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SWR2 Wissen Kalaschnikow Karriere und Fluch einer Wunderwaffe Von Immo Sennewald

Sendung: Mittwoch, 23. September 2015, 8.30 Uhr Redaktion: Detlef Clas Regie: Iiris Arnold Produktion: SWR 2009 / 2015

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MANUSKRIPT

Durchladen einer Kalaschnikow

Autor: Wenn ein Flüchtling an der innerdeutschen Grenze dieses typische Geräusch vernahm, hatte er verloren: Das Geräusch machte ein Posten, der sein Sturmgewehr durchlud. Manche, die trotzdem zu entkommen suchten, hörten das typische Feuern dieser Waffe schon nicht mehr.

Feuerstöße

Ansage: Klaschnikow: Karriere und Fluch einer Wunderwaffe Eine Sendung von Immo Sennewald

Autor: Das sowjetische Sturmgewehr „Awtamat Kalaschnikowa“, bei der „Nationalen Volksarmee der DDR“ als Maschinenpistole oder kurz „MPi K“ bezeichnet, ist heute die erfolgreichste und meistverbreitete Kriegswaffe aller Zeiten. Sie trägt den Namen ihres Erfinders, des Ingenieurs Michail Kalaschnikow. Ihre Geschichte beginnt im Zweiten Weltkrieg, und zu dieser Geschichte gehört auch ein deutscher Konstrukteur aus : Hugo Schmeisser.

Liszt „Les Préludes“ („OKW-Fanfare“)

Sprecherin: 1943 vergab das nationalsozialistische Rüstungsamt an die Suhler Waffenfirma Haenel den Auftrag, eine moderne, automatische Infanteriewaffe zu bauen, die an Feuerkraft, Treffgenauigkeit und Robustheit allen anderen überlegen war: einen Maschinenkarabiner. persönlich setzte dafür den Namen „Sturmgewehr 44“ durch.

Autor: „Sturmgewehr“ – das ist nationalsozialistisches Wortgebraus, waffentechnisch besagt der Name wenig. Aber es ging um etwas Neues: wirksamer als Maschinenpistolen, mobiler und mit weniger Rückstoß als herkömmliche Karabiner.

Sprecherin: Die Neuentwicklung musste auf Veränderungen in der Kampftaktik des Ersten Weltkrieges reagieren. Statt bei offenen Feldschlachten stießen Menschenmassen in 2

Sturmangriffen und beim Nahkampf um Bunker und Schützengräben aufeinander. Mobile Technik wurde eingesetzt, vor allem Panzer. Weit reichende Schützenwaffen – also Karabiner wie der deutsche K98, mit denen man Gegner auf über 300 Meter Entfernung treffen konnte – waren bei solchen Stellungskämpfen sinnlos. Stattdessen brauchten die Soldaten mehr Feuerkraft auf kurze Distanzen, schnelle Schussfolgen, leichtere, handlichere Gewehre und die entsprechende Munition.

Autor: Die Stadt Suhl in Thüringen hat eine jahrhundertealte Tradition in der Waffenherstellung und ein weithin bekanntes Museum. Dr. Hans-Jürgen Fritze, dem Fachmann für die Kriegswaffen, merkt man Stolz auf diese Tradition an, wenn er heute über die Erfindung des „Sturmgewehrs 44“, spricht:

O-Ton – Dr. Hans-Jürgen Fritze: Wir haben das wirklich Neue bei dem Maschinenkarabiner 42H bei Karl Gottlieb Haenel entwickelt, und dort auch Schmeisser als Hauptkonstrukteur – Hugo Schmeisser. Natürlich hat er von allen guten Maschinenwaffen das Beste genommen, er hat also nicht was vollkommen Neues entwickelt – wie das alle Konstrukteure gemacht haben – und eine Waffe entwickelt, die wirklich gut war und es als Standardwaffe dann nach dem Zweiten Weltkrieg für alle Industrienationen und für alle kriegführenden Staaten der Welt Standardwaffe als Sturmgewehr geworden ist. Also das heißt ganz konkret: Der Maschinenkarabiner 42, durch Hugo Schmeisser bei Haenel entwickelt, hat sich dann mit einigen Zutaten von Karl Walther, Zella-Mehlis, Verbesserungen, zum „Sturmgewehr 44“ entwickelt, also die Begriffe „Maschinenkarabiner 42“, „MP43“, „MP44“ sind alle identisch.

