Alpines "Heroen-" und „Vagabundentum“ im Nationalsozialismus Eine Analyse und Reflexion von Darstellungen und deren metaphorischen Verwendungen in Ideologie und Propaganda

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

eines Magisters der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Mathias Carl Theodor Luggauer

am Institut für Geschichte

Begutachter Dr.phil. Eduard Staudinger

Graz 2015

Vorwort

“Bergsteigen bedeutet jedoch auch eine praktisch perfekte Form von Freiheit. Es ist nicht nur ein Sport, sondern vor allem eine Möglichkeit des Ausbruchs, der persönlichen Entdeckungsreise, der Erkundung, von Abenteuer und Kontemplation. [...] Ich bin es leid, Urteile oder Bewertungen abzugeben: Es existiert keine absolute Wahrheit, keine „richtige“ Ethik, keine „wahre“ Art des Bergsteigens. Auch ich bin manchmal – und das war sicherlich ein Fehler – in die Falle getappt und habe Definitionen geliefert. Rückfällig will ich nun wirklich nicht werden.“1

Für sich selbst hat der italienische Spitzenbergsteiger Simone Moro einen Schlussstrich unter das Kapitel einer allgemein gültigen Begriffsbestimmung des „Alpinismus“ gezogen und will ihn vorderhin möglichst frei und selbstbestimmt auslegen, ist dies doch der Gehalt des Bergsteigens selbst. Die Diskussion um sein „Wesen“ begleitet den Alpinismus grundsätzlich seit seinem Aufkommen und wird in absehbarer Zeit wohl auch kein Ende nehmen. Die „Selbstsuche“ und „-vergewisserung“ am Berg, das Ausleben des Individualismus unter extremsten Gefahren sowie die Konfrontation mit scheinbar „übermenschlichen“ Gewalten und Eindrücken veranlassen jeden einzelnen mehr oder minder ambitionierten Bergsteiger seine persönliche Lösung auf die Sinnfrage nach dem „Gang in die Berge“ aus sich selbst zu schöpfen und wird auch nur zu gerne mit der Sinnfrage der eigenen Existenz verknüpft. Einigkeit unter den Bergsteigern herzustellen ist bisher nicht gelungen, eine gewisse Schnittmenge an verbindenden bzw. trennenden Charakteristika hat sich aber im Laufe der Zeit durch die Akzeptanz und Adaption einer wortführenden, weil zumeist bergsportlich erfolgreichen, Mehrheit herauskristallisiert. Um einen ersten Zugang zu dieser heiß umfehdeten Materie zu legen und den/die LeserIn sowie den Verfasser dieser Arbeit für die Komplexität des Begriffs bzw. der mitschwingenden Klänge von „Ethik“, „Philosophie“, Ideologie und Sozialkonzepten zu sensibilisieren, wollen wir nun einige wenige „Charakterdeutungen“ und Motive des Alpinismus oder eines Alpinisten bzw. einer Alpinistin anführen. Bisweilen wird versucht den Begriff und die Bedeutung allseitig und sehr weit zu umfassen, bisweilen wird er sehr offen und abstrakt beschrieben und mitunter wird in der Beantwortung dieser irrationalen Frage auch auf ein Ergebnis verzichtet, nur eine Inspiration geboten und dem/der LeserIn angetragen, selbst Weg und „Wanderung“ zu wagen.

1 MORO Simone, In Eiseskälte. Die Achttausender im Winter, München 2013, p. 18.

I

Chris Sharma – Sportkletterer

“Climbing is a very creative, artistic thing as well as a being an athletic sport. It´s about climbing beautiful things in nature and interacting with them.”2

Anna Kogler –Alpinaphoristikerin und Hobbyalpinistin

"Dem Gefühl des Glücks, welches den Weg bis zum Gipfel begleitet, ist nichts mehr hinzuzufügen."3

David Lama – Wettkampfkletterer und Extremalpinist

Klettern ist mehr als nur Sport. Klettern ist Philosophie. Eine Lebenshaltung. Ich habe Klettern als Beruf und Lebensinhalt gewählt, weil mir dieser Sport mehr gibt als normaler Sport. Klettern erzählt von Freiheit. Wer klettert, trifft seine eigenen Entscheidungen, sucht sich seine Projekte aus und entscheidet selbst, welche Risiken er eingeht – in jeder Hinsicht.4

Alexander Huber – Free Solo- und Speedkletterer sowie Expeditionsalpinist

„Bergsteigen ist hier nichts anderes als eine Metapher auf das Leben, denn es ist ja nicht der Berg, den man bezwingt, sondern immer nur das eigene Ich.“5

Hermann Buhl – Bergsteigerlegende und Erstbesteiger zweier Achttausender

„Das Bergsteigen ist etwas Unstetes. Man geht und geht und kommt nie ans Ziel. Darin liegt vielleicht gerade der besondere Reiz. Man sucht etwas, das man doch nie findet.“6

Markus Griesberger – „Alpinmaschin“, Expeditionsalpinist und Bergpoet

Wer einmal Im Frühling griffigen Fels in der Hand gehabt, Im Sommer einen Blick in eine mächtige Gletscherspalte geworfen, Im Herbst auf ein gigantisches Nebelmeer hinabgesehen, Im Winter vor unverspurten Hängen gestanden, Der wird wissen warum- und alle Mühen im selben Augenblick vergessen.7

2 Who is Chris Sharma 01:13-01:23; https://www.youtube.com/watch?v=DXW5u0qFDr8 [Abruf:11.09.2015] 3 Tourenbuch von Anna Kogler [Herbst 2015]. Privatsammlung Anna Kogler. 4 LAMA David, High. Genial unterwegs an Berg und Fels. München 2010, p. 160. 5 HUBER Alexander, Die Angst. Dein bester Freund. München-Berlin 2015, p. 8. 6 Zit. nach: BUHL Hermann, Am Rande des Möglichen. (= Reihe Bergabenteuer) Zürich 2003, p. 20. 7 Erinnerungsalbum [Innenseitenwidmung] an die gemeinsamen Unternehmungen am Berg von Markus Griesberger, Sebastian Bachmann, Mathias Luggauer und guten Freunden. Privatsammlung Mathias Luggauer.

II

Andreas Heckmair – „Bergvagabund“ und Erstbegeher der Eiger-Nordwand

„Ein Bergsteiger ist meines Erachtens nicht, wer nur extreme Touren unternimmt oder nur eine Zeit lang „bergsportlich“ tätig ist, sondern wer auf Dauer dem Berg im weitesten Sinne als Lebensideal und -inhalt verbunden bleibt.“8

Simone Moro – Winteralpinist

„Der Alpinismus, den ich praktiziere, entspringt einer Liebe, einer echten, tief empfundenen Leidenschaft für das, was mich im Inneren berührt, was meine Gedanken fliegen lässt, was mich Risiken akzeptieren lässt, die diese Liebe mit sich bringt. [...] In der Liebe fragt man nicht nach dem Warum, und wenn man liebt, handelt man nicht berechnend. Die Liebe ist ein starker, irrationaler Drang.“ 9

Eduard Pichl – deutschnationaler Alpenvereinsfunktionär und Wiener-Alpinist

„Wenn zu den wissenschaftlichen, künstlerischen, ethischen und sportlichen Beweggründen der Bergsteigerei Lammer noch die Lust am Grauen, das Erleben der Angst vor dem drohenden Tode und die Erkenntnis der inneren menschlichen Feigheit und Erbärmlichkeit hinzuzählt, so möchte ich an Stelle der genannten Beweggründe als edelsten Antrieb die Liebe zu Volk und Vaterland nennen und in dem deutschen Bergsteiger wachrufen.“10

Lexikalische Definition des Brockhaus:

„Alpinịsmus der,- , zusammenfassende Bezeichnung für die bergsteigerischen Unternehmungen in den Alpen und den anderen Hochgebirgen der Erde aus sportlichen, künstlerischen und wissenschaftlichen Interessen. Unter Alpinismus im engeren Sinn oder Alpinistik versteht man das als Sport ausgeübte Bergsteigen, Hochgebirgswandern und den alpinen Skilauf. Der Alpinismus umfasst neben der Alpinistik die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Bergen sowie alpines Schrifttum und alpine Kunst. Sinngleich mit Alpinismus werden auch je nach Gebirge die Begriffe »Andinismus« (Anden), »Himalajismus« (Himalaja) und »Pyrenäismus« (Pyrenäen) verwendet.“11

8 HECKMAIR Anderl, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer. (= Reihe Bergabenteuer) Zürich 1999, p. 287. 9 MORO, Eiseskälte, 2013, p. 84-85. 10 PICHL Eduard, Wiens Bergsteigertum. Wien 1927, p. 164. 11 https://kfug-ub.brockhaus-wissensservice.com/brockhaus/alpinismus [Abruf: 18.09.2015]

III

Inhaltsverzeichnis Genese und Entwicklung des Alpinismus ...... 11

Wahrnehmung und Interpretation von Natur ...... 11

Neubewertung in der Phase der Aufklärung ...... 14

Initialzündung des Alpinismus ...... 19

Das „goldene Zeitalter“ des Alpinismus ...... 24

Bürgerlicher Alpinismus in den Ostalpen und die ideologische Wegbereitung ...... 32

Rückzug der englischen Idee ...... 32

Für „Ego“ und „Ethik“ zum Gipfel- Der Selbstverwirklichungsdrang des Eugen Guido Lammer ...... 36

Jugend - Unterpfand der völkischen Wiederauferstehung ...... 45

Exkurs um den „Hakenstreit“ ...... 52

„Oh Vagabundenherrlichkeit! Oh du Glück in den Bergen ....“ ...... 54

Sozialisierung der „Bergvagabunden“ ...... 54

Kameradschaftskonstituierung und geistige Zuflucht ...... 64

Konkurrenz am Berg...... 72

„Lasset, ihr heiligen Altäre, mich euch anbeten mit dem letzten Blick!“ – Erinnerungskultur und Bergtodverklärung ...... 78

Bergprojekte im Fokus nationalsozialistischer Aufmerksamkeit ...... 90

„Kampf“ um den ...... 90

Vergebliche Versuche in der Eiger- Nordwand ...... 94

Die Erstdurchsteigung im Sommer 1938 und die unmittelbaren Folgen . 96

Alpinistische Metaphorik als Sinnbild nationalsozialistischer Politik ...... 102

Die Eiger-Nordwand im Zeichen nationalsozialistischer Propagandaprojektion ...... 102

Nationalsozialistische Pädagogik durch alpinistische Praxis ...... 107

Über die „Kameradschaft“ zur „Volksgemeinschaft“ ...... 107

Über den Soldaten zum Helden ...... 112

Politisierung der alpinistischen Szene ...... 122

Schluss...... 138

Literaturverzeichnis ...... 149

Quellenverzeichnis ...... 152

Einleitung: Was Frost und Leid – Mir gilt ein Eid, Der glüht wie Feuerbrände Durch Schwert und Herz und Hände. Es ende drum, wies´s ende – Deutschland, ich bin bereit!12

Ein Schlachtruf, ein epischer Abgesang, ein Monument des Untergangs - oder auch einfach nur ein pathosbeschmutztes Fragment aus dem Weltkriegsroman „Wanderer zwischen zwei Welten“ von Walter Flex, scheinbar schwer vereinbar und etwas arm an Zusammenhang mit meiner nüchtern formulierten Betitelung den Alpinismus weniger unter, eher während des Nationalsozialismus zu untersuchen. Denn diese Arbeit will nicht von Zwang oder Pflicht erzählen, im Kern spricht sie von einem geneigten Willfahren bis zu einem harmonischen Zusammenwirken von beiderseitigem Vorteil der Alpinisten und Nationalsozialisten. In diesem Zusammenhang scheint es mir nunmehr durchaus sinnig Walter Flex meiner Arbeit voranzustellen, zitiere ich doch weniger ihn, als vielmehr Hans Hartmann, einen Bergsteiger und Teilnehmer an der nationalsozialistischen Nanga Parbat Expedition von 1937, der durchaus im Sinne der Botschaft des in seinem Tagebuch abgezogenen Fragmentes im Zuge des Besteigungsversuches sein Leben lässt. Allerdings hat er diese Worte, die ihm so treffend für sein Vorhaben schienen, nicht im Roman des eigentlichen Schöpfers gelesen, sondern sie sind über die Vermittlung einer zum ehrenden Gedenken der „Gefallenen“ am Nanga Parbat vom Reichssportführer gehaltenen Trauerrede auf ihn gekommen und waren wohl auch zur Ehrverheißung jener, die noch gehen und womöglich nicht wiederkehren sollten, angedacht.13 Kein „Marschbefehl“ ereilte ihn, sein „freier“ Wille trieb ihn an und am Gipfel des „Schicksalsberges“ sollten sich schließlich die individuellen Ambitionen des Alpinisten und jene übergestülpten, über den Gipfel hinausgehobenen Sinngebungen der Nationalsozialisten, welche von symbolhaftem Wert für das „Volksganze“ seien, zusammentreffen. Sowie die Bergsteiger Worte und Gedanken aus den Mündern der Nationalsozialisten vernahmen, nahmen sie aus deren Händen die Werkzeuge zur Verfolgung ihrer eigenen Ziele, während der Nationalsozialismus in diesen „Fanatikern“ plakative Folien seiner Ideale vorfand. Eben diese wechselwirkende Beziehung und ebenso situierte Motivlandschaft gilt es nun auf den folgenden Seiten zu untersuchen.

12 HARTMANN Hans, Ziel Nanga Parbat, Berlin 1942, p. 9. 13 MÄRTIN Ralf Peter, Nanga Parbat. Wahrheit und Wahn des Alpinismus, Berlin 2002, p. 164.

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Unzweifelhaft erfährt der Alpinismus im Zuge der NS- Herrschaft eine sehr tiefe Prägung und wird hinsichtlich seiner Zielsetzung in eine sehr spitz und eng zulaufende Form gegossen, eine Neuschöpfung, gar jungfräuliche, stellt er jedoch keineswegs dar.

Vielmehr findet er in einer vergleichsweise starren Tradition statt und ist mit starken, immer wiederkehrenden Topoi in seiner medial an ein Publikum gerichteten Form angereichert, die scheinbar als geistiges Erbe von Generation zu Generation weiter gereicht werden. Verfehlt wäre es allerdings anzunehmen, es ließe sich auf Grund dieser wiederkehrenden Motive ein genuines Bild zeichnen, vielmehr vollzieht sich der Alpinismus als komplexer Prozess in Spiegelung zwischen Tradition und Individualität unter sich verändernden, äußeren Einflüssen. Um diesem Mosaik nun gerecht zu werden und den NS-Alpinismus nicht zu grell zu malen, sollen die einzelnen Entwicklungsstationen skizziert werden. Die Darstellung dieser Formung und Entfaltung folgt einem chronologischen Muster, welches einen linearen und etappenhaften Fortschritt suggeriert, jedoch nicht als Produkt der Realität, sondern vielmehr als Opfer an die Systematik und Verständlichkeit der Arbeit betrachtet werden sollte.

Zunächst gilt es in einer kurzen Überschau die Ursprünge des Alpinismus und dessen Vorläufer zu erörtern. Hierbei möchte ich mein besonderes Augenmerk auf die Wahrnehmung von Natur und deren Interpretation, bald wissenschaftlicher Ergründung, als Voraussetzung für den Gang in die Berge betrachten. Im Anschluss hieran soll geklärt werden, wie dieses in der Frühphase jahrzehntelang primäre Motiv der Wissenschaft sukzessive abgelöst, bald nur mehr vorgeschoben und schließlich nahezu völlig verworfen wurde. In dieser Phase dominierten die Engländer das Geschehen am Berg und etablierten eine sportliche Zugangsweise, wobei an dieser Stelle angemerkt werden muss, wie viel Widerspruch der Begriff Sport im Kontext mit dem Alpinismus bis heute erweckt. Dieser Entwicklungsschritt setzt allerdings mit dem Leistungsgedanken über einen längeren Zeitraum gesehen, genau jene Metamorphose des bürgerlichen zum führungslosen, ethisch bereits sehr stark aufgeladenen Alpinismus in Gang, welcher der nationalsozialistischen Interpretation in vielen Aspekten vorarbeiten wird. Vieles von den aktiven Alpinisten lange Verschwiegene oder von den meinungsbildenden Organen im Umfeld der alpinistischen Bewegung Verleumdete gelangt im ausgehenden 19. Jahrhundert und anbrechenden 20. Jahrhundert zum Durchbruch, weswegen es uns ein unerlässliches Anliegen sein muss, jenen Abschnitt näher in Augenschein zu nehmen. Gerade die Betonung moralischer Mehrwertigkeit des Einzelnen durch sportliche Betätigung in der Natur und insbesondere den Bergen, die Entfaltung einer „willensstarken Persönlichkeit“ und die Ausbildung spezieller „Tugenden“ finden in jenen

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Tagen vermehrt bekennende Münder und immer öfters offene Ohren. Eugen Guido Lammer wirkte in dieser Phase des Aufbruchs als lautester Stimmungsmacher und Künder eines neuen „Zeitalters“, weswegen wir uns primär aber nicht ausschließlich auf seine Vorstellung des Alpinismus berufen wollen. Somit besteht ein erstes Zwischenanliegen dieser Arbeit jene vorgeformten Topoi und Merkmale nachzuweisen, welcher sich der Nationalsozialismus so gerne bedienen wird. Diese wollen und müssen wir wohl auch vergleichbar den frühen Alpenreisen mit ausholenden Schritten durcheilen, denn im Kern der Arbeit steht die nationalsozialistische Interpretation des Alpinismus selbst.

Aus dieser vorsichtigen Annäherung und dem Zugeständnis an die Nationalsozialisten den Alpinismus zwischen 1933 und 1945 nicht entwurzelt zu haben, darf man bereits eine gewisse Unschärfe und Schwammigkeit bei der Datierung seines Einsetzens ableiten. Die Zäsur des Ersten Weltkrieges, der Revanchismus der frühen Zwischenkriegszeit, die Demilitarisierung der Verlierer sind in ihrem Einfluss auf die Alpin-Ideologie politisch umtriebiger Bergsteiger jedoch kaum zu überschätzen. Eduard Pichl, Paul Bauer etc. begannen ganz offen den Alpinismus zu instrumentalisieren und immer stärker rückte die Jugend in den Fokus als Zukunftsträger eines durch den Alpinismus „wiedererstarkten Volkes“. In dieser Phase wurde die Idee eines nationalistischen Alpinismus auf der Ebene der ehemals aktiven, mittlerweile jedoch mehrheitlich aus der Wand in die Funktionärssessel gewechselten Bergsteiger salonfähig. In diesem Abschnitt der Arbeit werden wir so vornehmlich mit den Augen der Demagogen und „amtlichen“ Vertreter auf die alpine Landschaft blicken, was zwar einen unverzichtbaren Zugang darstellt um ein möglichst ganzheitliches Bild der Alpin-Ideologie zu Zeiten des (aufkommenden) Nationalsozialismus zu kreieren, sich jedoch als viel zu abgehoben und realitätsfern entpuppt um der Lebenswirklichkeit einer jungen, unbändigen Elite gerecht zu werden, welche sich über die bisher geltenden „moralischen“ Einschränkungen ganz zwanglos hinwegsetzt und bergsteigerische Standards setzt, welche noch vor wenigen Jahren für unmöglich erachtet wurden und geeignet waren, den nationalsozialistischen Ansprüchen eine „deutsche“ Überlegenheit auszuweisen, Genüge zu tun. Um diesem „lebendigen“ Aktivalpinismus nahe zu kommen müssen wir uns gezielt mit der Szene der sog. Bergvagabunden auseinandersetzen. Nun sind wir aber nicht nur inmitten des Alpinismus zu Zeiten des Nationalsozialismus angekommen, sondern auch im Zentrum unserer Analyse. Es gilt an dieser Stelle, die soziale Situation, die sportlichen Motive und die alpinistische „Philosophie“ dieser Vertreter des „Bergvagabundentums“ aufzuschlüsseln. Sie bewegten sich einerseits in auf sie gekommen Alpin-Traditionen, brachen aber genauso mit ihnen, waren glühende Verehrer der Ideen Lammers, positionierten sich im selben Atemzug

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aber ebenso in Kontrast zu ihm. In sportlicher Hinsicht waren sie mit Sicherheit Revolutionäre, „moralisch“ mischten sie aber ein Konglomerat aus verschiedensten Ethikschichten zusammen. Ob dieser verbindenden „Werte“ und ihrer geteilten Interessen fanden sie sich zu einer an der Oberfläche homogenen Gruppe zusammen, die sich ihrer teils „aufrichtig“ empfundenen, teils bewusst nach außen transportierten, grundsätzlich unpolitischen Ideale wegen als attraktive Adressaten und Ansprechpartner des Nationalsozialismus anboten. Kern dieser Analyse soll nun sein, diese alpinistische „Wertegemeinschaft“ in ihre wesensbildenden Elemente zu zerlegen, insbesondere sollen hier das Wechselspiel aus „Kameradschaft“ und Konkurrenz, aus Kollektivismus und Individualismus im Vordergrund stehen, und auf ihre Adaptierbarkeit und Flexibilität zum Nutzen für das nationalsozialistische Regime bzw. dessen Propaganda zu überprüfen. Neben dieser vergleichenden Metaebene der divergierenden Ideologien und ihrer einseitigen Angleichungsfähigkeit sollen die Facetten der, wie wir sehen werden, im herkömmlichen Sinne zumeist wenig erfüllenden Lebenswirklichkeit der „Bergvagabunden“ nachgezeichnet werden und in ihrer Bedeutung für die Ausbildung der gruppeneigenen „Ethik“ und des „Gemeinschaftssinnes“ sowie für die Anpassungswilligkeit bzw. Unterordnung der „Bergvagabunden“ im Machtapparat der NS-Diktatur dargelegt werden. Das Finale dieser Analyse will nach all diesen aus jeder Richtung tönenden Beteuerungen und Vorspiegelungen von „idealistischen“ Beweggründen fern von Egoismus oder Opportunismus die etwas greifbareren und plastischeren Interessen des einzelnen, elitären Alpinisten mit jenen durch Politik und Propaganda übergestülpten und vorausgesetzten Vorgaben gegenüberstellen und versuchen einen Kern von persönlicher Ehrlichkeit und zumeist verschleierter „Wahrheit“ unter der Auflagerung von propagandistischen Lügen und „Berichtigungen“ hervor zu kratzen. Stellt sich diese Arbeit auch den Anspruch nach „Wahrheit“ zu streben, soll nicht angenommen werden, der Verfasser würde sich vermessen, eine „Wahrheit“ am Ende der Ausführungen auch tatsächlich gefunden zu haben, gar abbilden und wiedergeben zu können. Die „Wahrheit“ höchst selbst wird sich unergründbar unserem unzureichenden Blick entziehen, dennoch betrachte ich die Existenz dieser eindeutigen Wirklichkeit als Voraussetzung meiner Zugangsweise um schlussendlich im Ergebnis einen Sachverhalt präsentieren zu können, der mir an den Zustand der „Wahrheit“ ausreichend angenähert erscheint. Um die Zielsetzung dieser Analyse in einem Satz zusammenzufassen: Wir wollen das Verhältnis von „Fakt“ und „Fiktion“ im Alpinismus zu Zeiten des nationalsozialistischen Regimes ergründen, die Punkte einfärben, in welchen sich die Ideologielinien schneiden und jene Bereiche hervorheben, welche außerhalb oder zwischen diesen kreuz und quer

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verlaufenden Schnittflächen, liegen. Wobei der Begriff des „Faktums“ hier wieder unter dem Zugeständnis der Vieldeutbarkeit und dementsprechend mangelhaften Definierbarkeit zu verstehen ist.

Um meine Thesen allerdings abseits der Rechtfertigungsklausel eines „Wahrhaftigkeitsstreben“ vor den Anschuldigungen der Willkür und Beliebigkeit zu schützen, will ich mich auf Suche nach „der Wahrheit“ vornehmlich auf die schriftlich hinterlassenen Worte der „Bergvagabunden“ bzw. sonstiger Alpinisten als Zeugen ihrer Zeit und Vorstellungswelt verlassen. Die Selbstbetrachtungen werden einen wesentlichen Beitrag zur Skizzierung ihres Alltags liefern und in ihrem Anekdotenreichtum auch einen vertieften Einblick in das soziale Verhalten der sog. Bergvagabunden gestatten, welches sich laut den Worten Hans Ertls durchaus auch „wildwestlich rauh“ gestaltete und sich in der schriftgewordenen Erinnerung nicht unbedingt reflektiert aber doch sehr offenherzig zu Buche schlägt.14 Komplexer verhält es sich bei der Differenzierung zwischen authentischer Gefühlswelt und propagandakonformen „Zielkorrekturen“. In diesem Fall müssen wir uns vorwiegend auf die Beweiskraft von in der Sicherheit zeitlicher Entfernung ausgegrabenen Erinnerungen der einzelnen „Bergvagabunden“ oder dem Zeugnis von unbefangenen Gewährsmännern verlassen, bisweilen aber auch von der auseinanderklaffenden Lücke zwischen wandelbaren Worten und konkreten Handlungen Gebrach machen.

Wenn wir nun im Folgenden die Ideologie des Nationalsozialismus ansprechen und in ein Verhältnis zum theoretischen Überbau des Alpinismus setzen, soll diese Bezugnahme nicht ganzheitlich erfolgen und auch keine Deckung sämtlicher Facetten nationalsozialistischer Weltanschauung(en) anstreben, sondern orientiert sich vorwiegend an den Vorstellungen hierarchischer Sozialkategorien wie sie in der Überlegenheitsüberzeugung des „Deutschtums“, im „Herrenmenschentum“, im „Führerprinzip“ und der (theoretischen) Egalität der „Volksgenossen“ abgebildet wird. Analog wollen wir es auch mit einer verbalen Eingrenzung des Alpinismus halten, denn die üppige Breite der Fernsicht mag in mancherlei Himmelsrichtung stark beschnitten sein, denn nach einem kurzen aber zweckdienlichen Überblick werden wir nur mehr jenen Abzweigungen folgen, die uns schlussendlich, vielleicht etwas holprig und nicht unbedingt auf der „Direttissima“, aber doch auf einen der Nebengipfel führen. Der Horizont in seinen ausladenden Weiten soll uns stets blickversperrt bleiben, dennoch meine ich führt uns unsere „Reise“ an ein durchaus lohnendes Ziel. Nur allzu oft sind gerade die verkannten Feinheiten, welche im Gesamteindruck des Dargebotenen

14 SCHMIDKUNZ Walter, Bergvagabunden. Ein Hans Ertl- Buch. Erfurt 1941, p. 96.

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zu verschwinden drohen, der reizvollste Blickfang, der den panoramatrüben Augen verborgen bleibt.

Genese und Entwicklung des Alpinismus

Wahrnehmung und Interpretation von Natur Es ist 18.23 Uhr, die Sonne steht bereits tief und statt in ein Gipfelbuch tragen sich zwei völlig erschöpfte Männer an diesem 8. August 1786 in die Annalen des Bergsteigens ein. Jacques Balmat, ein Kristallsucher und Überlebenskünstler aus Chamonix und der Arzt Michel-Gabriel Paccard haben soeben den höchsten Alpengipfel, den Monte Blanc, erstbestiegen und schlossen damit ein zwanzig Jahre währendes Suchen und Streben im Auftrag des vermögenden Genfer Naturforschers Horace Benedict de Saussure nach einem möglichen Weg auf den Gipfel ab, öffneten mit dieser Leistung aber, zugegebenermaßen etwas überspitzt formuliert, die Türen für eine bis dato ungebrochene Bewegung, die wir als Alpinismus bezeichnen.15

Nach heutigen Maßstäben gemessen, scheint der Wunsch einen hohen, schwer zu erreichenden Berg zu ersteigen einer Mehrheit grundsätzlich verständlich. Eine Vielzahl von Motiven lässt sich mittlerweile ausfindig machen um ein solches Anliegen zu erklären, gerne sprechen Bergsteiger von einer „Ursprünglichkeit“, welche sie erfahren, wenn sie sich in der Abgeschiedenheit der Berge bewegen. In ihren Augen mag es wohl tatsächlich so scheinen, der Gedanke an sich ist aber zutiefst paradox, denn die wenigsten Vertreter der Frühen Neuzeit, des Mittelalters, der Antike oder darüber hinaus hätten sich freiwillig der Ödnis des Gebirges ausgesetzt und der Wunsch so zu handeln ist unzweifelhaft ein Kind der Moderne.16 Bereits Livius verurteilte die Berge Mitteleuropas und das Leben in jenen Regionen als grausam und abstoßend, als er die Soldaten Hannibals bei der Alpenüberquerung schaudern lässt: „tamen ex propinquo visa montium altitudo nivesque caelo prope immixtae, tecta informia imposita rupibus, pecora iumentaque torrida frigore, homines intonsi et inculti, animalia inanimiaque omnia rigentia gelu, cetera visa quam dictu foediora terrorem renovarunt.“17 Diese Meinung teilte wohl der Großteil der römischen Schriftsteller, wobei sie der Natur durchaus positive Eigenschaften zuwiesen, denn die Poeten träumten sich mit Vorliebe in ihr „Idyll“ hinein und ein möglichst unkomplizierter Zugang zur Natur galt

15 KRAUSS Martin, Der Träger war immer schon vorher da. Die Geschichte des Wanderns und Bergsteigens in den Alpen, München 2013, p. 11. 16 AUFMUTH Ulrich, Zur Psychologie des Bergsteigens. Frankfurt am Main 1989, p. 12. 17 Liv. 21,32, 7

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geradezu als Ideal, wie ihn Ovid in seinem „goldenen Zeitalter“ schildert, welches den vom Pflug unberührten Boden Frucht hervorbringen lässt. Nur die dramatische, unberechenbare Natur und ihre Erscheinung schienen ihnen nicht geheuer. Dementsprechend glücklich schätzten sich die Makedonier, als sie die Berge wieder freigaben und sie Landschaften von „humano cultu“ erreichten.18 Dieses Beispiel der „Hässlichkeit der Alpen“ machte Schule und verfestigte sich, abgesehen von wenigen Ausnahmen, bis ins 18. Jahrhundert. 19

Die „Hässlichkeit der Alpen“ wurde vorwiegend mit der Nutzlosigkeit der Gebirgsregion gleichgesetzt, die sich ganz offensichtlich wenig für eine Urbarmachung und Kultivierung eignete. Die ebenen und fruchtbaren, in ein menschliches Verständnis von Ordnung und Vernunft eingebetteten, Landschaften Italiens wurden wesentlich höher geschätzt. Dementsprechend suchte kaum jemand die alpinen Regionen ihrer selbst wegen auf, sondern durchquerte sie möglichst ohne unnötigen Aufenthalt, und im Regelfall in Ausübung einer Profession als Händler, Soldat, Bote oder auch Pilger. Neben der offenbaren Nutzlosigkeit in landwirtschaftlicher Hinsicht untermauerte auch die disharmonische, chaotische und so eindeutig jenseits des menschlichen Bedürfnisses nach Struktur und Ordnung stehende Optik der felsigen Alpen den abstoßenden Charakter. 20 Erst die Hege und Pflege der arbeitenden Hand verleiht der Natur in symbiotischem Zusammenwirken mit der Kultur des Humanen ein anziehendes und als ästhetisch wahrgenommenes Wesen. Seinen Gipfel erreicht diese Sichtweise in der französischen Gartenbaukunst. 21Allerdings ist diese Maxime der Harmonie und des Gleichklangs bereits wesentlich früher u.a. bei Boccaccio in der Beschreibung des „Frauentales“ ausfindig zu machen: „Wie eine jener Damen mir später berichtet hat, war die ebene Talsohle so rund, als wären sie mit dem Zirkel abgemessen, obwohl man leicht erkannte, daß sie ein Kunstwerk der Natur und keines von Menschenhand sei. Der Umkreis jener Ebene aber betrug wenig mehr als eine halbe Meile, und rings umher erhoben sich sechs Hügel von mäßiger Höhe, auf deren Gipfel je ein Landhaus, dessen Bau einer schönen Burg sich fast vergleichen ließ, zu sehen war. Die Abhänge dieser Hügel stiegen stufenweise bis zur Ebene nieder, wie wir in den Theatern die Sitzreihen von der höchsten bis zur niedrigsten Umkränzung angeordnet sehen, so nämlich, daß ihre Weite sich nach unten stets verminderte. Soweit diese Hänge nach der Mittagsseite abfielen, waren sie von Weinreben,

18 Liv. 21,37, 6 19 WOZNIAKOWSKI Jacek, Die Wildnis. Zur Deutungsgeschichte des Berges in der europäischen Neuzeit. Frankfurt am Main 1987 , p. 17-22 und Liv. 21, 58, 3. 20 RAYMOND Petra, Von der Landschaft im Kopf zur Landschaft aus Sprache. Die Romantisierung der Alpen in den Reiseschilderungen und in der Literarisierung des Gebirges in der Erzählprosa der Goethezeit. Tübingen 1993, p. 61. 21 GRUPP Peter, Faszination Berg. Die Geschichte des Alpinismus. Köln-Weimar-Wien 2008, p. 36.

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Oliven, Mandel- Kirschenbäumen, Feigen und vielen anderen fruchtbringenden Bäumen ganz überbedeckt, ohne daß nur eine Spanne unbelaubt geblieben wäre. Die Abhänge aber, welche den mitternächtigen Wagen anschauten, strotzten und grünten so dicht, wie es der Raum nur zuließ, von Eichen- Eschen- und allerlei anderem Gebüsch. Die Talebene aber, die außer dem einen Eingang, durch den die Damen gekommen waren, keinen zweiten besaß, war mit Edeltannen , Zypressen, Lorbeerbäumen und einigen dazwischen gestreuten Pinien in so wohlverteilten und geordneten Gruppen bewachsen, als hätte der dafür geschickteste Künstler sie bepflanzt. Durch dieses Laubdach vermochten die Strahlen der Sonne, auch wenn sie hoch stand entweder gar nicht oder doch nur sehr sparsam auf den Boden zu dringen, der eine einzige Wiese grünen Grases bildete, zwischen dem unzählige purpurfarbene und andere Blumen sprossen“22

In dieser Schilderung Boccaccios finden sich die Vorstellungen eines „locus amoenus“ jener Tage wieder. Nicht allzu fern der Zivilisation stößt man auf ein überfruchtbares Land, frei von jeder Rauheit, welches entsprechend der menschlichen Gewohnheiten geordnet und harmonisch gewachsen ist sowie einer geometrischen Exaktheit entspricht. Verschwiegen wurden im obigen Zitat nur die kühlenden Bäche und die zum Erzählen verführenden, schattigen Stellen um den klassischen Kanon jener Attribute, die ein Idyll aufzuweisen hat, abzurunden.23

Einen wesentlichen Faktor in der negativen Wahrnehmung wilder Natur spielte auch die Religion und die gesellschaftliche Ordnung. Aus beiden Perspektiven und wohl voneinander beeinflusst wurde Wildnis als moralische Kategorie beschrieben. Theologisch wurden die Alpen oftmals als die verkommenen Relikte des Paradieses dargestellt, als Produkt des Sündenfalls und Ort des Fegefeuers. In dieser Wildnis herrschten Hexen, böse Geister, Drachen und anderes Ungetier, welches sich außerhalb des „Heils“ befand.24 Diese Ausgrenzung der Wildnis konnte bisweilen sogar mit einem Verbot durchgesetzt werden, welches bei Missachtung strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen konnte. So wurden sechs Mönche, welche verbotenerweise den schweizerischen Pilatus bestiegen für dieses Vergehen in Kerkerhaft genommen. Anlass für diese strenge Maßnahme war die Befürchtung

22 BOCCACCIO Giovanni, Das Dekameron. München 1978, p. 515-516. 23 Nicht außen vor gelassen werden sollte in diesem Zusammenhang aber die Absicht Boccaccios mit diesem vollkommenen aber dennoch nur durch die Natur geschaffenen Ideal, seine Steigerung eines künstlich angelegten Gartens, welchen die Edelleute am Tag zuvor besuchten und bereits für das Abbild des Paradieses hielten, zubewirken. Dieser Garten soll aufzeigen, was der Mensch seines Verstandes und seiner Kultur wegen vermag aus der Natur zu formen. Nichtsdestotrotz wird er durch die „Kunstfertigkeit“ der Natur am nächsten Tag übertroffen. (WEHLE Winfried, Literatur und Kultur. Zur Archäologie ihrer Beziehungen. In: Paul GEYER / Claudia JÜNKE / Rainer ZAISER (Hgg.), Romanistische Kulturwissenschaft. Würzburg 2004, p. 73.) 24 RAYMOND, Landschaft, 1993, p. 62.

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das Aufschrecken oder die reine Begegnung mit den dort lebenden, bösen Geistern könnte für die gesamte Gemeinschaft unheilvolle Folgen besitzen.25 Insgesamt lässt sich in der Verdammung der Wildnis wohl eine Reaktion der religiösen Umwälzung vom Heidentum zum Christentum ausmachen, denn bisher heilige Orte und Sitze von paganen Göttern wurden alsdann als die Einflusssphäre von Dämonen und Geistern interpretiert.26

Aber auch aus sozialer Sicht war ein Gang oder ein Rückzug in die Wildnis mit Ächtung verbunden. So meint Trepl, rund um die Gemeinschaft sei eine räumliche Grenze gezogen, welche in beständiger Konfrontation mit der Natur definiert werden muss. Innerhalb dieses Raumes fand die Arbeitswelt statt, das Gegenbild zu dieser in ihren Abläufen streng reglementierten Sphäre bildete die Wildnis. Wer sich, sofern er nicht ein drachentötender Held und somit gewissermaßen „Urbarmacher“ oder ein speziell für einen Übertritt auf Zeit Berufener war, in der Wildnis verortete, wurde von seinen ehemaligen Mitmenschen geächtet, da er nicht mehr anteilhaftig war am produktiven Arbeitsprozess.27 Die Bedeutungslosigkeit vieler Gebirgszüge und einzelner, markanter Gipfel für die Bewohner der Umgebung belegen die vielzähligen Klagen von Reisenden, wenn geschildert wird, wie oft doch Berge erstiegen werden, für welche die Einheimischen einfach keine Namen nennen konnten, da es außerhalb ihrer Vorstellungswelt lag, jemals auch nur im Entferntesten mit diesem oder jenem jenseitigen Flecken Erde in Berührung zu kommen.28 Kristallsucher und Wilderer fanden allerdings ihr Betätigungsfeld immer schon in den hohen Bergen und schwer zugänglichen Regionen, in den Augen ihrer Mitmenschen verstießen sie auf diese Weise aber gegen das Gebot der allgemeinen Pflicht zur Feldarbeit oder ähnlichen landwirtschaftlichen Tätigkeiten und liefen Gefahr ausgegrenzt zu werden.29

Neubewertung in der Phase der Aufklärung „Which [the ] now rise as it were suddenly after some hundreds of miles of the most even country in the world, and where there is hardly a stone to be found, as if Nature had here swept up the rubbish of the earth in the Alps, to form and clear the plains of Lombardy […].30 Mit diesen Worten beschreibt John Evelyn die Alpen gegen Ende des 17. Jahrhunderts als

25 WOZNIAKOWSKI, Die Wildnis, 1987 , p. 221. 26 GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 17. 27TREPL Ludwig, Die Idee der Landschaft. Eine Kulturgeschichte von der Aufklärung bis zur Ökologiebewegung. Bielefeld 2012, p. 100-102. 28 SCHARFE Martin, Berg-Sucht. Eine Kulturgeschichte des frühen Alpinismus 1750 - 1850. Wien-Köln- Weimar 2007, p. 116. 29 VEYNE Paul, Bergsteigen. Eine bürgerliche Leidenschaft. In: Philipp FELSCH, Beat GUGGER, Gabrielle RATH (Hgg.), Berge, eine unverständliche Leidenschaft. Buch zur Ausstellung der Alpenvereinsausstellung in der Hofburg , Wien - Bozen 2007, p. 23. 30 BRAY William (Hg.), The diary of John Evelyn. Washington - London 1901, p. 228.

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riesige Müllhalden, welche dazu dienen die Ebenen Italiens sauber zu halten und Joachim Winckelmann verhängte gar 1760 noch bei der Überquerung des Gotthard-Passes auf dem Weg nach Italien sein Kutschenfenster um sich des Schreckens des Gerölls zu erwehren.31 Ganz und gar nicht den Anblick der wilden Alpennatur ersparen möchte sich hingegen einer der einflussreichsten und wirkungsmächtigsten Zeitgenossen Winckelmanns, der ganz eindeutig eine neue, sich seit der Jahrhundertwende vom 17. zum 18. Jahrhundert langsam herausbildende Sichtweise auf die Berglandschaft vertritt. Der sonst unbestreitbar wortgewaltige J. W. Goethe schreibt beim Anblick des Monte Blancs im Oktober 1779 an Charlotte von Stein: „Es sind keine Worte für die Grösse und Schöne dieses Anbliks, [...] Und immer wieder zog die Reihe der glänzenden Eisgebürge das Aug’ und die Seele an sich. Die Sonne wendete sich mehr gegen Abend und erleuchtete ihre grössere Flächen gegen uns zu. Schon was vom See auf für schwarze Felsrüken, Zähne, Thürme und Mauern in vielfachen Reihen vor ihnen aufsteigen! wilde, ungeheure, undurchdringliche Vorhöfe bilden! wann sie dann erst selbst in der Reinheit und Klarheit in der freien Luft mannichfaltig da liegen; man giebt da gern iede Prätension an`s Unendliche auf, da man nicht einmal mit dem Endlichen im Anschauen und Gedanken fertig werden kann.“32 Auf die Beschreibung des Anblicks beschränkt er sich allerdings nicht, sondern er steigt auch zu Fuß auf Anhöhen, teilweise auf Schnee und Eis, unternimmt kleinere Gletschertouren, sieht sich als Wanderer und freut sich auch als solcher von Einheimischen bezeichnet zu werden.33 Er erklomm auch dreimal eben jenen Gotthard-Pass, der Winkelmann noch zum Schrecken gereichte, war darüber hinaus bekannt mit dem Monte Blanc-Besteiger Saussure, erwähnte ihn auch öfters in seinen Briefen, ließ sich von ihm „alpinistisch“ beraten und hatte auch dessen Alpenreisen gelesen.34 So verwundert es nicht im Zusammenhang mit seinem Bezug zur Bergwelt noch etwas tiefer im reichhaltigen Zitatefundus des Dichterfürsten stöbern zu wollen und tatsächlich findet sich ein aufschlussreicher Vermerk: „Die Schweiz machte auf mich anfänglich so großen Eindruck, daß ich dadurch verwirrt und beunruhigt wurde; erst bey wiederholtem Aufenthalt, erst in

31 FELSCH Philipp, Stein und Fleisch. Physiologische Alpenreisen. In: Philipp FELSCH, Beat GUGGER, Gabrielle RATH (Hgg.), Berge, eine unverständliche Leidenschaft. Buch zur Ausstellung der Alpenvereinsausstellung in der Hofburg Innsbruck, Wien - Bozen 2007, p. 77. 32 GOETHE Johann Wolfgang, Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Band 3 I [hrsg. von Georg KURSCHEIDT / Elke RICHTER] 8. November 1775 – Ende 1779, Berlin 2014, p. 336. 33 RAYMOND, Landschaft, 1993, p. 28 und COUZY Agnès, Legendäre Reisen in den Alpen. München 2008, p. 76, 93. 34GOETHE Johann Wolfgang, Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Band 7 I [hrsg. von Volker GIEL] 18. September 1786 –10. Juni 1788, Berlin 2014, p. 339-340, 345, 1043-1044 und RAUCH Christian, Wie Goethe am Gotthard hängenblieb. In: „Alps Magazin“ vom 27. 8. 2013; http://www.alps-magazine.com/schweiz/auf- dem-gotthard-bei-den-capuzinern/#more-2075 [Abruf: 25.09.2015].

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späteren Jahren, wo ich die Gebirge bloß in mineralogischer Hinsicht betrachtete, konnte ich mich ruhig mit ihnen befassen.“35

Verwirrung und Beunruhigung, zugegebenermaßen kein Schrecken, sind die vorherrschenden Empfindungen, welche die Berge der Schweiz bei Goethe auslösen. Überwinden und schließlich in ein ästhetisches Wahrnehmen umwandeln kann er sie allerdings durch die wissenschaftliche Erforschung der Alpen, in seinem Fall in mineralogischer. Denn im Fahrwasser der Aufklärung kommt ein Eifer nach naturwissenschaftlicher Durchdringung der Umwelt auf und bezog sich in besonderem Maße auf die Alpen. Zahlreiche Gelehrte pendelten im Zuge ihrer sog. „Kavalierstour“ über die Pässe und Gebirgsstraßen zwischen den kulturellen Zentren Frankreichs und Italiens, was Geologen, Botaniker, Physiker etc. die Berge als reizvolle Forschungsgegenstände entdecken ließ.36 Durch die nähere Befassung mit einer bisher weitgehend ausgeklammerten Materie wurden Naturphänomene sukzessive verständlich und verloren ihren abstoßenden „Schrecken“. Carsten Zelle spricht hier von einer Art Zähmung der unbeeinflussbaren Urgewalten, „denn die objektive Entzauberung der Welt durch die Aufklärung wird durch eine subjektive Entmächtigung der Natur ergänzt, und zwar durch deren Ästhetisierung“37 Ästhetisierung meint allerdings nicht den völligen Verlust des Schreckens, sondern vielmehr eine neuartige Lust an der Angst bzw. eine Ambivalenz von Schaudern und Begeisterung, so schleichen sich ab dem anbrechenden 18. Jahrhundert und wenigen Jahren zuvor Einträge in die Reiseaufzeichnungen, welche diesen scheinbaren Widerspruch aufgreifen. John Dennis beschreibt seine Emotionen beim Anblick der Alpen als “delightful horror, a terrible joy” und Joseph Addison meint die Steilstufen und Abbrüche der Berge "fill the mind with an agreeable kind of horror.”38 Auch Edmund Burke kennt dieses Wechselspiel von Schrecken und Wohlgefühl: “Whatever is any sort terrible, or is conversant about terrible objects, or operates in a manner analogous to terror, is the source of sublime.”39 Die Bezeichnung “sublime”, im Deutschen mit dem Schlagwort “Erhabenheit”

35 GOETHE Johann Wolfgang, Begegnungen und Gespräche. Bd. XIV [hrsg. von GRUMAUCH Renate] 1823- 1824, Berlin 2011, p. 345. 36 RAYMOND, Landschaft, 1993, p. 64. FRIEDMAN-RUDOVSKY Jean, The Last Days of a Nazi-Era Photographer . In: „Time“ vom 23.09. 2008; http://content.time.com/time/world/article/0,8599,1843282,00.html [Abruf: 03.09.2015]. 37 ZELLE Carsten, Übe den Grund des Vergnügens a schrecklichen Gegenständen in der Ästhetik des achtzehnten Jahrhunderts. In: Peter GENDOLLA; Carsten ZELLE (Hgg.), Schönheit und Schrecken. Entsetzen, Gewalt und Tod in alten und neuen Medien (= Reihe Siegen 72). Heidelberg 1990, p.60. 38 BOERLIN-BRODBECK Yvonne, Die „Entdeckung“ der Alpen in der Landschaftsmalerei des 18. Jahrhunderts. In: Heinke WUNDERLICH (Hg.), „Landschaft“ und Landschaften im achtzehnten Jahrhundert. (= Beiträge zur Geschichte der Literatur und Kunst des 18. Jahrhunderts 13). Heidelberg 1995, p. 260. 39 BURKE Edmund, A Philosophical Enquiry Into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful. London 1767, p. 58. Zu dieser frühen und besonders ausgeprägten Ausbildung einer Ästhetisierung der Alpen bei britischen Gelehrten ist der große Einfluss der geistigen Strömung der Physikotheologie, die im protestantischen England

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wiedergegeben, wird zu einem frühen Topos im Umgang mit den Alpen und in diesem Kontext setzt sich auch Kant in seinem Werk „ Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ auseinander: „Der Anblick eines Gebirges, dessen beschneite Gipfel sich über Wolken erheben, die Beschreibung eines rasenden Sturmes, oder die Schilderung des höllischen Reiches von Milton erregen Wohlgefallen, aber mit Grausen.“40 In seinem Werk „Kritik der Urteilskraft“ erkennt er in „kühnen, überhängenden, gleichsam drohenden Felsen“ neben anderen Optionen zerstörender Naturkräfte „Gegenstände, die uns erlauben, unsere Tauglichkeit zu entdecken, der scheinbaren Allmacht der Natur vernünftigen Widerstand zu leisten- und die wir daher erhaben nennen.“41

Zu einer Neuinterpretation der Alpenwelt und der Popularisierung einer positiven Wahrnehmung im 18. Jahrhundert in einem erweiterten Kreis abseits von interessierten Naturwissenschaftlern und schwärmenden Geistesgrößen, die unter Ausklammerung von Immanuel Kant auch dem Reisen aufgeschlossenen gegenüber standen, trugen v.a. der schweizerische Philosoph Jean-Jacques Rousseau und sein Landsmann Albrecht von Haller bei.42 Insbesondere Rousseau steht in seinem Zugang zur Natur nicht mehr unbedingt in der Tradition der Aufklärung noch begegnet er seiner Umwelt gemäß logischen Gesetzen, sondern bevorzugt einen sinnlicheren, subjektiveren Zugang, der in Natur und Seele zwei sich spiegelnde Wesen erkennen will. Nach der Entzauberung der Natur in der Aufklärung, beginnt nun in der Romantik deren Verklärung. Raymond erkennt in Rousseau nicht den Urheber dieses Naturgefühls, sieht aber im Jahr der Veröffentlichung seines Romans „Nouvelle Héloïse“1761 ein Schlüsseldatum hinsichtlich der Mensch- Naturbeziehung und den Eintritt in die Romantik gegeben. In kulturpessimistischer Manier stilisiert der Schweizer Philosoph eine wilde, menschenferne Freiheit und Einsamkeit zum Ideal, welches er im waldreichen Mittelgebirge der Umgebung verwirklicht wähnt. Als beste Form des Reisens erkennt er das Wandern und versteht darunter eigentlich schon eher eine Daseinsform des ungebundenen Schweifens in Einsamkeit. Sein Werk wird sprachenübergreifend von einer gebildeten Schicht rezipiert und löst einen Hype um die Schweizer Alpen aus, die man jetzt

stark vertreten war, anzumerken. Diese erkannte in der Wildnis und den Bergen nicht mehr klassisch die Folge menschlicher Sündhaftigkeit, sondern über die Einflüsse der Naturwissenschaft auch der Vernunft entsprechend geordnete Prinzipien in der nur scheinbar chaotischen Bergwelt, was die Existenz einer intelligenten Schöpfung voraussetzte und die Alpen als Werk Gottes und somit sinnvoll auswiesen. (TREPL, Idee der Landschaft, 2012, p. 104-106) So sehen sie in ihnen schutzspendende Mauern gegen das Wetter oder notwendige Wasserreservoirs. (WOZNIAKOWSKI, Die Wildnis, 1987 , p. 22-23.) 40 Zit. nach: WOZNIAKOWSKI, Die Wildnis, 1987 , p. 59. 41 Zit. nach ebd., p. 61. 42 GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 37.

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mit Rousseau unterm Arm erkundet und sich zum Besuch der Orte seiner Darstellungen verleitet fühlt.43

Grundsätzlich stößt auch Albrecht von Haller in seinem erstmals 1732 erschienen Dichterwerk „Die Alpen“ ins selbe Horn, beschreibt ebenfalls nicht ernstlich das Hochgebirge und wählt einen eindeutig verklärenden, schwärmerischen Stil. Allerdings klingt bei ihm, der sich neben seiner Dichtkunst auch außergewöhnliche Meriten im Verdienst um die Naturwissenschaft erwarb und als Botaniker und Arzt wirkte, noch ein eher utilitaristischer Ton nach. Die Alpen sind nicht per se schön, sondern schön, weil sie nützlich sind.44 Neben diesem eher aufklärerischen Zugang lässt Haller aber unzweifelhaft antikes Erbe auferstehen und nimmt neben Lukrez, Horaz und Vergil stark Anleihe am Mythos des „Goldenen Zeitalters“, wie ihn Ovid entwarf.45 Die Lebensumstände in den Alpen hätten direkten Einfluss auf das Gemüt ihrer Bewohner, das sich entgegen den korrupten Sitten in der Stadt durch Bescheidenheit und Bedürfnislosigkeit auszeichnet. So hätte man die zivilisationskritischen Worte auch einer Vielzahl von Bergsteigern späterer Tage in den Mund legen können, die in den Bergen ihren Zufluchtsort vor der Verkommenheit der Großstadt entdecken: „Elende! rühmet nur den Rauch in grossen Städten, Wo Bosheit und Verrath im Schmuck der Tugend gehen, Die Pracht, die euch umringt, schließt euch in güldne Ketten“.46 Die Älpler hingegen würden abgeschnitten und umzäunt von hohen Bergen in Armut und Bescheidenheit ein glückliches Leben leben: „Nein, weil der Mensch zum Glück den Überfluß nicht zählte, Ihm Nothdurft Reichthum war, und Gold zum Sorgen fehlte. Ihr Schüler der Natur, ihr kennt noch güldne Zeiten! [...] Wer mißt den äusseren Glanz scheinbarer Eitelkeiten, Wann Tugend Müh zur Lust, und Armuth glücklich macht?“47 In diesem Punkt stehen sich Rousseau und Haller sehr nahe und ebenso wurden „Die Alpen“ wie Rousseaus Roman als realistische Darstellung der Alpenlandschaft gelesen und als Reiseführer über das Berner Oberland verstanden. Hallers Gedicht beeinflusste das Denken einer ganzen Generation, wurde schon vor der eigentlichen Veröffentlichung sehr zum Ärger des Verlegers

43 RAYMOND, Landschaft, 1993, p. 16-18, 28. 44 Ebd., p. 12-13. 45 STEINKE Hubert, STUBER Alfred, Hallers Alpen. Kontinuität und Abgrenzung(1672- 1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung. In: Leoni Simona BOSCANI (Hg.), Wissenschaft - Berge – Ideologien. Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung. Basel 2010, p. 241 und BOERLIN- BRODBECK, Die „Entdeckung“ der Alpen, 1995, p. 261. 46 Haller Von, Albrechts, Versuch schweizerischer Gedichte. Carlsruhe 1788, p. 54. 47 Ebd., p. 23.

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weithin rezitiert und in späteren Tagen sah man es nicht mehr als geboten an den Verfasser der Verse gar zu nennen, wenn man auch nur ein kurzes Fragment zum Besten gab.48

Initialzündung des Alpinismus Diese geistigen Strömungen waren auch in Herz und Hirn von Saussure gegenwärtig, der wohl nicht als Begründer des Alpinismus zu gelten hat, denn zur Begründung einer gesellschaftlichen Bewegung bedürfte es mit Bestimmtheit einer Form rituellen Aktes oder zumindest eine eindeutige Intention hierzu. Zweifelsohne hat der Genfer Naturforscher den Alpinismus aber als vom Gipfel rollenden Stein, der in den Ausläufern der Hänge zur Gerölllawine angewachsen war, in Bewegung versetzte, nicht unachtsam aber auch nicht in der Absicht jemanden zu treffen. Dennoch besaß dieser Mann von Rang und Einfluss die gesellschaftliche Leuchtkraft sein Schaffen die nötige Aufmerksamkeit und Vorbildwirkung entfalten zu lassen, weswegen die Entwicklung des Alpinismus auch untrennbar mit seinem Namen verbunden bleiben muss.49

Ohne Zweifel sprach Saussure über den Monte Blanc mit zwei Stimmen. Er beschrieb ihn, ganz der Wissenschaftler, als „Laboratorium“ der Natur“, und meinte „Das ist einer der Berge Europas, deren Erkenntnis besonders viel Licht in die Erdtheorie bringen dürfte.“, bei der Erkundungstour des Monte Rosa-Gebietes belud er immerhin zwei Maultiere mit wissenschaftlichem Gerät und auch zum Gipfel des Monte Blancs trug ein ganzer Tross an Trägern Instrumentarien zur Erforschung der Höhe, der Temperatur, des Luftdrucks und andere Utensilien, mit welchen er die Gegebenheiten in der Gipfelsphäre und was er sonst oben noch anzufinden gedachte untersuchen wollte.50

Neben seinen botanischen und geologischen Interessen besaß Saussure aber auch eine romantische Seite und empfindet die Berge als Objekte der Ästhetik. Nachdem ihm während eines Besteigungsversuches bereits am Berg aufgrund der widrigen Umstände die Gerätschaften zum Kochen des Wassers und Feststellen des Siedepunktes den Dienst versagen, wiegt die Schönheit der Landschaft sein Ungeschick auf: „Die Schönheit des Abends und die Majestät der Aussicht, die ich bey dem Untergang der Sonne auf meinem

48 STEINKE Hubert, STUBER Alfred, Hallers Alpen. Kontinuität und Abgrenzung(1672- 1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung. In: Leoni Simona BOSCANI (Hg.), Wissenschaft - Berge – Ideologien. Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung. Basel 2010, p. 236, 245 und SCHARFE, Berg-Sucht, 2007, p. 69. 49 GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 46. 50 Zit. nach: WOZNIAKOWSKI, Die Wildnis, 1987, p. 330, 331-332 bzw. WOZNIAKOWSKI, Die Wildnis, 1987, p. 329-330 bzw. und KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 12.

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Observatorium hatte, trösteten mich über dieses mein Unglück.“51 Im Weiteren beschreibt er fast traumhaft melancholisch die Würde des Augenblicks und des farbenprächtigen Naturschauspiels im Schnee der untergehenden Sonne um schließlich noch in tiefer Dunkelheit eine sternenklare Nacht zu erleben. Diese Fesselung durch die Eindrücke der Natur nimmt bereits viel vom romantischen Ideal vorweg, dessen Vollkommenheit eigentlich erst als Lohn am Gipfel vermutet wird. Die erhoffte „Erhabenheit“ als Gipfelglück entsprach jedoch nicht den Vorstellungen, die Saussure im Tal mit sich trug. Über zwanzig Jahre hatte er auf diesen Augenblick hingearbeitet und hinarbeiten lassen, am Gipfel aber war er vor Erschöpfung fast zu schwach um atemlos das Barometer abzulesen oder nur zum geringsten Genuss befähigt zu sein.52 Es findet sich aber auch ein Motiv im Denken Saussures, welches nahezu jeder moderne „Jünger der Berge“ kennt, denn ganz offensichtlich pflegt der Genfer Gelehrte bereits eine sehr ambivalente Beziehung zum Objekt seines Strebens. Einerseits beschreibt er sein Bergverlangen bereits als „Krankheit“, andererseits empfindet er unzweifelhaft Freude am vertikalen Raumgewinn: „Wir fühlten jenes so lebhafte und aufmunternde Vergnügen, welches man empfindet, indem man einen Gipfel, der zuvor höher stand, nach dem andern allmählich unter seine Füße sich vertiefen sieht.“53

Der Alpinismus war dementsprechend eine Schöpfung der Wissenschaft, der romantischen Naturverklärung und auch der Naturaneignung, im abstrakten Sinne eben über die Erforschung, etwas konkreter aber auch durch die Besteigung und der eigenen Erhöhung wie es Saussure schildert, wenn er die Gipfel unter seinen Füßen weichen sieht. Es stellt sich allerdings die Frage, weshalb genau jene Bergbesteigung diese Nachwirkung entfalten konnte. Denn Antiurbanismus und die andächtige Ästhetikschau in der Zivilisationsferne der Romantiker kannte auch schon Konrad Geßner, als er 1555 den oben schon erwähnten Pilatus bestieg und nebenbei auch alle Sorgen um metaphysische Existenzen widerlegte. Der Botaniker und Arzt steigt auch der Lust und Wonne willen auf Berge, löst sich so vom reinen Zweckbergsteigen und will jährlich mindestens einen oder mehrere von oben betrachten.54 Weniger wissenschaftlich aber von reiner „videndi insignem loci altitudinem cupiditate“, verführt versucht Petrarca rund zwei Jahrhunderte zuvor seine Kräfte am Monte Ventoux und nimmt damit die „Zweckfreiheit“ vorweg, welche das stilprägende Element des bürgerlichen

51 VON SAUSSURE Horatius Benedictus, Reisen durch die Alpen: Nebst einem Versuche über die Naturgeschichte der Gegend von Genf 4. Leipzig 1788., p. 326. 52 FELSCH Philipp, Stein und Fleisch, 2007, p. 81. 53 VON SAUSSURE, Reisen durch die Alpen, 1788, p. 332 und DE SAUSSURE Horace Bénédict, Voyages dans les Alpes. partie pittoresque : des ouvrages. Genf, Paris 1834, p. 370. 54 LUTZ Ronald, Duelle mit dem Berg. In: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung 35 (1999), p. 29 und GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 33.

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Alpinismus werden sollte.55 Aber Petrarca schildert auch noch weitere Aspekte des modernen Alpinismus und muss sich bereits im Frühhumanismus mit der komplizierten Auswahl des geeigneten Tourenpartners auseinandersetzen, denn manche sind körperlich nicht befähigt, andere nerven und einige sind ihm schlicht zu simpel.56 Außerdem erkennt er im mühevollen Besteigen eines Gipfels bereits eine Metapher auf das Leben und die moralische Wertigkeit eines Menschen: „Equidem vita, quam beatam dicimus, celso loca sita est; arcta (ut aiunt) ad illam ducit via. Multi quoque colles intereminent, et de virtute in virtutem preclaris gradibus ambulandum est. In summo finis est omnium et viae terminus […] Quid ergo te retinet? Nimirum nil aliud, nisi per terrenas et infimas voluptates planior, et, ut prima fronte videtur, expeditior via. Verumtamen, ubi multum erraveris, aut sub pondere male dilati laboris ad ipsius te beatae viae culmen oportet ascendere, aut in convallibus peccatorum tuorum segnem procumbere“57 Moral und „Zweckfreiheit“ bzw. auch „Selbstzweck“ werden uns als zentrale Aspekte auf den folgenden Seiten immer wieder begegnen, weswegen wir diese Gleichsetzung des Petrarca im Hinterkopf behalten sollten.58

Inspiriert zu seinem ehrgeizigen Vorhaben wurde Petrarca von Livius, welcher schilderte wie sich Philip V vor einer Schlacht vom Berg Hämus aus einen Überblick verschaffte. In diesem Fall verleitete ein strategisches Interesse zur Bergbesteigung, nicht ganz unbedeutend für unsere späteren Untersuchungen zum Zusammenhang von militärisch-alpinistischer Wesensverwandtschaft im Nationalsozialismus. Allerdings stiegen in der Antike nicht nur Feldherrn auf Berge sondern auch Naturforscher, so soll Kaiser Hadrian zu diesem Zweck den Vesuv erstiegen und Plinius der Ältere der Wissenschaft wegen sogar sein Leben dort gelassen haben. Schlussendlich hat die „Besetzung“ von Bergen und Gipfeln zur Machtsymbolik auch nicht erst die Nationalsozialisten bewegt, sondern schon Karl VIII, der einen Söldnerführer vor der Eroberung Italiens den Mont Aiguille bestiegen ließ um dort sein Banner aufzupflanzen. Diese Leistung ist keinesfalls gering zu schätzen, denn sie war nur unter Einsatz von Seil und Leiter möglich, was beim Anblick dieses senkrechten Felskopfes,

55 PETRARCA, Fam. IV, 1, p. 193 und KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 22. 56 PETRARCA, Fam. IV, 1, p. 196-197. 57 Ebd., p. 194. 58 Der Fairness wegen gilt es an dieser Stelle auch die massiven Zweifel zahlreicher Philologen anzuführen, welche in den Ausführungen Petrarcas weniger einen alpinistischen Erlebnisbericht, sondern vielmehr eine in literarischer Tradition stehende Gelehrtenschrift erkennen, welche eine philosophisch aufgeladene Bekehrungsgeschichte des Autors beschreibt. Einige betrachten die Besteigung grundsätzlich als fiktiv und reiner Überbau, andere meinen sie sei zumindest drastisch vordatiert. Siehe hierzu beispielhaft auch MERTENS Dieter, Mont Ventoux, Mons Alvernae, Kapitol und Parnass. Zur Interpretation von Petrarcas Brief Fam. IV, 1 ‚De curis propriis“. In: Andreas BIHRER (Hg.), Nova de veteribus. Mittel- und neulateinische Studien für Paul Gerhard Schmidt. München [u.a.], 2004, p. 713 – 734.

