Landtag Plenarprotokoll Nordrhein-Westfalen 16/104 16. Wahlperiode 28.01.2016

104. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 28. Januar 2016

Mitteilungen der Präsidentin ...... 10705 Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) 10726 Walter Kern (CDU) ...... 10727 Vor Eintritt in die Tagesordnung ...... 10705 Ulrich Alda (FDP) ...... 10728 Daniel Düngel (PIRATEN) ...... 10729 Verpflichtung Minister Rainer Schmeltzer ...... 10730 der Abgeordneten Angelika Tillmann (SPD) Ergebnis ...... 10731 Verpflichtung des Abgeordneten 3 Leistungsfähige Infrastruktur als Gerd Stüttgen (SPD) Staatsziel in der Landesverfassung verankern 1 Die Landesregierung darf gegenüber Antrag Rechtspopulisten nicht schweigen! der Fraktion der FDP Aktuelle Stunde Drucksache 16/10797 ...... 10731 auf Antrag der Fraktion der CDU Dietmar Brockes (FDP) ...... 10731 Drucksache 16/10867 ...... 10705 Michael Hübner (SPD) ...... 10732 Thorsten Schick (CDU) ...... 10733 Armin Laschet (CDU) ...... 10705 Arndt Klocke (GRÜNE) ...... 10735 Norbert Römer (SPD) ...... 10707 Oliver Bayer (PIRATEN) ...... 10737 (FDP) ...... 10709 Minister Michael Groschek ...... 10738 Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) ...... 10711 Michele Marsching (PIRATEN) ...... 10712 Ergebnis ...... 10740 Ministerpräsidentin ...... 10713 Armin Laschet (CDU) ...... 10715 Nadja Lüders (SPD) ...... 10717 4 Marokko, Algerien und Tunesien als Christian Lindner (FDP) ...... 10719 sichere Herkunftsstaaten einstufen – Verena Schäffer (GRÜNE) ...... 10719 Asylverfahren beschleunigen – Rück- Michele Marsching (PIRATEN) ...... 10721 führungen praktisch umsetzen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ...... 10722 Lutz Lienenkämper (CDU) ...... 10723 Antrag Norbert Römer (SPD) ...... 10724 der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 16/10795 (Neudruck) ...... 10741 2 Frühförderung in Nordrhein-Westfalen weiter stärken André Kuper (CDU) ...... 10741 Dr. Joachim Stamp (FDP) ...... 10742 Antrag Hans-Willi Körfges (SPD) ...... 10742 der Fraktion der SPD und Monika Düker (GRÜNE) ...... 10744 der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Simone Brand (PIRATEN) ...... 10745 Drucksache 16/10786 ...... 10725 Minister Ralf Jäger ...... 10746 André Kuper (CDU) ...... 10748 Brigitte Dmoch-Schweren (SPD) ...... 10725 Michele Marsching (PIRATEN) ...... 10749 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10702 Plenarprotokoll 16/104

Dr. Joachim Stamp (FDP) ...... 10749 Entschließungsantrag Monika Düker (GRÜNE) ...... 10749 der Fraktion der FDP Hans-Willi Körfges (SPD) ...... 10750 Drucksache 16/10919 ...... 10763

Ergebnis ...... 10751 Gregor Golland (CDU) ...... 10763 Andreas Bialas (SPD) ...... 10764 Matthi Bolte (GRÜNE) ...... 10766 5 Mehr Verschlüsselung wagen! Staatli- Marc Lürbke (FDP) ...... 10768 che Hintertüren und Kryptobeschrän- Dirk Schatz (PIRATEN)...... 10770 kungen sind der falsche Weg! Minister Ralf Jäger ...... 10771

Antrag Ergebnis ...... 10772 der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/10783 ...... 10751 8 Fragestunde Lukas Lamla (PIRATEN) ...... 10751 Alexander Vogt (SPD) ...... 10752 Mündliche Anfrage Robert Stein (CDU)...... 10753 Drucksache 16/10820 ...... 10772 Matthi Bolte (GRÜNE) ...... 10753 Marcel Hafke (FDP) ...... 10754 Mündliche Anfrage 75 Minister Ralf Jäger ...... 10755 „Vorläufige wirtschaftliche Ergebnisse Ergebnis ...... 10756 des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW (BLB NRW) – In welchem Umfang sind die einzelnen für das Jahr 2015 ge- 6 Die Landesregierung muss umgehend setzten finanziellen Ziele durch den BLB für eine gerechte Zuweisungspraxis NRW erreicht worden?“ ...... 10772 von Flüchtlingen sowie eine gerechte Verteilung der NRW- des Abgeordneten Flüchtlingspauschale sorgen Ralf Witzel (FDP) Antrag Minister Dr. Norbert Walter-Borjans...... 10773 der Fraktion der CDU Drucksache 16/10793 Entschließungsantrag 9 Einrichtung und Besetzung einer Stel- der Fraktion der SPD und le einer/eines unabhängigen Landes- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beauftragten für die Rechte und Be- Drucksache 16/10910 lange von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Antrag Drucksache 16/10918 ...... 10756 der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/10781 ...... 10778 André Kuper (CDU) ...... 10756 Christian Dahm (SPD) ...... 10758 Olaf Wegner (PIRATEN) ...... 10778 Monika Düker (GRÜNE) ...... 10759 Ingrid Hack (SPD) ...... 10779 Henning Höne (FDP) ...... 10760 Bernhard Tenhumberg (CDU) ...... 10780 Torsten Sommer (PIRATEN) ...... 10761 Andrea Asch (GRÜNE) ...... 10781 Minister Ralf Jäger ...... 10762 Marcel Hafke (FDP) ...... 10783 Ministerin Christina Kampmann ...... 10784 Ergebnis ...... 10763 Ergebnis ...... 10786

7 Polizei Nordrhein-Westfalen endlich mit Body-Cams ausstatten! 10 Finanzielle Überforderung der Kom- munen vermeiden – Sozialhilfe für EU- Antrag Ausländer zeitlich einschränken der Fraktion der CDU Drucksache 16/10789 Antrag der Fraktion der CDU und

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10703 Plenarprotokoll 16/104

der Fraktion der FDP Beschlussempfehlung und Bericht Drucksache 16/10790 – Neudruck ...... 10787 des Innenausschusses Drucksache 16/10821 ...... 10801 Ralf Nettelstroth (CDU) ...... 10787 Dr. Joachim Stamp (FDP) ...... 10788 Sarah Philipp (SPD) ...... 10801 Günter Garbrecht (SPD) ...... 10788 Wilhelm Hausmann (CDU) ...... 10802 Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) 10790 Monika Düker (GRÜNE) ...... 10803 Simone Brand (PIRATEN) ...... 10792 Dirk Wedel (FDP) ...... 10803 Minister Rainer Schmeltzer ...... 10793 Oliver Bayer (PIRATEN) ...... 10804 Dr. Joachim Stamp (FDP) ...... 10794 Daniel Schwerd (fraktionslos) ...... 10805 Minister Ralf Jäger ...... 10806 Ergebnis ...... 10794 Ergebnis ...... 10806 Nachtrag zur Abstimmung zu TOP 14 der 103. Plenarsitzung ...... 10794 14 Für faire Lastenverteilung in der ge- setzlichen Krankenversicherung: Kos- 11 Geflüchtete Frauen und Kinder nicht tenerhöhungen gerecht auf Arbeit- vergessen: Schutz vor Gewalt auch in nehmer und Arbeitgeber verteilen! den Landesaufnahmen sicherstellen! Antrag Antrag des Abg. Schwerd (fraktionslos) der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/10780 ...... 10806 Drucksache 16/10782 ...... 10795 Daniel Schwerd (fraktionslos) ...... 10806 Ergebnis ...... 10795 Marion Warden (SPD)...... 10807 Matthias Kerkhoff (CDU) ...... 10807 Arif Ünal (GRÜNE) ...... 10807 12 Sozialverträgliche Integration und ge- Susanne Schneider (FDP) ...... 10808 rechte Verteilung von anerkannten Torsten Sommer (PIRATEN) ...... 10808 Asylbewerbern durch das Instrument Ministerin Barbara Steffens ...... 10809 der Wohnsitzauflage unterstützen Daniel Schwerd (fraktionslos) ...... 10810 Ministerin Barbara Steffens ...... 10810 Antrag der Fraktion der CDU Ergebnis ...... 10811 Drucksache 16/10792 ...... 10795

Ina Scharrenbach (CDU) ...... 10795 Michael Hübner (SPD) ...... 10796 Monika Düker (GRÜNE) ...... 10797 Dr. Joachim Stamp (FDP) ...... 10798 Torsten Sommer (PIRATEN) ...... 10798 Minister Ralf Jäger ...... 10799 Ina Scharrenbach (CDU) ...... 10799 Michael Hübner (SPD) ...... 10800 Torsten Sommer (PIRATEN) ...... 10800

Ergebnis ...... 10801

13 Grundrecht auf menschenwürdige Wohnverhältnisse für alle, auch für Geflüchtete: Notfalls ungenutzten Wohnraum in Anspruch nehmen! Antrag des Abg. Schwerd (fraktionslos) Drucksache 16/10290

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10704 Plenarprotokoll 16/104

Entschuldigt waren:

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (ab 12:15 Uhr) Minister Garrellt Duin (ab 17:30 Uhr) Minister Franz-Josef Lersch-Mense Ministerin Sylvia Löhrmann Minister Johannes Remmel (ab 15 Uhr) Ministerin Svenja Schulze (ab 13 Uhr) Ministerin Barbara Steffens (bis 13:30 Uhr) Andreas Becker (SPD) Stephan Gatter (SPD) Helene Hammelrath (SPD) Eva Steininger-Bludau (SPD) Rainer Christian Thiel (SPD) Sven Wolf (SPD) Dr. Stefan Berger (CDU) Peter Biesenbach (CDU) Rainer Deppe (CDU) (bis 13 Uhr) Wilfried Grunendahl (CDU) Heiko Hendriks (CDU) (ab 14:30 Uhr) Werner Jostmeier (CDU) (ab 13 Uhr) Theo Kruse (CDU) Andrea Milz (CDU) Ulla Thönnissen (CDU) (ab 13 Uhr) Arndt Klocke (GRÜNE) (von 15:30 bis 17:30 Uhr) Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) (ab 16 Uhr) Verena Schäffer (GRÜNE) (ab 12 Uhr) Marcel Hafke (FDP) (bis 13 Uhr) Christian Lindner (FDP) (ab 15 Uhr) Andreas Terhaag (FDP) Frank Herrmann (PIRATEN) Walter Kern (PIRATEN) Kai Schmalenbach (PIRATEN)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10705 Plenarprotokoll 16/104

Beginn: 10:03 Uhr Abgeordnete. Alles Gute und auf sehr gute Zusam- menarbeit! Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, (Beifall von allen Fraktionen) liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, treten wir in zu unserer heutigen, 104. Sitzung des die Beratung der heutigen Tagesordnung ein. Ich Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren rufe auf: Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern der Medien. 1 Die Landesregierung darf gegenüber Für die heutige Sitzung haben sich 15 Abgeordne- Rechtspopulisten nicht schweigen! te entschuldigt; ihre Namen werden in das Proto- koll aufgenommen. Aktuelle Stunde auf Antrag Wir dürfen auch heute wieder einem Kollegen zu der Fraktion der CDU seinem Geburtstag gratulieren. Herr Karl Drucksache 16/10867 Schultheis von der Fraktion der SPD wird heute 63 Jahre alt. Die Fraktion der CDU hat mit Schreiben vom (Lebhafter Beifall von allen Fraktionen) 25. Januar 2016 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäfts- Lieber Herr Kollege Schultheis, alles Gute! Der Ap- ordnung zu der genannten aktuellen Frage der Lan- plaus der Kolleginnen und Kollegen macht deutlich: despolitik eine Aussprache beantragt. Wir schicken Ihnen einen herzlichen Glückwunsch, wünschen Ihnen einen angenehmen Geburtstag Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem und hoffen, dass Sie auch im Kreis der Familie spä- Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der ter noch ein bisschen feiern können. CDU Herrn Kollegen Laschet das Wort. Vor Eintritt in die Tagesordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir zur Verpflichtung von Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kol- Abgeordneten gemäß § 2 Abs. 2 unserer Ge- leginnen und Kollegen! Wir alle spüren, dass wir in schäftsordnung. Die Landeswahlleiterin hat mir mit angespannten, aufgeregten, überhitzten, emotiona- Schreiben vom 21. Dezember 2015 und vom 12. lisierten Zeiten leben. Selten sind wir als Parlamen- Januar 2016 mitgeteilt, dass mit Wirkung vom 1. tarier so gefordert gewesen, Antworten zu geben, Januar 2016 Frau Angela Tillmann für den ausge- zu versachlichen, zu differenzieren, deutlich zu ma- schiedenen Abgeordneten Roland Adelmann, SPD, chen, was wie abgewogen werden muss, und zu- und mit Wirkung vom 12. Januar 2016 Herr Gerd gleich Richtung vorzugeben. Stüttgen für den verstorbenen Abgeordneten Ulrich Hahnen, SPD, Mitglieder des Landtags geworden Wir alle merken das – ebenso wie die Medien an sind. ihren Leserbriefen – an Bürgerpost, an Schreiben, die uns erreichen. Dabei sind besorgte Briefe, zum Ich darf Frau Tillmann und Herrn Stüttgen zu mir bit- Teil von unseren Mitgliedern, die uns mit Mitglieds- ten, damit ich die nach § 2 unserer Geschäftsord- nummer schreiben: Das und das besorgt mich. – nung vorgesehene Verpflichtung vornehmen kann. Dabei sind polemische Schreiben und solche mit persönlichen Beschimpfungen dabei. All das krie- (Die Abgeordneten erheben sich von ihren gen wir in diesen Tagen mehr als je zuvor. Plätzen.) Liebe Kollegin Tillmann, lieber Kollege Stüttgen, ich Deshalb stellt sich für die Demokratie, für uns Par- bitte Sie, die folgenden Worte der Verpflichtungser- lamentarier und auch für die Medien die Frage: Wie klärung anzuhören und anschließend durch Hand- gehen wir mit einer solchen Situation um? Und wie schlag zu bekräftigen: gehen wir mit denen um, die das für ihre politischen Zwecke ausnutzen wollen? Deshalb darf man in ei- „Die Mitglieder des Landtags von Nordrhein- ner solchen Zeit, die keine Zeit wie sonstige Zeiten Westfalen bezeugen vor dem Lande, dass sie ih- ist, keine Fehlsignale senden, keine falschen Reak- re ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes tionen zeigen und nicht Wasser auf die Mühlen de- widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von rer gießen, die im Land eigentlich niemand kennt. ihm wenden, die übernommene Pflicht und Ver- antwortung nach bestem Wissen und Können er- (Michele Marsching [PIRATEN]: Sehr richtig!) füllen und in der Gerechtigkeit gegenüber jedem Die Bürger kennen keinen einzigen Politiker der AfD Menschen dem Frieden dienen werden.“ in Nordrhein-Westfalen, behaupte ich einmal. Trotz- Ich begrüße Sie beide erneut ganz herzlich im dem werden sie als Protestventil genutzt, wenn Poli- Landtag Nordrhein-Westfalen. Das Hohe Haus gra- tik falsche Signale setzt. Deshalb war die Silvester- tuliert Ihnen zu Ihrem Einzug. Die Gepflogenheiten nacht so verheerend. Sie hat ja das Klima in ganz sind Ihnen ja bekannt. Sie waren beide schon mal Deutschland verändert, weil es ein innenpolitisches

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10706 Plenarprotokoll 16/104

Versagen gab. Das wird nun ein Untersuchungs- Zeug redet, dann können wir den Bürgern schon ausschuss aufklären. zutrauen, insbesondere den Bürgern in Nordrhein- Westfalen, Aber danach war noch nicht Ende. Dann kamen die falsche Information, das Schönreden, das tagelange (Michele Marsching [PIRATEN]: Die sind Nichtunterrichten der Öffentlichkeit, und dann kam schlauer als die anderen!) das Abtauchen. Deshalb: In einer solchen Zeit darf man nicht abtauchen, sondern muss stehen, muss dass sie wissen: Diese Hetze eines Herrn Höcke transparent sein, muss offen sein. wollen wir nicht. – Dazu muss man ihn stellen. Dazu muss man bereit sein. Dazu muss ein Sender die (Beifall von der CDU und der FDP) Facebookseiten zeigen, was da von diesen Politi- kern gehetzt wird. Als wenn das nicht ausreichen würde: In unserem südlichen Nachbarland Rheinland-Pfalz – Sie hatten Wenn man aber immer nur sagt, nein, mit denen ja in dieser Woche eine gemeinsame Kabinettsit- reden wir nicht, wir stellen uns dieser Diskussion zung; völlig frei von Wahlkampfzeiten haben sich nicht, dann wird die Demokratie, dann wird der Zu- die beiden Kabinette einmal getroffen – hat ein sammenhalt verlieren. Gerade in einer solchen Zeit Sender ein Konzept entwickelt, wie man in dieser muss eine Ministerpräsidentin das machen. schwierigen Lage eine politische Diskussion führt. Und dann greift eine Ministerpräsidentin ein und (Beifall von der CDU) sagt: Nein, nein, so passt mir das Konzept nicht. – Ich möchte jetzt nicht viel über die Essener Vorgän- Und der Sender ändert das Konzept. Merken Sie ge sagen. Das ist eine Diskussion, die geführt wor- nicht, dass das wieder Wasser auf die Mühlen war? den ist. Dazu haben Sie auch klar Stellung genom- Denn es sieht wieder so aus: men. Das Interessante aber ist das, was diejenigen, (Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von die das veranstaltet haben, danach in einem Inter- der FDP) view im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesagt haben. Sie haben gefragt: Ja, warum redet sie denn nicht mit Da greift in dieses öffentlich-rechtliche Medium uns? Warum informiert man sich denn nicht – an die plötzlich die Politik ein, und schon ändert sich die SPD-Landesführung gerichtet –, warum hört man ganze Berichterstattung. uns denn nicht an? Als sich das ein paar Tage beruhigt hatte, geht un- Deshalb: Selbst wenn sie Kritisches formulieren, sere Ministerpräsidentin hin, springt Frau Dreyer muss man hingehen, muss man reden, muss man bei, sagt, sie gehe auch nicht in Fernsehsendungen Argumente bringen und es nicht einfach aussitzen. mit der AfD, und verschärft diesen Eindruck. Den Das ist unsere Kritik an dem Umgang mit hat sie gestern wieder korrigiert und sagt: Ja, ich Rechtspopulisten hier in Nordrhein-Westfalen. gehe vielleicht doch in ein Fernsehduell hinein. (Beifall von der CDU) Kann man nicht einmal schlicht und einfach sagen: Erstens entscheiden Sender, wen sie einladen, Deshalb unser dringender Appell: Wir Demokraten zweitens stelle ich mich der Debatte. – Ist das zu haben gute Argumente. SPD und CDU haben den viel verlangt von einer Ministerpräsidentin? Europawahlkampf in Nordrhein-Westfalen dezidiert proeuropäisch geführt – nicht in jedem deutschen (Beifall von der CDU und der FDP) Landesverband der CDU, auch nicht in unserer Die AfD mit ihren Themen steht gegen alles, was Schwesterpartei; die haben einen anderen Europa- uns in Nordrhein-Westfalen verbindet: gegen die eu- wahlkampf geführt. ropäische Idee, gegen den Zusammenhalt der Ge- (Michele Marsching [PIRATEN]: Die sind ja sellschaft. Die Leute muss man möglichst oft den nur die Halbschwester! – Heiterkeit von der Menschen zeigen. Ich behaupte: Jeder Auftritt von SPD) Herrn Höcke im deutschen Fernsehen schwächt die AfD, weil die Leute erschüttert sind, was für ein Wir haben ihn hier geführt mit der klaren Ansage: Denken hinter diesem Menschen steht. Wir stehen zur europäischen Integration – selbst Sie, Herr Körfges. Wir stehen alle zur europäischen (Beifall von der CDU – Michele Marsching Integration. [PIRATEN]: Genau! Super Beispiel!) (Hans-Willi Körfges [SPD]: Ja, sagen Sie das Jeder, der ihn reden hört, sagt: Oh Gott, ich habe Herrn Seehofer, nicht mir!) zwar Protest gegen die anderen Parteien, aber ich will auch nicht, dass solche Typen Verantwortung – Eben. Wir haben es nicht so gemacht. Wir haben übernehmen. es so gemacht, dass die AfD hier den niedrigsten Wert in ganz Deutschland hatte. (Hans-Willi Körfges [SPD]: Der Auftritt bei Günther Jauch!) (Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD) – Ja, auch der Auftritt bei Jauch. Wenn jemand eine Das war so. Das ist eigentlich ein Grund zur Freude Deutschlandfahne auf so ein Ding legt und wirres und nicht zum Johlen.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10707 Plenarprotokoll 16/104

Die AfD hat in allen anderen Landesverbänden und gleichzeitig gegen die SPD instrumentalisieren. Deutschlands mehr Punkte geholt als in Nordrhein- Das ist ein Spiel mit dem Feuer, und das ist verant- Westfalen, weil hier CDU und SPD damals gestan- wortungslos, weil Sie dieses Spiel auch gar nicht den haben. beherrschen. Im Übrigen klingen dann alle Appelle, auch der Appell von vorhin an die Geschlossenheit der Demokraten, so richtig sie sind, sehr schnell als Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit. wohlfeil. Sie werfen der Ministerpräsidentin vor, dass sie in Armin Laschet (CDU): Deshalb müssen wir in die- einer Talkshow nicht persönlich zu den Rechtspo- ser Krise, die für die Empfindungen der Menschen pulisten hinabsteigen will. Herr Laschet, Sie sagten eine noch größere ist als die Eurokrise, den Kampf auf WDR 5: Gegen eine demokratische Partei zu aufnehmen, argumentieren und uns stellen. Dann sagen, mit denen rede ich nicht, halte ich für haben wir einen Dienst geleistet an unserem Land schwierig. – Allein die Behauptung, die AfD sei eine und nicht, indem wir abtauchen, uns verweigern und demokratische Partei, ist eine Verharmlosung, Herr uns verdrücken. – Vielen Dank. Kollege Laschet. (Anhaltender Beifall von der CDU und der (Lebhafter Beifall von der SPD und den FDP) GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN) Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Björn Höcke, der Fraktionsvorsitzende der AfD in Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht Thüringen, beschwört das tausendjährige Deutsch- Herr Kollege Römer. land und fordert eine ökologisch nachhaltige Bevöl- kerungspolitik. Das sind die Sprache und die Ge- Norbert Römer (SPD): Frau Präsidentin! Meine dankenwelt der Nazis, Herr Kollege Laschet. sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin- (Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den nen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Laschet, es PIRATEN) ist gerade sehr deutlich geworden: Pfeifen reicht wohl nicht mehr. Sie müssen schon mit einem gan- Frank Scherie von der AfD Nordrhein-Westfalen will zen Blasorchester durch den Wald ziehen, um sich Bürgerwehren, fordert Selbstjustiz, hat Mordphanta- selbst Mut zu machen. sien. Wenn Migranten demnächst im Rhein ertränkt würden, dürfe man sich nicht wundern, so der AfD- (Zurufe von der CDU: Oh!) Mann aus Ennepetal. Und dann ist da noch Marcus Ich füge hinzu: Das ist auch dringend nötig, denn in Pretzell, der NRW-Landeschef der AfD. Er will, dass den Unionsparteien wütet das Chaos. die Bundespolizei auf Flüchtlinge schießt, um zu warnen, zu verletzen oder letztlich auch um zu tö- (Beifall von der SPD – Lachen von der CDU) ten. Nein, die AfD ist keine normale demokratische Bundestagsabgeordnete schreiben Brandbriefe, die Partei. Die AfD ist eine rechtsradikale, rassistische CSU bezichtigt die eigene Kanzlerin des Verfas- und nationalistische Partei – nichts anderes, meine sungsbruchs, Julia Klöckner legt einen Anti-Merkel- Damen und Herren! Plan vor, nennt ihn „Plan A2“. Die Kabarettisten (Anhaltender Beifall von der SPD, den werden ihr dafür ewig dankbar sein. GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt (Armin Laschet [CDU]: Besser als Fackelzü- Beifall von der CDU und der FDP – Beifall ge!) von Minister Johannes Remmel) Frau Klöckner fällt in den Rücken, „Mit denen möchte ich nicht in Talkshows sitzen.“ – lächelt dabei und behauptet, sie wolle der Bundes- Wer hat das gesagt? Das war , der kanzlerin nur den Rücken stärken. Zum Chaos Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. kommt also noch der Zynismus hinzu. Ja, meine Verletzt jetzt Herr Kauder auch die Pflicht von regie- Damen und Herren, die Union zerfällt vor unseren rungstragenden Parteien, der AfD entgegenzutre- Augen. ten? – So nennen Sie das doch in Ihrem Antrag. Setzen sich Herr Seehofer oder Herr Schäuble ne- (Lachen und Widerspruch von der CDU) ben die Rechtsradikalen von der AfD in einer Talk- Jeden Tag verliert sie ein Stück ihrer Regierungsfä- show, Herr Laschet? higkeit. (Armin Laschet [CDU]: Es geht um Wahlsen- Und worüber, meine Damen und Herren, möchte dungen!) die NRW-CDU heute diskutieren? – Über die Be- Sie sollten erst einmal Ihre eigene Haltung zu dieser deutung von Talkshows für den Rechtspopulismus. Frage klären, bevor Sie uns irgendwelche Vorhal- Ich habe es vorhin an Ihrer Rede gemerkt, Herr Kol- tungen machen, meine Damen und Herren. lege Laschet: Die AfD macht Ihnen Angst, aber sie fasziniert Sie auch. Sie wollen die AfD bekämpfen (Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10708 Plenarprotokoll 16/104

Herr Kauder sagt: Mit der AfD rede ich nicht, schon – Wenn Sie mit dem Brüllen aufgehört haben, wer- gar nicht in Talkshows. Herr Laschet hingegen de ich Ihnen – Sie können das im Landtagsprotokoll möchte unbedingt in Talkshows mit der AfD. Genau nachlesen – das noch einmal sagen: Es war Ihr Kol- genommen, Herr Kollege Laschet, möchten Sie ja lege Theo Kruse, unbedingt in Talkshows, (Armin Laschet [CDU]: Sie sind kein Kollege!) (Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN) der im März letzten Jahres von diesem Pult aus be- hauptet hat, dass der Islam mit der freiheitlichen ganz egal, mit wem und über welches Thema Sie Grundordnung unserer Verfassung unvereinbar sei. reden. Ich sage das in dieser Deutlichkeit: Wir alle Mit der freiheitlichen Grundordnung unserer Verfas- wissen, dass Sie hinter Mikrophonen herlaufen wie sung unvereinbar sei – Kaninchen hinter Möhren, Herr Kollege Laschet. (Lutz Lienenkämper [CDU]: Sie wissen ganz (Klaus Kaiser [CDU]: Unverschämt!) genau, dass das falsch ist!) Das ist so. das ist, meine Damen und Herren – ich sage das in dieser Deutlichkeit –, AfD-Ideologie pur! (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) (Beifall von der SPD – Armin Laschet [CDU]: Leider reden Sie über zu viele Themen, von denen Sie machen Fackelzüge gegen Flüchtlinge! Sie zu wenig verstehen. Dann rutschen Ihnen auch Wie schlecht geht es euch?) abwegige Peinlichkeiten heraus. Und ausgerechnet die „-Zeitung“ wäscht Ihnen am nächsten Tag den Kopf. So nach Ihrem letzten Auftritt bei Anne Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit. Will, als Sie Putin für seine Mitwirkung im Syrien- Krieg lobten. Norbert Römer (SPD): Und auch damit konfrontie- (Armin Laschet [CDU]: Das ist die Politik von re ich Sie jetzt: Ihr Fraktionsmitglied Werner Lohn Steinmeier!) sagte über die Kölner Silvesternacht: „Während die Politik- und Polizeispitze im Urlaub weilte, hat man Vielleicht sollten Sie bei Themen, Herr Kollege La- das Volk in Köln in einen Krieg geschickt, den es schet, die nicht die Ihren sind, einfach einmal jenem nicht gewinnen konnte“. Ratschlag folgen, den Julia Klöckner ihren Partei- freunden im CDU-Präsidium erteilt hat. Sie wissen, (Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU) welchen Ratschlag ich meine? – Ja, genau den. – Das ist die Sprache rechter Verschwörungstheo- (Zuruf von Armin Laschet [CDU]) retiker und Untergangspropheten! Zurück zur AfD, Herr Laschet. Die bittere Wahrheit (Beifall von der SPD) ist doch, dass Ihre eigene Partei, Ihre eigene Frakti- Also, meine Damen und Herren, … on längst mit dem rechtspopulistischen Virus der AfD infiziert ist. Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Römer, (Josef Hovenjürgen [CDU]: Unerhört! – Lutz die Redezeit ist erheblich überschritten. Lienenkämper [CDU]: Unverschämtheit, Frechheit! – Weiterer erregter Widerspruch von der CDU) Norbert Römer (SPD): Herr Kollege Laschet, nur weil Sie ein schwacher Parteivorsitzender sind, Es war Ihr Kollege Kruse, der im März des letzten Jahres von diesem Pult behauptet hat, dass der Is- (Lebhafter Widerspruch von der CDU – Lutz lam … Lienenkämper [CDU]: Sie sind ein schwacher Fraktionsvorsitzender!) (Anhaltender Widerspruch von der CDU) ist das noch längst kein Grund, … Ich sage Ihnen das noch einmal. Es war der Kollege Kruse – Sie können das nachlesen –, … Präsidentin Carina Gödecke: Kollege Römer, die (Zurufe von der CDU: Billige Ansage! Un- Redezeit. glaubliches Verhalten! – Der größte Teil der Abgeordneten der CDU-Fraktion verlässt den Saal.) Norbert Römer (SPD): … dass Sie hier in diesem Hohen Hause so überdrehen, wie Sie das vorhin Frau Präsidentin, ich muss dann meine Redezeit gemacht haben. ein bisschen verlängern. (Zurufe von der CDU) (Lebhafte Zurufe von der CDU: Unglaub- lich! – Weitere erregte Zurufe von der CDU) Meine Damen und Herren, …

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10709 Plenarprotokoll 16/104

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Römer, (Klaus Kaiser [CDU]: Nee! Unglaublich! – die Redezeit. Weitere Zurufe von der CDU) Ich bitte daher, dass wir bedenken, welche Wirkung Norbert Römer (SPD): Meine Damen und Herren, wir mit einer Debatte erzeugen. Sie müssen sich das jetzt schon anhören. Herr Kollege Lindner für die FDP-Fraktion hat jetzt (Lebhafte Zurufe von der CDU) das Wort. Eine Bemerkung zum Schluss: Die SPD kämpft seit mehr als 150 Jahren gegen Reaktionäre, gegen Fa- Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Liebe schisten, gegen Totalitaristen! Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Römer, die Rede, die Sie hier gehalten haben, war diesem Haus und auch Ihrer Person nicht würdig. Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Römer, die Redezeit! (Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU) Das sage ich in aller Klarheit: Bei aller politischen Norbert Römer (SPD): Und wir wissen, meine Da- Auseinandersetzung, die wir hier auch herzhaft füh- men und Herren, was dieser Kampf bedeutet und ren und in der wir auch gerne einmal mit Zuspitzun- was er erfordert! gen arbeiten: Wenn Sie den Kolleginnen und Kolle- gen der CDU Rechtspopulismus vorwerfen, dann (Lutz Lienenkämper [CDU]: Hören Sie ein- verharmlosen Sie die wahren Feinde unserer Ge- fach auf! Lassen Sie es sein!) sellschaft. Dafür brauchen wir keinen Nachhilfeunterricht – (Beifall von der FDP und der CDU) schon gar nicht, meine Damen und Herren, von deutschen Konservativen. Schon gar nicht von Ich möchte Ihnen deshalb dringend raten, diese deutschen Konservativen! Bemerkung noch am heutigen Tag aus der Welt zu schaffen und sich bei der CDU zu entschuldigen. (Lang anhaltender Beifall von der SPD – Lutz Lienenkämper [CDU]: Unverschämtheit! – (Beifall von der FDP und der CDU) Weitere Zurufe von der CDU – Abgeordnete der CDU-Fraktion, die den Saal verlassen Und das meine ich wirklich kollegial. Wenn Sie es hatten, nehmen wieder ihre Plätze ein.) nicht machen: Wie soll die Debatte denn weiterge- hen? Wollen wir dann hier Debatten über die Äuße- rungen von Sigmar Gabriel führen, der im „Stern“ Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen gesagt hat: „Es gibt ein Recht darauf, deutschnatio- und Kollegen, ich möchte gerne zwei Anmerkungen nal zu sein“? Sollen wir das dann demnächst disku- machen. tieren und so auslegen, dass wir sagen: Aha, er äu- ßert Verständnis für Rechtspopulismus? Wollen wir Zum einen müssen bitte in jeder Debatte, und wenn uns auf Dauer mit den drei SPD-Ortsvereinen be- Sie noch so hitzig und heftig geführt wird, zu Protes- schäftigen, die mit Pegida-Parolen auf der Straße ten Anlass bietet und ein Teil der Kolleginnen und unterwegs sein wollen? Kollegen auszieht, die Redezeiten in etwa eingehal- ten werden. Wir versuchen hier, bei sehr bedeut- (Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU) samen Debatten, die ja angemeldet werden, die Vereinbarung großzügig so auszulegen, dass sie Wollen wir das so machen? Hören Sie auf damit! gerecht bleibt. Das wird aber schwierig, wenn ein- Dieses Niveau beschädigt uns und unser demokra- zelne Kolleginnen und Kollegen die Redezeit in der tisches Miteinander. Weise überziehen. Wir sehen doch, dass überall in Europa die Rechts- Zum anderen bitte ich doch darum, dass wir auch und Linkspopulisten wachsen. Natürlich steht Euro- daran denken, dass nicht alle Menschen, die unsere pa vor großen Herausforderungen, das ist doch klar: Debatte verfolgen, wirklich Tag für Tag auch verste- Eurokrise, Flüchtlingskrise und auch die nicht prob- hen, in welcher Situation wir hier miteinander reden. lemlösungsfähigen Strukturen in Europa. Das be- Und manche der Bilder, die wir auch in sorgt mich aber weniger; denn im Zweifel wird Eu- senden und die wir über den Stream hinausschi- ropa mit Eurokrise, Flüchtlingskrise und seinen cken, … strukturellen Problemen fertig werden. Das Problem sind die Rechtspopulisten. Denn wenn eins die (Lebhafte Zurufe von der CDU) Grundfesten der europäischen Einigung erschüttert, dann das: wenn wieder eine nationale Abschot- – Ich habe keinerlei Schuldzuweisungen vorge- tungspolitik gemacht werden würde! Und dagegen nommen. Dass ich nach dem SPD-Vorsitzenden in müssen wir uns gemeinsam wehren! dieser Weise agiere, sollte Ihnen ja auch deutlich machen, an wen ich mich auch richte. (Beifall von der FDP und der CDU)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10710 Plenarprotokoll 16/104

Und dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren – Das, was gegenwärtig passiert, macht die Leute auch in Deutschland. In Frankreich hat sich Le Pen verrückt. Die sehen die Probleme und lassen sich von den Radikalen getrennt, um bürgerlicher wirken ihre Alltagsbeobachtungen auch nicht von der Mi- zu können. In Deutschland hat sich die AfD von den nisterpräsidentin ausreden. Die wollen, dass die Po- Bürgerlichen getrennt, um radikaler sein zu können. litik diese Probleme löst, und damit holt man sie dann auch von den Rechtsradikalen und Rechtspo- Die sprechen, wie es gesagt worden ist – Herr Rö- pulisten weg. mer, Sie haben sie zitiert –, vom „Schießbefehl an der deutschen Grenze“. Sie verwenden den Begriff (Beifall von der FDP – Zuruf von den „Volksgemeinschaft“, als sei das noch eine kulturel- PIRATEN: Das ist absolut richtig!) le, religiöse oder ethnische Identität, mit der man wie vor 150 Jahren Politik machen könnte. Das sind Frau Ministerpräsidentin, was Sie in dieser Lage ge- autoritäre Begriffe. Das sieht man auch daran, dass ritten hat, öffentlich zu erklären, Sie wollen nicht mit sie mehr Verständnis für Putin als für Obama ha- der AfD diskutieren, erschließt sich mir nicht. Ich ben. muss Ihnen wirklich sagen: Es ist für mich völlig un- verständlich, was Sie da geritten hat. Zunächst ein- Das ist eine Partei, die allen Ernstes wieder rasse- mal halte ich es ohnehin für ein demokratisches theoretische Redner in ihren Reihen toleriert. Herr Problem, wenn die Regierung öffentlich entscheidet, Gauland sagt, die aktuelle Flüchtlingskrise sei ein mit wem sie spricht und mit wem nicht. Das ist „Geschenk“ für seine Partei. Wenn es ein unge- schon ein etwas merkwürdiges Debattenverständ- schriebenes Kapitel des Grundgesetzes gibt, das nis. eine historische Lehre aus 1945 enthält, dann doch dieses: Eine Partei, die wieder völkisch denkt, die (Beifall von der FDP) Rassepolitik macht und die Krisen nicht lösen will, Aber, Frau Ministerpräsidentin, merken Sie nicht, sondern sie geradezu herbeisehnt, darf in Deutsch- welche Macht Sie der AfD geben, wenn Sie sie zu land niemals mehr politische Bedeutung erlangen. einem solchen Faktor hochjazzen, dass Sie sich (Beifall von allen Fraktionen) über ein Jahr vor der NRW-Landtagswahl damit auseinandersetzen, ob Sie mit denen in ein wie Aber man muss doch unterscheiden zwischen dem auch immer geartetes TV-Duell oder in eine Debatte harten Kern der Wähler, die rechtsradikale Vorstel- gehen? Sie machen die groß damit, Sie machen sie lungen haben, und einem größeren Teil von Bür- damit zu einem Faktor. gern, die aktuell angesichts der politischen Lage verunsichert sind und in der AfD lediglich ein Pro- (Zurufe von Hans-Willi Körfges [SPD] und testventil sehen. Herr Römer, wohlmeinend will ich Armin Laschet [CDU]) sagen: Die Mitglieder Ihrer SPD-Ortsvereine in Es- – Ja, gut, Armin. Ihr von der CDU setzt euch auch sen sind doch keine Rechtspopulisten, sondern sie haben große Sorge, dass die Politik mit den Prob- permanent mit denen auseinander. lemen nicht fertig wird. Der Punkt ist doch: Wenn wir uns das anschauen, Der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland stellen wir natürlich fest, dass das eine Bedrohung sagt, die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition sei ist. Aber im Vergleich zum europäischen Ausland chaotisch. Selten hatte ein Genosse so recht. sind die eben trotz der Flüchtlingskrise am Anschlag und trotz maximaler Nervosität nicht ein bestim- Julia Klöckner legt einen Plan A2 vor; man würde mender Faktor unserer Politik. Sie sind in den Um- sich wünschen, den Plan A1 von Frau Merkel zu fragen eben nicht so bärenstark wie ansonsten im kennen. CDU, CSU und SPD kommen seit Monaten europäischen Ausland. nicht zu Potte. Das Asylpaket ist immer noch nicht durch den Bundesrat. Das heißt doch, dass das demokratische Immun- system unserer Gesellschaft im Prinzip funktioniert. Und dann erleben wir öffentlich nur Schuldzuwei- Wir können doch stolz darauf sein, dass sie keinen sungen und Blockade. Mit Schuldzuweisungen und Siegeszug angetreten sind wie in Frankreich. Blockade macht man die Rechtspopulisten groß; klein macht man sie mit Problemlösungen. Ich for- (Beifall von der FDP und der CDU – Das En- dere Sie auf, dahin zurückzukehren. de der Redezeit wird angezeigt.) (Beifall von der FDP und der CDU) – Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin. – Frau Kraft, geben Sie denen doch nicht einen Märtyrerstatus, Es liegt doch auf dem Tisch, was wir tun müssen: indem Sie öffentlich den Eindruck erwecken, Sie Einwanderungsgesetz, europäische Lösungen, not- würden sich vor der Auseinandersetzung mit denen falls auch unvollkommenes europäisches Recht fürchten, bzw. irgendjemand hätte etwas zu be- wieder in Kraft setzen, nämlich Dublin III. So chao- fürchten, wenn er mit der AfD in eine Debatte tritt. tisch wie heute waren die Zustände mit Dublin III Als ob die sich, wenn sie im Fernsehen sind, nicht nicht. Über diese Dinge müssen wir reden und dann selbst sofort entzaubern würden, weil sie keine auch handeln. Substanz haben!

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10711 Plenarprotokoll 16/104

Also müsste man ihnen eigentlich möglichst viele (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) Gelegenheiten verschaffen, sich öffentlich zu bla- mieren und argumentativ gestellt zu werden. Das Ich frage Sie: Lösen Sie mit der heutigen Sitzung sind die Souveränität, die Gelassenheit und die auch nur ein einziges Problem, oder verschaffen Sie Substanz, die ich von einer Regierungschefin in der der AfD damit nicht noch mehr Aufmerksamkeit, als Frage erwarte. sie ohnehin schon hat? (Beifall von der FDP und der CDU) (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) Deswegen sage ich Ihnen: Sie machen den größten Lasst uns die also nicht zu groß machen, und lasst handwerklichen Fehler in der Politik; denn Sie den- sie uns in der Sache bekämpfen. Aber wir dürfen ken nicht vom Ende her. Sie haben nämlich keine ihnen keinen Märtyrerstatus geben, und wir müssen Strategie. Sie verlieren sich mit der heutigen Debat- vor allen Dingen an den Problemen arbeiten. Ich te wieder in politischen Kleintaktierereien. sage noch einmal: Rechtspopulisten macht man mit Blockade und Schuldzuweisungen durch eine Re- (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) gierung groß. Mit Problemlösungen macht man sie wieder klein. Das erwarte ich in Düsseldorf und in In Ihrem Antrag zeigen Sie mit dem Finger auf die von denen, die Verantwortung tragen. Ministerpräsidentin – ich zitiere –: (Beifall von der FDP und der CDU – Verein- „Wird ausgerechnet die Regierungschefin des zelt Beifall von den PIRATEN) größten deutschen Bundeslandes ... in Zukunft auf eine öffentliche und direkte Auseinanderset- zung mit Vertretern der AfD verzichten?“ Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr (Hendrik Schmitz [CDU]: Das hat sie nun mal Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die gesagt!) Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh. Herr Kollege Laschet, das ist doch eine Ablen- kungstaktik. Sehen Sie nicht, dass, wenn Sie mit Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsiden- einem Finger auf die Ministerpräsidentin zeigen, tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Union hat drei Finger auf Sie zurückzeigen? Es ist doch Ihre eine Aktuelle Stunde zum Thema „Rechtspopulis- Unionsschwester, die CSU, die der AfD mit ihrer mus“ beantragt und einen Text vorgelegt, in dem enthemmten Politik scharenweise Wählerinnen und viele richtige Punkte sind. Den Satz, dass es sich – Wähler zutreibt. Zitat – „bei Teilen der AfD um eine fremdenfeindli- che und in Schwarz-Weiß-Mustern denkende Partei (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) handelt“, können wir Grüne vorbehaltlos unter- schreiben, und wir können das auch noch verstär- Die CDU in Nordrhein-Westfalen ist in dieser Frage ken. Die Zitate sind ja eben gekommen. zutiefst gespalten. Sie haben im Kampf gegen rechts in Nordrhein-Westfalen immer wieder ver- (Zuruf von den PIRATEN: In Teilen?) sagt. Der Thüringer AfD-Mann Höcke hat mit seinem un- (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) säglichen Vortrag zum angeblichen Wesen des Af- rikaners doch deutlich gemacht, dass die AfD zu- Wo war die CDU denn vorletzte Woche, als in Pa- mindest in Teilen rassistisch, wenn nicht sogar fa- derborn 3.000 Demokratinnen und Demokraten ge- schistisch ist. gen den Aufmarsch der AfD protestiert haben? – Sie haben gefehlt. Ihr Platz auf der Gegenkundge- (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) bung ist leer geblieben, Herr Kollege Laschet. Spätestens seine „1.000-Jahre-Deutschland“-Fanta- (Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- sien lassen doch sicherlich den letzten Demokraten ruf von Daniel Sieveke [CDU]) nicht nur in diesem Saal, sondern im ganzen Land Ich frage Sie, und zwar mit Ihren eigenen Worten, erschaudern. Herr Kollege Laschet: Will die CDU des größten Im Unionsantrag finden sich viele richtige Aussagen Bundeslandes in Deutschland in Zukunft etwa auf zum vergifteten Debattenklima – das hat der Kolle- eine öffentliche und direkte Auseinandersetzung mit ge Laschet auch angesprochen –, zu Europa und der AfD auf der Straße verzichten? zur sträflichen Vereinfachung der Flüchtlingspolitik. (Daniel Sieveke [CDU]: Unglaublich! Das ist Trotzdem, Herr Kollege, reicht es heute wieder nur lächerlich!) zu parteitaktischen Spielchen. Die Union will nur Was ist mit Gregor Golland, der medienwirksam die darüber sprechen, wie man mit der AfD reden soll. Sicherheitsüberprüfung aller Flüchtlinge fordert und Das steht bei Ihnen im Mittelpunkt. Sie flüchten sich damit alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellt? auf die Metaebene. Die Ursachen des Rechtspopu- lismus bekämpfen Sie mit diesem Antrag nämlich (Zuruf von Serap Güler [CDU] – Dr. Joachim nicht. Stamp [FDP]: Totaler Blödsinn!)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10712 Plenarprotokoll 16/104

Gänzlich gruselig wird es, Herr Kollege, wenn man zu Ihnen nämlich eine Strategie, Herr Kollege La- die Gedanken zum Jahreswechsel auf der Home- schet. page von Theo Kruse liest. Dort steht – ich zitiere –: (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) „Für die einwandernden oder einsickernden Flüchtlinge gilt nicht die im Rechtsstaat ansons- Wir haben – damit kommen wir zur Sachauseinan- ten prinzipielle Unschuldsvermutung.“ dersetzung – eine Infrastruktur im Kampf gegen rechts aufgebaut. Wir haben Beratungsstellen für (Zurufe von der CDU: Was?) Opfer rechter Gewalt initiiert. „Sie selbst sind in der Pflicht, der einheimischen (Zuruf von Daniel Sieveke [CDU]) Bevölkerung die Sorgen und die Angst davor zu nehmen, was auf uns zukommen könnte, wenn Wir haben mit dem Antrag zu Alltagsrassismus, zur jetzt auch in Südwestfalen plötzlich für alle sicht- Bekämpfung rassistischer Gewalt und vielen ande- bar Moscheen entstehen.“ ren Themen mehr die Erstellung eines Handlungs- konzeptes gegen Rechtsextremismus vorangetrie- Was tut Herr Kruse hier? – Er schürt in übelster ben. Bei all diesen Initiativen gab es keine Unter- Weise einen Generalverdacht. Er ruft zum Verfas- stützung vonseiten der CDU. Dazu kann ich Ihnen sungsbruch auf, und das aus den Reihen der CDU- nur sagen: Nicht an ihren Worten sollt ihr sie erken- Fraktion in Nordrhein-Westfalen. nen, sondern an ihren Taten. (Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) PIRATEN) Ihr Desinteresse am Kampf gegen den Rechtspopu- Herr Kollege, mich würde an der Stelle tatsächlich lismus hier im Landtag ist wahrlich kein Ruhmes- interessieren: Was sagt die CDU-Fraktion dazu? Ist blatt für Sie. Deshalb sage ich Ihnen, lieber Kollege das Ihre Position, oder wäre es nicht an der Zeit, Laschet und liebe Kolleginnen und Kollegen von der den Kollegen Kruse zur Ordnung zu rufen und ihm CDU: Es liegt nun an Ihnen, Ihre innenpolitischen zu sagen, wo die Grenzen des Rechtsstaates sind Scharfmacher endlich einzufangen und sowohl hier und was in der Verfassung steht? im Land als auch im Bund einen klaren Kurs Ihrer (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) Partei durchzusetzen. Sie haben es in Ihrer eigenen Rede eigentlich be- Wir zeigen klare Kante gegen rechts, und zwar nicht reits gesagt. Wir dürfen nicht nur über die Metaebe- nur in Talkshows, sondern überall, wo wir gebraucht ne reden, sondern wir müssen auch über die wich- werden. Tun Sie es auch. Dazu lade ich Sie herzlich tigste Ursache des Rechtspopulismus reden. Wir ein. – Danke für die Aufmerksamkeit. müssen über die Herren Seehofer, Söder, Friedrich (Anhaltender Beifall von den GRÜNEN und und Co. reden, die die Flüchtlingsdebatte seit Mona- der SPD) ten aus der Regierung heraus anheizen und mit dem Mahnbrief und der Klageandrohung gegen die Kanzlerin Erpressung auf oberster Ebene betreiben. Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Damit tragen sie zur Zerrüttung der politischen Kul- Mostofizadeh. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt tur und letztlich unmittelbar zur Stärke der AfD bei. Herr Kollege Marsching. (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Ich sage Ihnen: Man muss auch in Talkshows – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! denn auch diese können nützlich sein – Aufklärung Meine Damen und Herren auf der Tribüne und an über den Rechtspopulismus betreiben. Dazu gehö- den Bildschirmen! Nazis muss man Nazis nennen, ren allerdings auch echte Journalistinnen und Jour- und Nazis muss man sich entgegenstellen, egal, als nalisten, die ihren Beruf ernst nehmen und die abs- welche Alternative sie sich verkleiden. truse Zusammenhänge aufdecken, keine Duckmäu- ser und Talkmaster, die nur zugucken, wenn die (Beifall von den PIRATEN) Höckes oder Pretzells faschistische Thesen in den Das Schlimme an dieser Debatte hier ist, dass die Sendungen verbreiten. einzige Nutznießerin eines solchen Verhaltens im (Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den Parlament die Alternative für Deutschland ist und PIRATEN – Jochen Ott [SPD]: Sehr gut! So niemand anders. ist das!) (Beifall von den PIRATEN) Denn dann ist es kein guter Ort für Aufklärung oder Wer die AfD verharmlost, nur migrationskritisch zu demokratische Bewusstseinsbildung. sein, wer diesen Rassisten zubilligt, nur eine kriti- Wir werden uns der Debatte stellen, dessen können sche Stimme zu sein, wer den Nazis in der AfD Sie sich sicher sein. Aber wir werden nicht nur dar- schriftlich gibt, dass sie die tatsächlichen Konfliktli- über reden, mit wem wir uns unterhalten, sondern nien aufzeigen würden, der verharmlost ganz fatal wir werden auch handeln. Wir haben im Gegensatz die sogenannte Alternative für Deutschland, und er

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10713 Plenarprotokoll 16/104 begeht mit diesem Antrag auf eine Aktuelle Stunde Und Sie bezeichnen die AfD hier nur als „Rechtspo- einen riesigen Fehler. pulisten“? Sie sagen, sie sei „migrationskritisch“? Dieser Verharmlosung muss man sich ganz klar (Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall entgegenstellen. Ich sage Ihnen ganz klar: Die AfD von der SPD und den GRÜNEN) ist nicht nur rechtspopulistisch. Sie ist nicht nur mig- Meine Damen und Herren, die ehemalige rechtsaf- rationskritisch. Nach den von mir beispielhaft ge- fine Anti-Euro-Partei, geleitet von Professoren an nannten Aussagen steht sie für Rassismus pur. Sie der Spitze, hat sich zu einer neuen NPD gewandelt. ist menschenverachtend und verneint das Grund- Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Wir haben gerade recht auf Asyl. schon ein paar Zitate gehört, ich muss Ihnen auch (Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall noch ein paar Zitate mitgeben. von der SPD und den GRÜNEN) Zuerst ein Zitat aus der Professorenzeit von Ex-AfD- Die AfD ist eine nationalistische, rassistische und Chef Bernd Lucke, und zwar: Zuwanderer bilden menschenfeindliche Nazipartei. „eine Art sozialen Bodensatz – einen Bodensatz, der lebenslang in unseren Sozialsystemen verharrt.“ (Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall Alle Zuwanderer über einen Kamm zu scheren, von der SPD) meine Damen und Herren, liebe CDU, das ist nicht Nazis muss man klar benennen, und Nazis muss nur migrationskritisch, und das ist nicht nur rechts- man sich entgegenstellen. Hashtag „#keinfußbreit“ – populistisch. immer und überall! Die AfD-Abgeordnete Corinna Herold fragte im Thü- Wir ducken uns nicht vor der Debatte weg. Wir wer- ringer Landtag in einer Kleinen Anfrage, wie viele den die AfD stellen. Wir werden ihre Hetzargumente Homo-, Bi- und Transsexuelle in dem Freistaat le- entlarven. Wir werden die Konfrontation mit den Na- ben. Die Landesregierung solle bitte eine statisti- zis nicht scheuen. sche Erhebung machen und Listen anlegen. – Ohne Worte! Gesellschaftliche Probleme lösen demokratische Parteien in einem demokratischen Prozess. Wir Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke sagte am 12. nehmen die Ängste der Menschen im Land ernst. Dezember 2015 bei einer Tagung des sogenannten Wir ringen hier um die besten Lösungen. Rechtsau- Instituts für Staatspolitik – Zitat –: ßenparteien wie die Republikaner, die DVU, die „Die Evolution hat Afrika und Europa … zwei un- Schill-Partei, die NPD oder die AfD haben noch nie terschiedliche Reproduktionsstrategien be- für Lösungen gestanden. Sie stehen für einfache schert.“ Wahrheiten, die komplexe Probleme ausblenden und die einfach nicht funktionieren. Lösungen bieten In Afrika gebe es den „Ausbreitungstyp“, in Europa die demokratischen Parteien, und diese Aufgabe den „Platzhaltertyp“. Das ist reinster Rassismus, müssen wir alle ernst nehmen. Menschen aufgrund ihrer Herkunft in Schubladen zu stecken. Was noch Widerliches dahintersteckt, will (Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall ich hier gar nicht ansprechen, denn mir ist jetzt von der SPD und den GRÜNEN) schon übel. Man muss dieser sogenannten Alternative ent- Aber eine Stufe härter geht es noch. Der Vorsitzen- schieden rhetorisch entgegentreten und ihren Inhal- de der NRW-AfD, Marcus Pretzell, sagte gegenüber ten eine klare Absage erteilen. Auf keinen Fall aber der „dpa“ Anfang November 2015 – viele hier im dürfen demokratische Parteien ihre Positionen Plenum kennen sicherlich diese Aussage, Zitat –: übernehmen. Sie dürfen keine Kompromisse ma- chen und niemals mit irgendeiner Erscheinungsform „Die Bewaffnung der Grenzpolizei macht ja nur von Nazis zusammenarbeiten. Sinn, wenn die Beamten auch die Erlaubnis ha- ben, diese Waffen notfalls auch einzusetzen – Nazis muss man klar benennen. Nazis stellen wir um zu warnen, zu verletzen oder letztlich auch, uns entgegen. Immer und überall – Hashtag „#kein- um zu töten“ fußbreit!“ Auf Nachfrage sagte er: (Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN) „Die Verteidigung der deutschen Grenze mit Waffengewalt als Ultima Ratio ist eine Selbstver- ständlichkeit.“ Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die Landesregierung Der Vorsitzende der AfD in Nordrhein-Westfalen spricht jetzt die Ministerpräsidentin. fordert einen Schießbefehl für die deutschen Gren- zen. Und zur Not sollen Flüchtlinge erschossen werden, wenn – das kommt auch in dem Interview Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Frau Präsi- vor – es mit Wasserwerfern und Tränengas nicht dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Da- geht, sie zurückzuhalten. men und Herren! Um was geht es heute in dieser

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10714 Plenarprotokoll 16/104

Aktuellen Stunde? Ich habe im Deutschlandfunk – Das halte ich aus. Keine Bange! Sie brauchen das „Interview der Woche“ gegeben, 25 Minuten – mich nicht zu bedauern. Das verbindet sich mit mei- gute Minuten, wie ich fand –, in denen man vieles ner Rolle. erklären kann. Das ist bei komplexen Fragestellun- gen, wie Sie es gerade richtigerweise angespro- Mir geht es darum, dass die Bürgerinnen und Bür- chen haben, Herr Marsching, viel Zeit und viel gute ger das sehr wohl durchschauen und dass sie sehr Zeit, die man gut nutzen kann. wohl differenzieren, wer sich wann welchen Debat- ten stellen sollte. In diesen 25 Minuten gab es eine Stelle, an der mich der Moderator, Herr Küpper, gefragt hat – ich Ich bin sehr dafür, dass wir in dieser Debatte zu zitiere –: mehr Sachlichkeit zurückkehren. „Ist es richtig von Frau Dreyer, nicht mit der AfD (Zuruf von der CDU: Machen wir! – Lutz Li- in einem TV-Duell reden zu wollen?“ enenkämper [CDU]: Das hat Herr Römer mit seinem Beitrag gezeigt! Das war der Beitrag Ich habe geantwortet – auch das zitiere ich –: von Herrn Römer zur Sache! – Weitere Zuru- fe von der CDU – Gegenrufe von der SPD) „Das ist ihre persönliche Entscheidung, die möchte ich auch nicht kommentieren. Ich habe Wir sollten uns als Politik gerade hier im Landtag für mich auch entschieden: Ich gehe nicht in nicht zu klein machen. Talkshows haben sicherlich Fernsehsendungen mit Vertretern der AfD. Das ihre Berechtigung. Sie können dazu beitragen, poli- muss aber jeder für sich selbst entscheiden in tische Inhalte und Positionen zu vermitteln, wenn es seiner Situation.“ möglich ist, dort sachliche Diskussionen zu führen. Aber ich bin auch der Meinung, dass diese Runden Die Überlegung, wie sich die Frage der Auseinan- häufig an ihre Grenzen stoßen, nämlich dann, wenn dersetzung mit der AfD in der heißen Wahlkampf- der Eindruck entsteht, als sei der Austausch von phase 2017 stellt, steht heute, rund anderthalb Jah- Kurzstatements und Halbsätzen, die es aufgrund re vor der nächsten Landtagswahl, gar nicht an. der zeitlichen Formate naturgemäß sind, in Leder- sesseln Politik. Das ist es nicht. Politik heißt, zu Ich sage Ihnen eines – das versichere ich Ihnen –: handeln und das Richtige zu tun. Die Landesregierung arbeitet Tag für Tag hart, da- mit sich die Frage der Beteiligung der AfD an Fern- (Lebhafter Beifall von der SPD – Beifall von sehduellen gar nicht erst stellt. den GRÜNEN und den PIRATEN) (Lebhafter Beifall von der SPD und den An diese Grenzen stoßen Talkshows in meinen Au- GRÜNEN) gen besonders in der Auseinandersetzung mit der AfD. Seit bekannt ist, dass wir diese Debatte hier So verstehen wir es, für die Werte dieses Landes führen, habe ich mir auf langen Zugreisen und auch und für die Demokratie zu kämpfen. So verstehen abends relativ viele Talkshows mit AfD-Beteiligung wir verantwortungsvolle Politik. noch einmal in der Mediathek angeschaut. Ich kann Aber es ist ja vorhin schon zum Ausdruck gebracht Ihnen sagen: Das ist nicht die Form von Auseinan- worden, warum man aus einem solchen Satz eine dersetzung, die wir alle uns wünschen; denn oft ist Aktuelle Stunde macht. gar nicht die Zeit und auch nicht der Raum, um Da- ten und Fakten dagegenzuhalten. Der Faktencheck Das durchschauen doch auch die Bürgerinnen und findet, wenn überhaupt, nach der Sendung statt und Bürger. Diejenigen, die uns zuschauen, ob im Netz geht an vielen Zuschauerinnen und Zuschauern oder auf der Tribüne, durchschauen doch, dass da- vorbei. hinter politisches Kalkül steht. Rechtspopulisten – ich bin zwar der Auffassung, (Zuruf von der CDU) dass viele von ihnen nicht nur Populisten sind, son- dern Extremisten, bleibe aber einmal bei dem Be- – Sie nicht; gut. – Das eine Kalkül heißt: Wir lenken griff „Rechtspopulisten“ – wie die AfD gebrauchen von der schwierigen Situation ab, die in Berlin zwi- einfache Sätze. Sie verwenden Reizworte wie „Lü- schen CDU und CSU zu beobachten ist. genpresse“ und „Schweigekartell“, und sie nutzen die Bühne, die ihnen geboten wird. (Zuruf von der CDU: Und SPD!) Meine Damen und Herren, ich möchte nicht Be- Wir lenken davon ab, dass wir in dieser Situation standteil eines Bühnenbildes sein, wenn sich ein keine einfachen Antworten haben. – Sie als Antrag- rechtsextremer und fremdenfeindlicher Deutschna- steller wollen davon ablenken. tionaler der AfD mit Deutschlandfahne in einem Politisches Kalkül ist auch, mich als Ministerpräsi- Sonntagabend-Talk inszeniert. Ich will mich nicht in dentin persönlich zu diskreditieren. einer Sendung empören, wenn der NRW-Landes- vorsitzende der AfD einen Schießbefehl auf Flücht- (Zurufe von der CDU: Oh!) linge fordert.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10715 Plenarprotokoll 16/104

