Titel Alle gegen Otto Das von Bundesinnenminister geplante Zuwanderungsgesetz stößt auf massive Kritik – auch bei Ministerkollegen.

uf einmal stehen die Gegner über- Fingerabdrücke und Fotos verlangen. • Die Regelungen zur Erwerbserlaubnis all: Bundesinnenminister Otto Schi- Das aber, moniert das AA, vertrage sich für Ausländer seien „problematisch“ Aly (SPD) muss für sein Zuwande- nicht mit dem Image eines weltoffenen und „unklar“. rungsgesetz kämpfen. Grünen-Fraktions- Landes. Bei den CDU-regierten Bundes- • Schilys Pläne zur Aufenthaltserlaubnis chef Rezzo Schlauch attackiert die Schily- ländern steht Schily jedoch in dieser Sache seien nicht vereinbar mit EU-Vorstel- Pläne; falls das Gesetz ohne die Grünen im Wort. lungen, die Bestimmungen zum Nach- verabschiedet würde, „wäre die Koalition Die AA-Diplomaten verlangen vom In- zugsalter von Ausländerkindern „nicht am Ende“. Die SPD-Abgeordnete Andrea nenminister auch, er solle Geld für zusätz- sachgerecht“. Nahles poltert: „Wenn Otto Schily außer liche Stellen in den Botschaften herbei- • Schilys Vorhaben, Ausländern, die mut- Rand und Band gerät, muss ihn der Kanz- schaufeln. Mindestens 60 neue Posten und willig ihre Identität verschleiern, mit bis ler oder die Fraktion zurückholen.“ Ihr mehrere Millionen Mark für ortsansässige zu einem Jahr Gefängnis zu drohen, sei Kollege Rüdiger Veit meldet „dringenden Angestellte seien nötig, um die künftigen mit dem Grundsatz der Verhältnis- Korrekturbedarf“ an Schilys Referenten- Zuwanderungsbewerber zu beraten. mäßigkeit unvereinbar. entwurf zum geplanten Gesetz an: „Das Justizministerin Herta Däubler-Gmelin Gesamtnote der Spitzenjuristin für Schi- kann so nicht bleiben.“ übt in ihrer 80-seitigen Ressortstellung- lys Entwurf: Mangelhaft. Dabei hatte der Kollege bei der Präsentation des Plans zur „Steuerung und Begrenzung der Zuwan- derung“ vollmundig die „Top-Qualität“ ge- lobt, die sein Haus abgeliefert habe. Doch auch Mitarbeitern der Bundes- ausländerbeauftragten (Grüne) wurde bei der Lektüre des Klein- gedruckten „immer mulmiger“. Verweise endeten plötzlich „im Nichts“ oder bei „nicht existenten Paragrafen“, so Becks Juristen. Bei einer Expertenrunde von SPD, Grünen und Beamten des Innenmi- nisteriums gewann ein Teilnehmer „den Eindruck, dass Schily und seine Leute oft selbst nicht so recht begriffen haben, was sie da zusammengezimmert haben“. Die Fachleute bei den Grünen, der Ausländerbeauftragten und den Kirchen rätseln über die Gründe: Schlamperei? Unvermögen? Tribut an den ungeheuren Zeitdruck? Oder politischer Wille? „Ich sehe nicht, wie dieser Entwurf in der Fraktion eine Mehrheit bekommen könnte“, stöhnt der innenpolitische Spre-

PETER ENDIG / DPA cher der Grünen, Cem Özdemir. Partei- Kontrahenten Schily, Roth: Verweise ins Nichts chefin sieht die Entscheidung über den Gesetzentwurf in einer weiteren Unbeirrt von den offenen Angriffen nahme Fundamentalkritik am Entwurf des Koalitionsrunde fallen, erst dann im Kabi- aus dem eigenen Lager beharren Kanzler Kabinettskollegen. Kaum ein Absatz fin- nett. Die Kritik der Grünen: Gerhard Schröder und sein Innenminister det Gnade: • Hochqualifizierten soll ein großer Emp- darauf, das Kabinett werde am 26. Sep- • Die Auswirkungen der neuen Vorschrif- fang bereitet werden, während Flücht- tember den Entwurf beschließen. Dabei ten zur Aufenthaltserlaubnis seien „frag- linge weniger Rechtssicherheit befürch- melden auch mehrere Bundesministerien lich“ und führten zur „erhöhten Rechts- ten müssen. in ihren vertraulichen Stellungnahmen zu unsicherheit“. • Schily will das Nachzugsalter von allein dem Werk der Schily-Beamten harsche • Die schlechtere soziale Absicherung einreisenden Kindern von 16 auf 12 Jah- Kritik an. von Asylbewerbern sei „verfassungs- re herabsetzen, statt es, wie von der EU- So lehnt das Auswärtige Amt die Teile rechtlich problematisch“, die neuen Kommission vorgeschlagen, auf 18 Jah- des Gesetzentwurfs ab, mit denen der Befugnisse der Ordnungsbehörden sei- re anzuheben. Innenminister für schnellere Abschiebun- en „verfassungsrechtlich in besonderer • Der Schutz von Bürgerkriegsflüchtlin- gen sorgen will. Die deutschen Botschaf- Weise bedenklich“. Ihre „Erforderlich- gen und geschlechtsspezifisch Verfolg- ten in Ländern, die sich bei der Rücknah- keit“, moniert Justizministerin Däubler- ten ist weiterhin nicht gesichert. me ihrer Staatsbürger stur stellen, sollen Gmelin, sei im Gesetzentwurf „nicht Der CDU/CSU-Opposition verschafft zusätzlich zum Visum-Antrag künftig dargetan“. der rot-grüne Streit erst einmal Luft. Wie