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welcher auf Grund seiner Form wohl jeden Betrachter an eine natürliche Festung erinnert, nur zu verständlich erscheint.59

Wieso ist man also nicht geneigt diese Bergsteiger als Alpinisten zu bezeichnen? Die Antwort ist vergleichsweise simpel und ernüchternd. Oben haben wir den Alpinismus schon mehrfach als Bewegung ausgewiesen und als solche ist schlicht und ergreifend eine gewisse Anhänger- und Trägerschaft von Nöten. Diese ist erst im aufstrebenden Bürgertum gegeben, welches die Ressourcen und den Willen besitzt nach einer bestimmten Verfahrensweise diese gesellschaftliche Erscheinung voranzutreiben.60 Der gesellschaftliche Stand des Bürgertums im Allgemeinen, aber die ersten Jahrzehnte vorwiegend des früh industrialisierten englischen Bürgertums, besaß die materiellen Mittel die kostspielige Reise in die abgelegene Region der Westalpen, die notwendige Ausrüstung und, keinesfalls zu vergessen, das unabdingbare und auf einen längeren Zeitraum streckbare Quantum an Freizeit finanziell zu stemmen. Der ehemalige Profi-Alpinist Chris Bonington schreibt hierzu: „Nimmt man Zeit und Geld als Maßstab war es damals eher teurer, die Alpen zu bereisen, als heutzutage in den Himalaya zu fliegen.“61 Die englische Dominanz in der Frühphase alpinistischer Betätigung lässt sich auch durch die in der „Gentry“ bereits rudimentär ausgebildete Grundakzeptanz sportlicher Bestrebungen sowie die Deckungsgleichheit alpinistischer Fortbewegungsformen mit der Selbstsicht der englischen Oberschicht erklären, so verlangte man selbst und die Ersteigung des Berges keine akrobatischen, abstrakten Verrenkungen, sondern Trittsicherheit, Unermüdlichkeit und ein aufrechtes Schreiten. Diese Eigenschaften spiegeln eher den „Reisecharakter“ früher Bergbesteigungen wider. Auch Saussure spricht vom „Abreisen“ am Morgen, wenn er sich Richtung Gipfel aufmachte, und das Reisen, Erkunden schließlich auch Besetzen stellt unzweifelhaft ein imperialistisches Verhaltensmuster, wie es die Briten ausprägten, dar.62 In Afrika erkundeten sie den Lauf und Quell des Nils, im alten Kontinent beseitigten sie seine letzten weißen Flecken im Alpenraum. Auch die Vorbereitungen auf die ersten Hochtouren der Engländer von Chamonix aus belegen wie ernst man diese Expeditionen ins Unbekannte nahm, denn man legte Wert darauf nicht ohne Waffen aufzubrechen um sich gegebener Maßen gegen was man eben vorfinden mag wehren zu können.63 Einen letzten Punkt möchte ich anführen, welcher das englische Bürgertum veranlasste die Dampfmaschine der anrollenden Lokomotive des Bergsteigens zu befeuern.

59 GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 24 – 30. 60 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 25. 61 BONINGTON Chris, Triumph in Fels und Eis. Die Geschichte des Alpinismus. Stuttgart 1995, p. 34. 62 GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 41 und VEYNE, Bergsteigen, 2007, p. p. 18-19 und VON SAUSSURE, Reisen durch die Alpen, 1788, p. 329. 63 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 17.

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Die Wirtschaft des industrialisierten Englands beherrschte das Denken des Kapitalismus, welcher sich in einigen Elementen stark dem Alpinismus annähert. Er kennt die Risikobereitschaft, den Durchsetzungswillen und auch den Wettkampf, der sich im Alpinismus bald die Bahn brechen wird, schließlich stellt er aber die konkurrierende Wirtschaftsform des Bürgertums zum großgrundbesitzenden Adeligen dar, dem sein Vermögen erlaubte sich ohne persönliches Risiko dem „Staatswohl“ zu widmen. Im Alpinismus drückt sich auch eine antiaristokratische Haltung des Bürgertums aus, welches bestrebt war sich abzusetzen, sich Geltung zu verschaffen und dem Adel Verweichlichung und Müßiggang vorzuhalten. Der bürgerliche Alpinist hingegen war auf die Inszenierung als hartarbeitender, zur Leistung bereiter Aufsteiger bedacht, was er auch in seinen Ferienreisen in den Bergen zur Schau trug.64

In unmittelbarer, zeitlicher Nähe nach und auch knapp vor der erfolgreichen Erstbesteigung des Monte Blancs, der Wiederholung unter Beteiligung Saussures und dem Erscheinen seiner „Reiseaufzeichnungen durch die Alpen“ strömt nun erstmals das Bürgertum massenhaft in die verwaisten Alpenregionen, bevölkert vergleichsweise flutartig das abgeschiedene Bauerndorf Chamonix und verantwortet erstmals eine Dichte an Besteigungen einzelner Gipfel im Alpenraum, deren Quantität ganz eindeutig auf eine gewisse Systematik hindeutet. Um nur einige prominentere zu nennen seien hier das Rheinwaldhorn, das Großwiesbachhorn, und in den Ostalpen der Klein- und Großglockner und der Watzmann angeführt.65 Im Schnitt werden jetzt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts alle zwei Jahre ein neuer Viertausender erstbestiegen. Ab den 1820er Jahren war es geradezu Mode geworden über die Sommermonate in die Alpen zu reisen und unter den englischen Gentlemen meinte man, es sei schlichtweg Ausdruck des Standesbewusstseins einen der Viertausendergipfel erreicht zu haben.66 Diese deutlich nach oben ausschlagende Statistik der Bergbesucher wird außerdem durch die zahlreichen Vermerke, wie sehr man sich im Schweigen und Schwelgen gestört fühlt von völlig unvermutet auftauchenden einzelnen Personen oder auch ganzen Menschenansammlungen, gestützt.67 Denn unglücklicherweise finden umso weniger Menschen Einsamkeit, je mehr nach ihr suchen. Der oben behandelte Albrecht von Haller sieht gar durch den intensiven Kontakt seiner sittenreinen Älpler mit der Außenwelt und der

64 HAUSLER Bettina, Der Berg. Schrecken und Faszination. München 2008, p. 127. 65 GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 43. 66 HAUSLER, Der Berg, 2008, p. 125. 67 COLLEY Ann C., Victorians in the Mountains. Sinking the Sublime. Burlington 2010, p. 20.

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damit Einzug haltenden Gier und Habsucht ihre Tugendhaftigkeit und sein Paradies verloren, in welchem die „verkommenen“ Früchte wirtschaftlichen Denkens gepflückt würden.68

Das „goldene Zeitalter“ des Alpinismus Mit der Besteigung des Wetterhorns 1854 setzt man gerne den Beginn des sog. „goldene Zeitalters“ im Alpinismus und den Übertritt zum sportlichen, weniger (vordergründig) wissenschaftlichen und damit zweckfreien Bergsteigen ohne Gemeinsinn fest.69 Allerdings verhält es sich mit diesem Datum ähnlich wie bei der exakten zeitlichen Fixierung der Wiegenlegung des methodischen Bergsteigens, es existiert eher im Bemühen des Betrachters nach Klarheit, weniger in den verschwommenen Farben, unter denen man den grellsten Punkt zu suchen verleitet ist. Dennoch scheint in der Mitte des 19. Jahrhunderts jene Ballung kritischer Masse aufgetreten zu sein, welche eine massive Expansion zur Folge haben musste. Seit der Erstbesteigung des Monte Blanc bis ins Jahr 1859 wurden 25 Viertausender erstbestiegen, in den nächsten sechs Jahren, bis zur Erstbesteigung des Matterhorns sollten alle 93 an der Zahl einen Erstbesteiger kennen und diese trugen größtenteils englische Namen.70 Repräsentativ ist auch die Anzahl der Besteigungen des höchsten Alpengipfels, welcher zwischen 1787 und dem Anbruch des „goldenen Zeitalters“ dreiunddreißigmal, innerhalb der wenigen Jahre von 1852 bis 1857 von insgesamt vierundsechzig, davon sechzig englischen, Seilschaften erreicht wurde, um schließlich in den nächsten zwei Jahrzehnten, in einer derartig gedrängten und ausgelassenen Atmosphäre erstiegen zu werden, dass man kaum noch klettern konnte ohne auf Seilschaften oder auch Einzelgänger zu stoßen. Zumeist begegneten Engländern indes ihren eigenen Landsleuten oder fanden gar Namen von guten Bekannten in Hüttenbüchern verzeichnet, was nicht selten auch als störend empfunden wurde, trübte es doch das Gefühl der Entrückung und Abgeschiedenheit.71 Die Dominanz der viktorianischen Bergsteiger lässt sich auch an der weitestgehend von bürgerlichen Geschäftsleuten betriebenen Gründung des „Alpine Clubs“ im Jahr 1857 in London ablesen.72 Er war nicht nur der erste seiner Art, sondern erlaubte es sich auch großzügig auf die Angabe der Nationalität zu verzichten, nicht jedoch, weil er jedem berginteressierten Menschen ungeachtet der Landeszugehörigkeit offenstand, die Zahl der englischen Bergsteiger und die Bedeutung ihrer Leistungen reduzierte den Einfluss der Bergsteiger aus anderen Regionen

68 STEINKE Hubert, STUBER Alfred, Hallers Alpen. Kontinuität und Abgrenzung(1672- 1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung. In: Leoni Simona BOSCANI (Hg.), Wissenschaft - Berge – Ideologien. Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung. Basel 2010, p. 248. 69 BONINGTON, Triumph, 1995, p. 33. 70 HAUSLER, Der Berg, 2008, p. 122. 71 GRUPP, Faszination Berg, 2008, p, 59 und COLLEY, Victorians, 2010, p. 21-22. 72 ARMSTÄDTER Rainer, Der Alpinismus. Kultur – Organisation – Politik. Wien 1996, p. 34.

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schlicht zur vernachlässigbaren Größe. Ein Nicht-Engländer erschien ihnen als Rarität und dieses Bewusstsein ließ sie auch etwas vermessen und arrogant werden: „Auf den Monte Rosa wollen sie? Da kommen doch nur Engländer hinauf.“, meinten beispielsweise zwei englische Führertouristen zu einem Alleingänger, den sie während ihres Abstieges trafen.73

Neben einer auf nationaler Zugehörigkeit beruhenden Hochmütigkeit lässt sich aus dieser Stelle aber auch das körperlich-selektive Element einer Viertausenderbesteigung herauslesen, nicht zuletzt stellte eine solche auch eine der Voraussetzungen für die Aufnahme in den elitären „Alpine Club“ dar. Die Versportlichung und die damit einhergehende Beschränkung der Alpinisten auf ein wesentlich kleineres, dafür umso schlagkräftigeres Team sind wohl auch die zentralen Ursachen für die zahlreichen Erstbesteigungen im kurzen „goldenen Zeitalter“ In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Expeditionskarawane von dreißig Personen und mehr ein gewöhnlicher Anblick auf den Hängen des Monte Blanc. Bei der Erstbesteigung des Großglockners 1800 waren 59 bei der des Großvenedigers 1841 immerhin auch noch 40 Träger und Führer beteiligt.74 Diese Zahlen verwundern jedoch nicht, wenn man den enormen Hausrat einer wissenschaftlichen Alpenreisenden bedenkt, wie ihn Hugi anführt: „Mit gleicher Sorgfalt wurde auch der übrigen Instrumente bedacht Hygrometer, Areometer, Tubus, vorzüglich der trigonometrischen, des Klino- und Kronometers, bis auf Fusseisen, Alpstöcke, Hämmer, Schneebeil, Meissel, Hacken, Stricke, spanische Weinsäcke, Weinsgeistblasen u. s. w. Diesen ganzen wissen- und unwissenschaftlichen Hausrath nahm eine grosse, lederne Hutte in verschiedene Kammern auf. In einer der zwei grossen Abteilungen war ein Pelzmantel und eine wollene Decke, in der anderen der übrige Kleidungsvorath; unten in einer Seitentasche der ganze Kochapparat mit chemischem Feuerzeig und Zubehör. Gegenüber eine blecherne Weingeistflasche. In einer oberen Seitentasche befanden sich Tubus, Sextant, Bussole, alle Thermometer, Hygrometer, Areometer, färbige Gläser, blaue Brillen, Schleier u. s. w.; gegenüber Meissel, Bohrer Feilen, Schrauben, Hacken, Nägel, Fusseisen, Drath; ferner eine kleine Reiseapotheke, Heft- und Mutterpflaster, Augenbalsam, Bleiextrakt, Hoffmanstropfen, Fussalbe aus verbranntem Alkohol und Seife mit Kölnerwasser, ferner Binde, Leinwand [...].“ Wir brechen die Aufzählung hier ab, da diese Arbeit wohl eindeutig über weniger „Stauraum“ als Hugis Expeditionsteam verfügt, war er doch immerhin mit 39 Trägern und Reisegefährten unterwegs.75 Der klassische Alpinist des „goldenen Zeitalters“ hingegen begnügte sich mit ein, zwei fähigen und wegkundigen Führern. In zahlreichen schriftlichen Zeugnissen lassen

73 LUKAN Karl, Hauptsach`man weiss, wo der Berg steht oder Alpinismus in Anekdoten. Wien 1972, p. 58. 74 SCHARFE, Berg-Sucht, 2007, p. 45. 75 HUGI Franz Josef, Naturwissenschaftliche Alpenreise. Leipzig 1830, p. 18-19.

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sich dieser sukzessive Übergang und die Metamorphose des Wissenschaftlers zum Leistungsbergsteiger sehr eindrucksvoll nachlesen. Die bestechendste Verkörperung dieser Wandlung finden wir im englischen Glaziologen John Tyndall. In seinem ursprünglich wissenschaftlichen Ehrgeiz wird er sowohl durch die Wahrnehmung der ästhetischen Natureindrücke als auch durch die zunehmend anspruchsvolleren, alpinistischen Herausforderungen, welchen er sich zu stellen gewillt war, gehemmt. Dieser Umstand scheint ihn allerdings nicht sonderlich zu stören, sondern er akzeptiert ihn als natürlichen Prozess, ist sogar stolz auf seine Entwicklung, wenn er schreibt: „Einmal rutschte Bennen´s Fuss auf einem steilen harten Hang aus; er fiel und stürzte rasch herunter, indem er mich nach sich zog. Ich fiel auch, drehte mich aber schnell um, stiess die Spitze meines Beils in das Eis, fand guten Ankergrund und hielt uns beide fest; mein Erfolg bewies mir, dass ich große Fortschritte als Bergsteiger seit meiner Besteigung des Mont Blanc gemacht hatte.“76 Aber Tyndall findet auch jene viel gerühmte „Erhabenheit“ der Bergwelt vor, wie man sie sich als Bergsteiger nur wünschen kann: „Ich hatte keine Ahnung, dass die Strahleck ein so schöner Pass war. War es eine Eigenthümlichkeit meiner Seele, dass ich das Grossartige der Gegenwart so tief empfand, dass ich alle Herrlichkeit der Vergangenheit vergass, ich weiss es nicht, aber es schien mir, als hätte ich nie etwas Schöneres gesehen, als den Blick von dem Gipfel.“77 Seinen Durchbruch als Bergsteiger ersten Ranges erlebt Tyndall 1861 aber am Gipfel des Weißhornes, welches er mit seinen Führern Bennen und Wenger erstmals bis zum höchsten Punkt erklomm. Nicht nur die sportliche Leistung markiert diesen Status sondern auch seine Gefühle am Gipfel: „Nie vorher hatte ich einen Anblick erlebt, der mich so in tiefster Seele ergriffen hätte. Ich wollte in meinem Notizbuch einige Beobachtungen niederschreiben, es war mir aber unmöglich. Es schien mir etwas Unharmonisches, wenn nicht Entweihendes, wollte ich den wissenschaftlichen Gedanken gestatten, in dieser gehobenen Stimmung sich einzuschleichen, wo schweigende Huldigung´ der einzig mögliche Gottesdienst war.“78 In diesem Augenblick, der aus sportlicher Hinsicht den Höhepunkt seiner Alpinistenlaufbahn setzt, sehen wir in Tyndall ganz eindeutig den wissenschaftsfreien, geführten Bergsteiger als Stereotyp seiner Zeit. Allerdings besitzt diese Momentaufnahme seiner Gefühlswelt keine bleibende Konsequenz für seinen alpinistischen Zugang und seine Zerrissenheit zwischen wissenschaftlichen Motiven und sportlichem Ehrgeiz wird noch in einigen weiteren Begebenheiten deutlich, so ändert er bspw. während des Aufstiegs seine Pläne einer angedachten Besteigung des hohen Finsteraarhorns der Wissenschaft wegen um

76 TYNDALL John, Die Gletscher der Alpen. Braunschweig 1898, p. 142. 77 Ebd., p. 118. 78 Zit. nach GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 63.

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die naheliegende, sportlich herausforderndere Jungfrau zu erklimmen. Nach längerem Marsch Richtung Jungfrau erfährt er jedoch einen erneuten Sinneswandel: „Ich fragte mich, warum ich von meinem ersten Plane abginge? Das Finsteraarhorn war höher und daher viel besser für die beabsichtigten Beobachtungen geeignet. Ich konnte auf keine Weise den Wechsel des Entschlusses rechtfertigen und äußerte zuletzt meine Bedenken.“79 Seine Ehre als Wissenschaftler wird Tyndall schließlich auch zum Rücktritt vom Amt des Vizepräsidenten des „Alpine Club“ und schließlich zum Austritt verleiten, nachdem der berühmte Leslie Stephen in einer Bankettrede sich über die Schrulligkeit der naturforschenden Alpinisten mokiert hatte und man ihn außerdem seines Bestrebens auf Weitergabe seiner Messungen der Ozonwerte in der Gipfelluft an den alpine Club wegen ausgelacht hatte.80

Die Zeit der viktorianischen Gipfelstürmer, die in die Berge stiegen um zu forschen, war also im „goldenen Zeitalter“ endgültig abgelaufen, in einem für uns bedeutsamen Punkt blieben sie sich, abgesehen von vernachlässigbaren Ausnahmen, allerdings immer treu und niemand hätte Tyndall widersprochen, als er meinte: „Ein leidenschaftlicher, kühner Bergsteiger sollte nie weniger als zwei gute Führer haben; und sollte es Sitte werden, dass man ohne Führer zu klettern anfängt, so würden früher oder später sehr traurige Folgen dadurch entstehen.“81

Die englischen Bergsteiger verstanden sich als idealistische Amateure, deren Berggänge eine zweckfreie, meist sommerliche Freizeitaktivität darstellten, wohingegen die einheimischen Führer in ihren Augen dieses Ethos entbehrten und aus Profession die Ebenen verließen.82 Die Buchung eines Führers, der am Berg die kraftlastigen, wenig eleganten Tätigkeiten wie das mühsame Stufenschlagen übernahm, schien ihnen außerdem auf Basis ihres ständischen Denkschemas nur zu selbstverständlich.83 Tatsächlich scheint ein Großteil der professionellen Bergführer, zumindest in der Frühphase des Alpinismus, weniger in der Motivlandschaft der „Idealisten“ gewandert zu sein, sondern erkannten in ihren Kunden vorwiegend eine Möglichkeit zur Aufbesserung ihrer finanziellen Mittel.84 Der Prototyp dieses materialistischen Bergsteigers findet sich zweifelsohne in Jacques Balmat, dem mit Paccard die gemeinsame Erstbesteigung des Monte Blanc gelang. Es reizten ihn weniger die Gipfel der Berge, mehr deren Innenleben und so erstieg er sie in erster Linie um Kristalle zu sammeln. Saussures Expedition wurde für ihn ob der ausgelobten fünfzig Francs interessant

79 TYNDALL, Die Gletscher der Alpen, 1898, p. 132. 80 VEYNE, Bergsteigen, 2007, p. 27 und GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 121. 81 TYNDALL, Die Gletscher der Alpen, 1898, p. 194. 82 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 20. 83 VEYNE, Bergsteigen, 2007, p. 17. 84 SCHARFE, Berg-Sucht, 2007, p. 34.

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und sein Leben ließ er auch auf der Suche nach Schätzen, allerdings im Tal beim Versuch eine Goldader aufzustöbern.85 Neben den Kristallsuchern waren vor allem die Wilderer versierte und dementsprechend gern gebuchte Bergführer, kannten sie doch meist schon verborgene Anstiege durch Wände, waren gar schon auf Gipfeln ohne die Öffentlichkeit davon wissen zu lassen, was deren Attraktivität für die zahlungskräftigen Kunden somit auch nicht schmälerte. Der Wiener Alpinist Heinrich Heß, Erschließer des Gesäuses, zählt zu seinen Erstbegehungen den sog. „Peternpfad“ durch die Nordwand auf die Planspitze. Für dieses Vorhaben im Jahr 1877 buchte er den Holzknecht Andreas Rodlauer als einheimischen Führer und Begleiter. Zu diesem Zeitpunkt galt die Nordwand als unbezwingbar, dennoch konnte Rodlauer seinem Kunden ohne die kleinste Ungewissheit einen Pfad durch die Wand weisen, über welchen sie in wenigen Stunden auf den Gipfel gelangten. Tatsächlich war Rodlauer ein berüchtigter Wilderer in jener Gegend, der mehrmals beinahe auf frischer Tat ertappt seinen Häschern doch noch entwischen konnte und, so erzählt man sich, oft schon schimpfend im Gasthaus saß, wenn die erneut genarrten Jäger frustriert ins Tal zurückkehrten. Erst Jahre später am Totenbett eröffnete er seine geheimen Wilddiebstähle und seine gewagten Fluchten direkt durch die Nordwand lange bevor Heß sie „erstbestieg“.86

Diese verschwiegene Erstbegehung war jedoch kein Einzelfall, denn vergleichbare Geschehnisse trugen sich auch in den Dolomiten zu, nur mit weniger glücklichem Ausgang für den hoffnungsvollen Führer. Denn der Dolomitenführer Ploner aus Schluderbach hatte nach beuteloser Jagd in der Nähe der Cadinspitze deren Gipfel aus Langweile bestiegen. Nach seinem Abstieg wird er im Tal über die bevorstehende Anreise des berühmten Bergsteiger Paul Grohmann unterrichtet und sagt sich selbst: „Jesses, sag i, der Grohmann, bist du a Kerl, daß du heut aufi bist, allein und ohne Touristen. So hat jo die ganze Besteigung kann Wert nit und der Grohmann geht sicher nimmer aufi! Dös därf nit sei, dös is ganz was anders, wenn der Grohmann zerst droben war. Der muess nauf, nocher hat die Gschicht an Ansehen.“87 Unglücklicherweise hatte der gelangweilte Jäger ein Steinmanderl am Gipfel errichtet und musste nun ein weiteres Mal auf den mittlerweile nächtlichen Berg um bei der Zweitbesteigung die Beweise der Erstbesteigung zu vernichten sowie seine Fußspuren in den Schneerinnen zu verwischen. Ausgezahlt haben sich seine zwei Begehungen jedoch nicht, denn am nächsten Morgen wollte Paul Grohmann sich nicht von der „lohnenswerten Erstbegehung“ der Cadinspitze überzeugen lassen und zog weiter.88 Eine wesentlich

85 VEYNE, Bergsteigen, 2007, p. 14. 86 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 36-38. 87 LUKAN, Alpinismus in Anekdoten, 1972, p. 78. 88 Ebd., p. 79.

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pragmatischere Perspektive auf die Bergwelt dokumentieren auch die vielen Schilderungen der variierenden Wahrnehmung beim Genuss des Gipfelpanoramas. Während die Kunden gemeinhin die „Erhabenheit“ und „Naturbelassenheit“ etc. hervorheben, bewundern die einheimischen Führer meistens die Fruchtbarkeit im Tal oder, bedauern, wie im Fall der Sennerin Nanni, die mit Simmony gemeinsam als erste Frau am Dachstein stand, die Sterilität der weißen Schneeflächen und sehnen sich zurück zu den Tagen, als die saftigen Alpenböden noch hunderten Kühen Nahrung boten.89

Dieser ökonomische Zugang und das Streben nach finanziellem Gewinn veranlasste nun zahlreche „Amateuralpinisten“ des „goldenen Zeitalters“ zu der Annahme, ihre Führer seien keine „wahren Alpinisten“ und lassen den moralischen Aspekt der Berge wegen in die Berge zu gehen vermissen, da ihnen diese Zweckfreiheit unbekannt ist und gemeinhin wird folgendermaßen geschlussfolgert: „I knew that, as a guide, he was immeasurably superior to an amateur in his trained knack of finding the way, and that in quickness on rocks the two could hardly be compared. But previously it had always seemed to me that the amateur excelled in one great requisite, viz., pluck.”90

Mit diesen Worten bedachte der womöglich beste (Amateur-)Bergsteiger seiner Zeit, Clinton Dent, seinen Führer Alexander Burgener, mit welchem ihm schließlich bei seinem achtzehnten Versuch die Besteigung der Aiguille du Dru gelingt.91 Burgener stand in den Augen Dents außerhalb des klassischen Schemas der Kompetenzverteilung in der Beziehung zwischen Führer und Kunde und revidierte im Hinblick auf den Charakter von Burgener seine Aussage über das angeblichen Manko an „Schneid“ bei den professionellen Führern, gestand ihm zu auch „moralisch“ ein vollwertiger Bergsteiger zu sein und bescheinigte sogar: „Burgener was so positive of ultimate triumph, and so confident in his own powers, not only of getting up himself, but of getting us also to our goal, that the whole matter seemed placed before us in a different light. We might have to wait, we might have to try many times, but still we could not but believe the impression that now gradually formed that we must ultimately succeed. To the spirit which Burgener displayed that year, and which he imbued in us […], and to his sagacity and great guiding qualities, the whole of our ultimate success was due.”92 So gibt Dent auch anstandslos zu, die gelungene Erstbesteigung 1878 insbesondere in den Verdiensten von Burgener begründet zu sehen, ohne den dieses Unterfangen wohl noch etliche weitere Male gescheitert wäre.

89 SCHARFE, Berg-Sucht, 2007, p. 232. 90 CLINTON Dent, Above the snow line. London 1885, p. 183. 91 BONINGTON, Triumph, 1995, p. 49. 92 CLINTON Dent, Above the snow line, 1885, p. 182.

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Wir sollten bei dieser Ergründung der Motivlandschaft der professionellen Bergführer jedoch nicht vergessen, auf wessen selbstfokussierte Perspektive wir uns zumeist stützen und wessen Worte selten schriftlich niedergelegt wurden. Außerdem wissen wir durchaus um eine gewisse alpinistische Eitelkeit, die auch bei Bergführern auftritt, sofern sie sich von ihren Herren um den Erfolg betrogen fühlen, wenn ihre Anregungen, Intentionen und Leistungen marginalisiert dargestellt werden.93 Auch dieser Umstand weist auf die Ausbildung eines „Ehrgefühls„ und „Stolzes“ bei den angeblich idealismusfremden Bergführern hin.

Jene alpinistische Großtat liegt jedoch bereits außerhalb der zeitlichen Spanne des „goldenen Zeitalters“, welches Alpinhistoriker gemeinhin mit der Erstbesteigung des legendären Matterhorns 1865 enden lassen und diese Annahme einerseits mit dessen Status als letzter markanter und ernstzunehmender Viertausender und Hauptgipfel in den Alpen, der ob seiner Schwierigkeiten so lange unbestiegen blieb, und der ersten alpinistischen Katastrophe, die sich beim Abstieg ereignet hatte, begründen. Mit diesem Gang zur Höhe habe der Alpinismus seine Unschuld verloren und die ehemals hehren Motive seien völlig aus den Geistern der Besteiger verschwunden, wird im Allgemeinen geurteilt, denn erstmals fand ein unmittelbarer Wettlauf zum Gipfel auf verschiedenen Anstiegen von konkurrierenden Seilschaften statt und Edward Whymper bzw. dessen gesamte Mannschaft stellte ganz bewusst die erfolgreiche Besteigung über die Sicherheit der Teilnehmer, denn deren alpinistische Unzulänglichkeiten waren bei einigen nur zu offenkundig. Eine komplexe Verkettung von Umständen zwang Whymper jedoch zu eiligen Entscheidungen und Handlungen, die, sofern er das Rennen für sich entscheiden wollte, keinen Aufschub erlaubten, was schließlich in die Tragödie und den Absturz von vier der insgesamt sechs Bergsteiger mündete.94

Bevor wir dieses Kapitel über die Versportlichung und Abkehr vom wissenschaftlich motivierten Alpinismus schließen, will ich noch zwei Aspekte anführen, die ich für bedeutsame und stilprägende Elemente dieser Bewegung halte und der Vollständigkeit wegen aber auch ob ihrer Bedeutung für die Zukunft dieses „Sportes“ behandeln möchte. Zum ersten Mal werden die Besteigungen der Alpen, insbesondere des Monte Blanc, ein Objekt medialer Inszenierung und generieren somit ein gewisses Zuschauerpotential, was einen durchaus gewichtigen Faktor des Sportbetriebes darstellt. Albert Smith gelangte 1851 mit sechzehn Trägern auf die höchste Spitze des Monte Blanc, was zu diesem Zeitpunkt keine besondere Leistung darstellte, sein Verdienst besteht allerdings in der Erkenntnis bei medialer Verwertung seiner Erlebnisse auf ein aufnahmebereites, zahlendes Publikum zu stoßen.

93 HUNGERBÜHLER Andrea, Könige der Alpen. Zur Kultur des Bergführerberufs. Bielefeld 2013, p. 155-156. 94 BONINGTON, Triumph, 1995, p. 42-46.

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Zurück in London mietete er sich die „Egyptian Hall“, bespielte sie sechs Jahre mit Lichtbildervorträgen hindurch vor ausverkauften Rängen und führte fortan das Leben eines reichen Mannes.95 Neben der Vermarktung in London wurden Bergfahrten auch vor Ort zu einem immer stärkeren Zuschauermagneten. In den Hotels wurden Teleskope aufgestellt, aber man führte auch tragbare Geräte mit sich um, sollten sich die Objekte der Betrachtung ab einem gewissen Punkt dem Auge entziehen, sie nach einem Standortwechsel wieder ins Visier nehmen zu können. Kehrten die Bergsteiger schließlich wieder an ihren Ausgangspunkt zurück, war man im Tal schon längst über Erfolg oder Misserfolg unterrichtet und man begrüßte bei geglückter Besteigung die Alpinisten mit Kanonenschüssen und fand sich zu ausgelassenen, die ganze Ortschaft ergreifenden, Festivitäten zusammen.96 Passive Anteilnahme an der Aktivität der Athleten, deren Inszenierung und Vermarktung, und diese gemeinschaftsbildenden Feierlichkeiten unter kollektiver Mitwirkung außenstehender Personen bilden genau jenen Kern modernen Sports der zum Spektakel der Masse avancierte.

Neben dem elitären und kostenintensiven Bergsteigen, wie es die Mitglieder oder angehenden Mitglieder des „Alpine Club“ betrieben finden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch immer mehr Personen aus der unteren Mittelschicht Eingang in die Bergwelt der Alpen. Alpenreisen werden zu dieser Zeit erstmalig professionell und profitorientiert von eigenen Agenturen angeboten und sorgen auf diesem Wege für den Effekt der „Cockneyiserung“, was nichts Anderes meint als eine Verschiebung der klassischen Milieuzugehörigkeit der Bergbesucher nach „unten“.97 1863 organisierte Thomas Cook seine erste Reise in die Alpen für „Jedermann“ und hatte genau jenen Kreis von Zielpersonen im Auge, der sich gemeinhin keine exklusiven Freizeitbeschäftigungen leisten konnte, denn seine ursprüngliche Intention war es, die Menschen weg vom Alkohol und aus den Pubs zu holen um sie mit der Reinheit der Natur zu konfrontieren. Diese „Reinigungskur“ fand jedoch unerwartet starken Anklang und über fünfhundert Interessenten meldeten sich für die erste Tour in die Schweiz, weswegen man bald von der ursprünglichen Absicht abkam und sich als gewinnorientiertes Unternehmen aufstellte. In den Alpen sprachen die wohlsituierten Angehörigen der „Gentry“ und der gehobenen Bürgerlichkeit allerdings bald von „Mr. Cook´s army“ und fühlten sich förmlich umzingelt von störenden Reisegruppen.98 Diese Urlaubermassen erfüllen für unsere Zwecke jedoch auch die Funktion der Repräsentanten des passiven Zuschauerinteresses am

95 Ebd., p. 32 und GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 149. 96 COLLEY, Victorians, 2010, p. 74. 97 HAUSLER, Der Berg, 2008, p. 125. 98 COLLEY, Victorians, 2010, p. 22-23.

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Treiben der eigentlichen Athleten, welches nötig ist, um von einer Versportlichung des Alpinismus im modernen Sinne sprechen zu dürfen.

Bürgerlicher Alpinismus in den Ostalpen und die ideologische Wegbereitung

Rückzug der englischen Idee Mit dem Abschluss der Viertausenderbesteigungen und dem Ende des „goldenen Zeitalters“ verloren die Engländer im alpinistischen Geschehen allmählich an Boden und zogen sich auf die Felsformationen ihrer Heimat zurück, entwickelten dort eine sehr „konservative“ Auffassung des Kletterns „by fair means“ und entdeckten auch bald den Himalaya als neues Betätigungsfeld ihrer Erstbesteigungsbestrebungen.99 Den letzten großen Akt englischen Bergsteigens in den Alpen verfasste Albert Mummery, den man vielleicht schon eher als Visionär und weniger als reinen Bergsportler bezeichnen möchte. Er war nicht nur der erste Nanga Parbat-Aspirant und einer der Brückenbauer für die englische Elite in die neuen „Weltberge“, sondern er löste sich im Lauf seiner alpinistischen Karriere, wohl auch auf Grund seiner herausragenden Fähigkeiten, vom klassischen Seilschaftsschema des Führers mit seinen Kunden und vollführte eigenständig außergewöhnliche Begehungen in den Alpen. Zuvor war er lange eine „eingeschworene“ Verbindung mit jenem berühmten Bergführer Alexander Burgener eingegangen, den wir schon mit C. T. Dent klettern sahen. In dieser Phase erlebte er sozusagen unter kundiger Anleitung seine alpinistischen Lehrjahre. Mummery betrachte ich gewissermaßen als „Bindeglied“ zwischen den „traditionellen“ Alpinisten und den Vertretern der modernen Ausrichtung, denn er stellte das englische Dogma des Führungsalpinismus in Frage, wohingegen die Elite der jungen Ostalpen- Bergsteiger gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Abkehr schon zur Maxime ihres „wahren“ Alpinismus, der sich vorwiegend über individuelle Leistung und Autonomie definiert, erheben wird.100 Mit dem Abschluss der Phase der Erstbesteigungen der Haupt- und wichtigsten Nebengipfel verlegte man sich zusehends auf die Steigerung der Schwierigkeit im Aufstieg und begann auf weitläufige Gletschertouren und Gratwanderungen zu verzichten. Die Westalpen traten in den Hintergrund und die niedrigeren Ostalpengipfel wurden über immer anspruchsvollere Routen, in denen es noch „Neuland“ zu entdecken gab, das Ziel des Aufstieges. Analog zu den alpinistischen Zielobjekten verschoben sich auch deren „urbane“ Zentren, nicht mehr London, sondern München und zunächst vor allem Wien bildeten in den

99 BONINGTON, Triumph, 1995, p. 89-91. 100 Ebd., p. 50-58.

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nächsten Jahren und Jahrzehnten den Sozialisierungskern der alpinistischen Bewegung und wuchsen zu sog. Schulen.101

Hatten sich im englischen Alpinismus der Erstbegehungen auf die höchsten Berge Europas noch Reste der Idee des „Reisens“ erhalten mit dem Ziel die leichteste Route auf einen unbestiegenen Punkt zu verfolgen und sich Steigerungen der Schwierigkeit eher von Berg zu Berg bis hin zum Matterhorn als Schlusspunkt der Ersteigungsgeschichte der Hauptgipfel ergeben, setzen die mitteleuropäischen Bergsteiger an dessen Stelle das Ideal der nach persönlichen Maßstäben gemessen gerade noch realisierbaren Aufstiegsvariante, die nach Möglichkeit auch das Maximum der allgemeinen Entwicklung abbildete. Das „Reisen“ diente hier nicht mehr dem Erreichen eines Zieles, der Weg war nun das Ziel, nachdem kaum mehr erstzubegehende Gipfel existierten.102

Dieser neue Schwierigkeitsalpinismus auf alternativen Linien lässt naturgemäß auch die Unfallstatistik anschwellen und in diesem Zeitalter bekennen sich einige Vertreter der alpinistischen Gemeinschaft erstmals und bisweilen auch keineswegs zaghaft zu einer verklärten Bereitschaft des Bergtodes.103 Dieses Element gepaart mit dem Status des führungslosen Bergsteigens, mitunter auch des Alleingehens, bildet nunmehr eine der tragenden Säulen eines neuen „Ethos“ im Alpinismus, der zugegebenermaßen auch schon unter den viktorianischen Bergsteigern idealistisch aufgeladen war, wenn sie auf die Differenz zwischen Führer und Amateur hinwiesen, oder im Fall Mummery das Bergsteigen auch als Körper- und Charakterschule betrachtet wird, was dessen Funktion als Bindeglied nur ein weiteres Mal ausweist, jedoch keinesfalls diesen Grad an absoluter Vollstreckung bei den prominentesten Befürwortern dieser neuen Richtung erreicht.104

Bis 1880 stellen führungslose Touren eine absolute Ausnahme dar und werden gemeinhin, sofern sich jemand hinreißen ließ, verschwiegen. Nunmehr schwillt jedoch in kürzester Zeit diese bisher so geringe Zahl dramatisch an und es findet sich eine beständig wachsende Fülle

101 Ebd., p. 71 und GRUPP, Faszination Berg, 2008, p. 69-70 und AUFFERMANN Uli, HECKMAIR Anderl, Zum Glück geht’s bergwärts. Geschichten aus dem Leben des Erstbesteigers der Eiger-Nordwand. Innsbruck- Wien 2008, p. 161. 102 DIETRICH Klaus Marco, Alpine Unglücksfalle. Materialien zu einer Kultur- und Mentalitätsgeschichte von Absturz und Bergtod. In: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung 35 (1999), p. 45 und VEYNE, Bergsteigen, 2007, p. 26. 103 Ebd., p. 56. Parallel zum Anstieg der Zahl der Begverunfallten wird auch von Seiten der Öffentlichkeit immer wieder der Ruf nach einem behördlichen Einschreiten laut, welches gewisse Bergfahrten schlicht verbieten sollte. Auch innerhalb der Alpinistenclique wird dieses Szenario als realistische Bedrohung der bergsteigerischen Freiheit betrachtet und bisweilen rufen führende Stimmen zur Mäßigung bei risikoreichen Bergfahrten auf um einem derartigen Verbot die Grundlage zu entziehen. (ENZENSPERGER Ernst, Der neue alpine Stil. Eine Kritik zu E. Königs „Empor“. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 33 (1907), p. 18.) 104 COLLEY, Victorians, 2010, p. 47.

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an diesbezüglichen Vermerken in alpinistischen Publikationen.105 Die erstmalige Veröffentlichung eines alpinen Lehrbuches fünf Jahre später verwundert dementsprechend wenig, richtet es sich doch keinesfalls an einen Kreis professioneller Bergsteiger, sondern an jene ambitionierten Amateure, welche als Führungslose durch die Ostalpen streifen. „Gefahren der Alpen“, so der Titel des Werkes von Emil Zsigmondy, avanciert in kürzester Zeit zu einem Standartwerk alpinistischer Literatur und bietet erstmals die Möglichkeit sich selbstständig auf theoretischer Ebene mit den Anforderungen des Alpinismus jener Tage vertraut zu machen.106 Es liefert so die Basis einer Emanzipation von der Abhängigkeit der Bergführer und nicht selten wird Zsigmondy in die Rolle eines Aufklärers versetzt. Im Kern seines Wesens differenziert dieses Werk eine breite Masse an denkbaren Berggefahren in Teilsummen von objektiven, sprich weitgehend unbeeinflussbaren, und subjektiven Gefahren, welche sich auf den Faktor Mensch zurückführen lassen. Bereits der Sprachgebrauch von objektiv und subjektiv suggeriert eine gewisse Wissenschaftlichkeit des Alpinismus, der somit auch lern- und vermittelbar ist. Ziel Zsigmondys ist die Minimierung des Unsicherheitsfaktors Mensch am Berg und in diesem Zusammenhang beginnen sich diese jungen Alpinisten am Ende des 19. Jahrhunderts auch ganz gezielt mit Vorbereitung und Trainingslehre auseinanderzusetzen.107 Zsigmondy sieht mangelnde Vorbereitung bzw. grundsätzlich unzureichende Fähigkeiten als Ursache der meisten Unfälle: „Der Mangel an Training kann leicht zu Überanstrengung führen, in welchem Zustande auch der sonst gute Tourist seiner Leistungsfähigkeit beraubt ist.“108 Um dieses Training zu gewährleisten empfiehlt Zsigmondy seinen Lesern den Besuch der Kletterschulen um ihr spezifisches Können zu erhöhen, und „Gesamtmuskulatur und Nervensystem“ wieder zusammen zu führen, oder auch Skitouren im Mittel und Vorgebirge um die Ausdauer zu erhalten.109 Außerdem beginnt man sehr präzise die einzelnen alpinen Unfälle zu analysieren um die jeweiligen Ursachen des Unglücks ausfindig zu machen um sie in Zukunft zu vermeiden. Zsigmondy führt einige besonders repräsentative Beispiele an und auch in den alpinen Zeitschriften werden jährlich jene Touren mit unglücklichem Ausgang gesammelt und vor den Augen des Lesers in ihre Bestandteile zerlegt.110 Allerdings werden sie so auch Gegenstand der öffentlichen Diskussion und die zumeist sehr jungen Vertreter des

105 GÜNTHER Dagmar, Alpine Quergänge. Kulturgeschichte des bürgerlichen Alpinismus (1870 – 1930). Frankfurt- New York 1998, p. 168. 106 DIETRICH, Alpine Unglücksfalle, 1999, p. 47. 107 GÜNTHER, Alpine Quergänge, 1998, p. 164-165. 108 ZSIGISMONDY Emil / PAULCKE Wilhelm, Die Gefahren der Alpen. Innsbruck 1908, p. 314. 109 Ebd. p. 312-313 110 s. z. B. NORMAN-NERUDA Ludwig, Die alpinen Unglücksfälle des Jahres 1894. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 21 (1895), p. 28- 33.

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führungslosen Alpinismus, die zunächst aus der Position der Minderheit argumentieren mussten, sahen sich sehr scharfer Polemik ausgesetzt. Ihre Gegner erblicken in ihnen Vorbilder einer fatalen Idee und stießen sich gerade an dieser Inszenierung und Vermittlung der „modernen Schule“, spätestens aber mit dem Absturz Zsigmondys sah man sich vollauf bestärkt gegen einen todbringenden Alpinismus streiten zu müssen. August Böhm, selbst ein fähiger, führungsloser Bergsteiger und im Kreis um Emil Zsigmondy sozialisiert, legt in seiner Rechtfertigungsschrift den Unverständigen der „Bergfexerei“ folgende Vorwürfe beispielhaft in den Mund: „[...] Ihr macht nur desshalb schwierige und gefährliche Aufstiege dort, wo auch leichtere vorhanden sind, damit ihr Bewunderung erregt; euere Triebfeder ist nicht der Naturgenuss, sondern Stolz und Eitelkeit; warum gingen denn sonst einige von euch auch bei schlechtem Wetter auf die Berge, wo sie doch schon von vornherein auf eine schöne Aussicht verzichten müssen, gar nicht zu gedenken des Umstandes, dass ihr auch bei schönem Wetter selten länger als eine Stunde auf der Spitze bleibt und dann oft selbst diese minimale Zeit nicht auf die Betrachtung der Aussicht, sondern vielleicht auf die Recogniscierung irgend eines neuen und gewiss höchst interessanten aber auch ebenso unpraktischen und tollkühnen Abstieges verwendet!“111 Grundsätzlich trifft Böhm hier den Ton seiner Kritiker, allerdings formuliert er doch noch etwas zahm und verhalten. Wesentlich präziser und stichhaltiger macht sich ein gewisser Hr. Schoen als Leserbriefschreiber an die Mitteilungen des Alpenvereins Luft: „Wer in den letzten Jahren und besonders heuer die Unglücksfälle sich gemerkt hat, welche die alpine Hochtouristik begleiteten, kann nach den Umständen nicht daran zweifeln, dass der Alpensport bedenkliche Auswüchse treibt. Einer der schlimmsten ist die sogenannte „schärfere Richtung der Touristik“, ein Klettern auf Leben und Tod, der reinste Selbstmordversuch, wobei mit den bewährtesten Vorsichtsmaassregeln beim Bergsteigen, vor Allem mit dem Brauche, bekannte Wege einzuschlagen und Führer mitzunehmen gebrochen werden soll. [...] Man setzt einen zweifelhaften Stolz darein, eine Bergspitze von anscheinend ganz unzugänglicher Seite zu nehmen, während das Ziel auf anderer Seite viel leichter zu erreichen wäre. Ohne Zweifel beruht eine grosse Anzahl der gemachten gefährlichsten Bergtouren weder auf wissenschaftlichem Interesse, noch auf ehrlicher Naturschwärmerei, sondern auf gedankenloser Tollkühnheit und Eitelkeit [...] Die meisten Abstürze waren die Folge übertriebener Waghalsigkeit, der sinnlosen Sucht, den alten Record zu schlagen“112 Bisher haben wir die Einwände von sog. „Genussalpinisten“, als welche sie ausgewiesen werden, aufgezeigt, die „schärfere Richtung“ stößt jedoch auch auf

111 BÖHM August, Über die Berechtigung des Bergsports. In: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 11 (1880), p. 233. 112 BECKER Gustav, Das Jahr 1896 und die Hochalpenunfälle. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 23 (1897), p. 83.

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den Widerspruch von namhaften Alpinisten, welche die abweisende Seite der Berge nicht nur von einem vorgelagerten Aussichtsgipfel kennen gelernt haben. Einen solchen finden wir in Ernst Enzensberger, welcher die alpinistische Schriftstellerei korrumpiert sieht von überbordenden, schamlosen Darstellungen schauriger bis potentiell todbringender Situationen, die nur der Inszenierung der Autoren dienen und der „Sucht nach Sensationellem“ geschuldet sind. Außerdem sind sie als Novum zu betrachten, da Alpinisten derartige Erlebnisse bisher in sich selbst bargen und nicht in die Öffentlichkeit trugen. Die konkreten Leistungen der Schwierigkeitsalpinisten sind ihm jedoch kein Dorn im Auge, er sieht sie nur ans Ende der Steigerbarkeit angelangt, ein Trugschluss, der sich in der Geschichte des Alpinismus noch oft wiederholen soll. Er fürchtet vielmehr die verklärende und „verheißungsvolle“ Rhetorik jener führungslosen Alpinisten und die Verleitung zur Nachahmung bzw. deren mit Bestimmtheit tödlichen Folgen: „Ein berauschender Duft weht durch diese Worte; doch es ist der Duft, hinter dem das Verderben der giftigen Blüte lauert. Welchen faszinierenden Reiz mögen sie trotzdem auf unreife Gemüter ausüben, die wir im Alpinismus ja genügend haben! Der Autor fühlt wohl selbst die Verantwortung und verwahrt sich dagegen, daß er andere zur Nachahmung auffordern will. Er wehrt sich vergeblich: jeder kann im wohlverwahrten Schränklein seines Herzens süßes Gift verbergen und von ihm kosten, so viel er will; nach Menschenrecht ist es ihm jedoch verwehrt, es erreichbar oder gar anreizend an die Öffentlichkeit zu stellen;“113

Für „Ego“ und „Ethik“ zum Gipfel- Der Selbstverwirklichungsdrang des Eugen Guido Lammer Namentlich macht Enzensberger den ebenso wortgewaltigen wie polarisierenden „Pathospapst“ Eugen Guido Lammer als Urheber solcher giftgeschwollenen Wortblasen verantwortlich. Lammers alpinistische Karriere fand in Anbetracht seiner langen Lebensspanne zwischen zwei zeitlich sehr eng gesteckten Markierungen statt, denn nachdem er 1884 „den Ruf“ der Berge vernommen hatte, hängte er seine Bergschuhe auch bereits wieder 1893 an den Nagel und begnügte sich fortan mit gemütlicheren Wanderungen, blieb als Alpindemagoge und Bahnbrecher des modernen Bergsteigens auf theoretisch-literarischer Ebene jedoch bis ins hohe Alter sehr rege und aktiv. Der aus dem Industriebürgertum stammende und Zeit seines Lebens wohlsituierte Lammer war zweifelsohne ein getriebener Mensch, getrieben am Berg und ebenso am Schreibtisch, focht wahre Fehden mit dem Federkiel gegen Andersdenkende und konnte so auch den oben zitierten Text Enzensberger

113 ENZENSPERGER Ernst, Der neue alpine Stil. Eine Kritik zu E. Königs „Empor“. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 33 (1907), p. 18.

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nicht unkommentiert stehen lassen.114 Er greift jene Nachahmungsbefürchtungen auf und übersteigert sie sogar, indem er diesen Schwierigkeitsalpinismus als Mittel zur „Aufrichtung“ und „Regeneration“ des Volkes, insbesondere der Jugend ausweist: „Ich aber gehöre zu jenen, die vor 20 Jahren den Weckruf in die philisterhaft versimpelte deutsche Jugend ertönen ließen; und wenn heute Hunderttausende die alpine Tat als Jungbrunnen kennen und jährlich darein tauchen, wenn eine wirkliche Rassenverbesserung (im englischen oder hellenischen Sinne) schon deutlich merkbar ist, so haben das nicht die Mattherzigen mit ihrem Zügel bewirkt, sondern wir Vorwärtsstürmer mit unserem Banner der Tat. Zum Teufel! Bedarf nicht unsere vermatschte Kultur, unsere degenerierte Oberschichte noch gar sehr der Krafterwecker? — Und wenn darüber Dutzende braver Jungen den ikarischen Sturz zur Tiefe tun, so ist das der Zoll, den jede wertvolle Volksbewegung zahlen muß. Oder wollt ihr Leser alle lieber nie die süße erzieherische Alpengefahr verkostet haben, wenn nur die Hunderte armer gestürzter Touristen noch lebten?“115

Die Wortgewalt und die Rhetorik wird von Zeitgenossen Lammers aber auch von Vertretern der Gegenwart bereitwillig hervorgestellt, von manchen wird er auch gerade dieser Fähigkeiten wegen für gefährlich erachtet. In diesem Fall scheint mir die Metapher des stürzenden Ikarus jedoch nur oberflächlich betrachtet den Zielen Lammers zu dienen. Schmückt sich die Jugend mit den Federn des Ikrarus, so schlüpft wohl der weckrufende Lammer in das Gefieder des erfinderischen Vaters, der jedoch töricht die Unbedachtheit des Sohnes unterschätzt und dessen Sturz verantwortet, was Lammer seinen Worten zufolge jedoch gewillt ist zu riskieren und zu verschmerzen. Im Gegensatz zu Lammer weist Dädalus die Sonne allerdings immer als eine zu meidende, lebensraubende Kraft aus, während Lammer die Jugend förmlich beschwört ihre Nähe zu suchen, höherzustreben und schließlich aller angeklebten Federn ledig zwangsläufig die Fahrt nach unten anzutreten, denn Wachs schmilzt unweigerlich unter gewissen Temperaturen. Was sollte in diesem Fall die Sonne anderes sein als die Lust am Berg oder etwas abstrakter der Alpinismus. Diese etwas unpräzis in den Himmel gefeuerte Metapher hindert Lammer jedoch nicht den Alpinismus seiner Konzeption paradoxerweise als positive Bewegung von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung auszuweisen, was zu weiten Teilen auf einer zutiefst kulturpessimistischen, zivilisationsfeindlichen Perspektive beruht. Denn wie Dädalus ist auch Lammer ein Flüchtender, der versucht der Enge der Stadt zu entkommen und in der Ursprünglichkeit der

114 WALKNER Martin, Zur Entstehung des modernen Alpinismus im Wien des Fin de Siecle. Die Bedeutung von Eugen Guido Lammer. In: Zeitgeschichte 23. Jg. (1996) H 9-10, p. 292-293. 115 LAMMER Eugen Guido, Von alpiner Tat und alpinem Stil. In: In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 33 (1907), p. 47.

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Natur Unterschlupf sowie Sinn zu finden. Nicht selten schlägt er dabei stark religiöse Töne an schildert die Empfindung eines geläuterten, andächtigen Gläubigen angesichts der Göttlichkeit: „Wir sind heraufgestiegen aus den dumpfen Tälern, um die freie Luft der Sonnenhöhe zu atmen. Dort unten waltet der Geist der Enge, in den Gassen wird der Blick der Menschen kurzsichtig, da wächst der fressende Neid und der Haß, es herrscht ärmliche Parteiung und Schmutz. Und blickt hinunter auf die spielzeugkleinen Kirchen, in deren Enge suchen die Menschen der Tiefe ihren Gott! Unser Tempel aber hier oben: auf granitenen Riesenpfeilern türmt er sich auf, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Frei wölbt sich darüber als Dach der unendliche Äther, uns strahlt vom Altare die unendliche Himmelsleuchte und die Gestirne. In unermeßliche Weiten darf unser Auge hinschweifen, unsere Herzen, bebend bei der Schau solch unirdischer Schönheit, werden groß und weit. Hört ihr den Firnwind von der Hochalmspitze und vom Großglockner herüber orgeln? Mächtig braust der Odem Gottes auf uns herein und dringt weihend in alle Kammern der Seele.“116

Die Tiefe und das Tal werden von Lammer hier als der Hort der Verdorbenheit ausgewiesen, etwas konkreter meint er aber vor allem das Großstadtleben. Eine Meinung, die er in einem Grad der Maßlosigkeit vertrat, der sogar den Widerspruch seiner bergbegeisterten, meist naturschwärmenden Zeitgenossen erweckte und ihm den Vorwurf einer realitätsfremden Übertreibung seines Antiurbanismus einbrachte.117 Für diese Kontrastierung der positiven Bergwelt und der nichtigen Niederungen führt Lammer aber exakte Bewegründe an, wovon ich zwei zentrale hier ausführen möchte. Zum einen stößt Lammer sich an der bürgerlichen Normierung seines gesellschaftlichen Lebens und spricht von einer Maske, die er das Jahr über tragen muss, und meint hier wohl eindeutig den Verlust bzw. die Verschleierung seiner wahren „Identität“, andererseits leidet er besonders unter den Anforderungen und Charakteristika der modernen Arbeitswelt bzw. deren Konsequenzen auf die Persönlichkeit: „Sowie fast alles Produzieren zur Maschinenwartung wird, der freie Handwerker in der eisern geregelten Industrie versinkt, ebenso ist auch der sogenannte geistige Arbeiter, beim Lichte betrachtet, gewöhnlich eine Art Lokomotivführer, eingeschnürt in tausend Normen, die für ihn des Denken besten Teil besorgen. Dem Beamten, dem Lehrer, dem Handelsangestellten schraubt sich die Unfreiheit immer enger um die Kehle, ein Zerbrechen der Schablone wird immer schwerer. [...] Wir übrigen Millionen vergessen unter der harten Sklaverei der geteilten Arbeit, daß wir noch etwas mehr sind als Schrauben oder Öltröpfein in

116 LAMMER Eugen Guido, Jungborn. Bergfahrten und Höhengedanken eines einsamen Pfadsuchers. München 1923, p. 162. 117 ENZENSPERGER Ernst, Der neue alpine Stil. Eine Kritik zu E. Königs „Empor“. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 33 (1907), p. 17.

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dem großen Räderwerk der gesellschaftlichen Arbeit, nämlich ganze Menschen; wir verlieren allen echten Stolz, der nur aus der selbstgewollten Leistung aufschäumt;“.118 Arbeitsteilung fällt für Lammer mit der Zerstückelung der ganzheitlichen Persönlichkeit zusammen, man „leistet“ nicht mehr eigenständig und eigenverantwortlich, sondern wird für einen einzelnen Teil zurechtgespitzt, wird zu einem Rädchen im System und dementsprechend austauschbar, man verliert auf diese Weise seinen individuellen Wert.119 Die Wesenszüge dieser sozialen und gesellschaftlichen Umbrüche schlagen sich jedoch nicht nur in der Auflösung der „Persönlichkeit“ nieder, sondern hinterlassen ihre Spuren auch in der Psyche und der leiblichen Erscheinung. Zur Jahrhundertwende meinte man in der Bevölkerung, insbesondere der gebildeteren Schicht, eine neben zahlreichen körperlichen Gebrechen, wie Herz- Lungen- oder anderen Beschwerden an inneren Organen, eine Form der Degeneration in der modernen „Erkrankung“ einer „nervösen Hysterie“ zu erkennen. Als Therapieform empfiehlt man eine möglichst starke Reizung der Nerven, wie man sie auf alpinistischen Unternehmungen vorfindet: „Einen besonders günstigen Einfluss wird das Bergsteigen schliesslich auf das Nervensystem äussern. Jede Muskelübung, kann auch als Uebung des Nervensystems aufgefasst werden. Die vielfach überspannten Verhältnisse unseres Culturlebens, die unausgesetzte geistige Arbeit, nervöse Ueberreizung bei dem Mangel ausreichender körperlicher Bewegung sind die Ursache, wenn Nervenkrankheiten heutzutage in immer grösserer Zahl auftreten.“120 Diese Nervenkrankheiten sind die Folge einer „Überzivilisation“ und führe zu Dekadenz und einer „Verweichlichung“, im zeitgenössischen Sprachgebrauch

118 LAMMER, Jungborn, 1923, p. 189, 191. 119 An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, das krasse Übergewicht der Zitate Lammers auf den letzten Seiten nicht als Ausdruck einer singulären Sichtweise zu missinterpretierten, vielmehr finden wir in der Skepsis an modernen Arbeitsprozessen, einem Überfluss an „Kultur“ und der Vorstellung einer zu tiefen Kluft zwischen Mensch und seinen Ursprüngen einen alpinistisch- theoretischen Gemeinplatz jener Tage: „Unermesslich ist zwar die Bildung auf allen Gebieten des Wissens und Lebens vorangeschritten, aber es fehlt ihr die rechte Einheit und Harmonie, sie geht mehr in die Breite als in die Tiefe. Die gesteigerten Anforderungen der Geschäftsthätigkeit und des Berufs lassen den Einzelnen kaum zu sich selbst kommen, und die Aufregungen und Genüsse des modernen Lebens täuschen ihn oft über die edleren Regungen hinweg. Vielen wird dadurch das innere Gleichgewicht gestört und mit ihm der wahre Seelenfrieden. Trotz alles äusseren Fortschritts und alles äusseren Glanzes beginnt das Leben bei vielen Trägern der Cultur in der Wurzel zu stocken und zu faulen.“ Der Autor erkennt einen Ausweg aus dieser Einbahnstraße in die Dekadenz in der Besinnung auf den reinen „Naturgenuss“ wie er in der „Einsamkeit der Berge“ gefunden werden kann: „Die Natur selbst führt uns von der Unnatur jener Verirrungen am sichersten zurück zu der natürlichen Lebensweise, zu den natürlichen Standpunkten der Beurtheilung des Lebens und der Welt, wie sie uns im Gewissen und in der Vernunft gegeben sind, sie befreit uns am gründlichsten von den Verschiebungen und Verdrehungen, welche jene Standpunkte durch die krankhafte Nervosität des modernen Denkens erlitten haben. Die Rückkehr zur Natur sollte angesichts dieser Verflachungen, dieser Ausschreitungen und Verrenkungen des modernen Denkens und Fühlens die allgemeine Losung sein!“ (SOMMER Hugo, Die Bedeutung der landschaftlichen Schönheit für die menschliche Geistescultur. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 15 (1889), p. 112.) (Purtscheller Ludwig, Das Bergsteigen als körperliche Übung und als Beförderungsmittel der Gesundheit. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 12 (1886), p. 38 ) 120 Purtscheller Ludwig, Das Bergsteigen als körperliche Übung und als Beförderungsmittel der Gesundheit. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 12 (1886), p. 38.)