Aber das hat er bisher ja auch nicht getan. Diese zurück ins Parlament. Das ist die Bühne der Nati- Forderung hat er lediglich in schriftlichen Interviews on.“ erhoben. Warum? Der demagogische Trick der AfD- Protagonisten ist doch ganz klar erkennbar. In den (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Talkshows mimen sie die biederen Saubermänner, Dass wir allerdings im Plenarsaal unseres Bundes- und in sozialen Netzwerken und auf Marktplätzen landes heute über Talkshows reden müssen, finde sind sie rechte Hetzer der allerübelsten Sorte. ich schon ein bisschen bizarr. Wir alle und die große (Lebhafter Beifall von der SPD – Beifall von Mehrheit in unserem Land wissen, dass in der AfD den GRÜNEN und Dr. Joachim Paul Ausländerfeinde, Gegner des friedlichen Miteinan- [PIRATEN]) ders von Einheimischen und Zugewanderten und Rechtsextreme zu Hause sind, die in Deutschland Es gelingt wahrlich nicht immer, das zu entlarven. nie wieder Verantwortung übernehmen dürfen. Herr Laschet, ich habe mir die Runde angeschaut, in der Sie mit Herrn Friedrich und Frau von Storch Wenn man einen zitieren kann, dann ist das Hans- von der AfD saßen. Olaf Henkel, finde ich. Schließlich kennt er den La- den von innen. Er hat in der „FAZ Online“ vom (Michele Marsching [PIRATEN]: Oh, Frau von 8. November 2015 gesagt, die AfD sei mittlerweile Storch!) zu einer „NPD light“ geworden. Ich zitiere: „Es Mich hat wirklich erschüttert, dass die Moderatorin macht mir Kummer, dass ich mitgeholfen habe, ein immer wieder Fragen an Sie mit den Worten „Herr richtiges Monster zu erschaffen.“ Das sagt derjeni- Friedrich und Frau von Storch sagen doch, dass …“ ge, der die Beteiligten sehr gut auch von innen her eingeleitet hat. kennt. Hier wird deutlich: Es ist ihnen gelungen, dieser Ich habe Zutrauen zu der Urteilsfähigkeit der Bürge- Wolf im Schafspelz zu sein. Sie werden eingereiht, rinnen und Bürger. obwohl sie in Wahrheit ganz andere Positionen ver- treten. Das ist etwas, was mich besorgt. Wir sollten es uns auch nicht zu einfach machen und meinen, es sei damit getan, uns in Talkshows (Zuruf von der CDU: Welche Sendung haben mit den vermeintlich einfachen Botschaften ausei- Sie denn gesehen? – Weitere Zurufe von der nanderzusetzen. Wir müssen das als tägliche Auf- CDU) gabe der Politik annehmen, um unsere Politik gera- de in der Flüchtlingsfrage intensiv darzustellen. Es – Ich habe die Sendung selbst gesehen. Schauen geht darum, das Richtige zu tun, selbstkritisch zu Sie sich noch einmal an, wie die Fragen eingeleitet sein, Fehler zu benennen und eben nicht den De- wurden. Die Formulierung habe ich ja gerade zitiert. ckel draufzulegen, sondern offen die Probleme an- Herr Kollege Laschet, Sie haben vorhin gesagt: Die zusprechen, die unser Land hat. Sender entscheiden, wen sie einladen; wenn ich Das tun wir. Wir kämpfen jederzeit mit unseren In- denn eingeladen bin, dann stelle ich mich der De- halten, mit dem was wir tun und mit einer klaren batte. – Ungefähr so war Ihr Wording. Haltung gegen die AfD. Machen Sie sich keine Sor- Ich kann Ihnen sagen: Ich bekomme viele Einla- gen, lieber Kollege Laschet. Ich sage auch deutlich, dungen in Sendungen. Zunächst einmal entscheide mit uns als Sozialdemokraten, der Partei von Otto ich, ob ich zu dem Thema etwas zu sagen habe. Wels, muss man nicht darüber reden, wie man mit Das machen nicht alle so. Rechtspopulisten und Rechtsextremen umgehen sollte. (Heiterkeit und Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN) (Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Dann entscheide ich auch danach, wer dort sitzt und welche Bühne ich wem bereite. (Armin Laschet [CDU]: Das macht doch je- Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau der!) Ministerpräsidentin. – Für die CDU-Fraktion hat Kol- lege Laschet das Wort. Jeder mag diese Entscheidung für sich selbst tref- fen. Ich habe meine Entscheidung so getroffen. Damit bin ich auch nicht alleine. Ich nenne hier nur Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kol- , und Volker leginnen und Kollegen! Frau Ministerpräsidentin, Sie Kauder, der bereits angesprochen worden ist. Er hat haben mit Otto Wels geschlossen, einem mutigem gesagt: „Mit denen möchte ich nicht in Talkshows Sozialdemokraten, der als einer der letzten vor der sitzen.“ Entscheidung über das Ermächtigungsgesetz 1933, als SA und SS schon bereitstanden, widerstanden Wo wir gerade bei der CDU sind: Wie hat doch der und dagegen gesprochen hat. Kollege so treffend gesagt? „Talk- shows schön und gut – aber die Politik muss wieder (Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10716 Plenarprotokoll 16/104

Wenn Sie Otto Wels in die Debatte einführen, muss bekommen und die AfD überflüssig machen, sodass ich sagen, der Unterschied zu ihm ist … wir im Jahr 2017 gar nicht mehr darüber diskutieren, ob wir eine AfD … (Zuruf Hans-Willi Körfges [SPD]) (Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Machen – Selbst bei Otto Wels können Sie nicht einmal eine die doch! – Zuruf von Hans-Willi Körfges Minute ohne Zwischenrufe zuhören. [SPD]) (Vereinzelt Beifall von der CDU) – Ja, das ist ja in Ordnung. Otto Wels hat gegen die Nazis gekämpft und gegen Dann haben Sie hier eine Philosophie über Talk- die Nazis gesprochen. Aber er hat nicht eine demo- shows angelegt. Man kann solcher und solcher kratische Partnerpartei in der Weise angegangen, Meinung sein. Man kann der Meinung sein, das wie es Ihr Vorsitzender Römer getan hat. Wir wer- deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm den das nicht akzeptieren, Herr Römer. sollte nur noch Filme und Unterhaltung spielen. (Beifall von der CDU – Michael Hübner (Torsten Sommer [PIRATEN]: Was soll diese [SPD]: Unverschämt! – Zuruf von Hans-Willi Überspitzung?) Körfges [SPD]) Diese wenigen politischen Fernsehsendungen, die Wir lassen Ihnen das nicht durchgehen. es mit unterschiedlichen Moderatoren, in unter- (Beifall von der CDU – Zuruf von Hans-Willi schiedlichen Formaten und in unterschiedlicher Körfges [SPD]) Qualität gibt, ist einer der wenigen Orte, an denen Millionen von Menschen in Deutschland politische Ich habe meine Rede ruhig und sachlich vorgetra- Argumente hören wollen. Warum man sich diesen gen. Ich habe die Sozialdemokraten im Europa- Debatten nicht stellt und dort nicht seine Politik er- wahlkampf gewürdigt. Ich habe das Thema „Essen“ klärt, erschließt sich mir nicht. Warum muss man so hier nicht ausgebreitet, sondern die besondere Lage abfällig über diese Sendungen reden? beschrieben, in der Medien und Politik in diesen (Beifall von der CDU – Michele Marsching Tagen stehen. Dann haben wir als Antwort so etwas [PIRATEN]: Vielleicht, weil sie einfach gehört. Herr Römer hat mit verfälschten Zitaten, die schlecht sind zum Debattieren?) er inzwischen genau kennt und die inzwischen kor- rigiert sind, etwas gegen einzelne Kollegen gesagt. Das sollte man dann wenigstens wie Norbert Lam- Und die Ministerpräsidentin stellt sich hierhin und mert konsequent machen, Frau Ministerpräsidentin. sagt kein Wort zu diesen unsäglichen Ausfällen von sagt: Ich gehe prinzipiell nicht in Herrn Römer. Das ist ein schwaches Signal. Talkshows. Das ist nicht mein kulturelles und intel- lektuelles Niveau. – Das verstehe ich auch bei (Beifall von der CDU und der FDP) Norbert Lammert. Sie hätten das Klima in diesem Landtag wieder ver- (Heiterkeit und Zurufe von der SPD – Stefan söhnen können, Frau Ministerpräsidentin. Sie ha- Zimkeit [SPD]: Das stimmt!) ben zu Herrn Römer geschwiegen. Sie haben er- neut gezeigt, Teile Ihrer Fraktion sind nicht mehr in – Nein, nein! Norbert Lammert in sich ist wenigstens der von Ihnen vorgetragen Tonlage. Sie sind wieder konsequent. Die Frau Ministerpräsidentin trägt hier abgetaucht, als es darauf angekommen wäre, sol- vor, warum Talkshows nicht das richtige Forum chen Angriffen zu widerstehen, wie sie Herr Römer sind. hier gemacht hat. (Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Für eine (Beifall von der CDU und der FDP – Dietmar Auseinandersetzung mit der AfD, Herr La- Bell [SPD]: Lächerlich!) schet!) Jetzt kommen wir zum zweiten Teil der Bemerkun- – Nein, Sie haben auch gesagt, Sie gingen da nicht gen. Wir haben gerade von Ihnen eine Philosophie so oft hin, weil das so verkürzt sei. Wir fragen uns über Talkshows gehört. In dem Interview im das alle in diesem Land, nachdem die Vorfälle in Deutschlandfunk war nicht von Talkshows die Re- Köln passiert sind: Warum sagen Sie denn den de, sondern von Fernsehsendungen in einem Zu- Journalisten im Land Nordrhein-Westfalen, dass Sie sammenhang mit der Wahl in Rheinland-Pfalz. Sie ihnen keine Fragen beantworten, wenn Sie diese haben es eben noch einmal vorgelesen. Indem Sie Auffassung haben? Warum tauchen sie zehn Tage das für sich schon prophylaktisch beantwortet ha- ab, und Ihr erster Auftritt erfolgt dann ausgerechnet ben, haben Sie jedem, der das Interview gelesen bei „Hart aber fair“? Das passt doch alles nicht zu- und gehört hat, signalisiert, Sie würden so wie Frau sammen. Das passt doch nicht zusammen! Dreyer nicht mit der AfD diskutieren. Da hat der Kol- (Beifall von der CDU) lege Lindner recht. Das war der ganze Zusammen- hang. Sie haben die damit groß gemacht. Auch un- Wenn mir das so wichtig ist, wäre ich vor die Lan- sere Politik der Großen Koalition in Berlin muss despressekonferenz gegangen und hätte mich den doch sehen, dass wir diese große Krise in den Griff Fragen der Journalisten gestellt. Wenn Sie argu-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10717 Plenarprotokoll 16/104 mentieren, man könne dort nicht so reden, es sei – so, wie ich das in der Sendung gesagt habe –, alles so verkürzt und man habe nur eine Stunde diskreditieren, nur, um hier einen Punkt zu setzen, Zeit, dann muss ich Ihnen sagen: Hier könnten Sie zeigt, Ihr Tellerrand besteht nur darin, hierzu ein zwei, drei Stunden sitzen und mit den Journalisten vorbereitetes Manuskript von Hasstiraden gegen die Ihre Thesen erörtern. CDU abzufeuern, Sie sind in dieser Frage nicht glaubwürdig. Sie sind (Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: zu „Hart aber fair“ gegangen und nicht zur Landes- Oh!) presse. anstatt anzuerkennen, dass Angela Merkel und (Beifall von der CDU – Zuruf von Jochen Ott Frank-Walter Steinmeier zusammen mit Russland [SPD]) alles tun, um die Ursache der Flüchtlingskrise, den Bürgerkrieg in Syrien, zu beenden. Dass Sie das in Jetzt kommt der dritte Punkt. Wir haben gewaltige dieser Weise hier runtermachen, billige Sprüche Worte von Herrn Römer und von Frau Kraft gegen machen, hat jeder hier gemerkt. Das war doch pure die AfD gehört. Vieles teile ich. Sie haben Herrn Ablenkung gegenüber dem, was Ihnen in Essen Höcke und viele andere zitiert. passiert, was Ihnen in den Medien passiert, was Sie regieren, Sie müssen für die innere Sicherheit in Ihnen in Ihrer Fraktion passiert. diesem Land sorgen. Wenn Ihnen das so ernst ist (Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU]) und wenn die so schrecklich, so rassistisch und so schlimm und alles, was Sie hier vorgetragen haben, Es gibt doch in Ihrer Fraktion Kollegen, die heute sind: Warum sagt dann der Sprecher des Innenmi- geäußert haben: Wir würden auch mit der AfD dis- nisters im November 2015 – also vor wenigen Wo- kutieren. Es gibt bei Ihnen genauso Leute, die sa- chen – auf eine Anfrage von Journalisten: Beobach- gen: Diese Haltung der Ministerpräsidentin ist tet eigentlich der Verfassungsschutz die AfD? falsch. (Minister Ralf Jäger: Nein!) (Marc Herter [SPD]: Belege!) Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen beo- Die Grünen haben das klar gesagt. Davon wollten bachtet immer noch Teile der Linken. Sie ablenken. (Zuruf von Minister Ralf Jäger) (Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU]) – Nein, die AfD ist in keinster Weise Beobachtungs- Es ist auch in Ordnung gegenstand. Es passt nicht zusammen, hier eine (Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]) solche Rhetorik aufzubauen, für einen Mehrheitsfraktionschef, dass er versucht, (Zuruf von Jochen Ott [SPD]) seine Regierung rauszureißen, aber es ist nicht in Aber mit den Mitteln, mit denen man mit Verfas- Ordnung, die Kollegen der CDU persönlich so zu sungsfeinden, wenn sie denn so sind, wie Sie sie diffamieren. Sie haben Ihrer Ministerpräsidentin beschrieben haben … heute einen Bärendienst erwiesen mit Ihrer Rede, die Sie hier im Plenum gehalten haben. (Jochen Ott [SPD]: Was erzählen Sie da?) (Anhaltender Beifall von der CDU und der Ich glaube, die Lage ist etwas differenzierter. Wenn FDP) Sie das so sehen, warum machen Sie hier nur Rhe- torik und machen da, wo Sie arbeiten könnten, nichts? Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion (Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad spricht Frau Kollegin Lüders. Mostofizadeh [GRÜNE]: Fragen Sie Herrn Kruse, Herr Kollege! – Stefan Zimkeit [SPD]: (Zurufe von der CDU) Stellen Sie sich doch da hin und sagen es! – Jochen Ott [SPD]: Zu Herrn Kruse!) Nadja Lüders (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Das alles ist vorne und hinten nicht glaubwürdig. Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Laschet, mit Ihrem Antrag zur Eine Bemerkung möchte ich auch noch machen. Aktuellen Stunde „Die Landesregierung darf gegen- Tiefpunkt hat ja bei Ihnen nie eine Grenze nach un- über Rechtspopulisten nicht schweigen“ haben Sie ten, Herr Römer. Aber dass Sie den dringlichen sich einen Bärendienst erwiesen. Wunsch, Fluchtursachen im Herkunftsland zu be- kämpfen, wo jetzt Ihr Außenminister Steinmeier froh (Beifall von der SPD) ist, dass Russland mit am Tisch ist, dass Iran und Saudi-Arabien an der Lösung des Syrienkonflikts Sie haben hier weder eine Erklärung gefunden zu mitwirken dem, was Ihnen von Ihrem Fraktionskollegen Theo Kruse vorgehalten worden ist, noch haben Sie seit (Zuruf von Norbert Römer [SPD]) 2014 jemals Stellung bezogen, wie es sein konnte,

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10718 Plenarprotokoll 16/104 dass die CDU in Köln-Porz zugelassen hat, sich mit Da werfen Sie unserem Fraktionsvorsitzenden hier Unterstützung der verfassungsfeindlichen Partei Pro Polemik vor? NRW zum Bezirksbürgermeister wählen zu lassen. (Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU]) (Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- rufe von der CDU) Ich finde, Sie müssen in Ihren eigenen Reihen für Ordnung sorgen, Herr Laschet. Wer hier schweigt, ist die CDU, das ist die CDU aus den eigenen Reihen. (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) (Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU]) Wenn man den Ausführungen von Herrn Friedrich am vergangenen Sonntag sehr genau zuhört, dann Unsere Ministerpräsidentin hat in Essen klar Kante stellt man fest, dass er die Rhetorik der Rechtspo- gezeigt und sehr klare Worte in der direkten Ausei- pulisten sehr genau bedient, indem er von „Überfor- nandersetzung gefunden. derung“ und „chaotischen Zuständen“ spricht. Sie sind doch in der Pflicht, auch Sie als stellvertreten- (Josef Hovenjürgen [CDU]: Wissen Sie, was der Parteivorsitzender, endlich dafür zu sorgen, Sie da sagen?) dass wir das, was wir im Bund in der Großen Koali- Wir stellen uns den Rechtspopulisten, tion beschlossen haben, endlich umzusetzen. Denn was wird von Demokraten verlangt? – Nicht die (Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie?) Missstände hochjubeln, keine Verunsicherung Sie tun es nicht. schaffen. Ich möchte die ersten zwei Zeilen eines Lieds der Gruppe „Silbermond“ zitieren: (Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich!) „Gib mir ein kleines Stück Sicherheit in einer Welt, in der nichts mehr sicher scheint.“ Populismus lässt sich nicht mit Populismus bekämp- fen, Herr Hovenjürgen. Er lässt sich so nicht be- Es ist Aufgabe von Politik, dafür zu sorgen und sich kämpfen. nicht auseinanderdividieren zu lassen. Wenn man in die Begründung Ihres Antrags schaut, Ein Blick ins Nachbarland Frankreich zeigt, die Er- gebe ich Ihnen völlig recht, dass man sich mit der starkung des Front National ist deshalb erfolgt, weil AfD argumentativ auseinandersetzen muss. demokratische Parteien meinten, dem Front Natio- nal gegenseitig mit populistischen Äußerungen den (Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU]) Rang abzulaufen. Das ist gescheitert. Man muss sich nur die Missstände in den Vororten anschauen. Aber Herr Laschet, schauen wir uns doch die Sen- dung „ANNE WILL“ am Sonntag noch einmal an. (Zuruf von Ralf Witzel [FDP]) Sie mussten sich argumentativ mit Ihrem Unionskol- legen Friedrich auseinandersetzen. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Wir müs- sen gemeinsam daran arbeiten, mit heißem Herzen, (Zurufe von der CDU) aber kühlem Kopf die Missstände in diesem Land zu bekämpfen. Das ist unsere Aufgabe. Und dabei Wir geben Ihnen in Punkten, was Obergrenzen und dürfen wir nicht darin verfallen, die Rhetorik von Grenzschließungen angeht, völlig recht. Der Vertre- Rechtspopulisten zu benutzen. Wir müssen die terin der AfD, Frau von Storch, haben Sie rhetorisch Probleme in diesem Land lösen. Wie gesagt, Herr geschickt geantwortet: Ihre Untergrenze an Niveau Laschet: Setzen Sie sich auf Bundesebene dafür ist überschritten. – Eine argumentative Auseinan- ein, dass wir das endlich tun. dersetzung war das aber gerade nicht. Der Anspruch von demokratischen Parteien muss (Beifall von der SPD – Zuruf von Armin La- Haltung sein. schet [CDU]) – Wo, Herr Laschet? (Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das haben wir bei Herrn Römer erlebt!) Mit Verlaub des Präsidenten möchte ich zitieren. Sie haben in der Sendung „ANNE WILL“ den Vorschlag Die Haltung hat Frau Ministerpräsidentin Kraft gera- von Frau Klöckner gelobt. Ich möchte gern von de am Rednerpult sehr deutlich gemacht. Von da- Ihnen hören, was Sie zu dem folgenden Zitat von her ist das, was Sie mit dieser Aktuellen Stunde Frau Klöckner sagen. Ich zitiere aus dem „Pfälzi- durchsichtig versucht haben, sie vor irgendeinen scher Merkur“: Karren zu spannen, völlig misslungen. Wir zeigen Haltung. „Ich mag natürlich auch keinen, der sich mit ei- nem Hitlergruß ablichten lässt und Anführer ei- Wir laden Sie ein, das auch zu tun. Lassen Sie uns ner Pegida-Demonstration ist. Dennoch ist das endlich damit aufhören, darüber zu reden, wer wann Recht auf freie Meinungsäußerung (…).“ wo mit wem in welchen Talkshows sitzt. Wir haben Probleme in diesem Land, in der gesamten Bundes- So Frau Klöckner. republik zu lösen und uns nicht darüber auszulas-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10719 Plenarprotokoll 16/104 sen, wie wer auftritt. Die Sozialdemokratie zeigt Hal- Da haben mich, Frau Lüders, die Journalisten ge- tung: Kein Fußbreit den Faschisten! fragt – vorletzte Woche die „Welt“ –: Herr Lindner, wie finden Sie eigentlich, dass der SPD-Vorsitzende (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) öffentlich im AfD-Slang seine Interviews gibt? – Ich habe eben schon gesagt: Der hat Verständnis für Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, deutsch-nationale Bewegungen. Er war bei Pegida Frau Kollegin Lüders. – Für die FDP-Fraktion spricht als Privatmann mit Lederjacke. Herr Kollege Lindner. (Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Liebe Ich sage Ihnen, warum ich das hier so ausführe, Kolleginnen und Kollegen! Zwei Punkte will ich noch Frau Lüders: Wenn Sie immer wieder sagen, Herr unterstreichen; daran ist mir am Ende dieser Debat- Friedrich und Herr Stoiber seien Rechtspopulisten, te gelegen. dann verniedlichen Sie die wahren Rechtspopulis- ten und Rechten! Zum einen: Frau Ministerpräsidentin, Sie haben ge- sagt, Sie seien Politikerin nicht um in Ledersesseln (Beifall von der FDP und der CDU – Nadja in Talkshows zu sitzen, sondern um zu gestalten. Lüders [SPD]: Nein!) Da sind wir doch genau beim Kern des Problems. Die Rechtspopulisten werden groß, weil viele Men- – Doch! Das müssen Sie jetzt einmal aushalten, schen, auch solche, die keine Ressentiments und Frau Lüders, was ich Ihnen sage. keine neonazistische Einstellung haben, das Gefühl (Jochen Ott [SPD]: Trotzdem Quatsch! Gro- entwickeln, es wird eben nicht gestaltet, die Prob- ber Unsinn!) leme werden eben nicht angefasst. Ich habe es eben gesagt, ich wiederhole es: Wenn Um unsere Talkshowerfahrungen einmal herauszu- über Monate innerhalb der Großen Koalition CDU, arbeiten: Ich war am Montag bei „Hart aber fair“. Da CSU und SPD nicht auf einen Nenner kommen, habe ich gesagt: Wir müssen zurück zum Rechts- dann ist das ein Problem, Frau Lüders, das man in staat kommen und zum europäischen Recht. – einem Parlament ansprechen muss. Da kann man Dann flüstert Elmar Brock: Was der Lindner gesagt nicht sagen, das sei ein Fehler. hat, das sei ja wohl AfD. – Ich sage Ihnen: Wenn wir das, was man politisch korrekt sagen darf, immer (Beifall von der FDP) weiter einengen, dann führt auch das dazu, dass die Ränder stark werden, weil die Menschen Diskurs- Herr Mostofizadeh hat gesagt, man müsse an die verbote von Ihnen nicht akzeptieren. Ursache des Rechtspopulismus heran. Ich bin weit davon entfernt – meine Partei ist die einzige Partei, (Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von die einen Beschluss „Unvereinbarkeit mit Pegida“ der CDU – Jochen Ott [SPD]: Peinlich ist und einen Beschluss, kein ehemaliges AfD-Mitglied das! – Weitere Zurufe von der SPD und den in die FDP aufzunehmen, gefasst hat –, die Leute GRÜNEN) reinzuwaschen. Aber wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass sich über 10 % vorstellen können, die Partei zu wählen. Darunter sind auch viele ehe- Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, malige Wähler von Union, SPD, in Baden- Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Die Grünen Württemberg der Grünen und auch meiner Partei. spricht Frau Kollegin Schäffer. Die bekommt man nur dann zurück, wenn man in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Und dazu for- (Unruhe) dere ich Sie auf, Frau Kraft, Armin Laschet: – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat (Beifall von der FDP) jetzt Frau Kollegin Schäffer. Macht das! Löst die Probleme! Fasst die an! Jetzt meine zweite Bemerkung: Herr Mostofizadeh Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe und Frau Lüders, Sie haben auch wieder versucht Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mir viel häufi- darzustellen, die ganze heutige Debatte sei biswei- ger klare Positionierungen von CDU und FDP ge- len verantwortungslos. Was das für ein Bild ist, gen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in wenn die einen den anderen vorwerfen: „Ihr habt diesem Hause wünschen. einen Kollegen, was der gesagt hat, ist Rechtspopu- lismus“, und dann kommt zurück: „Aber Sie haben Herr Lindner, wenn die FDP Unvereinbarkeitsbe- doch auch schon einmal dies und das gesagt. Das schlüsse über Pegida und die FDP fasst, dann ist doch AfD.“ Ich habe in der letzten Zeit mehrere muss ich Ihnen sagen: Das brauchen wir als Grüne Interviews gegeben. nicht, weil wir da klar positioniert sind und weil es für uns klar ist, dass Leute, die bei Pegida mitlaufen, (Zuruf von Nadja Lüders [SPD]) nicht Mitglied bei den Grünen sein können.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10720 Plenarprotokoll 16/104

(Beifall von den GRÜNEN – Christian Lindner Brandstifterinnen in dieser Sache. Sie stellt eine Ge- [FDP]: Was sagen Sie denn zu Boris Pal- fahr für unsere demokratische Gesellschaft dar. mer?) Herr Laschet, Sie haben nicht recht damit, wenn Sie Aber Ihnen geht es ja ganz offensichtlich nicht da- hier vorwerfen, der Verfassungsschutz würde die rum, hier darüber zu diskutieren, wie wir mit AfD in keinster Weise beobachten oder im Blick ha- Rechtsextremismus, mit Rassismus und Rechtspo- ben. Das stimmt so nicht. Da müssen auch Sie dif- pulismus umgehen müssen und welche Strategien ferenzieren. Wir haben Herrn Freier in der offenen wir dagegen haben. Der Kampf gegen Rechtsext- PKG-Sitzung danach gefragt. remismus kann sich doch nicht darauf beschränken, Natürlich guckt sich der Verfassungsschutz die of- in Talkshows zu gehen. Das kann doch nicht Ihr fenen Quellen, die offenen Materialien, die über die Ernst sein! Wir müssen doch in diesem Bereich viel AfD vorliegen, an. Aber natürlich muss der Verfas- mehr machen. sungsschutz auch im Verbund prüfen, ob er nicht Ihnen geht es hier darum, die Landesregierung an- auch in die nachrichtdienstliche Beobachtung ein- zugreifen. Es ging Ihnen bei der Debatte um Ho- steigt. Das muss fortwährend geprüft werden, je GeSa, die wir im Oktober 2014 hier geführt haben, nachdem, wie sich die AfD weiterentwickelt. Natür- auch nicht um die Gewaltbereitschaft des Rechts- lich muss man auch prüfen, ob nicht zumindest Tei- extremismus. So geht es Ihnen heute hier auch im lorganisationen in die Beobachtung sollen. Kern nicht um die Gefahr des Rechtspopulismus. Denn natürlich kann der Verfassungsschutz nicht Ihnen geht es einzig und allein darum, die Landes- die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung gegen regierung anzugreifen. rechts führen. Aber es wäre ein starkes Signal, dass (Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den es sich hier bei der AfD mitnichten um eine Partei PIRATEN) innerhalb des demokratischen Spektrums handelt. (Beifall von den GRÜNEN) Ich würde mir wünschen, dass wir als Demokratin- nen und Demokraten gerade in solch einer Situati- Die Landesregierung und auch die sie tragenden on, in der die AfD als rechtspopulistische Partei sol- Fraktionen müssen sich ganz sicherlich nichts vor- che Umfragewerte erreicht, in der sich Bürgerweh- werfen lassen, was das Engagement gegen rechts ren gründen, in denen sich Rechtsextreme tummeln angeht. Ich erinnere nur an die Einrichtung der Op- und von ihnen angezogen fühlen, in der es massive ferberatungsstellen. Wo war eigentlich die CDU bei Angriffe auf Flüchtlingsunterbringungen und eine der Abstimmung darüber, Verachtfachung der Zahl der Angriffe auf Flücht- lingsunterbringungen gibt, hier zusammenstehen (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) und gegen den Rechtspopulismus arbeiten. ob wir die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt (Beifall von den GRÜNEN) einführen? Wir haben die mobilen Beratungsteams mit Finanzmitteln gestärkt. Wir finanzieren die Aus- Man muss klar sagen, dass einige Mitglieder, auch steigerprogramme. Wir sind gerade dabei, ein führende Mitglieder der AfD, offen rassistische, is- Handlungskonzept lamfeindliche, völkische Ansichten propagieren, oh- ne dass diese Äußerungen in der Partei wirklich (Zuruf von Armin Laschet [CDU]) sanktioniert werden. Auch Marcus Pretzell, der AfD- gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu ent- Vorsitzende in Nordrhein-Westfalen und Europaab- wickeln. Bei diesem Programm gegen Rechtsext- geordnete, sieht den Gebrauch von Schusswaffen remismus und Rassismus hat ein breites Beteili- zur Abwehr von Flüchtlingen an der Grenze als ge- gungsverfahren der Zivilgesellschaft gegeben – in rechtfertigt an. Er bezeichnet sogar die AfD als eine Regionalkonferenzen, in den Regierungsbezirken. Pegida-Partei. Dazu waren wir alle als Abgeordnete eingeladen. Wo waren Sie von der CDU eigentlich? Da muss man ganz klar sagen: Pegida ist in Nord- rhein-Westfalen mittlerweile eine rechtsextreme Or- (Zurufe von Armin Laschet [CDU] und Josef ganisation. Es gibt hier keine klare Abgrenzung der Hovenjürgen [CDU]) AfD zu Pegida. Ganz im Gegenteil: Marcus Pretzell sagt sogar noch, die AfD ist eine Pegida-Partei. Ich war bei vielen dieser Konferenzen. Sie waren nicht da. Ich will nur noch einmal an Folgendes erinnern. Ich habe gerade schon die Zahlen der Angriffe gegen (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) Flüchtlingsunterbringungen genannt. Man muss Sie fehlen bei den Demonstrationen gegen rechts sich doch mal angucken, wann die gestiegen sind. und in den Bündnissen gegen Rechtsextremismus. Das war im vierten Quartal 2014. Das ist zeitlich Das müssen Sie sich vorwerfen lassen. deutlich in Verbindung zu bringen mit dem Auf- kommen der Pegida-Demonstrationen. Da muss (Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den man klar sagen: Die AfD gehört zu den geistigen PIRATEN)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10721 Plenarprotokoll 16/104

Ich finde es im Übrigen auch deshalb so fatal, dass Unsere Haltung hingegen war immer eindeutig, und Sie in diesen Bündnissen fehlen, obwohl Sie natür- sie bleibt auch eindeutig. Wir Piraten stehen zum lich zur Mitarbeit eingeladen sind – wir würden uns Grundgesetz. Wir stehen zum Asylrecht, und das wünschen, dass Sie da mitarbeiten –, weil ich mei- kennt keine Obergrenzen. ne, dass wir Demokratinnen und Demokraten gera- de in einer solchen Situation – das sagte ich (Beifall von den PIRATEN und der SPD) schon – zusammenstehen müssen. Das Schlimme hier im Landtag ist, dass wir Piraten Wir müssen uns doch mit Alltagsrassismus beschäf- anscheinend die einzig verbliebene Pro-Asyl-Partei tigen, mit Rechtsextremismus, mit Rechtspopulis- sind. mus. Aber darum geht es Ihnen im Kern überhaupt (Zurufe) nicht. Das finde ich auch ziemlich beschämend. Wir dürfen nie vergessen, wann das Grundgesetz in (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) seiner ursprünglichen Fassung formuliert wurde. 1949 war vielen Menschen noch gegenwärtig, dass Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, von der Gewährung von Asyl das eigene Überleben Frau Kollegin Schäffer. – Für die Fraktion der Pira- abhängen kann. 1993 war das alles bereits verges- ten spricht der Kollege Marsching. sen; da wurde das Recht auf Asyl eingeschränkt. Und jetzt reden alle von noch weitergehenden Be- schränkungen. Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Statistisch gesehen sind wir die jüngste Partei in Damen und Herren auf der Tribüne und zu Hause! diesem Landtag. Es ist unglaublich, dass ausge- Oft wird uns ja hier vorgeworfen, dass wir zum zwei- rechnet wir die anderen Fraktionen auf die Notwen- ten Redeteil noch einmal eine Rede wirklich vorbe- digkeit von Asyl hinweisen müssen. Wir verleugnen reitet haben. Ich muss sagen: Heute passt das. Ich die Geschichte nicht. Bitte, bitte tun auch Sie das kann meine Rede genauso vorlesen. Ich habe ge- nicht! Lernen Sie aus der Geschichte! nau mit diesem parteipolitischen Kleinklein gerech- (Zuruf von Christian Lindner [FDP]) net. Das ist total super. Ich bringe Ihnen ein prominentes Beispiel. Ohne die Deswegen wiederhole ich es noch einmal: Nazis Einführung einer Obergrenze hätte Anne Frank die muss man Nazis nennen. Und was noch viel wichti- Nazi-Herrschaft wahrscheinlich überlebt. Mit einer ger ist: Man darf den Nazis nicht hinterherlaufen. Obergrenze wiederholt sich die Geschichte. Ich zi- Denn die AfD ist nicht das alleinige Problem. Viel tiere „SPIEGEL ONLINE“ aus der Rubrik „einesta- problematischer ist die schleichende Übernahme ges“, erschienen gestern, am Internationalen Holo- von Positionen der AfD und der Pegida durch die caust-Gedenktag: etablierten Parteien, und diese Tendenz zeichnet sich ab: bei der CSU sehr deutlich und leider auch „Obwohl die Juden in Europa massiv bedroht bei der Schwesterpartei, der CDU. Ich sage nur: wurden, wichen die USA nicht von ihrer Quoten- Transitzonen, Grenzzentren, Obergrenzen und Kon- regelung ab: Für Deutschland und Österreich tingente. war die Obergrenze auf jährlich rund 27.000 Personen festgesetzt. Daran änderte auch die Der CSU-Chef sagt 2015: Wir sind von US-Präsident Roosevelt einberufene Konfe- nicht das Sozialamt für die ganze Welt. Die NPD hat renz von Évian im Juli 1938 nichts. Die Vertreter mit diesem Spruch 2013 bei der Bundestagswahl von 32 Nationen waren außerstande, sich auf auf Plakaten geworben. ein gemeinsames Flüchtlingsprogramm zu eini- (Zuruf von der SPD: Exakt!) gen – de facto schlossen sie ihre Grenzen.“ Die AfD hat mit dem Spruch „Wir sind nicht das An irgendetwas erinnert mich das. Weltsozialamt“ auf Plakaten geworben. 1992 in Ho- Seit April 1941 hat der Vater von Anne Frank, Otto yerswerda wurde dieser Spruch von Neonazis ge- Frank, versucht, ein Visum in den USA zu bekom- prägt. Wer diesen Spruch einfach so wiederholt – men. Aber die Zahl der jüdischen Flüchtlinge, die in sorry –, der fischt nicht mehr am rechten Rand. Da die USA ausreisen wollten, war schon im Jahr 1939 springt ein ach so angesehener Politiker einfach auf mehr als 300.000 gestiegen. Und durch die mittenrein in den Teich. Obergrenze hatte nur ein verschwindend geringer (Beifall von den PIRATEN und der SPD) Teil überhaupt eine reelle Chance auf die Einreise als Flüchtling. Da gibt es die Forderungen in Anträgen von CDU, CSU, FDP, leider auch bei den Grünen, die im Bun- Ein internes Memorandum des US-Außenamts be- desrat die Zustimmung zur Verschärfung des Asyl- weist, dass die USA vor allem eine Weisung an alle rechts geben. Oder nehmen Sie Noch-Minister Jä- Konsulate gegeben hatten: die Vergabe von Visa – ger mit seinen Zitaten nach den Ereignissen in der ich zitiere – „zu verzögern und verzögern und ver- Silvesternacht. zögern“. Und Otto Frank hatte beste Beziehungen,

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10722 Plenarprotokoll 16/104 sogar bis in den Freundeskreis des US- „Es wäre gut, wenn die Frau Ministerpräsidentin Präsidenten. Aber all das hat nicht geholfen. für die Werte dieses Landes, für die Demokratie kämpfen würde – gegen die AfD und auch mit Am 6. Juli 1942 musste die Familie untertauchen, der AfD.“ am 4. August 1944 wurde sie festgenommen, An- fang September nach Auschwitz deportiert – mit Ich weiß, dass Sie das so nicht gemeint haben, Herr dem letzten Zug, der von Holland aus in die Ver- Laschet. Ich sage nur: Solche Wortklaubereien von nichtungslager rollte. Sätzen, die man in einem fünfundzwanzigminütigen Interview, in einem Statement, um eine Aktuelle Ich weiß nicht, was man tun muss, um an Mensch- Stunde anzukündigen, so sagt – das ist etwas, was lichkeit, Brüderlichkeit, Nächstenliebe zu appellie- nicht unbedingt die Politik in diesem Land darstellt. ren. Wenn ich zwischendurch innehalte und mir die Das ersetzt auch nicht Politik. Wir müssen handeln, aktuellen täglichen Nachrichten ansehe, dann wird wir müssen Ordnung in die Verfahren bringen! mir anders. Indem heutige Politik die einfachen Lö- sungen und das rassistische Wording von Nazis, (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) von Rassisten, von menschenverachtenden Partei- en aufnimmt, über Grenzzentren in Griechenland Wir müssen die richtigen Schritte gehen beim The- redet – bloß weit weg von uns, bloß nicht durch Eu- ma „Integration“. Darüber müssen wir uns hier in ropa ziehen lassen! Grenzen dichtmachen! Transit- diesem Hause auseinandersetzen. Zur Demokratie zonen! Reisezentren! Obergrenzen! Kontingente! –, gehören Auseinandersetzung und Streit um indem sie den Nazis von der AfD bis zur NPD das Sachthemen. Wir müssen darüber diskutieren: Wie Wort redet, stärkt sie nicht die eigene Wählerschaft, stärken wir die innere Sicherheit? gewinnt kein Vertrauen in die Politik. So stärkt man (Zurufe von der CDU, von der FDP und von nur die Profiteure in dieser politischen Krise, und Christian Lindner [FDP]) man lässt Menschen in Not im Stich – so wie die Familie Frank im Stich gelassen wurde. – Herr Lindner, ja, das haben wir doch getan! Wir haben hier doch ein Paket vorgelegt. Entschuldi- (Beifall von den PIRATEN und von Michael gung, von Ihnen lasse ich mir da gar nichts sagen! Hübner [SPD]) Jetzt werde ich auch mal sauer! (Fortgesetzt Zurufe von der CDU und der Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, FDP) Herr Kollege. – Das Wort hat Frau Ministerpräsiden- tin Kraft. Diejenigen, die hier den schlanken Staat vertreten haben, jammern jetzt, dass nicht genug Polizisten auf der Straße sind! Das ist Verlogenheit! Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Liebe Kolle- ginnen und Kollegen! Ich bleibe dabei: Das Gebot (Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den der Stunde ist, politisch zu handeln. Das ist das PIRATEN – Jochen Ott [SPD]: So ist es!) beste Programm gegen die dumpfen Parolen der Jetzt ist mal gut im Karton hier! Dann stehen Sie AfD. Wichtig ist, dass wir sachlich an die Dinge her- doch dazu, dass Sie da Fehleinschätzungen vorge- angehen, nommen haben. (Zurufe von der CDU) (Fortgesetzt lebhafte Zuruf von der CDU) dass wir keine Scheindebatten führen, auch nicht Stehen Sie doch dazu, dass es falsch war, die Zahl dauernd Scheinlösungen präsentieren, von denen der Stellen bei der Polizei wegzustreichen! Stehen alle beteiligten kundigen Thebaner wissen, dass sie Sie dann doch dazu in diesem Haus! Wir alle ma- keine Lösungen sind. chen Fehler. Wichtig ist, dass wir keine Politiksimulation betrei- (Anhaltende Unruhe) ben. Wir sollten auch aufhören mit Halbsatzklaube- reien, wie sie hier und heute wieder stattfinden, mit Geben Sie doch zu, wenn Sie Fehler gemacht ha- Wiederholungen von Dingen, von denen man weiß, ben! Ich gebe Fehler auch zu. Ich habe gar kein dass sie nicht stimmen, Herr Kollege Laschet – von Problem damit. – Herr Römer geht gleich selber wegen „zehn Tage abtauchen“. Sie wissen, dass rein. Der braucht nicht mich als Sprachrohr. So, das so nicht ist. Und es bringt auch politisch nichts, damit können wir den Teil der Debatte schon mal wenn Sie das dauernd wiederholen. abschließen! (Zurufe von der CDU und der FDP) (Fortgesetzt lebhafte Zurufe von der CDU – Anhaltende Unruhe) Böswillige Interpretationen von Halbsätzen können wir von beiden Seiten aus vornehmen. Die dpa Es geht um die Frage ... meldet im Zusammenhang mit Ihrer Ankündigung (Anhaltende Unruhe) dieser Aktuellen Stunde – Zitat – den Satz – und dieses Zitat steht –: Der geht da gleich rein!

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10723 Plenarprotokoll 16/104

(Fortgesetzt lebhafte Zurufe) Ich habe darauf hingewiesen, dass Sie beklagen – das hat Ihr Kollege gerade durch seinen Zwischen- Wir werden nur dann zu einer sachlichen Diskussi- ruf getan –, dass die innere Sicherheit in diesem on zurückkommen, wenn wir alle auch den Mut ha- Land ein Problem ist, weil wir nicht genug Polizisten ben, unsere eigenen Fehler auf den Tisch zu legen. auf der Straße haben. Ich bitte um Entschuldigung, Und wenn wir auch mal Vorschläge von der Opposi- dass ich dann hier in diesem Hause, wo die Öffent- tion annehmen, die gut sind – in einer anderen Situ- lichkeit zuhört, noch mal klarstellen muss, warum ation –, gehört das ebenfalls zu einer guten politi- wir nicht genug Polizisten auf der Straße haben. schen Debatte. Das gehört zu einer inhaltlichen Auseinanderset- (Zuruf von Christian Lindner [FDP]) zung dazu. Das müssen Sie aushalten, lieber Kolle- ge Lindner. – Ein Satz noch, Herr Lindner – ganz sachlich, ganz ruhig. (Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank – Zurufe (Lebhafte Zurufe von der FDP) von der FDP) – Ja, sorry, Entschuldigung – aber: Wir bauen die Polizei wieder auf, und dann reden Sie davon, dass Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, die innere Sicherheit in diesem Land eine Lücke Frau Ministerpräsidentin. hat, weil wir nicht genug Polizisten auf der Straße haben! Dass mich das wütend macht, dafür bitte ich (Unruhe) mal um Verständnis! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ihre (Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Aufmerksamkeit. – Für die CDU-Fraktion spricht Christof Rasche [FDP]: Wir haben die aufge- Herr Kollege Lienenkämper. baut! – Weitere Zurufe von der FDP) (Christof Rasche [FDP] und Christian Lindner Herr Lindner, Sie haben gerade berichtet, was Sie [FDP] tauschen sich mit Ministerpräsidentin in den letzten Tagen in dieser Fernsehsendung ge- Hannelore Kraft aus.) sagt haben. Ich habe da gesessen ... Ich habe die Sendung nicht gesehen, aber ich habe gestutzt. Ich Das Wort hat Herr Kollege Lienenkämper! will Ihnen nur den Rat geben: Wenn Sie sagen: Wir müssen … Lutz Lienenkämper (CDU): Herr Präsident! Meine (Christian Lindner [FDP]: Ich nehme keinen sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Mi- Rat an, Frau Kraft! – Zurufe von der SPD) nisterpräsidentin, Sie hätten jetzt die Gelegenheit – Sie nehmen keinen Rat an. Ich meine das ganz gehabt, in aller Ruhe noch einen Sachbeitrag zu sachlich, und ich glaube, dass Sie das gar nicht so dieser wichtigen Diskussion zu leisten. Stattdessen meinen, wie es ankommt. arbeiten Sie sich bis in den Beginn meiner Rede hinein noch an der FDP ab. Ist das eigentlich Ihr Wenn Sie sagen: „Wir müssen zurück zum Rechts- zentrales Problem des heutigen Tages? staat“, dann heißt das, dass wir im Moment nicht in einem Rechtsstaat leben. (Beifall von der CDU und der FDP) (Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE]) Frau Ministerpräsidentin, wir haben heute einen Vorgang erlebt, der für unser Haus nach meinem Das ist eine Aussage, die wir hier gemeinsam nicht Dafürhalten seit vielen Jahren einzigartig ist. Hier ist tätigen sollten. die Volkspartei CDU mit rechten Hetzern und mit (Lebhafter Beifall von der SPD und den unerträglichen Populisten auf eine Stufe gestellt GRÜNEN) worden. Wir können darüber reden, wie wir den Rechtsstaat (Zuruf von der SPD: Nein!) noch handlungsfähiger machen. Aber zu sagen, dass es ihn nicht gibt, ist auch Wasser auf die Müh- Herr Römer, das haben Sie gemacht! Sie haben len der AfD. Deshalb müssen wir alle mit unseren damit den Konsens aller Demokraten verlassen! Äußerungen vorsichtig sein. (Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf (Zuruf von Christian Lindner [FDP] – Weitere von den PIRATEN – Zurufe von der SPD) Zurufe von der FDP) Diese Debatte wäre heute die Chance gewesen, – Ich habe Ihnen nicht gesagt, dass Sie den dass der Landtag Nordrhein-Westfalen sich ge- Staat … Wissen Sie, das sind so die bewussten meinsam gegen diejenigen wendet, die unsere De- Fehlinterpretationen. mokratie gefährden. (Zuruf von der SPD: Genauso ist es!) (Zuruf von den PIRATEN: Tun wir ja!)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10724 Plenarprotokoll 16/104

Es wäre die Möglichkeit gewesen, sich gemeinsam der AfD gleichgesetzt. Es ist mir auch wichtig, das gegen diejenigen zu wenden, die den Zusammen- zu betonen. Aber ich habe in meiner Rede darauf halt unserer Gesellschaft gefährden. hingewiesen, dass es in Ihrer Fraktion Mitglieder gibt – Kollege Mostofizadeh hat das ebenfalls mit (Zuruf von Torsten Sommer [PIRATEN] – Zitaten belegt –, die mit ihren Aussagen den Weitere Zurufe) Rechtspopulisten in der AfD Vorschub leisten. Herr Römer, Sie haben diese Chance heute vertan. Sie haben sich selbst und Ihre Fraktion ins Abseits (Widerspruch von der CDU) gestellt. Hören Sie damit auf, und schämen Sie sich! Deshalb will ich Sie noch einmal damit konfrontie- (Beifall von der CDU und der FDP) ren. Frau Ministerpräsidentin, Sie haben die Rede von Meine Damen und Herren von der CDU, ich zitiere Herrn Römer mit versteinerter Miene angehört. Sie aus dem Landtagsprotokoll vom 19. März den Kol- haben mit verschränkten Armen dagesessen, als legen Theo Kruse zum Tagesordnungspunkt 4: der Fraktionsvorsitzende der SPD geredet hat. Frau (Zuruf von der CDU: Das wird ja immer Ministerpräsidentin, Sie sind nicht nur Ministerpräsi- schlimmer!) dentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Sie sind auch Landesvorsitzende der SPD in Nordrhein- „Mit der Religion ist in Zukunft zu rechnen, das Westfalen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie dafür heißt also, auch mit dem politischen Sprengstoff, sorgen, dass Herr Römer sich bei uns entschuldigt. den sie in sich birgt. Für den Islam gibt es keine (Beifall von der CDU – Daniel Düngel Unterscheidung zwischen Religion und Politik. [PIRATEN]: Es sollen sich die Rechtspopulis- Tatsächlich hat die Einheit von Politik und Reli- ten entschuldigen!) gion einen alles überwölbenden Rahmen für das muslimische Selbstverständnis geliefert. Er tut es noch heute – ja, er wird mit neuer Energie be- Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, trieben. Herr Kollege Lienenkämper. – Für die SPD-Fraktion spricht der Fraktionsvorsitzende Herr Römer. Zum Verständnis der Weltordnung des politi- schen Islam empfehle ich das Interview mit dem vatikanischen Islamexperten Christian Troll vom Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr 1. März 2015, nach dessen Einschätzung der Is- verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen lam nach eigenem Selbstverständnis die einzig und Kollegen! Die CDU-Fraktion hat diese Aktuelle wahre Religion für alle Menschen weltweit ist Stunde beantragt mit der Überschrift: „Die Landes- und deswegen auch eine Unterwerfung aller regierung darf gegenüber Rechtspopulisten nicht Menschen verlangt.“ schweigen!“ – Damit haben Sie die Tonlage für die- se Debatte vorgegeben, Herr Kollege Laschet. Dazu hätte ich eine Stellungnahme von Ihnen er- wartet, Herr Kollege Laschet, weil damit der Unter- (Zurufe von der CDU) stellung Vorschub geleistet wird, dass alle Muslime in Deutschland nicht mit unserem Grundgesetz Sie wollten und Sie wollen mit dieser Aktuellen übereinkommen würden. Das ist das Infame dabei, Stunde die Ministerpräsidentin in ihrer politischen Herr Kollege Laschet. und auch in ihrer persönlichen Integrität angreifen. (Zuruf von Armin Laschet [CDU]) (Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Das lassen wir nicht zu. Ich will Sie mit einem zweiten Zitat konfrontieren, In Ihrem zweiten Wortbeitrag haben Sie gerade der weil das vorhin in Ihrem Gebrüll untergegangen ist. Ministerpräsidentin wieder vorgeworfen, sie würde Ihr Fraktionsmitglied Werner Lohn sagte über die mit ihrer Aussage, nicht an Talkshows mit AfD- Kölner Silvesternacht: Vertretern teilzunehmen, die AfD stark machen. – Herr Kollege Laschet, das ist ein infamer, ein „Während die Politik- und Polizeispitze im Urlaub schlimmer Vorwurf, und den weisen wir zurück, weilte, hat man das Volk in Köln in einen Krieg meine Damen und Herren! geschickt, den es nicht gewinnen konnte.“ (Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von Ich wiederhole: Das ist die Sprache rechter Ver- den GRÜNEN) schwörungstheoretiker und von Untergangsprophe- ten. – Ich hätte mir gewünscht, Herr Kollege La- Ich will Ihnen noch einmal das verdeutlichen, wozu schet, dass Sie sich hier im Hohen Hause davon Sie bisher keine Stellungnahme abgegeben haben. distanzieren. Das hätte der Tonlage in dieser Aktu- (Zurufe von der FDP) ellen Stunde gerecht werden können. Davon haben Sie keinen Gebrauch gemacht. Ich habe im Übrigen – auch das will ich noch mal herausstellen – die CDU-Landtagsfraktion nicht mit (Beifall von der SPD)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10725 Plenarprotokoll 16/104

