Peter wanner

Kein Weihnachtsmärchen: Im schweizerischen Mittelland herrscht Krieg; zumin- dest für AZ-Verleger Peter Wanner, der hinter der neuen Pendlerzeitung News eine Kampfansage der Tamedia vermutet. Im nächsten Jahr wird es mit dem Burgfrieden innerhalb der Branche endgültig vorbei sein. Doch Wanner setzt auch auf Angriff: Mit seiner Sonntagszeitung “Sonntag” heizt er seinen Zürcher Kollegen trotz Vertriebsproblemen heftig ein. Interview: Matthias Ackeret Bilder: Marc Wetli

Herr Wanner, war 2007 für Sie ein gutes oder ein schlechtes die Vorherrschaft zu erringen oder zumindest einen Teil Jahr? des Werbebudgets zu kapern. Angefangen hat diese un- “Zumindest ein spannendes und anforderungsreiches, selige Entwicklung in Solothurn, als Espace Media eine gleichzeitig aber auch ein erfolgreiches Jahr. Kaum hat- eigene Zeitung lancierte, und dies nur, weil sich die So- ten wir unseren ‘Sonntag’ lanciert, kam der Angriff von lothurner Zeitung der Mittelland Zeitung angeschlos- Tamedia mit News, ein Angriff, der klar auf uns zielt.” sen hatte und man sich die Niederlage nicht eingestehen wollte.” Sie sprachen von Krieg ... “Ja, vielleicht ist dieses Wort etwas ungewöhnlich und Die Berner argumentieren aber, dass die Aargauer auch nichts deftig, aber es umschreibt das, was die Herren von Ta- in Solothurn zu suchen haben ... media im Schilde führen. Sie reden zwar schönfärberisch “Ein Verlagshaus sollte respektieren, wenn eine ange- von Wettbewerb, in Tat und Wahrheit wollen sie den stammte Zeitung mit einem andern Verlagshaus koope- Gegner an die Wand drücken oder gar vernichten. In- riert oder von diesem übernommen wird. Deswegen ak- sofern fürchte ich schon, dass Martin Kall im Begriff ist, zeptiere ich auch den Tamedia-Espace-Deal, auch wenn den totalen Zeitungskrieg in der Schweiz zu entfesseln. ich keine Freude daran habe. Es ist hingegen ein Novum Was mir an der Tamedia-Strategie missfällt, ist nicht nur in der Schweizer Mediengeschichte, dass Verlage plötz- die Skrupel- und Schamlosigkeit, mit der sie neuerdings lich Zeitungen lancieren, um andern zu schaden, nur weil vorgehen, sondern ihre Drohungs-, Einschüchterungs- sie verloren haben. Ähnliches passierte im Kanton Basel- und Verdrängungspolitik. Constantin Seibt, den ich sehr Land, als sich die Basellandschaftliche Zeitung für uns schätze, hat im Tagi mit Recht geschrieben: ‘Es wird Blut entschied, worauf Herr Hagemann aus verletztem Stolz fliessen.’” eine Grossauflage seiner in den Kanton Basel-Land hineinpuschte.” Inwiefern? “Lassen Sie mich ausholen: Noch vor wenigen Jahren Umgekehrt formuliert stellt sich aber die Frage, was ein Aargau- gab es in jedem grösseren Kanton ein Medienunterneh- er Medienhaus im Kanton Solothurn oder im Kanton Basel-Land men, welches im Sinne einer Service-public-Leistung die zu suchen hat? Bevölkerung mit Informationen versorgte. Die Zusam- “Die Solothurner Zeitung gehört einer Stiftung, welche menarbeit mit den andern Verlegern war von gegensei- sich für die Zusammenarbeit mit der Mittelland Zeitung tigem Respekt geprägt. Doch nun findet ein Paradigmen- entschieden hat, wobei wir ihr – gemäss unseren Grund- wechsel statt: Plötzlich marschieren fremde Verleger in sätzen – die publizistische Eigenständigkeit zugesichert ein anderes Gebiet ein und beabsichtigen – ich bin fast haben. Damit wollen wir das Weiterbestehen der Solo- versucht zu sagen: mit ihren publizistischen Truppen –, thurner Zeitung auch in Zukunft garantieren. Dies im Gegensatz zu unserer Konkurrenz, deren einziges Motiv ich mitbekommen, dass Tamedia mit der Konzeptionie- die Marktverdrängung ist. Die gleiche Erfahrung machte rung einer zusätzlichen Gratiszeitung beschäftigt ist. auch Thedy Gut, der Verleger der Zürichsee Zeitung, als Mein erster Gedanke: ‘Einen grösseren Blödsinn gibt es er sich mutig weigerte, der Tamedia seine Zeitung zu kaum. Damit kannibalisieren sie nicht nur ihre eigenen verkaufen, und daraufhin mit einer Tagi-Lokalausgabe Zeitungen in Zürich, Bern und Basel, sondern auch 20 ‘bestraft’ wurde, zusätzlich noch mit einer Grossauflage Minuten.’ Plötzlich wurde mir aber klar, dass News gar des Tages-Anzeigers und wahrscheinlich auch noch mit nicht für Zürich, Bern oder Basel konzipiert ist, sondern News. Einige Konzernbosse akzeptieren offenbar nicht für das Mittelland, also unser Stammland.” mehr, dass eine Zeitung in ihrem angestammten Gebiet über eine historisch gewachsene Struktur und Leser- Eine Verschwörungstheorie? schaft verfügt. Das Beispiel der Tagi-Regionalausgaben “Überhaupt nicht. News hat eine negative Zweckbestim- oder des Solothurner Tagblatts zeigt aber, dass Medien- mung und verfolgt zwei Ziele, die mit Publizistik wenig produkte, die nur aus niedrigen Motiven heraus gegrün- bis gar nichts zu tun haben: Zum einen will man der Mit- det wurden, oftmals floppen und beim Publikum nicht telland- und Aargauer Zeitung im Werbemarkt massiven ankommen. Die Leute durchschauen das. ” Schaden zufügen, zum andern die neue Gratiszeitung .ch an die Wand fahren. Das Monopol von mit Warum findet dann plötzlich ein solcher Paradigmenwechsel fetten Gewinnen von 40 bis 50 Millionen Franken soll so statt? geschützt werden. Daneben hat’s noch den Nebeneffekt, “Diese skrupellosen Methoden, eingepackt in viel dass Tamedia mit Hilfe des Basler Verlegers stärker in den Charme, entsprechen dem Stil der Herren Kall und Stä- Basler Werbemarkt hineinkommt.” heli, welche nach der Devise ‘Die Welt gehört uns und will erobert werden’ handeln. Man könnte es auch als Sie behaupten also, dass sich Herr Hagemann von Tamedia über Monopolkapitalismus in Reinkultur bezeichnen.” den Tisch ziehen liess ... “Diesen Deal hätte ich an seiner Stelle nicht aus freien Das heisst, im Kanton Aargau darf lediglich die Familie Wanner Stücken gemacht. Möglicherweise erfolgte er aber auch eine Zeitung machen ... nicht ganz freiwillig, sondern hat einen Zusammenhang (Lacht) “Nein, überhaupt nicht. Wir haben nichts ge- mit dem Verkauf von Radio Basilisk an den früheren gen Wettbewerb und sind uns gewohnt, dass die Leute Konzernanwalt der Basler Zeitung, Martin Wagner, der auch andere Medien konsumieren. Gleichzeitig ist es sich nun plötzlich als ‘Medienunternehmer’ geriert. Es eine Tatsache, dass wir historisch gewachsen sind, zuerst mutet jedenfalls überraschend an, dass Tamedia, wie als Badener Tagblatt und später als Aargauer Zeitung. man lesen konnte, offenbar nicht dem Meistbietenden Ich weiss nicht, ob die Aargauer plötzlich eine Zeitung verkauft hat, sondern an Herrn Wagner. Kaum aber war aus Zürich lesen wollen. Wir haben in der Schweiz eine Radio Basilisk verkauft, wechselten fünfzig Prozent der föderalistische Struktur, die immer noch sehr hoch ge- Werbeverkaufsfirma bereits zur Basler Zeitung. Das schätzt wird und auch tief verankert ist. Die Aargauer ging ein bisschen sehr schnell. Hier gilt die Erfahrung: wollen keine Zürcher sein und die Zürcher keine Aar- Wem die Radiowerbung gehört, dem gehört mutmass- gauer. Dies widerspiegelte sich bis anhin auch in der lich auch das Radio. Sonst macht das keinen Sinn. Ob- Zeitungslandschaft, doch gewisse Herren wollen diese wohl die Indizienlage nicht ganz klar ist, bleiben doch nun plötzlich mit dem Brecheisen zerstören.” einige Merkwürdigkeiten.”

