingen die- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) jenigen, die Sie aus dem Koalitionsvertrag von SPD und CDU und CSU abgeschrieben haben, und der Teil, in Im Antrag der FDP stehen übrigens einige vernünftige dem Sie würdigen, dass wir die Mittel für die entspre- Forderungen, über die wir gerne im Ausschuss diskutie- chenden Stellen schon eingestellt haben. ren können. Dass ich unseren eigenen Antrag zur IT-Si- cherheit deutlich besser finde, wird Sie nicht verwundern. Das ist doch ein guter Weg, meine Herren. Wir küm- mern uns darum. Seien Sie versichert: Das Thema ist (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Da steht bei uns in guten Händen; denn Digitalpolitik ist Gesell- doch gar nichts drin!) schaftspolitik und darf nicht dem Klein-Klein staatlicher Ein ganz zentraler Punkt fehlt aber im Antrag der FDP, Souveränität oder einem Kooperationszwang unterlie- und zwar die Auflösung der sogenannten Zentralen Stel- gen. le für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, ZITiS. (Manuel Höferlin [FDP]: Dann handeln Sie ZITiS wurde ohne gesetzliche Grundlage gegründet und doch auch so!) entwickelt im Regierungsauftrag selbst Hackermetho- den, anstatt vor Ausspähung zu schützen. Damit muss Herzlichen Dank. endlich Schluss sein. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN – [CDU/CSU]: Eine Ressortforschungseinrich- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: tung!) (B) (D) Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Die Linke wird dazu demnächst einen Antrag vorlegen. André Hahn. Natürlich müssen wir auch die Hersteller von IT-Pro- (Beifall bei der LINKEN) dukten viel mehr in die Pflicht nehmen, als das bislang der Fall ist. Wir brauchen dort eine Produkthaftung, wie Dr. André Hahn (DIE LINKE): sie in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Medizin- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ha- technik oder bei Arzneimitteln, längst existiert. ckerangriffe auf das Außenministerium, auf diverse Bun- Der weltweite Markt für Informations- und Kommu- destagsabgeordnete und nicht zuletzt der Datenklau Ende nikationstechnik wird von einigen wenigen Firmen aus vergangenen Jahres haben die Lücken in unserer digita- den USA und China dominiert. Daraus resultierende Si- len Sicherheitsstruktur einmal mehr deutlich gemacht. cherheitsbedenken sind durchaus nachvollziehbar. Der Einsatz von Huawei-Technik beim Aufbau des 5G-Net- (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Der zes in Deutschland birgt ohne Zweifel auch Risiken. Die Mensch ist die Lücke!) Enthüllungen von Edward Snowden haben gezeigt, dass Polizei, Verfassungsschutz und leider auch das Bun- die NSA gezielt Manipulationsmethoden, -möglichkeiten desamt für Sicherheit in der Informationstechnik waren und -hintertüren in US-Produkten nutzt, zum Beispiel bei nicht in der Lage, durchaus vorhandene Hinweise, die es Cisco-Routern, die im Übrigen – vielleicht weiß es der zum Teil schon Monate vorher gab, zu einem Gesamtbild eine oder andere gar nicht – gerade in den Bürogebäuden zusammenzufügen. Die Informationspolitik der Bun- des Bundestages zur WLAN-Versorgung eingebaut wor- desregierung war indiskutabel. Als ein Betroffener des den sind. Wir als Linke wollen nicht ausspioniert werden, Datendiebstahls habe ich davon zuerst über die Medien auch nicht von China oder den USA. erfahren, obwohl ich Mitglied im Innenausschuss und (Beifall bei der LINKEN) im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheim- dienste bin. Deutschland ist ganz offensichtlich nicht aus- Deshalb müssen wir diese Abhängigkeit mit einem reichend gegen die Gefahren der digitalen Welt gerüstet. europäischen Gegenmodell überwinden, das klar auf Open-Source-Technologie setzt. Hier haben Politik und In dieser Situation brauchen wir aber keine wohlklin- Wirtschaft leider über zwei Jahrzehnte gepennt. genden Wortschöpfungen wie das von Innenminister Seehofer angekündigte „Cyber-Abwehrzentrum plus“. Meine Damen und Herren – letzter Punkt –, der Wir brauchen eine überzeugende Strategie, aus der her- Kampf für mehr Sicherheit im digitalen Raum kann und vorgeht, wie kritische Infrastrukturen und vor allem die darf nur mit rechtsstaatlichen Mitteln geführt werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9525

Dr. André Hahn (A) Deshalb sagen wir klar und deutlich Nein zu Staatstroja- werden. Statt digitales Wettrüsten, verfassungsrechtlich (C) nern, Nein zum Handel mit Sicherheitslücken und Nein hochproblematischer Hackbacks und irgendwelcher Cy- zu sogenannten Hackbacks. berwar-Eskalationsträume brauchen wir eine besonnene, an realen Bedrohungslagen orientierte Politik in dem Be- (Beifall bei der LINKEN) reich. Und diese Politik darf eben nicht nur auf irgend- Solche Maßnahmen, meine Damen und Herren, führen welche Skandale und erfolgreiche Angriffe reagieren, nicht zu mehr Sicherheit. Aber sie sind geeignet, das Ver- sondern sie muss langfristig, strategisch und vor allen trauen der Bürgerinnen und Bürger in die Integrität staat- Dingen proaktiv vorangebracht werden. licher Behörden zu zerstören. Das sollte das Parlament (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eigentlich verhindern. Wie eine solche Politik aussehen kann, haben wir hier Herzlichen Dank. wiederholt, zuletzt mit einem sehr umfangreichen Antrag (Beifall bei der LINKEN) vor einem Jahr, aufgezeigt. Deswegen finde ich es aus- gesprochen begrüßenswert, dass jetzt auch von der FDP und den Linken Anträge dazu vorliegen. Das zeigt die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: absolute Dringlichkeit und Wichtigkeit dieses Themas Der Kollege Dr. Konstantin von Notz hat das Wort für und gleichzeitig die Versäumnisse der Bundesregierung. Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Dann kön- nen Sie sich schon einmal auf unser Gesetz Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- freuen! Das wird schön!) NEN): Man fragt sich: Was muss eigentlich noch passieren? Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Seit Jahren versprechen Sie das IT-Sicherheitsgesetz 2.0. Herren! Im Bereich der IT-Sicherheit – so beginne ich Herr Krings, 2.0! Das sagt eigentlich alles. die Reden zu diesem Thema seit vielen Jahren – brennt in Deutschland die Hütte lichterloh. Und daran hat sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nichts geändert: Stuxnet 2010, die Snowden-Veröffentli- Statt es endlich vorzulegen – gerne 4.0 –, chungen 2013, der Angriff auf den Deutschen Bundestag 2015, WannaCry 2017, der sogenannte Regierungshack, (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Dann wäre die Politik-Leaks und nun die Collection #1 bis #5, seit es ja autonom!) Jahren maximale Probleme! Seit Jahren diskutieren wir boykottieren Sie im Innenausschuss die von uns seit (B) hier darüber, und seit Jahren passiert gar nichts. Das ist (D) langem beantragte Anhörung zu diesem Thema. Dabei absolut inakzeptabel. müssen wir endlich dem Grundrecht auf Vertraulichkeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN informationstechnischer Systeme zum Durchbruch ver- und bei der LINKEN – Christoph Bernstiel helfen; da ist der Gesetzgeber in der Pflicht. [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Wir brauchen klare Zuständigkeiten innerhalb der Die Bilanz der Großen Koalition – sie hört es nicht Bundesregierung, Herr Krings, gute Rechtsgrundlagen gerne – ist verheerend. Ihre Politik gefährdet die IT-Si- zum Beispiel für die Zusammenarbeit im Cyber-Abwehr- cherheit sehr viel mehr, als dass sie sie erhöhen würde. zentrum, Die Themen sind hier angesprochen worden, und die (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Kommt!) Probleme sind offenkundig. Wenn Behörden wie ZITiS ohne irgendeine Rechtsgrundlage neue Strukturen zur Erkennung hybrider Bedrohungsla- gen; Frau Merkel redet gerne darüber. Parlamentarisch (Manuel Höferlin [FDP]: Stimmt genau!) passiert hier wegen der Verweigerungshaltung der Gro- Sicherheitslücken offenhalten und mit ihnen hehlen oder Ko praktisch nichts. Wir brauchen eine Meldepflicht für wenn gigantische Datenberge völlig unbescholtener Bür- Sicherheitslücken. gerinnen und Bürger durch anlasslose Massenüberwa- (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Kommt!) chung wie PNR und Vorratsdatenspeicherung zusätzlich geschaffen werden, ist das hochproblematisch. Wenn Sie Wir brauchen ein unabhängiges BSI – Kollege Hahn hat so agieren, dann sind Sie nicht Teil der Lösung, sondern das gesagt –, durchgehende Ende-zu-Ende-Verschlüs- Teil des Problems. selungen, neue Haftungsregelungen, verpflichtende Sicherheitsupdates, weniger Massenüberwachung und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehr freie und offene Software. und bei der FDP sowie der Abg. Dr. Michael Espendiller [AfD] und Dr. André Hahn [DIE (Manuel Höferlin [FDP]: Verschlüsselt!) LINKE]) Darüber reden wir seit Jahren. Sie tun hier nichts. Diese Dem Staat kommt eine direkte Verantwortung zum Handlungen sind überfällig. Schutz der digitalen Infrastruktur zu – das sagen nicht ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ringere Personen als Herr Papier, Herr Hoffmann-Riem und Herr Becker –, ob darauf nun private Kommuni- Ich komme zum Schluss. Mike Mohring – ich zitie- kation oder sensible Unternehmensdaten übertragen re ihn nicht oft – hat gesagt: „Derzeit hinkt die Daten- 9526 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dr. Konstantin von Notz (A) sicherheit der Entwicklung weit hinterher“, man müsse und Arbeitswelt bereits heute grundlegend beeinflusst. (C) jetzt rasch handeln. Recht hat der Mann. Wie hart einem Es unterliegt ebenso keinem Zweifel, dass entscheidend das Nichtstun auf die Füße fallen kann, merken Sie im für die Akzeptanz ist, dass die Nutzer den Anwendungen Augenblick bei Huawei. Das ist ein Riesenproblem, das und auch den Chancen, die sich bieten, vertrauen können Deutschland in innovativer Hinsicht massiv ausbremst, und dass der Schutz ihrer Daten gewährleistet ist. weil Sie seit Jahren die Antworten verweigern. Kommen Sie endlich aus der Box! Die Antworten liegen auf dem Die Bundesregierung hat hierfür in der Vergangenheit Tisch, durch Anträge der Opposition. Deswegen: Ganz die richtigen Weichen gestellt, und wir haben uns auch herzlichen Dank für das Setzen des Themas! für diese Legislatur ambitionierte Ziele gesetzt – die ver- schweigen Sie leider –, um die digitale Sicherheit weiter Uns allen einen guten Tag. Tschüss. zu verbessern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Manuel Höferlin [FDP]: An Zielen mangelt es Ihnen nicht, an Analysen auch nicht!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Nächster Redner: der Kollege Michael Kuffer, CDU/ Es unterliegt aber überhaupt keinem Zweifel, dass wir CSU-Fraktion. hier immer wieder stark herausgefordert werden. Ent- (Beifall bei der CDU/CSU) scheidend ist nur, dass wir aus den jüngsten Vorfällen die richtigen Konsequenzen ziehen und dort nachsteu- ern, wo es nötig ist; das ist bereits gesagt worden. Wie Michael Kuffer (CDU/CSU): von Innenminister Seehofer im Innenausschuss zugesagt, Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das ist an wird noch vor der Sommerpause ein erweitertes IT-Si- sich ein wichtiges Thema. Da haben sich allerdings drei cherheitsgesetz 2.0 in den Bundestag eingebracht. Lie- zusammengefunden. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie wis- ber Kollege von Notz, man kann sich über die Semantik sen zu überraschen. Die Kollegen von der FDP werfen in streiten. Mir ist es egal, ob Sie das Gesetz „2.0“ ihrem Antrag Forderungen und Bundesbehörden so wild durcheinander, dass man geneigt ist, ihnen einen Organi- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE sationsplan der Bundesregierung zu reichen. GRÜNEN]: Sie nennen es 2.0!)

(Manuel Höferlin [FDP]: Das würde mich oder „Karl-Heinz“ nennen. Entscheidend ist für mich – interessieren!) das ist der Unterschied –, was drinsteht, und da werden Die Präsenz zeigt im Übrigen, wie stark das Interesse an Sie überrascht sein. (B) einer Lösung wirklich ist. (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin (Beifall des Abg. Sebastian Hartmann [SPD]) von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Die Linken verfangen sich in den altbekannten ideologi- was steht denn drin?) schen Grabenkämpfen, und die AfD möchte anscheinend am liebsten den nächsten Handelskrieg anzetteln. Wir haben die Gründung einer Cybersicherheitsagentur am vorgesehenen Standort in Halle gerade erst beschlos- (Manuel Höferlin [FDP]: Die Union wartet sen Wir haben es mit dem aktuellen Haushalt ein weite- lieber ein bisschen ab, bis sich das Problem res Mal geschafft, das Bundesamt für Sicherheit in der von alleine löst!) Informationstechnik mit 350 neuen Stellen signifikant zu stärken, und wir wollen den Tatbestand des digitalen Kollege Schulz regt sich darüber auf, dass kein Minis- Hausfriedensbruchs im StGB einführen. ter anwesend ist. Ich weiß nicht, was er uns damit sagen will. Die Ministerin sitzt da auf der Bank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Christian Dürr [FDP]: Jetzt erzählen Sie doch mal, was Sie machen!) Ich glaube, die Vorfälle zwischen den Jahren zeigen, dass unsere Behörden eingespielt, professionell und Zum Kollegen Hartmann muss ich sagen: Ich habe mich verlässlich sind und an der Lösung des Problems gut als Mann von Ihnen fast diskriminiert gefühlt ob der gearbeitet haben und dass die richtigen Konsequenzen als Stilmittel der Abfälligkeit zur Schau gestellten Ver- gezogen wurden. Die Regierungsnetze sind von Angrif- krampfung über die Herren von der FDP, aber, wie ge- fen unbeschadet geblieben, und die digitale Sicherheits- sagt, nur fast. Insofern tut der Debatte etwas Ernsthaftig- architektur hat auch unter Volllast funktioniert. Mir bleibt keit vielleicht ganz gut. zum Schluss, den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbei- (Sebastian Hartmann [SPD]: Ja, aber Ihnen tern, die über die Feiertage in unzähligen Nachtschichten auch!) zur Sicherung unserer Infrastruktur tätig waren, unseren herzlichsten Dank auszusprechen. Es ist, glaube ich, gerade auch bei diesem Thema ganz gut, dass wir uns tatsächlich darum kümmern, dieses (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Land ordentlich und mit gesundem Menschenverstand zu ordneten der SPD) regieren. Es ist unbestritten, dass die Digitalisierung ei- nes der Megathemen unserer Zeit ist und dass der digitale Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Schaufens- Wandel die Art des Zusammenlebens, unsere Wirtschaft terpolitik, die Sie mit Ihren Anträgen betreiben, kommen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9527

Michael Kuffer (A) wir bei dem Thema jedenfalls nicht weiter. Es ist und Prävention geeignet sind, müssen diese auch zusammen- (C) bleibt so: Die Union ist die Partei der Sicherheit. geführt werden. (Lachen bei der AfD und der FDP – Manuel Auch wenn ein Teil der Verantwortung bei den Nut- Höferlin [FDP]: Der Worte vielleicht, aber zern liegt und – richtig – „12345“ noch kein sicheres nicht der Sicherheit!) Passwort ist, dürfen wir die Menschen mit dieser Ver- Wir sind es, die dafür sorgen, dass die Menschen in die- antwortung nicht alleine lassen. Deshalb wollen wir von sem Land sicher leben können, gerade im Bereich der der SPD die Diensteanbieter dazu verpflichten, Datensi- IT-Sicherheit, und das wissen die Bürgerinnen und Bür- cherheit und Privatheit nach dem Stand der Technik zu ger auch. gewährleisten und voreinzustellen. Wir wollen eine auf vielen Kanälen wirksame und an alle Zielgruppen gerich- Vielen Dank. tete Informationskampagne zur IT‑Sicherheit auflegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr Erste Gespräche dazu haben wir geführt. [FDP]: Sie sind in der falschen Woche gewe- Auch die Angriffe auf unsere Infrastruktur, auf Ver- sen! Karneval kommt noch!) waltungen, Krankenhäuser oder die Stromversorgung, werden immer professioneller. Dass auch der Bundestag Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: oder die Bundesbehörden dagegen nicht gewappnet sind, Die nächste Rednerin: die Kollegin Saskia Esken, beunruhigt die Menschen, und zwar zu Recht. Es ist doch SPD-Fraktion. unsere staatliche Aufgabe, ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten. Ich muss zustimmen: Wir dürfen nicht (Beifall bei der SPD) auf der anderen Seite die Sicherheit schwächen und dür- fen insofern keine Schwachstellen offenhalten, um sie Saskia Esken (SPD): für eigene Zwecke zu nutzen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie fühlt es sich FDP) an, wenn Ihr E‑Mail-Account gehackt wurde, jemand Ihr Fotoalbum oder Ihre privaten Chats veröffentlicht hat? Wir dürfen erwarten, dass der Staat bei sich selbst, bei Ähnlich wie bei einem Einbruch ist der Schaden an der den Institutionen der kritischen Infrastruktur insbeson- Wohnungstür vielleicht gar nicht so dramatisch. Aber dere, für maximale Sicherheit sorgt: sichere IT‑Systeme, schlimm ist das Gefühl, dass Ihre sichergeglaubte Privat- sichere Organisation und Mitarbeiter, die wissen, was sphäre verletzt ist und verletzt bleibt. Sie wissen von da sie tun, die wissen, wie man sich sicher verhält. Dazu (B) an: Das kann jederzeit wieder passieren. entwickeln wir das IT‑Sicherheitsgesetz weiter, und die (D) Anfang 2019 wurden die Daten von Hunderten Politi- Kolleginnen und Kollegen, die hier Anträge einbringen, kern veröffentlicht. In unserer Aufregung darüber – und wissen das auch. die war ja nicht klein – sollten wir nicht übersehen, dass Wir von der SPD plädieren dabei für eine strikt de- jeden Tag Tausende von Bürgerinnen und Bürgern von fensive Ausrichtung. Wir müssen uns für den Fall eines Datenklau und anderen Vergehen im Internet betroffen Cyberangriffs wappnen und in der Lage sein, das wo- sind. Wer gehackt oder im Onlinehandel betrogen wurde, möglich lahmgelegte öffentliche Leben so schnell wie darf Opferschutz und Beratung erwarten, aber auch Er- möglich wiederherzustellen, und sollten nicht etwa ge- mittlung und Strafverfolgung. gen einen Täter zurückschlagen, den wir im Zweifel noch Von einer klar definierten und abgestimmten Vorge- gar nicht kennen. hensweise der Behörden – das haben wir leider im Zu- Unser Katastrophenschutz muss sich auch mit solchen sammenhang mit diesem Hack feststellen müssen – kann Vorkommnissen und Zusammenhängen mehr beschäfti- in solchen Fällen nicht wirklich die Rede sein. Zu oft gen. Wichtigstes Vorhaben – das ist schon angesprochen erfahren Geschädigte bei den Behörden nicht viel mehr worden – ist der Ausbau des Bundesamtes für Sicherheit als ein Schulterzucken. Hier gilt wie beim Wohnungsein- in der Informationstechnik zur zentralen Behörde für bruch, liebe Kollegen von der Union: Wer als Täter eine Beratung und Verbraucherschutz, für Standardisierung wirksame Strafverfolgung gar nicht befürchten muss, und Zertifizierung in allen Fragen der IT‑Sicherheit. Wir den schreckt auch ein verschärftes Strafmaß nicht ab. setzen uns dafür ein, die Behörde dabei sehr weitgehend (Manuel Höferlin [FDP]: Oder ein neues Ge- unabhängig zu stellen. setz! Hilft null dann!) (Beifall bei der SPD und der FDP) – So ist es. Auch die Hersteller von Informationstechnik werden Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, in Zu- wir in die Pflicht nehmen. IT‑Sicherheitskennzeichen sammenarbeit mit den Ländern zu definieren, welche werden bei der Auswahl sicherer Produkte sicher helfen. Maßnahmen in welchem Fall von Cyberkriminalität zum Aber erst klare Haftungsregeln machen eben auch deut- Schutz der Opfer, zur Beweissicherung – zuhören, Kol- lich, dass es bei der IT‑Sicherheit um ernsthafte, auch lege! – und zur Strafverfolgung ergriffen werden müs- materielle Schäden geht. sen und wie das Zusammenspiel der Behörden eigentlich funktionieren soll. Weil die Forensik bei solchen Vor- Die Menschen mit ihrer Verantwortung nicht alleine kommnissen auch Erkenntnisse gewinnen kann, die zur lassen, Anbieter und Hersteller in die Pflicht nehmen und 9528 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Saskia Esken (A) Behörden für den Schutz der Bevölkerung stärken – das Ich halte es dagegen für grob fahrlässig, wenn die digita- (C) ist unser Weg für mehr IT‑Sicherheit in Deutschland. le Transformation als Schreckgespenst dargestellt wird, so wie es die drei Anträge suggerieren. Vielen Dank. Die digitale Transformation ist keine Gefahr, (Beifall bei der SPD) (Christian Dürr [FDP]: Nein! Die Gefahr sind Sie, ehrlicherweise!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nur weil sie mit Risiken im Bereich der IT‑Sicherheit ver- Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt: bunden wird. Es wird, erstens, immer Sicherheitslücken Marc Biadacz, CDU/CSU-Fraktion. geben, (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Braucht man gar nichts machen, oder wie? – Manuel Höferlin [FDP]: Man Marc Biadacz (CDU/CSU): muss sie aber nicht extra offenhalten!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie, was mich eigentlich an diesen An- egal wie gut der Schutz vor Cyberangriffen ist. Der digi- trägen, die wir heute beraten, massiv stört? tale Wandel ist nun mal dynamisch und agil. Deswegen werden sich Sicherheitslücken immer wieder auftun. Aus (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Nein! – diesem Grund wäre es, zweitens, naiv zu glauben, wir [FDP]: Dass sie nicht von könnten erst mal alle Gefahren abwehren und dann mit Ihnen sind!) der digitalen Transformation beginnen. Obwohl ein paar gute Ideen dabei sind, schwingt eine ne- (Manuel Höferlin [FDP]: Nein! Aber wir gative Grundhaltung mit, müssen es besser organisieren!) (Konstantin Kuhle [FDP]: Aber hallo! – Nein! Der digitale Wandel ist in vollem Gange. Wir brau- [AfD]: Finden wir nicht!) chen daher eine dynamische und agile IT‑Sicherheits- struktur. zum Beispiel wenn da vom „Cyber-Kundus“ die Rede (Beifall bei der CDU/CSU) ist. Das erinnert mich ein bisschen an eine Wortkreation, die bei der letzten Debatte zum Thema IT‑Sicherheit hier Dafür, meine Damen und Herren, haben wir im Koa- am Pult gefallen ist, nämlich das „cyberpolitische Bull­ litionsvertrag wichtige Vereinbarungen getroffen: IT‑Si- (B) shit-Bingo“. cherheitsgesetz 2.0 und zusätzliche Stellen im BSI. Das (D) zeigt: Wir verbessern die IT‑Sicherheit in Deutschland (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Schritt für Schritt, meine Damen und Herren. GRÜNEN]: Das ist mein Wort! Danke!) Politik kann aber nur Rahmenbedingungen setzen. Sie unterstellen mit diesen flapsigen Begriffen, die Bun- Um IT‑Sicherheit zu schaffen, reicht gesetzgeberisches desregierung würde die IT‑Sicherheit in Deutschland ge- Handeln nicht aus. Wir brauchen in Deutschland genauso zielt schwächen, das richtige Mindset für IT‑Sicherheit. (Manuel Höferlin [FDP]: Das tun Sie doch (Manuel Höferlin [FDP]: Sehr richtig!) auch!) Das gilt auch für uns Abgeordnete. Wir müssen alle Bür- ger und Unternehmen dafür sensibilisieren, wie Daten statt sie zu stärken. Das können Sie doch nicht ernsthaft und Geschäftsgeheimnisse vor Cyberangriffen besser ge- glauben, meine Damen und Herren. schützt werden können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Manuel Höferlin [FDP]: Durch Verschlüsse- ordneten der SPD) lung beispielsweise!) Ich bin der Meinung, die Bundesregierung und wir als Das geht nicht, indem wir Angst verbreiten. Vielmehr Gesetzgeber haben ein gemeinsames Interesse daran, den müssen wir aufklären und vermitteln, also ein Bewusst- digitalen Raum so sicher wie möglich zu gestalten. sein für IT-Sicherheit schaffen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ja, dann Um bei den Sicherheitslösungen vorne mit dabei zu macht’s doch! – Dr. Konstantin von Notz sein und Standards zu setzen, brauchen wir in Deutsch- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht land innovative IT‑Sicherheitskonzepte. Ich sehe nicht mal!) nur den Staat in der Pflicht, diese zu entwickeln. – Hören Sie mir zu! – Dazu gehört, gemeinsam dafür Erstens. Es gibt viele kluge und kreative Köpfe in un- Sorge zu tragen, bestehende Risiken zu minimieren, serem Land, die ein Start-up im Bereich der digitalen Si- damit die Digitalisierung am Ende allen Menschen in cherheit gegründet haben. Deutschland mehr Chancen als Risiken bietet. (Manuel Höferlin [FDP]: Sehr richtig!) (Dr. [FDP]: Das ist Diese innovativen Sicherheitslösungen sollten nicht un- Bullshit-Bingo!) genutzt bleiben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9529