Lassen Sie die Ministerpräsidentin in Ruhe! Wir ar- rücklassen und setzen auf beste Förderung von An- beiten hier. Wir regieren. Wir handeln, meine Da- fang an. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg sind men und Herren, und Sie machen nichts anderes, der Ausbau und die Weiterentwicklung der Frühför- als herumzukritteln und zu versuchen, die Minister- derung. präsidentin in ihrer politischen Integrität zu treffen. Das wird Ihnen nicht gelingen, schon gar nicht mit Frühförderung ist der Oberbegriff für Hilfsangebote dieser Aktuellen Stunde. verschiedener Art, die in Anspruch genommen wer- den können, wenn sich Eltern über die Entwicklung (Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ihres Kindes Sorgen machen oder wenn tatsächlich ruf von der CDU: Das war es? – Weitere Zu- bereits eine Entwicklungsbeeinträchtigung oder eine rufe von der CDU) erkennbare Behinderung des Kindes vorliegt. Diese ist seit der Einführung des entsprechenden Geset- zes eine große Hilfe für alle Betroffenen geworden, Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Verehrte Kolle- die aber aus den nunmehr langjährigen Erfahrun- ginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren gen mit dem Gesetz, die wir alle, die in dieser Arbeit Wortmeldungen mehr vor. tätig sind, gemacht haben, nach Anpassung an die (Fortgesetzt Zurufe von der CDU) Lebenswirklichkeit ruft. Wir sind am Schluss der Aussprache. Ich schließe Das ganzheitlich orientierte Angebot der Frühförde- damit die Aktuelle Stunde. rung besteht aus einem ganzen Bündel aus sorgfäl- tig und gewissenhaft aufeinander abgestimmten Ich rufe auf: medizinischen, psychologischen, pädagogischen und sozialen Hilfen. Die Familien und das gesamte 2 Frühförderung in Nordrhein-Westfalen weiter soziale Umfeld des Kindes werden im Rahmen die- stärken ser Komplexleistungen einbezogen. Antrag Auffälligkeiten oder Beeinträchtigungen sollen mög- der Fraktion der SPD und lichst früh erkannt werden, um das Auftreten von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Behinderungen, falls möglich, zu vermeiden bzw. Drucksache 16/10786 Behinderungen und ihre Folgen zu mildern oder zu beheben. Dem Kind soll die bestmögliche Hilfe und Unterstützung für die Entfaltung einer selbstbe- Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD- stimmten Persönlichkeit geboten werden. Fraktion Frau Kollegin Dmoch-Schweren das Wort. Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine ganz persön- liche Anmerkung: Ich betreibe selber eine sechs- Brigitte Dmoch-Schweren*) (SPD): Herr Präsident! gruppige integrative Einrichtung und weiß, wovon Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr ich rede. Wenn ich die Entwicklung der Kinder ver- verehrten Damen und Herren! Nach einer so hitzi- folgen kann, die frühzeitig Unterstützung erhalten, gen Debatte ist es schwierig, sich wieder der prakti- dann stelle ich fest, dass es wirklich eine lohnens- schen Politik zuzuwenden, aber ich bitte doch um werte Sache ist. Ihre Aufmerksamkeit. Alle Akteure haben sich dank der erfolgreichen No- (Unruhe) vellierung der Landesrahmenempfehlung 2005 – angefangen beim Städtetag, dem Landkreistag, der Freien Wohlfahrtspflege, den gesetzlichen Kran- Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, kenkassen bis hin zu den Verbänden der Menschen machen Sie eine kurze Pause. Viele Kollegen ver- mit Behinderungen – gemeinsam auf den Weg ge- lassen etwas zu laut den Plenarsaal. – Ich bitte, wer macht und sich auf verbindliche Standards verstän- den Plenarsaal verlässt, dies ruhig zu tun und im digt. Übrigen der Kollegin die Aufmerksamkeit zu schen- ken. An dieser Stelle darf nicht vergessen werden, zu erwähnen, dass dies die erste bundesweite Rah- menvereinbarung war, bei der alle Wohlfahrtsver- Brigitte Dmoch-Schweren*) (SPD): Danke, Herr bände mitgezogen haben. Hierfür möchte ich heute Präsident. – Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, weil meinen ganz besonderen Dank aussprechen. Diese es sich um einen wichtigen Antrag handelt, den wir Verständigung ist wirklich eine großartige Leistung, an den Ausschuss überweisen wollen. Es geht sich zeigt doch die Entwicklung, dass wir auf dem richti- um die Kleinsten in unserer Gesellschaft, um unsere gen Weg sind. Dieser Weg muss jetzt zum Wohle Kinder, und um unsere Zukunft. Insofern bitte ich der betroffenen Kinder und Eltern zu Ende gegan- Sie alle herzlich, drei Minuten zuzuhören. gen werden. Eines der wesentlichen Elemente unserer Politik in Daher muss es unser Ziel sein, die Rahmenempfeh- NRW ist – wir können es fast schon beten, und Sie lung in eine für alle Beteiligten verbindliche Rah- haben es auch oft gehört –: Wir wollen kein Kind zu- menvereinbarung zu überführen, damit alle Fami-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10726 Plenarprotokoll 16/104 lien – unabhängig von ihrem Wohnort – immer da- Wir sehen allerdings auch, dass wir eine Konfliktlö- rauf vertrauen können, das beste Leistungsangebot sung für die Familien herbeiführen müssen. Man für ihr Kind zu bekommen: mobile aufsuchende Hil- muss sich klarmachen, dass es sich um persönliche fen, die nun auch Erzieher und Eltern beraten; Hilfe Angelegenheiten handelt, bei der eben auch die für Kinder, die aufgrund ihrer Behinderung eine El- persönliche Betroffenheit eine große Rolle spielt. ternförderung benötigen; Sichern des Übergangs Das birgt natürlich Konfliktpotenzial, weil hier ver- vom Kindergarten in die Schule, einheitliche Stan- schiedene Systeme aufeinandertreffen. Insofern ist dards bei allen Beteiligten, Qualitätssicherung und eine Schiedsstelle sicherlich der richtige Weg, um nicht zu vergessen der Wirksamkeitsdialog. zur Lösung solcher Konflikte zu gelangen. Dies sind nur einige der wichtigen Leistungen im Vom Institut für Sozialforschung und Gesellschafts- Rahmen der Frühförderung, die wir für unverzicht- politik haben wir eine Studie erstellen lassen, die die bar halten. Wir sind davon überzeugt, dass mit den Entwicklung der interdisziplinären Frühförderung in in unserem Antrag aufgelisteten Forderungen an die Nordrhein-Westfalen untersucht hat. Diese Studie Landesregierung das Erfolgsmodell „Frühförderung“ belegt ganz deutlich die positive Wirkung für die Be- in NRW die Kinder, die es brauchen, auf ihrem Weg troffenen. Vor allen Dingen ist deutlich geworden, ins Leben bestmöglich begleiten wird. Das macht dass es im Land keine Versorgungslücken gibt. uns zufrieden, und ja, auch ein wenig stolz. Gleichwohl ist aber auch klar geworden, dass die Ich hoffe sehr, dass Sie uns in der fachlichen Dis- Strukturen der Leistungserbringung in den einzel- kussion im Ausschuss auf diesem Erfolgsweg be- nen Landesteilen sehr unterschiedlich sind. So wer- gleiten werden. Die Frühförderung ist ein wichtiger den Leistungen der Frühförderung nicht überall als Schritt in eine inklusive Gesellschaft. – Danke, dass Komplexleistung aus einer Hand angeboten, son- Sie mir zugehört haben. dern auch über ärztliche Einzelverordnungen bei den jeweiligen Spezialisten. Auch fehlen landesweit (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) gültige Standards. Außerdem kann sich ein Förderbedarf nicht nur aus Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, der Beeinträchtigung des Kindes ergeben, sondern Frau Kollegin. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die unter Umständen aus der familiären Situation. In Grünen spricht Frau Grochowiak-Schmieding. unserem Antrag haben wir extra auf Kinder gehör- loser Eltern hingewiesen, die zum Beispiel eine Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Frühförderung bei der Sprachentwicklung benötigen Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolle- können – nicht unbedingt müssen, aber oftmals ist ginnen und Kollegen! Inklusion bedeutet, Barrieren es eben nötig. Auch die Kinder von Eltern mit kogni- abzubauen, besser noch, sie möglichst gar nicht tiver Beeinträchtigung, die in ihrer Elternschaft as- erst entstehen zu lassen. Natürlich gehören dazu sistiert werden, brauchen unter Umständen eigene auch unterstützende Maßnahmen, die Teilhabe und gezielte Förderung, um von Anfang an ihre persön- mehr Selbstbestimmtheit ermöglichen, indem sie lichen Potenziale uneingeschränkt entwickeln zu persönliche Potenziale identifizieren und fördern. können. Nach intensiver Diagnostik erfolgt die gezielte indi- Mit der Novellierung der Landesempfehlung hat die viduelle Förderung mittels medizinischer Therapie, Landesregierung mit den Beteiligten Standards Physio-, Ergo-, Logotherapie und vieles mehr. Die festgelegt. Es wird für mehr Transparenz bei der Palette der Angebote ist hier sehr breit. Ein geeig- Fallkostenteilung gesorgt. Zu den bisherigen Kos- netes Instrument hierzu ist, wie die Kollegin Dmoch- tenträgern und Verhandlungspartnern ist noch die Schweren auch schon gesagt hat, die interdiszipli- Freie Wohlfahrtspflege als Vereinbarungspartnerin näre Frühförderung als Komplexleistung für Kinder hinzugekommen. mit Behinderung oder für von Behinderung bedrohte Wir möchten, dass die Wirkung der Frühförderung Kinder. Umfang und Inhalt der Leistung zur Früher- alle drei Jahre überprüft wird. Wichtig ist auch, dass kennung und Frühförderung sind im SGB IX gere- die Elternberatung in Zukunft mitfinanziert werden gelt. Es ist also eine bundesgesetzliche Regelung, soll. Das ergibt die Chance, die Beratung der Eltern die im Jahr 2003 geschaffen wurde. Danach muss im Rahmen der Komplexleistung nicht nur rein medizinische Rehabilitation und heilpädagogische kindbezogen, sondern auch familiensystembezogen Leistung als Komplexleistung erfolgen. zu gestalten. Ein Blick in die Praxis zeigt, dass Wie ebenfalls schon erwähnt, wurde bereits im Jahr Frühförderung und alle Maßnahmen, die hiermit im 2005 in Nordrhein-Westfalen eine Landesrahmen- Zusammenhang stehen, besonders nachhaltig dort empfehlung festgeschrieben mit dem Ziel, einerseits wirkt, wo das familiäre und sonstige Lebensumfeld Vertragspartner zusammenzubringen, andererseits des Kindes mit einbezogen wird. die Komplexleistung in einer interdisziplinären Ein- (Beifall von den GRÜNEN) richtung zu erbringen. Hier wurden Standards zur Leistungsausführung und auch beim Personalein- Im Bereich der Frühförderung ist also einiges im satz konkretisiert. Fluss, und wir möchten daran anknüpfen. Daher be-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10727 Plenarprotokoll 16/104 fürworten wir den flächendeckenden Ausbau inter- Ich möchte darauf hinweisen, dass die Kollegin von disziplinärer Frühfördereinrichtungen. Denn es den Grünen ihre Redezeit um eine Minute und wird – wie auch in dieser Studie dargestellt – für die 20 Sekunden überschritten hat. betroffenen Familien eine deutliche Erleichterung bringen, wenn medizinische und heilpädagogische (Zurufe von der CDU: Oh!) Diagnostik und Therapie aus einer Hand kommen. Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Kern. Vertrauen, Planungssicherheit und auch Zeitma- nagement sind hier wichtige Stichworte. Doppelleis- tungen und Therapielücken werden vermieden. Walter Kern (CDU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mir fällt es natürlich schwer, nach dem ersten Tagesordnungspunkt hier Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, als erster Sprecher für die CDU zu reden, nachdem Ihre Redezeit ist überschritten. wir solch einem Angriff ausgesetzt waren. Da bin ich doch sehr auch in meinem demokratischen Gefühl Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Ich erschüttert. werde jetzt gleich zum Schluss kommen. Ich will aber sagen, dass ich den Antrag der Regie- Darüber hinaus zeigt die Studie auch, dass das für rungsfraktionen zur Frühförderung als einen wichti- die Kommunen im Grunde genommen kostengüns- gen Schritt ansehe, Kinder mit Behinderung und tiger ist. solche, die von einer Behinderung bedroht sind, zu unterstützen. Ich halte diesen Antrag – das will ich Wir wollen auch darauf achten, dass neben den in- sehr deutlich sagen – für sinnvoll. terdisziplinären Frühfördereinrichtungen noch weite- re Träger – nämlich Träger, die auch Solitärleistun- Kompetente Beratung und frühzeitige Förderung gen anbieten – von Bedeutung sein werden. sind gerade in der frühkindlichen Entwicklungspha- se entscheidend, weil wir die Kinder dann noch be- einflussen können. Da diese Leistungen bereits kurz Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kolle- nach der Geburt genutzt werden können, verbes- gin, … sern sie die Entwicklungschancen der betroffenen Kinder deutlich. Sie sichern Lebenschancen. Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Da- Genau deshalb ist es wichtig, dass Frühfördermaß- her ist das auch ein Anreizsystem, so etwas flä- nahmen die Bezugspersonen – vor allem die El- chendeckend auszubauen. tern – konsequent einbeziehen und die Elternbera- tung zukünftig auch mitfinanziert wird. Das gilt auch Zum präventiven Ansatz möchte ich zwei Ab- für die betroffenen Familien; denn diese Familien schlusssätze sagen. Wir denken, dass es ganz haben ganz besondere Herausforderungen zu wichtig ist, … meistern. Wenn Eltern zum Beispiel durch den Arzt oder die Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, Hebamme erfahren, dass ihr Kind Auffälligkeiten Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten! oder Beeinträchtigungen aufweist, tritt zunächst ei- ne große Verunsicherung auf. Bereits in dieser Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Es Phase muss die Frühförderung mit Komplexleistun- ist wichtig – das habe ich schon gesagt –, Kinder gen ansetzen; denn zur Lebenswirklichkeit zählt, ohne Behinderung mit in den Fokus zu nehmen, dass zunächst der Schock aufgearbeitet wird und weil auch das familiäre Umfeld eine Rolle spielt. Wir Kenntnisse, Erfahrungen und Austauschmöglichkei- werden diesen Antrag im Ausschuss gemeinsam ten für die Eltern vermittelt werden können. diskutieren, … Die Gewissheit, ein behindertes oder von Behinde- rung bedrohtes Kind zu haben, und die besondere Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Also, Frau Kol- Situation, in der sich diese Familien befinden, rufen legin, … nach nachhaltiger Unterstützung. (Beifall von der CDU und den GRÜNEN) Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Physische und psychische Belastungen für die El- … und ich hoffe auf eine gute Beratung. – Vielen tern rund um die Uhr und von Dauer sind dabei Dank. ebenso auf der Tagesordnung wie besondere Be- lastungen in der Partnerschaft der Eltern. Auch Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: … ich entziehe müssen die Bedürfnisse der Geschwisterkinder be- Ihnen das Wort. Das, was Sie hier machen, dass rücksichtigt werden. Die Beantwortung der Frage Sie einfach weiterreden, ist nicht möglich. der Eltern „Wer hilft uns weiter?“ darf weniger eine Holschuld der Eltern sein, sondern ist eine Bring- (Beifall von der CDU) schuld der Experten und Institutionen, die frühest-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10728 Plenarprotokoll 16/104 möglich erbracht werden muss. Die CDU überprüft Eintritt in die Schule enden. Hier müssen wir ge- deshalb die Zielrichtung des heute eingebrachten meinsam daran arbeiten, dass aus einer Schnittstel- Antrages. Wir bieten konstruktive Mitarbeit zu die- le eine Verbindungsstelle wird. Neben dieser Alters- sem so wichtigen Thema an. grenze sind die landesweiten Unterschiede zwi- schen dem Rheinland und Westfalen sicherlich Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist Zeit, endlich auch noch einmal gemeinsam im Ausschuss zu be- zu handeln. Nachdem nun die 16. Legislaturperiode sprechen. in ihre letzte Phase eintritt, wird das Thema jetzt endlich – dreieinhalb Jahre nach Ihrem Koalitions- Der umfangreiche Bericht – er wurde eben schon vertrag – auf die Agenda genommen. Es ist aller- von der Kollegin zitiert; das ist die Vorlage 16/965 dings bedauerlich, dass nach drei Verhandlungsjah- aus 2013 –, der die derzeitigen Strukturen bewertet, ren nur Empfehlungen und keine Vereinbarungen lässt viele Schlussfolgerungen und viele positive vorliegen. Ansätze zu, über die wir gemeinsam im Ausschuss sprechen sollten. Auf der Basis dieser Handlungs- Mit dem Ausbau und der Weiterentwicklung des empfehlungen und der Vorstellungen der CDU freu- Angebotes der Früherkennung und Frühförderung en wir uns auf eine konstruktive Diskussion im Aus- und von heilpädagogischen Leistungen nach § 56 schuss. SGB IX als Komplexleistung wird ein Schritt in die richtige Richtung gemacht. Damit wird Hilfeleistung (Beifall von der CDU) aus einer Hand sichergestellt, was für die Eltern von erheblicher Bedeutung ist und für die Betroffenen Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr eine echte Lebenshilfe darstellt. Dass Therapien Kollege Kern. – Nun hören wir mal, wie die FDP- auch in Kindertagesstätten stattfinden können, ist Fraktion das sieht. Es spricht Herr Kollege Alda. genauso zu bemerken wie die wichtige Entlastung der Eltern in dieser schwierigen Lebensphase der Vorbereitung, Beratung, Unterstützung und Anlei- Ulrich Alda (FDP): Herr Präsident, schönen Dank tung in Bezug auf die Frage: Wie gehe ich mit mei- für diesen Empfang: „… wie die FDP-Fraktion das nem behinderten Kind um? sieht.“ Vielleicht noch eine kleine Replik auf das, was Kollege Kern gerade sagte: Es sieht ja so aus, Die CDU sieht allerdings auch Felder der Weiter- als ob sich kein Sozialdemokrat entschuldigen entwicklung. Man hat sich über die Kosten einigen könnte. – Das muss ich leider widerlegen. können, aber die Fragen der entscheidenden Quali- tätsstandards für Kinder sind leider noch offen, weil (Britta Altenkamp [SPD]: Das stimmt!) es bisher immer nur nach Rahmenempfehlungen geht und, wie eben schon gesagt, es noch keine Günter Garbrecht hat sich letztens entschuldigt. Rahmenvereinbarung gibt. Es ist aber sicherlich un- Genau dich wollte ich als Beispiel nehmen. Es kann ser gemeinsames Ziel, dass wir dahinkommen. hier jedem von uns passieren, dass er einmal etwas Falsches sagt. Aber man muss auch ein bestimm- Die CDU-Landtagsfraktion fordert, dass die aufsu- tes Körperteil in der Hose haben, um dann zu sa- chende Beratung und Therapie im häuslichen Um- gen: Dazu stehe ich, und das nehme ich auch zu- feld, die es vor der Einrichtung von Komplexleistun- rück. – So viel nur dazu. gen gab, mindestens im ersten Lebensjahr erhalten bleibt. Betroffene Eltern berichten uns, wie ent- (Beifall von der FDP und der CDU) scheidend für sie die Rettung aus dem psychologi- Jetzt zu dem Thema Frühförderung: Wir Freie De- schen Loch war, in das sie gefallen waren. Dabei mokraten stehen dafür, dass Menschen mit Behin- ging es um die praktische Anleitung im Hinblick auf derungen ein selbstbestimmtes Leben führen kön- die Frage „Wie gehe ich zu Hause mit meinem Kind nen und dass gesellschaftliche Teilhabe in allen Le- um?“ und darum, jemanden zu haben, der der be- bensbereichen verwirklicht wird. Frau Kollegin, so troffenen Familie wieder Perspektive aufzeigt und sehen wir den Antrag auch erst einmal grundsätz- Kinder annimmt, wie sie sind. lich positiv. Wir fordern, dass trotz der guten Erfahrungen mit Damit dies auch für Kinder mit Behinderungen mög- den Komplexleistungen das Wunsch- und Wahl- lich wird, brauchen wir die Leistungen der Frühför- recht erhalten bleibt. Eltern müssen sich die Thera- derung. Die Frühförderstellen in unserem Land leis- peuten, die ihr Kind oft sechs Jahre täglich be- ten eine wertvolle Arbeit. Mit frühzeitigen, vorbeu- treuen, aussuchen können. Wenn das Vertrauens- genden Hilfen können spätere soziale und gesund- verhältnis oder die Qualität der Beratung nicht heitliche Beeinträchtigungen reduziert und so auch stimmt, müssen sie auch wechseln können. Gerade Folgekosten bei der Eingliederungshilfe und in der hier liegt auch die Chance des Qualitätsgewinns für Krankenversicherung vermieden werden. die betroffenen Kinder. Wir haben im Ausschuss erst letzten Monat über die Eine Komplexleistung ist, wie gesagt, eine gute Sa- Frühförderung beraten. Die Ministerien haben uns che und als Hilfe aus einer Hand unersetzlich. Dies über die Überarbeitung der entsprechenden Rah- darf allerdings nach Ansicht der CDU nicht mit dem menempfehlung berichtet. Anscheinend haben dies

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10729 Plenarprotokoll 16/104 die Fraktionen der Regierungskoalition zum Anlass Ihre weitere Kernforderung betrifft bundeseinheitli- genommen, um noch einmal einen Antrag einzu- che Standards und die Einrichtung einer Schieds- bringen. stelle im SGB IX bzw. im künftigen Bundesteilhabe- gesetz. Gerade da kann ich an die SPD gerichtet Dieser Antrag ist in unseren Augen aber weitge- nur sagen: Sprechen Sie mit Ihrer Bundesministerin, hend ein Schaufensterantrag. Er beschreibt die vo- Frau Nahles. Sie kann doch diese Punkte in den rangegangenen Aktivitäten der Landesregierung Gesetzentwurf für ein Bundesteilhabegesetz auf- und der beteiligten Akteure. Das klingt für uns eher nehmen. nach Eigenlob. Er beinhaltet aber keine neuen Ak- zente für die Landespolitik. Seine Forderungen rich- Insgesamt – ich wiederhole es kurz – enthält dieser ten sich vielmehr an den Bundesgesetzgeber und Antrag viel Eigenlob und Selbstvergewisserungen. an die Kostenträger vonseiten der Kommunen und Ich hoffe, wir können im Ausschuss noch einmal Krankenkassen. darüber diskutieren und kommen dann zu etwas besseren Ergebnissen. Grundsätzlich stimmen wir In den fachlichen Zielen besteht bei der Frühförde- der Sache aber zu. – In dem Sinne bedanke ich rung sicher ein weitgehender Konsens. Das betrifft mich für Ihr Interesse. die Qualifikation des Personals, das betrifft interdis- ziplinäre Frühförderstellen, und das betrifft die Bera- (Beifall von der FDP) tung der Eltern, die Einbeziehung der Kitas und die Entwicklung landesweiter Qualitätsstandards. Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Meine Damen und Herren, es ist sicher sinnvoll, die Kollege Alda. – Für die Piratenfraktion spricht nun Leistungen der Frühförderung als Komplexleistun- Herr Düngel. gen aus einer Hand zu erbringen und nicht in Form unabgestimmter Leistungen der Sozialhilfeträger und der Krankenkassen. Dieses Ziel ist auch in die Daniel Düngel (PIRATEN): Sehr geehrter Herr bundesrechtlichen Vorgaben aufgenommen wor- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe den. In Westfalen allerdings ist die Komplexleistung Zuschauer im Stream! Dieses Mal sehen Sie den bisher leider nur in sieben von 27 Kreisen und Städ- Redner der Piraten im gleichen Format wie die an- ten verwirklicht. Ich glaube, das meinte Kollege deren Rednerinnen und Redner. Vorhin, beim Ta- Kern gerade mit der Trennung zwischen Westfalen gesordnungspunkt 1, war das nicht der Fall. Man und Rheinland. darf halt nicht das falsche T-Shirt anziehen. Daher ist es zwar richtig, für die Umsetzung der Da die Kollegen von CDU und FDP das gerade ge- Komplexleistungen auch vonseiten der Landespoli- sagt haben: Nehmen Sie manchen Vorwurf viel- tik zu werben und hier Anreize zu setzen; Sie kön- leicht nicht persönlich, aber schauen Sie sich in den nen aber nicht in die Selbstverwaltungshoheit der eigenen Reihen um. Wir haben vorhin ein paar Kommunen und der Sozialversicherung eingreifen Aussagen gehört – auch als Zitate –, die, mich zu- und die unterschiedlichen Kostenträger über die mindest, sehr nachdenklich stimmen. In meinen bundesrechtlichen Vorgaben hinaus zur Zusam- Reihen, in meiner Fraktion würde ich solche Aussa- menarbeit zwingen. Sie sollten auch bedenken, gen nicht akzeptieren. dass sich die Hilfsstrukturen vor Ort oft über Jahr- Kommen wir zum eigentlichen Antrag. Da stimme zehnte entwickelt haben und die Einrichtung inter- ich durchaus mit meinem Vorredner Uli Alda über- disziplinärer Frühförderstellen oder zumindest eine ein. Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich ein abgestimmte Zusammenarbeit der Leistungserbrin- bisschen gedacht, da hat irgendjemand den Koaliti- ger dann das Engagement der jeweiligen Verant- onsvertrag wiedergefunden und festgestellt: Wir ha- wortlichen erfordert. ben irgendetwas in den Koalitionsvertrag geschrie- Das Fehlen einer Hilfsstruktur in Form der Komplex- ben, worüber wir in der Wahlperiode im Landtag leistungen bedeutet aber nicht, dass es Versor- noch gar nicht richtig diskutiert haben. gungslücken oder unversorgte Kinder gibt. Dies hat auch die Evaluation der Frühförderung in NRW er- Herausgekommen ist dann tatsächlich – Uli Alda geben. Es geht hier nur um eine bessere Abstim- hat es gerade gesagt – eine Art Schaufensteran- trag. Hier wird, ein bisschen historisch, aufgeführt, mung zwischen Leistungserbringern bzw. Kosten- was die Landeregierung alles gemacht hat, und trägern. dann werden, wie wir es ja kennen, zum einen For- Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie for- derungen an den Bund gestellt. Na gut, das kann dern in diesem Antrag eine verbindliche Rahmen- man machen. vereinbarung. Diese kann aber nur im Einverneh- men der Kostenträger vonseiten der Kommunen Zum anderen werden eigentlich selbstverständliche und Krankenkassen erreicht werden. Ein Beschluss Dinge, etwa der Wunsch, dass aus der ganzen Sa- des Landtags kann nicht in deren Selbstverwal- che eine Rahmenvereinbarung wird, als Forde- tungshoheit eingreifen. rungspunkte formuliert. Liebe rot-grüne Koalition, ich hoffe doch sehr, dass da auch der kurze Weg in (Beifall von der FDP) Richtung Landesregierung möglich ist. Der Herr Mi-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10730 Plenarprotokoll 16/104 nister sitzt da vorne. Daher können Sie das doch ist deshalb ein Musterbeispiel präventiver Sozialpo- auf kurzem Wege einfordern und darauf hinwirken, litik und hat innerhalb der Landesregierung definitiv dass die Dinge, die Sie sich offenbar wünschen, einen hohen Stellenwert. dann auch umgesetzt werden. Eine gute Frühförderung kann verhindern, dass sich (Zurufe von den GRÜNEN) Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzöge- rungen zu dauerhaften Behinderungen verfestigen. Ich weiß nicht, ob wir dafür tatsächlich diesen An- Sie kann Entwicklungsverläufe positiv beeinflussen trag brauchen. und die Chancen unserer Kinder auf den Einstieg in Nichtsdestotrotz ist das Thema wichtig. Ich erspare ein selbstbestimmtes Leben verbessern. Frühförde- mir, jetzt noch einmal den Erklärbären zu spielen rung in Form der sogenannten, teilweise in den und darzulegen, was alles Frühförderung ist. Das Wortbeiträgen schon erwähnten, Komplexleistung haben wir in vier Redebeiträgen mehr oder weniger ist daher ein wichtiger Baustein zur Sicherung der allen Zuhörerinnen und Zuhörern irgendwie nahe- gesellschaftlichen Teilhabe. Und: Frühförderung gebracht und erklärt. Den Punkt spare ich mir an kann bei rechtzeitigem Einsatz darüber hinaus un- der Stelle. sere Sozialleistungssysteme entlasten. Ich bin sehr gespannt, wie wir in den beteiligten Dies hat auch das Gutachten des Instituts für Sozi- Ausschüssen über die einzelnen Punkte beraten alforschung und Gesellschaftspolitik aufgezeigt. werden. Ich bin nicht nur im Ausschuss für Arbeit, Weil hier an der einen oder anderen Stelle über Gesundheit und Soziales, sondern, wie der Kollege Zeitverzögerung gesprochen wurde – dreieinhalb Walter Kern, auch im Ausschuss für Familie, Kinder Jahre sind ins Land gegangen, bis man gehandelt und Jugend. Vor dem Hintergrund bin ich natürlich hat –, möchte ich an dieser Stelle deutlich hervor- außerordentlich gespannt, wie wir dort insbesonde- heben, dass das Land dieses Gutachten im Jahr re den Aspekt der Kitas lösen. Schließlich reicht es 2012, direkt zu Beginn der neuen Legislaturperio- nicht aus, allein etwas ins KiBiz zu schreiben. Den de – so steht es im Koalitionsvertrag –, in Auftrag Kitas müssen auch die entsprechenden Ressourcen gegeben hat. Das Gutachten ist gemeinsam mit der und die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung Freien Wohlfahrtspflege, den kommunalen Spitzen- gestellt werden. verbänden, den Krankenkassen und dem Land NRW erstellt worden. Das braucht natürlich auch Damit will ich sagen: Wir müssen den Kitas auch seine Zeit, wenn man ein inhaltlich ordentliches Geld zur Verfügung stellen, damit gerade an dieser Gutachten haben möchte. wichtigen Schnittstelle – die Kitas sind schließlich der hauptsächliche Lebensbereich der Kinder – die Dieses Gutachten hat aber auch verdeutlicht, dass Ressourcen vorhanden sind, damit Kindergärten die Frühförderung in den 53 Städten und Kreisen und Kindertagesstätten optimal helfen können und hier in Nordrhein-Westfalen nach wie vor sehr un- wirklich alles Hand in Hand funktioniert. terschiedlich praktiziert wird. Sie haben es teilweise erwähnt. Bezogen auf die flächendeckende Vertei- Ich sehe hier, wie gesagt, ein Stück weit einen lung wird die Komplexleistung im Rheinland in der Schaufensterantrag. Nichtsdestotrotz werden wir in Tat in 20 von 26 Städten und Landkreisen, in West- den entsprechenden Ausschüssen objektiv darüber falen-Lippe dagegen nur in sieben von 27 Städten beraten. Ich freue mich auf die weitere Beratung. – und Kreisen angeboten. Herzlichen Dank. In den Gebietskörperschaften, in denen die Frühför- (Beifall von den PIRATEN) derung nicht als Komplexleistung organisiert ist, wird die medizinische und heilpädagogische Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Frühförderung getrennt und damit unabgestimmt Düngel. – Nun spricht für die Landesregierung Herr erbracht. Diese Entwicklung ist meines Erachtens in Minister Schmeltzer. zweierlei Hinsicht sehr ärgerlich. Zum einen können wir nicht allen Kindern ein flächendeckendes Ange- bot für die Komplexleistung in Nordrhein-Westfalen Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration anbieten. Zum anderen zeigt das Gutachten, dass und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, die Frühförderung auch das wirtschaftlich günstige- liebe Kollegen! Es wird Sie nicht verwundern: Wir re Angebot ist. Es ist deshalb unser Ziel, dass alle begrüßen diesen gemeinsamen Antrag der Regie- Kinder in Nordrhein-Westfalen unabhängig von ih- rungsfraktionen zur Frühförderung. Herr Düngel, ich rem Wohnort den Anspruch auf Frühförderung und werde gleich an der einen oder anderen Stelle auch Komplexleistung auch tatsächlich einlösen können. noch auf Ihren Wortbeitrag eingehen. Unter Moderation des MAIS und des MGEPA haben Die Teilhabemöglichkeiten, die Menschen mit Be- Krankenkassen, Städtetag, Landkreistag und die hinderung auf ihrem Lebensweg erhalten, werden Freien Wohlfahrtsverbände eine neue Rahmenemp- maßgeblich dadurch beeinflusst, welche Förder- fehlung zur Frühförderung abgeschlossen. Viele möglichkeiten ihnen, beginnend in der frühen Kind- bisher ungeregelte Fragestellungen zur Frühförde- heit, zur Verfügung gestellt werden. Frühförderung rung werden dadurch nun beantwortet. Ich freue

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10731 Plenarprotokoll 16/104 mich, dass nach diesem dreijährigen intensiven Be- Wir kommen zu: ratungsprozess ein solcher Erfolg erzielt werden konnte. 3 Leistungsfähige Infrastruktur als Staatsziel in Wir haben in Nordrhein-Westfalen nun einheitliche der Landesverfassung verankern Empfehlungen zu Dauer, Zugang und Inhalten von Diagnostik und Fördereinheiten, zu einem Quali- Antrag tätsdialog, zu Elternberatung, zu niederschwelligen der Fraktion der FDP Beratungsangeboten und den Regelungen zur Kos- Drucksache 16/10797 tenteilung. Aber es sind definitiv noch weitere Hand- lungsschritte notwendig, damit in Nordrhein- Ich darf die Aussprache eröffnen. Für die FDP- Westfalen alle Kinder die gleichen Chancen be- Fraktion begründet diesen Antrag Herr Kollege Bro- kommen. Hier zeigt der gemeinsame Antrag von ckes. den Fraktionen der SPD und der Grünen viele not- wendige Maßnahmen auf. Für die Realisierung bedarf es weiterer Gespräche Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine und Verhandlungen zwischen allen Akteuren, ins- Damen und Herren! Die Bundesregierung hat besondere den Kreisen und kreisfreien Städten, den soeben ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr Krankenkassen, aber auch den Anbietern und hier nach unten korrigiert. Selbst die geringe Wachs- insbesondere der Freien Wohlfahrtspflege, auch, tumserwartung ist gefährdet. Billiges Öl, schwacher wie es hier angesprochen wurde, mit Blick auf eine Euro und die nach wie vor offenen Geldschleusen verbindliche Rahmenvereinbarung. der EZB halten den Export und damit auch die Wirt- schaft zwar am Laufen, aber laut IWF kündigt sich Wir werden diesen Prozess als Land begleiten und bereits eine Eintrübung in der Weltwirtschaft an. entsprechend moderieren, weil wir dies als Land ohne diese Gespräche und ohne diese Akteure (Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: China!) nicht verordnen können. Die Landesregierung wird Aber immerhin: Noch wächst Deutschlands Wirt- sich weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen, dass schaft recht ordentlich. In Nordrhein-Westfalen aber die inhaltliche und fachliche Reform der Eingliede- kommt dieses Wachstum nicht an. Das war bereits rungshilfe im Rahmen der Schaffung eines Bundes- vor einem Jahr das ernüchternde Fazit der RWI- teilhabegesetzes auch die notwendigen gesetzli- Wachstumsprognose. chen Änderungen zur Frühförderung enthält. Die offiziellen Zahlen sind, ehrlich gesagt, bedrü- Lassen Sie uns gemeinsam mit dem Ziel „Kein Kind ckend. Seit 2010 liegt das Wirtschaftswachstum in zurücklassen!“ auch im Bereich der Frühförderung Nordrhein-Westfalen deutlich unter dem Bundes- arbeiten und den Prozess auf dem Weg in eine in- durchschnitt. Die Investitionsquote in Nordrhein- klusive Gesellschaft im Dialog gestalten. Ich ent- Westfalen liegt erheblich unter den Quoten in den nehme allen Diskussionsbeiträgen, dass die Ziel- anderen großen deutschen Flächenländern. Indust- richtung die richtige ist. Ich freue mich, dass Walter rie und Mittelstand fehlt offenkundig das Vertrauen Kern und Uli Alda ihre konstruktive Mitarbeit ange- in den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen. boten haben. Das wird eine interessante sachliche und fachliche Diskussion fern von allen anderen po- (Vereinzelt Beifall von der FDP) litischen Geschehnissen werden. Darauf freue ich mich. – Herzlichen Dank. Meine Damen und Herren, deshalb benötigen wir eine stärkere wirtschaftliche Dynamik, mehr Impulse (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) für Investitionen und bessere Rahmenbedingungen für Innovationen in Nordrhein-Westfalen. Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr (Beifall von der FDP) Minister Schmeltzer. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Der erste Schritt in diese Richtung beginnt bei der Infrastruktur. Denn das Rückgrat einer digitalen und Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat emp- mobilen Wirtschaft 4.0 ist eine hochleistungsfähige fiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache Infrastruktur. Auf löchrigen Straßen, maroden Brü- 16/10786 an den Ausschuss für Arbeit, Gesund- cken und digitalen Schotterpisten wird Nordrhein- heit und Soziales – federführend –, den Aus- Westfalen weiter abgehängt. Dass hier endlich um- schuss für Familie, Kinder und Jugend und den gesteuert werden muss, hat sich die FDP-Fraktion Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Ab- nicht ausgedacht, um die Landesregierung zu är- schließende Beratung und Abstimmung sollen im gern. federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Die Frage ist: Verfahren wir so? Wer Nein, NRW weist einer aktuellen Studie des Deut- stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent- schen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge im haltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir Vergleich aller deutschen Flächenländer die ge- einstimmig so überwiesen. ringsten Pro-Einwohner-Investitionen in die Infra-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10732 Plenarprotokoll 16/104 struktur auf. Es ist nicht überraschend, dass unsere (Daniel Schwerd [fraktionslos]: Hallo! Ich hat- Infrastruktur auf diese Weise verfällt. te eine Intervention angemeldet!) Das IW Köln hatte vor diesem Hintergrund den Be- – Entschuldigung, ich muss das eben klären. Herr stand, die Nutzung und die Finanzierung der Stra- Schwerd, es steht eindeutig in § 35 der Geschäfts- ßeninfrastruktur in Nordrhein-Westfalen untersucht. ordnung, pro Fraktion kann ich einmal das Wort für Es konstatiert eine Reparaturbedürftigkeit oder so- eine Kurzintervention erteilen, aber nicht einzelnen gar akuten Handlungsbedarf bei mehr als 15 % der Abgeordneten. Damit bin ich im Moment in einer Autobahnen, 30 % der Bundesstraßen und 50 % rechtlichen Bredouille. Deswegen entscheide ich so, der Landesstraßen. wie ich jetzt entschieden habe. Wir klären das aber noch. Das Gleiche gilt für den Bereich der digitalen Infra- struktur, die für die Zukunftsfähigkeit der Gesell- (Zuruf) schaft von entscheidender Bedeutung ist. So kann in 84 Kommunen in Nordrhein-Westfalen gerade – Okay, danke. – Herr Hübner, bitte schön. einmal ein einstelliger Prozentbereich der Haushalte auf einen schnellen Breitbandzugang zugreifen. Mit Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- Blick auf das Breitbandziel einer flächendeckenden leginnen und Kollegen! Wir haben es mit einem Versorgung der Haushalte mit 50 MBit/s bis 2018 Thema zu tun, was in der Tat von ganz wesentlicher besteht laut der einschlägigen MICUS-Studie in 393 Bedeutung in Nordrhein-Westfalen ist, nämlich mit Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen dem Zustand unserer Infrastruktur. Das ist außeror- noch Handlungsbedarf. dentlich richtig. Das wurde durch die Landesregie- Mit der aktuellen mickrigen Ausbaudynamik von rung und durch uns schon häufiger genannt. nicht einmal 2 % pro Jahr, meine Damen und Her- In der Tat ist es ein bisschen schade, dass wir das ren, werden wir hierbei weiter abgehängt. Das hat jetzt in einem Auditorium beraten, in dem einem fatale Folgen. Ohne hochleistungsfähige Breitband- Thema, das nicht innenpolitisch ist, gerade nicht netze gibt es keine Industrie 4.0, kein Handwerk 4.0 ganz so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. und keine Wirtschaft 4.0. Auf digitale Klassenzim- mer muss Nordrhein-Westfalen genauso warten wie Sie haben eine wichtige Frage aufgerufen. Ich muss auf eine moderne elektronische Verwaltung. Fort- Ihnen trotzdem sagen, Herr Brockes: Wenn Sie das schritte für unsere Gesundheit durch E-Health- Thema ernst gemeint hätten, hätten Sie nicht das Angebote oder für die Mobilität der Zukunft werden Verfahren gewählt, was Sie gewählt haben. Sie re- so unmöglich gemacht. den einer Verfassungsänderung das Wort und kommen noch nicht einmal auf die Idee, das dem Meine Damen und Herren, deshalb plädieren wir für Hauptausschuss zu überweisen. Wenn Sie das eine neue Prioritätensetzung. Digitale Netzen, Stra- ernst nehmen würden, wäre das korrekte Verfahren, ßen und Schienen, Wasserwege und Flughäfen das sowohl dem Wirtschaftsausschuss als auch müssen endlich in ihrer Bedeutung als das zentrale dem Verkehrsausschuss zu überweisen, weil Sie Nervensystem einer wissens-, technologie- und ein paar Fragen verkehrlicher Art ansprechen; dazu mobilitätsbasierten Volkswirtschaft anerkannt wer- werde ich mich gleich auch noch äußern. Aber der den. Ohne hochleistungsfähige Infrastrukturen wer- Hauptausschuss ist ganz zentral; das haben Sie den wir unser hohes Wohlstands- und Sozialniveau vergessen. nicht halten können. Daher handelt es sich um einen Show- und Fens- Es darf nicht dabei bleiben, dass die Leistungen terantrag, wie er heute Morgen hier auch schon früherer Generationen verbraucht werden und künf- einmal eine Rolle gespielt hat. – Dies als erste tigen Generationen lediglich Schulden und verfalle- Feststellung. ne Infrastrukturen hinterlassen werden. Wir brau- chen zukunftsfähige Straßen, Schienen und digitale Zwei Aspekte sprechen Sie dabei an und tun das Breitbandnetze. auch garniert mit der einen oder anderen Wertset- zung, mit dem einen oder anderen Begriff, was nicht (Zuruf von der SPD: Richtig!) immer ganz angemessen ist. Sie sprechen erstens Deshalb wollen wir, dass die Förderung leistungsfä- die Verkehrswege und zweitens das Thema „digita- higer Infrastrukturen als Staatsziel in der Landesver- le Infrastruktur“ an, womit Sie den Breitbandausbau fassung verankert wird. Ich freue mich auf die Dis- meinen. kussion und hoffe auf Ihre Unterstützung. – Vielen Mit Letzterem will ich einmal anfangen. Wie Sie wis- Dank. sen – das gehört zu einer strukturellen Betrach- (Beifall von der FDP) tung –, haben Bund, Länder und Kommunen dieses Jahr gemeinschaftlich eine Anstrengung auf den Weg gebracht. In den nächsten Jahren werden wir Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr 500 Millionen € einsetzen, damit das Land Nord- Kollege Brockes. – Als nächster Redner spricht für rhein-Westfalen die bestausgebaute digitale Infra- die SPD-Fraktion Herr Hübner. struktur im Bereich des Breitbandes hat und sie

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10733 Plenarprotokoll 16/104 auch weiterhin ausbauen wird. Sie haben gerade weiß, was damit verbunden ist, und zwar das Ent- gesagt, das seien allenfalls 2 %. Nein, so ist das flechtungsmittelzweckbindungsgesetz. nicht. Das Land versucht, den Städten und Ge- Was ist damit gemeint? – Unsere Städte und Ge- meinden auch mit Bundesmitteln zu helfen. Für den meinden haben vor einigen Jahren ein paar Brü- Ausbau sollen rund 0,5 Milliarden € zur Verfügung cken geschenkt bekommen, die einen fatalen Nach- stehen. teil haben; sie sind meist um die Jahrhundertwende Außerdem sprechen Sie das Thema „Verkehrswe- des vorvergangenen Jahrhunderts gebaut worden. ge“ an. Im Antrag wird sogar deutlich, dass das Wenn sie diese Brücken erhalten wollen, müssen Land Nordrhein-Westfalen natürlich nur über einen sie enorme Investitionen vornehmen. Der Bund Teil der Verkehrswege verfügt, die Sie dann – ab- wollte sich als Ergebnis der tollen Föderalismus- gesichert in der Landesverfassung – fördern wollen. kommission ganz schnell aus der Finanzierung ver- abschieden. Das kann nicht sein. Übrigens bitte ich Die größten Probleme, die wir haben, werden doch die FDP, weiterhin dagegen anzukämpfen. Sie krie- an der Querung des Rheins durch die A1 bei Lever- gen alte Infrastruktur geschenkt, bekommen aber kusen sichtbar. Dieses Thema hat Mike Groschek nicht die finanziellen Möglichkeiten, um diese Infra- immer nach vorne gebracht. Das ist doch eines der struktur zu erhalten. Das führt zu großen Problemen größten Probleme. An dieser Stelle wird auch ganz in den Städten und Gemeinden. schnell deutlich, dass wir uns über Bundesinfra- struktur und nicht über Landesinfrastruktur unterhal- Teilweise haben wir die finanziellen Probleme natür- ten. lich auch beim Land – wobei ich ausdrücklich be- grüße, dass wir uns in diesem Jahr gemeinschaft- (Dietmar Brockes [FDP]: Landesstraßen!) lich mit Regierungs- und Oppositionsfraktionen auf Solange Bundesstraßen durch Nordrhein-Westfalen den Weg gemacht haben, für die Landesstraßeninf- geführt werden, weil sie die überregionalen Verkeh- rastruktur mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Das re aufnehmen sollen, was auch völlig sinnvoll ist, ist ein ganz wichtiges Signal, das auch an die Städ- müssen wir uns über die Verteilungsgerechtigkeit in te und Gemeinden geht, wo wir uns besser aufstel- der Bundesrepublik Deutschland unterhalten. len. – Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Dietmar Brockes [FDP]: Fehlende Planung!) (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) – Wir haben die Planung auf den Weg gebracht. Das wissen Sie ganz genau. Für die Querung des Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rheins durch die A1 bei Leverkusen gibt es übri- Hübner. – Die CDU-Fraktion wird nun von Herrn gens ein Sondergesetz. Dass ein solcher Neubau Kollegen Schick vertreten. nicht von heute auf morgen geht, müsste Ihnen auch klar sein. Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrter Herr Präsi- Ich habe schon Bundeszuständigkeit, Landeszu- dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ständigkeit und kommunale Zuständigkeit ange- wenn es nach dem unglaublichen Wortbeitrag des sprochen. Jetzt verrate ich Ihnen ein kleines Ge- SPD-Fraktionsvorsitzenden schwerfällt, komme ich heimnis, das für Sie hoffentlich kein Geheimnis ist. jetzt zum Thema „Infrastruktur“. Der größte Anteil dieser Infrastruktur befindet sich in „Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind den 396 Städten und Gemeinden, die von Ihnen eine wesentliche Voraussetzung für die Siche- richtigerweise angesprochen worden sind. Seit rung der Wettbewerbsfähigkeit und die Schaf- 2010 arbeiten wir dafür, diese Städte und Gemein- fung von Wachstumspotenzialen.“ den besser auszustatten, damit sie finanziell in die Lage versetzt werden, wieder höhere Investitions- So steht es in einer Pressemitteilung des Deutschen quoten auf den Weg zu bringen, als es in der Ver- Instituts für Wirtschaftsforschung vom 21. Oktober gangenheit passiert ist. vergangenen Jahres. Übrigens bin ich den Bundesregierungen ab und zu Ganz einfach ausgedrückt heißt das: Wer will, dass ganz dankbar dafür, dass Konjunkturpakete auf den es Arbeitnehmern und Unternehmen in Nordrhein- Weg gebracht worden sind. Sowohl das Konjunk- Westfalen gut geht, der investiert unter anderem in turpaket I als auch das Konjunkturpaket II haben Straßen und Breitbandanschlüsse. hier Missstände beseitigt. Nichtsdestotrotz besteht (Beifall von der CDU) dort Nachholbedarf. Da will die Landespolitik den Städten und Gemeinden helfen, das muss aber Das ist keine neue Erkenntnis. Im Verkehrs- und auch die Bundespolitik machen. Wirtschaftsministerium werden diese Erkenntnisse aber gerne verdrängt. Das sieht man, wenn man Manchmal habe ich meine Zweifel, ob das in der nicht auf die Ankündigungen schaut, sondern sich Bundespolitik immer richtig angesehen wird; darauf einmal mit den Fakten beschäftigt. will ich ausdrücklich hinweisen. Das gibt mir nämlich die Gelegenheit, noch eines meiner Lieblingsgeset- Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine große An- ze anzusprechen, bei dem kaum einer im Raum zahl von Unternehmen, die Spitzenprodukte für die

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10734 Plenarprotokoll 16/104

Weltmärkte herstellen. Die Anbindungen, egal ob angeschlossen als bei uns. Der Vorsprung dort digital oder auf der Straße, halten damit aber nicht wurde ebenfalls unter dieser Landesregierung ver- Schritt. spielt. Die Wachstumsdynamik ist mehr als unter- durchschnittlich. Um nur eines von sehr vielen Beispielen, die ich hier anführen könnte, zu nennen – nachzulesen in Auch die Zukunftsprognosen sind alles andere als einem Artikel der „Siegener Zeitung“ vom 6. Januar schön, wenn man schaut, welche Pläne im vergan- 2016 –: Die Siegener Firma Dango & Dienenthal mit genen Jahr erarbeitet worden sind. Ich hatte schon rund 700 Beschäftigten konnte Maschinenteile nicht einmal die Zahlen für Oktober genannt. Damals gab am Heimatstandort montieren. Aufgrund maroder es in Nordrhein-Westfalen 17 Marktauswahl- und Straßen musste die Endmontage in den Niederlan- Markterkundungsverfahren; in Bayern waren es den erfolgen. zum gleichen Zeitraum 1.000. Das belegt, wo wirk- lich Dynamik herrscht. Das ist eines Wirtschaftsstandortes wie Nordrhein- Westfalen nicht würdig. Ebenso bei den geförderten Projektskizzen des (Beifall von der CDU und der FDP) Bundes schneidet Nordrhein-Westfalen wieder ein- mal unterdurchschnittlich ab. Herr Groschek, wir sind in Südwestfalen die dritt- stärkste Wirtschaftsregion und würden das trotz Ih- rer Amtszeit auch gerne bleiben. Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, ge- statten Sie eine Zwischenfrage? (Beifall von der CDU und der FDP) Spitze ist Nordrhein-Westfalen nur dann, wenn man Thorsten Schick (CDU): Aber natürlich. in die morgendlichen Staumeldungen schaut. Fast jeder dritte Stau trägt sich in Nordrhein-Westfalen zu. Dass der volkswirtschaftliche Schaden enorm Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Abel hat sich ist, muss ich hier nicht großartig erwähnen. zu Wort gemeldet. Bitte schön. Dass es auch anders geht, sah man in der Zeit der CDU-geführten Landesregierung, als so viele Bun- Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Vielen Dank, desfernstraßen gebaut worden sind wie noch nie. Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Kollege, dass Nach einem abrupten Kurswechsel durch die rot- Sie meine Zwischenfrage zulassen. Da Sie es an- grüne Landesregierung ging es dann von der Über- gesprochen haben, habe ich eine Frage zu den holspur auf den Standstreifen. Bundesgeldern für die Verkehrsinfrastruktur: Es sind Die rot-grüne Bilanz ist mehr als ernüchternd. insgesamt 2,7 Milliarden €. Davon sind 621 Millio- nen € nach Bayern und 128 Millionen € nach Nord- (Beifall von der CDU) rhein-Westfalen gegangen. Warum reden Sie nicht 2013 mussten 48 Millionen € wegen fehlender Pla- einmal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen der nungen an den Bund zurückgegeben werden. CDU/CSU-Bundestagsfraktion darüber, wenn Sie das schon kritisieren? Zwei Jahre später bekam Nordrhein-Westfalen we- niger Bundesmittel für den Neubau von Bundes- fernstraßen als . Bei gerade einmal 10 % Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrter Herr Abel, der Einwohnerzahl hatte Hamburg also deutlich die Gelder werden dorthin verteilt, wo entsprechen- mehr Mittel zur Verfügung. de Pläne in der Schublade liegen und auch gezo- gen werden können. Beim Sonderprogramm des Bundes zur Brücken- modernisierung hat Nordrhein-Westfalen wieder (Michael Hübner [SPD]: Das ist doch nicht einmal unterdurchschnittlich abgeschlossen. richtig!) Doch nicht nur auf den wichtigsten Straßen stockt Solange Sie nicht bereit sind, entsprechende Pläne der Verkehr, auch auf den Datenautobahnen geht auf den Tisch zu legen, die entschieden werden es im Schritttempo voran. Es vergeht kaum ein Tag, können, werden die Gelder nun einmal in andere an dem sich nicht Menschen, Unternehmen oder Bundesländer fließen. Sie wissen selbst, dass in Verbände über fehlende Internetverbindungen be- anderen Bundesländern, in denen Rot und Grün re- schweren; gestern war es noch die IHK Siegen. gieren und Gestaltungswille herrscht, Geld verbaut Dass die Anbindungen in Nordrhein-Westfalen nicht wird. Hier in Nordrhein-Westfalen, wo es keinen akzeptabel sind, hat auch der Wirtschaftsminister Gestaltungswillen gibt, herrscht eben Stillstand. selbst bestätigt. In einer Drucksache machte er im (Beifall von der CDU) vergangenen Jahr noch deutlich, dass die Städte in Bayern mittlerweile besser angebunden sind als die Zeigen Sie insofern nicht auf andere, sondern be- in Nordrhein-Westfalen. Im halbstädtischen Bereich schäftigen Sie sich mit den Planungen in den eige- ist man in Hessen und Bayern mittlerweile besser nen Ministerien.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10735 Plenarprotokoll 16/104

Ich komme noch einmal zu dem Thema „Breitband“ den müssen, die für ein Land wichtig sind. Aber Sie und zu dem etwas schleichenden Ausbau zurück. beziehen sich nur auf die Breitbandtechnologie und Von Minister Duin wird die Schuld jetzt schnell an den Verkehr. die Kommunen adressiert. Die Kommunen benöti- Allein von dieser Herangehensweise her lehnen wir gen aber intensive Beratung. Dafür hat das Land Nordrhein-Westfalen das Breitbandkompetenzzent- diesen Antrag ab, weil er einfach unzureichend ist. rum NRW eingerichtet. Wenn ich da auf den Punkt Ich frage mich auch: Warum muss sich das Plenum „Veranstaltungen“ klicke, erkenne ich keine einzige damit beschäftigen? Warum speisen Sie das nicht Veranstaltung. Es gibt aber noch den Punkt „Rück- in die Verfassungskommission ein, die parallel tagt? blick“. Darunter steht eine Veranstaltung vom ver- (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) gangenen Oktober. Wenn ich Kommunen fit ma- chen möchte, dann habe ich einen vollen Veranstal- Es wäre auch eine Möglichkeit gewesen, es dort zu tungskalender und präsentiere ihnen keine leere debattieren. Mottenkiste. (Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD]) (Beifall von der CDU und der FDP) Ich vermute einmal, es ist ein Schaufensterantrag Denn eines ist klar: Es ist keine Geschichtsstunde, für den Newsletter-Verteiler der FDP; das wird ja wenn ich über schnelles Internet spreche, sondern wahrscheinlich nachher über Twitter etc. herumge- eine Zukunftsaufgabe. Insofern freue ich mich auf schickt. Da hat Kollege Brockes wieder Großes ge- die Beratungen im Ausschuss. – Danke schön. leistet. Aber in der substanziellen Debatte hier spielt es überhaupt keine Rolle. (Beifall von der CDU und der FDP) (Dietmar Brockes [FDP]: Reden Sie doch einmal zur Sache!) Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schick. – Für die grüne Fraktion spricht nun Herr – Genau, jetzt rede ich zur Sache. Klocke. (Zurufe) (Zuruf von den GRÜNEN: Jetzt wird es bes- Über die Sache haben wir uns eben schon ausge- ser! – Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU]) tauscht; der Kollege von der SPD hat einiges dazu gesagt. Ich habe mich gefragt, Herr Brockes, wo denn das Lob ist. Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Schemmer! Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe (Zuruf von Dietmar Brockes [FDP]) Kollegen von der FDP- und auch von der CDU- Fraktion, die das eben unterstützt haben! Wir führen – Herr Brockes, jetzt müssen Sie sich entscheiden: hier eigentlich eine inhaltliche Debatte. Diesen füh- Hören Sie mir zu oder dem Kollegen? Wie auch ren wir seit Monaten und Jahren im Verkehrsaus- immer! schuss, im Wirtschaftsausschuss etc., und es ist Sie hätten die Landesregierung auch einmal loben auch wichtig, sie zu führen. können. Bei dem, was Sie in dem Antrag schrei- Es geht um die Frage, wo man bei den Investitionen ben … Schwerpunkte setzt, wo man im Verkehrsbereich (Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Diet- und bei der Technologieförderung investiert. Die mar Brockes [FDP]) Frage ist, warum Sie das jetzt in die Verfassung schreiben wollen, liebe FDP. Ihr Antrag mit einer – – Das könnte man doch einmal machen. zugegebenermaßen – mich nicht überzeugenden (Weitere Zurufe) Rede, Herr Brockes, die Sie von „Sehr geehrte Da- men und Herren“ bis „Danke für Ihre Aufmerksam- – Doch, den Antrag habe ich gelesen. Da können keit“ komplett abgelesen haben, zeigt, wie über- Sie sicher sein, und zwar gerade vor zehn Minuten. zeugt Sie von Ihrem eigenen Antrag sind. – Aber (Dietmar Brockes [FDP]: Das ist aber pein- das nur nebenbei. lich!) Warum möchten Sie das in die Verfassung schrei- Sie beklagen die fehlenden Investitionen in den Er- ben? Zumindest alle, die ein paar juristische Kennt- halt. Diese Landesregierung hat die Investitionen in nisse haben, wissen, dass festgeschriebene den Erhalt von Landesstraßen in den letzten fünf Staatsziele noch keine Gesetze und noch keine Jahren gegenüber Ihrer Regierungszeit verdoppelt. Ausführungen bedeuten. Es geht um einen sehr Wir sind jetzt bei 115 Millionen €. Wir konzedieren: eingeschränkten Investitionsbegriff. Da könnte man auch noch mehr machen. Wenn wir über Investitionen reden, könnte man bei (Bernhard Schemmer [CDU] meldet sich zu der Infrastruktur genauso fragen: Wie sieht es in einer Zwischenfrage.) Kitas, in Schulen oder beispielsweise mit der Ener- gieversorgung, mit Wasser etc. aus? Auch das alles – Herr Schemmer, ich weiß, was kommt. Sie sagen sind infrastrukturelle Investitionen, die getätigt wer- uns jetzt in Ihrer Zwischenfrage: 2009 haben wir

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10736 Plenarprotokoll 16/104 auch einmal 80 Millionen € für den Erhalt ausgege- (Dietmar Brockes [FDP]: Bei Ihnen in Köln, ben. aber nicht im ländlichen Raum!) – In Köln sind wir bei 85 %. Ich habe ja nicht gesagt, Vizepräsident Oliver Keymis: Sollen wir es einmal dass es im ländlichen Raum so ist. ausprobieren, Herr Kollege? (Dietmar Brockes [FDP]: Wir sind in Köln!) – Ach, Herr Brockes. Wenn wir das jetzt in die Ver- Arndt Klocke (GRÜNE): Ja, versuchen wir es ein- fassung schreiben würden, dann wäre das im länd- mal. Ich lasse das natürlich zu. lichen Raum längst geregelt. Das ist doch totaler Blödsinn. Wir reden doch jetzt über Ihren Antrag. Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Wenn Sie beantragen wollen, dass im ländlichen Schemmer. Raum mehr in Breitband investiert wird, dann legen Sie das doch vor. Bernhard Schemmer (CDU): Es ist nett, dass Sie (Dietmar Brockes [FDP]: Haben wir doch die Zwischenfrage zulassen. – In Ihrem Wortbeitrag auch!) haben Sie schon wieder falsche Zahlen genannt. – Das, was Sie hier vorgelegt haben, ist doch eine Noch einmal: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh- nicht notwendige Verfassungsänderung, und die men, dass die schwarz-gelbe Landesregierung im lehnen wir entsprechend ab. Jahre 2009 (Beifall von den GRÜNEN) (Heiterkeit von der SPD – Arndt Klocke [GRÜNE]: Das hatte ich ja gedacht!) Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, es gibt 90 Millionen € zur Verfügung gestellt hat und dass noch eine Zwischenfrage, und zwar von Herrn Kol- das im Übrigen im Durchschnitt legen Rehbaum. Wollen Sie die zulassen? (Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]) wesentlich mehr war, als Sie heute für den Neubau Arndt Klocke (GRÜNE): Ja, auch das. ausgeben? Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Kollege Schemmer, Rehbaum. das mit dem Jahr 2009 hatte ich vorhin schon an- gekündigt. Es ist richtig, dass wir den Neubauetat entsprechend abgesenkt haben, und zwar aus gu- Henning Rehbaum (CDU): Vielen Dank. – Herr ten Gründen. Wir setzen die Mittel woanders ein. Kollege Klocke, Sie haben sich ja gerade in Sachen „Mittel für den Erhalt von Straßen aufgestockt“ auf (Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU]) die Schulter geklopft. Wie konnte es dann passie- ren, dass in dieser Legislaturperiode die Mittel für – Es ist doch nicht so, dass jede neu gebaute Stra- den Um- und Ausbau von Landesstraßen um mehr ße eine kluge Investition ist. als die Hälfte gekürzt wurden, wo es nicht um neue (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) Pisten durch irgendwelche Naturschutzgebiete, sondern allein um Begradigung von Straßen zur Manchmal macht es verkehrspolitisch auch Sinn, Verbesserung der Verkehrssicherheit geht? Es ist beispielsweise einen Standstreifen freizugeben oder für mich völlig unvorstellbar, dass die Mittel dort hal- eine Spur anzubauen, als irgendeine neue Piste biert wurden. Denn das sind wichtige Investitionen, durch eine Flussauenlandschaft oder ein Natur- die Leben retten können. schutzgebiet zu führen. (Norwich Rüße [GRÜNE]: Das wird Herr Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Kollege Rehbaum, Schemmer nie verstehen!) ich weiß nicht, welchen Etatposten Sie genau mei- Es ist auch eine kluge Investition, dass man dort nen; darüber können wir uns gern gleich bilateral hinsieht, wo es notwendig ist. In die Bereiche austauschen. Ich weiß nur, dass wir im Bereich Sa- Standstreifenfreigabe, Einfädelung und mehr Spu- nierung noch einmal 20 Millionen € draufgepackt ren an Autobahnen haben wir entsprechend inves- und die Neubaumittel entsprechend ein Stück ab- tiert. Wir haben auch deutlich mehr in den Sub- gesenkt haben, allerdings nur um 5 Millionen €, und stanzerhalt investiert. Das wäre vonseiten der FDP das aus guten Gründen. einmal ein Lob wert gewesen. Ich würde gern in der Rede fortfahren. Es hätte Auch was die Breitbandversorgung betrifft, hätte auch noch weitere Punkte gegeben, uns zu loben man loben können. Denn dort haben wir jetzt einen oder zumindest zu unterstützen; Lob muss vielleicht Schnitt von 75 %; das war zu Ihrer Regierungszeit nicht unbedingt sein. Das Land ist der DEGES bei- unter 60 %. Da ist auch einiges passiert. getreten, eben als Planungsalternative. Wir wissen,