Was löst das bei Ihnen aus? Niedergeschlagenheit? Nun ist Matthias Hagemann, Verleger der Basler Zeitung, wegen “Im Gegenteil. Das hat mich am Anfang sehr zornig ge- Ihrem Vorstoss in den Kanton Basel-Land nicht besonders gut macht, aber ich empfinde es heute als Verjüngungs- und auf Sie zu sprechen. Aufgrund der geografischen Konstellation Fitnesskur. Wir nehmen natürlich die Herausforderung müsste aber Ihre Beziehung zu Herrn Hagemann viel besser sein, an, keine Frage. Es geht jetzt ein gewaltiger Ruck durch als Sie momentan ist. das ganze Unternehmen. Dieser Angriff setzt ungeahnte “Sie haben recht, aufgrund der momentanen Kräfte- Kräfte frei, auch bei meiner Führungsmannschaft. Wir verhältnisse in der Schweizer Medienszene müssten der erleben überraschende Kreativitätsschübe, und wir wer- Basler Verleger und der Aargauer Verleger die besten den auf einmal schneller und diskutieren weniger lang, Freunde sein. Doch die Sache mit der Basellandschaft- dafür heftig. Ich schliesse nicht aus, dass wir gestärkt aus lichen Zeitung schmerzt ihn immer noch – zu Unrecht. der ganzen Sache hervorgehen.” Aufgrund der historischen Verhältnisse blieb Mathis Lü- din, dem Herausgeber der Basellandschaftlichen Zeitung, Hat Sie der Angriff von News überrascht? keine andere Wahl, als mit uns zusammenzuarbeiten. Nur “Nein, eigentlich nicht. Vor den Sommerferien habe so konnte er die Eigenständigkeit seiner Zeitung auch in Zukunft wahren. Die Basellandschaftliche Zeitung hiess “Bislang noch nicht, aber ich gehe davon aus, dass diese früher ‘Der unerschrockene Rauracher’ und fällt in die noch kommen wird. Es kann ja auch nicht im Interesse Zeit der Basler Kantonsteilung. Damit wollte man dem des Verbandes Schweizer Presse sein, wenn es nur noch Kanton Basel-Land eine eigene Stimme verschaffen. ein oder zwei Verleger gäbe.” Wenn Herr Lüdin an die Basler Zeitung verkauft hätte, hätte er den Gründungszweck seiner Zeitung verraten, Wie hat Tamedia auf Ihre doch ungewöhnlich harten Äusserungen was ihm seine Leser nicht verziehen hätten.” wie “Kriegserklärung” reagiert? “Interessanterweise haben mich die beiden Herren Glauben Sie dies wirklich? Supino und Kall ausgerechnet an jenem Tag zu einem “Ja, solche historischen Begebenheiten sind auch in der Gespräch nach Zürich eingeladen, als sie in einem heutigen Zeit immer noch tief verwurzelt. Herr Lüdin Communiqué bekannt gaben, dass sie schon bald ist der Ansicht, dass die Region Basel auch in Zukunft das Mittelland täglich mit 130 000 News-Exemplaren zwei verschiedene Stimmen benötigt, eine für die Stadt überschwemmen werden. Bei diesem Treffen wollte und eine für das Land. Herr Hagemann ist anderer An- die Tamedia-Spitze ihr Interesse an freundnachbar- sicht. Nach seiner Auffassung benötigt die Region Basel schaftlichen Beziehungen unterstreichen. Da ich ein nur eine Zeitung, nämlich seine. Dass dies Herr Lüdin Gespräch nach einem solchen Angriff – verbunden mit anders sah, kann man uns nicht anlasten. Wir haben le- einem Wortbruch – als überflüssig erachtete, habe ich diglich Mathis Lüdin die Hand geboten, indem wir ihm es abgesagt. Ich finde es paradox, wenn die Tamedia innerhalb unseres Verbundes die Weiterexistenz seiner diesen ziemlich perfiden Angriff als normales markt- Zeitung garantieren. Ist es wirklich so schlimm, dass wir