Marc Biadacz (A) Zweitens appelliere ich an alle, die sich vielleicht ge- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema (C) rade überlegen, ein Start‑up hier in Deutschland neu zu Movassat, Dr. André Hahn, Doris Achelwilm, gründen: Gründen Sie im Bereich IT‑Sicherheit! Wir, die weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Bundesregierung werden Sie dabei unterstützen. LINKE (Beifall bei der CDU/CSU) Presse, Arbeitnehmervertretung und Whistle- blower im Geschäftsgeheimnisgesetz schützen Ich bin davon überzeugt: Mit diesen gesetzlichen Rah- menbedingungen, mit dem richtigen Mindset, mit den Drucksache 19/7704 kreativen Sicherheitslösungen von Start‑ups im IT‑Si- cherheitsbereich erhalten wir eine dynamische IT‑Si- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz cherheitsarchitektur für unser Land. Das, meine Damen Ausschuss für Arbeit und Soziales und Herren, ist eine klare Strategie und kein „cyberpoli- Ausschuss für Kultur und Medien tisches Bullshit-Bingo“. Hierzu sind, interfraktionell vereinbart, 38 Minuten Herzlichen Dank. vorgesehen. – Es gibt keinen Widerspruch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wenn Sie sich bitte zügig entscheiden würden, ob Sie ordneten der SPD) hierbleiben oder rausgehen wollen.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin ist Vielen Dank, Herr Kollege Biadacz. – Ich schließe die für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Manuela Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. ­Rottmann. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fraktionen der FDP, Die Linke und der AfD auf den Drucksachen 19/7698, 19/7705 und 19/7723 an die in der Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. NEN): Allerdings ist die Federführung strittig. Die Fraktionen Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen der CDU/CSU und SPD wünschen jeweils Federführung und Herren! Ein wesentliches Handicap der EU ist ja beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Die Fraktionen Folgendes: Hinter dem Pfusch der nationalen Umsetzung der FDP, Die Linke und der AfD wünschen jeweils die werden ihre Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. manchmal überhaupt nicht mehr erkennbar. Heute ha- (B) (D) Ich lasse zuerst über die Überweisungsvorschläge ben wir dafür wieder ein Beispiel: Die EU erlässt eine der Fraktionen der FDP, Die Linke und der AfD abstim- Richtlinie zum Geheimnisschutz, an der es eigentlich gar men, also Federführung jeweils beim Ausschuss Digitale nicht viel auszusetzen gibt. Die EU will europäische Un- Agenda. Wer ist für diese Überweisungsvorschläge? – ternehmen effektiver gegen den Verlust ihrer Betriebsge- Das sind die Antragsteller AfD, FDP und Linke. Wer ist heimnisse schützen. Das ist gut. Sie sieht aber auch die dagegen? – Das sind die Koalition und die Grünen. Risiken eines zu weiten Geheimnisbegriffs, und das ist auch gut. (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Oh!) Das Interesse von Unternehmen am Schutz von Ge- Damit sind die Überweisungsvorschläge abgelehnt. heimnissen wird in der Richtlinie gut austariert mit dem Ich lasse nun über die Überweisungsvorschläge der Schutz von Hinweisgebern und mit der Medien-, Mei- Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen, also Fe- nungs- und Informationsfreiheit. Die Richtlinie sieht aus- derführung jeweils beim Ausschuss für Inneres und Hei- drücklich vor, dass die Mobilität von Arbeitnehmerinnen mat. Wer stimmt dafür? – Das sind wieder die Koalition und Arbeitnehmern durch einen überbordenden Geheim- und die Grünen. Wer ist dagegen? – AfD, FDP und Lin- nisschutz nicht beeinträchtigt werden darf. Sie regelt aus- ke. Damit ist der Überweisungsvorschlag angenommen. drücklich, dass die Erfüllung von Informationsaufgaben von Arbeitnehmervertretungen gegenüber der Beleg- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: schaft weiterhin sichergestellt bleiben muss. Sie fordert a) Beratung des Antrags der Abgeordneten außerdem Sanktionen für eine missbräuchliche Berufung Dr. Manuela Rottmann, Beate Müller-­Gemmeke, auf Betriebsgeheimnisse, damit daraus nicht ein Instru- Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der ment der Einschüchterung wird. Sie verweist auf die Not- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wendigkeit besonderer Schutzmechanismen vor Gericht, damit Geheimnisschutz überhaupt effektiv durchgesetzt Geschäftsgeheimnisgesetz – Schutz für Ar- werden kann. Brüssel hat das gut gemacht. beitnehmerinnen, Journalisten, Hinweisgebe- rinnen und Wirtschaft nachbessern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 19/7453 Versemmelt worden ist es dann allerdings hier in Ber- lin. Aus einer guten Richtlinie wird ein Risikogesetz für Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Journalistinnen und Journalisten, für Hinweisgeber, für Ausschuss für Arbeit und Soziales Arbeitnehmer, für Betriebsrätinnen oder für die Entwick- Ausschuss für Kultur und Medien ler freier Software. Die Sachverständigenanhörung zum 9530 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dr. Manuela Rottmann (A) Umsetzungsgesetz von Katarina Barley ist ein Desaster Ingmar Jung (CDU/CSU): (C) gewesen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Dr. Rottmann, ich glaube, das ging jetzt viel- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- leicht doch ein bisschen übers Ziel hinaus. NEN]: Das stimmt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Da können Sie uns und der Linken gerne mal einen Kaf- Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fee dafür ausgeben, dass wir mit unseren Anträgen die NEN – Niema Movassat [DIE LINKE]: Ihr Arbeit machen, für die Sie ein ganzes Justizministerium Gesetzentwurf geht gründlich übers Ziel hi- haben. naus; das stimmt!)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir haben eine Richtlinie vorliegen – in der Tat –, die und bei der LINKEN) einen Rahmen vorgibt, und wir haben einen Entwurf aus dem Ministerium vorliegen, über den man diskutieren Jetzt brauchen Sie die beiden Anträge nur noch neben Ih- kann und bei dem es noch die eine oder andere Möglich- ren Gesetzentwurf zu legen und diesen entsprechend um- keit der Verbesserung gibt; aber grundsätzlich hält diese zuarbeiten, und der schlimmste Schaden ist abgewendet. sich im Rahmen der Richtlinie – ob Sie das jetzt gut fin- den oder nicht. Was ist aber davon zu halten, wenn die Kommission, (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das EU-Parlament und 27 EU-Staaten bessere Regelun- NEN]: Tut es nicht! gen zustande bringen als eine Koalition aus zwei Frakti- onen und drei Parteien? Was zum Teufel ist eigentlich mit – Sie hätten dann vielleicht auch mal ganz konkret vor- der SPD los, wenn der DGB dort mit seinen fundierten schlagen können, an welcher Stelle Sie was anders ma- Einwänden überhaupt kein Gehör mehr findet, sondern chen wollen. sich an uns wenden muss? (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – GRÜNEN]: Das steht im Antrag drin! Ich Niema Movassat [DIE LINKE]: Gute Frage!) kann Ihnen nicht das Lesen abnehmen; tut mir leid!) Und was ist von einer Justizministerin zu halten, die eu- Sie haben hier einfach aufgezählt, was die Richtlinie vor- ropäisches Recht national so sehr verkorkst, vor allem gibt, und haben dann schlicht festgestellt, das sei alles durch ihre europapolitischen Ambitionen? nicht erfüllt. Da müssen wir schon ein bisschen genauer (B) hinschauen, meine Damen und Herren; denn tatsächlich (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sieht es etwas anders aus. Die größten Sorgen mache ich mir aber um die lau- Worum geht es denn überhaupt bei diesem Gesetzent- fenden Trilogverhandlungen zur Whistleblower-Schutz- wurf? Vielleicht muss man das einmal festhalten: Es geht richtlinie in Brüssel. Fast wöchentlich sitzen bei mir im hier um den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Das Büro Hinweisgeber, die aufgrund der unklaren Rechts- sind technische Innovationen. Das ist Know-how. Das ist lage in Deutschland gravierende persönliche Folgen für bestimmtes Wissen. Das sind bestimmte Informationen. hochanständiges, integres Verhalten tragen. Es ist an der Das sind Businesspläne und Ähnliches. Es geht also um Zeit, dass dieser Staat etwas für diese Menschen tut. alles, was einen legitimen Schutz im Rahmen des wirt- schaftlichen Betriebes gewährleistet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Gegensatz zum klassischen geistigen Eigentum, das wir durch Patentrecht, Markenrecht, Designrecht, Wir wissen als Abgeordnete nicht, ob Sie von der Urheberrecht und Ähnliches geschützt haben, gibt es in Bundesregierung sich in diesen Verhandlungen für die diesem Bereich bisher nur Richterrecht. Das ändert sich Meinungsfreiheit und für die Hinweisgeber einsetzen jetzt. Wir schaffen zum ersten Mal einen klar definierten oder für die Compliance-Interessen der Unternehmen. Es einheitlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen, und gibt keinerlei Anlass, dieser Bundesregierung in dieser zwar auf gesetzlicher Ebene, und schaffen damit Rechts- Frage Vertrauen zu schenken, und das ist das Bitterste an sicherheit für alle, die tätig sind. Das ist insbesondere für diesem Gesetzentwurf. innovative Unternehmen in Deutschland ein echter Fort- schritt; das sollte man zunächst einmal festhalten, meine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Damen und Herren. NEN sowie des Abg. Niema Movassat [DIE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und LINKE]) der SPD) Ich komme zum zweiten Punkt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Zuruf der Abg. Dr. Manuela Rottmann Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ingmar Jung. – Frau Dr. Rottmann, ich habe Ihnen eben doch auch zu- (Beifall bei der CDU/CSU) gehört. Dann lassen Sie mich doch auch darauf antwor- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9531

Ingmar Jung (A) ten. – Wir schaffen übrigens auch für Hinweisgeber mehr Lassen Sie uns darüber reden, ob wir die Rechte aus (C) Rechtssicherheit und eine verbesserte Situation. Wenn Arbeitsverhältnissen unberührt lassen – das will niemand Sie genau hinschauen, erkennen Sie das. ändern an der Stelle –, und lassen Sie uns darüber reden, wenn Sie bei den Journalisten solche Bedenken haben, (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ob wir dann vielleicht, wenn wir das andere hinkrie- NEN]: Das stimmt nicht!) gen, auch etwas bei der Beihilfestrafbarkeit machen. Ich Wir haben richtlinienkonform umgesetzt. In diesen könnte mir sogar vorstellen, dass man da eine klare Re- schwierigen Fällen, in denen jemand legitim ein Ge- gelung findet. Das sind Dinge, über die man reden kann, heimnis offenbart – noch nicht mal die Fälle, in denen wenn wir auf der anderen Seite auch eine klare Regelung es sich um eine rechtswidrige Handlung handelt, sondern finden. die schwierigen Zwischenfälle –, ist in dem Gesetzent- (Helin [DIE LINKE]: Wir wurf, den wir aus dem Ministerium bekommen haben, haben doch Anträge gestellt!) Straffreiheit vorgesehen. Das ist im Verhältnis zu dem Hilfsvehikel des rechtfertigenden Notstands, wie wir es Es wäre doch schön, wenn wir das im Rahmen von Än- im Moment haben, für die Hinweisgeber eine klare Ver- derungsanträgen machen. Wir befinden uns im parlamen- besserung; das muss man an der Stelle auch einmal zur tarischen Verfahren. Dort kann man das alles behandeln. Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren. Stellen Sie doch die Anträge. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Haben der SPD) wir doch gemacht!) Lassen Sie mich vielleicht noch etwas in die tatsächli- Lassen Sie uns über die Anträge reden, die die Koalition che Materie einsteigen. Wo wir noch ein Stück weit Ver- stellen wird, und dann, glaube ich, kommen wir zu einem besserungsbedarf sehen, das ist an der Stelle der Recht- sehr vernünftigen Gesetzentwurf. Dann muss dieser auch fertigung, die Sie kurz angesprochen haben. Derzeit ist nicht mehr so heruntergeredet werden, wie wir das eben sie in Artikel 1 § 5 des Entwurfs als Rechtfertigung aus- gehört haben. gestaltet. Da haben wir – so heißt es in einem Antrag – Herzlichen Dank. Gesinnungsprüfungen. Das ist eine sehr subjektivierte Sicht auf die Möglichkeit der Straffreiheit, der Rechtfer- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – tigung, was auch immer. Da gebe ich zu: Das geht auch Niema Movassat [DIE LINKE]: Stimmen uns ein bisschen zu weit an der Stelle. Sie unseren Anträgen denn zu? War das so zu verstehen? – Gegenruf des Abg. Ingmar Jung (B) (Beifall der Abg. Dr. Manuela Rottmann [CDU/CSU]: Natürlich nicht!) (D) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vielleicht betrachte ich das aus einer anderen Richtung Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: als Sie als zu weit. Denn ich finde auch: Nein, wir sollten Der nächste Redner ist der Kollege Fabian Jacobi, keine Gesinnungsprüfung vornehmen. AfD-Fraktion. Nein, wir haben auch kein Gesinnungsstrafrecht an (Beifall bei der AfD) der Stelle. Das heißt, wenn man Straffreiheit will, genügt es aus unserer Sicht nicht, wenn jemand nur den Schutz Fabian Jacobi (AfD): eines öffentlichen Interesses vorgibt. Wenn es sich um Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ge- Gutgläubigkeit handelt, kann man darüber reden. Aber setzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der was für uns wichtig ist: Es darf sich nicht nur um ein vor- Richtlinie (EU) 2016/943 liegt bereits im Rechtsaus- gegebenes öffentliches Interesse handeln, wenn wir das schuss. Die Grünen und Die Linke fordern mit ihren An- Verraten von Geschäftsgeheimnissen erlauben, sondern trägen die Bundesregierung auf, den Gesetzentwurf zu es muss ein tatsächlich bestehendes öffentliches Interesse verändern. nach allgemeinem Rechtsempfinden sein. Ich glaube, an der Stelle müssen wir noch ein Stück weit nachbessern, (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ge- meine Damen und Herren. nau!) Zu den Punkten, die Sie angesprochen haben, sage Ih- Worum geht es? Gegenstand der EU-Richtlinie ist nen ganz offen: Wenn wir dort eine klare Objektivierung der Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Das heißt, es hinbekommen, muss das im Sinne aller sein. Es kann am geht um die Konfliktlage zwischen dem Inhaber eines Ende nicht nur Gesinnungsprüfung, wie es in dem einen solchen Geheimnisses und demjenigen, der ein fremdes Antrag steht, sein. Dazu bin ich gerne bereit. Dann lassen Geheimnis für sich verwenden oder an Dritte weiterge- Sie uns doch reden im Rahmen des parlamentarischen ben will. Das kann zum einen ein Wettbewerber sein, der Verfahrens, in dem wir uns befinden. Lassen Sie uns sich fremde Betriebsgeheimnisse wirtschaftlich zunutze doch darüber reden, ob wir vielleicht einen Tatbestands- machen will; zum anderen können es aber auch Journa- ausschluss statt einer Rechtfertigung machen. Das kann listen sein oder sogenannte Pfeifenbläser, im Englischen ich mir grundsätzlich vorstellen. „Whistleblower“ genannt. Die Grünen nennen fünf Punk- te, in denen sie den Gesetzentwurf abändern wollen. Die (Beifall der Abg. Dr. Manuela Rottmann Linken wollen das wenigstens mengenmäßig übertreffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und zählen sechs Punkte auf. 9532 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Fabian Jacobi (A) Ich gehe auf den Punkt 3 aus dem Linkenantrag ein; Erwägungsgründe sind der eigentlichen Richtlinie (C) denn er lenkt den Blick auf Grundsätzliches. Er bezieht vorangestellte Erläuterungen, in denen uns Brüssel mit- sich auf den Passus des Gesetzentwurfs, der regelt, wann teilt, was man sich so gedacht hat und warum man die denn das Ausspähen oder Weitergeben von fremden Ge- Richtlinie so geschrieben hat, wie man sie geschrieben heimnissen erlaubt sein soll, nämlich dann, wenn jemand hat. Wenn der Normgeber in Brüssel in seinen Vorbemer- „in der Absicht handelt, das allgemeine öffentliche Inte- kungen alles Mögliche anspricht und dann eine konkre- resse zu schützen“. Die Linke meint nun, das Wort „Ab- te Norm formuliert, dann muss man als Adressat wohl sicht“ sei falsch gewählt, schließlich laute doch die eng- davon ausgehen, dass er seine eigenen Vorbemerkungen lischsprachige Version an dieser Stelle: „for the purpose in diesem Normtext berücksichtigt und eingearbeitet hat. of protecting the general public interest“. Deshalb müsse Und wenn in den Erwägungsgründen ein „legitimes In- es im Deutschen heißen „zum Zwecke“ anstatt „in der teresse“ erwähnt wird und dann die konkrete Norm aus Absicht“. drei Definitionselementen besteht, dann muss man das Nun könnte man darüber trefflich debattieren, zum ei- wohl so verstehen, dass bei Vorliegen dieser drei Defi- nen darüber, ob eine der beiden Varianten im Rahmen ei- nitionselemente das „legitime Interesse“ eben gegeben nes Übersetzungsvorgangs wirklich zwingend ist – denn sein soll. das englische Wort „purpose“ kann nun einmal beides bedeuten, „Absicht“ wie auch „Zweck“ –, zum ande- Die Definition des Geschäftsgeheimnisses findet sich ren darüber, ob die Unterscheidung der beiden Worte im in Artikel 2 der Richtlinie. Und die Bundesregierung Deutschen wirklich die behauptete Bedeutung hat. Nun hat in ihrem Gesetzentwurf diese Definition genau so gibt es auch eine offizielle deutschsprachige Version der abgeschrieben, wie sie halt in der Richtlinie steht. Das Richtlinie, die im Amtsblatt der EU veröffentlicht ist. Ergebnis kann man nun in der Sache sinnvoll und wün- Dort heißt es an der betreffenden Stelle überraschender- schenswert finden oder auch nicht. Aber wenn man sich weise: „in der Absicht“; denn das hat die Bundesregie- der Regelungsgewalt einer Organisation wie der EU un- rung in ihrem Gesetzentwurf getreulich abgeschrieben. terwirft und diese etwas entscheidet, muss man das halt schlucken, auch wenn es einem nicht schmeckt. Dann Solche philologischen Betrachtungen sind ja durchaus sollte man sich halt vorher überlegen, ob man die eige- interessant und anregend. Wichtiger, als diesen philologi- nen Gesetzgebungsbefugnisse so leichthin aufgibt, wie schen Ansatz weiterzuverfolgen, dürfte es aber sein, dass das der Deutsche Bundestag gewohnheitsmäßig tut. wir einmal innehalten und uns vergegenwärtigen, was wir hier eigentlich tun und in welche Rolle der Deutsche (Beifall bei der AfD – Bundestag mittlerweile geraten ist. Anstatt als Gesetzge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott!) (B) ber darüber zu entscheiden, was in Deutschland als Recht (D) gelten soll, unterhalten wir uns darüber, ob ein in Belgi- – Hören Sie zu, hören Sie zu! Bedenken Sie es wohl! en entstandener englischsprachiger Text richtig übersetzt wurde und ob wir ihn auch richtig abgeschrieben haben. Aber bevor jetzt jemand fragt: „Und wo bleibt das Man kann durchaus verstehen, dass sich gegen diesen Positive?“ – gerne: Die beiden Anträge sind nicht per se Bedeutungsverlust des Parlaments hier bisher kein Wi- und in toto unsinnig. Sie enthalten auch Ansätze, über die derspruch geregt hat. Es mag ja angenehm sein, wenn man durchaus noch einmal reden sollte. man weniger selbst entscheiden muss, wenn man sich im Zweifel hinterher darauf zurückziehen kann, zu sagen: (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Sehr „Wir waren es nicht; Brüssel ist es gewesen“, ob es nun großzügig!) um Exzesse beim Datenschutz geht oder um Dieselfahr- verbote. Die verlangten Bereichsausnahmen sehen wir zwar im Medienbereich aufgrund dessen Unbestimmtheit eher (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- weniger; für den Bereich des Arbeitsrechts, der im Hin- SES 90/DIE GRÜNEN) blick auf die betroffenen Akteure und die infragekom- Ob das aber eines nationalen Gesetzgebungsorgans noch menden Konstellationen klarer strukturiert ist, kann man würdig ist, das muss am Ende das Volk bewerten. dem aber womöglich durchaus nähertreten. Gleiches gilt für den Ansatz des Grünenantrags, den Geheimnisschutz (Beifall bei der AfD) im Zivilverfahren noch zu verbessern. Da gehen wir durchaus mit. Zurück zu den beiden konkreten Anträgen hier. Beide Anträge wollen den Bereich dessen, was ein Geschäfts- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) geheimnis sein soll, verengen. (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE Der Überweisung der beiden Anträge in den Rechts- GRÜNEN]: Nein!) ausschuss stimmen wir natürlich zu. Dort werden wir dann hoffentlich bei der Überarbeitung des Gesetzent- Dazu soll der Definition des Geschäftsgeheimnisses in wurfs der Bundesregierung zu einem vernünftigen Er- Artikel 1 § 2 des Gesetzentwurfs ein zusätzliches viertes gebnis kommen. Merkmal hinzugefügt werden, das des berechtigten Inte- resses. Die Anträge verweisen auf die Erwägungsgründe Vielen Dank. der Richtlinie. Im Erwägungsgrund 14 sei das „legitime Interesse“ erwähnt. (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9533