Liszt „Les Préludes“ („OKW-Fanfare“)

Sprecherin: Für den Russlandfeldzug hatte das Führerhauptquartier Franz Liszts „Les Préludes“ zur Fanfare erkoren; mit musikalischem Pathos kündigte sie neue Blitzkriege im Osten an. Die Strategie hatte seit 1939 funktioniert: Mit gewaltiger technischer Übermacht waren Polen und Frankreich überrannt worden. Die Infanterie operierte, unterstützt von Görings und den Stahlwalzen der Panzer, schnell und mobil. Tatsächlich war Sowjetrussland anfangs dem Ansturm nicht gewachsen. Stalins Truppen wurden aufgerieben, Mängel in der Bewaffnung und Ausbildung waren katastrophal. Es hatte nicht einmal jeder Soldat ein eigenes Gewehr.

Autor: Es ist eine merkwürdige Wendung der Geschichte, dass ausgerechnet der Sohn eines von der Sowjetmacht enteigneten, gedemütigten und deportierten

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Großbauern, eines sogenannten Kulaken, sich die Demütigung der Roten Armee besonders zu Herzen nimmt.

Sprecherin: Michail Timofejewitsch Kalaschnikow, ausgebildet als Schlosser, seit 1938 beim Militär, wird als Panzerfahrer 1941 verwundet, hört im Lazarett vom Elend der schlechten Bewaffnung, will den deutschen Gewehren etwas Besseres entgegensetzen. In einem Dokumentarfilm aus dem Jahr 2000 sagt er über sich selbst:

O-Ton – Michail Kalaschnikow, darüber Übersetzung: Ich heiße Michail Timofejewitsch Kalaschnikow. Mein Leben lang habe ich mich mit der Konstruktion von Schusswaffen befasst. Das tat ich eigentlich – anders kann ich es nun mal nicht sagen – der Deutschen wegen. Hätte es keinen Krieg gegeben, hätte ich mich vermutlich mit der Herstellung friedlicher Gerätschaften beschäftigt. Der Krieg richtete meine konstruktiven Ideen auf die Waffenproduktion aus. Seither gehe ich diesen Weg, erfinde Waffen zur Verteidigung meines Vaterlandes. Ich hätte nie gedacht, dass meine Waffe an internationalen Konflikten beteiligt sein könnte und so weiter. Ich wiederhole noch einmal: Ich habe Waffen immer nur zur Verteidigung der Heimat gemacht.

Sprecherin: Der Film, nach höchsten staatlichen Ehrungen Kalaschnikows zu dessen 80stem Geburtstag für arte produziert, porträtiert Erfindung und Erfinder – sagt aber nichts über die besondere Beziehung zu den deutschen Konstrukteuren und Herstellern in Suhl. Jedenfalls kam Kalaschnikows Sturmgewehr zu spät für den Kampf gegen die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Erst 1947 wurde es serienreif.

Autor: Äußerlich ähnelt die AK-47 dem deutschen Sturmgewehr 44; hartnäckig hält sich auch nach 60 Jahren die Legende, die Kalaschnikow sei eine Kopie. Tatsächlich erfüllt sie dieselben taktischen Anforderungen, verschießt denselben Munitionstyp – die sogenannte Mittelpatrone. Wie viel Suhler Know-how steckt noch in der Kalaschnikow?

O-Ton – Dr. Hans-Jürgen Fritze: Die Konstruktionsunterlagen für das Sturmgewehr 44 lagen bei Haenel 1945. Die Amerikaner haben’s nicht mitgenommen, aber die Russen haben’s mitgenommen. Ich kann auflisten ca. 1000 Blatt Konstruktionsunterlagen, die 1945 – Ende 1945 – nach Ischewsk gegangen sind, über Moskau nach Ischewsk, wo jedes Detail des Maschinenkarabiners bzw. des Sturmgewehres aufgeführt ist.