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„Effeminisierung“, der gesamten Bevölkerung, da „Nervosität“ bisher eher als Leiden der Frau betrachtet wurde und nun überschwappe.121

Lammer und seine Wesensverwandten finden allerdings ebenso wie sie in der Bestimmung der Ursachen ihrer Sinneskrisen übereinkommen im Schwierigkeitsalpinismus eine Abhilfe dieser geistigen und körperlichen Verödung und eine Möglichkeit der Wiederherstellung der verlorenen Selbstwertigkeit. Jene oben geschilderte Apotheose der Natur und die simple Bewegung in Ursprünglichkeit genügen diesem Anspruch jedoch noch nicht, vielmehr sucht Lammer Grenzerfahrungen, die ihn auf der Schwelle zwischen Leben und Tod wandeln lassen. In steilen Felswänden, auf langen Gletschertouren, beim endlosen Stufenschlagen und schließlich im Sturm und Wetterbruch gelingt es Lammer sich selbst seiner eigenen Wertigkeit und jener des Lebens zu vergewissern. In der Harmonie der Bewegung und der körperlichen Erschöpfung, unabhängig von anderwärtigen, menschlichen Einflüssen nimmt er sich selbst als ganzheitliche, selbstständige Person wahr.122 Am Berg will er dem Tod begegnen, ihm in die Augen blicken, vielleicht auch noch die Hand schütteln, aber wirklich mit ihm gehen will er nicht, denn, wie er selbst ausführt, will er ihn überwinden: „Dank euch, ihr verhüllten Wesen, die ihr über mein Schicksal waltet, [...] Dank, daß ihr mich den süßesten von allen süßen Genüssen, die das Leben bietet, habt schlürfen lassen: vom Becher des Todes genippt zu haben! Denn die wahre Todesgefahr ist ein Göttergeschenk, selber pflücken kann sie niemand. – am wenigsten der Selbstmörder: der will die Ruhe, das schnelle Ende; wir aber, die wir dem wonnigen Leben entgegenjodeln, wir begehren den Sturm, die

121 GÜNTHER, Alpine Quergänge, 1998, p. 170-172. Ob die Wortspenden nun von Purtscheller oder Lammer stammen, im Grunde bewegen sie sich alle in der Tradition des Diskurses um den „edlen Wilden“, denn Purtscheller kontrastiert ganz bewusst den deutschen „Bildungsmenschen“, was ihn ja eig. vor allen anderen Völkern auszeichne, mit den abgeschieden lebenden Einwohnern von tirolerischen oder bayrischen Bergwelten, über deren Kraft und Energie man nur staunen könne. Dem „Bildungsmenschen“ hingegen attestiert er: „Üebersehen wir nicht, welch' ungeheuere Ersparnisse an menschlicher Arbeitskraft in den letzten Jahrzehnten durch die Benützung des Dampfes, Einführung von Maschinen und ähnlicher technischen Hilfsmittel herbeigeführt wurden. Dieser grosse Ausfall menschlicher Muskelkraft bedeutet in anderer Richtung einen Verlust in unserer körperlichen Ausbildung und Entwicklung, einen Rückgang in unserem physischen Gedeihen, er beraubt uns der Mittel, unseren Leib naturgemäss zu gebrauchen, zu bewegen und auszubilden.“ (Purtscheller Ludwig, Das Bergsteigen als körperliche Übung und als Beförderungsmittel der Gesundheit. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 12 (1886), p. 38.) Der Vergeistigung des Menschen bzw. des Mannes wird in der alpinistischen Szene gemeinhin das Bild einer „dualen“, gleichwertigen Ausbildung von Geist und Körper zur vollsten Harmonie dieser beiden Bereiche propagiert: „In Verkennung wahrer Kultur war man in manchen Kreisen z.T. soweit heruntergekommen, mit einem gewissen dünkelhaften geistigen Hochmut auf den kräftigen, auch seinen Körper pflegenden Menschen herabzusehen, bis endlich der Wille zur Gesundheit und Körperkultur den alten verrotteten Bau der Vorurteile niederriß und der Erkenntnis der Notwenigkeit harmonischer Ausbildung von Körper und Geist Platz machte.“ (ZSIGISMONDY Emil / PAULCKE Wilhelm, Die Gefahren der Alpen. München 1927, p. 303.) 122 AUFMUTH Ulrich, Risikosport und Identitätsbegehren. Überlegungen am Beispiel des Extrem-Alpinismus. In: Gerd HORTLEDER / Gunter GEBAUER (Hgg.), Sport – Eros – Tod. Frankfurt am Main 1986, p. 195-196.

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Woge; wir wollen den Tod besiegen.“123 Lammers Radikalität wird von den meisten seiner Zeitgenossen als reine Provokation und Vergewaltigung des alpinistischen Gedankens empfunden, Enzensberger bezeichnet sie schlicht als geschmacklos und selbstherrlich. Die Todesnähe als vitalste Empfindung und Erfahrung des Lebens schafft aber auch jene individuelle, „ganzheitliche“, unzergliederte Persönlichkeit, die Lammer in den Städten und Tälern verloren glaubt: „Nirgends nun kann sich das Persönliche energischer und vielseitiger betätigen als im Alpinismus. Wenn wir so einige tausend Meter über aller menschlicher Hilfe auf schauerlich zerfetztem Felsengrate kleben und nun urplötzlich der Schneesturm herbeitobt, alles ringsum in weiße Nebelnacht hüllend, da entpuppen sich oft ganz unscheinbare Leute als wahrhaft heroische Naturen, hier werden Genies der Tat, Herrscherseelen entdeckt, wie sonst nur bei Revolutionen oder in Zeiten, wo die Dinge auf Messers Schneide gestellt sind.“124 Die Gefahr bietet jenes Momentum, welchen es bedarf um des Wesens Kern eines Menschen aufzuzeigen, während es in der Geborgenheit ständischen Lebens nicht entfaltet werden kann und ungenützt verlebt wird. Eine Bergbesteigung unter

123 LAMMER, Jungborn, 1923, p. 74. Die aufrichtige Überzeugung Lammers in diesem fatalistischen Grundprinzip seines Alpinismus bestätigt auch eine weitere pathosgeladene Belegstelle schärfster Rhetorik:„ Hebt solches Schwelgen in versteinerter Stimmung und jener Schönheitskult die Alpinistik hoch über jeden anderen Sport empor, so lauert in ihr verborgen noch ein ganz ausgesuchter Kitzel für den nervösen Sohn des Jahrhunderts, ein Reiz stärkster Art, wie ihn kein anderer Sport bietet [...] – ich meine die Todesgefahr. Die ruhigen Menschen zu Großvaters Zeiten mochten freilich ihrem Gott danken, wenn er sie vor aller Gefahr behüte; lasset aber den überreizten Enkel nur ein einziges Mal von dem Morphium des gefährlichen nippen: keinen läßt die Sphinx mehr aus ihrer schaurigen weichen Tatze. Es ist kein Zweifel: Wenn wir die Zahl gerade der gefährlichsten Turen von Jahr zu Jahr reißend zunehmen sehen, so wurzelt das darin, daß immer mehr Menschen an ihren eigenen Nerven erfahren, welch berauschende Wollust in der Gefahr aufschäumt. Sogar der Hinweis auf den grausigen Tod in den Bergen prallt wirkungslos ab. So mitten im Vollegefühl der Jugendkraft, mitten im heißen Ringen des Menschen mit der rohen Urgewalt, mitten in dem frevelhaften Griffe nach dem unerreichten Kranze herabgeschleudert zu werden, wie getroffen vom Blitz der neidischen Götter, das mag so manchen nicht entsetzlich sondern vielleicht sogar dämonisch lockend scheinen. Die alte Mythe hat in der Gestalt des Ikarus diese Tragik des übermenschlichen Wollens verherrlicht.“ (LAMMER, Jungborn, 1923, p. 190.) Todesnähe als Sinnstiftung und Weg zur Selbsterkenntnis ist eines jener Elemente, die Lammer als einer der ersten formulierte aber auch an zahlreiche ihm folgende Bergsteigergenerationen weiterreichte. schlägt zwar einen in Ton und Wort gemäßigten Stil an, inhaltlich lässt er jedoch keinen Zweifel, in wessen Fußspuren er tritt: „Die Kunst meines Bergsteigens besteht darin, dorthin zu gehen, wo man umkommen könnte, um nicht umzukommen. [...] Es ist ein intensives Leben, weil der Tod eine Möglichkeit ist und diese Möglichkeit gilt es auszuschalten.“ Abenteuer Alpen (2). 10:14- 10:34; https://www.youtube.com/watch?v=nYS-Ph-i5EM [Abruf: 31.08.2015]. Bis in die Gegenwart zieht sich dieser rote Faden alpinistischer Selbstbetrachtungen mit dem gleichen Ergebnis, den auch Bergsteiger, welche die aktuelle Leistungsspitze repräsentieren, greifen dieses Erklärungsmuster immer wieder auf und berufen sich auf dieselben Erfahrungen, die einst schon ihre Vorbilder sammelten: „Ich bringe mein Leben als Einsatz in das Spiel und deswegen wird das Erleben jetzt so tief und intensiv. Nur wer verloren in der Wand direkt und unmittelbar der unbedingten Gefahr für das eigene Leben ausgesetzt ist, wird diese elementare Erfahrung machen, wird spüren, was das eigene Leben bedeutet. Angst empfinden, die mich stets wach und vorsichtig sein lässt. Die Angst, die mir das Überleben sichert. Und so erlebe ich auch hier in der Senkrechten das Wahrhaftige, frei von äußerer Einflussnahme, frei von äußerer Kontrolle- die komplette Reduktion auf mich selbst. Die totale Unmittelbarkeit des Todes offeriert ein ungetrübtes Bild auf die Bedeutung des Lebens. Oft genug ist man ja selbst Gefangener in seiner Umwelt, der bestehenden Ordnung in seinem Leben. [...] Bis zum Erreichen des Gipfels bin ich in einer anderen Wirklichkeit unterwegs. In einer Welt, in der nur ich existiere, einer Welt, die bloß für mich besteht.“ (HUBER Alexander, Die Angst. Dein bester Freund. München-Berlin 2015, p. 18.) 124 LAMMER, Jungborn, 1923, p. 192.

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gefahrvollen Umständen führt jedoch nicht nur zur Entfaltung der vorgebildeten Anlagen, sondern auch zu einer Bereicherung des eigenen „Ichs“.125 Überladen mit Symbolen der Unabhängigkeit, der Unveränderlichkeit, der Größe, Stärke und Macht etc. sei der Berg, die ihm der Alpinist nun mit jedem erstiegenen Meter allmählich entreiße um sie sich am Gipfel schließlich vollends einzuverleiben. So wird der Berg bei Lammer ganz explizit zum direkten und persönlichen Gegner, dessen Übermächtigkeit und die damit einhergehende Mehrwertigkeit seiner „Bezwingung“ den Alpinismus vor allen anderen Sportarten hervorheben, in welchen menschliche Fähigkeiten gegeneinander ausgespielt werden.126 Lammers Denken wird in diesem Fall als Kind der alpinistischen Geisteswelt des 19. Jahrhunderts geboren, welches die Anthropomorphisierung des Berges zunächst als

125 Die scheinpoetischste Schilderung einer tatsächlich „erlebten“ Selbstwahrnehmung am Berg und einer Bedeutungszuweisung an die eigene Individualität fand ich in den Worten Pfannls: „wer so mit reinem Willen und offenem Sinn zu ihr [der Natur] kommt, der findet, was er sucht: sich selbst. Ja, mich, o Berg, finde ich, wenn ich deiner Formen Schwung in heiligem Rausch als Schönheit empfinde, mich ahne ich, wenn aus deinen Eisgefilden ein Hauch der Ewigkeit mich anweht, mich lebe ich, wenn ich an deiner starken Felsenbrust die kleine Kraft einsetze, mit der Erfahrung List mir meinen Weg zu suchen, wo die Lawinen an deinem zitternden Leibe niederdonnern und Stein auf Stein von deinem stolzen Bau zur Tiefe fährt.“ Laut eigenem Bekunden kann ein solches Erlebnis selbst ein kurzes Leben wertvoll gestalten bzw. wird er jedes Menschenlos verkraften, welches ihm nach so großartigem „Erleben“ noch zuteilwerden mag. (PFANNL Heinrich, Montblanc über die Aiguille blanche de Peteret. In: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 32 (1901), p.193. 126 LAMMER, Jungborn, 1923, p. 229-230. Die Debatte um das Verhältnis von Sport und Alpinismus wird spätestens mit dem Einzug des Schwierigkeitsalpinismus und dem damit einhergehenden Trainingsgedanken immanent und entspinnt sich zwischen den konservativeren Kräften und den Vertretern einer modernen Auffassung mit variierendem Grad an Zugeständnissen einer Vergleichbarkeit. Bis heute ist die Diskussion ein Übereinkommen schuldig geblieben, allerdings ein wenig in den Hintergrund getreten. In dieser Arbeit fehlt es an Zeit und Raum um uns hier zu verbreitern, aber gemeinhin werden dem Alpinismus die Lorbeeren einer gewissen „Mehrwertigkeit“, einer stärker ausgebildeten „Vielseitigkeit“, einer hehren „Zielsetzung“, einer Unabhängigkeit vom zwischenmenschlichen Wettkampf etc. aufgesetzt und in diesem Zusammenhang ist sie auch für uns interessant. Modlmayr meint beispielsweise, der Sport müsse immer in der dienenden Funktion bleiben, dürfe den Alpinismus nicht tyrannisieren. Richter sieht es ähnlich, wenn er schreibt: „Der Bergsteiger ringt um sein Ziel mit Anstrengung, vielleicht mit Gefahr; er freut sich seiner Kraft und Gewandtheit. Soweit ist sein Tun mit dem Treiben anderer Sporte zu vergleichen. Aber er findet außerdem einen Lohn, der diesen nicht oder nur in viel geringerem Grade beschieden ist: den Genuß der ällerschönsten und erhabensten Natur. Das erhebt den Alpinismus in einen höheren Rang, es verleiht ihm einen Kulturwert ganz besonderer Art.“ (RICHTER E., Über die Triebfedern der Bergsteigerei. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 29 (1903), p. 55. ) Lammer meint, er habe den Kampf gegen die Natur anderen Sportarten voraus und lehnt jedes „Wetteifern der Alpinisten untereinander“ als „unalpin“ ab“. Ehrgeiz will er nur gelten lassen, solange dieser nach innen gerichtet ist und, wie wenig wunderlich, der Hebung der individuellen Fähigkeiten dient, nach außen und auf Aufmerksamkeit gerichteter Ehrgeiz verliert den alpinen „Adel“. (LAMMER, Jungborn, 1923, p. 244-245, 224) Eine hierzu vollkommen konträre und im Hinblick auf die allgemeinen Bemühungen der Alpinisten Ehrgeiz als „unalpin“ zu entlarven überraschende Haltung vertritt Oertel: [...] allein wir müssen uns darüber klar werden, daß überall da, wo der Ehrgeiz oder irgendein anderes der genannten Motive für unsere alpine Betätigung ausschlaggebend werden, das sportliche Motiv in den Hintergrund tritt, ja vielleicht sogar ganz verschwindet. Wir haben es dann zwar noch mit Alpinismus, aber nicht mehr mit alpinem Sport im strengen Sinne des Worts zu tun.“ (Oertel E., Sport, Alpinismus und Skilauf. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 35 (1909), p, 18.) Schlussendlich soll hier noch eine aktuellere Definition angehängt werden und da wenig aktive bzw. noch lebende Alpinisten dermaßen auf das „Recht“ der alpinistischen Deutungshoheit pochen, soll Reinhold Messner die letzten Worte haben: „Wenn das Unmögliche beim Bergsteigen nicht mehr da ist, dann gibt es das Bergsteigen nicht mehr- das traditionelle. Wenn ich nicht sozusagen das Fragezeichen habe- Kann ich das, kann ich das nicht?- ist es nicht mehr ein Abenteuer, sondern dann ist es einfach ein Sport. Und Bergsteigen ala Huber oder ala Preuß ist kein Sport, es ist nicht besser oder schlechter, oder mehr oder weniger, es ist kein Sport. Es ist in erster Linie ein Abenteuer.“ (Abenteuer Alpen (1). 25:16- 25: 41; https://www.youtube.com/watch?v=nZh2wJF0ERQ [Abruf: 31.08.2015].)

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männliches Gegenüber, bald aber auch als weibliches Objekt entdeckt. Mit dem „männlichen“ Berg beginnt man sich in Form eines „Widersachers“ zu messen, während sich die Assoziation von Weiblichkeit im metaphorischen Sprachgebrauch einer „Entschleierung“ oder dem „Raub der Jungfräulichkeit“ etc. äußert und einen eindeutigen Bezug zur Sexualität herstellt.127 Der „Kampf“ mit der Unpersönlichkeit des Berges meint bei Lammer, um zum eigentlichen Thema zurückzukehren, jedenfalls auch immer ein inneres Ringen unter „Todesgefahr“ mit den eigenen „Schwächen“, welches ein notwendiger Bestandteil der charakterlichen Katharsis und der moralischen Entschlackung von allen verderblichen Wesenszügen mittels „reinigender“ Überwindung der „Materie“ durch den „Geist“ ist. Plastisch führt er diesen Gedankengang am Beispiel eines an seine psychischen wie physischen Belastungsgrenzen stoßenden Bergsteigers: „Er aber holt aus des Charakterstiefen den Willen hervor, das Zielstreben; die siebenköpfige Schlange Furcht ringt er nieder und befiehlt seiner rechten Hand, den sicheren Halt zu verlassen und nach höherem Griff zu tasten, diesen ruhig zu prüfen. Immer gewaltiger stürmt die Todesfurcht gegen seine Seele, aber der Mensch ruft immer neue Truppen seines Mutes, seines Wollens zu Hilfe, er zaubert ungeahnte Kräfte in seine ermattenden Armmuskel, seine Finger, wohlüberlegt wagt er ein Ziehklimmen oder ein Ruckstemmen, während gleichzeitig in seinem Inneren jenes schaurige Ringen weitertobt. Das ist das „Ethische“ des sogenannten Kampfes mit dem Berge: Nicht der Fels wird eigentlich überwunden, die Kletterkünste sind nicht das Wesentliche. Gesiegt hat das Ich über das Es in des Menschen Brust, gesiegt hat der klare Wille, der unbeugsame Charakter über die Dunkelmächte, über alles feige und Weichliche und Faule, über sein tatenloses Zagen, sein Selbstbedauern und über die verlogene Moral als Maske der Feigheit.“128 Durch die Anwesenheit eines oder gar mehreren Führer würden sich Lammer und Konsorten dieser letzten Möglichkeit der Selbstentfaltung, Bereicherung und Überwindung beraubt fühlen, denn der Führer würde sie in dieser Selbstverantwortlichkeit beschneiden und ihrer autonomen Gefahren- bis Todesverachtung entledigen, sie außerdem in der Vergewisserung alpinistischer Kompetenz täuschen, sie schlicht um den Lohn ihrer Leistung bringen.129 Lammer, der sich selbst intensiv mit dem psychologischen

127 HUNGERBÜHLER, Könige der Alpen, 2013, p. 140-143. 128 LAMMER Eugen Guido, Wie anders ist das Bergsteigen in den Alpen geworden!. Wien 1937, p. 36-37. 129 Die meisten führungslosen Bergsteiger teilen dieses Motiv und es lässt sich ganz praktisch an einem Erlebnis Hermann von Barths darstellen. Denn er bereut es bitter einen Führer gebucht zu haben um auf die Schönfeldspitze zu gelangen, da er sich schon am Gipfel dessen Überflüssigkeit bewusst war. Die Lobesworte des Führers beim Abstieg klingen in seinen Ohren so auch nur mehr wie der blanke Hohn. Schließlich wird der Verlust der Autonomie auch in der oben besprochenen „Bibel der Führungslosen“ besprochen: „Man unternimmt derartige Turen in erster Linie wegen des Reizes der Schwierigkeiten an sich, nicht wegen des auf andere Weise meist leichter erreichbaren Endzieles. Der Grund zu solchen Unternehmungen fällt also weg, sowie der „Führer“ bezw. Führende die ausschlaggebende Arbeit des Vorangehenden leistet und der Geführte dann am

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Anforderungsprofil eines Alpinisten auseinandersetzte, wurde später selbst gerne Ziel derartige Analysen und gemeinhin wird er als Opfer seines unausgereiften, komplexbehafteten Charakters ausgewiesen. Sein Eskapismus soll aus einem Gefühl der Minderwertigkeit und Unzulänglichkeit herrühren und seine Ablehnung jeglicher Autoritäten, wie er sie u.a. in den Bergführern erkannte, soll vor allem in seiner konfliktbeladenen Beziehung zu seinem strengen Vater zu suchen sein, der weniger durch liebevolle Zuneigung, eher durch brutale Erziehungsmethoden aufgefallen sein soll.130 Lammer bekennt sich auch ganz frei zu seiner Aversion gegen alles „Väterliche“ und die oktroyierten Ideale der Generation vor ihm: „Damals in den Achtziger Jahren zertrümmerten wir alles, was unseren Vätern heilig war, wir verspotteten all ihre verwelkten Ideale, alles, was sie für gut und schön und wahr hielten: ihre Dichtung und ihre Bauten und Bilder; wir verneinten ihre Religion und ihr Vaterland, jedwede Autorität, die Ehe und vor allem die überlieferte Vatermoral. “131

Aufmuth erkennt in Lammers Gefahrensuche auch die Sublimierung seiner Sexualität und die Kompensation unterdrückter Bedürfnisse eines verzweifelten, auf Entsagung getrimmten Jünglings. Das „Ringen“ in seiner eigenen Seele exponiere er gewissermaßen auf den „Kampf“ in der Felswand: „Als junger Mann durchlitt Lammer Jahre der tiefsten seelischen Erschütterung in Form einer massiven Depression [...]. Der junge Mann, der früh schon auf ein asketisches Lebensprinzip eingeschworen war, zerbrach nahezu unter dem Ansturm der erwachenden sexuellen Begierden. In eben diesen verzweiflungsvollen Jahren stürzte sich Lammer in die schwierigsten Bergfahrten. Er verbiss sich in die gefährlichsten Alpenwände. Sein damaliges Bergsteigen war ein wahnsinniges Rasen und Toben. Am Berg setzte der Jüngling den schrecklichen Kampf, der in seiner Seele wütete, in ein physisches Kämpfen und Wüten um.“132 Allzu weit hergeholt sind Aufmuths Deutungen mit Bestimmtheit nicht, denn Lammer selbst gesteht sehr freimütig und mit bestechender Ehrlichkeit ein unter einer tiefen Sinneskrise gelitten zu haben sowie von der „furchtbaren Zerrissenheit des 19. Jahrhunderts“ erfasst worden zu sein und stellt einen Bezug zwischen diesen Seelenstürmen und seinem explosiven Schaffen am Berg her: „Ich müßte also zeigen, wie in meiner einsamen jungen Seele all die gewaltigen religiösen und philosophischen Schlachten des Jahrhunderts

mehr oder weniger gespannten Seil, jedenfalls zuverlässig gesichert nachfolgt.- Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ein Mensch Freude daran haben kann, sich so mit fremden Federn zu schmücken, und doch liest man oft stolze Berichte über solche Turen, die der oder jener „bekannte Alpinist“ „gemacht“ haben will; er hat sie gar nicht gemacht!“ (ZSIGISMONDY Emil / PAULCKE Wilhelm, Die Gefahren der Alpen. Innsbruck 1908, p. 332.) 130 WALKNER, Moderner Alpinismus, 1996, p. 293. 131 LAMMER Eugen Guido, Jungborn. Bergfahrten und Höhengedanken eines einsamen Pfadsuchers. München 1929, p. 109. 132 AUFMUTH Ulrich, Lebenshunger. Die Sucht nach Abenteuer. Zürich-Düsseldorf, 1996, p. 37.

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geschlagen wurden; [...] Ich müßte darlegen, wie mir allmählich alles, buchstäblich alles problematisch, ja sinnlos wurde, was den Leuten als gut und schön und wahr, als Lebenswert gilt: Glaube und Gottheit, Mutterliebe, Freundschaft und Ehe, Edelmut, Aufopferung, Freude an der Arbeit, Möglichkeit und Wert der Erziehung und Bildung, also mein Beruf, jedwede Art von politischem oder nationalem oder Kulturideal, wissenschaftlicher Wahrheit, jede Schönheit, nicht nur im Kunstschaffen, auch in der Natur, kurz alles, alles von salpetersaurem Grübeln zerfressen! Ja, hier auf dem Papier schreibt und liest sich das leicht, in so kurzen und allgemeinen Sätzen; aber solch ein feuerflüssiges Höllenmeer des Zweifelns bis zum Ver- Zweifeln durchschwimmen zu müssen viele Jahre lang! Wie da das leben- und liebesdurstige junge Herz ausdorrt, wie das Denken die Finger ausstreckt nach einer rettenden Planke, um nicht ganz zu versinken! Erst wenn ich diese vieljährigen Leiden, durch die eine einzelne schwache Seele genötigt wurde ohne Helfer die Bürde von Jahrtausenden zu tragen, so schmerzhaft blutig schildern könnte, wie sie mich quälten, damit man dies nicht für Tändeln und Prahlen mit flacher Skepsis halte, könnte man es verstehen, daß ich lange Jahre gleichsam mit der Pistole in der Rechten dahinlebte.“133

Jugend - Unterpfand der völkischen Wiederauferstehung Bei Lammer stand das „Individuum“ und die „Persönlichkeit“ im Vordergrund, wie oben im Zitat des „ikarischen Sturzes“ ausgeführt, erkannte er im Alpinismus aber auch die Möglichkeit einer erzieherischen Methode von kollektiver Bedeutung, deren Zielsetzung auch Verluste rechtfertigt. In seiner Rhetorik und der Wahl der Begrifflichkeiten nähert er sich schon sehr stark an den Wortschatz des Nationalsozialismus an, wenn er beispielsweise fordert: „Wollen wir unser Volk gesund, stark und schön emporgezüchtet (Rassenhygiene, „Eugenik“), so muß unsere Jugend sich kraftvoll und allseitig betätigen in Luft und Sonne, wieder hineinwachsen in die große Natur, [...].“134 Das Ende der Herrschaft der Nationalsozialisten wird auch sehr eng mit dem Lebensende Lammers zusammenfallen, der 1945 in Wien verstirbt, nachdem er die letzten Jahre seiner Lebensspanne sehr zurückhaltend in aller Stille zubrachte und die Deutungshoheit des Alpinismus an die nächste Generation weitergereicht hatte. Die Radikalität seiner Sprache, die Todesverachtung seiner Gewalttouren und wohl auch die oben genannte zeitliche Analogie ließen Lammer in der alpinistischen Erinnerung nahe an den Nationalsozialismus heranrücken. In seiner Person jedoch einen direkten Vorbereiter oder einen Sympathisanten einer nationalsozialistischen Geisteshaltung herauszuschälen ist aber wohl etwas voreilig und wenig weitblickend gedacht. So spricht sich

133 LAMMER, Jungborn, 1929, p. 200-201. 134 LAMMER, Jungborn, 1923, p. 251.

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Lammer bewusst gegen die Politisierung des Alpinismus und des Alpenvereins aus, tritt dem Agitator des „Arierparagraphen“, Eduard Pichl, entgegen, und hält Vorträge vor den Mitgliedern der angefeindeten, jüdischen Sektion Donauland.135 Außerdem steht er in gutem Einvernehmen mit den sozialdemokratischen Naturfreunden, unterstützt sogar ihre alpinliterarischen Bestrebungen und so auch ihr Auftreten nach außen und ihre Popularisierung.136 Lammer ist mittlerweile ein allgemein anerkannter Mann und in der „Mitte“ des Alpinismus angekommen. Seine „Alpinphilosophie“ des führungslosen Bergsteigens und der Herausforderung der Gefahr steht nunmehr außer Diskussion und er wird mit seinem Werk „Jungborn“ zum Kultautor in den Zwanzigerjahren und vor allem von den jungen „Bergvagabunden“ glühend verehrt. Dieser späte Zuspruch bezieht sich allerdings auf eine Sammlung von Artikeln eines wesentlich jüngeren Geistes und sein letztes Werk trägt den programmatischen Titel „Wie anders ist das Bergsteigen in den Alpen geworden!“ und zeigt wohl unzweifelhaft die Frustration eines Mannes an, der sich aus seiner Zeit gefallen sieht. So rät er den jungen Bergsteigern auch zur alpinistischen Emigration in den Kaukasus, die Anden, den Himalaya etc. um dort jene Erfüllung alpinistischer Ziele zu erleben, wie sie dem ehrlichen Bergsteiger zu Gesicht steht, anstatt in den Alpen mit neuartigen Hilfsmittel Wände und Routen zu ersteigen, die zu seiner Zeit mit den damaligen Ausrüstungsgegenständen unmöglich waren.137 So meine ich, hat dieser umstrittene Demagoge einige wortgewaltige, richtungsweisende Wegmarkierungen errichtet, den Pfad in die Berge haben den Nationalsozialisten dennoch andere geebnet. Die Bugwelle des revanchistischen Wiederaufstiegs, in dessen Fahrwasser der Nationalsozialismus an die Oberfläche treiben wird, bricht der oben bereits erwähnte Eduard Pichl, der auch ganz bewusst dem individualistischen Persönlichkeitsalpinismus Lammers den Rücken kehrt: „Wenn zu den wissenschaftlichen, künstlerischen, ethischen und sportlichen Beweggründen der Bergsteigerei Lammer noch die Lust am Grauen, das Erleben der Angst vor dem drohenden Tode und die Erkenntnis der inneren menschlichen Feigheit und Erbärmlichkeit hinzuzählt, so möchte ich an Stelle der genannten Beweggründe als edelsten Antrieb die Liebe zu Volk und Vaterland nennen und in dem deutschen Bergsteiger wachrufen.“138

Der Erste Weltkrieg hinterließ auch im Alpinismus tief eingetretene Spuren und führte zu gewaltigen Umwälzungen. Viele junge Bergsteiger dienten als Soldaten und verstanden sich als „Patrioten“ im idealistischen Einsatz für den Schutz des Vaterlandes. Den Verlust dieser

135 WALKNER, Moderner Alpinismus, 1996, p. 292. 136 KOLB Fritz, Pfade zur Höhe. Zehnjahrbuch der Alpinistengilde. Wien 1930, p. 10. 137 LAMMER Eugen Guido, Bergsteigen in den Alpen, 1937, p. 41. 138 PICHL, Wiens Bergsteigertum, 1927, p. 164.

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Ideale konnten die jungen Republiken nicht aufwiegen und die Geister der traditionellen, kaisertreuen Kriegsheimkehrer verdunkelte ein Minderwertigkeitsgefühl gepaart mit einer politischen Identifikationsarmut. Der Infanterieleutnant Paul Bauer sollte in den kommenden Jahren eine führende Gestalt im Alpinismus der Zwischenkriegszeit werden und ohne Rücksicht auf Verluste am Lebensziel einer Achttausender Erstbesteigung beteiligt zu sein werken. Seine in Worte gefassten Empfindungen nach der Entlassung aus britischer Kriegsgefangenschaft und der Rückkehr ins mittlerweile republikanische Deutschland gewähren sehr tiefen Einblick in die Gefühlswelt dieser Männer: „Wir waren als Soldaten des Königs in die Schlacht hinausgezogen, aber als wir zurückkehrten, mußten wir feststellen, daß die Monarchie abgeschafft war und die Leute verächtlich über diese altwürdige Institution sprachen. Wir hatten für unser Volk gekämpft, und viele meiner Freunde waren dem klassischen Beispiel gefolgt und hatten ihr Leben geopfert. Jetzt aber wurden Tugenden wie Vaterlandsliebe, Heldentum und Selbstaufopferung geschmäht und verunglimpft. Die Dinge, zu denen wir aufgeschaut hatten, waren vom Thron gestoßen worden. So suchte ich Zuflucht in den Bergen.“139 Mit dieser Meinung stand Bauer nicht alleine da und viele seiner überlebenden Freunde suchten wie er ihr Heil in den Bergen. Im Alpinismus erkannten sie ihr Kompensationsventil dieser Verunsicherung und Entwurzelung, was nicht ohne Niederschlag in den alpinistischen Magazinen dieser Tage blieb. Als zentraler Punkt wird über die „Zukunft“ des Bergsteigens debattiert und Paul Jacobi spricht schlicht von neuen Zielsetzungen, welche durch den „Weltkrieg“ notwendig wurden. Er meint damit eine Abkehr vom konkreten Leistungsbergsteigen und der Gefahrensuche am Berg, denn „Sie werden des Kampfes müde sein, zumindest für die erste Zeit. Das Sehnen nach Erlebenwollen ist gestillt auf lange Zeit. Die schrecklichen Erlebnisse eines Krieges, sie reichen hin, ein kurzes Leben mit Erinnerungen daran auszufüllen. Nicht kämpfen wollen sie mehr im Reich der Berge, sie wollen Schönheit trinken. Nach all den vielen Häßlichkeiten und Scheußlichkeiten, nach dem Anblick zu Schutt gewordener Dörfer und Städte und mit Menschenleiberfetzen besäter Schlachtfelder dürsten sie nach Schönheit und friedlicher Kultur.“140 Jacobi spricht hier von den traumatisiert heimkehrenden Bergsteigern, die zwar nicht mehr kampfestoll in die Berge ziehen, aber sich dennoch ihrer althergebrachten Bergsteigertugenden erinnern sollen, welche in Zeiten wie diesen notwendig sind, wenn es gilt ein ganzes „Volk“ wieder auferstehen zu lassen: „Schwere, dunkle Wolken sind heraufgezogen über Deutschlands Himmel und haben ihm die Sonne des Sieges verdunkelt. Eine drückend schwüle Atmosphäre lastet über dem

139 Zit. nach: MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 103. 140 JACOBI Paul, Alpine Zukunftsgedanken. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (1919), p. 4.

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geliebten Vaterland und lähmt die Energie der Schaffenden. Da gilt es, Bergsteiger zu sein und alle Kräfte der Bergsteigernatur heraufzuholen aus der Tiefe der Seele und mit ihnen jenen unüberwindlichen Drang zur Höhe, der dieser Seele innewohnt. Steif hält den Nacken der Bergsteiger, es komme, was da wolle. Regen und Sturm und Schnee und Eis, sie können ihn nicht aufhalten in seinem Drang nach oben, und nur vor einem beugt er sich, dem Allbezwinger Tod. Drum wollen und werden wir den Kopf nicht senken in den Tagen nationalen Unglücks, es sei denn vor denen, die die heimatliche oder fremde Erde deckt, weil sie mit ihren Leibern Heim und Herd geschützt und sterbend uns die Palme eines deutschen Sieges zu erringen gedachten.“141 Die Kriegsmüdigkeit und die Besinnung auf einen friedfertigen Alpinismus korrespondieren mit dem Ruf der aus den nach Kriegsende abziehenden Alpini „Le montagne sono libere“ – „Die Berge sind frei“, aber sind die das wirklich?142 Jacobi spricht bereits die Jugend als Zukunftsträger des Alpinismus an, die man in diesem neuen Geiste über eine bewusste vom Alpenverein betreute Jugendbewegung ausbilden sollte. Er betont allerdings explizit eine nicht den Zwecken des Militärs untergeordnete Erziehung. Dennoch ist die vorübergehende Umdeutung des „Kampfes“ im Sinne Jacobis als eine Art friedlichen, trotzigen Stolzes der omnipräsenten Vorstellung des „Alpinisten im Soldatenrock“ nicht gewachsen und der aus dem alpinistischen Diskurs zu keinem Zeitpunkt zu eliminierende „terminus technicus“ des „Kampfes“ erfährt schon allzu bald eine praktische Renaissance. 1922 erscheint in der Zeitschrift des Alpenvereins der Artikel „ Die Berge und ihre Bedeutung für den Wiederaufbau des deutschen Volkes“, dessen programmatischer Titel sehr präzise die revanchistische Stimmung in den alpinen Vereinigungen zusammenfasst, an deren Spitze sich vorwiegend Offiziere des Ersten Weltkrieges etabliert haben.143 Eben genannter Artikel weist den Kampf als Naturgesetz aus, wie es nirgends plastischer abgebildet werde als in den Bergen. Dementsprechend widernatürlich und sinnfrei seien die pazifistischen Tendenzen jener, die sich nicht dieses „Bergprinzips“ gewahr sind: „Mag es dem Menschenhirn richtig erscheinen oder nicht: Schreie, wie „weg mit dem Kampf!, nie wieder Kampf!" verhallen in der Unwiderstehlichkeit der Naturgesetze.“144 Die Bergsteiger, welchen man 1918 noch eine Kampfesmüdigkeit und Harmoniebedürftigkeit nachsagte stehen nunmehr aber schon wieder in der ersten Schlachtreihe: „Aber an der Erkenntnis, daß der Kampf eine Naturnotwendigkeit ist, kann

141 Ebd., p. 7. 142 HANDL Leo, Le montagne sono libere! - Die Berge sind frei!. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 44 (1918), p. 74. 143 ARMSTÄDTER Rainer, Der Alpinismus. Kultur – Organisation- Politik. Wien 1996, p. 242. 144 MÜLLER Gustav, Die Berge und ihre Bedeutung für den Wiederaufbau des deutschen Volkes. In: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 53 (1922), p. 7.

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kein Bergsteiger, der klare und furchtlose Sinne und gesundes Mark in den Knochen hat, vorübergehen. Er nimmt das Kampf Prinzip auf Schritt und Tritt wahr. Er sieht, daß alles, was nicht kämpft, nicht mehr zu kämpfen gewillt oder nicht dazu imstande ist, nach einem starren und unabänderlichen Gesetze zugrunde gehen muß. Nichtkämpfen ist Untergang!“145 Dieser Untergang wurde mit dem Friedenschluss von 1918 Fakt als man die Waffen liegen ließ und die Kämpferherzen zu schlagen aufhörten. Deren Reanimation und die Stimulierung eines pochenden Schlages zum Klang der Kriegstrommeln wird nun zum vordergründigen, politischen Ziel des Alpinismus im Verständnis der führenden Stimmen im Alpenverein: „Nur dann, wenn Deutschlands Volk und vor allem Deutschlands Jugend den Kampf als ehernes Weltgesetz anerkennt und für die Erfüllung seiner Pflicht in Kampf, Not und Gefahr keinen anderen Lohn verlangt als das Bewußtsein, dem, was es soll, gemäß gehandelt zu haben, nur dann werden wir Deutschen uns wieder ein großes Volk nennen dürfen und unbesiegbar sein.“146

Der „Wiederaufstieg“ des „deutschen Volkes“ ist in nahezu allen literarischen Auseinandersetzungen unweigerlich mit der zukunftstragenden Funktion der Jugend verbunden, deren ursprünglich nichtmilitärische Erziehungsintention längst vergessen und überholt scheint. Paulcke, welcher nach dem Unfalltod Zsigmondys die weiteren Auflagen des alpinen Klassikers „Gefahren der Alpen“ verantwortet und sich außerdem in außergewöhnlichem Maße für die Schulung der Gebirgssoldaten im Ersten Weltkrieg durch den Alpenverein einsetzte,147 sieht ebenso die Jugend in der Pflicht und Intention des Werkes ist es nicht mehr Unfälle zu verhüten und Sicherheitstechniken zu vermitteln, sondern: „So übergebe ich das Buch abermals der deutschen Bergsteigerjugend, in deren Hand Wiederaufbau und Schicksal unseres Vaterlandes gelegt ist; sie soll in den Bergen mannhaft werden, mit klarem Wirklichkeitssinn denken und handeln lernen, hohen Idealismus mit wahrer Herzensbildung verbinden, und sich dabei stets darüber klar sein, daß zu höheren Zielen nur volle Einigkeit führt, gepaart mit Aufopferungsfreudigkeit, Treue, Kühnheit und Stolz.“148 Darüber hinaus erklärt der begeisterte Kriegsfreiwillige Paulcke, der wie Bauer als Offizier im Ersten Weltkrieg diente, das „Versailler-Diktat“ vehement ablehnte und sich in

145 Ebd., p. 8. 146 Ebd., p. 8. 147 PFEIFFER Lorenz, Vom Soldatensport zum Volkssport. Das Militär als Katalysator der Popularisierung des Skilaufs. In: Markwart HERZOG (Hg.), Skilauf – Volkssport – Medienzirkus. Skisport als Kulturphänomen (=Irseer Dialoge, Kultur und Wissenschaft interdisziplinär 11) Stuttgart 2005, p. 75. 148 ZSIGISMONDY Emil / PAULCKE Wilhelm, Die Gefahren der Alpen. München 1927, p. 12.

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seinem Denk und Fühlen zeitlebens der wilhelminischen Ordnung verpflichtet sah,149 die gesamte Bergwelt zum Schlachtfeld und zieht Parallelen zwischen Kriegsmaterial und den Gefahren der Alpen, deren Überwindung bzw. Entschärfung dementsprechend einer Form militärischer Ausbildung gleichkommt: „Bergsteigen und Skifahren ist Ernstfall, nicht bloßes friedliches Manöver. Bergsteigen ist ernster Kampf und oft geht es ums Leben. Wer seinen Mann auf dem großen Gebiet des Sommer- und Winteralpinismus stellen will, muß die Strategie und Taktik des Bergsteigens beherrschen und muß Kämpfer sein. Statt Flatterminen und feindlicher Geschoße drohen Spaltengefahr und Lawine; es knattert der Steinschlag und es dröhnt der Eisbruch. Rings drohen Gefahren: kühn muß ihnen der Bergsteiger ins Auge sehen. Das ist nicht „frevelhaftes Spiel“ mit dem Leben, das ist wertvollste Erziehung zum Mann!“150 Diese Verlegung auf eine indirekte Schulung in militärischen Belangen liegt in der im Friedensvertrag vereinbarten Demobilisierung und der Abrüstung der Armee begründet, die als schmerzlicher Verlust erfahren wurde und nach Ersatz verlange. Paul Bauer sprach vielen Bergsteigern wohl aus der Seele, als er in seiner Rückschau sinnierte: „Als wir damals das Gewehr aus der Hand geben mußten, tastete die verwaiste Hand nach dem Pickel.“151 Zum Vorbild dieser mittelbaren Erziehung zum kampfversierten, heimatreuen Mann avanciert der „Kriegsheld“ Sepp Innerkofler, der im Zentrum des Gefallenenkultes der Zwischenkriegszeit stand und auch den Widerstand gegen die „Besetzung“ Südtirols verkörperte.152 Im Roman „Der Sepp“ wird er als pflichtbewusster Soldat und ebenso als geliebter und liebender Vater sowie stolzer Tiroler dargestellt, der strategische Belange und den Schutz der Heimat über persönliche Bedürfnisse stellt und schließlich auch sein Leben im Kampf für das Vaterland gibt. So ist er gewillt alleine und ohne Aussicht auf Verstärkung einen taktisch bedeutenden Berggipfel zu halten, trotz der Widrigkeiten der Natur und der Vermutung sein Sohn liege tot in den Schutthalden des Berges: „Derfriern oder nit“, sagt der Sepp, „liaber heroben derfriern, als unten im Blockhaus schean warm hocken und zueschaugn, wia der Dechristi den Tiroler Adler holt!“153

149 FALKNER Gerd, Skipersönlichkeiten im Dritten Reich. Reflexionen über Instrumentalisierung und Funktionalisierung. In: Markwart HERZOG (Hg.), Skilauf – Volkssport – Medienzirkus. Skisport als Kulturphänomen (=Irseer Dialoge, Kultur und Wissenschaft interdisziplinär 11) Stuttgart 2005, p. 100. 150 ZSIGISMONDY Emil / PAULCKE Wilhelm, Die Gefahren der Alpen. München 1927, p. 299. 151 Zit. nach: MIERAU Peter, Die Deutsche Himalaya-Stiftung von 1936 bis 1998. Ihre Geschichte und ihre Expeditionen München 1999, p. 10. 152 ARMSTÄDTER, Der Alpinismus, 1996, p. 245. 153 SPRINGENSCHMID Karl, Der Sepp. München 1939, p. 302. Verkompliziert wird die Situation durch seinen direkten Widersacher „Arkantschelo Dechristi“ der nicht nur zu den besten Bergführern der Alpini gehört sondern auch noch just in der Nacht vor der Kriegserklärung Italiens um Innerkoflers Hilfe bei der Rettung eines weiteren Italieners aus Bergnot bat und auch zugesagt bekam. Die Gegenüberstellung jener zwei bewaffneten Bergsteigern trägt naturgemäß auch Züge eines ritterlichen Duells.

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Das Schicksal Innerkoflers bildet gewissermaßen das Ideal der Tugenden ab, welche der Alpenverein jenen wandernden Jugendgruppen einflößen möchte. Die radikalste „Erziehungsphilosophie“ vertritt die Jungmannschaft der Sektion in Wien, welche ihrem geistigen Vater, Eduard Pichl, auch als Vorbild der gesamten Alpenvereinsjugend vorschwebt. Bei der „Julfeier“ von 1922 findet Pichl sehr deutliche Worte zur verbalen Ausgestaltung seiner Zukunftsvision der alpinistischen Jugend: „Eine deutsche Jugend, bergsteigerisch ausgebildet und erprobt, furchtlos und stark, von heißem Vaterlandsgefühl beseelt, von edlem Opferwillen, von wehrhaftem Geiste und deutschem Heldensinn erfüllt, sie möge der Austria im kommenden Jahre erstehen. Die Zuversicht darauf soll uns leiten, bis der Tag der Ehre, der Freiheit und des großen deutschen Vaterlandes anbricht!“154 Neben alpinistischer Kompetenz und „völkischer“ Gesinnung erwartet Pichl von den Mitgliedern der Jungmannschaft bedingungslose Unterordnung und Gehorsam gegenüber dem „Führerprinzip“ um schließlich aus dieser „Schulung“ selbst als „Führer“ hervorzugehen, „die als aufrechte Deutsche und Vorbilder einen starken bergsteigerischen und völkischen Geist mehren und weiterverbreiten, denn am Beispiel des Führers liegt alles!“155 Neben den Jugendverbänden innerhalb des Alpenvereins ruft Pichl aber auch die Gruppierungen „Wehrverein Edelweiß“ und die sog. „Deutsche Wacht“ ins Leben. Die Mehrheit der zugehörigen Personen wird aus der Bergsteigerszene Wiens rekrutiert und soll die Bresche schließen, welche von den „Feinden des Deutschtums“ durch die „Zertrümmerung des stehenden Heeres in deutschen Landen“ gerissen wurde. Aufnahme in diese neu formierte Reihe, welche „die Abwehr alles Undeutschen durch tatkräftige Förderung deutscher,

154 o. A., Julfeier. In: Nachrichten der Sektion "Austria" des Dt. u. Österr. Alpenvereins (1922) H1, p.33. Neben diesem alpinistischen Wertekanon setzen die Alpenvereinsfunktionäre auch einige wesentlich konkretere Handlungen in Gang, welche die Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus nicht nur vorbereiteten, sondern vielmehr vorwegnahmen. Im Zuge der oben genannten „Julfeier“ spricht Pichl nicht nur von der Wiederauferstehung eines „deutschen Vaterlandes“, sondern auch von der herzustellenden „Rassenreinheit“, und von sog. Deutschbewußten, welche wissen, “daß die Arierbewegung nicht eine politische, sondern eine mächtige völkische Bewegung ist, eine Abwehr, die zum Selbstschutze dient wider das deutschen Geist und deutsche Wesen vergiftende und zersetzende Judentum.“ (o. A., Julfeier. In: Nachrichten der Sektion "Austria" des Dt. u. Österr. Alpenvereins (1922) H1, p.33. ) Die Rhetorik soll jedoch nicht nur Schall und Rauch bleiben, Pichl betreibt mit ungemeinem Eifer eine Exklusion aller jüdischen Bergsteiger aus den einzelnen Sektionen, sucht einen Arierparagraphen in den Statuten des Gesamtvereins zu verankern und macht auch gegen die auf Grund der vereinsinternen Anfeindungen gegründete jüdischen Sektion Donauland mobil. Neben der Ausgrenzung und Anfeindung jüdischen Alpinisten werden auch die sozialdemokratischen Bergsteiger und in ihrer Gesamtheit die „Naturfreunde“ ins Fadenkreuz des bürgerlichen Alpenvereins unter Federführung Pichls genommen. Diese zentralen Schauplätze der „Selbstsuche“ des Alpinismus auf der organisatorischen Ebene sollen hier nicht verschwiegen werden, können aber dennoch nicht eingehender thematisiert werden, da eine stark reduzierte und dementsprechend gehaltlose Erörterung wohl mehr schadet als nützt. Aus diesem Beweggrund sollen über ihre simple Nennung hinaus auch keine weiteren Worte mehr verloren werden. Bei Interesse an vertieftem Einblicke wäre eine Einsichtnahme von Rainer Armstädters Klassiker der Alpinismusgeschichte „Der Alpinismus. Kultur – Politik – Organisation. Wien 1996“ anzuraten. 155 PICHL Eduard, Wiens Bergsteigertum. Wien 1927, p. 123 und PICHL Eduard, Der Deutsche und Österreichische Alpenverein: Ein Alpenverein oder der Alpenverein. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 51 (1925), p. 95.

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vaterländischer Gesinnung und Tüchtigkeit, Hilfeleistung bei Unglücksfällen, [...] die geistige und körperliche Erziehung zum Bergsteiger und die wehrhafte Ausbildung zum Schutze deutscher Heimat und deutscher Berge [bezweckt]“, können nur „Arier (Deutsche)“ und „Bergsteiger strengerer Richtung“ finden.156

Exkurs um den „Hakenstreit“ Die ehemalige Avantgarde der gefahrensuchenden Führungslosen machte aber nicht nur gegen die ihrer Meinung nach überkommene Form des Führungsalpinismus mobil, sondern richtete ihre Geschütze auch auf den neuen Geist des „Bergsports“ der nunmehr in der Zwischenkriegszeit nachrückenden Generation um ihre eigene Auffassung vom Alpinismus für die Zukunft zu konservieren. Der Konflikt um die Gestalt des Alpinismus war eng mit der Diskussion um die alpinsportliche Ethik verbunden, wobei man von der konservativen Warte der sog. „Wiener-Schule“ den zumeist in München ansässigen „Neuerern“ vorwarf mit der Setzung von Haken das Bergsteigen des Gefahrenmoments zu entledigen und die Berge zu einem hochgelegenen „Klettergerüst“ zu entstellen: „So hat also der Stiftlersport [Klettern mit Sicherung durch Mauerhaken] den doppelten Adel des führenden Kletterers ausgetilgt: Zuerst raubt er seiner Seele die Gefahr und das weihevolle Ringen mit seinen menschlichen Schwächen, und dann erspart er ihm auch an so vielen Stellen, als Stifte eingeschlagen werden, das körperliche und geistige Ueberwinden des Gesteins und entehrt ihn zum emporgezerrten Gebäckstück. Das ist des Nagels Fluch! Wie hat sich das Bergsteigen doch verändert.“157 Die Vernachlässigung und Geringschätzung des Hakenkletterns war unter den Wiener-Alpinisten ein „lagerübergreifend“ geteiltes Gut und sorgte für überraschende Einmütigkeit in der Szene, schnitten sich hier doch auch die Ethikauffassungen von Lammer und Pichl, der sein „Wiederauferstehungskonzept“ naturgemäß durch die Schmälerung des Gefahrenerlebnisses selbst gefährdet sah: „Der Wiener Bergsteiger verwendet Haken nur zur Sicherung und höchstens zum Abseilen. Erst nach dem Krieg sind im Gesäuse einige gefährliche Stellen auf alten Wegen und ein neuer Anstieg mit Haken verunstaltet worden. Diese Zeugen eines sportlichen Fortschrittes, aber auch eines bergsteigerischen Verfalls sollten wieder entfernt werden.“158 Bemerkenswert ist auch seine Deutung dieses „Verfalls“ und der „Versportlichung“ des Alpinismus in einem politischen Zusammenhang bzw. im Sprachgebrauch parteipolitischer Differenzierung: „Daß diese sportliche Betätigung – parlamentarisch gesprochen – schon sehr auf der „Linken“ des Alpinismus steht, darüber ist

156 PICHL, Wiens Bergsteigertum, 1927, p. 125. 157 LAMMER Eugen Guido, Bergsteigen in den Alpen, 1937, p. 38-39. 158 PICHL, Wiens Bergsteigertum, 1927, p. 154-155.

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kein Zweifel. Zum „äußerst linken Flügel“ aber gehört diese Beschäftigung, seit nach dem unaufhörlichen Schwund an Vorrat von noch nicht durchkletterten Wänden mit Haken und Hammer richtige Steiganlagen hergestellt und diese Technik als höchster Fortschritt im Alpinismus gepriesen wird.“159 Weniger ins Konzept des NS-Agitators gefügt haben dürften sich die Leistungen des jüdisch stämmigen und mit akademischen Würden ausgezeichneten Spitzenalpinisten Paul Preuß, der sich praktisch ebenso wie literarisch sehr früh in einem freundschaftlichen Konflikt mit dem Münchner Hans Dülfer und einigen weiteren, prominenten Namen gegen das Aufkommen des Hakenkletterns stemmte und schließlich auch Opfer seiner eigenen Ethikprinzipien wurde, als er 1913 an der Mandelkogelkante ins Leere fiel anstatt ins möglicherweise haltende Seil.160 Doch sollte man sich hüten in Preuß schlicht einen Hasadeur und „Ethikfanatiker“ im Stile Lammers etc. zu vermuten, denn beständig betonte der womöglich beste Kletterer seiner Zeit „den Bergturen, die man unternimmt soll man nicht gewachsen, sondern überlegen sein“ und predigte doch Abstand zu nehmen vom verfehlten Ehrgeiz, der im blinden Vertrauen auf die Sicherungskette Bergsteiger bzw. Kletterer zur Selbstüberschätzung verleitet. Im Zweifelsfall sollte man eine gewagte Unternehmung eben einfach sein lassen und sich in Mäßigung üben.161 Am tiefsten betroffen von seinem Ableben sollen seine „Widersacher“ im „Mauerhakenstreit, wie Otto Herzog, Tita Piaz, Hans Dülfer, Paul Jacobi etc. gewesen sein, und aus seinem Absturz auch kein Kapital in eigener Sache geschlagen haben, zugedeckt wurde sein Name jedoch allzu bald unter der schweren Erde des aufkommenden Deutschnationalismus, der den „Juden“ vergessen machte.162

Ein sehr anschauliches Beispiel dieser unterschiedlichen Lehrmeinungen zwischen Wiener- und „Münchner-Schule“ liefert uns die erste Begehung der Roßkuppenkante im Jahr 1925: „In unseren bösesten Träumen war die Kante uns nicht steiler erschienen, und sie wurde abweisender, je mehr wir uns ihr näherten. Aber die Würfel waren gefallen: Sixt fühlte sich ganz als Vertreter der Münchner, ich als der der Wiener Bergsteigerschaft – wer hätte da zuerst von Rückzug reden können.“163 Als sich diese abweisende Kante klassisch kletternd jedoch nicht überwinden ließ, querte Sixt entsprechend der Münchner-Ethik an über ihm angebrachten Haken unter der unkletterbaren Stelle hinaus, umging sie und tauchte plötzlich

159 Ebd., p. 162. 160 ARMSTÄDTER, Der Alpinismus, 1996, p. 195. 161 PREUSS Paul, Künstliche Hilfsmittel auf Hochturen. Eine Entgegnung von Paul Preuß in Wien. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 37 (1911), p. 283. 162 MESSNER Reinhold, Freiklettern mit Paul Preuß. München 1886, p. 17-19, 155, 175-178. 163 HINTERBERGER Fritz, Verwegenes Spiel. Taten, Abenteuer und Schwänke aus den Bergen. Innsbruck 1936, p. 20.

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über Hinterberger auf, womit dieser Abschnitt auch geschafft wäre.164 Es war der erste Seilquergang in den „heiligen“ Bergen des Gesäuse, der jedoch nicht unwidersprochen Anklang fand, denn als die mittlerweile in einer anderen Wand beschäftigen Erstbegeher potentiellen, an der Schlüsselstelle steckenden Wiederholern zuriefen: „Ma-chen-Sie-ei-nen- Seil-quer-gang!“, antworteten diese: „Lecken-Sie-mich-am-Arsch!“165 Unter der jungen, heranwachsenden Bergsteigergeneration der „Bergvagabunden“, welche nun im folgenden Kapitel eingehend erörtert werden soll, werden derartige Vorbehalte jedoch bald der Vergangenheit angehören und eine Diskussion über die Beiziehung von technischen Hilfsmitteln werden sie geradezu als einen Anachronismus empfinden. So schreibt auch Leo Maduschka, einer ihrer Wortführer, von dem wir nun noch einiges hören werden: „Die Mauerhakenkämpfe vergangener Jahre sind für uns ein Kuriosum. Im übrigen bleibt hier nicht viel zu sagen. Für die große Mehrheit heutiger junger Bergsteiger ist das „Problem“ der künstlichen Hilfsmittel gar nicht mehr vorhanden; es ist keines mehr, da es für uns eine Selbstverständlichkeit ist, sie überall da anzuwenden, wo es eben zur Lösung großer und schwerer Aufgaben in Fels und Eis geboten und notwendig erscheint.“ 166

„Oh Vagabundenherrlichkeit! Oh du Glück in den Bergen ....“

Sozialisierung der „Bergvagabunden“ Doch an dieser Stelle wollen wir zurückkehren zu unseren Gedankengängen über die alpinistische Sozialisierung der bergbegeisterten Jugend der Zwischenkriegszeit. Die Austria- Jungmannschaft stellte keinen Einzelfall dar, vielmehr war der Großteil der alpinistisch aktiven Jugend in den Jahren der Zwischenkriegszeit in diversen politisch links oder rechtslastigen Vereinigungen mehr oder weniger strikt zusammengefasst. In den urbanen Zentren des Ostalpen-Bergsteigens waren es in Wien neben der von Pichl gelenkten Austria, die völkisch orientierte Sektion „Reichensteiner“ mit einigen sehr fähigen Bergsteigern und auch die 1919 gegründete Alpinisten- Gilde der sozialdemokratischen Naturfreunde, in der sich die leistungsstärksten Bergsteiger der Arbeiterschicht sammelten.167 Viele der

164 Ebd., p. 22. 165 Zit. nach: HASITSCHKA Josef, KREN Ernst, MOKREJS Adolf, Gesäuse-Pioniere. Alpingeschichte aus der Universität des Bergsteigens. Alland 2008, p. 192. 166 MADUSCHKA Leo, Junger Mensch im Gebirg. Leben- Schriften – Nachlass. München, p. 153. 167 Elitäres Bergsteigen widersprach grundsätzlich dem kollektivfreundlichen und offenen Tourismusgedanken der Naturfreunde, welche auf Egalität und Abgrenzung vom bürgerlichen Individualismus bedacht waren. Die Naturfreundfreundschaft und das Naturerlebnis vermitteln Solidarität, unterstützen den kollektiven Schulterschluss und würden im Gegensatz zur bürgerlichen Auffassung des Alpinismus nicht den nationalen, sondern den sozialen Aufstieg der Arbeiterklasse befördern, indem die Entfremdung des Arbeiters von der Natur überwunden würde, was ein besseres Verständnis der Naturgesetze und des „Stoffwechsels zwischen Mensch

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klingendsten Namen des österreichischen Bergsteigens, wie Fritz Kasparek, Sepp Brunhuber, Hans Schwanda und einige weitere sollten wenige Jahre später mit fliegenden Fahnen die Seiten wechseln, worüber allerdings später erst zu sprechen sein wird. In der zweiten Metropole an der Isar bietet sich uns ein ähnliches Bild und die alpinistische Klientel lässt sich hier ebenfalls über ihre Zugehörigkeit zu einzelnen Bergsteigervereinigungen gesellschaftlich und politisch am Papier auseinanderdividieren: „Die meisten die sich damals regelmäßig im Münchner Klettergarten trafen, gehörten bestimmten Vereinen, Gruppen und Kreisen an. Da waren die „Akademiker“, die zwar gern unter sich blieben, [...]. Da waren die „Bayerländer“ und die „Frühaufsteher“ um den Dr. v. Redwitz [...]. Wer sonst noch zur Klettergartenzunft gehörte, gruppierte sich gern um den Kreis des Bergsteigervereins „Hoch Empor“.168 Letzterer wirkte besonders anziehend auf die Arbeiterbergsteiger und die sozialdemokratisch gesinnten Alpinisten, in deren Kreis die Konkurrenten um die großen „alpinen Probleme“ zu finden waren und die Identität bzw. der alpinistische „Stil“ des „Bergvagabundentums“ ausgeprägt wurde. Die Namensgebung dieses Phänomens alpinistischer Sozialisierung wird paradoxerweise aber von Leo Maduschka, einem Mitglied des Akademischen Alpenvereins München, erdacht, der sich jedoch auch selbst mit diesem Prädikat schmückt und sich der geistigen Welt des „Bergvagabundentums“ zurechnet bzw. diese maßgeblich ausgestaltet. Neben den Brüdern Heckmair, beherbergt der Verein Spitzenkletterer wie Leo Rittler, Hans Brehm, Hans Ertl, Emil Schaller, Karl Brendel, Otto Eidenschink, Franz Fischer und den „Klubvater“ sowie großes Vorbild der meisten Zugehörigen, Emil Solleder. Die starke Anziehungskraft dieser Vereinigung auf die jungen, zumeist mittellosen Bergsteiger lässt sich wohl mit dem Fehlen jeglicher finanzieller Ansprüche von Seiten des Vereins, der nur sportliche Leistungskriterien von seinen Aspiranten abverlangte, erklären.169 Neben der praktischen Perspektive einer erschwinglichen Mitgliedschaft übte aber insbesondre jene Leistungsorientierung ungemein hohes Potential an Attraktivität auf die angehenden „Bergvagabunden“ aus, ging mit einer Zugehörigkeit zu dieser Elite doch ein gewisser Status und ein kollektives Erlebnis auf Augenhöhe unter Spitzensportlern einher: „Die „Hoch Emporler“ hatten als Kletterer einen guten Ruf, es war eine alpine Qualitätstruppe, auch wenn es mitunter ein bißchen weldwestlich rauh dabei und Erde“ nach sich zieht. Eine der Grundsatzforderungen der Naturfreunde, namentlich Karl Renners, intendierte auch die Auflösung des bürgerlichen Monopols auf das Bergsteigen und führte so erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts die finanziell schwächere Arbeiterschaft in die Ostalpen, was von vielen Vertretern der alteingesessenen Bergsteigerschaft schlicht als Provokation empfunden wurde. ( SANDNER Günther. Zwischen proletarischer Avantgarde und Wanderverein. Theoretische Diskurse und soziale Praxen der Naturfreundebewegung in Österreich und Deutschland (1895 – 1933/34). In: In: Zeitgeschichte 23. Jg. (1996) H 9-10, p. 306- 312.) 168 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 96. 169 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 113.