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sein kann und nicht mit „Rechtfertigung“ betitelt werden (C) Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin kann. Dr. Nina Scheer. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum Zweiten ist eine Klarstellung erforderlich gewor- Dr. Nina Scheer (SPD): den – das haben Sie von der Opposition, wie Ihre Anträge zeigen, übrigens nicht erkannt –: Wir müssen klarstellen, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wer nicht Rechtsverletzer ist. Das betrifft in Artikel 1 den Kollegen! Die beiden vorliegenden Anträge bieten im § 8. Das ist zwar geregelt in § 5, betrifft aber § 8 und die Grunde genommen Anlass für eine zweite Lesung des dort geregelten Auskunftspflichten. Das ist, wie gesagt, bereits vorgelegten Gesetzentwurfs. Wir befinden uns uns in der Koalition aufgefallen. Auch da wollen wir eine im Gesetzgebungsverfahren; wir sind in guten Verhand- Änderung vornehmen. Deswegen haben wir uns diesbe- lungen. Im Dezember haben wir eine sehr informative, züglich verständigt. lehrreiche Anhörung durchgeführt. Auch danach sind noch sehr viele Gespräche geführt worden. Wir sind ein Ferner haben wir – das ist gerade schon von Herrn gutes Stück vorangekommen. Ich möchte mich an die- Jung angesprochen worden – die Objektivierung des ser Stelle für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken Absichtsbegriffs in Angriff genommen. Der Absichtsbe- und, sofern meine Redezeit reicht, auf ein paar Dinge griff, wie er jetzt gefasst ist, hat Schwächen. Da knüpfen hinweisen – Herr Jung, gerne in unser beider Namen –, wir an den Übersetzungsfehler an. In der Tat haben wir weil heute nicht der Eindruck entstehen sollte, dass man auch diesbezüglich eine Änderung im Blick. sich mit dem Gesetzentwurf bisher nicht auseinanderge- Auch der Anwendungsbereich des Gesetzes – Arti- setzt habe, zumal, wie wir alle wissen, in der Anhörung kel 1 § 1 des Entwurfs – hat seine Tücken. Ich bin gleich Aspekte aufgegriffen wurden – zum Beispiel ein mögli- am Ende meiner Redezeit angelangt, möchte aber noch cher Übersetzungsfehler, der in dem Richtlinienentwurf sagen: Es muss klar sein, dass bei den Arbeitsverträgen steckt –, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten. und den spezialgesetzlichen Regelungen im Arbeitsrecht, Insofern empfinde ich diese Debatte über die Oppositi- im Bereich der Mitbestimmung, nicht reingegrätscht onsanträge als so etwas wie eine eingeschobene zweite wird; so sage ich es jetzt einmal, weil meine Redezeit Lesung des Gesetzentwurfs. zu Ende ist. Man muss voranstellen, dass wir unterscheiden soll- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten – damit greife ich die harsche Kritik in den Opposi- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und (B) tionsanträgen ein bisschen auf –; denn wir haben zwei des Abg. Ingmar Jung [CDU/CSU]) (D) unterschiedliche Richtlinien vor uns. Die eine ist jetzt umzusetzen; da sind wir in Verzug. Sie betrifft die Ge- In diesem Sinne: Ich freue mich auf die weiteren Ge- schäftsgeheimnisse. Dann geht es um eine zweite Richt- spräche, die wir dazu haben, und danke noch mal für die linie, die bisher nur im Entwurf existiert. Diese ist als konstruktive Zusammenarbeit in alle Richtungen. Whistleblower-Richtlinie in aller Munde. Die gilt es jetzt (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingmar hier aber gerade nicht umzusetzen. Wir müssen darauf Jung [CDU/CSU]) achten, dass wir keine unterschiedlichen Rechtsbegriffe in die Welt setzen; hier geht es jetzt tatsächlich um die Umsetzung einer Richtlinie zum Schutz von Geschäfts- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: geheimnissen, die in der Umsetzung als solche auch wie- Der Kollege Roman Müller-Böhm von der FDP-Frak- derzuerkennen sein muss. tion ist der nächste Redner. Was heißt das im Einzelnen? Zum einen geht es na- (Beifall bei der FDP) türlich darum, dass das Geschäftsgeheimnis geschützt werden muss. Es ist aber klar, dass bei der Umsetzung Roman Müller-Böhm (FDP): der Richtlinie darauf geachtet werden muss, dass auch Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die Ausnahmevorschriften so umgesetzt werden, wie die Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Richtlinie das vorsieht. Das heißt, es muss tatsächlich Scheer, ich glaube Ihnen wirklich, dass Sie sich darüber ein Schutz für all die Bereiche vorgesehen werden, die Gedanken gemacht haben und dass Sie dazu in Verhand- ausgenommen werden sollen, für den Bereich der Pres- lungen mit dem Koalitionspartner stehen. Ich nehme sefreiheit, aber auch für den Bereich der Vertretung von Ihnen auch die ernsthaften Bemühungen, die Sie gerade Arbeitnehmerinteressen. Diese Bereiche dürfen nicht vorgetragen haben, ab. Eine Frage habe ich aber direkt zu durch einen radikalen Schnitt einfach vom Geschäftsge- Anfang: Warum kommt das so aus Ihrem Ministerium? heimnisschutz erfasst werden. (Beifall bei der FDP – Dr. Nina Scheer (Beifall bei der SPD) [SPD]: Ich habe es beantwortet!) Insofern ist es wichtig, dass wir bei Artikel 1 § 5 des Es ist natürlich unsere Aufgabe als Oppositionsfraktion, Entwurfs in Umsetzung des Artikels 5 der Richtlinie eine auf Missstände hinzuweisen und kritisch mit Ihren Vor- Konkretisierung hinbekommen. Ich bin froh, dass wir da lagen umzugehen; ohne Zweifel. Wenn Sie sich jetzt so eine Verständigung erreicht haben und der Meinung sind, ausführlich Gedanken darüber machen, finde ich das ja dass das im Lichte der Richtlinie nur eine Ausnahme gut. Aber ich frage mich schon: Warum kommt das so 9534 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Roman Müller-Böhm (A) schlampig aus dem Ministerium? Das bleibt, ehrlich ge- zahler hat das netto ungefähr 300 Millionen Euro gekos- (C) sagt, offen. tet. Das ist ein erheblicher Schaden für die Allgemeinheit und sicherlich nicht hinnehmbar. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Steigen wir also ein: Die Anträge von Grünen und Meine sehr geehrten Damen und Herren, Aufklärung Linken geben uns dankenswerterweise heute noch ein- von Missständen, die von gesellschaftlicher Bedeutung mal die Chance, über den Gesetzentwurf zum Schutz von sind, darf kein Verbrechen sein. Wir brauchen klare Re- Geschäftsgeheimnissen zu sprechen. Ich habe es gerade geln, wie Menschen, die durch eine begründete Weiterga- schon gesagt: Es ist ein noch nicht zu Ende gedachter be von Informationen einen Dienst an der Allgemeinheit Gesetzentwurf. Ich möchte das ganz gerne an drei Bei- leisten, sinnvoll geschützt werden. Wir brauchen Aus- spielen verdeutlichen. nahmen für den Bereich der Presse, und wir brauchen Erstens. Es ist praktisch nicht hinnehmbar, dass in klare Schutzregelungen für Whistleblower. dem Gesetzentwurf bisher keine wirksamen Schranken für die Klassifizierung von Geschäftsgeheimnissen durch (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den Arbeitgeber bestehen. Ich möchte dafür ein Beispiel des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und geben. Stellen Sie sich einen Apotheker vor, der wichtige des Abg. [DIE LINKE]) Krebsmedikamente verkauft. Er streckt diese Medika- Ganz besonders kritisch zu sehen ist auch der vor- mente so, dass sie quasi wirkungslos sind. Eine seiner gesehene Auskunftsanspruch des Geheimnisinhabers Mitarbeiterinnen erfährt davon und sagt: Das finde ich gegenüber dem Rechtsverletzer auf Offenlegung sei- eigentlich nicht so gut. – Dann stuft der Apotheker, der ner Quellen. Das ist weder mit der Meinungsfreiheit Arbeitgeber, das als Geschäftsgeheimnis ein, weil er da- deckungsgleich noch im Sinne der Richtlinie. Da muss mit ja schließlich sein Geld verdient. Man sollte eigent- dringend nachgearbeitet werden. Deswegen muss der Pa- lich meinen, die Mitarbeiterin müsste das Ganze sinn- ragraf ersatzlos gestrichen werden. vollerweise zur Meldung bringen und anzeigen. Aber sie würde – Stand jetzt – damit natürlich ihre wirtschaftliche (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Existenz enorm gefährden; denn das ist so nicht erlaubt. Das muss man auf jeden Fall ändern. Ich appelliere noch einmal an Sie: Nehmen Sie sich das bitte zu Herzen. Denken Sie an die Anhörung im Zweitens. Die Pressevertreter wurden bereits ange- Rechtsausschuss, und fangen Sie an, aus dem Gesetzent- sprochen. Auch denen wird dieser Gesetzentwurf wei- wurf etwas Besseres zu machen. terhin enorme Sorgen bereiten. Der Informantenschutz, (B) so wie wir ihn bisher kennen und schätzen gelernt ha- Vielen Dank. (D) ben, wird im Grunde weitestgehend ausgehöhlt. Es ist aber nun einmal so, dass das ein elementarer Bestandteil (Beifall bei der FDP) der Pressefreiheit ist. Hinzu kommen auch noch unkal- kulierbare Haftungsrisiken. Es kann ja eigentlich nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sein, dass, wenn man über Missstände aufklären will, Nächster Redner: der Kollege Niema Movassat, Frak- diese aber dann zu Geschäftsgeheimnissen erklärt wer- tion Die Linke. den, Aufklärung zu einem Verbrechen wird. Das ist doch unbegreiflich. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Niema Movassat (DIE LINKE): des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE]) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- Drittens. Dass diese klaren, allgemeinen Schutzme- desregierung wollte ihr Geschäftsgeheimnisgesetz ur- chanismen nicht nur irgendwie gut für bestimmte Grup- sprünglich im Eiltempo durch den Bundestag bringen. pen sind, sondern ganz allgemein auch für die Öffent- Sie wollte, dass niemand mitbekommt, welche Ein- lichkeit, das können wir auch an einem ganz konkreten schränkungen für die Arbeit von Journalisten, Arbeitneh- Beispiel sehen. Es betrifft die SPD. Dazu müssen wir mervertretern und Whistleblowern geplant sind. Der Plan nach Hamburg schauen und uns einmal mit dem Rück- ging nicht auf, weil wir als Linke gemeinsam mit FDP kauf des Hamburger Wärmenetzes beschäftigen. und Grünen eine Anhörung im Rechtsausschuss durch- gesetzt haben. (Benjamin Strasser [FDP]: Oh ja!) Dort ist Mitarbeitern aufgefallen, dass die Kalkulation zur (Beifall bei der LINKEN) Wertberechnung nicht korrekt ablief. Man könnte jetzt Das Urteil der Experten in dieser Anhörung war eindeu- meinen, dass das Ganze irgendwie veröffentlicht werden tig. Es war vernichtend für den Entwurf des Geschäftsge- konnte. Nein, das Ganze musste erst an die niederländi- heimnisgesetzes, den die Bundesregierung vorgelegt hat. sche Behörde für Whistleblower gehen, damit man sich Deshalb beantragen wir als Linke und auch die Grünen überhaupt mal mit diesen Informationen beschäftigt hat. heute eine Überarbeitung dieses Gesetzentwurfes. Jetzt mag das vielleicht für Herrn Scholz, der damals Bürgermeister in Hamburg war, nur eine peinliche Unan- Liebe Kollegin Scheer, ich bin sehr froh, dass auch nehmlichkeit gewesen sein, aber den deutschen Steuer- in Teilen der Koalition mittlerweile der Wunsch besteht, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9535