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Sprecherin: Schon während des Krieges hatten die russischen Techniker Beutewaffen aus Suhl analysiert. Aber Kalaschnikow hat auch von amerikanischen Systemen gelernt: den sogenannten Drehverschluss übernimmt er vom Garand-Gewehr. Es ist der wesentliche konstruktive Unterschied zur deutschen Waffe, die einen „Kippblockverschluss“ hat, und einer der Gründe für die Überlegenheit der Kalaschnikow.

O-Ton – Dr. Hans-Jürgen Fritze: Sie ist erprobt worden im Wüstensand, unter Wasser, bei Hitze, bei Kälte, das konnte das Sturmgewehr 44 noch nicht, die war so fein gearbeitet am Anfang in der Toleranz, dass sie immer Versager gehabt hat, und deshalb gab es dann bei Kriegsende das sogenannte „Entfeinerungsprogramm“, d. h. also, die Normen wurde größer gemacht, damit auch das Sandkorn aus der russischen Steppe durchfiel.

Sprecherin: 1946 werden Hugo Schmeisser, Dr. Werner Gruner und andere Konstrukteure zwangsweise als Spezialisten für Waffentechnik für mehrere Jahre in die Sowjetunion verpflichtet. Die deutschen Waffenkonstrukteure wurden am 24. Oktober 1946 in einem Sonderzug direkt in die russische Waffenschmiede nach Ischewsk im südlichen Ural gebracht. Sie treffen aber nicht mit Kalaschnikow zusammen.

Autor: Das ist auch nicht nötig. Sie sollen für die Waffenschmiede der Roten Armee nämlich Wichtigeres schaffen: einen Fortschritt in der Produktionstechnik. Für die Waffe, die robust, leicht zu bedienen und zu warten sein soll, die dennoch präzise treffen muss, braucht es eine hoch leistungsfähige Fertigungstechnik – und die liefern die Deutschen.

Sprecherin: Hugo Schmeisser hat seit dem Ersten Weltkrieg Erfahrung in der Fertigung unterschiedlicher Maschinenwaffen. Ab 1928 lieferte die Firma Haenel bereits die von ihm entworfene Maschinenpistole MP28 an die deutsche Polizei und ins Ausland. Dr. Werner Gruner dagegen kommt ursprünglich aus der zivilen Wirtschaft; Er revolutioniert aber den Bau billiger Maschinenwaffen durch Blechprägetechnik. Erst Gehäuse aus geprägtem Blech, wie sie beim deutschen Maschinengewehr 42 und beim Sturmgewehr 44 angewandt wurden, ermöglichen der Kalaschnikow den Sprung in die echte Massenfertigung. Die aus Stahl gefrästen Gehäuse der ersten Kalaschnikows waren zu schwer, zu aufwändig, zu teuer.

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Autor: Wie viel an technologischem Wissen und Erfahrung sie in die Produktionstechnik einbrachten – darüber schwiegen die Deutschen auf Befehl der Russen nach ihrer Rückkehr in die DDR bis zu ihrem Tod. Hugo Schmeisser starb 1953 in Erfurt, Werner Gruner brachte es bis zum Rektor der Technischen Universität Dresden. Er starb als Emeritus dort 1995.

Ladegeräusch, Kommando „Agon!“ („Feuer!“), Gewehrsalve

Sprecherin: In Korea erscheint der Awtamat Kalaschnikowa erstmals auf einem Kriegsschauplatz; mit Gründung des Warschauer Paktes 1955 wird er Standard- Infanteriewaffe bei allen Verbündeten Moskaus; damals auch dem China Mao Zedongs. Die chinesische Lizenzproduktion überdauert sogar den Bruch der sowjetisch-chinesischen Beziehungen. Zahllose chinesische AK-47 und deren Weiterentwicklungen werden in alle Welt exportiert. Die Kalaschnikow ist reif für die Massenproduktion – dank Blechprägetechnik – und so kehrt der Nachfolger und Gegenentwurf des Sturmgewehrs 44 auch nach Suhl zurück. Sturmgewehr darf er nicht mehr heißen; unter der Bezeichnung „MPi K“ wird er in der DDR in Lizenzfertigung der AK-47 produziert.