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herging. Ich fühlte mich sehr,[sic] nun als vollwertiges Mitglied dazu zu gehören und im engen Kreis eine feste und zünftige Kameradschaft gefunden zu haben. Jetzt war ich doch „wer“, wenigstens in alpinen Dingen, und bildete mir allerhand ein.“170 Dieses Empfinden war wohl ein geteiltes Gut unter den jungen Bergsteigern Münchens, denn auch Heckmair berichtet mit breiter Brust Gnade und Aufnahme gefunden zu haben bei den extremen Bergsteigern im elitären Bergsteiger- Klub „Hochempor“, nachdem er sich binnen weniger Jahre die Aufmerksamkeit der alpinistischen Szene erklettert hatte. 171

Das Bedürfnis eines Prestigegewinns und das Streben nach einer selbstempfundenen Aufwertung der eigenen Person „doch wer zu sein“ resultiert vorwiegend aus den mangelnden Entfaltungs- und Verwirklichungsmöglichkeiten in beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht. Bei einer kurzen Überschau des engsten Kreises um Ertl ergibt sich ein ungemein trostloses Bild der sozialen Situation der meisten seiner Klubkollegen, die nahezu geschlossen arbeitslos, jung und perspektivenarm in München und Umgebung ihr Dasein in „Bedeutungslosigkeit“ fristeten. Über seinen mehrmaligen Seilgefährten Leo Rittler, den der populäre Ostalpenbergführer Emil Solleder aus seinen „schlimmsten Verhältnissen“ und einem „Zuhause, das nur Kummer war“, an die Kletterwand lotste um ihn seine scheinbar aussichtslose Lage vergessen zu lassen, schreibt Ertl: „Zu diesem turnerischen-tänzelnden Beschwingtsein kam noch das unbeschwerte Unbekümmertsein. Er trug nicht viel Ballast mit sich, hatte nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Die Freiheit suchte er, einen Schimmer von Glück, er ahnte, daß es auch Paradiese auf Erden geben

170 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 96. Ohne Zweifel lässt die „Hoch Empor“-Mitgliedschaft Ertls Brust stolz gebläht anschwellen und bildete mit Sicherheit auch einen Teil seiner alpinistischen Identität aus, allerdings scheint auch eine Mehrfachzugehörigkeit keine echten Gewissensbisse auszulösen, denn bei den „Bayerländern“ stand er auch im Mitgliederverzeichnis. Die „Bayerländer“ hielten jedoch wenig von sozialdemokratischen Überzeugungen und beherbergten in ihren Reihen u.a. Eduard Dietl, der als Kompanieführer bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligt war und sich etwa zeitgleich mit Hitler der NSDAP anschloss, sowie Paul Bauer, dessen Geisteshaltung oben schon angesprochen wurde. Auch der Rätekommunist Otto Herzog scheint hier keine Berührungsängste besessen zu haben, der offenbar seine Bayerlandmitgliedschaft mit seiner linken Gesinnung und seiner Funktion als Truppenführer der „Roten Armee“ zum Schutz Münchens zu vereinbaren wusste, was ihn in direkten, mit Waffen ausgefochtenen Widerspruch zu manchem Sektionskollegen brachte. ( MAILÄNDER Nicolas. Spitzensport. In: Martin ACHRAINER (Hg.), Berg heil!. Alpenverein und Bergsteigen 1918 – 1945. Köln-Wien 2011, p. 99.) Ertls Anteilnahme am bayerländischen Vereinsleben wird allerdings auch durch die Berücksichtigung seiner frühesten politischen Sozialisierung verständlich, war er doch Mitglied der sog. „Jungbayern“ und der „Wehrkraft“, welche nach dem „Versailler Diktat“ verboten und ihrer „Waffen beraubt“ wurde. Dort erlebte er, vergleichbar zu Pichls Austria- Jungmannschaft und dem Wehrverein Edelweiß, Wanderfahrten, Turn- und Kriegsspiele, das erste Biwak, die „Erziehung zur Wehrhaftigkeit“ und gibt einen sehr präzisen Einblick in die revanchistische Vereinnahmungsmethodik: „Feuer loderten am Abend. Ansprachen hörte ich, Gelöbnis und Schwur. Und auch ich erhob die Hand und versprach zu werden wie der, dem zu Ehren die Feuer loderten: Albert Leo Schlageter, der an diesem Tag unter schändlichen Kugeln für die größte Sache sterben mußte. Auf der nächtlichen Straße marschierten wir singend zur Stadt zurück. Es war der Tritt der kommenden Jugend, der durch die Stille klang. Ich fühlte, das ist deine Sache, der diese Jugend dient. Ich war stolz zu ihr zu gehören.“ (SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 25.) 171 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 20.

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müsse, nicht nur Elend.“ Ebenso arbeits- wie rückhaltlos war auch Hans Brehm, der mit Rittler einige Jahre später an der Grandes Jorasses in den Tod stürzen sollte. Auch er war ein „Sorgenkind“, ein „Früchtchen“, und aus der Schule geschmissen, wurde er in die „Schlosserbank“ gesteckt, nutzte diese unliebsam erlernten Fähigkeiten allerdings um Mauerhaken zu schmieden und lief davon.172 Das Schicksal Brehms und Rittlers, in welches wir noch genauer Einblick erhalten werden, liest sich wie der paradigmatische Lebenswandel eines „Bergvagabunden“, eine Ausnahme oder auch nur eine besonders kompromisslose Auslegung des „zigeunerischen Lebenswandels“ lässt sich aus ihrem Werdegang jedoch keineswegs ableiten: „Auch von meinen Bergkameraden war der größte Teil erwerbs- und arbeitslos. Wenn es aber irgendwie ging, hungerten sie lieber in den Bergen als in ihrem meist unerfreulichen Zuhause in der Stadt, hausten in Heu- und Laubstadeln, wenns ging in Zelten, suchten Wildgemüse, Pilze, Beeren und kochten sie auf offenem Feuer mit dem bißchen billigen Proviant, mit Mehl und Hülsenfrüchten zu nahrhaften und köstlichen Gerichten. Und jede Sonnenstunde verbrachten sie in den Felswänden und auf den Graten und Gipfeln und wurden so rauhe, harte Naturburschen und ausgezeichnete draufgängerische Kletterer. Nur wenn der Stempeltag nahte, dann graute das Elend in ihr Sonnenparadies herein und mahnte an die Not, Sinnlosigkeit und Hoffnungsarmut. Stempeln, das war wenigstens das Lebenfristen. Das ergab immerhin ein paar Mark, die dann in Mehl, Grieß, Polenta, Reis angelegt wurden, und dann ging es wieder in die Berge. Zu Rad natürlich, weil das nichts kostete.“173

Von diesem größten Teil muss Ertl selbst aber ausgeklammert werden, denn er ist kein „Bergvagabund“ aus Unumgänglichkeit, sondern aus eigener Überzeugung seilt er sich entgegen dem Willen seines handeltreibenden Vaters, der für seinen Sohn eine Karriere als Kaufmann im eigenen Familienunternehmen vorgesehen hatte, in die Berge ab. Man einigt sich schließlich auf ein Hochschulstudium, sichert so den um einige Jahre verschobenen, bürgerlichen Werdegang ab und gesteht dem bergfanatischen Sohn gleichzeitig lange Sommerferien und flexible Wocheneinteilungen zu.174 Seine gesicherte Existenz steht jedoch weder der Akzeptanz von Seiten der faktisch mittelosen Szeneangehörigen entgegen noch kompromittiert es seine Selbstverortung in diesem Milieu. Denn er beschreibt seine eigene Person als „Bergvagabund, wie sie im Buche steht“ und erkennt verbindende Motive als dominante Säulen der „Bergvagabundenidentität“: „Aber ich verdiente dieses Glück nicht ganz, denn dieses unbekümmerte, erdverwachsene und eigentlich sorglose Leben fern der

172 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 94-95. 173 Ebd., p. 127-128. 174 Ebd., p. 103-104, 110,

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Stadt draußen in den Bergen behagte mir nur allzusehr. Ich war wie die anderen, dachte nicht weiter als bis zur gegebenen Stunde, kaum bis morgen. Zukunft, Arbeit, Vorwärtskommen war mir schnuppe.“175 Maduschka hingegen gehört weder dem „Bergvagabundenverein“ „Hochempor“ an, noch stammt er ebenso wenig aus unsicheren Verhältnissen, vielmehr scheint dem jungen Doktor der Philosophie eine akademische Bilderbuchkarriere zu winken. Wie Ertl treiben ihn aber seine Lust am Bergsteigen, sein Ausbruchswille und seine Anpassungsschwierigkeiten in die Welt der „Bergvagabunden“ und gleichfalls ist er Student, was ihm erlaubt, jeden freien Augenblick in den Bergen zu verbringen, unterbrochen nur von längeren Studienreisen in die kulturellen Metropolen Europas.176 Die Anreise zu den Objekten seiner Begierden erfolgt jedoch wie bei den meisten seiner Vereinskollegen in Widerspruch zum klassischen „Bergvagabundenideal“ motorisiert, entweder mit dem Auto oder dem Motorrad. Dennoch attestiert er sich ein Vagabundenleben, beschreibt seine geistige Verfassung als „zigeunerisch“ und hat schließlich auch den Begriff des „Bergvagabunden“ geprägt, wenn man ihn auch nicht unbedingt als klassischen Vertreter dieses Lebensstils anführen sollte.177

Ertl und Maduschka stellen jedoch jene berühmte Ausnahme dar, welche für gewöhnlich die Regel bestätigt. Dieser Regelfall der vor der sozialen Tristesse in den Niederungen und den Städten in die Berge der näheren Umgebung flüchtenden Arbeiter- oder eher arbeitslosen Alpinisten lässt sich jedoch nicht nur auf München beschränken, sondern wir erkennen hierin ein gängiges Phänomen der elitären Kletterer jener Tage unabhängig von ihrer geographischen Herkunft. Fritz Hinterberger, der unter den Wiener Alpinisten seinesgleichen suchte, ebenso oft aber auch eine fixe Anstellung, trifft im Zuge seiner Bergpartien im Wilden Kaiser auf dem Stripsenjochhaus beispielsweise einen jungen, ehemaligen Laufburschen aus seinem Büro, der weder diese noch weitere Einstellungen in Wien behalten konnte und sein Glück in der Ferne zu suchen beschloss: „Dann war der Franz auf die Walz gegangen, wochen- und monatelang war er längs der Hauptstrecke nach Westen gewandert. Nach Italien, nach Deutschland und in die Schweiz hatte er seine Nase gesteckt, aber überall hatten sie so „scheußlich ausländisch“ geredet. Da blieb der Franz im Land und nährte sich redlich. Wovon? Wie´s grad kommt! Einmal hackte er Holz, dann tut er Schneeschaufeln, dann lässt ein Tourist sich von ihm den Rucksack auf die Hütte tragen.“178 Die Kombination der

175 Ebd., p. 228, 128. 176 Ebd., p. XIV- XV 177 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, München, p. 30, 95, 113, 105 und MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 105. 178 HINTERBERGER, Verwegenes Spiel, 1936, p. 132.

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Übernahme von Tätigkeiten im Dienst der Hüttenpächter oder einzelner, zahlungswilliger Gäste mit radikalen Sparmaßnahmen, die im Wesentlichen bei der Ausrüstung, den Transportmitteln und der Ernährung veranschlagt wurden, ermöglichten den „Bergvagabunden“ ein Auskommen auf sehr niedrigem Niveau. So bediente man sich auch gerne in der wildwachsenden Flora oder aß, was in Wildbächen schwamm.179 Der Erfolg ihrer Überlebensstrategie erschöpfte sich jedoch nicht ausschließlich in ihrer Anspruchslosigkeit, sondern wurde auch mit einer gewissen „Schlitzohrigkeit“ in Form einer bisweilen großzügigen Auslegung von Besitzverhältnissen oder der Ausnutzung unterschiedlicher Blickwinkel auf bestimmte „Wahrheiten“ ergänzt. Denn auf Almen weidende Tiere wurden schon mal ohne das Wissen der Besitzer „notgeschlachtet“, dem Genuss von unbeaufsichtigten, zum Selchen in Räucherhütten aufgehängten Fleischwaren war man auch selten abgeneigt und ebenso fand sich auch die Erdichtung von Adelstiteln und Vermögen sowie die Nutzbarmachung der simplen Gutgläubigkeit ihrer Mitmenschen im Überlebensrepertoire der „Bergvagabunden“.180 Viele verdingten sich im Zuge ihrer langen Hüttenaufenthalte als wilde Führer für weniger versierte Felsgeher. Oben genannter Fritz Hinterberger war solchen wilden Führungen auch nicht abgeneigt, eigneten sie sich doch vorzüglich seine Hüttenaufenthalte großzügig auszudehnen. Auf dem Stripsenjochhaus treffen sie einen gewissen Hr. Doppelreiter, seines Zeichens Selchermeister aus Wien, der, wie er sich selbst ausdrückte, ausgezogen war: „um sich die Lorbeerblätter alpinen Ruhmes von den schroffen Zinnen des Kaisergebirges zu pflücken.“181 Dieses Vorhaben scheint ihm auch durchaus ernst gewesen zu sein, denn das Ziel seiner ehrgeizigen Absichten ist die Fleischbank-Ostwand, die zu diesem Zeitpunkt der Elite vorbehalten war. Aber Hinterberger und sein Begleiter fanden einen Weg dem Kunden zu seinem alpinistischen Höhenflug und sich zu stattlicher Entlohnung zu verhelfen: „Es fand sich eine Lösung, die beide Teile befriedigte. Wir „verwechselten“ am anderen Morgen den Einstieg und führten Herrn Doppelreiter über den gut bürgerlichen „Haltweg“ auf den Gipfel der Fleischbank. Und dies, ohne ihm seine Illusionen zu rauben: Immer gelang es mir ins biedere Felsgestein des gewöhnlichen Weges die blutrünstige Routenbeschreibung der Ostwand hineinzudichten. Ein „Spiralriß“ war da, ein erster und ein zweiter Quergang, die kleine Höhle mit Überhang, sogar für den berühmten „Bierkrügerlgriff“ fand sich ein recht annehmbarer Ersatz. Nur die krassesten Stellen, wie den „Schliefkamin, für Korpulente ungeeignet“, ließ ich beim Vorlesen einfach aus. Groß war Herrn Doppelreiters Freude auf dem Gipfel. Sie wurde noch größer,

179 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 112. 180 Ebd., p. 163, 114, 121. 181 HINTERBERGER, Verwegenes Spiel, 1936, p. 158.

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als wir ihn in Anerkennung seines tapferen Verhaltens für würdig und fähig erklärten, diese Ostwand auch im Abstieg zu begehen.“182

Hier führte ein zufälliges Kennenlernen im Aufstieg Bergführer und Kunden zusammen, oft verhalf ihnen aber ihr Ruf als verwegene Bergsteiger und ihre Popularität in der Szene zu lukrativen Anstellungen. Karl Poppinger, der die meiste Zeit auf der Haindelkarhütte hauste, wurde von einem finanzkräftigen Kunden für eine Führung am folgenden Wochenende in der näheren Umgebung angeworben und unbedachterweise im Voraus entlohnt. Für die Dienste seines Führers in spe entschied er sich, nachdem dieser von milieukundigen Bekannten als Bergsteiger ersten Ranges ausgewiesen wurde, entgegen seinem ersten Eindruck, als er einen Menschen vorfand, der offensichtlich seit Wochen jegliche Körperpflege vermissen ließ und gar nicht wusste, wie weit es mit diesem angeblich sehr fähigen Bergsteiger bergabgegangen war. Er hätte seinem ersten Eindruck und seiner Skepsis vertrauen sollen, denn bei Antritt der geplanten Tour, war der wilde Bergführer schon über alle Berge und erstieg nun dank dieser unverhofften Barschaft bayrische Gipfel. 183

Diese unstete Wanderung zwischen den einzelnen Gebirgsstöcken, sofern die geringste finanzielle Möglichkeit bestand, war ebenso wesentlicher Bestandteil des „Bergvagabundendaseins“ wie das Fehlen eines festen Wohnsitzes.184 Ertl selbst meint er

182 Ebd., p. 160. 183 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 109-110. 184 Heckmairs Reiselust führte ihn mit wechselnden Begleitern monatelang durch die diversen Alpenregionen auf der Suche nach bergsteigerischen Herausforderungen und einer vorrübergehenden Bleibe. Den Hochwinter fristet er auf der „Hochempor“- Skihütte auf dem Spitzing bis Ende Februar, dann stand ihm der Sinn nach neuen Abenteuern und einem Ortswechsel in die Zentralalpen, doch das liebe Geld schien ihm hier einen Strich durch die Rechnung zu machen. Heckmair ließ sich aber von den simplen wie schlagenden Argumenten seines zukünftigen Begleiters überzeugen: „Wenn wir auf Geld warten, kommen wir nie fort!“ Das leuchtete mir ein und bald waren die Vorbereitungen getroffen.“ (HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 35) Mit wenigen Mark brachen sie dann ins Ötztal auf, hantelten sich von Hütte zu Hütte, leisteten diverse Dienste dort, führten Touristen und hatten zeitweise mehr Barschaft bei sich als beim Aufbruch. Nach einigen Wochen wechselte man in die Silvrettagruppe um diesen Lebensstil dort fortzusetzen. Als die finanziellen Mittel zur Neige gingen, ließ man sie auf eine Größe zusammenschrumpfen, die nicht einmal mehr für die Heimfahrt reichte, also entschied man sich nach ähnlichen Überlegungen wie oben zu einer Weiterreise in die Schweiz um dort kurz als schwarz beschäftige Gärtner zu arbeiten. Bald wanderte man aber wieder aus dem Tal in die Berninagruppe um dort einige letzte Schwünge in den Schnee zu zaubern. Im Engadin wurden Heckmair und sein Begleiter dann vorläufig festgenommen, vorläufig weil sie sich mit ihrem Kletterseil ganz eigenständig aus dem Gefängnisturm abseilten und sich über die nahe Grenze retteten. Vier Wochen verbrachte er dann wieder auf deutschem Boden, bevor es erneut in die Schweiz in die Umgebung von Chamonix ging um sich an der berühmten Grandes Jorasses abzumühen. Denn Großteil des Sommers verbrachte er nun auf der Leschaux- Hütte am Fuß der berühmten Wand. Das Schlechtwetter trieb ihn allerdings für einige Tage abseits aller alpinistischen Zielsetzungen nach Nizza um die Sonne zu genießen. Nach der Rückkehr in die Westalpen erklettert er die Charmoz Nordwand als zweite Seilschaft und noch einige andere berühmte Anstiege. Dieser Bergsommer ging für ihn allerdings unglücklich zu Ende, da seine zwei Vereinskollegen Brehm und Rittler in der Jorasses abstürzten und von Heckmair tot vom Wandfuß geborgen werden mussten. Er zieht sich daraufhin nach München zurück, lehnt dort ein Angebot vom Arbeitsamt ab, welches ihn ins Rheinland, also weitab der Berge, vermitteln will, und verdingt sich kurz als Kompagnien eines alten „Spielkameraden“, der nun Obst und Gemüse ausführt, bald darauf aber Pleite macht. So tritt er wieder an seinen Partner vom Vorjahr heran und

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habe öfter das Gebirge als sein Hemd gewechselt.185 Dennoch lassen sich unzweifelhaft einige bevorzugte Rückzugsorte auf dieser Wanderroute herauslesen. Die Tiroler und Bayern bevölkerten vorwiegen die viel „umworbenen“ Felsstrukturen des Wilden Kaisers, des Karwendels und des Wettersteins, während sich die Wiener, Grazer und weitere verstärkt im Gesäuse einfanden. Rückbesinnend vermisst auch Ertl jene Tage, in denen scheinbar das ganze alpinistische München ausrückte um sich im Wilden Kaiser auszutoben und er auf jedem Gipfel Freunde und Bekannte wusste, die sich über die Abgründe hinweg begrüßten und zuriefen.186 So ist es auch nur bedingt einem außergewöhnlichen Zufall zuzuweisen, wenn im Laufe einer Sommernacht drei voneinander unabhängige Seilschaften in einem Heustadel, den „der liebe Gott uns Bergvagabunden zur rechten Zeit in den Weg stellt, am Fuße der Civetta Nordwestwand zusammenfanden. Namentlich waren dies Ertl mit Wilhelm „Mungo“ Herzog, Bruder des oben in den Fußnoten erwähnten Rätekommunisten Otto Herzog, die dort auf Heckmair und Brehm stießen um später auch noch zwei nicht näher beschriebene Wiener aufzunehmen.187 Besonders begehrt waren jedoch eben jene Verheißungen der weißen Wände der Dolomiten, welche den österreichischen und bayrischen Bergsteigern wie die formgewordenen Gestalten ihrer kühnsten Felsfahrtträume schienen: „Unablässig suchte ich also meinen Weg zu den Gipfeln unserer Felsberge, und wenn ein besonders lieber Freund mein Begleiter war, dann saßen wir nach vollendeter Bergfahrt beisammen und träumten von einem Reich, in dem die Berge wie Schwerter zum Himmel weisen und in dem die Sonne, der Fels und das Abenteuer in vollendeter Harmonie beisammen wohnen. Wir träumten vom Wunderland der Dolomiten.“188 In den Schilderungen einzelner Vagabunden tauchen immer wieder die klangvollen Namen der Pala-, Pelmo- und Civettagruppe, der Zinnen und des Ortlermassivs auf, um nur einige hier zu bemühen. Zumeist genügt auch schon ein kurzer Blick ins Inhaltsverzeichnis und der kundige Leser wird auf zahlreche bereits bekannte Namen stoßen. Manche der Routen auf die markanten Felsgipfel gewinnen geradezu Initiationscharakter für die „Aufnahme“ in den Kreis der anerkannten Kletterer. Die Westschlucht auf den Predigtstuhl wäre so eine Tour, die scheinbar im Tourenbuch verzeichnet sein musste um mitreden zu können. Die Fleischbank Ostwand genau gegenüber und gut einsehbar ist jedoch „der Prüfstein der guten Felsmänner,

erkundigt sich, ob er nicht wieder Lust nah ein paar Skitounr verspürt und das Spiel beginnt von vorne, nur zieht es ihn diesmal ins Berner Oberland. (HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 35-49) 185 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 137. 186 Ebd., p. 75. 187 Ebd., p. 154. 188 KASPAREK Fritz, Ein Bergsteiger. Einer der Bezwinger der Eiger- Nordwand erzählt von seinen Bergfahrten. Salzburg 1939, p. 38.

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ihr Gesellenstück. Das Meisterstück, der unglaublich kühne Dülferriß und die extremschwere Südostwand, ist nur ganz wenigen vorbehalten.“189 Es sind jene Wände von denen auch der „Bergpoet“ und womöglich beste Kletterer seiner Zeit, sofern sich das objektiv feststellen lässt, Leo Maduschka schwärmt, wenn er sie ehrfurchtsvoll in das Wortgewand einer alpine Märchenlandschaft kleidet: „Die Ostwand- das ist für den jungen Münchner Kletterer ein Wunderwort, ein geheimnisvoller Begriff, zusammengesetzt aus Ahnungen von erlesenen Schwierigkeiten und seltensten Genüssen, ein Zauberschlüssel, der einem zugleich den Zutritt ins schönste Kletterparadies wie zur Zahl der Auserwählten gibt- wenn man sie eben gemacht hat.“190

Entsprechend den viel bestiegenen Klettergebieten bildeten sich im Nahbereich auch besonders stark frequentierte Alpinstützpunkte aus. Oben genannt wurde bereits die Haindlkarhütte und das Stripsenjochhaus, die vielen Wiener und Tiroler Alpinisten zu einem Zuhause wurden. Auch der Münchner Maduschka lernte während seines Semesters in Wien die Vorteile der Haindlkarhütte als Vagabundenstützpunkt im Gesäuse kennen: „Seit einer Woche hausen wir auf der Haindlkarhütte. Es gefällt uns gut dort oben; in wunderbarer, himmelsstürmender Flucht umstehen ringsum die weißgrauen Wände des Gesäuses das kleine Kar; versteckt in niederes Gebüsch und inmitten mächtiger Felsblöcke aber liegt das Hüttchen, auf einem Bergfleck, wie er schöner kaum zu denken ist. Und hier verbringen wir in ungebundenem Bergvagabundenleben wundervolle Tage.“191 Im Wilden Kaiser wurden die „Bergvagabunden“ zu Stammgästen der Gaudeamushütte, die von Maria Schott bewirtschaftet wurde. Ob man nun bei Ertl, Maduschka, Heckmair oder sonstigen Gesinnungsgenossen nachschlägt, alle sind sie einmütig voll der herzlichen Worte über jene Pächterin, die ihnen viele Male für die Übernahme simpler Arbeiten oder Trägertätigkeiten auf eine bestimmte Zeit Unterschlupf und Verköstigung gewährte. Diese Zugeständnisse materieller Natur führen auch zu einer gewissen emotionalen Nähe und einer dankbaren Idealisierung der Figur der „Bergsteigermutter“, „die den Gast nicht nach der Fülle seines Geldbeutels einschätzt oder nach Amt und Würden frägt, und unbegrenztes Verständnis für unsere oft überschäumende Lebensfreude aufbringt.“192 Der aus den Dolomiten heimkehrende Maduschka ging im Oktober noch einmal auf die Gaudeamushütte zur „Mutter Maria, der besten aller Bergsteigermütter“ hinauf, der er auch einmal ein kleines Denkmal

189 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 88-90. 190 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 21. 191 Ebd., p. XIV, 81. 192 BAUMEISTER Hans, Jugend in Fels und Eis. Ein Ehrenmal gewidmet dem Helden vom Matterhorn Toni Schmid von seinen Kameraden. München 1934, p. 62.

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errichten will.193 Ertl meint die Kufsteiner, Innsbrucker und Münchner, hätten „ihr Herz verloren an die sorgsame mütterliche Liebe der Maria“.194 Heckmair überliefert uns schließlich eine Anekdote, in welcher die „Liebe“ der „Mutter Maria“ auch auf handfestere Weise Ausdruck verliehen wurde. Ein gewisser „Lucke Hansei“ habe es mit den Streichen übertrieben und seine Frechheit wurde mit einer Ohrfeige aufgewogen. Als er sich schmollend für drei Tage verzogen hatte, wurde er nach seiner wohl aus Mangel an gleichwertigen Alternativen erfolgten Rückkehr und einer ehrlichen Entschuldigung wieder in die Hüttengemeinschaft aufgenommen.195 Diese Assoziation der „Maria“ mit der Gestalt einer Mutter dürfte allerdings nicht nur der Übernahme von Tätigkeiten ihrerseits, die mit dem „klassischen“ Bild der kochenden, erziehenden, fürsorgenden, bisweilen strafenden „Mutter“ einhergehen, geschuldet gewesen sein, sondern auch eine Ersatzfunktion von real erlittenen Verlusten oder Defiziten vieler „Bergvagabunden“ erfüllen. Heckmairs Vater starb während des Ersten Weltkriegs und der vaterlose Spross verbrachte eine wenig beglückende Kindheit im Waisenheim, Rittlers Familie soll, wie oben angeführt, nur „Kummer“ gewesen sein, Brehm war ganz klischeehaft von Zuhause ausgerissen, Ertl war den Worten seiner jüngsten Tochter nach das „Ergebnis“ einer Vergewaltigung, weswegen seine Mutter auch nie eine enge Beziehung zu ihm aufgebaut haben soll. Kurzum die wenigsten dürften in ihren prägenden Jugendjahren jene Geborgenheit erfahren haben, die sie nun im Bedürfnis nach dem vielbeschworenen Kameradschaftserlebnis, in ihrer eskapistischen Gefahrensuche oder eben in der Bedeutungszuschreibung an die „Mutter Maria“ befriedigten.196 Für Ertl war „Mutter Maria“ gar unlösbarer Teil der „Bergkameradschaft“, und so rücken die „Bergvagabunden“ ihre wochenlangen Hüttengemeinschaften nah an das Bild einer Familie, welche nun mal ohne die Figur einer „Mutter“ schwer denkbar ist.197

Die Bindung und Beziehung der oftmals „entwurzelten“ und asketischen sowie zumeist in Männerrunden sozialisierten oder grundsätzlich einzelgängerischen und

193 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 30, 42. 194 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 74. 195 AUFFERMANN / HECKMAIR, bergwärts, 2008, p. 66-67. 196 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 12 und DANIELS Alfonso, Nazi-era photos surface in Bolivia. In: „BBC News“ vom 09.09.2008; http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/7595908.stm [Abruf: 03.09.2015]. Heckmair schreibt rückblickend auf jene Phase seines Lebens: „Meine Erinnerung an diese Zeit ist geprägt von den endlosen Gebeten der Klosterschwestern und vom Hunger, der unser ständiger Begleiter war. Oft schlichen wir uns heimlich in den Stall und stahlen den Schweinen die gekochten Kartoffeln. Vom Schweinefleisch hatten wir nie etwas zu sehen bekommen; dagegen gabs jeden Abend Graupensuppe, an der ich mich seltsamerweise nie abgegessen habe.“ Neben dem Hunger litt Heckmair, der laut eigenen Angaben ein sehr aufgeweckter Knabe war, unter den brutalen Strafen und den häufigen Prügeln im Waisenheim. (AUFFERMANN / HECKMAIR, bergwärts, 2008, p. 15-16) 197 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 74.

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zivilisationsabgewandten Bergepigonen zu „Weiblichkeit“ im Allgemeinen, insbesondere aber in sexueller Hinsicht, würde auch für sich selbst betrachtet einen überaus ergiebigen und lohnenswerten Forschungsschwerpunkt abgeben. In dieser Arbeit werden wir dennoch nicht über diese Nennung hinausgehen und lassen dieses Bild bloß im Hintergrund der Analyse weiterwirken, denn es würde zweifelsohne den Rahmen sprengen.

Kameradschaftskonstituierung und geistige Zuflucht Nun mag die Evokation des Bildes der „Familie“ auf Basis dieser schlichten Indizienlage zugegebenermaßen gewagt sein und sich argumentativ weit aus dem Fenster lehnend ist man kaum gegen Vorwürfe einer Überinterpretation gefeit. Unzweifelhaft ist aus meiner Perspektive jedoch die Identitätstiftung der Gruppe durch die Verklärung von besonders stark ausgeprägten, sozialen Banden zwischen den Angehörigen dieser Lebensform bzw. wohl schon eher dieser Parallelgesellschaft, die vergleichbare Strukturen in bewusster Abgrenzung als stark wertungsgeladener Gegenentwurf zum Gesellschaftsbild „im Tal“ aufbaut. Denn zunächst legt, so banal es klingen mag, genau diese spiegelverkehrte Wahrnehmung den Grundstein zur Ausbildung einer internen Solidarität über einen mehr oder minder freiwilligen bis erzwungenen Bruch der „Bergvagabunden“ mit dem sozialen und politischen Geschehen „im Tal“. In diesem Fall wirkte eine Abgrenzung nach außen als verbindliches Element innerhalb dieser exklusiven Gruppe. Das Unverständnis nicht partizipierender Personen wirkte hier als sozialer Kleister, der durch die gegenseitige Anerkennung für alternative Werte wie sportlichen Erfolg am Berg seine bindende Funktion entfalten konnte: „Andere sind da, die uns zureden, die nicht verstehen, warum wir in Zelten leben, Kälte und Nässe, Hunger und Unbequemlichkeiten aus freien Stücken ertragen, daß wir Gefahr und Abenteuer suchen, die so nutzlos sind und nicht den kleinsten materiellen Vorteil bringen. Sie begreifen nicht, daß wir Städter, in denen noch das urgesunde Ich mitzureden hat, uns wenigstens für eine kurze Zeitspanne möglichst vollständig losreißen wollen von dem, was dort Kultur und Zivilisation heißt, daß wir unseren Weg gehen wollen, der eben nicht der der Masse ist, daß wir zurück müssen zur Natur oder eben wenigstens einmal wieder natürliche Menschen sein wollen.“198 Im Zusammenhang mit dieser Absage an die Kultur der Moderne, der Betonung der Ursprünglichkeit und der Vermeidung der Weggenossenschaft mit den anonymen Massen stützt Ertl diese Überzeugung auch mit einer exemplarischen Begebenheit. Die im Zelt hausenden „Bergvagabunden“ wurden von den Führern und übrigen Bergsteigern in Sulden kostenfrei zu einem Ball im Grand Hotel eingeladen. Wie Herkules am Scheideweg sahen sie sich in Versuchung geführt und von dem süßen Leben verlockt, allerdings schien

198 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 200.

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ihnen eine Vereinbarung mit ihrem alpinistischen Gewissen nicht möglich: „Verheißend schaut die Königsspitze herein nach Sulden. Wir beginnen unser Gewissen zu erforschen, wir wägen ab - lebendige Mädeln gegen totes Eis, Tanz gegen Kampf.- Mir ist ein Wort in die unrechte Kehle gekommen: Fahnenflucht! Wir schmeißen die Kartoffeln in den Rucksack, verstauen Polenta, Makkaroni und Zucker und schlagen den Weg ein, der hinauf führt. Das Tal mit seinen Freuden und Seligkeiten aber lassen wir denen, die nichts wissen um unser Glück... “199 Die beleseneren „Kameraden“ unter ihnen, wussten auch genau, in wessen Spuren sie hier wandelten. Maduschka und Ertl waren beide Verehrer der Schriften Lammers und sahen sich durch den literarischen Sanctus des geistigen Vaters in ihrem Schaffen moralisch legitimiert. Ertl bezeichnet Lammer als seinen „Heros“, der ihm Augen und Herz geöffnet habe, ihn das „Ich“ als Mittelpunkt der Welt, die Verbundenheit mit der irdischen Natur etc. gelehrt habe. An anderer Stelle wird gerne der „Kampf“ mit sich selbst am Berg von der nachrückenden Bergsteigergeneration als Lammers ideelles Erbe wie neues Leitbild ausgewiesen und immer wieder wird sein Werk „Jungborn“ als wegbahnendes Werk zu den alpinistischen Taten angeführt.200 Auch Maduschka ist die Lektüre von Lammer ans Herz gewachsen und er verzeiht ihm in Anbetracht seiner Leistungen sogar das Pathos, welches er in der alpinistischen Literatur ansonsten verurteilt sehen will.201 Stadtflucht und Zivilisationskritik sind auch dem Denken Maduschkas nicht fremd. An mehreren Stellen beschreibt er ein Gefühl der Befremdung und Deplatzierung, wenn er sich in München oder Berchtesgaden aufhält und erklärt es mit seiner Gewöhnung an das freie Vagabundenleben: „Wie ich einige Stunden später in die lichterhellen Straßen von Berchtesgaden komme, spüre ich seltsames Gefühl, es lehnt sich etwas auf in mir gegen das laute, beleuchtete Treiben, und ich weiß, daß meine Augen jetzt fremd und abweisend sind.“202 Die „Nichtigkeiten“ und

199 Ebd., p. 201. Die Ablehnung der möglichen Verführungen abseits des steinigen Weges auf Bergeshöhen teilen scheinbar viele der Bergvagabunden, wenn auch eindeutig nicht alle. Anderl Heckmair ist hier offenbar wesentlich aufgeschlossener. So verfügt er sich bei Schlechtwetter schon mal per Fahrrad vom „Dent de Requin“ im Monte Blanc- Massiv nach Nizza um diese namensgebenden Fische auch in der Realität besichtigen zu können. An der Riviera angekommen kann er sich den süßen Verlockungen kaum entziehen und wäre im Hafenviertel, wie er meint, zu „jedem Abenteuer aufgelegt gewesen, gemeinerweise verlangten „sie“ aber immer vorher „payer“, und da wir nicht zahlen konnten, flogen wir überall hinaus. Bis nachts ein Uhr hatten wir trotzdem unseren Spaß.“ Ähnliche Erfahrungen sammelt er in Marrakesch, als er sich vor Ort mit französischen Fremdenlegionären aus Deutschland anfreundet, die vorgeben ihm und seinen Gefährten Marrakesch zeigen zu wollen und sie schnurstracks in ein Bordell führen. (HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p 49, 73.) Auch in der Modemetropole Paris fühlt sich Heckmair sehr wohl und vom dortigen Lebensstil begeistert beginnt er sogar im Zuge seines längeren Aufenthaltes täglich Französischunterricht zu nehmen. Seinem Bergvagabundenkollegen Eugen Minarek ist der Großstadtrummel allerdings eindeutig zu viel und er konnte sich „ an die Stadtluft gar nicht anpassen.“ (AUFFERMANN / HECKMAIR, bergwärts, 2008, p. 73.) 200 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 167, 170 und SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 82-85. 201 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 152-153. 202 Ebd., p. 62.

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verkommenen Bedürfnisse des gemeinen Menschen in den „sündigen“ Städten nach Komfort und Bequemlichkeit, die Ertl nur als „Fluch der Zivilisation“ abkanzelt und sich als Nachfolger Lammers inszeniert, finden poetischsten Ausdruck in den Versen Maduschkas.203 Im Gedicht „Menschen und Modelle“ beschreibt er die Metamorphose des Konsumenten in das eigentliche Objekt seiner materialistischen Begierden: „bleibst du manchmal vor Scheibenwänden / länger stehen. Denn hinter ihnen harren / Männer eindrucksvoll und Frau ‘n mit starren / zarten Angesichtern, die dich lächelnd blenden, / warten, daß du sie bewunderst, bieten / alles – Fleisch und Tuch – dir festlich an -: / Innen aber sind sie nichtig. Nieten, / leer und wertlos. Draht und Porzellan ...“ Als wäre die Bedeutungslosigkeit dieser Ausstellungsstücke und die Stimulierung der eitlen Konsumationslust nicht abstoßend genug, ergreift Maduschka das reine Entsetzen, als er in die Gesichter der übrigen Beobachter vor den Schaufenstern blickt, denn plötzlich gleichen „die Modelle, den Gesichtern draußen ... / beide glatt und glänzend, unverhehlt / eines Wesens: tadellos von außen. / Gut getüncht. Nur daß die Seele fehlt.“204 Eine unverfälschte Seelenschau sei in diesem auf Anpassung und Stereotypisierung bedachten System eine vergebliche Hoffnung. Am Berg hingegen lösen sich diese wesensumwabernden Nebel der Nichtigkeiten, Aufgeblasenheit und inhaltsleeren Floskeln auf, die „Masken der Standeswürde“, wie es Lammer nannte, fallen ab.205 Maduschka attestiert dem Bergagabunden eine abweisende Haltung gegenüber dem „lauten Reden und eitlen Streben und dem blinden Glast welker Worte“ und meint damit in verbaler Affektiertheit formuliert das Unterlassen von Smalltalk und diplomatischer Höflichkeit, welche blickversperrend zwischen den Menschen stehen würden.206 Weniger konkret aber grundsätzlich in einer vergleichbaren Geisteshaltung geborgen spricht auch Otto Raufer, dessen alpinistischer Werdegang einer ebenso durch die urbanen „Verunreinigungen“ eingetrübten Quelle entspringt: „Weg von der Gesellschaft“! Los von der Stadt! Das wollte ich. Sehnsucht erfüllte mich nach Dingen, die mehr wogen [...] Und immer auch schwang mit die Sehnsucht nach dem Menschen, nach dem Kameraden, wie ich ihn idealer nirgends als in den Bergen fand.“207 Diese Annahme den Menschen in der Stadt zu verkennen bzw. nicht den wahren Grund seines „Seins“ zu schauen oder schlicht nicht auf jene Menschen zu stoßen, die einer Kameradschaft würdig wären, ergänzt mit der Idee diese Verwirrung in den Eindeutigkeiten der Bergwelt auflösen zu können und dort jenen Begleiter zu finden, den man andernorts nicht zu finden vermag, zeugt meines Erachtens nach unverkennbar von gewissen

203 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 200. 204 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 179-180. 205 LAMMER, Jungborn, 1923, p. 189. 206 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 142. 207 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 169.

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Anpassungsschwierigkeiten im alltäglichen Auskommen, welche schließlich in diese moralisch unterwanderte und stilisierte Form des Gesellschaftsentzuges mündet, die sie allesamt „kameradschaftlich“ teilen.

Neben dieser sozialen Emigration in die Gemeinschaft gleichgesinnter Kulturpessimisten und ebenso gescheiterter Existenzen führt Maduschka aber noch weitere, nicht zu vernachlässigend, kameradschaftsbildende Aspekte an: „Doch Weggenossenschaft – das ist: zu zweit am flackernden Lagerfeuer sitzen, ganz ohne Worte; einer spielt die Mundharmonika, über die Wälder aber steigt der Mond der Mitternacht in die Unendlichkeit – oder: Du stehst auf handgroßem Tritt, an den Haken gebunden; eine Welt weiter unter dir grünen die Wiesen in lächelndem Frieden. Dreißig Meter über dir aber im grauen Gefels hängt dein Kamerad; sein schweres Atmen kommt leis herab; wie Zangen halten deine Hände das Seil, das zu ihm läuft; und es ist wie ein leitender Draht, durch den der Strom deiner Kraft und deines Vertrauens hinauf rinnt zum Gefährten – oder: ihr steht am Gipfelsteinmann, manches liegt hinter euch; aber ihr macht wenig Worte, ein Händedruck, ein kurzer Augen-Blick – das ist alles; und das – und tausend anderes: das heißt Kameradschaft.“208 Die gemeinsame Suche und Überwindung der Gefahr in der Wand als kampfbetontes Gegenstück zu einem friedlichen Rasten und Ruhen sowie der folgende Gipfelausstieg als Symbol der Selbsterhebung und Überlegenheit gießen neben der sinnbildlichen „Schicksalsgemeinschaft“ der voneinander abhängigen Seilschaft das Fundament der nationalsozialistischen Alpinpropaganda und werden als solches in dieser Arbeit noch gesondert besprochen. Seilgemeinschaft und geteiltes Gipfelglück waren für den „Bergvagabunden“ jedoch sicher nicht nur Druckwerk auf bald welkem Papier, sondern verfassten auch maßgebliche Kapitel seiner Gefühlswelt und seines Verständnisses sozialer Bindungen, wenn er in Abgeschiedenheit und Weltferne Gipfel für Gipfel spulte. Selbstredend ergibt sich eine starke zwischenmenschliche Prägung durch das Erlebnis einer Extrem-Situation, welche ungeschönt die eigene Vergänglichkeit aufzeigt. Gemeinhin zieht sie bei den meisten Personen eine Form traumatischer Wirkung nach sich, während

208 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 171. Den Augenblick der Gipfelbesteigung in Schweigsamkeit zu begehen ist ebenso Topos alpinistischer Mentalität wie der vorhin angerissene Antiurbanismus. Im Hintergrund dieses rhetorischen Kniffes steht immer die Annahme, Worte könnten der Würde und Erhabenheit des Moments bzw. der Leistung nicht gerecht werden. Oft dient es aber auch der Hervorhebung der unwirtlichen Wetterverhältnisse am Berg, welche sowieso jeden menschlichen Laut schlucken würden. Ein schöner Beleg dieses Schweigegebots am Gipfel ist uns über Ertl überliefert durch die Missachtung dessen überliefert: „Um uns braut und brodelt der Nebel. Wir sehen nicht die Tiefe und spüren nicht unser Erhobensein, wir spüren es nur im Wirbel der Wolken. Der Sturm brüllt und peitsch Eisnadeln vor sich her. Die Augen brennen und die Haut schmerzt. Wir möchten ja am liebsten in den weichen Firn sinken, ausruhen, schlafen ... bei diesem Unwetter wäre es der Tod ... „Jetz waar a Wirtshaus recht“ sagt der Freund und fällt damit prosaisch aus der Heldenrolle des großen Bergeroberers.“ (SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 217)

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Bergsteiger zu allen Zeiten eben jene Gradwanderung immer wieder aufs Neue einschlagen um im unmittelbaren, instinkthaft, ganz stark im Augenblick wahrgenommenen Bedürfnis nach simpler, körperlicher Fortexistenz eine Sein- und Sinngewissheit zu erlangen.209 Diese Wiederkehr in die Sphäre eines potentiellen Ablebens wird im alpinistischen Sprachgebrauch in unterschiedlichen Begrifflichkeiten ebenso unpräzise umschrieben wie unzureichend gerechtfertigt. Lammer vernimmt „Stimmen“, die geheimnisvoll zuflüstern“, empfindet einen „unbewussten Drang“ oder eine „dämonische Lockung“ die Berge aufzusuchen.210 Unsere „Bergvagabunden“ kosten in den Bergen ein „süßes, tröstendes Rauschgift“, steigern ihre Suche zur „Sucht nach den Bergen“ oder lassen sich wie Lammer von „irgendeinem Dämon“ in die „einsame Natur treiben“.211 Die wortgewandte und tiefschürfendste Auseinandersetzung mit diesem inneren, unbestimmbaren „Drang“ eröffnet uns Maduschka, der von einem „dunklen Warum unseres Dranges“, einer „Sehnsucht“, oder einem „Wanderweh“ spricht: „Wir wissen tief, daß alle Wanderungen ziellos sind; denn wenn auch jede ein Ziel in sich schließt, so wird es, wie wir es verlangt haben, nur zum Altar, auf dem sich schon wieder eine neue Sehnsucht entzündet. [...] Wir müssen wandern, um unsere Sehnsucht zu töten; sonst würde sie uns den Tod geben. Jeder Gipfel ist nur eine Stufe, über der schon die nächste auf uns harrt; denn in uns wohnt Fausts Geist: wir sind ruhelos bis zum Ende. [...] Immer weiter schweifen müssen wir, tausendmal eine Sehnsucht tötend, indem wir sie erfüllen; doch ihr Feuer flackert immer von neuem empor. [...] Das Wanderweh zieht uns in alle Fernen und zu allen Abenteuern- doch die Heimat steht hinter uns wie ein seltsames, bindendes Wunder ... „212 Abgesehen von diesem, meiner Ansicht nach doch etwas aus dem Hut gezauberten, patriotischen Einschlag am Schluss des Zitats, scheint der Bergsteiger in Maduschkas Autopsie und Geistesspiegelung in seinem ziellosen „Wanderweh“ eine ernstliche Gefährdung seines körperlichen und seelischen Wohlbefinden zu erfahren, welche nur durch Hingabe und Opferung abgewendet werden kann. Der Erörterung dieses Widerspruchs ist ein Großteil seines Werkes gewidmet und schlussendlich meint er in seinen teils verschlungen und sich wiederholenden Wortkaskaden doch nur jenen irrationalen Imperativ eines nicht zu lokalisierenden, teils autonom waltenden, teils ident wirkenden Wesens im eigenen, emotionalen Innenleben. Wie man es auch nennen mag, und welchen Ursprüngen es die einzelnen Bergsteiger auch zuschreiben mögen, dieser „Drang“ ist schlicht und ergreifend nicht eigenständig zu verwirklichen, sondern die Auslebung dieses

209 AUFMUTH Ulrich, Psychologie des Bergsteigens, 1989, p. 126-128. 210 LAMMER, Jungborn, 1929, p. 62, 228. 211 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 167, 170 und SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 128. 212 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 144.

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Bedürfnisses bedarf eines Weggenossen, Seilpartners, „Kameraden“ etc.. So ist auch die „Bergkameradschaft“ unter den „Vagabunden“ oft auch nur einer simplen Notwendigkeit geschuldet mit dem angenehmen Nebeneffekt einer Bestätigung von gleichermaßen „Abhängigen“. Zwar finden sich bisweilen Beteuerungen in der autobiographischen Alpinliteratur, diese oder jene Wand ohne jede Rücksicht auf die Eignung des willkürlich gewählten, oft auch auf der Hütte angetroffenen, Seilpartners durchsteigen zu wollen, da die Sucht in diesem einen, speziellen Fall in den Augen des Betroffenen keinen, weiteren Aufschub zulässt. Kasparek beispielsweise verleitet die Anziehungskraft der ersten Wiederholdung der Großen Zinne über die Nordwand zu größten Zugeständnissen an die „Bergkameradschaft“: „Zwei Tage nach diesem großen Erfolg saß ich auf der Zinnenhütte, doch ohne Gefährten, und flehte die unmöglichsten Wiener Bergsteiger an, mit mir die zweite Begehung zu versuchen. Leider erfolglos. So mußte ich notgedrungen diese große Fahrt auf den Wunschzettel des kommenden Jahres schreiben.“213 Diese Führe durch die Nordwand der Großen Zinne scheint allerdings für die „Bergvagabunden“ im Allgemeinen eine ungemeine Attraktivität ausgestrahlt haben, denn auch Heckmair improvisiert hier bei der Wahl seines Seilpartners und wählt aus Mangel an Alternativen einen ihm und der alpinistischen Nachwelt ebenso vollkommen unbekannten Nürnberger Gelegenheitsbergsteiger, der so ganz unverhofft die erste Begehung ohne Biwak in wenigen Stunden einheimst.214 Derselbe, eben noch so anspruchsarme Heckmair ist jedoch im Hinblick auf die Eigernordwand, die ihn auch an seine eigenen sportlichen Grenzen führen wird, in hohem Maße auf Risikominimierung bedacht und erst eine Erprobung der Fähigkeiten seines potentiellen „Kameraden“ in der Praxis und die Fürsprache von Matthias Rebitsch lassen ihn Glauben am Gelingen der Unternehmung mit Ludwig Vörg gewinnen.215

Einen letzten kameradschaftskonstituierenden Aspekt im sozialen Leben der weltverlorenen „Bergvagabunden“ möchte ich hier noch erörtern. Abseits des eigentlichen Geschehens in der Wand, dem „Kampf mit dem Fels auf Leben und Tod“ etc. empfinden die „Bergvagabunden“ nach getanem „Tagwerk“ im Schein des Lagerfeuers in entspannter Atmosphäre jene körperliche und soziale Wärme, welcher sie im Tal entbehren. Die „Ursprünglichkeit“ der Versammlung im Kreis um das Lagerfeuer übersteigert sogar die Funktion der „Hüttengemeinschaft“ als Antithese zur „zivilisationskranken“ Gesellschaft jenseits dieser Verortung in der Natur und, wenn die „Bergvagabunden“ die Glut anfachen, entzünden sie im Schein dieser urmenschlichen Wärmequelle auch die hellen Flammen unbeschwerter

213 KASPAREK, Ein Bergsteiger, 1939, p. 39. 214 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 92. 215 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREk / HARRER, Um die Eiger- Nordwand. München 1938, p. 49.

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Ausgelassenheit: „Am flackernden Feuer hocken wir und sind glücklich und zufrieden, und ein Lied schallt hinaus in die Nacht. Rauh sind die Kehlen, aber glühend ist das Herz. Und herrlich ist die göttliche Freiheit.“216 Die stimmliche Harmonie ist hier nicht von Bedeutung im Gegensatz zum stimmungshebenden Gemeinschaftsgefühl und im Zusammenspiel der Geister besingen sie eine „Freiheit“, welche in ihren Augen wohl die Wandlung der Einbindung in gesellschaftliche Konventionen zur Abhängigkeit von der berauschenden Bergwelt meint: „ [...] aber es ist die Luft der Freiheit, die wir in vollen Zügen zu trinken beginnen. Vor wenigen Stunden noch ein winziges Rädchen im Getriebe der Großstadt, haben wir jeglichen Zwang der Welt, der unser Tun zumeist unverständlich ist, abgeschüttelt; stolz fühlen wir uns als „die Herrn der Welt“, heißer Tatendrang zieht uns in unsere geliebten Berge, es rufen und locken die Plattenwände und Felsengrate des Wettersteins [...].“217 In beträchtlicher Entfernung zur meist unverständigen „Welt“ begreifen sich die „Bergvagabunden“ als Wertegemeinschaft, die sich auf die Ideale der „Freiheit“, der Ungebundenheit und der Selbstverwirklichung beruft. Fließen diese Elemente zusammen, gerinnen sie zum Modell der „Kameradschaft“, welches die Szene der „Bergvagabunden“ auch musisch und poetisch verherrlicht und sich so einen Ansatz kulturellen Ausdrucks ihrer Gesinnung schafft. Mit dem Mond vor Augen und der Mundharmonika an den Lippen so oft die Sonne hinter die Berge sinkt, erklingt das breite aber in seinen Inhalten eng umschränkte Liedgut dieser jugendlichen Parallelgesellschaft. Im oben abgezogenen Zitat Maduschkas zu den diversen Aspekten der „Weggenossenschaft“ finden wir ebenso einen Beleg dieser Form „zigeunerischer“ Zusammenkünfte, wie auch sonst kaum eine Schilderung aus dem Kreis der „Bergvagabunden“ auf die literarische Ausgestaltung gegensatznivellierenden Beisammenseins verzichtet. Das ursprüngliche Mitglied der Alpinistengilde Hans Schwanda wird die „Gesänge voll Kraft und Feuer“ in seinem Werk „Das deutsche Berg und Skilied“ zusammentragen, welche im Schein des Lagerfeuers im Kreise der „Kameraden“ als Ausdruck von Freude und Lebensbejahung gesungen werden. Auch Maduschkas alpinistisch- geistiges Erbe wird in dieser Sammlung unter dem Titel „Berglerjubel“ außerhalb der Szene stehenden Personen zugänglich gemacht. Den „Bergvagabunden“ selbst scheint es nur allzu bekannt gewesen zu sein, denn mehrfach wird es auszugsweise zitiert, wenn seine Weisen im trauten Kreis erschallen: „Frisch auf, Berggefährte, der Morgen graut, / steig hinauf in die sonnige Höh´, / in unsere Welt, die hoch über den Wolken gebaut, / laß im Tale Jammern und Weh, in kurzer Wichs und Nagelschuh, / am grauen Berghut´s Edelweiß: / Wir sind die Fürsten dieser Welt / und unser Reich ist Fels und Eis. / ... Wir sind die Fürsten dieser Welt

216 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 190. 217 BAUMEISTER, Jugend in Fels und Eis, 1934, p. 248.

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...“218 Es sind dieselben Worte, die auch Ertl mit seinen Berggefährten in Form eines Ständchen darbringt, wenn auch nicht sehr klangrein, wie er selbst eingesteht, wohl aber mit Hingabe und Überzeugung. Das eigenständige Bedürfnis nach der Kreierung einer eigenen Form von Kultur ohne eine eigentliche administrative oder gar autoritäre Führung zeugt bereits von einem hohen Maß an Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Funktion des gemeinsamen Absingens der ewig gleichen Inhalte, wenn die Melodien auch variieren mögen, schließlich ist in seiner Bedeutung für die Ausbildung des gruppeninternen Zusammenhalts kaum zu unterschätzen und führt wohl auch zu einer Vertiefung derselben, denn es werden mit der Verklärung der eigenen gesellschaftlichen Situation, mit der Abkehr vom Elend des Tals, dem Gedanken der „Kameradschaft“ und in den hier nicht angeführten Strophen, die Gefahrenüberwindung in der Felswand, die ausgelassenen Stunden am Lagerfeuer, der jubelnde Gipfelgang und die noch vorhandene Blüte der Romantik in den Bergen die oben angeführten Werte der Gemeinschaftskonstituierung allesamt aufgegriffen und verarbeitet. In ihrem geistigen Schaffen treten die „Fürsten dieser Welt“, die „Freiherrn der Berge“, oder die „Herrn Herren in Fels und in Eis “ als eingeschworene Gemeinschaft auf, Brot und Sorgen werden gleichermaßen geteilt und wie ein „Keil“ treten sie nach außen auf.219 Für den BMW fahrenden Maduschka und den Kaufmannssohn Ertl war diese Preisung der Mittellosigkeit und der Bewältigung existentiellen Not in gegenseitiger Anteilnahme bestenfalls selbsttäuschende Inszenierung, keinesfalls aber Spiegelung ihrer Realität, während für die meisten ihrer „Kameraden“ diese Kultur der Selbstverherrlichung wahrhaftig die Funktion einer Kontrastierung und Kompensation ihrer angespannte materiellen und gesellschaftlichen Lage erfüllt und sie finden in diesen Worten wohl die Bestätigung ihrer Hoffnungen und den Balsam für ihre tatsächlich „wanderwunden“ Seelen.220

Schlussendlich hängen alle hier am Feuer versammelten, in „Kameradschaft“ aneinander geketteten „Bergvagabunden“, ungeachtet ihrer inszenierten, empfundenen oder faktischen Zugehörigkeit, dem großen Traum nach durch ihre alpinistischen Erfolge über die Szene hinaus Aufmerksamkeit zu erlangen, sich in das „Ruhmesbuch“ des Alpinismus einzutragen und nicht nur mehr fürs, sondern auch vom Bergsteigen leben zu können oder gar, sofern sie darauf angewiesen sind, durch außergewöhnliche Leistungen, die keiner weiteren Bestätigung oder Steigerung bedürfen, den Lohn einer gesicherten Rückkehr in ständische Beschaulichkeit zu ernten.

218 SCHWANDA Hans, Das deutsche Berg- und Skilied. Wien 1935, p. 14-15. 219 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 142 und SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 166. 220 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 113.

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Konkurrenz am Berg In ihren Wünschen und Träumen mögen sie sich also einig sein, die Umsetzung zieht jedoch Wände zwischen ihnen hoch, die selbst oder gerade sie nicht erklimmen können. Der ungemeinen Dichte an Schilderungen der ausgeprägten „Kameradschaft“ zwischen den „Bergvagabunden“ mögen die entgegenstehenden Befunde eines intensiven Konkurrenzverhaltens oder auch schlicht zwischenmenschlicher Diskrepanz quantitativ nicht gewachsen sein, dennoch wirft die Spiegelung dieser „Kameradschaft“ ein stark eingetrübtes Bild der Lebensrealität am Berg zurück, sofern man die aufhellenden Effekte der schwärmerischen Beteuerungen aus dem Rahmen fallen lässt.

Als kameradschaftsfördernde Maßnahme wurden oben die Abschottung und die ausgedehnten Zeitspannen der Gesellschaftsferne beschrieben, diese soziale Enge und die beständige Nähe auf kleinem Raum, die fast paradoxerweise entgegen der Beschwörung der „Freiheit“ einen Mangel an Privatsphäre nach sich zieht, bewirken aber auch starke Spannungen innerhalb der kleinen Gruppe. Heckmair beispielsweise führt eine handfeste Rauferei zwischen ihm und seinem Tourengefährten „Bartl Hütt“ im Beisein eines unbeteiligten Lehrers wegen einer Kleinigkeit auf die lange „Zweisamkeit“ in den Bergen zurück. Die Entladung in offener Aggression sorgte für den Abbau dieser Spannungen und man konnte schließlich wieder „zivilisierter“ miteinander umgehen.221

Diese Episode nimmt aber einen vergleichsweise harmlosen Ausgang, litten hier doch nur zwei gemeinsam agierende Bergsteiger an einer Art „Lagerkoller“ bzw. einem Mangel an Distanz. Gravierendere Folgen hingegen hatte der alpinistische Wettkampf zwischen den einzelnen Seilschaften um die „großen alpinen Probleme“ und hier fanden sich unter den fähigsten Bergsteigern ihrer Zeit, die nahezu ausnahmslos dem Kreis der „Bergvagabunden“ zuzurechnen waren, weder Kompromisse noch freundschaftliche Anteilnahme am Erfolg des jeweilig Anderen, sondern Missgunst und Verzweiflung waren nur allzu oft die Folge eines fremden „Triumphes“. In vielen Fällen bauen Bergsteiger eine sehr emotionale Beziehung zu einzelnen ihrer Projekte auf und diesen „Ruf“ der Berge vernehmen die Abhängigen dann ganz besonders stark aus dieser speziellen Richtung. Hans Ertl und Willo Welzenbach, die sich beide aus den alpinistischen Kreisen Münchens kannten und eng befreundet mit Heckmair waren, verfielen gleichermaßen der Anziehung der Nordwand des Ortlers und Ertl war geradezu schockiert, als er vom Versuch Welzenbachs hörte, der aus seinem Blickwinkel betrachtet, glücklicherweise im ersten Anlauf gescheitert war: „ In München wartete die

221 AUFFERMANN / HECKMAIR, bergwärts, 2008, p. 50.

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Kameradschaft mit einer Sensationsnachricht: Welzenbach sei während der Pfingstfeiertage in der Ortlerwand gewesen! In „meiner“ Wand! Ich hatte schlaflose Nächte. [...] Ich wußte, daß sich ein Geher wie Welzenbach nicht geschlagen gibt. Ich wußte, daß er wiederkehren würde. Aber ich wußte auch, daß ich „meine Wand“ nicht kampflos herschenken würde. Jetzt oder nie!“222 Ertl gelingt bei seinem Versuch auch tatsächlich die Erstdurchsteigung der Nordwand und Welzenbach hat das Nachsehen. Scheinbar hat dieser Zwischenfall aber zu einer gröberen Verstimmung in der Beziehung zwischen den beiden Alpinisten geführt, die zu Lebzeiten Welzenbachs nicht mehr ausgeräumt werden konnte.223

Alpinistischer Ehrgeiz und die Sorge seiner sportlichen Lorbeeren von Miteiferern beraubt zu werden ist auch Welzenbach nicht fremd. Nachdem er und sein Seilpartner Wilhelm Merkl eine beinah vollführte Erstbegehung der Charmoz-Nordwand unweit des Ausstiegs wegen Schlechtwetters abbrechen und zum Grat hinüberqueren mussten, trafen die beiden auf der Leschaux Hütte Heckmair und Gustl Körner an. Der wenig taktvolle Ansage Heckmairs wegen, diese Beinahbegehung nun seinerseits fertig steigen zu wollen, brachen sie bald darauf wieder zum Wandfuß auf und durchstiegen die Wand unter denkbar schlechten Wetterbedingung und unter mutwilligem Einsatz ihres Lebens in drei ganzen Tagen, weswegen man in den Zeitungen bereits über ein Bergdrama spekulierte.224 Schließlich kannte auch Heckmair den bitteren Geschmack, am Berg gegenüber anderen zurückstecken zu müssen, denn zunächst ging ihm sein Seilpartner vom Vorjahr Martin Maier an der Grandes Jorasses fremd, dann brach er sich aus sportlichem Übermut den Fuß und war zum Zuschauer der Erstdurchsteigung dieses alpinen Problems durch die aus Rudolf Peters und eben jenem Martin Maier gebildete Seilschaft verdammt. Heckmair hatte an dieser vergebenen Möglichkeit sich endgültig in die Geschichte des Alpinismus einzuschreiben schwer zu schlucken, zählte sich gar zum alten Eisen und empfand es aufrichtig als „Niederlage“ gegen seine Mitbewerber.225

Nun fanden diese Verletzungen des Kletterstolzes und die konkurrierenden Wettläufe allesamt in der eigentlichen Wand statt, die Geschehnisse um die Grandes Jorasses werfen aber auch ein sehr schiefes Licht auf die viel gerühmte „Bergkameradschaft“ am Fuß der Eiswand, denn von Lagerfeuerromantik und ausgelassener Freiheitsstimmung kann hier keine Rede sein. Zunächst traf Heckmair im Jahr 1934 aufgrund eines Missverständnisses mit zwei potentiellen Seilpartnern Martin Maier und Ludwig Steinauer am Leschaux-Gletscher ein,

222 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 236. 223 Ebd., p. 70. 224 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 47. 225 Ebd., p. 90, 113.