26 37/2001 Affäre in die Feuerlinie geratenen Kanz- leramtschef als Koordina- In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist tor auf den Balkan. Danach sackte seine das Chaos in der Zuwanderungspolitik Partei bei sechs Landtagswahlen ab. „Drei nicht geringer als in den Unionsländern. Monate lang ist mir nichts als Müll um die Nach der von der Parteiführung erzwun- Ohren geflogen.“ genen Zustimmung zum Mazedonien-Ein- Ein Jahr später, im Sommer 2000, hatte satz zeigen sich viele Abgeordnete ent- Schröder es wieder geschafft: Er setzte die schlossen, wenigstens das Zuwanderungs- Green Card durch und am Ende auch die gesetz zu blockieren. „Teile der Fraktion von der Union heftig attackierte Steuerre- haben den Prozess der Mazedonien-Ent- form – indem er einige unionsgeführte Län- scheidung bisher nicht verkraftet“, schimpft der mit deftigen Geldgeschenken auf seine Saarlands Ministerpräsident Peter Müller. Seite brachte. „Die Argumentation, wir müssten Nein Die Sommerreise durch die ostdeutschen zur Zuwanderung sagen, weil wir Ja zu Länder wurde zum Triumphzug. 75 Pro- Mazedonien gesagt haben, halte ich gera- zent der Deutschen gaben dem Kanzler die dezu für zynisch“, sagt der liberale CDU- Schulnote „Gut“ bis „Befriedigend“. Mann, Vorsitzender der Zuwanderungs- Aber auch dieses Hoch dauerte nicht kommission seiner Partei. „Das würde ja lange. Erst musste sein Minister Reinhard heißen, dass uns die Sache überhaupt nicht Klimmt wegen umstrittener Beraterverträ-

MICHAEL JUNG / DPA interessiert.“ Die Union, bekräftigt Mül- ge abtreten, dann ging sein Staatsminister Unionspolitiker Beckstein, Müller ler, habe „sich durch ihre eigenen Be- für Kultur, Michael Naumann, ein Glanz- Peinliches Statement schlüsse gebunden“. licht seines Kabinetts. Die BSE-Krise fraß Angesichts des Durcheinanders beim an der Berliner Koalition, die Gesund- beim Mazedonien-Einsatz überdeckt er die Gegner empfiehlt der Grüne Özdemir, das heitsreform geriet ins Stocken. Am Ende völlige Zerstrittenheit der Union. Zuwanderungsgesetz nach dem Vorbild der war Schröder noch zwei Minister los: Karl- Nicht einmal im kleinsten Kreis konnten Steuerreform durchzusetzen. Mehrere Län- Heinz Funke und Andrea Fischer. sich die sieben konservativen Innenminister der mit CDU-Regierungsbeteiligung hatte Im Jahr 2001 sackten mit den Wirt- am Montag vorletzter Woche im Kempins- der Kanzler vor einem Jahr mit finanziel- schaftsdaten auch Schröders Popularitäts- ki-Hotel nahe dem Frankfurter Flughafen len Zusagen geködert – und so die Uni- werte ab. Erst explodierten die Rohölprei- auf eine gemeinsame Position zum Schily- onsfront im Bundesrat zerschlagen. „Dies- se, dann stiegen die Sprit- und Heizkosten Gesetz einigen. Der abwesende Branden- mal brauchen wir nur eine einfache Mehr- und auch die Arbeitslosenzahlen. Und burger Ressortchef Jörg Schönbohm, der heit“, feixt Özdemir. „Und welcher Unions- dann kam Scharping. auf Wandertour durch Usbekistan war, zog politiker kann schon etwas dagegen haben, Trotzdem wäre Schröder mit Scharping, den Neid der Kollegen auf sich: „Der hatte wenn der Bund die Kosten für Sprach- wenn der ginge, seine Nöte nicht los. Ein wenigstens einen entspannten Abend.“ unterricht und Orientierungshilfen über- weiterer Minister drängt sich unliebsam in Nach zähen Verhandlungen kam ledig- nimmt?“ Tina Hildebrandt, Georg Mascolo, den Mittelpunkt der öffentlichen Auf- lich eine 53-zeilige „gemeinsame Grund- Rüdiger Scheidges, Holger Stark merksamkeit: Otto Schily. position“ von CDU und CSU zu Stande. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) fand das dürftige Statement offenbar arg peinlich. Beckstein warn- te Schily, er gehe davon aus, „dass sich gegebenenfalls Kollegen noch gesondert äußern werden“. Während die Bayern in- zwischen auf Fundamental- opposition geschaltet haben, wollen andere einen Kom- promiss. „Jetzt muss die CDU auf Schily zugehen, sonst stehen wir als Verwei- gerer da“, fordert der Bre- mer Innensenator Kuno Böse (CDU): „Noch können wir einen nationalen Konsens in dieser grundlegenden Frage beeinflussen.“ Auch der Brandenburger Schönbohm plädiert für eine gemeinsame Lösung bei der Zuwande-

rung. / OSTKREUZ ANNE SCHÖNHARTING

Multikulturelles Dissens festgestellt