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FUSSBALL Der falsche Zug Der Münchner Block gibt den Kampf gegen Christoph Daums Berufung als Bundestrainer verloren. Dabei versprach eine rein sportliche Debatte um das Duo Völler/Skibbe Aussicht auf Erfolg. Vielen gilt Völler längst als bester Nationalcoach seit Franz Beckenbauer.

igentlich hat sich Rudolf Völler an- Völler, 40, eingeladen vom „Höchster gewöhnt, ihn empfangende Men- Kreisblatt“ und vom „Kicker Sportmaga- Eschenansammlungen mit vertraulich zin“, sollte vor 200 Börsenmaklern und emporgestrecktem Daumen zu begrüßen. Bankfachleuten zum Thema Kommerz im Anschließende Willkommensgesten erwi- Fußballsport Auskunft geben. Als er die dert er mit einem eigentümlich konspira- Stative der angerückten Fernsehteams er- tiven Augenzwinkern. spähte, sprach der freundliche Rudi ein un- Ihr wisst ja eh Bescheid, soll das auch gewohnt barsches Machtwort: Alle Kame- zur Abwehr von Fragen oder Ovationen ras sind auszuschalten. eingesetzte Mienen- und Gebärdenspiel Nach knapp einwöchiger Dienstreise mit bedeuten, und: Wir schaffen das schon. der Nationalmannschaft war es der Über- Anfang der vergangenen Woche, abends gangstrainer leid, mit weiteren Fragen über im hessischen Sulzbach, war dem Team- seinen designierten Nachfolger Christoph chef der Nationalelf jedoch zu derlei Mimik Daum behelligt zu werden. Dabei war das, nicht zumute. was „Liebling Völler“ („Express“) dann den Geldmenschen im Taunus über den * Links: mit Michael Skibbe beim 4:1 gegen Spanien am Streit um Kokaingerüchte und vermeintli- 16. August in Hannover; unten: (l.) und Marko Rehmer (r.) gegen die Engländer David Seaman, che Immobilienskandale als seine Meinung

FIRO (ob.); (u.) HORSTMÜLLER Martin Keown beim 1:0-Sieg am 7. Oktober in London. preisgab, an Klarheit kaum zu übertreffen:

Teamchef Völler, deutsche Nationalspieler*: „Ein Messias aus dem Nichts“ REUTERS (li.); WENDE (re.) REUTERS Widersacher Daum, Hoeneß: Streit um Kokaingerüchte und vermeintliche Immobilienskandale