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was bei den zwei letztgenannten für wenig Begeisterung sorgte. Man musste sich schließlich aber doch mit der ungewöhnlichen Situation einer Dreier-Seilschaft abfinden. Nachdem diese seilschaftsinternen Ungereimtheiten vorübergehend ausgeräumt waren, galt es nun sich mit den übrigen Gipfelaspiranten vor Ort auseinanderzusetzen: „Da kamen Konkurrenten, Peters und Harringer, auch aus München, die ihr Zelt hundert Meter unter der Hütte auf einer Felsplatte, aufschlugen. Einer belauerte den anderen. Ein Annäherungsversuch meinerseits, bei welchem ich Peters undiplomatisch ansprach, sie sollten erst abwarten, was wir machten, beantwortete er damit, er wisse schon selbst, was er zu machen habe. Beleidigt zog ich mich zurück.“226 Die ungemein starke, gegenseitige Abneigung zwischen den Spitzenalpinisten wird in Peters Absage an die im strömenden Regen vorgebrachte Einladung Heckmairs gemeinsam in der trockenen, nahe gelegenen Hütte zu nächtigen, deutlich. Außerdem lehnt er sie nicht nur einmal ab, sondern sogar ein weiteres Mal, als ihm in derselben Nacht zu allem Unglück auch noch sein Zelt abbrannte und er sich gezwungen sieht in den Büschen die nasse Nacht zu überdauern. Dieses Schlechtwetters wegen zieht es Heckmair auch bald weiter und er lässt seine zwei von diesen neuen Plänen wenig beglückten Seilpartner am verregneten Leschaux- Gletscher sitzen. Wenige Tage später sollten sich die zwei „Kameraden“ wider Willen ob der Provianteinteilung und einer gerechten Portionierungen desselben vollkommen überwerfen und im Streit auseinander gehen.227 Martin Maier allerdings kehrte, wie oben erwähnt, im nächsten Sommer wieder um und die Grandes Jorasses-Nordwand erstmalig zu durchsteigen und zwar mit dem eben noch so abweisenden Rudolf Peters. Auch dieses Mal machte die Seilschaft einen großen Bogen um die auf der Leschaux- Hütte sitzende, internationale Konkurrenz, welche dort die viel zu warmen und dementsprechend steinschlagfördernden Verhältnisse abwartete, um möglichst unbehelligt unter enormer Risikobereitschaft die Wand zu versuchen. Diese Bedachtsamkeit auf ein verborgenes Schaffen am Berg, diese fast überfallsartige Aktion zeugt nicht unbedingt von ausgeprägter „Kameradschaft“, sondern zielt ganz eindeutig auf eine Minimierung der potentiellen Mitbewerber ab, die ahnungslos mit diesem Durchstieg überrumpelt werden.228 Bisweilen mag aus dem Erfolg am Berg wohl tiefe „Kameradschaft“ erwachsen, oftmals wird sie dem Erfolgswillen aber auch untergeordnet und persönliche Diskrepanzen weichen dem Pragmatismus.

Denn abseits dieses idealisierten Zusammenschlusses in Mittellosigkeit am Berg und der Möglichkeit sein Selbstwertgefühl durch sportliche Leistungen in außergewöhnlichem Maße

226 Ebd., p. 87. 227 Ebd., p. 88-90. 228 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 126-127.

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aufzubessern fanden die „Bergvagabunden“ eine durchaus gewinnversprechende Option im materialistischen Sinne im Bergsteigen vor. Die „Bergvagabunden“ der Zwischenkriegszeit pflegten grundsätzlich den Lebenswandel eines modernen Professionalismus, verbrachten sie doch den weit überwiegenden Teil ihrer in Unmengen zu Verfügung stehenden Zeit bei der Ausübung ihres Sportes und führten ihre Fähigkeiten auf diese Weise in bisher ungeahnte und unerreichte Höhen.229 Parallel zu dieser exorbitanten Leistungssteigerung entwickelte sich im Tal bzw. auf der Ebene der Genussbergsteiger und der ambitionierten Hobbyathleten ein Interesse an der Darstellung dieser alpinistischen Großtaten in Wort, Schrift und Bild. Besonders die bildliche Inszenierung der Geschehnisse am Berg gewinnt in der medialen Verwertung gehörig an Boden, nicht unbedingt der ästhetischen Komponente wegen, sondern diente vornehmlich der Dramatisierung des Vortrages und der Veranschaulichung der Schwierigkeit bzw. des Wagnisses in der Wand. Heckmair versetzt bereits lange vor seinem Meisterstück in der Eiger Nordwand bis zu zweitausend begeisterte Zuhörer mit seinen Ausführungen über „Schwere Eis- und Felsfahrten“ oder mit einem Vortrag über seine Afrikareise in Staunen.230 Mit dem Publikumsandrang im Rücken gelingt es ihm in Kürze sein Honorar von zehn auf vierzig Mark zu steigern. Dieser Gewinn wird wiederrum baldmöglichst in Proviant investiert um zu neuen Höhen aufzubrechen.231

Auch Ertl fährt mit vierzig Mark Vortragshonorar in der Tasche beruhigter in den „Skiurlaub“ rund um Zell am See und auf die Vermarktung seiner Bergerlebnisse wird sogar der moderne Bildjournalismus aufmerksam: „Durch einen Zufall war ich in die Schriftleitung der „Münchner Illustrierten“ gelangt und hatte sehr rasch gemerkt, als man mich nach Photos fragte, daß man auf solche Weise recht gut den mageren Tourengeldbeutel auffüllen konnte. Und eines Tages war ich, ohne es zu wollen, „Schriftsteller“ geworden und 600 000 Lesern lief es eiskalt den Buckel hinunter, als sie in Wort und Bild an solch einer neuzeitlichen Eisfahrt teilnehmen konnten.“232 Naturgemäß findet vornehmlich Gehör, wer möglichst weit

229 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 111. 230 AUFFERMANN / HECKMAIR, bergwärts, 2008, p. 64. 231 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 76. 232 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 223, 230. Photographische oder sonstige Abbildungen gleich welcher Form von Gipfeln, Graten und Wänden waren seit Anbeginn des Alpinismus eine begehrte Ware, da sie eine wertvolle Orientierungshilfe darstellten, sich zum Studium eines vorstellbaren Anstieges auch fernab des eigentlichen Berges eigneten und Aufschlüsse über die alpinistischen Anforderungen boten. Auch in Zeiten des Bergvagabundentums standen diese Orientierungshilfen hoch im Kurs und man war vor schwierigen Unternehmungen durchaus bemüht im Rahmen der damaligen Möglichkeiten Photographien der Schlüsselstellen und der Routenführung zu erlangen. Dieses freundschaftliche Übereinkommen sich gegenseitig mit Informationen zu versorgen, bestand meist jedoch nur, solange man sich entweder leistungsmäßig nicht auf Augenhöhe befand, unterschiedliche Ziele verfolgte oder man nicht in einer unmittelbaren Auseinandersetzung um ein explizites, alpinistisches Problem stand. (BAUMEISTER, Jugend in Fels und Eis, 1934, p. 129 und FABER Monika, Die Weites des Eises. Zur fotografischen Wahrnehmung von Alpen und Arktis seit 1863. In: Monika FABER (Hg.), Die Weite des Eises. Arktis und Alpen 1860 bis heute. Ostfildern-Wien 2008, p. 10.)

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vorne steht und dessen Stimme nicht in der Masse untergeht, dementsprechend standen meist jene am Rednerpult, welche auch an der Spitze der alpinistischen Bewegung dieser Tage standen. So kann die Verpflichtung als Vortragsredner mit der damit einhergehenden finanziellen Aufbesserung ein konkurrenzförderndes Motiv dargestellt haben, dennoch lässt sich in dieser Annahme bestenfalls eine einzelne Facette des Gesamtbildes ausmalen. Wirkungsmächtiger dürfte die Kombination aus materieller Absicherung, sozialer Anerkennung und der Verwirklichung eines alpinistischen Traumes auf den sinnsuchenden „Bergvagabunden“ gelastet haben. Das leuchtende Vorbild am Hoffnungshimmel der unter dem Sternenzelt träumenden „Bergvagabunden“ lässt sich im Werdegang der Brüder Toni und Franz Schmid ausfindig machen. Gemeinsam oder mit wechselnden Seilpartnern hatten sie einige der schwersten Fahrten der Alpen in Fels und Eis durchstiegen und sind in die soziale Struktur der kletternden Elite Münchens bestens eingebunden. An den berühmten Namen des Wilden Kaisers hinterlassen sie ihre Spuren, ebenso wie an den Klassikern der Dolomiten. Mit Hans Ertl erklettert Franz Schmid erstmalig die Ortler Nordwand, um welche sich die Streitigkeiten zwischen Ertl und Welzenbach entspinnen sollen, und Toni Schmid darf sich die Erstbegehung der Laliderer Nordwand im Karwendel um den Hals hängen, welche als eindrucksvolle Leistungsprobe des kaum zwanzigjährigen Studenten gewertet werden muss.233 Prägende Köpfe der Szene waren sie mit Bestimmtheit und dennoch ragten sie bis zum Sommer 1931 nicht bedeutend aus der Masse ihrer potentiellen Seilpartner hervor: „Aber das Ziel war ja nun so nahe und der Mordsspaß, hoch zu Rad – den ersten Rädern, die Zermatt sehen sollte – dort einzuziehen, machte uns Beine und Muskeln, und so fuhren wir schließlich, noch immer voll Staub und Straßendreck und wahrhaftig wie die Hausierer bepackt und behängt, verspottet und verlacht durch das noble Zermatt – das uns ein paar Tage später ganz anders empfangen sollte.“234 Nachdem die zwei Brüder, welche gemeinsam mit Hans Ertl und Friedl Brand angereist waren, noch von einem Bauer von seiner Wiese vertrieben wurden, campierten sie im Abseits, und von der „noblen“ Einwohnerschaft gemieden, am Tisch der Sprungschanze von Zermatt. Wenige Tage später allerdings sollte die Matterhorn Nordwand durchstiegen sein und die jungen „Gipfelstürmer“ in eine völlig neue Welt einkehren, die mit eben noch so verdammten Genüssen aufwartet: „Tolle Tage kamen. Wir wurden fast erdrückt von Freude, Anteil und Neugier, fast aufgefressen von Journalisten, verschlungen von den Photographen. Friedl und ich gehörten, ohne lang zu fragen, zu den Helden. Ich machte mich nützlich, indem ich die halben Nächte am Telephon stand, Berichte diktierte und Auskünfte gab, Bilder besorgte und Honorare kassierte. Ein unwahrscheinliches

233 BAUMEISTER, Jugend in Fels und Eis, 1934, p. 129 und SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 237. 234 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 256.

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Leben begann. Vergessen waren Zelte und Schlafsäcke und Biwakhöhlen, vergessen der rußige Hafen, aus dem wir miteinander löffelten. Die Tage waren ausgefüllt mit Frühstücken, Lunchen, Essen. Drei Ober und drei Saaltöchtern waren ständig beschäftigt, neue Platten an unseren Tisch zu schleppen. Eine Einladung, ein Bankett jagt das andere. Die Bergführer feiern uns, die Engländer geben uns einen Abend, die Italiener lassen sich nicht lumpen. Alkohol wird uns, die wir ihn bisher mieden, in unheimlichen Mengen eingeflößt. Wir leben wie dir Fürsten, schlafen unter Daunen und haben Badeappartements [...].235

Für das leibliche Wohl war also gesorgt, doch auch ihr gesellschaftlicher Status änderte sich schlagartig und wirkte auch über die kurze Zeitspanne der Sommertage in Zermatt hinaus, denn augenscheinlich bildete sich eine gewisse Fankultur im alpinistischen Milieu um die „Helden“ vom Matterhorn aus: „Vier junge Dresdner Bergsteiger schauen neugierig und erwartungsvoll aus dem Waggonfenster. Jetzt ein Freudengeheul! „Herr Schmid! Herr Schmid!“ [...] Er ist es wirklich – Toni Schmid, der Held vom Matterhorn, den sein junger Ruhm forttrug von den Heimatbergen, zu Vortragsreisen in Sachsens Gaue.“236 Die Lösung dieses alpinen Problems rückt Schmid plötzlich ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit und in die Rolle des vielleicht noch etwas unbeholfenen „Stars“. Doch Ruhm und Anerkennung sind vergängliche Güter und lassen sich schwer sichtbar an die Brust oder die heimische Wand heften. Dieser Flüchtigkeit ideeller Wertmittel wirken allerdings offizielle Ehrungen von öffentlicher Seite entgegen und kaum nach München zurückgekehrt, werden die Brüder im Beisein der Regierung, des Stadtrates und diverser weiterer Würdenträger aus dem politischen und sportlichen Metier Bayerns mit der „Adlerplakete“ ausgezeichnet, welche erstmalig nach München wandert und somit nicht nur die „Söhne“ sondern auch die Stadt selbst ehren soll.237 Der Reigen der offiziellen Ehrungen nimmt aber nicht an den Stadttoren Münchens sein Ende, sondern reißt Menschen auch jenseits des Atlantiks schwungvoll mit. Denn das olympische Komitee verleiht den beiden Alpinisten in Anbetracht ihrer Leistung am Matterhorn die Goldmedaille, welche somit erstmals in der Disziplin des Alpinismus vergeben wurde.238

Den ehrgeizigeren Hobbyathleten waren die zwei Brüder wohl nacheifernswerte Vorbilder, den „Bergvagabunden“ auf Augenhöhe jedoch eher eine Mischung aus symbolischer Verkörperung der gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten über sportliche Leistungen und schlicht Mitbewerber um ähnlich begehrte Bergprojekte. Die unmittelbaren Opfer dieser Doppelbewertung waren die oben schon mehrmals erwähnten „Paradebergvagabunden“ Hans

235 Ebd., p. 273. 236 BAUMEISTER, Jugend in Fels und Eis, 1934, p. 72. 237 Ebd., p. 33. 238 Ebd., p. 31.

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Brehm und Leo Rittler, die den letzten Akt ihres tragischen „Schicksals“ am nächsten (angeblich letzten) „alpinen Problem“ der Grandes Jorasses schrieben: „Nach ein paar Tagen wachen wir wie aus einem schweren Traum auf: Unsere Zelte droben auf Staffelalp! Wo sind Brehm und Rittler? Die Zelte sind noch da. Die beiden Kameraden aber längst über alle Berge. Die Nachricht vom Fall der Nordwand hatte sie so betroffen, daß sie nicht mehr Herren ihrer Gefühle waren; man erzählt uns, sie seien, vor Enttäuschung weinend, nach Zermatt gekommen. Eine Stunde später waren sie verschwunden. Wir errieten ihr Ziel: Die Nordwand der Grandes Jorasses drüben im Bannkreis des Montblanc – das „allerletzte“, das allerschwerste Problem. Damit wollten sie wettmachen, was ihnen hier entgangen war ...“239 Auch Heckmair spricht von eindeutigen Zeichen eines überhasteten Aufbruchs in der Leschaux-Hütte, aus welcher die beiden verzweifelten Seelen offensichtlich in direktem Anstieg aus Zermatt ungeachtet des zu diesem Zeitpunkt tobenden Sturmes aufgebrochen sind. Wenig später findet er die noch mit dem Seil verbundenen Leichen der abgestürzten Bergsteiger, die kein Glück im Tal kannten und jenes der Berge nur in seiner Flüchtigkeit vorfanden.240 Den ausgebrochenen Eishaken hielt die aus dem Schnee ragende Hand noch fest umschlossen als würde sie sich mit letzter Kraft am Leben festklammern.241 Die beiden aus der Wand fallenden „Verzweiflungstäter“ mögen vielleicht kameradschaftlich ihr Leid und ihre Not seilschaftsintern geteilt haben, für die Gesamtheit des anwesenden „Bergvagabundenkreises“ lässt sich diese Behauptung kaum geltenden machen, viel eher verbrachte man Tage in Milch und Honig im grellen Licht des Erfolges, während die vermeintlichen „Kameraden“ im Schatten wandelten und ihr Leben für einen Traum ließen, der für manche in diesem Augenblick wahr wurde und seinen Gehalt genau aus dieser Exklusivität zieht.

„Lasset, ihr heiligen Altäre, mich euch anbeten mit dem letzten Blick!“ – Erinnerungskultur und Bergtodverklärung Ob dieser Absturz dem frommen Wunsch Maduschkas gerecht wurde und die Andacht eines letzten Gebetes gestattete oder die beiden „Bergvagabunden“ nicht doch eher Lämmer als betende Gläubige waren, entzieht sich meiner Kenntnis. Auch sonst sind die genaueren Umstände ihrer letzten Augenblick unbekannt, die letzte Ruhe fanden Brehm und Rittler allerdings mit Gewissheit in Chamonix.242 Heckmairs Beschreibungen zufolge sollen viele hochstehende Persönlichkeiten anwesend gewesen sein. Heckmair und die Trauernden aus

239 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 273. 240 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 55. 241 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 274. 242 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 116.

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dem eigentlichen sozialen Umfeld der abgestürzten „Kameraden“ mussten sich am Ende des Zuges einreihen.243 Mit den Ritualen und Praktiken eines Begräbnisses dürften sie aber allesamt schon bestens vertraut gewesen sein, denn in diesem Jahr hat der „Tod“ in ihren Reihen fast von Sinnen gewütet. Die Leiche des „Hoch- Emporlers“ Karl Merk wird im Wettersteingebirge aufgefunden, der „Akademiker“ Karl Brendel stürzt aus der Westwand des Predigtstuhls, sein Klubkollege Hermann Schaller stirbt am Kangchendzönga. Das große Vorbild der „Hoch Emporler“ ereilt sein „Schicksal“ an der Meije und wenige Monate später im Frühjahr 1932 haucht auch der junge „Held vom Matterhorn“ Toni Schmid sein Leben am Wiesbachhorn aus.244 Die aufgezählten Namen stellen mit Sicherheit nur die Spitze des Eisberges dar, ist diese Spitze doch gleichbedeutend mit der absoluten Leistungselite, die allesamt bereits ihre alpinistischen „Lehrjahre“ abgesessen hatten und über eine Beherrschung der Materie wie nur die wenigsten verfügten. Der Weg zu dieser Meisterschaft scheint aber förmlich mit Toten gepflastert gewesen zu sein. Noch bevor Heckmair ein eigenes Seil besaß, ein Umstand, welchen er auch schlicht mit dessen Nichtbeachtung quittierte, verlor er bereits seinen ersten Kletterpartner wenige Tage nachdem sie gemeinsam die Lamsenspitz- Ostwand durchstiegen waren, an der Watzmann- Ostwand: „Das ist Bergsteigerschicksal; es hätte nur nicht so schnell zu kommen brauchen. Wieder eine Woche später stürzte ein anderer Klettergarten Kamerad im Karwendel ab.“245 Somit waren es schon zwei „Kameraden“ im Sommer 1927, in welchem Heckmair begann sich an die berühmtesten Touren seiner Zeit heranzutasten. Während er kurze Zeit später die Ostwand der Fleischbank durchstieg, stürzte hinter ihm ein Alleingänger in den Tod. Auch sein Seilgefährte von der Fleischbank überlebte dieses Jahr nicht und opferte sein Leben seiner Leidenschaft an den Vajolet- Türmen in den Dolomiten.246 Man kann wohl durchaus behaupten Heckmair kann auf einen beachtlichen Verschleiß an „Bergkameraden“ zurückblicken, selbst aber überlebte er alle seine „Himmelfahrtskommandos“, forderte jedoch sein Schicksal und den Aberglauben vieler

243 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 55. 244 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 123-124. Eben erwähnter Karl Merk ist neben seinem Ableben für uns auch in seiner Lebensführung eines näheren Blickes wert, denn wie Rittler und Brehm verkörpert er das Bergvagabundentum kompromisslos bis zur letzten Konsequenz in jeder Hinsicht und bestätigt oben gezeichnetes Bild über die Sozialisierung der Szene: „Noch ein armer Teufel gehörte in diesen Kreis, der sich draußen am Klettergarten zusammenfand, Karl Merk, der „Zackengenosse“ Franz Fischers, dem ich so Besonderes verdanke. Fliesenleger war der Karl, brav, fleißig aber arbeitslos. Monatelang lief er, um Arbeit zu finden, es gab keine Bauaufträge, keine Stellung. Das Stempelngehen war ihm schrecklich. So floh er in die Berge, schlief irgendwo im Wald, im Fels, aß trockenes Brot und träumte von Himmel und Höhen. Und eines Tages kam er nicht mehr zurück zum Stempeln in die Stadt. Irgendwo im einsamen Wetterstein ist er verschwunden. Verschollen. Verloren in einer unbekannten Felskluft oder vermodert im Schutt eines weltfernen Kars. Und wie Karl Merk, so sind auch die anderen nicht mehr, die frohen, frechen Draufgänger, die lebenshungrigen Jungen, die Kameraden vom Klettergarten, die Gefährten in Fels und Eis.“ 245 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 19. 246 Ebd. p. 19-20.

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Bergsteiger geradezu heraus, denn ihm gelang die zehnte Durchsteigung der Drüsenflüh- Südwand. Bisher waren von den neun Seilschaften vier tödlich abgestürzt und wie es der Zufall wollte, genau alle „geraden“ Begehungsversuche, was den zehnten Anlauf unter sehr ungünstige Vorzeichen stellte, vor welchem auch explizit gewarnt wurde. Diese Episode zeigt aber nicht nur einen gewissen alpinistischen Mystizismus auf, sondern auch das Sterben im Akkord in den schwierigen Wänden der „Bergvagabundenzeit“.247

Der Tod am Berg hatte für die meist mittelosen „Bergvagabunden“ aber auch einen durchaus lukrativen Nebeneffekt. Denn führte man die „Hobbyathleten“ nicht wild durch die den „Bergvagabunden“ bestens bekannten und unter der Woche beständig wiederholten „Trainingsrouten“ auf die ersehnten Felsspitzen, musste man sie sonnabends oft ins Tal hinunter tragen: „Unsere Kletterrouten waren an Wochenenden überlaufen, und abgetretene Steine gefährdeten die nachfolgenden Seilschaften. Deshalb erklärten wir die Sonntage zu Ruhetagen und blieben in Hüttennähe. Dort wurden dann auch die Unfälle in den Wänden gemeldet. Ein Absturz bedeutet hier fast ausnahmslos den Tod. Natürlich halfen wir die Leichen zu bergen, die man in Totensäcken von der Steinernen Rinne hinunter zur Griesner Alm trug – etwa eine Stunde – und sie dann der Bergwacht übergab. Für unsere Hilfe erhielten wir 20 Schilling. Die reichten auf der Gaudeamus- Hütte bei der Mutter Maria für eine Woche Aufenthalt aus. In der nächsten Woche wiederholte sich das „Trauerspiel“. Bald wurden wir als „Sacklträger“ verhöhnt.“248

Man sollte diese etwas kühle und wenig empathische Zugangsweise zum Ableben unbekannter Personen und die gleichmütige Gelassenheit im Umgang mit dem Bergtod diverser Seilpartner, die nun eben dem „Bergsteigerschicksal“ anheimgefallen sind, jedoch nicht überbewerten, denn die tatsächliche Zeugenschaft menschlicher Vergänglichkeit wühlte die vorgeblich glatten Wogen ihrer seelischen Ausgeglichenheit gewaltig auf. Ein Exempel dieses schockierten Entsetzens finden wir in der Beobachtung des abstürzenden Alleingängers, welcher Heckmair auf der Fleischbank- Südostwand nachfolgte, durch die in der gegenüberliegenden Westwand des Predigtstuhls kletternde Seilschaft Ertl - Hans Heckmair. Zunächst bewundern sie dessen Gewandtheit, seinen sichtbaren Kampf mit dem Berg, sein Schrumpfen zum winzigen Punkt in einer scheinbar übermächtigen, ausladenden Wand, doch der eben noch so lebenstolle Trotz und die Meisterung der übermenschlichen Gewalten wandelt sich in einem Augenaufschlag in die Ohnmacht eines freifallenden Körpers: „Wie er bedächtig die Hand nach einem anderen Griff in die Höhe schiebt, wie jetzt

247 Ebd. p. 44. 248 AUFFERMANN / HECKMAIR, bergwärts, 2008, p. 68.

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die andere in Stützgriff geht, jetzt schiebt er den Oberkörper hinauf und jetzt ...... jetzt schlägt er ein Rad, fällt mit ins Leere greifenden Armen rückwärts aus der Wand, lautlos, schlägt einmal auf der hellen Plattenflucht auf, um dann wie ein Ball hinaus- und hinabgeschleudert zu werden, - jetzt ist Luft unter ihm, dreihundert Meter Luft, fast langsam segelt der sich überschlagende Körper hinab in den geröllbedeckten grauen Karboden ... Während des Fallens kommt auch der Ton an unser Ohr, den das einmalige Aufschlagen des Körpers löste- es kracht wie schwerer Felsschlag – dann ein zweites letztes Aufschlagen, drunten im Fels. Ein Menschenleben ist ausgelöscht. Erbärmlich zu einem elenden Haufen Knochen und Zellgewebe zerschmettert.“249 Sehr plastisch schildert Ertl dieses Erlebnis so bar allen heroischen Unterganges, ein Knochenhaufen und Zellgewebe bleibt vom „Himmelsstürmer“ und hinterlässt in den Zeugen dieses Vorfalls Fassungslosigkeit gegenüber der Beschränkung menschlicher Machtmittel und eine Art von Unglauben angesichts der Zerbrechlichkeit eines vermeintlich kostbaren Lebens: „Wir brauchen lange, bis wir schauernd begreifen. Plötzlich merken wir, wie uns Arme und Beine zittern und wie leichenblass wir sind. Helfen können wir nicht. Niemand kann helfen. Der Abstieg hinunter wäre auch zu schwierig und gefährlich. Sehr langsam und vorsichtig steigen wir durch die nicht mehr schwere Westschlucht hinauf zum Gipfel. Lange liegen wir droben in der Sonne still und nachdenklich auf dem warmen Fels und versuchen, das grause Erlebnis zu vergessen. Aber es gelingt nicht. Immer wieder sehen wir den fallenden Körper, hören das jämmerliche Aufschlagen im Gestein. Wir wagen nicht, drüben in die Tiefe hinunterzusehen, wo der gefallene Bergkamerad liegen muß.“250 Auch Anderl Heckmair bestätigt später die tiefe Betroffenheit der beiden Beobachter, als sie wieder auf der Stripsenjochhütte zusammentreffen.251

Umstände wie eine ausgeprägte Distanz zum nicht näher bekannten Unfallopfer oder auch eine gewisse Kalkulation dieser Möglichkeit mögen zu einer etwas abgestumpften Sentimentalität beitragen, dennoch lässt sich der geschilderte Schockzustand nicht leugnen und die hohe Frequenz der Konfrontation mit abgestürzten „Kameraden“ und die naheliegende Vermutung selbst nicht über dieses Verhängnis erhaben zu sein, nötigte die „Bergvagabunden“ zur Ausbildung gewisser Bewältigungs- und Verarbeitungsmuster dieser prägenden Eindrücke. Manche zogen sich vom Spitzenbergsport zurück wie beispielsweise Hans Heckmair oder auch Franz Schmid, Hans Ertl erwägt zumindest einen Rückzug aus dem

249 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 90- 91. 250 Ebd., p. 91. 251 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 20.

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Geschehen nach dem Tod seines engen Freundes Toni Schmid.252 Wenn auch nicht dauerhaft suchten auch einige weitere bekannte Namen nach derartigen Geschehnissen Abstand zum gefährlichen Treiben am Berg wie Heckmair, der aus dem Monte Blanc-Gebiet nach dem Begräbnis vom Brehm und Rittler abreist. Eine alternative oder eher ergänzende Methode findet sich in der Schaffung einer eigenen Erinnerungs- und Gedenkkultur. Der Begriff der „Erinnerung“ nimmt im Denken der „Bergvagabunden“ eine Schlüsselrolle ein, ist es doch ob der Flüchtigkeit des Augenblicks ungeachtet ihrer substanzlosen Wandelbarkeit und ihres schleichenden Verfalls das einzig „bleibende“ Gut ihrer Bergfahrten: „Ein großer Bergsteiger hat einmal gesagt: „Wir steigen in die Berge um uns Erinnerungen zu schaffen“; wenn das auch nur indirekt richtig ist, eine große Wahrheit birgt dieser Ausspruch in sich: daß nämlich der kostbarste Schatz jedes Bergsteigers seine Erinnerungen sind. Sie sind uns der Spiegel, aus dem uns die vergangene erwanderte Wirklichkeit mit allen ihren Bergen und Stimmungen, ihren Mühen und Gefahren, ihren Taten und Träumen noch einmal ansieht. Und es gibt an Abenden, wenn vorm Fenster draußen Flocken sinken, für einen Bergsteiger nichts Schöneres, als sich wieder ganz in jene Stunden zurückzufühlen, die ihm einst hohes Glück bedeuteten.“253 Dieses „Glück der Erinnerung“ ist in vielen Gedankenwelten der „Bergvagabunden“ eingesponnen in das Beziehungsnetz von Traum, im Sinne einer nichtgreifbaren Ahnung von erhofften, alpinistischen Zukunftsvisionen, und der Realisierung dieser Vision als „Wirklichkeit“, die selbst genauso ungewiss und körperlos bzw. in ihrer Momentgebundenheit ebenso wenig erhasch- und konservierbar sind. So ist jenen Strukturelemente ihres Daseins fortwährend etwas Schemenhaftes und ungreifbar Bestandsloses wesenseigen, was angesichts des hohen Einsatzes an Leib und Leben förmlich nach einer rechtfertigenden Sinneinschreibung verlangt, die grundsätzlich auf dem durch diese Hingabebereitschaft erworbenen Recht basiert sich seiner Taten und Zeiten zu erinnern oder im Fall des „Falles“ in geistiger Unsterblichkeit erinnert zu werden. Ich will diese Hypothese nicht überstrapazieren oder gar in Widerspruch zu meinen oben stehenden Ausführungen als dominantes Motiv des „Bergvagabundentums“ ausweisen, doch meine ich,

252 BAUMEISTER, Jugend in Fels und Eis, 1934, p. 89. 253 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 73. Auch der berühmte und offen nationalsozialistische Bergsteiger Walter Stösser bläst ins selbe Horn wie Maduschka und beschwört den Geist der vergangenen Taten und Tagen herauf: „Wieder einmal war ein Traum zur Wirklichkeit geworden. Noch vor wenigen Stunden erstrebt, ersehnt! Und jetzt? Vergangen! Nur die Erinnerung kündet, wie es gewesen. Weiter schweiften die Gedanken, suchten neue Ziele, neue Kämpfe. So sind wir: Ruhelos, rastlos von Kampf zu Kampf. Erkämpfte Siege, erreichte Ziele sind nur Wegweiser, nur Marksteine auf unserem Lebensweg. Und doch sind sie das herrlichste Gut, das wir bewahren. Für keinen Preis wäre uns die Erinnerung feil, die uns erzählt: So war es!“ (BAUMEISTER, Jugend in Fels und Eis, 1934, p. 180.) Beide betonen aber stets auch die Rast- und Ruhelosigkeit bzw. das „Wanderweh“ und die unsterbliche Sehnsucht, die den Bergsteiger vorantreiben auf seiner unermüdlichen „Erinnerungssammlung“, so darf man wohl annehmen, das reine Schwelgen in Erinnerungen sättigt seinen Hunger nicht wirklich oder füllt die Leere in ihm auf.

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die „Bergvagabunden“ finden in ihrer ausgeprägten Erinnerungskultur und der Pflege des Andenkens Trost und Sicherheit trotz oder eher wegen ihres irrationalen Schaffens in das Gedächtnis ihrer „Kameraden“ einzugehen und pendeln mit der Vergewisserung ein gehaltvolles Leben geführt zu haben die bedrückende Last eines Bergtodes aus.254

254 Die Sinnfrage scheint dem Bergsteigen immanent zu sein und die ausführenden Akteure sind sich durchaus ihrer hohen Risikobereitschaft und dem schwer wägbaren Ertrag als Gegengewicht bewusst – ein Befund der aus den sich immer wieder erhebenden Selbstreflexionen hervorgeht. Hinterberger beispielsweise fragt sich anlässlich eines Absturzes im Wilden Kaiser: „Ist wieder so ein Bergnarr dahin? Lohnt dieser mörderische Sport die Opfer?“, während Leopold Brankovsky sein Innerstes im Zuge eines eiskalten Biwaks ergründete und sich mit Blick auf Grindelwald sein scheinbar wenig erfüllendes Schaffen vor Augen führt: „Auf einmal flimmerte es aus der Tiefe herauf. Wir sahen Grindelwald bei Nacht. Dort lachten jetzt frohe Menschen, tanzten und konnten lustig sein. Wir hier im Eis Vergrabenen kämpfen mit allen Unbilden der Verhältnisse um eine Wand und vielleicht um unser Leben. Steht der Einsatz im Einklang mit dem Erfolg?“ (HINTERBERGER, Verwegenes Spiel, 1936, p. 111 und BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 167, 170 und SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 127.) Vergleichbare Gedanken machen sich auch in Hans Ertl breit, während die Trauer um den abgestürzten Freund Toni Schmid seinen alpinistischen Auftrieb niederdrückt: „Ich komme ins Grübeln und Sinnen. Sitz´ ich nicht mit armselig leeren Händen da zwischen Jungsein und Lebensernst? Kann man von Erinnerungen satt werden und von Bergproblemen leben? Es wird Zeit, daß ich mich auf einen Weg besinne. Es wird Zeit, daß ich mein Leben gestalte. [...] oder führt der rauhe Pfad weiter? Hatte er einen Sinn? Hat er ein Ziel?“ (SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 285) Im Kapitel der „Kameradschaftskonstituierung“ haben wir unter dem Aspekt der Notwenigkeit eines Seilpartners und Bergkameraden zur Verwirklichung eines inneren „Dranges“, „Dämons“ etc. auch auf das „Wanderweh“ und die Sehnsucht des Bergsteigers verwiesen. Nun lohnt sich eine Rückschau auf jenes „Leiden“ unter dem Blickwinkel einer nie endenden Reise und der Unabsehbarkeit eines definitiven Endpunktes oder auch nur eines am Horizont erscheinenden Zieles, da Ziellosigkeit schon sehr nahe an Sinnlosigkeit heranreichen kann. Auch im eben abgezogenen Zitat Stössers wird die „Rast“- und „Ruhelosigkeit“ im Bergsteiger aufgegriffen, die grundsätzlich eine übereinstimmende Aussage besitzt. Diese Idee des endlosen Schweifens und Streifens wird von vielen Bergsteigern, wohl unter dem Eindruck Maduschkas mit der „romantischen“ Komponente des Alpinismus begründet, deren wesentlicher Bestandteil immer das Irrationale und nur sentimental Wahrnehmbare, somit nicht sachlich Verifizierbare, ist: „Die Problematik des Bergsteigens ist aber die, daß es eben [...]eine gewissermaßen irrationale Lebensform darstellt, die urverwandt mit dem Wesen des Romantischen und an sich völlig zweck-, wenn auch nicht sinnlos ist.“ (MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 73) Irrationalität und Sinnhaftigkeit schließt sich in Maduschkas Augen also nicht aus, ergänzt sich offensichtlich sogar gegenseitig, schlussendlich bleibt der Sinn des Bergsteigens aber immer auf der ideellen und emotionalen Ebene bar jeden zählbaren Ergebnisses verortet. Dieser „Drang“ zum Berg und dieses Nähebedürfnis wird in alpinistischen Kreisen bis heute gerne als „Rätsel“ oder „Geheimnis“ etc. gedeutet und Schmidkunz attestiert auch dem ideellen Vorbild Maduschka sich dem „Felsproblem“ stark als „geistigem Problem“ genähert zu haben, wenn er diese mysteriöse und irrationale Anziehungskraft auch zeitlebens nicht erklärbar darstellen konnte. (MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 150, VII.) Dieser Deutungsversuch Schmidkunz stützt sich kräftig auf der Diktion und „Philosophie“ des Titelhelden selbst ab, der die „Rätselhaftigkeit“ der Berge auch mit einer existentialistischen Ebene verwebt: „ [...] was in unseren Herzen als wirre, fragende Sehnsucht pocht – glaubst du denn, wir vermöchten es zu enträtseln, es in Sinn und Gesetz zu erlösen? Die Rätsel der Berge und des Menschen, der sie liebt - sie sind die Rätsel des Lebens. Und wer weiß um das Geheimnis des Lebens...?“ (MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 144.) Dieser Anspruch des akademischen Denkers Maduschka nach „Sinn und Gesetz“ korrespondiert mit seiner Sachlichkeitsforderung, mit welcher er eine nüchterne Selbstreflexion frei von kaschierendem, verzerrenden Pathos, wie in die Bergsteigergeneration vor ihm pflegte, meint. Es ist ihm ernst und ein tiefsitzendendes Anliegen dieses geistige Problem rational zu beschreiben, doch zum Scheitern verdammt muss es stets wage und ungenügend bleiben. Es scheint, der einzige unleugbare Schlusspunkt dieser „rastlosen Unruhe“ in Geist und Körper ist der „Bergtod“, und so wundert es auch nicht, wenn Bergsteiger über ihre abgestürzten „Kameraden“ schreiben, er habe „das letzte Problem gelöst“. (SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 285.) Folglich wird Bergsteigen in diesem Fall mit etwas Rätselhaftem und Problematischem gleichgesetzt, dessen Klärung nur in der Aufgabe des eigenen Nachsinnens und/oder der physischen Befähigung zum Bergsteigen durch den „logischen“ Bergtod liegen kann, da man diesen Rätsels auf geistiger Ebene nicht Herr werden und körperlich nicht gegen diesen inneren Drang zur „Tat“ ankommen kann. In diesem Zusammenhang kann man wohl auch das in Maduschkas Werk wiederholt abgezogene Fragment auslegen: „Wir müssen wandern, wir müssen wandern, um unsere Sehnsucht zu töten,

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Eine institutionelle Form des alpinistischen Gedenkens finden wir zuvorderst in sog. „Bergsteigerfriedhöfen“, die für unsere Zwecke jedoch nicht von allzu großer Gewichtigkeit sind, am ehesten jedoch noch als simple Quelle. So weist der Johnsbacher „Bergsteigerfriedhof“ in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts eine ungemeine Dichte an zur Ruhe gebetteten Alpinisten innerhalb seiner Umrandung auf, die zumeist sehr nah beieinanderliegende Geburts- und Sterbedaten aufweisen- ein Umstand, der die fatalistische Risikobereitschaft der damaligen Alpinisten und die Gewöhnlichkeit eines Bergtodes indiziert.255 Bedeutungsvoller für unsere „Wahrheitssuche“ zeigt sich die Wahrung des Andenkens der „gefallenen“ oder erfrorenen „Kameraden“ durch die „Bergvagabunden“ selbst, bisweilen wird ihnen auch ein Denkmal in Schwarz-Weiß gesetzt: „Und wie Karl Merk, so sind auch die anderen nicht mehr, die frohen, frechen Draufgänger, die lebenshungrigen Jungen, die Kameraden vom Klettergarten, die Gefährten in Fels und Eis. Emil Solleder stürzte an der Königin Meije zu Tode [...]. Karl Brendel fiel am Predigtstuhl, Schaller im Eis des gewaltigen Kangchendzönga im Himalaya. Toni Schmid erschlug das Eis der Wiesbachhornwand und Leo Rittler und Hans Brehm, bis zum Weinen enttäuscht, als ohne ihr Zutun die Matterhornnordwand den beiden Zeltkameraden zufiel, sie stürzten sich auf das „letzte“ Problem, die gigantische Jorasseswand, und in den jähen Tod. Jetzt schlafen sie alle den großen Bergsteigertraum, der vor den Toren des Wilden Kaisers, der am Rande des Zmutgletschers im Herzen Asiens, der zu Füßen der Meije und Leo Rittler und Hans Brehm im Schatten des Montblanc.“256 Die Erinnerung der „Kameraden“ ist einer starken Wertung unterzogen und mit jenen Attributen angereichert, welche sich die „Bergvagabunden“ selbst andichten bzw. welche ihren inneren Zusammenhalt gewährleisten und die Szene prägen. Allesamt sind sie „froh“, „frech“, „lebenshungrig“ und „draufgängerisch“, um es auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen: sie führen ein Leben in höchster Potenz. Auch werden ihre Namen auf ewig mit ihren Taten, hier im Konkreten, mit ihren letzten Taten assoziiert werden. So finden die „Bergvagabunden“ in ihrem Schaffen die Gelegenheit vor, mit alpinistischen „Werken“ über ihre eigene Zeitspanne hinaus zu wirken und ob der geteilten Erlebnisse im Erinnerungsnetz der „Kameradschaft“ im Falle eines sonst würde sie uns töten.“ (MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 161.) So muss er wohl als ewiger Odysseus, dem die Heimkehr dauerhaft verwehrt wird, irgendwann im weiten Meer der Berge ertrinken, denn auch ein Verweilen in der Fremde, die nur für einen Augenblick Heimat war, würde ihn das Leben kosten. 255 DIETRICH, Alpine Unglücksfalle, 1999, p. 66-67. 256 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 95-96. Vergleichbar gelagerte Motive der Kameradschaft und Leidenschaft erscheinen auch auf dem geistigen „Bilderblock“ Maduschkas, auf welchem Blatt für Blatt die Erlebnisse vergangener Tage verzeichnet sind: „die Erinnerung an den guten Kameraden auf allen Wegen, in allen Wänden. Aus vielen und tief verschiedenen Gesichtern blicken sie mich an, mancher von ihnen ist in den Bergen geblieben- doch in den Augen aller leuchtet einst die gleiche helle und starke Leidenschaft, als ihre Hände fest und getreu das Seil hielten, das mich mit ihnen verband.“ (MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 49)

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Sturzes aufgefangen zu werden. Es wird auch nicht jedermanns gedacht, sondern nur jener, die Teil dieses elitären Netzwerks waren und sich durch ihre hochgesteckten Leistungen qualifizierten, was durch die geringe Varianz der angeführten Namen belegt wird, obgleich in ihrem näheren Umkreis kaum ein sommerliches Wochenende ohne Todesfall verging: „In uns tauchen Erinnerungen empor. Gedanken an Kameraden, die der Bergtod während der letzten Jahren aus unseren Reihen gerissen. Namen klingen auf: Brendel, Rittler, Brehm. Mit jedem waren wir verbunden durch eine Tur, durch ein Erlebnis! – Ein wenig still sind wir geworden.“257

Ein wichtiger Ort kollektiver Erinnerungen sind die Zusammenkünfte auf der Hütte oder am nächtlichen Lagerfeuer, in dessen Flackern man die Fetzen der Erinnerung an die gemeinsamen Zeiten Stück für Stück zusammenfügt bis die gewesenen „Bergvagabunden“ scheinbar wieder mitten unter ihnen weilen. Der Betonung dieser lebensfrohen Leidenschaftlichkeit jener jäh dem Leben entrissenen Bergsteiger dient gerne das posthum ausgesprochene Zugeständnis die auffälligste Rolle in der kameradschaftlichen Ausgelassenheit gespielt zu haben und die lautesten Töne angeschlagen zu haben: „Im Kreise hocken wir vor den Zelten, freuen uns unseres Hierseins und der kommenden Tage. Laut steigt ein Lied in die Nacht, voll von Lebensfreude und Tatendrang. Tonis [Toni Schmid] Stimme übertönt alle anderen, doch auch die unseren sind mehr lautstark als klangrein, und spät erst kriechen wir in den Schlafsack.“258

Die Vorstellung den Gehalt menschlicher Existenz bis zur Neige auszuschöpfen unter der Bereitschaft sich an seiner eigenen „Lebensgier“ zu verschlucken und sich so einen fußfreien Platz im kollektiven Gedächtnis der „Bergvagabundenschaft“ zu sichern, ist jedoch nur eine der Maschen im Bewältigungsmuster dieses durchaus realistischen Szenarios. Denn in ihrem kulturellen Schaffen, sei es nun in Liedform oder einer gedichteten Weise, wird neben den oben als gemeinschaftskonstituierende Werte angesprochenen Inhalten des Eskapismus, des Freiheitsdranges, des „Triumphes am Berg“ und des Enthusiasmus am Wandfuß etc. in der letzten Strophe nahezu systematisch die „Gnade“ eines Bergtodes als augenscheinlich unausweichliche Konsequenz ihres Lebenswandel poetisch vorweggenommen. Bisweilen geschieht diese poetische Vorwegnahme in der Erinnerung der Hinterbliebenen auch

257 BAUMEISTER, Jugend in Fels und Eis, 1934, p. 282. 258 Ebd., p. 52. Selbiges Urteil fällen die hinterbliebenen „Kameraden“ über Maduschka: „wilde Gestalten sitzen im flackernden Schein des zweimeterhohen Lagerfeuers, laute Gesänge; brausen durch den Wald, die sich nicht um Sterne und Mondschein und silbrige Berge kümmern; am lautesten aber singt Much. Und das Lied verhallt: „Wir wollen die verlorene Rotte sein und trinken bis zum letzten Male---„“. (MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. XXV)

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unmittelbar vor dem Eintreten des faktischen Ereignisses, so dichtet Rudolf Fraißl den beiden in den Westalpen verschollenen Bergsteigern Fritz Hermann und Hugo Fickert an, am Vorabend vor ihrem letzten Gang sich singend eine ewige Ruhestätte in den Bergen erbeten zu haben und der an der Civetta erfrierende Maduschka soll laut seinem überlebenden Tourenpartner sogar mit bereits sterbender Stimme im Angesicht des Todes den Bergen ein letztes Mal seinen Dank dargebracht haben: „Mehrmals im Verlaufe der mühsam gehaltenen Verständigung sprach er davon, daß es zu Ende sei für ihn, nicht klagend, sondern mit Einverständnis. Es war nicht ein kampfloses, trostloses Verzagen, sondern es ergab sich für Much aus der bitteren Lage und all den unheilvollen Umständen sicher und bestimmt aus innerster Überzeugung nur eines: die Gewißheit des Todes. [...] Mit Aufbietung aller Kraft sangen wir die erste Strophe unseres Bergsteigerliedes zu Ende: es war, als sei es sein letzter Dank an die Berge. Herzlich und sehr gefasst war sein Abschiednehmen, als er zu mir sagte: „Wenn du durchkommst, dann grüß alle von mir.“ Er sagte dies mit einer unerschütterlichen Ruhe und Bestimmtheit. Es gibt hier, wenn es heißt abzutreten, wie für den Krieger auch für den Bergsteiger keine größere Haltung, als diese. Darum, daß sein Weg erfüllt sei, klagte er nicht. Seine letzte Sorge galt denen, die um ihn trauern werden.“259 Die angesprochene erste Strophe ihres „Bergsteigerliedes“ meint jene oben unter dem Titel „Berglerjubel“ abgezogene Textstelle über die „Fürsten dieser Welt“. Es mangelte ihnen wohl nur am Lebensfunken, nicht an Textsicherheit um dieses Lied bis zum letzten Ton abzusingen, denn wie sollte dieser Archetyp des alpinistischen Liedgutes anders als mit dem Preis des Bergtodes schließen: „Und hätt´ ich einmal wenn das Schicksal es will, / einen tiefen Sturz getan, / so trete ich, wie immer, gelassen und still/ meine letzte Bergfahrt an. / Ob´s droben mir auch wohlgefällt, / das alles schafft mir keine Pein. / Wir waren die Fürsten dieser Welt / und wollen es droben auch sein.“260 Die zeitliche und inhaltliche Nähe des künstlerischen Werkes mit der sich in Bälde erfüllenden Wirklichkeit soll in beiden besprochenen Fällen das klare Bewusstsein und die damit einhergehend die freiwillige Hingabebereitschaft an diese Fügung beglaubigen. Eine besonders ausgeprägte Variante dieser fügsamen Geisteshaltung attestieren ehemalige Weggefährten ihrem geistigen Vorbild Leo Maduschka, dessen Sterben wir eben vor Augen geführt bekamen und dem schon zeitlebens eine gewisse Todessehnsucht eigen gewesen zu sein scheint: „Für Much [Maduschka] hatte der Tod nichts Schreckhaftes, nichts, das er aus dem Bewußtsein hätte schalten müssen- so sehr er auch das Leben bejahte; denn der Tod war ihm nicht eine fremde, feindliche Macht, die das Leben angreift und es abbricht, sondern ein

259 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. XXXIV und BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 144. 260 SCHWANDA, Das deutsche Berg- und Skilied, 1935, p. 15.

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ihm bereits Einwohnendes, ein ihm notwendig Zugehöriges, die andere Seite des Lebens. Eines seiner tiefsten Worte ist dies: „Tod ist, was gegen die Zeit aus der ewigen Tiefe des Geistes redet und ruft.“ Für mich ist es Gewißheit, daß diese tiefe und tief eingegrabene Auffassung Muchs von Leben und Tod irgendwie verbunden ist mit seinem frühen Einverständnis damit: daß es zu Ende sei.“261 Diese vertiefte Auseinandersetzung Maduschkas mit dem „Finale“ einer Bergsteigerkarriere bestätigt auch sein kreatives Werken, denn die Thematik des Bergtodes findet sich immer wieder in seinen Schriften an prominenter Stelle und inspiriert ihn sogar zu einem Gedicht unter diesem expliziten Titel, außerdem wird ihm die Abfassung jenes bekannten Liedes zugeschrieben, welches er in seinem letzten Atemzug auf den Lippen getragen haben soll.262

Inhaltlich funktioniert die Verherrlichung des Bergtodes analog zum eben abgezogenen „Bergsteigerlied“ bzw. „Berglerjubel“ meist auf der Ebene einer reue- und furchtlosen Duldung bis zu einer Form von erlösender, endgültiger „Heim- oder zumindest Einkehr“ als aufrechter Bergsteiger ins „Reich der Berge“. So sollen Fickert und Hermann am Vorabend ihres Ganges ohne Wiederkehr jene Phrasen andachtsvoll intoniert haben: „Wenn sich einst die müden Augen schließen, / Berge gönnt ein letztes Plätzchen mir, / laßt mich ewig, ewig dann genießen, / was im Leben ihr versagtet mir. / Alpenblumen blühen für mich dann wieder, / Alpensturm, du heulst in Saus und Braus, / Alpenbächlein, murmelst Alpenlieder, / Bergeskind ist wieder dann zu Haus!“263

Mit der Beschwörung dieser standhaften Furchtlosigkeit im Angesicht des Todes und der damit einhergehenden Ungewissheiten, wohl die menschliche Urangst schlechthin, korreliert auch sehr eng ein Stärke- bis Überlegenheitsgefühl des potentiell Betroffenen, welches sich nicht unbedingt in dieser romantischen bis fast schon klinisch von allen Brutalitäten des leiblichen Endes gereinigten „Poesie“ äußern muss, sondern auch in einem sehr blutigen und martialischen Kriegsgeschrei erschallen kann. In diesem Zusammenhang wird gerne eine direkte Personifikation des Berges als Gegner und dies oftmals in einer metaphysischen bis dämonischen und der menschlichen Sphäre enthobenen, ergo übermächtigen, Gestalt bemüht. Keinesfalls ein Novum in den traditionellen Geisteswelten des Alpinismus, findet so eine Gleichsetzung doch schon bei Lammer statt und wurzelt in der volkstümlichen Vorstellung von Bergen als Hort des Übermenschlichen, nun tritt es aber in besonders drastischer Form entgegen: „In welcher Stunde wirst du mich fällen? [...] viel Blut hat sie [die Felswand] schon

261 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. XXXI. 262 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 112 und MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. XXXV. 263 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 145.

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getrunken und in ihre Steinritzen eingesaugt, Blut, das kühn, männlich, furchtlos und tapfer war. Der wilde König im Berg liebt das Blut, immer war er durstig danach, immer hat er zerschmettert, zerrissen, zerfetzt.“264 An Aggression ist diese Ausdrucks- und Sichtweise auf die Besteigung der berüchtigten Watzmann- Ostwand schwerlich zu überbieten, doch derartiges sollte stark chauvinistisch unterfüttert in den kommenden Jahren formgebend für die alpinistische Literatur werden. Aus dem furchtlosen Sterben für die individuelle Leidenschaft, der romantischen Verkitschung der Bergwelt und der heroischen Selbststilisierung im Anblick des eigenen Endes sollte bald die Deutung einer Todesbereitschaft für ein selbstloses Ziel zum Wohle einer exklusiven Allgemeinheit erwachsen.

Die ernsthafte Absicht sein Leben zu lassen hatte jedoch vermutlich niemand, denn wie es Lammer formulierte, wollten sie alle nur vom „Becher des Todes nippen“, Selbstmörder waren sie mit Sicherheit keine, doch den in der „Gegenwart“ des Todes am stärksten klopfenden Überlebenstrieb wollten sie als Vergewisserung ihrer eigenen Lebenswertigkeit in sich pulsieren spüren: „Der Rucksack, der Hammer, der Pickel fällt zu Boden. Ich kann es noch nicht glauben! Ein unsagbares Glück ist über mich gekommen. Ein Glück, das nicht der Reichtum, nicht die Liebe, noch sonst ein Schatz auf Erden geben kann: Das Bewußtsein, das Leben als ein Wesen zu begreifen. Himmel und Wolken, Felsen und Firne und das trunkene Grün der Täler, alles bricht über mich herein: Ich lebe!“265

Am Schluss dieser alpinistischen Milieustudie wollen wir uns ein letztes Mal Maduschkas geistige „Heimat“ im Sinne einer stereotypisierten Vorstellungswelt der „Bergvagabundenszene“ vergegenwärtigen. Weder zeitlich noch politisch ergeben sich in diesem Fall Schnittflächen mit dem Nationalsozialismus, denn zu kurz währt Maduschkas „Wanderweh“ um die nationalsozialistische Machtübernahme zu erleben und ernsthaftes Interesse an politischen Prozessen lässt dieser „unvergleichliche“ Bergsteiger, wie ihn Zeitgenossen bezeichnen, in seinen Schriften eindeutig vermissen, er darf nach meiner Überzeugung viel eher als die Inkarnation alpinistischer Ignoranz schlechthin betrachtet werden.266 Michael Ott erkennt in der Betonung der Notwendigkeit einer auf „Sachlichkeit“ beruhenden alpinistischen Literatur durch Maduschka sogar eine bewusste Distanzierung vom

264 Zit. nach: DIETRICH, Alpine Unglücksfalle, 1999, p. 70. 265 BAUMEISTER, Jugend in Fels und Eis, 1934, p. 152-153. Auch Walter Stösser kennt das Gefühl des unbändigen Willen zum Leben, der sich ihm erst offenbart, wenn er sich an den Abgrund gedrängt sieht: „Doch etwas anderes regt sich in uns: Der unbedingte Wille zu leben, der unbeugsame Wille, wieder hinauszukommen aus dieser Wand, die kein Erbarmen mit uns kennt, die uns elend zugrunde gehen ließe, wenn wir uns selbst aufgäben.“ (BAUMEISTER, Jugend in Fels und Eis, 1934, p. 197.) 266 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 120.

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pathosgeblähten „Idealismus“ der Front- Kämpfergeneration rund um Bauer, Pichl und Konsorten.267 Betont wird in den Aufzeichnungen seiner Gedankengänge hingegen regelmäßig die „Freude am Kampf“, das „Kampferlebnis“ etc. und immer wieder stößt sich der Fuß auch an sonstigen spitzen Steinen einer martialischen Rhetorik, die allerdings eher hindernisgleich im Weg liegen anstatt dessen Unterbau zu bilden. Ähnlich verhält es sich auch bei Ertl wie Heckmair und Martin Krauss attestiert Maduschka sogar „politisch nur herum zu fabulieren“ ohne sich in Überzeugungen zu ereifern.268 Das Vorwort, die einleitenden Worte und ein etwaig vorangestellter Nachruf triefen jedoch nahezu ausschließlich von nationalistischen und politischen Botschaften zur Mahnung an die Lebenden und verfasst sind diese zumeist von jener Frontkämpfergeneration, der Maduschka einen Mangel an Sachlichkeit und kühler Nüchternheit vorwirft. Auch die Textstelle des bluttrinkenden „Königs im Berg“ ist nicht der Phantasie eines „Bergvagabunden“ entnommen, sondern sind die Worte des hitlerergebenen Autors Anton Schnack, dessen Namen auch gemeinsam mit dem seines ebenfalls schreibenden Bruders Friedrich unter dem „Treuegelöbnis 88 deutscher Schriftsteller“ verzeichnet ist.269 Dennoch existiert eine eindeutig bemerkbare Schnittstelle zwischen der Gesinnungslinie der nationalsozialistischen Ideologie und jener des „Bergvagabunden-Alpinismus“ der frühen Dreißigerjahre. Denn ihr eigenes Spiegelbild betrachtend erkennen beide Seiten in ihrem Anblick einen Strahlenkranz der selbstherrlichen Erhabenheit gegenüber den „degenerierten Völkerschaften“ in den „Niederungen“ bzw. jenseits der Zugehörigkeit zur „deutschen Rasse“. So fabuliert Maduschka in seinem Wahlspruch in verblendeter Überheblichkeit: „verachten die Memmen, / die Niederen, Schwachen. / Höhnend verlachen / die Zagen, die Toren“ und zielt hier eindeutig auf Nicht-Alpinisten ab, welche sich auch lebendig fühlen, wenn sie sich nicht gerade krampfhaft an eine Wand und ihr Leben klammern. 270 Schmerzt diese affektierte und von Außenstehenden wohl auch kaum wahrgenommene Bergsteigerarroganz selten jemanden, dessen Selbstbewusstsein auf möglicherweise flachem aber umso stabilerem Untergrund fußt, gerät sie, sowie man sie mit Anerkennung, Zustimmung und Bestärkung von offizieller Hand nährt, zu einer willfährigen und dienstbeflissenen Stütze eines im Tal angesiedelten politischen Systems, welches bisher wenig bis gar keinen Einfluss auf die Geisteswelt wie

267 OTT Michael, Schwere Felsfahrten. Leo Maduschka und der alpinistische Diskurs um 1930. In: Robert GUGUTZER (Hg.), body turn. Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports. Bielefeld 2006, p. 257- 258. 268 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 112. 269 KLEE Ernst, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt am Main 2007, p. 534. 270 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. 2.

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Lebenswirklichkeit der „Bergvagabunden“ genommen hat und nur als Antithese ihrer Ideale inszeniert wurde. Nationalsozialistische Vereinnahmung des Alpinismus

Bergprojekte im Fokus nationalsozialistischer Aufmerksamkeit

„Kampf“ um den Nanga Parbat „In den letzten Tagen und Wochen wurde viel von deutschen Bergsteigern gesprochen, die einen Angriff zur Bezwingung zweier Bergriesen unternommen hatten. Die Augen der Bergsteiger der ganzen Welt waren nach zwei Brennpunkten des Geschehens gerichtet: Nanga Parbat und Eiger-Nordwand. Der eine von ihnen konnte dem Ansturm deutscher Willenskraft nicht länger widerstehen.“271 Dieses Zitat ist einem Artikel des „Völkischen Beobachter“ im Jahr 1938 entnommen und meint in seinem Schlusssatz selbstverständlich die Eiger-Nordwand. Den Nanga Parbat konnten die Alpinisten zu Zeiten des Nationalsozialismus zwar nicht „erobern“, dennoch nahm er eine außergewöhnlich wirkungsmächtige Rolle in der propagandistischen Selbstinszenierung des „Neuen Deutschlands“ ein. Dementsprechend darf er in dieser Analyse nicht außen vor gelassen werden, obgleich die diversen Expeditionen in den Himalaya auch kaum aus dem klassischen Kreis des „Bergvagabundentums“ zusammengestellt wurden, denn der Himalaya war in Deutschland nahezu ausschließlich dem Akademischen Alpenverein München rund um Paul Bauer vorbehalten, wenn auch mit Sicherheit zahlreiche seiner Mitglieder dieselben Ideale wie ihr Vereinskollege, zeitweiliger Vorsitzender und geistiges Vorbild Maduschka hochhielten.

Die ersten deutschen Ambitionen mit den englischen Bergsteigern um die Erstbesteigung eines Achttausenders zu „ringen“, konzentrierten sich noch auf den Kangchendzönga, den dritthöchsten Berg der Erde, und wurden unter dem strengen Kommando und der vorausschauenden Organisation Paul Bauers durchgeführt. Zweimal bricht er mit einer hochkarätigen, ausschließlich aus Vertretern des AAVM zusammengesetzten Mannschaft in den Himalaya auf, den Gipfel sieht er allerdings nur von unten. Der erste Versuch ereignete sich im Jahr 1929 und erzielte einen Achtungserfolg mit 7400 Metern auf diesem allgemein als extrem schwierig eingestuften Berg, der bisher noch niemals zu besteigen versucht worden war. Sein zweiter Anlauf erfolgte zwei Jahre später und diesmal gelang es ihm die letztmalig erreichte Höhe um 300 Höhenmeter zu überbieten, musste jedoch die ersten zwei Todesopfer

271 N.N.,Seys-Inquart über die Ersteigung der Eiger-Nordwand. In: „Völkischer Beobachter“ vom 27.07.1938, p. 1.

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der Deutschen im „Kampf um den Himalaya“ bestatten.272 Zwischen den beiden Bauer- Expeditionen versuchte auch Oskar Dyhrenfurth sein Glück, wurde allerdings ebenso in seinen Gipfelhoffnungen enttäuscht. Dennoch war die Expedition keine „Niederlage“, denn immerhin gelang Erwin Schneider und Hermann Hoerlin mit der Besteigung des Jongsong Peak der damalige Höhenweltrekord.273

Für das Jahr 1932 werden die Expeditionspläne modifiziert und dieses Mal soll es unter der Leitung von Willy Merkl zum Nanga Parbat gehen. Der Plan sich an einem niedrigeren und vermeintlich alpinistisch weniger fordernden Berg zu versuchen entspringt dem Pragmatismus des Spitzenalpinisten Willo Welzenbach, welchem die Organisation ursprünglich zugedacht war, sich jedoch aus beruflichen Gründen selbst aus dem Spiel nehmen musste. Im Unterschied zu Bauers Expeditionen spielt der AAVM bei diesem Unterfangen keine Rolle und das Teilnehmerfeld ist darüber hinaus international, so sind mit Rand Herron ein Amerikaner und mit Peter Aschenbrenner auch ein Österreicher mit von der Partie. Der Erfolg dieses ersten Versuches aus deutscher Perspektive am Nanga Parbat fiel jedoch äußerst bescheiden aus und die alpinistische Historik sowie auch schon die wissenden Zeitgenossen lasten dieses Versagen weitestgehend der stümperhaften Vorgehensweise Merkls an, der sich, hier sind sich die Richtsprüche der Geschichte ebenso einig, nur auf die mediale Vermarktung der Unternehmung verstand, am Berg und bereits während den eigentlichen Vorbereitungen leistete er sich aber gravierende Schnitzer, die zu schmerzlichen Zeitverlusten und Trägerstreiks führen.274

Nun war die Expedition von 1932 wenig erfolgreich, 1934 sollte sie allerdings in einer vollkommenen Katastrophe enden. Ihren Anfang nahm sie jedoch unter gänzlich neuen Vorzeichen, war doch nunmehr das nationalsozialistische Regime an der Macht und deren Propagandaapparat betrachtete einen Gipfelerfolg als Ausdruck der „Tugendhaftigkeit“ und Leistungsbefähigung des „Neuen Deutschlands“.275 Wieder wurde die Mannschaft von Merkl angeführt und auch diesmal fanden sich kaum Mitglieder des AAVM in ihren Reihen, Welzenbach war allerdings Teil dieser Expedition und sogar stellvertretender Expeditionsleiter. Auch sonst hatte man Bergsteiger aus Deutschland und Österreich versammelt, welche grundsätzlich allesamt die Qualität besaßen den Gipfel zu erreichen. Erneut verließ sich Merkl auf seinen Freund und Begleiter aus dem Vorjahr Fritz Bechtold und den bereits erprobten Peter Aschenbrenner sowie dessen von Merkl erstmalig

272 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 108-113, 120. 273 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 147. 274 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 117, 122-131. 275 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 151.