wirtschaftliches Gebaren herunterspielen will. Ich für dieses Gebiet zwei Zeitungen und somit auch publi- weiss aus verlässlicher Quelle, dass man uns mit dieser zistische Vielfalt ermöglichen? Ich glaube, sowohl die Aktion bewusst schädigen will. Die Werbemärkte von Bevölkerung wie auch die Politiker sehen es gleich.” Zürich, Bern und auch Basel hat man bereits unter Kontrolle, nun fehlt nur noch das Mittelland. Man hat Haben Sie den Kontakt mit Herrn Hagemann gesucht? an der Werdstrasse erkannt, dass es sich beim Mit- “Ja, ich habe in verschiedenen Gesprächen, Briefen telland um einen äusserst potenten Wirtschaftsraum und Mails dem Basler Verleger zu verstehen gegeben, handelt, in welchem man bisher noch nicht vertreten dass wir gerne mit ihm kooperieren würden. Ein Medi- war. Indem man eine Gratiszeitung in unser Stamm- enraum Nordwestschweiz wäre die sinnvollste Option, gebiet hineinpumpt, glaubt man gegenüber der Wer- obwohl Herr Kall dies mit allen Mitteln zu verhindern bewirtschaft Leserkontakte im Mittelland ausweisen versucht.” zu können.”

Hat Herr Hagemann Ihnen geantwortet? ... was bereits durch 20 Minuten geschieht, welches auch schon “Ja, aber seine Antwort führte nicht weiter. Er hofft in Ihrem Gebiet verteilt wird. wohl, dass er uns dank seiner Anlehnung an Tamedia “Bei 20 Minuten handelt es sich um eine gesamtschweize- Schaden zufügen kann und so eines Tages günstiger zur rische Konkurrenz, von welcher auch andere Regionen be- bz kommt. Doch dies werden wir zusammen mit Lüdin troffen sind. Im Gegensatz zu den Regionen Zürich oder zu verhindern wissen. Im Übrigen ist es ein gefährliches Bern hat das Mittelland kein eigentliches Zentrum, son- Spiel, sich allzu fest auf die Tamedia einzulassen. Denn dern besteht aus vielen mittelgrossen Städten und Agglo- diese hat langfristig nur ein Ziel: die BaZ abhängig zu merationen. Die Kaufkraft liegt vor allem auf dem Land, machen, um sie sich später einzuverleiben.” in den Einfamilienhauszonen. Deshalb haben es Pendler- zeitungen hier auch viel schwieriger als in den Regionen Alle Exponenten, die Sie jetzt aufgeführt haben, gehören auch Zürich oder Bern, in denen man einfach Zeitungsboxen dem Vorstand des Verbandes Schweizer Presse an. Wie ist die aufstellen kann. Rolf Bollmann, Verantwortlicher des Gra- Stimmung dort? tisblattes und ehemaliger Verlagsleiter des Badener Tag- “Die Stimmung in unserem Club war auch schon bes- blattes, kennt diese Problematik, schliesslich haben wir ihn ser. Die beiden Herren Kall und Stäheli verlassen nun ausgebildet.” den Vorstand, dafür rückt Herr Supino nach. Ich mag es nicht, wenn man sich vordergründig freundlich zu- Sie berufen sich immer wieder auf das berühmte lächelt, gleichzeitig aber die Messer wetzt, sobald man Gentlemen’s Agreement, welches Sie mit dem ehemaligen Ver- einem den Rücken zudreht.” waltungsratspäsidenten der Tamedia, Hans Heinrich Coninx, ab- geschlossen haben. Gibt es keine offene Aussprache innerhalb des Vorstandes über “Gentlemen’s Agreement ist der falsche Begriff. Es han- die letzten Vorkommnisse? delte sich um eine Art gegenseitiges Abschreckungss- zenario nach dem Motto: ‘Wenn ihr eine Zeitung im erfahren wird, hat’s dann nicht geklappt. Heute, glaube Aargau lanciert, machen wir eine in Zürich’, umgekehrt ich, ist die strategische Absicht der Tamedia auf