Dreikönigstreffen 2012: Europa neu denken! – Hat eine freiheitliche Wirtschaftsordnung Zukunft?

01 | 2012 Dialog Handwerk Europa neu denken! – Hat eine freiheitliche Wirtschaftsordnung Zukunft?

Dreikönigstreffen 2012 des nordrhein-westfälischen Handwerks

Stenografisches Wortprotokoll des Dreikönigsforums mit

Professor Wolfgang Schulhoff Professor Dr. Klaus Hänsch Klaus-Heiner Lehne MdEP Sven Giegold MdEP Professor Dr. Gebhard Kirchgässner Dipl.-Volksw. Josef Zipfel Professor Dr. Günther Nonnenmacher, Moderator und des Dreikönigsessens mit

Professor Wolfgang Schulhoff Christian Lindner MdB Werner Böhnke in der WGZ BANK AG Westdeutsche Genossenschafts-Zentralbank Ludwig-Erhard-Allee 20, Düsseldorf am Donnerstag, 12. Januar 2012

Dialog Handwerk 1/2012 Zum Geleit

Die europäische Integration war seit den Tagen Konrad Adenauers, Alcide de Gasparis und Ro- bert Schumans eine große Erfolgsgeschichte für unseren Kontinent – zunächst im Westen, nach 1989 auch in Mittel- und Osteuropa. Aber die europäische Integration steckt derzeit in der größ- ten Krise ihrer Geschichte. Hervorgerufen wurde diese Krise nicht zuletzt dadurch, dass man im Namen einer immer engeren politischen Integration gegen wirtschafts- und finanzpolitische Grundregeln verstoßen hat. Die Geschichte der europäischen Währungsunion seit 1999 zeigt: Was ökonomisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein. Wir müssen die Prinzipien und Zie- le der europäischen Integration überdenken – nicht um damit einem Rückfall in nationalistische Vorstellungen den Weg zu bereiten, sondern im Sinne Europas selbst. Wem an einem Erfolg der europäischen Integration gelegen ist, darf nicht zulassen, dass sie durch falsche Leitideen auf Abwege gerät. Wir müssen Europa neu denken!

Das war das Thema des diesjährigen Dreikönigsforums des Nordrhein-Westfälischen Hand- werkstags. Mit dem ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, Klaus Hänsch, mit dem Vorsitzenden der Rechtsausschusses, Klaus-Heiner Lehne, und dem Finanzpolitiker Sven Giegold waren auf dem Podium drei hochkarätige Parlamentarier und Europapolitiker versam- melt. Ergänzt wurde die Runde um den Ökonomen Gebhard Kirchgässner von der Universität St. Gallen, einen international renommierten Experten der empirischen Demokratie- und Föde- ralismusforschung.

Festredner des diesjährigen Dreikönigsessens war der FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Lindner. Es war sein erster öffentlicher Auftritt nach seinem Rücktritt als Generalsekretär seiner Partei. Entsprechend groß war das Interesse an seiner Rede, das sich auch in der ausführlichen Berichterstattung überregionaler Medien wie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ oder „Die Welt“ niederschlug. Aber niemand konnte damals voraussehen, dass wir wenige Monate später in Nordrhein-Westfalen mitten in einem vorgezogenen Landtagswahlkampf stecken und Christian Lindner als Spitzenkandidat, designierter Landesvorsitzender und Hoffnungsträger der FDP derzeit ein erstaunliches Comeback unternimmt. Seine Festrede war eine eindrucks- volle Standortbestimmung zur Idee der Freiheit, die Liberalen aus allen Parteien viel Stoff zum Nachdenken zu bieten hatte.

Unser besonderer Dank gilt Dr. Thomas Köster, der als Leiter unseres Kompetenzzentrums Soziale Marktwirtschaft die inhaltliche Vorbreitung des Dreikönigsforums auch in diesem Jahr maßgeblich geprägt hat. Schriftenreihe: Dialog Handwerk 1/2012 Nordrhein-Westfälischer Handwerkstag Herausgeber: Nordrhein-Westfälischer Handwerkstag

Verantwortlich: Josef Zipfel Professor Wolfgang Schulhoff Dipl.-Volkswirt Josef Zipfel Inhaltliche Koordination: Präsident Hauptgeschäftsführer Dr. Thomas Köster, Kompetenzzentrum Soziale Marktwirtschaft

Stenografische Protokollierung und Rednerkorrekturen: Michael Roeßgen Düsseldorf, im April 2012

Gestaltung: Andreas Babel

Dialog Handwerk 1/2012 5 Inhalt

5 Zum Geleit

7 Inhalt

Dreikönigsforum

8 Begrüßung Professor Wolfgang Schulhoff Präsident des Nordrhein-Westfälischen Handwerkstages

12 Einführung Professor Dr. Günther Nonnenmacher Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

12 Statements Professor Dr. Klaus Hänsch Präsident des Europäischen Parlamentes a. D.

15 Klaus-Heiner Lehne MdEP Vorsitzender des Rechtsausschusses des Europäischen Parlamentes

18 Sven Giegold MdEP Finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE GRÜNEN/EFA im Europäischen Parlament

21 Professor Dr. Gebhard Kirchgässner Universität St. Gallen

24 Dipl.-Volksw. Josef Zipfel Hauptgeschäftsführer des Nordrhein-Westfälischen Handwerkstag

26 Aussprache

40 Schlusswort Andreas Ehlert Vizepräsident des Nordrhein-Westfälischen Handwerkstages

Dreikönigsessen

42 Begrüßung und Einführung Professor Wolfgang Schulhoff Präsident des Nordrhein-Westfälischen Handwerkstages

44 Grußwort Werner Böhnke Vorsitzender des Vorstands der WGZ BANK

48 Festansprache „Hat eine freiheitliche Wirtschaftsordnung Zukunft?“ Christian Lindner MdB Freie Demokratische Partei

55 Bisherige Veröffentlichungen

Dialog Handwerk 1/2012 7 Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks

Dreikönigsforum

wir in den vergangenen zehn Jahren unsere onen. Selbstverständlich gibt es auch im Hoch- Hausaufgaben gemacht haben. Das geschah teil- schulbereich Qualifizierte. Wer wollte das hier weise mit großen Schwierigkeiten, auch gegen abstreiten? Aber man muss sehr differenziert die Bevölkerung, wenn ich an die Agenda 2010 hinsehen: Wenn wir zu wenige ausgebildete Stu- denke. Ich denke auch an das hervorragende denten haben, dann doch in den MINT-Fächern. Begrüßung Ich wünsche uns allen im Namen des gesamten Verhalten der Gewerkschaften bei der Lohnpoli- Das ist auch in Deutschland so. Da muss mehr nordrhein-westfälischen Handwerks ein gutes tik. Das hat die Stückkosten in Deutschland nied- getan werden. Was nutzen denn quantitative und erfolgreiches neues Jahr. rig gehalten. Deshalb sind wir außerordentlich Vergleiche von Hochschulabsolventen, wenn ein Professor Wolfgang Schulhoff konkurrenzfähig. Teil von ihnen gar keine Berufschancen hat? Wir Präsident des Nordrhein-Westfälischen Das Handwerk steht zum Jahreswechsel gut da. sehen und hören doch gerade aus Italien und Handwerkstages Wir haben ein wirtschaftlich erfolgreiches Jahr Das wissen wir, und das wissen viele. Herr Monti Spanien, dass junge Menschen, gut ausgebildet, 2011 hinter uns. Sie konnten das der Presse ent- hat das gerade gestern noch der Bundeskanzlerin vor den Fernsehkameras stehend, sagen, sie be- Meine Damen und Herren! nehmen. Wir bewegen uns auf einem hohen Ni- bescheinigt. Nur scheint das alles an Brüssel vor- kämen dort keinen Job. Ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserem dies- veau in das Jahr 2012 hinein. beizugehen. Da moniert doch der Europäische jährigen Dreikönigsforum. Rat in seiner „Empfehlung vom 12. Juli 2011 zum Ganz grundsätzlich gilt doch: Wir brauchen ei- Allerdings müssen wir das Jahr 2012 mit gebote- nationalen Reformprogramm Deutschlands“ un- nen Mix aus guter allgemeiner und beruflicher Ich freue mich, wieder so zahlreich Persönlich- ner Vorsicht sehen. Alle führenden Wirtschafts- ter anderem, wir hätten im Vergleich zum EU- Bildung. Das ist das Fundament unseres Wohl- keiten aus Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Ver- forschungsinstitute gehen davon aus, dass wir Durchschnitt zu wenige Studenten. Angesichts standes. waltung, Justiz und Medien begrüßen zu dürfen. in Deutschland im Jahr 2012 – ich bleibe beim solcher Einlassungen frage ich mich: „Wo waren Ich bitte um Verständnis, wenn ich nur einige Handwerk – etwas kleinere Brötchen backen denn in den letzten Monaten die großen Studen- Regelrecht absurd ist auch die kürzlich erhobe- wenige namentlich nenne. müssen. Was angekündigt wird, das wird am tenunruhen?“ Wo waren sie denn? – In Spanien, ne Forderung von einer EU-Kommissarin, dass Handwerk also nicht spurlos vorbeigehen. Frankreich und England und in anderen Län- sogar Pflegekräfte künftig Abitur haben müssen. Mein besonderer Gruß gilt dem Präsidenten des dern, die eine bedeutend höhere Arbeitslosigkeit Da drängt sich doch jedem Menschen in unse- nordrhein-westfälischen Landtags, Herrn Eck- Keiner kann heute nämlich sagen, wie unsere haben als wir: Spanien 40 Prozent, Italien 20 Pro- rem Land die Frage auf, ob denn der Mensch erst hard Uhlenberg. Herzlich willkommen bei uns! Partnerländer in Europa ihre strukturellen Pro- zent, Frankreich 20 Prozent. mit dem Abitur anfängt, um wahrgenommen zu bleme lösen, inwieweit die Finanzindustrie – ich werden. (Beifall) habe eben den Unterschied gemacht, Herr Böhn- Wir liegen in Deutschland gerade bei 8,5 Prozent, ke, damit Sie still sitzen können – sich wieder der was natürlich auch noch zu hoch ist. Die Frage Last not least hört man derzeit auch wieder lau- Herzlich begrüße ich unseren Gastgeber, Herrn Realwirtschaft nähern wird und wie dem Euro ist leicht zu beantworten, warum wir in Deutsch- ter aus Brüssel die üblichen, fast schon traditio- Böhnke. wieder ein solides Fundament gegeben wird. land in einer besseren Kondition sind. Wir haben nellen Klagegesänge über die angeblich so un- ein ganz anderes Ausbildungssystem als die an- gerechtfertigten Beschränkungen im deutschen (Beifall) Dennoch habe ich, was uns, die deutsche Wirt- deren Länder. Die schlichte Wahrheit ist doch: Handwerk. Nur eine Anmerkung hierzu: Gerade schaft und das Handwerk, anbetrifft, eine op- Brüssel unterschätzt massiv die Bedeutung und in der Krise hat das deutsche Handwerk seinen Wir freuen uns, dass wir hier sind. Wir freuen timistische Grundeinstellung, was man in der den Wert unseres dualen Systems. Wert eindrucksvoll unter Beweis gestellt – mit uns, in einem Bankhaus zu sein, das gut aufge- Wirtschaft immer haben sollte. Wirtschaft ist ja und dank unserer Meisterqualifikation! Wir sind stellt ist. Ich freue mich natürlich auch über das zu fünfzig Prozent Psychologie. Denn soweit (Beifall) das Herzstück des Mittelstandes und das Herz- dreigliedrige deutsche Bankensystem, das uns sich das von heute aus absehen lässt, werden wir stück des selbst haftenden Unternehmertums. durch jede Krise und auch durch die letzte Krise unsere Position bei Umsatz und Beschäftigung In unserem Land erlernt mehr als die Hälfte der Das wird jetzt in allen Kreisen Deutschlands gut durchgebracht hat. weitgehend halten können. Das ist natürlich ein Schulabgänger ihren Beruf innerhalb des dualen auch so bewertet. Wir können das vielen Presse- hohes Niveau, das wir hatten. Wir hatten eine Systems. Wenn man die Ausbildungserfolge in mitteilungen entnehmen. Begrüßen wollte ich Herrn Reinhold Schulte. Er fünfprozentige Steigerung. ihrer Gesamtheit betrachtet, haben wir ein be- ist noch nicht da. Er wird aber später kommen. deutend höheres Niveau ausgebildeter junger Meine Damen und Herren, das sind nur drei Wir wollten auf die SIGNAL IDUNA Versich- Denn wir haben in Deutschland einige wichti- Menschen als viele andere Länder gerade in Eu- Beispiele von vielen, die zeigen, wo und wie der erung, eines der größten Unternehmen, das dem ge strukturelle Probleme mit dem Ergebnis ge- ropa. Es gibt natürlich einige, die noch besser ste- Europa-Gedanke leichtfertig verspielt wird. Die Handwerk immer sehr nahe steht, auch in der löst, dass wir heute rund 41 Millionen Beschäf- hen. Aber bei den vergleichbaren Ländern sind Menschen begreifen nicht, dass Europa in be- Begrüßung Rücksicht nehmen. tigungsverhältnisse haben und darüber hinaus wir besser. Genau hier liegt des Pudels Kern! währte Strukturen eingreift. Europäische Integ- eine hohe Konsumtätigkeit, die wir in den letzten An diesen gut ausgebildeten Fachkräften hängt ration kann doch nicht heißen: Gleichmacherei Ich begrüße ganz herzlich meine Präsidentenkol- Jahren vermissen mussten, die uns etwas über weitgehend unsere Wettbewerbsfähigkeit. Hier um jeden Preis – und das noch auf niedrigem legen Andreas Ehlert, Willy Hesse, Hans Rath, die Exportschwierigkeiten hinweghilft. müssen wir ansetzen. Niveau. Dieter Philipp und Hans Peter Wollseifer. Herz- lich willkommen! Machen wir uns aber bitte nichts vor: Das kommt Wenn Brüssel Empfehlungen gibt, dann muss Um möglichen Missverständnissen vorzubeu- doch alles nicht von ungefähr in Deutschland. das auch einmal auf die anderen Länder über- gen: Mir liegt Europa am Herzen. Nichts anderes (Beifall) Das liegt doch schlicht und einfach daran, dass gehen. Wir brauchen Menschen mit Qualifikati- als Europa hätte uns aus den Kriegswirren her-

8 Dialog Handwerk 1/2012 Dialog Handwerk 1/2012 9 Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks

aushelfen können. Es war Frieden stiftend. Wir Zugegeben: Es ist auch schwierig, heute die rich- spiel kann mir erklären, wo die 144 Milliarden die im Finanzausschuss daran mitgewirkt ha- sind ja alle glücklich und froh darüber. tigen Lösungen zu finden, da alles so verfahren Euro, die aus den Töpfen der Europäischen Uni- ben. Wir Deutsche verlieren zudem auch noch ist. Denn Konstruktion wie auch der Zeitpunkt on seit 1983 an Griechenland zur Verbesserung an Einfluss. Denn die Mehrheit der Zentralbank- Ich bin ein leidenschaftlicher Europäer, aber ich der Euro-Einführung waren problematisch. Die seiner Wirtschaftsstruktur geflossen sind, letzt- Mitglieder verfolgt eine andere Notenbankpo- bin gleichzeitig auch ein Realist. Deshalb habe damals Verantwortlichen haben eine alte Bin- lich versickert sind? Wir sehen sie nicht, wenn litik als die, die wir Deutsche immer mit der ich den Eindruck, dass Europa sich irgendwann senweisheit fahrlässig ignoriert, nämlich: „Was man durch das Land geht. Bundesbank betrieben haben. Es wäre tragisch, einmal verrannt hat. Ich empfehle jedem, dem ökonomisch falsch ist, kann politisch auf Dauer wenn der Gedanke der deutschen Stabilitätskul- wie mir Europa am Herzen liegt, mit den Men- nie richtig sein.“ Denn der Euro war nicht der Nur nebenbei bemerkt: In den 144 Milliarden tur auf dem Weg in eine Transferunion geopfert schen zu sprechen und sich genau anzuhören, Ökonomie, sondern wesentlich der Politik ge- Euro sind die Milliarden aus dem Rettungsfonds würde, auf dem wir uns leider schon befinden. was sie über Europa sagen. Denn ohne die Men- schuldet. noch nicht einmal enthalten. Im Übrigen: Ich bin Diesen Prozess bezeichnete Hans Werner Sinn schen kann man kein Europa bilden. Die Men- froh, dass die Griechen jetzt selber intensiv da- vor kurzem als „Schuldensozialismus“. Das ist schen wollen mehr Europa, wo es Sinn macht. Auch in den nachfolgenden Jahren wurden die rüber nachdenken, die Drachme wieder einzu- der Weg in eine Weichwährung. Die dürfen wir Sie wollen weniger Europa, wo es nur um büro- notwendigen Korrekturen unterlassen. Heute führen. Sie tun es selber; wir können sie ja nicht Deutschen uns einfach nicht gefallen lassen. Das kratische Gängelei geht. Und sie haben keinerlei spricht Frau Merkel – so noch vor zwei Tagen in dazu zwingen, dass sie es tun. Denn nur so ha- auch in Anbetracht der sozialen Probleme in un- Verständnis für ideologische Alleingänge profil- Düsseldorf – von den Sünden der Vergangenheit. ben sie meiner Ansicht nach eine Chance – viele serem Lande. Wir müssen ja auch noch Gelder suchender Kommissare. Im Übrigen haben wir Ökonomen sind der gleichen Meinung –, mittels für uns zur Verfügung haben. Wir können nicht viel zu viele Kommissare. Wir haben 27. Ich weiß Was haben uns nun die zehn Jahre Euro ge- Abwertung ihrer Währung wieder auf eigenen der Zahlmeister der gesamten europäischen Welt nicht, wie man das ändern kann. Wenn wir noch bracht? – Zunächst zweifellos einige Vorteile. Beinen zu stehen. Es geht nicht mit dem Euro. Sie werden. Das ist heute schon der Gang der Dinge. größer werden, haben wir noch mehr. Das will ich gar nicht ignorieren. Eines jedoch hat müssen eine eigene Währung haben. Sie müssen uns der Euro mit Sicherheit nicht gebracht, die abwerten können, damit sie ihre Produkte gleich- Meine Damen und Herren, das waren nur einige Wir haben gerade in einer Blitzumfrage im Realisierung eines seiner wichtigsten Ziele: die wertig wieder an die Märkte bringen können. Anmerkungen von mir. Wir werden das gleich Handwerk ermittelt, dass die Hälfte der Befrag- Integration Europas zu vertiefen. in einem exzellenten Podium weiter behandeln ten für mehr Integration der Haushalts- und Fi- Nur sollten wir diesen Prozess finanziell unter- können. nanzpolitik auf europäischer Ebene ist. Das ist Das Gegenteil ist leider eingetroffen. Die Men- stützen. Für mich gilt das Motto: „Lieber ein Ende ein hervorragendes Ergebnis. Sie sehen, dass die schen sind müde geworden, und sie haben heute mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Ich darf die einzelnen Teilnehmer hier ganz herz- Menschen viel mehr mitdenken. Über 80 Prozent sogar berechtigte Sorgen um ihre Ersparnisse. Sonst werden wir Griechenland in den nächsten lich begrüßen. Es sollte Elmar Brok kommen, der Befragten sind der Meinung, dass die bisher Das ist ein ganz neues Moment, das hier hinein- vierzig Jahren in demselben Maße subventionie- aber dafür kam Klaus-Heiner Lehne, der Vorsit- getroffenen Maßnahmen nicht geeignet sind, die gekommen ist. Der Euro hat sich nicht als Motor ren müssen, wie wir es getan haben, ohne dass zende des Rechtsausschusses. Er ist gerade erst Staatsschuldenkrise in Europa zu meistern. Es des europäischen Integrationsprozesses erwie- man weiß, wohin die Mittel fließen. aus Brüssel gekommen. Herzlichen Dank dafür, gibt noch etwas viel Schlimmeres: Fast 80 Pro- sen, sondern eher als dessen Sprengsatz. Daher dass Sie da sind. zent haben kein Vertrauen mehr in die europä- müssen wir – deshalb sind wir heute zusammen- Grundsätzlich: Europa muss die Zügel loslassen, ischen Institutionen. Das ist eine Umfrage, die gekommen, und es werden noch mehr Zusam- wo es um die normalen Lebensverhältnisse der (Beifall) zwar nicht repräsentativ ist, aber wenn wir sie menkünfte notwendig sein – Europa neu denken. Bürger geht. Was national vernünftig geregelt repräsentativ machen würden, kämen wir wahr- Ich will den Euro nicht abschaffen, ich will ihm wird, daran sollte Europa nicht rütteln. Ludwig Wir begrüßen einen ganz bekannten Europapoli- scheinlich zu denselben Ergebnissen, wenn wir nur ein besseres Fundament geben. Das ist in der Erhard hat das einmal so ausgedrückt: „Sizilien tiker: Professor Klaus Hänsch. Herzlichen Dank, die Stimmung heute betrachten. Tat, um mit Frau Merkel zu reden, alternativlos. liegt nicht an der Ruhr.“ Ich darf hier sagen: Sizi- dass Sie gekommen sind. Sie kennen Europa. lien liegt nicht am Rhein. Das ist eine gefährliche Entwicklung, auf die Wir brauchen Vertiefung dort, wo es angebracht (Beifall) man von politischer Seite klug und überzeugend ist, also insbesondere in der Haushalts- und Fi- Wir wollen Einheit. Ja! Aber wir wollen Einheit reagieren muss. Deshalb kann ich den Europapo- nanzpolitik. Wir brauchen eine Fiskalunion. Die in Vielfalt. Nur wenn wir aus dem Klein-Klein Ich begrüße Sven Giegold. Auch kein Unbekann- litikern nur etwas mehr Demut bei ihren Erklä- hätten wir immer gebraucht, die hätte schon der Regulierung herauskommen, kann die parla- ter für uns. Er ist wirtschaftspolitischer Sprecher rungen empfehlen und etwas weniger aufgesetz- von Anfang an da sein müssen – so war es von mentarische Kontrolle funktionieren. Dabei kann der Fraktion Die Grünen im Europäischen Par- te Erfolgsrhetorik. Die nämlich bewirkt genau Müller-Armack und den großen Europäern ge- und sollte das Europäische Parlament – auch in lament. das Gegenteil, weil sie in der Situation, in der wir dacht–, allerdings nach klaren, transparenten den Augen der Bürger, also seiner Wähler – seine heute stehen, keiner mehr ernst nimmt. und vor allem nach parlamentarisch kontrollier- Rolle als Gegengewicht zur übermächtigen Exe- (Beifall) ten Regeln. Wir brauchen also ein funktionieren- kutive stärken. Das werden Sie doch, meine Her- Das gleiche gilt natürlich auch für die Bundespo- des Regelwerk. Und: Wir brauchen eine effektive ren aus dem Europaparlament, teilen. Meine Herren, ich freue mich schon auf Ihre Stel- litiker. Denn ihnen trauen nach unserer Umfrage Kontrolle der Mittelverwendung. Es steht ja auch lungnahmen. nur noch 34 Prozent der Befragten Lösungskom- im Maastrichter Vertrag sehr deutlich, was wir Eine weitere große Sorge bereitet mir die Rolle petenz zu. Die Situation ist also nicht anders. Da- tun müssen. der Europäischen Zentralbank. Die Europäische Flankiert werden die Repräsentanten des Euro- mit jetzt keine Unruhe auf dem Podium auftritt: Zentralbank handelt seit einiger Zeit contra le- päischen Parlaments durch einen Außenseiter, Ich meine immer die anderen. Das ist klar. Sonst Die Strukturpolitik der Europäischen Union hat gem. So war sie nicht gedacht. So haben wir sie den wir, nicht aus der Europäischen Union stam- hätten wir Sie gar nicht hierher eingeladen. in vielen Bereichen restlos versagt. Wer zum Bei- damals nicht installiert. Ich gehörte ja zu denen, mend, zu uns gebeten haben, durch Professor

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Gebhard Kirchgässner von der Universität St. Einführung heißt, ich kleide das alles in Thesen, die hinter- sondern um Koordinierung. Aber es hat sich hier Gallen. Herzlich willkommen! fragt, vorgefragt und abgehakt werden können. etwas bei uns bewegt, jedenfalls in der Regierung. Professor Dr. Günther Nonnenmacher, Ich meine, wenn ich sage, das sei ein Tabuthema (Beifall) Mitherausgeber der „Frankfurter Da ich die Zeit einhalten will, will ich gleich ein gewesen, gilt das nicht bloß für die jetzige Regie- Allgemeinen Zeitung“ bisschen Wasser in den Wein gießen. Subsidia- rung und nicht nur für die vorhergehende, son- Die Position des Handwerks wird von Herrn Jo- rität, Kompetenzrückverlagerung, Dezentrali- dern auch für die vorvorhergehende Regierung sef Zipfel, dem Hauptgeschäftsführer des Nord- Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen erst sierung, Entbürokratisierung – das ist alles zum von Rot-Grün und die Große Koalition. rhein-Westfälischen Handwerkstages, vorgetra- einmal im Namen des gesamten Podiums die großen Teil richtig, nicht vollständig, aber wenn gen, den ich ebenfalls begrüße. besten Grüße für das neue Jahr präsentieren. es darum geht, über Europa nachzudenken, Europa ist ohne Fiskalunion und Wirtschaftsre- wenn es darum gut, dieses Europa neu zu den- gierung nicht zu retten. Diese Rettung wird nur (Beifall) Herr Schulhoff hat ja in gewohnter handwerkli- ken, dann müssen wir das etwas anders anfas- außerhalb des gegenwärtigen Vertrages durch ei- cher Manier mit kantigen Thesen schon die Dis- sen, finde ich. nen zweiten Vertrag, der nicht alle Mitgliedstaa- Das Schlusswort wird gleich unser Freund, Prä- kussion eingeleitet. Ich hätte zwar einige Anmer- ten der Europäischen Union und wahrscheinlich sident Andreas Ehlert, sprechen müssen. Es wird kungen und Repliken auf der Zunge, aber ich Wenn Europa aus der Eurokrise beschädigt her- auch nicht der Euro-Zone umfasst, zustande also gleich viel auf Sie zukommen, Herr Ehlert. beiße mir auf dieselbe, weil wir heute auf dem auskommt, dann werden es keine Subsidiarität, kommen. Weil es schnell gehen muss – und es Podium kompetente Sprecher haben, die den Kompetenzrückverlagerung, Dezentralisierung, muss schnell gehen –, wird diese Vertragsreform Ich begrüße ganz herzlich Herrn Professor Non- europäischen Alltag täglich erleben oder erlebt Entbürokratisierung usw. reparieren. Es ist ein dünner sein, als wir sie uns vorstellen und als es nenmacher. Ich freue mich darüber, dass er haben. Die sind Manns genug, einiges von dem, Irrtum zu glauben, dass man nur in Brüssel we- sich auch die deutsche Bundesregierung vorstel- wieder die Moderation in seiner bewährten Art was Sie gesagt haben, Herr Schulhoff, anzuzwei- niger Kommissare zu haben braucht – wofür ich len kann und vorstellen muss, sage ich. Es geht ja übernehmen wird. feln oder zumindest andere Wege aufzuzeigen. bin, leider ist der Verfassungsvertrag, der das hier um Verhandlungspositionen, noch nicht um vorsah, von den Niederlanden und den Franzo- Ergebnisse. (Beifall) Ich bitte den langjährigen Präsidenten des Euro- sen nicht gewollt worden –, um ein anderes Eu- päischen Parlaments, Herrn Hänsch, als ersten, ropa, das fitter ist für die gegenwärtige Situation Diese Reform wird eine Wirtschaftsregierung, Meine Damen und Herren, das war von meiner seine Thesen vorzutragen. in Europa und in der Welt, herbeizuführen. Das wie immer sie genannt wird, brauchen und schaf- Seite alles. Ich wünsche uns einen schönen, span- zu glauben, halte ich für einen Grundirrtum. Das fen, oder die Rolle der Europäischen Zentralbank nenden Nachmittag. Herzlichen Dank für Ihre gilt für manches andere auch. wird verändert werden müssen, die ja bislang Geduld. die einzige Institution ist, die in der gegenwärt- Statement I Es geht auch längst nicht mehr um etwas mehr gen Krise funktioniert hat. Schließlich wird diese (Beifall) oder etwas weniger Rettungsschirm, Reformauf- Fiskalunion – da mögen mich Herrn Lehne und Professor Dr. Klaus Hänsch, Präsident lagen, Schuldenbremsen, Automatismen usw. Herr Giegold gleich skeptisch ansehen; dazu ha- des Europäischen Parlamentes a. D. Das ist alles wichtig, notwendig und schwierig ben Sie völlig recht – intergouvernemental sein. genug, es durchzusetzen. Es geht nicht einmal Das heißt nicht, dass das Europäische Parlament Herr Präsident Schulhoff, meine verehrten Da- mehr um den Austritt Griechenlands. Abgesehen und die Kommission nicht ihre Rolle spielen men und Herren! Muss Europa neu gedacht davon, dass das juristisch und vertragsrechtlich müssen, wie sie in den gegenwärtigen Verträ- werden? – Ja. Das gilt für alle. Das gilt für die eine außerordentlich schwierige Frage ist, weil gen vorgesehen ist, aber in der Substanz wird Europaabgeordneten, das gilt für die Regierun- die nämlich bloß aus der Währung, aber nicht es sich um Regierungszusammenarbeit handeln gen, das gilt für die Medien und die Verbände in aus der Währungsunion aussteigen können. und nicht um einen wesentlichen Kompetenzzu- Deutschland und in anderen europäischen Län- Aber ich will Sie mit diesen vertragsrechtlichen wachs der europäischen Institutionen in Brüssel. dern. Details nicht belästigen, sondern es geht, meine Damen und Herren – das meine ich im Ernst des Dritte These: Europa neu denken heißt Verän- Deswegen begrüße ich es außerordentlich, dass Wortes –, um das Ganze, mit dem, was wir in Eu- derung der öffentlichen Meinung, also Medien, der Nordrhein-Westfälische Handwerkstag diese ropa haben, und mit dem, was wir aus Europa Politik, Wissenschaft, Verbände in der Bundes- Tagung dazu nutzt, diese Frage zu stellen und machen können, und dem, was wir aus Europa republik Deutschland und auch in anderen eu- bereit ist, ein paar wahrscheinlich nicht sehr kon- machen wollen. ropäischen Ländern, und zwar Veränderung des ventionelle oder vielleicht für den einen oder Denkens durch die Realisierung des Ausmaßes anderen doch sehr konventionelle Erinnerungen Meine zweite These: Europa neu denken heißt, von Abhängigkeiten, Verflechtung und Verant- oder Anregungen zu hören. dass der Euro ohne Fiskalunion und das heißt wortung in der Europäischen Union. Ich nenne auch ohne Wirtschaftsregierung nicht zu ret- alles drei Abhängigkeit, Verflechtung und Ver- Wer über Europa neu nachdenkt, bewegt sich auf ten ist. Ich weiß, dass insbesondere das Stich- antwortung in der Europäischen Union insbe- unbekanntem Gelände. Das kann eine Zumu- wort Wirtschaftsregierung über Jahrzehnte in sondere für Deutschland. Wir können alles Mög- tung sein, aber Sie haben es so gewollt. Ich habe Deutschland ein Tabuthema war, französisch liche über unser Verhalten und dieses und jenes ja nur acht Minuten und eine strikte Vorgabe; das kontaminiert, die wollen nur Wirtschaftslen- sagen, was wir zu viel oder zu wenig haben, aber kung. In Wirklichkeit geht es nicht um Lenkung, eines sage ich Ihnen aus der jahrzehntelangen