Niema Movassat (A) diesen Gesetzentwurf zu überarbeiten. Hätten Sie doch Anhörung klar gesagt – in diesem Kontext „Zweck“. Das (C) gleich einen ordentlichen Gesetzentwurf vorgelegt! ist ein Übersetzungsfehler, der Ihnen unterlaufen ist. Das heißt, nach der Richtlinie handelt ein Whistleblower ge- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. rechtfertigt, wenn seine Veröffentlichung objektiv den Roman Müller-Böhm [FDP]) Zweck erfüllt, dem öffentlichen Interesse zu dienen. Und Ich will Ihnen noch einmal die drei zentralen Kritik- so schreiben Sie es bitte auch ins Gesetz. punkte nennen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Erstens. Laut Ihrem Gesetzentwurf ist im Prinzip alles neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ein Geschäftsgeheimnis, was einen wirtschaftlichen Wert hat. Was hat denn bitte keinen wirtschaftlichen Wert für Meine Damen und Herren, ich will klar sagen: Ge- ein Unternehmen am Markt? Nahezu alles. Der Begriff ist schäftsgeheimnisse gehören natürlich geschützt. Aber uferlos, und das hat Folgen, insbesondere für die Arbeit was die Bundesregierung vorgelegt hat, schießt weit von Arbeitnehmervertretungen. Wie sollen Betriebsräte über das Ziel hinaus und gefährdet die wichtige Arbeit ihre Kollegen noch über irgendeinen Betriebsvorgang, von Journalisten, Arbeitnehmervertretern und Whistle- zum Beispiel Personalabbaupläne, informieren können, blowern. Deshalb haben wir heute unsere Anträge vor- wenn sie dafür mit einem Bein im Gefängnis stehen? Ihr gelegt, um Ihnen einen Denkanstoß zu geben und Ihnen Gesetzentwurf schützt völlig einseitig die Interessen der zu zeigen, was Sie überarbeiten müssen. Folgen Sie den Arbeitgeber zulasten der Arbeitnehmer, und das lehnen Anträgen, dann kriegen wir vielleicht einen vernünftigen wir ab. Gesetzentwurf hin.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Danke schön. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt eine einfache Lösung, nämlich die Definition (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- des Geschäftsgeheimnisses, wie sie die Rechtsprechung neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) entwickelt hat. Danach ist ein Geschäftsgeheimnis eine Tatsache, an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: berechtigtes Interesse hat. Diese Definition hat sich be- währt. Schreiben Sie sie doch ins Gesetz. Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: der Kol- lege Alexander Hoffmann. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Zweitens. Die Anhörung machte deutlich, dass Ihr (D) Gesetzentwurf investigativen Journalismus gefährdet. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Schon heute wird etwa gegen den Chefredakteur von Correctiv, Oliver Schröm, ermittelt, weil er die Cum/ Danke. – Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Ex-Geschäfte öffentlich machte. Solche Ermittlungen Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! werden massiv zunehmen, wenn Ihr Gesetz so durch- Kollegin Rottmann, ich bin sehr dankbar, dass Sie uns kommt; denn Sie führen mit § 23 einen neuen Straftatbe- darauf hingewiesen haben, dass wir Sie und Die Linke stand ein, der die Arbeit von investigativen Journalisten wegen Ihrer Gesetzentwürfe eigentlich zu einer Tasse unter Strafe stellt. Zwar kann das Handeln der Journa- Kaffee einladen müssten. Ich will mal sagen: Ich habe listen gerechtfertigt sein, aber das heißt eben, dass erst beide Gesetzentwürfe gelesen. einmal ein Anfangsverdacht besteht und sich der Journa- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Norma- list dann möglicherweise vor Gericht verteidigen muss, le Anträge!) um sozusagen gerechtfertigt aus dem Verfahren zu ge- hen. Das ist abschreckend für gute Pressearbeit, wie auch Für einen Kaffee reicht es nicht, maximal für ein Glas Journalistenverbände sagen. Mir ist rätselhaft, warum Sie Wasser, und das haben Sie ja hier schon bekommen. diesen Weg gehen. Die EU-Richtlinie sieht ganz klar vor, dass sie keine Anwendung für den Bereich der Presse fin- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) det. Setzen Sie doch einfach die Richtlinie ordentlich um. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Spaß beiseite: Wir NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roman führen eine wichtige Debatte, die wir ja im Moment auch Müller-Böhm [FDP]) innerhalb der Großen Koalition führen. Tatsächlich geht es um zwei Zielrichtungen. Zielrichtung Nummer eins Drittens. Die Anhörung zeigte auch relativ deutlich, lautet: Wie können wir Geschäfts-, Betriebsgeheimnis- dass die Bundesregierung ein wenig Englischnachhilfe se besser schützen? Das betrifft die Sicherung des Wirt- braucht. Ihr Gesetz sieht vor, dass Whistleblower, also schaftsstandortes Deutschland. Da geht es auch um den Menschen, die Skandale an die Presse geben, in der Schutz vor Wirtschaftsspionage. Zielrichtung Nummer Absicht handeln müssen, mit ihren Hinweisen dem öf- zwei – mindestens genauso ebenbürtig – lautet: Wie fentlichen Interesse zu dienen. Das ist eine Gesinnungs- können wir Hinweisgeber schützen, Menschen, die im prüfung, die dem modernen Strafrecht zum Glück fremd Informationsinteresse der Öffentlichkeit Dinge zutage ist. Die englischsprachige EU-Richtlinie spricht von fördern, die strafbar sind und die unterbunden werden „purpose“. Das meint – das haben die Experten in der müssen? 9536 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Alexander Hoffmann (A) Ich will aber auch die Gelegenheit nutzen, um einmal es gibt von der Rechtsprechung diesbezüglich schon eine (C) die Schwäche Ihrer Anträge darzustellen. Definition. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die gibt es (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ja, dann gar nicht!) schreiben Sie sie rein!) Wenn man sie liest, dann stellt man fest, dass es eigent- – Hören Sie mir doch mal zu. – Wenn Sie den Referen- lich von der Schwerpunktsetzung im Wesentlichen im- tenentwurf und die Begründung lesen, dann wird doch mer nur um den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hin- klar, dass alles zunächst auf dieser Definition basiert und weisgebern geht. Sie räumen diesem Aspekt von Anfang dann in § 2 Nummer 1 noch zwei Aspekte ergänzt wer- an ein überbordendes Gewicht ein. den. Es ist eben nicht so, wie Sie und auch Sie, Herr Kol- lege Müller-Böhm, sagen, dass der Arbeitgeber einseitig (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: So ist festlegen kann, was ein Geschäftsgeheimnis ist und was das! Ist ja auch richtig!) nicht, weil in der Begründung – Kollege Movassat, viel- leicht beantwortet das Ihre Frage – ausdrücklich steht, Anders ist es nicht zu erklären, welches Gewicht Sie dem dass ein legitimes Interesse erforderlich sein muss. Schutzinteresse dieser Seite und dann auch den Journa- listen von Anfang an einräumen wollen. Ich glaube, dass die nächste Debatte, die wir in diesem Bereich führen, sehr fruchtbar sein wird. Wir kommen (Niema Movassat [DIE LINKE]: Ja, vernünf- mit Sicherheit zu guten Ergebnissen. tigerweise!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Dabei bekommen wir doch, liebe Kolleginnen und Kol- legen, die verfassungsrechtliche Grenze nicht nur in (Beifall bei der CDU/CSU) Form von verschiedenen Beispielfällen durch die Recht- sprechung des BAG vorgelegt, sondern auch vom Bun- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: desverfassungsgericht, wenn es uns aufzeigt, dass es am Ende des Tages immer eine Abwägungsentscheidung Der nächste Redner: der Kollege Martin Rabanus, zwischen der Pressefreiheit zum Beispiel auf der einen SPD-Fraktion. Seite und dem Geheimhaltungsinteresse auf der anderen (Beifall bei der SPD) Seite ist. Dieses Verhältnis werden Sie durch gesetzliche Regelungen nicht anders gewichten bzw. verschieben können. Martin Rabanus (SPD): (B) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- (D) Ein zweiter Punkt ist mir wichtig. Wir sollten auf- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir diese passen, dass wir bei der Debatte die Realität nicht ganz parlamentarische Woche mit einer Aktuellen Stunde zum aus den Augen verlieren. Ich kann aus dem Bauch he- Sozialstaatskonzept der SPD beenden – herzlichen Dank raus nachvollziehen, wenn Sie in Ihren Anträgen fordern, an die FDP, dass Sie uns ermöglichen, dies in der Tages- dass wir Hinweisgeber vor Arbeitsplatzverlust, Zwangs- ordnung zu behandeln –, pensionierung, Karriereeinbußen und Mobbing schützen müssen. Ich will aber zwischen den Zeilen einmal darauf (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Roman hinweisen, dass diese Konflikte heute schon, zumindest Müller-Böhm [FDP]: Immer wieder gerne!) versuchsweise, gelöst werden. Schauen Sie sich einmal Urteile vom BAG an, bei denen am Ende eine Abfindung beschäftigen wir uns noch mit zwei Anträgen zum Schutz stand. Jetzt wird man natürlich sagen können: Eine Ab- des Geschäftsgeheimnisses von Grünen und Linken. findung kann doch all das nicht ermöglichen, was wir hier fordern. – Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Beide Anträge, meine Damen und Herren, sind von ich will Ihnen schon sagen: Bestimmte Konstellationen unterschiedlicher Qualität. Der Antrag der Linken hat der Lebenswirklichkeit werden Sie auch mit gesetzlichen eher Sammelsuriumcharakter mit mehr oder weniger Regelungen nicht einfangen können. substanziellen Punkten. Der Antrag der Grünen atmet ein bisschen mehr Beschäftigung mit der Sache, aber die nö- Ich denke immer an den Fahrer, der den Gammel- tige Qualität hat er auch nicht. fleischskandal zutage gefördert hat. Sie können gesetz- liche Regelungen so fassen, wie Sie wollen: Es wird am (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ende des Tages so sein, dass es nicht möglich ist, eine NEN) Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Fahrer in sei- Für Qualität wäre es nötig gewesen, einen Änderungsan- nem Betrieb zu eröffnen, weil die sozialen Zerwürfnis- trag zu dem Gesetzentwurf einzubringen, der im Verfah- se – egal ob gerechtfertigt oder nicht – im Betrieb so ren ist. Dafür hat es offensichtlich nicht gereicht. Aber stark sind, dass es im Interesse des Mannes liegen muss, okay, auch das nehmen wir so zur Kenntnis. dort nicht mehr weiterzuarbeiten. (Zuruf der Abg. Dr. Manuela Rottmann Zum Schluss möchte ich noch auf einen Punkt einge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) hen, auf das Thema Geschäftsgeheimnis. Da heißt es, wir brauchen eine offizielle Legaldefinition. Dazu muss man Natürlich ist es richtig: Bei der Anhörung im Rechts- sagen – Herr Kollege Movassat, Sie haben es gesagt –, ausschuss Mitte Dezember zu dem Gesetzentwurf der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9537

Martin Rabanus (A) Bundesregierung hat man sich kritisch mit einigen Punk- Ich bin guter Dinge, dass die Koalition in der nächsten (C) ten auseinandergesetzt, Zeit auch die letzten noch unklaren Fragen klären kann. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN]: Sehr kritisch! – Dr. Manuela GRÜNEN]: Bis wann denn?) Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überaus kritisch!) Dann gilt, vielleicht etwas abgewandelt, das Struck’sche Gesetz: Jedes Gesetz, auch dieses, verlässt den Bundes- insbesondere auch bei dem im Zentrum stehenden § 5 tag noch ein bisschen besser, als es reingekommen ist. mit der Frage: Handelt es sich um eine Konstruktion über Rechtfertigungsgründe oder um eine Bereichsausnahme? Herzlichen Dank. Das ist von den Sachverständigen in unterschiedlicher (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Weise aufgegriffen worden. Verkürzt gesagt – vielleicht der CDU/CSU) noch einmal für die Zuhörer auf der Tribüne –, lautet die Kernfrage: Muss ein Journalist gegebenenfalls erst vor Gericht erstreiten, straffrei zu bleiben, wenn er einen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Skandal aufdeckt, oder ist von vornherein klar, dass es Der nächste Redner: Professor Dr. Heribert Hirte, in seinen Möglichkeiten liegt, das straffrei zu machen? CDU/CSU-Fraktion. Da will ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch gar (Beifall bei der CDU/CSU) kein Geheimnis aus meiner eigenen Position machen. Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz das Ziel verfolgen Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): müssen, eindeutige und praxistaugliche Lösungen zu finden – so eben wie die Arbeit der Journalistinnen und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Journalisten tatsächlich im wahren Leben ist. Wir brau- reden hier eigentlich über etwas ganz anderes als über chen ein Gesetz, das unterstützt und nicht erschwert. Es das, was die Anträge insinuieren; denn es sind keine An- ist, glaube ich, das gemeinsame Ziel der Koalition, zu träge, die im luftleeren Raum stehen, sondern – wir ha- schauen: Wie können wir am Ende auf der Basis des Ge- ben es schon mehrfach gehört – eigentlich handelt es sich setzentwurfes des BMJV dieses Ziel erreichen? Auch ich um Änderungsanträge zu einem Gesetzentwurf, die au- glaube, dass wir die Bedenken in Bezug auf die Recht- ßerhalb des eigentlichen Verfahrens eingebracht werden. fertigungslösung sehr ernst nehmen müssen. Ich glaube, Eigentlich geht es um noch etwas anderes. Beide dass wir mit der Bereichsausnahme für Journalistinnen Anträge beschäftigen sich ja im Wesentlichen mit dem und Journalisten einen klareren und praxistauglicheren (B) Whistleblowing und gar nicht – auf einige Punkte kom- (D) Weg hätten, me ich gleich noch zu sprechen – so sehr mit den Fra- (Beifall der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD]) gen des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen. Es geht darum, eine Richtlinie zu beeinflussen, die gerade in übrigens inklusive der Frage des Schutzes von Informan- Brüssel verhandelt wird. Deshalb muss man die Anträge ten. eigentlich so interpretieren, dass Sie eine Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem zweiten Richtlinienpaket (Beifall bei der SPD) erzwingen wollen. Eine gute Idee – das muss ich ganz Ich bin den federführenden Berichterstattern Nina deutlich sagen –, aber das ist nicht das, was Sie in den Scheer und Ingmar Jung – beide haben hier schon ge- Anträgen vorgelegt haben. sprochen – sehr dankbar, dass sie sich in sehr konstrukti- ven Gesprächen befinden. Es ist auch deutlich geworden, Lassen Sie mich zu den einzelnen Punkten etwas sa- dass wir noch nicht in allen Punkten entscheidungsreif gen. Der erste Punkt betrifft Whistleblowing, etwas, was sind. Ihnen wirklich am Herzen liegt. Die EU ist dabei, die zweite Richtlinie vorzubereiten. Wir haben darüber ge- (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Gucken wir redet. Alle Überlegungen, die wir hier haben, speisen einmal, was herauskommt!) wir über die Bundesregierung auch auf die europäische Ebene ein. So ist das im normalen Leben. Auch die Frage nach dem berechtigten Interesse, das zur Begründung eines Wenn in Ihrem Antrag, Frau Rottmann, steht, es fehle Geschäftsgeheimnisses notwendig ist, gehört dazu. Ich die zukunftsweisende Positionierung, so muss ich dazu bin mir aber auch ganz sicher, dass es für uns als SPD sagen, dass das, was wir hier machen, nämlich auf der ohnehin und für die Koalition insgesamt ein grundlegen- einen Seite Geschäftsgeheimnisse zu schützen und auf der Wert ist, Presse- und Medienfreiheit, insbesondere in der anderen Seite Rechtssicherheit für Whistleblower zu Zeiten von Fake News, zu stärken und abzusichern. Un- schaffen und beides gegeneinander abzuwägen, ein wun- ser Ziel muss es sein, die Informationsfreiheit zu schüt- derbares rechtspolitisches Ziel ist. Es geht um eine rich- zen, damit Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit tige dogmatische Strukturierung unseres Rechts, die wir gut machen können. Es kommt auf Rahmenbedingungen in dieser Weise – bisher haben wir in diesem Bereich nur an, die geeignet sind, und nicht auf die Frage, ob man Richterrecht und verstreutes Recht – noch nicht haben. eine gute Rechtschutzversicherung hat, um journalistisch Das wäre ein großer Schritt nach vorne. arbeiten zu können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ordneten der SPD) 9538 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dr. Heribert Hirte (A) Wenn Sie dann sagen, der Whistleblower-Schutz müs- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf (C) se deutlich gestärkt werden – auch da geht es nicht um den Drucksachen 19/7453 und 19/7704 an die in der Geschäftsgeheimnisse –, muss man auch überlegen, wo- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. rum es wirklich geht. Whistleblower-Schutz ist richtig Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann und nötig. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hat ist das so beschlossen. das schon entwickelt. Aber es geht auch um das Interes- se der Allgemeinheit bzw. der Öffentlichkeit. Bei Interna Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf: des Unternehmens – dazu gehören auch die Arbeitsbe- Aktuelle Stunde dingungen – muss man unter Umständen die Abwägung etwas anders vornehmen. auf Verlangen der Fraktion der FDP Lassen Sie mich auf einige weitere Einzelheiten ein- Haltung der Bundesregierung zum Sozial- gehen. Sie sagen, es müsste eigentlich eine allgemeine staatskonzept der SPD vor dem Hintergrund Regelung zum Whistleblower-Schutz nach der Whistle­ eines drohenden Haushaltsdefizits blower-Richtlinie geben; der Fall, über den wir im Au- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst für genblick reden, sei doch eigentlich nur ein Spezialfall. – die FDP der Kollege Pascal Kober. Ja, ich glaube, da haben Sie recht. Wir müssten eigentlich die später kommende Richtlinie als Grundlage der allge- (Beifall bei der FDP) meinen Regelung definieren. Die Ausnahmelösung, die wir hier im Augenblick haben, ist möglicherweise nur Pascal Kober (FDP): eine Interimslösung. Darüber müssen wir reden. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In In beiden Anträgen wird angesprochen, dass die De- den letzten beiden Wochen kamen aus den Reihen der finition des Geschäftsgeheimnisses zu unbestimmt sei. SPD, von Bundesarbeitsminister einer- Kollege Jung hat schon erläutert, worauf diese Begriffs- seits und vom SPD-Parteivorstand andererseits, sozial- bestimmung zurückzuführen ist, nämlich dass man sie im politische Vorschläge, Zusammenhang mit der Begründung sehen muss. (Beifall bei der SPD – Timon Gremmels (Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [SPD]: Sehr gut!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die aber leider den Menschen nur falsche Hoffnungen machen und in keinster Weise geeignet sind, nachhaltig Ich möchte nur darauf hinweisen: Diese Diskussion ha- zu helfen. ben wir beim Geschäftsgeheimnisschutz an vielen Stel- (B) len, etwa, wenn es um das Kartellrecht geht, wenn es (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Uwe (D) darum geht, was wirklich – sozusagen als Monopol – ge- Witt [AfD]) schützt ist. Es geht auch darum, dass Geschäftsgeheim- nisse wirklich faktisch geschützt werden. Genau das Ihre Vorschläge sind leider nur sozialpolitisch lackierte wird auch in der Richtlinie zum Ausdruck gebracht. Das Fassade; helfen tun sie zu wenig. Die Menschen sind berechtigte Interesse alleine, Kollege Movassat, reicht aber glücklicherweise intelligent genug, das zu hinterfra- nicht. Es gibt auch andere Fälle, in denen Zahlen einer gen, und sie werden merken, dass das, was Sie da ins Geheimhaltung unterliegen und es nicht anschließend Schaufenster stellen, nicht wirklich Hilfe bedeutet. dem Richter überlassen sein kann, diese wirklich im In- (Beifall bei der FDP) teresse des Unternehmens schützenswerten Zahlen der Öffentlichkeit preiszugeben. Da ist zunächst einmal die Grundrente von Bundes- arbeitsminister Hubertus Heil. Nach 35 Beitragsjahren Einen letzten Punkt will ich ansprechen, weil er bis- wollen Sie einen Zuschuss zur Rente gewähren. her nicht erwähnt wurde, nämlich die Frage des In-Ca- mera-Verfahrens. Zu Recht weisen Sie im Grünenantrag (Beifall des Abg. Dr. [SPD]) auf das Verfahren hin. Was mich nur wundert: Ein In-Ca- Wer 34,5 Jahre gearbeitet hat, geht leer aus. mera-Verfahren, das über das hinausgeht, was jetzt im Gesetzentwurf steht, entspricht genau dem, was norma- (Zuruf des Abg. Bernd Rützel [SPD]) lerweise im Rahmen von Schiedsverfahren durchgeführt wird. Dass Sie hier etwas fordern, was Sie anderswo ab- Was soll daran gerecht sein, dass Sie die Leistung von lehnen, ist schon erstaunlich; aber wir gehen darauf noch demjenigen, der 34,5 Jahre gearbeitet hat, nicht anerken- weiter ein. nen wollen? Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, das ist zutiefst ungerecht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Genauso ungerecht ist es, wenn Sie demjenigen, der ordneten der SPD) 35 Jahre Beiträge auf der Basis eines Vollzeitjobs gezahlt hat, genauso behandeln, wie denjenigen, der auf 35 Bei- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: tragsjahre aufgrund eines Halbtagsjobs kommt. Vielen Dank, Herr Kollege Hirte. – Ich schließe die (Bernd Rützel [SPD]: Kennen Sie die Details Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. schon?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9539