Kampfgruppenlied

Autor: Nicht nur „Nationale Volksarmee“, „Volkspolizei“ und Stasi werden von da an mit Kalaschnikows ausgerüstet und üben für den Ernstfall, auch die „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“, eine fast 200.000 Mann starke paramilitärische Truppe.

Sprecherin: In aller Welt verschenken und verkaufen die Ostblockstaaten die AK-47 zu Hunderttausenden an „Nationale Befreiungsbewegungen“, verbündete Heere, neutrale Staaten. Ein beispielloser Siegeszug beginnt und damit auch unsägliches Leid für Millionen Menschen. Wie überlegen die AK-47 ist, erfahren zuerst die amerikanischen GIs in Vietnam.

Kriegslärm, Hubschrauber, MG-Feuer

Sprecherin: In den 60er-Jahren führten die Amerikaner als Antwort auf die AK-47 ein neues Automatikgewehr bei ihren Truppen ein, das M16. Eugene Stoner, ein Luftfahrttechniker, hatte es entwickelt. Es war leichter als vergleichbare Waffen, weil statt Stahl und Holz Kunststoffe und Leichtmetalle verbaut wurden, und verschoss 6

Munition, die nur noch halb so schwer war wie das bisherige NATO-Kaliber. Da für den Infanteristen jedes Gramm zählt, wurde das Leichtgewicht anfangs bejubelt. In den Reisfeldern und im Dschungel Vietnams offenbarte es Kinderkrankheiten und Verarbeitungsmängel. Sie kosteten Tausende GIs das Leben. Erfinder Stoner und die Herstellerfirma Colt gerieten politisch unter schweren Beschuss.

Autor: „Woolworth“-Gun wurde zum Schimpfnamen für das M16. Mancher Soldat warf es einfach weg, griff zur bewährten M14 oder besorgte sich vom Gegner eine robustere Kalaschnikow. Damit machte er sich allerdings zur Zielscheibe für die eigenen Leute, denn das Geräusch ist unverwechselbar.

Kalaschnikow im Dauerfeuer

Sprecherin: Zwischen 1963 und 1967 müssen 159 Nachbesserungen am M16 vorgenommen werden, ein schweres Hemmnis für die Serienfertigung, ein tödliches Desaster für die Soldaten. Der Ruhm der Kalaschnikow aber wächst unaufhaltsam: Sie wird zum Symbol des „antiimperialistischen Kampfes“, Mosambik führt sie als Symbol im Staatswappen. Sie bewährt sich auf allen Kontinenten. Im Internet kursieren heute Videos mit Wasserbädern, mit vergrabenen, mit „Hummer“-Jeeps überrollten Kalaschnikows, die danach einfach weiterschießen.

Kalaschnikow durchladen und Feuerstöße

Sprecherin: In den 70er-Jahren wird die Waffe technisch weiterentwickelt – auch in Suhl. Hier dürfen sich die Produzenten rühmen, die Innenverchromung der Läufe zu beherrschen, was den Geschossdurchlauf verbessert und die Lebensdauer verlängert. Außerdem werden zahlreiche Modifikationen für Spezialeinheiten, z. B. Fallschirmjäger oder Scharfschützen, eingeführt. Rund um die Welt gilt nach wie vor: Die Kalaschnikow ist absolut zuverlässig, trotzt den widrigsten Bedingungen und jedes Kind kann sie bedienen. Sie wird zum absoluten Exportschlager.