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Erfahrung mit anderen: An der Bundesrepub- Einigung Europas. Es geht im Kern nicht mehr neu gedacht wird. Der Schuman-Plan, die Mon- von überzeugt, das können wir auch. – Schönen lik Deutschland und deren jeweiligen Führung um Wirtschafts-, Sozial- oder Fiskalunion – das net-Initiative 1950, war ein neues Denken über Dank. hängt die Zukunft der Europäischen Union im sind Instrumente zur Erreichung, wie ich heutzu- Europa. 1954/57 – der Verlust der Europäischen Wortsinne, tage sage, eines überragendes Zieles –, schon gar Verteidigungsgemeinschaft und dann das Hin- (Beifall) nicht mehr geht es um etwas mehr oder etwas eingehen in die Europäische Wirtschaftsgemein- (Professor Wolfgang Schulhoff: Stimmt!) weniger Regulierung in Europa, sondern es geht schaft war ein neues Denken über die Einigung Professor Dr. Günther Nonnenmacher: um die Mitwirkung oder die Marginalisierung Europas. Ich erinnere mich an die Eurosklerose, Vielen Dank, Herr Hänsch. Ich glaube, Sie haben sie hängt ab von unserem Verhalten und von un- Europas in der Welt von morgen. Jetzt fange ich unter der wir in den 80er Jahren in Europa litten mit Ihrem Statement dem Titel dieser Veranstal- serer Verantwortung nicht nur für unser eigenes nicht, weil Sie das alle kennen, mit China, Indien und die uns weltweit mit leichtem, verachtungs- tung Ehre gemacht. Das war in der Tat nicht nur Land – dass wir die haben, steht außer Frage –, usw. an. Das ist ja alles richtig; das muss ich hier vollem Lächeln vorgehalten wurde. Sie wurde weitergedacht, was ist, und nachgedacht über sondern auch für den gesamten Rest der Euro- nicht vortragen. Aber das ist wirklich die Grund- durch den Binnenmarkt überwunden. In den 90er Fehler, die wir begangen haben, sondern das war päischen Union. Es gibt kein Land in Europa, frage: Wirken wir mit, gestalten wir mit, oder las- Jahren – die Wiedervereinigung Deutschlands der Versuch, etwas neu zu denken. Ich greife aus das über eine vergleichbare geografische und sen wir uns als Europäer marginalisieren? und die Osterweiterung – begann es zu scheitern; den reichen Anregungen, die Sie gegeben haben, wirtschaftliche Position und auch über ein ver- Maastricht war nicht ausreichend, in Nizza ha- zwei heraus, die für unsere beiden Europapar- gleichbares politisches Gewicht verfügt wie die Deshalb wird die Einigung Europas für die Euro- ben die Staats- und Regierungschefs versagt, und lamentarier besonders provokativ sein sollten, Bundesrepublik Deutschland. päische Union bedeuten, dass wir stärker in den beim Verfassungsvertrag hat nicht der Konvent, nämlich dass die Fiskalunion und Wirtschaftsre- Blick und damit auch in die Zielorientierung der sondern haben zwei wichtige Gründungsstaaten gierung, die wir brauchen – das war Ihre These Die Europäische Union – das ist die zweite Rea- Politik und der europäischen Einigung nehmen: der Europäischen Union versagt, weil sie ihre –, intergouvernemental sein wird, und für Herrn lisierung der Realität – als Transferunion durch erstens die Verteidigung – nicht nur die militäri- innenpolitische Situation nicht aus Europa her- Schulhoff war vielleicht provozierend, dass die Übernahme der Schulden anderer, die kann sche, aber auch die militärische – gemeinsamer aushalten wollten. Ich bin also überzeugt davon, EZB ihre Rolle neu definieren muss und dass für Deutschland verhindern. Die Europäische Union Interessen und einer europäischen Lebensweise dass wir es auch diesmal schaffen können, wenn die Zukunftsaufgabe transstaatliche Formen der als Haftungsunion ist längst Realität in diesem in der Welt. Da geht es nicht nur um Wirtschaft, wir es schaffen wollen. Demokratie zu entwickeln sind. Das ist im Übri- Rahmen der Verflechtung und Verantwortung, da geht es auch nicht nur um Politik, sondern da gen nicht nur eine Aufgabe für Europa, sondern über den ich gerade gesprochen habe, nicht juris- geht es auch um Kultur und um Werte. Ich will Ihnen etwas vorlesen, bei dem ich die daran arbeiten derzeit viele auf der Welt mit. tisch – natürlich nicht, darüber brauchen wir gar Worte USA oder Vereinigte Staaten von Amerika - Herr Lehne, ich bitte Sie, das Wort zu nehmen. nicht erst zu reden oder zu streiten –, aber ökono- Das zweite ist die Erzeugung, Versorgung und nur durch Europa ersetze: misch und politisch. Die Wirtschaftsstruktur ist Sicherung von Energie für Europa, für die euro- ungleichgewichtig. Deswegen wird es nicht dazu päische Wirtschaft und damit auch für die Stabi- „Ich weiß, dass Europa infrage gestellt wird. Ich kommen, meine Damen und Herren, dass wir lität der Gesellschaft in der Europäischen Union habe das alles schon häufiger erlebt. Es ist ein Statement II eine Transferunion machen oder dass die Union – mit allen Konsequenzen, die das hat. Lied, das alle paar Jahre gesungen wird. Aber zu einer Transferunion wird – das kann man ver- größere Rückschläge haben wir immer wieder Klaus-Heiner Lehne MdEP, Vorsitzender hindern. Aber wir werden einen europäischen Schließlich: Wir müssen ein neues Leitbild und überwunden.“ des Rechtsausschusses des Europäischen Finanzausgleich bekommen, nicht durch Ver- neue Formen einer transstaatlichen Demokratie Parlamentes gemeinschaftung der Schulden, sondern durch entwickeln. Es wird mir zu viel darüber geredet, Ich hatte eben genannt: EVG, Römische Verträge, Vergemeinschaftung der strukturellen Entwick- wie man einfach nationalstaatliche Demokratie- Eurosklerose usw. Ich bin von meiner Funktion her im Europäi- lung in anderen europäischen Staaten, die wirt- formen und Abläufe auf die europäische Ebene schen Parlament jemand, der sich weniger mit schaftsstrukturell hinterherhinken. übertragen kann. Das kann man nicht, meine „Denn wir haben uns immer wieder neu erfun- institutionellen Fragen befasst und die großen Damen und Herren. Die Europäische Union ist den und Neues gefunden. Unsere Fähigkeit, im- institutionellen Diskussionen in der Vergangen- Die Grundfrage für die Veränderung der öffent- kein Staat, und sie wird auch keiner werden. Das mer wieder gestärkt aus einer Krise hervorzuge- heit betrieben hat, sondern jemand, der seit 1994 lichen Meinung und der öffentlichen Diskussion bedeutet, die uns bekannten Formen von staatli- hen, ist beispiellos in der modernen Geschichte. Mitglied im Rechtsausschuss ist und dort über- in unserem Land und in anderen Ländern ist cher Demokratie, überliefert aus den letzten zwei Sie entspringt unserem Modell der Demokratie wiegend mit Fragen der Gesetzgebung befasst dabei, nicht zu fragen, was uns die Rettung des Jahrhunderten, müssen neu geformt und neu ge- und“ ist, die schon seit Ewigkeiten in der Mitentschei- Euro kostet, sondern uns zu fragen, was kostet setzt werden für eine transstaatliche Demokratie dung angesiedelt sind, jedenfalls seit November der Verlust des Euro – ökonomisch, finanziell in Europa. Da sind wir am Suchen. Dafür gibt es – ich füge hinzu – unserem Modell von Freiheit 1993, und deshalb, wenn man das so sagen darf, und vor allen Dingen politisch an Reputation der keinen Schnittmusterbogen, den man nur auszu- und Solidarität, unserem Modell von Frieden ein kleiner Gesetzgeber. Da macht man natürlich Bundesrepublik Deutschland und an Reputation radeln braucht und dann hat man das, sondern und Zusammenarbeit und von Nation und Föde- im Laufe der Zeit auch seine Erfahrungen. Diese Europas in der Welt. Versagen wir, dann hat das das muss sich entwickeln. Die Europäische Uni- ration in Europa. Erfahrungen lassen sich in ganz wenige Katego- nicht nur einen Vertrauensverlust in Europa zur on ist dabei, das zu entwickeln. rien einordnen. Folge, sondern einen Vertrauensverlust in die Das ist aus einem Aufsatz von Hillary Clinton, Zukunft Europas in der Welt. Die letzte Frage zu den Thesen: Geht das eigent- der vor wenigen Tagen in „Internationale Poli- Die erste Erfahrung ist die, dass man sehr viel lich alles, schaffen wir das, können wir das schaf- tik“ erschienen ist. Gemeint war er für die Ver- Gesetzgebung macht, viel mehr als den Men- Ich bin damit bei der vierten These: Europa neu fen? – Meine Damen und Herren, es ist nicht das einigten Staaten von Amerika. Ich bin fest da- schen draußen tatsächlich bewusst ist. Übrigens denken heißt neu nachdenken über das Ziel der erste Mal, dass Europa, die Europäische Union überwiegend gute Gesetzgebung, wenn ich das

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einmal so sagen darf. Natürlich manchmal auch und man musste das leider umsetzen. Wenn tionieren, sondern sich selbst zerstören. Hierzu Da ist das Stichwort der Außen- und Verteidi- Mist. Aber Mist passiert auf jeder politischen man dann noch ein paar unangenehme Sachen gibt es eine ganze Menge von Vorschlägen. Der gungspolitik. Ich bin kein Spezialist. Wenn man Ebene, passiert ab und zu mal in Brüssel, passiert obendrauf gesattelt hat – wir haben jetzt wohl die Kollege Giegold ist damit unmittelbar im Wirt- aber Leute in der Öffentlichkeit oder bei Umfra- ab und zu mal in Berlin, passiert ab und zu mal in zweite Bundesregierung, die in ihrem Koalitions- schaftsausschuss befasst, und ich bin mitbera- gen danach fragt, wird man immer hören, dass Düsseldorf. Der Mistanteil – ich habe auch einige vertrag stehen hat, dass es immer nur eine Eins- tend im Rechtsausschuss daran beteiligt. Das insbesondere in diesen Bereichen Außenpolitik, Zeit im gesessen – ist in Brüssel nicht zu-Eins-Umsetzung geben soll; ich habe aber in fängt an bei der Regulierung von Ratingagentu- Verteidigungspolitik und innere Sicherheit eine größer als auf der nationalen Ebene und hält sich meiner praktischen Erfahrung noch kein einziges ren über die Schaffung von geregelten Märkten größere europäische Zusammenarbeit und grö- durchaus noch in erträglichen Grenzen. Das ist deutsches Gesetz gesehen, das eine Eins-zu-Eins- für Hedgefonds und Private Equity bis hin zur ßere Bereitschaft dazu akzeptiert wird. die eine Erfahrung, die man macht. Umsetzung gewesen ist –, wird natürlich gesagt: Veränderung der europäischen Finanzmarktauf- „Das sind die in Brüssel schuld.“ Das ist der klas- sicht hin zu stärkeren zentralen Strukturen mit Der Komplex des Themas Strukturfonds und Die zweite ist die, dass, wenn man dort Gesetzge- sische Erfahrungsreflex, den man als Europapo- Verschärfung der Eigenkapitalrichtlinien. Das Kontrollen ist ein weiterer ganz entscheidender bung macht, man es ungeheuer schwer hat, mit litiker hat. mag Herr Giegold alles gleich noch im Detail viel Punkt. Präsident Schulhoff sprach das vorhin an. dieser Gesetzgebung nach außen vorzudringen ausführlicher auflisten. Das ist alles notwendige Wir leiden darunter, dass uns die Mitgliedsstaa- und nach außen tatsächlich eine Wahrnehmung Ich bin da relativ unempfindlich. Deswegen Gesetzgebung in Bereichen, wo wir tatsächlich ten nicht genügend Möglichkeiten an die Hand dieser Gesetzgebung in den Mitgliedsstaaten, frustriert mich das auch nicht grundlegend. mehr brauchen. geben, diese Kontrollen tatsächlich effektiv aus- insbesondere in dem Staat, aus dem man kommt, Aber nichtsdestotrotz: Man ist dann darauf be- führen zu können. In der Praxis führt das dazu, zu erzielen. Das hat ganz einfache praktische schränkt, herumzureisen und über Gutes zu be- Wir brauchen gerade für kleine und mittelstän- dass der Europäische Rechnungshof jedes Jahr Gründe. richten, aber dabei eben nicht die breite Masse zu dische Unternehmen, die im Augenblick vom bei einem Großteil der verwendeten Haushalts- erreichen. Binnenmarkt nicht so viel haben, weil sie nicht mittel eben Anmerkungen macht und sagt, das Ein Thema ist im Grunde schon indirekt von in der Lage sind, die Rechtssysteme in allen Mit- wäre nicht nachvollziehbar. Herrn Nonnenmacher bzw. von Herrn Hänsch Wir hatten vor einigen Jahren einmal einen iri- gliedsstaaten beherrschen zu können, auch Ena- angesprochen worden, nämlich die fehlende ge- schen Kommissar im Binnenmarktbereich, Herrn bling Legislation, wie wir das immer nennen. Fakt ist aber, dass nach unserer Rechtslage, die meinsame Öffentlichkeit. Es gibt praktisch kei- McCreevy, der bei der Gesetzgebung den Grund- Das heißt, eine gewisse Form von Gesetzgebung, wir haben, diese Strukturmittel überwiegend ne europäische Medienwelt, wenn man einmal satz ausgegeben hatte: „Weniger ist mehr.“ Ein die es diesen erleichtert, auf optionale Systeme von den Regionen vergeben werden und dort die von dieser kleinen Zeitung „European Voice“ Grundsatz, von dem ich meine, dass er im Prinzip zurückgreifen zu können, um tatsächlich den Kontrollmöglichkeiten aus europäischer Sicht und vielleicht sehr begrenzt von der „Financial richtig ist. Man muss das nur differenzieren und Binnenmarkt auch in ihrem Sinne ausschöpfen außerordentlich begrenzt sind. Times“ oder so etwas absieht. Die Zeitungen, die sich auch anschauen, um was für eine Gesetzge- zu können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, wo über europäische Gesetzgebung in Brüssel be- bung es geht. In manchen Bereichen ist die mög- es, wie ich glaube, nach wie vor Defizite gibt. Ein weiterer Punkt sind die Statistikrichtlinien. richten, sind die wenigen großen überregionalen licherweise tatsächlich überflüssig, in anderen Bei den einschlägigen Veränderungen des Stabi- Tageszeitungen, die es in Deutschland gibt. Die Bereichen ist sie aber auch dringend notwendig. Ein anderer wichtiger Bereich ist der Sektor des litätspaktes vor zehn Jahren hin zum Schlechten haben, wie wir alle wissen, einen vergleichsweise Bei McCreevy – am Rande bemerkt – hatten wir Bürokratieabbaus. Ich habe vorhin schon gesagt, hatte die Kommission aus Kompensationsgrün- geringen Leserkreis bezogen auf die Gesamtbe- das Problem, dass er das weniger als gar nicht Brüssel ist nicht schlechter als alle anderen poli- den vorgeschlagen, dann sollten wenigstens die völkerung, die dieser Staat hat. Es ist zwar alles verstanden hat. Das war auch nicht wirklich eine tischen Ebenen. Überflüssige Bürokratie gibt es Kontrollbefugnisse der Kommission mit Blick in den zurückliegenden Jahren hier und da bes- gute Lösung und sicherlich auch eine der Ursa- überall; die gibt es auch in Brüssel. Da ist aber in auf die Statistiken verbessert werden. Das ist ser geworden, aber es ist nach wie vor so, dass chen dafür, dass wir heute in der Finanzmarkt- den zurückliegenden Jahren jede Menge passiert. damals von Frankreich und Deutschland ver- bei uns zum Großteil Gesetzgebung halt unter krise da stehen, wo wir tatsächlich sind. Ob das Initiativen von Kommissar Verheugen hindert worden, weil man das nicht wollte. Als einem gewissen Ausschluss der Öffentlichkeit – gewesen sind, wo ganze Pakete von Richtlinien die Transparenzregeln für die Ausgaben bei den aber ein unfreiwilliger Ausschluss der Öffentlich- Ich bin schon der Ansicht, dass manche Gesetz- gestrichen worden sind, ob das die Vorschläge Strukturfonds und bei den Agrarfonds einge- keit – stattfindet. Das ist ein entscheidendes Pro- gebung wie die augenblickliche Diskussion über aus der Stoiber-Gruppe sind, die übrigens nach führt werden sollten, wer eigentlich für was Geld blem der fehlenden gemeinsamen Öffentlichkeit. die Einführung von Sammelklagen nach ameri- meiner Einschätzung außerordentlich effektiv bekommt, war es die deutsche Regierung, die das kanischem Muster oder Diskussionen über Bo- und gut arbeitet und von der viele Initiativen über lange Zeit hinweg blockiert und dafür Sorge Das zweite Problem ist, dass die Regelgesetzge- denschutzrichtlinien oder ähnliche Themen, die aufgegriffen worden sind. Vor kurzer Zeit hat getragen hat, dass erst nach einem sehr langen bung auf europäischer Ebene eben nicht unmit- eigentlich klassisch in den Bereich der Subsidi- das Europäische Parlament zusammen mit dem Zeitraum überhaupt diese Transparenzregelun- telbar anwendbare Verordnungen – das wird arität einzuordnen sind, Fälle von überflüssiger Rat beschlossen, die Bilanzierungsrichtlinien gen durchgesetzt werden konnten. zwar immer mehr –, sondern im Regelfall Richt- Gesetzgebung sind. Es gibt aber auch Bereiche, in für Kleinstunternehmen deutlich zu verändern, linien sind. Diese Richtlinien werden dann üb- denen wir echte Probleme haben. zu verbessern und zu erleichtern. Ich behaupte, Übrigens gilt das auch bei Richtlinien. Es nützt licherweise immer zwei Jahre später umgesetzt. auch in diesen Sektoren des Bürokratieabbaus überhaupt nichts, wenn wir auf europäischer Da gibt es einen ganz klassischen Reflex. Ist es Finanzmarktgesetzgebung! Einer der Gründe brauchen wir mehr qualifizierte Gesetzgebung, Ebene Richtlinien wegfallen lassen und dann der einmal eine gute Richtlinie, die zu Hause Be- für die Krise, in der wir im Augenblick stecken, um echte Erleichterungen gerade für die mittel- nationale Gesetzgeber die vorhandenen Spiel- geisterung auslöst, dann kommt der betreffende ist die Tatsache, dass die Finanzmärkte nicht re- ständischen Unternehmen zu schaffen. räume, die es im Hinblick auf eine Erleichterung Minister, macht eine Pressekonferenz und sagt, guliert gewesen sind. Wir haben alle die bittere gibt, nicht nutzt. Davon haben wir übrigens auch was er wieder alles Gutes getan hat. Ist es eine, Erkenntnis gewinnen müssen, dass ohne eine Re- Es gibt andere Bereiche, wo ich glaube, dass wir Beispiele ohne Ende, bei denen die nationalen die Ärger auslöst, dann ist das Brüssel schuld, gulierung von Märkten diese Märkte nicht funk- mehr Gemeinsamkeiten brauchen, mehr Europa. Gesetzgeber zum Teil höchst unterschiedlicher

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Meinung sind oder auch die Regierungen höchst Ich denke schon, Europa neu denken, das ist – Genau. Das ist sehr schön. Zumindest hat es nanzmärkten kein Geld mehr bekommen. Sobald unterschiedlicher Meinung sind und diese Initia- keine Frage. Europa ist wie jedes andere System grünen Boden, wie wir gerne sagen. der Glaube an den Märkten herrscht, dass der tiven dann nicht entsprechend weiterverbreiten. auch Learning by Doing, muss ständig neu über- Ausstieg aus dem Euro möglich ist, wird in den Ich glaube, wir brauchen hier viel mehr Kommu- dacht und weiterentwickelt werden. Aber es ist Ich will direkt in den Mittelpunkt der Debatte ge- Ländern niemand mehr investieren. Denn wer nikation, mehr Offenlegung, mehr Transparenz weiß Gott nicht alles schlecht, was wir machen. hen, weil ich glaube, wir sind in der Tat in einer investiert in einem Land, wo Abwertung droht? und auch sehr oft massive Kritik an dem, was auf Das meiste, was wir machen, ist gut und geht Lage, wo allgemeine Orientierungsdiskussionen Kein Mensch. Das bedeutet, wir kämen damit der nationalen Ebene dann nicht gemacht wird in die richtige Richtung. Manchmal wird auch über Europa nicht mehr weiterhelfen. in eine Abwärtsspirale. Diese Abwärtsspirale und nicht geschieht. Bockmist gebaut. An einer Verbesserung muss würde uns zutiefst treffen, weil danach unsere man arbeiten. Das tun wir aber auch. – Danke Die Menschen sind unzufrieden, und zwar so- eigene Währung zerstört wäre. Diese Krise, die- Ein Punkt, bei dem ich sicher bin, dass wir dort schön. wohl in den Ländern, die derzeit immer höhere se Abwärtsspirale ist nicht begrenzbar auf Grie- auch mehr Europa brauchen – das ist das, was im Risiken tragen müssen. Hier ist man unzufrie- chenland, sondern die Krise hat längst so große Augenblick verhandelt wird; der Grund, warum (Beifall) den, weil man das Gefühl hat, dass unsere Wäh- Teile der Eurozone erfasst, dass der Weg in das Elmar Brok heute nicht hier sein kann, weil er rung bedroht ist – Sie haben das sehr klar gesagt Ausscheiden von wenigen nicht mehr offensteht. der Verhandlungsdelegation des Parlaments zu Professor Dr. Günther Nonnenmacher: –, dass wir immer höhere Haftungssummen Das bedeutet, die Alternative ist die, die Sie und diesem Fiskalpakt angehört, der im Augenblick Herr Lehne, wenn ich Ihre Ausführungen in ei- übernehmen müssen und dass die Regeln der auch Herrn Hänsch genannt haben, wir müssen verhandelt wird –, ist der Fiskalpakt. Auch in ner Formulierung zusammenfassen würde, dann Europäischen Zentralbank, mit denen die mal hin zu einer echten Wirtschaftsunion, von der die diesem Bereich brauchen wir bessere und stär- lautet die „Europa weiterdenken – gründlich, gegründet wurde, nicht mehr gelten. Man fragt Fiskalunion das Herzstück ist. kere Regeln. Da bin ich genau bei dem entschei- besser weiterdenken“. Ich habe Ihren Wider- sich in Deutschland, aber nicht nur in Deutsch- denden Punkt angekommen: Wir brauchen aber spruch zu der These von Herrn Hänsch vermerkt, land, sondern auch in Finnland, auch in den Nie- Fiskalunion bedeutet zweierlei: Zum einen be- nicht eine Entmachtung der europäischen Ins- dass die europäische Entwicklung in Richtung derlanden und in anderen Ländern, die eine – ich deutet sie, dass tatsächlich alle ihre Haushalte, titutionen hin zum Intergouvernementalismus. mehr Regierungszusammenarbeit, mehr Inter- sage das einmal als Protestant – protestantisch ihre Budgethoheit insofern beschränken müssen, Das brauchen wir definitiv nicht. gouvernementalismus besteht, bis hin zur Kla- geprägte Wirtschaftskultur haben, was ist da los, dass sich niemand mehr exzessiv verschulden geandrohung. – Herr Giegold, sind Sie derselben und man sagt, das wollen wir so nicht, das haben darf und dass ein relevanter Teil des Budgets Wenn im Augenblick in diesem Pakt Beratungs- Meinung wie Herr Lehne? wir so nicht gewollt. wirklich in die Investitionen gehen muss, in die und Mitbeteiligungsrechte der europäischen In- Zukunftsbereiche, in die Bereiche, die in Zukunft stitutionen, vor allem des Parlaments, faktisch Umgekehrt sind die Menschen, wenn wir un- Wohlstand schaffen. Das haben viele Länder eingeschränkt werden, weil hier Vereinbarungen seren Blick nach Südeuropa, aber auch nach nicht ausreichend gemacht. getroffen werden, die schon heute in der Sekun- Statement III Frankreich richten, dort auch unzufrieden, aber därrechtsetzungskompetenz des Parlamentes in ganz anderer Hinsicht. In Spanien ist die Ju- Das bedeutet: Wir brauchen die Kontrolle der und des Rates liegen, dann ist das absolut in- Sven Giegold MdEP, Finanz- und wirt- gendarbeitslosigkeit – Sie haben es angesprochen nationalen Haushalte, weil nämlich ansonsten akzeptabel. Das ist ein Beispiel hin zu weniger schaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE – bei 48 Prozent, in Griechenland 46 Prozent, Re- andere für das zahlen müssten, was man nicht Transparenz. Das bedeutet – das will ich ganz GRÜNEN/EFA im Europäischen Parlament kordarbeitslosigkeit in Europa. Es gibt eine im- gemacht hat. Das ist richtig. Da sind in der Tat deutlich sagen – letztlich weg von der Mehrheits- mer tiefere Spaltung. Einige Länder haben eine die wenigen Regeln, die wir hatten, nicht beach- entscheidung hin zur Einstimmigkeitsentschei- Ich will gern noch einmal ganz direkt beginnen immer höhere Arbeitslosigkeit, in anderen Län- tet worden. dung, was schnelle und gute Entscheidungen er- mit der Antwort auf Sie, Herr Präsident. Erst dern läuft es vergleichsweise gut. fahrungsgemäß in der Vergangenheit verhindert einmal vielen Dank für die Einladung. Ich bin Dazu gehört aber auch etwas anderes, und man hat. Das ist etwas, was wir als Parlamentarier nicht das erste Mal hier, wenn auch sonst immer Wir alle können uns ausrechnen, dass eine Spal- muss schauen, wie eigentlich die Krise entstan- nicht wollen und wogegen wir uns – das sage ich ein paar Häuser weiter. Das freut mich sehr und tung der realen sozialen und wirtschaftlichen den ist. Die Krise ist ja nicht nur entstanden, weil ausdrücklich – mit allen Mitteln wehren werden, zeigt auch, wie sich da vieles normalisiert hat. Verhältnisse innerhalb einer Währung nicht Staaten zu viel ausgegeben haben. Spanien und notfalls auch unter Inanspruchnahme des Euro- Früher hätte man Grüne vielleicht eher hinaus- funktioniert. Wir stehen jetzt vor ganz harten Irland hatten gar keine hohe Staatsverschuldung, päischen Gerichtshofes in dieser Frage. Wir wol- geworfen oder mit Dachlatten verhauen, Herr Entscheidungen. Man darf dabei nicht darum die hatten eine viel niedrigere Staatsverschul- len in diesen Bereichen gute Gesetzgebung ma- Hänsch. Das ist jetzt vorbei. herumreden, wo wir eigentlich stehen. dung. Warum kam es dort zur Krise? Es kam chen. Ich glaube, wir haben das beim „Sixpack“, dort zur Krise, weil in massiver Weise billiges bei der Verschärfung des Stabilitätspaktes, ge- (Heiterkeit – Unruhe) Sie haben, Herr Präsident – da widerspreche ich Geld in kurzer Zeit eingeflossen ist, eine höhere zeigt. Es ist merkwürdig, dass der Rat viele Vor- Ihnen jetzt –, im Grunde angedeutet, die schwä- Inflation erzeugt hat, einen Immobilienboom, ein schläge, die von uns gekommen sind, abgelehnt – Bei Ihnen nie, wunderbar. Ich mache gerne cheren Länder sollten freiwillig, wie Sie gesagt Übermaß an Beschäftigung, an Wertschöpfung hat und jetzt in den Fiskalpakt mit aufnehmen Witze. Das waren noch Zeiten, nicht? Das kann haben, aus dem Euro ausscheiden. Anders wür- erzeugt hat, die gar nicht von Produktivität ge- möchte. Das ist merkwürdig. Das gehört nicht in man sich heute gar nicht mehr vorstellen. den sie es nicht mehr schaffen, ohne Abwertung tragen war. den Fiskalpakt. Das hätte eigentlich in das „Six- würde es nicht mehr gehen. pack“ gehört, also in die Veränderung des Stabi- (Professor Dr. Günther Nonnenmacher: Das Das bedeutet: Es reicht eben nicht aus, nur auf litätspaktes, in die normale Gesetzgebung. Damit Handwerk ist grün, Herr Schulhoff, oder?) Ich will ganz deutlich sagen, was das bedeuten die Staaten zu sehen. Wir müssen auch auf die hätten wir schon vor Monaten die Probleme, die würde: Wenn Griechenland den Euro verlässt, reale wirtschaftliche Entwicklung schauen. Da- damit in Verbindung stehen, erfolgreich gelöst. würde das nächst schwächere Land an den Fi- für brauchen wir Kontrollen und Regeln. Das be-