Pascal Kober (A) Beides ist nicht gerecht, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden. Da knausern Sie. Für Ihr ungerechtes Renten- (C) und das werden die Menschen verstehen. Wir lehnen das konzept sind Sie bereit, einen mittleren Milliardenbetrag ab. auszugeben; (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Zugleich wäre es viel sinnvoller, dem Vorschlag der aber wenn es um die Bildungschancen der Kinder geht, FDP zu folgen. stehen Sie auf der Bremse, da knausern Sie um jeden Cent. (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Kerstin Tack [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Zuschuss für den Besuch eines Sportvereins, als Zuschuss für das Erlernen Wenn man Rentenansprüche und Ansprüche aus priva- eines Instruments geben Sie keinen einzigen Cent, ter Vorsorge in Zukunft nicht mehr vollständig auf die Grundsicherung anrechnen würde, dann würde man ers- (Katja Mast [SPD]: Das machen wir im Parla- tens Leistung wirklich gerecht honorieren, und zweitens ment, Herr Kober! – Kerstin Tack [SPD]: Was würde man einer breiten Zahl von Menschen helfen. Das für kleine Antworten auf große Herausforde- wäre eine echte Hilfe, eine echte sozialpolitische Leis- rungen!) tung. Wenn es um die Kinder von Hartz‑IV-Empfängern geht, (Beifall bei der FDP) zeigen Sie plötzlich keine Bereitschaft, einen einzigen Cent zu geben. Darum muss es doch gehen, liebe Kolleginnen und Kol- legen: um echte Hilfe, die wirklich hilft, und zwar den (Beifall bei der FDP) Menschen und nicht Ihnen in der Sorge um Ihre Umfra- Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, das ist falsch. gewerte. Ich bin gespannt, ob die Kolleginnen und Kollegen der Um die Themen, bei denen es wirklich sozialpoli- CDU/CSU da im parlamentarischen Verfahren zu einer tisch anstrengend wird, bei denen man wirklich Fantasie Verbesserung bereit sein werden und sie durchsetzen braucht, machen Sie einen großen Bogen, beispielsweise können. um das Thema „Bürokratie in Jobcentern“. Sie wissen Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei denjenigen, die doch, dass die Jobcenter mittlerweile in Bürokratie er- Hartz IV beziehen und es geschafft haben, sich mit einem trinken. 1 Milliarde Euro wird mittlerweile von den Mit- eigenen Job langsam aus der Langzeitarbeitslosigkeit he- teln für Fördermaßnahmen für Langzeitarbeitslose abge- rauszuarbeiten, die den ersten Schritt schon geschafft ha- zweigt, um die Bürokratie finanzieren zu können. Aber ben, wäre es angebracht, die Zuverdienstgrenzen anzu- (B) (D) Bürokratie schafft keine Chancen, liebe Kolleginnen und passen. Aber auch da gönnen Sie den Menschen keinen Kollegen der SPD. einzigen zusätzlichen Cent. Da bleiben Sie hartleibig, (Benjamin Strasser [FDP]: So ist es!) liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist ungerecht. Bürokratie geht ins Leere, wenn es um die Menschen (Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: geht. Skandal! – Zurufe von der SPD) Wir haben hier in den Bundestag einen ganz konkreten Und geradezu skandalös ist es, wenn man bedenkt, dass Vorschlag eingebracht, wie man zumindest mal die Be- es seriöse Studien gibt, die sagen, dass 300 000 Men- rechnung der Kosten der Unterkunft und Heizung deut- schen aus der Langzeitarbeitslosigkeit in Arbeit kommen lich vereinfachen kann, rechtssicherer gestalten kann. würden, wenn man die Zuverdienstgrenzen anpassen Damit würden wir die Bürokratiekosten senken können würde. Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigen und gleichzeitig mehr Geld zur Verfügung haben, um Sie sich da so hartleibig? Wir sind gespannt, ob Sie bereit echte Chancen zu eröffnen, wieder in den Arbeitsmarkt sind, von uns zu lernen. zu kommen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Sozialpolitik kann man besser machen. Sozialpolitik Ich bin gespannt, ob Sie diesem Vorschlag zustimmen hat in diesem Parlament einen Namen: Freie Demokra- werden. ten. Geradezu skandalös, liebe Kolleginnen und Kollegen (Beifall bei der FDP – Lachen bei Abgeord- der SPD, ist es aber, dass Sie aus irgendeinem mir nicht neten der SPD und der LINKEN) erklärlichen Grund die Kinder von Hartz‑IV-Empfängern im Stich lassen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege eine Frechheit jetzt! – Kerstin Tack [SPD]: Sie Professor Dr. Matthias Zimmer. haben Deutschland im Stich gelassen!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben auch gestern schon darüber gesprochen. Neh- men Sie das Bildungs- und Teilhabepaket: Wir haben ge- Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): fordert, dass den Kindern zum 1. Februar 50 Euro statt Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- der bisherigen 30 Euro für Schulmaterialien ausgezahlt ren! Ich hatte, als die Aktuelle Stunde auf Antrag der FDP 9540 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Dr. Matthias Zimmer (A) aufgesetzt wurde, schon den Verdacht, dass die FDP sie Das Zweite ist die Frage der Selbstverantwortung. In (C) nutzen würde, um über ihre eigenen sozialpolitischen dem Papier taucht der verräterische Satz auf, der Staat Konzepte zu sprechen, habe eine Bringschuld, was soziale Leistungen angeht. (Kerstin Tack [SPD]: Wenn es mal welche (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf gäbe!) von der SPD: Rechtsansprüche!) weil sonst keiner darüber spricht. Das sehe ich, ehrlich gesagt, ein bisschen anders. Vor meinem inneren Auge taucht der sozialdemokratische (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der Kassierer auf, der von Haus zu Haus läuft und fragt: Darf SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – es heute noch mal eine Sozialleistung sein? – Das ist Beifall des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) doch nicht unser Sozialstaatsverständnis, sondern unser Aber dass es so offensichtlich der Fall sein würde, damit Sozialstaatsverständnis ist, dass der Staat subsidiär wirkt. habe ich, ehrlich gesagt, nicht gerechnet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- (Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP]) wie bei Abgeordneten der AfD) Ich würde gern mal über das Konzept der SPD reden. Ein dritter Punkt, bei dem ich ein bisschen Probleme Im ersten Schritt ist doch festzustellen: Es steht einer habe. Sie wollen den Sozialstaat aus der Perspektive der- Volkspartei gut an, über Grundfragen unserer Gesell- jenigen gestalten, die soziale Leistungen beziehen. Das schaft nachzudenken, und es gibt in dem Konzept eine kann man machen. Ich würde aber gerne mal darüber re- ganze Reihe von interessanten Vorschlägen und auch von den, den Sozialstaat auch aus der Perspektive derjenigen interessanten Problembeschreibungen, die wir durchaus zu gestalten, die die Leistungen finanzieren. teilen. Dazu gehören beispielsweise diese Fragen, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie uns auch umtreiben: Wie verändert sich eigentlich der bei Abgeordneten der AfD – Christian Dürr Arbeitnehmerbegriff? Wie verändert sich eigentlich der [FDP]: Mein Gott, was ist mit der Union los?) Betriebsbegriff? – In dem Konzept befindet sich eine ganze Reihe von guten Ansätzen, über die wir ganz ähn- Wenn es die neue Aufgabenteilung in der gemeinsamen lich nachdenken, bei denen wir aber vielleicht zu einer Koalition sein soll, ganzen Reihe von anderen Antworten kommen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein!) Ich finde es auch begrüßenswert, dass darüber nach- gedacht wird: Wie müssen wir die Menschen, wenn jetzt dass ihr euch um die Leute kümmert, die soziale Leistun- gen beziehen, und wir uns um die Leute kümmern, die (B) Arbeit 4.0 kommt – mehr Flexibilität –, auf den Arbeits- (D) markt vorbereiten, wie müssen wir qualifizieren? Was soziale Leistungen finanzieren, sind die geeigneten Instrumente, und was sind die ge- (Bernd Rützel [SPD]: Wir kümmern uns um eigneten Mittel und Methoden, um damit umzugehen? – beide!) Von daher ist es, wie ich finde, zunächst einmal ein guter Vorschlag. dann erklärt sich damit auch das eine oder andere Wahl- ergebnis. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. – Ja, ihr könnt ruhig mal eure eigenen Papiere beklat- Pascal Kober [FDP]) schen. Das finde ich schon prima. In dem Papier ist natürlich auch eine ganze Reihe von Ich habe an der einen oder anderen Stelle aber auch Dingen, die offensichtlich unsinnig sind, zum Beispiel das Problem, dass ich denke: Da fehlt was. – Es gibt drei den Mindestlohn direkt auf 12 Euro zu erhöhen und viele Begriffe, die in dem Papier der SPD nicht vorkommen: andere Dinge. Der erste ist der Begriff der Gegenfinanzierung. Gut, (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE man kann darüber reden, ob das später im parlamentari- LINKE]) schen Verfahren erledigt wird. Ich glaube, darüber wird man gar nicht reden müssen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Verant- Das ist eine Sache, die eher in den Bereich der sozialde- wortlich!) mokratischen Folklore als in den Bereich des wirtschafts- Aber ich habe schon den Eindruck, dass der Kollege politisch Machbaren gehört. Scholz das mit seiner Interviewäußerung relativ schnell Eine letzte Bemerkung habe ich noch zu machen. erledigt hat. Er hat gesagt: Mer gewwe nix, mer hawwe Mich hat es gefreut, zu lesen, liebe Kolleginnen und nix. Kollegen der SPD, dass Sie sich jetzt entschieden haben, (Zurufe von der SPD: Nee! – Otto Fricke die Historische Kommission beizubehalten. Ich finde es [FDP]: Das hat er doch gar nicht gesagt! – wichtig, dass man ab und zu auch mal in die Geschichte Kerstin Tack [SPD]: Das kann er gar nicht hineinschaut und sich vergewissert, woher man kommt aussprechen! – Heiterkeit bei Abgeordneten und was früher mal war. Wenn die Historische Kommis- der SPD) sion Ihnen dabei hilft, einmal zu erkennen, wie es vor den Hartz-Gesetzgebungen war, dass es keine Hilfe aus – Das kann sein. einer Hand gegeben hat, dass es keinen Zugang zu ar- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9541

Dr. Matthias Zimmer (A) beitsmarktpolitischen Leistungen gegeben hat und viele sozialistischen Motto: Geld ausgeben können wir, bezah- (C) andere Sachen, len müssen andere. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Dafür Der deutlich spürbare Motor und Pulsschlag des braucht man doch keine Historische Kommis- SPD-Konzeptes „Sozialstaat 2025“ ist die Angst davor, sion! Die hat eine andere Aufgabe!) in den neuen Bundesländern dauerhaft einstellige Wahl- ergebnisse einzufahren. dann hilft das vielleicht auch, dass Sie mal erkennen, dass Hartz IV eigentlich eine tolle Sache gewesen ist. (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt [BÜND- Zumindest aus unserer Sicht besteht kein Bedarf, dieses NIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt da jetzt noch System vollständig zu verabschieden. politische Tiefe?) Herzlichen Dank. Ja, ich räume ein, es sind einige gute Ansätze darin, die wir diskutieren sollten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt werden Sie aber weich!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Es geht im Grunde um drei Bereiche. Einen haben Sie mit Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Uwe „Chancen und Schutz in der Arbeitswelt“ überschrieben. Witt. Zunächst fordern Sie, den Mindestlohn von 9,19 Euro (Beifall bei der AfD) auf 12 Euro zu erhöhen. Wenn Sie sich erinnern, werte Genossen: 2015 haben Sie versprochen, dass diese Un- Uwe Witt (AfD): tergrenze von Ihnen niemals für den Wahlkampf instru- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und mentalisiert wird. Aber getreu dem Motto: „Was inte- Kollegen! Liebe Gäste des Hohen Hauses! Wenn Sie ge- ressiert mich mein Gerede von gestern“ können Sie sich statten, Herr Präsident, dann möchte ich eingangs kurz daran wahrscheinlich nicht mehr erinnern. Oder besteht zwei Sätze in persönlicher Sache äußern: Mein Dank an die Mindestlohnkommission jetzt nur noch aus der SPD? die 203 mutigen und aufrechten Demokraten unter Ihnen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was die mir bei der Wahl in das Kuratorium der Stiftung für wollen Sie denn? Oder wollen Sie gar keinen?) das Berliner Holocaust-Denkmal ihre Stimme gegeben haben! Auch den 43 Abgeordneten, die sich enthalten ha- Daneben fordern Sie mehr Chancen in der Arbeitswelt. ben, meinen Dank! Prima! Das haben Sie bei uns, der AfD, abgeschrieben. (B) (Beifall bei der AfD) (Lachen bei der SPD) (D) Kommen wir zum Thema, der Traumatherapie der Wir plädieren schon lange dafür, Arbeitslosen eine besse- SPD oder, um den CDU-Kollegen Grosse-Brömer zu re, echte Chance auf Qualifizierung zu geben – und wenn zitieren, zum „Resozialisierungsprojekt“ der SPD, dem nötig, auch eine zweite Berufsausbildung. Sozialstaatskonzept „für eine neue Zeit“. Mir scheint, die (Beifall bei der AfD) SPD hat ein neues Vorbild, nämlich die Partei Die Linke. Liebe Genossen, abschreiben will gelernt sein. Des Wei- Auch über die teilweise Verlängerung der Zahlung des teren stellt sich nicht nur mir, sondern wohl auch den vie- Arbeitslosengeldes kann man mit uns natürlich reden, len Wählern die Frage, warum sie das Plagiat, die SPD, aber bitte nur unter Berücksichtigung der Lebensarbeits- wählen sollen, wenn sie das Original, Die Linke, kriegen leistung. können. (Timon Gremmels [SPD]: Dafür brauchen (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zuruf wir Sie nicht!) des Abg. Timon Gremmels [SPD]) Die Ideen für Selbstständige sind ein Anfang, über den wir im Ausschuss allerdings auch reden müssen. Die meisten neuen Ideen der SPD sind nämlich alte Ideen der Linken. Auf das Statement der CDU zur Verwand- Ein weiterer Bereich in Ihrem Konzept ist, Kinder lung bzw. Renovierung der SPD in Die Linke bin ich abzusichern und ihnen Teilhabe an Bildung zu ermög- schon sehr gespannt. lichen. Die Zusammenfassung und Vereinfachung von Einzelleistungen, die Sie dort vorgenommen haben, ist „Sozialstaat 2025“ ist der hehre Titel, den die SPD ihrem keine sozialdemokratische Grundsicherung, nein, liebe Füllhorn von bunt zusammengewürfelten, bereits einmal Kollegen, das ist eine absolute Notwendigkeit und schon gescheiterten Maßnahmen oder von den Linken adap- lange überfällig. tierten Konzepten gegeben hat. Offenbar hat die SPD noch nicht mal bei der Namensgebung etwas gelernt. (Beifall bei der AfD) Ob „Agenda 2010“ oder „Sozialstaat 2025“: Bei beiden Es muss aber sichergestellt werden, dass diese Leistun- gilt der Spruch von Wilhelm Busch: „Aber wehe, wehe, gen bei den Kindern auch ankommen. wehe! Wenn ich auf das Ende sehe!“; Dann gibt es noch das Bürgergeld, formerly known (Beifall bei der AfD) as Hartz IV – oder: „Aus Raider wird Twix, sonst ändert denn über die Finanzierung ihrer Wahlwerbemaßnahmen sich nix“. Meine Damen und Herren Sozialdemokraten, hat sich die SPD keine Gedanken gemacht, getreu dem hätten Sie in den letzten Monaten bei meinen Reden zu- 9542 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Uwe Witt (A) gehört, dann wäre Ihnen bewusst, dass der Hartz-IV-Satz die Krankenschwester, den Paketboten und die Friseurin- (C) einfach zu niedrig ist. Angemessen wären 572 Euro pro nen und Friseure. Monat. Statt die Ursachen zu beheben, doktern Sie mal (Christian Dürr [FDP]: Nein, die entwerten wieder an den Symptomen herum, schaffen Sie Sankti- Sie, Frau Kollegin!) onen ab, Gleichzeitig will die FDP Steuergeschenke an Superrei- (Katja Mast [SPD]: Aber nicht alle!) che in Höhe von über 10 Milliarden Euro machen, und und machen Sie aus Fördern und Fordern eine sozialisti- ich finde, das passt nicht zusammen. sche Grundsicherung für alle. (Beifall bei der SPD) Zusammenfassend kann man sagen: viele halbgare Warum führen wir als Sozialdemokratinnen und Sozi- Lösungen, die den Steuerzahlern Milliarden kosten wer- aldemokraten diese Sozialstaatsdebatte? den – und das bei einem prognostizierten rückläufigen Wirtschaftswachstum. Vielleicht denken die Wähler bei (Zuruf von der AfD: Weil nach wie vor die den nächsten Wahlen mal über eine konservativ-libera- Wähler wegrennen!) le Allianz zwischen CDU, FDP und AfD nach, die für Erstens. Uns geht es um die Akzeptanz des Sozialstaats Deutschland wahrlich die bessere Alternative wäre. und damit auch um die Akzeptanz unserer sozialen De- (Lachen bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: mokratie. Nein!) (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ich hatte nicht Vielen Dank. den Eindruck, dass die Akzeptanz in Gefahr ist!) (Beifall bei der AfD) Zweitens. Wir finden, der Sozialstaat muss auf die Höhe der Zeit gebracht werden; Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Die nächste Rednerin: die Kollegin Katja Mast, (Zuruf von der AfD: Nicht auf die Tiefe!) SPD-Fraktion. denn Digitalisierung, demografischer Wandel und Glo- (Beifall bei der SPD) balisierung machen es notwendig, dass wir Konzepte für die Zukunft entwickeln und nicht über die Vergangenheit diskutieren. Katja Mast (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen (D) und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! der LINKEN – Zurufe von der FDP) Was ich in dieser Woche gut finde: Die SPD sorgt mit der Viele Menschen in unserem Land erleben den Sozial- Diskussion über den Sozialstaat für das Topthema in der staat als schwer zugänglich und manchmal auch als kalt. öffentlichen Debatte Weil der Kollege Zimmer findet, es gebe eine Bring- (Christian Dürr [FDP]: Nein, die FDP!) schuld derjenigen, die betroffen seien, will ich ein Bei- spiel von meiner Mutter erzählen. – die SPD –, (Jana Schimke [CDU/CSU]: Ich kenne auch (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian ein Beispiel!) Dürr [FDP]: Wo denn? Bei welcher Tagesord- Meine Mutter, ich als Kind und meine drei Geschwis- nung?) ter waren auf Sozialhilfe angewiesen. Meine Mutter hat und die FDP tut uns den Gefallen, dieses Thema am Frei- jeden Tag gearbeitet und die Familie zusammengehalten. tagnachmittag im Deutschen Bundestag auf die Tages- Trotzdem hat das Geld nicht gereicht. Ich selbst habe ordnung zu setzen. Dafür ausnahmsweise mal ein Dan- erlebt, wie sie monatelang nicht zum Amt gegangen ist, keschön an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der weil sie sich geschämt hat. Genau das wollen wir ver- FDP. hindern. Menschen in unserem Sozialstaat haben Rechts- ansprüche. Sie sollen sich nicht schämen. Das meinen (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian wir, wenn wir vom Sozialstaat als Partner reden, liebe Dürr [FDP]: Sie hatten es gar nicht auf die Ta- Kolleginnen und Kollegen. gesordnung gesetzt!) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Was ich aber nicht so toll bzw. schlecht finde, ist: Die FDP redet dabei nur über Geld und Zahlen, Der Sozialstaat als Partner ist für uns ein Kulturwan- del. Wir wollen Würde und Sicherheit für die Menschen, (Christian Dürr [FDP]: Oh!) wie für meine Mutter und ihre Kinder. Wir diskutieren sie redet nicht über Würde, Respekt und Leistungsge- über eine Kindergrundsicherung in dieser Republik, weil rechtigkeit. wir finden: Jedes Kind muss uns gleich viel wert sein, und wir müssen Kinder aus der Armut herausholen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie wirft uns vor, milliardenschwere Wahlkampfge- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE schenke zu machen, und entwertet damit die Debatte um GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9543

Katja Mast (A) Mit dem Starke-Familien-Gesetz, das wir diese Woche Es geht gerade bei der Grundrente darum, dass Men- (C) diskutiert haben, machen wir den ersten wichtigen Schritt schen, die gearbeitet haben, die Kinder großgezogen in genau diese Richtung. haben, die andere gepflegt haben, mehr als die Grundsi- cherung haben. Ich finde, das kann sich sehen lassen. Es (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kann nicht sein, dass die Friseurin, die 40 Jahre für einen Aber das Sozialstaatskonzept bekennt sich auch an Mindestlohn gearbeitet hat, eine Rente um die 500 Euro anderer Stelle zu diesen Werten. Uns geht es darum, die bekommt. Arbeit in den Mittelpunkt unserer Gesellschaft zu rücken (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und dass Menschen eine würdevolle Arbeit haben. Des- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) halb sagen wir auch Ja zu einem Recht auf Arbeit statt eines bedingungslosen Grundeinkommens. Damit muss Schluss sein. Dafür steht die SPD: für Leis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tungsgerechtigkeit, ein Recht auf Arbeit, einen Sozial- der LINKEN) staat als Partner sowie Chancen und Schutz im Wandel. Wir verpflichten uns mit dem Recht auf Arbeit auf (Beifall bei der SPD) würdevolle und gut bezahlte Arbeit für alle. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Habe ich da auch einen Rechtsanspruch auf diesen Arbeits- Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin platz?) Susanne Ferschl. Uns geht es darum: Die Arbeit wird uns nicht ausgehen. (Beifall bei der LINKEN) Aber sie wird sich für viele fundamental und rasant än- dern. Damit müssen sich eben auch Politik und Sozial- Susanne Ferschl (DIE LINKE): staat ändern. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- Mich fragen Beschäftigte in meinem Wahlkreis – ich nen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer komme aus Pforzheim und dem Enzkreis in Baden-Würt- auf den Tribünen! Ich freue mich, dass wir überhaupt mal temberg, wo es Automobilindustrie gibt –: Was können wieder über die Ausrichtung des Sozialstaates diskutie- Sie tun, Frau Mast, damit ich nicht nur heute, sondern ren. auch noch morgen und übermorgen Arbeit habe? (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Soweit ich das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) überblicken kann, debattieren wir das fast in jeder Sitzungswoche!) (B) Unsere Antwort darauf ist ganz konkret: Chancen und (D) Schutz im Wandel, Weiterbildung, Weiterbildung, Wei- Auch von meiner Seite ein herzliches Dankeschön an die terbildung, mehr Tarifbindung, gute Löhne und Sozi- FDP für das heutige Themensetting. Aber an der Stelle alpartnerschaft. Das ist in unserem Sozialstaat auf der endet die Danksagung auch. Höhe der Zeit. (Pascal Kober [FDP]: Das ist okay!) (Beifall bei der SPD) So, wie Sie über Soziales sprechen, ist das einfach uner- Unser Arbeitsminister Hubertus Heil hat dazu das träglich. Qualifizierungschancengesetz vorgelegt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Zuruf von der FDP: Wo ist er denn?) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Ich weiß, liebe FDP – das hat mich gewundert –, Sie ha- GRÜNEN) ben zugestimmt. Das finde ich schon mal gut. Aber Sie Sie haben natürlich – das verstehe ich – als Möven- bleiben auf halber Strecke stehen. Bei der Qualifizierung pick-Partei eine andere Schwerpunktsetzung. Aber Sie geht es darum, dass Handwerk und Mittelstand quali- sagen einfach die Unwahrheit, wenn Sie behaupten, das fizierte Fachkräfte bekommen. Da brauchen wir noch sei nicht finanzierbar. mehr als das Qualifizierungschancengesetz. Wir brau- chen ein Recht auf Weiterbildung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des Abg. Sven Lehmann (Zuruf von der AfD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Lachen bei Und wir brauchen das Arbeitslosengeld Qualifizierung, Abgeordneten der FDP) damit alle Menschen gut qualifizierte Fachkräfte werden Wir als Linke sagen – das ist die entscheidende Fra- können. Sie aber bleiben an dieser Stelle leider stehen. gestellung –: Was ist in diesem Land politisch gewollt? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Christian Dürr [FDP]: In Venezuela läuft es Uns geht es um Leistungsgerechtigkeit. Deshalb ha- im Moment unrund – mein Eindruck!) ben wir die Grundrente und eine Verlängerung des Be- Wir als Linke freuen uns über die Initiativen der SPD und zugs von Arbeitslosengeld I nach Beitragsjahren vorge- sind gerne bereit, bei der Wiederherstellung des Sozial- schlagen. Es geht auch darum, dass Menschen, die unsere staates mitanzupacken. Systeme mit eigenen Beiträgen lange stabilisiert haben, am Ende mehr haben. (Beifall bei der LINKEN) 9544 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Susanne Ferschl (A) Ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der sind arm: arm trotz Arbeit. Auch dazu sagen Sie nichts, (C) SPD, wenn die FDP und die Union quietschen, dann be- obwohl Ihr Konzept den Titel „Arbeit“ trägt. weist das letztendlich doch nur: Man ist auf dem richti- gen Weg. (Pascal Kober [FDP]: Dann muss man die Hinzuverdienstgrenzen anpassen!) (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abge- Mindestlohn und Tarifbindung haben nichts mit der Re- ordneten der CDU/CSU und der FDP) gulierung des Arbeitsmarktes zu tun. Die Debatte über eine Distanzierung von der Agenda­ (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit was politik wird in den Betrieben wahrgenommen. Viele denn sonst?) Beschäftigte hoffen, dass man in Berlin nicht länger die Augen vor der Realität verschließt. Sie sagen nichts zur sachgrundlosen Befristung, (Pascal Kober [FDP]: Dann machen Sie doch (Katja Mast [SPD]: Das kommt noch in die- erst mal Ihre auf!) sem Jahr!) Leiharbeit, zu Midijobs, Minijobs usw. Es ist völlig okay, dass viele der Ideen, die jetzt auf dem Tisch liegen, eigentlich von uns sind. Denn es geht hier Gegen all diese Verheerungen der Agendapolitik habe nicht darum: Wer hat es erfunden? Es geht darum: Was ich als Betriebsrätin fast 20 Jahre gekämpft. wird gemacht? Vor allem: Wie setzen wir es um? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deswegen weiß ich, wie es ist, wenn die Kolleginnen Um mal auf ein paar Punkte einzugehen: Die Erhö- und Kollegen bereit sind, jede Arbeit, sei sie noch so hung des Mindestlohns auf 12 Euro ist eine Forderung, schlecht bezahlt, anzunehmen, wie es ist, wenn Leihar- die wir schon sehr lange vertreten. beiter 1 000 Euro im Monat weniger als Festangestellte verdienen und was das mit Belegschaften macht. Prekä- (Zuruf von der LINKEN: Magdeburger Par- re Beschäftigung drückt Löhne, diszipliniert Arbeitneh- teitag!) merinnen und Arbeitnehmer und ganze Belegschaften und schwächt Gewerkschaften. Da sind wir natürlich mit dabei. Sie geben weiterhin ein Bekenntnis zum Niedriglohn- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sektor ab. Ihre Parteichefin Andrea Nahles ist sich nicht mal zu blöd, (B) Die Stärkung von Tarifverträgen, indem man den Ar- (D) beitgebern das Vetorecht in Bezug auf die Allgemeinver- (Pascal Kober [FDP]: Na, na, na!) bindlichkeitserklärung der Tarifverträge nimmt, ist auch diesen Niedriglohnsektor als Begründung dafür ins Feld unsere Forderung. Da sind wir natürlich mit dabei. zu führen, warum die Hartz-IV-Regelsätze weiterhin so (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias niedrig bleiben müssen, obwohl man in diesem Zusam- Zimmer [CDU/CSU]: Natürlich!) menhang nicht von einer menschenwürdigen Existenz sprechen kann. Die SPD spielt damit Erwerbsarme gegen Die Forderung nach einer Verlängerung der Bezugsdauer Erwerblose aus. Das machen wir als Linke nicht mit. von Arbeitslosengeld I ist schon in der letzten Legisla- turperiode in einem unserer Anträge gewesen. Auch da (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der gehen wir gerne mit. SPD) Ich kann Sie nur davor warnen, die Menschen durch (Beifall bei der LINKEN) leere Versprechungen erneut zu enttäuschen. Das würde Die Grundrente atmet zumindest den Geist des Sozial- nur die größte Oppositionspartei hier im Hause stärken. staates, auch wenn sie von der Bürgerversicherung, wie Ich glaube, das wollen wir alle nicht. wir sie fordern, noch meilenweit entfernt ist. (Zuruf von der AfD: Doch!) Aber man muss natürlich auch die Kritikpunkte be- Zum Schluss noch an die Adresse der FDP: Hören nennen. Da gibt es im Wesentlichen zwei. Sie benennen Sie mit dieser Haushaltsdebatte auf! Sie ist scheinheilig. zwar Hartz IV in „Bürgergeld“ um. Aber Sie ändern Eine Austrocknung des Niedriglohnsektors würde die nichts an dem Sanktionsregime und seiner Systematik. Sozialkassen stärken, weil weniger Steuerzuschüsse nö- tig wären. Geld ist genug da. Es ist nur falsch verteilt. (Katja Mast [SPD]: Natürlich! Das werfen uns die anderen ja vor!) (Beifall bei der LINKEN – [CDU/CSU]: Wie immer! – Kai Whittaker Und Sie erhöhen nicht die Regelsätze, die von Ihnen über [CDU/CSU]: Das habe ich schon meinen El- all die Jahre eh künstlich kleingerechnet worden sind und tern versucht klarzumachen! Da war es auch die nicht für eine menschenwürdige Existenz ausreichen. immer falsch verteilt!) Der zweite Punkt ist: In Ihrem Sozialstaatskonzept Es wird Zeit, dass wir durch eine andere Steuerpolitik fehlt völlig die Regulierung des Arbeitsmarktes. Ein endlich wieder zu einer gerechten Vermögensverteilung Drittel der Menschen hierzulande, die erwerbstätig sind, in diesem Land kommen. Aber jedem muss klar sein: Da- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9545