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10737 Plenarprotokoll 16/104 dass wir im Bereich Planung bei Straßen.NRW De- Jetzt muss dem Engagement der Antragsteller aber fizite hatten. Das liegt auch ein Stück weit daran, auch endlich ein Engagement aufseiten der Landes- dass Sie in Ihrer Regierungszeit hier deutlich mehr regierung und der Ministerien folgen, und zwar nicht Stellen abgebaut haben, als es geplant und not- bei der PR, sondern bei der Umsetzung; das Um- wendig war. setzungsdefizit hat Herr Klocke gerade angespro- chen. Wir haben bei Straßen.NRW eine Strukturreform durchgeführt. Wir haben eine neue Leitungsstruktur Es besteht kein Zweifel daran, dass die Infrastruktur und mit der DEGES eine entsprechende Alternative in Nordrhein-Westfalen in einem schlimmen, wenn geschaffen. Beim Substanzerhalt und beim Schutz nicht gar katastrophalen Zustand ist. Das wissen wir unserer Infrastruktur werden wir jetzt auf die Tube alle. Wir wissen auch, dass sich daran aus unter- drücken, ebenso bei den Brücken und Straßen. Da schiedlichen Gründen schnell etwas ändern muss. wäre auch einmal ein Lob an die Grünen notwendig Ich sage einmal: Ein, zwei Ministerien wissen das gewesen. wohl auch; das hoffe ich zumindest. (Beifall von den GRÜNEN) Nun müssen wir wie immer wieder über die Prioritä- ten bei den Ministerien, über die Art der Lösung, Wir haben auf Bundesebene mit zwei Großen An- über die Kurzfristigkeit und über die Geschwindig- fragen eine komplette Auflistung der zu sanierenden keit den Kopf schütteln. Straßen, Brücken sowie der Schienenverbindungen, der Schienenbrücken vorgelegt. Auch das ist hier Die FDP meint mit Infrastruktur heute nicht Energie, vorgelegt worden, und da gehen wir entsprechend Schulen und Krankenhäuser, sondern Breitband heran. und Verkehrsinfrastruktur. Hier ist eines klar: Mit ei- nem Weiter-so wie 1977, 1984 oder auch 2001 wird Zusammengefasst: Es gibt im Bereich der Infra- man die Infrastruktur nicht „enkelfit“ machen oder struktur überhaupt kein Erkenntnisdefizit. Wir hatten weiterentwickeln können. Denn die fehlende In- Daehre-Kommissionen und Bodewig-Kommis- standhaltung ist ein Systemfehler und nicht nur ei- sionen; jetzt gibt es gerade die Bodewig-II- ner des Haushaltsbudgets. Kommission. Es ist mit den Ländern, mit den ent- sprechenden Verkehrsministern breit diskutiert wor- Doch zum FDP-Antrag stelle ich fest: Aus der „leis- den, was in diesem Bereich notwendig ist. tungsfähigen Infrastruktur“ im Titel wird im An- Wir haben teilweise ein Finanzierungsdefizit vonsei- tragstext unversehens mal wieder vor allem „Stra- ten des Bundes, und wir haben vor allen Dingen ein ßeninfrastruktur“. Herr Brockes, wo ist da die neue Umsetzungsdefizit. Das gilt es zu beklagen. Wir Prioritätensetzung, die Sie angesprochen haben? würden Sie von der SPD und auch von der CDU un- Nicht mehr nur die Straße ist die Basis der Mobilität terstützen, in Berlin entsprechend Druck zu ma- in Nordrhein-Westfalen. chen, sodass wir mehr Mittel bekommen, um in Sa- Der öffentliche Personenverkehr, der 2015, wie wir nierungen investieren zu können. gerade erfahren haben, trotz des bröckelnden An- Doch wir halten es für unnötig, dafür die Verfassung gebots erstmals 10 Milliarden Fahrgäste hatte, so- zu ändern und das in unsere Landesverfassung wie der schienen- und der wassergebundene Gü- hineinzuschreiben. Wenn Sie die Debatte führen terverkehr sind die Stützen einer nachhaltigen Ver- wollen, dann doch bitte in der Verfassungskommis- kehrspolitik. Davon lesen wir im Antrag kein Wort. sion. Lassen Sie uns da eine Priorität setzen, wo es Da waren wir schon einmal deutlich weiter. notwendig ist, nämlich in der Umsetzung der Ziele, Zur Breitbandversorgung: Ja, das haben wir lange die ich eben benannt habe. – Danke für die Auf- und oft thematisiert. Der Antrag darf das gerne wie- merksamkeit. derholen. Ein modernes, wettbewerbsfähiges Nord- (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) rhein-Westfalen braucht eine leistungsfähige Ver- sorgung mit schnellem Internet, und zwar nicht pseudotechnologieoffen für die Telekom, sondern Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr zukunftsoffen. Glasfaser für alle! Fact, Zahlen be- Klocke. – Nun spricht Herr Bayer für die Fraktion kannt, weiter! der Piraten. Neu ist, leistungsfähige Infrastruktur zum Staatsziel zu erklären. – Ja, super! Eben mal die Welt retten Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Prä- mit einem heiligen Satz in der Landesverfassung. sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Ein heiliger Satz ist aber nichts wert, weil daraus Besucher hier und am Stream! Anträge, die den be- kein Staatshandeln erwächst. Das Recht auf Arbeit dauernswerten Zustand der Infrastruktur in Nord- steht auch in der Landesverfassung. Ist dadurch ein rhein-Westfalen thematisieren, kann man nie genug einziger zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen wor- haben. Es gibt auch einige Anträge, die von allen im den? Konnte deshalb die Benachteiligung von Landtag vertretenen Fraktionen gemeinsam unter- Frauen am Arbeitsmarkt überwunden werden? – zeichnet wurden. Daher auch danke für diesen. Nein.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10738 Plenarprotokoll 16/104

Ziele für Menschen und Ziele für den Lebensraum Abgeordnete! Herr Alda sprach gerade von einem NRW gehören in die Landesverfassung. Infrastruk- Schaufensterantrag. Ich bin mir jetzt nicht mehr si- tur ist notwendig, allerdings ein Mittel, um andere cher, welchen er gemeint hat. Ziele zu erreichen. Herr Brockes, im Antrag verwechseln Sie im Grun- Was ich von jedem Antrag, der zur Änderung der de Ursache und Wirkung. Sie berücksichtigen nicht, Landesverfassung, insbesondere zur Einführung dass die Verfassung, auch unsere Landesverfas- eines neuen Staatsziels, erwarten würde, wäre eine sung, eben nicht nur gedrucktes Wort ist, sondern Darstellung, wie sich dies auf die konkrete Gesetz- auch einen Verfassungsgeist hat. Diesen Geist von gebung und Regierung auswirken könnte. Denn die Grundgesetz und Landesverfassung haben Sie in Einführung eines Staatsziels hat unmittelbar keine Ihrer Regierungszeit deutlich missverstanden. Ihr normative Wirkung. Tanz ums Goldene Kalb, „Privat vor Staat“ als politi- sche Leitlinie, hat in diesem Land viel kaputtgespart: Staatsziele unterscheiden sich von Grundrechten. Ein Bürger, der keinen oder noch keinen modernen (Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD]) Internetzugang hat, kann also nicht vor dem Bun- die Polizeiausbildung, den Landesbetrieb in seiner desverfassungsgericht unter Berufung auf ein Personalstruktur. Ihre „Mövenpickerei“ hat aus dem Staatsziel erfolgreich klagen. Mit diesem Antrag ehrlichen Steuerzahler den Dummen gemacht. verbessert sich also nichts. Letztlich hat Ihre Haushaltskonsolidierung auf Lan- Zu echten wirkungsvollen Maßnahmen wie der desebene als Raubzug durch die Stadtkassen statt- Stärkung der Infrastruktur als kommunale Pflicht- gefunden. aufgabe sagen Sie nichts. Also wird auch in den (Zuruf von Dietmar Brockes [FDP]) nächsten Jahren die Infrastruktur zum Beispiel für Busse und Bahnen darunter leiden. Sie wird darun- Wenn also ein neues Verfassungsgebot, dann muss ter leiden, weil die Infrastruktur ein großes Einspar- es heißen: Der handlungsfähige starke Staat darf potenzial, aber keine großen Befürworter in der Re- nicht angetastet werden, und er muss steuergerecht gierung hat. finanziert werden. Das wäre eine sinnvolle Ergän- zung unserer Verfassung. Die Höhe der Investitionsquote hängt nicht – das beweisen die Zahlen im Antrag – von der Einfüh- (Beifall von der FDP) rung eines Staatsziels „Infrastruktur“ ab. Auch FDP und CDU sind an der maroden Infra- Vizepräsident Oliver Keymis: Haben Sie Zeit für struktur nicht unschuldig. Nein, sie sind aufgrund eine Zwischenfrage, Herr Minister? Herr Schemmer ihrer Politik einer fehlgeleiteten Schuldenbremse hat eine. sogar verantwortlich für den schlechten Zustand der Infrastrukturpolitik. Carl Christian von Weizsäcker sagte 2014 dazu: Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Ich nehme an, er „Die steigende Verschuldung kommt doch der stimmt jetzt das Loblied auf die Landesregierung an. künftigen Generation explizit zugute, wenn wir Straßen und Brücken reparieren und das Bil- (Heiterkeit von der SPD) dungswesen modernisieren. Das halte ich für zukunftsweisender, als unter Verweis auf die Vizepräsident Oliver Keymis: In freudiger Erwar- Schuldenbremse auf diese Ausgaben zu ver- tung der Herr Minister. – Bitte schön, Herr Schem- zichten.“ mer. Wenn Sie sich diese Worte vor Augen führen, müs- sen Sie zu dem Ergebnis kommen, dass Ihre Politik Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, nach- nicht die Schulden, sondern die Infrastruktur und dem Sie uns gerade erklärt haben, wie Schwarz- zukünftige Generationen ausbremst. Ihr Antrag ist Gelb die Polizei kaputtgespart hat: daher leider Symbolpolitik im Zeichen des anste- henden Wahlkampfs. – Vielen Dank. (Hans-Willi Körfges [SPD]: Wird das jetzt eine Entschuldigung? – Gegenruf von Dietmar (Beifall von den PIRATEN) Brockes [FDP]: Mit Entschuldigungen sollten Sie ganz vorsichtig sein!) Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass zur Bayer. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Regierungszeit Steinbrück die Anzahl der Polizei- Minister Groschek. anwärter in den Jahren 2003, 2004, 2005 auf 500 pro Jahr zurückgefahren wurde und erst unter Schwarz-Gelb wieder auf 1.000 erhöht worden ist? Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr (Beifall von der CDU – Heiterkeit von der Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren SPD)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10739 Plenarprotokoll 16/104

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Wir sorgen dafür, dass mit den Radschnellwegen Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Kollege endlich moderne, innovative Infrastruktur geplant Schemmer, es ist ganz wichtig, über das Kapitel und gebaut wird. Da haben wir die Nase vorn. „Polizeiausbildung“ zu diskutieren. Wir könnten auch über den Zustand der sprechen, Unser Landesbetrieb, Herr Brockes, leistet heraus- was die äußere Sicherheit angeht, über die Ab- ragend gute Arbeit. Unser Landesbetrieb hat dafür schaffung der Wehrpflicht und die Verantwortung, gesorgt, dass die Fahrbahnqualität in Nordrhein- die sich in Unverantwortlichkeit ausgedrückt hat, Westfalen mit die beste bundesweit ist, konstatiert und wes Geistes Kind eigentlich hinter diesen Ent- vom Bundesverkehrsministerium. scheidungen stand. Unser Landesbetrieb sorgt dafür, dass mit seiner Herr Schemmer, ich bin sehr wohl bereit, zur vorbildlichen Kosten- und Leistungsrechnung dem Kenntnis zu nehmen, dass die Landesregierung mit nächsten Privatisierungsschub nicht Vorschub ge- diesem tollen Innenminister dafür gesorgt hat, leistet wird. Wir brauchen nicht mehr Privatisierung, sondern mehr verlässliche Finanzierung und Pla- (Heiterkeit von der CDU) nung in der Verkehrspolitik. Das ist das Gebot der Stunde und kein Privatisierungsquatsch. dass wir 1.950 Polizeiauszubildende haben, insge- samt 7.000 Auszubildende im Polizeidienst, damit (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Ihre Sicherheitslücke endlich geschlossen wird. Ich bin gerne bereit, das zu konstatieren. Bei der Digitalisierung der Infrastruktur sollten Sie nicht nur zur Kenntnis nehmen, dass diese durch (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) das Grundgesetz in der Verantwortung des Bundes abgebildet ist, sondern sich endlich auch mit uns Jetzt komme ich zur Großbaustelle zurück, die wir darüber freuen – ich weiß, warum Herr Rasche übernommen haben. Wenn ausgerechnet ein CDU- nicht da ist –, dass Nordrhein-Westfalen mit einer Landtagsabgeordneter das Siegerland bemitleidet, Anschlussdichte von 75 % mindestens 50 Mbit/s im kann ich nur sagen: Es waren Ihre Verkehrsminister Vergleich zu Bayern mit 67 % die Nase vorn hat. und Herr Ramsauer, die nicht das Schwarze unter Warum tun Sie so, als sei Bayern ein Vorbild? In dem Fingernagel für die Infrastruktur im Siegerland Maulheldentum ist Bayern Vorbild, aber nicht in der übrig hatten. Digitalisierungsausstattung in unserem Land. Wir, Herr Al-Wazir und ich, haben die A45- (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Projektgruppe ins Leben gerufen. Wir haben die Korridore gemacht, damit das Siegerland überhaupt Im ländlichen Raum haben wir 40 % Anschlussdich- exportfähig bleibt. Sie sollten sich zum Schämen in te, Bayern hat 29 %. Da sieht man, wo Nachholbe- den Keller begeben, aber bezüglich des Sieger- darf und Aufholbedarf ist. lands hier nicht die große Lippe riskieren. (Dietmar Brockes [FDP]: Wir sind super!) (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Wir garantieren die Kofinanzierung komplett aller Wir haben Personalaufbau statt -abbau vollzogen. Bundesmittel. Wir haben mit erreicht, Wir haben Rekordvergaben, damit Straßen geplant dass Kommunen endlich als Partner ernst genom- und gebaut werden. Wir haben den Landesbetrieb men werden. Wir haben Kreiskonferenzen gemacht. modernisiert, beim Bundesautobahnbau ein Um- satzplus von über 30 % erreicht und den Erhalt von Garrelt Duin hat mir gerade zugesagt, Herr Kollege Landesstraßen substanziell verbessert. Schick, dass er Ihnen gleich auf dem iPad zeigen wird, welche Seite Sie öffnen müssen, damit Sie ei- Wir haben endlich die 100-Millionen-€-Marke im Er- nen Überblick über das Geschehen im Kompetenz- halt erreicht und weit übertroffen, die Sie immer un- zentrum haben. terboten haben, weil der Erhalt für Sie nicht wichtig war, sondern der Scherenschnitt vom Neubau, das (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Klicken der Kameras in der Verkehrspolitik wichtiger Nachhilfe beginnt beim Umgang mit iPhone und waren. iPad, von mir aus auch mit Geräten von Sams- Das ist die Realität in diesem Land gewesen, mit ung. Ich weiß nicht, was Sie bevorzugen. der wir aufgeräumt haben. (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bevor das mit dem iPad passiert, hat Herr Schick noch ei- Wir, die Ministerpräsidentin vorneweg, haben end- ne Frage an Sie. Würden Sie die zulassen? lich dafür gesorgt, dass Betuwe unter Vertragsrecht kommt. Wir haben dafür gesorgt, dass der RRX auf die Schiene gesetzt wird. Bei Ihnen war außer Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Maulheldentum bei der Bahnpolitik nichts, aber Stadtentwicklung und Verkehr: Bitte. auch gar nichts zu merken. Das ist die Realität. (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Vizepräsident Oliver Keymis: Gut. Bitte.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10740 Plenarprotokoll 16/104

Thorsten Schick (CDU): Vielen Dank, Herr Minis- wichtigsten Aufgaben, die ein Staat überhaupt ter. – Sie sagten ja gerade, es geht hier nicht um hat, nämlich die elementare Grundversorgung Maulheldentum, sondern es geht um Fakten. Sind von Menschen in unserem Land zu sichern. Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Medienkompetenzminister Herr Duin, der mir das Herr Brockes, Sie haben vollkommen recht damit, gleich zeigen will, in seinem eigenen Bericht mit der dass das in der letzten Zeit dann zu kurz gekom- Drucksache 16/2848 ausgeführt hat, dass mittler- men ist. Aber Sie haben völlig verschwiegen, wo- weile in Bayern die Städte besser angebunden sind ran das liegt, nämlich an der Ausgabendisziplin, als in Nordrhein-Westfalen, obwohl das zur Regie- an der schwarzen Null, an der Austerität. Wenn rungsübernahme noch anders war, und im halb- man nämlich keine Geldschulden mehr machen städtischen Bereich die Städte in Hessen und Bay- darf, dann macht man die Schulden in Beton. Je- ern mittlerweile besser angebunden sind? de nicht sanierte Brücke ist auch so eine Schuld, und zwar am Bürger. Solange man auch nicht einmal über die Einnahmeseite nachdenkt, näm- Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, lich Steuerflucht, Vermögensungleichheit und Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Kollege Schick, Ähnliches, und daran nichts ändert, wird sich ich bin gerne bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch an dieser Situation nichts tun. wir im Gegensatz zu Bayern jetzt eine Richtlinie er- Sie verlangen hier im Grunde die Quadratur des arbeiten, die im nächsten Monat auch umgesetzt Kreises, nämlich: Der Staat soll Geld ausgeben, wird mit der kommunalen Familie und den kommu- das er gar nicht haben darf. – Herzlichen Dank. nalen Spitzenverbänden, damit die garantierte Kofi- nanzierung, damit die Umsetzung der digitalen Divi- dende nach Plausibilitätskriterien erfolgt. Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Wenn Sie auf Bayern abstellen, sage ich Ihnen: Herr Kollege Schwerd. – Nun antwortet darauf der Bayern hat drei Großstädte, Nordrhein-Westfalen Herr Minister. Bitte schön. 13 richtige Großstädte. Stellen Sie uns nicht auf die Stufe mit einem Land, das noch landwirtschaftlich Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, geprägt ist! Nordrhein-Westfalen ist und bleibt ein Stadtentwicklung und Verkehr: Ich finde, die je- guter Industriestandort. Wir werden nicht zulassen, weils präsidierenden Präsidenten sollten dem dass die Standortqualität kaputtgequatscht wird ge- fraktionslosen Abgeordneten Schwerd häufiger nauso wenig wie wir zulassen, dass der Reparatur- die Gelegenheit zur Kurzintervention geben. stau, den Sie uns hinterlassen haben, bleibt. Wir re- parieren Nordrhein-Westfalen. Da können Sie si- (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) cher sein. (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank für den Hinweis, sehr geehrter Herr Minister. Das Präsidium wird das prüfen und dann werden wir Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr darüber entscheiden. Minister. Bleiben Sie bitte am Pult. Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet vom fraktionslosen Wir sind am Ende der Debatte zu TOP 3 und Abgeordnetenkollegen Schwerd. kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat emp- fiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache Ich will darauf hinweisen, Herr Kollege Schwerd, 16/10797 an den Ausschuss für Wirtschaft, dass wir noch prüfen, ob es rechtlich korrekt ist, die Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk Ihnen hier zu gestatten, und zwar vor dem Hinter- – federführend –, an den Ausschuss für Bauen, grund, dass in § 35 der Geschäftsordnung steht, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr sowie dass wir sie pro Fraktion zulassen. Aber das prüfen an den Ausschuss für Kultur und Medien. Dort wir noch. soll dann beraten werden, und die abschließende Da wir aber ein großzügiges Präsidium sind, lassen Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in wir Sie für heute gewähren. Sie haben eine Minute öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dem und dreißig Sekunden Zeit, Ihre Bemerkungen zu Verfahren so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – der Rede des Herrn Ministers zu machen. Herr Das war auch nicht zu erwarten. Enthaltungen Schwerd, bitte schön. gibt es auch nicht? – Damit ist einstimmig so überwiesen. Daniel Schwerd (fraktionslos): Herzlichen Dank, Ich rufe auf: Herr Präsident, für Ihre Großzügigkeit. – Herr Minis- ter, es tut mir leid, dass Sie einen Moment stehen- 4 Marokko, Algerien und Tunesien als siche- bleiben müssen. Ursprünglich wollte ich schon beim re Herkunftsstaaten einstufen – Asylverfah- Herrn Kollegen Brockes dazwischengehen mit dem ren beschleunigen – Rückführungen prak- Hinweis, dass eine leistungsfähige Infrastruktur ja tisch umsetzen bereits jetzt ein Staatsziel ist, und zwar eine der

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10741 Plenarprotokoll 16/104

Antrag So wollte Deutschland Mitte vergangenen Jahres der Fraktion der CDU und 5.500 Algerier, Marokkaner und Tunesier zurück- der Fraktion der FDP bringen, doch nur 53 konnten am Ende abgescho- Drucksache 16/10795 (Neudruck) ben werden. Die Länder haben oft mit fehlenden Ausweispapieren argumentiert bzw. überhaupt nicht auf deutsche Anfragen reagiert. Von daher ist es Ich darf hinweisen auf den Entschließungsantrag richtig, derzeit mit Hochdruck daran zu arbeiten, der Fraktion der Piraten mit der Drucksachennum- dass diese Staaten ihrer Rücknahmeverpflichtung mer 16/10920. nachkommen. Die Länder müssen verstehen: Die Zusammenarbeit in Migrations- und Rückführungs- Am Pult steht nun schon bereit – das freut mich fragen ist zentraler Faktor unseres bilateralen Ver- ganz besonders – unser Kollege Kuper. Er hat das hältnisses. Wort und begründet das, was die CDU hier vor- trägt. – Bitte schön. Aber auch wir hier in Nordrhein-Westfalen sind ge- fragt und müssen diese Regierungsinitiative des André Kuper (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident! Bundes im Bundesrat unterstützen, denn sonst wird Meine Damen und Herren! Die Zahl der aus Nordaf- es nicht realisiert werden können. Da müssen wir rika zu uns kommenden Menschen steigt sprung- uns wieder fragen: Was bringt die Einstufung als si- haft an. In Nordrhein-Westfalen gehörten im Jahr cherer Herkunftsstaat? 2015 Algerien mit 6.782 Menschen und Marokko mit (Michael Hübner [SPD]: Nichts!) 6.429 Personen bei den Zuweisungen durch das EASY-Verteilsystem bereits zu den Top 10 Her- – Sie bringt eben doch eine Menge. Und das wird kunftsländern. hier immer wieder weggeredet. Die Asylbewerber aus Marokko, aus Algerien und Tunesien haben erkannt, dass sich die Tür nach Wir haben schon gesehen, dass es eine Gesamt- Mitteleuropa ungewollt auch für sie geöffnet hat, wirkung beim Westbalkan gehabt hat und dort zu nämlich weil das Dublin-Abkommen der EU aktuell drastischen Reduzierungen der Zahlen geführt hat. nicht funktioniert Alleine im März 2015 hatten wir noch 17.230 Anträ- ge etwa aus dem Kosovo, im Dezember nur noch (Zuruf von Michael Hübner [SPD]) 450. und weil sie nach einem Flug von Marokko in die Für die Realisierung der Festlegung als sicheres Türkei und dann über die Westbalkanroute auch Herkunftsland brauchen wir eine entsprechende Ini- hier nach Deutschland gelangen können, zum Teil tiative im Bundesrat. Dann haben wir auch generelle allerdings – das muss man auch dazusagen – unter Vorteile. Wir können nämlich die von dort stam- Vortäuschung falscher Identitäten. menden Asylbewerber viel schneller im Ergebnis in ihre Heimat zurückführen. Gleichwohl werden Asylbewerber aus den soge- nannten Maghrebstaaten zu 96 % und mehr abge- Vorteile im Verfahren sind die einfache Entschei- lehnt, haben also kein Bleiberecht. Während die dung durch Umkehr der Beweislast; die Asylanträge Zahl der Asylbewerber aus den Westbalkanstaaten, sind damit grundsätzlich erst einmal offensichtlich insbesondere dank der Festlegung als sicheres unbegründet. Es gibt verkürzte Rechtsfristen, Herkunftsland, massiv zurückgegangen ist, steigt Rechtsschutzfristen. Es gibt verkürzte Entschei- die Zahl der Asylbewerber aus Marokko und Algeri- dungsfristen von jeweils nur einer Woche. Es gibt en seit Ende letzten Jahres sprunghaft an. ein schriftliches Verfahren, eine Ausreisepflicht bin- Notwendig ist also ein Maßnahmenbündel, um auch nen einer Woche. Auch die Aussetzung der Ab- hier, wie es beim Balkan gelungen ist, der Einreise schiebung darf nur angeordnet werden, wenn aus Marokko, Tunesien, Algerien schnell Einhalt zu ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ver- gebieten. Erste Schritte auf der Bundesebene sind waltungsaktes bestehen. erfolgt. BMI und BAMF haben festgelegt, dass für Von daher ist das angesichts der aktuellen Belas- Asylverfahren aus den dortigen Ländern neuerdings tung in unseren Städten und Gemeinden ein Mittel diese Anträge prioritär zu behandeln sind der Wahl. Deshalb fordern wir hier auch die ent- (Michael Hübner [SPD]: Das ist doch nicht sprechende Umsetzung. – Ich danke Ihnen für die richtig!) Aufmerksamkeit. und dass bezüglich der Maßnahmen zur Rückkehr (Beifall von der CDU) die Rückführungsabkommen entsprechend umge- setzt werden. Denn Deutschland hat zwar mit die- sen Staaten ein Rückführungsabkommen, doch in Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herrr der praktischen Umsetzung scheiterte es zuletzt oft Kollege Kuper. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr an der Kooperationsbereitschaft. Dr. Stamp das Wort.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10742 Plenarprotokoll 16/104

Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin! Mei- litisch Verfolgte und Bürgerkriegsflüchtlinge bei- ne sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen spielsweise aus Syrien, wenn Sie damals nicht auf aufpassen, dass nach der Debatte, so wie sie heute Sicht gefahren wären und erst dann gehandelt hät- Vormittag hier geführt worden ist, nicht der Ge- ten, als es gar nicht mehr anders ging, sondern un- sprächsfaden in der Flüchtlingspolitik völlig abreißt. sere Anregung frühzeitig aufgenommen hätten. Ich habe schon gestern angesprochen, dass wir als Opposition nicht den Eindruck haben, dass es wirk- Kollege Kuper hat zu unserem gemeinsamen An- lich den Willen für eine gemeinsame Flüchtlingspoli- trag inhaltlich alles Notwendige gesagt. tik in diesem Hause gibt. Es wäre gut, wenn alle mal Ich möchte aber noch mal Folgendes – auch an die in sich gehen würden und darüber nachdenken Adresse der regierungstragenden Fraktionen – sa- könnten, ob man hier zu anderen Konzeptionen zu- gen: Bitte machen Sie nicht noch mal den Fehler, rückkommen kann. Wenn wir jetzt schon erleben, zum jetzigen Zeitpunkt auf eine solche Einstufung dass diese Stimmung auch in die Ausschussarbeit, zu verzichten und wieder nur auf Sicht zu fahren beispielsweise im Integrationsbereich, abfärbt, dann und sie erst ein halbes Jahr später zu beschließen – ist das sehr bedenklich. Wir haben alle als Parla- möglicherweise in einem Asylpaket IV, V oder VI mentarier eine Aufgabe, der wir gerecht werden oder was auch immer auf Bundesebene verhandelt müssen. wird! Lassen Sie uns jetzt hier gemeinsam verant- wortlich mit dem Problem umgehen! Herr Minister Jäger, Sie haben gestern beklagt, ich hätte Sie im Zusammenhang falsch zitiert, weil Sie Selbstverständlich wird es auch weiterhin für jede gesagt haben: Wir fahren auf Sicht. – Sie haben mit Marokkanerin und jeden Marokkaner, Tunesier oder dem „Wir fahren auf Sicht“ die Verteilung der Flücht- Algerier ein rechtsstaatliches Verfahren geben. Aber linge in die Kommunen beschrieben, weil die Zu- wir müssen zu einer Straffung der Verfahren kom- gangszahlen nach Nordrhein-Westfalen und die Zu- men. Wir müssen auch zügig zu Einreise- oder Aus- gangszahlen in den Bund schwanken. Das habe ich reisezentren – oder wie auch immer Sie das am auch nicht in Frage gestellt. Ich habe nur gesagt – Ende nennen werden – kommen, in denen es eine dabei bleibe ich auch – dass Fahren auf Sicht leider Zusammenführung von denen mit geringer Bleibe- auch pars pro toto für Ihre gesamte Flüchtlingspoli- perspektive gibt mit BAMF am Ort, mit einer klaren tik steht. Clusterung, wie es sie schon heute in Heidelberg und anderswo gibt. Wir haben erlebt, dass Sie sich lange Zeit nicht konzeptionell mit der Problemgruppe der allein rei- (Minister Ralf Jäger: Auch in Nordrhein- senden Nordafrikaner beschäftigt haben; das haben Westfalen!) wir an anderer Stelle erlebt. Wir haben es aber auch hier im Hause erlebt, als es um die Deklarierung, – Das gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht wie in die Bestimmung sicherer Herkunftsländer auf dem Heidelberg. Sonst nennen Sie mir ein entsprechen- Balkan ging. des Beispiel! Sie haben ja gleich das Wort, Herr Mi- nister. Wir haben sehr frühzeitig in der Debatte darauf hin- Darauf legen wir gesteigerten Wert: Wir wollen eine gewiesen, dass es sinnvoll ist, hier zu einer Verfah- sachliche Diskussion. Aber wir müssen jetzt zu be- rensstraffung zu kommen. Darum geht es ja bei der schleunigten Verfahren kommen. Das sagen alle. Bestimmung als sichere Herkunftsländer und der Aber wenn es dann zum Schwur kommt, müssen damit verbundenen Annahme, dass die Anträge un- Sie auch dazu stehen und hier die entsprechenden begründet gestellt sind. Trotzdem gibt es ja – das Konsequenzen beschließen. – Herzlichen Dank. möchte ich auch noch einmal ganz klar sagen – rechtsstaatliche Verfahren. Das haben wir für den (Beifall von der FDP) gesamten Balkan damals vorgeschlagen; denn es war so, dass wir erkannt haben, dass sich von den Balkanländern, die als sichere Herkunftsländer ein- Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr gestuft waren, der Zuzug um 23 % erhöht hatte und Dr. Stamp. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege dass sich aus den drei Ländern, die eben nicht si- Körfges das Wort. chere Herkunftsländer waren, der Zuzug im glei- chen Zeitraum um 515 % erhöht hat. Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Wir haben das angesprochen. Damals haben Sie Kolleginnen und Kollegen! In einem Punkt gebe ich das noch abgelehnt. Erst im Zuge der Verhandlun- Herrn Dr. Stamp vollkommen – unumwunden und gen auf Bundesebene ist es dazu gekommen, dass uneingeschränkt – recht: Ja, wir müssen zu einer Sie dann bei der Einstufung als sichere Herkunfts- Beschleunigung der Verfahren kommen. länder doch mitgemacht haben. Aber das war deut- (Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE]) lich zu spät. Wir hatten hier eine viel frühere Bun- desratsinitiative angemahnt. Viele Menschen aus Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, da muss man diesen Ländern wären heute nicht in den Einrich- Step by Step überlegen, wieso die Verfahren nicht tungen, und wir hätten mehr Platz für tatsächlich po- so schnell sind, wie sie sein könnten.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10743 Plenarprotokoll 16/104

Die Bestimmung sicherer Herkunftsländer zum al- Zwischentönen die Debatten etwa über Obergren- leinigen Grund für eine Verfahrensbeschleunigung zen, über Transitzonen zu einem anderen Tages- zu machen, ist nicht so ganz redlich, um es vorsich- ordnungspunkt. Wir sollten vermeiden, durch eine tig auszudrücken, liebe Kolleginnen und Kollegen. irgendwie geartete aktionistische Form von Antrag- stellungen die Bevölkerung glauben zu lassen, das (Beifall von den GRÜNEN) seien geeignete Mittel, die Anzahl der Menschen, Im Gegenteil: Möglicherweise spielt das nur eine die bei uns Schutz und Hilfe suchen, dramatisch zu untergeordnete Rolle, was ich Ihnen am Beispiel reduzieren. Westbalkan zeigen will. Sie wissen, dass wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an der Stelle gerne, schon um den Konsens nicht zu ge- Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Körf- fährden, diskutieren und die Bestimmung sicherer ges, bevor Sie Luft geholt haben und weiterspre- Herkunftsländer auch nicht vollkommen ausschlie- chen, möchte ich Sie gerne unterbrechen und Sie ßen. darauf aufmerksam machen, dass Herr Kollege Dr. Stamp Ihnen eine Zwischenfrage stellen würde. Wir sollten uns aber davor hüten, bezogen auf die Debatten, die wir schon mal führen, den Menschen Lösungen vorzugaukeln, die gar keine sind. Wenn Hans-Willi Körfges (SPD): Das kann er gerne tun. Sie sagen, vereinfacht ausgedrückt, wir müssten Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Herr Kol- nur sichere Herkunftsländer definieren und dann lege Körfges, dass Sie eine Zwischenfrage zulas- sinke die Anzahl der Flüchtlinge aus diesen Her- sen. – Meine Frage lautet: Wo sehen Sie in unse- kunftsländern sofort und kurzfristig, haben Sie of- rem Antrag eine Suggestion, dass das, was wir vor- fensichtlich zwei Dinge nicht in den Blick genom- schlagen, die komplette Lösung des Themas wäre? men – auch bezogen auf das von Ihnen angespro- chene Beispiel: Hans-Willi Körfges (SPD): Wenn man sich insge- (Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP] – Zuruf samt über die Frage, wie man mit Asylbewerberin- von André Kuper [CDU]) nen und -bewerbern aus dem Bereich Nordafrika Erstens. Die Wirkungen im Bereich Westbalkan ge- umgeht, unterhalten will, halte ich eine Überschrift hen nach unserer Beobachtung auf ganz andere „Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Her- Maßnahmen zurück: zum einen darauf, dass es zu kunftsstaaten einstufen – Asylverfahren beschleuni- einer bevorzugten Behandlung beim BAMF ge- gen – Rückführungen praktisch umsetzen“ für irre- kommen ist, und zum anderen auf eine Informa- führend. Denn wir wissen, dass die Rückführung tions- und Aufklärungskampagne vor Ort über die aus Gründen, die ich gerade erläutert habe, nicht tatsächlichen Perspektiven in Deutschland. möglich ist. Die Asylbeschleunigung wird im Prinzip an ganz anderer Stelle im Prinzip unmöglich ge- Denn die Wirkungen können gar nicht so schnell macht. Bei Ihnen bleibt nur die Einstufung als siche- eingetreten sein. Sie müssen überlegen, wann die- re Herkunftsstaaten übrig. Von daher glaube ich, se gesetzliche Einstufung – § 29 a Asylgesetz – Sie fischen wieder nur in einem eigentlich sehr trü- stattgefunden hat. Gaukeln Sie von daher den Men- ben Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen. schen keine Scheinlösungen vor! Lassen Sie mich noch ein Wort zur Aufstellung der Zweitens. Was nutzt uns all das, wenn – ich nenne verehrten Kollegen der CDU sagen! Mir fällt zum die Zahlen noch mal – bis zur Antragstellung beim wiederholten Male auf, dass Sie Ihre bewährten BAMF acht Monate vergehen, anschließend die Fachkräfte beim Thema „Innenpolitik und Flücht- Bearbeitung 14,7 Monate dauert, um dann – das ist lingspolitik“ ganz offensichtlich nicht mehr ans Mik- der gröbste Punkt, den wir im Augenblick zu beach- rofon lassen. ten haben –, wenn wir eine rechtskräftige Entschei- dung nach Ausschöpfung des Rechtswegs haben, (Widerspruch von der CDU) folgende Situation vorzufinden: Die Herkunftsländer nehmen die Menschen nicht auf und stellen keine Ich finde, das ist eine nachvollziehbare Entschei- sogenannten Laissez-passer-Papiere aus. dung, aber sie sollten sich dann vielleicht über den sachlichen Diskussionsstand im Bereich der Fach- Liebe Kolleginnen und Kollegen, da muss man die ausschüsse etwas besser informieren. Diskussion mal vom Kopf auf die Füße stellen. Ich bitte darum, das Notwendige Step by Step zu ma- chen. Statt aktionistisch Lösungen vorzugaukeln, Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Körf- sollten wir besser das machen, was im Augenblick ges, ich unterbreche Sie ein zweites Mal, weil Ihnen kurzfristig möglich ist. Da ist die Bundesregierung jetzt Herr Kuper gern eine Zwischenfrage stellen wohl gut unterwegs. würde. Darüber hinaus will ich darauf verweisen, dass wir an einigen Stellen nicht auf Scheinlösungen setzen Hans-Willi Körfges (SPD): Natürlich kann Herr Ku- sollten. Wir hatten heute Morgen mit sehr intensiven per mir eine Zwischenfrage stellen.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10744 Plenarprotokoll 16/104

André Kuper*) (CDU): Vielen Dank, Herr Körfges. – 2015 getroffen worden. Da war das Jahr schon fast Herr Körfges, dürfen wir Ihren Ausführungen ent- zu Ende. nehmen, dass Ihre SPD-Kollegen im Bund heute der entsprechenden Regelung, die vorgeschlagen Ich komme jetzt auf die Zahlen und darauf zu spre- ist, nicht zustimmen werden? chen, wie sie sich entwickelt haben. Die hohen Zu- gangszahlen an Kosovo-Zuwanderern hatten wir besonders Anfang des Jahres 2015. Im Februar wa- Hans-Willi Körfges (SPD): Das dürfen Sie meinen ren es 6.913. Das war der Höchststand der Zu- Ausführungen nicht entnehmen, liebe Kolleginnen gangszahlen aus dem Kosovo. Sie gingen zurück, und Kollegen. ja, aber schon direkt danach, nämlich – wenn Sie sich die Juli-Zahlen ansehen – auf 1.205 und weiter (Zuruf von der CDU: Aha!) herunter bis Oktober. Herr Kuper, es wäre schön, Es ist eine klare Frage, die ich ganz klar beantwor- wenn Sie sich die Gegenargumentation auch einmal tet habe. anhören würden. Vor Einstufung als sichere Her- kunftsländer mit Stand Oktober waren es 619. Das Ich möchte zum Abschluss meiner Ausführungen heißt ein Rückgang von 6.913 auf 619 vom Oktober auf den mir inhaltlich nicht unsympathischen Ent- im Laufe des Jahres ohne Einstufung als sichere schließungsantrag der Fraktion der Piraten zu spre- Herkunftsländer. chen kommen. (Zuruf von der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Auch wir halten die AfD für rechtsextrem. Ihre Schlussfolgerung, dass die Einstufung habe das bewirkt, ist daher faktisch falsch und nicht nur (Zuruf von der CDU: Armutszeugnis!) gefühlt falsch. Zweitens schließen wir für uns als Sozialdemokra- (Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall tinnen und Sozialdemokraten eine Zusammenarbeit von der SPD und den PIRATEN) mit dieser Gruppierung – Partei will ich nicht sa- gen – vollständig aus. Im Übrigen war es bei Albanien ähnlich. Drittens versteht sich von ganz allein, dass es Ko- Jetzt komme ich auf den tatsächlichen Faktor Be- operationen und Zusammenarbeiten mit uns nie- schleunigung und darauf zu sprechen, wie es dazu mals geben wird. gekommen ist, dass die Zahlen zurückgegangen sind. Viertens ist das leider ein Entschließungsantrag, der hier zum verkehrten Zeitpunkt an der verkehrten Der Beschleunigungsfaktor im Verfahren selber ist Stelle gestellt worden ist. – Ich bedanke mich für die nicht primär die Einstufung als sichere Herkunfts- Aufmerksamkeit. länder, sondern die Ablehnung eines Antrages als (Beifall von der SPD) offensichtlich unbegründet. Einen Antrag als offen- sichtlich unbegründet abzulehnen, Herr Dr. Stamp, können Sie auch ohne, dass diese Länder als si- Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr cher eingestuft werden. Das wurde bei fast allen Kollege Körfges. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Asylverfahren aus Balkanländern bereits vorher Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Düker. schon gemacht, ohne dass sie als sichere Her- kunftsländer eingestuft waren. So ist es! Das ist auch nachweislich. Monika Düker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Stamp und Herr Diese Ablehnung offensichtlich unbegründeter Kuper, die Ausgangslage und Analyse, die Sie hier Asylanträge, Herr Kuper, hatte letztlich die Verfah- in Ihrem Antrag und auch in Ihrem Redebeitrag, rensbeschleunigung bei den Fristen zur Folge. Das Herr Kuper, beschreiben, ist schlicht falsch, nämlich steht im Gesetz. die Feststellung – ich komme gleich auch zu den datenbasierten Belegen –, die Sie in Ihrem Antrag (André Kuper [CDU]: Quatsch!) stellen, dass die Anzahl der Asylbewerber aus den Sie müssen auch einmal aushalten, sich das anzu- Balkanstaaten im Laufe des Jahres kontinuierlich hören. – Der Rückgang dieser Zahlen ohne Einstu- zurückging, weil die Balkanstaaten als sicher kate- fung als sichere Herkunftsländer hat ein Weiteres gorisiert wurden. Dieser Zusammenhang, Herr Ku- begründet: Diese Anträge kamen dann tatsächlich per, ist nicht richtig. Es ist auch fahrlässig, das hier oben auf den Stapel, wurden schnell bearbeitet – so in den Raum zu stellen. alle ohne Einstufung –, und die Menschen wurden (Zuruf und Widerspruch von der CDU) in ihren Herkunftsländern aufgeklärt, dass sie hier keine Aussicht auf Erfolg haben, dass ihr Asylantrag – Schütteln Sie nicht mit dem Kopf, bevor ich das abgelehnt wird, plus eine gute Rückkehrberatung. nicht begründet habe. – Die Entscheidung, diese All das zusammen hat ganz von selbst ohne diese Staaten als sicher einzustufen, ist Ende Oktober Einstufung zu dem Rückgang dieser Zahlen beige-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10745 Plenarprotokoll 16/104 tragen. So viel zum Thema „Legenden und Fakten- Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau check“. Kollegin Düker. – Für die Piraten spricht jetzt Frau Brand. (Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU) Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Im Ziel sind wir uns völlig einig: Die Verfahren von Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- Asylsuchenden insbesondere aus Algerien und Ma- gen! Liebe Zuschauer! Die Große Koalition aus rokko, aber auch von allen anderen müssen be- CDU und SPD hat vor einigen Monaten das Kon- schleunigt werden. Eine Verfahrensdauer von zum zept „sichere Herkunftsstaaten“ entdeckt. Im Herbst Teil zwei Jahren kann nicht hingenommen werden. 2015 wurden sechs Westbalkanstaaten mal eben Das gilt auch für die Bleibeberechtigten und ist ge- als sicher deklariert. nauso richtig für diejenigen, deren Antrag abgelehnt Herr Körfges und Frau Düker haben bereits erklärt, wird. dass dies mitnichten der Grund dafür ist, warum auf einmal weniger Menschen aus dem Westbalkan ge- Aber lassen Sie uns abschichten und uns die Maß- kommen sind. Vielmehr seien viele andere Fakto- nahmen ansehen, die tatsächlich dazu beitragen ren – unter anderem die Informationskampagnen, und tatsächlich wirken und die tatsächlich gegen aber eben nicht die Deklarierung zu sicheren Her- den Pull-Effekt wirken; den will hier keiner in Abrede kunftsstaaten – dafür entscheidend gewesen. Nach stellen. Das ist erstens, die Verfahrensdauer zu re- den verabscheuungswürdigen Vorfällen in Köln sol- duzieren. Dafür brauchen Sie keine Einstufung. Das len jetzt die Maghrebländer Marokko, Algerien und ist zweitens, dass diese Länder ihre Staatsangehö- Tunesien folgen. rigen wieder zurücknehmen. Das sind die beiden Dinge, die dazu führen, wenn man hier faktenbasiert (Dr. Joachim Stamp [FDP]: Weil es seit No- argumentiert, dass diese Menschen schneller wie- vember einen großen Zuzug aus diesen Län- der in die Herkunftsländer zurückkommen. dern gibt!) Damit ist das Konzept „sicherer Herkunftsstaat“ Ich will auch ganz offen eingestehen: Ja, wir haben endgültig zur Verhandlungsmasse politischer Willkür im letzten Jahr diese Symbolpolitik im Bundesrat, fernab jeglicher rechtsstaatlicher Erwägungen ge- was die Balkanländer anging, mitgemacht. Ich sage: macht worden. Wir haben das mitgemacht, weil wir im Bundesrat einen Preis zahlen mussten – das ist manchmal so (Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das ist eine Un- im politischen Geschäft –, damit sich der Bund end- verschämtheit!) lich an den Kosten für die Flüchtlinge beteiligt. Wir Hier wird nichts anderes gemacht, als das individu- haben das im Interesse unserer Kommunen ge- elle Recht auf Asyl weiter auszuhöhlen. macht, damit die Kommunen endlich diese Flücht- lingspauschale des Bundes bekommen. Deswegen (Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist nicht haben wir am Ende aus staatspolitischer Verantwor- rechtsstaatlich? – Habe ich das richtig ge- tung diesen Kompromiss im Bundesrat mitgetragen. hört?) Ich sage Ihnen aber ganz ehrlich: Aus Überzeugung Wir Piraten hingegen stehen für das uneinge- haben wir den nicht mitgemacht. schränkte Recht auf Asyl – ohne Wenn und Aber. (Michele Marsching [PIRATEN]: Dann macht (Beifall von den PIRATEN) man das doch nicht!) Union und SPD führen die Debatte alleine mit Blick Wir haben ihn auch nicht mitgemacht, weil er tat- auf die aktuellen Flüchtlingszahlen. Kommen mehr sächlich etwas bewirkt hat. Deswegen finde ich Ihre vom Balkan, werden diese Länder schnell als sicher Argumentationskette komplett falsch. Sie verwech- eingestuft, kommen mehr aus dem Maghreb oder seln Ursache und Wirkung. Daraus die Schlussfol- braucht man schnell eine populistische Reaktion auf gerung zu ziehen, es jetzt mit Algerien und Marokko Köln, gelten diese Länder plötzlich auch als sicher. auch so zu machen, damit morgen die Probleme Damit hebeln Sie nicht nur das Asylrecht aus, son- gelöst sind, ist völlig unlauter. dern Sie tragen ebenso zum Verfall des politischen Diskurses bei, wie Sie es der rechtsradikalen Partei stets vorwerfen. Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Düker. Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ist keine politische Ermessensentscheidung aus dem CSU- Flüchtlingsleitfaden. Nein, das deutsche Asylrecht Monika Düker (GRÜNE): Versprechen Sie hier den sagt eindeutig, dass dies ein Ergebnis eines auf- Leuten nicht so ein dummes Zeug. Am Ende wird wendigen rechtsstaatlichen Verfahrens sein muss, es nicht funktionieren. und zwar unter Einbeziehung menschenrechtsrele- vanter Faktoren. Nach Unionsrecht umfasst die ver- (Anhaltender Beifall von den GRÜNEN) fahrensrelevante Verfolgungsverhandlung auch Fol-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10746 Plenarprotokoll 16/104 ter sowie unmenschliche oder erniedrigende Be- ideologen hier nie Verantwortung übernehmen dür- handlung. Dorthin dürfte also nicht abgeschoben fen und dass man eine Zusammenarbeit mit ihnen werden. ausschließt. Deshalb ist das jetzt richtig und wichtig! Schauen wir uns einmal exemplarisch die Lage in Wir denken auch über eine namentliche Abstim- Marokko an. Hier wurde übrigens eine Abschiebung mung nach, die allerdings noch in der Prüfung ist. – gestoppt, weil für die Sicherheit der mitfliegenden Vielen Dank. Beamten vor Ort nicht garantiert werden konnte – supersicher! (Beifall von den PIRATEN) Amnesty International schreibt in seinem Länderbe- richt 2015 – ich zitiere –: Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung hat jetzt „Die Behörden schränkten die Rechte auf freie Herr Minister Jäger das Wort. Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Ver- sammlungsfreiheit weiterhin ein. Kritik an der Regierung wurde unterdrückt, Journalisten ris- Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: kierten strafrechtliche Verfolgung, Aktivisten Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe wurden festgenommen.“ Frau Präsidentin! Herr Stamp, Herr Kuper, seit im September des letzten Jahres Dublin III in Europa Weiter heißt es: faktisch aufgehoben wurde und in der Folge viele „Es gab erneut Berichte über Folter und andere Hunderttausend Menschen – bis zu 1,1 Millionen Misshandlungen während der Haft aufgrund von zum Ende letzten Jahres – nach Deutschland ge- unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen und kommen sind, haben Kommunen und Länder bei mangelnder Rechenschaftspflicht.“ dieser Aufnahme Unglaubliches geleistet. Etwas weiter kann man lesen, dass Frauen nach (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) wie vor nicht ausreichend vor sexueller Gewalt ge- schützt werden. Wir sind aus dem Krisenmodus heraus und nun- mehr im Regelbetrieb. Ich bin fest davon über- (Michele Marsching [PIRATEN]: Total sicher zeugt – und das sagen uns alle Betreuungs- und da!) Hilfsorganisationen –, dass wir in Deutschland nach Ähnliches gilt auch für Algerien und Tunesien. wie vor eine Willkommenskultur haben, dass es vie- Schutzsuchenden aus diesen Ländern sprechen Sie le Menschen gibt, die ehrenamtlich in der Flücht- mit der Drittstaatenregelung pauschal die Schutz- lingshilfe arbeiten, weil die Bilder, die aus dem syri- gründe ab. Das ist menschenverachtende Politik. schen Bürgerkrieg um die Welt gehen, an ihre und unsere Humanität appellieren. Ich komme zum Schluss. Eine Liste sicherer Her- kunftsstaaten höhlt nicht nur das individuelle Grund- Dieselben Bürgerinnen und Bürger haben aber recht auf Asyl aus, sondern trägt auch zur Stereoty- auch wenig Verständnis dafür, dass in einer solchen pisierung bestimmter Gruppen Schutzsuchender Situation der Staat, die Verwaltungen in Deutsch- bei. Wir Piraten lehnen das Konzept „sichere Her- land nicht in der Lage sind, den Menschen, die aus kunftsstaaten“ deshalb grundsätzlich ab. Staaten kommen, wo es tatsächlich keinen Bürger- krieg gibt und wo kein Anlass besteht, sie nach der (Beifall von den PIRATEN) Genfer Flüchtlingskonvention oder nach dem Asyl- recht bei uns aufzunehmen, frühzeitig mitzuteilen, Jetzt komme ich zu unserem Entschließungsantrag. dass ihr Gesuch keinen Erfolg verspricht. Ministerpräsidentin Kraft hat heute Morgen in der Debatte gesagt: Menschen in der AfD Die Menschen haben auch kaum Verständnis dafür, (Sigrid Beer [GRÜNE]: So geht das nicht!) dass wir als Staat nicht alle Flüchtlinge ordentlich registriert bekommen und dass sich manche sogar sind von der Art, mit mehreren Identitäten hier aufhalten können. Deshalb ist es gut, dass zum 1. Februar dieses Jah- (Lutz Lienenkämper [CDU]: Hier wird zu ei- res das Datenaustauschverbesserungsgesetz in nem unzulässigen Antrag geredet! – Weitere Kraft tritt, dass wir eine Datenbank auf Bundesebe- Zurufe) ne haben werden sowie einen Flüchtlingsausweis, dass sie nie in Deutschland Verantwortung über- womit genau diesem Mangel entgegengetreten nehmen dürfen. – Jetzt sagte eben Herr Körfges, es werden kann. sei der falsche Zeitpunkt, so einen Antrag zu be- schließen. Ebenso wenig Verständnis haben die Menschen da- für, dass es nicht gelingt, denjenigen, die zu uns Nein, es ist genau der richtige Zeitpunkt, um ange- kommen, weil sie in ihren Heimatländern keine wirt- sichts dieser Stimmung, in dieser Zeit und nach die- schaftliche Perspektive sehen, sehr frühzeitig zu ser Debatte Farbe zu bekennen, und zwar von allen vermitteln, dass auch sie hier keinen Anspruch auf Seiten. Wir müssen sicherstellen, dass die Rechts- Asyl haben.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10747 Plenarprotokoll 16/104

Wenn wir dieses Sorgen, diese Haltung der Bürge- Wenn Sie einen ablehnenden Asylbescheid be- rinnen und Bürger ernst nehmen wollen, dann müs- kommen – das geschieht in der Regel, weil die sen wir als Politik wirklich ernsthaft daran arbeiten, Schutzquote extrem niedrig ist –, ist eine Rückfüh- diese Missstände zu beseitigen und nicht Scheinlö- rung in diese Länder fast überhaupt nicht oder nur sungen zu bieten oder weiße Salbe zu reichen. sehr schwierig möglich, weil sich die Staatsregie- rungen in Algerien, Marokko und Tunesien absolut (Beifall von der SPD) unkooperativ verhalten. Allein die Tatsache, dass dieser Antrag hier zur di- Was heißt das jetzt? Das heißt, dass wir – wenn die rekten Abstimmung gestellt wird, ist doch ein Hin- entsprechende Anzahl an Mitarbeitern beim Bun- weis darauf, Herr Stamp und Herr Kuper, dass die desamt für Migration und Flüchtlinge vorhanden wä- eigentliche Intention dieses Antrages nicht etwa da- re, die alle schnell bearbeiten würden, und wenn es rin besteht, sich mit der Frage nach der Einstufung der Bundesregierung gelänge, Druck auf die besag- als sichere Herkunftsländer zu befassen, sondern ten Herkunftsländer auszuüben – in Deutschland vielmehr darin, einen angeblichen Dissens zwi- auch ohne eine solche Einstufung als sichere Her- schen Rot und Grün offenbar zu machen. kunftsländer in der Lage wären, ohne jedes Ge- Gehen wir dieses Thema einmal ganz sachlich und setzgebungsverfahren schnell zu entscheiden und ruhig an: schnell zurückzuführen. Zum Westbalkan. Ich kann mich gut daran erinnern, Herr Stamp, Sie haben selbst appelliert, mit diesem dass es vor einem Jahr im Februar zur Karnevals- Thema sachlich umzugehen. Es macht die Men- zeit tägliche Telefonschaltungen mit den Bezirksre- schen draußen verrückt, dass die Politik permanent gierungen gab, weil wir einen sprunghaften Anstieg über Scheinlösungen diskutiert, die tatsächlichen von Asylbewerbern aus dem Kosovo zu verzeich- Lösungen aber nicht präsentiert. nen hatten, mit dem erhebliche Unterbringungs- (Beifall von der SPD und den PIRATEN - probleme einhergingen. Michele Marsching [PIRATEN]: Genau das ist Wir haben dann in verschiedenen Telefonschaltun- das Problem!) gen – der Innenminister NRW mit dem Bundesin- Das macht die Menschen verrückt! Es ist unsere nenminister – ein Maßnahmenpaket aufgelegt. Zu Verantwortung, deutlich zu machen, wo es Hemm- diesem Maßnahmenpaket gehörte unter anderem nisse und Hindernisse gibt und wo Politik daran ar- auch die Öffentlichkeitsarbeit in den Herkunftslän- beitet, sie möglichst schnell zu beseitigen. Manches dern. Die Folge war, dass es – lange, bevor das dauert lange, auch mir zu lange. Manches geht Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere schnell. Herkunftsstaaten für die Menschen aus dem West- balkan überhaupt in Kraft trat – mit vielfältigsten Wir müssen den Menschen aber ehrlich vermitteln, Maßnahmen, Herr Kuper und Herr Stamp, gelungen dass auch die Bundesanstalt für Migration und ist, die Zahl derer, die aus diesen Ländern kommen Flüchtlinge – die ich jetzt einmal ausdrücklich in und tatsächlich keinen Anspruch auf Asyl haben, Schutz nehmen will – vor Probleme gestellt wird, deutlich zu reduzieren. wenn sie 1 Million Asylanträge zu bearbeiten hat. Da liegen noch 650.000 unbearbeitete Anträge. Das ist auch deshalb gelungen, weil es die Bundes- 650.000! Eigentlich bräuchte das BAMF, um diese anstalt für Migration und Flüchtlinge geschafft hat, Anträge zu bearbeiten, weitere zwei Jahre. Gleich- durch eine Konzentration von vielen Mitarbeitern da- zeitig aber kommen noch weitere Menschen. Des- für zu sorgen, dass die Asylanträge innerhalb von halb finde ich: Ein verantwortungsvoller Umgang mit durchschnittlich 2,1 Tagen beschieden wurden. diesem Thema, der sich an Fakten orientiert, wird (Dr. Joachim Stamp [FDP]: Genau das uns gelingen, wenn wir uns darauf konzentrieren, schlagen wir hier vor! Lesen Sie unseren An- was richtig und gut ist und tatsächlich hilft. trag!) Jetzt will ich vorweg eines deutlich sagen: Ich per- – Sie geben jetzt selbst zu, dass es nicht ausreicht, sönlich halte eine Aufnahme der Maghrebländer in nur auf ein Stück Papier zu schreiben, dass Men- die Liste der sicheren Herkunftsländer nur dann für schen aus sicheren Herkunftsländern kommen, sinnvoll, wenn zugleich die Bundesanstalt für Migra- sondern dass zugleich auch weitere Maßnahmen, tion und Flüchtlinge eine ausreichende Anzahl an insbesondere im Bereich der Verwaltung, greifen Mitarbeitern hat, die das Ganze so bearbeiten, dass müssen. kurze, schnelle Verfahren durchgeführt werden können. Wie sieht die Situation derzeit aus? Wir haben die Situation, dass die Bearbeitungszeit für Asylanträge Herr Stamp, es ist völlig egal, ob Sie das in Ihren von Menschen aus dem sogenannten Maghreb – Antrag reinschreiben oder nicht. Entscheidend ist, also aus Marokko, Algerien und Tunesien – zurzeit dass das BAMF über die Anzahl von Menschen ver- im Durchschnitt 14,7 Monate beträgt. 14,7 Monate – fügt, die dieses Vorhaben tatsächlich umsetzen nach Antragstellung! Einen Termin zur Antragstel- können. Gleichzeitig muss die Bundesregierung lung erhalten Sie nach sechs bis acht Monaten. mithilfe von Laissez-Passer-Vereinbarungen mit