Aus dem Scharmützel werde Daum „letzt- Kontroverse schon jede denkbare Position wehr wird durch eine so genannte Dreier- lich als Gewinner“ hervorgehen. einnahm, mag plötzlich unmissverständ- kette gebildet. Neu auch, dass Trainings- Völler, von jeher ausgestattet mit einem lich verkünden, eine „bessere Kombina- einheiten nicht zur bloßen Bewegungs- feinen Instinkt für Strafraumsituationen, tion“ als das Trainerduett gebe es nicht. therapie veröden, sondern zum Einstudie- dürfte Recht behalten. Das Intrigenspiel Die Sache mit Daum, weiß ein DFB-In- ren der Taktik genutzt werden. scheint gelaufen. sider aus dem Beraterstab der National- Den „neuen Geist im Team“ erklärt sich Die Daum-Gegner hatten es politischen mannschaft, „wird jetzt durchgezogen“. Da der Bayern-Vize Karl-Heinz Rummenigge Drahtziehern gleichtun wollen: einen Kan- gebe es zum einen die mündliche Abrede mit Völlers Fähigkeit, „die Spieler starkzu- didaten durch gezielte Nadelstiche be- mit dem designierten DFB-Präsidenten reden“. Was der Theoretiker Skibbe auf schädigen. Sie befeuerten eine von der Gerhard Mayer-Vorfelder über ein Trainer- dem Reißbrett ertüftelt, versteht der frühe- Boulevardpresse angezettelte moralische gehalt von jährlich „fünf Millionen plus X“. re Nationalstürmer unkompliziert zu ver- Debatte. Doch die konnte Daum durch Zum anderen habe die Fahrt auf der dunk- mitteln – mit Hinweis auf eigene Erfahrung eine Haaranalyse – auch wenn er sie gegen len Nebenstraße der Personaldiskussion in aus der Zeit, als er selbst „ab und zu mal seine Überzeugung auf Druck seines Wer- die Sackgasse geführt: Daum die Verwirk- ein Törchen“ erzielte. bepartners RWE durchführen lässt – vor- lichung seines Lebenstraums zu verwehren So ist Rudi Völler für die Generation der läufig beenden. würde jetzt als Kapitulation vor unbewie- Jungstars wie und Se- Inzwischen halten Mitstreiter dem Bay- senen Drogenvorwürfen ausgelegt. bastian Deisler, was Beckenbauer für Mat- ern-Manager Uli Hoeneß vor, auf den So ist die Chance vertan, jenen Teamchef thäus oder Brehme war: einerseits Idol und falschen Zug aufgesprungen zu sein – indem an die Aufgabe zu binden, den viele Ex- Autorität, andererseits noch einer von ih- er verführerische Meldungen über Daums perten für die beste Besetzung seit Becken- nen. „Er spricht unsere Sprache“, sagt Bal- Lebenswandel bereitwillig kommentierte. bauer halten. Selbst „Bild“, im Fall Hoe- lack. Dessen Berater Michael Becker er- Dabei hätten die Umstürzler nur die neß/Daum auf der Seite des Leverkuseners, klärt, wie die Profi-Twens denken: „Sie sportliche Debatte weiter schüren müssen. zählte traurig vor („Wie schade!“), dass merken, dass ihr Trainer auch eine teure Gegen die Siege des Trainer-Duos Rudi Völ- „Rudi Riese“ nur noch viermal auf der Uhr trägt, ein dickes Auto fährt und eine ler/Michael Skibbe hätte Daum kein ge- Bank zu sehen sei. Die sonst eher bleierne schicke Frau hat wie sie – ein Kicker eben, richtsmedizinisches Institut in Stellung brin- „Frankfurter Allgemeine“ meldete ent- nur mit noch mehr Ahnung vom Fußball.“ gen können. Stattdessen muss der Deutsche rückt: „Aus der Notlösung“ auf der Bank Wie dem Weltmeistertrainer Becken- Fußball-Bund (DFB) den Leverkusener sei „eine Traumkombination geworden“. bauer fällt indes auch dem Seiteneinsteiger Coach jetzt ins Amt setzen – quasi als Scha- Solche Ehrenbezeigungen schaffen das Völler der Erfolg nicht einfach zu. Lever- densersatz für erlittene Demütigungen. Klima, in dem Mahner Hoeneß ursprüng- kusens Manager Reiner Calmund sieht den Dass es ausgerechnet die zwischenzeitli- lich „das eigentliche Problem“ für den freigestellten Bayer-Sportdirektor oft bis che Beschädigung seines Leumunds ist, die Bundestrainer im Wartestand erkannte. spätabends gemeinsam mit Assistent Skib- Daum die Bundestrainer-Zukunft sichert, Daum sah zu, wie sein Statthalter Völler be in einer Loge der BayArena sitzen. hat Hoeneß vorige Woche selbst erkennen die Sympathien der Fangemeinde einstrich Dort, auf der Südtribüne des Stadions, stu- müssen. Erst beteuerte er flau, „die Trag- und das Vertrauen der gleichsam wieder- diert das Trainertandem der Nation die weite“ seiner Anspielungen über den „ver- belebten Nationalspieler gewann. Der eme- Gegner der WM-Qualifikation auf Video. schnupften Daum“ unterschätzt zu haben. ritierte Startrainer Udo Lattek ortete eine Fleiß, Disziplin, Bescheidenheit – diese Dann wirkte sein Versuch, auf die fachliche „Aufbruchstimmung“ dank der „Kultfigur Eigenschaften habe Völler „der Mannschaft Ebene zurückzukehren, hilflos: Er könne Völler“, und Bayern-Coach Ottmar Hitz- eingehaucht“, sagt Calmund, „weil er sie sich auch das Gespann Völler/Skibbe „wun- feld ahnte: Daum werde Schwierigkeiten selbst verkörpert“. Hinzu kommt jene Lei- derbar als Bundestrainer vorstellen“. bekommen, da „plötzlich ein Messias“ auf- densfähigkeit, die einst den Ruuudi-My- Nur kommen alle Einflüsterungen jetzt getreten sei „aus dem Nichts“. thos begründete, als der „Kampfpudel“ zu spät. Da kann nach dem überzeugenden Nun legte der Erlöser im Londoner („Süddeutsche Zeitung“) sich noch mit sei- 1:0-Sieg gegen England Chefanalytiker Wembley-Stadion auch noch seine takti- nem einzigartigen Schaukelschritt durch Günter Netzer („Dieser Teamgeist trägt sche Reifeprüfung ab. In Völlers Spiel- die gegnerischen Abwehrreihen wühlte. eindeutig die Handschrift von Rudi Völ- system, staunte Torwart , sei Den Volksheld-Status hat sich der Sohn ler“) noch so heftig applaudieren. Auch jeder über seinen Auftrag informiert. Das eines Lagerverwalters und einer Näherin DFB-Vize und Bayern-Boss Franz Becken- war beim DFB-Team nicht immer so. aus Hanau nie so recht erklären können. bauer, der als Allzwecklibero in der Daum- Völler verzichtet auf einen Libero, die Ab- Nach seiner Erinnerung fing das mit den