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deutet – Sie haben es angesprochen, Herr Lehne schlossenen Türen einstimmig von Staatschefs zu einem vernünftigen demokratischen Europa. derum auch nicht, wandeln ihre Meinung über –: die Banken, die diese Kredite so billig gegeben verhandelt wird, nicht im Lichte der Öffentlich- – Vielen Dank. die Zeit. Neulich ist Herr Issing in der „Frankfur- haben, müssen in Zukunft für die Risiken, die sie keit? Nein. Deshalb ist es auch falsch, dass der ter Allgemeine Zeitung“ – wo sonst? – eingehen, wieder selber bezahlen. nächste Integrationsschritt rein intergouverne- (Beifall) mental ist. Wir brauchen Demokratie in Europa (Heiterkeit) (Beifall) und nicht den Abbau von Demokratie. Professor Dr. Günther Nonnenmacher: Ich stelle fest, nicht nur die Handwerker sind von seiner ursprünglichen These „Die Griechen Denn wir zahlen jetzt für die Risiken, die diese Wir nutzen das auch im Europaparlament. Da- grün, sondern auch die Grünen argumentieren, müssen raus!“, soweit ich das damals verstanden Institutionen unter den Bedingungen des Euro mit will ich dann schließen. Ich bin einer der- handwerks-, mittelstands- und genossenschafts- habe, durchaus mit guten Gründen abgerückt. eingegangen sind. Dazu sind sie nicht verpflich- jenigen, die für die Finanzmarktgesetzgebung nahe. Ich finde das erfreulich. Es gibt also auch in der Zunft der Ökonomen of- tet worden, sondern sie haben dies freiwillig ge- verantwortlich sind. Wir im Ausschuss für Wirt- fensichtlich nicht den Stein der letzten Weisheit. macht. schaft und Währung kämpfen genau für das, Übrigens, Herr Giegold, weil ich früher zum Aber den vorletzten Stein, Herr Kirchgässner, was Sie gesagt haben, für das dreigliedrige Ban- Teil auch einmal Opfer war: Ich weiß nicht, ob den werden Sie uns jetzt zeigen. Der nächste Punkt ist: Wir müssen dafür sorgen, kensystem. Wir haben die Institutssicherung für die Handwerker je Manschetten vor den Grünen dass jetzt in der akuten Krise, wenn sich die Län- die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen hatten. Die Grünen aber hatten früher jedenfalls der sanieren, die Länder nicht in eine Abwärts- gerettet im Sinne dessen, dass nach wie vor die Manschetten vor manchen bürgerlichen Publika- spirale kommen, die nicht mehr kontrollierbar ist. Sicherungssysteme, die wir dort haben, erhalten tionen und Medien. Statement IV Das sind die unangenehmen Botschaften für uns. bleiben können. Ich bin der Meinung, die Groß- Wir in Deutschland sind ganz klar dafür, dass banken, die zu groß sind, um sie scheitern zu las- (Widerspruch von Sven Giegold) Professor Dr. Gebhard Kirchgässner, alle sparen und alle ihre Haushalte in Ordnung sen und eine faktisch öffentliche Haftung haben, Universität St. Gallen bringen und auf Zukunft orientieren. Das sagen müssen unter starke Kontrollen gestellt werden. Wir sprechen von früher, nicht von heute und wir gerne. Aber wir sagen weniger gerne, dass Gleichzeitig muss man die kleinen, lokal orien- nicht von jetzt. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu- kein Land wie Italien, Spanien, Griechenland, tierten Banken mit ihren Spitzeninstituten – in nächst einmal vielen Dank für die Einladung. Portugal das schaffen kann, wenn sie gleichzeitig einem sitzen wir – gegen falsche Regulierung (Sven Giegold: Einverstanden!) Wenn Sie fragen, zu welcher Schule ich gehöre: am Finanzmarkt für Kredite 7 Prozent Zinsen be- verteidigen. Ich bin ein empirisch arbeitender Ökonometri- zahlen müssen, wenn sie schon hoch verschuldet Der Übergang, der jetzt kommen muss, ist voll- ker. Das ist insofern ganz interessant, weil vor sind. Das können diese Länder nicht. (Beifall) kommen klar, nämlich zu unserem Wirtschafts- zwei Jahren auf dieser Tagung gesagt worden ist, wissenschaftler. Es sind ja schon ein paar steile die Ökonometriker seien an der ganzen Malaise Genauso werden diese Länder ohne Investitio- Das ist vernünftige Wirtschaftspolitik. Vernünf- Thesen in den Raum gestellt worden. Erst von und der Wirtschaftskrise schuld. Jetzt haben Sie nen nicht auf einen grünen Zweig kommen. Fis- tige Wirtschaftspolitik bedeutet, das Lokale, die Herrn Schulhoff: Die Griechen müssen raus, ob einmal einen Ökonometriker eingeladen. Dann kalunion bedeutet nicht nur Zwangsjacke beim Zukunft zu schützen und gleichzeitig dort eu- freiwillig oder nicht freiwillig. Herr Lehne hat können Sie selber feststellen, ob diese Behaup- Sparen – ich habe klar gesagt, dass das notwen- ropäische Regeln zu verankern, wo wir sie zur kurz auf die rechtlichen Komplexitäten, die da- tung, die damals aufgestellt wurde, tatsächlich dig ist –, sondern das bedeutet auch, günstige Re- Kontrolle der Finanzmärkte, im Bereich des Kli- mit zusammenhängen, hingewiesen. Aber es stimmt. finanzierung für die Staatsschulden der jeweili- maschutzes und für anderes auf europäischer geht ja zunächst einmal um das Prinzip in dieser gen Länder und eine Investitionsoffensive. Wenn Ebene zukünftig mehr brauchen. Es geht also Angelegenheit. Herr Hänsch hat gesagt, es geht Ich bin gebeten worden, hier ein gewisses Kon- wir nicht beides zusammen machen, dann sage nicht um mehr oder weniger Europa, sondern es ums Ganze, also ohne Euro bricht uns der Laden trastprogramm zu geben, nämlich über die Er- ich Ihnen voraus, dass diese Länder ökonomisch geht um Europa dort, wo wir es brauchen, und weg. Dies ist eine existentielle Krise. Oder ist das fahrungen zu berichten, die wir in der Schweiz keine Chance haben. Dann werden wir die ent- dort, wo wir dringend zu mehr Handlungsfähig- übertrieben? So habe ich Sie verstanden, Herr mit der finanziellen Selbstständigkeit unterge- sprechenden Kosten zu tragen haben. keit kommen müssen. Hänsch. ordneter Gebietskörperschaften gemacht haben. Das ist ja letztlich auch das europäische Problem, Diese Vertiefung Europas im Sinne einer echten Wer in Deutschland glaubt, mit populistischen (Zustimmung von Dr. Klaus Hänsch) dass es Länder gibt, die finanziell und fiskalpo- Fiskalunion, die auf zwei Füßen steht, geht nur Reden gegen den Euro oder gegen Europa ir- litisch unabhängig sind, aber eine gemeinsame – da schließe ich mich an das an, was Sie gesagt gendetwas gewinnen zu können für die deut- Herr Giegold und Herr Lehne haben auch von Währung haben. Bei uns sind es die Kantone. haben – mit einer echten Demokratisierung Eu- sche Wirtschaft, unseren Wohlstand und unsere grundsätzlichen Entscheidungen zu einer Wirt- ropas. Denn die Menschen haben das Gefühl, Zukunft, der irrt sich ganz gewaltig. Wir sind zu schafts- und Fiskalunion gesprochen. Ihrem Die Schweiz ist tatsächlich das einzige Land in immer mehr Kontrolle geht uns verloren. Wir klein. Wir können unsere Zukunft nur gemein- Nicken, Herr Lehne, habe ich entnommen, dass Europa mit einem echten Föderalismus. Ein ech- wollen demokratische Kontrolle über diesen sam verteidigen. Die Reden, die an der kurzen Sie den Ausführungen, die Herr Giegold vor- ter Föderalismus ist einer, der auch Steuerhoheit Prozess. Das Europaparlament hat viel mehr Frist versuchen, die scheinbar billigen Lösungen getragen hat, auch en detail zustimmen. Das ist kennt, und nicht wie in Deutschland, wo die Län- Einfluss als früher. Das letzte, was wir brauchen, zu vertreten, irren sich und sind nicht ehrlich eine Herausforderung für die Wirtschaftswissen- der keine Steuerhoheit haben. Nur dann kann ist, dass wieder neue Rechtsbereiche außerhalb gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Wir schaft. Ich weiß jetzt nicht, zu welcher Schule Sie man wirklich verantwortliche Politik erwarten. demokratischer Kontrolle auf europäischer Ebe- müssen sagen: Es sind harte Fehler gemacht wor- gehören, Herr Kirchgässner. Entschuldigung an Das heißt natürlich auch, dass wir einen Steu- ne geschaffen werden. Wollen Sie wirklich, dass den. Wir müssen die jetzt korrigieren, aber nicht alle Ökonomen, die im Saal sind. Die Ökonomen erwettbewerb haben. Wir haben nicht nur einen die Zukunft der Wirtschaftsregierung hinter ver- gegen Europa, sondern im Sinne eines Aufbruchs sind sich, soweit ich das überblicke, so einig wie- Wettbewerb bei den Ausgaben, bei den Investi-

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tionen und bei den Subventionen zwischen den Mein eigener Kanton, St. Gallen, ist ein relativ ar- glaube ich, mit allen europäischen Staaten mes- Es erklärt immer noch nicht, weshalb es sein Gliedkörperschaften, sondern auch einen Steuer- mer Kanton. Im relativen Vergleich steht er nicht sen. Und unser Sozialstaat ist sehr gut ausgebaut. kann, dass Kantone nicht einfach eine unverant- wettbewerb. viel besser da als Mecklenburg Vorpommern, Auch da müssen wir uns nicht verstecken. wortliche Finanzpolitik machen und von den an- verglichen mit dem schweizerischen Durch- deren gerettet werden wollen. Dies ist aber aus Der schweizerische Föderalismus ist darauf auf- schnitt, und deutlich schlechter als Bremen und Die Frage ist natürlich, wie funktioniert das bei zwei Gründen nicht möglich: gebaut, dass die wesentlichen Steuern, nämlich das Saarland, die ja bekanntlich immer über uns in der Schweiz, dass das mit diesem Steu- Einkommen- und Vermögensteuern, in erster Li- Haushaltsnotlagen klagen. Im Gegensatz zum erwettbewerb geht, der in Europa immer so ge- Erstens: Wir haben eine glaubwürdige Bail-out- nie kantonale Steuern sind. Die Bundeseinkom- Saarland und zu Bremen ist unser armer Kanton fürchtet wird. Nun, es sind vier Elemente: Clause, es wird kein Kanton von den anderen mensteuer ist erst ein sehr spätes Produkt unse- schuldenfrei. Wir hatten im Jahr 2010 Passiv- gerettet. Das ist auch nicht nötig, weil er ja eigene rer Entwicklung. Jeder Kanton hat sein eigenes zinsen in Höhe von 131 Millionen Franken und Das eine ist: Wir haben einen Finanzausgleich. Steuern erheben kann. Der Kanton Genf ist pro Steuerregime. Es gibt eine Grundlage mit einer Vermögenserträge in Höhe von 157 Millionen Dieser ist etwas intelligenter konstruiert als der Kopf höher verschuldet als alle anderen Bundes- mehr oder weniger vereinbarten Bemessungs- Franken. Das heißt also, wir haben mehr an Ka- deutsche Finanzausgleich. Wir heben die finanz- länder außer Bremen. Aber das ist kein Grund grundlage, aber ansonsten hat jeder das Recht, pitaleinkommen eingenommen, als wir für Zin- schwachen Kantone nicht auf 99,5 Prozent des für eine Haushaltsnotlage. Er ist übrigens ein seinen eigenen Steuertarif festzulegen mit eige- sen ausgeben mussten. Das heißt natürlich nicht, schweizerischen Durchschnitts an, sondern nur ressourcenstarker Kanton, der in den Finanzaus- ner Progression. Es gibt gewisse Grenzen durch dass wir keine finanziellen Sorgen haben. Gera- auf 85 Prozent. Aber damit können die einzel- gleich einzahlen muss. Sie haben nämlich ein re- die Bundesverfassung. Aber das ist relativ ge- de wegen der Eurokrise und der Auswirkungen, nen Kantone leben. Wir gleichen natürlich auch lativ hohes Steueraufkommen. Sie können damit ring. Dadurch, dass wir Diskrepanzen zwischen die sich für unsere Exportwirtschaft und für den Sonderlasten wie topografische Sonderlasten – leben. den Kantonen haben, brauchen wir natürlich Tourismus derzeit ergeben, erwarten wir in den sprich: durch Berggebiete – und sozioökonomi- auch einen Finanzausgleich. nächsten Jahren Defizite, die wir irgendwie de- sche Sonderlasten – Agglomerationen – aus. Wir haben ein System, das, glaube ich, ganz gut cken müssen. funktioniert. Einerseits haben die Kantone sehr Man mag einwenden, dass die finanzielle Au- Dann haben wir nicht nur die kantonalen, son- viel Selbstständigkeit; sie haben die Möglichkeit, tonomie nur deshalb möglich sei, weil wir ein Wie kommt es dazu, dass wir schuldenfrei sind, dern auch eine eidgenössische direkte Steuer. wirklich selbstständig zu agieren. Andererseits relativ homogener Staat seien. Aber das stimmt was ja in Deutschland wahrscheinlich kaum ver- Das ist die direkte Bundessteuer. Dies ist extrem funktioniert das Ganze so, dass nicht der eine nicht. Wir haben vier Sprachen, wir haben vier ständlich ist? Wir haben seit 1929 eine Schulden- progressiv, aber relativ mäßig. Der maximale den anderen ausnehmen will, wobei das System Kulturen. Wir haben extreme Unterschiede. Die bremse. Das ist die erste Schuldenbremse, die es Grenzsteuersatz beträgt 13 Prozent, der maxima- über den Finanzausgleich eine solidarische Kom- Schweiz ist keine Kulturnation, sie ist eine Wil- in der Schweiz gab. Sie ist relativ einfach aufge- le Durchschnittssatz 11 Prozent. Aber 6 Prozent ponente enthält. lensnation. Unsere Bürgerinnen und Bürger ha- baut. Das geplante Defizit darf einen bestimmten aller Steuerpflichtigen bringen 50 Prozent des ben sich 1848 entschlossen, als unser Bundesstaat Betrag nicht überschreiten. Wenn es nicht gelingt, Steueraufkommens auf. Das heißt also, die Rei- Wir zeigen also, wie man Steuerhoheit und Steu- nach einem relativ kurzen Bürgerkrieg gegrün- dies durch Ausgabenkürzungen sicherzustellen, chen werden damit einigermaßen abgeschöpft. erwettbewerb in einem relativ kleinen Raum mit- det wurde, zusammenzustehen. Ich meine jetzt werden automatisch die Steuern erhöht. Wir haben außerdem auf Zins- und Dividenden- einander kombinieren kann. Wenn es im kleinen die moderne Schweiz, ich will nicht 700 Jahre einkommen eine Quellensteuer von 35 Prozent – Raum mit 26 Einheiten in der Schweiz geht, dann zurückgehen auf die Folklore unserer Staats- Wenn wir Überschüsse haben, muss angespart ohne Freibetrag. sollte es im großen Raum von Deutschland mit gründung, auch wenn unser Staat mit dem Ende werden. Erst wenn ein bestimmter Betrag ange- 16 Einheiten noch viel besser gehen. Im europä- des Dreißigjährigen Krieges im Westfälischen spart wurde, der im Gesetz festgelegt ist, dann Das wichtigste ist aber vielleicht – das ist völlig ischen Raum müsste es noch einmal viel besser Frieden unabhängig wurde. Der Bundesstaat dürfen die Steuern gesenkt werden, wenn wir anders als in Deutschland – unsere Altersvorsor- gehen, weil dort die ganzen Probleme, die durch existiert erst seit 1848. Es gibt bestimmte zentra- immer noch Überschüsse haben. Wenn wir dann ge. Die erste Säule unseres Systems, die AHV, die Kleinheit verursacht werden, nicht auftau- le Elemente - eines ist die Neutralität, die heute wieder in Defizite hineinkommen, darf erst die soll das Existenzminimum abdecken und wird chen. problematisch ist. Zentral sind aber der Föde- Ersparnis aufgebraucht werden, und dann müs- finanziert über Arbeitgeberbeiträge und Arbeit- ralismus und die direkte Demokratie. Diese fi- sen eben die Steuern wieder erhöht werden. nehmerbeiträge – 50:50 – ähnlich wie in Deutsch- Meines Erachtens könnten sowohl Deutschland nanzielle Autonomie ist wahrscheinlich die Vor- land. Wenn man die Invalidenversicherung noch als auch die Europäische Union in dieser Hin- aussetzung dafür, dass wir überhaupt existieren Dieses System hat sich in über 80 Jahren bewährt. einschließt, sind es 5,05 Prozent für beide Seiten, sicht viel von der Schweiz lernen. Wie gesagt, können. Im Jahre 1960 hat der Kanton Freiburg ein ähn- aber – das ist das entscheidende – für sämtliche wir haben nicht das ideale System. Ich sage nicht, liches System eingeführt. In der Krise der 90er Arbeitseinkommen ohne jede Schranke. Das dass es ein ideales System gibt. Aber unser Sys- Die wirtschaftlichen Diskrepanzen – das mag Sie Jahre haben eine ganze Reihe von anderen Kan- heißt, wenn Sie zwei Millionen im Jahr verdie- tem funktioniert besser als viele andere Systeme, vielleicht überraschen – zwischen den Kantonen tonen ähnliche Systeme geschaffen. nen, müssen Sie von diesen zwei Millionen die- die wir heute beobachten können. – Vielen Dank. sind deutlich stärker als die wirtschaftlichen Dis- sen Anteil abliefern. Es gibt keine Ausnahmen. Es krepanzen zwischen den deutschen Bundeslän- Dies besagt, dass ein Kanton für sich selbststän- gibt keine Beamtenprivilegien. Es gibt nichts in (Beifall) dern. Der Kanton Zug liegt um etwa 300 Prozent dig dieses Problem lösen kann, auch wenn er der Hinsicht. Alle sind gleichermaßen betroffen. über dem schwächsten Kanton, in Deutschland ein armer Kanton ist. Nun könnte man erwar- Die Maximalrente im Monat für Verheiratete be- Professor Dr. Günther Nonnenmacher: beträgt die Differenz nur 128 Prozent, wenn ich ten, dass in der Situation des Steuerwettbewerbs trägt etwa 3.000 Franken. Das heißt, sie deckt das Ich führe Ihren heftigen Beifall jetzt einmal nicht Hamburg mit Mecklenburg-Vorpommern ver- zwischen so kleinen Einheiten wir so etwas wie Existenzminimum. Das bedeutet, wir haben eine darauf zurück, dass viele von Ihnen womöglich gleiche. Insofern sind die Diskrepanzen bei uns ein „race to the bottom“ kriegen. Aber das fin- extrem starke Umverteilung in der Altersvorsor- Geld in der Schweiz oder Ferienwohnungen in nicht gerade gering. det nicht statt. Unsere Infrastruktur, kann sich, ge. Das hält das ganze Land zusammen. der Schweiz haben.

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Die Schweiz hat in der Tat eine Ähnlichkeit mit Ich möchte Ihnen da ganz entschieden wider- Sachkundigen, die ich kenne – Herrn Ehlert und ten Handwerk bisher eine einzige Anfrage. Auch Europa, eben eine Willensnation. Wobei ich sprechen. Es geht um das große Ganze. Weil es anderen, so unserem Leiter der Handwerksrolle hierzu frage ich: Für welchen konkreten Men- mir manchmal die Frage stelle – ich kenne die um das große Ganze geht, geht es auch um Sub- –, folgende Frage gestellt: Gibt es irgendeinen schen ist denn diese Politik gemacht worden? Schweiz ganz gut –, ob damit nicht auch etwas sidiarität, niederländischen, portugiesischen, spanischen, kokettiert wird, als ob die Bewohner des Schwei- französischen oder was auch immer Staatsbür- Also: Zur europäischen Identität, zur Identitäts- zer Jura sich am liebsten den Franzosen anschlie- (Beifall) ger, der am deutschen Schornsteinfegermarkt stiftung gehört, dass man die Subsidiarität sehr ßen würden, oder die Tessiner wieder Italiener teilnehmen wollte? Wie heißt der? Wie sieht der hoch bewertet. Ich vergleiche das gerne mit Fol- werden wollten. So ist das aus meiner Erfahrung und zwar nicht an allerletzter Stelle, sondern aus? Gibt es den? Den gibt es nicht. Die Frage, gendem: Es gibt aus der Zeit der absolutistischen nun auch wieder nicht. ganz oben auf der Agenda. Ich möchte das fol- die sich mir stellt, lautet: Wurde dieses Verfahren Fürsten ein bestimmtes Schönheitsideal. Das gendermaßen begründen: Eine europäische gemacht, um konkreten Menschen zu helfen, die heißt, diese Gartenbauten und diese Parkbauten Außerdem: Selbst über dem von Ihnen geschil- Währung bedarf langfristig der europäischen eben Geld auf dem deutschen Markt verdienen waren rechtwinklig-geometrisch. Jedes Pflänz- derten wettbewerbsföderalistischen Paradies Identität. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, wollten, oder hat man sozusagen eine Art auto- chen, jedes Kräutchen, das ein bisschen seiner sind in den letzten Monaten und Jahren ein paar ohne europäische Identität langfristig eine euro- nome administrative Selbstbeglückung betrie- Natur entsprechend hervorgeragt hat, wurde so Wölkchen aufgezogen. Aber wir können am Mo- päische Währung zu erhalten. Ich glaube nicht, ben? lange gestutzt, bis es eben die perfekte geometri- dell Schweiz – das glaube ich durchaus – einiges dass es ohne europäische Identität möglich ist, sche Form hatte. lernen. Das sollte in unsere Diskussion eben als die Opfer zu bringen, die uns im Moment wie Zweites Thema: Nehmen Sie die Diskussion Modell einfließen. – Ich bitte jetzt Herrn Zipfel, auch immer, über welchen Transfermechanis- um die Handwerksordnung. Es gibt, glaube In einer solchen Umgebung fühlt sich der Mensch aus seiner Sicht das Wesentliche an der Europa- mus auch immer, abverlangt werden. ich, mittlerweile ein Dutzend Richtlinien, die nicht wohl. Der Mensch fühlt sich auch nicht diskussion noch einmal vorzutragen, nachdem das Tätigwerden von EU-Ausländern auf hand- wohl, wenn alles über den Maßstab des arithme- uns Herr Schulhoff ja schon mit seinen weit ge- Europäische Identität stiftet man aber nicht werklichen Märkten in Deutschland regeln. Wir tischen Mittels balbiert wird. Genau das ist das henden Forderungen erschreckt hat. durch Perfektionierung von Verwaltungsabläu- haben bei der Handwerkskammer Düsseldorf Thema, das Professor Schulhoff beispielsweise fen, europäische Identität bekommt man nicht etwa 1.300 Niederländer eingetragen. Probleme bei dem Thema tertiärer Sektor aufgeworfen hat. durch administrativ begründete Harmonierung sind mir vollkommen unbekannt. Auch hier gibt Die Menschen fühlen sich unter dem Regime hin, man bekommt sie nicht hin durch exzessi- es keinen einzigen konkreten Fall, keinen einzi- des arithmetischen Mittels nicht wohl. Darum Statement V ve Standardisierung, man bekommt sie nicht hin gen konkreten Menschen, der sich beispielswei- gehört, wenn man über das Thema Transferuni- durch Normenhypertrophie. Das ist nicht mein se über irgendwas bei der Handwerkskammer on, wenn man über das Thema Wirtschaftsregie- Dipl.-Volksw. Josef Zipfel, Ausdruck; der ist ja fast poetisch. So bin ich nicht Düsseldorf beklagen würde. Trotzdem ist das rung, wenn man über das Thema Europa neu er- Hauptgeschäftsführer des Nordrhein- veranlagt. Dieser Ausdruck stammt von Roman Thema EU-Verträglichkeit der deutschen Hand- finden, wenn man über das Thema europäischer Westfälischen Handwerkstages Herzog, unserem Alt-Bundespräsidenten. werksordnung, mal offen, mal ein bisschen sub- Gesellschaftsvertrag und so weiter spricht, die kutan, eines, das schwebt. Ich frage auch hierzu: Subsidiarität zwingend dazu. Sonst wird uns das Meine Damen, meine Herren! Der Moderator Ich möchte Ihnen zwei einfache Beispiele aus Welchem konkreten Menschen, welcher konkre- Ganze um die Ohren fliegen, falls es uns nicht hat mir eben flüsternd noch einen etwas ande- dem Handwerk aus unserer konkreten Erfah- ten Person wird denn geholfen, wenn wir da zu schon um die Ohren geflogen ist. ren Auftrag mitgegeben. Ich sollte gewisserma- rung mitteilen. Herr Rath, ich glaube, seit dem 1. einer Angleichung an die Zulassungsfreiheit, ßen den Aufschlag für die Diskussion liefern. Er Januar haben wir das neue Schornsteinfegerge- die beispielsweise in angelsächsischen Ländern (Beifall) sagte, ich solle, wenn ich ihn richtig verstanden setz. Dieses Schornsteinfegergesetz – Sie wissen herrscht, kämen? Wie heißt der Mensch? Wo habe, ein bisschen Pfeffer hineinbringen. Ich bit- ja, die Schornsteinfeger üben bei uns unter ande- wohnt der? Was macht der? Für uns im Handwerk steht da im Übrigen ei- te deswegen Herrn Professor Hänsch, den ich rem bestimmte öffentliche Aufgaben aus, sie tun niges auf dem Spiel; denn wir sind eben kein gleich etwas angehen werde, schon jetzt um Ver- das beliehen aufgrund eines Gesetzes – wurde Ich könnte das jetzt noch weiterspinnen. Ein Durchschnitt. gebung, wenn ich bei diesem Versuch vor allen 2003 aus Brüssel durch ein Vertragsverletzungs- Lieblingsthema von mir ist der Einheitliche An- Dingen auf seine Ausführungen zurückgreife. verfahren infrage gestellt. Bis 2006 hat die Bun- sprechpartner. Eine Sache, die mit großem Ap- (Heiterkeit) desregierung nicht groß darauf reagiert, auch die lomb aus Brüssel propagiert worden ist. Ich will Sie haben ja sehr dezidiert, sehr entschieden ge- Bundesländer nicht, die die Zuständigkeit dafür dazu gar nicht in die Tiefe gehen. Frau Thoben Ich habe erwähnt, dass wir spezielle Vorstel- sagt, es gehe um das große Ganze, es gehe nicht haben. Daraufhin hat Brüssel den Ton etwas ver- lächelt. Es war unter ihrer Zuständigkeit, als wir lungen haben, was die Qualität von Unterneh- um Subsidiarität. schärft. Im Ergebnis haben wir jetzt ein neues die entsprechenden Diskussionen geführt haben. mensgründungen anbelangt. Ich habe das dua- Schornsteinfegergesetz. Frau Thoben, ich weiß nicht, ob Sie selber oder le System erwähnt. Auch das Sparkassenwesen (Widerspruch) irgendjemand sonst den Sinn dieser Aktion ver- und das Genossenschaftswesen – da hat Herr Ich will gar nicht auf die Details eingehen. Im standen hat. Giegold vollkommen Recht – spielt für uns eine – Ich spitze es zu. Ich habe schon um Entschuldi- Grunde ist es so, dass dieses Gesetz die Schorn- erhebliche Rolle, ist aber auch nicht europäischer gung gebeten. steinfeger zu einigen sehr unangenehmen Pi- Ich habe mich auch hierzu wieder erkundigt, Durchschnitt. Ich finde es auch gut, dass der rouetten zwingt, aber in der Substanz doch kei- was denn konkret durch diesen europäischen Bundesrat gegen bestimmte Ideen aus Brüssel Sie haben an Professor Schulhoff gewandt ge- ne allzu großen Änderungen gebracht hat. Ich Einheitlichen Ansprechpartner bewirkt worden tätig geworden ist, weil diese Ideen eben nicht sagt, dass das eben im Moment nicht das zentrale will auf folgenden Gedanken hinaus: Ich habe ist. Wir hatten in ganz Nordrhein-Westfalen – ich berücksichtigen, dass wir in Deutschland ein Thema sei. in der Vorbereitung zu dieser Diskussion allen hoffe, dass die Information stimmt – im gesam- funktionierendes System der Institutssicherung