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10748 Plenarprotokoll 16/104 den Herkunftsländern sicherstellen, dass abgelehn- Die Räumlichkeiten sind vorhanden. Die Plätze, die te Asylbewerber auch ohne Passersatzpapiere man dazu braucht, sind vorhanden. Die Logistik, die dorthin zurückgeführt werden können. wir stellen müssen, ist vorhanden. Was fehlt, sind die Menschen beim BAMF, die das Ganze möglich (Beifall von Nadja Lüders [SPD]) können. Nur dann macht das Sinn. Keinen Sinn jedoch macht diese Luftnummer mit direkter Abstimmung (Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP]) hier im Landtag. Das verwirrt die Menschen nur noch mehr. – Herzlichen Dank für die Aufmerksam- – Herr Stamp, Sie mögen es nicht glauben: Die Re- keit. alität ist so, sonst hätte das BAMF nicht 650.000 unbearbeitete Asylanträge vorliegen. Herr Stamp, ich sage Ihnen, dass es überhaupt keinen Sinn Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Jäger, macht, immer zu behaupten, man habe eine Lö- bleiben Sie bitte gleich da. Wir hatten Ihnen schon sung, wenn diese draußen nicht praktikabel ist. signalisiert, dass es eine Kurzintervention durch Deshalb, Herr Stamp, noch einmal der Appell: Herrn Kollegen Dr. Stamp gibt. Und darüber hinaus haben Sie die Redezeit – zur Information der Frakti- Wenn wir mit dem Thema „Flüchtlingspolitik“ ver- onen – um 2 Minuten und 14 Sekunden überzogen, antwortungsvoll umgehen wollen, dann brauchen welche die Fraktionen natürlich auch noch bekom- wir solche Anträge und solche direkten Abstimmun- men. – Aber Sie haben jetzt erst einmal Gelegenheit gen nicht. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksam- zu einer Kurzintervention, Herr Dr. Stamp. Bitte keit. schön. (Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Minister, Sie ha- ben hier ausgeführt, es ginge uns allein um die De- Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr klarierung der sicheren Herkunftsländer. Das ist Minister Jäger. – Bisher liegen folgende weitere Re- aber falsch. demeldungen vor: für die CDU-Fraktion Herr Kuper, für die Piraten Herr Marsching und für die FDP Herr Dieser Antrag beinhaltet vier Punkte. Im Übrigen Dr. Stamp. – Herr Kuper hat jetzt das Wort. steht genau all das, was Sie gerade eingefordert haben, in unserem Antrag drin. Wenn Sie als Abge- ordneter Jäger konsequent wären, dann müssten André Kuper (CDU): Frau Präsidentin! Meine Da- Sie diesem Antrag eigentlich zustimmen, denn Sie men und Herren! Wir haben hier einen Antrag vor- haben ihn im Grunde genommen gerade begründet. gelegt, der zwei dezidierte Schwerpunktbereiche (Beifall von der FDP und der CDU) hat. Zum einen ist das die Festlegung als sicherer Herkunftsstaat, zum anderen haben wir darin sehr deutlich gesagt, dass unsere Kommunen ange- Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: sichts der aktuellen Situation dringend jede Form Gut, dass Sie noch mal selbst anmerken, Herr der Entlastung brauchen. Bei diesem Tagesord- Stamp, dass Sie einen Antrag haben, wo Sie etwas nungspunkt hat es zu diesem Inhalt von keinem von aufgeschrieben haben. Es gibt da draußen aber ei- Ihnen auch nur eine einzige Aussage gegeben. ne Wirklichkeit, eine Realität. (Zuruf von der CDU: Oh! – Dr. Joachim Wir haben ganz klar gefordert, dass dem „Aktions- Stamp [FDP]: Sie haben den Antrag gar nicht plan Westbalkan“ quasi ein „Aktionsplan Afrika“ fol- gelesen!) gen muss. Das heißt, dass Asylbewerber aus die- sen Maghrebländern nicht weiter in die Kommunen Die Realität sieht so aus, dass wir mit dem BAMF in durchgeleitet werden. Das ist nicht etwas, was Verhandlungen stehen. übermorgen oder in ferner Zukunft, sondern jetzt, sofort und gleich passieren muss, um so für eine (Unruhe von der CDU – Zuruf von Entlastung der Kommunen zu sorgen. Dr. Joachim Stamp [FDP]) – Herr Stamp, Sie haben mich gerade etwas ge- (Beifall von der CDU) fragt. Wollen Sie die Antwort gar nicht hören? – Sie beschreiben hier etwas, was in der Wirklichkeit Noch einmal zu den ersten Äußerungen: Hier ist je- draußen nicht existiert. de Menge zu dem gesagt worden, was nicht in dem Antrag steht. Wir brauchen diese Festlegung als Mein Haus steht in Gesprächen mit der Bundesan- Teil eines Gesamtpaketes, und das können Sie in stalt für Migration und Flüchtlinge. Dabei geht es da- diesem Antrag auch so lesen. Alle anderen Unter- rum, fünf Standorte in Nordrhein-Westfalen zu in- stellungen hier im Raum sind einfach falsch. – Dan- stallieren, in denen sofort registriert und geröntgt ke. wird, wo sofort eine Akte angelegt wird und wo so- fort der Flüchtlingsausweis ausgestellt werden kann. (Beifall von der CDU)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10749 Plenarprotokoll 16/104

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Präsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Kollege Kuper. – Jetzt hat der Kollege Marsching für Marsching. – Für die FDP-Fraktion hat Herr die Piratenfraktion das Wort. Dr. Stamp das Wort.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin! Mei- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren auf der ne Damen und Herren! Herr Kollege Marsching, im Tribüne und zu Hause! Liebe Kolleginnen und Kol- Grunde vertreten die Piraten das Prinzip „open bor- legen! Ich wollte eigentlich zur Geschäftsordnung der“. Für Sie ist das Asylrecht grundsätzlich ein reden, aber ich möchte ein oder zwei Argumente Einwanderungsparagraf. Das ist eine Position, die hinzufügen, die dann wahrscheinlich nicht gepasst Sie gerne vertreten können. Aber nicht in Ordnung hätten. Von daher freue ich mich auf die Unruhe, die ist, was Sie in Ihren Wortmeldungen hier von sich gleich wieder aufkommen wird. gegeben haben – das gilt auch für die Kollegin Brand –, nämlich dass Sie denjenigen, die diese Der Antrag von CDU und FDP ist – genau wie wir Position nicht teilen, eine menschenverachtende es heute Morgen beschrieben haben – eine Annä- Politik vorwerfen. Das ist zutiefst unanständig! herung, das ist ein Einknicken vor den Argumenten, die Parteien wie die AfD – und eine Vereinigung wie (Beifall von der FDP und der CDU – Michele Pegida auf der Straße – ständig wiederholen. Wenn Marsching [PIRATEN]: Das tue ich nicht! Das nach diesem Antrag vorgegangen würde, würde habe ich mit keinem Wort gesagt! Das ist ei- dies das Grundrecht auf individuelle Prüfung eines ne Unterstellung!) Asylantrags faktisch einfach aushöhlen. Herr Minister Jäger, Sie sagen, wir würden mit un- (Josef Hovenjürgen [CDU]: Stimmt doch gar seren Anträgen die Menschen verunsichern. Dann nicht!) sagen Sie, was die Voraussetzung dafür wäre, dass eine Erklärung dieser Länder als sichere Herkunfts- Unsere Angst ist folgende: Wenn es zur Regie- länder sinnvoll ist. rungsbeteiligung einer Partei wie der AfD – auch in Nordrhein-Westfalen – käme, würde die Liste der Sie erklären, dafür wäre es notwendig, dass das sogenannten sicheren Herkunftsländer ausufern. BAMF die Anträge prioritär behandelt. – Das ist Davor haben wir einfach Angst. Punkt 2 unseres Antrags. (Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der Dann sagen Sie, es wäre dafür notwendig, dass die CDU) Rückkehrabkommen mit den betroffenen Ländern optimiert werden. – Das ist Punkt 3 unseres An- Die Frau Ministerpräsidentin hat in der Debatte zu trags. Tagesordnungspunkt 1 gesagt, die Menschen in der AfD seien genau von der Art, die in Deutschland nie Der vierte Punkt, den wir hier aufgeführt haben, ist wieder Verantwortung übernehmen dürfen. eine Ergänzung dahin gehend, dass der Plan, den wir hier als „Aktionsplan Balkan“ bezeichnet haben, Wir haben zwei Erschließungsanträge gestellt, von auf Marokko, Tunesien und Algerien ausgedehnt denen der eine zunächst zugelassen war, jetzt aber, wird. nachdem Sie hier laut genug geschrien haben, an- scheinend doch nicht zugelassen ist. Darin fordern Es geht hier also darum, die konzeptionelle Weiter- wir, dass sowohl die Fraktionen im Landtag als auch arbeit fortzusetzen, um die Sie sich ewig nicht ge- jeder einzelne Abgeordnete der demokratischen kümmert haben. Genau das, was Sie hier eingefor- Parteien in diesem Landtag bekräftigen, dass mit dert haben, steht also in unserem Antrag. Für mich einer Partei wie der AfD – einer Nazipartei – nicht liegt der Verdacht nahe, dass Sie den Antrag gar zusammengearbeitet werden darf. nicht komplett gelesen haben und dass Ihnen Ihr Haus gesagt hat: Da kommt wieder das Übliche von Herr Körfges, Sie haben gerade gesagt, es sei der der Opposition zu den sicheren Herkunftsländern. falsche Zeitpunkt für solche Entschließungsanträge. Ich sage: Mit diesem Blumenstrauß an Themen, die (Beifall von der FDP) wir zu bearbeiten haben, mit dem Tagesordnungs- punkt 1 von heute Vormittag – in der Schärfe und in Es verunsichert die Menschen, wenn der Fachmi- der Art spielt das, was heute Morgen hier passiert nister noch nicht einmal die Anträge liest. – Danke. ist, der AfD in die Hände – wäre heute genau der (Beifall von der FDP und von der CDU) richtige Zeitpunkt, hier Farbe zu bekennen, diesen Entschließungsantrag anzunehmen, darüber abzu- stimmen und ganz klar zu sagen: Mit denen nicht, Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr kein Fußbreit! Dr. Stamp. – Jetzt hat Frau Düker für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Beifall von den PIRATEN – Lutz Lienenkäm- per [CDU]: Unzulässig ist der! – Gegenruf von Michele Marsching [PIRATEN] – Weitere Monika Düker (GRÜNE): Herr Stamp, Herr Kuper: Zurufe von der CDU und den PIRATEN) Fakt ist, dass Sie die Bevölkerung mit Ihrem Antrag

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10750 Plenarprotokoll 16/104 verunsichern, weil Sie – erstens – Behauptungen in ren –, wenn auch das BAMF daneben sitzt, das den Antrag geschrieben haben, die Ursache und dann auch über diese Anträge entscheidet. Nur die- Wirkung verkennen und sachlich falsch sind. ser Konnex macht Sinn.

Gemeint ist der kausale Zusammenhang, wonach (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) aufgrund der Zustimmung von und Bun- desrat zu der Forderung, die Balkanstaaten als si- cher zu kategorisieren, die Asylbewerberzahlen im Präsidentin Carina Gödecke: Frau Düker, die Re- Laufe des vergangenen Jahres zurückgegangen dezeit! sind. Das ist kausal nicht nachweisbar – das sage ich Ihnen noch einmal –; denn die Entscheidung über diese Kategorisierung fiel Ende Oktober letzten Monika Düker (GRÜNE): Das heißt: Wenn Sie im- Jahres, die Zahlen gingen jedoch bereits vorher zu- mer 50 % der Wirklichkeit ausblenden, verunsichern rück. Sie die Bevölkerung tatsächlich, weil Sie Scheinlö- sungen suggerieren, die überhaupt nicht umsetzbar Ja, Falschbehauptungen verunsichern die Bevölke- sind. rung, denn Sie verkaufen die Leute damit für dumm. Zweitens. Sie verunsichern die Bevölkerung, weil (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) Sie mit Ihrer zweiten Forderung nach einer prioritä- ren Behandlung von Asylsuchenden aus den Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Maghrebstaaten eine Wirklichkeit einfach komplett ausblenden, die aber existiert. Sie verkennen die Düker. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Wirklichkeit deswegen, weil diese Menschen derzeit Körfges jetzt das Wort. sechs bis acht Monate auf einen Termin warten, und erst dann, wenn sie diesen Termin bekom- Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe men … Kolleginnen und Kollegen! Ich kann jetzt nahtlos an- (André Kuper [CDU]: Das steht doch da! – knüpfen, will es allerdings noch ein bisschen drama- Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das steht doch da tischer ausdrücken. drin!) (Zurufe von der CDU: Oh!) Jetzt komme ich noch einmal auf Ihre Zahlen zu sprechen. Das Bundesamt kann angesichts der Wir diskutieren hier offensichtlich über Annahmen, Tatsache, dass diese Menschen überhaupt keine die nur getroffen werden, um Handlungsfähigkeit Chance haben, zum Bundesamt zu kommen, über- vorzutäuschen bzw. um anderen zu Unrecht Hand- haupt nicht wissen, in welcher Kommune sich die lungsfähigkeit abzusprechen. Sie lenken davon ab, Menschen aus diesen Ländern überhaupt aufhalten. dass –und so lauten die Zahlen – bislang acht Mo- Deswegen können sie auch gar nicht prioritär be- nate vergehen, bis ein Antrag gestellt werden kann. handelt werden. Im Durchschnitt vergehen 14,7 Monate – und das liegt an der Personalausstattung und der Zuordnung Die Menschen müssen erst einmal dorthin kommen. im BAMF –, bis der Antrag bearbeitet und darüber So weit sind wir aber noch lange nicht. Da hat der entschieden worden ist. Ich habe in meinem ersten Minister doch recht: Solange das Personal nicht Wortbeitrag darauf hingewiesen. vorhanden ist, können Sie das zwar fordern, aber nicht umsetzen. Ich komme auf Ihre vierte Forderung zu sprechen, Drittens. Sie verunsichern die Bevölkerung und die Menschen für die gesamte Verfahrensdauer in blenden die Wirklichkeit mit einer weiteren Forde- Landeseinrichtungen zu belassen. Liebe Kollegin- rung aus. nen und Kollegen, die Verfahrensdauer habe ich bereits beschrieben; jetzt kommt aber noch der Fakt (Josef Hovenjürgen [CDU]: Das sagt die hinzu, dass wir keine Laissez-Passer-Papiere ha- Richtige!) ben und die Menschen somit überhaupt nicht zu- rückgeführt werden können. Herr Kuper hat gerade gesagt, schon morgen könn- te umgesetzt werden, dass die Menschen aus die- Genau das weist doch darauf hin, dass es Ihnen sen Ländern für die gesamte Verfahrensdauer in hier nicht darum geht, wirkliche Lösungen zu finden. den Landeseinrichtungen verbleiben. Die gesamte Sie wollen vielmehr Scheinlösungen suggerieren, Verfahrensdauer, Herr Kuper, beträgt derzeit aber um auf der anderen Seite von dem verfehlten Ver- fast 15 Monate. halten auf ganz anderer Ebene – nämlich auf Bun- (Zuruf von André Kuper [CDU]) desebene – abzulenken. Wer so handelt, wer so ar- beitet, der trägt maßgeblich zur Verunsicherung der Sie wollen doch wohl nicht ernsthaft behaupten, Menschen in unserem Lande bei. Da machen wir dass wir diesen Schritt vor den anderen unterneh- nicht mit! men könnten. Das funktioniert doch nur – wenn Sie sich schon am „Aktionsplan Westbalkan“ orientie- (Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10751 Plenarprotokoll 16/104

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr das auch immer machen! – Marc Olejak Kollege Körfges. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, [PIRATEN]: Unglaublich, Frau Präsidentin!) weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich an dieser Stelle die Aussprache. Ich gebe zu, dass ich mir diesen letzten Teil außer- halb der Regeln selber zugestanden habe. Dage- Bevor wir in die Abstimmungsphase eintreten, wür- gen können Sie gerne Protest einlegen. de ich gern noch einige Hinweise geben. Jetzt komme ich zur Abstimmung über den Antrag Diesem Tagesordnungspunkt 4 liegt ein gemeinsa- der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache mer Antrag von CDU und FDP Drucksache 16/10795 in der Fassung des Neudrucks. Wer die- 16/10795 – Neudruck – zugrunde. Dieser wird auch sem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt gleich die Grundlage für die Abstimmung sein. um das Handzeichen. – Das sind die antragstellen- den Fraktionen von CDU und FDP. Wer stimmt da- Darüber hinaus ist vor einiger Zeit ein Entschlie- gegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Pi- ßungsantrag der Piratenfraktion Drucksache raten. – Gibt es Enthaltungen im Haus? – Das ist 16/10920 verteilt worden. Dieser Antrag ist hier ver- nicht der Fall. Dann ist der Antrag Drucksache teilt worden, ohne dass es eine inhaltliche Prüfung 16/10795 – Neudruck – mit dem festgestellten Ab- in ausreichender Form gegeben hätte. Deshalb stimmungsergebnis abgelehnt worden. würde ich gerne auf § 81 Abs. 1 unserer Geschäfts- ordnung verweisen: Anträge auf Entschließungen Ich schließe Tagesordnungspunkt 4 und rufe auf: enthalten Meinungen, Anregungen, Empfehlungen oder Ersuchen, die mit einem Beratungsgegenstand 5 Mehr Verschlüsselung wagen! Staatliche Hin- in Zusammenhang stehen. tertüren und Kryptobeschränkungen sind der Diesen Beratungszusammenhang herzustellen, in- falsche Weg! dem man eine Einleitung schreibt, ist zwar ein Ver- Antrag such, aber es handelt sich am Ende immer um den der Fraktion der PIRATEN Beschlusstext. Deshalb entscheide ich jetzt – und Drucksache 16/10783 sehe mich in großer Übereinstimmung mit den meisten Mitgliedern des Hauses –, dass der Ent- schließungsantrag Drucksache 16/10920 nicht Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner zulässig ist und somit auch nicht Gegenstand der hat für die antragstellende Fraktion der Piraten Herr Abstimmung sein wird. Kollege Lamla das Wort. (Beifall von der CDU und der SPD – Daniel (Unruhe) Düngel [PIRATEN]: Überraschung! – Michele So, Herr Kollege Lamla, der Geräuschpegel ist auf Marsching [PIRATEN]: Unglaublich, erst zu- einem sehr niedrigen Niveau, auch wenn die Kolle- lassen und dann ablehnen!) gen gerade den Saal verlassen. Ich würde gern eine Behauptung von Herrn Kolle- gen Marsching, die er gerade in seinem Redebei- Lukas Lamla (PIRATEN): Ich will die Kollegen nicht trag im Vorgriff getätigt hat, zurückweisen. Es geht stören. – Ich fange jetzt an. Ich hoffe, ich störe die in keinster Weise darum, dass irgendwer laut genug Kollegen nicht bei ihren Gesprächen und beim Ver- schreien muss, damit die Präsidentin oder ein sit- lassen des Raumes. zungsleitender Präsident handelt, sondern es geht darum, dass es parlamentarische Regeln gibt, die in Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den unserer Geschäftsordnung abgebildet sind. Außer- letzten 15 Jahren hat sich unsere Gesellschaft stark dem gibt es eine Parlamentstradition, es gibt die verändert, und das Internet hat Einzug in fast alle Auslegung der Geschäftsordnung, und deshalb ha- unsere Lebensbereiche gefunden. Grundrechte wie be ich so entschieden. Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation müssen auch jetzt eine konsequente Anwendung (Zuruf von der CDU: So ist es!) finden, um unsere Demokratie zu stärken und zu schützen. Auf der anderen Seite möchte ich noch einmal Fol- gendes deutlich machen, auch wenn ich damit viel- (Beifall von den PIRATEN) leicht meinen Geschäftsordnungsbeitrag überziehe: Wenn man gerade zu diesem wichtigen Thema eine Oftmals jedoch führen mangelndes technisches gemeinsame Initiative starten möchte, dann sollte Verständnis und die Annahme, das Internet sei ein man das – auch an einem Tag wie heute – gemein- rechtsfreier Raum, wie es die Populisten und Si- sam im Vorfeld besprechen und sollte das nicht cherheitsesoteriker verkünden, zu Fehlentschei- über einen Entschließungsantrag versuchen, den dungen auf politischer Ebene. Gerade in der heuti- man den anderen auf den Tisch legt. gen Zeit müssen wir unsere Bürgerrechte stärken und beschützen, um unsere Demokratie zu erhal- (Beifall von der CDU und der SPD – Michele ten. Denn die Feinde der Demokratie sitzen da Marsching [PIRATEN]: So wie die anderen draußen, und sie lauern.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10752 Plenarprotokoll 16/104

Für den Schutz unserer Bürgerrechte sorgen im In- sen einzufordern, aber dabei die technische Ebene ternet oftmals kleine, unscheinbare Softwarekom- auszulassen. Wenn wir nämlich das tun, laufen wir ponenten und -module. In der Regel sind es Open- Gefahr, dass die technischen Entscheidungen und Source-Projekte von technischen Enthusiasten, von Umsetzungen uns von internationalen Konzernen Weltverbesserern – alles auf ehrenamtlicher Basis. wie Google und Co. abgenommen werden. Ich Diese Menschen geben oftmals in ihrer Freizeit al- möchte nicht, dass diese Großkonzerne meine Bür- les dafür, um auch weiterhin den Menschen diesen gerrechte beschützen. Schutz zu geben. Dabei werden sie selbst sehr ver- letzlich. Wir müssen die Förderung von Open-Source- Projekten, ganz besonders denen, die dem Schutz Diese kleinen Open-Source-Bausteine des Inter- unserer Bürgerrechte dienen, zur öffentlichen Da- nets, die dafür sorgen, dass Sie alle, meine Damen seinsvorsorge machen. Dieser Antrag könnte ein und Herren, zum Beispiel vertrauliche E-Mails ver- erster Schritt dazu sein. – Vielen Dank. schicken oder einfach nur ein geheimes Passwort (Beifall von den PIRATEN) irgendwo eingeben, sind es, die das Internet in der Form zusammenhalten, wie wir es heute kennen. Ich bin mir sicher: Sie alle haben heute mindestens Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, einmal unbewusst eine der Funktionen dieser O- Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr pen-Source-Software benutzt – und sei es, als Sie Kollege Vogt. vorhin einen Blick auf Ihr Smartphone geworfen ha- ben. Alexander Vogt (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Diese kleinen, aber sicherheitsrelevanten Bausteine men und Herren! Herr Lamla, Ihr Antrag „Mehr Ver- sind es aber, die die Aufmerksamkeit von Geheim- schlüsselung wagen!“ ist relativ kurz ausgefallen. diensten und den Sicherheitsfanatikern in den In- Datenschutz und Verschlüsselungsmöglichkeiten nenministerien auf sich gelenkt haben. Spätestens sind wichtig. Dabei sind wir uns hier einig. Wir sind seit Edward Snowden wissen wir, dass diese Kräfte uns auch einig, dass Privatsphäre und Meinungs- auf die kleinen Projekte einen großen Druck ausü- freiheit unabdingbare Bestandteile unserer Demo- ben, um an zentraler Stelle die Vertraulichkeit der kratie sind. Kommunikation der Menschen zu brechen. Ihr Antrag wird aus unserer Sicht der Relevanz des Die politische Forderung nach staatlichen Hintertü- Themas nicht gerecht. Er beschäftigt sich aus- ren oder Backdoors in Soft- und Hardware geistert schließlich mit einem Beschluss des niederländi- immer wieder durch die Fachmedien. Diese Forde- schen Parlaments, bringt nichts Relevantes zur Si- rung wird unter anderem auch in Deutschland ge- tuation in NRW, nichts zum E-Government- stellt. Einige dieser kleinen Open-Source-Projekte Gesetz – darin wird auch von Verschlüsselung ge- sind so unter Druck geraten, dass sie schlicht ihre sprochen –, nichts dazu, was bei uns bereits geleis- Arbeit eingestellt haben. Oder noch schlimmer: Sie tet wird oder was Beschlusslage in diesem Parla- haben dem Druck nachgegeben. ment ist. Anfang Januar 2016 hat das niederländische Par- Nehmen wir allein den Forschungsbereich. Wenn lament etwas sehr Bemerkenswertes gemacht. In wir uns ansehen, was in unserem Bundesland im einem Positionspapier hat man sich nicht nur zu Bereich Internetsicherheit und Kryptografie läuft, Bürgerrechten bekannt und ihren Stellenwert her- finden wir eine ganze Menge. An der Westfälischen vorgehoben, sondern sich im gleichen Atemzug ge- Hochschule finden wir das Institut für Internetsi- gen jegliche Art von staatlichen Hintertüren in Hard- cherheit; das international anerkannte Horst Görtz und Software ausgesprochen. Man sieht es als Institut an der Ruhr-Uni in Bochum leistet hier auch existenziell wichtig an, die Vertraulichkeit der Kom- eine herausragende und wichtige Arbeit. Die RWTH munikation gegenüber Dritten zu schützen. Das ist forscht auch in diesem Bereich. großartig; das ist vorbildlich. Liebe Piraten, Sie fordern eine Projektförderung zur (Beifall von den PIRATEN) Weiterentwicklung von Kryptografie. Schauen Sie sich doch einmal den Leitmarktwettbewerb Damit es nicht nur Lippenbekenntnisse sind, hat „IKT.NRW“ 2014 an. Hier wird deutlich, dass das man diese Position auch noch mit einer Förderung Thema für NRW relevant ist und bereits bearbeitet in Höhe von 500.000 € für sicherheitsrelevante O- wird. pen-Source-Projekte hinterlegt. Ich frage mich an dieser Stelle. Wenn die Niederlande das können, Der Antrag ist insgesamt sehr dürftig. Dass Sie bei wieso kann das Land NRW das nicht? diesem wichtigen Thema, das Sie als eine Kern- kompetenz für sich in Anspruch nehmen, so wenig, Wir sollten uns auf politischer Ebene darüber unter- eine knappe DIN-A-4-Seite, zu Papier bringen, sagt halten, welche Maßnahmen wir treffen können, um einiges aus. die Grundrechte der Menschen im digitalen Zeitalter effektiv zu schützen. Denn es ist nicht nur damit ge- Dass Sie jetzt auch noch eine direkte Abstimmung tan, einfach nach Datenschutz zu schreien und die- beantragen, anstatt das Thema breit im Ausschuss

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10753 Plenarprotokoll 16/104 zu diskutieren, ist schade. Wir werden Ihren Antrag rung diesbezüglich auch nicht mehr auf Bundes- ablehnen. – Vielen Dank. ebene tätig werden. (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Ihre dritte Forderung, Fördermittel für Open-Source- Projekte mit dem Schwerpunkt Kryptografie bereit- zustellen, ist abzulehnen. Es bleibt völlig unklar, wie Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Sie Open-Source-Projekte sinnvoll und effizient un- Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion spricht terstützen wollen. Wer soll das Geld bekommen, Herr Kollege Stein. wenn bei Open-Source-Projekten prinzipiell alle (Daniel Düngel [PIRATEN]: Deutlich mehr mitarbeiten können, und wie groß wird der bürokra- Substanz der Beitrag! – Zuruf von den tische Akt dafür? PIRATEN: Jetzt kommt der Internetexperte!) Alles das sind Fragen, die Sie selbst nicht beant- worten können bzw. wollen. Ineffizienten Einsatz Robert Stein (CDU): Vielen Dank. – Herr Präsident! von finanziellen Mitteln und zusätzliche Bürokratie Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! können wir jedoch nicht begrüßen. Um es vorwegzunehmen: Dieser Antrag der Pira- (Torsten Sommer [PIRATEN]: Wir sollten das tenfraktion ist natürlich und sehr offensichtlich ein über die Stadtbücherei organisieren!) Beispiel verhinderter Bundespolitik. Dennoch ist das Grundanliegen nicht grundsätzlich falsch. Allerdings Alles in allem hängen die Forderungen in der Zeit ist es angesichts der aktuellen Bedrohungslage viel zurück oder sind nicht zielführend. zu undifferenziert, um einen verantwortungsvollen politischen Beitrag leisten zu können. Dennoch empfehle ich meiner Fraktion, um zu un- terstreichen, dass auch wir das Thema der Ende- Zunächst gilt das, was auch in der Bundestags- zu-Ende-Verschlüsselung sehr ernst nehmen, hier drucksache 18/5144 nachzulesen ist: eine freundliche Enthaltung. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. „Grundsätzlich ist es in Deutschland jeder Per- son erlaubnisfrei gestattet, in privaten Angele- (Beifall von Regina van Dinther [CDU]) genheiten verschlüsselt zu kommunizieren.“ (Torsten Sommer [PIRATEN]: Das ist sehr Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr lieb!) Kollege Stein. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die „Dem staatlichen Zugriff auf Kommunikationsin- Grünen spricht Herr Kollege Bolte. halte sind durch Artikel 10 des Grundgesetzes (GG) und die einschlägigen Fachgesetze enge Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kol- Grenzen gesetzt.“ leginnen und Kollegen! Immerhin hat die Kollegin Die Befugnisse sind im Detail im Bundesverfas- van Dinther zu der Aufforderung nach einer freund- sungsschutzgesetz, im Bundesnachrichtendienst- lichen Enthaltung freundlich applaudiert. gesetz, im Gesetz über den militärischen Abschirm- (Beifall von den PIRATEN und Regina van dienst sowie im Gesetz zur Beschränkung des Dinther [CDU]) Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses geregelt. Obwohl es von Herrn Stein gesagt wurde, ist nicht Darüber hinaus sind die Befugnisse der Ermitt- alles falsch, was er gesagt hat. lungsbehörden des Bundes im Bundeskriminalamt- gesetz, im Bundespolizeigesetz, im Gesetz über Zunächst einmal ist festzustellen: Wir erleben hier das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter wieder einmal das Spiel, das wir von der Piraten- sowie in der Strafprozessordnung abschließend ge- fraktion inzwischen gewohnt sind. Wir sollen ständig regelt. etwas begrüßen, kritisieren, bekennen, appellieren oder mit Abscheu zurückweisen. (Lukas Lamla [PIRATEN]: Zur Sache!) (Lukas Lamla [PIRATEN]: Oder machen!) Zusätzlich unterliegt der Bereich der Nachrichten- dienste des Bundes der Kontrolle durch die G-10- Dieser Antrag gehört wieder in diese Kategorie. Kommission des Deutschen Bundestages. Grundsätzlich haben wir große Einigkeit darüber, Nun hat sich auch unser Bundesinnenminister mit dass Verschlüsselung im digitalen Zeitalter wichtig der Unterzeichnung der Charta zur Stärkung der ist. Wir Grüne stehen zu verschlüsselter Kommuni- vertrauenswürdigen Kommunikation bereits erfolg- kation; wir stehen zur Integrität informationstechni- reich für Ende-zu-Ende-Verschlüsselung starkge- scher Systeme. macht. Wenn Sie sich die Debatten auf Bundesebene an- Mit dem Inhalt dieser Charta sind übrigens die ers- schauen, sehen Sie auch, dass wir die Bundesre- ten beiden Spiegelstriche Ihrer Forderungen unter gierung für ihr schizophrenes Auftreten in den letz- Punkt III längst erfüllt. Daher muss die Landesregie- ten Wochen kritisiert haben.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10754 Plenarprotokoll 16/104

Auf der einen Seite hieß es nach den Snowden- von Handwerk und Mittelstand in Nordrhein- Enthüllungen immer: Verschlüsselt einmal schön, Westfalen. liebe Bürgerinnen und Bürger; dann müssen wir uns als Bundesregierung nicht kümmern. – Dann hat Möglicherweise kennen Sie das Förderfeld „IT- man auch noch ein paar wohlfeile Worte in die sehr Sicherheit für die Wirtschaft“ im Rahmen der Leit- geduldige Digitale Agenda hineingeschrieben. marktwettbewerbe. Kryptografie ist da ein zentrales Thema. Insofern kommen Sie auch hier zu spät. Auf der anderen Seite fordert Herr de Maizière in den letzten Wochen wieder, generell Hintertüren in Wenn Sie auf einer konkreten Ebene Verbesse- Verschlüsselungssoftware einzubauen. Das zeigt, rungsvorschläge haben, sind wir dagegen nicht im- dass er weiterhin nicht willens ist, die rechtsstaatlich mun. Das, was heute auf dem Tisch liegt, ist aber notwendigen Konsequenzen zum Schutz der priva- einfach unkonkret. Es bewegt sich auf der Bekennt- ten Kommunikation und der digitalen Infrastruktur zu nisebene und bringt uns in der konkreten Debatte ziehen. nicht weiter. Darum gibt es von uns keine freundli- che Enthaltung, sondern eine nicht minder freundli- In dieser Hinsicht – lieber Kollege Lamla, da haben che Ablehnung. – Herzlichen Dank. Sie durchaus recht – kann ich mich der Kritik an- schließen, was den Bund angeht. Ich will aber (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) durchaus darauf hinweisen, dass wir hier eigentlich über sehr konkrete Landespolitik miteinander spre- chen sollten. Was das Land angeht, haben wir so- Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, wohl bei dem Verfassungsschutz als auch der Poli- Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion erteile zei keinerlei Ausweitung der Eingriffsbefugnisse ich Herrn Kollegen Hafke das Wort. vorgenommen, seit Rot-Grün regiert. Dieser Hin- weis gehört zur Seriosität der Debatte dazu. Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Mit Ihren konkreten Beschlusspunkten verfolgen Sie Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Pira- drei konkrete Anliegen. ten fordern ein starkes Bekenntnis der Landesregie- rung zum Thema Verschlüsselung. Außerdem re- Ihr erstes Anliegen ist im Prinzip schon erledigt, und gen sie die Bereitstellung finanzieller Mittel zur För- zwar mit dem Beschluss des Landtags vom Juni derung von Verschlüsselungstechnologien an. 2014, der auf den damals noch vom Kollegen Schwerd eingebrachten Antrag der Piratenfraktion Für die FDP-Fraktion möchte ich betonen, dass „Spione unerwünscht: Wissen über sichere E-Mail- Verschlüsselung in der Tat ein wichtiges Thema auf Kommunikation verbreiten!“ zurückging. Wir haben dem Weg in die digitale Gesellschaft ist. Der Schutz damals gemeinsam einen guten Beschluss hinbe- der Privatsphäre, sichere und ungestörte Kommuni- kommen. Darin haben wir uns als Landtag auch zu kation und Datenschutz sind wichtig, wenn die Verschlüsselungstechnologien bekannt. Dieser Be- Menschen Vertrauen in die digitale Entwicklung ha- schluss gilt. Er enthält aber nicht allein das Be- ben sollen. Dieses Vertrauen benötigen wird, wenn kenntnis, sondern auch die konkrete Aufforderung, wir weiterhin eine innovative Gesellschaft mit ho- im Rahmen der Förderung der Medienkompetenz hem Wohlstandsniveau bleiben wollen; denn neue auf ein breiteres Wissen über Verschlüsselung hin- Ideen, Wachstum und Vielfalt entstehen nur in ei- zuwirken. nem Klima von Freiheit und Vertrauen und nicht in einem Klima der Angst und des Misstrauens. Den wichtigsten Punkt haben wir jetzt auch schon aufs Gleis gesetzt, nämlich die Möglichkeit zur ver- An dieser Stelle erlaube ich mir daher auch den schlüsselten Kommunikation mit allen Landesbe- Hinweis auf die Verfassungsbeschwerde der Freien hörden. Das steht in § 3 Abs. 1 des Entwurfs für ein Demokraten gegen die Vorratsdatenspeicherung, E-Government-Gesetz Nordrhein-Westfalen. Ich die gestern eingereicht wurde. Denn die Vorrats- gehe davon aus, dass die Piratenfraktion diesem speicherung verhindert genau das, um was es in Gesetzentwurf begeistert zustimmen wird. dem Antrag geht: sichere und vertrauenswürdige Kommunikation, Schutz der Privatsphäre und per- Zum dritten Punkt Ihres Antrags, der die öffentliche sönlicher Daten. Förderung von Verschlüsselungstechnologien be- trifft, noch kurz einige Bemerkungen. Wir sehen das Thema also wie der Antragsteller als wichtigen Bestandteil der Bürgerrechte. Bedauerlich In Nordrhein-Westfalen gibt es im Bereich IT- ist jedoch, dass der Antrag weitgehend substanzlos Sicherheit eine Menge Spitzenforschung. Wir unter- ist. Sie konstruieren hier eine Verbindung des Land- halten uns an vielen Stellen richtigerweise darüber: tags NRW zu irgendeiner Entscheidung des nieder- Wie kommt das dann an der Basis an? Wie wird es ländischen Parlaments, die überhaupt keinen Bezug von mehr Bürgerinnen und Bürgern genutzt? Wie zu unserer Arbeit hier hat. Dementsprechend fällt es wird es gerade auch von Unternehmen hier im Land Ihnen auch schwer, eine konkrete Forderung aufzu- genutzt? Das ist ja ein beliebtes Thema – bei- stellen. Der Landtag soll diese Entscheidung aus spielsweise in der Enquetekommission zur Zukunft den Niederlanden also als Fingerzeig ansehen. Als

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10755 Plenarprotokoll 16/104 einen Fingerzeig von wem, an wen und in welche ich dem fraktionslosen Abgeordneten Schwerd das Richtung, verraten Sie uns hier und heute nicht. Wort.

Das Gleiche gilt für den Hinweis, der Landtag solle (Zuruf von Daniel Schwerd [fraktionslos]) sich auf dieser Basis beim Bund für eine Positionie- rung einsetzen. Die Arbeit, diese Position genau zu – Sie haben sich nicht gemeldet? Sie stehen hier benennen und zu erklären, welche bisherige Positi- auf der Liste, Herr Schwerd. Aber das erleichtert on dem entgegensteht, leisten Sie auch nicht. Die in das Verfahren. Vielen Dank. dem Titel des Antrags monierten staatlichen Hinter- türen benennen Sie im Antrag selbst gar nicht mehr. Dann ist die Reihe an Herrn Minister Jäger. Bitte, Das alles ist sowohl inhaltlich als auch konzeptionell Herr Minister, ich erteile Ihnen das Wort. Sie wün- schwach. Mir scheint, die Antragsteller wollten ein schen es. vermeintlich interessantes Stichwort einfach mal in den Landtag werfen. Die Ableitung einer konkreten Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: politischen Forderung war dann jedoch nicht mehr Ich wünsche es, Herr Papke, weil die Landesregie- drin. Daran ändert auch die ebenfalls wenig konkre- rung im Landtag gerne ihre Haltung zu wichtigen tisierte Forderung nach Fördermitteln nichts, abge- Themen vorträgt. Meine Damen und Herren, das sehen davon, dass weder eine konkrete Förder- haben wir auch schon mehrfach zu diesem Thema summe genannt noch die Gegenfinanzierung erläu- hier im Plenum, aber auch in Ausschüssen getan. tert wird. Sie liefern gar keine Problemstellung, wa- Ich möchte gerne noch einmal die Haltung der Lan- rum es an Förderung mangele oder was für eine desregierung wiederholen. Ich brauche nämlich kei- Wirkung diese entfalten würde. ne Positionierung wie im niederländischen Parla- Darüber hinaus sehe ich offen gesagt auch grund- ment. sätzlich gar keine Notwendigkeit, eine bestimmte Verschlüsselungstechnologie zu fördern, da der Wir haben es immer wieder deutlich und klar ge- Markt ausreichend Angebote bereithält. sagt: Wir unterstützen jede Form von Verschlüsse- lung. (Lukas Lamla [PIRATEN]: Der Markt macht das schon, Herr Hafke!) (Dirk Schatz [PIRATEN]: Nur nicht mit Geld!) Sie schreiben selbst in Ihrem Antrag: Diese beson- Wir sind dagegen nicht bereit, Beschränkungen hin- deren Softwaremodule sind ein elementarer Be- zunehmen. Wir setzen uns auch aktiv dafür ein, standteil der Transportverschlüsselung im heutigen Verschlüsselungen einzusetzen und zu fördern. Die Internet. – Ich hielte es vor diesem Hintergrund we- Rechtspolitiker und die Innenpolitiker in Ihrer Frakti- der für erforderlich noch für richtig, eine bestimmte on, Herr Lamla, wissen es. Technologie zulasten einer anderen zu bevorzugen und zu fördern. Das elektronische Gerichts- und Verwaltungs- Meine Damen und Herren, wenn die Digitalisierung postverfahren dürfte dort mittlerweile auch bekannt zu einem Erfolg für die Menschen und die Wirtschaft sein. Es dient nämlich dazu, elektronische Doku- in Nordrhein-Westfalen werden soll, dann benötigen mente rechtswirksam, schnell und durch Verschlüs- wir in der Tat mehr digitale Impulse von der Landes- selung sicher zu übermitteln. Auch nach dem E- regierung. Wir hatten dafür eine digitale Offensive Government-Gesetz verfolgen wir das Ziel, den vorgeschlagen, eine Initiative für digitales Lernen Einsatz der Verschlüsselung weiter zu fördern. und digitales Lehren, offene WLAN-Angebote aller Nach diesem Gesetz sollen Behörden dazu ver- Landeseinrichtungen, mehr Engagement beim pflichtet werden, für den Zugang von Dokumenten Breitbandausbau oder die Einsetzung eines Digital- auf elektronischem Weg ein Verschlüsselungsver- ausschusses im Landtag. Das sind Punkte, die fahren zwingend anzubieten. Nordrhein-Westfalen voranbringen. Was Förderung angeht, Herr Lamla: Im Bereich der Der hier heute vorgelegte Antrag leistet allerdings IT-Sicherheit fördert die Landesregierung bereits aus unserer Sicht keinen zählbaren Beitrag zu die- zahlreiche Initiativen. Das erfolgt ganz speziell auf ser Debatte. Einer Ausschussbefassung haben Sie dem Gebiet der Kryptografie, zum Beispiel im Rah- sich daher auch schon von vornherein verschlos- men des Leitmarktwettbewerbs IKT.NRW 2014. Zu- sen. Daher werden wir diesem Antrag nicht zustim- dem finanzieren wir herausragende Kompetenzen men. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. auf diesem Gebiet unter anderem beim Horst Görtz (Beifall von der FDP – Minister Ralf Jäger: Institut und bei den in NRW ansässigen Fraunhofer- Das ist eine weise Entscheidung! – Zuruf von Instituten. Lukas Lamla [PIRATEN]) Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer würde Ihnen gerne eine Fra- Herr Kollege Hafke. – Als nächstem Redner erteile ge stellen.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10756 Plenarprotokoll 16/104

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Gerne. Herr Minister Jäger. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Ich hätte gerne gewusst, ob es eigentlich möglich Piratenfraktion hat direkte Abstimmung beantragt. ist, Ihnen persönlich dienstlich eine verschlüsselte Zu der kommen wir, und zwar über den Inhalt des E-Mail zukommen zu lassen. Antrags Drucksache 16/10783. Wer stimmt für den Piratenantrag? – Das sind die Piraten und der frak- (Zuruf von Marcel Hafke [FDP]) tionslose Abgeordnete Schwerd. Wer stimmt dage- gen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und die CDU. Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Sommer, grundsätzlich schon. Dann müsste (Marc Olejak [PIRATEN]: Das ist die wohlwol- ich Ihnen aber meine persönliche E-Mail-Adresse lende Enthaltung! Okay!) bekanntgeben. Das möchte ich ungern tun, Herr Sommer. Wer enthält sich der Stimme? – Niemand. (Zurufe) (Zuruf von den PIRATEN: „Dienstlich“ hat er gesagt! Dienstlich! –Marc Olejak [PIRATEN]: Damit ist der Antrag Drucksache 16/10783 mit Das ist noch nicht beantwortet! – Torsten dem festgestellten Abstimmungsverhalten der Frak- Sommer [PIRATEN]: Also dienstlich nicht!) tionen mit großer Mehrheit abgelehnt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber Ich rufe auf: hinaus wird NRW 4.0 dafür sorgen, dass wir weitere Forschungsaufträge zur IT-Sicherheit fördern wer- den 6 Die Landesregierung muss umgehend für ei- ne gerechte Zuweisungspraxis von Flüchtlin- Herr Lamla, was in Ihrem Antrag ein bisschen zu gen sowie eine gerechte Verteilung der NRW- kurz kommt, ist die Kehrseite der Verschlüsselung. Flüchtlingspauschale sorgen Wir haben nichts dagegen – ganz im Gegenteil, wir fördern es –, wenn gesetzestreue Bürgerinnen und Antrag Bürger Verschlüsselungsmöglichkeiten nutzen und der Fraktion der CDU damit ihre Privatsphäre schützen. Drucksache 16/10793 Entschließungsantrag Es gehört aber auch zur Ehrlichkeit dazu, dass ge- der Fraktion der SPD und nau diese Verschlüsselung auch von Straftätern der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genutzt wird. Das ist die Kehrseite derselben Me- Drucksache 16/10910 daille. Das Internet ist dabei Tatwaffe und zugleich auch Tatort. Die Täter bleiben dabei im Verborge- Entschließungsantrag nen. Sie überschreiten per Mausklick Staatsgrenzen der Fraktion der FDP und verschleiern ihre Identität. Auch wenn es die Drucksache 16/10918 Piraten vielleicht nicht gerne hören, verschlüsseln sie dabei ihre Daten. Das macht es extrem schwie- rig, diese Täter auch aufzuspüren. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die an- tragstellende Fraktion als erstem Redner Herrn Kol- Um gar keinen falschen Eindruck zu erwecken: legen Kuper das Wort. Bitte schön, Herr Kollege. NRW schützt und respektiert Bürgerrechte. Das steht überhaupt nicht zur Debatte. André Kuper (CDU): Herr Präsident! Meine Damen Aber dass diese Techniken nicht nur Vorteile haben, und Herren! Die Verteilung von Asylbewerbern und sondern auch Gefahren bieten, kommt leider in die- Flüchtlingen in die Kommunen müsste in Nordrhein- ser Diskussion deshalb zu kurz, weil Sie diesen An- Westfalen normalerweise nach dem Flüchtlingsauf- trag zur direkten Abstimmung gestellt haben, liebe nahmegesetz anhand eines gesetzlichen Schlüs- Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Pira- sels erfolgen, und zwar zu 90 % nach der Einwoh- ten. So entsteht der Eindruck, dass es Ihrer Fraktion nerzahl und zu 10 % nach der Fläche. Daher sollte einzig und allein darum geht, ein politisches State- man grundsätzlich davon ausgehen können, dass ment abzugeben. Schade, dass wir das nicht inten- eine gleichmäßige und damit gesetzestreue Vertei- siver diskutieren können. – Herzlichen Dank für Ihre lung im Land für die Kommunen und die Hilfsorga- Aufmerksamkeit. nisationen gewährleistet ist. (Beifall von der SPD – Lukas Lamla Das ist aber nicht der Fall. Lange Zeit war dies nicht [PIRATEN]: Es kommt noch genug Gelegen- erkennbar, wurden wir in einem guten Glauben ge- heit!) lassen, da uns Minister Jäger diesbezüglich keine

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10757 Plenarprotokoll 16/104

Transparenz gewährleistete. Landesweite Zahlen Es bleiben daher viele Fragen. Zum Beispiel: Wie und Vergleichsmöglichkeiten zur Quotenerfüllung konnte eine solche Ungleichbehandlung von Städ- wurden nämlich nicht veröffentlicht, erst auf mehrfa- ten und dem kreisangehörigen Raum passieren? che Nachfrage. Egal, was der Grund war, die gesetzliche Quote ist nicht frei verfügbar durch das Ministerium. Warum Danach ist klar geworden, warum das so war. Mit ist man nicht früher gegen diese verheerende Ent- den Zahlen wurde nämlich deutlich, dass etliche wicklung vorgegangen? Wenn es gute Gründe dafür Städte und Gemeinden im kreisangehörigen Raum gegeben hat, warum wurde dann nicht das FlüAG mehr Flüchtlinge haben aufnehmen müssen, als sie entsprechend geändert? normalerweise nach dem Gesetz hätten bekommen sollen. Gleichzeitig wurde deutlich, dass vor allem Nun gibt es landauf, landab großen Ärger. Der aus einige Großstädte viel weniger Flüchtlinge haben unserer Sicht gerechtfertigte Unmut gipfelte in einer aufnehmen müssen, als das gesetzlich vorgegeben Drohung vom Städte- und Gemeindebund: Sollte war. Großstädte wie Duisburg oder auch Düsseldorf das Land nicht dafür Sorge tragen, dass bis Ende erfüllten die Quote im November gerade einmal zu Januar auch die Großstädte ihre Quote erfüllen, 60 %. Das ist erstens ungerecht und andererseits würde der Kommunalverband seinerseits die mit vor allem gesetzeswidrig. dem Land im Dezember getroffene Vereinbarung über die Flüchtlingsfinanzierung aufkündigen. Diese Landesregierung und speziell Sie, Herr Minis- ter Jäger, haben diesen Rechtsbruch zu verantwor- (Henning Höne [FDP]: So ist es!) ten. Diese anscheinend willkürliche Zuweisungspra- Unser CDU-Engagement, die Probleme der Zuwei- xis von Flüchtlingen innerhalb Nordrhein-Westfalens sungspraxis offen zu kommunizieren, hat seine Wir- und die völlige Ignoranz des gesetzlichen Schlüs- kung nicht verfehlt. Sie, Herr Minister, reagieren sels lösen fatale finanzielle Folgewirkungen aus. jetzt in einem ersten Schritt und wollen in Zukunft Während bei der Berechnung des Landestopfes, für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge und also auf der Bedarfsseite, die bei den Kommunen damit gleichmäßige Verteilung der Lasten sorgen. am 1. Januar 2016 vorhandenen Flüchtlingszahlen multipliziert mit 10.000 (Euro) errechnet werden, er- (Zuruf von Jochen Ott [SPD]) folgt die Verteilung des Geldes auf die einzelnen Kommunen alleine nach Einwohnerzahlen und Flä- Seien Sie sicher, dass wir Ihre Worte an den Taten che. messen werden. Wir erwarten dauerhaft, dass sich die Landesregierung an das Gesetz hält und dem- (Michael Hübner [SPD]: Ja!) entsprechend Flüchtlinge den Kommunen zuweist. Gleichzeitig fordern wir Sie auf, die Flüchtlingskos- Die Kommunen bekommen also ihre Kostenerstat- tenerstattung umgehend und nicht erst im kommen- tung nicht auf der Basis der realen Flüchtlingszah- den Jahr an die tatsächliche Kostenbelastung an- len, die sie tatsächlich zu versorgen haben, sondern zupassen. Lassen Sie die betroffenen Kommunen nur eine Pauschale in Höhe der im FlüAG veranker- nicht länger im Regen stehen. – Danke für Ihre ten Quote. Aufmerksamkeit. Das macht die Angelegenheit so brisant. 35 Kom- (Beifall von der CDU) munen erhalten also entsprechend der gesetzlichen Vorgaben Millionen für Flüchtlinge, die gar nicht vor Ort sind. So zum Beispiel die Stadt Duisburg; sie Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, erhält die Pauschale für weitere 2.800 Flüchtlinge, Herr Kollege Kuper. – Herr Hübner, wollen Sie die die gar nicht in Duisburg untergebracht und versorgt Zwischenfrage nachträglich stellen? – Dann ma- werden, sondern von anderen Städten und Ge- chen wir es so. Herr Kollege Hübner, bitte. meinden, die wiederum keinen Cent dafür erhalten. Ein Rechenbeispiel auf der Basis der Quote am Michael Hübner (SPD): Vielen Dank, Herr Kuper, 30. November macht die Ungerechtigkeit noch deut- dass Sie trotz Ihres Manuskripts, das ja aus der licher. Die aktuelle Verteilungsregelung bewirkt im letzten Woche ist, die Nachfrage zulassen. – Das Ergebnis, dass beispielsweise der Betrag je zuge- Flüchtlingsaufnahmegesetz regelt den von Ihnen wiesenem Flüchtling in Duisburg bei rund 18.000 € geschilderten Sachverhalt schon etwas länger. liegt, während in Windeck im Rhein-Sieg-Kreis le- Können Sie mir erläutern, seit wann die Verteilung, diglich 6.900 € ankommen. Das darf nicht so blei- nämlich 90 % nach Einwohnern und 10 % nach Flä- ben. che, so geregelt ist?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, ... André Kuper (CDU): Lieber Herr Kollege, es mag sein, dass Ihr Redemanuskript überholt und überal- tert ist. Das Flüchtlingsaufnahmegesetz stammt aus André Kuper (CDU): Bitte, wenn, dann als Inter- einer Zeit, in der wir 20.000 bis 30.000 Asylbewer- vention am Schluss. ber pro Jahr hatten. Da war es auch richtig.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10758 Plenarprotokoll 16/104

Aktuell kommen jedoch 200.000 bis 300.000 Men- ben Sie eben richtigerweise angesprochen – über schen im Jahr. Dann kann ich mit solch einer pau- die pauschale Zuweisung nach dem Flüchtlingsauf- schalen einfachen Regelung nicht arbeiten, sondern nahmegesetz ausgezahlt. Die Erhöhung ergibt sich man muss auf die veränderten Bedarfe reagieren. unter anderem durch die Änderung des Stichtags im Wenn es vorher vielleicht eine Ungerechtigkeit im Gesetz. Diese Zuweisung wird anhand der aktuellen vier- oder fünfstelligen Bereich gab, dann ist sie jetzt Zahlen zum Stichtag 1. Januar 2016 berechnet und im Millionenbereich, und das kann ich so nicht ste- nicht mehr anhand der Zahlen des Vorjahres. hen lassen. Darüber hinaus zählen zu diesen Personen auch (Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wieso ha- die mittlerweile Geduldeten. Das heißt, es kommen ben dann die kommunalen Spitzenverbände noch einmal 13.000 Personen dazu. All das ist eine dem zugestimmt?) weitere Entlastung für unsere Städte. – Haben sie doch gar nicht. (Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD]) Die Zuweisung wird in diesem Jahr – diese Antwort Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, habe ich eben von Ihnen erwartet, Herr Kuper – wie Herr Kollege Kuper. Die Debatte geht ja noch wei- in den vergangenen 22 Jahren nach dem geltenden ter, ist sogar erst am Anfang, meine Kolleginnen FlüAG und nach dem uns allen bekannten Schlüs- und Kollegen. – Als nächster Redner hat für die sel, nämlich 90 % Einwohner, 10 % Fläche, erfol- SPD-Fraktion Herr Kollege Dahm das Wort. gen. Das ist also nichts Neues. Das wissen die Kommunen. Wer den Dreisatz kann, der kann auch ausrechnen, was er in diesem Jahr zu erwarten hat. Christian Dahm (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsi- dent! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen Das gibt den Kommunen Planungs- und Hand- und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher lungssicherheit für die städtischen Haushalte. Für auf der Tribüne! Eigentlich, Herr Kuper, müsste die- den Fall, dass sich die Zugangszahlen in diesem ser Antrag heute gar nicht beraten werden, denn zu Jahr deutlich verändern, haben wir mit den Spitzen- all den Punkten, die Sie heute angesprochen ha- verbänden eine Revisionsklausel vereinbart. Dar- ben, hat der Minister in der vergangenen Woche in über wird dann entsprechend neu verhandelt. unserem Ausschuss für Kommunalpolitik ausführ- Im Jahr 2017 wird die Pauschale auf eine Monats- lich Stellung genommen. zahlung pro Flüchtling umgestellt; das haben Sie (Beifall von der SPD – Zuruf von Henning gerade richtig dargestellt. Dieser Vorschlag wurde Höne [FDP]) im Übrigen von den kommunalen Spitzenverbänden ausdrücklich begrüßt. Dann beläuft sich die Zuwei- – Ausführlich, Herr Höne! sung pro Flüchtling auf 10.000 € pro Jahr, 866 € pro Uns gibt das aber noch einmal Gelegenheit, auf Monat, zuzüglich einer 4%igen Dynamisierung. einzelne Punkte einzugehen. Bezüglich eines Punk- Im Übrigen, Herr Kuper, darf ich Sie daran erinnern: tes in Ihrem Antrag sind wir uns einig: Die Städte, Die 10.000 € pro Flüchtling waren immer eine For- Gemeinden und Kreise, aber auch – das haben Sie derung einerseits der Kommunen, andererseits aber in Ihrem Antrag vergessen zu erwähnen – die zahl- auch der CDU-Fraktion. Offenbar stellen Sie dies reichen Ehrenamtler leisten bei der Unterbringung jetzt infrage und Versorgung von Flüchtlingen zurzeit Außerge- wöhnliches. All denen gilt unser ausdrücklicher (André Kuper [CDU]: Nein!) Dank. und fordern mit Ihrem Antrag mal wieder eine Voll- (Beifall von der SPD, der CDU und der FDP) kostenpauschale. Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht, Ich will an dieser Stelle – das gehört der Vollstän- um noch einmal sehr deutlich zu machen, welche digkeit halber dazu – die Absenkung des Härtefall- Anstrengungen die rot-grüne Regierungskoalition fonds für die Gesundheitskosten von derzeit unternommen hat, um die Kommunen insbesondere 70.000 € pro Flüchtling und Jahr auf 35.000 € er- finanziell zu entlasten und ihnen Planungssicherheit wähnen. Das ist eine Forderung der Kommunen zu geben. Sie haben die Vereinbarung angespro- und der Spitzenverbände, der wir ebenfalls nach- chen, die wir im Dezember noch vor Weihnachten kommen. Auch das ist kommunalfreundlich und wird mit den kommunalen Spitzenverbänden getroffen die einzelnen Kommunen wesentlich entlasten. haben, um eine entsprechende Handlungssicherheit zu geben. Insgesamt – das habe ich bereits gesagt – stellen wir 4 Milliarden € für Asylbewerber und Flüchtlinge Zunächst möchte ich das Vorziehen der Stichtags- in diesem Jahr zur Verfügung. Zur Erinnerung, mei- regelung ansprechen. Von den knapp 4 Milliar- ne Damen und Herren insbesondere der Oppositi- den €, die wir in diesem Jahr im Haushalt bereitstel- on: Der Bund trägt in diesem Jahr 796 Millionen €. len, gehen alleine 1,95 Milliarden € unmittelbar in Das sind rund 19,6 % der Ausgaben. Das ist deut- die kommunalen Kassen. Diese werden – das ha- lich zu wenig. Unter dem Strich legen wir zu dem,