Susanne Ferschl (A) für braucht es andere politische Mehrheiten – in diesem je mehr sie verdienen, auch umso mehr für ihre Kinder (C) Haus und in diesem Land. durch Steuerfreibeträge. Familien mit keinem oder zu geringem Einkommen wird dagegen sogar das Kinder- Vielen Dank. geld auf Hartz IV angerechnet. Darin liegt der Webfehler. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen die Kinder am meisten unterstützen, die die Unterstützung auch am meisten brauchen, und das geht nur, wenn wir das System endlich vom Kopf auf die Füße Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nächster Redner: Sven Lehmann, Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Wir wollen eine Garantierente. Wir wollen, dass diejenigen, die lange Kinder erzogen, gearbeitet Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): oder Angehörige gepflegt haben, eine Rente oberhalb der Grundsicherung erhalten. Das ist auch eine Frage der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Glaubwürdigkeit unseres Sozialstaates. Sozialpolitik ist eine Frage der gesellschaftlichen Wer- te und der politischen Prioritäten. Es geht darum, wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) solidarisch eine Gesellschaft ist. Ich werde aber in der Tat den Verdacht nicht los, dass die FDP diese Aktuelle Aber in einem entscheidenden Punkt gehen wir weiter Stunde heute vor allem deswegen beantragt hat, um die als die SPD. Wir wollen eine Bürgerversicherung in der wichtige und notwendige Debatte über unseren Sozial- Rente einführen; denn Solidarität und Gerechtigkeit lei- staat zu ersticken mit dem Argument: Das ist alles nicht den, wenn sich ganze Berufsgruppen wie Selbstständi- finanzierbar. ge, Abgeordnete oder Beamtinnen und Beamte ihre Al- terssicherung auf einem anderen Weg organisieren, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – übrigens damit auch weniger Schutz genießen, wie viele Pascal Kober [FDP]: Mit keinem Wort ge- Selbstständige, die einfach zu wenig verdienen. Eine sagt!) Bürgerversicherung für alle, das würde das Rentensys- tem gerechter machen. – Ich habe die ganzen Statements der letzten Tage genau gelesen. – Sie sprechen vom Ende des Leistungsgedan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kens. , Ihr Chef, schwadroniert vom sowie der Abg. Katja Mast [SPD]) Fall einer armen Rentnerin, die 5 Millionen Euro erbt und deshalb keine Grundrente mehr braucht. Als wenn Drittens. Eine Grundrente würde übrigens deutlich (B) das allen Ernstes Alltag in Deutschland ist. günstiger, wenn wir einen höheren Mindestlohn, eine (D) bessere Tarifbindung und weniger Minijobs hätten; denn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der große Niedriglohnsektor in Deutschland führt dazu, sowie bei Abgeordneten der SPD und der dass viel zu viele Menschen im Alter nicht von ihrer Ren- LINKEN) te leben können. Das führt dazu, dass wir mittlerweile Im gleichen Atemzug fordern Sie vehement die Ab- fast 2 Millionen Menschen haben, die arbeiten und trotz- schaffung des Soli für Besserverdienende. Das würde ein dem auf Grundsicherung angewiesen sind. Aber beim zweistelliges Milliardenloch in den Haushalt reißen. Die Thema Lohnpolitik sind Union und FDP immer ganz Ausgaben für Rüstung sollen weiter steigen. Außerdem schnell ganz leise. Wer also weniger Menschen in der verschwendet der Bund jedes Jahr über 50 Milliarden Grundsicherung haben will, der muss dafür sorgen, dass Euro für klimaschädliche Subventionen. Das alles zeigt: Menschen von ihrer Arbeit auch leben können. Nicht die Kassen sind leer, Ihnen ist soziale Politik ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fach nicht wichtig genug, liebe Kolleginnen und Kolle- sowie bei Abgeordneten der SPD) gen von der FDP. Gleichzeitig hat das Konzept der SPD eine krasse (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lücke. Das ist mein vierter Punkt. Mit Ihrem angebli- sowie bei Abgeordneten der SPD und der chen Bürgergeld überwinden Sie Hartz IV eben nicht. LINKEN) Sie kleben ein neues Etikett auf etwas, das eigentlich Ich bin wirklich froh darüber, dass die SPD nun wieder grundlegend verändert gehört. Wenn Sie weiter an Sank- für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen will. Wir werden tionen, die dazu führen, dass das Existenzminimum un- Sie daran messen, was Sie davon in der Regierung auch terschritten wird, festhalten, dann nehmen Sie auch in tatsächlich umsetzen werden. Kauf, dass Menschen in Spiralen getrieben werden, die in Stromsperren oder Wohnungslosigkeit enden können. Wir Grüne haben klare Prioritäten. Und das Heftigste ist: Am Regelsatz in der Grundsiche- rung wollen Sie gar nichts verändern. Dabei ist der Re- Erstens. Wir wollen eine Kindergrundsicherung ein- gelsatz, also das, was jedem Menschen als Existenzmini- führen, und das schon lange; mum zusteht, seit Jahren politisch kleingerechnet, und er (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) reicht nicht aus, um an der Gesellschaft teilzuhaben. Das ist völlig inakzeptabel. denn für den Kampf gegen Armut bei Kindern und Fa- milien braucht es einen großen Wurf. Und es braucht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Systemwechsel; denn bisher bekommen Eltern, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 9546 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Sven Lehmann (A) Indem Sie das nicht angehen, halten Sie an einer Spal- da muss ich dem Herrn Kollegen Lehmann leider recht (C) tung der Gesellschaft fest, nämlich an einer Spaltung geben –, dass Sie Hartz IV eigentlich nur in Bürgergeld in diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt funktionieren umbenennen, ohne dass sich an den Leistungen in ir- können, und in „die anderen“. Der Wert eines Menschen gendeiner Form etwas ändert. Das ist für mich schlicht leitet sich aber nicht nur aus dem ab, was er auf dem Ar- und ergreifend ebenfalls ein Produkt der Marketingab- beitsmarkt leistet. Der Wert eines Menschen leitet sich ab teilung. Offensichtlich haben Sie gestern etwas von der aus seiner Würde. FDP gelernt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Zuruf von der SPD: Hä?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was wäre die Aufgabe? Die Aufgabe wäre, Hartz IV zu vereinfachen. Die Bescheide sind ja nicht so kom- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: pliziert, weil sich irgendwelche bösen Beamten das so Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Kai ausgedacht haben, sondern die Bescheide sind so kom- Whittaker. pliziert, weil das Recht, das wir hier im Deutschen Bun- destag beschlossen haben, so kompliziert ist. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Pascal Kober [FDP]: Deshalb Kai Whittaker (CDU/CSU): muss man es ändern!) Herr Präsident! Werte Kollegen! Ich bin enttäuscht, wirklich enttäuscht. Deshalb kann es nicht darum gehen, Lotsen einzustellen, die einem den Bescheid erklären. Vielmehr müssen wir (Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh! den Mut finden, leichtere Regeln zu beschließen. Oh!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Als ich gehört habe, dass sich die Sozialdemokratie mit der CDU/CSU) ihrer geballten Kompetenz zurückzieht, um ein Papier zum Thema Sozialstaatsreform zu formulieren, habe ich Das bedeutet, dass wir Ihre Stimmen brauchen, um zum gedacht: Da musst du dich warm anziehen. – Dann aber, Beispiel Pauschalierungen bei den Kosten der Unter- um es mit den Worten des römischen Dichters Horaz zu kunft zu vereinbaren. sagen, kreißte der Berg, und er gebar eine Maus. (Pascal Kober [FDP]: Ja, eben!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das ist zum Beispiel ein Punkt. (B) der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!) (D) (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/ In unserem Land gibt es so viele Arbeitsplätze wie CSU]) noch nie in unserer Geschichte, die Arbeitslosenquote ist auf einem Rekordtief – dem niedrigsten Wert seit der Wenn wir das pauschalieren und vereinfachen könnten Wiedervereinigung –, und nicht 25 000 Menschen in den Jobcentern jeden Tag ausrechnen würden, wie viel Geld es am Monatsanfang (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gibt, es geht im neunten Jahr wirtschaftlich immer noch auf- (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Nehmen Sie wärts, und Sie reden darüber, den Bezug von Arbeitslo- doch mal die andere Hosentasche!) sengeld I auf bis zu drei Jahre zu verlängern. Sie bringen es als Arbeiterpartei fertig, nicht darüber zu reden, wie dann hätten wir mehr Personal, um die arbeitslosen Men- man Menschen in Arbeit bringt, schen zu betreuen und sie in den ersten Arbeitsmarkt zu- rückzuführen. Auch das wäre eine Variante. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das Gegenteil ist der Fall!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sondern darüber, wie man ein Leben ohne Arbeit er- Ja, wir müssen mehr Wert auf Qualifikation und möglicht und erleichtert. Das ist wirklich eine „Glanz- Sprachausbildung legen. Es geht nicht an, dass jeder leistung“, die hier im Bundestag meiner Meinung nach zweite Arbeitslose im SGB-II-Bezug mangelnde Sprach- nichts verloren hat. kenntnisse und keine Berufsausbildung hat. Das ist in einem Fachkräfteland wie Deutschland nicht akzeptabel. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP] – Dr. Barbara Sie diskutieren darüber, Sanktionen abzuschaffen, so- Hendricks [SPD]: Deshalb muss es einen dass man, wenn man Leistungen nach dem SGB II erhält, Rechtsanspruch auf Qualifizierung geben!) also Hartz IV bezieht, zwei Jahre lang vom Jobcenter in keiner Form behelligt wird, sondern quasi vor sich hin- Ein letzter Punkt. Wir müssen auch die Arbeitsan- leben kann. reize verbessern. Wenn man einen Minijob hat, dann ist das wunderbar, das ist ein Einstieg in den ersten Ar- (Kerstin Tack [SPD]: So ein Quatsch!) beitsmarkt. Aber ich habe nur von den ersten 100 Euro Sie möchten die Menschen gar nicht proaktiv in den etwas. Danach greift der Staat knallhart zu und nimmt Arbeitsmarkt zurückführen. Es ist Etikettenschwindel – einem jeden Euro ab. Es muss umgekehrt sein: Die ersten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9547

Kai Whittaker (A) 100 Euro sollten wir abknöpfen, aber je mehr man da- damit diese mehr Menschen zu einem guten Lohn ein- (C) rüber hinaus arbeitet, desto mehr sollte hängen bleiben. stellen können. (Otto Fricke [FDP]: Sehr gut!) Bei einem Arbeitsplatzverlust sollen Bürger, die län- ger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, Leistung muss sich lohnen. Das ist das Thema, über das auch länger davon profitieren. Das hatten wir doch be- wir hier diskutieren müssen. reits, bevor es die SPD mit den Hartz-IV-Reformen zer- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – störte. Die Einführung des Bürgergeldes kaschiert nur Katja Mast [SPD]: Deshalb Grundrente!) Ihre Unfähigkeit, durchdachte Politik zu betreiben. Wissen Sie, Frau Kollegin Mast, wenn Sie von Würde (Beifall bei der AfD) und Respekt sprechen, dann können Sie das gerne tun. Wir haben darüber gestern Abend an dieser Stelle disku- Jetzt müssen Sie Ihre eigenen Fehler reformieren. Selbst- tiert. Sie wollen mit Ihrer Respektrente jemandem, der geschaffene Probleme lösen zu wollen, ist anscheinend 35 Jahre lang Vollzeit arbeitet und 2 600 Euro brutto ver- die Spezialität der SPD geworden. dient, eine Rente von 899 Euro zugestehen. Der Kollege, Andere Probleme werden leider nicht angepackt, der nebendran steht und den gleichen Job in Teilzeit mit Stichwort „Doppelverbeitragung von Betriebsrenten“, einem Verdienst von 1 300 Euro brutto macht, kriegt mit die die rot-grüne Bundesregierung 2004 eingeführt hat. Ihrer neuen Respektrente 897 Euro Rente. Die Beseitigung dieses Fehlers würde rund 3 Milliarden (Katja Mast [SPD]: Was wollen Sie?) Euro kosten. Davon ist in Ihrem Konzept nichts zu fin- den. 2 Euro Rente im Monat mehr für den Vollzeitjob! Das ist der Respekt, den die SPD den Beschäftigten in unserem Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht, wie viel Land zugesteht. Ihr Sozialstaatskonzept den deutschen Steuerzahler kos- ten wird? Ich habe dazu keine Aussagen von Ihnen ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- funden. wie bei Abgeordneten der AfD – Katja Mast [SPD]: Was wollen Sie denn?) (Katja Mast [SPD]: Dazu sagt Carsten Schneider etwas!) Das finde ich respektlos, Frau Kollegin Mast. In mei- nem Wahlkreis, der nicht ganz um die Ecke ist, reden die Ich helfe Ihnen aber gern. Hier nur zwei Beispiele: Herr Leute nicht darüber: „Was kann der Staat für mich tun?“, Raffelhüschen hat die Kosten der Grundrente sondern sie fragen: Was tut der Staat für mich, damit ich (Zurufe der Abg. Leni Breymaier [SPD] und meine Familie ernähren kann, damit ich in Zukunft einen (B) Harald Weinberg [DIE LINKE]) (D) sicheren Arbeitsplatz habe? bei 300 000 Beziehern auf 1,5 Milliarden Euro beziffert. (Katja Mast [SPD]: Sie wollen gar nichts!) Herr Heil rechnet mit einer Zielgruppe für die Grundren- Darüber sollten wir diskutieren, wenn wir über den Sozi- te in Millionenhöhe. Das bedeutet folgerichtig auch, dass alstaat 2025 diskutieren. sich die Ausgaben im zweistelligen Milliardenbereich bewegen werden. Die Kosten für das Arbeitslosengeld Q, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) also die Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeitslo- sen, wurden von der Arbeitgebervereinigung auf jährlich Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: 17 Milliarden Euro geschätzt. Für die Fraktion der AfD hat das Wort die Kollegin Ulrike Schielke-Ziesing. (Zuruf des Abg. René Röspel [SPD]) (Beifall bei der AfD) Die SPD will also Milliarden in einen Sozialstaat pum- pen, von denen sie noch nicht weiß, woher sie sie neh- men soll. Gut, es ist Wahlkampf. Aber sollte man sich Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): nicht trotzdem ein wenig Sinn für die Realität bewahren? Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Bürger! In der heutigen Aktuellen (Beifall bei der AfD) Stunde sprechen wir über die Wunschliste der SPD. Ja, Minister Scholz entdeckt an dem einen Wochenende es ist und bleibt eine Wunschliste. So wie die Liste, die ganz plötzlich ein Haushaltsloch in Höhe von 25 Milli- viele Kinder an den Weihnachtsmann verfassen, liest sich arden Euro in der Kasse und freut sich am nächsten Wo- auch das Sozialstaatskonzept der SPD. chenende über ein Konzept seiner eigenen Partei, nach (Widerspruch bei der SPD und der LINKEN – dem das Geld nur so zum Fenster hinausfliegt. Katja Mast [SPD]: Das haben Sie vor zwölf (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das Jahren auch beim Mindestlohn gesagt!) nennt man Dialektik!) Schauen wir uns doch den Bereich Arbeit in diesem Was sollen wir denn davon halten? Zum Haushaltsdefi- Konzept an: Sie versprechen den Bürgern das Recht auf zit wollte er am Mittwoch nicht mit dem Haushaltsaus- Arbeit. Was genau meinen Sie damit? Eine Beschäfti- schuss reden und glänzte durch Abwesenheit. Eine Buch- gungstherapie auf Steuerzahlerkosten im sozialen Ar- vorstellung war ihm wichtiger. beitsmarkt bringt die Arbeitslosen nicht weiter. Schaffen Sie bessere Rahmenbedingungen für die Unternehmen, (Beifall bei Abgeordneten der AfD) 9548 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Ulrike Schielke-Ziesing (A) Sein Staatssekretär mühte sich redlich, konnte den Aus- mit so viel Neid bei den einen und Klarheit bei den ande- (C) schuss aber nicht von der Seriosität des Finanzplans bis ren, denjenigen, die hier heute gar nichts zu bieten haben. 2023 überzeugen. (Zuruf von der AfD: Und Sie haben hier Dass die SPD nicht mit Geld umgehen kann, beweist nichts zu melden!) nicht nur ihre Wunschliste, sondern auch die gestrichene Die einen müssen sagen: „Wir haben gar nichts, wir kön- Gehaltserhöhung für die Mitarbeiter in ihrer Parteizentra- nen gar nichts anbieten“, und die anderen sagen: „Wir le. Fremdes Geld verwalten wollen und nicht einmal die reden über den Sozialstaat der Zukunft“, reduzieren ihn eigenen Finanzen im Griff haben – genau mein Humor! aber auf die Diskussion über die 10 Euro für das Bil- (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Harald dungs- und Teilhabepaket für die Mitgliedschaft in Ver- Weinberg [DIE LINKE]) einen für Kinder im Hartz‑IV-Bezug. Wissen Sie, meine Damen und Herren von der SPD (Pascal Kober [FDP]: Renten! Entbürokrati- und damit die Verfasser dieser Wunschliste, das Problem sierung! Chancen für Kinder! Hinzuverdienst- an Ihren linken Ansätzen ist: Sie versuchen, ökonomi- grenzen! Menschen in Arbeit bringen! Es sind schen Herausforderungen mit ideologischen Ansätzen zu fünf Punkte, Frau Tack! Wenn Sie nicht bereit begegnen, anstatt eine vernünftige und realitätsbezogene sind, darüber in die Diskussion zu gehen, kann Lösung zu erarbeiten. Daran wird auch dieses fantasie- auch Ihre Politik nichts retten!) volle Sozialstaatskonzept im Endeffekt scheitern. Welch eine Kleinigkeit in so einer großen Debatte – das Die Auswirkung Ihres Sozialstaatskonzepts wird eine war echt peinlich, und das war echt richtig, richtig klein! steigende Politikverdrossenheit sein. Sie wecken damit (Beifall bei der SPD) Erwartungen bei den Bürgern, die Sie nicht erfüllen kön- nen und auch nicht erfüllen werden. Von denjenigen, die das hier angemeldet haben, hätte man echt mehr erwarten können. Das war wirklich klein. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Darin seid ihr ja Experten!) Was haben wir aufgeschrieben, und worüber haben wir in den letzten Monaten intensiv diskutiert? Ich freue Am Ende des Tages muss einer Ihre Wunschliste bezah- mich, dass wir alle an der einen oder anderen Stelle hier len, und in den meisten Fällen sind es die hart arbeiten- heute schon gehört haben, wo auch Umsetzung möglich den Bürger, die von Ihnen ja so gern verteidigt werden. und richtig ist. Diese Bürger werden sich dann aber wundern, warum immer weniger Netto von ihrem Bruttolohn übrig bleibt. Ja, wir sagen: Förderung von Tarifbindung ist das (B) A und O, wenn wir in die nächsten Jahre schauen. Ja, (D) (Katja Mast [SPD]: Die, die heute Beiträge wir wollen Zeitkonten zum Ansparen! Ja, wir wollen ein zahlen, brauchen morgen den Sozialstaat!) Recht auf Heimarbeit. Hoffentlich wird genau diesen hart arbeitenden Bürgern (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Sagen Sie das in Brandenburg, Thüringen und Sachsen vor den anste- mal einem Mercedes-Benz-Mitarbeiter, henden Wahlen deutlich, dass mit ihren Steuerabgaben dass er die Autos zuhause zusammenschrau- die Rechnung für dieses wahnwitzige Konzept beglichen ben soll! – Gegenruf der Abg. Dr. Barbara wird. Hendricks [SPD]: So blöd können Sie doch Und jene, die glauben, durch das SPD-Konzept werde gar nicht sein!) sich ihre soziale Lage verbessern, sollten sich vor Au- Ja, wir wollen ein Recht auf Weiterbildung. Wir wollen gen führen, dass für Frau Nahles die Akzeptanz ihres ein Recht auf Homeoffice. Wir wollen uns über den Min- Konzepts seitens der SPD-Basis wichtiger ist als seine destlohn unterhalten. Umsetzung. So viel zur Glaubwürdigkeit der SPD und zu deren wahrem Hauptmotiv für das Sozialstaatskonzept, Ja, wir wollen auch die Verlängerung des Arbeits- nämlich die Wählerstimmen und nicht das Wählerwohl. losengeldbezuges. Gerade und vor allen Dingen dann, wenn man an Qualifizierungsmaßnahmen teilnimmt, Vielen Dank. sich also fort- und weiterbildet, darf es nicht damit en- (Beifall bei der AfD) den, dass man nach Abschluss der Maßnahme in den Bezug von Langzeitarbeitslosengeld fällt. Deshalb ist es richtig, über die ALG‑I-Bezugsdauer zu diskutieren. Und Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wie können wir hier die Leute motivieren, in Qualifizie- Die nächste Rednerin: Kollegin Kerstin Tack, rungsmaßnahmen zu gehen, und sie nicht demotivieren, SPD-Fraktion. indem wir für den Anschluss keine vernünftige Vorgabe machen? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Kai Whittaker [CDU/ Kerstin Tack (SPD): CSU]: Sechs Monate Arbeitslosigkeit sollten genug sein! Warum drei Jahre? Das verstehe Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ich nicht!) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie schön, dass wir es geschafft haben, mit unserem vorgelegten Sozi- Und ja, wir wollen einen anderen Schutz bei der Woh- alstaatskonzept eine so interessante Debatte anzustoßen, nung und auch beim Vermögen. Ja, wir wollen, dass der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9549