24 Dialog Handwerk 1/2012 Dialog Handwerk 1/2012 25 Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks

haben und man dem nicht einfach das Thema Aussprache Hier ist also etwas geschehen, was wir in Sven Giegold: Ich will gern noch einmal zwei Einlagensicherung aufpfropfen kann, das viel- Deutschland dann nie wahrhaben wollen, dass Bälle aufnehmen, die in den Saal geworfen wur- leicht bei der Deutschen Bank oder bei anderen Professor Dr. Günther Nonnenmacher: der Anstoß zu solchen Regelungen sehr häufig den. Vielen Dank an Herrn Kirchgässner für die eine Rolle spielt. Wir haben in dem Bereich also Vielen Dank, Herr Zipfel. – Ganz kurz zum Fak- aus der Bundesrepublik Deutschland stammt. Kurzeinführung in das wirtschaftliche und po- einiges zu verlieren. tencheck: Hat einer von Ihnen als Europaparla- Ich will jetzt nicht die Gelegenheit zu sprechen litische System der Schweiz, in der Dichte habe mentarier eine Ahnung, wie diese neue Schorn- ausnutzen, ich will aber doch auch ein Wort zu ich das noch nicht gehört. Ich kenne darüber nur Ich habe, weil ich eben das Wort Normenhyper- steinfegerordnung oder dieser Einheitliche Sparkassen und Banken sagen. längere Bücher. In dieser Kürze ist es wirklich trophie erwähnt habe, das, wie gesagt, von Ro- Ansprechpartner zustande gekommen ist? angenehm. man Herzog stammt, mir abschließend ein Zitat Das ganze Theater hat angefangen, weil deutsche aus dieser Rede herausgeschrieben. Da ist viel- Klaus-Heiner Lehne: Bei den Schornsteinfegern Banken mit einem Vertragsverletzungsverfahren Ich möchte auf eines hinweisen. Sie haben im leicht in anderer Begrifflichkeit, Herr Giegold, handelt es sich ausschließlich um ein nationales in Brüssel drohten, unter anderem die Deutsche Grunde Folgendes gesagt: Schaut doch mal aber in der Aussage doch einiges von dem drin, Gesetz, das geändert werden musste aufgrund Bank. Wenn wir da immer mit dem Finger auf her. Man kann Autonomie der Kantone haben, was Sie auch gesagt haben. Ich lese das einmal eines Vertragsverletzungsverfahrens. Ich nehme die anderen zeigen und sagen, da werde Subsidi- gleichzeitig eine gemeinsame Währung, strenge vor: an, dass es da um Berufszugangsprobleme ge- arität verletzt, dann müssen wir uns daran erin- Regeln, dass niemand verpflichtet ist, den ande- gangen ist. Aber es ist ein nationales Gesetz, es nern, wo es anfängt. Nicht immer, aber in mehr ren herauszuhauen – wo wir jetzt sind –, und Sie „Der Brüsseler Normenhypertrophie, dem Aber- ist kein europäisches Gesetz, das dahinter steht. als der Hälfte der Fälle fängt es in Deutschland haben wohl empfohlen: Macht es doch in Europa glauben, alles und jedes reglementieren zu kön- Übrigens handelt die Kommission normalerwei- an aus Sorge, aus Angst, dass wir vielleicht den so ähnlich! Ich möchte das an zwei Stellen auf- nen, muss entschieden widersprochen werden, se bei Vertragsverletzungsverfahren nicht aus einen oder anderen Nachteil in einem anderen greifen. und deshalb muss auch den Zentralisierungs- Gründen des Bocks, sondern sie handelt deshalb, Mitgliedsland der Europäischen Union in Kauf tendenzen, die es in Brüssel in so reichem Maße weil sie Beschwerden hat. Das ist der normale nehmen müssten, wenn wir das nicht alles har- Im Grundsatz steht das ja so im Vertrag. Im gibt, jeder denkbare Widerstand entgegengesetzt Fall. monisieren und regeln. Grundsatz steht darin, der eine soll den ande- werden. Die Welt verändert sich unaufhörlich. ren nicht heraushauen müssen. Darin steht kein Neue Probleme und Gefahren tun sich in immer Bei der Dienstleistungsrichtlinie ist in der Tat Ich gehöre zu denen, die von Anfang an im Euro- Verbot, darin steht nur ganz klar, dass es keine rascherer Abfolge auf. Neue Möglichkeiten und festgelegt worden, dass dann immer, wenn je- päischen Parlament versucht haben, unsere dort Verpflichtung gibt. Jetzt wissen wir, dass wir ge- Chancen ebenso.“ mand Dienstleistungen in einem anderen Land auch existierenden Versuche zu harmonisieren nau das machen. Man hat einen großen Fonds als seinem eigenen anbieten will, es einen zent- und zu standardisieren, zurückzudrängen. geschaffen und macht genau das. Warum haben Und jetzt kommt es: ralen Ansprechpartner, eine Art One-Stop-Shop- wir nicht ehrlich gesagt: „Griechenland ist plei- Prinzip, geben soll, an den er sich wenden kann, Eine letzte Anmerkung dazu: Ich habe zum The- te“? Warum wurde das nicht gemacht? – Das „Wenn da nicht ein Versäumnis das andere jagen damit er nicht mit 20 bis 30 Behörden gleichzeitig ma Subsidiarität, Herr Zipfel, nichts zurückzu- hat einen ganz klaren Grund: Hätten wir näm- soll, ist das die Stunde der kleinen Institutionen.“ zu tun hat. Im Rahmen der Subsidiarität ist den nehmen. Ich möchte aber doch um Präzisierung lich Griechenland vor zwei Jahren in die Pleite Mitgliedsstaaten freigestellt worden, wo sie dies bitten. Ich habe nicht gesagt, dass das nicht wich- geschickt, wäre unser Finanzsystem in großen (Zuruf: Small is beautiful!) ansiedeln, ob sie es bei Behörden, Kammern oder tig ist. Im Gegenteil. Ich weiß, wie wichtig das Teilen sofort platt gewesen. Die Unterkapitalisie- wo auch immer ansiedeln. Ich erinnere mich an ist. Ich habe nur gesagt, wenn man neu über Eu- rung der Banken und in manchen Teilen sogar Darum: Das Subsidiaritätsprinzip ist kein char- die Diskussion. Wir haben in Nordrhein-Westfa- ropa nachdenken will, dann hat es keinen Zweck der Versicherungen, die nämlich dann auch gro- mantes Relikt aus der katholischen Soziallehre. len diese Frage damals auch intensiv diskutiert, über etwas wie Subsidiarität, Regulierung oder ße Probleme bekommen hätten, war der zentra- Das Subsidiaritätsprinzip muss ein integraler weil dafür in Deutschland, wenn ich es richtig in Entbürokratisierung lange zu reden. Was ich seit le Grund, warum man sich nicht getraut hat zu Bestandteil eines neues Gesellschaftsvertrages Erinnerung habe, die Länder die Umsetzungs- dreißig Jahren in der europäischen Diskussion sagen, Griechenland ist so nicht mehr zahlungs- oder eines neuen Denkens Europas werden, kompetenz gehabt haben und nicht die Bundes- erlebt habe, das ist doch nichts Neues, sondern fähig. Das ist ganz entscheidend. Zu der Glaub- sonst wird uns das alles nicht gelingen. – Schö- ebene. Das nur als Erklärung dazu. das muss endlich gemacht werden, und zwar die würdigkeit der Regel „Jeder haftet selbst“ gehört nen Dank. Bundesrepublik Deutschland eingeschlossen. ein solides Bankensystem. Dieses solide Banken- Professor Dr. Günther Nonnenmacher: Darum geht es. Ich wollte neue Gedanken ein- system hatten wir nicht. Deshalb ist so entschei- (Beifall) Herr Hänsch wollte dazu auch noch ein Wort sa- bringen, und nicht noch einmal das alles wieder- dend, dass wir dort die Spielregeln einhalten. gen, wohl über die Schornsteinfeger. holen, was wir seit dreißig Jahren predigen, aber Hätten die Großbanken die Kapitalisierung der selbst wenn wir dran sind und die Möglichkeit Sparkassen und Genossenschaftsbanken – ich Professor Dr. Klaus Hänsch: Ja. – Herr Lehne hätten, es zurückzudrängen, nicht tun. Das ge- sage das noch einmal –, dann hätten wir in dem hat schon zu Recht gesagt, dahinter steckte ein hört auch zur Realität in Europa. Bereich viele Probleme nicht. Das ist genau der Vertragsverletzungsverfahren. Aber da ich mit Punkt. dieser Frage nicht direkt im Europäischen Par- (Beifall) lament befasst war, jedoch hier in dieser Regi- (Beifall) on sehr viel dazu reden musste, weiß ich auch, Professor Dr. Günther Nonnenmacher: woher das kam. Das kam aus einem berühmten Die Frage ist immer: Wer setzt das durch? – Herr Der zweite Punkt ist: Sie sagten – das fand ich deutschen Bundesland, das heute von den Grü- Giegold. sehr interessant –, es gäbe in der Schweiz zwar nen mitregiert wird. einerseits die Steuerautonomie und die Fiskal-

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autonomie, aber andererseits den Länderfinanz- die sozialen, ökonomischen und ökologischen hat darauf hingewiesen – bei solchen für Sie un- Die dritte und letzte Bemerkung: Herr Hänsch, ausgleich auf einer Höhe von 85 Prozent plus Probleme, die daraus entstehen, durch Regeln verständlichen Dingen nach Interessen. Wer hat Sie waren sehr unlogisch bei der Frage in der Sonderlasten. In Europa gibt es im Vergleich und Demokratie zu regulieren, ganz im Sinne der ein Interesse daran, dass dies zustande kommt? Behandlung von Amerika. Im ersten Teil Ihres Regionalfonds in Höhe von 40 Milliarden Euro Ordnungsökonomik, dass man nämlich einen Und Sie werden – nicht nach dem Prinzip cher- Beitrages haben Sie gesagt, wir wollten natürlich für die gesamte EU. Das sind 0,25 Prozent des Ordnungsrahmen für Marktwirtschaft braucht, chez la femme, aber cherchez l‘homme oder cher- keine amerikanischen Staaten sein, ihr Schluss- Bruttoinlandsprodukts. Wenn wir auf nur einen dann wird es uns bitter ergehen. Das heißt, wer chez interessé – immer fündig werden. zitat von Hillary Clinton hat uns mit den ame- geringen Teil von den 85 Prozent ausgleichen Subsidiarität so missverstehen will, nichts mehr rikanischen Staaten gleichgesetzt. Die Amerika- würden, dann wäre Europa sehr teuer. Viele auf internationaler Ebene zu regeln, der führt da- Wir haben ganz wenig Zeit für die Diskussion, ner haben ein Staatsbewusstsein, die Europäer Menschen denken ja, Europa wäre unglaublich hin, dass wir die wichtigsten Zukunftsherausfor- was mir sehr leid tut. Aber die beiden Europapar- wollen und sollen es nicht haben. Wenn ich das teuer. An Haushaltssumme umfasste Europa bis- derungen nicht lösen können. Deshalb brauchen lamentarier haben dringende Verpflichtungen, richtig verstehe, sind in Amerika die Probleme her 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Davon wir eben gleichzeitig den Schutz des Lokalen, die sich anschließen. Ich würde deshalb für die nicht besser gelöst. Also eine Größe wie Amerika gingen dann 40 Prozent in die Landwirtschaft, den Schutz vor falscher Überregulierung, der letzten 15 Minuten bitten, dass Sie Fragen stellen – Europa wäre größer – ist ja keine Garantie, dass 25 Prozent in die Regionalfonds, und der Rest Gleichmacherei auf der einen Seite und anderer- oder Kommentare abgeben zu dem, was wir bis- irgendeines der Probleme, die wir heute disku- wird für alles andere verwendet. Das bedeutet, seits ein Mehr, wie ich das vorhin gesagt habe, her hier diskutiert haben. – Herr Schauerte. tieren, geringer wäre. wir stehen jetzt in der Tat an dem Punkt, dass wir an internationaler Demokratie in den großen Zu- zwar eine gemeinsame Währung haben, aber kei- kunftsfragen. Wenn wir das in einem Topf ver- Hartmut Schauerte: Im Telegrammstil: Die Be- Ich glaube, die Botschaft muss bleiben: Die Viel- ne politische Legitimation für einen Finanzaus- rühren, dann machen wir einen ganz schweren rufung auf die europäischen Verträge, warum falt gilt es zu schützen – das ist der europäische gleich nach Schweizer Vorbild. Wer wollte denn Fehler. Gerade wir als Deutsche sollten diesen dann Regeln wie bei den Schornsteinfegern sein Sonderweg –, die Vielfalt intelligent zu organisie- auf ein Anheben von allen auf 85 Prozent des schweren Fehler nicht machen. müssen, sagen natürlich klar, es liegt an Europa. ren, einschließlich der Diskussion über die Sub- Durchschnitts bezahlen? Das haben wir nicht. Das ist ja im Vertrag so vorgesehen, dass dieser sidiarität. Träumen wir nicht von zu viel Chance, Deshalb habe ich vorhin ganz klar gesagt – ich (Beifall) Unsinn wie bei der für Schornsteinfeger notwen- jetzt die Dinge zu vereinfachen, weil wir gerade habe nicht plädiert für einen Finanzausgleich –, digen Regelung gemacht werden muss. Ich habe in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht wir brauchen parallel zu den Sanierungsanstren- Professor Dr. Günther Nonnenmacher: sie betrieben, erlitten als zuständiger Staatsse- haben. Die zentralistische Antwort ist eine ge- gungen Investitionen. Da muss die Europäische Vielen Dank, Herr Giegold. – Zwei kurze An- kretär. Wir haben uns zwei bis drei Jahre wegen fährliche. Sie führt in die Irre. Investitionsbank heran. Da muss man die exis- merkungen. Erstens zur Rettung Griechenlands: der europäischen Verträge damit beschäftigen tierenden unternehmerischen Initiativen unter- Griechenland pleite gehen lassen. Meine Erfah- müssen. Da kann man ja nicht sagen, das seid (Beifall) stützen, etwa im Bereich erneuerbarer Energien rung ist, dass die deutsche Politik – und nicht ihr schuld, sondern das sind die europäischen in Südeuropa. Wir brauchen dort Investitionen, nur die deutsche –, die Griechenland-Rettung Verträge. Wenn sie zu solchem Unsinn zwingen, Professor Dr. Günther Nonnenmacher: weil die durch Sparen allein nicht wieder auf die unternommen hatte, weil sie ein Lehman-Trau- sind sie verkehrt. Dann muss man an der Stelle Ich hatte eine Wortmeldung von Herrn Professor Sanierungsschiene kommen. ma hatte. Und nicht nur die deutsche Politik hat nachbessern. Lorz übersehen. ein Lehman-Trauma. Niemand hätte sich vor- Als Letztes will ich noch etwas zur Subsidiarität stellen können, dass der Zusammenbruch der Zweite Bemerkung: Die Staatsverschuldung Professor Dr. Ralph Alexander Lorz: Ich will sagen: Das kommt aus der christlichen Sozial- drittgrößten oder fünftgrößten Investmentbank ist zuallererst ein Demokratieversagen in den es auch kurz machen, möchte aber doch noch lehre und aus der katholischen Soziallehre. Sie – ich bin mir nicht sicher – das Weltfinanzsystem großen Demokratien, in Amerika und in Euro- einmal auf die Ausgangsfrage „Europa neu den- haben es auch gesagt. Das Subsidiaritätsprinzip ins Wanken bringt. Kein Politiker weiß und kein pa. Warum ist es in Europa noch einmal extra ken“ zurückkommen. Ich möchte einen Gedan- sollte aber nicht missverstanden werden im Sin- Ökonom kann ihm vorhersagen, was ein De- schlimm? Weil durch die Europäische Union ken noch einmal in die Runde werfen, der zwar ne von „Alles soll möglichst lokal sein“, sondern fault Griechenlands, ein Ausschluss oder Austritt und durch den Euro den Staaten wie zum Bei- nicht wirklich neu ist, den vor allem Wolfgang es sagt sehr klar: „Es soll so lokal wie möglich Griechenlands aus der Eurozone, vom Zaune spiel Italien, die bereits vor dem Euro 8 oder 9 Schäuble und schon vor 17 Jahren sein“. Das ist ein großer Unterschied. brechen würde. Es ist diese Angst vor der Unsi- Prozent Zinsen zahlen mussten, und durch die in Ihrer Zeitung, Herr Nonnenmacher, publiziert cherheit, vor dem Ungewissen, die die Griechen- lasche Handhabung die Auflösung der Risiken haben – das Papier wird noch heute zitiert; (Professor Dr. Günther Nonnenmacher: land-Rettung im Grunde erst verständlich macht. erlaubt wurde, sich wieder neu zu verschulden Und die obere Ebene soll helfen!) mit 3 Prozent und 2 Prozent, und niemand hat (Professor Dr. Günther Nonnenmacher: Es ist Zweite Anmerkung – Herr Zipfel, kein Wider- hingeguckt, einschließlich Griechenland. Das ist ein Klassiker, wenn man so sagen will!) – Genau. Die obere Ebene soll dafür sorgen, dass spruch, nur eine Anmerkung –: Einer der Kar- also auch ein Versagen des europäisch eingeführ- die Autonomiefähigkeit da ist. Sie soll also eben dinalfehler, den nicht nur Handwerker, sondern ten Regimes. Wir haben neben der Versuchung es ist absolut ein Klassiker –, den eines Kerneu- nicht Sparkassen, Handwerk und andere quä- auch Journalisten begehen, besteht darin, dass sie von Demokratien, mehr Geld auszugeben als sie ropa. Ich glaube, dass er mittlerweile eine ganz len, sondern sie befördern. Das Zweite ist, dass Behörden und Politiker für dümmer halten als einnehmen, das noch einmal erleichtert, indem neue Aktualität gewonnen hat, die sich wahr- wir aber die Probleme, die man lokal nicht lösen sich selbst. Wer sagt, die in Brüssel haben nicht wir die Preisdisziplin aus den Märkten heraus- scheinlich auch die beiden Autoren vor 17 Jahren kann, überörtlich lösen müssen. Ich will es ganz begriffen oder die Landesregierung oder Was- genommen haben, weil sie sich alle auf europä- nicht unbedingt hätten träumen lassen. Ich grei- deutlich sagen: Neben der Eurokrise sehen wir weiß-ich-wer hat nicht begriffen, geht meistens ischem Niveau verschulden durften. Das haben fe das auf, was vor allem Herr Hänsch und Herr derzeit große Probleme im internationalen Wäh- fehl. Wenn man mit den Leuten spricht, wissen sie dann tatkräftig getan. Lehne festgestellt haben, nämlich wenn wir den rungssystem. Die sind völlig ungelöst. Wenn wir die sehr genau, worum es geht, und sie haben es Euro erhalten wollen – und das wollen wir, glau- weiter globalisieren, ohne gleichzeitig zu lernen, gut begriffen. Suchen Sie immer – Herr Hänsch be ich, alle –, dann wird es jedenfalls in bestimm-

28 Dialog Handwerk 1/2012 Dialog Handwerk 1/2012 29 Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks

ten Bereichen nicht ohne mehr Europa gehen, schwierig das auch immer sein mag, Ihre Positi- Keine Frage. Den Vertrag hat aber nicht Europa ihrer Nachbarn innerhalb der gleichen Union le- weil es nicht möglich sein wird, diese Währungs- on dazu, Herr Lehne und Herr Giegold? gemacht, sondern den haben die mitgliedsstaat- ben. Wenn dann aber die entsprechenden Länder union ohne eine striktere Kontrolle von Haus- lichen Parlamente gemacht. Die Dienstleistungs- sagen, sie wollten nicht mitmachen, dann kann halts- und Fiskalpolitik zu erhalten. Herr Lehne Klaus-Heiner Lehne: Ein Europa der unter- freiheit ist eines der Grundrechte im Vertrag für das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit hat noch viele andere Bereiche genannt, in denen schiedlichen Geschwindigkeiten gibt es längst, jeden, der innerhalb der Europäischen Union tä- genutzt werden. Das sollten wir dann auch ma- sicherlich eine Lösung nur auf der europäischen nicht nur von zwei Geschwindigkeiten, sondern, tig werden will. Das ist eben die Folge. Wenn ein chen. Da bin ich völlig Ihrer Meinung. Nur ist der Ebene möglich ist, was ja keineswegs ausschließt, Sie haben die Beispiele angesprochen, wir haben Verstoß gegen primäres Vertragsrecht besteht, Unterschied, dass das Instrument der verstärkten dass in vielen anderen Bereichen die europäische den Schengen-Raum, wir haben den Euroraum, dann muss die Kommission handeln. Wenn sich Zusammenarbeit wie der Vertiefung im Rahmen Regulierung zurückgenommen werden könnte. wir haben mit dem Lissabonner Vertrag das In- einer beschwert, muss sie das untersuchen. Dann der Verträge immer bedeutet, Gesetzgebung im Aber es gibt zentrale Bereiche, in denen ein Aus- strument der verstärkten Zusammenarbeit – das muss sie entsprechend den Mitgliedsstaat dazu Lichte der Öffentlichkeit und unter Beteiligung weg aus dieser Krise nur in einer Vertiefung der machen wir gerade im Patentrecht, das machen veranlassen, dass er diese Regeln einhält. Das ist des Europäischen Parlamentes. Das ist ein ganz Integration liegen kann. wir im Familienrecht –, wo einfach nur ein be- ganz zwangsläufig. großer Unterschied. Wenn im Rahmen der ver- stimmter Teil der Mitgliedsstaaten mitgeht, im stärkten Zusammenarbeit, die Regelungen, die Mir stellt sich da die Frage, ob wir wirklich daran Prinzip überall da, wo wir nach wie vor das Ein- Sven Giegold: Ich habe keinen Widerspruch für eine Fiskalunion notwendig sind, verankert glauben, dass wir das, was wir gerade mit allen stimmigkeitserfordernis haben und nur darüber vorzubringen, aber eines will ich noch dazu sa- würden, dann hätten wir in zentralen Bereichen möglichen Arten von Fiskalpakten und derglei- hinwegkommen, indem wir dieses Instrument gen: Aus meiner Sicht wird es im Bereich der Mehrheitsentscheidungen, wir hätten die Öffent- chen zu schmieden versuchen, mit 27, ab nächs- nutzen. Wir werden Ähnliches wahrscheinlich Wirtschaft ein Mehr an Vertiefung brauchen, vor lichkeit und nicht mehr das intergouvernemen- tem Jahr 28, wenn die Erweiterung weitergeht, bei der Finanztransaktionssteuer erleben. allem innerhalb der Euroländer, als wir das im tale Verhandeln hinter verschlossenen Türen irgendwann mit über 30 Staaten erreichen wer- Rahmen der Verträge in manchen Bereichen ha- mit genau den Problemen der Einstimmigkeit, den. Wir sehen auch schon jetzt die Entwicklung Der neue Vertrag gibt genau diese Instrumen- ben. Aber schon jetzt sehen die Verträge vor, dass die Herr Lehne genannt hat. Deshalb bin ich Ih- in Richtung der sogenannten konzentrischen te an die Hand. Die muss man nutzen, das ist zwischen den Euroländern eine tiefere Harmoni- rer Meinung: Wir werden im Moment nicht alle Kreise. Wir haben den Schengen-Raum, der nicht ganz entscheidend. Vor allen Dingen fällt damit sierung stattfinden kann. Deshalb könnten große gemeinsam vorwärtslaufen, sondern im Bereich alle 27 erfasst, die Währungsunion selber erfasst auch das Erpressungspotenzial einzelner weg. Teile dessen, was in diesem sogenannten Fiskal- der Wirtschaft mit denen, die wollen und die be- ebenfalls nicht alle 27 und wird es wahrschein- Machen wir uns doch nichts vor – deswegen pakt steht, einfach im Rahmen der normalen Ge- reit sind. Das darf aber eben nicht das Ende der lich auf absehbare Zeit nicht tun. Jetzt wird nach stehe ich manchmal fassungslos davor, wie Ber- setzgebung gemacht werden. Wir als Parlament Demokratie in Europa sein. Dann wird die Ak- dem Entwurf des neuen Fiskalpaktes ein eigener lin sich in Fragen der Einstimmigkeit verhält –, werden diese Punkte auch einfach wieder ins zeptanz, die jetzt schon leidet, weiter leiden. Das Eurogipfel eingerichtet, neben dem eigentlichen Einstimmigkeit führt dazu, dass irgendwelche normale Gesetzgebungsverfahren zurückbrin- dürfen wir nicht zulassen. Europäischen Rat. Da entstehen Nebenstruk- Nationalisten in Holland oder in Finnland mit- gen. Dann wollen wir mal sehen, ob die gleichen turen für die Eurozone. Vielleicht geht es auch bestimmen. Das ist die Konsequenz von Einstim- Länder dann im Rat gegen diese Punkte im nor- (Beifall) nicht anders. Das war auch eine Diskrepanz, die migkeit. Darum haben wir als größter Staat in malen demokratischen Verfahren stimmen. wir auf dem Podium gesehen haben. der EU überhaupt gar kein Interesse daran, an Professor Dr. Günther Nonnenmacher: so etwas festzuhalten. Wir nehmen an fast allen Professor Dr. Günther Nonnenmacher: Ich bedanke mich sehr herzlich bei Herrn Gie- Meine Frage ist die: Wenn das ohnedies geschieht, Mehrheitsbildungen teil. Die gucken alle auf uns. Diese Coopération renforcée, also die verstärkte gold und Herrn Lehne, die uns wegen Terminen wenn das möglicherweise zwangsläufig ist, soll- Von daher ist das Verfahren der verstärkten Zu- Zusammenarbeit, hat halt immer noch den Haut- verlassen müssen. Ich glaube, Sie haben die Dis- ten wir es dann nicht auch positiv besetzen? Soll- sammenarbeit außerordentlich hilfreich. gout der Spaltung. Jetzt haben wir die armen kussion erheblich bereichert. – Auf meiner Fra- ten wir nicht versuchen, bei den europäischen Briten sozusagen vor die Tür gesetzt. Das muss gerliste habe ich Herrn Weltrich. Bürgerinnen und Bürgern wieder Begeisterung Ich darf auch noch eine Bemerkung zur Subsidi- – das ist, glaube ich, das, was Herr Lorz gefordert für das europäische Projekt zu wecken, indem arität sagen: Die ist doch enorm gestärkt worden. hat – nicht immer als eine Art Spaltung Europas Dr. Ortwin Weltrich: Für meine Begriffe ist noch wir es nicht bloß als Krisenabwehrszenario se- Der Lissabonner Vertrag gibt die Möglichkeit kritisiert werden, sondern man kann es auch um- nicht ausreichend deutlich geworden, dass wir hen, sondern indem wir für den Gedanken einer der Subsidiaritätsrüge. Wir haben jetzt auch im drehen und sagen, das ist eine Stärkung. Aber hier keine Krise des Euro haben, sondern der echten Föderation im Herzen Europas werben, Parlament ein geordnetes Subsidiaritätsprü- das scheint mir noch nicht verbreitete Neigung europäischen Mitgliedsstaaten. Wenn Professor die auch in bestimmten zentralen Bereichen eine fungsverfahren. Wir haben die Möglichkeit der unter den Mitgliedsstaaten zu sein. Hänsch vorhin ausgeführt hat, dass die europä- einheitliche Philosophie hat, zu der auch ein neu- nationalen Parlamente, vor dem Europäischen ische Verfassung an zwei großen Mitgliedsstaa- es Verständnis von Subsidiarität gehören muss, Gerichtshof bei Verstoß gegen das Subsidiari- Sven Giegold: Wir bringen gerade technisch ten gescheitert ist, dann sehe ich das anders. Sie um auf die Art und Weise einen neuen, einen tätsprinzip klagen zu können. Das ist noch nie Dinge durcheinander. Das eine ist: Zwischen ist daran gescheitert, dass Europa die Menschen konstruktiven Ausweg aus der Krise zu weisen? passiert, aber wenn das passiert, wird sich dazu den Euro-Ländern kann stärker harmonisiert nicht mitgenommen hat. Wir stehen jetzt vor der Sollten wir das dann nicht offensiv vertreten? Rechtsprechung entwickeln. Das heißt, diese In- werden. Das ist im Vertrag vorgesehen. Das soll- Situation, dass die Europäische Union sich im- strumente sind deutlich durch den Vertrag ge- te man tun. Damit kann man große Teile des Fis- mer weiter mit nachvollziehbaren politischen Professor Dr. Günther Nonnenmacher: stärkt worden. kalpaktes eigentlich wegtun. Darüber hinaus: Begründungen zu Erweiterungsschritten durch- Ich weiß, es ist im Grunde eine endlose Diskussi- Auch in anderen Bereichen kann die EU-Kom- gerungen hat und dies umsetzen wollte, indem on, aber im Augenblick steht die Frage der Spal- Zu dem, was Herr Schauerte vorhin gesagt hat, mission weitgehende Vorschläge machen. Drin- man immer mehr in die Rechte der europäischen tung Europas an. Wie ist in wenigen Worten, wie nur einen Hinweis: Er hat natürlich recht, die gend notwendig wäre das in einigen Steuerberei- Bürger eingegriffen hat durch immer mehr Ge- Dienstleistungsfreiheit ist im Vertrag verankert. chen, wo wir Steueroasen haben, die auf Kosten setzgebung, durch immer mehr Kommissare.