O-Ton – Michail Kalaschnikow, darüber Übersetzung: Betrachten Sie heute unseren Erdball, dann sehen Sie den „Awtamat“ fast rings um ihn herum ausgebreitet. Das wundert mich nicht, er hat sich einfach deshalb ausgebreitet, weil er absolut zuverlässig ist – deshalb ist er so erfolgreich. Ich denke, das ist für jeden Konstrukteur angenehm, das ist angenehm.

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Autor: Vom Erfolg der Kalaschnikow profitiert auch der Chefexporteur der DDR, ein gewisser Schalck-Golodkowski. Er füllt die klamme Staatskasse auf, indem er in Suhl und Wiesa gefertigte Sturmgewehre massenweise verhökert. Dabei bedient er keineswegs nur Klassenbrüder im antiimperialistischen Kampf, sondern alle Parteien: Iraker und Iraner während des ersten Golfkrieges, Sandinisten und Contras in Nicaragua und – das ist eine besondere Pointe – über Zwischenhändler die USA. Von dort wandern sie zu Mudschaheddin, die damit in Afghanistan auf sowjetische Invasoren feuern. Die Lizenzproduktion aus der DDR tötet Rotarmisten – nicht nur als Beutewaffe. Im arte-Film über Kalaschnikow kommt ein afghanischer Warlord zu Wort; er wird nach seiner Botschaft an den 80-jährigen Michail gefragt:

O-Ton – Afghanischer Warlord, darüber Übersetzung: Eigentlich habe ich keine Botschaft; Man könnte ihm übermitteln, dass die von einem Russen entwickelte Waffe eine wichtige Rolle bei der Vertreibung der russischen Invasoren gespielt hat.

Sprecherin: Geschätzte 100 Millionen Kalaschnikows sind heute in aller Welt unterwegs. Langsam begreifen Politiker, welches Problem den wirtschaftlich und politisch immer enger verflochtenen Staaten in einer Zeit des Terrorismus und der regionalen Konflikte aus der unkontrollierten Verbreitung solcher Kriegswaffen erwächst. Michael Klare, Professor für Friedensstudien am Hampshire College in Massachusetts, bezeichnet „halbwüchsige Männer mit AK-47“ als das „tödlichste aller Kampfsysteme“. Bis zu neunzig Prozent ihrer Opfer sind Zivilisten.

Musikvideo: Guerilla Sound AK-47

Autor: Als „Guerilla Sound AK-47“ findet sich dieses Musikvideo bei YouTube. Kurdische Kämpfer mit Brandsätzen, Automatikwaffen, ein Knäblein von vielleicht zehn Jahren mit Palästinensertuch reckt die Kalaschnikow. Die typischen Geräusche beim durchladen, Schüsse sind zu hören, „um Guerillas und Krieger geht es in dem Rap“. Das mag man als Imponiergehabe testosterongesteuerter Halbwüchsiger abtun – dem friedfertigen Umgang der Völker dient es nicht. Männlichkeitswahn und Feuerwaffen sind eine üble Verbindung, unkontrollierter Waffenhandel lässt sie zu Kriegen eskalieren.

Sprecherin: „Control Arms“ – so heißt eine Kampagne von Amnesty International, Oxfam und anderen Nicht-Regierungsorganisationen, die seit 2003 das öffentliche Bewusstsein dafür schärft und Verantwortliche in Politik und Wirtschaft zur Kontrolle des 8

Waffenhandels drängt. Mathias John, Biochemiker in Berlin, spricht für die deutsche Sektion:

O-Ton – Dr. Mathias John, Amnesty International: Ich glaube, wir waren mit dieser Kampagne wirklich erfolgreich, wir haben sehr viel öffentlichen Druck erzeugen können, unter anderem mit dieser Internet-Galerie: mehr als eine Million Gesichter, die sich für dieses Ziel, Waffen unter Kontrolle zu bekommen, ausgesprochen haben. Wir haben es in dieser relativ kurzen Zeit, zwischen 2003 und 2006, geschafft, mit viel öffentlichem Druck, mit viel Lobby-Arbeit auch diese Kampagne auf die Tagesordnung der Vereinten Nationen zu bringen und dort eine mit überwältigender Mehrheit abgestimmte Resolution zu bekommen, ein solches Waffen-Handelsabkommen zu entwickeln.