die me- galt: ‘Wenn ihr nach Zürich kommt, kommen wir in den diale und publizistische Beherrschung der deutschen Aargau.’” Schweiz gerichtet. Wer Zürich, Bern und Basel kontrol- liert, dazu Winterthur und den ganzen Thurgau, weiter das Trotzdem beschränken Sie sich selbst nicht auf das Mittelland. Monopol der Gratiszeitungen anstrebt und die Zürcher So ist Ihre Sonntagszeitung “Sonntag” auch am Zürcher Para- Lokalzeitungen zum Verstummen bringen will, hat dieses deplatz erhältlich, während die Limmattaler Zeitung im zürche- Ziel schon fast erreicht. Schliesslich bleiben nebst dem rischen Limmattal zum Verbund der Mittelland Zeitung gehört. Mittelland nur noch Luzern, St. Gallen, Schaffhausen und “Aber dies ist eine historisch bedingte Zusammenarbeit. das Bündnerland als Tamedia-freie Zonen. Aber ich bin Als sich die beiden Besitzerfamilien im Limmattal ent- überzeugt, dass sich die Herren Supino und Kall auch für schlossen haben, ihre Zeitung zu verkaufen, haben sie uns diese Regionen noch etwas einfallen lassen, um ihren Al- vor andern Bewerbern den Zuschlag gegeben. Das Glei- leinbeherrschungsanspruch voranzubringen.” che passierte auch beim Anzeiger von Affoltern, als deren Besitzerin die Zeitung an uns verkaufte und nicht an den Sie haben im Aargau auch ein Medienmonopol ... Tages-Anzeiger. ” “Neuerdings nicht mehr … Natürlich tendiert jedes Un- ternehmen zu einer Marktbeherrschung, man will stär- Und was ist mit dem “Sonntag”? ker und grösser werden. Die Frage aber ist, ob sie besser “Das ist der publizistische Wettbewerb. Auch die Aargau- werden oder den Konkurrenten und Gegner vernichten er Zeitung kann man – genauso wie den Tages-Anzeiger – wollen. Dies ist der entscheidende Unterschied. Wir zum in der ganzen Schweiz kaufen. Warum soll in Zürich nicht Beispiel versuchen nicht, einer Lokalzeitung das Wasser möglich sein, was im Aargau vor Erscheinen des ‘Sonntag’ abzugraben und sie wirtschaftlich abzuwürgen. Wir sind schon lange galt, nämlich eine andere Sonntagszeitung zu für leben und leben lassen. Die eigentliche Aufgabe des lesen? Anders wäre es, wenn wir den ‘Sonntag’ in Zürich Verlegers ist doch die publizistische Versorgung. Diese gratis verteilen würden.” kann nur über Wettbewerb und publizistische Vielfalt erfolgen, nicht über wirtschaftliche Verdrängung und Gibt es solche Pläne? Vernichtung. In einer Demokratie benötigt man die (Lacht) “Im Moment nicht, aber es wäre sicher eine Kontroverse und den Diskurs, nicht den Eintopf. ” Idee wert.” Aber sehen Sie nicht ein bisschen schwarz? Espace Media gehört nun auch zu Tamedia. Die NZZ-Gruppe hat “Nein, überhaupt nicht. Dank unserer famosen Wettbe- ebenfalls mit Verleger Charles von Graffenried verhandelt. Wäre werbskommission ist die Gefahr, wonach Tamedia eines Ihnen die NZZ als Nachbar im Westen lieber gewesen? Tages die ganze Deutschschweizer Zeitungslandschaft “Am liebsten hätte ich mit der Espace Media fusioniert. beherrscht, zumindest, was den Werbemarkt angeht, Eine Fusion zwischen Aargauer und nicht von der Hand zu weisen. Wenn Herr Lamunière hätte publizistisch und von den Ressourcen her gese- seinen Konzern auch noch an die Zürcher verkauft, be- hen sehr viel Sinn gemacht. Das hätte einen kompakten steht die Gefahr einer monopolähnlichen Pressebeherr- Raum ergeben.” schung in der ganzen Schweiz.”