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10759 Plenarprotokoll 16/104 was wir vom Bund bekommen, 2 € obendrauf. Allei- dern, Herr Kuper. Ich weiß nicht, ob Sie mit den Kol- ne das macht deutlich, dass der Bund seine finanzi- legen reden. Sie fordern, das Pauschalsystem jetzt elle Beteiligung deutlich erhöhen muss, um eine durch eine Vollkostenerstattung zu ersetzen. Ende Entlastung für unsere Kommunen sicherzustellen. Dezember, vor der Weihnachtspause, ist aber un- Dafür, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, terschrieben worden, dass die Pauschale hier die sollten Sie sich auf Bundesebene einsetzen. richtige Antwort ist und nicht die Vollkostenerstat- tung, auch für die Kommunen. Lassen Sie mich zum Schluss etwas zu dem kurz- fristig entstandenen Ungleichgewicht bei der Zutei- Es wurde einvernehmlich festgehalten, dass wir lung von Flüchtlingen an einige wenige Kommunen 2016 aufgrund der Systemumstellung, die ja auch sagen. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der Mi- nicht so schnell geht, ein Übergangsjahr haben nister unmittelbar reagiert hat, zeitnah eine gleich- werden und wie dieses Übergangsjahr ausgestaltet mäßige Verteilung der Flüchtlinge sicherstellen wird wird. und mit den Maßnahmen bereits in dieser Woche Da will ich auch noch einmal sehr deutlich sagen: begonnen hat. Gerne können wir die Diskussion in Wir fangen 2016 mit einer strukturellen Erhöhung unserem Ausschuss fortsetzen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. der Pauschale an die Kommunen um mehr als 30 % ab; der Kollege hat eben auf die Entwicklung der (Beifall von der SPD) Zahlen hingewiesen. Und – das ist auch sehr wichtig und eine Forderung Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, der Kommunen – wir beziehen jetzt auch die Ge- Herr Kollege Dahm. – Für die Fraktion Bündnis duldeten bei der Zählung mit ein. Das ist eine For- 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Düker das derung, die ich immer richtig fand, dass wir diese Wort. Gruppe, die ja für die Kommunen einen erheblichen Kostenaufwand bedeutet, jetzt etwas gerechter mit hineinnehmen. – So weit die Theorie. Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die hohen Zugangszah- In der Analyse und in der Praxis ist richtig, dass es len und die enormen Steigungsraten im letzten Jahr tatsächlich – das sage ich hier ausdrücklich für mei- haben in der Tat zu der Notwendigkeit geführt, über ne Fraktion – nicht in Ordnung war, dass es enorme unsere Strukturen im Land nachzudenken, sowohl Verwerfungen bei der Zuweisungspraxis durch die was die Erstaufnahmesituation als auch was die Bezirksregierung im Übergangsjahr gegeben hat. Form der Finanzierung insbesondere mit Blick auf Aber Ihre Schlussfolgerung, Herr Kuper, finde ich unsere Kommunen angeht. völlig falsch, weil Sie damit die ganze Problematik Nachdem wir dann im Herbst letzten Jahres zu- im besten Fall verschlimmbessern. Denn Ihre sammen mit den anderen Ländern dem Bund nach Schlussfolgerung ist, jetzt zu sagen: Nehmen wir langen Verhandlungen endlich abringen konnten, doch einfach den 1. Januar, zählen alle, und dann sich an der Finanzierung der gesamtstaatlichen gibt es genau zu diesem Stichtag die 10.000 € pro Aufgabe zu beteiligen – Herr Kuper, die CDU war Kopf. – So einfach ist es leider nicht, weil diese da übrigens nicht sehr unterstützend tätig, da hätten 10.000 € ja eine Jahrespauschale sind. Sie suchen wir uns auch mehr Unterstützung von Ihnen ge- sich einen Stichtag für das ganze Jahr aus. wünscht –, hat sich die Landesregierung mit den Wir wollen aber gleichzeitig bei der Verteilquote kommunalen Spitzenverbänden zusammengesetzt auch wieder mehr Gerechtigkeit herstellen. Mit Ih- und gefragt: Wie schaffen wir das? Wie kriegen wir rem Vorschlag erweisen Sie den Kommunen unter jetzt eine gute Finanzierung für die Kommunen hin? Umständen einen Bärendienst; denn am Ende des Einvernehmlich – das will ich noch einmal darstel- Jahres werden sich sehr viele Kommunen mit die- len, denn das ist wichtig – ist diese Systemumstel- ser Abrechnung zu Recht wieder ungerecht finan- lung mit den kommunalen Spitzenverbänden erfolgt. ziert sehen, weil wir, wie gesagt, eine Jahrespau- Das heißt, 2017 gibt es eine Monatspauschale. Es schale haben, die man nicht zu einem fiktiven Zeit- ist auch einvernehmlich festgehalten worden, dass punkt für das ganze Jahr berechnen kann. der Schlüssel, den wir mit den 90 zu 10 haben, so In dem Übergangsjahr – das finde ich viel zielfüh- sachgerecht ist. Das war alles Konsens. render – muss doch das Interesse sein – das macht Weiter ist festgehalten worden, dass es eine Istkos- ja die Landesregierung auch –, dass sich die Zu- tenerhebung gibt. Das heißt, es wird auch über weisungen der Finanzen wieder an die Zuweisun- 2017 hinaus jetzt schon klargemacht: Wir wollen gen der Flüchtlinge an die Kommunen angleichen. aufgrund einer Istkostenerhebung noch einmal da Da brauchen wir ein Gleichgewicht. Da ist ein Stu- herangehen. Wir wollen diese Pauschale dynami- fenplan vorgelegt worden. Die Maßnahmen sind sieren. eingeleitet. Das heißt, die Städte mit einer Unterde- ckung bekommen jetzt ausschließlich Zuweisungen Vor allen Dingen ist auch klargestellt worden, dass und die anderen eine Atempause, weil in den Lan- es eine Pauschale gibt und nicht das, was Sie for- deseinrichtungen ja auch noch freie Kapazitäten

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10760 Plenarprotokoll 16/104 vorhanden sind, sodass dieses Ungleichgewicht Sind die Sporthallen weiterhin belegt? Können mei- möglichst schnell wieder ins Gleichgewicht gebracht ne Kinder weiterhin zum Sportunterricht gehen, oder wird. können sie das nicht? Das sind die kleinen prakti- schen Dinge in der Kommune, die darüber ent- (Beifall von den GRÜNEN) scheiden, ob wir eine Willkommenskultur erhalten und wie insgesamt die Stimmung im Land ist. Da- Und – das will ich auch noch einmal sagen – wir rum ist die kommunale Finanzausstattung in dem haben auch eine Revisionsklausel in der Vereinba- Bereich so immens wichtig. rung mit den kommunalen Spitzenverbänden. Das heißt, dass man sich Mitte des Jahres noch einmal (Beifall von der FDP und der CDU) zusammensetzen wird, wenn die Dinge nicht richtig laufen. Es ist in der Tat so: Im Innen- und im Kommunal- ausschuss ist schon ausführlich über die aktuelle Wir sind also auf dem richtigen Weg, mehr Gerech- Verteilung berichtet worden, wobei wir, Herr Minister tigkeit herzustellen. Mit ihren Forderungen erweist Jäger, differenzieren müssen zwischen dem aus- die CDU den Kommunen, meine ich, einen Bären- führlichen Bericht und dem zufriedenstellenden Be- dienst. Die helfen denen wirklich nicht weiter, son- richt. Ersteres war der Fall. Letzteres war nicht der dern der Weg, der jetzt eingeschlagen worden ist, Fall. sollte konsequent weitergeführt werden. Dann ha- Fakt ist: Die kommunalen Spitzenverbände haben ben wir auch wieder mehr Gerechtigkeit im Land. – im Dezember – zähneknirschend unserer Meinung Schönen Dank. nach – einem Kompromiss zugestimmt, der die Ver- (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) teilung und Vergütung der Flüchtlingsunterbringung regelt. Fakt ist aber auch, dass diese Geschäfts- grundlage auf Füßen aus Ton steht; der Städte- und Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau Gemeindebund ist eben schon vom Kollegen Kuper Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion erteile ich angesprochen worden. Herrn Kollegen Höne das Wort. Wäre die Verteilung aktuell so, wie das im Soll im FlüAG vorgesehen ist, hätten wir überhaupt kein Henning Höne (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsi- Problem. dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur Aber die Ungleichheiten, die wir haben, sind im- heute, sondern schon seit vielen Wochen und Mo- mens. naten und nicht nur im Bereich Kommunalpolitik, sondern über viele, viele Politikfelder hinweg ist die Auffällig ist dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen, Flüchtlingspolitik, der Umgang mit der Flüchtlings- eine substanzielle Unterauslastung diverser Groß- krise das beherrschende Thema, ein sehr dominan- städte – es ging auch durch die Medien –: Duisburg tes Thema. 59 %, Köln 61 %, Wuppertal 63 % usw. usf. Wäre das nur kurzfristig so, wäre das sicherlich in der Bei all den Herausforderungen, vor denen wir ste- Praxis völlig in Ordnung und auch nicht zu verhin- hen, was die Unterbringung angeht, Sprachkurse, dern. Aber uns beschleicht mehr und mehr das Ge- Integration und Bildung, wo überall noch Antworten fühl – das bestätigen übrigens auch viele Kommu- ausstehen, könnte man meinen, dass der hier vor- nalpolitiker, viele Bürgermeister –, dass das eben liegende Antrag der CDU-Fraktion eher technisch keine kurzfristige Geschichte ist, die über ein, zwei um die Ecke kommt. Aber, liebe Kolleginnen und Wochen läuft, sondern dass es eine andauernde Kollegen, er ist extrem wichtig. Denn es geht um ei- Schieflage ist. Genau das ist das Problem. Darum ne gerechte Verteilung der organisatorischen und ist es richtig, dass wir das hier aufgreifen. der finanziellen Lasten innerhalb der kommunalen Familie. (Beifall von der FDP und André Kuper [CDU]) Es sind – das ist gerade angesprochen worden – Die ist vor allem deshalb so bedeutend, weil ich fest einige Punkte in die richtige Richtung angestoßen davon überzeugt bin, dass sich vor Ort entscheidet, worden. ob wir eine Willkommenskultur erhalten können, weil sich vor Ort entscheidet, wie insgesamt die (Zuruf von Jochen Ott [SPD]) Stimmung in diesem Land ist. Ob in der Zeitung in der Überschrift steht, dass 1 Million Menschen ge- – Herr Ott, auch in Köln sind es viel zu wenige. Viel- kommen sind oder 500.000 oder 1,5 Millionen, ist leicht hören Sie auf, dazwischenzurufen, und helfen für die meisten Menschen gar nicht so entschei- einfach vor Ort mit. dend. Entscheidend ist: Wie sind die Menschen vor (Jochen Ott [SPD]: Ihre eigenen Leute haben Ort untergebracht? Sind das provisorische Zeltstäd- genau das Gegenteil über sechs Monate er- te, oder haben die Menschen wirklich ein festes zählt! Das ist ein Witz!) Dach über dem Kopf? – Wenn der Kollege Ott vom Witz spricht, muss ich (Beifall von der FDP) lachen.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10761 Plenarprotokoll 16/104

Die Landesregierung hat einige Dinge in die richtige Aktuell haben wir da eine Ungleichbehandlung, weil Richtung angestoßen. Das haben wir an der Stelle verschiedene Kommunen nach dem entsprechen- auch immer betont. Dass wir jetzt auf 10.000 € ge- den Schlüssel nicht genügend geflüchtete Men- hen, ist genau richtig, dass wir ab 2017 dann mo- schen aufnehmen, andere Kommunen hingegen ihr natlich abrechnen, ist vom Grundsatz her auch rich- Soll sogar übererfüllen. Dass jetzt ausgerechnet tig. Kommunen wie Duisburg oder Wuppertal dabei sind, wo nicht unbedingt Wohnungsnotstand Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen – das will ich herrscht, sondern wo wir eher das gegenteilige Ihnen schon sagen –, Sie müssen bedenken, wie Problem haben, nämlich Wohnungsleerstand, finde viele Berichtspflichten statistischer Art der normale ich ein bisschen bitter. Da kann kommunale Selbst- Mittelständler in diesem Land monatlich zu leisten verwaltung tatsächlich besser funktionieren. hat. Vor dem Hintergrund können Sie hoffentlich verstehen, wenn Sie sich einmal in ihn hineinverset- In Duisburg – ich weiß nicht, ob das Programm zen, dass es keinerlei Akzeptanz dafür gibt, dass noch läuft; Herr Minister weiß es vielleicht – gab es das Land sagt: Wir brauchen ein Jahr, um unsere wegen des großen Leerstandes ein kommunales Systeme so umzustellen, dass wir das Ganze mo- Programm, leer stehenden Wohnraum aufzukaufen natsgenau und personenscharf abrechnen können. und abzureißen. Dass gerade diese Stadt nicht in der Lage ist, Geflüchtete in großer Masse aufzu- Es gibt an dieser Stelle unserer Meinung nach noch nehmen, ist schon ein bitteres Zeichen. Luft nach oben. So richtig der Weg ist – 2017 – und Wie können wir so eine ungleiche und vor allen so sehr wir auch anerkennen, dass grundsätzlich Dingen unsolidarische Bewegung stoppen oder zu- Teile des aktuellen Jahres, Herr Minister, als Über- mindest versuchen zu stoppen? Ich finde den Auf- gangsjahr gelten, könnte man trotzdem zum Bei- schlag, den Henning Höne gemacht hat, der zu Tei- spiel, um den Kommunen ein Stück weit entgegen- len im Originalantrag der CDU steht, gut, nämlich zukommen, sagen: Wir fangen erst einmal an und monats- und personenscharf abzurechnen, so wie gucken dann, ob wir rückwirkend, sobald die Sys- es die Landesregierung auch vorhat, allerdings nicht teme laufen, monatsscharf nachvergüten, alleine erst ab 2017. Ich glaube, das kriegen wir schneller schon um die Ungleichverteilung insbesondere zu- hin. lasten vieler kreisangehöriger Gemeinden, die wir im Moment sehen, auszugleichen. (Hans-Willi Körfges [SPD]: Das kriegen die Kommunen aber nicht hin!) Lassen Sie mich noch einen grundsätzlichen Satz sagen, weil das auch im Unions-Antrag steht: Voll- Auch die Landesregierung wird es zusammen mit kostenerstattung oder Pauschale? So sehr man den Kommunen und der kommunalen Familie sich vielleicht auf dem Papier wünscht, dass wir zu schneller hinbekommen. Wir sollten uns da jetzt einer Vollkostenerstattung kommen, würde der nicht auf einen Monat festlegen, sondern einfach Aufwand, das genau zu berechnen, sicher viele sagen: Wir machen es, so schnell es geht, und für Ressourcen schlucken, die wir an anderer Stelle viel die Zeit, in der wir es nicht hatten, findet eine Nach- besser benötigen. Also, lieber eine Pauschale, aber betrachtung statt. Ich halte das für einen sinnvollen dann monats- und personenscharf. Ich glaube, dass Weg, das sollten wir so machen. das genau der richtige Mittelweg im Sinne der Eine Forderung aus dem Original-CDU-Antrag ist Kommunen und damit übrigens auch im Sinne der mir übrigens ein bisschen zu kurz gekommen: die Akzeptanz vor Ort ist. Wir freuen uns auf die weite- Gleichstellung Geflüchteter bei der Berechnung. – ren Beratungen im Ausschuss. Aktuell steht im FlüAG, dass eine Erstaufnahmeein- (Beifall von der FDP) richtung mit Registrierung mit einem Faktor von 130 % pro Person zu berechnen ist. Ich komme aus Dortmund. Dortmund ist mein Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Wahlkreis, wo ich viel tätig bin. Ich habe dement- Herr Kollege Höne. – Für die Piratenfraktion spricht sprechend auch viel mit dieser sehr großen Erstauf- Herr Kollege Sommer. nahmeeinrichtung zu tun. Das ist extrem sinnvoll, weil dort Menschen nicht nur kurzfristig willkommen geheißen werden, sondern von da die Weitervertei- Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr lung stattfindet. Das heißt, da ist ein größerer Auf- Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kol- wand zu erledigen als eine „normale“ Unterbrin- leginnen! Meine sehr verehrten Besucher und Be- gung. Das muss in irgendeiner Form einen Wider- sucherinnen auf der Tribüne und natürlich auch im hall finden. Deshalb finde ich diesen Multiplikator Livestream! Wir sprechen hier über einen Antrag gar nicht so schlecht, daran sollte man nicht unbe- der CDU, der die Kommunen ein bisschen besser- dingt rütteln. stellen soll, als es jetzt der Fall ist, und zwar vor al- len Dingen die Kommunen, die nach dem Verteil- Wichtig ist mir noch: Aktuell gehen wir perspekti- schlüssel des FlüAG über dem Soll geflüchtete visch von monatsscharf und personenscharf aus. Menschen aufnehmen. Dabei ist noch nicht berücksichtigt: Wie werden die

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10762 Plenarprotokoll 16/104

Menschen vor Ort untergebracht? Haben wir da Die Menschen wären obdachlos gewesen. Das wä- Standards definiert? Gibt es immer die gleiche Pau- re eine Politik gewesen, die zumindest wir nicht mit- schale, egal ob Menschen in Turnhallen oder teil- getragen hätten, Herr Kuper. weise schon in Einzelwohnungen untergebracht sind? – Nein, da haben wir die Qualität nicht be- Ich bitte, nicht im Nachhinein schlauer zu sein, son- rücksichtigt. Das finde ich schade. dern einfach mal zu sehen, was die Kommunalver- waltungen leisten mussten, stellenweise aber nicht Ich fände es erheblich besser, wenn das Land ver- mehr leisten konnten, weil die Dynamik, der Druck, nünftige Qualitätsstandards, Mindeststandards defi- die Vielzahl der Menschen unterzubringen, so groß nieren könnte und danach festlegen würde: Wer war, dass nicht alle das gleiche Tempo an den Tag diesen Standard in der Unterbringung erreicht, der legen konnten. Das ist auch nicht willkürlich. bekommt natürlich die volle Pauschale. Wer den 21 Kommunen haben ihre Zuweisungsquote aktuell Standard nicht erreicht, der muss eben nacharbei- nicht erfüllt. Die gerade genannten Prozentzahlen ten, aber dann auch damit leben, dass für weniger treffen nicht zu, weil die Zahlen tagesaktuell Qualität, die er zu leisten bereit ist, auch weniger schwanken. Pauschale gezahlt wird. Herr Sommer, es gibt ganz unterschiedliche Be- Das bitte ich bei der ganzen Sache noch zu berück- gründungen, warum es Gemeinden nicht geschafft sichtigen. Wir werden im Ausschuss weiter darüber haben. Man muss sich das einfach vorstellen: Wenn beraten. Darauf freue ich mich schon. – Vielen eine Kommune plant, eine Einrichtung für 150, 200 Dank. oder 300 Leute an einem bestimmten Tag fertig zu (Beifall von den PIRATEN) haben, und die Bauarbeiten haben nicht so funktio- niert, wie es geplant war, dann stehen diese Plätze nicht zur Verfügung. Dann man nicht sagen: Sie Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, müssen rechnerisch gefüllt werden. Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger. (Torsten Sommer [PIRATEN]: Das habe ich auch nicht gesagt!)

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ein anderes Beispiel ist meine Heimatstadt Duis- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 320.000! burg. Dort ist in der Tat ein Wohnungsleerstand. Ich will noch mal in Erinnerung rufen: 320.000 Das nutzt Ihnen nur nichts, Herr Sommer. Duisburg Flüchtlinge sind im letzten Jahr nach Nordrhein- ist eine der Städte in ganz Nordrhein-Westfalen mit Westfalen gekommen. 320.000 Menschen brauch- der größten industriellen Prägung. Duisburg ist ten einen Schlafplatz, ein Dach über dem Kopf und Stahlstandort Nummer eins. Eine Umwidmung von etwas zu essen. Das war eine Herausforderung. Wohnungsbestand in Flüchtlingsunterbringung be- Das hat auch nicht reibungslos funktioniert, es hat deutet, wenn die Unterbringungsstätte in der Nähe an vielen Ecken geknirscht und geknarrt: eines Industriegebiets liegt – Nähe im Sinne eines großen Radius –, ein umfängliches Verfahren im (Torsten Sommer [PIRATEN]: Haben wir Rahmen der Störfall-Verordnung. Das ist in einer nicht mitgekriegt! Natürlich!) Stadt wie Duisburg in der Tat ein Problem. Da sind möglicherweise 40 bis 50 Wohnungen frei, die aber beim Land und bei den Kommunen. aus diesem Grund aktuell nicht als Flüchtlingsunter- Es ist einfach, jetzt nachträglich, gemütlich in den künfte genutzt werden können. Klubsesseln sitzend, zu sagen: Einige Kommunen Ich bitte einfach, nicht mit dem Rasenmäher über sind aber bevorteilt worden, weil sie weniger Men- diese Städte zu gehen und ihnen vorzuwerfen, sie schen zugewiesen bekommen haben. – Sie hatten hätten irgendetwas willkürlich oder wissentlich nicht um Dispens gebeten, weil sie die Menschen nicht geleistet. Ich glaube, dass alle 396 Kommunen in unterbringen konnten. Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr Großartiges Von Herrn Kuper habe ich gerade das Wort „willkür- geleistet haben, um diese Vielzahl von Unterkünften lich“ gehört. Sie seien willkürlich geschont worden, zu schaffen. Dafür sollten wir den Mitarbeiterinnen und das Recht sei nicht eingehalten worden. – Es und Mitarbeitern in den Kommunalverwaltungen mag sein, Herr Kuper, dass das FlüAG eine gerech- dankbar sein und sie nicht noch zusätzlich kritisie- tere Verteilung vorsieht, aber es gibt ein paar hö- ren. herwertige Rechtsgüter wie etwa, Gefahr für Leib Herr Kuper, wir können das Thema gerne im Aus- und Leben abzuwenden, Obdachlosigkeit zu ver- schuss noch vertiefen. Aber wenn es Städte gibt, meiden. Was hätten Sie der Landesregierung vor- die ihr Soll übererfüllen, heißt das nicht zugleich, geworfen, Herr Kuper, wenn wir einfach Busse mit dass sie finanziell benachteiligt sind – auch nicht in Flüchtlingen in Gemeinden geschickt hätten, die uns diesem System. am Abend erklärt haben, niemanden mehr aufneh- men zu können? Nehmen Sie etwa die Gemeinde Selm-Bork. (Torsten Sommer [PIRATEN]: In Wuppertal!) (André Kuper [CDU]: Ja!)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10763 Plenarprotokoll 16/104

Dort ist eine Landeseinrichtung in einer Polizeiim- gaben gemacht. – Herzlichen Dank für die Auf- mobilie, in der 1.000 Menschen untergebracht merksamkeit. sind – eine Zahl, die Selm-Bork nie aufnehmen müsste, die aber komplett vom Land finanziert wird. (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) Die finanzielle Benachteiligung, Herr Kuper, wenn eine Kommune die Quote übererfüllt, kann ich nicht Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr erkennen. Man muss im Einzelnen sehr genau hin- Minister Jäger. – Meine Damen und Herren, weitere schauen, ob es tatsächlich eine finanzielle Benach- Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe teiligung gibt. die Aussprache. Ihr Antrag ist in weiten Teilen überholt, weil wir es Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat emp- geschafft haben, einen großen Puffer in den Lan- fiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache deseinrichtungen vorzuhalten, den wir seit dem 16/10793 einschließlich der beiden Entschlie- 27. Januar dafür nutzen, Herr Kuper, dass die ßungsanträge Drucksachen 16/10910 und Kommunen, die ihre Zuweisungsquote vollständig 16/10918 an den Ausschuss für Kommunalpoli- erfüllt haben, keine weiteren Flüchtlingszuweisun- tik. Die abschließende Abstimmung soll dort in öf- gen bekommen, solange wir diesen Puffer in den fentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Über- Landeseinrichtungen haben. Das ist eine Atempau- weisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – se, eine Verschnaufpause, die diese Kommunen Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist dringend brauchen. die Überweisungsempfehlung einstimmig ange- Bei 21 Kommunen wird es weiterhin Zuweisungen nommen. geben. Das sind die, die ihre Quote noch nicht er- Ich rufe auf Tagesordnungspunkt füllt haben. Aber da gehen wir auch nicht morgen hin und sagen: „Die Stadt Köln muss mal eben 3.000 bis 4.000 Leute aufnehmen“, sondern wir 7 Polizei Nordrhein-Westfalen endlich mit Bo- vereinbaren einen Prozess für die nächsten Wo- dy-Cams ausstatten! chen, damit sie aufholen und zu einem Gleichstand kommen können. Deshalb ist Ihr Antrag völlig über- Antrag holt. der Fraktion der CDU Drucksache 16/10789 Ein letzter Hinweis zu der Frage, wie wir das FlüAG in diesem Jahr anpassen werden und was die regie- Entschließungsantrag rungstragenden Fraktionen mit den Kommunen der Fraktion der FDP vereinbart haben: Drucksache 16/10919

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ihre Redezeit Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Red- ist abgelaufen, Herr Minister. ner für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Kol- lege Golland das Wort. Bitte, Herr Golland. Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich brauche nur noch ein paar Sekunden, Herr Prä- Gregor Golland (CDU): Sehr geehrter Herr Präsi- sident. – Um es deutlich zu sagen: Die pauschale dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vergütung ist ausdrücklich von den Kommunen ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-Fraktion wünscht, um die Bürokratie möglichst niedrig zu hal- hat die rot-grüne Landesregierung bereits vor über ten. eineinhalb Jahren dazu aufgefordert, den Einsatz von Schulterkameras – sogenannter Bodycams – Das Übergangsjahr 2016 ist von den Kommunen bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen zu erproben. ausdrücklich erwünscht. Herr Höne, es geht nicht Ich verweise dazu auf die Drucksache 16/5239 vom darum, ob wir das in einem Jahr schaffen, sondern 20. Mai 2014. ob es 396 Schnittstellen in den Kommunen draußen im Land schaffen, ihre Systematik umzustellen, da- Dieser Antrag ist seinerzeit ausführlich im Innen- mit wir ein verlässliches, stabiles System haben, mit ausschuss beraten und von Rot-Grün abgelehnt dem wir – letzter Satz – 4 Milliarden € verteilen. Das worden. Die Verweigerungshaltung von SPD und ist eine außerordentlich großzügige Beteiligung des Grünen hat schon damals großes Unverständnis Landes Nordrhein-Westfalen an den Kosten für die innerhalb der Polizei ausgelöst, weil alle drei Poli- Unterbringungen, wenn Sie den Vergleich zu ande- zeigewerkschaften den CDU-Antrag ausdrücklich ren Landesregelungen ziehen. Der Bundesanteil begrüßt hatten. beträgt 800 Millionen €. So erklärte beispielsweise der NRW-Landesvor- Richten Sie die Diskussion über die FlüAG-Kos- sitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, tenpauschale, liebe Kolleginnen und Kollegen von Sebastian Fiedler, an die Adresse von SPD und der Union, an einen anderen Adressaten als an die- Grünen – ich zitiere aus dem Ausschussprotokoll se Landesregierung. Die hat nämlich ihre Hausauf- Drucksache 16/785 vom 13.01.2015, Seite 25 –:

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10764 Plenarprotokoll 16/104

„Ich beobachte das hier teilweise als interessier- Neben Rheinland-Pfalz testen unter anderem auch ter Zaungast und muss offen sagen, dass ich mir die rot-grün regierten Länder Baden-Württemberg, das Wort ‚Popanz‘ an dieser Stelle nicht verknei- und Hamburg den Einsatz von Bodycams. fen kann. Nach meinem Eindruck geht die eine Das Land Hessen, in dem die Grünen mit der CDU oder andere Diskussion ein bisschen an der Re- am Kabinettstisch sitzen, war beim Thema „Bo- alität der Bürger vorbei; denn wir verkennen, dycams“ sogar deutschlandweit Vorreiter und setzt dass nahezu jede Einsatzsituation ohnehin drei sie inzwischen im Regelbetrieb ein. Sekunden später im Internet zur Verfügung Meine Damen und Herren, dass die rot-grüne Lan- steht. Ich weiß also nicht, ob es wirklich den Re- desregierung in Nordrhein-Westfalen nach wie vor alitäten entspricht, dass wir hier so lange dar- keine Bodycams bei der Polizei einsetzen will, ver- über diskutieren.“ steht inzwischen kein Mensch mehr. In Wirklichkeit (Michele Marsching [PIRATEN]: Dann brau- sind Sie auch gar nicht gegen dieses Einsatzmittel. chen wir ja keine!) So habe ich Herrn Körfges zumindest in der Sitzung des Innenausschusses nach Köln verstanden. Er ist Meine Damen und Herren, nach den ungeheuerli- jetzt leider nicht da. Aber ich habe die Signale chen Vorfällen der Silvesternacht in Köln ist aus der durchweg positiv aufgenommen. Ich hoffe, es führt polizeilichen Praxis erneut die Forderung nach Bo- zu einem Umdenken auch in Ihrer Fraktion. dycams erhoben worden. So erklärte der NRW- (Vereinzelt Beifall von der CDU) Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Arnold Plickert in einer Pressemitteilung vom Bisher wollen Sie sie zumindest nicht einführen, weil 10.01.2016: es sich um eine Forderung der CDU-Fraktion han- delt. Aber so, wie wir Frau Kraft heute Morgen ver- „Überfällig ist aus Sicht der GDP außerdem die standen haben, will sie jetzt doch die guten Vor- Ausstattung der Polizei mit Body-Cams. ‚Hätten schläge auch der Opposition aufgreifen. Nur dann wir während der Kölner Silvesternacht diese erwarte ich eben auch von Frau Kraft, dass sie end- Kameras zur Verfügung gehabt, wären die lich einmal handelt und nicht nur Versprechungen Übergriffe zwar nicht zu verhindern gewesen, macht, 500 neue Polizeibeamte einzustellen, die aber wir hätten heute einen wesentlichen besse- Videoüberwachung auszuweiten und Bodycams ren Überblick über die Situation auf dem Bahn- einzuführen. Dann erwarte ich von Ihnen hier einmal hofsvorplatz und bessere Aufnahmen von Straf- konkrete Gesetzesvorschläge und Entschließungs- tätern. Dies wäre jetzt bei ihrer Verfolgung sehr anträge. Da kommt aber nichts. hilfreich‘ …“ (Beifall von der CDU) Dass SPD und Grüne der Polizei dieses dringend benötigte Einsatzmittel in Nordrhein-Westfalen Also, springen Sie über Ihren Schatten und ermögli- gleichwohl bis heute vorenthalten, ist aus unserer chen Sie endlich den Einsatz von Bodycams bei der Sicht gerade zu skandalös. Polizei in Nordrhein-Westfalen! Die Beamtinnen und Beamten auf der Straße warten sehnsüchtig darauf. Liebe Kolleginnen und Kollegen der regierungstra- In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu dem genden Fraktionen, Sie sollten sich ein Beispiel an vorliegenden Antrag unserer Fraktion und bedanke Ihren Genossen in anderen Bundesländern neh- mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. men, die bei dem Thema Bodycams inzwischen voll auf der Linie von CDU und CSU sind und ihre Strei- (Beifall von der CDU) fenpolizisten längst mit Bodycams ausgestattet ha- ben. Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Schauen Sie beispielsweise nach Rheinland-Pfalz! Herr Kollege Golland. – Für die SPD-Fraktion Dort hat der SPD-Innenminister Lewentz den Ein- spricht der Kollege Bialas. satz von Bodycams am Montag dieser Woche er- neut in den höchsten Tönen gelobt – hört, hört! In Andreas Bialas*) (SPD): Herr Präsident! Meine der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“ vom 25.01.2016 sehr geehrten Damen und Herren! Zum Antrag der heißt dazu – Zitat –: CDU-Fraktion kann und muss man als Erstes sa- „Innenminister Roger Lewentz (SPD) zog sei- gen: Kampfrhetorik jenseits einer differenzierten und nerseits eine durchweg positive Bilanz und kün- sachgerechten Darstellung und Diskussion! digte an, 80 weitere Bodycams noch vor Fast- (Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN) nacht anzuschaffen, um sie landesweit zu tes- ten. ‚Wir tun alles dafür, dass wir Bilder verhin- Sie bedienen weiterhin einen eingeläuteten Wahl- dern können, wie wir sie in Köln an Silvester hat- kampf und nicht eine sachgerechte Auseinander- ten‘, betonte Lewentz.“ setzung. Sie tun so, als ob sich das Land verwei- gern würde, und erzeugen den Eindruck, dass der Das ist im Übrigen der, der jetzt in die Elefantenrun- Einsatz von Bodycams in anderen Ländern bereits de und Talkshow hineingeht. zum normalen polizeilichen Alltagsgeschehen gehö-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10765 Plenarprotokoll 16/104 ren würde. Das tut er nirgends. Sie erzeugen den Übrigens stellt sich für mich die Frage, warum in Eindruck, dass eine Wirksamkeit verlässlich und be- Köln nicht Beweissicherungstrupps mit der Möglich- reits bestätigt gegeben ist. Ja, Sie suggerieren gar, keit zur Videografierung frühzeitig eingebunden dass Köln als Präzedenzfall der sofortigen Einfüh- wurden. Diese Aufnahmen wären weit wertvoller rung dienen könne. Das ist mitnichten der Fall. gewesen.

Bodycams gibt es nur im Trageversuch, nur im Ver- Wir hatten – Sie haben darauf hingewiesen – be- suchsstatus in den verschiedenen Bundesländern. reits eine umfangreiche Anhörung im Innenaus- Sie hatten sie aufgeführt. Auch der Bund beteiligt schuss. Der Konsens der Gewerkschaften GdP, sich daran. Diese Trageversuche werden parallel DPolG, BDK zu den Bodycams war übrigens – dazu evaluiert. Es muss sich zunächst erweisen, ob möglicherweise waren wir bei verschiedenen Ver- die Kameras tatsächlich etwas bringen. Es gibt bis- anstaltungen –: her keine valide Aussage über den positiven Wert „Man sollte ihn aber in der Tat … wissenschaft- der Bodycams. Gesicherter Erfolg ist bisher nicht lich begleiten und evaluieren, ob der Einsatz von beschieden. Body-Cams etwas bringt oder nicht.“ (Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN) Das ist genauso ein Originalzitat wie das Zitat:

Nordrhein-Westfalen hat sich zu keinem Zeitpunkt „Einer flächendeckenden Ausrüstung mit Body- verweigert. Nordrhein-Westfalen hat klug entschie- Cams stehen wir nicht positiv gegenüber.“ den, dass sie die Ergebnisse der Versuche abwar- Weiter heißt es: ten, um im Lichte von Erkenntnissen und nicht – oder besser gesagt – in der Dunkelheit von Mei- „Dort, wo es sich lohnt …, ist es aber durchaus nungen, Meinungsmache und ausgedachten An- ein probates Mittel.“ nahmen zu entscheiden. Das wurde im Hinblick auf die Eigensicherung, im Müssen wir also auch hier selbst prüfen oder kön- Hinblick auf gewalttätige Übergriffe in der polizeili- nen wir uns auf die Ergebnisse der anderen Länder chen Kontrollsituation gesagt. verlassen? Wir glauben, dass das in den acht Län- Die Innenministerkonferenz hat im Dezember 2015 dern ausreicht und wir eine entscheidende ver- über den Einsatz von Bodycams gesprochen, und gleichbare Breite haben, die Rückschlüsse auch für sie haben vereinbart, dass im Herbst 2016 die Er- Nordrhein-Westfalen ermöglicht, ohne dass wir vor- gebnisse von Trageversuchen in einem Abschluss- ab bereits das Polizeigesetz ändern müssen, weil bericht dargestellt werden. Dann haben wir auch wir es ändern müssten. umfangreiche Erfahrungswerte der verschiedenen Trageversuche. Das wird für uns der geeignete Die reale Frage steht also noch gar nicht an und Zeitpunkt sein, ebenfalls die Ergebnisse, sehr, sehr kann noch gar nicht anstehen, ob wir für die Bewäl- offen, ohne eine vorhergehende Festlegung – das tigung des polizeilichen Alltags die Bodycam stan- haben wir auch immer gesagt – zu beraten. dardmäßig einführen. Das hängt im Wesentlichen von verlässlichen und natürlich dann auch positiven Wir bitten aber an dieser Stelle den Innenminister, Ergebnissen der Trageversuche ab. abzuklären, inwieweit einsatztaktisch, technisch und rechtlich eine Nutzung der Bodycams auch für den Damit ist eine hypothetische Annahme, wie wäre Bereich der beweissichernden Strafverfolgung von Köln gelaufen, wenn es die Bodycams gegeben hät- vornherein als bestehender Zweck überhaupt mög- te, schlicht hinfällig. Daraus auch noch abzuleiten, lich ist und ob diese Trageversuche in den Ländern dass nun nach Köln der Einsatz dringend geboten dies auch ebenfalls berücksichtigen. Das würde für sei, setzt auf Emotionalität, um eine gewünschte uns natürlich ein wichtiger Erfahrungswert sein. Anschaffung zu tätigen, setzt auf schnelle Scheinlö- sungen, setzt nicht auf Sachlichkeit in der Bewer- Ich darf dem Entschließungsantrag der FDP dan- tung eines gesicherten Nutzens dieser Kamera. Das ken. Er ist sachlich, er ist fundiert. Ich weiß, die FDP setzt übrigens auch nicht auf eine Sachlichkeit in ist immer verunsichert, wenn ich hier vorne lobe, … der Frage einer notwendigen Gesetzesänderung zur Einführung und zum Trageversuch an sich der Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege. Bodycams in NRW.

Hinfällig ist die Annahme aber auch aus einem an- Andreas Bialas*) (SPD): … aber wir haben in der deren Grund. Denn die bisherige Zielrichtung des Ausgangslage vermutlich keinen Dissens. Man Einsatzes von Bodycams war die eigensichernde muss dann sehen, wie es sich mit der Anlassab- Wirkung der Kameras für die Polizistinnen und Poli- hängigkeit, mit den Löschungsmodalitäten und der zisten, und nicht geplant war der Einsatz zur be- Entscheidungshöhe verhält, aber wir haben Schwie- weissichernden Strafverfolgung oder zur Aufrecht- rigkeiten mit dem Beschluss, weil wir die Ergebnisse erhaltung der Sicherheit und Ordnung für die Bevöl- abwarten wollen. Insoweit werden wir das beraten, kerung. den Antrag lehnen wir ab.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10766 Plenarprotokoll 16/104

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, möglicherweise abträglich. Wir wollen eine Polizei, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen die den Bürgerinnen und Bürgern offen gegenüber- Golland zulassen? tritt, rechtsstaatlich und professionell handelt. Und in dieser Hinsicht – Kollege Bialas hat es zitiert – gab *) es durchaus auch kritische Stellungnahmen seitens Andreas Bialas (SPD): Von Herrn Golland? – der Polizeigewerkschaften. Selbstverständlich, immer wieder gerne. Herr Kollege Bialas hat gerade auch schon ange- sprochen, dass es dann um die Eigensicherung Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön. geht. Da lohnt sich ein Blick in die kriminologische Forschung. Die meisten Widerstandshandlungen, die meisten Gewalttaten geschehen immer noch im Gregor Golland (CDU): Ich stelle die Frage an Sie, Affekt, ohne dass sich der Täter über die strafrecht- was denn jetzt mit der Ankündigung von Minister- lichen Folgen seiner Tat oder über eine Kamera auf präsidentin Kraft ist, die Bodycams einzuführen. der Schulter der Polizistin oder des Polizisten nach- Wann kommen die jetzt, und wie stehen Sie als denkt. Darum ist auch ihr ewig untoter Antrag zu Landtagsfraktion zu dieser Aussage Ihrer Minister- Strafrechtsverschärfungen kein wirksames Mittel, präsidentin? um Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte vorzubeugen. *) Andreas Bialas (SPD): Wir stehen geschlossen Wir sagen ganz klar: Jede Polizistin, jeder Polizist, immer zu dem Gleichen, was wir gesagt haben. Wir der im Einsatz verletzt wird, ist einer zu viel. Aber haben Trageversuche, wir sind ergebnisoffen in der wir sollten darauf doch nicht mit einer Scheinsicher- Betrachtung dessen, was wir hinterher machen. heit reagieren, sondern mit wirksamen Konzepten. Aber die Trageversuche müssen zeigen, dass sie etwas bringen, dass sie sinnvoll sind, weil wir dann Den Abschreckungseffekt, den Sie in dieser Debat- auch das Gesetz ändern müssen. Darauf warten te immer wieder sehen wollen, belegen auch die wir. Haben wir die Erfahrungswerte, und sind sie Zahlen aus dem Frankfurter Modellversuch nicht. positiv, dann stehen wir dem positiv gegenüber. Die Fallzahlen sind für eine generelle Aussage zu Aber das muss man schlicht und ergreifend abwar- niedrig. All das wurde uns in der Anhörung präsen- ten. – Vielen Dank. tiert. Im gesamten Jahr vor dem Feldversuch gab es 40 Straftaten, im ersten Versuchsjahr 25. Parallel (Beifall von der SPD und Matthi Bolte gab es aber auch ein komplett überarbeitetes Ein- [GRÜNE]) satzkonzept, sodass man keine validen Schlüsse aus diesem Versuch ziehen konnte, ob denn dieser Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Rückgang an den Bodycams liegt oder nicht. Herr Kollege Bialas. – Für die Fraktion Bündnis Nun spricht nichts dagegen, sich die Modellversu- 90/Die Grünen spricht der Kollege Bolte. che weiter anzuschauen und weiter auszuwerten, denn wir haben durchaus mitbekommen, dass es Beamtinnen und Beamte gibt, die für sich eine Stei- Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kol- gerung der Sicherheit wahrgenommen haben, die leginnen und Kollegen! In der „Rheinischen Post“ die Kamera als Sicherheitsgewinn wahrnehmen. wurde gestern behauptet, dass diejenigen, die den Aber an dieser Stelle muss man über Widersprüche Einsatz von Bodycams kritisch sehen – ich zitiere –, nachdenken und die Debatte meines Erachtens „vor dem Datenschutz in die Knie“ gingen. versachlichen. Nun ist Datenschutz ein gutes Argument, den Ein- satz der Körperkameras kritisch zu sehen. Man Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege kann immer sagen, dass es aus Sicht des Daten- Bolte, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen schutzes gut ist, wenn Daten nicht erhoben werden. Golland zu? Unsere Kritik, liebe Kolleginnen und Kollegen, be- zog sich beim letzten Anlauf der CDU – Herr Kolle- ge Golland hat ihn angesprochen – allerdings auf Matthi Bolte (GRÜNE): Ja, sehr gerne. einen anderen Aspekt. Aus diesen Gründen haben wir Ihren Antrag im letzten Jahr abgelehnt: Gregor Golland (CDU): Es gibt keine Tests in Wir fürchten einen Vertrauensverlust in die Polizei. Nordrhein-Westfalen. Das ist nicht richtig. Es gibt Wenn Bürgerinnen und Bürger … aber natürlich die Tests in Hessen. (Gregor Golland [CDU]: In die Polizei? – Das (Matthi Bolte [GRÜNE]: Das habe ich Ihnen ist das Problem!) doch gerade erklärt!) – ach, Herr Golland – … sich den Polizistinnen und Die werden von der regierungstragenden Fraktion Polizisten in Nordrhein-Westfalen unbefangen nä- der Grünen in Hessen mitgetragen. Daher nochmal hern sollen, ist dem eine Kamera auf der Schulter meine Frage: Tragen Sie die Ankündigung von Frau

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10767 Plenarprotokoll 16/104

Kraft zur Einführung von Bodycams als Grüne in der Matthi Bolte (GRÜNE): Wir haben jetzt gerade Regierungskoalition mit? schon eine sehr klare Haltung artikuliert. (Vereinzelt Lachen von der CDU) Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, – Es ist schön, wenn in der letzten Bank der CDU Herr Kollege Bolte. darüber gelacht wird. – Wir haben ganz klar gesagt: Es spricht nichts dagegen, die Modellversuche aus anderen Ländern auszuwerten. Ich habe Ihnen aber Matthi Bolte (GRÜNE): Also, Herr Kollege Golland, auch sehr deutlich gesagt, lieber Kollege Rehbaum, ich habe Ihnen jetzt gerade ausführlich dargelegt, warum wir den Modellversuchen in den anderen warum dieser Modellversuch in Hessen keine Ländern durchaus kritisch gegenüberstehen und Rückschlüsse auf die tatsächliche Wirksamkeit von weshalb diese Modellversuche eben nur in Teilen Bodycams zulässt. Und dann fragen Sie, was denn wirklich instruktiv sein können. meine Meinung zu den Modellversuchen in Hessen ist. Ich habe es Ihnen gerade erklärt. Die Passage Darüber hinaus habe ich Ihnen dargelegt, was wir kann ich Ihnen gerne noch einmal vorlesen, wenn tun müssten, wenn wir solche Modellversuche in die Wiederholung zum Verständnis beiträgt. Nordrhein-Westfalen durchführen wollten. Wir müssten das Polizeigesetz ändern, und wir müssten Außerdem haben wir aus den Anhörungen diverse eine grundrechtliche Güterabwägung vornehmen. Erkenntnisse gewonnen, was auch einen möglichen Man müsste da sehr genau auf die Möglichkeiten Modellversuch angeht. Wir haben nämlich die Er- schauen, die wir haben. kenntnis gewonnen, dass selbst ein Modellversuch, Herr Kollege Golland, nach sich ziehen würde, dass Von den verfassungsrechtlichen Schranken her ge- das Polizeigesetz geändert werden müsste. Ihnen sehen besteht die einzige Möglichkeit in einer Ände- ist erklärt worden – ich erkläre Ihnen das an dieser rung des Polizeigesetzes in dem Sinne, dass eine Stelle sehr gern noch einmal –, dass es bisher nur Eigensicherung von Beamtinnen und Beamten nach § 15 b Polizeigesetz eine rechtliche Grundlage durchgeführt wird. für die Videografie von Einsätzen gibt. Ein solcher Alles andere, was darüber hinausgeht – insbeson- Einsatz kann danach erstens aus einem Fahrzeug dere das, was Sie in Ihrem Antrag ja gefordert ha- heraus und zweitens zum Zwecke der Beweissiche- ben –, ist nicht möglich. Sie haben in Ihrem Antrag rung erfolgen. Das sind Schranken, die Sie nur mit ja nicht Bodycams zur Eigensicherung gefordert, der Änderung des Polizeigesetzes überwinden kön- sondern Sie haben darin Bodycams zur Beweissi- nen. Selbst für einen Modellversuch müssten wir cherung für die Strafverfolgung gefordert. Da sind also das Polizeigesetz ändern. Und man müsste wir im Bereich der sogenannten Strafverfolgungs- dann eben schauen: Welche Güter müssen in einer vorsorge. Diese befindet sich aber ausschließlich in solchen Situation gegeneinander abgewogen wer- Bundeskompetenz. Herr Golland, Sie mögen das den? Da muss man dann eben auch sehr genau auf Gesicht verziehen, aber so ist die Welt nun einmal. die verfassungsrechtliche Abwägung von Grund- Das Grundgesetz ist so gestrickt, wie es ist, auch rechten schauen. wenn Ihnen das nicht passt. Es gibt eine Bundeskompetenz und eine Landes- Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, kompetenz. Und ich kann es nicht ändern, wenn Sie würden Sie nach diesem ganz langen Satz eine das stört. Sie müssen aber zumindest zur Kenntnis Zwischenfrage des Kollegen Rehbaum zulassen? nehmen, dass das, was Sie in Ihrem Antrag gefor- dert haben, schlicht und ergreifend verfassungswid- rig ist. Matthi Bolte (GRÜNE): Ja! (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) Ich komme konkret zum dritten Aspekt. Sie spre- Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön. chen von Bodycams als Reaktion auf Köln. Wir ha- ben gestern gemeinsam – vier Fraktionen – in die- sem Haus einen Untersuchungsausschuss einge- Henning Rehbaum (CDU): Vielen Dank, dass Sie setzt. Diesem Untersuchungsausschuss dürfen wir die Frage zulassen. – Nachdem Sie jetzt mit einem nicht vorgreifen. Wir wissen aber aus den Diskussi- langen Satz eine Frage beantwortet haben, die nicht onen, dass es in der konkreten Situation Schwierig- gestellt worden ist, möchte ich diese Frage noch keiten unter anderem deshalb gab, weil Einsatzkräf- einmal wiederholen: Unterstützen Sie die Minister- te fehlten. präsidentin bei der Einführung von Schulterkame- ras? Polizistinnen und Polizisten, die nicht auf der Straße waren, wären auch dann, wenn die Polizei mit Schulterkameras ausgestattet wäre, nicht auf der Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Straße gewesen. Insofern ist dieser Punkt, lieber bitte. Kollege Golland, eben auch nicht instruktiv im Hin-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10768 Plenarprotokoll 16/104 blick auf eine mögliche Debatte über die Einführung Matthi Bolte (GRÜNE): Lieber Kollege Hegemann, von Bodycams. Denn in Köln fehlte es nicht an Kör- Sie haben Ihren Beitrag mit einer Frage eingeleitet, perkameras, sondern an einer fundierten Lageein- ob ich bereit bin, das zur Kenntnis zu nehmen. – Ja, schätzung. Dazu wären allenfalls Überblicksauf- ich bin bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. nahmen geeignet gewesen, aber nicht Aufnahmen aus einer Bodycam. Nichtsdestotrotz habe ich Ihnen gerade erläutert, dass wir, um das zu erreichen, was Sie wollen, das Ich habe Ihnen gerade schon die verfassungsrecht- Polizeigesetz ändern müssten. Es aus der Motivati- liche Lage im Hinblick auf Strafverfolgung erklärt. on, die Sie, Herr Kollege Hegemann, gerade vorge- Ihre Begründung bzw. Herleitung für den Antrag tragen haben, zu ändern, wäre verfassungsrechtlich geht klar über das hinaus, was das Land an zuläs- nicht zulässig. Wenn Sie möchten, sage ich Ihnen sigen Kompetenzen hätte. diesen Satz noch dreimal. Vielleicht haben auch Sie ihn dann verstanden. Jetzt habe ich – insbesondere auch wegen Ihrer (Beifall von den GRÜNEN) Zwischenfragen, die ich sehr gerne beantwortet ha- be – sehr lange Ausführungen gemacht. Ich habe auch jenseits des Datenschutzes, glaube ich, eine Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, ganze Reihe von Argumenten gebracht, die mög- Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht licherweise zur Versachlichung der Debatte beitra- jetzt der Kollege Lürbke. gen können. Sie als CDU-Fraktion haben sich die- sen Argumenten bisher sehr erfolgreich verschlos- (Zuruf von Monika Düker [GRÜNE] – Gegen- sen. Das hilft niemandem auf der Straße. Es hilft ruf von den PIRATEN: Das ist genau die Ein- uns auch nicht in der innenpolitischen Debatte. – stellung, die die CDU hat: Wir überlassen das Vielen Dank. dem Gericht! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN) (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) – Nach all der Aufregung hat jetzt der Kollege Lürbke von der FDP-Fraktion das Wort. Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Kollege, würden Sie noch einen Moment hierbleiben? Es liegt eine Marc Lürbke (FDP): Vielen Dank. Vielleicht kann Kurzintervention von Herrn Kollegen Hegemann ich zur Versachlichung beitragen. – Herr Präsident! vor. – Herr Kollege Hegemann, Sie sitzen auf dem Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will vorweg- Platz von Herrn Laschet und haben jetzt das Wort. schicken: Wir haben erst gestern in diesem Hause intensiv über den ganzen Themenkomplex Vide- obeobachtung gesprochen. Ich habe schon gestern Lothar Hegemann (CDU): Danke, Herr Präsident. an diesem Pult gesagt – da war ich nicht alleine; Ich werde meistens übersehen; darunter leide ich. Herr Bialas, ich glaube, Sie haben das ähnlich zum (Heiterkeit) Ausdruck gebracht –, dass es in diesem Haus unse- re stetige Aufgabe sein muss, vernunftgeleitet in der Kollege, würden sie zur Kenntnis nehmen, dass die Abwägung von Freiheit und Sicherheit die größt- Ausschreitungen in Köln auch mit einer Schulter- mögliche Balance zu erreichen. kamera nicht verhindert worden wären, dass aber Das ist nicht immer leicht. eine Aufklärung durch die 60, die sie gehabt hätten, wesentlich besser gewesen wäre als das, was wir (Minister Ralf Jäger: Eine edle Absicht!) jetzt an verschwommenen Bildern haben? Das ist auch ein Prozess, und es muss, wie gesagt, Sie können aber nicht sagen, die anderen hätten die immer ganz sauber austariert werden: mit Maß und ja nicht gehabt, und es wäre alles so gelaufen wie Mitte und unter Berücksichtigung der Verhältnismä- bisher, was sein mag, aber wir wären einen gehöri- ßigkeit; denn die Verteidigung der Privatsphäre un- gen Schritt weiter. bescholtener Bürgerinnen und Bürger muss Hand in Hand gehen mit dem Schutz der Bevölkerung und Nun zur Beweissicherung! Ihnen ist bekannt, dass unserer Beamten. Dashcameras in Deutschland verboten sind. Sie wissen aber auch, dass viele Gerichte und viele Po- lizisten sehr dankbar für solche Filmaufnahmen Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, sind, wenn es darum geht, Verkehrsdelikte zu ahn- würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin den. Sie wissen also, dass die Aufnahme mit einer Düker zulassen? Dashcam trotz des Verbots vor Gericht oft als Be- weis zugelassen wird. Marc Lürbke (FDP): Dazu? Natürlich, sehr gerne.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Bolte. Frau Kollegin Düker.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10769 Plenarprotokoll 16/104