Sprecherin: Die Kalaschnikow in ihren vielen Spielarten wird überall auf der Welt nachgebaut. Es gibt keinen Patentschutz; Nachbau und Reparatur sind – das ist nun einmal das Erfolgsrezept der Waffe – kinderleicht. Im Drogenkrieg und in den ethnischen Konflikten Afrikas ist sie dann wirklich in den Händen von Kindern.

O-Ton – Dr. Mathias John, Amnesty International: Wenn wir vor Ort sehen, wenn wir die Betroffenen sehen, die auch selber ja in unserer Kampagne mitmachen, um endlich nicht mehr immer Opfer zu werden, dann sind es in den allermeisten Fällen Kalaschnikows, die dort eingesetzt werden, sei es nun im Bürgerkrieg in Sierra Leone oder in der Demokratischen Republik Kongo, aber auch auf dem lateinamerikanischen Kontinent oder in Südostasien: Immer wieder finden wir diese Waffe, und es ist einfach auch ein Symbol dafür, wie diese sogenannten Kleinwaffen weltweit überall verbreitet sind und unsägliches Leid und Tod über die Menschen bringen.

Sprecherin: Michail Kalaschnikow hat die Frage nach seinen Empfindungen angesichts von Kindersoldaten mit AK-47 in den Händen oder nach Terrorattacken mit dieser Waffe einmal sinngemäß mit dem Gefühl eines Granatsplitters im Körper verglichen. Er bleibe im Gewebe verkapselt, man vergäße ihn wohl über der Alltagsroutine; in gewissen Situationen aber melde sich dann ein brennender Schmerz, der nicht zu ignorieren sei. Dennoch sagt er:

O-Ton – Michail Kalaschnikow, darüber Übersetzung: Wir haben – wie alle Konstrukteure – Waffen zur Verteidigung unseres Staates gemacht. Was daraus dann um ihn herum gemacht wird – daran ist weder der Konstrukteur schuld noch die von ihm entworfenen Muster. Ich wünsche mir, der Menschheit als ein Mensch in Erinnerung zu bleiben, der seinem Staat Waffen zur 9

Verteidigung seiner Grenzen geschmiedet hat; das ist die Hauptsache; so möchte ich im Gedächtnis bleiben, und so und nicht anders wird es auch kommen.

Autor: Der Wunsch wurde 2002 im Suhler Waffenmuseum erfüllt: Mit einer Sonderausstellung. Der damals 82-Jährige erschien persönlich. Über Schalck- Golodkowskis illegale Waffentransfers zum Schaden russischer Soldaten wurde sicher nicht geredet.

Sprecherin: Teile für das Sturmgewehr wurden 2002 schon seit über zehn Jahren nicht mehr in Suhl hergestellt; dabei nährte mancher in der Wendezeit noch die Hoffnung, dass eine originäre Weiterentwicklung im Auftrag von Schalcks Stasifirma „Kommerzielle Koordinierung“ es bis zur Standardwaffe der Bundeswehr bringen könnte. „WieGer“ hieß das neue Sturmgewehr, es basierte auf einer modernisierten Kalaschnikow, verschoss aber NATO-Munition. Der Name „WieGer“ setzte sich aus dem Montagestandort Wiesa in Sachsen und zusammen. Indien hatte einige Tausend Stück bestellt; der Untergang der DDR verhinderte die Auslieferung. Die Bundesrepublik zahlte eine hohe Konventionalstrafe.