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„einberufenen“ Landsmann Erwin Schneider, den wir schon von der Dyhrenfurth-Expedition im Jahr 1930 kennen, als er am Jongsong Peak mit 7470 Metern einen Höhenrekord aufstellte. Von deutscher Seite reisten auch Alfred Drexel, ein mehrmaliger Tourenpartner Welzenbachs, und Ulrich Wieland, der wie Schneider bereits mit Dyhrenfurth am Kangchendzönga war, mit.276 Merkl war äußerst bemüht die Verfehlungen seiner ersten Expedition nicht zu wiederholen und legte großen Wert auf eine gute Kommunikation mit der englischen Administration in Indien. Um sich nicht erneut mit einer unerfahrenen Trägerschar balgen zu müssen, eilte er auch voraus um sich die besten und bewährtesten aussuchen zu können. Seine Anstrengungen verwundern nicht, sah sich diese Expedition doch mit bisher vollkommen unbekannten Dimensionen an öffentlichen und offiziellen Erwartungen und Ansprüchen konfrontiert. Die „Reichsregierung“, die „Reichsbahn“, der Merkl angehörte, der „DÖAV“ etc. hatten eine Unmenge an finanziellen Mittel gegen das Versprechen des Gipfelsieges zur Verfügung gestellt und Merkls Fähigkeiten das Unterfangen medial zu inszenieren ließ das Maß an Aufmerksamkeit der zeitungslesenden Bevölkerung dramatisch in die Höhe schnellen. Ende April war die Mannschaft schließlich vollständig in Bombay versammelt und rund ein Monat später wurde das Hauptlager am Fuß des Nanga Parbat unter einer wehenden Hakenkreuzfahne errichtet. Ohne Zeit zu verschenken begann man bis zum 7. Juni die Kette an Höhenlager einzurichten und es gelang bis über 6000 Meter „vorzudringen“. Dann allerdings ereilt die bisher vielversprechende Expedition der erste Rückschlag. Alfred Drexel erlag in Lager II einem Lungenödem und wurde am 11. Juni unter Beteiligung aller ins Hauptlager „zurückbeorderten“ Bergsteiger zur letzten Ruhe gebettet.277 Merkl missbrauchte den „Heldentod“ des engen Freundes von Welzenbach als aufwändige Demonstration deutscher Opferbereitschaft, was unter den Bergsteigern zu Diskussionen führen sollte, sich alpinistisch jedoch als großer Fehler erweisen wird, ließ man doch des Begräbnis und einiger (vernachlässigbarer) Lieferschwierigkeiten wegen, die ungewöhnlich lange Schönwetterperiode tatenlos vorüberziehen. Erst Anfang Juli war man wieder auf über 6000 Metern angelangt und durfte sich über einen nahenden Gipfelversuch den Kopf zerbrechen.278 Im Verlauf des weiteren Aufstieges erweisen sich die beiden Österreicher Schneider und Aschenbrenner als die zwei fähigsten Höhenbergsteiger, spuren sie doch dem Rest der Mannschaft voran und präparieren den Aufstieg für die Träger, was sie nicht daran hindert ihren zeitlichen Vorsprung auszubauen. Erst Stunden später kann Welzenbach zu seinen wartenden „Kameraden“ aufschließen, Merkl und Wieland sowie die Trägern sehen sich

276 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 144 und MIERAU, Deutsche Himalaya-Stiftung , 1999, p. 30. 277 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 144-149 278 Ebd., p. 149-150, 152.

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allerdings außer Stande den von Aschenbrenner und Schneider angedachten Lagerplatz zu erreichen und so müssen die beiden Österreicher zu ihnen absteigen. Am nächsten Tag soll der Gipfel „fallen“ und die gesamte Mannschaft erstmals auf dem höchsten Punkt eines der prestigeträchtigen Achttausender versammelt sein, doch das Wetter will es anders und über Nacht zieht ein gewaltiger Sturm mit gravierenden Temperaturstürzen auf. Zunächst will man abwarten und den Orkan aussitzen, doch nach einer weiteren Nacht unter lebensfeindlichsten Bedingungen entscheidet sich Merkl für den Abstieg, welchen drei Bergsteigern und sechs Sherpas nicht überstehen sollten.279 Wieder marschieren Aschenbrenner und Schneider voran und treten eine Spur. Die Österreicher erreichen noch am selben Tag Lager IV und sind in Sicherheit. Wieland, Welzenbach und Merkl gelingt nicht einmal der Abstieg ins Lager VII und sie übernachten im offenen Gelände. Mit Erfrierungen und Erschöpfung ringend stirbt Wieland am nächsten Tag dreißig Meter vor den Zelten von Lager VII. Wenige Tage später haucht dort auch der völlig ausgezehrte und von Krankheit geschwächte Welzenbach sein Leben aus. Merkl kann sich mit den zwei ihm persönlich zugeteilten Sherpas als letzter Überlebender bis zum sog. „Mohrenkopf“ hinunterschleppen und sieht sich dort gezwungen in einer Schneehöhle auszuharren. Einem der beiden Sherpas gelingt es noch sich am nächsten Tag von dort aus ins Lager V zu retten, während Merkl und sein allerletzter Begleiter 1937 wenige Meter entfernt von der Schneehöhle zu Eis erstarrt aufgefunden werden.280 Auch die übrigen Leichen mussten am Berg gelassen werden, ihre Hingabebereitschaft aber sollte nicht umsonst gewesen sein, bereits bei der Trauerrede am Grab Drexels wird der Nanga Parbat zum „Deutschen Schicksalsberg“ erhoben. Nur zu offensichtlich schien die Rückkehr der „Deutschen“ an dieses Monument ihres „selbstlosen Opfertodes“.281

An dieser Stelle möchte ich nur einen kleinen, wenig detaillierten Ausblick auf die weiteren, „deutschen“ Bemühungen um ihren „Schicksalsberg“ anführen. Die noch während den Trauerfeierlichkeiten vor Ort angekündigte Rückkehr erfolgte allerdings erst 1937. Diesmal aber wieder unter Federführung Bauers, der von Europa aus generalstabsmäßig die Strippen zog, an den Berg selbst als Expeditionsleiter seinen engen Vertrauten und ehemaligen AAVM Vorsitzenden Carlo Wien entsand hatte. Die Expedition wurde grundsätzlich wieder sehr stark vom AAVM geprägt, so waren auch die weiteren, maßgeblich beteiligen Bergsteiger Hans Hartmann, Adolf Göttner, Günther Hepp und jener Martin Pfeffer, der Zeuge der letzten Augenblicke Maduschkas war, in diesem Kreis alpinistisch erwachsen geworden.

279 BONINGTON, Triumph, 1995, p. 124. 280 MIERAU, Deutsche Himalaya-Stiftung , 1999, p. 60-61. 281 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 163.

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Außenstehenden wurde der Zugang in diesen Zirkel bewusst verwehrt, man betrachtete sich als Mannschaft mit eng geschlossenen Reihen.282 Das zunächst von Wetterkapriolen zurückgeworfene, ansonsten aber aussichtsreiche Unterfangen fand jedoch ein abruptes und verlustreiches Ende, als eine Lawine Lager V überrollte und alle anwesenden Personen, an der Zahl sieben Expeditionsteilnehmer, und somit bis auf einen einzigen alle der Bergsteiger sowie neun Sherpas, verschüttete. Der „Blutzoll“ war somit noch höher als im Jahr der Katastrophe von 1934, die versprochene „Sühne“ für die „gefallenen Kameraden“ somit klar gescheitert und musste nun dementsprechend forciert vorangetrieben werden.283 Allerdings waren die „Reihen“ nun stark ausgedünnt und Bauer selbst, allerdings nicht mehr im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte, musste wieder als Expeditionsleiter die Lücke füllen. Dennoch ist den deutschen Bergsteigern aber auch dieses Jahr kein Glück beschieden, man findet am „Mohrenkopf“ die Leiche Merkls und seines Sherpas, viel höher gelangen sie allerdings nicht mehr, schon der sog. Silbersattel auf 7400 Metern bleibt unerreicht. Mit diesem Rückschlag war der Gipfelsieg über den Nanga Parbat in weitere Ferne denn je gerückt, da die Öffentlichkeit im „Heimatland“ von den beständigen Vertröstungen gesättigt und das Interesse drastisch geschwunden war. Es wurde zwar noch eine Expedition im Jahr darauf zusammengestellt, aber das nationalsozialistische Deutschland hatte ausgerechnet an jenem Tag, als die vom Eis eingeschlossene Leiche Merkls aufgefunden wurde, endlich einen ersehnten, alpinistischen Erfolg verbuchen können, der sich wesentlich besser zur Inszenierung der Voranstellung Deutschlands im „Wettstreit“ der „Völker“ eignete als die neuerliche Beteuerung allen Widrigkeiten zum Trotz in den Himalaya zurückkehren zu wollen. Die Eiger- Nordwand war am 24. Juli 1938 erstmals durchstiegen worden.284

Vergebliche Versuche in der Eiger- Nordwand Mit der Erstdurchsteigung der Grandes- Jorasses Nordwand 1935 rückte noch im selben Jahr ein neues, wieder einmal vermeintlich „letztes Problem der Alpen“ in den Fokus der Aufmerksamkeit. Man gedachte eine Route durch die 1829 Meter hoch ragende Eis- und Felswand zum Gipfel des Eiger zu erschließen. Den ersten, ernsthaften Versuch der Durchsteigung wagten Max Sedlmayer und Karl Mehringer, der durchaus vielversprechend begann, da es ihnen gelungen war rund 800 Höhenmeter bis zum ersten Biwak abzuspulen. Am zweiten und dritten Tag verfolgten die zahlreichen mit Fernrohren ausgestatteten Beobachter in Grindelwald allerdings einen bedenklich langsamen Weiterweg der beiden Münchner, der durch starken Steinschlag zusätzlich gestört wurde. Über Nacht schlug das

282 Ebd., p. 173- 178. 283 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 56-157. 284 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 187, 193-195.

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Wetter um, die Wand war in Wolken gehüllt und die Temperaturen fielen dramatisch. Für einen Augenblick konnte man die beiden am fünften Tag ihres Besteigungsversuchs noch einmal lebendig oberhalb des „Dritten Eisfeldes“ erblicken, ehe sie wieder Nebelschwaden verschluckten. Nach Wochen wurde die Leiche eines der beiden Bergsteiger von einem nahe an der Wand fliegenden Piloten auf einem Band stehend erfroren entdeckt. Dieser Punkt ihres letzten Aushaltens wird seitdem als „Todesbiwak“ bezeichnet.285

Im nächsten Sommer versammelten sich wieder die fähigsten Alpinisten ihrer Zeit und zelteten rund um die noblen Hotels von Grindelwald. In wenigen Wochen gedachte sich das nationalsozialistische Regime bei den Spielen der XI. Olympiade in Berlin selbst zu feiern und seine „Überlegenheit“ auch auf sportlichem Gebiet zu inszenieren. In der deutschen Szene des Alpinismus munkelte man, Hitler würde dem Beispiel von 1932 folgend den „Bezwingern“ der Eiger- Nordwand die Goldmedaille zuerkennen.286 Eine wochenlang andauernde Schlechtwetterperiode hemmte jedoch ihre ehrgeizigen Ambitionen und zwang sie zum Ausharren am Wandfuß, weswegen fast alle Aspiranten abreisten um ihr Glück anderenorts zu suchen. Mitte Juli zeichnete sich schließlich eine Wetterbesserung ab und die einzig verbleibenden zwei Seilschaften, bestehend aus den Münchnern Toni Kurz und Andreas Hinterstoißer, sowie den zwei Österreicher Willi Angerer und Edi Rainer, schlossen sich zusammen.287 Sie wählten eine alternative und im Vergleich zum Einstieg des Vorjahres wesentlich leichter gangbare Variante, was ihnen zunächst einen rasanten Höhengewinn ermöglichte. Das Herz dieser neuen Route war ein abfallender Seil-Quergang zum „Ersten Eisfeld“, den Hinterstoißer jedoch mit wenig Anstrengung überwand. Seine drei Begleiter konnten sich nun „gemütlich“ am Quergangsseil hinüberhanteln. Wenig vorausschauend und wohl auch im Übermut zogen sie dieses Seil jedoch anschließend ab und nahmen sich somit die Option dieselbe Stelle auch wieder zurück zu klettern, sollte es notwendig werden. Diese Notwendigkeit eines Abstieges trat am dritten Tag ihres Begehungsversuches ein, nachdem sie, wohl aufgrund der durch Steinschlag verursachten Kopfverletzung Angerers und eines Wetterumschwungs am zweiten Tag nur mehr äußerst langsam vorankamen und ihr Unterfangen am nächsten Morgen schließlich abbrechen und umkehren mussten. Ein weiteres Biwak verbrachten sie nunmehr völlig abgespannt mit einem offensichtlich „marschunfähigen“ Willi Angerer als ernstzunehmende Belastung, bevor sie die Unpassierbarkeit des durch den Sturm vereisten Quergangs zwang sich direkt über die

285 BONINGTON, Triumph, 1995, p. 80-81. 286 RETTNER Rainer, Eiger. Triumphe und Tragödien 1932-1938. Zürich 2008, p. 128-129. 287 BONINGTON, Triumph, 1995, p. 81-82.

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überhängenden Felsen abzuseilen.288 Vermutlich hat ein über die Felsen sausender Schnee- und Eisrutsch den Seilersten Hinterstoißer aus der Wand gespült, sein Sturz Angerer im Seil erwürgt und Rainer war am Seil hängend erfroren. Der Vorfall ereignete sich unweit eines Tunnelfensters der Jungfraubahn und ein Streckenposten, zu dem Rufkontakt hergestellt werden konnte, alarmiert drei Bergführer, welche mit einem Sonderzug zur Lucke aufbrechen, doch an diesem Abend bei der einbrechenden Dunkelheit nichts mehr auszurichten vermögen. Diese vierte Nacht sollte die letzte von Toni Kurz werden, denn am nächsten Morgen gelingt es ihm nicht mehr, am Ende seiner Kräfte und mit einer erfrorenen Hand, einen Verbindungsknoten zwischen den zwei nach langwieriger Kleinstarbeit über aufgedrehte Seilstränge heraufgezogenen Seilen der Bergführer durch den Abseilkarabiner zu quetschen. Er stirbt fast aber eben nur fast in Griffweite seiner Retter und das Bild des zusammengesackten, leblosen, frei am Seil baumelnden Körpers sollte symptomatisch die Wahrnehmung der Eiger- Nordwand als „Mordwand“ prägen und ihren Mythos mitgestalten.289

Dieses schauerliche Sterben war mit Sicherheit auch nicht unverantwortlich für die starke Anziehungskraft, die von dieser Wand auf die jungen Bergsteiger ausging. In unvermindertem Ehrgeiz fand man sich in der nächsten Saison wieder ein und diesmal durfte sich wohl die aus Ludwig Vörg und Hias Rebitsch gebildete Seilschaft die größten Durchstiegschancen ausrechnen. Im Zuge ihrer mehrmaligen Versuche bargen sie auch die Leichen zweier Bergsteiger, u.a. jene des seit dem Vorjahr verschollenen Hinterstoißers. Sie lernten allerdings aus den Fehlern der vergangenen Jahre und beließen Fixseile im Quergang, weswegen ihnen auch nach einigen Tagen in der im erneut so unvorhersehbar sprunghaften eingefallenen Wettersturz der erste „Rückzug“ aus der Gipfelwand gelang.290

Die Erstdurchsteigung im Sommer 1938 und die unmittelbaren Folgen Wir wollen uns hier nicht mit den alpinistischen Details des Durchstieges aufhalten, nur die Eckpunkte und die für unsere Zielsetzung ergiebigen Geschehnisse sollen hier nachgezeichnet werden. Rebitsch und Vörg stand beiden der Sinn dannach ihre durchaus erfolgsverheißenden Versuche im nächsten Jahr zu Ende zu führen, doch Rebitsch wurde zu einer Nanga Parbat – Expedition „einberufen“ und gab ihr den Vorzug gegenüber dem Alpenbergsteigen. Zu diesem Zeitpunkt war auch Anderl Heckmair auf der Suche nach einem fähigen Partner und wusste um die Fortschritte, die Rebitsch und Vörg in der letzten Saison erzielen konnten,

288 RETTNER, Eiger, 2008, p. 78-83. 289 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 201-203. 290 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREK / HARRER. Um die Eiger-Nordwand, 1938, p. 36-37, 39-45.

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kreuzten sich damals doch in Grindelwald ihre Wege. Allerdings war Heckmair bereits im Begriff abzureisen als seine zwei Konkurrenten erschienen. Schon im Vorjahr hatten Heckmair und Rebitsch parallel, aber nicht gemeinsam, im Wilden Kaiser für diese Unternehmung trainiert ohne sich dem jeweiligen Konkurrenten als Eigeraspirant zu offenbaren. Dieses Mal wollte Heckmair mit offenen Karten spielen und fragte bei Rebitsch um einen Zusammenschluss an. Aus genannten Gründen musste dieser aber ablehnen und vermittelte die Bekanntschaft mit Ludwig Vörg, dessen Kenntnisse um die spezielle Beschaffenheit der Wand noch von großem Nutzen sein sollten. Gemeinsam trainieren sie im Frühsommer in den Wänden rund um die Gaudeamushütte und reisten schließlich am 10. Juli 1938 mit dem Zug in die Schweiz ab.291 Um nicht erkannt zu werden hatten sie ihre Kletterutensilien in Koffern verstaut und gaben sich als gewöhnliche Touristen aus, denn hätte man sie am Bahnhof als Nordwand- Kandidaten ausgemacht, fürchteten sie einen unliebsamen Presserummel und so wäre dieses in aller Heimlichkeit vorbereitete Unterfangen aller Welt offensichtlich gewesen.292

Heckmair und Vörg waren jedoch nicht die einzigen, namhaften Bergsteiger in diesem Zug, sondern wurden von Otto Eidenschink und Heinrich Sedlmayer begleitet, welche sich auf dem Weg in die Ordensburg Sonthofen befanden um dort ihre Stellen als bergsteigerische und skisportliche Ausbildner der „Ordensburg-Junker“ anzutreten. Dieselbe Aufgabe war ursprünglich auch den beiden „Eiger-Aspiranten“ zugedacht gewesen, deren Dienstantritt aber bewusst verschoben wurde um dieses „letzte alpine Problem“ zu lösen.293 Zunächst galt es aber noch das Problem der finanziellen Knappheit zu beheben und auch hier durfte man auf das Verständnis und die Unterstützung der zukünftigen Arbeitgeber hoffen, denn: „Da kam Hilfe im letzten Augenblick aus der Ordensburg Sonthofen! Gerade heuer wurden Bergsteiger als Sportführer gesucht. Wir hatten uns beide gemeldet, zugleich aber auch um Aufschub gebeten, weil wir ein großes Vorhaben hätten. Die Antwort kam prombt: „Bewerbung angenommen, viel Glück zu eurer Sache! Wenn etwas an der Ausrüstung fehlt, ergänzen auf Rechnung der Ordensburg!“ Woher nahmen sie dieses Vertrauen in uns! Wir wussten es nicht, aber voll Freude stürzten wir uns ins Sportgeschäft Schuster, bestellten und kauften so, wie wir uns das früher einmal geträumt hätten: ohne einmal auf den schnöden Mammon zu sehen. Nur vom Besten das Beste, und war es nicht gleich da, dann Sonderanfertigung.“294 Von Seiten der nationalsozialistischen Institutionen scheint also großes Interessen am

291 Ebd., p. 48-50. 292 RETTNER, Eiger, 2008, p. 212. 293 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREK / HARRER, Um die Eiger-Nordwand, 1938, p. 50- 52. 294 Ebd., p. 51.

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Gelingen des Unterfanges gegeben gewesen zu sein, welches die Alpinisten wohl durchaus zu ihrem Vorteil zu verwenden wussten. In diesem Zusammenhang sei die Wankelmütigkeit der sponsernden „Arbeitgeber“ der Eiger-Kandidaten nicht verschwiegen, während nämlich den abgestürzten Gebirgsjägern von 1936 Hinterstoißer und Kurz ihr Vorhaben gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Kommandeure durchsetzen, schöpften die Münchner nunmehr aus dem Vollen.295

Eine Woche später stiegen sie erstmals in die Wand ein und stießen nach wenigen Seillängen auf die von Fritz Kasparek und , zwei Österreichern, deponierten Rücksäcke. Dort beschlossen sie zu nächtigen um am nächsten Morgen diesen Vorsprung zu nutzen: „[...] morgen können sie uns mit dem Ofenrohr nachsehen.“296 Da am frühen Morgen gefährlich aussehende Wolken den Himmel verunstalten und auch das Barometer gefallen war, beschließen sie indes abzusteigen, treffen in diesem Augenblick aber erstmals auf die „Konkurrenz“: „Die Rucksäcke waren verschnürt und wir bereit, den Abstieg zu beginnen, als plötzlich rechts vom Pfeiler auf einem seitlichen Schneefeld eine Gestalt auftauchte. Gleich darauf eine zweite. Nicht sehr erfreut rief ich hinunter: „Hei – joh!“ Mit demselben Ruf antwortete mir der Bergsteiger. Wenige Minuten später waren die zwei bei uns heroben. Man stelle sich vor: „Harrer – Vörg – Kasparek – Heckmair“, „angenehm, angenehm.““297 Augenblicke später stieß zu diesem Quartett noch eine zweite Wiener Seilschaft, bestehend aus Rudolf Fraißl und Leopold Brankovsky. Diese etwas unterkühlte, erste Begegnung von Bergsteigern, die sich bisher nur aufgrund ihrer Leistungen dem Ruf nach kannten und in einem eindeutigen Konkurrenzverhältnis standen, musste einen eigenartigen Eindruck auf die beteiligten Personen gemacht haben: „Alle sechs standen wir da und lachten ein bißchen gezwungen über diesen komischen Zufall. So groß war der Zufall aber gar nicht. Es war klar, daß an dem ersten schönen und geeigneten Tag alle Partien, die schon lange auf der Lauer lagen, zusammentreffen mußten.“298 Diese frostigen Szenen am Beginn der später als Symbol der „kameradschaftlichen Zusammengehörigkeit“ ausgeschlachteten Besteigung zeugen nicht unbedingt von einer intensiven Verbundenheit untereinander. Dennoch entscheiden sich Heckmair und Vörg gegen einen Wettlauf und stehen zu ihrem Entschluss abzusteigen, da drei Seilschaften auf so engem Raum sich zwangsläufig gegenseitig im Weg stehen mussten, obwohl sie unter Umständen durch die Finger schauen würden, wenn Kasparek und Co. mit

295 RETTNER, Eiger, 2008, p. 215. 296 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREK / HARRER, Um die Eiger-Nordwand, 1938, p. 57. 297 Ebd., p. 58. 298 Ebd., p. 59.

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ihrer Vermutung, das Wetter werde halten, Recht behalten sollten.299 In Grindelwald gesellen sie sich zu den Schaulustigen und behalten die Fortschritte der Rivalen vom Fernrohr aus im Blick. So entgeht ihnen auch nicht der Abstieg einer der beiden Seilschaften. Fraißl wurde durch Steinschlag am Kopf verwundet und, unfähig weiterzusteigen, ist er gezwungen mit seinem Partner Brankovsky umzukehren. Heckmair und Vörg wittern ihre Chance, denn gleich am nächsten Morgen laufen sie förmlich die Wand hoch und schließen in den Ausläufern des zweiten Eisfeldes zu den Österreichern auf. Hier hatte sich vor allem die Erfahrung Vörgs aus dem Vorjahr bezahlt gemacht, denn bisher hatten sich alle Versuche auf vorwiegende Felsarbeit eingestellt, Heckmair und eben Vörg führten aber zwölfzackige Steigeisen mit sich und mussten nicht mühsam Stufen schlagen, was Zeit sparte und die Kräfte schonte.300 Unter der Seilführung Heckmairs schloss man sich zusammen, die Österreicher übernahmen die Aufgabe Eis- und Mauerhaken im Nachstieg abzubauen und den Vorsteigern die Rucksäcke leichter zu machen. Nach einem Biwak im oberen Abschnitt der berühmt-berüchtigten „Rampe“ stiegen sie am nächsten Tag unter sich verschlechternden Wetterbedingungen durch die sog. „Spinne“, in welcher sich Kasparek als Folge von Steinschlag und eines Lawinenabgangs die Hand verletzte. Eine letzte Nacht noch mussten sie in der Wand auf einem sehr schmalen Band ausharren, wobei mittels Haken an die Wand gebunden nicht einmal ausreichend Platz gegeben war um sich zu setzen.301 Mit dem nächsten Morgen sollte der „Gipfelsturm“ beginnen, nachdem Heckmair als Vorsteiger noch einige heikle Rinnen und abweisende Aufschwünge, meist mit bestenfalls „moralischer“ Sicherung, zu meistern hatte. Aus einem Übergang herausfallend bohrt er seinem Sicherungsmann Vörg die Steigeisen in den Handballen, kann dieses Kriterium aber schließlich doch durchklettern und eröffnet so die letzten Meter zum Gipfel in sich allmählich zurückneigendem Gelände aber zunehmendem Sturm. Laut Heckmair habe man sich nur wortlos die Hände gereicht und sich sofort an den Abstieg gemacht um dem heulenden Schneetreiben zu entkommen.302

Bereits während des Abstieges schleichen sich wieder Gedanken über die nahe Zukunft im Schoß der Zivilisation ein, denn man hofft und bangt um ein warmes Zimmer in einem der Hotels und trockene Kleidung im Tausch gegen die nassen Fetzen. Doch ihre Zweifel sind unberechtigt, da sich die Szenen nach der Erstbesteigung der Matterhorn-Nordwand wiederholen sollten: „Alles eilte die Hänge hinan, die vier wurden von rauhen Bergmenschen umarmt und geküßt, Blitzlichtgewitter flammte auf, aus düsterer Nacht war hellster

299 RETTNER, Eiger, 2008, p. 222-224. 300 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREK / HARRER, Um die Eiger-Nordwand, 1938, p. 63. 301 Ebd., p. 64-76. 302 Ebd., p. 78-84 und RETTNER, Eiger, 2008, p. 237-238.

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Sonnenglanz geworden, die Freunde waren wieder unter uns. Dieser Abend wurde der schönste in unserem Leben. Sie wurden umhegt und gepflegt, zum festlich gedeckten Tisch gesetzt, und nun eßt und trinkt nach Herzenslust, ihr Goldjungen! Dann kam eine Nacht ohne Sorgen, ohne Unruhe; wie schön war diese Nacht! Dann kamen die Tage der endlosen Festlichkeiten, der Einladungen in den verschiedenen Hotels in Grindelwald, beim deutschen Gesandten in Bern, kurz, man kam nicht mehr zum Nachdenken.“303 Auch Heckmair schreibt über die herzlichen Beglückwünschungen, dem Bad in der Menge aber dem noch wesentlich angenehmeren im warmen Wasser, von den unzähligen Schnitzeln und sieht sich mit dieser ihm so unbekannten Situation allgemeiner Wertschätzung überfordert: „Schon die Gebrüder Schmid waren nach ihrem Erfolg in der Matterhorn-Nordwand in Zermatt gefeiert worden, aber das war noch in kleinerem Kreis und deshalb auch erträglich. Uns wuchsen die Glückwünsche und Einladungen von überall her einfach über den Kopf.“304

Tatsächlich wurden die erfolgreichen Bergsteiger mit einer ungeheuren Masse an Gratulationsbekundungen eingedeckt, nicht jedoch nur von den Bewohnern und anwesenden Sommergästen Grindelwalds oder den eilends angereisten Münchner Klettergefährten bzw. Kollegen aus der Ordensburg Sonthofen, sondern auch von hochrangigen politischen Vertretern des nationalsozialistischen Regimes. Der „Reichsstatthalter“ und „Führer des Deutschen Alpenvereins“ Seys-Inquart übermittelt per Telegramm seine herzlichen Glückwünsche, ebenso verfährt der „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Heß, auch „Reichssportführer“ von Tschammer und Osten, reiht sich ein in die Riege der Gratulanten und lädt sie darüber hinaus auch ein seine Gäste beim „großen Deutschen Turn- und Sportfest“ in Breslau zu sein, wo es auch zu einer persönlichen Zusammenkunft mit dem „Führer“ selbst kommen wird.305 Das Sportfest in der Hauptstadt Schlesien sollte im Dienste der nationalsozialistischen Propaganda eine sportliche Leistungsschau der „breiten Masse“ im Sinne eines „gesunden Volkskörpers“ darstellen, während von individuellem „Rekordwahn“ explizit Abstand genommen werden sollte. Das Kollektiv stand über den Interessen des Einzelnen und sollte über die Leibeserziehung zu einer Schlagkraft geformt werden, welche den „Aufbruch“ eines neuen Deutschlands gewährleisten und sein Volk „gesund, stark und froh“ machen wird. Der „Reichsportführer“ von Tschammer und Osten wies im „Völkischen Beobachter“ auf die weit über Grenzen und Meere leuchtende politische Leibeserziehung hin,

303 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 136. 304 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 166. 305 N.N., „Wie die Sieger vom Eiger heimkehrten, Jubel nach der jüngsten Großtat deutscher Bergsteiger“. In: „Kleine Volks-Zeitung“ vom 26.07.1938, p. 11 und N.N., Die vier Bergsteiger nach Breslau eingeladen. In: „Völkischer Beobachter“ vom 27.07.1938, p.1

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deren ewig flammender Feuerschein von einem „heiß durchpulsten Leben der großen Nation“ kündet.306 Neben dieser politischen (Volks-)Körperbildung stand das Sportfest auch unter dem Zeichen der „Heimkehr“ der „Brüder und Schwestern aus Österreich, der uralten deutschen Ostmark ins Heilige Reich“ und in diesem Punkt fügte sich die Symbolik der Eiger-Nordwanddurchsteigung von zwei sich zusammenschließenden Seilschaften aus dem „Altreich“ bzw. der „heimkehrenden Ostmark“ wie von langer Hand geplant in den Terminkalender der propagandistischen Verwertung.307 Darüber hinaus gedachte man am 25. Juli, dem Tag nach der Durchsteigung der Nordwand, den „Opfern“ des Juliputsches, „als Unterpfand eines künftigen Sieges“, waren sie doch „das letzte Glied einer langen Opferkette der Deutschen in der Ostmark„ etc. und der nationalsozialistische Führungskader bereiste zu diesem Zweck im Hochsommer die jüngst eingegliederte „Ostmark“ um die Offensive der „Vereinnahmung“ voranzutreiben.308 Bei den Festlichkeiten in Breslau scheinen jedenfalls die leidenschaftliche Inbrunst der bisweilen beweihräuchernden, bisweilen scheppernden und schmetternden Rhetorik durch die Elite der Nazifunktionäre, das Gemeinschaftsgefühl in der vermeintlich gleichgesinnten unter kunstvoller Komposition arrangierten Masse und die Begleitmusik der „knatternden Fahnen“ die Stimmung bei den „Kameraden und Trägern der Idee eines leibstarken Volkes“ durchaus angeheizt und ins Frenetische gesteigert zu haben. Schließlich lässt der „Reichssportführer“ seine Festrede vor der versammelte Menge von 52000 Zeugen in einem Fahneneid gipfeln, in welchem der „Kampfeswille“ und die „Kameradschaft“ beschworen wird - ebenfalls zwei Aspekte, welche von der Nazi- Propaganda sehr intensiv mit der Gemeinschaft unter Bergsteigern verknüpft wird.309 Unter Beachtung dieser angeführten Charakteristika und Zielsetzungen der sportlichen Propagandaveranstaltung verwundert auch nicht die von Heinrich Harrer einer Tageszeitung entnommene Schilderung der Aufnahme der vier Alpinisten durch die enthemmten Zuschauer im Oval des „Hermann Göring Sportfeldes“. Sprechchöre forderten deren Erscheinen in der Mitte des Platzes und empfingen sie dort unter lauten Rufen und Geschrei: „Nicht genug! Die Menge klatschte, sie jubelte spontan, sie ließ sich nicht beruhigen. Näher an sie heran sollten die vier Männer kommen. So riefen die Sprechchöre. Und dann geschah das Einmalige, das keine Kampfbahn der Welt je erblickte: Unter den Klängen des Beifallsturmes legten die vier

306 N.N., Breslau- Ruf in die Zukunft. In: „Völkischer Beobachter“ vom 28.07.1938, p.1-2. 307 N.N., Das Deutsche Turn- und Sportfest in Breslau feierlich eröffnet. In: „Völkischer Beobachter“ vom 28.07.1938, p.1. 308 N.N., Die Kämpfer des 25. Juli marschieren. In: „Illustrierte Kronen-Zeitung“ vom 26.07.1938, p. 3 und N.N., Sie gaben ihr Leben für Großdeutschland! Die Gedenkrede des Stellvertreters des Führers in Klagenfurt. In: „Kleine Volks-Zeitung“ vom 26.07.1938, p. 1. 309 N.N., Festliche Eröffnung des deutschen Sport- und Turnfestes. In: „Neue Freie Presse“ vom 28.07.1938, p. 5-6.

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einen Triumphmarsch ohne Beispiel zurück. Hände winkten und griffen nach ihnen, Stimmen überschrien sich, Landsleute sprangen über die Sperrketten auf sie zu und schüttelten die Arme. Eine ganze Ehrenrunde lang marschierten die Bezwinger der Eiger-Nordwand. Grüßten mit erhobenem Arm. Die Begeisterung war unbeschreiblich und groß. Die Männer mußten in diesem Augenblick empfinden, daß ein Volk ihre Leistung huldigte.“310 Vor wenigen Wochen noch waren die nunmehrigen „Bezwinger der Eiger-Nordwand“ mehr oder minder bekannte Bergsteiger, welche sich mehr schlecht als recht über Wasser hielten und zum Teil seit kurzer Zeit auf eine ordentliche Anstellung im Ausbildungssystem des Nationalsozialismus verlassen durften, weswegen man aber wohl kaum mit derartigen Beifallsbekundungen und fanatischen Jubelchören rechnen durfte. Jetzt waren sie in einem „Augenaufschlag“ zu Idolen der Masse aufgestiegen.

Der persönlichen Höhepunkt der Ehrungen und der „unschätzbare Lohn“ waren in den Augen der Alpinisten jedoch nicht ihr „Starstatus“, sondern die Zusammenkunft und die Unterredung mit ihrem „Führer“ Adolf Hitler. In der Erinnerung Harrers nimmt diese Begegnung Züge einer kindlichen Perspektive auf eine Vaterfigur oder in seiner verständnisvollen Distanziertheit fast schon auf die Gestalt des allwissenden „Nikolos“ an: „Der Führer gibt jedem die Hand. Der Reichsführer nennt unsere Namen. Wir haben den Eindruck, daß der Führer uns kennt und alles von uns weiß. Dann dürfen wir ihm von der Wand erzählen. Schließlich schüttelt der Führer den Kopf und sagt: „Kinder, Kinder, was habt ihr geleistet!“ Das vergesse ich nicht, wir alle nicht.“311

Alpinistische Metaphorik als Sinnbild nationalsozialistischer Politik

Die Eiger-Nordwand im Zeichen nationalsozialistischer Propagandaprojektion Dieses Zusammentreffen war mit dem Bekenntnis der Unvergesslichkeit der alpinistischen Großtat jedoch noch nicht beendet, sondern der „Führer“ höchst selbst erkannte nach einem erläuternden Einwurf Harrers die Bedeutung dieser schicksalhaft verbundenen Seilschaften in der Eiger- Nordwand, insbesondere im Hinblick auf die vergleichbare Konstellation aus dem Jahr 1936, die mit dem tragischen Bergtod aller beteiligten Bergsteiger und der sinnbildlichen Photographie von Toni Kurz zu Ende ging: „Dr. Frick spricht dann von den Opfern, die die Wand gefordert hat, da füge ich ein, daß 1936 zwei Bergsteiger aus der Ostmark und zwei aus

310 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREK / HARRER, Um die Eiger-Nordwand, 1938, p. 94-95. 311 Ebd., p. 95.

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dem Altreich zusammen in den Tod gegangen sind. Der Führer hebt den Kopf und seine großen Augen sehen uns klar an: „Das ist symbolisch.““312

In Breslau feierte man bereits den „Zusammenschluss des Deutschtums“ und in der propagandistischen Verwertung der Begebenheiten rund um die Durchsteigung der Nordwand sollte eben diese Konstellation der (ehemaligen) Staatszugehörigkeit der beteiligten Alpinisten über die diversen Medienformen breit getreten werden, so existiert auch kaum ein Kommentar der ohne diesen Verweis ausgekommen wäre. Verwunderlich wäre es, wenn ausgerechnet die hofierten Erstbesteiger in ihren Rückblicken auf diese Komponente verzichten würden und so schließt sich auch Kasparek den Deutungen seines „Führers“ in Bezug auf die Vorgänge der Durchsteigung in seinem eigenhändig verfassten und politisch aufgeladenen, alpinistischen Erlebnisbericht an: „War es nicht merkwürdig, daß bei den ersten Versuchen in dieser Wand Deutsche und Österreicher gefallen waren? Und nun hatten sich wieder Deutsche und Österreicher zusammengefunden, um vereint ein großes gemeinsames Ziel zu stürmen. Genau wie im politischen Zusammenschluß der beiden deutschstämmigen Bevölkerungsgruppen. Wie doch das Schicksal manchmal seine Gleichnisse zieht!“313 Auch Heckmair zweifelt angesichts der schicksalhaften Offensichtlichkeiten an nüchternen Zufällen und wähnt sich rückblickend im Augenblick des händeschüttelnden Zusammenschlusses in der Wand untrüglich in seinem „Siegesbewusstsein“ bestärkt: „Ist es nicht wie eine Fügung? Zwei Münchner gingen einst mit zwei Österreichern in den Tod. Zwei Österreicher gehen jetzt mit zwei Münchnern in den Sieg.“314 Schließlich erkennt auch Seys-Inquart im gemeinsam erfolgreichen Gipfelgang alpinistischer Vertreter ehemals unterschiedlicher Nationen im zeitlichen Nahbereich zur „Heimkehr“ der „Heimat“ des „Führers“ eine symbolische Analogie auf die politischen Geschehnisse der jüngeren Vergangenheit.315

Die „conditio sine qua non“ der propagandistischen Verwertung bestand jedoch in der Voraussetzung einer rein „deutschen“ Erstdurchsteigung, denn war die Zusammensetzung der Seilschaft zu gleichen Teilen aus den „wiedervereinigten“ Gebieten zwar eine scheinbar „schicksalhafte“ und dementsprechend wirkungsmächtige Übersteigerung der Schuldigkeit deutscher Bergsteiger im Wettlauf um diese umkämpfte Wand, wäre hingegen ein internationaler Erfolg oder gar ein gelungenes Unterfangen ohne deutsche Beteiligung

312 Ebd., p. 95. 313 KASPAREK, Ein Bergsteiger, 1939, p. 221. 314 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREK / HARRER, Um die Eiger-Nordwand, 1938, p. 64. 315 N.N.,Seys-Inquart über die Ersteigung der Eiger-Nordwand. In: „Völkischer Beobachter“ vom 27.07.1938, p.1

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propagandistisch wertlos und wohl auch als demütigend empfunden worden. So wird ihre alpinistische, und nach den oben stehenden Ausführungen geurteilt, wohl individuell begründete Leistung explizit in ein nationalistisch motiviertes Verlangen umgedeutet: „Die deutschen Bergsteiger Kasparek, Harrer, Vörg und Heckmair nahmen bewußt als Vertreter eines großen Volkes den Kampf mit der Eiger-Nordwand auf. Und so wird immer in der Geschichte der Alpinistik, in der sie nun Eingang gefunden haben, vermerkt werden müssen: Es waren deutsche Bergsteiger.“ So stehen nicht die einzelnen Namen sondern deren nationale Zuordnung in der vorgeblich alpinistischen aber doch eher politischen Erinnerungskultur im Vordergrund. Den vorläufigen Rückzug und Abschied der Münchner- Seilschaft aus der Wand deutete Fraißl sogar folgendermaßen: „diese schlichten Worte zeugten von sittlicher und geistiger Höhe, sie ließen ahnen, daß es hier um Größeres ging: um Sühne für tote Kameraden, um eine neue Großtat deutscher Leistungsfähigkeit, wobei die Namen der Ausführenden sekundäre Bedeutung hatten.“316 In dieser Interpretation werden die Alpinisten nur mehr zu Handpuppen einer nationalen Idee und sind dementsprechend ersetz- und austauschbar. Ihre Namen müssten sozusagen nur mehr am Rande Erwähnung finden, werden sie doch von der Leuchtkraft der eigentlichen Leistung, die selbst nur im Dienst einer übergeordneten Instanz fungiert, überstrahlt, wogegen ein jedes, ehrliches Bergsteigerherz grundsätzlich lautstark aufbegehren müsste, schrieb man doch spätestens seit Lammer beständig von der „Verwirklichung“ des Individuums und der Selbstvergewisserung am Berg. Gewiss mag man in Rudolf Fraißl auch die berühmte, regelbestätigende Ausnahme erkennen können und seinen Worten als authentische und überzeugte Lesart der persönlichen Sinnstiftung des Alpinismus Glauben schenken, wäre er nicht mit dem Makel des „Verlierers“ gebrandmarkt. Denn er konnte aus dem Abstieg Heckmairs und Vörgs kein Kapital schlagen, musste er sich doch wenig später selbst wieder wegen einer Kopf- und Handverletzung ins Tal begeben. So kann man in seinen Worten wohl auch den Anflug von Neid und Missgunst einer vom „Schicksal“ betrogenen Unglücksgestalt nicht leugnen. Erschwerend und diesen Befund untermauernd wirkt die dem Text vorangestellte Rechtfertigung seinerseits, um allfällige Vorwürfe vorwegzunehmen als am Durchstieg unbeteiligter Außenseiter kein Recht auf ein Urteil und keine Qualifikation für eine Schilderung der Ereignisse vorweisen zu können.317

Ungeachtet dieser persönlichen Animositäten und des verletzten Stolzes einer Einzelperson wurde von offizieller Seite zweifelsfrei plump aber laut auf der schwarz-weiß Klaviatur der

316 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 131. 317 Ebd., p. 129.

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nationalpolitischen Selbstvermarktung gespielt und in diesem Punkt bot sich, wie oben angeführt, u.a. über die sportlichen Erfolge im Alpinismus eine Kompensation des in der Erinnerungskultur des nationalsozialistischen Deutschlands als Demütigung empfundenen, eben dementsprechend titulierten, „Schandfriedens“ an. Dieses revanchistische Kompensationsprozedere fand auch im Zusammenhang mit der deutschen Erstdurchsteigung der Nordwand statt, die als in die machtvolle Sphäre der Symbolik verlagertes, neues Erwachen betrachtet und als Demonstration „deutscher“ Leistungsbefähigung ausgehangen wurde: „Gigantisch ist gegenwärtig der Kampf des deutschen Volkes, um seine moralische Kraft, seine geistige Stärke und seine kulturelle Höhe einem hochgesteckten Ziel zuzuführen. Die Eiger-Nordwand war vielleicht nur ein winziges Wässerlein in dem großen Strom dieses nationalen Auftriebes. Und wir vier sind bloß Bergsteiger und haben auf unsere Art das Scherflein zum Wiederaufsteig beigetragen.“318

Eine Bemerkung wert sein sollte uns auch die von Kasparek gezogene Parallele des alpinistischen „Ringens“ mit den Herausforderungen am Berg um zum ersehnten Gipfel zu gelangen mit jenem des „Führers“ um sich an der Spitze des „deutschen Volkes“ zu etablieren: Mußte nicht vor unseren Augen immer wieder der Führer erstehen? Und sein übermenschlicher Kampf mit den Schwierigkeiten des dornenvollen Weges an die Spitze seines Volkes? Wir hätten uns keinen besseren Lehrmeister wünschen können.“319 Auch in dieser Deutung gerät das Bergsteigen zum Politikum, allerdings zu jenem einer Einzelpersönlichkeit. In diesem Fall wird nicht mehr der symbolische „Kampf“ eines „Volkes“ am Beispiel der Bergsteiger beschworen, sondern eine eigene Huldigung an den Willen und das Durchsetzungsvermögen des „Führers“ geschaffen, denn er gilt den Alpinisten als Vorbild und in seiner Funktion als „Lehrmeister“ darf man auch eine gewisse Voranstellung seiner Person in dieser Hinsicht veranschlagen. In ähnlicher Weise ersteht auch vor Harrers geistigen Augen am Berg der „Führer“: „Wir haben die Eiger-Nordwand durchklettert über den Gipfel hinaus bis zu unserem Führer!“320 Auch in diesem Fall verkörpert der „Führer“ sinnbildlich eine Idee, die lockender als die alpinistischen Motive selbst wirkt. So gelangen die Bergsteiger über die Meisterung und Überwindung des „alpinen Problems“ in den Nahbereich des „Führers“, zugegebenermaßen lässt sich dieser euphorische Schlusssatz seines Kapitels mit gleichem Recht auch plastisch und wenig metaphorisch auslegen, wurden sie doch persönlich von ihrem „Lehrmeister“ empfangen und ausgezeichnet. Dennoch meine ich, verfolgt Harrer mit der Erhebung Hitlers über diese so

318 KASPAREK, Ein Bergsteiger, 1939, p. 225. 319 Ebd., p. 224. 320 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREK / HARRER, Um die Eiger-Nordwand, 1938, p. 96.

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augenscheinlich und so oft als „übermenschlich“ beschriebene Gipfelsphäre, vergleichbar mit Kasparek, die Absicht einer Ehrerbietung ideeller Natur an den „Führer“ und dessen Inszenierung als schlussendliche Erfüllung gehegter Sehnsüchte.

Am Berg selbst war die Stimmung, wie oben bereits ausgeführt, weniger nationalpolitisch aufgeladen, wohl auch weniger von Euphorie geschwängert oder im Bewusstsein einer „symbolischen Bedeutung“ in staatstragendem Ernst gehalten. Die offensichtlich effizienter agierende, besser vorbereitete Seilschaft von Heckmair und Vörg sah sich zu diesem Zeitpunkt nur mit einer Belastung der unzureichend ausgerüsteten Österreicher konfrontiert und erkannte in ihnen wohl nach wie vor in erster Linie Konkurrenten, wie es auch bisher Praxis im Wettlauf um die „letzten Probleme“ oder anderer populärer Wände der Alpen war. In der Nachkriegsversion seiner Memoiren schildert Heckmair jene Episode gar als einen unfreiwillig erbrachten „Gnadenakt“, jene heillos langsamen Rivalen nicht in ihrem sicheren „Verderben“ im Stich zu lassen: „ Es war eine heikle Situation und unser Entschluß sehr schwerwiegend: Sollen wir an ihnen vorbei- und weiterstürmen und sie ihrem Schicksal überlassen? Ich war nah daran, es zu machen, nicht so Vörg, der der weitaus Gutmütigere von uns beiden war. Er fand das erlösende Wort: „Schließen wir uns zusammen und bilden eine Seilschaft.“ Ich wollte keinen Streit anfangen, doch meine Einwilligung war ziemlich widerwillig [...].“321 Zum Vergleich soll hier auch Heckmairs Erinnerung der Verbindung zur Einheit der Seilschaften aus nicht länger „widernatürlich“ abgegrenzten Nationen aus propagandistischer Perspektive zitiert werden: „Fröhlich jodelten wir einander zu und um ½12 Uhr mittags hatten wir sie erreicht. Mochten sie nun auch im ersten Moment mißtrauisch gewesen sein, es war im Augenblick verflogen, als sie unsere Mienen sahen. Im Gegenteil, sie waren froh, daß Ablösung kam. Wir drückten uns herzlich die Hände und von diesem Moment an waren wir nur noch eine Seilschaft.“322 Auch im „Völkischen Beobachter“ scheint Heckmair die Szene noch in etwas NS-konformerer Erinnerung behalten zu haben: „Schnell geht´s weiter hinauf und dann um ½ 12 Uhr haben wir unsere Kameraden eingeholt. Wir stehen nebeneinander die Wiener und wir. Und da gibt es nur noch eines: Zusammen weiter, durchhalten, durchkämpfen bis zum Sieg.“323 So erkennen wir in der nahezu diametralen Umkehrung der Wahrnehmung der sozialen Situation in der Wand und der Einspeisung eines nationalpolitischen Bewusstseins eine erste, rückwirkende „Wahrheitskorrektur“ der Geisteswelten des Alpinismus durch die nationalsozialistische Propaganda.

321 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 133. 322 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREK / HARRER, Um die Eiger-Nordwand, 1938, p. 64. 323 HECKMAIR Andreas, „So wurde die Eiger-Nordwand bezwungen“. In: „Völkischer Beobachter“ vom 29.07.1938, p. 8.

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Der Zusammenschluss und das gemeinsame Wirken in der Wand reflektiert in der über die Propaganda aufbereiteten Wahrnehmung jedoch auch in diesem Sonderfall nicht ausschließlich die Zusammengehörigkeit der jeweilig beteiligten Völker, sondern lässt sich aus der Perspektive einer medialen Politagitation mit Verweis auf eine „Verwirklichung“ „kameradschaftlicher“ Solidarität am Berg und dem nahezu schon in selbstverachtender Weise erbrachten „Dienst“ an der Seilgemeinschaft auch als Eckpfeiler der nationalsozialistischen Beschwörung eines deindividualisierten „Volksganzen“, welches im Kampf um ein hehres, nicht mehr den Interessen des Einzelnen geschuldeten Ziel steht, lesen.

Nationalsozialistische Pädagogik durch alpinistische Praxis

Über die „Kameradschaft“ zur „Volksgemeinschaft“ Gerne erging sich der Nationalsozialismus in seiner an ein Publikum gerichteten Ausformung in mitreißenden Phrasen wie Floskeln, die sich zur Mobilisierung der Massen eigneten, und setzte hierbei stark auf den Faktor einer persönliche Sinnstiftung über Einbindung in ein vermeintlich historisch begründetes oder originär zusammengehöriges Kollektiv, dessen Inklusion schlicht ausnahmslos auf Exklusion mittels „rassischer“ bzw. „biologischer“, politischer und weltanschaulicher Kategorien beruhte. Die Denkmuster in Klassen, Parteien und Ständen sollten durch das „Zusammengehörigkeitsgefühl“ über „Blut“ und gemeinschaftlichem „Erbe“, an welchem jeder einzelne sog. Volksgenosse anteilhaftig ist, ersetzt werden. Einem individualistischen Verwirklichungsbedürfnis sollte somit zum Nutzen der „Allgemeinheit“ keine Entfaltungsfreiheit gewährt werden.324 Der „Führer“ selbst fordert in einer seiner Ansprachen die „Herstellung einer wirklichen Volksgemeinschaft“ ohne Rücksicht auf partikulare „Interessen und Gegensätzen von Ständen und Klassen“.325 Viele jener von Seiten der nationalsozialistischen Pädagogik für erstrebenswert befundenen Werthaltungen, welche der „Volksgemeinschaft“ anerzogen werden bzw. zur „Volksgemeinschaft“ erziehen sollten, fanden sie vermeintlich in alpinistischen Praktiken vorweggenommen und wiesen sie als nachzuahmendes „Ideal“ aus, was in der seit jeher eitlen, alpinistischen Szene mit offenen Ohren und Herzen entgegen genommen wurde. Seyß- Inquart erkennt als ehemals selbst passionierter Bergsteiger in dieser Form der Leibesertüchtigung ein „wesentliches Mittel politischer und weltanschaulicher Erziehung“ und gibt in seiner Funktion als „Führer des Deutschen Alpenvereins“ die Losung aus: „die bildende Kraft unseres Bergerlebens in jedem Sinne in das ganze deutsche Volk zu tragen und damit unseren höchsten persönlichen Gewinn an die Nation zur Steigerung ihrer gesamten

324 SCHMITZ-BERNING Cornelia, Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 2000, p. 654-657. 325 Zit. nach: ebd., p. 654-657.

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Lebenskraft und Führungsstärke weiterzugeben.“ Seine Gedanken zur pädagogischen Wirkungsweise des Alpinismus führt er schließlich in der Hofierungsformel der Nationalsozialisten: „Das deutsche Volk werde ein Volk von Bergsteigern“ zusammen.326

Den Schlagwort-Gedanken der Nationalsozialisten folgend, quellen auch die alpinistischen Schriftreihen förmlich über vor Beteuerungen der erzieherisch wertvollen Bedeutung und Funktion des Alpinismus, so erschien im Jahr der „Heimkehr“ der „Ostmark“ in den Mitteilungen des DÖAV unter dem nüchternen, nicht unbedingt vielsagenden Titel „Bergsteigen“ folgender, ungemein präzise ausgewiesene Bildungsauftrag: „Das Bergsteigen vermittelt uns aufs neue alte Ideale und zwingt uns durch sie in den Bann, vom Gipfel einer unerschöpflichen Ethik den Weltspiegel zu sehen. In ihm reflektieren wir nicht als lendenlahme Statisten, sondern als existenzberechtigte, weil existenzfähige Geschöpfe. Daran ist das Volk in seiner Gesamtheit nicht nur interessiert, es will und muß auch Teilhaber sein. Der einzelne wird vergehen; ein Volk jedoch hat die hohe Pflicht, solange die Welt steht, sich auf ihr zu behaupten; es kann sich nur dann behaupten, wenn nicht nur einige wenige das Vermächtnis der Natur, die höchste Lebensbejahung, in sich auf genommen haben, sondern das ganze Volk erfüllt ist vom Geist einer ewigen natürlichen Heroik. Die Existenzfähigkeit des einzelnen wie des Volkes wird aber nicht geschenkt oder gar geliehen, sie muß, so schreibt es die in diesem Falle keineswegs zarte Hand der Vorsehung vor, erkämpft werden. Das Bergsteigen schmiedet mit sicherer Hand die erforderliche Härte.“327 „Heroik“ , „Härte“ und beliebig austauchbare Synonyme sollen uns im folgenden Abschnitt noch einige unterkommen, für unsere Analyse bedeutend ist in diesem Fall eben nur die sehr ausführliche Verquickung von alpinistischer Ethik mit der Idee einer zum Existenzkampf befähigten „Volksgemeinschaft“, welche sich aus einer eng geschlossenen Kette von in alpinistischen Tugenden erzogenen Gliedern zusammensetzt. Nun gilt es diese alpinistischen „Tugenden“ im Einzelnen anzuführen und zu benennen um sie schließlich puzzelartig ins Gesamtbild des proagierten Ideals einer überlegenen „Volksgemeinschaft“ einzupassen.

An dieser Stelle sollten wir uns kurz das Kapitel über die Kameradschaftskonstituierung unter den „Bergvagabunden“, in welchem versucht wurde die Idealisierung ihrer Wertegemeinschaft zu entzaubern und die Dosis auf ein verträgliches Niveau an Realitätsvergewaltigung abzusenken, wieder vergegenwärtigen um deren Selbstzeichnung als verschworene Gemeinschaft und wahrende Wächter tugendhafter Kameradschaft unter

326 SEYSS-INQUART Arthur, Der Auftrag. In: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd. 70 (1939) p. 1-2. 327 FRH. v. ESEBECK W., Bergsteigen. In: Mitteilungen des Deutschen Alpenvereins 1938-1939, Deutscher Bergsteigerverband im NS. Reichsbund für Leibesübungen (1939), p. 34.

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Beachtung des Blickwinkels der Vereinnahmung durch die Propaganda des Nationalsozialismus zu untersuchen. Unter den „Bergvagabunden“ galt das ungeschriebene „Gesetz“ materielle Not und Entbehrung genauso wie die Gefahr am Berg gemeinsam zu überwinden und nun wurde diese „Bergkameradschaft“ auch von der Politik des Nationalsozialismus, ergo von offizieller Seite, legitimiert und „geadelt“, denn sie erkannte in der gegenseitigen Abhängigkeit bei extremen Bergtouren die metaphorische Keimzelle jener „Realität“ , welche der Nationalsozialismus als sog „Volksgemeinschaft“ zu schaffen gedachte. So posaunt das Sprachrohr der NSDAP im Vorwort des Sonderberichts zur Eiger- Nordwand folgende Botschaft an seine Leser und Leserinnen hinaus: „Und was der einzelne niemals geschafft hätte, das wird Wirklichkeit durch die Kameradschaft der vier Männer, die ihnen die Kraft gibt, allen Naturgewalten zum Trotz durchzuhalten. Und es geht, weil es gehen muß.“328 Die Darstellung des aktiven Bergsteigers Kaspareks ist in ihrer Formulierung noch stärker von der Diktion alpinistischer Romantik geprägt und klingt bedingt schwärmerischer, weniger rhetorisch: „Nicht „Ich“ war es, der den Traum zur Tat werden ließ. Und nicht „Du“ bist es. „Wir“ haben gemeinsam gekämpft und gesiegt und wollen nun gemeinsam die Freude der Erfüllung durchkosten.“329

Diesem Sinnbild der „Macht“ und „Stärke“ durch Geschlossenheit gedachte man auch im Himalaya zu entsprechen und möglichst alle der mitgereisten, deutschen Bergsteiger gemeinsam auf dem Gipfel das „Neue Deutschland“ grüßen zu lassen. So schob man die Lagerkette immer weiter hinauf und sah sich mit dementsprechend mühevollen Anstrengungen konfrontiert um eine große Zahl an Gipfelaspirant ausreichend zu versorgen ohne sich von einem besetzten Lager ins nächste kontinuierlich hocharbeiten zu können. Die Alpingeschichte erkennt genau in dieser Gemeinschaftsinszenierung die kapitale Fehleinschätzung, welche die nationalsozialistischen Himalaya-Bemühungen scheitern ließ, denn die kurzen Schönwetterfenster erlaubten schlicht keine langwierigen und zeitaufwändigen Aufstiege der gesamten Mannschaft.330 Moderner Expeditionsalpinismus im Himalaya oder Karakorum hingegen setzt auf ein dem Sauerstoffgehalt entsprechend an Zahl abnehmendes Team, das schließlich zu einer kleinen Gipfeltruppe zusammenschrumpft.

Im ideologischen Zugang zum planvoll angelegten und wie einen Feldzug strukturierten Expeditionsbergsteigen wird aus der Perspektive der alpinhistorischen Warte gerne die Parallele zu Vernichtungsschlachten im Ersten und Zweiten Weltkrieg gezogen. In der

328 HECKMAIR Andreas, „So wurde die Eiger-Nordwand bezwungen“. In: „Völkischer Beobachter“ vom 31.07.1938, p. 10. 329 KASPAREK, Ein Bergsteiger, 1939, p. 200. 330 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 152 und MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 154, 167.

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Beschwörung einer unnachgiebigen „Bestürmung“ von „feindlichen Stellungen“ sieht man sich an die vergeblichen Versuche Verdun dauerhaft einzunehmen erinnert und der starrsinnige Aufruf mit unbeirrbarem „Willen“ dem Berg keinen Schritt nachzugeben, wenn es auch noch so große Opfer fordern mag, nimmt die Durchhaltebefehle der in die Defensive geratenen deutschen Armeen im Osten Europas vorweg.331 Hans Schwanda, das ehemalige Mitglied der Naturfreunde, schreibt beispielsweise: „Die Härte der Berge muß wieder mit Härte bekämpft werden, und das Motto „Du mußt“ wird eherner Grundsatz.“332 Anzunehmen dieser „Grundsatz“ sei ausschließlich ein Produkt der alpinistischen Ideologie des deutschen Berglied-Barden wäre um einiges zu kurzgegriffen, vielmehr scheint es sich hier um einen Gemeinplatz in der Wahrnehmung des Alpinismus zu Zeiten des Nationalsozialismus zu handeln, womit auch aus dem Blickwinkel der NS-hörigen Alpinisten eine Wende des alpinistischen Verständnis einhergehen musste: „Einmal gab es eine Zeit, da waren sie [die Berge] rein ästhetische Anschauungsobjekte für harmlos wandernde Naturschwärmer, später wurden sie Gegenstand eines kraftvoll frohen, aber immer noch leichtbeschwingten Sportes - der heutigen Jugend sind sie Gegner in einem unerbittlichen Kampf geworden, der ausgefochten werden muß, wenn er einmal begonnen wurde.“333 Gustav Renker spricht hier von einem Kampf der keinen Rückzug kennt, sondern nur die Totalität eines uneingeschränkten Triumphes oder eines zukunftslosen Untergangs. Die geistig-moralische Voraussetzung dieser Erzwingbarkeit eines notwenigen Ergebnisses liegt allerdings immer im „Willen“ bzw. der „Willenskraft“ der jeweiligen Akteure am Berg, die sie befähigt selbst scheinbar unüberwindliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen: „Aber die Jugend scheint das Wort „unmöglich“ aus dem Wörterbuch gestrichen zu haben. Hier ist der Wille und dort ist der Weg!“334 Kasparek spricht hier über die zwei ersten Opfer der Eiger- Nordwand Sedlmayr und Mehringer, bezieht seine Aussage aber wohl auch auf sich selbst in seiner Funktion als nunmehriger Erstbegeher. In dieselbe Kerbe schlägt auch Leopold Brankovsky, der mit Fraißl gemeinsam jenen glücklosen Versuch in der Eiger- Nordwand unternommen hatte und dann doch der Seilschaft Heckmair-Vörg das Feld überlassen musste, wenn er die Unaufhaltsamkeit des „Vorstoßes“ auf den letzten Metern zum sturmumtosten Fischerhorn- Gipfel in seiner unbeugsamen Durchsetzungsfähigkeit würdigen will: „In verbissener Wut schlugen wir uns die letzten Meter durch. Mit allen Mitteln, allen Schikanen hatte uns die Wand, der Berg bedacht. Aber deutscher Bergsteigerwille ist unbezwingbar.“335 Sein späterer

331 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 172. 332 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 143. 333 KASPAREK, Ein Bergsteiger, 1939, p. 12. 334 Ebd., p. 204. 335 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 128.