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Professor Schulhoff hat das angesprochen. Man eine europäische Wirtschaftsregierung gesetzt. dienen, wird in Kürze nichts mehr wert sein, die da womöglich keine Abhilfe finden. Ich habe die hat die Bürger nicht mitgenommen. Das Schei- Da geht es vor allem auch darum, eine wirt- Ausbildung, die sie abschließen, bringt ihnen Juristen nur erwähnt, weil mir keine anderen ein- tern der europäischen Verfassung war für mich schaftspolitische Koordinierung herbeizuführen, nichts, weil sie keinen Arbeitsplatz finden – mit gefallen sind. ein Warnschuss der Bürgerinnen und Bürger in um letzten Endes die Wettbewerbsfähigkeit der Zahlen von 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Europa, ausgelöst durch die Dienstleistungs- Länder, die große Schuldenprobleme haben, zu europäischen Ländern –, kann ich niemand ge- (Heiterkeit) richtlinie, die man so nicht wollte. Das ist ver- steigern. Hier stellt sich nur die Frage, woher winnen. Herr Hänsch und Herr Zipfel, wie kann kannt worden. wir eigentlich das Wissen nehmen, um die Wett- da eine Lösung gefunden werden? Ich kann auch die Politologen erwähnen, obwohl bewerbsfähigkeit der Länder der europäischen die in Deutschland alle in Brot sind. Ich bin sel- Das bedeutet, dass wir Europa nicht konsolidiert Südschiene zu steigern. Die Koordinierung der Professor Dr. Günther Nonnenmacher: ber einer. haben. Was jetzt dazu führt, dass wir bei der ers- Fiskalpolitik ist unmittelbar einleuchtend. Aber Ich fürchte, dass dies ein sehr komplexes Prob- ten nachhaltig großen Krise so ins Trudeln kom- wenn wir in den Bereich der Koordinierung der lem ist. Wir haben im deutschen Rahmen auf das Haben wir noch Wortmeldungen, Fragen? – Es men. Denn die Gemeinsamkeit besteht ja darin, Wirtschaftspolitik kommen und im Rahmen des Problem der Jugendarbeitslosigkeit, soweit ich gab einiges, wo Sie direkt angesprochen wor- dass die europäischen Mitgliedsstaaten nicht europäischen Semesters blaue Briefe an Länder sehe, relativ gute Antworten gefunden. Es ist mit den sind, Herr Hänsch. Ich möchte Ihnen noch mehr Europa brauchen, sondern wir brauchen der Europäischen Union schreiben, dann kommt Recht hervorgehoben worden, dass dies nicht kurz die Gelegenheit geben, darüber nachzu- den Konsens. Der Konsens ist in den Erweite- ein erhebliches Maß an Willkür in die Angele- zuletzt am dualen System liegt. Ich habe kurz denken, zuvor aber Herrn Professor Kirchgäss- rungsschritten zum Teil verloren gegangen, der genheit und es entsteht die Gefahr einer Inter- vor Weihnachten mit einer Gruppe spanischer ner, ein bisschen weg von der Schweiz, etwas ökonomische Konsens. So ist die Europäische ventionsspirale, dass man also immer weiter in Unternehmer diskutiert, die mich gefragt haben: fragen, weil, wie schon gesagt, für viele Deut- Union ja einmal entstanden. Richtung zentraler europäischer Direktiven geht, Was würden Sie denn empfehlen, was wir aus sche die Schweiz eine Art von Idealzustand ist. die wir gerade nicht wollen und die Herr Zipfel Deutschland importieren sollten? Wir wollen ja Sie haben es uns mit diesem funktionierenden Nehmen Sie einmal Rumänien und Bulgarien. im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprin- so gut werden wie die Deutschen. – Darauf habe Wettbewerbsföderalismus auch so geschildert. Daran sieht man es sehr deutlich. Mussten diese zip deutlich angesprochen hat. Meine Frage an ich geantwortet: Arg viel kann ich Ihnen nicht Sie haben mir vorhin erzählt, Sie hätten beide Staaten tatsächlich aus politischen Gründen in Sie, Herr Professor Hänsch, lautet: Teilen Sie empfehlen, weil ich kein Wirtschaftler bin. Aber Staatsbürgerschaften, also auch die Deutsche. die Europäische Union? nicht die Befürchtung, dass wir uns auf einen ab- bei einem bin ich mir hundertprozentig sicher, Dann darf man Sie auch ein bisschen was zum schüssigen Weg begeben, der sehr gefährlich ist bei Ihrer Jugendarbeitslosigkeit von über 48 Pro- Euro beziehungsweise zu Europa fragen. Wenn Wenn man es jetzt herunterbricht auf unsere Mit- und auch die Interessen des Mittelstandes sehr zent: Verändern Sie Ihr Ausbildungssystem. Das ich einen Konsens zwischen unseren drei Eu- gliedsbetriebe, dann führt das dazu, dass sich stark negativ berühren kann? ist gar keine Frage. ropapolitikern gespürt habe, dann ist es der – immer mehr abwenden und sagen – und damit hier waren einige relativierende Gedanken von haben sie ein Stück weit leider auch Recht –: Eu- Bärbel Kohler: Ich bin Personalcoach und Trai- (Beifall) Herrn Köster –, wir brauchen eine Fiskalunion, ropa reguliert zu viel. In der Lissabon-Agenda nerin und habe gerade heute in Krefeld bei der eine Wirtschaftsunion, was Ökonomen ja immer steht, dass Europa ein wissensbasierter Raum Kreishandwerkerschaft eine Gruppe junger Leu- Dasselbe Thema habe ich allerdings gestern mit gern mit mehr Zentralismus übersetzen. Ich hätte werden soll. Faktisch nivellieren wir aber durch te betreut. Mir liegt Folgendes sehr am Herzen: einem französischen Unternehmensberater de- Herrn Giegold übrigens gern noch etwas gefragt, das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Wenn ich mich so im Saal umschaue, ich selbst battiert – übrigens ist in Frankreich die Jugend- aber diese Frage gebe ich an Sie weiter: Wenn, sehr unterschiedlichen Bildungsabschlüssen in zähle ja auch dazu, sehe ich graue Haare. Also arbeitslosigkeit mit über 20 Prozent auch ge- wie er gesagt hat, eine strikte Kontrolle natio- Europa. Wir gehen im Bildungsniveau weiter he- meine Jugend habe ich hinter mir. Nur wie kann waltig –, der mir sagte, wenn wir das verändern naler Haushalte, und des Finanzgebarens not- runter und sagen, gut, da muss auch der hinein, ich die Jugend, mit der ich zu tun habe, für Eu- wollten, müssten wir die Éducation nationale wendig ist, wie bringe ich das mit der demokra- der nichts gelernt hat. Das ist ja die Freizügigkeit ropa begeistern, wenn trotz Qualifikation kei- abschaffen. Das ist das staatliche Erziehungswe- tischen Kontrolle der Budgets zusammen, die ja in der Europäischen Union. Stattdessen müssten ne Chance besteht, eine Arbeitsstelle zu finden, sen, das Schulen und Hochschulen übergreift, hauptsächlich im nationalen Rahmen stattfindet? wir uns zur Spitze des Bildungsniveaus hinbe- wenn keine Chance für diejenigen besteht, die von dem ich gar nicht wusste, dass es auch die Solche Fragen hängen eigentlich nur an der prin- wegen. Herr Zipfel hat das vorhin angesprochen. weniger Glück mit Ausbildung und Hintergrund Berufsbildung in den letzten Schulklassen ein- zipiellen: Brauchen wir Ihrer Meinung nach eine Da liegt für meine Begriffe ein Kernproblem. Das haben, in eine Arbeit zu kommen, da Gelder für schließt. Man müsste also das gesamte Erzie- Wirtschafts- und Fiskalunion, um den Euro zu werden wir nur mit einem neuen Denken Euro- Maßnahmen gestrichen werden, um diese Men- hungssystem umstrukturieren. Das sind Dinge, retten, oder – als Ökonom gefragt – ist der Euro pas lösen. Wir werden es dann wirklich lösen, schen zu qualifizieren? Wie kann ich für Euro- die vielleicht notwendig und wichtig wären, aber gar nicht zu retten? wenn wir das Subsidiaritätsprinzip nach vorn pa werben, wie kann ich als Handwerker diese die sich mit Sicherheit nicht von heute auf mor- stellen. Hierzu müssen wir aber eine neue Struk- Menschen gewinnen und sagen: „Wir bauen ein gen ändern lassen. Insofern muss die Antwort Professor Dr. Gebhard Kirchgässner: Ich glau- tur des Denkens in den europäischen Gremien gemeinsames Europa“? Die haben keine Chance, auf Ihre Fragen, glaube ich, jedes europäische be, dass der Euro zu retten ist, aber ich bin kein hinbekommen. Daran sollten wir jetzt arbeiten. die sehen keine Zukunft. Es driftet alles ausein- Land für sich und jeweils anders geben, als wir Spezialist auf diesem Gebiet. Mich beschäftigen ander. es tun können. Es gab Zeiten – diese Zeiten kom- in Währungsfragen derzeit andere Probleme, Professor Dr. Günther Nonnenmacher: men wieder –, wo Handwerksbetriebe barmend wie Sie vielleicht nachvollziehen können. Vielen Dank. – Herr Köster. Herr Schulhoff hat es in seinen Eingangsworten nach Nachwuchs gesucht haben. Solange in die- gesagt: Ausbildung ist so wichtig. Wir müssen sem Land niemand kapiert, dass er als hunder- Zur Frage der Wirtschafts- und Finanzunion: Ich Dr. Thomas Köster: Ich möchte noch einmal dafür etwas tun. Wenn ich gebildete Menschen tachtzigtausendster Jurist, der nur Scheidungs- bin mir nicht sicher, ob man das braucht. Na- Herrn Professor Hänsch ansprechen. Sie haben habe, dann kann ich sie dafür gewinnen. Wenn fälle bearbeiten darf, weniger Geld verdient als türlich sollten die Institutionen etwas umgebaut gesagt, an die Seite der Fiskalunion werde jetzt ich aber denen erzähle, das Geld, was sie ver- ein erfolgreicher Handwerksmeister, wird man werden, auch um das Bewusstsein für Europa

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etwas zu steigern. Ich wäre zum Beispiel dafür, Diese Länder sind deshalb in eine interessante Aber wie soll zum Beispiel Griechenland einen len Dingen was das Zinsniveau anbelangt, eine dass Europa eigene Steuern erhebt. Zur Einfüh- Situation gekommen, weil anfänglich der reale Produktionsapparat, in dem Güter gefertigt wer- Nettoneuverschuldung unter exzellenten Rah- rung wäre das idealerweise mit Volksabstim- Zinssatz niedriger war als die reale Wachstums- den, die irgendwo anders gekauft werden wol- menbedingungen haben. mungen verbunden, wobei man dann nicht mehr rate. Wenn die reale Wachstumsrate höher ist als len, auf die Beine stellen? Wenn sie es können, das Einstimmigkeitsprinzip haben dürfte. Das der reale Zinssatz – das gibt es für Perioden, das was ich ihnen wünsche und was ich hoffe, dass es Ich finde den Fiskalpakt prima, ich finde ihn aus- würde das Bewusstsein für ein Gebilde schaf- gibt es nicht langfristig; in der Schweiz hatten geschieht, dann bestimmt nicht in den nächsten gezeichnet. Man sollte das unbedingt tun, nur: fen, für das wir allerdings auch etwas bringen wir das von 1950 bis etwa 1970 –, dann können zwei bis sechs Jahren. Hier bedarf es sozusagen Was ist denn bis auf das Klagerecht vor dem müssen – ein, zwei Prozent der Mehrwertsteuer sie sich langfristig verschulden, und sie müssen des Aufbaus eines neuen Wirtschafts- und Pro- Europäischen Gerichtshof daran eigentlich neu? könnten es sein –, sodass die europäische Ebene weniger an Zinsen zahlen, als sie an Nettokredit duktionsapparates. Das dürfte für Portugal auch Ich frage mich aber auch, wenn ich mir vergegen- nicht von der Finanzierung durch die Staaten ab- aufnehmen. Das heißt, sie können wirklich Spiel- zutreffen. Spanien hat allerdings eine sehr ein- wärtige, wie eine solche Klage abläuft, was denn hängig ist und damit das ewige Gezerre, wer wie raum gewinnen. Im Regelfall ist es aber so, dass seitige Struktur: Da gab es eine Immobilienblase; dann letztendlich bei der Sache herauskommt. viel zahlt, schon einmal entschärft wäre. der Zinssatz höher ist als die Wachstumsrate, Spanien hat eine überdimensionierten Bauwirt- und dann können sie das nicht mehr. Aber das schaft; es gibt dort ein paar Weltkonzerne. Ich fand im Beitrag aus der Schweiz einen Ge- Ich habe Ihnen ja nicht ganz umsonst etwas von war für diese Länder natürlich ein Anreiz, den danken ganz interessant, nämlich das Thema der den Schweizer Kantonen erzählt. Es gibt dort sie genutzt haben. Und das ist voll danebenge- Aber worüber wir uns freuen und beglückwün- Finanzierung, der Steuern und der Verantwort- keine zentrale Haushaltskontrolle; sie sind selbst gangen. schen können – etwas, was fast alle anderen Län- lichkeit. Ich glaube, dass letztendlich Demokra- dafür verantwortlich. Insofern hilft ihnen auch der nicht haben; die Italiener haben es übrigens tie nur dann funktioniert, wenn für den Bürger niemand. Insofern muss man sagen: Wir brauchen funkti- –, ist eben dieser breite Mittelstand, das Netz ein spürbares Verhältnis zwischen Kosten und onierende Finanzmärkte, die offensichtlich hier von Unternehmen mit drei Mann, fünf Mann bis Leistung besteht. Das will ich gar nicht nur auf Was fehlt, sind zwei Dinge: Zum einen ist das nicht funktioniert haben. Wir brauchen wirklich 5.000 Mann. Das gibt es in dieser Stärke – auch Brüssel beschränken, wo ja die Finanzierung für eine glaubwürdige Bail-out-Regel, dass die je- eine glaubwürdige Regel, dass die Länder für als Exportnation – in keinem anderen Land. den normalen Bürger – für mich jedenfalls – auch weiligen Länder nicht darauf hoffen können, sich selber verantwortlich sind. nicht so auf der flachen Hand liegt, sondern auch dass jemand anders für sie zahlt. Zum anderen: Herr Zipfel, habe ich Ihnen damit ein Stichwort auf die Kommunalfinanzierung, das System des Wer in dieser Krise wirklich dramatisch versagt Ich weiß nicht, wie man das in Europa installie- gegeben? – Nein? kommunalen Finanzausgleiches, das System des hat, sind die Finanzmärkte. Dass Italien, Spani- ren kann. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt Länderfinanzausgleiches ausweiten. Wenn man en und Griechenland – bei Griechenland war es sollte ein bisschen so etwas sein. Aber die ersten, Josef Zipfel: Doch, doch! Ich wollte kurz et- sich die Formeln anschaut, die dahinter liegen, schon relativ lange klar, dass das nicht so geht – die massiv dafür verantwortlich waren, dass er was zum Thema „Budgetdisziplin“, zum Thema erkennt man eine Wissenschaft, die nur weni- an den Finanzmärkten billiges Geld leihen konn- gebrochen wurde, waren die Deutschen „Fiskalunion“ sagen. Wenn ich dazu einmal aus ge beherrschen. Beim normalen Bürger kommt ten, war eigentlich nicht verständlich. Ein or- Ihrem Buch von 1997, Herr Professor Schulhoff, letztendlich an, dass es keine Verbindung zwi- dentlicher Banker hätte wissen müssen, dass das (Professor Dr. Günther Nonnenmacher: Und die Franzosen!) zitieren darf: schen dem Wunsch gibt, dass beispielsweise der mit einem Risiko verbunden ist. Man hätte das öffentliche Personennahverkehr billiger sein oder also anders bewerten müssen, und dann wäre zusammen mit den Franzosen. Deshalb weiß ich „Die Wirtschafts- und Währungsunion bedarf eine bestimmte Stadtbücherei ausgebaut werden die Eurorettung in erster Linie keine Rettung der nicht, wie man in Europa so etwas glaubhaft ins- eben nicht nur einer starken, gemeinsamen Zen- solle, und dem Tatbestand, dass dafür bezahlt französischen Banken gewesen. tallieren kann. Wenn das nicht gelingt, muss man tralbank, sondern auch einer wirkungsvollen Ko- werden muss. möglicherweise zu etwas anderem kommen. ordinierung aller relevanten Politikfelder, kurz- (Vereinzelt Beifall) um: einer gemeinsamen Budgetpolitik.“ Das heißt: Auf sehr lange Sicht wird sich Europa Aus der Schweizer Perspektive oder – wenn Sie nicht stabilisieren können, wenn nicht dem Bür- Da ist etliches schiefgelaufen. Ich bin kein Fi- so wollen – aus der Subsidiaritätsperspektive bin Dass wir sie brauchen, ist ja in gewisser Weise ein ger den Kontext zwischen dem, was er bezahlt, nanzmarktspezialist, aber offensichtlich gilt: So ich eher für Regeln, die die einzelnen Einheiten Allgemeinplatz. Die Frage ist aber: Warum wur- und dem, was er bekommt, einigermaßen ver- ideal wie sich die Finanzmärkte in unserer The- zwingt, für sich selber zu sorgen, anstatt es auf de der Euro eingeführt, ohne dass wir sie haben? ständlich dargestellt wird. Und dieses System, orie zu verhalten scheinen, haben sie sich in der eine übergeordnete Ebene zu schieben. Beziehungsweise: Warum wurden die Verträge das, wie ich vermute, jetzt mit noch abstrakteren Realität wieder einmal nicht verhalten. Das lernt mit den entsprechenden Bestimmungen – Sie ha- Regeln und noch mehr Quellen, zwischen denen man dann immer einmal wieder. (Beifall) ben es eben angesprochen – schlicht gebrochen? Geld hin und her geschoben wird, entsteht, ist, Was gibt uns die Gewähr dafür, dass der neue so behaupte ich mal, selbst für Spezialisten nicht Ich glaube, die Finanzmärkte haben daraus ge- Professor Dr. Günther Nonnenmacher: Fiskalpakt, der jetzt abgeschlossen wird, nicht mehr durchschaubar. Insofern sollte man dieses lernt, wie man an den Zinsen ja sieht. Vorhin ist Was insbesondere Griechenland, Portugal und dasselbe Schicksal erleidet? Ich kenne ihn ja nur Thema „Schweiz“ hier durchaus aufnehmen und völlig korrekt gesagt worden: Vor der Einfüh- in gewisser Hinsicht auch Spanien angeht, muss aus der Publikation im „Handelsblatt“; dort fin- sich überlegen, ob man nicht mal in diese Rich- rung des Euro waren die Zinsen entsprechend man sicher auch zu dem Schluss kommen, dass den sich ja einige Artikel. Art. 3 besagt danach: tung gehen könnte. hoch, da sie einfach das Risiko widergespiegelt es natürlich nicht nur um Finanzprobleme, Der allgemeine Staatshaushalt muss ausgegli- haben. Wenn dies weiter so gewesen wäre, dann Staatsschuldenprobleme geht – bei Spanien so- chen sein oder einen Überschuss ausweisen. – Ich will das Thema „Subsidiarität“ jetzt nicht hätten sich diese Länder nicht in diesem Maße wieso nicht; da ist gesagt worden, sie hätten gar Bravo! Ich bin vollkommen dafür. Wir wissen ja weiter vertiefen. Aber, Herr Professor Hänsch, verschuldet. keine so hohen Schulden. alle, dass wir in Deutschland in wirtschaftlicher nehmen wir mal an, dieser Fiskalpakt wäre ab- Hinsicht, was die Prosperität angeht und vor al- geschlossen. Um überhaupt zu irgendeinem