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„Ruuudi“-Rufen bei der Europameister- dem Training zum Bier trafen. Zu jedem schaft 1988 an, als er sich – ohne Kraft und Weihnachtsfest besucht er am Morgen des Form – über den Rasen schleppte und ei- zweiten Feiertags den Stammtisch seines ner „Kampagne“ des „Bild“-Kolumnisten Heimatclubs TSV 1860 Hanau. Paul Breitner ausgesetzt sah. In Zeiten, da Fans über egoistische Mil- Einer, mit dem man feiern, aber auch lionäre schimpfen, kommt eine solche In- leiden kann, wird vom Fanvolk nicht bloß karnation des Teamgeistes überall an. Dass bewundert. Sondern, wie in seinem Fall, die Stimmung also bald zu Gunsten des gleich adoptiert. In Deutschland war „Tan- Idols mit der lustigen Spitznase kippen te Käthe“, wie ihn Mitspieler wegen des könnte, hat neben Hoeneß auch dessen früh ergrauten Kräuselhaars nannten, bald Gegenspieler Calmund schnell gespürt. populär wie Kulenkampff. In Rom brach- So riet der Bayer-Manager dem desi- ten ihm Autoknacker den Mercedes poliert gnierten Völler-Nachfolger Daum vor Wo- zurück, als sie realisierten, wessen Eigen- chen zum Rückzug auf „eine schöne Villa tum sie da erbeutet hatten. am Marmarameer“, weil er festgestellt hat- Für die Bayer AG war Völler auf allen te: „Christoph, du hast nicht mehr den Kre- Kontinenten als guter Geist unterwegs, der dit wie vor zwei Monaten.“ Da trieben Freund Calmund freilich nicht ganz uneigennützi- ge Motive. Der Manager hatte „ein vereinsinternes Thema zu lösen“. Denn auch Leverkusens Spieler lasen Zeitung. Mit jeder Meldung, die die Frage erörterte, ob ihr Coach noch als Bundes- trainer benötigt werde, schwand Daums Autorität im Clubteam. „Die enteiern mir unseren Trai- ner“, argwöhnte Calmund. Tatsächlich murrten Spieler wie und Carsten

TEAM 2 Ramelow über Daums mangeln- Völler-Fans: Inkarnation des Teamgeistes de Kommunikationsbereitschaft. So hoffte Calmund, eine schnel- DFB spannte ihn in die WM-Bewerbung le Absage des Trainers beim DFB würde 2006 ein; sogar der frühere Bundespräsi- das Leverkusener Leistungsklima wieder dent Roman Herzog lieh sich Völler aus, herstellen. Doch als dann Daum selbst mit um ihn beim Staatsbesuch in Namibia und Hinweis auf „Erpressungsversuche“ und Südafrika vorzuzeigen. Deutschland-Re- „Prostituierte“ zu zweifeln begann, beeilte präsentant Rudi zwinkerte dann auch Nel- sich Hoeneß, der im Rheinland losgetrete- son Mandela wie einem Schulfreund zu. nen Lawine zusätzlich Tempo zu verleihen. Inzwischen scheint jede Marotte schon Ein Eigentor, wie man heute ahnt. Bis- stilbildend. Wie Völlers Weigerung, Kra- lang war noch jeder Bayern-Sieg gegen watten zu tragen: Prompt präsentierten Daums Mannschaften auf einen taktischen sich bei der ersten gemeinsamen Presse- Hoeneß-Triumph im verbalen Vorspiel konferenz die DFB-Trainer Skibbe und zurückzuführen. Diesmal half der Bayern- Hannes Löhr sowie Medienchef Wolfgang Manager womöglich aus Versehen, den Niersbach, wider die Gepflogenheiten im Rivalen trotz Völler-Mania ins höchste Trai- Verband, auch ohne Schlips. neramt zu befördern. Dass der Teamchef zuweilen noch wie Leverkusen freut sich derweil auf die ein Lehrling erscheint, macht ihn in der Rückkehr des Helden von Wembley. Als Öffentlichkeit besonders sympathisch. Sportdirektor galt Völler, anfangs nach Cal- Beim ersten Einsatz in Hannover, wo das munds Berechnung der „teuerste Lehrling Publikum jeden Treffer mit „Ruuudi“-Ge- Deutschlands“, letzte Saison als „großer brüll feierte, tapste er noch linkisch über Bruder“ der Spieler, sagt ein Insider. Er die Tartanbahn, weil er nicht wusste, wie war ihr Vertrauensmann, der bei Vertrags- man als Trainer ein Tor beklatscht. In gesprächen für sie Partei ergriff und Audi- Wembley war er vom Auftritt seiner enzen beim Cheftrainer vermitteln konnte. Schüler („ganz, ganz toll“) so gerührt, dass Nach Ablauf des DFB-Intermezzos soll er nach eigenem Bekenntnis Mühe hatte, Bruder Rudi auf Wunsch der Bayer- ein womöglich voreiliges Lob zur Halb- Führung noch näher an die Mannschaft zeitpause zu unterdrücken. rücken und bei den Spielen auf der Bank Nach dem Spiel drückte er der Mann- sitzen. Kandidat für die Daum-Nachfolge schaft in der Kabine sein Bedauern aus, ist, unter anderen, Michael Skibbe. dass man wegen individueller Abflugzeiten So bliebe das neue Traumpaar des Fuß- „schon auseinander gehen“ müsse. Völler, balls vereint. Nicht mehr für Deutschland der sich „im Prinzip als Vereinsmensch“ würde es siegen, sondern für Leverku- sieht, stammt nämlich noch aus der Gene- sen. Keine angenehme Aussicht für den ration, in der sich die Kameraden nach FC Bayern. Jörg Kramer

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