Kerstin Tack (A) Schutzgedanke, der die Menschen heute so sehr belastet, Mit dem Qualifizierungschancengesetz haben wir ein (C) von uns aus einem anderen Blickwinkel bearbeitet wird. Recht auf Weiterbildung mit Weiterbildungsberatung Und ja, wir wollen den Wegfall unwürdiger Sanktionen; umgesetzt, mit dem Gute-Kita-Gesetz haben wir den das ist doch selbstverständlich. qualitativen Ausbau gefördert und die Beitragsfreiheit geschaffen, mit dem Starke-Familien-Gesetz werden wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kai den Kinderzuschlag und die Leistungen im Bildungs- Whittaker [CDU/CSU]: Das sehen Ihre Wäh- und Teilhabepaket verbessern. ler anders!) Wir wissen alle, dass selbst diejenigen, die das heute Wir sind guter Dinge, dass unser Koalitionspartner noch nicht so sehen, das schon in wenigen Monaten mit auch weitere Schritte in genau diese richtige Richtung uns gemeinsam an dieser Stelle umsetzen werden. mit uns gehen wird, und freuen uns deshalb ganz beson- ders, dass wir sehr unterschiedliche Signale aus Richtung (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Sehen Sie sich des Koalitionspartners hören. Wir freuen uns auf eine das mal genauer an!) konstruktive, nach vorne gerichtete und vor allen Dingen Und ja, wenn wir eine Reform beim Wohngeld ma- in die richtige Richtung gerichtete Debatte hin zu einem chen, ist das richtig. Und ja, wenn wir die Kindergrundsi- fairen und gerechten Sozialstaat, den nicht nur wir, son- cherung umsetzen, ist das richtig. Das brauchen wir und dern alle brauchen. werden es auch vorantreiben. Danke schön. Und ja, wir wollen Hilfe aus einer Hand, um nicht mehr von Pontius zu Pilatus geschickt zu werden, son- (Beifall bei der SPD) dern eine vernünftige, gute Aufstellung darüber zu be- kommen, wie man die Leistungen, auf die man Anspruch hat, gut und sicher erhält. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Und ja, wir wollen eine Grundrente, die ihren Namen Der nächste Redner ist der Kollege Otto Fricke, verdient, in der Rentenversicherung, FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP) und zwar ohne dass die Rentenversicherung etwas tun muss, was sie nämlich nicht kann: Sie kennt keine Be- Otto Fricke (FDP): dürftigkeitsprüfung. Sie kennt keine Teilzeit. Sie kennt Beitragsleistungen. Deshalb ist das richtig, dass man im Geschätzter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- (B) System der Rente bleibt, weil nur das sinnvoll ist, wert- nen und Kollegen! Nachdem der Kollege Whittaker so- (D) schätzend ist, Lebensleistung anerkennt und am Ende zusagen schon die zweite FDP-Rede gehalten dazu führt, dass niemand zum Amt muss, sich niemand nackig machen muss, sondern Respekt vor den Leistun- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Stimmt gen erfährt, die er eingezahlt hat. leider!) (Beifall bei der SPD) und ein Zitat gebracht hat, muss ich sagen: Wenn ich das, was ich von Ihnen höre, jetzt einfach einmal rekapitulie- Und ja, wir gehen in ein Gesamtkonzept. Einen Teil re, fällt mir eher Shakespeare ein, Hamlet: Ich dachte, es dessen habe ich Ihnen vorgestellt, weil wir der Meinung wäre Wahnsinn, und doch, es steckt bei Ihnen eine politi- sind: Die Herausforderung der Zukunft ist selbstver- sche Methode dahinter. ständlich, Menschen in Arbeit zu halten. Wer nicht mehr in Arbeit ist, soll durch Qualifizierung wieder in Arbeit (Beifall bei der FDP) kommen. Und auch für die, die im Langzeitarbeitslosen- geldbezug sind, lautet das Thema: Wie qualifizieren wir Meine Damen und Herren, es heißt auf der Tagesord- sie? Das ist die größte Herausforderung, vor der wir ste- nung „Sozialstaatskonzept der SPD“, genauer aber „vor hen. Deshalb ist all das auf genau diese Thematik ausge- dem Hintergrund eines drohenden Haushaltsdefizits“. legt. Das ist richtig, das ist wichtig, und darum wird es in Benutzen wir einmal ein Bild, weil das vielleicht in Erin- der Zukunft gehen. nerung bleibt: Wenn wir unseren Staat wie ein gutes Haus Die eine oder andere Maßnahme konnten wir mit un- sehen, dann müssen wir, wenn wir einmal rekapitulieren, serem Koalitionspartner und seiner Unterstützung bereits feststellen: Das letzte Mal, als wir in diese Schwierig- durchsetzen. Erste Schritte sind wir gegangen. Mit der keiten kamen, dass immer mehr versprochen wurde, als Brückenteilzeit haben wir insbesondere die Erwerbsbio- man halten konnte, und versucht wurde, damit Wahlen zu grafien von Frauen, die das in Anspruch nehmen wollen, gewinnen – was teilweise seitens der SPD auch gelang –, verbessert. war so um das Jahr 2000 herum. Sie erinnern sich viel- leicht noch, liebe Sozialdemokraten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit dem sozialen Arbeitsmarkt haben wir für Langzeit- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: 2009, arbeitslose einen ersten wichtigen Schritt in Richtung öf- Westerwelle! Ich erinnere mich!) fentlich geförderte Beschäftigung getan. Da gab es einen Bundeskanzler, der hat große Verspre- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) chungen bei der Rente gemacht, Nachhaltigkeitsfaktor – 9550 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Otto Fricke (A) um sie dann nach der nächsten Wahl wieder rückgängig lition zu wenig tut – wieder zum kranken Mann in Euro- (C) zu machen. pa zu werden droht. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ich denke (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Ja, ja, ja! – an eure Steuerreform! Darauf warten wir heu- Weitere Zurufe von der SPD) te noch!) – Sehen Sie, das ist jetzt genau die Reaktion: „Nein“, Sie – das will ich Ihnen vonseiten meiner Fraktion sagen Sie, „ist gar nicht der Fall!“ Darf ich Ihnen mal schon sagen – machen jetzt dasselbe Spiel: Sie machen sagen, wer nach Italien in diesem Jahr das schlechteste Versprechungen, von denen Sie wissen, dass Sie sie we- Wachstum in Europa, selbst nach Auskunft der eigenen der selber einhalten können noch mit Ihrem Koalitions- Regierung, haben wird? Es ist dieses Land. partner. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Von wel- chem Niveau aus! Wollen Sie uns mit Bulgari- (Katja Mast [SPD]: Das haben Sie uns schon en vergleichen, oder was?) beim Mindestlohn damals gesagt! Der ist heu- te da!) Es ist dieses Land, das nicht mehr nach vorne schaut, sondern in dem nur versucht wird, Löcher mit Steuermil- Das ist genau das, was man als Politiker in Verantwor- liarden für die Sozialpolitik zuzuspachteln. tung nicht tun sollte. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP – Dr. Petra Sitte [DIE Das, was Sie hier machen, ist unverantwortlich. Wenn LINKE]: Steuerreform!) dann in wenigen Monaten das Geld nicht mehr da ist, Meine Damen und Herren, dann hat die SPD aus dann werden Sie nämlich hingehen und sagen: Wir woll- ihren Fehlern gelernt, hat den Nachhaltigkeitsfaktor ten das ja, das Geld war ja da; aber die CDU hat uns nicht gemeinsam mit den Grünen rückgängig gemacht – das gelassen. – Das ist doch, was Sie machen. war eine richtige, weil verantwortungsvolle Entschei- (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Wissen Sie dung –, viele andere Reformen gemacht und damit un- noch, wie es zwischen 2009 und 2013 war?) ser Haus stabilisiert, vor allen Dingen das Fundament stabilisiert. Jetzt sage ich Ihnen mal, was noch droht beim Thema Haushalt: Das Wachstum reduziert sich. Wir haben den (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- EU‑Haushalt, der uns mehrere zweistellige Milliarden- NEN]: Dann kam die Mövenpick-Steuer!) beträge kostet. Wir haben den Kohlekompromiss, der uns (B) 2‑Milliarden-Beträge kosten wird. (D) Wir haben es so stabil bekommen – das sage ich in alle Richtungen gewandt –, dass der Sozialstaat selbst in der (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Banken- und Finanzkrise stabil war. NEN]: Und dann schlagen Sie die Abschaf- fung des Soli vor!) (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Daran hatten Sie keinerlei Anteil!) Wir haben die ODA-Quote und die Quote für die Ver- teidigungsausgaben, die uns noch Milliarden kosten, die Und was wird jetzt gemacht? Wir haben das Gefühl, alle noch nicht im Haushalt enthalten sind. Und was ma- dass einige denken, es gehe immer so weiter, es sei ja ge- chen Sie an der Stelle? Hier ist – ich glaube, da sind sich nug Geld da, wir könnten hier noch ein Stockwerk drauf- alle Seiten einig; deswegen will ich das mal für alle hier setzen, da noch einen Balkon anbauen, dann vielleicht sagen – keiner, der möchte, dass jemand, der 35 Jahre noch eine schöne Lobby, vielleicht auch noch einen schö- Vollzeit gearbeitet hat, am Ende auf eine Ebene kommt, nen Dachgarten. dass er fragen muss: Kann ich ein normales Leben füh- ren, bin ich dazu noch in der Lage? Die Frage ist aber, (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der liebe Sozialdemokraten, ob man das Geld im Zeitalter LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE der Digitalisierung GRÜNEN) (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Genau darum Was machen Sie dagegen beim Fundament? Es ist geht es!) gerade schon gesagt worden – und das ist ja auch der noch mit der Gießkanne ausschütten kann – Sie wollen Grund, warum der Kollege Schneider erst nach mir redet, das – obwohl er eigentlich vor mir reden wollte –: Sie sorgen dafür, dass Ihr Finanzminister hingehen und sagen muss: (Beifall bei Abgeordneten bei der FDP und Oh, wir haben ein kleines Problem, wir haben ein Defizit der CDU/CSU) von 25 Milliarden Euro. oder ob man zielgenauer arbeiten muss. Sie müssen ein- (Zuruf des Abg. [Hamburg] zelne Fragen beantworten. Es ist ein Fairnesscheck, den [CDU/CSU]) Sie machen müssen, ein Fairnesscheck gegenüber denje- nigen, die eingezahlt haben, aber auch ein Fairnesscheck Er hat aber noch nicht alle Löcher genannt. Diese 25 Mil- zum Beispiel gegenüber der jungen Generation, die hier liarden Euro Defizit kommen allein dadurch zustande, oben auf den Tribünen sitzt. Ihr müsst die Frage beant- dass Deutschland – auch deswegen, weil die Große Koa- worten: Wie viel Verantwortung habt ihr für die Genera- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9551

Otto Fricke (A) tion, die die Voraussetzungen geschaffen hat? Wie sieht politik. Die FDP ist leider auch nicht mehr das, was sie (C) es mit der Fairness aus? mal war. Sie schaut mehr und mehr aufs Geldausgeben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Benjamin Strasser [FDP]: Ach?) der CDU/CSU – Sven Lehmann [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch junge Men- Die Kinderstube wird dann zuweilen vernachlässigt. An- schen wollen im Alter gut leben können!) statt erst mal das Solidarprinzip innerhalb der Familie zu bemühen und zu schauen: „Was können nahestehende Wenn man darüber nachdenkt, wie Sie das Haus bau- Angehörige tun, um Eltern zu unterstützen?“, soll auch en, stößt man immer wieder auf dieses Prinzip: Sie sa- das auf einmal abgeschafft werden. Das enttäuscht mich gen nicht: „An Isolierung denken, an Nachhaltigkeit, an persönlich sehr. moderne Beleuchtung!“, Sie drehen einfach die Heizung hoch – Hauptsache, es wird ein bisschen wärmer. Und was sage ich zur SPD? Die SPD wird künftig wohl nicht mehr sozialdemokratisch sein, sondern viel (Kerstin Tack [SPD]: Kommt noch was In- mehr sozialistisch. haltliches, oder bleibt es auf dem Niveau?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Und dann sagen Sie auch noch: Fairnesscheck, das der FDP – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ui! – braucht doch keiner; der Rente – sagt der Minister doch Widerspruch bei der SPD) immer – ist das fremd. – Dann schauen Sie sich mal die Regelungen Ihrer Gesetzgebung bei der Witwen- oder Liebe Frau Tack, ich muss Ihnen leider sagen, Sie un- Hinterbliebenenrente an, die auch richtig sind. Wie ist es terliegen einer absoluten Fehleinschätzung, wenn Sie die in der Hinterbliebenenrente? Aufregung, die Sie heute in diesem Parlament und schon ( [SPD]: Das ist aber keine seit einer Woche in der gesamten Republik als Reaktion Bedürftigkeitsprüfung, Herr Kollege!) auf Ihr Konzept zum künftigen Sozialstaat erleben, für Neid halten. Das ist kein Neid, liebe Frau Tack, das ist Sie schauen genau nach, ob jemand mehr bekommt, als die Angst vor dem Ausverkauf unserer Republik. er eigentlich braucht – und kürzen dann die Hinterblie- benenrente. So viel zu der Frage, ob Sie dort, wo gezahlt (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Wollen wir wird, kürzen. Auf der anderen Seite soll jemand pauschal mal ein bisschen politische Grundsatzarbeit mehr bekommen, auch wenn er Teilzeit gearbeitet hat. machen? Ich biete mich gerne dafür an! – Wei- Das ist nicht gerecht, sondern typisch dafür, wie man ein tere Zurufe von der SPD) Haus auf Dauer zerstört, anstatt das Fundament zu stabi- Wir wissen alle: Wir befinden uns im Moment noch (B) lisieren. in einer guten, soliden Haushaltslage. Aber, ganz ehrlich, (D) Herzlichen Dank. bei allem Respekt, liebe Kollegen der SPD, lieber Ko- alitionspartner: Mit dem, was Sie vorhaben, würde der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Erfolg, den wir in den letzten Jahren gemeinsam aufge- der CDU/CSU) baut haben, förmlich abgeschafft. Ich sage, wir werden in wenigen Jahren wieder genau vor den Problemen stehen, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: vor denen wir Anfang der 2000er-Jahre standen. Die nächste Rednerin ist die Kollegin Jana Schimke (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wegen für die CDU/CSU-Fraktion. der Grundrente?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich weiß nicht, ob Sie das dann noch zu verantworten haben, Frau Tack. Aber die jüngeren Generationen, die Jana Schimke (CDU/CSU): würden es in jedem Fall zu spüren bekommen, und das Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe müssen wir verhindern. Das machen wir nicht mit; das Besucher auf den Tribünen! Ich habe gesehen, die zwei kann ich Ihnen schon jetzt sagen. jungen Männer dort oben sind inzwischen erwacht. Das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und freut mich sehr; der FDP) (Heiterkeit) Für die CDU geht es immer darum, eine Politik für es geht nämlich genau um ihre Belange, um ihre Zukunft, alle Menschen zu machen, keine Klientelpolitik zu ma- für die wir hier kämpfen. Insofern ist es angebracht, der chen, Debatte auch aufmerksam zuzuhören. (Zurufe von der SPD) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wieder zwei Wähler verloren! – Zuru- nicht nur auf eine Gruppe der Gesellschaft zu schauen. fe von der SPD) Wir schauen auf alle Menschen. Was ist denn so verkehrt daran, auch jene zu entlasten, die etwas zu diesem Sozi- Liebe Kollegen, kommen wir mal ein bisschen runter. alstaat beitragen mit ihren Steuern, mit ihren Beiträgen? Natürlich hat jede Partei das Recht, sich zu positionie- ren – auf allen Themengebieten. Die AfD sucht ja noch (Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks nach einer Position, insbesondere im Bereich der Sozial- [SPD]) 9552 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Jana Schimke (A) Deswegen muss der Soli natürlich für alle in Deutsch- dem Sie sprachen, der Ihnen wichtig ist, der Ihnen am (C) land abgeschafft werden und nicht nur für eine Gruppe Herzen liegt, ganz gewiss seinen Job verlieren. in diesem Land. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Frau Schimke, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sie haben wirklich gar keine Ahnung!) der FDP – Benjamin Strasser [FDP]: Das hät- ten Sie haben können!) In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns gut überlegen, was wir künftig in diesem Selbstverständlich: Auch unsere Partei hat beim letz- Hause beschließen wollen. ten Parteitag in Hamburg einen Beschluss – mit überra- gender Mehrheit – zur Abschaffung der Doppelverbeitra- Vielen Dank. gung in der betrieblichen Altersvorsorge getroffen. Wir wollen, dass Leistung sich lohnt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ordneten der FDP) Wir wollen, dass Altersvorsorge sich lohnt. Das sind die Prinzipien, auf die es in der Sozialpolitik künftig auch Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ankommen muss. Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Carsten Schneider. Liebe Frau Mast, Sie haben hier von Würde, von Res- pekt, von Leistungsgerechtigkeit gesprochen. Ist es ge- (Beifall bei der SPD) recht, Politik auf Kosten der künftigen Generationen zu machen? Ich sage, Nein. Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! NEN]: Mütterrente!) Frau Schimke, ich war mir nicht ganz sicher, ob Sie jetzt für die CDU/CSU-Fraktion oder für die FDP-Fraktion Ist es gerecht, eine Politik zu machen, die tarifgebunde- sprechen. ne Unternehmen bevorzugt und damit den Großteil der deutschen Wirtschaft, den überwiegenden Teil der deut- (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei schen Wirtschaft außer Acht lässt? Ist es gerecht, eine Abgeordneten der LINKEN und des BÜND- Politik zu machen, die sich nur an wenige Unternehmen NISSES 90/DIE GRÜNEN – Jana Schimke richtet und alle anderen leer ausgehen lässt? Nein, das ist [CDU/CSU]: Wir sind eine Volkspartei! Wir (B) es nicht. Wir machen eine Politik für alle Menschen und sind das, was Sie einmal waren!) (D) für alle Unternehmen in diesem Land. Das können Sie ja einmal klären. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zu dem Punkt mit der Doppelverbeitragung: Fragen NEN]: Die es sich leisten können!) Sie einfach einmal Ihre Bundeskanzlerin. Ich habe den Eindruck, sie hat das jetzt in letzter Minute erst einmal Deshalb verbietet es sich, eine Politik zu machen, die da- gestoppt. Klären Sie das in der CDU, dann kommen wir rauf abzielt, tarifgebundene Unternehmen steuerlich zu auf Sie zu. bevorzugen und damit den überwiegenden Teil der deut- schen Wirtschaft außer Acht zu lassen, obwohl die ge- (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ihr Finanzmi- nauso einen guten Job machen und obwohl die genauso nister will ja auch kein Geld freigeben!) viel für ihre Mitarbeiter tun. Das entspricht nicht meinem Verständnis von einer guten und seriösen Politik. Ich will zum Abschluss der Debatte zwei Punkte an- sprechen. Der erste Punkt ist das, was der Kollege Fricke (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- angesprochen hat. Er hat gesagt, das alles sei nicht fi- ordneten der FDP – Zurufe von der SPD) nanzierbar und gehe zulasten künftiger Generationen. Ich Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es sinnvoll, einen habe das ähnlich gerade auch bei Frau Schimke durch- politischen Mindestlohn einzuführen, der zum Spielball gehört. politischer Stimmungslagen wird, wo man sagt: „Heute gehen wir auf 12 Euro, morgen gehen wir auf 14 Euro“? Zunächst einmal: Die ökonomische Lage in Deutsch- Nein, das ist es nicht. land ist exzellent. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: 12,63 Euro!) (Dr. [FDP]: 1 Prozent! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Aber darauf ausruhen Lohnbildung muss in Deutschland weiterhin Aufgabe der sollte man sich nicht!) Tarifvertragsparteien sein und nicht Ihre Aufgabe, Frau Mast. Wir haben 1,3 Prozent Wachstum und das erste Mal seit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sieben, acht Jahren Aufschwung eine Delle. Wir arbeiten ordneten der FDP) daran, dass dieser Aufschwung weitergeht und stärker wird. Noch ein letzter Satz; dann lasse ich Sie auch in Ruhe. Mit diesen Ideen, Frau Mast, wird der Facharbeiter, von (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9553