Monika Düker (GRÜNE): Herr Kollege Lürbke, Frau Kollegin Düker, ein solcher Einsatz käme, wie danke schön für die Zulassung der Zwischenfra- gesagt, beispielsweise bei den Bereitschaftspolizei- ge. – Ich setze hier doch noch auf einen Rest an einsatzhundertschaften infrage – bei geschlossenen Rechtsstaatsbewusstsein in der FDP-Fraktion. Ist Einheiten und bei den Beweissicherungskräften –; Ihnen denn, wenn es schon in der CDU nicht vor- denn dort werden bereits heute Videoaufnahmen handen ist angefertigt, sofern der Einsatzführer das aufgrund der Lage für geboten hält und soweit es aufgrund (Zurufe von der CDU) der Rechtslage und der Rechtsprechung zulässig ist. – jetzt kommt meine Frage –, das Urteil des Bun- desverfassungsgerichts aus dem Jahr 2005 zum (Zuruf von Monika Düker [GRÜNE]) niedersächsischen Polizeigesetz bekannt, wonach Karlsruhe einschlägig geurteilt hat, dass der Einsatz – Ja, genau. – Wir erleben beispielsweise aber auch präventiver Maßnahmen zum Zwecke der Beweis- dass diese Kameras immer häufiger aus der Hand sicherung – hier hieße das Videoüberwachung – im geschlagen werden. Polizeirecht nicht zulässig ist? Das heißt: Stimmen Es ist die Silvesternacht angesprochen worden: Sie mit meiner verfassungsrechtlichen Auffassung Auch in der Silvesternacht waren bekanntlich Ein- überein, dass mit der Begründung, dass wir Be- satzkräfte der Hundertschaft vor Ort. Aber offenbar weissicherungsbilder haben wollen, eine Video- wurden in der Nacht keinerlei Beweissicherungs- überwachung nach dem Polizeirecht nicht möglich aufnahmen angefertigt. Natürlich hätte das im Ein- ist, egal wo die Kamera ist, auf der Schulter oder zelfall rechtlich zulässig sein müssen. auf der Straße? Stimmen Sie mit mir in dieser recht- lichen Einschätzung überein? Aber in dichten Menschenmassen kann eine solche Schulterkamera meiner Meinung nach hilfreich sein, denn der betreffende Beamte hat dann die Hände Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege frei, beispielsweise zur Eigensicherung. Dem sollten Lürbke, bitte schön. wir uns nicht verschließen. Insofern können wir uns Schulterkameras als Ergänzung zu den bereits heu- te verwendeten Kameras vorstellen. Wir wollen an Marc Lürbke (FDP): Frau Düker, ich danke Ihnen dieser Stelle also eher eine Aktualisierung auf den für den Hinweis. Aber ich stimme mit Ihnen nicht neuesten Stand der Technik. 100%ig überein; denn wir haben bereits heute den Einsatz von Kameras, etwa bei den Beweissiche- (Beifall von der FDP) rungstrupps der Einsatzhundertschaften. Beispiels- Es ist schon angesprochen, dass wir damit auch der weise findet die Beobachtung aus der Vogelper- Forderung der Polizeigewerkschaften nachkommen, spektive statt; das hat Ihr Kollege Bolte eben schon wobei man, wie Sie, Herr Bialas, richtigerweise ge- angesprochen. Dabei steht die Kamera auf einem sagt haben, genau darauf schauen muss, was die Teleskop. Polizeigewerkschaften hier erklärt haben. Sie haben sehr früh eine Zwischenfrage gestellt. Ich Die Erfahrungen aus Hessen deuten zumindest da- werde in meinen Ausführungen gleich noch darauf rauf hin – auch da ist ein Jahr seit der Anhörung eingehen. Ich glaube, dann wird das auch noch vergangen –, dass der Einsatz von Schulterkame- deutlicher. ras in Kriminalitätsbrennpunkten offensichtlich die Zahl der Übergriffe und Gewalttaten gegenüber Po- (Beifall von der FDP) lizeibeamten zurückgehen lässt. Natürlich muss Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte trotz- man das wissenschaftlich untersuchen. Aber wenn dem vorwegschicken, dass ich dem Aktionismus die Schulterkameras an dieser Stelle etwas Positi- dieser Tage und den Forderungen nach einer flä- ves bewirkt haben, will ich mich dem nicht ver- chendeckenden Einführung anlassloser Maßnah- schließen. Jede Gewalttat gegen einen Polizeibe- men, aber auch beispielsweise nach einer flächen- amten in unserem Land ist eine zu viel. deckenden Einführung von Schulterkameras, die Aber ich will betonen – deswegen auch der Hinweis wir, auch in den letzten Wochen, immer wieder ver- in dem Erschließungsantrag –: Das muss wissen- nehmen dürfen, erst einmal eine Absage erteilen. schaftlich begleitet werden. Es muss jährlich evalu- iert werden, damit wir überhaupt wissen, worüber Uns geht es nämlich darum – wir haben einen Ent- wir hier reden. schließungsantrag gestellt, um es deutlich zu ma- chen und ganz konkret zu sagen, worum es uns Um es abschließend ganz klar zu sagen: Uns geht geht –, dass Schulterkameras tatsächlich nur an- es nicht darum, dass jeder Streifen- oder Bezirks- lassbezogen und situationsangemessen innerhalb beamte in Nordrhein-Westfalen, womöglich noch in geeigneter Rahmenbedingungen und innerhalb einem ruhigen Stadtteil, eine Kamera schultert. Das ganz enger rechtlicher Grenzen, auch unter Be- verbietet sich in meinen Augen. Wir dürfen niemals rücksichtigung des Datenschutzes, infrage kom- vergessen, dass die Nutzung einer Schulterkamera men. in Grundrechte – in die informationelle Selbstbe-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10770 Plenarprotokoll 16/104 stimmung – der Gefilmten eingreift. Das ist damals kannt? Von den Innenministern? Von den Polizei- auch in der Anhörung deutlich geworden; ich erinne- gewerkschaften? Sind wir doch einmal ehrlich: Die re mich an die Ausführungen des LDI. hatten das schon anerkannt, als die Testversuche noch gar nicht gestartet waren. Wissenschaftlich be- Schlussendlich geht es auch um ein Vertrauensver- legt ist dabei also überhaupt nichts. hältnis – Herr Bolte, Sie haben das angesprochen – zwischen Bürgern und Polizei. Ich sehe das ähnlich. Allein die Tatsache, dass Sie den Einsatz von Bo- Wir brauchen unsere Polizeibeamten weiterhin je- dycams in einen Zusammenhang mit den Vorfällen derzeit als ansprechbaren Freund und Helfer, nicht in der Silvesternacht bringen, ist doch schon völlig aber als eine Art mobiler Überwachungsinstitution. absurd, weil das doch den Sinn dieser Bodycams – Wie gesagt: Das Thema „Schulterkameras“ muss wie sie in anderen Bundesländern bereits getestet mit Maß und Mitte und unter Berücksichtigung der werden – völlig verfehlt. Das wurde auch schon ge- Verhältnismäßigkeit in den engen Grenzen des Da- sagt. Es geht hier um die Eigensicherung und nicht tenschutzes austariert werden. Uns geht es dabei um Beweissicherung. Das ist totaler Mumpitz. um den anlassbezogenen und situationsangemes- Des Weiteren sagen Sie, die Kameras hätten die senen Einsatz. Deswegen werbe ich an dieser Stel- Vorfälle nicht verhindert – das ist klar –, allerdings le noch einmal für unseren Entschließungsantrag. – hätte man dadurch einen besseren Überblick ge- Ganz herzlichen Dank. habt. Über die Übersichtsaufnahmen haben wir ge- (Beifall von der FDP) rade schon gesprochen. Ich möchte das aber grundsätzlich bezweifeln. Wir müssen in diesem Zusammenhang Folgendes bedenken: Der Bahn- Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, hofsvorplatz von Köln ist schon jetzt rundherum vi- Herr Kollege Lürbke. – Für die Fraktion der Piraten deoüberwacht. Was hätten uns denn noch mehr spricht der Abgeordnete Schatz. Aufnahmen gebracht? Allein die Videoaufnahmen, die derzeit vorliegen, sind schon zu viel. Das ganze Material, das zur Verfügung steht, können die Be- Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsi- amten gar nicht vollständig auswerten. dent. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge- ehrte Damen und Herren! Zunächst einmal möchte Das Beste in Ihrem Antrag aber ist der kurze ich auf das eingehen, was Herr Hegemann gerade Schlusssatz, den Sie quasi als eine Art Appendix – dazwischengerufen hat; denn ich glaube, das hat der nun einmal da ist, den aber eigentlich niemand nicht jeder verstanden. Auf die Frage von Herrn Bol- braucht – nachgeschoben haben. Darin sagen Sie te, ob man denn ein verfassungswidriges Gesetz dann, den Datenschutz müsse man natürlich auch einbringen sollte, sagte Herr Hegemann: Das müss- noch beachten. Liebe CDU, ich bin froh, dass Sie ten Sie schon das Gericht entscheiden lassen. den Datenschutz überhaupt erwähnen; denn mir Genau das macht die CDU immer: verfassungswid- kommt es wirklich so vor, als sei der Datenschutz rige Gesetze einbringen und abwarten, was daraus für Sie nur ein lästiges Anhängsel des Rechtsstaa- wird. Das ist die CDU, wie sie leibt und lebt. Das ist tes. „Datenschutz ist Täterschutz“ lautet schließlich aber nicht meine Art von Politik. das Motto der CDU. (Beifall von den PIRATEN) Aber da wir gerade über den Datenschutz spre- chen, möchte ich noch eine Anmerkung machen: Herr Lürbke, Sie sagten gerade, Sie würden dem Das Thema „Bodycams“ ist nicht neu in NRW. Vor nicht zustimmen; denn die Hundertschaften würden ziemlich genau einem Jahr – das wurde auch be- bei Versammlungen bereits das Gleiche machen. – reits gesagt – gab es zu einem gleichlautenden An- Es gibt aber einen Unterschied: § 12a Versamm- trag eine Anhörung. Der damalige Datenschutzbe- lungsgesetz. Ich meine, das Versammlungsgesetz auftragte, Herr Lepper, war auch bei dieser Anhö- unterliegt immer noch der Kompetenz des Bundes. rung anwesend, und er sagte: Das ist die Rechtsgrundlage für Videoaufnahmen der Polizei bei Versammlungen, die auch für die „Soweit ich das übersehen kann, sind weder die Hundertschaften gelten. Hier besteht Bundeskom- Eignung von polizeilicher Videoüberwachung im petenz und nicht Landeskompetenz. Von daher än- Allgemeinen noch insbesondere die Eignung von dert das nichts an der Aussage, dass es verfas- polizeilicher Videoüberwachung zur Eigensiche- sungswidrig ist. rung in präventiver Hinsicht in Deutschland bis- her wissenschaftlich belegt worden.“ Insgesamt geht der Antrag der CDU hier von völlig falschen Voraussetzungen aus. Zunächst einmal Zu dieser Aussage muss ich zwei Anmerkungen schreiben Sie in einem Halbsatz, irgendwo im machen: Erstens. Im Ausschuss herrschte, soweit Kleingedruckten, es sei inzwischen anerkannt, dass ich das in Erinnerung habe, zumindest nach mei- Bodycams für eine beweissichere Dokumentation nem Empfinden Konsens darüber, dass wir zu- dienlich sind und dass sie sogar eine abschrecken- nächst einmal die Testläufe der anderen Bundes- de Wirkung auf potenzielle Angreifer hätten. Aller- länder abwarten wollen. Diese Testläufe sind aber dings frage ich mich: Von wem wurde das aner- noch nicht abgeschlossen. Warum haben Sie also

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10771 Plenarprotokoll 16/104 schon jetzt den Antrag eingebracht, obwohl dieser zeugt zu sein, ob und an welcher Stelle solche Bo- Schritt noch nicht abgeschlossen ist? dycams im polizeilichen Alltag einen Nutzen darstel- len. Darüber hinaus wurden diese Versuche auch gar nicht wissenschaftlich begleitet, zumindest nicht un- Wir müssen somit erst einmal definieren, wozu die abhängig. Ich möchte einmal ein Beispiel nennen, Kameras eigentlich eingesetzt werden sollen. Wenn wozu das führen kann. In der Anhörung und natür- sie so eingesetzt werden sollen, wie der CDU- lich auch im öffentlichen Diskurs wurde vonseiten Antrag es beschreibt, entsteht es eine unsichere der Polizeigewerkschaften und zum Beispiel auch Rechtslage; denn dann wären sie als Mittel der vonseiten des Hessischen Innenministeriums schon Strafverfolgung und der Beweissicherung zu be- vorweg propagiert, dass die Kameras ein voller Er- trachten. Es gibt jedoch zumindest verfassungs- folg seien, weil die Zahl der Übergriffe auf Beamte rechtliche Bedenken, ob eine solche Änderung im zurückgegangen sei. Die Frage ist nur: Ist das so? Polizeigesetz anschließend verfassungsmäßig trägt. Das ist der eine Aspekt. Ich hatte dann diesbezüglich eine Frage gestellt; Herr Bolte hatte das gerade auch schon angedeu- Wenn man sagt, man wolle sie so einsetzen, wie es tet: Es gab nämlich eine vollständige Überarbeitung in den anderen Bundesländern der Fall ist und wie des entsprechenden Einsatzkonzeptes. Anstatt wie es zu Beginn des letzten Jahres hier im Plenum dis- vorher vier Streifen à zwei Beamte wurden im Zuge kutiert worden ist – also zur Eigensicherung der Po- des Einsatzes der Bodycams zwei Streifen à vier lizeibeamtinnen und -beamten –, dann muss man Beamte eingesetzt. Wenn ich jetzt als Bürger vier fragen: Wo sind die Beamtinnen und Beamte den Beamten gegenüberstehe, ist die Bereitschaft für Übergriffen eigentlich ausgesetzt? einen Übergriff natürlich deutlich geringer, als wenn ich zwei Beamten gegenüberstehe. Das sind sie in der Mehrzahl nicht bei geschlosse- nen Einsätzen, also nicht bei Demonstrationen, (Lachen bei der SPD) nicht bei Fußballspielen. Das sind sehr robuste Einsätze, bei denen wir viel für den Eigenschutz der Das hat aber nicht zwingend etwas mit den Bo- Beamtinnen und Beamten tun. dycams zu tun. Genau diese Evaluation hat doch gar nicht stattgefunden. Es gibt keine wissenschaft- Ob eine Schulterkamera bei geschlossenen Einsät- liche Evaluation. Genau das fehlt. zen, also beispielsweise bei Einsatzhundertschaf- ten, technisch überhaupt ein taugliches Mittel ist, Zuletzt erwiderte der Datenschutzbeauftragte Herr wollen derzeit zwei Bundesländer prüfen. Dort sind Lepper als Antwort auf die Frage von Herrn Sieve- die Bodycams noch gar nicht im Einsatz, weil das ke, ob er sich denn vielleicht zumindest irgendwie Herunterschlagen von der Schulter gerade in ge- vorstellen könne, einen Versuch mit Bodycams zu schlossenen Einsätzen ohne Weiteres möglich wä- befürworten, sinngemäß: Die Frage, ob er dies, mit re. welchen Kautelen auch immer, befürworten würde, müsse er hier mit einem klaren Nein beantworten. In der Mehrzahl – das haben wir mit unserer Studie „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte in Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen. – Vielen Nordrhein-Westfalen“ unter unglaublich hoher Betei- Dank. ligung der Beamtinnen und Beamten breit darge- (Beifall von den PIRATEN) legt – ist uns klar, dass die meisten Übergriffe so- wohl des Bedrängens – das wird von vielen Beam- ten als Gewaltübergriff wahrgenommen – als auch Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, der direkten körperlichen Gewalt im polizeilichen All- Herr Kollege Schatz. – Für die Landesregierung tag dort stattfinden, wo man es am wenigsten ver- spricht Herr Minister Jäger. mutet: bei ganz normalen Einsätzen – Familienstrei- tigkeiten, Nachbarschaftsstreitigkeiten –, wo sich plötzlich Kontrahenten gegen die Polizei verbünden. Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und An den bekannten Kriminalitätsschwerpunkten ist Herren! Anfang letzten Jahres haben, wenn ich das weniger der Fall, weil dort die erhebliche Prä- mich richtig erinnere, mit Ausnahme der CDU alle senz ohnehin schon präventiv wirkt. Ob Schulter- hier im Landtag vertretenen Fraktionen den CDU- kameras dort wirken, muss man abwarten. Sie se- Antrag, Bodycams in Nordrhein-Westfalen zu er- hen also: Wir müssen eine Vielzahl von Fragen erst proben, abgelehnt. Hintergrund war eine umfangrei- einmal inhaltlich beantwortet haben, bevor man sich che Expertenanhörung des Innenausschusses, bei zu diesen Bodycams überhaupt vernünftig äußern der erhebliche Zweifel und wenig Zuspruch vonsei- kann. ten der von den Fraktionen benannten Experten geäußert worden sind. Übrigens habe ich vorgestern ein längeres Ge- spräch mit meinem Amtskollegen Roger Lewentz in Wir haben damals als Landesregierung gesagt, wir Rheinland-Pfalz dazu geführt. Er hat mir gesagt: Wir würden einen solchen Einsatz nicht kategorisch ab- haben durchweg positive Erfahrungen, aber für eine lehnen, aber wir bräuchten valide Daten, um über- endgültige Beurteilung ist es noch viel zu früh –

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10772 Plenarprotokoll 16/104 auch vor dem Hintergrund, dass in Rheinland- Wir kommen zu: Pfalz geschaut wird, an welchen Stellen und in welchen Einsatzsituationen Bodycams aus rhein- land-pfälzischer Sicht überhaupt sinnvoll sind. 8 Fragestunde Daran kann man erkennen, dass der IMK- Mündliche Anfrage Beschluss aus dem Dezember letzten Jahres, Drucksache 16/10820 der also erst vor wenigen Wochen gefasst wur- de, vernünftig und richtig war, dass wir nämlich Ich rufe auf die in mehreren Bundesländern Trageversuche durchführen und dann wissenschaftlich evaluie- ren lassen: Wann und in welchen Situationen Mündliche Anfrage 75 kann das präventiv zur Gewaltminderung gegen Polizeibeamtinnen und -beamten beitragen? Ist des Herrn Abgeordneten Ralf Witzel von der Frakti- es rechtlich zulässig, anschließend im Rahmen on der FDP: der Strafverfolgung solche Kameras einzuset- zen? Diese Ergebnisse werden auf der Herbst- „Vorläufige wirtschaftliche Ergebnisse des sitzung der IMK in diesem Jahr beraten. Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW (BLB NRW) – In welchem Umfang sind die einzel- Dann haben wir eine vernünftige Grundlage. nen für das Jahr 2015 gesetzten finanziellen Schnellschüsse und operative Hektik sind keine Ziele durch den BLB NRW erreicht worden?“ seriöse Sicherheitspolitik. (Beifall von Andreas Bialas [SPD]) Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans hat im Haushaltsplan 2016 sowie in seiner Mittelfristigen Daher würde ich dem Parlament raten, diesen Finanzplanung 2015 bis 2019 für die Jahre 2016 Antrag abzulehnen. und 2017 zusätzliche Einnahmen in Höhe von (Beifall von der SPD und den GRÜNEN – rund 400 bzw. 300 Millionen Euro für den Lan- Zurufe von der CDU) deshaushalt veranschlagt, die der BLB NRW ab- zuführen hat. So soll der BLB NRW sein Landes- darlehen schneller als zuvor vorgesehen tilgen Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen und damit den Landeshaushalt entlasten. Dank, Herr Minister. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldun- Im Jahr 2016 soll der BLB NRW insgesamt gen mehr vor. 858 Millionen Euro an Tilgungsleistungen an das Land Nordrhein-Westfalen erbringen – also rund Wir kommen damit zur Abstimmung. Wir haben 400 Millionen Euro mehr als ursprünglich vorge- zwei Anträge vorliegen. sehen. Diese Mittel kann der BLB NRW jedoch nicht etwa aus erwirtschafteten Überschüssen Wir stimmen erstens ab über den Antrag der begleichen, sondern muss auf unterschiedliche Fraktion der CDU Drucksache 16/10789. Die an- Finanzierungselemente zurückgreifen. tragstellende Fraktion der CDU hat direkte Ab- stimmung beantragt. Wir kommen somit zur Ab- Unter anderem plant der BLB NRW, seine im stimmung über den Inhalt des Antrags Drucksa- Haushaltsgesetz 2016 genehmigte Krediter- che 16/10789. Wer dem seine Zustimmung ge- mächtigung von 408 Millionen Euro voll auszu- ben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – schöpfen und darüber hinaus 198 Millionen Euro Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält an weiteren Krediten aus fortgeltenden Krediter- sich? – Damit ist der Antrag Drucksache mächtigungen aufzunehmen. Ferner plant der 16/10789 mit Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die BLB NRW, liquide Mittel von 155,2 Millionen Euro Grünen, der Fraktion der Piraten bei Zustim- in diesem Jahr abzubauen, die er wiederum mung der CDU-Fraktion und bei Enthaltung der durch eine Aufstockung seines Finanzmittelbe- FDP-Fraktion abgelehnt. standes um 171,9 Millionen Euro im Jahr 2015 aufzubauen plante (vgl. LT-Vorlage 16/3412 so- Wir stimmen zweitens ab über den Entschlie- wie Beilage 2 zu Einzelplan 12 des Haushalts- ßungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache plans 2016). 16/10919. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Mit Vorlage 16/3640 sind dem Landtag Nord- FDP-Fraktion. Wer kann dem nicht zustim- rhein-Westfalen IST-Zahlen des BLB NRW zum men? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ent- 30. Juni 2015 geliefert worden. Diese lassen bis- schließungsantrag Drucksache 16/10919 mit her keine Erkenntnis darüber zu, ob die Planun- Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der gen des BLB NRW im Jahr 2015 eingehalten Fraktion der Piraten bei Enthaltung der CDU- werden konnten. So betrug beispielsweise der Fraktion und des fraktionslosen Abgeordneten Finanzmittelbestand zur Mitte des Jahres minus Schwerd abgelehnt. 55 Millionen Euro und hat sich damit im Vergleich

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10773 Plenarprotokoll 16/104

zum Anfang der Periode um rund 63 Millionen gen: Ich werde Ihnen das antworten, was belastbar Euro reduziert. ist, ich werde aber nicht spekulieren.

Es ist allgemein bekannt, dass die Prüfung des Wir tun alles dafür, dass Sie frühzeitig über die Ent- Jahresabschlusses eines Unternehmens dieser wicklungen im BLB unterrichtet werden. Im Unter- Größenordnung einige Monate und darüber hin- ausschuss Landesbetriebe und Sondervermögen aus sogar die Weiterleitung dieses Abschlusses hat es zum Juni letzten Jahres einen testierten Zwi- an das Parlament weitere sechs Monate in An- schenstand gegeben. Im Moment arbeiten wir an spruch nehmen kann (vgl. LT-Vorlage 16/3195 einem testierten Zwischenstand zum 30. Septem- vom 9. September 2015 zum Jahresabschluss ber, der im Augenblick noch nicht vorliegt. Wir wer- des BLB NRW zum 31. Dezember 2014 mit dem den Ihnen im Weiteren sofort die Daten, die vorlie- offiziellen Bestätigungsvermerk des Abschluss- gen, zur Verfügung stellen. prüfers bereits vom 26. März 2015). Jetzt mache ich einen Vorschlag zur Abkürzung; Vor dem Hintergrund, dass der testierte Jahres- das können Sie natürlich auch anders handhaben. abschluss des BLB NRW für das Jahr 2015 Wir können jetzt das machen, was wir in diesen eventuell erst im September 2016 dem Landtag Fragestunden jedes Mal machen, dass Ihre Frakti- vorgelegt werden könnte, ist die frühzeitige Un- onskollegen die Fragen vortragen, die sie vorher no- terrichtung des Landtages über vorläufige IST- tiert haben, und dass ich Ihnen sagen muss, dass Zahlen des BLB NRW – wie mit Vorlage 16/3640 es dazu noch keine testierten Abschlüsse gibt. zum Stichtag 30. Juni 2015 geschehen – zum 31. Dezember 2015 von großer Bedeutung. Nur so Wir können uns aber auch auf eine andere Vorge- kann zeitnah eine Einschätzung über die Validität hensweise verständigen. Sie haben im Vortext Ihrer der in der Haushaltsplanung 2016 angenomme- Frage geschrieben, worum es Ihnen eigentlich geht: nen Werte vorgenommen werden. Sie möchten zeigen, dass sich die im Haushalt vor- Der Finanzminister sollte dem Landtag für eine gesehene Einnahme aus einer Rückzahlung eines größtmögliche Haushaltsklarheit und -wahrheit internen Darlehens des BLB aus dem wirtschaftli- alle auch vorläufigen IST-Werte der Geschäftstä- chen Ergebnis des BLB nicht ableiten lässt. tigkeit des BLB-NRW zum Stichtag 31. Dezem- ber 2015 liefern. Nur so ist es dem Haushaltsge- Dem widersprechen zumindest die bislang vorge- setzgeber nach beachtlichen Fehlkalkulationen legten Zahlen, von denen ich eben gesprochen ha- dieser rot/grünen Landesregierung bei anderen be. Dem widerspricht die Liquiditätsplanung. Vor al- Haushaltspositionen möglich, frühzeitig den Rea- len Dingen – das wissen Sie auch; darüber haben litätsbezug der beschlossenen Zielsetzungen wir oft genug gesprochen – hätte der BLB selbst prüfen zu können. dann eine wirtschaftliche Besserstellung zu erwar- ten, wenn er ein Darlehen, das mit über 4 % ver- In welchem Umfang sind die einzelnen für das zinst werden muss, vom Land ablösen und sich am Jahr 2015 gesetzten finanziellen Ziele durch den Markt ein anderes Darlehen beschaffen kann, des- BLB NRW erreicht worden? sen Zinssatz deutlich darunter liegt.

Die Landesregierung hat angekündigt, dass Herr So viel ist zu dem zu sagen, was Sie in der Einlei- Minister Dr. Walter-Borjans antworten wird. Herr Mi- tung der Frage wieder unterstellen – unter anderem nister, Sie sind anwesend. Damit haben Sie das auch mit der Bemerkung am Ende der Einleitung, Wort. dass es in letzter Zeit beachtliche Fehlkalkulationen gegeben habe. Damit meinen Sie die 0,9%ige Ab- weichung bei den Steuereinnahmen. Sie ist aber Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr auf der Ausgabenseite so weit unterschritten wor- Präsident! Herr Witzel! Meine Damen und Herren! den, dass wir sogar weniger Kredite aufnehmen Herr Witzel, Ihnen müsste eigentlich bekannt sein, mussten als ursprünglich geplant. Damit kann ich dass bei einem Unternehmen in der Größe eines mich jederzeit sehen lassen. DAX-Konzerns mit einer Bilanzsumme von nahezu 10 Milliarden € vor Ende März keine belastbaren Hier stehen wir an einem guten Punkt. Der BLB wird Zahlen für den Jahresabschluss zu erwarten sind. diese Rückzahlung vornehmen können. Er wird Wie bei allen Unternehmen sind intensive Gesprä- damit nicht nur den Landeshaushalt besserstellen, che mit den Wirtschaftsprüfern zu führen, und es sondern er wird auch sich selber wirtschaftlich bes- wird Buchungen zum Jahresabschluss geben. Bei serstellen. Betrieben dieser Größenordnung im Baubereich stehen in erheblichem Umfang Erhebungen zu Be- Alle detaillierten Daten zum Abschluss stelle ich stand und zu Bewertung im Blickpunkt. Ihnen gerne zur Verfügung, wenn sie vorliegen. Das kann ich im Augenblick noch nicht. Vor diesem Hin- Mich wundert es, dass Sie trotz Kenntnis dieser tergrund sollten wir überlegen, ob wir die entspre- Selbstverständlichkeiten heute Wasserstandsmel- chenden Ankündigungen jetzt machen oder spä- dungen einfordern. Ich kann Ihnen jetzt schon sa- ter. – Danke.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10774 Plenarprotokoll 16/104

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Herr Minister. – Herr Witzel hat sich zu einer Frage Zu einer Frage hat sich der Kollege Wedel gemel- gemeldet. Bitte schön. det.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, für Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, Sie die Gelegenheit zu einer Nachfrage. – Herr Minister betonen gerne, dass der BLB durch die Umstruktu- Dr. Walter-Borjans, uns ist beiden bekannt, wie eng rierung des inneren Darlehens finanziell besser da- der Zusammenhang zwischen dem Kernhaushalt steht. Unklar bleibt bislang aber die Gesamtbetrach- des Landes und den Nebenhaushalten für Sonder- tung, also BLB und Land NRW zusammen. Sofern vermögen ist. Das betrifft auch die gesamte Finanz- sich der BLB teurer refinanziert als das Land, be- planung, die Sie in Bezug auf die Landesfinanzen deutet die Verschiebung der Nettokreditaufnahme beschäftigt, bis hin zu Fragen der Schuldenbremse weg vom Land und hin zum BLB naturgemäß ins- und deren Einhaltung in den nächsten Jahren. gesamt höhere Zinskosten. Bereits Mitte Januar 2016 haben Sie die Zahlen des Welche Zinsmehrausgaben entstehen der öffentli- vorläufigen Abschlusses des Landeshaushalts für chen Hand insgesamt in absoluten Zahlen und im das Jahr 2015 vorgelegt, der immerhin ein Volumen Vergleich der unterschiedlichen Zinssätze, die BLB von rund 60 Milliarden € umfasst. Einzelne Buchun- und Land jeweils am Kapitalmarkt entrichten müs- gen werden im Laufe des Jahres 2016 bekanntlich sen? noch korrigiert, bis es dann die endgültige Haus- haltsrechnung für 2015 gibt. Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Für den BLB müsste eine solche vorläufige Angabe Herr Minister. zum Periodenergebnis des Jahres 2015 und zum Finanzmittelbestand zumindest zum Jahresende Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es 2015 mittlerweile ebenso möglich sein. entstehen keine Mehrausgaben. Der Zins, den der Ich frage Sie deshalb: Welche – gegebenenfalls BLB im Augenblick bezahlt, ist bei allem, was man auch vorläufigen – Erkenntnisse liegen Ihnen zum im Augenblick in Bezug auf das Zinsniveau anneh- Periodenergebnis und vor allem zum Finanzmittel- men kann, höher als der Zins, der für die Refinan- bestand des BLB zum 31. Dezember 2015 vor? zierung anfällt. Im Übrigen noch etwas zu der von Herrn Witzel eben noch einmal gemachten Aussage, es gehe Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, hier darum, die Schuldenbremse einzuhalten: Die Herr Minister. Rückzahlung wäre so oder so bis 2020 erfolgt. Es geht nur darum, ob sie 2016 erfolgt oder ob sie spä- Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich ter im Zeitraum bis zur Einhaltung der Schulden- kann Ihnen noch einmal sagen, dass belastbare Da- bremse in 2020 erfolgt. ten, die testiert sind, nicht vorliegen. Das ist im Üb- rigen in allen vorangegangenen Jahren ebenfalls Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – der Fall gewesen. Es gibt eine Frage von Frau Kollegin Freimuth. Ich kann Ihnen allerdings auf der Grundlage der Planungen und der jeweiligen zwischenzeitlichen Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank, Herr Präsi- Istwerte, die erhoben worden sind, sagen: Die Li- dent. – Herr Minister, nach Ihren Angaben plant der quidität des BLB gestaltet sich so, dass sie am En- Bau- und Liegenschaftsbetrieb den Abbau seines de des Jahres 2015, und zwar plangemäß, bei rund kreditfinanzierten Finanzmittelbestandes im Jahr 400 Millionen € liegen wird und sich im Verlauf des 2016 um 155,2 Millionen €, nachdem er den Be- Jahres 2016 – das nun erst einmal begonnen hat stand erst im Jahr 2015 um 171,9 Millionen € auf- und zu dem wir nur Plandaten vorlegen können – so bauen wollte. Wie bewerten Sie die ökonomische entwickeln wird, dass im Mai 2016 diese Zahlungen Sinnhaftigkeit dieses sehr gegensätzlichen Vorge- an den Landeshaushalt aus der Liquidität des Un- hens, einen nicht benötigten Finanzmittelbestand ternehmens genommen werden können. aufzubauen, anstatt die Nettokreditaufnahme zu re- Das heißt: Im Verlauf des Jahres 2016 ist beabsich- duzieren? tigt, dass der BLB über das Landesdarlehen hinaus insgesamt 162 Millionen € an Krediten zurückzahlt, Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – aber auch 500 Millionen € an Krediten aufnehmen Herr Minister, bitte schön. kann. Wie wir wissen, kann diese Aufnahme mit Si- cherheit zu besseren Konditionen erfolgen als de- nen des inneren Darlehens, das er dem Land ge- Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: In genüber mit über 4 % zu verzinsen hat. diesem Zusammenhang kann ich Ihnen vortragen,

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10775 Plenarprotokoll 16/104 welche anstehenden Kreditrückzahlungen es im Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, ich möchte Jahr 2016 geben wird. Es gibt im Jahr 2016 vier einmal die Dimensionen hinterfragen. Der BLB ist in Rückzahlungstermine. Zurückgezahlt werden sollen 2015 verschuldet gewesen und wird dem Hörensa- in den Monaten März 2016, Juni 2016 und Septem- gen nach weiterhin seine Kreditermächtigung nut- ber 2016 je 20,5 Millionen €; für Dezember 2016 ist zen wollen. Welche – momentan – vorläufigen Wer- eine Kreditrückzahlung in Höhe von 100,5 Millionen te sind bekannt? Wieviel Schulden hatte der BLB € geplant. zum 31. Dezember 2015? Wie sieht es mit dem An- teil der im Laufe des Jahres 2015 neu verursachten Auf der anderen Seite gibt es eine Kreditaufnahme Schulden des BLB aus? Was kommt noch dazu? in Höhe von 200 Millionen € im Juni 2016 und je- weils 150 Millionen € im September 2016 und im Dezember 2016. Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, Darin nicht enthalten ist das interne Darlehen, das bitte schön. aus Sicht des BLB auch eine Forderung gegen ihn ist. Dieses Darlehen zahlt er dann zurück, womit er sich, was die Zinsbelastung angeht, eindeutig ver- Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich bessert. kann die Zahlen im Augenblick nicht im Einzelnen nennen. Der BLB hat Kredite in Höhe von rund 8 Milliarden €. Ich habe Ihnen gerade die Größen- Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – ordnung der sich ergebenden Verschiebungen ge- Frau Kollegin Gebauer hat sich gemeldet. nannt. Wir planen einen Abbau von 162 Millionen € und eine Zuführung um 500 Millionen €. Gemessen Yvonne Gebauer (FDP): Danke schön, Herr Präsi- am Bestand der Kredite des BLB ist das ein absolut dent. – Herr Minister Dr. Walter-Borjans, der BLB normaler Wert. Das ist mit einem Unternehmen die- hat seinen Jahresabschluss 2014 bereits am 26. ser Größe und vor allen Dingen auch dieser Ziel- März 2015 mit finalem Bestätigungsvermerk des richtung – also zu investieren und Werte zu schaf- Wirtschaftsprüfers testiert bekommen. Eine Vorlage fen – absolut vereinbar. des Rechenwerks an den Landtag ist aber erst ein halbes Jahr später im September 2015 erfolgt. Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Meine Frage lautet: Was werden und wollen Sie un- Wedel hat sich zu einer zweiten Frage gemeldet. ternehmen, damit das Parlament im Jahr 2016 die Bitte schön. Vorlage der haushaltsrelevanten Ist-Zahlen des BLB möglichst unverzüglich erhält? Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, am Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön, 7. Dezember 2015 haben Sie die voraussichtliche Frau Kollegin. – Herr Minister, bitte schön. Nettokreditaufnahme des BLB mit 615 Millionen € beziffert. Ende Januar 2016 dürfte Ihnen bekannt sein, ob sich in den letzten drei Wochen des Jahres Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich 2015 noch der Bedarf für weitere Kreditaufnahmen tue meinerseits alles, was ich dazu beitragen kann. ergeben hat, und ob solche bis Jahresende 2015 Ich habe gesagt, wir rechnen auch in diesem Jahr getätigt worden sind. Ist seit Ihrer Bekanntgabe im damit, dass dieser Abschluss im ersten Vierteljahr Dezember bis zum Jahresende 2015 noch eine wei- vorliegt. Das ist für einen Betrieb dieser Größenord- tere Kreditaufnahme beim BLB über das bislang nung durchaus schon sehr ambitioniert. von Ihnen kommunizierte Maß hinaus erfolgt? Es ist bislang immer üblich gewesen – und das wird auch jetzt so sein –, dass der Abschluss zuerst dem Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Verwaltungsrat vorgelegt wird. Ich kann Ihnen nicht Herr Minister, bitte schön. im Einzelnen die Schritte nachvollziehen, vom letz- ten Jahr bis zur Vorlage an den Landtag stattgefun- den haben. Das müsste ich recherchieren. Aber wenn es in irgendeiner Weise machbar ist, dass wir Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Was nach der Vorlage im März schnell über den Verwal- die Kreditaufnahme des Jahres 2015 angeht, so lie- tungsrat an den Landtag kommen, werden wir das gen mir Zahlen in der Größenordnung von rund tun. Dann können wir auch gerne noch einmal über 975 Millionen € vor und beim gegenläufigen Abbau, die einzelnen Komponenten sprechen. also der Rückzahlung von Krediten, Zahlen in der Größenordnung von 360 Millionen €. Das heißt, wir sind dann wieder bei den 615 Millionen €. Andere Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Zahlen, die davon abweichen würden, liegen mir Herr Kollege Ellerbrock, bitte. nicht vor.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10776 Plenarprotokoll 16/104

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich Frau Kollegin Freimuth hat sich zu einer zweiten kann Ihnen im Augenblick zu diesen Daten keine Frage gemeldet. Auskunft geben, solange ich keine wirklich belegba- ren Ergebnisse habe. Ich sage noch einmal: Ich bin bereit, Ihnen diese Ergebnisse vorzulegen, sobald Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident, vielen es sie gibt. Dank für die Worterteilung. – Herr Minister, wenn ich Ihre Zahlen, die Sie hier vorgetragen haben, ge- rade richtig verstanden habe, dann gibt es einen Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – kreditfinanzierten Liquiditätsaufbau. Können Sie da- Zu einer zweiten Frage hat sich der Kollege Eller- zu die Zinskosten nennen, die dem Bau- und Lie- brock gemeldet. genschaftsbetrieb durch diese Operation entste- hen? Holger Ellerbrock (FDP): Sie haben eben auch die Darlehnsproblematik angesprochen. Durch die vor- Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Die zeitige Darlehnstilgung des Sondervermögens BLB kenne ich erst, wenn ich wirklich bestimmte Zahlen beim Land wird der Landeshaushalt kosmetisch bei vorliegen habe. Die liegen im Augenblick nicht vor. seiner eigenen Nettokreditaufnahme entlastet: linke Ich kann nur die belegbare Mutmaßung äußern, Tasche, rechte Tasche. dass die Zinsen für Baukredite eines Landesunter- Um welchen Betrag wäre denn die Nettokreditauf- nehmens im Augenblick definitiv niedriger sind als nahme des Landes in 2016 und 2017 jeweils höher, der Zins, mit dem der BLB das interne Darlehen wenn von dem ursprünglichen Tilgungsplan des in- verzinst. neren BLB-Darlehns nicht abgewichen worden wä- re? Das muss sich doch beziffern lassen. (Zuruf von der CDU)

– Ja, alles andere wäre etwas seltsam. Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Natür- lich lässt sich das beziffern. Das ist doch vollkom- men offen ausgewiesen. Wenn Sie von Kosmetik Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – sprechen, dann sollten Sie wirklich auch den ge- Herr Kollege Witzel hat sich zu einer zweiten Frage samten Körper nehmen und nicht nur einen Teil. gemeldet. Das, was jetzt niedriger ausfällt, fällt am Ende die- ses Jahrzehnts entsprechend höher aus. Denn wir reden von einer Umschichtung der Rückzahlung in- Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, für nerhalb des Zeitraums bis 2020. Hier wird nichts die Gelegenheit zur Nachfrage. – Herr Finanzminis- über diese Grenze von 2020 verschoben. ter Dr. Walter-Borjans, der BLB wird ab dem Jahr 2020, also in der weiteren Perspektive, auch als teil- (Holger Ellerbrock [FDP]: Deswegen sagte rechtsfähiges Sondervermögen unter die Wirkungen ich „linke Tasche, rechte Tasche“!) der Schuldenbremse fallen, jedenfalls sofern Sie bis dahin keine Ausnahmeregelungen schaffen werden. – Nein, Sie haben „linke Tasche, rechte Tasche“ gesagt, weil es BLB-intern ist. Im Haushaltaufstellungsverfahren kann der Wirt- Wir haben gesagt, die 700 Millionen €, die der BLB schaftsplan des BLB herangezogen werden, um die zurückzahlt, werden zu 400 Millionen € im Jahr Einhaltung der Schuldenbremse zu überwachen. 2016 und zu 300 Millionen € im Jahr 2017 bezahlt. Der Stabilitätsrat schaut sich nach unseren Er- Wenn Sie die jetzt dazuzählen, dann müssen Sie kenntnissen aber ausdrücklich auch die Entwicklung sie natürlich hinten, 2018, 2019 und 2020 wieder der Istwerte im ersten Quartal des Folgejahres an. herunternehmen. Da wirken sie sich natürlich nicht Deshalb lautet meine Frage an Sie nach Ihren Aus- mehr mindernd aus. führungen zu den Laufzeiten und zu der Dauer, bis Es gibt dieses Darlehen. Dieses Darlehen hat der Erkenntnisse zur praktischen Umsetzung vorliegen: BLB vom Land. Dieses Darlehen hat er an das Land Wie gewährleisten Sie die tatsächliche Kontrolle zurückzuzahlen, die Frage ist nur, wann. Das ist der über die Einhaltung der Schuldenbremse in den eine Punkt. Für den BLB ist es günstiger, das Dar- nächsten Jahren, und zwar in Form von Istwerten, lehen früh zurückzuzahlen, wenn er einen höheren wenn es vom Sondervermögen BLB nach dem Ab- Zins zahlt als das, was er zahlen müsste, wenn er lauf des Haushaltsjahres keine zeitnahen Ist-Daten es bei jemand anderem leiht. Wenn er es gar nicht zum 31. Dezember eines jeden Jahres gibt, auch lange braucht, ist es natürlich noch besser. nicht in Form von vorläufigen Werten?

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Minister. – Frau Gebauer hat eine Frage. Bitte Herr Minister, bitte schön. schön.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10777 Plenarprotokoll 16/104

Yvonne Gebauer (FDP): Vielen Dank, Herr Präsi- Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr dent. – Herr Minister, Sie weisen darauf hin, dass Minister. – Herr Dr. Stamp hat eine Frage. Bitte, beim BLB im ersten Quartal noch in erheblichem Herr Dr. Stamp. Maße Buchungen zum Jahresabschluss und Rück- koppelungen mit den Wirtschaftsprüfern erfolgen. Unklar sind dem Landtag gegenüber die konkreten Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Herr Prä- Anlässe für größere Veränderungen wie beispiels- sident. – Herr Minister, haben Sie schon eine Prog- weise eine denkbare Neubewertung aller Immobi- nose für die weitere Wertentwicklung des BLB in lienwerte etc. den nächsten Jahren? Und wenn Sie die haben, wie bewerten Sie die? Welches sind denn die wichtigsten Gründe oder Be- reiche beim BLB, bei denen es in den nächsten Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Meine Wochen noch zu maßgeblichen Korrekturbuchun- gen kommen soll? Prognose ist: Sie wissen, dass diese Landesregie- rung sehr früh Missständen zu Leibe gerückt ist, die es vorher gegeben hat, angefangen in der inneren Organisation und Kontrolle. Wir haben das in einer Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das klaren Art mit Eckpunkten, die wir beschlossen ha- kann ich Ihnen als Minister im Augenblick wirklich ben, jetzt in einer zweiten Stufe umgesetzt. Es hat nicht beantworten. Das ist ein Geschäft, das der eine Veränderung gegeben, was die Besetzung des BLB zusammen mit dem Verwaltungsrat, vor allen Verwaltungsrats angeht. Das heißt, wir wollen den Dingen auch mit den Wirtschaftsprüfern vorzuneh- BLB fit machen als zweitgrößtes europäischen Im- men und dann einen Abschluss vorzulegen hat, den mobilienunternehmen, das er ist, damit er den Auf- wir dann bewerten müssen und auch hier im Land- gaben, die damit verbunden sind, auch gerecht tag bewerten können. wird. Im Augenblick ist es so – ich habe die Zahlen eben Inwiefern sich das jetzt auf irgendeinen Börsen- o- genannt oder kann sie Ihnen auch nennen –, dass der Unternehmenswert und in welcher Weise aus- in den vergangenen Jahren der Jahresabschluss wirkt, kann ich Ihnen nicht sagen. Wir sind auch folgendermaßen war: 2011 ist beispielsweise im nicht gerade dabei, den BLB an irgendjemanden zu August 2012 vorgelegt worden, 2012 im Juli 2013, veräußern. der von 2013 Ende Juli 2014 und der 2014er, wie eben schon gesagt, im September 2015. Wir wer- den alles daransetzen, um auch Ihr Informationsbe- Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr dürfnis zu befriedigen und vor August oder Septem- Minister. – Herr Witzel stellt seine dritte und letzte ber eine Vorlage machen zu können. Auch in den Frage. Bitte, Herr Kollege Witzel. letzten Jahren hat es am Ende des ersten Quartals ein erstes Ergebnis gegeben. Das geht dann in den Verwaltungsrat. Wenn wir es schaffen, dass es Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – schneller gehen kann und auch schnell eine Vorla- Herr Minister Dr. Walter-Borjans, Sie haben gerade ge an den Landtag möglich ist, dann werden wir das noch einmal methodisch dargestellt, dass es in den auch tun. nächsten Wochen und vielleicht auch Monaten eine wesentliche Aufgabe für die Abschlussprüfer ist, noch Wertberichtigungen, Korrekturbuchungen vor- Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr zunehmen. Minister. – Nun hat Herr Brockes noch eine Frage. Weil Ihnen die rein fiskalischen Bestandszahlen, na- Bitte schön, Herr Kollege Brockes. türlich ohne Bewertungsveränderung des Wirt- schaftsprüfers, das reine Kassenwerk zum 31. De- zember 2015, vorliegen, würde mich interessieren, Dietmar Brockes (FDP): Vielen Dank, Herr Präsi- in welchem Umfang noch mit Änderungen zu rech- dent. – Herr Minister, ich hätte gern gewusst, ob nen ist oder was methodisch Ihre Anforderungen Ihnen schon Erkenntnisse vorliegen, was die Ziele sind. Mir ist bislang nicht bekannt, dass es bei- des Wirtschaftsplans des BLB für 2015 angeht, ob spielsweise jedes Jahr eine völlig neue Immobilien- da die Ziele eventuell verfehlt werden. bewertung aller Bestandsimmobilien gibt, was viel- leicht die Vermögenspositionen noch erheblich än- dert. Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es hängt von dem Abschluss ab, den wir nicht sehen. Wie erheblich sind aus Ihrer Sicht, nach Ihrer Er- Nach den gegenwärtigen Zahlen, die wir haben, gibt kenntnis noch die wesentlichen Korrekturbuchun- es dafür keine Anzeichen. Jetzt warten wir den Ab- gen, die Korrekturvolumina, die auch noch Anlässe schluss ab, und dann gibt es eine Antwort. für Neubewertungen sind, die in Ihren Abstim- mungsgesprächen mit dem Wirtschaftsprüfer vor (Zuruf von Dietmar Brockes [FDP]) Erteilung des Abschlusstestats in den nächsten

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10778 Plenarprotokoll 16/104

Wochen und Monaten anstehen, vom Volumen Weiter heißt es in dem Bericht: her? „Der Ausschuss ist weiterhin besorgt wegen des Fehlens einer zentralen Stelle zur Koordinierung Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr der Umsetzung des Übereinkommens im Ver- Witzel, die Kassendaten habe ich Ihnen genannt. tragsstaat auf Bundes-, Landes- und kommuna- Sie haben einen Zwischenabschluss für Juni vorlie- ler Ebene, wodurch es erschwert wird, eine um- gen; es steht unmittelbar ein Zwischenabschluss für fassende und kohärente Kinderrechtspolitik zu den September bevor, den ich nicht habe. Ich kann erreichen.“ Ihnen zurzeit auch nicht spekulativ sagen, an wel- Unser Land hatte einmal einen Beauftragten für chen Immobilien eines Immobilienbestandes von Kinder und Jugendliche. Doch ist diese Stelle nach 10,5 Millionen Quadratmetern, die der BLB vermie- dem altersbedingten Ausscheiden von Dr. Eichholz tet, sich welche Wertentwicklungen ergeben haben, nicht wiederbesetzt worden. Das liegt schon weit bevor es zu einem Abschluss kommt. über zehn Jahre zurück. Dies muss im Interesse der Dass es da durchaus Verschiebungen gibt, haben Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen wir in den letzten Jahren immer wieder festgestellt. dringend geändert werden. Allerdings kann man sich bei der Gesamtgröße Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder und Ju- leicht vorstellen, dass man, wenn man sich die Da- gendliche brauchen Unterstützung, damit sie ihre ten von Juni 2015 ansieht, auch eine Menge daraus Rechte und Interessen wahrnehmen und durchset- schließen kann, wie es am Ende des Jahres aus- zen können. Ein unabhängiger Landesbeauftragter sieht. für die Rechte und Belange von Kindern und Ju- gendlichen ist für die Umsetzung der UN- Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kinderrechtskonvention auf allen Ebenen von zent- Minister. – Weitere Fragen liegen mir nicht vor. Da- raler Bedeutung für die Kinder und Jugendlichen in mit beende ich die Fragestunde. unserem Land. Wir kommen zu: In den zurückliegenden Jahrzehnten haben die Rechte von Kindern und Jugendlichen bereits in ei- nigen Bereichen eine Stärkung erfahren. Aber, mei- 9 Einrichtung und Besetzung einer Stelle ei- ne Damen und Herren, seien wir doch einmal ehr- ner/eines unabhängigen Landesbeauftragten lich: In der Politik spielen Kinder und Jugendliche für die Rechte und Belange von Kindern und immer noch eine untergeordnete Rolle, wie es ja Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen auch vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes bemängelt wird. Antrag der Fraktion der PIRATEN Wir brauchen einen Landesbeauftragten für die Drucksache 16/10781 Rechte und Belange von Kindern und Jugendlichen, der im Interesse des Kindes ein Wächteramt über- nimmt, der als Experte bei Gesetzesvorhaben und Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Pira- Maßnahmen der Landespolitik für die Interessen tenfaktion Herrn Kollegen Wegner das Wort. Bitte der Kinder und Jugendlichen fungiert, der für eine schön. gute Kooperation mit den Akteuren aus Politik, Ver- waltung, Kinder- und Jugendarbeit unter Beteiligung Olaf Wegner (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe von Kindern und Jugendlichen selbst steht, der als Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Ansprechpartner und als beständige Interessenver- Stream und auf der Tribüne! Der UN-Ausschuss für tretung für Kinder und Jugendliche zur Verfügung die Rechte des Kindes empfiehlt in seinem periodi- steht. schen Staatenbericht zu Deutschland aus dem Jah- So können Schwerpunkte und Themen in der Politik re 2014 – ich zitiere –, gesetzt werden. So können die politischen Mitwir- „dass der Vertragsstaat“ kungsrechte der Kinder und Jugendlichen effektiv erweitert werden. So fühlen sich Kinder und Ju- – also Deutschland – gendliche in der Politik als Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen. Und so sehen sich Kinder und Ju- „Maßnahmen zur Ausarbeitung einer umfassen- gendliche unterstützt, wenn sie ihre Rechte und In- den Politik zu Kinderrechten ergreift und die ent- teressen selbst und in organisierter Weise vertreten, sprechenden Stellen mit den erforderlichen … liebe Kolleginnen und Kollegen. Mitteln ausstattet, um die Entwicklung von Pro- grammen und Projekten zu leiten und Systeme Auch angesichts der wachsenden Zahl geflohener für ihre Kontrolle und ihre Evaluation zu errichten junger Menschen ist ein unabhängiger Landesbe- mit einer eindeutigen Festlegung der Rollen und auftragter für die Koordination von Umsetzungspro- Verantwortlichkeiten der entsprechenden Stellen zessen, für die Anregung konkreter Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene.“ und vor allem bei Veränderungsprozessen zu mehr

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10779 Plenarprotokoll 16/104

Kinderfreundlichkeit bei der Integration eine wertvol- Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: Die Ein- le und richtungsweisende Instanz. richtungen und Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit ebenso wie die Jugendverbände in Ich ziehe ein Fazit: Um den Vereinbarungen der unserem Land werden landesseitig dauerhaft geför- UN-Menschenrechtskonvention über die Rechte dert. Sie sind nicht nur aus unserer Sicht die ersten des Kindes und den Empfehlungen des UN- und wichtigsten Sachwalter für die Rechte und Inte- Ausschusses für die Rechte des Kindes zu entspre- ressen von Kindern und Jugendlichen, da sie nur chen, muss die Stelle eines unabhängigen Landes- unter aktiver Mitwirkung von Kindern und Jugendli- beauftragten für die Rechte und Belange von Kin- chen überhaupt agieren können. Sie sind zu Recht dern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen um- selbstverständlich parteiische Interessenvertretun- gehend eingerichtet und besetzt werden. gen. (Beifall von den PIRATEN) Das Land fördert darüber hinaus einzelne Partizipa- tionsprojekte, also befristete Vorhaben, in Kommu- Ich freue mich auf die Beratungen. – Vielen Dank. nen oder Einrichtungen mit Mitteln des Kinder- und (Beifall von den PIRATEN) Jugendförderplans. Die drei wesentlichen Elemente der Kinderrechte – Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schutz, Förderung und Beteiligung – sind ebenso Wegner. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Auftrag und Aufgabe der Landesjugendämter, ganz Kollegin Hack. klar in ihrer Beratungs- und Unterstützungsfunktion für Kommunen und für Träger in der Arbeit mit Kin- dern und Jugendlichen und für Kinder und Jugendli- Ingrid Hack (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- che. nen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, sämtliche Einrich- schauer! Es ist ein ernstes Thema, aber trotzdem tungen der frühen Bildung, also Kindertageseinrich- grüße ich ganz herzlich die Karnevalistinnen und tungen und Familienzentren, besser gesagt die dort Karnevalisten auf der Zuschauertribüne. Da sind tätigen Fachkräfte, müssen im Sinne dieser drei auch Kinder dabei. Herzlich willkommen, schön, Elemente der Kinderrechte arbeiten. dass ihr da seid! Dies wollte ich einmal sagen, ob- wohl es, wie gesagt, ein ernstes und ernstzuneh- Wir durften eine Anhörung zu Ihrem Antrag „Kinder- mendes Thema ist, mit dem wir uns hier heute auf rechte wirklich umsetzen“, sehr geehrte Kolleginnen Antrag der Piraten beschäftigen. der Piratenfraktion, erleben, mit dem Sie ja eine be- sonders geschulte Fachkraft für Partizipation forder- Die Kinderrechte – Sie haben es gesagt, Herr Weg- ten. In dieser Anhörung äußerten die Sachverstän- ner – besitzen in Nordrhein-Westfalen seit 2002 digen ganz überwiegend die Meinung, dass dies der Verfassungsrang. Auf Bundesebene setzt sich zu- umfassend verstandenen Verantwortung aller in der mindest meine Partei ebenfalls dafür ein, dass die Kinder- und Jugendhilfe Tätigen widersprechen Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen wer- könnte oder widerspräche. Ich will es vorsichtig den. Das ist leider immer noch nicht der Fall. Der ausdrücken. Zu leicht könnte alles auf diese eine Verfassungsrang – das will ich all denjenigen sa- Kraft abgeschoben oder delegiert werden. gen, die der Auffassung sind, dass Papier geduldig ist – ist ein nicht zu unterschätzendes Bekenntnis Ich gebe zu bedenken, dass auch das bei einem für diese wichtige Frage. Landesbeauftragten für Kinder und Jugendliche passieren könnte, sodass die vielfältigen Entwick- (Beifall von den GRÜNEN) lungen, die auf unterschiedlichen Ebenen unseres Landes inzwischen passieren, behindert werden Sie schlagen nun – wir haben es gehört – die Ein- könnten. setzung eines Landesbeauftragten vor und wollen so unter anderem die Geltendmachung der Kinder- Ein weiteres Beispiel dafür, dass inzwischen der – rechte in einer Person, in einer Stelle sicherstellen. so möchte ich es nennen – Geist der Kinderrechte Seit 2002 ist jedoch unseres Erachtens in Nord- und ihrer Umsetzung landesseitig zumindest um- rhein-Westfalen vieles zur Umsetzung dieser Ver- fassend gedacht wird, ist das jüngste KiBiz- fassungsverpflichtung und natürlich auch der UN- Änderungsgesetz. In § 13 Abs. 6 werden ganz aus- Konvention geschehen. Aus unserer Sicht ist die drücklich die Beteiligungs- und Beschwerderechte allgemeine Sensibilisierung für das Thema „Kinder- des Kindes dargelegt und somit natürlich auch die rechte“ und seine konkrete Umsetzung auch nach- Verpflichtung der Träger und der Fachkräfte, diese weislich und erfreulich gestiegen. nicht nur zu beachten, sondern aktiv zu fördern. Richtig ist: Die verfassungsgemäße Aufgabe muss Zum Schluss – wir konnten dies im Ausschuss be- mit Leben gefüllt werden. Das geschieht in Nord- reits erläutert bekommen und auch diskutieren –: rhein-Westfalen seit Jahren an mehreren Stellen, Das Land Nordrhein-Westfalen fördert mit dem jetzt also dezentral und nicht konzentriert auf eine Per- gerade vor fünf Wochen beschlossenen Haushalt son oder eine einzige Stelle. für das Jahr 2016, geltend bis 2018, den Verein

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10780 Plenarprotokoll 16/104

Ombudschaft Jugendhilfe e. V., eine Gründung der Deshalb diskutieren wir auch heute nach wie vor Freien Wohlfahrtspflege, um diese Arbeit direkt vor darüber: Wie können Rechte und Belange von Kin- Ort in den einzelnen Jugendamtsbezirken zu initiie- dern stärker berücksichtigt werden? ren und zu unterstützen. Auch das ist aus unserer Dieser Antrag der Piraten soll dieses Thema erneut Sicht ein wesentlicher Aspekt zur Umsetzung und aufgreifen. Ich sage es vorweg: Der Antrag ist mir Durchsetzung der Kinder- und Jugendrechte und zu wenig. Er ist zu viel bürokratisch gesteuert. Ich auch verbunden mit der Bereitstellung von Res- möchte mehr. sourcen. Das ist kein Papiertiger. Das kostet richtig Geld. Das ist auch richtig so. Meine Damen und Herren, bereits 2010 hat die FDP mit der Drucksache 15/18 unter Punkt 4 festge- Eine zusätzliche zentrale Funktionsstelle halten wir stellt – ich zitiere –: demnach derzeit nicht für förderlich. Darüber wer- den wir uns im Ausschuss sicherlich austauschen „Auf Landesebene existiert allerdings bislang können. keine institutionelle Einrichtung, die speziell die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Wir können natürlich gerne überprüfen: Können die landespolitischen Entscheidungsprozessen för- von uns hier genannten Beispiele um Weiteres ver- dert und sicherstellt. Der im Jahr 2008 eingeführ- bessert werden? Kann da zugelegt werden? So will te ‚Jugendlandtag‘ hat aber gezeigt, dass Kinder ich es mal salopp ausdrücken. Das sollten wir sicher und Jugendliche für ein politisches und gesell- machen. Insofern werden wir das im Ausschuss be- schaftliches Engagement zu begeistern sind. Er sprechen können. – Vielen Dank. kann daher ein erster Ansatz hin zu einer Öff- (Beifall von der SPD) nung des Parlaments für die selbst zu vertreten- den Belange von Kindern und Jugendlichen sein.“ Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Das deutete schon in die richtige Richtung. Aber es Kollegin Hack. Lassen Sie mich eines kurz sagen: hat sich seit 2010 wieder nichts getan. Wir möchten nicht vom Pult aus Einzelne auf der Tribüne grüßen. (Beifall von der CDU – Dagmar Hanses [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht!) (Ingrid Hack [SPD]: Ach, Entschuldigung!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Schreiben vom Das hatten wir so vereinbart. Ich bin sehr dankbar 4. September 2012 haben sich die Kinder und Ju- für den Hinweis von Herrn Olejak, der das noch gendlichen auch selber mal an das Parlament ge- einmal ausdrücklich betont hat. Das gilt aber für die wandt und haben uns geschrieben – ich zitiere auch Piratenfraktion dann auch, Herr Olejak: Keine Be- hier –: grüßung von Leuten am Stream. Wir sind ein Kolle- gialorgan. Wir sprechen hier zu uns. „Eine … institutionalisierte, dauerhafte und wirk- lich funktionsfähige Beteiligung von Kindern und Das will ich noch einmal deutlich machen. Wir hat- Jugendlichen an politischen Prozessen kann aus ten das schon mal in der Runde. Wir werden als unserer Sicht nur im Rahmen eines allgemein Präsidium nicht müde werden, das immer wieder zu demokratisch legitimierten Gremiums stattfin- betonen. Danke für den Hinweis, Herr Olejak. Den den.“ nehme ich von Ihnen besonders gerne auf. – Dan- ke, Frau Hack, für Ihre Rede. Weiter heißt es: (Vereinzelt Beifall) „Von der Politik gewährte, singuläre und wenig verbindliche Beteiligungsangebote … sehen wir Als Nächster spricht für die CDU-Fraktion Herr Kol- kritisch.“ lege Tenhumberg. Und: „Eine Anbindung an ein Ministerium lehnen Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! wir … ab.“ Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rechte und Belange von Kindern und (Beifall von Walter Kern [CDU]) Jugendlichen sind hier im Landtag von Nordrhein- Westfalen schon oft diskutiert worden. Ich nenne Die Piraten fordern in ihrem Antrag jetzt, es soll eine nur die Stichworte Familienwahlrecht und Kinder- unabhängige Stelle sein. Herr Kollege, nennen Sie mir einen Landesbeauftragten, der unabhängig ist, anwalt. Frau Kollegin, Sie haben zu Recht auf die hundertprozentig unabhängig! Ombudschaft Jugendhilfe hingewiesen. Wir reden fortlaufend mit den Interessenvertretungen der Ju- (Michele Marsching [PIRATEN]: Hoffentlich gendverbände. Es haben viele Gespräche stattge- Herr Lepper!) funden. Es ist nach meiner Auffassung zu wenig passiert, jawohl. Der ist immer von bestimmten Entscheidungspro- zessen aus der Politik gesteuert und nicht selbst (Beifall von Walter Kern [CDU) gesteuert von Kindern und Jugendlichen.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10781 Plenarprotokoll 16/104

Meine Kolleginnen und Kollegen insbesondere von Landes Nordrhein-Westfalen machen kann. – Herz- den Piraten, wir sind doch schon weiter. lichen Dank. (Dagmar Hanses [GRÜNE]: Doch jetzt auf (Beifall von der CDU und der FDP) einmal?)