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Überkommen zu kommen, muss so etwas zwi- können, was an Geld ausgegeben wird und wo- Ich habe viele Schweizer Kollegen, mit denen ich dass sie – zweitens – tatsächlich etwas Zusätzli- schen Regierungen abgeschlossen werden. Aber für Geld ausgegeben wird. über diese Themen heftig diskutiere und denen ches bringt? Wenn man es aufkommensneutral der geringste Versuch, diesen Fiskalpakt etwa in ich sage: Wenn ihr Deutschland wärt, würdet ihr macht, dann müsste man in anderen Bereichen Deutschland oder sonst wo zur Abstimmung zu Wenn Sie diese Verbindung hergestellt haben, Schweizer euch völlig anders verhalten, ja ver- der Bundesrepublik Deutschland natürlich was stellen, würde wahrscheinlich daran scheitern, dann lösen Sie zwar auch nicht alle Probleme – halten müssen. Politik reagiert nicht nur aus dem wegnehmen. Dafür sehe ich – tut mir leid – je- dass er keine Mehrheit findet. Ich will nicht sa- ich habe schon gesagt: Die Schweiz ist kein Pa- Bauch, sondern auf Zwänge, die außerhalb des denfalls auf absehbare Zeit nicht den erforderli- gen, dass so etwas schlecht wäre, nur – das ist radies, und wir haben auch unsere Probleme eigenen Staatsterritoriums liegen. – Das kommt chen gesellschaftlichen Konsens. Wenn jemand das, was Herr Dr. Weltrich vorhin gemeint hat –: –, aber dann können Sie ein Bewusstsein dafür mir manchmal ein bisschen zu kurz, wenn man glaubt, dass ein ehemaliger Europaabgeordne- Das sind im Grunde alles Alarmsignale. Man hat schaffen. Im Schnitt sind die Schweizerinnen und da über Idyllen spricht. ter – noch dazu, wenn er Präsident des Europä- keine ernsthafte Basis mehr für solche Aktionen. Schweizer sich sehr viel mehr der Dinge bewusst ischen Parlaments war – ein Träumer ist, dann Und darin sehe ich ein riesiges Problem. als die Leute in Deutschland, weil es eben diese Wir haben den Begriff „Verschweizerung“ muss ich Sie leider belehren: Ich bin es nicht! Ich Verbindung gibt. Deutschlands übrigens in Zeiten der Nachrüs- schaue mir sehr genau an, was man politisch real Professor Dr. Günther Nonnenmacher: tung einmal als ein Schimpfwort betrachtet: hinbekommen kann und was nicht. Herr Kirchgässner wollte gerne noch eine Erfah- Vielleicht noch eine Bemerkung zur Volksabstim- Deutschland auf dem Weg in einen Pseudoneu- rung aus dem „paradiesischen“ Land als direkte mung, weil immer wieder der Hinweis kommt, tralismus. – Aber das nur als Anmerkung über Ich bleibe erst einmal bei Herrn Zipfel, aber die Gegenrede einbringen. Kann man sich das, was dass man über eine europäische Verfassungsän- eine Dimension, die im Grunde auch dazugehört. anderen kommen auch noch an die Reihe: War- in der Schweiz ja mal passiert ist, dass die Bürger derung zu Volksabstimmungen kommen soll: um wurde die Währungsunion eingeführt, ohne gegen eine Steuersenkung stimmen, für Deutsch- Ich wäre sehr dafür, aber dann müssen Sie vom Herr Hänsch, vor Ihnen liegt jetzt ein ungeheurer dass man eine politische Union hatte? – Ich kann land vorstellen? Einstimmigkeitsprinzip Abstand nehmen. Mit Berg von Meinungen und Thesen. Ehrlich gesagt, mich daran sehr genau erinnern. Bei der Unter- Herrn Feld, der jetzt im Sachverständigenrat würde mich am meisten interessieren, warum Sie zeichnung des Maastricht-Vertrages haben zum Professor Dr. Gebhard Kirchgässner: Das sitzt, hatte ich vor einigen Jahren einen Vorschlag der Meinung sind, dass die Zukunft „intergou- Beispiel kurz danach, bei der Ratifikation in den haben die Züricher Bürger erst vor kurzem ge- unterbreitet, der in etwa darauf hinausläuft, dass vernemental“ sei. Aber das ist vielleicht zu tech- Mitgliedstaaten, der damalige Bundeskanzler macht, und 1993 haben wir auf eidgenössischer zwei Drittel der Bevölkerung und zwei Drittel nisch. Wenn Sie bitte auf die vielen Fragen und sehr deutlich im Bundestag und Ebene für zwei Steuererhöhungen gestimmt. Das der Staaten zustimmen müssen. Dann hätten Sie Anmerkungen, die hier kamen, eingehen könn- auch das Europäische Parlament gefordert, ange- ist durchaus nicht so unüblich, wie es vielleicht nicht mehr diese Erpressungsmöglichkeit, und ten. sichts der Schieflage zwischen Währungsunion scheint. dann wird über das abgestimmt, worum es geht. und mangelnder politischer Union müsse auch Wenn in der Schweiz bei Volksabstimmungen Professor Dr. Klaus Hänsch: Ich will es versu- die politische Union geschaffen werden. Herr Zipfel, genau in dem Zusammenhang: Einstimmigkeit der Kantone Voraussetzung wäre chen und bitte um Nachsicht, dass es mir nicht Wenn Sie wirklich das stärken wollen, dass und jede Verfassungsänderung von der Mehrheit gelingen wird zu systematisieren. Ich gehe ein- Ich darf das Europäische Parlament in dem Zu- die Leute wissen, wofür das Geld ausgegeben der Kantone gutgeheißen werden müsste, dann fach einmal durch, was aus den Beiträgen von sammenhang auch anführen. Es gehörte zu den wird, dann reichen eben entsprechende föderale hätten wir fast nie ein positives Ergebnis. mir aus gesehen beantwortungsfähig – nicht be- ersten Entschließungen des Europäischen Parla- Strukturen nicht, sondern dann müssen Sie das antwortungswürdig; das sind alle – ist, was ich ments zum Maastricht-Vertrag zu sagen: Okay, Finanzreferendum einführen, dann müssen Sie Also: Volksabstimmungen und Einstimmigkeits- beantworten kann. wir machen da mit, aber das muss durch die bei großen Projekten die Bürgerinnen und Bür- regeln sind nicht miteinander kompatibel; das politische Union ergänzt und vervollständigt ger fragen, ob sie diese wollen oder nicht. Das ist sind zwei verschiedene Dinge. Vielleicht kann Ich fange einmal mit dem Zusammenhang zwi- werden. Und zu der politischen Union gehörte bei uns in fast allen Kantonen der Fall. Die Leute man es noch in einem ganz kleinen Rahmen mit schen „bekommen“ und „bezahlen“ auf europä- nicht die Vereinheitlichung, sondern die Koordi- wissen genau: Wenn sie für dieses Projekt stim- sechs Ländern machen, aber mit 27 Einheiten in ische Ebene an; Kommunalpolitik lasse ich mal nierung der Wirtschafts-, Haushalts- und Fiskal- men, dann müssen sie auch dafür zahlen. – Man Europa oder mit 26 Kantonen wie bei uns geht weg. Ich bin als ehemaliger Europaabgeordneter politik. Koordinierung – das ist ein Unterschied weiß also sehr genau, wofür man zahlt. das schlichtweg nicht. in der Theorie und in meinen Idealvorstellungen zur Vereinheitlichung dieser drei Politikbereiche. natürlich dafür, dass es eine europäische Steuer Als unsere Universität vor einigen Jahren erwei- Professor Dr. Günther Nonnenmacher: gibt. Dann könnte man zumindest erklären, die- Es gibt da Einwürfe – vielleicht nicht bei Ihnen, tert werden musste – das war ein Projekt von 85 Ich möchte dazu nur noch einen Hinweis geben, ser oder jener Prozentsatz sei für Europa, zum Herr Zipfel, aber man hört sie ja oft, übrigens Millionen –, musste das durch eine Volksabstim- über den wir nicht mehr diskutieren können: Die Aufbau Europas, zu unserer eigenen Sicherheit. auch in einigen Diskussionsbeiträgen –, als kön- mung im Kanton St. Gallen. Wir haben sie glück- Schweiz ist ein europäischer Kleinstaat, faktisch Das bekäme man schon hin. ne man jetzt noch einmal zurück in die Zeit vor licherweise mit relativ großer Mehrheit gewon- ohne Außenpolitik, in kein internationales Bünd- 1992, also vor den Maastricht-Vertrag. Meine Da- nen. Ganz wichtig in diesem System Schweiz ist, nis einbezogen, für niemanden eine potenzielle Schauen wir dann aber mal eine Sekunde genau- men und Herren, schon die alten Griechen – also dass man einerseits die Verantwortung auf der oder gar aktuelle Bedrohung, mit einer Armee er hin: Wie läuft es bei uns, auch bei den Befür- nicht die neuen – wussten: Niemand steigt zwei- kommunalen und kantonalen Ebene hat – nicht als fiktive Landesverteidigung. wortern einer europäischen Steuer? Da kommt mal in den gleichen Fluss. der Bund, sondern die Kantone sind diejenigen immer ein kleiner Nachsatz: Aber sie muss auf- die den höchsten Ausgabenanteil an den gesam- (Hartmut Schauerte: Geschützt von Eu- kommensneutral sein! Meine Damen und Her- Wer glaubt, man könne jetzt noch einmal neu an- ten Staatsausgaben haben – und andererseits die ropa! – Weitere Zurufe) ren, glaubt denn irgendjemand daran, dass eine fangen, wo wir schon zehn Jahre den Euro ha- Bürgerinnen und Bürger darüber mitentscheiden aufkommensneutrale europäische Steuer – ers- ben, der ist ein Illusionist, wenn nicht schlimmer: tens – tatsächlich politisch durchzuhalten ist und Er ist ein Scharlatan. Das funktioniert nicht. Es

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funktioniert weder in Europa noch funktioniert was anderes; darüber wird wahrscheinlich noch berechtigt, und das ist richtig, aber auch nur für ist und auch bleiben wird. Schließlich handelt es es in der Bundesrepublik Deutschland. Lesen in den nächsten Monaten geredet werden. diesen Fall. sich – ich weiß gar nicht, warum wir uns dage- Sie einmal nach, was die Wirtschaftsexperten, gen so wenden – um demokratisch legitimierte die sich ja auch widersprechen, sagen. Sie ha- Ein wichtiger Punkt sind die Volksabstimmun- Noch ein, zwei Sätze zu anderen Stichworten: Regierungen, die neben dem Europäischen Par- ben zum Teil berechtigte Kritiken, berechtigte gen. Natürlich bin ich da ohne Illusion: Wenn Sie Das Versagen des Euroregiments habe ich ja im lament und zusammen mit dem Europäischen Sorgen, aber wenn Sie genau hinschauen, finden die „Fiskalunion“ ansprechen und das, was sie Blick auf die Schieflage, die bei der Einführung Parlament europäische Entscheidungen treffen. Sie kaum jemand, der sagt: Die Bundesrepublik bedeutet, auch noch der öffentlichen Diskussion des Euro entstanden ist, erwähnt. Sie ist nicht Deutschland kann und soll auf den Euro ver- überlassen, dann sehe ich nicht, dass man da- deshalb entstanden, weil die anderen es zur Be- Zuletzt zu dem Stichwort, dass die Menschen zichten. – Niemand will zurück in die nationale für in der Bundesrepublik Deutschland in einer dingung gemacht hätten – das hätten sie nicht nicht mitgenommen wurden. Ja, das stimmt. Währung. Volksabstimmung eine Mehrheit bekäme. machen müssen –, sondern weil es im Zusam- Man kann gar nicht bestreiten, dass ein großer menhang mit der Wiedervereinigung Deutsch- Teil der Bevölkerung in der Bundesrepublik (Professor Wolfgang Schulhoff: Das sagt auch keiner!) Aber wie ist das mit Volksabstimmungen auf lands in Europa die Stimmung gab, dass man Deutschland, aber auch in einem Teil der ande- der europäischen Ebene? Auf der europäischen dieses mächtiger werdende Deutschland in einer ren Länder, nicht mitgekommen ist, dass es auch – Das sagt niemand. Ebene ist es so: Solange einstimmig entschieden stärkeren europäischen Union auffangen müsse. der Politik, auch den Medien, übrigens auch werden muss, so lange dominiert das Land, das Und da ist ja was dran. den Verbänden, nicht gelungen ist, das, was den (Professor Wolfgang Schulhoff: Im Gegenteil!) „Nein“ sagt, alle anderen. Der Verfassungsver- Kern dieser europäischen Einigung ausmacht, trag ist durch Spanien und Luxemburg ange- Der Anfang war nur mit der Währungsunion wirklich zu vermitteln. In den 50er und 60er und – Herr Schulhoff, Sie müssen nicht schimpfen. nommen worden – mit großen Mehrheiten. Es möglich. Das kann man heute bedauern, man auch noch in den 70er Jahren war das der „Frie- Niemand sagt das, jedenfalls unter den Exper- hat gereicht, dass Frankreich oder die Niederlan- kann es heute sogar scharf kritisieren, aber man den“. Ich bin mir klar darüber, dass er heute so ten. – Bitte? de „Nein“ sagen. Damit war die Sache zu Ende. muss auch bedenken, was der Ausstieg oder das selbstverständlich ist, dass er den motivieren- So ist das auch mit jeder anderen Vertragsände- Abgehen von diesem Weg für die Bundesrepub- den Schub gerade gegenüber den Jüngeren nicht (Professor Wolfgang Schulhoff: Ich rung auf europäischer Ebene. lik Deutschland und für die Interessen unseres mehr hat. Es kommt ja auch niemand auf die ver- habe gesagt: Euro stärken!) Landes bedeutet, nämlich den Zusammenbruch rückte Idee, dass wir, wenn der Euro nicht mehr Es gibt Volksabstimmungen sinnvoller Art. des Vertrauens in die Bundesrepublik Deutsch- da wäre, einen Krieg in Europa hätten. Das ist – Ich spreche Sie ja gar nicht an. Nur: Lässt man es zu, dass die Bundesrepublik land im restlichen Europa. wirklich Unsinn. Deutschland überstimmt wird, würde das einen (Professor Dr. Günther Nonnenma- neuen Vertrag erfordern, der dann an Karlsruhe Im Übrigen geht es bei dieser Fiskalunion – je- Aber ich bleibe dabei, dass es eine neue Motiva- cher: Wer würde es wagen?) scheiterte, weil das Bundesverfassungsgericht denfalls bislang nicht – richtigerweise nicht um tion gibt. Und die liegt in der europäischen Kul- – mit, meinetwegen, vielen Fehlern oder Unzu- Zentralisierung, auch nicht bei der Haushalts- tur, in der europäischen Lebensweise und auch Ich habe weder „Herr Präsident“ gesagt, noch länglichkeiten – klar gemacht hat, dass über die kontrolle, sondern es geht um Koordinierung in der europäischen Wirtschaftsstärke, die wir habe ich „Herr Schulhoff“ gesagt. Ich habe von Substanz der Staatlichkeit Deutschlands nur die des Verhaltens der Mitgliedstaaten. Und das ist brauchen, um uns in der kommenden Welt be- Wirtschaftswissenschaftlern und -experten ge- Bundesrepublik Deutschland und die Gremien der Hintergrund, warum ich meine, dass es je- haupten zu können. sprochen, die alle berechtigte … der Bundesrepublik Deutschland entscheiden denfalls in diesem Bereich keinen anderen Weg dürfen. Das heißt: Eine Mehrheit in einer euro- als den intergouvernementalen gibt. Denn das Wer glaubt denn, dass es den Jugendlichen, von (Heiterkeit) päischen Volksabstimmung, die aus Franzosen, wollen Sie auch nicht – und ich würde Bedenken denen Sie gesprochen haben, auch nur einen Niederländern, Finnen oder was weiß ich be- bekommen, selbst als Europapolitiker –: einer Deut besser ginge, dass sie auch nur einen Ar- – Das passiert einmal. steht, hätte vor Karlsruhe aus heutiger Sicht kei- Mehrheitsentscheidung in Brüssel die Gestaltung beitsplatz mehr bekämen, wenn wir das, was wir nen Bestand. Das muss auch die Bundeskanzle- des deutschen Haushalts zu überlassen, wozu in Europa haben, aufgäben? Ich habe das, was Sie gesagt haben, sehr wohl rin beachten, wenn sie da intergouvernemental die Bundesregierung nicht selbst „Ja“ gesagt hat. verstanden, und ich vertrete in der Sache Rettung vorgeht und einen Vertrag fordert – so klein und Das ist niemandem zu verkaufen; ich würde es Das heißt also für uns, jedenfalls für mich: Wir 100 Prozent Ihre Position. Zu glauben, dass man schmal er auch sei. jedenfalls nicht machen wollen. Es muss schon sind nicht darauf fixiert, das, was wir haben, ein- jetzt aus dem Euro herausgehen und sagen kann: eine Vereinbarung zwischen den demokratisch fach so fortzuschreiben, sondern wir sind gehal- „Das geht uns doch alles nicht mehr an, was wir Aber auf europäischer Ebene gibt es überhaupt gewählten Regierungen sein. ten, das, was wir haben, in der Substanz festzu- in den letzten 10 Jahren gehabt haben und ge- nur eine Möglichkeit zur Volksabstimmung über halten und dafür zu sorgen, dass es Bestand in macht haben“, das halte ich für eine Illusion. europäische Fragen. Das ist die Frage: „Bleiben Mit einem Nebensatz komme ich jetzt zur De- der Zukunft hat. wir drin in der Union, oder gehen wir raus aus mokratie. Wir reden immer über europäische Ich bin sehr froh darüber, dass das in Deutsch- der Union?“, weil diese Volksabstimmung ge- Demokratie in Brüssel und vergessen dabei, dass (Beifall) land kein wesentlicher Teil der öffentlichen Mei- nau das Land und die Bevölkerung trifft und die Europäische Union eine Union von Staaten nung ist, auch in Umfragen nicht und schon gar die Konsequenzen in der eigenen Bevölkerung ist, die allesamt, jedenfalls bislang, demokratisch nicht beim Handwerk. Wir sollten auch nicht so gezogen werden müssen. In dem Fall heißt es, organisiert sind. Und wer das Intergouverne- Professor Dr. Günther Nonnenmacher: tun, als gäbe es die reale Möglichkeit für die Bun- nicht mehr über andere abzustimmen, sondern mentale gering achtet, der muss wissen, dass der Vielen Dank, Herr Hänsch. – Ich glaube, bei ei- desrepublik Deutschland, aus der Sache auszu- über das Schicksal seines eigenes Landes. Das ist intergouvernementale Bereich von Anfang eine nem solch begeisternden Redner wird sich jeder steigen. Was Griechenland anbelangt, ist das et- der Säulen der europäischen Einigung gewesen

38 Dialog Handwerk 1/2012 Dialog Handwerk 1/2012 39 Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks

am rhetorischen Furor erfreuen, selbst die, die eine ehrlichere Auseinandersetzung wünschen. Sicherheitspolitik und die Haushalts- und Fi- Wenn wir solche wunderbaren Beispiele haben, nicht ganz überzeugt sind, Herr Schulhoff. Nicht alles ist immer richtig, und man muss sich nanzpolitik. Wir haben hier auch die Fiskalunion dann sollten wir auch offensiv nach außen dafür auch kritische Fragen gefallen lassen. angesprochen. Der Abgeordnete Lehne beklagte werben – auch unsere Vertreter in Brüssel –, dass (Professor Wolfgang Schulhoff meldet sich zu Wort.) die fehlende Möglichkeit, in Europa einen ge- wir hier in einem Mitgliedsland Best-Practice- Wir beschäftigen uns derzeit – das hat auch diese meinsamen Kommunikationsraum zu haben, Beispiele haben. – Nein, auch der Präsident bekommt jetzt das Diskussion gezeigt – hauptsächlich mit Fragen, um Themen dann entsprechend nach außen zu Wort nicht mehr, weil nun der Vizepräsident des die sich dann um viel Geld drehen. Daran kamen geben. Ein Dank an die, die auf dem Podium so eifrig Nordrhein-Westfälischen Handwerkstags, Herr wir in der Diskussion nicht vorbei. Sicherlich diskutiert haben: an Klaus-Heiner Lehne, Pro- Andreas Ehlert, mit dem Schlusswort an der Rei- ist richtig, dass Europa durch die Verflechtung Ganz sicherlich geht es nicht um eine Entmach- fessor Hänsch, Sven Giegold, Professor Kirch- he ist. der Finanzmärkte schon längst eine Haftungs- tung der europäischen Union, sondern darum, gässner von der Universität St. Gallen und an gemeinschaft geworden ist. Das können wir dass wir uns mit den großen Themen beschäf- unseren Hauptgeschäftsführer Josef Zipfel. Er Ich bedanke mich, während er auf die Bühne drehen, wie wir wollen. Ob wir drin sind oder tigen und nicht mit den vielen kleinen Feldern war im Übrigen ganz klasse, weil er nämlich da- geht, bei den verbleibenden Diskutanten. Ich draußen – bezahlen müssen wir wahrscheinlich des täglichen Lebens. Hier ist die Bodenschutz- für gesorgt hat, dass die Diskussion ein bisschen glaube, es war eine Diskussion, die außerordent- sowieso. richtlinie genannt worden; es gibt sicherlich viele geerdet wurde. Das, was Josef Zipfel gesagt hat, lich nützlich und wichtig war. Ich hoffe aller- andere Beispiele, um die wir uns in Europa nicht haben wir alle verstanden; ich finde, das hat er dings, dass wir sie nächstes Jahr nicht noch ein- Professor Hänsch hat ja dann den interessanten bedingt kümmern müssen. ganz herausragend gemacht. Schließlich bedan- mal führen müssen. Satz gebracht: Was kostet uns der Verlust des ken wir uns bei Ihnen, Professor Nonnenmacher, Euro? Es geht nicht nur um Wirtschaft und Poli- Der Begriff „Subsidiarität“ ist so oft gefallen, Sohn eines Handwerksmeisters, für die hervorra- In diesem Sinne, Herr Ehlert! tik. Und der Abgeordnete Giegold glaubte dann dass ich die Definition noch einmal nennen will: gende Moderation. auch, dass die Abwärtsspirale in diesem Fall nicht begrenzbar ist. Dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Dass das Thema so spannend ist, hat nun dazu Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten geführt, dass ich mich besonders kurz fasse. Die Schlusswort In der Diskussion ging es dann auch um die kann, darf nicht ihm entzogen und der Gesell- Diskussion hätten wir auch noch ein weiteres spannende Frage, ob die Stabilität unserer Wäh- schaftstätigkeit zugewiesen werden. Es verstößt Stündchen verfolgen können. Aber die Veranstal- Andreas Ehlert, Vizepräsident des rung aus politischen Gründen preisgegeben wer- gegen die Gerechtigkeit, dass das, was die klei- tung ist ja noch nicht vorbei; sie geht jetzt weiter, Nordrhein-Westfälischen Handwerkstages den muss, um ein Auseinanderbrechen des Euro neren und untergeordneten Gemeinwesen leis- und wir wollen uns im Foyer zusammenfinden. zu verhindern. Zumindest habe ich gehört, dass ten und zum guten Ende führen können, für die Vielen Dank, Professor Nonnenmacher, vielen in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht weitere und übergeordnete Gemeinschaft in An- Für die, die auf dem Podium verblieben sind, ha- Dank an die, die noch auf dem Podium sind. Weil worden sind, die jetzt beseitigt werden müssen. spruch genommen werden muss. ben wir noch ein kleines Buchgeschenk. Aus die- Sie dem Präsidenten das Wort abgeschnitten Wir haben das wunderbare Beispiel der Schweiz ser Biografie des Freiherr vom Stein möchte ich haben, möchte ich zunächst einmal feststellen: mit dem glaubwürdigen Bail-out gehört und hier Das sei hier noch einmal zitiert. zum Abschluss zitieren. Ich trage jetzt nur einen Jeder hier weiß, dass Wolfgang Schulhoff über- zur Kenntnis genommen. Kernsatz vor; das Buch dürfen Sie dann in Gänze zeugter Europäer an der Spitze aller, die hier sit- Ich spreche natürlich auch für das Handwerk durchlesen. Es gilt, zen, ist. Wenn in der Sache kritisch argumentiert Zumindest zum Schluss hat diese Diskussion auf und sage: Wenn wir darüber reden, dass wir in wird, dann geschieht dies völlig zu Recht. Denn der schwierigen Suche nach neuen Regeln für den einzelnen Ländern unterschiedlich gute Lö- „[…] die Regierung durch die Kenntnisse und wir brauchen die offensive Auseinandersetzung, die europäische Währungsunion ergeben, dass sungen haben, die nicht unbedingt europaweit das Ansehen aller gebildeten Klassen zu verstär- sonst kommen wir keinen Schritt weiter. wir sicherlich nach einer neuen Vision schreien. harmonisiert werden müssen, dann haben wir – ken, sie alle durch Überzeugung, Teilnahme und Professor Hänsch, Sie haben einmal gesagt: Vi- Hauptgeschäftsführer Zipfel sprach die Qualität Mitwirkung bei den Nationalangelegenheiten Dass wir uns gerade als nordrhein-westfälisches sion ohne Organisation verkommt zur Illusion. von Unternehmensgründungen an – in Deutsch- an den Staat zu knüpfen, den Kräften der Nati- Handwerk das schwierigste Thema herausge- – Aber wir hören ganz gerne immer auch etwas land sicherlich sehr, sehr gute Modelle, die es zu on eine freie Tätigkeit und eine Richtung auf das pickt haben, das man sich in diesen Tagen vor- Visionäres. Professor Schulhoff hat das in seinem verteidigen lohnt. Und wir wünschen uns, dass Gemeinnützige zu geben […] (und) sie von der stellen kann, zeigt, dass wir bei diesen Themen Eingangsstatement wunderbar auf den Punkt ge- unsere Repräsentanten das Engagement und Verfolgung bloß eigennütziger Zwecke abzulen- mitreden und auch unsere eigene Stimme dazu bracht: Wir brauchen mehr Europa bei den gro- den Mut haben, für unsere erfolgreichen Mo- ken.“ erheben möchten. Das Thema ist schwierig, das ßen Themen, und wir brauchen weniger Europa delle offensiv zu streiten. Da sind zum Beispiel Thema ist aber auch wahrscheinlich das wich- bei den kleinen Themen. die Zugangsbeschränkungen. Das Wort hört sich Das sei Ihnen mit auf den Weg gegeben. tigste Thema der Gegenwart: „Muss Europa neu schlimm an, aber zur Qualität des Zugangs zum gedacht werden?“ Oder wie Professor Hänsch Ich denke, wir sollten ein wenig mehr Gelassen- deutschen Markt gehört natürlich auch unser Ich sage danke Ihnen allen, dass Sie gekommen sagte: „Muss Europa weiter gedacht werden?“ heit bei den kleinen Themen an den Tag legen. wunderbares duales Berufsausbildungssystem, sind. Jetzt finden wir uns draußen im Foyer zu- Das war spannend, das war fundiert und zumin- Nicht alles muss europäisch harmonisiert wer- das die Hälfte aller jungen Menschen durchläuft. sammen. – Danke schön. dest zum Schluss leidenschaftlich. Ich hätte jetzt den. Es bedarf sicherlich auch eines Schutzes vor Und die Ergebnisse dieses dualen Berufsausbil- fast „visionär“ gesagt, aber ein Stück weit war es falschen Überregulierungen. Von den großen dungssystems führen dazu, dass die Menschen, am Anfang auch Erfolgsrhetorik. Und das stört Themen sind in der Diskussion einige angespro- die wir dort ausbilden, auf dem Arbeitsmarkt manchmal. Ich würde mir da hin und wieder chen worden wie die gemeinsame Außen- und auch gebraucht werden.

40 Dialog Handwerk 1/2012 Dialog Handwerk 1/2012 41 Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks

Dreikönigsessen

begrüße ich ganz herzlich den Herausgeber der sein: Václav Havel war jemand, der die Erfah- „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Herrn Pro- rung der Unfreiheit am eigenen Leibe erfahren, fessor Günther Nonnenmacher. kennengelernt und gespürt hat. Ein so eindring- liches Bild kann nur jemand finden, der eben lan- Begrüßung und Einführung Er ist ein großer Freund des Handwerks. Und da Ich begrüße ebenso den Chefredakteur der ge Zeit nicht frei war, dem lange Zeit nur die un- er nicht nur sehr sachkundig ist, sondern auch „Rheinischen Post“, Herrn Sven Gösmann. erfüllte Sehnsucht nach der Freiheit geblieben ist. Professor Wolfgang Schulhoff, ebenso eloquent, freuen wir uns gleich auf sein Präsident des Nordrhein-Westfälischen Grußwort, das er direkt nach meiner Rede halten (Beifall) Auch in unserer Gesellschaft wird immer wieder Handwerkstages möchte. Ich habe den Zeitplan ein bisschen ge- die Freiheit propagiert, fast in jeder Rede. Aber ändert. Wären Sie damit einverstanden? Und da Ich begrüße den Chefredakteur der „Westdeut- allzu häufig handelt es sich hierbei um falsche Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Lie- ich kurz rede, können Sie sich jetzt schon darauf schen Zeitung“, Herrn Martin Vogler. Freunde der Freiheit. Um nur ein Beispiel zu be Kolleginnen und Kollegen! Wir beginnen et- vorbereiten. nennen: In den letzten Jahren haben etliche Fi- was verspätet; denn die Diskussion, die wir eben (Beifall) nanzmarktakrobaten – ich spreche nicht von den beim Dreikönigsforum führten, hat uns etwas Herzlichen Dank nochmals für Ihre Gastfreund- Bankern hier; um das noch einmal zu betonen länger in Anspruch genommen. Es ging um die schaft! Ich glaube in Ihrer aller Namen sprechen Ich begrüße die Chefredakteurin des Landespro- –, getrieben von einer maßlosen Gier, durch ihr Existenz Europas, um den Euro. Aber damit wer- zu können: Wir fühlen uns hier wohl. – Und was gramm des WDR, Frau Gabi Ludwig. – Alle seien verantwortungsloses Handeln das Vertrauen der de ich Sie heute Abend nicht mehr „belästigen“. uns gleich erwartet, wird auch gut sein. herzlich willkommen! Menschen in die Idee der Freiheit untergraben. Das haben wir eben getan. (Beifall) (Beifall) Das, was sie taten, taten sie angeblich im Namen Ich begrüße Sie ganz herzlich zu dem traditions- der Freiheit. Durch ihr Verhalten haben sie die reichen Dreikönigsessen des nordrhein-westfä- Als Spitzenvertreter der Wirtschaft begrüße ich Ganz besonders begrüße ich natürlich den Fest- Idee der Freiheit in furchtbarer Weise diskredi- lischen Handwerks in den Räumen der WGZ- den Chef der SIGNAL IDUNA Gruppe, der ge- redner des heutigen Abends, Herrn Christian tiert. Das, was sie Freiheit nannten, war nur ein Bank. Ihnen allen wünsche ich ein gesundes, ein rade noch, wie er mir zwischen einigen Reden Lindner. Zerrbild der Freiheit; denn sie haben die Freiheit friedvolles Jahr und auch ein erfolgreiches Jahr, eben sagte, ein großes Geschäft für unsere Grup- mit Rücksichtslosigkeit und Raffgier und mit ein Jahr, das besser wird, als die Prognosen, die pe gemacht hat. Ich darf sagen „unsere Gruppe“: (Beifall) Verantwortungslosigkeit verwechselt, sei es wis- heute in den Medien abgegeben wurden. Denn er fühlt sich immer noch dem Handwerk sentlich oder sei es unwissentlich. Auf jeden Fall verbunden. Das war der Ursprung, und das wird Herr Lindner wird sich in seinem Vortrag mit aber waren die Auswirkungen katastrophal. Lei- Sie hängen von vielem ab. Und wir müssen ja auch so bleiben. Ich begrüße ganz herzlich Herrn dem Thema „Freiheit“ beschäftigen. Und auch der ist ein Großteil dieser Akteure immer noch immer optimistisch nach vorne blicken. Wir als Reinhold Schulte. ich möchte heute Abend damit beginnen. in vielen Bereichen der Wirtschaft tätig, insbe- Handwerker, als Unternehmer, müssen das so- sondere in der sogenannten Finanzindustrie. Ich wieso tun, denn jeder Unternehmer muss mit (Beifall) Meine Damen und Herren, kurz vor Weihnach- will noch einmal sagen: Wir sind froh, dass wir Optimismus in die Zukunft gehen, und das tun ten ist Václav Havel gestorben, eine der größten das gegliederte Bankensystem in Deutschland wir auch. Stellvertretend für die zahlreiche politische Pro- Symbolfiguren für die friedliche Revolution in haben. Wir hatten nämlich vielmehr wirkliche minenz freue ich mich, die Vizepräsidentin des Ost- und Mitteleuropa im Jahre 1989. Freiheit bei uns. Wieder einmal sehe ich sehr viele Persönlichkei- nordrhein-westfälischen Landtags, Frau Frei- ten aus Handwerk, Politik, Medien, Verwaltung, muth, begrüßen zu dürfen. In einem seiner letzten Artikel bin ich auf ein Um mit dem Gut Freiheit richtig umzugehen, um Justiz und Gesellschaft unter uns. Jeder von Ih- eindrucksvolles Bild der Freiheit gestoßen. Ich die Freiheit richtig zu verstehen, brauchen wir nen hätte es verdient, dass ich ihn namentlich (Beifall) zitiere: deshalb eine andere Sichtweise als die derzeit hier begrüße. Aber das würde Ihnen zu lange teilweise vorherrschende. Wir müssen Freiheit dauern. Deshalb darf ich nur einige ganz wenige Des Weiteren begrüße ich Herrn Dr. Papke, „Die Freiheit ist wie das Meer. Die einzelnen Wo- verstehen als eine umfassende Ordnungsidee, namentlich begrüßen. Herrn Schmeltzer und Herrn Dr. Petersen aus gen vermögen nicht viel, aber die Kraft der Bran- und zwar als eine Ordnungsidee mit ganz vielen dem Landtag. dung ist unwiderstehlich.“ Dimensionen. So müssen wir Freiheit immer in Für alle anwesenden Präsidentenkollegen aus Zusammenhängen denken: Freiheit und Mensch- dem Handwerk begrüße ich unseren obersten Aus dem Bundestag begrüße ich ebenso herzlich Ich finde, das ist ein wundervoller Satz, ein Satz, lichkeit, Freiheit und Respekt, Freiheit und Tole- Boss, Otto Kentzler. Frau Dött; sie ist die umweltpolitische Sprecherin ein Bild, so überwältigend und stark, dass man ranz, Freiheit und Leistungsbereitschaft, Freiheit der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundes- es einem Politiker nicht zutraut. Vielleicht liegt und Verantwortung, Freiheit und Bindung, Frei- (Beifall) tags. es daran, dass Havel eben mehr war als nur ein heit und Solidarität und schließlich Freiheit und Politiker – das ist aber keine Politikerschelte; Sie Demut. Ich habe das eben noch einmal in einer Als Hausherrn dieser Veranstaltung begrüße ich Stellvertretend für die Medien, die heute zahl- können sich also ganz beruhigt zurücklehnen –, Rede gesagt, dass es Politikern manchmal auch in diesem Jahr wieder Werner Böhnke, den Vor- reich und prominent vertreten sind – ich frage denn er war zuallererst, zumindest ein Großteil sehr gut tut, mit Demut einige Dinge zu betrach- standsvorsitzenden der WGZ Bank. mich nur, warum –, seines Lebens, immer auch ein Dichter. Das mag ten. hierbei eine Rolle gespielt haben. Aber noch ent- (Beifall) (Heiterkeit) scheidender scheint mir etwas ganz anderes zu