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Das Potenzialwachstum in Deutschland – das wissen ungebunden waren. Es ist schlecht, wenn wir keine Ta- (C) Sie ganz genau, liebe Kollegen von der FDP – beträgt rifverträge haben. etwa 1,5 Prozent. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Otto Fricke [FDP]: Ja! Und wir machen der LINKEN – Jana Schimke [CDU/CSU]: 0,5 Prozent!) Wieso?) Wir sind bei 1,3 Prozent. Daher von einem Abschwung Wir brauchen mehr Tarifbindung. Frau Schimke, Sie zu sprechen und die Situation in Deutschland schlechtzu- kommen aus Brandenburg. Ich komme aus Thüringen. reden, ist vollkommen falsch. Sie kennen doch die Hungerlöhne, die gezahlt wurden: (Dr . Florian Toncar [FDP]: Aber 1,5 Prozent 3,50 Euro für eine Friseurin. sind auch zu wenig!) (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Ja, in der Tat! So Da haben Sie nicht die aktuellen Zahlen. Vor allen Din- ist es!) gen scheinen Sie nicht das Interesse Deutschlands im Das ist peinlich gewesen. Es war richtig, dass wir ge- Mittelpunkt zu haben. meinsam den Mindestlohn eingeführt und eine Unter- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. grenze eingezogen haben. Das war richtig. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Zu einem ordentlichen Wachstum und zu einem or- dentlichen Sozialstaat gehört eben auch soziale Sicher- Die CDU in Thüringen hat seinerzeit auch noch für heit. Hören Sie mit dem Zerrbild auf, die Sozialdemo- die Niedriglohnstrategie geworben. Das muss man sich kraten wollten die Leute nur mit Leistungen beglücken! einmal vorstellen! Das war ein Ansiedlungsargument: Quatsch! Bei uns steht Arbeit im Mittelpunkt. Das ist Die Leute verdienen bei uns so wenig. – Ich habe mich auch der Unterschied, warum wir nicht für ein bedin- immer dafür geschämt. Wir haben das jetzt gedreht. Das gungsloses Grundeinkommen sind, sondern wir sind da- Resultat sind aber geringere Renten. Wenn die Menschen für, dass die Leute arbeiten gehen und erst einmal selbst nach 35, teilweise nach 40 Berufsjahren in Rente gehen – für sich sorgen. zwischenzeitlich haben sie sich, weil die ganze Welt zu- sammengebrochen ist, einen neuen Arbeitsplatz suchen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank müssen – und dann noch auf das Amt gehen und sich dort Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) vollkommen nackig machen müssen, dann ist das nicht Eine hohe Arbeitslosenquote war in den letzten zwei akzeptabel. Das ist auch eine Frage von Würde und von Akzeptanz in unserem Sozialstaat. (B) Jahrzehnten häufig der Fall. In meinem Wahlkreis hatte (D) ich eine Arbeitslosenquote von 20 bis 25 Prozent. Jetzt (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sind es zum Glück nur noch 6 oder 7 Prozent. Das ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch ein Erfolg unserer Arbeit. Deswegen unterstützen wir Sozialdemokraten Hubertus (Beifall bei der SPD) Heil da ganz klar. Wenn Menschen arbeitslos werden, sollen sie nicht als Bittsteller auftreten und Angst davor haben müssen, (Kai Whittaker [CDU/CSU]: 2 Euro Renten- ihren kompletten sozialen Status zu verlieren. Das wol- unterschied zwischen Vollzeit und Teilzeit, len wir Sozialdemokraten nicht, sondern wir wollen, dass Herr Kollege! Respektlos ist das!) der Sozialstaat dann helfend zur Seite steht und dass ein – Herr Whittaker, ich sage noch etwas zu dem Punkt Rechtsanspruch besteht. Das ist das, was wir mit unse- „Finanzierbarkeit und Bedürftigkeit“. Wir haben in den rem Konzept grundsätzlich unterstreichen. letzten Jahren, auf die ich mich jetzt beziehe, zwei Große (Beifall bei der SPD) Koalitionen gehabt. In beiden Koalitionen hat sich die CDU/CSU immer für die Mütterrente besonders starkge- Das ist der Unterschied. Das ist auch in Ordnung. Ich macht. Dafür haben Sie vorher weder eine Finanzierung finde, es ist gut, dass wir Unterschiede zwischen den po- in Ihrem Konzept gehabt, noch gab es eine Bedürftig- litischen Parteien haben. Es muss sich auch zeigen, wo keitsprüfung. Die bekommt jeder. Wir erwarten, dass das da die Fronten in etwa sind; denn die ökonomischen Fra- auch für die Grundrente für diejenigen gilt, die jeden Tag gen sind die zentralen, die entscheidenden Fragen, die arbeiten gegangen sind. die Menschen in Deutschland interessieren. Ich finde es gut, dass wir darüber streiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Jetzt zu den Kosten der Grundrente. Da wurde ja der Mütterrente wird angerechnet bei der Grund- Teufel an die Wand gemalt, was das alles kosten würde. sicherung! Das wissen Sie auch!) Ich sage: Pi mal Daumen sind es vielleicht 6 Milliarden Euro pro Jahr, je nachdem, wie sie ausgestaltet wird. Ei- Kolleginnen und Kollegen, liebe FDP, vielen Dank für nen solchen Betrag, meine Damen und Herren, haben diese Aktuelle Stunde. Wir Sozialdemokraten wollen die wir in dieser Koalition mehrmals im Jahr zusätzlich ge- Diskussion über die Zukunft unseres Sozialstaats und des leistet. Wir werden das, wenn wir das politisch wollen, Zusammenlebens in diesem Jahr in Deutschland weiter- auch jetzt schaffen, und zwar für diejenigen Rentner, die führen. Wir wollen das auch hier im Bundestag entschei- 35 Jahre lang gearbeitet haben, aber vielleicht tariflich den. 9554 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Vielen Dank. Im Ergebnis bedeutet dies Steuererhöhungen. Wir brau- (C) chen aber keine Steuererhöhungen in diesem Land, son- (Beifall bei der SPD) dern Steuersenkungen. Wir brauchen eine Entlastung für die Fleißigen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Widerspruch bei der SPD) Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kol- lege Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion. Dafür stehen wir als Union; denn es geht immer darum: (Beifall bei der CDU/CSU) Erst erwirtschaften, dann verteilen. Das ist das Prinzip, von dem wir uns leiten lassen.

Stephan Stracke (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Benjamin Strasser [FDP]: Hört! Hört!) Herren! Es ist keine zwei Wochen her, da hat Bundes- Die wirtschaftlichen Erfolge in diesem Land sind in finanzminister Olaf Scholz eine Finanzlücke im Bun- den letzten Jahren nicht vom Himmel gefallen. Das ist deshaushalt von fast 25 Milliarden Euro entdeckt. Was der Erfolg der vielen Menschen, die arbeiten, Steuern ist nun die Antwort, wenn einem Sozialdemokraten das zahlen, sich um ihre Familien kümmern und die letzt- Geld ausgeht? Sparen? Nein. Er legt milliardenschwere endlich auch durch ihr vielfältiges soziales und ehren- Sozialpakete auf, ohne Preisschild und ohne zu sagen, amtliches Engagement für den sozialen Zusammenhalt in wer das alles bezahlen soll. Das ist unseriös und hat mit dieser Gesellschaft sorgen. Deswegen schauen wir nicht Glaubwürdigkeit in der Politik, Herr Kollege Schneider, ausschließlich auf diejenigen, die die Hilfe des Sozial- nichts, aber auch gar nichts zu tun. staates brauchen, sondern wir haben auch die Millionen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fleißigen Menschen im Blick, die diesen Sozialstaat mit ihren Beiträgen und Steuern finanzieren. Man kann Geld Die Vorschläge von Frau Nahles gehen in die falsche eben erst dann verteilen, wenn man es erwirtschaftet hat. Richtung. Man sieht: Die Sozialdemokraten finden ein- fach keinen Frieden mit ihren Arbeitsmarktreformen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wie ist das mit dem Soli, mit den 10 Milliarden Euro?) Sozialpolitik auf Pump – das lehnen wir ab. Statt stolz auf die Erfolge zu sein, arbeiten Sie sich an Wir wollen Arbeit finanzieren, nicht Arbeitslosigkeit. der Vergangenheit ab. Das zeigt: Die SPD präsentiert Wir sorgen dafür, dass der Staat den Menschen in Notla- gen zur Seite steht. Wer Hilfe benötigt, muss diese selbst- (B) sich als nichts anderes als eine Selbsthilfegruppe zur (D) Hartz‑IV-Traumabewältigung. Deutschland ist aber verständlich auch erhalten. Dafür steht Deutschland mit wichtiger, als nur eine solche Traumabewältigung durch- einem der besten Sozialsysteme auf dieser Welt. Unser zuführen. Ziel ist es, dass möglichst wenige Menschen auf diese Hilfe angewiesen sind. Ein selbstbestimmtes und erfüll- (Beifall des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP] – tes Leben sollte auf eigenen Beinen erfolgen und eben Katja Mast [SPD]: Das ist ja billig, Stephan!) nicht in Abhängigkeit vom Sozialstaat. Deutschland verlangt Antworten auf die Fragen der Zu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und kunft. Die geben wir als Union, meine sehr verehrten Da- der FDP) men und Herren. Unser Leitbild als Union ist ein aktivierender Sozi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – alstaat. Wir wollen die Menschen aus der Abhängigkeit Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: herausführen, sie wieder in Arbeit bringen. Unser Leit- Bei den CDU-Werkstattgesprächen?) bild ist kein Fürsorgestaat, der die Menschen mit Still- Wir wollen weiterhin eine Politik für Wachstum, Ar- halteprämien so lange wie möglich alimentiert und Ar- beit und Wohlstand. Gerade jetzt wird dies immer deut- beitslosigkeit finanziert. Solche arbeitsmarktpolitischen licher . Wir gehen von gravierenden weltwirtschaftlichen Instrumente von vorgestern schaden den Menschen; sie Veränderungen aus: Handelskonflikte, Protektionismus, nützen ihnen nicht. Deswegen werden wir diese Instru- Zölle, jetzt der Brexit. Diese Entwicklungen sind für ein mente auch nicht ergreifen. Exportland wie Deutschland besonders bedeutend. Erst- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und mals seit langem ging das Wachstum auch in Deutschland der FDP) zurück. Wir brauchen jetzt eine mutige und entschlossene Politik, die die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer Sozial- in den Mittelpunkt stellt. Wir brauchen keine milliarden- leistungen bezieht, muss Gegenleistungen erbringen. Es schweren Zusatz- und Ausgabenprogramme im Sozial- ist allein schon eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber bereich. Die bedeuten doch letztendlich nichts anderes der Gemeinschaft, die die Arbeitsuchenden letztlich in als Steuererhöhungen. Es ist doch verräterisch, dass bei einer schweren Zeit unterstützt. all den Themen, die jetzt hochgespielt werden, nichts zur Finanzierung vorgelegt wird. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Der Wahlkampf in Bayern war doch (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Und wie vorbei! Das ist eine Parteitagsrede, die Sie hier ist es beim Soli mit der Finanzierung?) klopfen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Februar 2019 9555

Stephan Stracke (A) Solidarität ist keine Einbahnstraße. Herzliches Dankeschön. (C)

Wir wollen letztendlich die Erfolge der Hartz-IV- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Agenda fortschreiben. Dazu gehört für den Bereich des Hartz‑IV-Systems auch das Prinzip des Forderns und Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Förderns: Unterstützung für die, die sich anstrengen. Vielen Dank, Herr Kollege Stracke. – Die Aktuelle Aber auch umgekehrt: Sanktionen für diejenigen, die Stunde ist beendet. sich Arbeitsperspektiven verweigern. Wir wollen keine Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Rolle rückwärts, sondern wir halten an einer Politik für ordnung. Wachstum, Arbeit und Wohlstand fest. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tages auf Mittwoch, 20. Februar 2019, 13 Uhr, ein. Für die CSU auch schwierig mit rückwärts!) Die Sitzung ist geschlossen. Das ist die richtige Politik für Deutschland. (Schluss: 15.32 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019 9557

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Altmaier, Peter CDU/CSU Kemmerich, Thomas L. FDP

Annen, Niels SPD Kiesewetter, Roderich CDU/CSU

Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ Kleinwächter, Norbert AfD DIE GRÜNEN Kolbe, Daniela* SPD Barnett, Doris SPD Kramme, Anette SPD Bas, Bärbel SPD Krellmann, Jutta DIE LINKE Behrens (Börde), Manfred CDU/CSU Lamers, Dr. Dr. h. c. Karl A. CDU/CSU Bellmann, Veronika CDU/CSU Launert, Dr. Silke CDU/CSU Bleser, Peter CDU/CSU Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU Brandl, Dr. Reinhard CDU/CSU Liebich, Stefan DIE LINKE Bülow, Marco fraktionslos (B) Lindner, Christian FDP (D) Burkert, Martin SPD

Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ Maas, Heiko SPD DIE GRÜNEN Magwas, Yvonne* CDU/CSU Elsner von Gronow, Berengar AfD Middelberg, Dr. Mathias CDU/CSU Erndl, Thomas CDU/CSU Mieruch, Mario fraktionslos Felgentreu, Dr. Fritz SPD Müller (Erlangen), Stefan CDU/CSU Freitag, Dagmar SPD Müller, Claudia BÜNDNIS 90/ Gabriel, Sigmar SPD DIE GRÜNEN

Gerster, Martin SPD Nick, Dr. Andreas CDU/CSU

Gminder, Franziska AfD Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Grundmann, Oliver CDU/CSU Özoğuz, Aydan SPD Hahn, Florian CDU/CSU Pilger, Detlev SPD Hakverdi, Metin SPD Post, Florian SPD Heinrich, Gabriela SPD Remmers, Ingrid DIE LINKE Held, Marcus SPD Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ Heßenkemper, Dr. Heiko AfD DIE GRÜNEN 9558 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019

(A) Energie 2017: Gezielt vorgehen, Stückwerk ver- (C) Abgeordnete(r) meiden Drucksachen 18/13680, 19/1409 Nr. 16 Rouenhoff, Stefan CDU/CSU – Unterrichtung durch die Bundesregierung

Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ Bericht über die Ergebnisse der Arbeit der Markt- DIE GRÜNEN transparenzstelle für Kraftstoffe und die hieraus gewonnenen Erfahrungen Sauter, Christian FDP Drucksachen 19/3693, 19/4325 Nr. 1.11

Schmidt (Aachen), Ulla SPD – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2018/19 des Sachverständigenra- Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU tes zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Schmidt, Uwe SPD Drucksache 19/5800 Schrodi, Michael SPD – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten der Monopolkommission gemäß Schulz, Jimmy FDP § 62 Absatz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes Schulz, Martin SPD Energie 2017: Gezielt vorgehen, Stückwerk ver- meiden Solms, Dr. Hermann Otto FDP Drucksache 18/13680 Straetmanns, Friedrich DIE LINKE hier: Stellungnahme der Bundesregierung Drucksachen 19/6222, 19/6501 Nr. 2 Tausend, Claudia SPD – Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregie- Vaatz, Arnold CDU/CSU rung Jahreswirtschaftsbericht 2019 der Bundesregie- (B) Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE rung (D) Weber, Gabi SPD Drucksache 19/7440 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Si- Weidel, Dr. Alice AfD cherheit Weiler, Albert H. CDU/CSU – Unterrichtung durch die Bundesregierung Achter Bericht der Bundesregierung über die For- Weiß (Emmendingen), Peter CDU/CSU schungsergebnisse in Bezug auf die Emissionsminde- rungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktechnolo- Werner, Katrin DIE LINKE gie und in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen (Achter Emissionsminderungsbericht) Wiesmann, Bettina Margarethe CDU/CSU Drucksachen 19/6270, 19/6501 Nr. 6

*aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Ausschuss für Tourismus – Unterrichtung durch die Bundesregierung

Anlage 2 Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregierung – 18. Legislaturperiode – Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Drucksachen18/12505, 19/1709 Nr. 57 Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- absehen: onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Ausschuss für Wirtschaft und Energie Beratung abgesehen hat. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Inneres und Heimat Sondergutachten der Monopolkommission gemäß Drucksache 19/2773 Nr. A.1 § 62 Absatz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes Ratsdokument 9072/18 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 81 Sitzung Berlin, Freitag, den 15 Februar 2019 9559

(A) Drucksache 19/4344 Nr. A.11 Drucksache 19/5999 Nr. A.9 (C) EP P8_TA-PROV(2018)0315 Ratsdokument 13801/18 Drucksache 19/4978 Nr. A.4 Drucksache 19/7158 Nr. A.29 Ratsdokument 12104/18 Ratsdokument 15475/18 Drucksache 19/4978 Nr. A.5 Ratsdokument 12112/18 Drucksache 19/4978 Nr. A.6 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ratsdokument 12130/18 Drucksache 19/2233 Nr. A.23 Drucksache 19/5999 Nr. A.1 Ratsdokument 7809/18 EP P8_TA-PROV(2018)0428 Drucksache 19/6537 Nr. A.5 Ratsdokument 13731/18 Drucksache 19/7158 Nr. A.30 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ratsdokument 14681/18 Drucksache 19/2623 Nr. A.19 Drucksache 19/7158 Nr. A.31 Ratsdokument 8507/18 Ratsdokument 15268/18 Drucksache 19/2623 Nr. A.20 Ratsdokument 8578/18 Drucksache 19/5999 Nr. A.5 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- Ratsdokument 13312/18 heit Drucksache 19/5999 Nr. A.6 Drucksache 19/6537 Nr. A.7 Ratsdokument 13313/18 Ratsdokument 14204/18 Drucksache 19/5999 Nr. A.7 Drucksache 19/6537 Nr. A.8 Ratsdokument 13314/18 Ratsdokument 14249/18 Drucksache 19/5999 Nr. A.8 Drucksache 19/7158 Nr. A.34 Ratsdokument 13315/18 Ratsdokument 15011/18

(B) (D)

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333