Warum sind dann Ihre Verhandlungen gescheitert? Aber es gibt für Sie noch andere mögliche Partner wie die NZZ- “Wir selbst haben keine eigentlichen Verkaufsverhand- Gruppe, die Südostschweiz oder im Gratiszeitungsbereich Sacha lungen mit den Besitzern der Berner Zeitung geführt. Wigdorovits? Bei einer Fusion fliesst zum einen viel weniger Geld als “Ich habe keine Berührungsängste und bin für Gespräche bei einem Verkauf. Zum andern konnten wir uns nicht in alle Richtungen offen. Ich kann mir eine Zusammenar- über die Nachfolgeregelung in der Nach-von-Graffen- beit mit neuen Partnern bei der Mittelland Zeitung, beim ried-Ära einigen.” ‘Sonntag’, aber auch im Gratiszeitungsbereich vorstellen.”

Da wären Sie gerne Verleger geworden? Haben die Politiker den von Ihnen beschworenen Ernst der Lage “Ja.” überhaupt erkannt? “Soweit ich informiert bin, war der Espace-Tamedia- Was glauben Sie, war die Motivation für die Tamedia, die Espace Deal ein Thema im Bundesrat.” Media zu kaufen? “Die wollten das ja schon lange und waren vor zig Jah- Es müsste Ihnen doch Angst machen, dass der Espace-Deal in ren schon fast am Ziel. Unter Umständen, die man nie Bern keine weiteren Reaktionen ausgelöst hat? “Sie haben recht, in Bern blieb es nach der Bekanntgabe sind’s fünf. Wichtig ist, an diesem Markt teilzuhaben, des Espace-Tamedia-Deals erstaunlich ruhig. Wir wis- weil eine Gratiszeitung immer auch ein Marketingvehi- sen allerdings nicht, ob und wie viele Leserbriefe und kel für ein Online-Portal ist.” Reaktionen unterdrückt worden sind. Vor zehn Jahren wäre dies wahrscheinlich noch anders gewesen, hätte es Wie beurteilen Sie .ch? lauten Unmut gegeben.” “Das ist eine delikate Frage, denn .ch ist ein Kunde von uns. Sagen wir’s mal so: Die Zeitung ist gut gemacht, hat Zurück zur Ihrer Strategie: Wie sieht Ihre Antwort auf News aber ein Vertriebsproblem.” aus? “Unsere Gratiszeitung muss – erstens – News abwehren, Ähnlich wie “Sonntag” ... zweitens qualitativ gut sein und drittens sich auch rechnen “Wir hatten ähnliche Probleme, arbeiten aber mit lassen. Das Projekt kommt Ende Jahr vor den Verwal- Hochdruck an deren Behebung. Was die Zeitung selbst tungsrat und wird auch den Partnern der Mittelland Zei- angeht, so macht unsere Redaktion einen hervorra- tung vorgelegt. Die Idee ist, doppelt so viel Auflage und genden Job. Wir haben es auf Anhieb geschafft, auf damit doppelt so viele Leser im Mitteland zu haben, und Augenhöhe mit den Konkurrenzblättern zu sein. Das dies zu einem äusserst attraktiven Preis. In einer zweiten attestieren uns alle Fachleute und Mediengurus, viele Phase ist es denkbar, über unsere Grenzen hinaus zu ex- Kunden und Leser. Unser Modell ist insofern einzig- pandieren. Dazu muss man lediglich die Druckmaschinen artig, weil wir für die Regionen einen eigenen Lokal- länger laufen lassen und den entsprechenden Vertrieb teil produzieren. Konzipiert ist der ‘Sonntag’ als siebte organisieren. Wir haben momentan allerdings ein kleines Ausgabe der Mittelland Zeitung mit einer abonnierten Problem, weil wir nebst 20 Minuten (Ausgabe Romandie) Auflage von 210 000 Exemplaren. Für den nationalen noch .ch drucken.” Markt platzieren wir 30000 Exemplare an den Kiosken. Wir werden im Frühling sehr gute Leserzahlen aus- Sie verdienen also indirekt an der Tamedia ... weisen können. Neuerdings erreichen uns immer mehr (Lacht) “Der Druckauftrag für 20 Minuten wurde von Anfragen ausserhalb unseres Verbreitungsgebiets, ob der Tamedia auf Herbst 2008 gekündigt. Das ermöglicht man den ‘Sonntag’ auch separat abonnieren kann. Und uns zusätzliche Druckkapazitäten, bei .ch müssen wir natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir noch einen schauen, wie stark die Auflage erhöht