Autor: Die Stadt Suhl hat jahrhundertelang von der Kriegswaffenproduktion gelebt. Es gibt ein Schreiben Suhler Bürger, in dem sie ihren König am 12. April 1756 untertänigst bitten, der darniederliegenden Wirtschaft doch möglichst bald mit einem Krieg aufzuhelfen. Diese Stadt muss sich praktisch neu erfinden. Das Suhler Waffenmuseum braucht entsprechende Konzepte. Peter Arfmann leitet das Museum im historischen „Malzhaus“:

O-Ton – Peter Arfmann, Leiter des Suhler Waffenmuseums: Kriegswaffen sind am besten im Museum aufgehoben, und die Stadt Suhl hat sich 1991 bekannt und hat sich beteiligt an dem Aufruf der UNO „Städte und Gemeinden für den Frieden“, und Suhl nennt sich auch „Stadt des Friedens“. Die geschichtliche Entwicklung sieht die Stadt Suhl unter dem Gesichtspunkt „Waffenstadt Suhl“, und unter diesem Spannungsverhältnis ist auch unsere museumspädagogische Arbeit hier im Waffenmuseum Suhl einzuordnen: Wir organisieren viele Vorträge über die Geschichte der Handfeuerwaffen, aber vergessen dabei auch nicht, dass sehr, sehr viele Menschen mit Handfeuerwaffen getötet worden sind.

Autor: Wahrlich: Ein Spannungsverhältnis, denn die Ausstellung erfreut zunächst das Herz von Waffennarren und Fachleuten – Fragen der Moral und Verantwortung sind dagegen ein spröder Stoff. Vor dieser Aufgabe sieht sich auch „Control Arms“. Die 10

Kampagne lässt es nicht bei moralischen Appellen und Lobbyarbeit bewenden. In einem Video, das über YouTube millionenfach abgerufen wird, attackiert sie mit bitterböser Satire den Waffenhandel:

Fiktive Waffenwerbung für die AK-47

Autor: Bei einer fiktiven Werbesendung für die Kalaschnikow in einem Fernsehstudio – natürlich in einem englischen, wo derlei schwarzer Humor à la Monty Python nicht durch Sicherheitsbestimmungen verhindert wird, beweist ein Halbwüchsiger die Durchschlagskraft des Instruments anhand einer Schaufensterpuppe.

Fiktive Waffenwerbung für die AK-47(Fortsetzung)

Sprecherin: Der böse Witz hat leider eine ernste Entsprechung – auch sie ist im Internet jederzeit zu besichtigen. Waffennarren aller Nationalitäten und Altersgruppen brüsten sich mit wüsten Ballerorgien. Es gibt einen Vierjährigen, der vom Papa gestützt mit einer AK- 47 feuert, ein Held lässt sich filmen, wie er mehrere Trommelmagazine à hundert Schuss ins Gelände jagt, so lange, bis das Griffstück der Kalaschnikow in Brand gerät. Ist nicht das eigentliche Problem der in aller Welt vagabundierenden Waffen das Problem der Schießwütigen?

O-Ton – Dr. Mathias John, Amnesty International: Ich bin mir dessen durchaus bewusst, dass das ein großes, schwerwiegendes Problem ist, dass aber mit frühzeitiger Erziehung, glaube ich, können wir so was in den Griff bekommen. Das bedeutet natürlich aber auch, dass wir viel mehr Geld in solche Bildungsprogramme stecken müssen. Es kann nicht sein, dass dann lange Zeit erstmal gar nix getan wird und am Ende dann Probleme mit Gewalt stehen, die dann nur mit sehr viel Geld und sehr viel Gegengewalt wieder in den Griff bekommen werden können. Das sehen wir nicht nur in den Ländern der Dritten Welt, das sehen wir hier genauso auch, und ich glaube, dass da viel mehr Initiative notwendig ist.

Autor: Am 23. Dezember 2013 starb Michail Timofejewitsch Kalaschnikow. Er hat nicht mehr erlebt, dass seine Wunderwaffe in aller Welt eingesammelt wird, weil die Menschheit sich endgültig für die friedliche Lösung von Konflikten entschied. Dass wenigstens der Waffenhandel reguliert und eingedämmt wird, ist dagegen keine Utopie. Es ist eine politische Verpflichtung, an der sich Regierungen heute ebenso messen lassen müssen, wie Konstrukteure und Hersteller von Waffen.

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