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Das alles sind keine Gegensätze. Das zeigt nur: Grußwort Erfahrungsschatz bereithält, eignet sich vielleicht Wir haben hier heute Nachmittag einige Bemer- Wir brauchen eine umfassende, eine mehrdimen- nicht mehr so hinreichend für das, was es zu be- kungen zu Europa gehört. Ich finde, wir haben sionale Idee von Ordnung, in deren Mittelpunkt Werner Böhnke, wältigen gilt, weil wir viele Dinge zum ersten ein großartiges Resultat, im Übrigen ein großar- die Freiheit steht. Es ist die Freiheit, die als sti- Vorsitzender des Vorstands der Mal erleben, weil es viele Dinge so noch nicht tiges Ergebnis auch einer tollen Zusammenarbeit mulierende Idee im Zentrum unseres Verständ- WGZ BANK AG Westdeutsche gegeben hat. zwischen Politik auf der einen Seite und Wirt- nisses von Sozialer Marktwirtschaft stehen muss. Genossenschafts-Zentralbank schaft auf der anderen Seite vorzuweisen: tolle Ein kurzer Blick aber auch auf die Ökonomie, Leistungen der deutschen Unternehmen, tolle Damit bin ich wieder bei unserem heutigen Fest- Lieber Herr Schulhoff! Lieber Herr Kentzler! Lie- meine Damen und Herren, weil wir heute nur Leistungen des deutschen Mittelstandes. Sie wis- redner, den ich nochmals ganz herzlich begrüße. ber Herr Lindner! Meine sehr geehrten Damen am Rande darüber gesprochen haben! Ich glau- sen: Nie zuvor standen in diesem Lande so vie- Denn Sie, lieber Herr Lindner, gehören nicht zu und Herren! Ich nehme sehr gerne die Gelegen- be, er verdient Erwähnung. le Menschen in Arbeit und Brot. Und nie zuvor denen, die uns ein Zerrbild von Freiheit unter- heit wahr, auch in diesem Jahr das Grußwort an seit der Wiedereinigung hatten wir einen derart jubeln wollen. Ganz im Gegenteil: Wer Ihre pro- Sie zu richten, nachdem sich im letzten Jahr mein Wir haben zur Kenntnis genommen – Herr niedrigen Stand an Arbeitslosen. grammatischen Stellungnahmen aus den letzten Kollege Herr Wolberg mit einigen Bemerkungen Schulhoff, Sie haben darauf hingewiesen –, dass Jahren kennt, der weiß, dass Sie immer für einen an Sie hat wenden dürfen. das deutsche Handwerk eine hervorragende Alles in Ordnung so weit – möchte man meinen vielschichtigen, mehrdimensionalen Begriff der Entwicklung im Jahre 2011 genommen hat, im –, wenn nicht, ja wenn nicht diese fürchterliche Freiheit geworben haben. Sie haben auch wieder- Herr Schulhoff, ich folge natürlich der Regie, die Übrigen auch die deutsche Wirtschaft. Jetzt ist es Staatsschuldenkrise gewissermaßen wie ein holt von den vielfältigen Bedrohungen gespro- Sie formuliert haben. Sie haben mich mit meinem amtlich: Das Wirtschaftswachstum addiert sich Damoklesschwert über allem läge. Hier haben chen, denen die Freiheit ausgesetzt ist. Grußwort nun vor den ersten Gang gesetzt, was bei rund 3 Prozent. Ein tolles Ergebnis – übrigens wir in der Tat im Jahre 2011 – ich muss das so eine nicht unbeträchtliche Herausforderung dar- von wenigen so prognostiziert. Aber wir wissen deutlich sagen – so etwas wie einen Paradigmen- Vor diesem Hintergrund muss ich gestehen: Die stellt; denn ich kann mir vorstellen, dass es die ja, wie das mit den Prognosen ist, und jeder von wechsel erlebt. Zum ersten Mal hat ein europäi- Nachricht von Ihrem Rücktritt als Generalsekre- Gäste drängt, nun auch einen Bissen zu sich zu Ihnen hat Beispiele vor Augen, aus denen abzu- sches Land seinen Gläubigern erklärt: Wir zahlen tär der FDP hat mich nachdenklich gestimmt. nehmen. leiten ist, dass selbst kompetenteste Betrachter nicht alles zurück, was wir zur Rückzahlung ver- Denn ich halte Sie für ein außerordentliches po- mit ihren Prognosen nicht immer richtig liegen. sprochen haben. litisches Talent – das habe ich Ihnen schon vor Sie sind es gewohnt, meine Damen, meine Her- einem Jahr oder zwei Jahren, als wir uns kennen- ren, dass ich das Grußwort nicht nur mit gebote- Beispiele der Art sind Ihnen geläufig. Amüsant Ich halte es übrigens für wichtig, meine Damen gelernt haben, gesagt –, und das in einem Land nen Artigkeiten, die ein Gastgeber zu formulie- ist vielleicht das folgende: Gottlieb Daimler hat und Herren, dass wir von Deutschland aus nicht und in einer Zeit, die mit politischen Talenten ren die Pflicht hat, verbinde, sondern es auch, mit einmal auf die Frage, wie er denn weltweit den immer nur auf die anderen zeigen. Auch das ist nicht allzu reichlich gesegnet ist. Zum Glück ge- einigen Bemerkungen verknüpfen darf. Bedarf an Automobilien beurteilt, die Nachfrage eine Nachricht zum Jahresende. Ich glaube Sie, hören Sie dem Deutschen Bundestag noch an. auf maximal 5 Millionen Automobile geschätzt. Herr Gösmann, hatten getitelt: Schuldenstand so Vielleicht kann sich ja Ihr Talent dank der jetzt Wenn Sie heute im Hause der WGZ Bank Gast Interessant war die Begründung: „Ein Mehr“, so hoch wie nie! – Es sind über 2 Billionen Euro in wiedergewonnenen Freiheit noch mehr entfalten sind, dann darf ich Ihnen natürlich im Namen fügte er hinzu, „wird allein schon daran schei- diesem Lande – in runden Zahlen –: 1,3 Billionen als bisher. des Vorstandes der WGZ Bank das Willkommen tern, dass es nicht genug Chauffeure gibt“. Euro für den Bund, 600 Milliarden Euro für die zurufen. Ich darf Ihnen das Willkommen auch Länder und rund 150 Milliarden Euro für die (Beifall) im Namen unseres Aufsichtsratsvorsitzenden, (Heiterkeit) Städte und Gemeinden. Herrn Philipp, zurufen, den ich an dieser Stelle Hier bei uns jedenfalls können Sie frei von der einbinden darf. Sie sehen, diese Bank wird auch Ein weiteres Beispiel: Sie kennen die IBM. Dort Allein im dritten Quartal ist der Schuldenstand Leber weg reden, ohne Scheuklappen und ohne aus dem Handwerk heraus beaufsichtigt. gab es einen Vorstandsvorsitzenden namens um 12 Milliarden Euro gestiegen. Das nimmt kei- Sprechverbote. Ich bin ganz sicher, dass Sie das Watson, der gefragt worden ist, wie er denn den ner mehr zur Notiz. Und im Augenblick findet auch hier gleich wahrnehmen werden. Und ich darf Ihnen, meine Damen, meine Her- Weltmarkt für Computer einschätzt. Die Antwort man Trost darin – mir begegnet das hier und da ren, auch das Willkommen im Namen hier anwe- mag man gar nicht glauben, immerhin galt Wat- –, dass die Verschuldung ja so günstig sei wie nie. Ich freue mich schon auf Ihre Rede, aber ich freue sender Vorstände von Volksbanken und Raiffei- son als ein Mann mit hoher Profession. Er schätz- Inzwischen ist der Bundesfinanzminister so weit, mich zuvor jetzt auf das Grußwort unseres Gast- senbanken zurufen. Sie wissen, dieses Geldhaus te den Weltbedarf für Computer maximal auf dass, wenn er Kredit aufnimmt, er den Schuldner gebers, Herrn Böhnke, und darf uns allen von wird getragen von Volksbanken und Raiffeisen- fünf große Rechner ein. bitten darf, doch bitte noch etwas hinzuzulegen. dieser Stelle schon einen schönen, einen geruh- banken in den Regionen in Nordrhein-Westfalen Wir sind also so weit, dass manche Geld heraus- samen und einen entspannten Abend wünschen. und in Rheinland-Pfalz. Also: Die wirtschaftliche Entwicklung war gut, kriegen, wenn sie sich verschulden. – Herzlichen Dank. und wie sie im Jahre 2012 werden wird – wer Jahreswechsel 2011/2012 – Start in eine neue Run- weiß! Die aktuellen Prognosen kennen Sie; sie sa- Meine Damen und Herren, ich will das nur mit (Beifall) de, Start in ein neues Jahr, Start in das Jahr 2012! gen einen Rückgang des Wirtschaftswachstums einem Pinselstrich beschreiben: Hier kommt üb- voraus, aber immerhin noch ein Wachstum. rigens Deutschland unmittelbar die Alternativlo- Ich weiß nicht, wie es Ihnen bei dem Jahreswech- sigkeit, die viele Anleger belastet, und die tiefe sel gegangen ist, ob Sie auch entdeckt haben: Erfreulich finde ich übrigens den Hinweis, der Verunsicherung, die viele Anleger berührt, zugu- Manch Vertrautes ist abhanden gekommen, Ver- uns gegen Jahresende erreicht hat, darauf, was te. Also, der Bund verdient. lässliches zählt nicht mehr, und das, was unser sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt getan hat.

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Ich glaube, dass wir die Verschuldung auch London von der dortigen Behörde European die ihnen obliegt: die Realwirtschaft in ihrer Ent- Verhältnisse leben. Europa muss höllisch aufpas- in diesem Lande völlig unterschätzen. Europa Banking Authority die Vorstellung, gar 9 Prozent wicklung zu begleiten – trotz aller Widrigkeiten, sen, dass es nicht den weltweiten Anschluss ver- kommt nicht umhin festzustellen – ich nenne Kernkapital sollten es sein, und bitte spätestens denen auch wir uns ausgesetzt sehen, trotz aller liert; denn um uns herum tut sich ganz anderes jetzt kein einzelnes Land, sondern meine Europa am 30. Juni 2012! Lasst mal die Wertbeeinträch- Regulierungsflut, die uns zunehmend die Frei- als das, was wir hier besprechen. insgesamt –: Wir leben über unsere Verhältnisse. tigungen europäischer Staatsanleihen hart ge- heit unternehmerischen Tuns erschwert. gen das Eigenkapital laufen – nichts anderes ist Herr Schulhoff, Sie haben – ich habe das heute Dass Deutschland übrigens die Chance verpasst ja beim letzten Stresstest passiert –, und danach, Die genossenschaftliche Gruppe kann auf eine Morgen gelesen – den Ausblick des Handwerks hat, im Jahre 2012 einen ausgeglichenen Haus- bitte schön, müssen 9 Prozent erreicht sein. Und gute Entwicklung verweisen, und ich glaube, wir für das Jahr 2012 beschrieben. Sie haben gesagt: halt zu verabschieden, finde ich höchst bedauer- wenn es heißt: „Schon wieder müssen wir die haben gezeigt, dass wir in der Lage sind, dem Wir sind vorsichtiger, aber wir sind keineswegs lich; auch das klang heute Nachmittag an. Wann, Banken rekapitalisieren“, hören wir: „Was, schon zu widersprechen, was da heißt: Tradition hält pessimistisch. – Das fügt sich in diesen Zeiten, wenn nicht in diesen Zeiten, wollen wir daran wieder? Wie viel?“ „Ja, 100 Milliarden Euro!“ die Zukunft auf Distanz. – Ich glaube, wir haben in denen – ich habe das am Dienstag vor meinen denken, mindestens einen ausgeglichenen Haus- „Wie viel?!“ Tradition auf eine ganz gelungene Art und Weise Mitarbeitern gesagt – die Einstimmung auf das halt vorzulegen? Und wann wollen wir Über- mit moderner und zeitgemäßer Ausrichtung un- Jahr 2012 hier und da nicht ganz leicht fällt, weil schüsse erzielen? Jedes Wirtschaftsunternehmen Ich muss deutlich sagen: Diese Rekapitalisierung serer Gruppe verknüpft. es der Widrigkeiten nicht wenige sind. wäre in der Lage gewesen, bei einem Haushalt ist dann erforderlich, wenn europäische Finanz- von rund 450 Milliarden Euro 25 Milliarden minister ihr Rückzahlungsversprechen nicht Übrigens begehen wir im Jahre 2012 – das darf Ich darf damit schließen, meine Damen und Her- Euro einzusparen. Das sind rundgerechnet fünf erfüllen. So viel zu den Zusammenhängen. Mir ich in einer genossenschaftlichen Zentralbank er- ren, ein gutes, ein erfülltes, ein zufriedenstellen- Prozentpunkte. Jedes Wirtschaftsunternehmen scheint, dass das Schicksal der europäischen Fi- wähnen – das Jahr der Genossenschaft, das die des ein glückliches erfolgreiches Jahr 2012 zu ist nicht nur einmal in der Pflicht, einen solchen nanzindustrie ganz maßgeblich mit dem der eu- Vereinten Nationen ausgerufen haben. Ich bin wünschen. Kraftakt zu bewerkstelligen. ropäischen Ländern verbunden ist. dankbar dafür, weil es so wie heute Abend die Gelegenheit eröffnet, die genossenschaftliche Lassen Sie sich nicht beirren – Sie kennen den Dann und wann – gestatten Sie mir, dass ich da- Basel III klang an; ich will das nicht vertiefen. Ich Idee und das, was sich mit Genossenschaften ver- Satz vielleicht –: Optimisten weigern sich nicht, rauf mit nur einer kurzen Bemerkung eingehe bin den Vertretern des Handwerks dankbar, dass bindet, ins Bewusstsein zu rücken. Sie wissen, in das Negative zur Kenntnis zu nehmen, aber sie – höre ich den Hinweis, wir hätten die Staats- sie mit zu denen gehören, die der Differenzie- Deutschland werden allein die Volks- und Raiff- weigern sich, sich von dem Negativen beeinflus- verschuldung in Europa nicht, hätten wir die rung das Wort reden, weil es „die“ Banken nicht eisenbanken mit ihrem Kreditgewerbe von über sen zu lassen oder sich dem Negativen zu unter- Banken nicht retten müssen. Ein irreführender gibt, sondern gehörige Unterschiede; das habe 16 Millionen Mitgliedern getragen. 16 Millionen werfen. Hinweis! ich an anderer Stelle mehrfach zum Ausdruck ge- Bürger dieses Landes sind Teilhaber ihrer Bank. bracht, und das will ich heute Abend nur anmer- Und die genossenschaftliche Bewegung weltweit In diesem Sinne wünsche ich Ihnen keine Un- Ich will das mit drei Ziffern verdeutlichen: Die ken. Vielen Dank an das Handwerk, dass auch insgesamt erreicht inzwischen über 800 Milli- terwerfung. Bleiben Sie beherzt, bleiben Sie op- Staatsverschuldung in Europa hat sich von Sie sich dafür einsetzen, dass wir die Differenzie- onen Menschen. Eine großartige Idee, die von timistisch! Ich wünsche Ihnen ein gutes neues 2008 bis 2010 gemessen in Prozent zum BIP um rung nicht nur in der öffentlichen Diskussion er- dem Gedanken der Selbsthilfe, der Selbstverwal- Jahr und für heute Abend: Fühlen Sie sich wohl 18,7 Prozentpunkte erhöht. Das ist nicht wenig leben, sondern dass wir sie auch erleben bei der tung und Selbstverantwortung getragen ist! Und in den Räumen der WGZ Bank und einen guten in drei Jahren. Von diesen 18,7 Prozentpunkten Umsetzung und Konfigurierung dessen, was wir auch mit dem Begriff „Subsidiarität“ wissen wir Appetit, bei dem was die Küche vorbereitet hat. sind 2,6 Prozentpunkte für Bankenrettungsmaß- unter Basel III laufen lassen! in unserer Gruppe umzugehen. nahmen im weitesten Sinne aufgewandt worden Vielen Dank, dass Sie uns heute Abend ihre Auf- und 2,4 Prozentpunkte für Konjunkturprogram- Auf die gute Entwicklung lassen Sie mich, mei- Letzte Bemerkung, meine sehr geehrten Damen merksamkeit schenken. me der verschiedenen Art. Sie wissen, wir haben ne Damen und Herren, nur mit einer Bemerkung und Herren: Wir wünschen uns, dass am Ende in Deutschland – etwas volkstümlich formuliert eingehen: Sie sind hier in einem genossenschaft- eines der vielen – ich möchte fast sagen: unzähli- (Beifall) – von der „Abwrackprämie“ gesprochen. Der lichen Geldhaus. Die Krise, die wir haben, lässt ja gen – europäischen Gipfel endlich steht: Rest – nach Adam Riese sind das 13 Prozent- immer wieder auch den Begriff „Kreditklemme“ Professor Wolfgang Schulhoff: Eine Pflicht punkte – stellt nichts anderes dar als ein struk- ans Tageslicht kommen. Ich will deutlich sagen: Erstens. Wir haben verstanden. und ein weiteres Vergnügen erwartet uns nun. turelles Defizit. So viel zur Verhältnismäßigkeit Diese Kreditklemme gab es nicht, und ich bitte Wir werden jetzt die Rede von Herrn Lindner und so viel zu der nicht auszurottenden Aussage, inständig darum, sie nicht durch unbedachte Äu- Zweitens. Wir haben den Mut und die Courage hören. Ich darf sagen, dass die Rede, die er als die Staatsverschuldung habe ganz maßgeblich ßerungen mutwillig herbeizureden. nicht nur zu kraftvollen Entscheidungen, son- Generalsekretär hier hätten halten sollen, wahr- mit der Bankenrettung zu tun! dern auch zu gekonnter und beherzter Umset- scheinlich nicht so gut gewesen wäre wie die Die genossenschaftliche Gruppe insgesamt hat zung. Rede, die er jetzt als Abgeordneter hält, weil sie Jetzt werden die Banken „gestresst“. Auch wir – soweit wir das im Augenblick übersehen – ihr – ich knüpfe an das an, was ich eben gesagt habe sind in diesem Jahr „gestresst“ worden. Dabei Kreditvolumen an die mittelständische Wirt- Manchmal denke ich, dass es in der Demokra- – in völliger Freiheit gehalten werden kann. Sie kam aus der europäischen Ebene wieder etwas, schaft bei einem Wirtschaftswachstum von 3 tie, in der wir leben, in der Demokratie, die wir haben das Wort. was ich nur mit Willkür bezeichnen kann. Wir Prozent um 4,5 Prozentpunkte im Jahre 2011 aus- schätzen, in der Demokratie, bei der wir beobach- diskutieren hier in Deutschland das Thema „Ba- geweitet. Mit anderen Worten: Ein weiteres Mal ten, dass unentwegt mehr versprochen wird, als (Beifall) sel III“ – erhöhte Eigenkapitalanforderungen für haben die Volks- und Raiffeisenbanken gemein- man eigentlich halten kann, an Mut fehlt, darauf Banken. Und mir nichts, dir nichts kommt aus sam mit ihren Zentralbanken jene Pflicht erfüllt, hinzuweisen, dass wir zum Teil auch über unsere

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Festansprache Herrn Diekmann ist. Aber sind das wirklich die den werden, demokratisch legitimiert werden, in Denken Sie beispielsweise an die zurückliegen- Themen, die gegenwärtig auf der politischen welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwi- den großen Liberalisierungen: Die Öffnung des Christian Lindner MdB, Tagesordnung stehen sollten? Entsteht bei den ckelt und welche Richtung das Wachstum haben Flächentarifvertrags – auch im Zusammenhang Freie Demokratische Partei Menschen nicht der Eindruck: „Politiker und soll. mit der Agenda 2010 der früheren rot-grünen Journalisten unterhalten sich am liebsten über Bundesregierung – hat dazu geführt, dass wir Verehrte Damen, meine Herren! Lieber Herr Politiker und Journalisten“? Das ist für sich genommen beachtlich: demo- heute einen beeindruckenden Erfolg am Arbeits- Böhnke! Lieber Wolfgang Schulhoff! Sie haben es kratische Marktwirtschaft, also demokratisch markt haben. Wie ist das mit der Liberalisierung zu Recht gesagt: Ich spreche heute Abend zu Ih- Deshalb muss das Motto für 2012 sein: Zurück legitimierte Entwicklung der Gesellschaft, sprich des Telekommunikationsmarktes? Wer wünscht nen nicht aus einem Amt heraus, aber aus Über- zur Sache, meine Damen und Herren! Zur Sache! also: Politiker entscheiden über die Richtung, die sich die Deutsche Post zurück, wo Herr Schwarz- zeugung. Deutschland nimmt. Schilling darüber entscheidet, was die einzelne (Beifall) Einheit kostet? Da haben wir jetzt ein viel höhe- Ich habe ja die Verantwortung dafür zu über- Wer entscheidet eigentlich in der Sozialen Markt- res Serviceniveau. Arbeitsplätze sind entstanden, nehmen, dass Ihre Einladung, lieber Wolfgang Hier hat mir der Gastgeber ein Thema vorge- wirtschaft darüber, welche Richtung die Gesell- Wohlstand ist geschaffen worden. Schulhoff, nicht mehr ganz aktuell ist. Kurz nach legt, eine Frage gestellt, die ich kurz und sachlich schaft nimmt? Wer entscheidet – und hat in den Drucklegung hat sich ein wesentlicher Umstand beantworten soll. Die Frage lautet: Hat die frei- letzten 60 Jahren in Deutschland entschieden –, Trotzdem gibt es eine Zurückhaltung, was offene verändert. Und deshalb will ich zu Beginn – das heitliche Wirtschaftsverfassung Zukunft? Meine wie sich unser Land entwickeln soll? Das waren Märkte angeht und was die Prinzipen der Sozi- erwarten Sie – dazu nur einen Satz sagen. Antwort ist: „Ja, aber!“ Ja, sie hat Zukunft, weil Sie, weil Sie sich als Kunden für dieses Produkt alen Marktwirtschaft betrifft, bis hin dazu, dass die freiheitliche Wirtschaftsordnung nicht allein und gegen ein anderes entschieden haben, weil das Wachstum selbst infrage gestellt wird, und Ich war insgesamt sieben Jahre Generalsekretär eine Sache von Effizienz ist, sondern auch von Sie sich als Unternehmer für diesen Markt und zwar durch eine ganz bemerkenswerte Koaliti- – fünf Jahre hier in Nordrhein-Westfalen und Werten und Würde. Aber ihre Voraussetzungen, gegen einen anderen entschieden haben, weil on, die von Konservativen wie Meinhard Miegel zwei Jahre im Bund. Mir hat das Amt auch im- ihre Regeln und ihre Kultur müssen fortwährend ein Wissenschaftler eine Erkenntnis dort gesucht bis hin zu Herrn Giegold von Attac/Grüne reicht, mer Freude gemacht, und ich bin zutiefst davon verteidigt und erneuert werden. „Ja, aber!“ also. und eine andere dem Kollegen überlassen hat. den Sie heute ja schon zu Gast hatten. Es wird als überzeugt, dass meine Partei auch ihre Vertrau- etwas Gestriges gesehen, mit Argumenten, die enskrise, in der sie gegenwärtig steckt, überwin- Dieses „Ja, aber!“ will ich mit drei Punkten be- Es hat also jeden Tag millionenfach durch ein- man schon in den 70er Jahren gehört hat, etwa den wird. gründen: mit der Kraft der Sozialen Marktwirt- zelne Entscheidungen ein Prozess stattgefunden, vom Club of Rome, der die Grenzen des Wachs- schaft, mit der Ordnung der Sozialen Markt- die zukünftige Richtung der Gesellschaft aus- tums beschrieben hat. Aber der menschliche Aber ich habe für mich eine Entscheidung getrof- wirtschaft und mit der Kultur der Sozialen zuprägen. Da kann der Einzelne sich irren und Geist hat durch Spitzentechnologie und Spitzen- fen – nicht spontan, sondern überlegt, begründet. Marktwirtschaft. scheitern, so wie die Unternehmer, Herr Böhn- dienstleistungen diese angeblichen Grenzen des Die Gründe für meine Entscheidung, im beson- ke, die Sie zitiert haben. Aber der Einzelne kann Wachstums immer wieder überwunden. deren Verhältnis zwischen einem Vorsitzenden Ich habe vor einiger Zeit zusammen mit Norbert auch Pionier einer neuen technologischen Revo- und einem Generalsekretär, habe ich ihm und Röttgen einen kleinen Gastbeitrag zu aus unserer lution sein, die noch niemand vor ihm gesehen Wachstum ist auch kein Selbstzweck, es ist eine nur ihm persönlich gesagt. Und ich bitte um Ver- Sicht erforderlichen Aufgaben formuliert, die die hat. Folge einer offenen Wirtschaftsordnung, in der ständnis, dass ich das auch so beibehalten will, Koalition gerade mit Blick auf die Erneuerung Menschen ihre Chance suchen und in der Entfal- denn ich glaube, dass es in der Politik schon ge- unserer Wirtschaftsordnung übernehmen sollte. Und deshalb, meine Damen und Herren: Die tungsmöglichkeiten des Einzelnen liegen. nug Indiskretionen und Spekulationen gibt. Der Aufsatz für sich genommen ist nicht sonder- Kraft der Sozialen Marktwirtschaft macht aus, lich beachtlich. dass wir die Weisheit der vielen gegen die Einfäl- Wer kann gegen Wachstum sein? Doch nur die- (Beifall) tigkeit der wenigen am grünen Tisch – im wahrs- jenigen können sich in den Status quo verlieben, Spannend aber an unserem Aufsatz war die ten Sinne des Wortes – verteidigen. die mit ihrer bisherigen Lebenssituation eigent- Wir alle werden fortwährend damit konfrontiert. Reaktion darauf. Es wurde nämlich ein Gegen- lich ganz zufrieden sind, die von einer Verände- Man muss aufpassen, dass die Bürgerinnen und papier von den geschätzten Kolleginnen Frau (Beifall) rung vielleicht Verschlechterung befürchten. Bürger nicht den Eindruck haben, es gehe in der Nahles und Frau Lemke vorgelegt, Generalse- Politik nur noch um die Probleme der Politiker kretärin der SPD bzw. Bundesgeschäftsführerin Eine Million Bürgerinnen und Bürger können Wie aber ist die Verbesserung der persönlichen und der Parteien. Etwas von dem Umstand hat ja von Bündnis 90/Die Grünen. klüger sein als eine öffentliche Hand. Wir ha- Lebenssituation in einer Gesellschaft möglich, auch die Diskussion, die wir seit einigen Tagen, ben in Deutschland gute Erfahrungen damit ge- die erstarrt ist, die erkaltet ist, die nicht mehr dy- ja fast schon Wochen über den Herrn Bundes- Und die schrieben in einer anderen Zeitung ei- macht. Um den Wohlstand und um das soziale namisch ist und kein Wachstum mehr hat? Die präsidenten führen. Ich fühle mich inzwischen nen Text, warum das, was wir da vorgeschlagen Niveau in Deutschland werden wir weltweit be- Verbesserung der individuellen Lebenssituation schon fast als Experte für Immobilienfinanzie- haben, alles unzureichend und falsch sei. Und neidet. Aber die Menschen sind vergesslich. Die in einer solchen nicht mehr dynamisch wachsen- rung in Niedersachsen. dann kommt eine entscheidende Stelle – ich zitie- großen Erfolge einer Freiheitsordnung werden den Gesellschaft ist nur in einem harten Verdrän- re das aus dem Kopf, das muss man als Politiker nicht gesehen. Aber die kleinen Anpassungsnot- gungs- und Verteilungswettkampf möglich. In (Vereinzelt Heiterkeit) jetzt immer sagen, also nicht wörtlich –: wendigkeiten, auch die größeren im Alltag, die der wachsenden, der dynamischen Gesellschaft Beschwernisse, der Druck des Wettbewerbs – all kann der Einzelne, der mit seiner Lebenssitua- Es war auch instruktiv zu wissen, wie das per- Wir brauchen eine demokratische Marktwirt- das wird gesehen und beklagt. tion noch nicht zufrieden sein kann, seine per- sönliche Verhältnis von Herrn Wulff und von schaft, denn in Zukunft muss politisch entschie- sönliche Situation durch Fleiß und Talent ver-