wird. Es ist in un- weiteren Verlagspartner für unser Projekt ‘Sonntag’ ge- serem Verbund ein Phänomen, dass jeder einzelne Verle- winnen könnten.” ger selber drucken will. Mein Ziel wäre ein gemeinsames Druckzentrum gewesen, in welchem man Synergien hät- Haben Sie bereits Interessenten? te nutzen können. Doch dies ist leider nicht zustande “Wir haben mit der Neuen Luzerner Zeitung Gespräche gekommen: Zuerst haben die Solothurner eine eigene geführt, doch im Moment liegt die Entscheidung bei der Druckmaschine gekauft, später die Zofinger, und jetzt NZZ. Es wird sicher Frühling, bis hier Entscheide fal- kommen noch die Oltner. Auch die Basellandschaftliche len.” Zeitung verfügt über eine eigene Druckerei. Ein Vorteil aber hat dieses Konzept: Koordiniert man diese Stand- Gibt es noch andere Verleger, die Interesse bekunden, beim orte richtig, so hat man genügend Druckkapazitäten.” “Sonntag” mitzumachen? “Wir haben verschiedene Gespräche geführt, das In- Wann starten Sie mit Ihrer eigenen Gratiszeitung? News er- teresse ist vorhanden. Namen will ich aber noch keine scheint bereits in einigen Wochen. nennen.” “Frühestens im Frühling 2008. Wir wollen nichts über- stürzen.” Wie haben Sie eigentlich Ihre Nachfolge geregelt? “Die Frage kommt noch ein bisschen früh. Ich habe Aber kannibalisieren Sie mit einer eigenen Gratiszeitung die Mit- vier Kinder: Mein älterer Sohn schliesst nächstes Jahr telland Zeitung nicht noch zusätzlich? sein Studium Law & Economics in St. Gallen ab, er “Selbstverständlich ist das eine Crux. Wenn man es aber hat Interesse einzusteigen. Die ältere Tochter studiert richtig macht, sollte man sich selbst nicht allzu sehr kon- derzeit in New York Political Science, die jüngere kurrenzieren.” Tochter in China Chinesisch. Der jüngere Sohn geht noch in die Kantonsschule. Für mich ist in jedem Fall Rolf Bollmann sagte im letzten “persönlich”-Interview, dass der wichtig, dass meine Kinder nicht oben einsteigen, Schweizer Markt lediglich zwei Gratiszeitungen vertrage. wenn sie sich fürs Unternehmen interessieren, sondern “Zwei bis drei Zeitungen, wenn nicht deren vier, ver- die ‘Ochsentour’ absolvieren und sich journalistische trägt der Markt, ich glaube eher an drei. Im Moment Erfahrung aneignen. Das musste ich auch, und es hat nicht geschadet. Derzeit fühle ich mich allerdings abso- lut fit, um das Unternehmen noch ein paar Jahre zu füh- ren. Ich habe ein hervorragendes Team um mich herum, mittelfristig werde ich aber die operative Führung ab- geben und mich auf die Verleger-Position zurückziehen. Obwohl schon immer kampfesfreudig, setzt die aktuelle Lage in mir neue Energien frei: Dank zusätzlichen Ad- renalinstössen fühle ich mich in Form wie in den besten Zeiten.”

Jetzt haben Sie in einem Brief die aargauischen Gemeindebehör- den aufgefordert, bei der Bewilligung von Ständern und Boxen für die Gratiszeitung News auf öffentlichem Grund “sehr zurück- haltend”, wenn nicht sogar “ablehnend” zu sein. Widerspricht ein solches Schreiben nicht Ihrem liberalen Gedankengut? “Nein. Ich habe nichts gegen einen publizistischen Wett- bewerb, aber ich habe etwas gegen eine ‘Competitors Strangulation Strategy’. Ich wollte den Gemeindebe- hörden mit dem Brief vor Augen führen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem ‘Service public’, den wir tagtäglich erbringen, und den Gratiszeitungen, die sich darum foutieren und die den abonnierten Tageszei- tungen das Wasser abzugraben versuchen. Beides ist auf die Dauer nicht zu haben: Service public und Gratispos- tillen. Nur dies wollte ich die Behörden wissen lassen. Leider hat man das Zitat aus dem Zusammmenhang ge- rissen und so zugespitzt, dass es hiess: ‘Wanner ruft nach dem Staat.’ Das ist Quatsch.”