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Konkurrent um die Eiger-Nordwand, Heckmair, sieht es genauso, wenn er über die Notwendigkeit einen eingeschlagenen Weg ohne Umkehrmöglichkeit ausgehen zu müssen sinniert und den Imperativ der Erzwingbarkeit von scheinbar Unmöglichem verinnerlicht die Devise ausgibt: „Unmöglich diesen Überhang zu nehmen. Unmöglich? Wir sind schon zu weit oben in der Wand. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Wir müssen durch- wir müssen!“336 Am überzogensten und realitätsfremdesten, im selben Augenblick aber doch ungemein bezeichnend scheinen mir die von Kurt Maix einem siebzehnjährigen Nachwuchsalpinisten in den Mund gelegten Worte: „Schau, Kurt, ist es nicht herrlich, daß wir hier in der Wand sitzen und wissen, daß uns nur die eigene Willenskraft helfen kann, daß wir wirklich kämpfen müssen gegen unsere Schwäche und die eigene Feigheit.“337 Maix verfasst dieses Lob auf den während der Phase der Illegalität aktiven Nationalsozialisten Willhelm Gärtner, den aber vermutlich auch seine „Willenskraft“ sein junges Leben kosten wird, denn in der darauffolgenden Klettersaison stürzt er tödlich ab. Auch in Stalingrad wird man angeblich keine „Feigheit“ kennen und blind wie ein ahnungsloses Kind mit als „Willenskraft“ geschminktem Fanatismus untergehen. Nicht unbedeutend in Hinblick auf die Manipulier- und Steuerbarkeit von massentauglichen Ideologien ist in diesem Zusammenhang der Adressatenkreis jenes Werkes, in welchem der eben zitierte Ausschnitt erschienen ist, war es doch als Kinderbuch konzipiert und hat dementsprechend die Absicht jene Leser zu erreichen, welche ein besonders großes Identifikationspotential mit dem „willensstarken“ Gymnasiasten aufwiesen.

Bisweilen mag der Wille wohl mehr als nur sprichwörtliche Berge versetzen können, eine Lebensversicherung stellt er jedoch zweifelsohne keineswegs dar, vielmehr liegt in der Evokation außergewöhnlicher moralischer Standhaftigkeit im Angesicht ebenso außergewöhnlicher Gefahren die Begründung des hohen „Blutzolls“ deutscher Bergsteiger in ihren „Schicksalsprojekten“ begraben. Aus dem Imperativ des disziplinierten Durchhaltewillens in Kombination mit der Beschwörung von Einheit und Zusammenhalt unter den Bergsteigern erwächst insbesondere in Bezug auf den Nanga Parbat und die Eiger- Nordwand die Notwendigkeit der „Sühne“ von verstorbenen „Kameraden“, um deren Hingabe nicht nichtig scheinen zu lassen. Nicht müde wurden die besten Bergsteiger ihrer Zeit in auflagenstarken Schilderungen der waghalsigsten Unternehmungen die innere Verbundenheit jenen „Kameraden“ gegenüber zu betonen, welche ihnen glücklos aber schicksalhaft vorangegangen waren, und sich als Bewahrer ihres Andenkens in Szene zu

336 HECKMAIR Andreas, „So wurde die Eiger-Nordwand bezwungen“. In: „Völkischer Beobachter“ vom 31.07.1938, p. 10. 337 MAIX Kurt, Bergler, Bauern, Kameraden. Wien 1941, p. 104.

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setzen um ihr alpinistisches Schaffen als Fortführung des für höhere Ziele eingeschlagenen Weges zu dramatisieren. Vörg thematisiert nach allen Regeln literarischer „Kunstfertigkeit“ in einem Zirkelschluss das hingebungsvolle Sterben seiner Vorgänger am Eiger und entrichtet den Obolus an den Fährmann um die gescheiterten Vorgänger auf die seligen Gefilde des alpinistischen Erinnerungskultes über zu setzen: „Wir wußten, es musste nun etwas geschehen, das den Einsatz und das Opfer dieser Kameraden rechtfertigte.[...] Einmal muss der Tod so vieler Kameraden gesühnt werden.“338 Heckmair ist sogar zum Zugeständnis der Sinnlosigkeit des Sterbens der bisherigen Eiger-Kandidaten bereit, sofern sich nicht jemand findet, der dieses Wagnis erneut versucht und erfolgreich zu Ende führt: „Die Eiger- Nordwand soll nochmals gestürmt und hoffentlich dieses Mal besiegt werden. Zu groß ist die Zahl der Opfer, die nicht umsonst gewesen sein dürfen.“339 Grundsätzlich schwingt auch hier die Annahme durch das allgemeine Ziel einer großen Gemeinschaft zu verfolgen, wo bei, wie Fraißl es formuliert hat, die „Namen sekundäre Bedeutung“ haben. So ist es nicht nur das Opfer des Einzelnen aus individuellem Antrieb, es ist ein Opfer für das „Wohl der Gemeinschaft“, die nun Sorge tragen muss, diese Selbstopferung zu würdigen und ihr einen Sinn zu verleihen. Mit selbigem Prozedere begegnete man auch dem zweimaligen „Massensterben“ am Nanga Parbat, denn den fanatischen Bergsteigerkreisen war naturgemäß sehr daran gelegen, keine Zweifel an der Bedeutung ihres todbringenden Lebenszieles aufkommen zu lassen und der nationalsozialistischen Propaganda bot es eben Anlass die Bevölkerung auf die unvermeidlichen, angeblich schicksalsbestimmten Opfer und Entbehrungen einzuschwören: „Das treue Festhalten an dem Ziel ist für uns alle eine innere Selbstverständlichkeit, die Fortsetzung des Kampfes um den Berg ein Vermächtnis des toten Kameraden, der selbst keinen Augenblick gezögert hätte, wenn einen anderen von uns das Schicksal gefällt haben würde.“340 So ist es also eine Ehrensache für den gefallenen „Kameraden“ sozusagen in die Bresche zu springen und die Fahne weiterhin hochzuhalten, doch das am Nanga Parbat noch freiwillig und ohne äußeren Zwang bewegte Schaffen im „Dienst der Heimat“, obgleich sie noch so gerne von „Einberufungen“ etc. schwadronieren, sollte in allzu naher Zeit für viele der mehr oder minder wehrfähigen Männer die Konsequenz der nationalsozialistischer Kriegstreiberei werden.

Über den Soldaten zum Helden Das wohl ursprünglichste Muster der Erziehung findet man vermutlich in der Aneignung von Fähigkeiten durch Nachahmung bewährter Verhaltensweisen oder Handlungsschemen. Über

338 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREK / HARRER, Um die Eiger-Nordwand, 1938, p. 33, 45 339 Ebd., p. 47. 340 BECHTOLD Fritz, Deutsche am Nanga Parbat. München 1940, p. 43.

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dieselbe Verfahrensweise sollten nun auch alpinistische „Härte“ etc. sukzessive in das angehende „Volk von Bergsteigern“ einsickern, denn kaum ein Vorwort oder sonstiger Kommentar eines auch nur indirekt ins alpinistische Geschehen involvierten Verfassers lässt die Betonung der imitationswerten Vorbildwirkung der Alpinisten vermissen und führt meist auch einen textübergreifend weitgehend uniformen Katalog diverser zu erlernender Eigenschaften an. Besonderes Augenmerk auf diese über den Tod hinauswirkende Vorbildwirkung legen aber die Verfasser der zahlreichen Gedenkschriften und Nachrufe auf die populärsten Bergtoten. Außerdem gewinnt man meist den Eindruck erst der Bergtod als Demonstration der Opferbereitschaft empfiehlt einen Alpinisten für diese posthume Würdigung und Ehrung, aus welcher die „Volksgemeinschaft“ ihren Nutzen ziehen soll, womit wir auch schon wieder bei der notwendigen „Sühne“ für die vorangegangenen „Opfer“ eines „hehren“ Zieles angelangt sind. So bedauert der Reichssportführer zwar das Sterben der „Helden“ vom Nanga Parbat, lässt sich jedoch nicht seinen Optimismus nehmen und kann dementsprechend auch dieser Situation etwas „Positives“ abgewinnen: „Ich weiß, daß sie Deutschland nicht verloren gegangen sind, weil ihr Vorbild kämpferischer Haltung die deutsche Jugend zu jedem edlen Kampf entzündet.“341 Auch Maduschka hat sein Leben nicht umsonst verhaucht, denn das ihm zum Andenken herausgegebene Werk ist mit einem sehr präzisen Auftrag erschienen: „Hier wollen wir das Leben aufzeigen, das niederstieg aus der grausamen Wand der Civetta: Hier ist der ewig junge, ewig lebendige „Junge Mensch im Gebirg“. Das ist das andere Bach, das Buch: In Exemplum. [im Gegensatz zur laut dem Herausgeber zweiten Zielsetzung des Buches: „In Memoriam“, sprich das persönliche Gedenken des Menschen Maduschkas, nicht des Vorbildes.] Es wendet sich an die Lebenden – die immer recht haben – an die Jugend, die der lauteste Pulsschlag des Lebens ist.“342 Adressat all dieser exemplarischen, vorbildlichen Lebensentwürfe ist nahezu ausnahmslos und explizit erwähnt die Jugend, welche als Stützpfeiler der Erneuerung Deutschlands fungieren soll. So schreibt auch Gauleiter Friedrich Rainer über das Wirken der Bergsteiger: „Es ist zugleich ein Denkmal vom kämpferischen Geist des deutschen Volkes errichtet, an dem unsere Jugend Vorbild und Ansporn gewinnen kann.“343 Der „kämpferische Geist“ gilt den Nationalsozialisten wohl als die alpinistische Kardinaltugend schlechthin und darf auch als Überbegriff, unter welchem sich grundsätzlich alle „ethischen“ Teilaspekte subsumieren lassen, gelesen werden, denn gemeinsam haben sie alle eine martialische Komponente. Eben genannter Gauleiter meint die "Begnadung eines kämpferischen Lebens“ sei bereits „in der

341 Ebd., p. 8. 342 MADUSCHKA, Junger Mensch im Gebirg, p. IX. 343 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 6.

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Gilde der Bergsteiger gelebt“ worden, „ehe der junge Nationalsozialismus seine Forderung erhob“ und wähnt „das bewußte Aufsuchen von Gefahr und Entbehrung zur Stählung und Läuterung von Körper und Seele“ neben dem „freudigen Einsatz des Lebens für ein selbstloses ideales Ziel“ als die Grundzüge des nationalsozialistischen Daseins.344 Derselben Meinung war augenscheinlich auch der „Reichsportführer“, denn er schreibt im Hinblick auf die „Sinnhaftigkeit“ der deutschen Himalaya-Bemühungen und seine großzügige, materielle Unterstützung: „Ich habe dies mit umso stärkerer Überzeugung getan in dem Wissen, daß im Kampf um den letzten unbetretenen Scheitelpunkt der Erde die vornehmsten Mannestugenden zum Einsatz kommen, wie: Einordnung in den soldatischen Geist der Gemeinschaftsleistung und Kameradschaft, Kampfesmut und selbstlose Hingabe an das Ziel.“345 Der Staatssekretär Kleinmann ergänzt diesen Kanon der Werte mit der „Vaterlandsliebe“ und der „Treue bis in den Tod“.346 So sind es also neben der bereits besprochenen „Kameradschaft“, dem „Gemeinschaftssinn“ und der „Willensstärke“ vornehmlich Attribute wie „Mut“, „Ausdauer“, „Härte“ und insbesondere die Unempfindlichkeit gegenüber der eigenen Vergänglichkeit, welche den nationalsozialistischen Alpinisten auszeichnen sollen, es sind aber auch dieselben Eigenschaften, die einem Soldaten im Feld zugeschrieben werden.347 Über die Aufzählung von derartigen Parallelen mischt die NS-Propaganda ein Bild, in welchem Bergsteiger und Soldat allmählich verschwimmen und nicht zufällig in ihren wesenseigenen Konturen mit fortschreitenden, immer drückenderen Kriegsaufwendungen stetig unschärfer werden. Fest verankert ist dieses Gleichnis im Bewusstsein Paul Bauers, der sich trotz des „pazifistischen“ Grundtenors der Zwischenkriegszeit nicht der verführerischen Macht eines illusorischen Wunschbildes zu entziehen vermag: „Wie wir am Morgen des 18. August so über die Grünseeebene gingen, 6 Mann im Tropenhelm, mit dem Pickel unterm Arm, das sah sehr nach Vormarsch aus, es sah aus, als ob die Infanterie zum Angriff vorginge, und meine alte Soldatenseele konnte nicht anders, - wenn der Krieg auch feierlich geächtet ist, - sie mußte sich freuen.“ 348 Wie Bauer sieht sich auch Kurt Maix beim Anblick des furchtlos kletternden, siebzehnjährigen Wilhelm Gärtners an angeblich ganz andere Zeiten und „Sitten“ erinnert: „Es fielen mir alle Siebzehnjährigen ein, die keine Kinder mehr sein durften, die Männer sein mußten, eisenharte, pflichtbewußte Männer, die wußten von Not und Tod und opferbereiter Kameradschaft - die jungen Soldaten des Weltkrieges. So wie diese, wie die Jugend von Langemarck, wie diese blutjungen Helden, die im ärgsten Kampf angesichts des Todes noch

344 Ebd., p. 6. 345 BECHTOLD Fritz, Deutsche am Nanga Parbat, 1940, p. 8. 346 Ebd., 1940, p. 10. 347 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 138. 348 BAUER Paul, Im Kampf um den Himalaya. München 1931, p. 72.

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singen und lachen konnten – so sah Willi Gärtner aus.“349 Maix evoziert hier im Zusammenhang mit der charakterlichen Beschaffenheit der Jugend konkrete, im kollektiven Gedächtnis Deutschlands tief verwurzelte Ereignisse des Ersten Weltkrieges und geht den eingeschlagenen Weg einer Parallelisierung bis Gleichsetzung des Alpinismus mit dem Militarismus über die Bezugnahme auf den Mythos von Langemarck konsequent zu Ende. Beide, Bauer und Maix, sehen sich nicht mehr mit Bergsteigern sondern Soldaten konfrontiert, fast schon trugbildartig nehmen die persönlichen Vorstellungswelten die „Realität“ in Besitz und formen sie nach eigenem Belieben und Gutdünken.

Über die Vorbildwirkung eines alpinistischen Lebensentwurfes, der sozusagen ideellen Vorschub leistete und die Brücke zum „Dienst am Vaterland mit der Waffe“ schlagen sollte, führte der Weg zur „rhetorischen“ Vorbereitung auf den Krieg. Im Unterschied zu den eben abgezogenen Textstellen über die „Ausbildung“ diverser, militärischer Tugenden sind die folgenden Ausführungen des „Reichssportführers“ nicht mehr an einen konkreten Anlass des nationalsozialistischen Prestigealpinismus gebunden oder zielen im Vorwort auf eine Würdigung und eine Akzentuierung der „vorbildlichen Verdienste“ der elitären Alpinisten ab, sondern sind allgemein und bezugslos gehalten und lassen sich somit auch nicht mehr als verbales Blendwerk oder rein propagandistische Stimmungsmache betrachten: „Vom Bergsteigen dürfen wir sagen: es ist unter den Leibesübungen besonders wertvoll für den Krieg: einmal als die ewige Quelle, aus der den Menschen Freude und Kraft, Entspannung, Erholung und Gesundheit zufließen. Zum andern als die vollendetste und gleichzeitig einzigartige Möglichkeit, Mut und Willen zur Einsatzbereitschaft zu üben und Härte und Kraft, Kameradschaft und Treue als höchste Mannestugenden täglich in einer Weise wieder zu erproben, die uns zu jeglichem Einsatz fähig, bereit und geeignet macht.“350

Inhaltlich lässt sich keinerlei Gegensatz oder auch nur eine Erweiterung gegenüber den bisher aufgezählten soldatischen Eigenschaften des Alpinismus ausfindig machen. Die abgezogene Textstelle zeichnet sich alleine durch die Allgemeingültigkeit der charakterbildenden Kriegsvorbereitung im Alpinismus aus, welche unmittelbar zu konkreten Schritten einer Verfügbarmachung und Mobilisierung von Bergsteigern jenseits der extremen Leistungsgrenze überleitet. Ich zähle es nicht zu den primären Aufgabenstellungen dieser Arbeit den militärischen „Verdienst“ von Alpinisten an der Front im Einsatz für das Hitlerregime präzise nachzuweisen, deswegen wollen wir hier nur wenige Worte aber kaum

349 MAIX Kurt, Bergler, Bauern, Kameraden. Wien 1941, p. 94. 350 KNÖPFLER R., Bergsteigen und totaler Krieg. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (1942/43), p. 65.

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Zeit verlieren. Wichtigster Ansprechpartner in diesem Zusammenhang war naturgemäß der bereits im Ersten Weltkrieg an vorderster Front tätige Alpenverein, der auch offensiv unter seinen Mitgliedern für eine Meldung zu den Gebirgstruppen geworben hat: „Bergsteiger, Schiläufer des Alpenvereins! Die junge großdeutsche Gebirgstruppe rechnet auf euch; ohne euren begeisterten Einsatz kann sie die von unserem geliebten Führer und Obersten Befehlshaber gestellte stolze Aufgabe nicht erfüllen!“351 Auch Seyß-Inquart, eben zum „Führer des Deutschen Alpenvereins“ bestellt, lässt keine Zweifel an der neuen Ausrichtung der Organisation: „Der Alpenverein betrachtet es als eine seiner überragendsten Zielsetzungen, den Gebirgstruppen des Heeres einen körperlich geeigneten und bergsteigerisch vorgebildeten Nachwuchs zuzuführen. Auch unter diesem Gesichtspunkt soll unsere Arbeit an der Jugend betrachtet werden.“ und streckt der alpinistisch versierten Jugend auch die Hand entgegen um die Möglichkeit zu ergreifen, die oben aufgezählten, im Zuge der Bewegung am Berg erworbenen militärischen Anlagen im Sinne des Staates und zum eigenen wie zum Wohl des Staates nutzbar zu machen: „Der Dienst in der Gebirgstruppe stellt außerordentlich hohe Anforderungen, die erfüllen zu können der Stolz jedes jungen deutschen Bergsteigers sein soll. Es erscheint mir selbstverständlich, daß ein junger und entsprechend geeigneter Bergsteiger seinen Wehrdienst dort ableisten will, wo er auch schwierigste und höchste Leistungen am besten und freudig erfüllen kann“.352

Tatsächlich wurde die Zusammenarbeit von Alpenverein, Hitlerjugend und Wehrmacht forciert, wenn auch keine der Parteien Interesse hatte an Einfluss einzubüßen und es dementsprechend nicht unbedingt ein reibungsloses Zusammenarbeiten war. Die Gebirgstruppen jedenfalls waren an allen deutschen Fronten zu finden und wurden zu den Eliteeinheiten gezählt, die sich auf den Kampf in schwierigem Terrain verstanden.353 Sie waren sowohl am Überfall auf Polen wie an der Besetzung des Hafen Narvik beteiligt, kämpften beim Einmarsch in Frankreich, zogen eine Spur der Verwüstung durch den Balkan, erkletterten nicht unbedingt zur Freude ihres „Führers“ den Elbrus im Kaukasus und waren ebenso an der Eroberung Kretas beteiligt. Kommandiert werden sie mitunter von der alpinistischen Prominenz jener Tage, so steht auch Paul Bauer als Major der Reserve wieder an der Front wie an der Spitze eines Hochgebirgsjäger Bataillons und führt ganz im Sinne seines Himalaya-Wunschbildes seine Soldaten in den Gebirgskrieg. Ein Flankenangriff unter seinem Kommando in eine auf 3488 Metern gelegene Scharte zur Eroberung des tiefer

351 Bericht über die 65. (2.) ordentliche Hauptversammlung des Deutschen Alpenvereins am 30. Juli 1939 in Graz. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (1939/40), p. 13. 352 Ebd., p. 9-10. 353 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 152.

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gelegenen Maruchsjkoy-Passes wird auch von der Propaganda weidlich zur Rühmung der Befähigung der Alpinsoldaten ausgeschlachtet.354 Nicht unerwähnt bleiben sollte hier sein ebenfalls in militärischen Diensten bei den Gebirgstruppen stehende Bayerland-Kollege Eduard Dieltl, allerdings als Generaloberst in der Befehlskette weit über dem erfahrenen Expeditionsleiter rangierend. Seit den frühen Zwanzigerjahren Parteimitglied der NSDAP, war er ein entsprechend glühender Verfechter nationalsozialistischer Ideale und später auch an Kriegsverbrechen in Feldstraflagern beteiligt.355 Der Großteil der in dieser Arbeit näher behandelten Spitzenalpinisten wird ebenfalls einberufen, doch obwohl sie angeblich alle in den Jahren des Friedens den Krieg in den Bergen suchten, finden sich sehr viele in den diversen militärischen Ausbildungsstätten in weiter Ferne zur Front wieder und sind mit dieser glücklichen Fügung des Schicksals, die sie wohl wie vor dem Bergtod nun auch vor dem Sterben auf dem Schlachtfeld bewahrt, sehr zufrieden. Doch wollen wir diese Diskrepanz zwischen propagandakonformen Lippenbekenntnissen und aufrichtiger aber innerlicher Überzeugung erst im letzten Kapitel etwas präziser behandeln. In der propagandistischen Aufbereitung des Alpinismus wurde jedenfalls das seit dem Ende des Ersten Weltkrieges grundsätzlich populäre Bild des kämpfenden Bergsteigers nach einer kurzen Phase der pazifistischen Besinnung unter der Pinselführung des Nationalsozialismus beständig detaillierter, konkreter und plastischer bis es schließlich gestaltgeworden seinen engen Rahmen der Rhetorik und Metaphorik sprengte um aus der kriegskonservierenden Landschaft der Berge hinabzusteigen in die ehemals friedlichen, bald brennenden und „blutenden“ Täler.

Der Militarisierung der Gesellschaft im Allgemeinen und der alpinistischen Szene insbesondere trägt auch die sprachliche Gestaltung ihrer Literatur Rechnung. Auch die noch weitgehend unpolitische Szene der „Bergvagabunden“ kannte die Nähe zu kriegerischer Ausdrucksweise, so sprach Ertl von „Fahnenflucht“, wenn man aus der Höhe ins Tal absteigt, oder Maduschka fürchtet sich vor „den Treffern von Kanonaden und Salven an Steinen“ und die Generation der sog. „Führerlosen“ bewegte sich ebenso selbstverständlich auf schwierigen Graten und Anstiegen wie auf den Pfaden der zu ihrer Zeit bereits traditionell martialischen Diktion. So vergleicht schon Lammer das alpinistische Treiben mit der „Einberufung“ diverser Fähigkeiten zum „Kriegsdienst“, obwohl er sich an anderen Stellen mehrmals negativ über den „frevlen Krieg“, der die Besten um Nichts ins Nichts risse und

354 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 163-164. 355 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 94.

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seiner pazifistischen Überzeugung wegen von rechten Kreisen angefeindet wurde.356 So irrt man wohl nicht vollkommen in der Annahme, Friedfertigkeit im Herzen und Soldatenjargon auf den Lippen würden sich in einem Leib fügen. Im Zeichen des Hakenkreuzes wird jedoch nahezu jede Bewegung am Berg in die Begrifflichkeiten militärischen Sprachgebrauches gekleidet und der Alpinismus seiner eigenen Ausdrucksformeln beraubt bis die Konturen seines Wesens förmlich vor dem in denselben Farben und Mustern gehaltenem Hintergrund eines Schlachtengemäldes in die Unkenntlichkeit verschwinden. Besonders die generalstabsmäßig geplanten „Feldzüge“ in den Himalaya bieten sich für diese verbale Infiltrierung an, denn dort „zieht Willy Merkl mit der Streitmacht an der Spitze“ und der „große Aufmarsch“ weiß eine „tüchtige Nachhut in seinem Rücken“. Selbst wenn das Wetter den noch so idealistischen Bergsteigern ihre Lust am Berg verdirbt, üben sie sich in soldatischer Pflichtgehorsamkeit: „Es ist kein Vergnügen, bei dem Sauwetter den Nanga anzugehen. Aber Befehl ist Befehl.“ Am Berg „starten dann Drexel und Wieland angriffslustig zur Verstärkung des Vortrupps“ und „unaufhörlich rollt der Salut der krachenden Lawinen“ bei Drexels Begräbnis. Doch all die Opfer werden vergeblich sein und die zurückkehrende Gipfelmannschaft wird als erstes verkünden müssen: „Der Gipfel ist nicht gefallen.“357 Drei Jahre später bringt Hans Hartmann in seinem Tagebuch, sprich nicht in einem für die Öffentlichkeit bestimmten Medium, sondern einer privaten Aufzeichnung, seine Gedanken zu Papier und spricht von einer „Belagerung“ des Berges, von „Rückendeckung“ und „Gipfelsturm“. Der Berg erscheint auch ihm als der mit einer „Persönlichkeit“ versehene Widersacher, welcher ganz bewusst alle ihm zu Gebote stehenden Mittel gegen die aufsteigenden Alpinisten in die „Schlacht“ wirft : „Er [der Berg] hat uns schon am Anfang harte Arbeit gegeben. Schnee und Kälte - das sind die Waffen des Nanga, die er gegen uns führt. Früher und schärfer als 1932 und 1934 setzt er diese Waffen ein – und er führt sie nach einem uns unbekannten Gesetz. Wir wollen diesen Kampf freudig annehmen! Denn uns gilt der Kampf mehr als ein leichter Sieg. Und den Berg werden wir am meisten lieben, um den wir am härtesten gekämpft!“358 Allerdings passen sich auch die „Paradevertreter“ der „Bergvagabundenszene“ den sprachlichen Gegebenheiten der „neuen Zeit“ an und Heckmair schreibt bewusst von der „Schlüsselstellung“ in der Wand, nicht der, wie es sonst üblich ist, „Schlüsselstelle“.359 Um noch eine weitere Stilblüte zu zitieren, seien hier auch noch Kaspareks Eindrücke vom „Sterben“ der erste zwei Eiger-Nordwand Versuche

356 WALKNER, Moderner Alpinismus, 1996, p. 292 und LAMMER, Jungborn, 1929, p. 210, 218. 357 BECHTOLD Fritz, Deutsche am Nanga Parbat, 1940, p. 18, 20, 21, 34,40, 54. 358 HARTMANN Hans, Ziel Nanga Parbat, 1942, p. 75, 82. 359 HECKMAIR Andreas, „So wurde die Eiger-Nordwand bezwungen“. In: „Völkischer Beobachter“ vom 31.07.1938, p. 10.

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wiedergegeben. Da umbläst schon mal „kalter Nordwind die eisgepanzerten Gipfel und Grate“ und „unablässig bestreichen schwere Steinschläge die Wand“. Doch gerade als man meinte, das Unterfangen könne tatsächlich gelingen: „begann der Berg seine Waffen auszukramen. [... ] Einen nach dem anderen vernichtete der Berg durch Kälte oder Steinschlag.“360 Bedeutend im Zusammenhang der Verknüpfung von Alpinismus und Kriegsführung unter Einbindung diverser Termini strategischer Planung ist auch die Perspektive Gustav Renkers auf das moderne Bergsteigen: „Wenn wir in diesem Buche von dem Ringen um ein paar Meter mit dem Einsatz von Stunden lesen, wenn wir von diesen, uns Älteren fast unbegreiflichen Beiwachtnächten, angehängt in Seile und Trittschlingen an glatter Wand, erfahren, von diesen seltsamen Verbindungen menschlicher Kühnheit mit metallischer Technik, dann ist es nicht nur die Bergsteigerei, von welcher wir erfahren, sondern aus ihr spricht der Geist unserer Zeit und ihrer dämonischen Verbindung von Mensch und Maschine.“361 In diesem Fall wird der Konex zwar nicht über die Adaptierung fremder Begriffe und sprachlicher Bilder hergestellt, der Zugang ist jedoch an und für sich ident, wird doch nach Parallelen und Übereinstimmungen, in diesem Fall taktischer Natur, gesucht, welche die Gleichartigkeit und die Verwandtschaft der beiden Disziplinen aufzeigen sollen. Gerade im Kontext der nationalsozialistischen Kriegsführung in der Frühphase des 2. Weltkrieges scheint mit die Hervorhebung des gelungen Zusammenspiels von „Mensch und Maschine“ am Berg als Symbol der militärischen Durchschlagskraft Deutschlands kaum überinterpretiert. So wird abseits der vorgeblichen Entsprechung von alpinistischer Pädagogik mit militärischem Drill und Ausbildungswesen durch die Konstruktion einer alpinistisch- militärischen Synonymik und die Einschreibung eines gleichgearteten taktischen Repertoires über propagandistische Kanäle eine Interpretationsvorlage transportiert, in welcher Bergsteigen und „Waffendienst“ im selben Lichtkegel auf der sonst sehr düsteren Bühne vorgestellt werden.

Der Weg vom Soldaten zum Helden schließlich führte, wie oben zumindest im Fall des Bergsteigers bereits angeklungen ist, zumeist über den Friedhof. Hans Schwanda setzt sich unter dem programmatischen Titel „Heldentum und Tragik im Alpinismus“ näher mit dieser expliziten Thematik des „heroischen Alpinismus“ auseinander. In seiner Grundthese stellt er als die Prämisse der Heroik die erfolgreiche Umsetzung eines höheren, ideellen Zieles oder den „tragischen“, weil in moralischen Kategorien gemessen unverdienten Untergang auf. Im Hinblick auf den Alpinismus besitzt das ehemals in der sozialistisch orientierten

360 KASPAREK, Ein Bergsteiger, 1939, p. 204-205. 361 Ebd., p. 12.

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Bergsteigerszene eingeordnete Naturfreundemitglied sehr präzise Vorstellungen von Heldenhaftigkeit: „So sind es vorwiegend die großen bergsteigerischen Ziele, die letzten Probleme der Alpen, der Kampf um die höchsten Berge der Welt, die uns in atemberaubender Spannung den Kampf unserer Helden miterleben lassen, und die allgemeines Weltinteresse erregen. Der Kampf darf nicht frivol und leichtfertig geführt werden, sondern muß von einer inneren Notwendigkeit diktiert sein, auch dann, wenn diese Notwendigkeit „nur“ idealen Ursprungs ist und die Ausführung der Tat „bloß“ zum Ansehen der Nation beiträgt.“362 Schwanda spricht hier ganz eindeutig von einer Art politischem Auftrag, der an den Alpinismus ergeht, wenn er zum „nationalen Ansehen“ beitragen soll. Neben dieser nach außen gerichteten Wirkung, besitzt der Alpinismus jedoch auch eine nach innen wirkende, plastischere Bedeutung, denn unter Beachtung gewisser, uns nunmehr hinlänglich bekannter, alpinistischer Attribute wie Mut, Kämpfergeist, Härte, Selbstdisziplin etc. spielt Schwanda ein weiteres Mal den offensichtlich ewig junge Doppelpass zwischen Alpinismus und Martialik durch die Beine des angeblichen Zwischenkriegspazifismus: „Gerade in ruhigen, unkriegerischen Zeiten, in einer Zeit, wo aller kraftvolle, jugendliche Stürmergeist zu versiegen droht, sind die Berge der ewige Jungbrunnen, aus dem die Nation ihr Heldentum schöpft.“, und schließt schlussendlich mit den Worten: „So ist die Ersteigungsgeschichte der Berge wie ein einziges Heldengedicht, reich an Männermut und erhabener Tat und freilich auch an Tragik. Möge die Jugend daraus lernen! Glücklich ist das Volk, dessen Söhne sich für Heldentum und Tragik begeistern, denn in dieser edlen Begeisterung liegt die Kraft und die Stärke der Nation.“363 Genau in dieser „Kraft und Stärke der Nation“ liegt der Nukleus einer, aus dem nationalsozialistischen Blickwinkel betrachtet, ideellen Zielsetzung, für welche Alpinisten wie Soldaten in den Kampf ziehen, sofern sie sich für eine (posthume) Verehrung als „Held“ zu empfehlen gedenken. Nur ist es nunmehr nicht mehr der Idealismus am Berg, für den sie ihr Leben geben sollen, sondern die neue Motivation wird mit Begriffen wie „Vaterland“, „Heimat“ etc. betitelt. Kasparek sprach oben bereits im Zusammenhang mit der alpinistischen Leistung in der Eiger-Nordwand von einem „Scherflein zum nationalen Wiederaufstieg“ und gleicher Meinung ist auch Otto Schutovits, Gaufachwart für Bergsteigen im Reichsgau Wien, wenn er im Ersteigen von Höhenmetern im Schatten von Fels und Stein ein Sinnbild auf die Rückkehr des nationalsozialistischen Deutschlands in den Kreis der Großmächte erblickt: „Hart und steil, nur mit gewaltigen Anstrengungen der Natur abzuringen sind die Wege, die den Bergsteiger von dem lichtlosen Talboden über Fels und Eis der Berge zur Höhe bringen, aber sie müssen erzwungen werden, soll die Sehnsucht nach

362 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 142. 363 Ebd., p. 142- 143.

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Licht ihre Erfüllung finden. Unser ganzes Volk will nach schwerer Notzeit auf dem Wege vielfältiger Arbeit zum Lichte gelangen, doch auch hier erfordert der Weg große Mühe und harten Kampf. Auf diesem Wege sind unsere erfolgreichen Bergsteiger körperlich und geistig gestählt durch ihren steten Kampf mit den Gewalten der Berge, berufen sich in die erste Reihe zu stellen bei der gemeinsam zu leistenden Arbeit, der Schaffung eines mächtigen Großdeutschland.“364

Die Voraussetzung dieses nationalen Gipfelgangs ins Licht und der „Schaffung eines mächtigen Großdeutschlands“ bestand vermeintlich in der Opferbereitschaft des Einzelnen für ein dem Individuum übergeordnetes Ziel, welches ihn zum „Helden“ adeln sollte. Mag auch die faktische Opferung nicht unbedingt in letzter Konsequenz notwendig sein, räumt sie jedoch in ihrer unleugbaren Offensichtlichkeit alle Zweifel an der tatsächlich notwendigen Bereitschaft aus. Dieser fatalistischen Heroismus im „Dienste der Nation“ wird besonders stark in der von der Propaganda übergestülpte Zielsetzung der Himalaya-Versuche sichtbar, weil auch dort werden die Teilnehmer als Soldaten im Kampf für ein edles Ziel beschrieben, die posthum zu Helden werden sollten: „Willy Merkl spricht am Grabe. Er meißelt mit kurzen Worten das hohe Ziel heraus, um das Alfred Drexler gestorben ist und sagt, daß sein Tod eine große Lücke in unseren Kreis geschlagen hat. Er führt unsere Gedanken in die Heimat zu den tieftrauernden Eltern und wieder zurück zum Nanga Parbat, um den wir weiterkämpfen wollen, ganz im eisernen Kampfeswillen unseres Toten. So reißt er unseren Geist empor in höhere Regionen und gibt dem letzten Gang des Kameraden den entschlossenen Sinn eines Soldatenbegräbnisses. Nach ihm spricht Konsul Kapp als Kamerad und Vertreter Deutschlands. Er schließt mit einem Vater Unser. Hakenkreuz und die schwarz-weiß-rote Fahne flattern hinab ins Grab. Dann fällt Erde darauf, Blumen und immergrüner Wachholder. Aus rauhen [sic] Kehlen klingt das Bergsteigerlied.“365 In diesem Zitat scheint mir das Konglomerat aus nationalistischer Politik, Militarismus, und pervertierter Alpinethik am propagandistisch dichtesten vermengt. Die pathetischen Worte sind die Interpretation der Beerdigung des an einem Lungenödem verstorbenen Alfred Drexler von Fritz Bechtold, der selbst als Teilnehmer der Expedition vor Ort war und vermutlich deswegen noch nicht von einem „Helden“ spricht, da man mit einer derartigen Selbstverklärung die Grenze zum erträglichen Maß an selbstgefälligem Eigenlob wohl weit überschritten hätte. Diesen letzten Makel werden jedoch allzu bald andere beseitigen, wenn es gilt aus dem „Opfer“ der übrigen Gipfelaspiranten propagandistisches Kapital zu schlagen. Unter der Überschrift „Letzter

364 Ebd., p. 7. 365 BECHTOLD Fritz, Deutsche am Nanga Parbat, 1940, p. 42.

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Hitlergruß nach Deutschland“ lässt die Redaktion des „Völkischen Beobachters“ keine Zweifel an den persönlichen Zielsetzungen der verstorbenen Alpinisten aufkommen: „Bis zum letzten Atemzug galten seine [Willy Merkls] Gedanken, wie die seiner Kameraden, dem deutschen Vaterland und seinem Führer Adolf Hitler.“ Im Gegenzug wird ihnen der ewige Lohn und Dank des „Vaterlandes“ allerdings sicher sein: „Das neue Deutschland wird die Helden Merkl, Welzenbach und Wieland nicht vergessen und ihnen im Herzen ein ewiges Denkmal setzen.“366

Als „Soldaten der Berge“ zogen sie aus, als „Helden“ blieben ihre Namen erhalten, ein Denkmal aus Marmor und Eisen wurde ihnen jedoch nicht gesetzt. Im Gegenteil Klaus Maria Herrligkoffer vermutete später Bauer und Bechtold hätten sich der Leiche Willi Merkls, nachdem sie ihn am sog. Mohrenkopf 1938 gefunden hatten, über die Südwestwand des Berges unauffindbar entledigt.367 Doch sollte in naher Zukunft eine Vielzahl an Kriegerdenkmälern wider dem „Vergessen“ für jene in alpinistischer Ethik herangezogenen Soldaten aus dem Boden wachsen, welche die „Erben“ dieser „Opfergänge“ stets an die „Schuld“ einer „dankbaren Erinnerung“ mahnen sollen.

Politisierung der alpinistischen Szene „Es ist vielleicht ein inneres Gesetz des zwingenden Ablaufes dieser stählernen Tage, daß jede persönliche Absicht verblaßt und kein Einzelwille gilt, er sei denn ausgerichtet auf die Sterngebote, unter denen die Gemeinschaft aller Deutschen steht. Was gilt es da also schon, wenn irgendwer glaubt, nicht ohne den schimmernden Morgengruß unserer Berge leben zu können? Es gilt nichts!“368 Nach all den Beteuerungen der Bedeutung des Bergsteigens und seiner volkserzieherischen Funktion klingt dieses Zitat zunächst etwas paradox und widersprüchlich, fast deplatziert. Doch bei genauerer Betrachtung gewinnt diese Perspektive durchaus an Sinn, wenn man sich die faktischen Konsequenzen der militärischen Vereinnahmung des Bergsteigens, der intensive Umwerbung der einzelnen Alpinisten zur Meldung in einem der Bergsteigerregimenter und der Einberufungswellen bis in die jüngsten Jahrgänge vor Augen führt. Zwar ließen die Bergsteiger auch im Soldatenrock nicht die Finger von Fels und Eis, was u.a. seltsame Blüten trieb, wie die strategisch unbedeutende aber propagandistisch ausgeweidete Besteigung des Elbrus im Zuge des Vormarsches im Kaukasusgebirge, doch mussten sich ihre Unternehmungen weitgehend auf den Fronturlaub

366 N.N., „Letzter Hitlergruß nach Deutschland“. In: „Völkischer Beobachter“ vom 26.07.1934. 367 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 194. 368 STREIT R.W., In dieser Zeit. In: Mitteilungen des Deutschen Alpenvereins 1939-1940, Deutscher Bergsteigerverband im NS. Reichsbund für Leibesübungen (1940), p. 147.

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beschränken oder gänzlich entfallen. So darf man obige Teststelle wohl als Vertröstung an die „gewesenen“ Alpinisten in weiter Ferne und als mahnende Motivation an die im „Arbeitseinsatz“ stehenden oder anderwärtig gebunden „Verteidiger der Heimatfront“ verstehen. Ganz in diesem Sinne gehalten ist auch das letzte und kurze Gespräch zwischen dem „Führer“ und dem „Bergnarr“ Heckmair, dessen persönliche und bisher vom nationalsozialistischen Regime großzügig unterstützte Nanga Parbat Expedition plötzlich fallen gelassen wird. Bei der Weihnachtsfeier der „alten Kämpfer“ im Münchner Löwenbräukeller bietet sich Heckmair die Gelegenheit den „Führer“ „abzupassen“ und selbstbewusst bahnt er sich eine Gasse durch den mit SS- Angehörigen voll besetzten Raum bis er vor dem „Führer“ steht, der ihn tatsächlich wiedererkennt. Die knappe Unterredung nimmt jedoch einen ernüchternden Ausgang: „Das schien mir die beste Gelegenheit, mein Anliegen vorzubringen, [...]. Er runzelte die Stirn und sagte: „Ich brauche euch für eine ganz andere Aufgabe.“ Was können wir schon für andere Aufgaben als Bergsteigen erfüllen? Ich wies auf die Bedeutung hin, die ein bergsteigerischer Sieg im Himalaya für das deutsche Ansehen bedeuten würde. Er hörte mir gar nicht mehr zu, sondern konzentrierte sich ganz auf die Rede an seine alten Kämpfer.“369 An der Reaktion des „Führers“ lässt sich seine mangelnde „Empathie“ gegenüber den alpinistischen Träumen seiner deutschen Bergsteiger deutlich ablesen, denn für ihn stehen ganz andere „Projekte“ im Gegensatz zu Heckmair und Gesinnungsgenossen im Vordergrund. Heckmair hob zwar die politische Komponente des nationalsozialistischen Bergsteigens im Wortwechsel hervor, doch lasse ich mich zu der Vermutung hinreißen, es war nicht sein primäres Motiv. Ein zu diesem Bild der gegensätzlichen Ambitionen und Bestrebungen passendes „Theorem“ liefert uns ein weiteres Mal Fritz Kasparek, der in seinem selbstverfassten Vorwort einen beinahe intimen Einblick in sein Innenleben gewährt: „Du aber, der du noch niemals, auch nur zaghaft einen Fuß in die Berge gesetzt, nimm dies zur Kenntnis: „Der Bergsteiger ist ein Mensch wie du. In ihm sind genau dieselben schöpferischen Möglichkeiten verborgen wie in dir selbst. Über seinem Kopf steht in wuchtigem Ernst der „Berg“. Seine Gedanken kreisen um den Gipfel desselben und seine Träume finden in der alpinen Tat die Erfüllung. Und ich kann dir versichern, es gibt kaum eine männlichere Tat als den „Kampf um den Berg“ und es gibt kaum eine schönere Erfüllung als das Erreichen des Gipfels.“370 Dieses Fragment scheint mir der vielleicht ehrlichste und in aufrechter Überzeugung niedergeschriebene Satz eines Bergsteigers im Dienst des nationalsozialistischen Regimes zu sein. Zwar mag er in der Gesamtheit des Werkes von Beteuerungen der politisch-sozialen Notwendigkeit des Bergsteigens „flankiert“

369 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 173. 370 KASPAREK, Ein Bergsteiger, 1939, p. 16.

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und „eingekesselt“ sein, gesondert und für sich betrachtet ist er jedoch mit Bestimmtheit, nicht zuletzt unter der Berücksichtigung der ausgewiesenen Männlichkeitsvergewisserung, ein authentisches Zeugnis der Zugangsweise zum Bergsteigen wie es für die meisten seiner ambitionierten Zeitgenossen gegolten haben dürfte. Politische Ideale dürften in seinen Überlegungen wenig Gewicht besessen haben und auch die Bedürfnisse der „Volksgemeinschaft“ waren wohl nicht sehr weit oben auf der persönlichen Agenda einer Person, die von der in der Augenblicksverortung des Bergsteigens und der Entscheidungsfreiheit in den Bergen eine Entfesselung des „Ichs“ entdeckt.371 Vielmehr war er die meiste Zeit seines noch vergleichsweise jungen Lebens mit sich selbst beschäftigt, denn zunächst durchlief das Wiener-Arbeiterkind eine nahezu paradetypische Sozialisierung in der alpinistischen Szene jener Zeit, schreibt doch Heckmair über ihn: „Kasparek, ein kleiner, blonder Techniker, der in seiner Heimat jahrelang keine Arbeit gefunden hatte und nun Jahr für Jahr in allen Gebieten der Alpen als ausgezeichneter Bergsteiger zu finden war.“372 Seine Kletterpartner rekrutierte er aus der Alpinistengilde, vorrangig war er mit Sepp Brunhuber unterwegs, aber auch eng mit Hans Schwanda, den er als zweitbesten Kletterer Wiens titulierte.373 Aber die Mitgliedschaft bei den Naturfreunden hat wohl nicht nur am Papier bestanden, vermutlich fühlte er sich auch selbst dem Gedanken sozialistischer Solidarität verbunden, führte er doch in Deutschland von den Nazis verfolgte Sozialdemokraten durch die Grenzberge nach Österreich und noch 1937 aus ganz Europa stammende Freiwillige des antifaschistischen Widerstandes gegen Franco im spanischen Bürgerkrieg sicher durch die Alpen.374 Doch diese geistige Nähe zum Sozialismus hinderte ihn nicht an der opportunistischen Partnerschaft mit dem überzeugten Nationalsozialisten Heinrich Harrer um die Eiger- Nordwand zu versuchen, als ihm sein eingespielter Partner Brunhuber ausfiel.375 Rudolf Fraißl berichtet auch von einem Hakenkreuzwimpel am Zelt der beiden Eiger- Kandidaten, weswegen auch unbekannte „Lausbuben“ die beiden bestohlen hätten.376 Was auch immer die Beweggründe der Diebe gewesen sein mögen, die Episode lässt zumindest auf Kaspareks Konzilianz gegenüber den politischen Überzeugungen Harrers, der bereits 1933 in die „SA“, und 1938 zunächst in die „SS“, dann in die „NSDAP“ eingetreten war, bzw. der nationalsozialistischen Ideologie schließen. Darüber hinaus war Harrer übrigens nicht nur um eine offizielle Aufnahme in den Zirkel des nationalsozialistischen

371 Ebd., p. 14. 372 HECKMAIR Andreas, „So wurde die Eiger-Nordwand bezwungen“. In: „Völkischer Beobachter“ vom 29.07.1938, p. 8. 373 HASITSCHKA Josef, KREN Ernst, MOKREJS Adolf, Gesäuse-Pioniere, 2008, p. 224. 374 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 132-133. 375 HASITSCHKA Josef, KREN Ernst, MOKREJS Adolf, Gesäuse-Pioniere, 2008, p.195. 376 BAROBEK Hans, Weg ins Licht. Wien 1943, p. 130.

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Machtapparats bemüht, sondern auch um eine familiäre, heiratete er doch Lotte Wegener und war somit auch mit Sigfried Uiberreither, dem Gauleiter der Steiermark, verschwägert. Erfolgt soll die Hochzeit auf ausdrücklichen Wunsch des „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler sein, der ein besonderes Interesse an „arischen“ Vermählungen seiner SS-Mitglieder hatte.377 Sollte hier tatsächlich eine gewisse Berührungsangst die Stimme erhoben haben, dürften sie wohl der Pragmatismus am Berg und eine Form von alpinistischer Ignoranz zum Schweigen gebracht haben. Wenig später entzog sich aber auch Kasparek nicht mehr den „Zeichen der Zeit“ und trat, von Himmler persönlich während des „Deutschen Turn- und Sportfestes“ in Breslau angeworben, in die „SS“ ein. Er brachte es bis zum Oberscharführer, kämpfte in Frankreich und Russland und wurde nach Kriegsende auch interniert.378 Mokrejs urteilt über die politische Wandlungsfähigkeit Kaspareks: „Es ist menschlich nur zu verständlich, dass einer, der eine schwierige, mythisch überhöhte (und auch propagandistisch ausgeschlachtete) Wand durchklettert hatte und daraufhin von den Machthabern des NS- Staates empfangen und hofiert wurde, schließlich auch deren verlockenden Angeboten erlegen ist. Das mögen jene bedenken, die heute ihren gesicherten Platz auf der richtigen Seite der Geschichte einnehmen.“379 Es ist mir zwar ein Rätsel, weswegen die „propagandistische Ausschlachtung“ in Klammer stehen und Kasparek unbedingt Schutz vor der Geschichtsschreibung genießen muss, dennoch kann ich mich der Deutung eines hohen Attraktivitätspotentials durch die Verheißungen öffentlicher Anerkennung, eine gesicherte Existenz und die Förderung alpinistischer Ziele von Seiten der nationalsozialistischen Machthaber an einen eher unpolitischen, einigermaßen links orientierten Vertreter der „Verliererseite“, wie ihn Ralf Peter Märtin beschreibt, durchaus anschließen.380 Der sozialistischen Vergangenheit Kaspareks war sich aber auch Harrer vollkommen bewusst, sicher war er nur nicht, ob diese politische Überzeugung seines Seilpartners tatsächlich der Vergangenheit angehörte, denn er hielt ihn trotz der SS-Mitgliedschaft nach wie vor für einen „radikalen Kommunist aus Ottakring.“381 Für Harrer selbst müssen wir hingegen genau das Gegenteil annehmen, denn sein früher Eintritt in die „SA“ lässt entweder auf einen außergewöhnlichen Weitblick für die politische Entwicklung schießen, sollte man in dieser Handlung einen Akt des Opportunismus entdecken wollen, oder zeugt schlicht von tiefsitzender Überzeugung. Jedoch entspricht es gemeinhin nicht der Handlungsweise eines

377 LEHNER Gerald, Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer. Wien 2007, p. 98-103, 14. 378 RETTNER, Eiger, 2008, p. 262 und MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 170. 379 HASITSCHKA Josef, KREN Ernst, MOKREJS Adolf, Gesäuse-Pioniere, 2008, p. 225. 380 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 209. 381 RETTNER, Eiger, 2008, p. 262.

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Opportunisten in einer so frühen Phase einen eindeutigen Tipp auf ein Rennpferd abzugeben, wenn es in Deutschland auch gerade beginnt die Kontrahenten von der Bahn zu drängen. So liegt die Annahme näher, er setzt hier auf den allzu oft lahmenden Gaul weltanschaulicher „Werthaltungen“. Gegen ein kurzeitiges oder vorrübergehendes Intermezzo Harrers mit dem Nationalsozialismus spricht nicht nur sein früher „SA“-Beitritt sondern auch sein lebenslanges Verharren in seinen geistigen Vorstellungswelten. Reinhold Messner warf ihm offen vor, noch immer der idealisierten „Seilschaft“ nationalsozialistischer Propagandaprägung zu huldigen und die Moral des „NS-Alpinismus“ in seiner Verstockung weiter zu predigen. Harrer blieb auch persönlich seinen alten „Seilschaften“ treu und pflegte zeitlebens freundschaftlichen Umgang mit verurteilten Kriegsverbrechern wie Bruno Beger, der Harrer auch auf amikaler Ebene mit dem Dalai Lama verkehrt.382

Ähnliche Motive lassen sich wohl auch für Heckmair geltend machen, zwar war er nicht in den Huldigungskreis des „SS“-Fanatismus inkorporiert, dennoch stand er als Ausbildner an der Ordensburg Sonthofen und später in der Hochgebirgsschule Fulpmes in Diensten des NS- Regimes. Doch spätestens seit der oben zitierten Aussprache mit Hitler über die Himalaya- Expedition war ihm die Diskrepanz zwischen Nationalsozialismus und seiner Idee von Alpinismus bewusst, wie er später angibt: „Mir war aufgegangen, daß Hitler den Krieg nicht nur riskierte, sondern wahrscheinlich auch wollte. Dann war es auch Schluß mit der Freiheit in den Bergen. An die Erfüllung unserer bergsteigerischen Pläne war nicht mehr zu denken. Die Enttäuschung war groß, und die Sicherheit was auf mich zukam, hat mich niedergedrückt. Am liebsten wäre ich emigriert.“383 An dieser Stelle offenbart uns Heckmair das Seelenleben eines Alpinisten, wohl unabhängig von Wirkungszeit und politischem Hintergrund. Die Prioritäten liegen auch hier ganz klar auf den alpinistischen Zielen nicht auf einem politischen Programm, denn sowie der nationalsozialistische Kurs Deutschlands jenem der Privatperson Heckmair entgegenzusteuern begann, wünschte er Bürger eines Staates zu sein, welcher ihn seine Leidenschaft uneingeschränkt ausüben lässt, wenn auch in Armut und gesellschaftlicher Unbedeutendheit. Zunächst allerdings vermag sich Heckmair, pessimistisch formuliert, durchaus mit seiner neuen Rolle zu arrangieren und sieht sich eben jener, rückblickend betrachtet, scheinbar so notwendigen Übeln ganz plötzlich enthoben: „In Sonthofen großer Empfang, auf der Ordensburg sofortige Aufnahme in das Stammpersonal als „Bergsportführer“ mit einem Gehalt von 300 Mark. Zum ersten Mal in meinem Leben erhielt

382 LEHNER, Hitler und Himalaya, 2007, p. 25-26 und 17-18. 383 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 174.

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ich ein Gehalt. Das war für mich ein sozialer Aufstieg, der mir sehr gut gefiel.“384 Dieselbe „vorbehaltseliminierende“ Pragmatik legte der Bergführer auch bei seinen Führungsdiensten von Leni Riefenstahl an den Tag, deren Sportlichkeit und psychische Belastbarkeit er auf mehreren anfordernde Touren in den Dolomiten auf die Probe stellte: „Und man wußte auch, daß sie [Riefenstahl] zur engsten Umgebung Hitlers gehörte. Die hohe Parteiprominez hatte oft bekannte Filmstars in ihrem Gefolge. Von Leni Riefenstahl aber hieß es, sie sei mit Hitler eng befreundet oder liiert. Daß sie Filmstar war, machte mir nicht das mindeste aus, ihre Verbindung zu Hitler aber schon einige Gedanken. Ich hatte bis dahin keinerlei Kontakt zu hohen Tieren von Partei und Staat. Was soll´s. Natürlich dachte ich nicht daran, ein solches Angebot auszuschlagen.“385 Dieser Bekanntschaft mit Riefenstahl, die sich zu einem Ansatz von Freundschaft vertiefte, ist die wohl absurdeste Szene in Heckmairs Leben geschuldet, vielleicht sogar an Absurdität in der Geschichte des Alpinismus ohnegleichen. Denn als Gast der Propagandaregisseurin auf dem Parteitag in Nürnberg gelangte der „Bergvagabund“ erstmals in die unmittelbare Nähe des „Führers“, der Heckmair in Anwesenheit diverser Parteibonzen in einen angeregten Dialog über die Sinnfrage des Bergsteigens verwickelte, während er hinaus auf den Balkon trat um die Huldigungen der frenetischen Massen entgegenzunehmen: „Da stand ich nun in meinem grauen Zivilanzug unter all den Uniformierten der höchsten Prominenz. Unten schrie das Volk seine unaufhörlichen Heilrufe. Der Fackelzug kam ins Stocken. Hitler grüßte mit straff vorgestrecktem Arm. Sein Blick hatte dabei etwas Starres, als blicke er in die Ferne. Zum ersten Mal in meinem Leben hob ich auch die Hand zum Hitlergruß. In dieser Bewegung empfand ich meine Situation geradezu als grotesk, daß ausgerechnet ich völlig unpolitischer und ungläubiger anonymer Bergsteiger neben dem fanatisch umjubelten Mann stand, und das war so stark, daß ich am liebsten lauthals losgelacht hätte. Der Vorbeimarsch dauerte zwei Stunden, und ebenso lange stand ich neben Hitler auf dem Balkon. Mir gingen, als ich Zigtausende vorbeiziehen sah und schreien hörte, Gedanken über die Einsamkeit am Berg und über die Masse der Menschen bei einem Anlaß durch den Kopf.“386 Diese Szene soll jedoch nicht nur aufgrund ihrer Kuriosität Aufnahme in unseren Katalog an Zitaten über die Eigenarten des alpinistischen Geschehens in Zeiten des Nationalsozialismus finden, sondern ist für unsere Zwecke bedeutend, da sie uns zum ersten die auch von aktiven Alpinisten wahrgenommene Widersprüchlichkeit der menschenleeren aber angeblich „wertevollen“ und freiheitstrunkenen Sphäre der Berge mit der geometrisch strukturierten Welt der Massenaufmärsche und militärischen Disziplin

384 Ebd., p. 170. 385 Ebd., p. 108. 386 Ebd., p. 114.

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offenbart, zum zweiten aber auch die Kriterien der Identifikationswelt dieses „Paradevertreters“ seiner Zunft darlegt. Der Mann im mausgrauen Anzug will sich keinesfalls auf die klassischen Eckpfeiler der Persönlichkeitsbildung berufen, denn weder besitzt er bestimmte religiöse Heilsvorstellungen, welche seiner Seele Leben einhauchen könnten, noch geben ihm gewisse politische Überzeugungen eine Richtung im Leben vor, beides spricht er sich ab, aber „Bergsteiger“ ist er, das weiß er mit Bestimmtheit. In das Bild dieser Selbstverortung fügt sich auch seine spätere Analyse der Motive des italienischen Bergsteigers Cassin, der „für Italien“ in der Nachkriegszeit am Walker-Pfeiler, dem wieder einmal „letzten alpinen Problem“, erfolgreich war: „Aber ich glaube, daß Cassin und seine Kameraden ebenso wie wir [die Eiger Gipfelmannschaft von 1938] nur am bergsteigerischen Erfolg interessiert waren.“387 Seine Seele hatte Heckmair längst dem Bergsteigen verschrieben und so hatte er wohl auch nicht das Gefühl, sie dem „Teufel“ zu verkaufen, als er in der alpinistischen Literatur seine Sprache der Nazi-Rhetorik anpasste, im „Völkischen Beobachter“ von „Sieg-Heil“-Verabschiedungen beim ersten Zusammentreffen mit den Wiener-Seilschaften in der Eiger-Nordwand spricht oder beteuert zum Zeichen des „Gipfelsieges“ sei eine Hakenkreuzfahne gehisst worden: „Unsere Freude ist unvorstellbar. Lachend schauen wir uns in die Augen und drücken uns die zerschundenen Hände. Harrer, der SS-Mann aus Graz, holt aus seinem Rucksack einen Hakenkreuzwimpel heraus und pflanzt ihn im Schnee auf. Der Sieg ist unser! Die letzte Wand der Alpen ist bezwungen.“388 Die Episode der Hakenkreuzfahne wird Harrer später sinnbildlich für seine stets abgestrittene NS-Vergangenheit noch in Erklärungsnot bringen, die wohl im persönlichen Interview mit dem Journalisten Gerald Lehner kulminiert, während Heckmair seine eigene Behauptung aus dem „Völkischen Beobachter“ widerrufen wird. Ob es nun eine unbequeme Wahrheit oder eine Propagandalüge war, haben die beiden wohl ins Grab mitgenommen, es lässt sich nicht mehr mit letzter Sicherheit feststellen.389 Diese Verwirrungen sollen uns zu diesem Zeitpunkt aber nicht weiter stören, denn Heckmairs Gesten der passiven Zustimmungen lassen sich nicht nur an sturmumwitterten Punkten der Eiger-Nordwand festmachen, sondern überdauern die Zeit auch in seinen Schriften. Zur Vorbereitung auf die Herausforderungen des Eiger verfügte sich Heckmair nämlich in den Wilden Kaiser, wo er mit seinem Partner Vörg zusammenzutreffen gedachte. Als dieser jedoch nicht pünktlich erscheint, beschließt der Bayer sich die Zeit alternativ gestaltet zu vertreiben: „Da ist es mir gerade recht, den Kufsteiner Freunden zu helfen und ihre schwere Last zum Feuerbrennen mit auf den Gipfel zu

387 Ebd., p. 170. 388 HECKMAIR Andreas, „So wurde die Eiger-Nordwand bezwungen“. In: „Völkischer Beobachter“ vom 31.07.1938, p. 10. 389 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 144 und LEHNER, Hitler und Himalaya, 2007, p. 117-124.

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schleppen. So lege ich in diesem Jahr zum ersten Mal die Hand an den Fels: Im Jahr des Zusammenschlusses mit Österreich, wofür auf allen Gipfeln, auch auf den zum Teil schwer ersteiglichen Felszacken des Wilden Kaisers, bei einbrechender Dunkelheit die Feuer aufflammen. Wie ein Symbol kommt es mir heute vor, daß ich gerade an diesem Tag als Training für die große Wand die ersten Griffe und Tritte im Fels machte.“390 Grundsätzlich lässt sich diese Stelle als Bekenntnis der elitären Bergsteigerschaft, die wohl keinesfalls zufällig im Brennpunkt des bayerisch-tirolerischen Alpinismus ihre Feuer entzündete, zum Nationalsozialismus werten, da diese „schwer ersteiglichen Felszacken“ zweifelsohne entsprechende alpinistische Kompetenz verlangten. Vergleichbar ist diese Sympathiebekundung gewiss mit der Untergrundpropaganda des Tiroler Alpinisten Hias Rebitsch, der im Übrigen bereits in der Phase der Illegalität ein Parteibuch der NSDAP besaß, denn er stand im dringenden Verdacht in abweisenden Steilwänden weithin sichtbare Hakenkreuze aufgemalt zu haben.391 Im Hinblick auf Heckmair allerdings ist uns sein Denken in „Fügungen“, „Schicksalswendungen“ oder eben „Symbolen“ im Zusammenhang der Eiger- Nordwand bekanntlich nichts Neues, bemerkenswert scheint mir jedoch seine Unterstützung zur Entzündung der Gipfelfeuer zu sein, da er sie vermutlich nicht selbst angesteckt, andererseits aber auch keinen Anstoß daran genommen hat das Material aufgepackt zu bekommen, solange es ihn ob der Abwesenheit Vörgs nicht in seinem alpinistischen Trainingsprogramm eingeschränkt hat, tatsächlich sogar eine ganz praktikable Eingehtour darstellte, während er ein von langer Hand geplantes Projekt wohl kaum zurückgestellt hätte um an einer politischen Huldigung zu partizipieren. Selbige Zugangsweise meine ich auch bei Heckmairs Verhalten im Umgang mit der Hofierung und Vereinnahmung durch die nationalsozialistische Propaganda und Politik festzustellen. Das Sponsoring durch die Ordensburg Sonthofen, der soziale Aufstieg und die weitreichenden Privilegien und Freistellungen um sich im Stil eines modernen Professionalismus auf seinen Sport konzentrieren zu können waren ihm höchst willkommen und hätten ihn sicher nicht verführt, die Hand zu beißen, die ihn fütterte. Als emigrationswürdige Einschränkung erschien ihm der Nationalsozialismus im Augenblick des zerplatzten Traumes einer Himalaya-Expedition. Wenn Heckmair in seiner retrospektiven Betrachtung der Ereignisse auch beteuert sich „als ganz unpolitischer junger Mann kaum zutreffende Gedanken machen zu können, wohin der Weg der Nazis führen würde“, darf seine düstere Vorahnung, die ihn, wie er später angibt, im Zuge seiner Zeugenschaft des Nürnberger Parteitages beschlich, zum Zeitpunkt seines geneigten Willfahrens gegenüber der NS- Propaganda nicht außer Acht gelassen werden:

390 HECKMAIR / VÖRG / KASPAREK / HARRER, Um die Eiger-Nordwand, 1938, p. 48. 391 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 132.