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bessern, indem er sich einen größeren Anteil immer Sigmar Gabriel im Fernsehen, der breit- geht eine Position ein, und dann kann man sich passiert. Dann wird der Staat nämlich seiner Auf- am wachsenden Wohlstand erarbeitet. Die Ge- beinig über Spekulanten, die Gier und dieses durch Kreditausfallversicherungen und anderes gabe gerecht, die großen systemischen Risiken in sellschaft ist also durchlässiger, wenn sie dyna- und jenes andere spricht und fordert, das müsste sofort dagegen versichern. Das alles steht dann den Blick zu nehmen und nicht den einzelnen misch ist. Deshalb ist eine wachstumsorientierte man alles verbieten. Mein Eindruck ist, dass das, gar nicht mehr in der eigenen Bilanz, sondern ist kleinen Tagesentscheidungen eines einzelnen Wirtschaftspolitik nichts Gestriges, sondern im was Sigmar Gabriel vorschlägt, den Charakter irgendwo im Markt verstreut. Und da entstehen Instituts hinterherzulaufen. Mit viel weniger Be- Gegenteil ein Gebot sozialer Gerechtigkeit in einer – wie soll ich sagen – rektalen Zahnbehand- systemische Risiken, da entstehen Schneeball- amten könnten wir viel mehr Wirkung erzielen, Deutschland, meine Damen und Herren. Und lung hat. systeme. Da gibt es nicht mehr die zurechenbare meine Damen und Herren. für dieses Aufstiegsversprechen steht die Soziale Verantwortung und damit die natürliche Bremse Marktwirtschaft. (Lachen) für ein nicht tragfähiges Risiko. Und das hat uns Also, Börsenzwang für alle Finanzmarktproduk- in diese Krise geführt. te, für die Schattenbanken, für Over-the-Coun- (Beifall) Man kommt nicht zum Ziel, richtet aber viel ter-Geschäfte! Schaden an. Deshalb lautet die Frage nicht „Kapitalismus und Damit sich die Kraft der Sozialen Marktwirt- seine Alternative“, sondern die eigentliche Frage Ich will im Zusammenhang mit der Erneuerung schaft entfalten kann, braucht sie eine Ordnung. (Heiterkeit) ist: „Wie kommen wir von diesem Vollkaskoka- der Sozialen Marktwirtschaft, der Wiederdurch- Der Rechtsstaat geht der Wirtschaftsordnung vo- pitalismus, wo keiner mehr für Handeln verant- setzung der Prinzipien der Sozialen Marktwirt- raus. Mächte sind künstlich: Sie werden durch Er geißelt Spekulation. Doch was genau ist ei- wortlich ist, wieder zu einem Verantwortungska- schaft einen zweiten Bereich ansprechen. Es ist die Regeln, die Normen, denen sich die Einzel- gentlich Spekulation? Wir haben eine Vorstel- pitalismus, wo mit Eigenkapital gearbeitet wird ein Bereich, in dem gegenwärtig – es ist technisch nen unterwerfen müssen, gemacht. Ich habe den lung von Hedge Fonds, die mit fremdem Geld und danach auch für Gewinne, aber eben auch nicht ganz richtig, von Subventionen zu sprechen Eindruck – ich weiß nicht, wie Ihnen das geht –, kurzfristige Kursgewinne ausnutzen wollen. für die Verluste geradegestanden werden muss?“ – das meiste Geld der Bürgerinnen und Bürger dass es bei den Gesprächen, die ich führe, eine Aber ist das allein schon Spekulation? Gibt es Das ist die natürliche Risikobremse. Wir müssen umgewälzt wird. Das ist das Feld der Energie- Unsicherheit gibt mit Blick auf die Rolle des Staa- nicht auch ein mittelständisches Unternehmen die Soziale Marktwirtschaft nicht abwickeln, politik. tes. aus dem Sauerland, Stahl produzierend, das sich sondern an den Finanzmärkten überhaupt erst bei seiner Bank gegen die Schwankungen des wieder durchsetzen, meine Damen und Herren. Wir haben uns entschieden – ich halte die Ent- Ich treffe Mittelständler, die sich nach wie vor Stahlpreises absichern muss? Ich will damit sa- scheidung unverändert für richtig –, dass wir von Bürokratie gegängelt – Berufsgenossen- gen, die Finanzmärkte per se zu kritisieren, ist (Beifall) von der Verbrauchs- zur Effizienzökonomie schaften, Statistikverpflichtungen –, aber ande- zu kurz gesprungen. Entscheidend ist, dass wir wechseln wollen, dass wir Wettbewerb nutzen, rerseits den entfesselten Finanzmärkten auch innovative Finanzmärkte haben, die für eine glo- Transparenz ist ein zweites Gebot, die zweite effizienter zu produzieren, zu besseren Verfah- schutzlos ausgeliefert fühlen. Ich kann nur sagen: bale Weltwirtschaftsordnung benötigt werden. Regel. Wir haben heute Finanzmärkte, die durch ren zu kommen, Klimawandel zu begrenzen und Da setzt der Staat die falschen Prioritäten. Er soll Aber diese Finanzmärkte müssen so reguliert Schattenbanken, durch Over-the-Counter-Ge- dass wir durch neue Technologien neue Markt- nicht im Alltag gängeln und ins Hundertste und werden, dass sie ihre dienende Funktion für die schäfte, durch Geschäfte innerhalb einer Bank chancen eröffnen. Tausendste hineinregieren. Aber er muss uns, Realwirtschaft erfüllen und nicht die Realwirt- geprägt sind. Da wird überhaupt gar kein Markt muss wirtschaftlich Tätige und muss alle Fami- schaft dominieren. Die Finanzmärkte sind also mehr in Anspruch genommen, keine öffentliche Deutschland ist auf dem Weg, auf dem Gebiet lien vor den großen Lebensrisiken schützen, die Diener des wirtschaftlichen Handelns. Sie sollten Handelsplattform genutzt. durch neue Technologien Pionier zu werden. der Einzelne alleine nicht bewältigen kann. Wir das wirtschaftliche Handeln nicht dominieren Ich glaube aber, dass neue Technologien vor al- brauchen also eine neue Diskussion über die oder gar das wirtschaftliche Handeln von privat Die Reaktion in der Politik ist zu sagen: Wir ver- len Dingen im Wettbewerb entstehen. Durch Rolle des Staates, der sich darauf konzentrieren verantwortlichen Persönlichkeiten gefährden. bieten dieses Geschäft und jenes Geschäft. War- Kosten- und Innovationsdruck entstehen die muss, Schiedsrichter für das Wirtschaftsgesche- um machen wir nicht, bevor einzelne Produkte Technologien, die tatsächlich wirksam sind. Auf hen zu sein, aber nicht im Getümmel auch noch (Beifall) verboten werden, zunächst einen ganz anderen dem Feld der Energiepolitik haben wir leider der beste Mitspieler sein möchte, meine Damen Schritt? Warum ist nicht der erste Schritt, über- einen anderen Status quo. Wir haben mit dem und Herren. Dafür brauchen wir jetzt nicht zahlreiche Ver- haupt wieder eine transparente, öffentlich be- Erneuerbare-Energien-Gesetz ein System, in dem bote, sondern im Grunde nur zwei Regeln. Die aufsichtigte Handelsplattform in Deutschland jedes Jahr Milliardensummen der Stromkunden Das ist die ordnungspolitische Wende, die wir erste Regel heißt: Handeln und Haften gehören herzustellen? Bevor einzelne Produkte verboten umgewälzt werden, ohne dass die tatsächlichen brauchen, die auch die Glaubwürdigkeit des zusammen. Das ist die erste Regel. werden, bevor der Staat punktualistisch ins Wirt- Effekte schon überzeugend wären. Staates wie auch das Vertrauen in unsere Wirt- schaftsgeschehen eingreift, sollte er überhaupt schaftsordnung wiederherzustellen in der Lage (Beifall) erst wieder einen Markt bilden. Um es klar auf einen Bereich zu kaprizieren: Ich sein kann. glaube, dass die Förderung der Solarenergie in Ich brauche sie beim Handwerk nicht eigens zu Ich spreche mich deshalb für einen Börsenzwang Deutschland eine ökonomische Sackgasse ist, Die größte Gestaltungsaufgabe in diesem Zu- betonen. Das Handwerk ist geprägt von Perso- aus, sowohl für Hedge Fonds als auch für alle und ich glaube – wenn er hier wäre, würde ich sammenhang ist die Ordnung der Finanzmärkte. nengesellschaften und persönlich haftenden Ge- Over-the-Counter-Geschäfte, damit öffentlich es ihm auch sagen –, hier, lieber Norbert Röttgen, Ludwig Erhard hat sich mit Sicherheit nicht vor- sellschaftern. Aber an den Finanzmärkten erleben sichtbar Preise gebildet werden und auch sicht- hast du dich von einer Branche über den Tisch stellen können, wie und in welcher Weise heut- wir das eben nicht. Dort sehen wir, dass große Ri- bar ist, welche Positionen gehandelt werden, ziehen lassen. Hier muss dringend korrigiert zutage an Finanzmärkten agiert wird. Unterdes- siken sofort wieder in den Markt zurückgegeben damit Märkte liquide sind und die Aufsichtsbe- werden, damit durch erneuerbare Energien tat- sen sind die Vorschläge ja auch Legion. Ich sehe werden. Eine Bank oder ein Finanzmarktakteur hörden auch tatsächlich jeden Tag sehen, was sächlich eine Energiewende gefördert wird und

50 Dialog Handwerk 1/2012 Dialog Handwerk 1/2012 51 Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks

nicht überzogene Renditeerwartungen privater meine Damen und Herren. Dafür sind Verände- Meine dritte Bemerkung mache ich zur Kultur Mit diesen drei Punkten, meine Damen und Her- Investoren erfüllt werden, meine Damen und rungen der europäischen Verträge erforderlich. der Sozialen Marktwirtschaft. Sie entfaltet ihre ren, habe ich mein „Ja, aber“ zur Sozialen Markt- Herren. Kraft bei klaren Regeln in einem fairen Ord- wirtschaft skizzieren wollen. Es ist ein Ja – das Einen letzten Bereich will ich zum Thema Ord- nungsrahmen. Aber das allein reicht nicht aus. haben Sie gemerkt – zu einer freiheitlichen Wirt- (Beifall) nung der Sozialen Marktwirtschaft benennen, Wer glaubt, man muss nur nach den Regeln spie- schaftsverfassung. Sie muss aber fortwährend der in der Diskussion steht, und das ist die Fra- len und dann sei alles getan, der verkennt, dass erneuert und gepflegt werden. Sie gehört zu den Ich will einen dritten Bereich ansprechen, näm- ge der Arbeitsmarktpolitik, insbesondere der die Soziale Marktwirtschaft ja auch eine Wert- Konstanten unserer Republik – so wie der Sozi- lich die Entwicklung in Europa. Sie haben heute Lohnpolitik. Das ist ein hochgradig emotional ordnung ist, die vom eigenverantwortlichen In- alstaat, wie der Rechtsstaat, wie der Bundesstaat. Nachmittag mit Ihren Gästen, Herr Schulhoff, besetztes Thema, denn wer kann schon gegen dividuum ausgeht, das Vorrang innerhalb eines Im Unterschied zu den drei Säulen Deutschlands über die Währungskrise diskutiert. Weil dies so das Argument etwas haben, dass Hungerlöh- staatlichen Rahmens hat, das aber eben auch in- ist unsere Wirtschaftsordnung im Grundgesetz viel Raum eingenommen hat, will ich jetzt nicht ne verhindert werden müssen. Dafür gibt es in dividuell Verantwortung tragen muss. allerdings nicht verankert, und das ist der letzte alle Details bearbeiten, aber doch die strategische Deutschland aber bereits Instrumente. Sitten- Gedanke, zu dem ich mich äußern will. Richtung beschreiben, wie sie meiner Meinung widrige Beschäftigung ist verboten. Es gibt ein Deshalb müssen wir über die Kultur unserer nach eingeschlagen werden müsste. Hier gibt es Entsendegesetz. Wir haben ein Mindestarbeits- Wirtschaftsordnung neu sprechen. Bei den „Bud- Die Soziale Marktwirtschaft hat sich in Deutsch- eine Weichenentscheidung. Uns wird regelmäßig bedingungengesetz. Aber jetzt gibt es noch Dis- denbrooks“ gibt es eine Empfehlung des Älteren land als Freiheitsordnung bewährt. Aber wir gesagt: Eine Währungsunion ohne eine politische kussionen darüber hinaus für einen allgemeinen an den Jüngeren, nur die Geschäfte einzugehen, müssen die Politik stärker in die Verantwortung Union könnte überhaupt nicht funktionieren. – flächendeckenden, politischen Mindestlohn. Ich bei denen man nachts auch noch ruhig schlafen nehmen, ihre Rahmenbedingungen regelmäßig Die Schlussfolgerung daraus ist: Sie brauchen glaube, dass wir, würden wir eine solche gesetz- kann. zu pflegen und sie zu verändern. Es sollte ein jetzt sofort eine europäische Wirtschaftsregie- liche Regelung vorsehen, damit einen falschen Verfassungsauftrag sein, die Soziale Marktwirt- rung in Brüssel, so eine Art Panthersprung, dass Weg beschreiten würden. Hermann Josef Abs, der legendäre Vorstandsvor- schaft zu verteidigen, weil sie sonst ihre Akzep- aus Brüssel nicht nur über volkswirtschaftliche sitzende der Deutschen Bank, hat einmal gesagt: tanz verliert. Deshalb müssen wir eine politische große Fragestellungen entschieden wird, son- In Frankreich sagt der französische Staatsprä- Wer mehr als 1 Million Mark verdienen will, der Diskussion darüber beginnen, ob die Soziale dern dass dort eine Wirtschaftslenkung vielleicht sident, er wolle sich in der Arbeitsmarktpolitik kann das nicht in meiner Bank tun, der muss sel- Marktwirtschaft nicht neben Rechtsstaat, Bun- auch im Sinne der französischen Industriepolitik stärker an Deutschland orientieren. Und wir ber Unternehmer werden und dann haften. desstaat und Sozialstaat als Grundprinzip des vorgenommen wird. Das ist eine Position, die wollen uns jetzt stärker an Frankreich orientie- deutschen Erfolgs in den vergangenen sechs in Deutschland eine breite Anhängerschaft hat, ren? Mindestarbeitsbedingungen, ja, aber es ist Wir erleben eine Orientierung an Quartalszah- Jahrzehnten im Grundgesetz verankert wird, quer durch alle Parteien – vielleicht sogar teilwei- nun einmal eine Realität, dass es in Deutschland len, die zu einer Überbeschleunigung wirtschaft- weil das ein Auftrag an die Politik ist, über ihre se in meiner eigenen Partei. ein unterschiedliches Wohlstandsniveau gibt. lichen Handelns führt und bei der die nachhalti- Weiterentwicklung und die Erhaltung ihrer Zu- Eine 60 m²-Wohnung in Finsterwalde kostet 300 ge Steigerung des Unternehmenswerts, wie es im kunftsfähigkeit fortwährend nachzudenken. Aber stimmt eigentlich die These, dass eine Euro Miete im Monat. Die gleiche Wohnung in Handwerk auch in der Übergabe über Generati- Währungsunion zwingend eine politische Union Hamburg kostet 650 Euro Miete im Monat. Da ist onen gelebt wird, nicht mehr das Maß der Dinge Sie haben gemerkt, ich bin überzeugt von einer voraussetzt? Der führende amerikanische Wäh- doch klar, dass dann auch das Lohnniveau regio- ist. Politik der Freiheit. Die Politik der Freiheit hat rungstheoretiker Kenneth Rogoff hat es anders nal unterschiedlich sein muss. in Deutschland eine parteipolitische Heimat, die gesehen. Der hat gesagt: Die Idee des Europäi- Zur Sozialen Wirtschaft gehört also eine Kultur ich Ihrem Wohlwollen nur sehr empfehlen kann. schen Stabilitätspakt war genial. Statt Verkehrs- Die Staaten in Europa, die allgemeine Mindest- von Verantwortlichkeit, eine Kultur von Maß – Ich danke Ihnen. schilder aufzustellen, also eine Wirtschaftsregie- löhne beschlossen haben, sind in der Regel die und Mitte. Die kann man nicht gesetzgeberisch rung zu machen, die kleine Richtungsweisungen Staaten, die über die höchste Jugendarbeitslosig- verordnen. Wer die Gier gesetzlich verbieten (Beifall) gibt, sind da Leitplanken eingezogen worden. keit klagen. Und deshalb sage ich gerade dem will, der wird irgendwann auch die Neugier tref- Handwerk – weil es so ausbildungsstark ist, wie fen. Und wer jeden Fehltritt mit Gesetzen aus- Professor Wolfgang Schulhoff: Lieber Herr Das Problem im Europa des Maastricht-Vertrags es das in den vergangenen Jahren gezeigt hat schließen will, der wird auch jeden Fortschritt Lindner, ganz herzlichen Dank für Ihre Ausfüh- aber war, dass es zwar die Leitplanken gab, aber –, das für die Ausbildung von Fachkräftenach- hemmen. rungen. Die Politik der Freiheit hat ein Zuhause Gerhard Schröder und Silvio Berlusconi fort- wuchs unverzichtbar ist: Bei Ihnen muss die Ver- beim Handwerk; denn Sie haben uns in vielen während über diese Leitplanken hinüberhüpfen antwortung für die Lohnfindung verbleiben, also Gerade das Handwerk ist gefordert, lieber Wolf- Dingen aus der Seele gesprochen. Gerade die konnten, ohne dass es eine Sanktion gegeben bei den Tarifpartnern. Das darf nicht Gegenstand gang Schulhoff. Wir dürfen nicht aufhören, diese Haftungsfrage war eine Zeitlang unser besonde- hätte. Also wäre die richtige Reaktion auf diese eines politischen Überbietungswettbewerbs wer- Haltung von Maß und Mitte in der Wirtschaft res Anliegen. So haben wir aus dem Bereich der Krise, nicht über neue und ganz andere Konzep- den. Wenn Politiker in Wahlkämpfen in der Lage einzufordern. Es ist keine Frage von Gesetzen, Handwerkskammer Düsseldorf und über den te nachzudenken à la Wirtschaftsregierung, son- sind, auf Ihre Rechnung Versprechen zu machen, sondern von Anstand und Ehrgefühl, sich als Nordrhein-Westfälischen Handwerkstag den dern die ursprüngliche Idee des Stabilitätspaktes dann gilt das Prinzip Handeln und Haften in der ehrlicher Kaufmann zu verhalten, meine Damen Gedanken der Haftung weiter verfolgt und es zu erneuern: dezentrale Entscheidungen vor Ort, Politik auch nicht. Und dazu darf es nicht kom- und Herren. mit der damaligen Landesregierung – da waren aber bei klaren Rahmenbedingungen, bei Leit- men, meine Damen und Herren. Sie noch mit dabei, zumindest als einer derjeni- planken, die politisch nicht hintergangen werden (Beifall) gen, der sie gestützt hat – über den Bundesrat ge- können. In einem Satz gesagt: Wir müssen die (Beifall) schafft, dass das Aktienrecht geändert wurde. Da Währung zukünftig vor den Politikern schützen, sind wir immer bei Ihnen.

52 Dialog Handwerk 1/2012 Dialog Handwerk 1/2012 53 Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks

Die Soziale Marktwirtschaft, wie Sie sie eben ge- hätten tun können. – Noch einmal herzlichen Bisherige Veröffentlichungen „Dialog Handwerk“ predigt haben, war die Soziale Marktwirtschaft, Dank dafür! die Ordnungspolitik, die uns getrieben hat. Mül- ler-Armack hat immer davon gesprochen, dass (Beifall) 2.2011 Heinz-Dieter Smeets, Staatsschuldenkrise in Europa: Ist die Finanzierung der Schuldner- Soziale Marktwirtschaft wie ein Halbautomat länder alternativlos? Oktober 2011 ist, der funktioniert. Aber der Ordnungsrahmen Ich darf mich auch gleichzeitig bei Herrn Böhnke muss immer wieder neu durchdacht werden; bedanken. Ich sagte ja: So sachkundig wie er ist, 1.2011 Mehr als Wirtschaft - Handwerk als Lebensform und Wertekosmos?! Die Erneuerung der denn Wirtschaft ist kein staatliches Gebilde, Wirt- stelle ich mir einen Banker vor, der nicht nur die Sozialen Marktwirtschaft. Dokumentation des Dreikönigsforums am 13. Januar 2011 schaft ist ein dynamischer Prozess. Das heißt, Bankgeschäfte beherrscht, sondern auch die Fä- Eingriffe müssen ordnungspolitisch sauber sein, higkeit hat, die Problematik des Bankgeschehens 3.2010 Verleihung des Europäischen Handwerkspreises 2010 an den Vorsitzenden des Rates der wenn wir in den Marktprozess eingreifen. Da eloquent überzubringen. Wir freuen uns deshalb Evangelischen Kirche, Präses Nikolaus Schneider sind wir völlig bei Ihnen. immer wieder über sein Grußwort an dieser Stel- le. 2.2010 Hanns-Eberhard Schleyer, Quintessenz: Zwei Jahrzehnte Interessenvertretung für das Bei der Mindestlohnfrage haben wir im Hand- deutsche Handwerk im Geflecht von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werk eine differenzierte Meinung gehabt. Wir Und jetzt möchte ich Sie von weiteren Worten haben gesagt: Mindestlöhne – ja. Mindestlöhne verschonen, insbesondere aus meinem Mund. 1.2010 Handwerk und Mittelstand als Chance. in einigen Bereichen – ja. Die brauchen wir auch Wir können uns nun gemeinsam unterhalten Dokumentation des Dreikönigsforums am 14. Januar 2010 zum Schutz der Firmen hier. Mindestlöhne – ja, und kommen somit zu dem, was wir eigentlich aber regional und branchenspezifisch. Das war vorhaben: zu einem entspannten Abend. 1.2009 Prinzip Verantwortung - Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Dokumentation des unsere Idee, die dann auch von Frau Merkel Dreikönigsforums am 8. Januar 2009 übernommen wurde. Da sehe ich eine kleine Dif- Ich wünsche Ihnen weiterhin guten Appetit und ferenz zwischen uns. Aber insgesamt ist es der weitere gute Gespräche. Halten Sie uns in gutem 1.2008 Wandel im Parteiensystem - Was bedeutet dies für die wirtschaftliche Situation von Hand- Gedanke der Freiheit, der uns ja alle treibt. Ohne Angedenken. – Herzlichen Dank! werk und Mittelstand? Dokumentation des Dreikönigsforums am 10. Januar 2008 ihn können wir es nicht machen. (Beifall) 1.2007 Was ist die Mitte unserer Republik? Was die Finanzmärkte anbetrifft: Sie brauchen ei- Dokumentation des Dreikönigsforums am 11. Januar 2007 nen Ordnungsrahmen, in dem sie operieren kön- nen. Wir müssen genau sagen, was die Banken 2.2006 Nur die Freiheit taugt für morgen! Verleihung des Europäischen Handwerkspreises an dürfen und was sie zu unterlassen haben; denn Dr. MdB am 23. November 2006 in Köln sonst die Gefahr ist viel zu groß. Betrachten wir allein die heutigen Zahlen: Die Wertschöpfung 1.2006 Europa - Qua vadis? Wie kann dem Subsidiaritätsprinzip auf europäischer Ebene der gesamten Welt beträgt ungefähr 60 Billionen. Geltung verschafft werden? Dokumentation des Dreikönigsforums am 11. Januar 2006 Aber der Bereich der Finanzindustrie, Herr Böh- nke, umfasst 600 Millionen. Und darin liegt die 2.2005 Aufbruch im größten Bundesland - Nordrhein-Westfalen nach der Entscheidung des Wäh- große Gefahr: dass Geschäfte gemacht werden, lers Round-Table-Gespräch mit Dr. Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident des Landes Nord- die sich weit von der Realwirtschaft entfernen. rhein-Westfalen. Dokumentation der Veranstaltung „Politik im Dialog“ am 7. Juli 2005 Und wenn es uns nicht gelingt, hier international zu agieren, dann wird sofort wieder die nächste 1.2005 Nordrhein-Westfalen - Wie lässt sich ein Aufbruch für das größte deutsche Bundesland Krise kommen, der wir nicht mehr so begegnen erreichen? Dokumentation des Dreikönigsforums am 11. Januar 2005 können wie bisher, weil uns da die finanziellen Ressourcen fehlen. 3.2004 Mehr Freiheit wagen! Verleihung des Europäischen Handwerkspreises an Dr. Jürgen Rüttgers MdL am 18. November 2004 in Köln Also, wir brauchen die Freiheit, aber nicht die Freiheit einiger Leute, die glauben, sie könnten 2.2004 Standort Deutschland und Standort NRW. Round-Table-Gespräch mit Professor sich über alles hinwegsetzen. Da müssen wir ei- Dr. Andreas Pinkwart MdB, Vorsitzender der FDP NRW, und Dr. Ingo Wolf MdL, nen Ordnungsrahmen setzen. Da sind wir völlig Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion NRW. Dokumentation der Veranstaltung bei Ihnen. Politik im Dialog am 6. Juli 2004

Ganz herzlichen Dank für Ihre Rede! Ich glaube, 1.2004 Eigentümer-Unternehmer oder Manager-Unternehmer - Was ist das unternehmerische Sie haben alle hier für sich einnehmen können. Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft? Dokumentation des Dreikönigsforums Ich sage es noch mal: Sie haben vielleicht freier am 8. Januar 2004 reden können, als Sie es als Generalsekretär hier

54 Dialog Handwerk 1/2012 Dialog Handwerk 1/2012 55 Nordrhein - Westfälischer Handwerkstag Georg-Schulhoff-Platz 1 40221 Düsseldorf Telefon 0211 39 68 48 Telefax 0211 93 04 966 www.nwht.de [email protected]