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„Wie kann man den Menschen und wie lässt er sich nur so dressieren? Bei aller Bewunderung, die ich der Organisation zollen mußte, schlich sich ein leises Grausen in meine Seele. Ich begriff, da ist etwas im Gange, das alles mitreißen wird. Nur wohin war mir nicht klar.“392 Diese Unklarheiten sollten sich jedoch spätestens mit seiner Abkommandierung an die Front im Osten verflüchtigen. Auch die Umstände dieser so unsanften Strafversetzung widersprechen der Annahme einer Einbettung ins nationalsozialistische System aus Überzeugung und politischer Gesinnung, da Heckmair sich wenig für die Teilnahme an politischen Schulungen begeistern konnte und sich zu seinem Unglück von einem Angehörigen der „SS“ beim „Schafskopf- Spielen“ in einem Zelt erwischen ließ statt den Worten des „Reichsleiter“ Robert Ley zu lauschen. Nach einem Sonderrapport und einer wohl unzureichenden Antwort auf seine ausständige Parteimitgliedschaft wurde die Verwendung seiner Person in der Ordensburg offensichtlich noch einmal überdacht, wenig später dann für entbehrlich befunden. Wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ wurde der Spitzenalpinist ebenso wie Ludwig Vörg an die Ostfront abkommandiert.393 Trotz der von der Propaganda u.a. am Beispiel Heckmairs vorgegaukelten Prädestinierung des Alpinisten für den Dienst im grauen Feldrock konnte der Freigeist jedoch wenig wunderlich kaum Gefallen am Soldatendasein finden.394 Wie nichtig und dem Zufall preisgegeben die menschliche Existenz an der Front war, wurde ihm eindrücklich am Schicksal seines Seilpartners Vörg vorgeführt, dessen „willensstarker“ Bergsteigergeist bereits am ersten Tag des Überfalls auf Russland den in der Unbarmherzigkeit der Berge gestählten Leib verließ. Als Mitglied eines Spähtrupps soll er im Maschinengewehrfeuer umgekommen sein. Angeblich soll kurz nach seinem Aufbruch in seiner Einheit nach ihm gefragt worden sein, da man die Bergsteigerlegende keinem Risiko aussetzen wollte und ihn in die „Heimat“ abkommandiert sehen wollte.395 Heckmair hatte keineswegs die Absicht seine Heldentaten an der Eiger-Nordwand mit einem heroischen Soldatentod zu krönen und ließ seine Kontakte in der alpinistischen Szene spielen. Sein ehemaliger, zu Heckmairs Leidwesen erfolgreicher, Konkurrent um die Grandes Jorasses- Nordwand Rudolf Peters war mittlerweile in führender Position an der Heeres- Hochgebirgsschule in Fulpmes tätig und hatte dort einen prominenten Kreis an Spitzenbergsteiger um sich versammelt. Peter Aschenbrenner, Franz Schmid, Bruder von

392 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 171, 115. 393 LEHNER, Hitler und Himalaya, 2007, p. 38. 394 Auch Hermann Buhl verschließt sich der Konnex zwischen Bergsteiger und Soldat, denn seiner Ansicht nach müssen Bergsteiger, „eigenwillige, selbstständige Dickköpfe“ sein, Individualisten eben, die sich niemandem unterordnen, gar Gehorsam schulden wollen. Er erkennt einen klaren Widerspruch zum Drill und der Disziplin eines Soldaten, dessen Tugendhaftigkeit sich nicht zuletzt in seiner Bereitschaft zur Unterordnung und Autoritätshörigkeit erschöpft. (BUHL Hermann, Achttausend drüber und drunter. München 2005, p. 41.) 395 RETTNER, Eiger, 2008, p. 264.

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Toni Schmid und somit auch Erstbegeher der Matterhorn-Nordwand, Matthias Rebitsch, August Vörg, Sepp Brunhuber und Otto Eidenschink taten dort neben etlichen anderen bekannten Namen Dienst als Ausbildner.396 Die ehemaligen Animositäten waren offensichtlich vergessen, vielleicht hat auch nur eine gewisse Grundsolidarität unter Bergsteigern in Peters Überlegungen eine Rolle gespielt oder das Grauen an der Front hat die vergangenen Rivalitäten nichtig scheinen lassen, Heckmair wurde jedenfalls mit offenen Armen empfangen und die vergebene Gelegenheit seine im „Kampf mit dem Berg“ erlangten Fähigkeiten der Kriegskunst nun nicht mehr zu voller Entfaltung bringen zu können hat er augenscheinlich mit wenig Wehmut ertragen: „Damit war für mich der Krieg gewonnen, denn, obwohl es eine Bestimmung gab, die besagte, daß einer kv. (kampfverwendungsfähig) nicht länger als neun Monate in der Heimat verwendet werden darf, hat uns keiner der Kommandeure der Heereshochgebirgsschule, die regelmäßig wechselten, mehr hergegeben. Unsere alpinen Erfahrungen waren einfach zu wertvoll. [...] Uns war das mehr als recht, und so brachten wir auch diese schrecklichen Jahre hinter uns, bis eines Tages der Traum vom Endsieg und vom Reich vorbei war.“397 Diese Sichtweise unter den bergsteigerischen Ausbildnern bestätigt eben auch ihr Vorgesetzter Rudolf Peters, der um die Stimmung in seiner Truppe wusste und ihren Wunsch teilte, möglichst fern von „Himmelfahrtskommandos“ den Krieg zu überdauern.398

In Fulpmes kreuzten sich wieder die durchaus eng miteinander verschlungenen Wege von Heckmair und Otto Eidenschink, der ebenfalls von der Ostfront heimberufen worden war und dort auch in Ludwig Vörgs Einheit diente, als dieser 1941 fiel. Im Gegensatz zu Heckmair, der angeblich aus Jux im kleinen Wahlkreis von Bayrisch Zell 1936 den Kommunisten laut eigenen Angeben seine Stimme gegeben hat und obwohl er nicht „überführt“ werden konnte, im dringenden Verdacht gestanden haben soll, war Eidenschink den Nationalsozialisten als „Roter“ bekannt.399 Eidenschink wurde in der „sozialistischen Arbeiterjugend“ politische sozialisiert und soll in den Tagen nach der Machtergreifung seine oppositionelle Gesinnung durch das Tragen eines roten Halstuches ganz offen Ausdruck verliehen haben, was mit dem Einzug seines Passes geahndet wurde.400 Zeitweilig stand er sogar unter polizeilicher Aufsicht und musste auch mehrere Tage hinter versperrten Türen ausharren. Dennoch fand er Anstellung im Dienst der Nationalsozialisten, zunächst in Sonthofen, dann in Fulpmes. Man

396 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 165. 397 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 176. 398 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 166. 399 KRAUSS, Der Träger, 2013, p. 146. 400 Ebd., p. 160.

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wollte einen Bergsteiger seines Formats im Ausbildungssystem nicht missen und der „rote“ Eidenschink wollte auf das Privileg in den heimatlichen Bergen bei gesicherter Bezahlung fern des Kugelhagels seinen Dienst zu tun wohl ebenso wenig verzichten.401

Wie wenig die Bergsteiger in ihren, vom NS-Regime zugedachten, Aufgaben aufgingen und wie schwer es ihnen fiel sich militärisch diszipliniert im Verzicht zu üben statt ihrem alpinistischen „Trieb“ nachzugeben, belegt eine weitere Episode aus dem Kreis der Spitzenbergsteiger in Fulpmes, in diesem Fall aus dem alpinistischen Schaffen von Sepp Brunhuber, der sich bei seinem Kommandanten krankmeldete um sich in Behandlung bei einem Wiener-Spezialisten zu begeben. Wenige Tage später musste sein Kommandant aus der Zeitung von der ersten Winter-Begehung der Hochtor-Nordwand durch Brunhuber, Kasparek und Adi Wiegele erfahren. Das Kriegsgericht schien unumgänglich, doch Brunhuber blieb wie in der Wand auch bei diesem beinahe tödlichen Nachspiel das Glück hold, weil sein Kommandeur ganz unerwartet bei einem Autounfall verstarb, bevor sein Befehl auf dem Amtsweg das Büro verließ. Einer der Sargträger war ausgerechnet Brunhuber, der sein (grinsendes?) Gesicht mit einem wohl in weiser Überlegung sehr hoch gehaltenen Kranz zu verdecken gewusst haben soll.402 Neben ihrer humorvollen Note besitzt diese Anekdote aber auch eine nicht zu verachtende Aussagekraft über die „Hingabebereitschaft“ eines leidenschaftlichen Alpinsten, denn Brunhuber war sich der Konsequenzen seiner unerlaubten Entfernung von der Truppe sicher bewusst, dennoch konnte er sich der Anziehungskraft und der Versuchung dieses Projektes nicht erwehren und setzte sich nicht nur über die Order seines Kommandanten hinweg, sondern war auch bereit in doppelter Weise sein Leben aufs Spiel zu setzen. In diesem Zusammenhang wollen wir auch nicht die Befehlsverweigerung der beiden Gebirgsjäger Toni Kurz und Andreas Hinterstoißer vergessen, die sich entgegen ihren ausdrücklichen Anordnungen zu einem Versuch in der Eiger-Nordwand hinreißen ließen.403 In dieser Befehlsverweigerung sah man jedoch keinen Grund von einer heroisch- politischen Verklärung der Bergtoten abzusehen. So erklärt der Kommandeur der Reichenhaller Gebirgsjäger Oberst Rudolf Konrad in seiner bei allen Stäben und Einheiten verlesenen Antwort auf das Beileidsschreiben des General Adam, sie hätten für Deutschland gekämpft und sie seien auch für Deutschland in den Tod gegangen, ihre Haltung werde dem Regiment als Vorbild dienen. Die Begräbnisse der mit gehörigem Zeitabstand geborgenen Leichen stehen klar im Zeichen der nationalsozialistischen Politik und ein weiteres Mal wird das Bild des tapferen Soldaten im Stellvertreterkampf mit der Natur beschworen. Rettner sieht

401 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 142. 402 HASITSCHKA Josef, KREN Ernst, MOKREJS Adolf, Gesäuse-Pioniere, 2008, p. 197-197. 403 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 140.

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jedoch im alpinistischen Engagement der Gebirgsjäger kein politisches Anliegen, sondern individuelle Motive im Vordergrund stehen.404 Auch Hermann Buhl, der seinen Dienst an der Hochgebirgsschule für Sanitäter in Sankt Johann ableistete, soll wiederholt sein Bett präpariert haben um sich heimlich aus der Kaserne der Berge wegen zu stehlen. Seine Erstdurchsteigung der Mauk-Westwand gemeinsam mit einem seiner „Leidensgenossen“ 1943 bleibt dem vorrangig aus Bergsteigern bestehenden Truppenteil jedoch nicht verborgen und mit den Worten „Das hat sich wohl gelohnt“ wird er wegen Vergehens gegen die Dienstordnung und Überschreitung der Ausgehzeit zur Fronteinheit abgestellt. Bei Monte Cassino erlebt er das Grauen des Krieges und wandert schließlich in amerikanische Gefangenschaft, weswegen er insgesamt zwei Jahre seinen geliebten Bergen entrissen wird. Wir aber finden in seinem Verhalten einen weiteren Beleg der Prioritätensetzung zugunsten der Bergwelt anstatt sich dem Soldatendasein zu verschreiben.405

Auch Adolf Göttner, der neben Karlo Wien vermutlich beste Bergsteiger der von Bauer organsierten Himalaya-Expedition von 1937, war kein großer Krieger und soll, wohl auch ob seiner Liebe zum Leben, mehrmals geäußert haben, sich im Falle eines Krieges einfach in den Wilden Kaiser zurückzuziehen und erst in Friedenszeiten wieder herunterzusteigen. Solche Äußerungen wären ihm wenig später wohl als Defätismus ausgelegt worden und zum eigenen, nicht nur alpinistischen, Wohle hat er sich mit derartigen Zukunftsplanungen wohl auch schon in der Phase der Konkretisierung der Nanga Parbat-Expedition zurückgehalten. Ein potentieller „Wehrdienstverweigerer“ und „Deserteur“ wäre zweifelsohne aus dem Trupp des als „Hauptmann“ angesprochenen Paul Bauers entfernt worden und auch die kriegstreibende NS-Propaganda hätte wenig Bedarf an einem pazifistischen Himalaya-Helden gehabt.406

Auch über zahlreiche andere „Unstimmigkeiten“ der „Nanga Parabat – Bestürmung“ wurde von der Propaganda der Mantel des Schweigens gebreitet und ein Bild entworfen, welches in seiner Abstraktheit selbst dem motivkundigen Betrachter keine realitätsnahe Assoziation bieten hätte können. Keine Spur von geschlossener Kameradschaft am Berg und ein weiteres Mal bestätigen die „selbstlosen“ Helden von 1934 nur die These einer politischen Formbarkeit ihrer Bergpassion zu Liebe. Alle deutschen Versuche waren dem „Führerprinzip“ entsprechend je nach Durchsetzungsfähigkeit und Autorität des Expeditionsleiters straff strukturiert. Dementsprechend umkämpft war das oberste Treppchen

404 RETTNER, Eiger, 2008, p. 115-118. 405 BUHL Hermann, Achttausend drüber und drunter. München 2005, p. 41, 51, 58-59 und BUHL, Am Rande des Möglichen, 2003, p. 22-23. 406 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 175.

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der Hierarchieleiter und sorgte für ein vergiftetes Klima in der vermeintlichen „Einheitsfront“. Die grundsätzliche Konfrontation fand zwischen den unterschiedlichen Philosophien Paul Bauers und Welzenbachs statt. Bauers geistige Heimat haben wir bereits durchreist, Welzenbach hingegen ist uns bisher nur in seiner „Funktion“ als Spitzenbergsteiger untergekommen und als solcher gedenkt Bauer ihn auch in einem Brief an von Tschammer- Osten zu diffamieren: „Zwischen Welzenbach und mir haben seit langem im AAVM sachliche Meinungsverschiedenheiten bestanden. Welzenbach war der Mann, dem in erster Linie der alpine Erfolg etwas galt, während mir der Weg und Art und Weise des Bergsteigens mehr zu sein dünken. Welzenbach war der Mann der Rekorde anstrebte, der Mann, der sich als Bergsteigerkanone fühlte und diese Position systematisch anstrebte und ausgebaut hat. Demgegenüber vertrat ich eine ganz andere Anschauung [,] und diese Anschauung ist im AAVM, dem wir beide angehörten, der Welzenbach´schen Art des Bergsteigens gegenüber siegreich geblieben. Dazu kommt noch, daß ich von jeher als alter Soldat mich fühlte, im AAVM konsequent einen nationalen und nationalsozialistischen Kurs zu verfolgen. Für uns war Adolf Hitler bereits 1923 der Mann, den wir nicht antasten ließen. Welzenbach hingegen gehörte der Bayrischen Volkspartei an und stand mit einigen wenigen in einer Opposition dagegen [...].“407 Das Bild der Denunziationsbestrebungen Bauers und seiner persönlichen Antipathie gegenüber dem alpin Karrierist rundet sein gelungener Versuch ab, die erste, ursprünglich von Welzenbach organisierte, Himalaya- Expedition an sich zu reißen.408

Nach der Machtergreifung deklarierte sich aber auch Welzenbach zum Nationalsozialismus und reihte sich ein in die Formation der „SA“. Er hatte immerhin den Rang eines „Scharführers“ inne, wir sollten jedoch neben Welzenbachs sportlichen Höchstleistungen nicht sein gesellschaftliches Prestige außer Acht lassen, war er doch ein promovierter Stadtbaurat und kein primitiver Straßenschläger, dem die Uniform bereits Zier genug ist.409 1934 sollten Welzenbach aber genau diese gesellschaftliche und sportliche Überlegenheit in Gegensatz zum autoritär auftretenden Expeditionsleiter Merkl bringen, welcher allerdings auf all den gemeinsam unternommenen, „legendären“ Klettertouren wie der Nordwand der Grands Charmoz gemeinhin dem „Kameraden“ als Seilzweiter nachstieg. Das erste gröbere Zerwürfnis in der Mannschaft zieht das Begräbnis Drexels, dessen Sarg in die Fahnen des „Neuen Deutschlands“ gehüllt in den Boden des Himalaya versenkt wird, nach sich.410 Erwin Schneider empfindet die politisch-mediale Inszenierung des „Heldenbegräbnis“, die

407 Zit. nach: MIERAU, Deutsche Himalaya-Stiftung , 1999, p. 69-70. 408 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 119-120. 409 Ebd., p. 143. 410 BECHTOLD Fritz, Deutsche am Nanga Parbat, 1940, p. 42.

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pathetischen Grabreden und die beständige, photographische Dokumentation als pietätlos und unmoralisch. Welzenbach schließt sich der Kritik an und attestiert Merkl zunehmend die Fratze eines Diktators zu zeigen. Darüber hinaus hält er sich, wohl nicht zu Unrecht, für den besseren Bergsteiger und erkennt früh die Unfähigkeit Merkls das Unternehmen zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Der Realschul- und spätere Eisenbahnfachschulabsolvent Merkl hingegen war sich ebenso seiner gesellschaftlichen Unterlegenheit bewusst, stand der doch gegenüber den Akademikern wie Welzenbach und Drexel gut vier Stufen tiefer in der Karriere eines Beamten, und konnte ebenso wenig gegenüber Bergsteigern wie Schneider, der zu diesem Zeitpunkt den Höhenrekord hielt und sich gemeinsam mit seinem Tiroler Landsmann Peter Aschenbrenner auch vor Ort bald als leistungsstärkster Gespann erweisen sollte, oder dem „Eispapst“ Welzenbach schwer auf die Egalität unter den „Fürsten der Welt“ bauen. Mit seinem Verständnis für die Vermarktung verfügte er jedoch über den Rückhalt des nationalsozialistischen Propagandaapparats und begriff die Möglichkeit sich hier über einen alpinistischen Erfolg für höhere Aufgaben im „Neuen Deutschland“ zu empfehlen ganz genau.411 Auch in der propagandistischen Verwertung, ob im „Völkischen Beobachter“ oder in der Publikation seines Freundes Bechtold wurde zuvorderst von Merkl als Kopf einer verschworenen „Kameradenrunde“ berichtet.

Die Welle der Missgunst, welche über alle der unter den Nationalsozialisten vorangetriebenen Expeditionen hinwegschwappte, ebbte aber auch nach der Katastrophe von 1934 nicht ab, sondern ergoss sich auch noch über die beiden überlebenden Tiroler Aschenbrenner und Schneider. Der Bug, der sie anstieß, war zumeist Paul Bauer. So machte er gegen die beiden Österreicher Stimmung und brach als Kopf einer Untersuchungskommission den Stab über ihnen, da sie mit ihrem Abstieg gegen das Gebot der „Kameradschaft“ verstoßen und ihre Gefährten im Stich gelassen hätten. Der „Reichssportführer“ war um schärfste Geheimhaltung bemüht um die Himalaya-Unternehmungen nicht öffentlich zu diskreditieren. Die Feindseligkeit des Weltkriegsoffiziers rührte jedoch nicht erst von diesem angeblichen „Kameradschaftsbruch“ her, sondern fand ihren Ursprung bereits in Schneiders Engagement bei der Dyhrenfurth- Expedition von 1930, einem, in Bauers Augen, „Judenstämmling“, und in einem harmlosen Witz des Tirolers im Zuge der Andenexpedition von 1932 über den politischen Aufstieg Hitlers, welchen der nazihörige Bauer als offene Beleidigung auslegte.412 Auch Hans Ertl, welcher als sehr fähiger Alpinist wie ob seiner Verdienste als Kameramann geradezu prädestiniert schien für eine Teilnahme an einer Himalaya-Fahrt bekam Bauers bzw.

411 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 134, 149-154. 412 MIERAU, Deutsche Himalaya-Stiftung , 1999, p. 71.

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dessen Gefolgsmann Karlo Wiens Zorn zu spüren, die ihn wegen seiner mutmaßlich „judenfreundlichen“ Einstellung und seiner ausständigen Parteimitgliedschaft aussonderten.413 Ansonsten fand Ertl, filmisch von Arnold Franck zusammen mit Leni Riefenstahl im Zuge eines Abenteuerfilms in Grönland ausgebildet, im nationalsozialistischen Propagandaapparat aber großen Anklang und entwickelte sich sukzessive vom Bergsteiger zum Kameramann.414 Riefenstahl wollte sein Auge für die Inszenierung und seinen Innovationsgeist bei Aufnahmetechniken auch bei ihrem Olympia- Film und diversen anderen Projekten, wie dem Film „Tag der Freiheit! – Unsere Wehrmacht“ nicht missen.415 Nach Kriegsausbruch diente er als Kriegsberichterstatter, wurde in dieser Funktion nach eigenen Angaben auch zweimal ausgezeichnet und war besonders an der Etablierung des Rommel-Mythos beteiligt, welchem er in Afrika als Kameramann zur Seite gestellt wurde.416 Von der Person Rommels war Ertl augenscheinlich sehr beeindruckt und ihr Zeit seines Lebens in tiefem Respekt und offener Verehrung verbunden. So lässt er sich auch unmittelbar nach der deutschen Niederlage öffentlich zu einer feurigen Erwiderung auf die Behauptung, Rommel sei ein „Bluthund“ gewesen, hinreißen, obwohl er laut eigenen Angaben für seine Sicht der Dinge mit einer Verhaftung rechnen musste: „Ich habe keinen faireren Offizier kennengelernt als den und auch der Montgomery hat für ihn plädiert und sein Bild gehabt und da können Sie mir von mir aus ein Dutzend Eisenhower schicken, für mich wird Rommel immer ein Idol bleiben, solange ich lebe.“417 Auch sonst lässt die Schilderung seines „Anekdotenschatzes“ kein Gefühl einer Distanzierung im Hinblick auf seine einstige Nähe zum inneren Zirkel der nationalsozialistischen Machthaber aufkommen, vielmehr wirkt in seinen Erinnerungen der „Führer“ sehr menschlich und lebensnah, außerdem attestiert er ihm Bayern vor dem „Bolschewismus“ bewahrt zu haben. Seine Tochter behält ihn jedoch nicht als „Nazi“ im Gedächtnis und auch er selbst betont, nur seinen Job getan zu haben und zwar auf tausende Menschen geschossen zu haben, aber nur mit der

413 MÄRTIN, Nanga Parbat, 2002, p. 178. 414 SCHMIDKUNZ, Bergvagabunden, 1941, p. 287. 415 FRIEDMAN-RUDOVSKY Jean, The Last Days of a Nazi-Era Photographer . In: „Time“ vom 23.09. 2008; http://content.time.com/time/world/article/0,8599,1843282,00.html [Abruf: 03.09.2015] und Regisseur: Hans Ertl (2/3). 00: 00 – 00-53; https://www.youtube.com/watch?v=2swjEtGfIC0 [Abruf: 03.09.2015]. ) In den Augen seiner jüngsten Tochter Beatriz war Hitlers- Propagandaregisseurin auch die Liebe seines Lebens. Denselben Schluss lassen auch die Äußerungen Ertls selbst zu, der offensichtlich einige, intime Momente mit ihr verlebte, eine ernstere Beziehung hat sich allerdings nicht ergeben. (DANIELS Alfonso, Nazi-era photos surface in Bolivia. In: „BBC News“ vom 09.09.2008; http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/7595908.stm [Abruf: 03.09.2015]. und Regisseur: Hans Ertl (1/3). 07:23-09:48; https://www.youtube.com/watch?v=LYWIgW6BfOQ [Abruf: 03.09.2015].) 416 Regisseur: Hans Ertl (2/3). 07: 20 – 07-50; https://www.youtube.com/watch?v=2swjEtGfIC0 [Abruf: 03.09.2015] und FRIEDMAN-RUDOVSKY Jean , The Last Days of a Nazi-Era Photographer . In: „Time“ vom 23.09. 2008; http://content.time.com/time/world/article/0,8599,1843282,00.html [Abruf: 03.09.2015]. 417 Regisseur Hans Ertl (3/3). 01:35-02:27; https://www.youtube.com/watch?v=2pe2_LuDRSA [Abruf 03.09.2015].

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Kamera. Im Gegensatz zu seinen „Bergkameraden“ Heckmair und Co. kam seine Bergkarriere im Nationalsozialismus zum Erliegen, doch verhielt er sich zweifelsohne nicht weniger opportunistisch und anpassungswillig, nahm doch nun seine Laufbahn als gefragter Kameramann gehörig Schwung auf. Den (weltanschaulichen) Ansprüchen Paul Bauers genügte er anscheinend dennoch nicht und seine erste Begegnung mit dem Nanga Parbat musste er so noch um einige Jahre verschieben.

Die politische Vereinnahmung des Alpinismus wirkte hier wohl im inoffiziellen Sinn der Nationalsozialisten als trennendes Element zwischen den Bergsteigern entgegen der propagandistischen Verlautbarung einer allumfassenden „Kameradschaft“ und Kollegialität. Im kleineren Rahmen lässt sich dieses Muster auch in der „Retorte“ nachweisen. Der sozialdemokratische Bergsteiger Fritz Kolb wurde von den Briten im Zuge seiner persönlichen Himalaya-Unternehmungen ebenso wie die Teilnehmer der nationalsozialistischen Nanga Parbat-Expedition verhaftet und im selben Lager wie Peter Aufschnaiter und Heinrich Harrer interniert. Kolb meinte später, das einmalige, sehr frostige und verhaltene Aufeinandertreffen mit Aufschnaiter dort sei der strikten Einteilung in „Wings“ geschuldet gewesen, welche dem öffentlichen, politischen Bekenntnis der Insassen entsprach. Kolb war entgegen dem Verhalten vieler seiner Alpinistengilde-Kollegen stolzer Sozialdemokrat geblieben und im Wing 1 untergebracht, so wäre eine amicale Begegnung mit Aufschnaiter aus Wing II, in welchem die glühenden „Verehrer“ des „Führers“ saßen, unter den Augen der Öffentlichkeit als „verräterische“ Handlung ausgelegt worden. Ihre alpinistische Leidenschaft wirkte verbindend, konnte jedoch die politischen Grenzzäune nicht einreißen.418

Im weitgehend politfreien und weit weniger „öffentlichen“ Rahmen fanden jedoch die alpinistischen Wagnisse von Walter Stösser statt. Er verlieh zwar seiner nationalsozialistischen Gesinnung mit dem Eintritt in die „SS“ Ausdruck, nahm jedoch keinen Anstoß daran gemeinsam mit dem jüdischen Bergsteiger und Poeten Hans Moldenhauer der kleinen aber leistungsstarken Klettergilde Battert anzugehören. Geradezu paradoxerweise wird von jenem jüdischen Tourenpartner der Roman „Klettergilde Battert“ zwar nie veröffentlicht, aber im Andenken an den abgestürzten Stösser verfasst und in den Nachrichten der jüdischen Sektion „Donauland“ in Auszügen wiedergegeben.419

418 KOLB Fritz, Leben in der Retorte. Als österreichischer Alpinist in indischen Internierungslagern. Graz 2014, p. 72. 419 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 127.

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Es ließen sich nun noch zahlreiche weitere Querelen unter den vermeintlich in „Kameradschaft“ verbundenen Bergsteigern finden und noch wesentlich mehr Belege für ihre Prioritätensetzung zugunsten ihrer Bergleidenschaft gegenüber politischen Einstellungen oder Moral und Gewissen, dennoch meine ich nun, die Vorbehalte der in dieser Arbeit maßgeblich behandelten Vertreter des „Bergvagabundentums“ gegenüber einer Abberufung aus den Bergen, ihre Interessenslosigkeit an der Realisierung diverser Propagandatugenden und ihr mangelndes Verlangen an der Fortführung ihres alpinistischen Heldentums in Uniform mit der Waffe in der Hand hinreichend nachgewiesen zu haben und wir wollen an dieser Stelle einen Schlusspunkt hinter die inhaltlichen Ausführungen über die Politisierung der Bergsteiger in der Phase des Nationalsozialismus und ebenso hinter unsere Darstellung im Allgemeinen setzen.

Schluss Bevor wir die eigentlichen Kernthesen der Arbeit zusammenfassen, wollen wir in wenigen Sätzen die Eingangskapitel rekapitulieren um uns die Basis der Arbeit wieder in Erinnerung zu rufen. Den Alpinismus als isoliertes Sonderkapitel in der Zivilisationsgeschichte zu betrachten, würde seinem weit verzweigten Wurzelstock in der Entwicklung der Gesellschaft nicht gerecht werden, denn zuvorderst meint Alpinismus eine Zugangsweise zur alpinen Landschaft und ist somit ein Produkt des Geistes, was auch die zu allen Zeiten sehr widersprüchlich und vielseitig geführte Debatte um die Definition des Alpinismus verdeutlicht. Dementsprechend verlangt sein Einsetzen gewisse Voraussetzung, welche gegeben sein mussten, bevor ein „messbarer“ Strom an Menschen die Täler verließ um der Berge willen die Gipfel zu besteigen.

Wir haben uns mit der Subjektwerdung des Einzelnen in der Epoche der Aufklärung und dem damit einhergehenden Aufkommen des menschlichen Anspruches zur Vergewisserung seiner selbstbestimmten Erhabenheit und seiner Lösung, gar Befreiung aus religiösen bzw. traditionellen Zwängen unter dem Anspruch sich hoheitlich die Welt ganz anschaulich zu Füßen zu legen, beschäftigt. Geboren wurde diese Geisteshaltung in den Bildungs- und Fortschrittsbestrebungen des Bürgertums, insbesondere im industrialisierten England, über welche eine Neubewertung der bisher als unberechenbar und abstoßend wahrgenommenen Natur und ihrer kaum kontrollierbaren Phänomene befördert wurden. Die Wissenschaft vermittelte den gebildeten Schichten die nötigen Instrumentarien zur Aneignung und Entmystifizierung bisher unerklärlicher Prozesse, welche zwar nicht vollkommen ihrer schauerlichen Wirkung entkleidet wurden, aber künftig genau ob dieses erklärbaren

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Schauderns als anziehend und ästhetisch wahrgenommen wurden. Wir wollen in diesem Zusammenhang die Erst- bzw. Zweitbesteigung des Monte Blancs durch Saussure und seinen wortwörtlichen Wegbereitern nicht überbewerten, aber der Interpretation seiner Leistung als Veranschaulichung einer modernen Geisteshaltung an einem plakativen Beispiel, welche den Alpinismus als gesellschaftliche Bewegung ins Rollen brachte, schließen wir uns an. Saussure war Schweizer, aber in den folgenden Jahrzehnten bis ans Ende des „Goldenen Zeitalters“, welches durch die Versportlichung des Bergsteigens und den Rückzug der Wissenschaft am Berg gekennzeichnet war, zog es vornehmlich die englischen „Gentlemen“ in die Alpen. Vom modernen Bergsteigen, wie es im ausgehenden 19. und anbrechenden 20. Jahrhundert populär werden sollte, hoben sie sich zu diesem Zeitpunkt jedoch in einem entscheidenden Aspekt deutlich ab, denn sie waren entsprechend ihrem Standes- und Obrigkeitsbewusstsein Führungstouristen, welche unleidliche Aufgaben wie das Stufenschlag im Eis grundsätzlich an ihre „Knechte“ am Berg delegierten. In den Bergführern erkannten sie jedoch zumeist keine aufrechten Alpinisten, fehlte ihnen doch der idealistische Antrieb die Nähe der Gipfel zu suchen. Aus dieser Überzeugung, eine Leidenschaft am Berg auszuleben, erwuchs das „ethische Element“ des Bergsteigens, welches die Gegenbewegung zum englischen Führungsalpinismus predigte. Eine junge, vorwiegend in den Ostalpen geschulte, Bergsteigerclique begann sich autonom und ohne die Anleitung eines bergversierten Führers, bisweilen sogar ohne einen Begleiter, stetig schwierigere Wege auf die schön längst erstbestiegenen Gipfel zu suchen um sich von den „Normalwegen“ und der Masse abzusondern. Ihr risikoreiches aber an sichtbaren Erfolgen armes Bergerleben luden sie mit zweckfreiem Idealismus auf, der viele Aspekte des „Bergvagabundendaseins“ vorwegnahm. Eskapismus sowie Kulturpessimismus zogen in die Diskussion um den Sinn und das Wesen des Alpinismus ein und bald verstand man den Gang in die Berge als sittliche Korrekturmaßnahme, die allerhand Formen von Dekadenz entgegentrat. Intensiv befasst haben wir uns mit dem Wirken Lammers, der sich neben anderen berühmten Namen wie Purtscheller und Zsigmondy zum Sprecher dieser Avantgarde aufschwingt und über die hitzig geführten Diskussionen in diversen Fachzeitschriften den konservativen Kräften des Führungstourismus eine individualistische bis egomanische Variante des Bergsteigens entgegensetzt. Von seiner pathetischen Rhetorik und scharfen Polemik nimmt die neue Maxime der „Sachlichkeit“ laut Maduschka zwar Abstand und tatsächlich sind ihre Schriften in eher schwärmerischen Tönen gehalten, inhaltlich nehmen sie hingegen sehr stark Anleihe, galt es ihnen doch ebenso das „Ich“ als Prinzip ihres alpinistischen Schaffens auszuweisen. Nicht nur ethische sondern auch politische Unterfütterung erfährt der Alpinismus in der

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Zwischenkriegszeit über die Funktionärsebene im Alpenverein und weiteren alpinistischen Vereinigungen unter federführend der nationalsozialistischen Agitatoren Eduard Pichl, Paul Bauer oder Wilhelm Paulcke etc., die allesamt stark unter den Eindrücken des Ersten Weltkrieges standen. Besonders Erstgenannter findet unmissverständliche Worte für seine Zukunftsvision des „Deutschtums“ und der Rolle des Alpinismus. Revanchismus, „Wiederaufstieg“ und die „Vereinigung“ der „deutschen Völker“ sind die tragenden Säulen all seiner Bemühungen. Pichl und seine nationalistischen Gesinnungsgenossen schlagen die Brücke zwischen einem ethisch-politischen, in der Diktion Pichls, „völkischen“, Alpinismus und der Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus. Diesen politisch bis nationalsozialistischen Stein ins Rollen brachte vornehmlich die offizielle Ebene der Funktionäre, während die „Bergvagabunden“ bevorzugt der Freiheit weit ab von den Geschehnissen in den Tälern und menschlichen Belangen huldigten. Genau diese Beziehung der weltvergessenen „Bergvagabunden“ zu „ihren“ Bergen und der Politik in den Bergen galt es tiefer schürfend zu untersuchen.

In unserer Einleitung haben wir versprochen insbesondere das Gemeinschaftsverständnis der „oberflächlich homogenen“ Szene dieser „Himmelsstürmer“ zu zerlegen und scharfes Augenmerk auf diese so schmale Grenze zwischen „Kameradschaft“ und „Konkurrenz“ zu legen. Um einen Zugang zu dieser angekündigten „Realität“ des lebendigen Alpinismus abseits des Schreibtischaktivismus zu legen, haben wir uns zunächst mit der sozialen Situation der „großen“ Namen bzw. späteren „Helden“ auseinander gesetzt, denn um ihre „Ziele“ und „Motivationen“ zu verstehen, sollten wir ihre „Herkunft“ kennen. Die Mehrzahl der bayerischen „Bergvagabunden“ schloss sich im Verein „Hoch Empor“ zusammen und fast ausnahmslos entstammten sie dem Arbeitermilieu sowie zerrütteten Familienverhältnissen und blickten einer perspektivenarmen Zukunft entgegen, in welcher voraussichtlich niemand von ihrer Existenz Notiz nehmen würde. Gerade dieser Halt- und Aussichtslosigkeit scheint die ungemeine Bereitschaft zu Zugeständnissen an die Sicherheit am Berg entsprungen zu sein, welche als unbedingte Voraussetzung ihrer waghalsigen Unternehmungen gewertet werden muss. Das Extrembergsteigen wirkte als Ventilfunktion und Sinnspender in ihrem ansonsten freudlosen Alltag, der ihnen jenen Mangel an „Lebenswertigkeit“ aufzuzeigen schien, den sie im selektiven Terrain der steilsten Felsspitzen zu kompensieren gedachten. Gewisse Wände im Wilden Kaiser oder im Karwendel etc. bildeten einen förmlichen Initiationscharakter in die Szene des elitären Bergsteigens aus, was durch die Aufnahme in den Kreis der „Hoch Emporler“ sozusagen amtlich wurde. Dort begegnete man sich auf sportlicher wie sozialer Augenhöhe, verfolgte dieselben Ziele und bewegte sich nicht nur am

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Berg gemeinsam sondern durchwanderten auch Hand in Hand dieselben Geisteswelten. In diesem überschaubaren Kreis bildeten sie einen intensiven Zusammenhalt aus, der offensichtlich zuvorderst auf Exklusion zu beruhen schien, da nur Eingang finden konnte, wer befähigt war mit ihrem hohen Niveau Schritt zu halten. Dieser „Zusammenhalt“ wurde mit dem wohl stilprägendsten „terminus technicus“ der Alpinideologie betitelt, sie fassten sich allesamt unter dem Prinzip der „Bergkameradschaft“, zusammen, die sich am augenscheinlichsten im Verbund der Seilschaft ablesen ließ, nur allzu oft aber auch zur Todesfalle werden konnte und ein dementsprechend großes Vertrauen in die Fähigkeiten des Partners voraussetzte. Daneben wirkten auch die allgemeine Empfindung eines grundsätzlich unerklärbaren aber in vielerlei Gestalten und Formen wahrnehmbaren Bezuges zum Berg, der unter den unterschiedlichsten Umschreibungen firmieren kann, wie einen für die vielen „Tauben“ nicht vernehmbaren „Ruf“, einen einflüsternden „Dämon“ oder „Drang“, „Trieb“ etc., und, ganz im Sinne Lammers, die geteilte Absage an das für sie so enttäuschende, gesellschaftliche System gemeinschaftskonstituierend, denn sie flüchteten sich stattdessen in die Verachtung der von „Nichtigkeit“ und „Niedergang“ zerfressenen Massenkultur im Tal und beschworen lieber Einmütigkeit und Egalität, Freiheit und Zwanglosigkeit am Berg, wo sie tatsächlich im gleichgesinnten Kreis der um das flackernde Lagerfeuer oder in der Enge der Schutzhütte versammelten „Bergkameraden“ jene soziale Wärme und Anerkennung erfahren konnten, welche sie Zeit ihres noch jungen Lebens missen mussten.

Bei näherer Betrachtung erwies sich diese vorgebliche Homogenität und Solidarität zwischen den einzelnen Gliedern jedoch in vielen Fällen als selbsttäuschendes Blendwerk. Der Gang in die Berge war für die meisten keine freiwillige Selbstsuche oder bewusste Abkehr aus idealistischen Motiven, sondern eine ökonomische Notwendigkeit und auch die Abgrenzung zwischen „Kamerad“ und Konkurrent war schwimmend bis fließend, denn ihr von Eitelkeiten und Animositäten dominiertes Streben zum Gipfel zwang sie förmlich zu Allianzen und Zusammenschlüssen um ihre individualistischen Neigungen auszuleben. Besonders augenscheinlich wurden diese Verklärung der „Bergkameradschaft“ und das Stillschweigen des Konkurrenzverhältnisses in den Geschehnissen rund um die „letzten Probleme der Alpen“. Von der Sorge um den Erfolg eines seilschaftsexternen „Kameraden“ und dem eigenen Ehrgeiz getrieben entspannten sich fatale Wettkämpfe zwischen den Aspiranten, die in ihrer Bedingungslosigkeit auch zahlreiche Opfer forderten. Die Ereignisse in diesem Brennpunkt der alpinistischen Wahrnehmung lassen sich im „kleineren“ Rahmen aber auch an zahlreichen anderen Wänden nachweisen und verliefen dort oftmals ebenso „blutig“. Die Szene der „Bergvagabunden“ war jedoch geneigt diese vielen Opfer als wesentlichen

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Bestandteil ihres Extremalpinismus zu akzeptieren und entwickelte Verarbeitungsmuster um die Eindrücke dieser grausamen Realität abzufedern. In ihrer Zugangsweise gerät der Bergtod zu einem logischen, bisweilen schon fast erstrebenswerten Ziel in ihrem von einem irrationalen, romantisch verklärten „Bergzwang“ geprägten Dasein und gewinnt so gewissermaßen die Bedeutung einer Erlösung aus dieser ständigen, nur mit unzureichenden Erklärungen begründeten, Fort- bzw. eher schon Fluchtbewegung. Im Falle eines Absturzes würden sie körperlich in die alpine, geistig jedoch in alpinistische Erinnerungslandschaft im Kreis der „Kameraden“ eingehen und über diese Zusicherung einer immateriellen Unsterblichkeit ob ihrer außergewöhnlichen Leistungen und ihrer leidenschaftlichen Hingabebereitschaft für ein ideelles, weil nicht messbares, Ziel ein junges Leben gelassen zu haben als Trost die letzte Gewissheit der eigenen „Wertigkeit“ erlangen.

Die nationalsozialistische Propaganda fand in dieser Geisteshaltung einen bereits gründlich gepflügten und bestellten Boden vor, dessen Erträge es nur noch zu ernten galt. Das Bewusstsein der „Bergvagabunden“ ihrer sportlichen Spitzenleistung wegen einer elitären Kaste anzugehören wurde nationalistisch und ethnisch als Ausdruck rassischer Überlegenheit umgedeutet. Dem Eifer der „Bergvagabunden“ für die Verwirklichung ihrer alpinistischen Träume ihr Leben zu geben, wurde eine Opferwilligkeit für ihr „Vaterland“ und die Demonstration eines wieder erwachten „deutschen Machtbewusstseins“ eingeschrieben. Die Verherrlichung des „Kameradschaftsprinzips“ und die Ausklammerung interner Querelen wurden als Sinnbild des „Volksganzen“ inszeniert. Gemäß der Formel der Propagandagleichung wurde zur „kameradschaftlichen“ Solidarität und der internen Geschlossenheit ein „unbezwingbarer Wille“ dazugezählt um den „Erfolg“, sei es am Berg, an der Front, oder sonstigem „Dienst“ um die „Heimat“, zu erzwingen. Sollte die Unternehmung dennoch nicht glücken, würden die nachrückenden „Kameraden“ die notwendige „Sühne“ für die „Opfer“ erbringen. Willkommene Objekte propagandistischer Projektion fand man in den Versuchen um den Nanga Parbat und der Eiger-Nordwand, wobei besonders bei letzterer ein nicht gerade unwahrscheinlicher, aber doch nicht unbedingt zu erwartender Zufall das Repertoire der propagandistischen Verwertung ungemein erweiterte. Denn ausgerechnet im Jahr des „Anschlusses“ und pünktlich vor dem Sportfest in Breslau durchstieg eine zu gleichen Teilen aus Österreichern und Bayern zusammengesetzte Seilschaft dieses „Bollwerk“ der Alpen. In diesem Fall schien das Symbol zu offensichtlich, als das man es in der Propaganda nicht genussvoll breit treten müsste. Krasse Widersprüche zwischen alpinistischer Realität und propagandistische Vergewaltigung wurden allerdings konsequent ignoriert, so wurde der unter Bergsteigern vorherrschende Individualismus weder als Kontrast

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zum Bild der „Volksgenossenschaft“ noch zum chauvinistischen Einsatz für das „Vaterland“ oder ein vergleichbar unpersönliches Kollektiv wahrgenommen. Ungeachtet dieser paradoxen, irrealen Situation bestand jedoch die Option sich durch scheinbar „übermenschliche“ Leistungen am Berg den Status eines „Helden“ zu erwerben, worin die Intention des Bergsteigers mit jener des „deutschen“ Soldaten übereinstimmen sollte, der ebenfalls opferwillig zu „Ruhm“ und „Rettung“ des „Vaterlandes“ in den Krieg eilt. Die Assoziation zwischen Alpinist und Soldat war durch die Erlebnisse des Ersten Weltkrieges vorgeprägt und stets wachgehalten worden, weswegen sie auch für die Nationalsozialisten nahe lag. Neben dem Ideal der „Kameradschaft“ verkörperte der Bergsteiger in seinem Kampf gegen die Gewalten der Natur noch einige weitere Attribute eines martialischen Lebensstils, so musste er dort „Mut“, „Ausdauer“, „Kampfgeist“, „Willenskraft“ etc. täglich aufs Neue beweisen und schulen. Diese Gleichsetzung fand jedoch nicht auf der theoretischen Ebene der Propaganda ihr Ende, sondern wurde auch konsequent in die Praxis umgesetzt, wie die Zusammenarbeit zwischen Alpenverein und Wehrmacht sowie die Werbung unter Alpinisten sich zu den Gebirgsjägern zu melden, offenbart.

Am Ende unserer Ausführung galt es nun diese Vernetzung unterschiedlichster Lesarten von „Ethik“ mit diversen Abarten von Idealismus zu entwirren und die in der propagandistischen Inszenierung so innige Umarmung von Alpinismus und Nationalsozialismus wieder zu lösen um die Extremitäten den einzelnen Körpern zuordnen zu können. Den reflektierten Bergsteigern waren die Widersprüche ganz offensichtlich bewusst und weder aufrichtige Überzeugung noch der Wahn der Propaganda waren gemeinhin die dominante Triebfeder im Schulterschluss zwischen Bergsteigern und Nationalsozialisten, schlicht der den Alpinisten eigene Opportunismus war für die Mehrzahl das auschlaggebende Element. Für einen Gipfelerfolg waren selbst „SS“- Mitglieder wie Walter Stösser zu unerwarteten Bündnissen bereit und viele der ehemaligen Arbeiterbergsteiger erkannten im Bergsteigen nationalsozialistischer Ausrichtung eine probate Option endlich ihren aussichtslosen Verhältnissen zu entkommen und, wohl noch bedeutender, die Offerte einer staatlichen Förderung ihrer Leidenschaft. Mit fliegenden Fahnen wechselten sie die Seite in München wie in Wien oder Innsbruck etc. und die ehemals so stolzen „Fürsten der Welt“, welche die Anonymität in der Masse fürchteten, ließen sich willig zu Rädchen im System „degradieren“. Grundsätzlich lässt sich das ganze Verhaltensspektrum im Umgang mit dem Nationalsozialismus auch in der Palette der alpinistischen Jugend ausmachen, vom glühenden Überzeugungstäter wie Heinrich Harrer, über den inneren Emigranten wie Heckmair oder Eidenschink bis zum einstigen Fluchthelfer Kasparek, der schließlich in der Formation der

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„SS“ aufmarschiert. Vom Bild des „Helden“, wie es die Nazis an die Fels- und Eiswände zu projizieren verstanden, hat nicht viel auf das weitere Verhalten unter den „Bergvagabunden“ abgefärbt, denn die meisten waren außerordentlich bemüht und heilfroh sich auf einen sicheren Ausbildungsplatz weit ab der Front zu retten, an welchem sich die ehemaligen „Kameraden“ und Konkurrenten wieder im exklusiven Kreis zusammenfanden. Offensichtlich war den „Soldaten“ der Berge selbst nicht viel daran gelegen ihre der Natur abgerungenen, martialischen Tugenden einer Probe aufs Exempel zu unterziehen. Mit der Niederlage des Hitlerregimes verschlug es die meisten in Fulpmes abgestellten oder von der Front heimkehrenden Extremalpinisten wieder in die Wildnis der spitzen Felszacken. Heckmair blieb weiterhin Bergführer und vollführte selbst noch einige spektakuläre Berggänge wie die Begehung des Walkerpfeilers in der Grandes Jorasses, Kasparek wurde zwar zeitweilig wegen seiner SS-Mitgliedschaft interniert, fand aber auch wieder den steinigen Pfad in die freie Bergwelt ebenso wie dort sein Ende. 1954 stürzte er mit einer abgebrochenen Wechte in den Andern in den Tod.420 Ertl floh vor seinem Berufsverbot in Deutschland nach Bolivien, bestieg noch einige, schwere Andengipfel, widmete sich aber weiterhin vermehrt der Filmkunst und zeichnete sich auch verantwortlich für die filmische Begleitung der Erstbesteigung des Nanga Parbat durch Hermann Buhl. Schließlich setzte er sich als Farmer zur Ruhe. Nach Deutschland kehrte er nicht mehr zurück, ließ sich aber in einer alten, deutschen Militäruniform gemeinsam mit einer Handvoll deutscher Erde auf seinem Grundstück begraben.421 Eidenschink entzog sich der Kriegsgefangenschaft, indem er sich auf das Stripsenjochhaus im Wilden Kaiser zum neuen Hüttenwirt Peter Aschenbrenner verzog, war aber bald wieder in den schwersten Touren u.a. als Erstbegeher unterwegs. Auch Hias Rebitsch sorgte in der Szene weiterhin mit spektakulären Erstbegehungen wie in der direkten Laliderwand für Aufsehen und führte große Namen wie Hermann Buhl ins Bergsteigen ein.422 Die ehemaligen „Bergvagabunden“ blieben ihren Überzeugungen weitgehend treu, etwas sesshafter wurden die meisten, und viele ihrer „Ideale“ haben sich unvermindert bis heute in den Köpfen der nachrückenden Generationen erhalten. Die meisten Spitzenkletterer und Bergsteiger der Gegenwart sind nach wie vor bereit Sicherheiten und Gewissheiten nicht nur in der Wand sondern auch in ihrem Alltag zugunsten ihrer Leidenschaft zu „opfern“, die sie zumeist mit der Verwirklichung ihrer Freiheitsgier

420 HECKMAIR, Eigernordwand, Grandes Jorasses und andere Abenteuer, 1999, p. 195 und RETTNER, Eiger, 2008, p. 262 und HASITSCHKA Josef, KREN Ernst, MOKREJS Adolf, Gesäuse-Pioniere, 2008, p. 225. 421 FRIEDMAN-RUDOVSKY Jean , The Last Days of a Nazi-Era Photographer . In: „Time“ vom 23.09. 2008; http://content.time.com/time/world/article/0,8599,1843282,00.html [Abruf: 03.09.2015] und (DANIELS Alfonso, Nazi-era photos surface in Bolivia. In: „BBC News“ vom 09.09.2008; http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/7595908.stm [Abruf: 03.09.2015]. 422 MAILÄNDER, Spitzensport, 2011, p. 169-170.

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gleichsetzen. Am Gipfel dieses „Spiels“ mit dem Leben steht momentan, sofern man dies einigermaßen bemessen kann, der „erfolgreichste“ Free-Solo Kletterer aller Zeiten, Alex Honnold. Der Kalifornier hätte die Aussicht auf ein „gutbürgerliches Durchschnittsleben“ besessen, beschloss nach mehreren persönlichen Schicksalsschlägen aber sein Bauingenieursstudium abzubrechen und mit dem Familienvan die berühmtesten Kletterspots Amerikas zu durchforsten. Er beschreibt seine Zeit am Campus als „lame“ und führt dies auf einen Mangel an Freunden zurück, denn in der Zivilisation war er vermutlich nie so wirklich zu Hause. Seinen Van hat er mittlerweile ausgebaut und an die Anforderungen einer mobilen Schlafgelegenheit angepasst um seinem Nomadenleben langfristig treu bleiben zu können. Warum er das macht weiß er auch ganz genau: „I live in my van; basically I don’t stay in any place longer than a month or six weeks. You’re constantly following the weather; you’re constantly trying to get the perfect conditions, like not too hot, not too cold. I pretty much have to be mobile. I don’t see my lifestyle any kind of sacrifice, because I´ve chosen this lifestyle in order to maximize my climbingtime. It´s not worth to me to have an apartment, if I’m locked in one place and I can´t climb all the time. Day by day each day I chose, I wanna go climb.” 423 Von einem “Durchschnittsleben” hat er sich mittlerweile Meilen entfernt und erregt auch weit über die Szene hinaus mit seinem Lebensstil und seinen sportlichen Leistungen Aufmerksamkeit, widmete ihm doch bereits die New York Times einen Artikel.424 Ähnlich gelagerte Lebensläufe lassen sich innerhalb des Klettermilieus in Massen ausfindig machen. Sean Villanueva O'Driscoll hat nach eigenen Angaben mit 13 das Klettern für sich entdeckt, und konnte zunächst noch seinen Abenteuerdurst mit Reisen per Anhalter und wildem Campen stillen, mittlerweile allerdings segelt er schon mal drei Monate rund um Grönland um die steilen Wände der Fjorde erst zu begehen.425 Eine unmittelbare politische Einflussnahme oder Nutzbarmachung dieser Lebenseinstellung scheint mir nicht mehr gegeben, vielmehr wird die Vereinnahmung von wirtschaftlicher Seite betrieben. Insbesondere „Red Bull“ inszeniert Bergsteiger bevorzugt als Vorbilder einer modernen „Adrenalinkultur“. Die diversen alpinsportlichen Ausstattungsunternehmen hingegen positionieren ihre Produkte in Verbindung mit einer Art „Lebensgefühl“, was auch in ihren Werbeslogans transportiert wird. Beispielsweise die auf Kleidung spezialisierte Marke „Jack Wolfskin“ wirbt in ihrem Internetauftritt mit der „Philosophie“: „Wir glauben an die Macht

423 Dewar's White Label "Live true" / Alex Honnold; https://vimeo.com/90842375 [Abruf: 04.09.2015]. 424 DUANE Daniel, The Heart-Stopping Climbs of Alex Honnold. In: “The New York Times Magazine” vom 12. 03. 2015; http://www.nytimes.com/2015/03/11/magazine/the-heart-stopping-climbs-of-alex- honnold.html?_r=0 [Abruf: 04.09.2015]. 425 http://www.petzl.com/de/Sport/Petzl-Team/Sean-Villanueva-O-Driscoll#.VervGRHtmko [Abruf: 05.09.2015].

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der Träume. Träume von Freiheit, Unabhängigkeit und Glück.“ Der Kunde erwirbt neben dem simplen Produkt sozusagen auch Anteil an diesen Gütern und die Befähigung sie nach dem Motto „Draußen zu Hause“ zu realisieren.426

Vom Rückzug der politischen Einflussnahme auf den Werdegang von Alpinsportler direkt auf eine Emanzipation der Bergwelt zu schließen, wäre jedoch sicherlich verfehlt. Nach wie vor scheint die alpine Landschaft aus der Perspektive einer menschlichen Frist die „Ewigkeit“ zu überdauern und dementsprechend als symbolischer Garant von Kontinuität und Geborgenheit in Wandlungsarmut sowie als Sinnbild der Rückkehr zu den „Ursprüngen“ und der Materialisierung einer österreichischen Kultur und Identität. Aus der Allgemeinheit der alpinen Landschaft ragt als „Wahrzeichen“ der Großglockner hervor, der besonders vom (vorgeblichen) Traditionalismus einer „rechtsaußen“ Politik umworben wird. Die Umdeutung eines Gipfelkreuzes auf den markanten Bergspitzen zu Räumen des Heldengedenkens ging auch an ihm nicht spurlos vorbei und der Revanchismus des Zwischenkriegsalpinismus grüßt bis heute in Form eines Gedichtes von Heinrich Pfannl die „Jünger“ der alpinistischen Bewegung: „Die ihr auf unserer Heimat größten Zinne steht, wie sie durch dunklen Fels zum Lichte geht, derer, die aus Licht ins Dunkel gingen, dem Vaterland helles Licht zu bringen, denkt ihrer treu, dann wird dem Mutterland ihr Tod der Auferstehung Unterpfand.“427 Dem nachgeborenen „Lichtbringer“, einem sog. „lucifer“ und späteren Kärntner-Landeshauptmann Jörg Haider sollte ebenfalls nach seinem Unfalltod der höchste Punkt des Glockners zum Ort ehrender Erinnerung geraten. Vom Großkirchheimer Bürgermeister wurde eine Gedenktafel mit der ebenso realitätsfernen wie provokanten Aufschrift „Am Berg gibts keine falschen Freunde, nur echte.“ angebracht, die jedoch wenig später wieder vom örtlichen Vorstand des Alpenvereins abmontiert wurde.428 Das vorerst letzte Kapitel politischer Theatralik auf diesem prominenten und heißbegehrten Felszacken brachte Heinz Christian Strache im Zuge des Wienwahlkampfs von 2015 auf die luftige Bühne. Gemeinsam mit seinen Parteikollegen Harald Vilimsky, Herbert Kickl und Johann Gudenus erreichte er den Gipfel und setzte sich und seine Begleiter rot-weiß-rote Fahnen und Wimpel in allen Formaten schwenkend als bergaffiner „Patriot“ in Szene. Ohne Zweifel entfalteten seine alpinistischen Gehversuche die gewünschte Wirkung, denn massenhaft trudelten in der Kommentarleiste die Macht- und Überlegenheitsassoziationen des Alpinisten am Gipfel und die „klassischen“ Vergleiche

426 http://jack-wolfskin.at/unternehmen/profil-philosophie.aspx [Abruf: 28.09.2015]. 427 MÄRTIN Ralf-Peter, Alpinismus und Christentum. Das Kreuz auf dem Gipfel. In: Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Sportwissenschaft e.V., Sport - Körper – Religion 7 (2008), p. 74. 428 N.N., Posse um Haider-Taferl am Großglockner. In: „Der Standard“ vom 22.05.2010; http://derstandard.at/1271377266664/Alpenverein-gegen-FPK-Posse-um-Haider-Taferl-am-Grossglockner [Abruf: 05.09.2015].

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zwischen Bergsport und politischem Wettkampf ein. Ein gewisser Markus Potocnik schreibt etwa: „Gestern der höchste Berg Österreichs und schon morgen die Spitze der österreichischen Politik! Weiter so!!!“ Ansonsten wurden besonders gern Juvenilität und Sportlichkeit hervorgehoben, die dem politischen Mitbewerber der Ansicht der Kommentatoren nach selbstredend fehlen würden.429 Mit dem entstandenen Bildmaterial wurde auch die neue „FPÖ-Hymne“ unterlegt, welche unter pathetischen Klängen zu der Textstelle „Immer wieder Österreich, immer wieder Österreich, immer wieder Österreich, für immer und ewig“ die Parteiprominenz in Siegerpose mit Staatssymbolen zeigt.430 Strache selbst spricht von einer heimlichen Österreich-Hymne und kann sich seinen Wahlkampfsong auch als Wienerlandeshymne vorstellen, die Adaption von Parteisymbolen als Staatssymbole stellt in der geistigen Tradition seiner Partei aber auch kein Novum dar.431

Ebenso wenig wie die Entwicklung des Alpinismus an ihr Ende gelangt ist, wird auch von den traditionellen Riten der staatstragenden Selbstdarstellung am Berg gelassen werden und die alpine Landschaft wird auf absehbare Zeit gewiss ein wohl bestelltes Feld politischer Inszenierung und als Ort der Freiheit selbst Knecht fremder Sinneinschreibung bleiben. Jener naturbelassenen Freiheit wegen erstiegen die Bergsteiger zu allen Zeiten die weltenfremden Gipfel und die vertikalen Weiten, schließlich trugen sie jedoch Fahnen auf die einst freien Spitzen um sie zu besetzen und zu besitzen. Von der Politik vereinnahmt, vom eigenen Ego besessen legten sie die Freiheit in Fesseln und zogen aus um sich diesen unnatürlichen Sinn selbst einzuverleiben. Die Werkstätten ihrer Selbstsuche- und Vergewisserung opferten sie politischen Denkkategorien und jenen gesellschaftlichen Ballast, vor welchem viele von ihnen flüchteten, zogen und bisweilen ritten sie wie ein Pferd in ihre Zufluchtsburgen. Das Individuum verschwand und zeigte sich alsbald im staatstragenden Gewand – denn hoch hinaus für Höheres um von Bergeshängen als Held zurückzukehren in die Menschenmengen. An einen Eid wähnten sie sich gebunden und waren gewillt ihr eigenes Ende für Deutschland zu geben. Dieser Eid mag oft aus Eitelkeit und mit Blick auf das eigene (alpinistische) und nicht unbedingt „heimatliche“ Wohl gesprochen worden sein, dennoch ein Mahnmal mag der Alpinismus seinen „Heroen“ errichten:

“Or burst the vanish'd Hero's lofty mound; Far on the solitary shore he sleeps:

429 https://www.facebook.com/HCStrache/posts/10153288857073591 [Abruf: 14.09.2015]. 430Immer wieder Österreich - Bleib mei Heimat du mei Wien (FPÖ-Wahlkampfhymne 2015). 01:14-01:30; https://www.youtube.com/watch?v=TTujeCZoiyo&feature=youtu.be [Abruf 14.09.2015]. 431 N.N., Strache und Stenzel präsentieren FPÖ-Wahlkampfsong. In: „Der Standard“ vom 02.09. 2015; http://derstandard.at/2000021657719/Strache-und-Stenzel-praesentieren-FPOe-Wahlkampfsong [Abruf: 05.09.2015].

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He fell, and falling nations mourn'd around; But now not one of saddening thousands weeps, Nor warlike-worshipper his vigil keeps Where demi-gods appear'd, as records tell. Remove yon skull from out the scatter'd heaps: Is that a temple where a God may dwell? Why ev'n the worm at last disdains her shatter'd cell!”432

432 LORD BYRON, The Complete Poetical Works. Childe Harold´s Pilgrimage Bd. II [hrsg. von. MCGAIN Jerome J.], Oxford 1980, p. 45.

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Videoquellen:

Abenteuer Alpen (1); https://www.youtube.com/watch?v=nZh2wJF0ERQ [Abruf: 31.08.2015].

Abenteuer Alpen (2); https://www.youtube.com/watch?v=nYS-Ph-i5EM [Abruf: 31.08.2015].

Dewar's White Label "Live true" / Alex Honnold; https://vimeo.com/90842375 [Abruf: 04.09.2015].

Regisseur: Hans Ertl (1/3). 07:23-09:48; https://www.youtube.com/watch?v=LYWIgW6BfOQ [Abruf: 03.09.2015].

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Who is Chris Sharma; https://www.youtube.com/watch?v=DXW5u0qFDr8 [Abruf: 11.09.2015].

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Erinnerungsalbum [Innenseitenwidmung] an die gemeinsamen Unternehmungen am Berg von Markus Griesberger, Sebastian Bachmann, Mathias Luggauer und guten Freunden. Privatsammlung Mathias Luggauer.

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