– Wir sind viel weiter, Frau Kollegin. Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr (Zuruf von Dagmar Hanses [GRÜNE]) Tenhumberg. – Für die grüne Fraktion hat nun Frau Kollegin Asch das Wort. Sie können sich sicherlich auch daran erinnern, dass wir aufgrund der vielen Zuschriften von den Jugendverbänden, aber insbesondere auch vom Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kol- Kinder- und Jugendrat NRW einen Workshop ge- leginnen und Kollegen! Ja, es ist gut, dass wir im- habt haben. Wir haben uns darüber Gedanken ge- mer wieder hier im parlamentarischen Raum die macht: Wie können Rechte und Belange von Kin- Debatten führen, wie die Rechte von Kindern auf dern und Jugendlichen stärker im Tagesgeschäft allen Ebenen berücksichtigt und umgesetzt werden. berücksichtigt werden, und zwar in allen Bereichen, Die Kollegen haben es schon erwähnt: Wir haben in allen Ressorts? Ich finde, dieser Workshop zu- es bereits einige Male getan. Dieser Antrag heute sammen mit den Jugendlichen hat doch auch für bietet uns auch wieder Gelegenheit, diese Debatte uns Politiker viel gebracht. Ich bin auf diesem Wege zu führen. viel weiter – das sage ich Ihnen deutlich –, als der Richtig ist – das haben die Piraten in dem Antrag so Antrag das dokumentiert. Wir sind viel weiter. beschrieben –, dass die Kinderkommission des Ich nenne nur das Stichwort – alle wissen aus dem Bundestages sowohl an die Kommunen als auch an Arbeitskreis und aus dem Ausschuss, dass ich ein die Länderparlamente appelliert hat, entweder Kin- starker Fan vom schottischen Modell bin –: derbeauftragte oder Kinderkommissionen einzurich- ten, mit denen sie dann zusammenarbeiten kann. (Beifall von Walter Kern [CDU] Im letzten Jahr hat sich im Bundestag die Kinder- eine echte Partizipation von Kindern und Jugendli- kommission intensiv mit dieser Frage beschäftigt: Ist chen mit einer Ressortverantwortung, mit Entschei- das ein richtiges Instrument, Kinderbeauftragte ein- dungskompetenzen und mit Antragsrechten bzw. zurichten? Es gibt viele fachliche Stellungnahmen mit der Bitte um Behandlung im zuständigen Aus- dazu, die wir tatsächlich auch in unserer Diskussion schuss. Ich kenne die parlamentarischen Regeln, berücksichtigen sollten. Es hat sich die National dass die Jugendlichen nicht Anträge im Parlament Coalition Deutschland gebildet, die darauf aufmerk- stellen können, aber sie können uns – an den Aus- sam macht, dass so ein Kinderbeauftragter oder ei- schuss, an das Ministerium – wichtige Hinweise ge- ne Kinderbeauftragte unabhängig sein soll. Das for- ben. Solche echten Beteiligungsmöglichkeiten dert auch der UN-Ausschuss für die Kinderrechte. möchte ich für unsere Kinder und Jugendlichen hier Für die Ausgestaltung eines solchen Mandats ist es in Nordrhein-Westfalen verwirklicht wissen. Deshalb wichtig, dass es eine rechtliche Grundlage gibt, in ist der Antrag ein Rückschritt für mich. Es tut mir der festgeschrieben ist, welche Befugnisse eine sol- leid, dass ich das so deutlich sagen muss. Es ist ein che Stelle hat, wer ihr zuarbeiten muss usw. Rückschritt. In Deutschland ist das Deutsche Institut für Men- (Beifall von der CDU) schenrechte das einzige, das nach den Pariser Wir sind weiter, als CDU auch, und ich glaube, die- Prinzipien arbeitet, in denen die Voraussetzungen ses Parlament in der Mehrheit ist auch weiter, als für eine solche Institution formuliert sind. Dort ist der Antrag hergibt. Trotzdem stimmen wir natürlich auch die unabhängige Monitoring-Stelle zur UN- der Überweisung an den Fachausschuss zu. Ich Kinderrechtskonvention angesiedelt. Wir sollten uns hoffe, dass wir nicht alleine die Schritte machen, hier tatsächlich in Nordrhein-Westfalen fragen, ob sondern wir Jugendpolitiker haben uns auch ver- wir nicht stärker mit dieser Monitoring-Stelle koope- sprochen, wir wollen versuchen, ob wir nicht ge- rieren und zusammenarbeiten sollen. meinsam für Kinder und Jugendliche etwas in die- sem Land bewirken können, damit die Zufriedenheit Eines ist sehr deutlich: In allen fachlichen Stellung- der Jugendlichen, das Glücklichsein und das Fort- nahmen, meine Damen und Herren, wird die Positi- kommen von Kindern und Jugendlichen besser or- on, die die Piraten hier in Bezug auf die Rolle, die ganisiert, besser gestaltet werden können. Daran solch ein Beauftragter oder eine Beauftragte ein- wollen wir gemeinsam arbeiten. nehmen sollte, ganz anders beantwortet. Die Pira- ten fordern ja hier, dass – so steht es bei Ihnen im Das ist mein Appell: nicht mit Sonderanträgen diese Antrag auf Seite 2 – der Beauftragte oder die Beauf- Gemeinsamkeit zu zerstören, sondern das gemein- tragte mit politischer Steuerungskompetenz ausge- sam zu machen und ein Dokument zu setzen, dass stattet werden soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man in diesem Parlament auch etwas gemeinsam das kann nicht der richtige Weg sein, weil hier das für Kinder und Jugendliche für unsere Zukunft des Primat der Politik gilt.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10782 Plenarprotokoll 16/104

(Beifall von den GRÜNEN) Dennoch hoffe ich und freue mich darauf … Es kann auf keinen Fall die Rolle eines Kinderbe- auftragten sein, so eine politische Rolle einzuneh- Vizepräsident Oliver Keymis: Gestatten Sie eine men. Hier geht es um Beratung, hier geht es darum, Zwischenfrage, Frau Kollegin? Perspektive von Kindern in den politischen Prozess einzuführen, aber auf keinen Fall darum, politische Steuerungsprozesse zu initiieren. Andrea Asch (GRÜNE): Eine Zwischenfrage? (Beifall von den GRÜNEN) Vizepräsident Oliver Keymis: Ja, von Herrn Dün- Das heißt, dieser Konzeption können wir auf keinen gel. Fall so folgen. Wir haben – damit möchte ich viel- leicht auch der CDU-Fraktion und dir, lieber Bern- hard Tenhumberg, ein bisschen auf die Sprünge Andrea Asch (GRÜNE): Ja, sehr gerne. helfen – als Rot-Grün bereits eine Fülle von Maß- nahmen zur Stärkung der Kinderrechte beschlossen Vizepräsident Oliver Keymis: Gut, dann machen und umgesetzt, im zweiten KiBiz-Änderungsgesetz wir das doch. besonders deutlich. Da haben wir noch einmal auf die Rechte der Kinder, die wir in unsere Landesver- fassung eingeführt haben, verwiesen. Daniel Düngel (PIRATEN): Zunächst vielen Dank, Wir haben die Partizipation in der Alltagsgestaltung dass ich die Zwischenfrage stellen kann, Frau Kol- der Kita für die Kinder gesetzlich festgeschrieben. legin Asch. – Ich muss ein bisschen schmunzeln Weiterhin haben wir die Ombudschaft Jugendhilfe über die Frage, warum dieser konkrete Antrag erst NRW auf den Weg gebracht. Das ist eine sehr nütz- so spät kommt. Ich möchte mit einer Gegenfrage liche und wichtige Maßnahme, um Beschwerde- antworten: Warum sind noch nicht alle Forderungen möglichkeiten, um Anhörungsmöglichkeiten für Kin- oder Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag der und Jugendliche vor Ort zu schaffen. umgesetzt? Und wir haben den positiv erwähnten interfraktionel- (Beifall von den PIRATEN) len Arbeitskreis, in dem wir tatsächlich gemeinsam mit den Jugendlichen, mit dem Landesjugendring, Andrea Asch (GRÜNE): Lieber Herr Düngel, ich dem Kinder- und Jugendrat und der Landesschüler- glaube, wir sprechen jetzt über einen ganz konkre- vertretung versuchen, ein Konzept auf den Weg zu ten Antrag Ihrer Fraktion bringen, wie Partizipation hier in Nordrhein-West- falen besser gelingen kann. Ich glaube, da sind wir (Michele Marsching [PIRATEN]: Übrigens auf einem guten Weg. Ich habe nichts anderes ge- den dritten zu diesem Thema!) hört. und nicht im Allgemeinen über die Umsetzung des Ich denke aber, wir sollten die Ergebnisse dieses Koalitionsvertrags. Ich nehme in meiner Rede Stel- konstruktiven Prozesses der Beratung abwarten lung dazu, dass Sie mit Ihrem Antrag zu spät kom- und uns da jetzt nicht an dieser Stelle auseinander- men. dividieren. (Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist der drit- Meine Damen und Herren, wir Grüne zweifeln, offen te, Frau Kollegin, nicht der erste!) gesagt, ein bisschen an der Ernsthaftigkeit des Vor- – Wenn es Ihnen wirklich wichtig gewesen wäre, habens der Piratenfraktion. Erstens: Wenn es Ihnen hätten Sie den Antrag zu einem Zeitpunkt gestellt, so wichtig ist, hier einen Kinderbeauftragten zu be- zu dem er noch umsetzungsfähig war. nennen, warum tun Sie das jetzt so spät, erst am Ende der Legislatur? (Michele Marsching [PIRATEN]: Vor zwei Jahren zum Beispiel!) (Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist schon der dritte Antrag!) – Liebe Kollegen von der Piratenfraktion, ich freue mich trotzdem auf die Beratung im Ausschuss. Ich Es ist im Grunde schon zu spät, um so etwas hier hoffe, dass wir dort konstruktive Debatten führen – einzuführen. Bis so ein Beauftragter ans Arbeiten in Vorbereitung auf die nächste Legislaturperiode. kommt, ist die Legislatur schon zu Ende. Und zwei- Vielleicht kommen wir dann gemeinsam zu einem tens – das wiegt auch schwer –: Sie haben das mit Konzept, wie wir die Interessen, die Perspektiven, keinerlei finanziellen Mitteln unterfüttert. Sie haben die Bedürfnisse von Kindern in Nordrhein-Westfalen keinen Haushaltsantrag dazu gestellt. Aber wir wis- noch besser in unsere parlamentarische Arbeit auf- sen natürlich: Um eine solche Stelle einzurichten nehmen können. Befassen wir uns insoweit kon- und sie auszustatten, braucht es finanzielle Mittel. struktiv mit der Frage – mit Blick auf die neue Legis- Sonst haben wir da einen zahnlosen Tiger. Von da- laturperiode. – Ich danke Ihnen. her bezweifeln wir die Ernsthaftigkeit Ihres Anlie- gens deutlich. (Beifall von den GRÜNEN)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10783 Plenarprotokoll 16/104

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau einmal den Durchbruch bei dem Anliegen, in NRW Asch. – Für die FDP spricht nun Herr Hafke. echte Beteiligungsformate zu schaffen, über die Ju- gendliche die Kritik an politischen Entscheidungen – jetzt kommt das Entscheidende – selbst artikulieren Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! können. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will gleich zu Beginn sagen: Ob ein Landeskinderbeauf- Auch hinsichtlich der Funktion eines Ansprechpart- tragter tatsächlich gebraucht wird, kann man unter- ners bin ich skeptisch. Machen wir uns doch nichts schiedlich beurteilen. Wenn ich allerdings all die vor! Wenn in einem konkreten Fall die Rechte von Hoffnungen sehe, die die Piraten auftürmen, bin ich Kindern und Jugendlichen verletzt werden, ist ein mehr als nur skeptisch. Ich verstehe überhaupt ferner Landesbeauftragter nicht gerade die erste nicht, dass Sie das Thema „Beteiligung“ wieder auf Wahl der Ansprache. eine Art und Weise einbauen, die dem Thema nicht Wir haben aus der Anhörung zu Ihrem Antrag, mit gerecht wird. dem Sie spezielle Ansprechpartner in Schulen und Das ist bereits der dritte planlose Versuch der Pira- Kitas gefordert haben, die folgende Erkenntnis: Kin- ten, sich des Themas „Beteiligung“ anzunehmen, der und Jugendliche müssen sich bei der Kinder- rechtsverletzung jemandem anvertrauen können. – (Dietmar Schulz [PIRATEN]: Der dritte, nicht Das funktioniert aber nicht mit einem formal zustän- der erste!) digen Ansprechpartner, zu dem kein persönlicher die dritte phantasielose Idee, Kinderbeteiligung Bezug besteht. Sie machen sich Illusionen, wenn quasi zu erzwingen, indem man einfach mal irgen- Sie glauben, dass die Telefone nicht mehr stillste- detwas vorschreibt und installiert. hen, weil sich Kinder und Jugendliche an den Lan- desbeauftragten wenden werden. (Beifall von der FDP – Zuruf von den PIRATEN) Ich glaube auch, die Debatte ist längst viel weiter. Wir haben viele Aspekte von Kinderrechten und Der Einsatz für Kinderrechte ist löblich, aber es fehlt Kinderschutz im Ausschuss diskutiert. der klare Kurs. Sie sind überhaupt nicht auf der Hö- he der aktuellen Debatte im Ausschuss. Ihr Landesbeauftragter soll außerdem für die Um- setzung der UN-Kinderrechtskonvention zuständig (Dietmar Schulz [PIRATEN]: Die UN auch sein. Aber auch hier wirkt Ihr Antrag planlos. Sie zi- nicht!) tieren selbst die Bemerkungen des Erst wollten Sie einen Beauftragten in Kitas und UN-Ausschusses für Kinderrechte. Dort heißt es Schulen mit aller Bürokratie, die daranhängt. Das sinngemäß, dass angesichts der vielen politischen Echo der Anhörung war verheerend; das geht näm- Ebenen eine zentrale Stelle zur Koordinierung der lich so nicht. Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutsch- land fehle. Ihr Fazit – eine zweite Idee –: dann eben ein Ge- setzentwurf. Auch hier ein ganz eindeutiges Urteil: Es wird doch überhaupt nichts mehr koordiniert, Das, was Sie den Kitas an standardisierten und wenn NRW plötzlich einen Landesbeauftragten für überzogenen Vorschriften aufgeben wollten, geht Kinderrechte hat. Wenn die Piraten schon der Mei- nicht. nung sind, so eine Koordination würde gebraucht, müsste man diese zwingend auf der Bundesebene Jetzt eine etwas andere Ausrichtung, aber die glei- ansiedeln. che Haltung: Lasst uns Beteiligung einfach installie- ren! Ein Beauftragter soll nun die Interessen der Wie gesagt, bei den großen Hoffnungen, die Sie mit Kinder wahrnehmen. Wir sagen weiterhin: Warum der Schaffung eines Landesbeauftragten verbinden, sollen die Kinder nicht erst mal selbst ihre Interes- bin ich skeptisch. Ob und in welcher Form ein Lan- sen wahrnehmen, soweit sie das können? desbeauftragter vielleicht Sinn machen könnte, können wir gerne im Ausschuss diskutieren. – Vie- (Zuruf von Olaf Wegner [PIRATEN]) len Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, wir (Beifall von der FDP) arbeiten im Ausschuss derzeit gemeinsam an ei- nem guten Beteiligungsmodell. Wir haben gemein- sam einen großen Schritt nach vorne gemacht. Es Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr gibt einen allgemeinen Konsens aller Fraktionen; an Hafke. Bleiben Sie bitte am Pult. Von der Piraten- den Details wird derzeit gearbeitet. Aus meiner fraktion ist eine Kurzintervention angemeldet, na- Sicht wäre es daher sinnvoller, erst einmal diesen mentlich von Herrn Kollegen Düngel, der jetzt 1:30 Prozess abzuschließen und dann zu schauen, ob er Minute Zeit dafür hat. nicht bereits viele Ihrer Anliegen aufnimmt. Wir haben ja auch – von der FDP gefordert und initi- Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Prä- iert – eine Servicestelle Jugendbeteiligung. Ich sident. – Lieber Kollege Hafke, wir werden ja im glaube, vor neuen Strukturen brauchen wir erst Ausschuss eine lebhafte Diskussion dazu führen.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10784 Plenarprotokoll 16/104

Ich nehme diesen Wortbeitrag, um eine Kurzinter- (Beifall von der FDP) vention loszuwerden. Ich erkenne an, dass sich die Fraktion der Piraten Ich möchte erstens festhalten: Selbstverständlich mit dem Thema beschäftigt. Ich wäre aber dankbar haben wir verschiedene Initiativen in den Landtag und froh, wenn es eher darum ginge, zu fragen: Wie eingebracht, die aus sehr unterschiedlichen Grün- können wir Beteiligung leben, damit sich Kinder und den auch in den Anhörungen nicht immer auf große Jugendliche frei artikulieren können, damit Politiker Gegenliebe gestoßen sind. Das haben wir aber in und Institutionen diese Kritiken aufnehmen und das der Ausschussauswertung entsprechend bewertet dort ankommt? Ich glaube, das Allerwichtigste dafür und zum Teil gewürdigt. Darauf will ich nicht weiter ist, die jungen Menschen so sprachfähig zu ma- eingehen. Mir ist wichtig, die Tatsache, dass es ver- chen, dass sie selber diese Kritik artikulieren kön- schiedene Initiativen gab, nicht als negativ festzu- nen – ob das im Stadtrat ist, in Bezirksvertretungen halten. oder auf Landes- bzw. Bundesebene – und dort Zum Zweiten steht dem unser gemeinsames Be- monieren können, was ihnen gefällt oder nicht ge- streben hinsichtlich der Jugendbeteiligung im Land- fällt. Das wäre meines Erachtens der richtige Weg. tag, die wir nicht zuletzt aufgrund Ihres Antrags hier beraten, nicht konträr gegenüber. Der Beauftragte, (Beifall von der FDP) den wir fordern, hat damit nichts zu tun. Wir werden uns also weiterhin an den Workshops etc. konstruk- tiv beteiligen, womit wir zuletzt einen großen Schritt Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr nach vorne gekommen sind; auch Bernhard Ten- Kollege Hafke. – Nun hat für die Landesregierung humberg hat es vorhin gesagt. Frau Ministerin Kampmann das Wort. Hier sehen wir aber einen weiteren Ansatzpunkt. Das sind Empfehlungen von der UN, die bislang Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kin- weder hier noch im Bund in der Form umgesetzt der, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr sind. Die Bundesebene können wir nicht so gut di- Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- rekt beeinflussen. Ich verspreche Ihnen, wenn wir ren! Liebe Piraten! Natürlich begrüße ich es zu- den Landesbeauftragten haben, machen wir danach nächst einmal, dass Sie Kinderrechte weiter stärken die Bundesratsinitiative. wollen. Ich glaube aber, die wirkliche Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Welche Strukturen brau- chen wir, um Kinder und Jugendliche in ihren Rech- Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr ten zu stärken? Düngel. – Was könnten Sie darauf antworten wol- len? Bitte schön. Sie haben in der Debatte am 2. Dezember letzten Jahres einen Vorschlag gemacht, in jeder Kita ge- Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. setzliche Mitbestimmungsverfahren zu initiieren. Ich schaue einmal, was ich darauf antworten kann. Dazu sage ich Ihnen ganz deutlich: Dieses Maß an mehr Bürokratie brauchen wir nicht. Wir brauchen Beteiligung – ich hoffe, wir sind uns an der Stelle stattdessen effizientere Verfahren beim Thema einig – kann man nicht verordnen. Die kann man „Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen“. nicht in ein Gesetz oder in irgendwelche Regularien hineinschreiben. Wenn das eine Erkenntnis der Wir brauchen Partizipation als pädagogische Hal- heutigen Debatte ist, ist das schon einmal ein tung. Das müssen wir weiter stärken. Wir müssen Schritt in die richtige Richtung. Kinder in ihrer Meinung ernst nehmen. Wir müssen es vor allem schaffen, dass Kinder diesen Vorteil (Michele Marsching [PIRATEN]: Die Chance auch in ihrem Alltag spüren. Denn erst dann werden dazu!) sie tatsächlich die Freude an der Beteiligung haben. Die Frage ist: Was ist die Aufgabe eines Beauftrag- ten? Was soll das Ganze? Wenn wir im Augenblick Dafür tut die Landesregierung ziemlich viel. Andrea nicht über Beteiligung sprechen, sondern probieren, Asch hat schon gesagt: Beim letzten KiBiz- Beteiligung anders zu organisieren – sie wird auch Änderungsgesetz haben wir die Bedeutung von nur anders gelebt werden –, dann kann ein Beauf- Kinderrechten im Elementarbereich noch einmal tragter nur als Beschwerdestelle oder als Be- ganz eindeutig gestärkt. schwerdeinstitution dienen. Ingrid Hack hat eben vorgestellt, was die Landesre- Die Frage ist, ob das der richtige Weg ist. Wir haben gierung insgesamt zu diesem Thema macht. bereits die Servicestelle in NRW. Ich frage mich: Welcher Jugendlicher geht nach Düsseldorf oder Herr Tenhumberg, wenn Sie sagen: „Wir sind wei- nach Berlin, um sich dort bei jemandem zu be- ter“, dann verstehe ich das ganz eindeutig als Aner- schweren? Man braucht doch eher Anlaufpunkte kennung der Maßnahmen, die die Landesregierung vor Ort und nicht solche Verfahren, wie sie hier an dieser Stelle bereits initiiert hat. Ich freue mich festgeschrieben werden. auf die gute Zusammenarbeit mit Ihnen.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10785 Plenarprotokoll 16/104

(Zuruf von den PIRATEN: Da ist er falsch Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau verstanden worden! – Michele Marsching Ministerin. Kommen Sie bitte noch einmal zurück [PIRATEN]: Es ging ihm nicht weit genug!) ans Redepult, weil es zwei angemeldete Kurzinter- ventionen gibt. Mehr sind übrigens nach unserer Die Beteiligung von Kindern ist uns wichtig. Wir Geschäftsordnung auch nicht zulässig. – Die erste möchten Kinder ernst nehmen. Wir möchten an ih- Kurzintervention hat die CDU-Fraktion angemeldet, ren Ideen interessiert sein. Das ist die beste Zu- und zwar der Kollege Tenhumberg. Bitte schön. kunftsvorsorge für eine starke Demokratie in Nord- rhein-Westfalen. Den Weg, den wir hier schon ein- geschlagen haben, werden wir weitergehen, weil wir Bernhard Tenhumberg (CDU): Vielen Dank, Herr davon überzeugt sind, dass wir damit substanzielle Präsident. – Frau Ministerin, ich habe mit Interesse Verbesserungen erreichen werden. wahrgenommen, dass sich Frau Asch von den Grü- nen bezüglich der Umsetzungsmöglichkeiten in die- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die ent- ser Wahlperiode so geäußert hat, dass in den scheidende Frage ist doch: Werden Kinderrechte nächsten 15 Monaten eigentlich nichts mehr mög- tatsächlich stärker wahrgenommen und besser ge- lich sei. achtet, wenn es einen Landeskinderbeauftragten in (Zuruf von den GRÜNEN: Nein, das hat sie Nordrhein-Westfalen gibt? Schaffen wir es mit einer nicht gesagt!) neuen Instanz tatsächlich, effektiver zu sein? Ist es nicht gerade für Kinder und Jugendliche wichtig, In ähnlicher Weise hat sich der jugend- und kinder- dass sie einen Ansprechpartner – da bin ich ganz politische Sprecher der SPD-Fraktion, Wolfgang bei Marcel Hafke – in ihrer Nähe haben? Ich glaube Jörg, in den Gesprächen mit Jugendverbänden und auch, ein solcher Ansprechpartner muss greifbar im Ausschuss mehrmals geäußert. sein. Eine Landesstelle ist dafür viel zu abstrakt. Ich Das verwundert mich nun etwas, weil die Erwar- frage mich: Wie stellen Sie sich das ganz konkret tungshaltung der Jugendverbände 2012, die uns vor, liebe Piraten? das alles auch noch einmal schriftlich mitgeteilt ha- ben, war, dass verbindliche Beschlüsse in dieser Kinder und auch Jugendliche brauchen jemanden in Wahlperiode zu fassen sind. Wir sind ja politisch ihrer Nähe, zu dem sie hingehen können. Das sollte gesehen so weit – trotz dieses Antrages der Pira- keine anonyme Stelle sein, die für sie gar nicht ten –, dass wir die Partizipation, die Belange und mehr greifbar ist. Deshalb unterstützen wir gern die die Rechte von Kindern stärker verankern wollen, Ombudschaft Jugendhilfe e. V.; denn sie hat das und zwar in dieser Wahlperiode. Ziel, in den Jugendamtsbezirken jeweils eine Om- budsstelle zu initiieren und damit in räumlicher Nähe Deshalb, Frau Ministerin, würde mich Ihre Einstel- und viel unmittelbarer bei den Kindern selbst zu lung dazu interessieren. Es sind noch 15 Monate. sein. Wollen Sie noch in dieser Legislaturperiode in die- sem Landtag und in Ihrem Ministerium eindeutige Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann Beschlüsse fassen, die die Rechte und Belange von nur noch einmal sagen: Sie haben das richtige Ziel, Kindern und Jugendlichen festschreiben? aber der Weg dahin ist falsch. Beteiligung ist eine Frage der pädagogischen Haltung, eine Frage des (Beifall von der CDU und Simone Brand gesellschaftlichen Klimas, eine Frage der Offenheit [PIRATEN]) einer Gesellschaft gegenüber Kindern und Jugend- lichen und der Bereitschaft, diesen ihren Freiraum Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr zu geben. Tenhumberg. – Frau Ministerin, Sie haben andert- halb Minuten für Ihre Antwort. Bitte schön. (Michele Marsching [PIRATEN]: Es ist auch eine Frage des Wollens!) Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kin- Das ist ein gesellschaftlicher Prozess, den wir wei- der, Jugend, Kultur und Sport: Herr Tenhumberg, terhin mit ganzer Kraft und mit einer klaren Haltung wenn Sie etwas zu Andrea Asch und zu Wolfgang unterstützen werden. Kinder und Jugendliche müs- Jörg sagen möchten, dann tun Sie das am besten sen einen zentralen Platz in unserer Gesellschaft direkt. haben. Sie alle müssen die Möglichkeit haben, sich bestmöglich zu entwickeln und entfalten zu können, (Beifall von Andrea Asch [GRÜNE]) mitreden und mitbestimmen zu können. Denn auch Ich habe darauf verzichtet, noch einmal alles aufzu- Demokratie will gelernt sein; das wissen wir alle. führen, was wir in dieser Legislaturperiode schon Deshalb wird die Landesregierung diesen Weg wei- beschlossen haben. tergehen. Wir freuen uns sehr auf Ihre Unterstüt- zung. – Herzlichen Dank. Eine Sache, die wir beschlossen haben, nämlich sie weiter finanziell zu unterstützen, fiel dabei schon in (Beifall von den GRÜNEN) meine Amtszeit. Das sind die Ombudschaften; ich

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10786 Plenarprotokoll 16/104 war selbst im Ausschuss dabei. Das ist eine sehr Vizepräsident Oliver Keymis: Die 1:30 Minute ist sinnvolle Sache, gerade weil sie in unmittelbarer, um. greifbarer Nähe zu den Kindern und Jugendlichen entstehen sollen und eben nicht in größerer Distanz, wie es die Piraten vorgeschlagen haben. Olaf Wegner (PIRATEN): Nur, dann kommen wir auch wieder in die Problematik mit dem Alter. Wenn Wir haben also schon gute Beschlüsse gefasst. es das Kinderparlament gibt, sollte sich der Lan- Diesen Weg wollen wir auch gerne weitergehen. desbeauftragte meines Erachtens auf die jüngeren Kinder konzentrieren, allerdings auch eine Koordi- nation und eine Hilfestellung für das Parlament ge- Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau ben, und zwar in Form von Ratschlägen. Das alles Ministerin. – Es gibt eine zweite Kurzintervention, ließe sich machen. Das ist nicht im Widerspruch zu die von der Piratenfraktion angemeldet wurde. Bitte dem, was derzeit geschieht. Es ist nur eine zusätzli- schön, Herr Wegner. che Unterstützung.

Vizepräsident Oliver Keymis: Sie müssen jetzt Olaf Wegner (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsi- zum Schluss kommen. dent. – Sie hatten uns gerade gefragt, wie wir uns das vorstellen – da möchte ich ein wenig ausholen –, und sich der Kritik von Herrn Hafke angeschlossen, Olaf Wegner (PIRATEN): Ich entschuldige mich da- dass die Kinder die Leute bei sich brauchen. für, dass ich so lange überzogen habe.

(Zuruf) Vizepräsident Oliver Keymis: Sie brauchen sich – Richtig. Ich würde bestimmt auch, wenn ich in ei- nicht zu entschuldigen, ich muss nur darauf hinwei- nem Stadtrat säße, den Antrag stellen, dass die sen, dass Sie die Zeit reichlich ausgenutzt haben. Kommune einen Kinderbeauftragen einstellt, wenn Aber da wir bald Weihnachten haben, war ich groß- es dort noch keinen gibt. zügig.

Das Problem ist die kommunale Selbstverwaltung. (Heiterkeit und Beifall von der SPD und den Darüber brauchen wir nicht zu streiten, da kann GRÜNEN) man nichts machen. Ich kann mich jetzt auf die Frau Ministerin, Sie haben das Wort. Landesebene beziehen. Die Instrumente auf der kommunalen Ebene sind wichtig, ich bin aber hier nicht in einem Kommunalparlament, sondern im Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kin- Landesparlament. Ich finde, auch die Koordination der, Jugend, Kultur und Sport: Herr Wegner, Ihr Ar- auf der Landesebene ist wichtig. gument wäre richtig, und das Land sollte dann aktiv werden, wenn wir feststellen, dass es Defizite in den Viele Aufgaben, die Sie vorhin aufgezählt habe, was bisherigen Strukturen gibt. Diese Defizite kann ich gemacht werden soll, sollen weiterhin erledigt wer- aber nicht feststellen. Der Weg in die Jugendamts- den. Es geht nicht um die Mitbestimmung im Kin- bezirke und damit hin zu einer stärkeren räumlichen dergarten vor Ort; das ist auch eher wieder kommu- Nähe zu den Kindern und Jugendlichen ist hier der nal. Wie Herr Tenhumberg so schön gesagt hat, richtige. haben es Jugendliche sogar schon so weit ge- Sie sagen: Wir wollen damit keine zusätzlichen bracht, dass sie direkt das Parlament angeschrie- Strukturen aufbauen. Darauf kann ich nur entgeg- ben haben. nen: Doch, wir haben damit zusätzliche Strukturen. Das heißt, wenn ich den Ansprechpartner nach au- Ich meine, wir sollten dieses Maß an Bürokratie ßen hin bekannt mache, würde ich sicher eine Hür- vermeiden, wenn es nicht tatsächlich notwendig ist. de nehmen, und mehr Jugendliche würden sich melden. Es würde sicherlich mehr Interesse geben. Vizepräsident Oliver Keymis: Prima. Vielen Dank, Dass das Telefon dann nicht stillsteht, wie Herr Haf- Frau Ministerin Kampmann. – Damit sind wir am ke gesagt hat, glaube ich auch nicht. Aber die Ende der Debatte und kommen zur Abstimmung. Schwelle würde heruntergesetzt. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des An- trages 16/10781 an den Ausschuss für Familie, Genau das ist das Hauptanliegen. Solange man Kinder und Jugend. Die abschließende Abstim- erst mit 18 Jahren erwachsen ist, so lange gibt es mung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen, wie auch ein Machtgefälle zwischen Erwachsenen und wir es gewohnt sind. Wer stimmt diesem Vorgehen Jugendlichen, so lange brauche ich Menschen, die so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltun- sich für die Jugendlichen einsetzen. gen? – Das ist alles nicht der Fall. Damit ist der An- trag einstimmig überwiesen. Die Sache mit dem Kinderparlament ist sehr gut, das unterstützen wir; gar keine Frage. Ich rufe nun auf:

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10787 Plenarprotokoll 16/104

10 Finanzielle Überforderung der Kommunen Um der Wahrheit Genüge zu tun, ist es aber auch vermeiden – Sozialhilfe für EU-Ausländer zeit- notwendig, die Fehlentwicklungen zu benennen, die lich einschränken Schaden anrichten können. Mehr als 420.000 EU- Bürger beziehen inzwischen Hartz-IV-Leistungen in Antrag Deutschland. Gut 112.000 von ihnen stammen aus der Fraktion der CDU und Bulgarien und Rumänien, und deren Anteil wächst der Fraktion der FDP weiter. Drucksache 16/10790 – Neudruck Die Sozialleistungen für EU-Zuwanderer sind so- wohl in Deutschland als auch in anderen EU- Staaten umstritten. Der Europäische Gerichtshof Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU- hatte im vergangenen Sommer geurteilt, dass Fraktion Herrn Kollegen Nettelstroth das Wort. Bitte Deutschland EU-Bürgern – auch Arbeitssuchen- schön. den – Sozialleistungen verweigern darf. Damit schien eine Reihe von Streitfällen endgültig geklärt Ralf Nettelstroth (CDU): Herr Präsident! Liebe Kol- zu sein. leginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Durch die Urteile des Bundessozialgerichts vom Herren! Durch den jüngsten kommunalen Finanzre- Dezember letzten Jahres ist die Lage allerdings port der Bertelsmann Stiftung wissen wir, dass sich wieder angespannt. Alle EU-Bürger, die nach die Haushaltsergebnisse der Städte und Kreise in Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu er- Nordrhein-Westfalen im Jahr 2014 dramatisch ver- halten oder erstmals eine Arbeit zu suchen, sind schlechtert haben. nach deutschem Recht generell vom Hartz-IV- Leistungsbezug ausgeschlossen. Sozialhilfe wird Bewegten sich die Kommunen in den Jahren 2012 ihnen allerdings generell zugesprochen, wenn sie und 2013 noch nahe der schwarzen Null, schlägt im sich wenigstens sechs Monate in Deutschland auf- Jahr 2014 ein Defizit von über 1,5 Milliarden € zu gehalten haben. Buche. Verantwortlich für das Defizit in Nordrhein- Westfalen ist kein Rückgang der Einnahmen. Nein, Die Sozialhilfe muss – wie die Bundessozialrichter es ist insbesondere der starke Anstieg der Sozial- entschieden – quasi einspringen, um das Existenz- ausgaben. Immer mehr Menschen in Deutschland minimum der Betroffenen zu sichern. Dabei bezo- können nur mit Geld vom Staat überleben. Fast je- gen sich die Sozialrichter auf ein Urteil des Bundes- der Zehnte war Ende 2014 auf soziale Leistungen verfassungsgerichts vom Juli 2012, welches Asyl- zur Mindestsicherung angewiesen, wie das Statisti- bewerbern ein Existenzminimum zusprach, das an sche Bundesamt Ende des letzten Jahres berichte- die Hilfe bei Bezug von Hartz IV heranreicht. te. Dazu zählen unter anderem Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe und Leistungen für Asylbewerber. Die Kosten für die Sozialhilfe tragen zu großen Tei- len Gemeinden, Städte und Landkreise. Die Kom- Die Empfänger von Grundsicherung für Arbeitssu- munen müssen davor bewahrt werden, unbegrenzt chende nach dem SGB II stellten weiterhin die größ- für mittellose EU-Bürger, die in Deutschland leben, te Gruppe von Empfängern sozialer Mindestsiche- sorgen zu müssen. Damit würden wir die Sozialkas- rungsleistungen dar. Die nächstgrößere Gruppe ist sen und die Kommunen maßlos überfordern und die der Leistungsberechtigten von Regelleistungen das Ziel der Sozialhilfe auf den Kopf stellen. nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Ende 2014 lag deren Zahl bei 362.900. Von allen Teilgruppen (Beifall von der CDU) der Leistungsbezieher von Mindestsicherungsleis- Laut Städte- und Gemeindebund erwerben durch tungen ist deren Anzahl im Vergleich zum Vorjahr das Urteil weitere 130.000 Menschen Anspruch auf absolut und relativ am stärksten gewachsen, und Sozialhilfe, was Folgekosten in Höhe von rund 800 zwar um 138.000 oder 61,3 %. Millionen € nach sich ziehen könnte. Allein für die Kreise und kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfa- Angesichts der Flüchtlingsthematik ist die Zuwande- len müsste damit von Mehrausgaben in Höhe von rung aus anderen EU-Staaten jedoch in Verges- jährlich etwa 200 Millionen € ausgegangen werden. senheit geraten, und dies zu Unrecht. Neben den Asylsuchenden kamen alleine im letzten Jahr rund Die kommunalen Spitzenverbände wiederum gehen 340.000 EU-Bürger ins Land. Auch Sie sind Teil der dabei von Mehraufwendungen für jede Großstadt enormen Aufgabe, die die Kommunen stemmen bzw. jeden Kreis in Höhe von mindestens einer müssen. sechsstelligen Summe aus. Der Regelsatz der So- zialhilfe für Alleinstehende stieg vom 1. Januar 2016 Unter dem Strich profitiert Deutschland als Ganzes an auf 404 € pro Monat. Zusätzlich kommen Kosten und natürlich auch Nordrhein-Westfalen von der für Unterkunft und Heizung dazu, die ebenfalls von Freizügigkeit in Europa, so wie die meisten Zuwan- den Kommunen zu tragen sind. derer selbst auch. Sie besetzen leer gebliebene Stellen, bringen neue Ideen mit, arbeiten hier und Uns erreichen zahlreiche Hilferufe der kommunalen verdienen mehr Geld als in der Heimat. Amtsträger, die sich über diese enormen finanziel-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10788 Plenarprotokoll 16/104 len Auswirkungen, die auf sie zurollen, Sorgen ma- beispielsweise zwischen dem südöstlichen Teil Eu- chen. Der Landrat aus dem Rhein-Kreis Neuss bei- ropas und der Bundesrepublik Deutschland. spielsweise spricht aufgrund der aktuellen Recht- sprechung von einer möglichen Sogwirkung. Ange- Wir haben jetzt erkannt, dass durch die unterschied- sichts der rechtlichen Unklarheiten und Differenzen lichen Urteile gesetzliche Präzisierungen notwendig zwischen dem Bundessozialgericht und den Lan- geworden sind. Genau die regen wir hiermit an. Wir dessozialgerichten ist eine gesetzgeberische Klar- machen das wie immer ohne Schaum vor dem stellung zwingend erforderlich. Mund; aber wir wissen eben auch, dass es einen großen Druck in den Kommunen gibt und dass die Wir stehen zur Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen Situation insgesamt angespannt ist. Deswegen und Arbeitnehmern innerhalb der EU; aber weder müssen wir hier und heute reagieren. Ich würde den Kommunen noch den Bürgern ist es vermittel- mich freuen, wenn wir vielleicht zu einer gemeinsa- bar, Sozialleistungen auf diese Art – ohne Bedin- men Beschlussfassung kommen könnten. – Herzli- gungen und ohne Vorleistungen – zu verteilen. chen Dank. (Beifall von der CDU) (Beifall von der FDP und der CDU) Wer so ein Existenzminimum für alle EU-Zuwan- derer fordert, der schadet der Freizügigkeit. Denn Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr wenn die Sozialhilfe in Deutschland höher ist als Dr. Stamp. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr das Einkommen im Herkunftsland, dann bedeutet Kollege Garbrecht. dies einen erheblichen Anreiz zur Armutsmigration nach Deutschland. Günter Garbrecht (SPD): Herzlichen Dank. – Herr Ich bitte Sie daher, im Sinne der Freizügigkeit, des europäischen Gedankens, der nordrhein-westfäli- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will schen Kommunen sowie der Bürger dieses Landes zunächst einmal sagen, dass dieser Antrag – wie Ihrer Verantwortung nachzukommen und unserem viele Anträge heute – eher in die Kategorie der Antrag auf Präzisierung der Voraussetzungen für Aufmerksamkeitsökonomie fällt. den Leistungsbezug von EU-Ausländern in der di- (Beifall von der SPD) rekten Abstimmung zuzustimmen. – Herzlichen Dank. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die FDP da aufgesprungen ist. Dieser Antrag befeuert im Kon- (Beifall von der CDU und der FDP) zert mit anderen eine Kultur im Land, die wir nicht brauchen, nämlich die Befürchtungskultur. Er beför- Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr dert die populistische Welle des Rufens nach einfa- Kollege Nettelstroth. – Nun spricht für die FDP- chen Lösungen. Fraktion Herr Dr. Stamp. Schon nach dem Urteil des Bundessozialgerichts titelte die „FAZ“: „Milliardenkosten durch Sozialhilfe Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine für EU-Ausländer?“ Und „FOCUS online“ titelte vor- Damen und Herren! Herr Nettelstroth hat unseren gestern mit Bezug auf eine Pressemitteilung des Antrag hier ausführlich begründet. Es ist in der par- Städte- und Gemeindebundes: „Kommunen fürch- lamentarischen Auseinandersetzung immer ein ten Kollaps des Sozialsystems durch Einwande- bisschen schade, wenn zwei Antragsteller hinterei- rung“. Wer diese Meldungen googelt, wird schon nander sprechen, während dann zwei Vertreter der auf der ersten Seite deren Verlinkung mit der regierungstragenden Fraktionen sowie ein Vertreter rechtsradikalen Seite „Asylterror“ finden. der Piraten zu Wort kommen, die möglicherweise Schon in der Schilderung der Ausgangslage – jetzt Kritik an unserem Antrag haben. Wir haben dann muss ich einmal auf Ihren Antrag kommen, meine keine Möglichkeit, zu antworten. Deshalb fasse ich Damen und Herren von der Union; Sie haben ihn ja mich an dieser Stelle kurz und werde mich gegebe- geschrieben – verfälschen Sie die Tatsachen oder nenfalls noch ein zweites Mal zu Wort melden. verschweigen sie zumindest. Ich möchte das herausarbeiten, worum es im Prin- Im Zuwanderungsmonitor des Instituts für Arbeits- zip geht. Wir wollen die Freizügigkeit innerhalb der markt- und Berufsforschung vom Dezember, das EU, die uns allen lieb und teuer ist und die gerade Sie ja auch zitieren, steht: wir Liberalen immer verteidigt haben, sichern. Wir müssen sie gegen die Gefahr sichern, dass es in „Insgesamt ist der Trend der günstigen Arbeits- Teilen eine Einwanderung in Sozialsysteme geben marktentwicklung der ausländischen Bevölke- kann. Das ist auch ganz natürlich. Wenn es einen rung … ungebrochen. Die Arbeitslosenquote ist Freizügigkeitsraum mit unterschiedlichen Sozialleis- im Vergleich zum Vorjahresmonat … gesunken. tungen und einem erheblichen Einkommensgefälle gibt, dann kommt es immer – wie es momentan in Ausländische Beschäftigung wächst um … der EU der Fall ist – zu Verwerfungen, wie derzeit 300.000 Personen“.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10789 Plenarprotokoll 16/104

Weiter wird ein starkes Beschäftigungswachstum (Zuruf von der FDP: Nennen Sie einen einzi- bei Personen aus der EU festgestellt. Auch die Quo- gen Satz! Hetze! – Josef Hovenjürgen [CDU]: te der erwerbsfähigen SGB-II-Leistungsbezieher Erbärmliche Hetze!) bleibt, im Gegensatz zu Ihrer Aussage, konstant. Sie greifen sich eine bestimmte Aussage heraus, Die Kommunen in diesem Land belastet insbeson- um eine bestimmte Richtung vorzugeben. dere die Arbeitslosigkeit, und dies unabhängig von der Herkunft der Betroffenen. Die Großstädte sind Es hätte aber Ihren Antrag rund gemacht und wäre davon mehr betroffen als zum Beispiel die Kreise. diskussionsfähig, wenn Sie die Ergebnisse der Ar- Die positiven Finanzeffekte, die ich eben angespro- beitsmarkt-, Berufs- und Migrationsforschung insge- chen habe, schlagen sich gesamtstaatlich nieder samt in Ihren Antrag aufgenommen hätten. Über- und nicht auf der kommunalen Ebene. Sie müssen einstimmend stellen die Bertelsmann Stiftung, IAB, da aber ankommen, und darum fordern wir zum ZIW und DIW fest – das sind nicht nur Institute, die Beispiel vom Bund, die Mittel für die Jobcenter und Rot-Grün nahestehen –, dass wir durch die Zuwan- für die Unterkunftsleistungen deutlich zu erhöhen. derung erhebliche Gewinne für den Sozialstaat ha- Daraufhin wiederholen Sie gebetsmühlenartig, wir ben. Jetzt hören Sie genau zu: würden Forderungen nur an den Bund adressieren.

Trotz höherer Arbeitslosigkeit werden jedoch durch Das Urteil des Bundessozialgerichts den Nettobetrag von Personen mit Migrationshin- tergrund zu dem umlagefinanzierten Rentenversi- (Ralf Nettelstroth [CDU]: Das sind mehrere cherungssystem und anderen Sozialversicherungs- Urteile!) systemen mehr als kompensiert. könnte natürlich – da gebe ich Ihnen recht – die kommunalen Belastungen verstärken. Sie können das einfach in der Bertelsmann Studie nachlesen. Ich nenne Ihnen auch noch die Seite, (Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU]) wenn Sie da Bedarf haben: – Moment, ganz ruhig bleiben. Ich kann sowieso Je Ausländer fallen pro Jahr durchschnittlich lauter reden als Sie. 3.300 € mehr an Steuern und Sozialabgaben an als an staatlichen Transfers. (Zurufe von der CDU) Diese Erkenntnisse blenden Sie völlig aus. Das Urteil des Bundessozialgerichts könnte die kommunalen Belastungen verstärken. Aber es liegt (Ralf Nettelstroth [CDU]: Sozialhilfe!) noch nicht einmal eine ausführliche Urteilsbegrün- dung vor. Meine Damen und Herren, deswegen muss man einfach noch einmal sagen: Einwanderung, auch Dennoch kursieren Prognosen über Finanzbelas- die von Flüchtlingen, bietet Chancen. Es geht da- tungen und über die mehr als hunderttausendfache rum, die Chancen in den Vordergrund zu stellen Inanspruchnahme. Am Ende des Tages wird es und auch die Fehlentwicklungen zu benennen, aber ausgehen wie bei der Prognose über die Arbeits- unaufgeregt und zielführend, ohne damit die Frem- platzverluste durch die Einführung des Mindest- den- und Menschenfeindlichkeit noch anzufachen. lohns. Sie dagegen befeuern mit dem Duktus Ihres An- trags und auch Ihres Wortbeitrags im Prinzip Richtig ist: Das Urteil des Bundessozialgerichts ver- rechtspopulistische Positionen gegenüber der Ein- lässt die Gesetzessystematik der SGB II und III. Es wanderung. ordnet sich auch erkennbar nicht in die Rechtspre- chung des EuGH ein. Deswegen ergibt sich ein ge- (Zuruf von der FDP: Wo?) setzlicher Handlungsbedarf – in der Konsequenz sind wir da gar nicht so weit auseinander –, – “Einwanderung in die Sozialsysteme“ steht darin. (Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist unglaub- (Zuruf von der SPD) lich!) – Genau. – Das ist die Position von AfD und CSU. der auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts Die lassen grüßen. einbezieht. (Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von der FDP: Das ist eine Unverschämt- Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege heit! – Lutz Lienenkämper [CDU]: Jetzt geht Garbrecht, Ihre Redezeit ist bei Weitem überschrit- das schon wieder los! Weitere Zurufe von der ten. CDU und der FDP) – Nein, nein, nein, das ist die klare Position. Sie Günter Garbrecht (SPD): Herr Präsident, das war können das noch so schön intellektuell formulieren, aufgrund der zu vielen Zwischenrufe. Das muss ich im Kern bleibt das davon übrig. einfach einmal sagen.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10790 Plenarprotokoll 16/104

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das bekom- Ich habe darauf hingewiesen, dass dieses Urteil men Sie leider nicht auf die Redezeit angerechnet. nicht in der Gesetzessystematik des EuGH und auch nicht in der des Bundesverfassungsgerichts steht – auch aus meiner Sicht nicht – und dass wir Günter Garbrecht (SPD): Ich komme zum von daher die schriftliche Urteilsbegründung abwar- Schlusssatz. – Mich wundert, dass die CDU das Zu- ten. Danach wird zu entscheiden sein, welcher – trauen in die Bundesregierung dermaßen verloren möglicherweise auch gesetzlicher – Klarstellungs- hat. Sie hat nämlich gleich nach Vorliegen der Ur- bedarf hier besteht, auch unter anderen Gesichts- teilsbegründung angekündigt, dieses Problem an- punkten. Das prüft die Bundesregierung, und ich zugehen. Von daher werden wir Ihrem Antrag nicht habe großes Vertrauen, dass diese Prüfung von der zustimmen. Bundesregierung sachgerecht vorgenommen wird. (Beifall von der SPD) (Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Garbrecht, bevor Sie gehen: Herr Kol- Herr Kollege Garbrecht. – Für die Fraktion Bündnis lege Nettelstroth hat sich zu einer Frage gemeldet. 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Grochowiak- Herr Kollege, wollen Sie die noch zulassen? – Ich Schmieding. vermute es.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Günter Garbrecht (SPD): Na gut. Präsident! Meine Damen und Herren! Da haben Sie, liebe Kollegen von der CDU – die FDP hat sich Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann holen Sie Ihrem Antrag auch noch angeschlossen – viele sie nach. Bitte. Buchstaben zu Papier gebracht. Sie schaffen es tatsächlich, in einem unterschwelligen Tenor – das haben Sie mit Ihren Redebeiträgen auch noch ein- Ralf Nettelstroth (CDU): Herr Garbrecht, vielen mal unterstrichen – den Eindruck zu vermitteln, un- Dank, dass Sie die Frage zulassen. In der Tat ha- ser Land würde von EU-Ausländern überschwemmt ben Sie zuletzt das angesprochen, worum es ei- werden gentlich geht. Es geht nämlich um Sozialhilfeleis- tungen. (Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das stimmt doch nicht! Wo steht das denn hier drin?) Dazu meine Frage: Sie haben sehr wohl zur Kennt- nis genommen, dass es, erstens, drei Urteile des – ich erkläre es Ihnen gleich; hören Sie einfach zu –, Bundessozialgerichts waren, die dazu ergangen die es hauptsächlich auf Leistungen aus unserem sind, mit der ganz klaren Aussage, Sozialhilfe sollte Sozialsystem abgesehen haben, ohne natürlich eine ab dem sechsten Monat gezahlt werden, was zwei- Gegenleistung zu erbringen. tens – jetzt kommt es – den jeweiligen Sozialgerich- (Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ich habe die ten auf der unteren Ebene die Gelegenheit gibt, im Schnauze voll! Das hat doch schon System!) Rahmen des Ermessens auch andere Entscheidun- gen zu treffen, was auf gut Deutsch heißt: Es kann Ich möchte das einmal ein wenig relativieren. Im also auch schon früher gezahlt werden. Jahr 2014 sind rund 1,46 Millionen Personen nach Deutschland eingewandert, davon rund 630.000 Deshalb ist jetzt meine Frage an Sie: Stimmen Sie EU-Bürgerinnen und -Bürger. Im gleichen Zeitraum mit mir überein, dass es insofern eine gesetzliche sind 914.000 Personen ausgewandert, und davon Notwendigkeit gibt, darauf zu reagieren, weil das hatten 766.000 einen ausländischen Pass. Der tat- zur Folge hat, dass wir hier eine Einwanderung in sächliche sogenannte Wanderungsüberschuss be- die Sozialhilfe bekommen; denn dann lohnt es sich trägt also 550.000 Personen, und darunter waren nämlich, ohne Arbeit zu suchen nach Deutschland etwa 312.000 Bürger aus der Europäischen Union, zu kommen und diese Sozialleistungen zu kassie- nämlich aus Kroatien, Rumänien, Bulgarien, Italien, ren? – Vielen Dank. Spanien und Polen. (Beifall von der CDU) Vor dem Hintergrund der demografischen Entwick- lung sollten wir eigentlich über den Zuzug von Men- schen froh sein und ihm eher positiv begegnen; Günter Garbrecht (SPD): Zunächst einmal ist es denn auch in 2014 sind mehr Menschen in unserem aufgrund der Systematik des Rechts, auch bei uns Land gestorben als geboren wurden. in Deutschland, so – das müssten Sie als Jurist ei- gentlich wissen –, dass immer das oberste Gericht – Ihr Hinweis – ich zitiere –, das Bevölkerungswachs- und das ist das Bundessozialgericht – die Rechtset- tum durch EU-Binnenwanderung habe sich trotz der zung vornimmt und von daher die widersprüchlichen hohen Flüchtlingszahlen nicht abgeschwächt, dient Aussagen der Sozialgerichte vor Ort im Prinzip ihre doch wohl eher der Verwirrung als dass er einen Gültigkeit verloren haben. Sinn ergibt.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10791 Plenarprotokoll 16/104

In Ihrer Auflistung von Gerichtsurteilen – ich möchte on in den Arbeitsmarkt und damit auch in die Ge- beispielhaft nur auf eines dieser Urteile eingehen –, sellschaft gewertet werden. verweisen Sie darauf, dass Deutschland nach dem Urteil des EuGH von 2014 Sozialleistungen unter Tatsächlich dürfen die bereits heute überlasteten bestimmten Umständen verweigern dürfe. Mehr sa- Kommunen – hier gebe ich Ihnen recht –, die die gen Sie nicht. Sie vergessen dabei, zu erwähnen, Sozialhilfeleistungen nach SGB XII zu tragen ha- dass hier kein allgemein gültiges Verfahren befür- ben, nicht noch mehr belastet werden. Die Unions- wortet wird, sondern dass der EuGH grundsätzlich bürger nach einem Jahr sozusagen den Kommunen auch die Einzelprüfung verlangt. Ich halte das in zuzuschieben, ist daher kontraproduktiv. Besser wä- dem Zusammenhang durchaus für erwähnenswert. re es, wenn die Bundesregierung eine tragfähige Lösung im Rahmen des SGB II finden würde. Das Bei Ihrer Analyse zu der Frage, wer von den EU- würde sowohl den Menschen, die sich innerhalb der Bürgerinnen und -Bürgern Leistungen nach dem EU bewegen, als auch den Kommunen helfen. SGB II erhält, beschränken Sie Ihre Aussagen nur Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, noch auf Menschen aus Bulgarien und Rumänien. derart konstruktive Anträge bzw. Ansätze lassen Sie Das Gleiche machen Sie, wenn Sie vom Anspruch in Ihrem Antrag vermissen. Im Gegenteil: Ihr Antrag auf Sozialhilfe und den daraus resultierenden Fol- wirkt eher destruktiv und vor allen Dingen diskrimi- gekosten für die Kommunen sprechen. Das ist billi- nierend, und wir werden ihn deshalb ablehnen. ge Stimmungsmache. Oder wollen Sie tatsächlich insbesondere und ausschließlich Angehörige dieser (Bündnis 90/Die Grünen – Dr. Joachim Nationen vom Sozialrecht in Deutschland aus- Stamp [FDP]: Quatsch!) schließen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

Der Antrag ist durchzogen von Unterstellungen. Sie Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, behaupten zum Beispiel, dass Menschen zu uns Frau Kollegin. Vor Ende Ihrer Redezeit hatte Herr kommen, die gar nicht arbeiten wollen oder die in Kollege Kerkhoff den Wunsch geäußert, Ihnen eine unser Sozialsystem einwandern wollen. Das ist alles Frage stellen zu dürfen. Würden Sie den Wunsch in allem recht dubios. erfüllen? Ihre indirekte Forderung, das Land solle die Sozial- hilfekosten der Kommunen tragen, kann nur abge- Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Ja, lehnt werden. Ich verweise allerdings auf die Maß- bitte. nahmen des Landes zur Unterstützung der von Neuzuwanderung insbesondere aus Südosteuropa betroffenen Kommunen. Hierfür stellt das Land be- Matthias Kerkhoff (CDU): Vielen Dank, Frau Kol- reits erhebliche Mittel zur Förderung von Maßnah- legin. Ich wollte erst bis zum Ende zuhören. Sie ha- men im Gesundheits-, Schul- und Sozialbereich zur ben im Gegensatz zu dem Kollegen Garbrecht sehr Verfügung. Das blenden Sie offenbar sehr gerne sachlich vorgetragen und haben sich solche Unver- aus. schämtheiten, wie wir sie eben erlebt haben, ver- kniffen. Dennoch möchte ich Sie fragen: Sehen Sie Schließlich wollen Sie den Landtag beschließen denn nach dem Urteil keinen Korrekturbedarf in der lassen, dass er zur Freizügigkeit von Arbeitnehme- Gesetzgebung und Gesetzanwendung? Schließlich rinnen und Arbeitnehmern innerhalb der EU steht. sind die Probleme, die auf die Städte und Gemein- Ganz ehrlich: Dafür bedarf es keines Beschlusses, den zukommen, von ihnen auch entsprechend be- das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Denn ge- schrieben worden. rade in Zeiten wie diesen brauchen wir mehr und nicht weniger soziales Europa. Dazu gehört auch, dass die europäische Freizügigkeit sozial flankiert Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr wird. Wenn Menschen monatelang ohne Grundsi- Kerkhoff, vielen Dank für die Frage. Ich denke, dazu cherung Arbeit suchen müssen, ist das nicht nur so- habe ich eben bereits Ausführungen gemacht. Ich zialpolitisch äußerst problematisch, sondern es he- halte es schon für notwendig oder richtig, unsere belt auch die Freizügigkeit innerhalb der Europäi- Kommunen nicht noch mehr mit Sozialhilfeleistun- schen Union geradezu aus, und das ist genau das gen zu überfrachten, habe aber den Vorschlag un- Gegenteil von dem, was Sie eben gesagt haben. terbreitet, den meine Partei auch auf Bundesebene verfolgt, diesen Menschen, die zu uns kommen, die Überlegenswert wäre, dass auch Arbeitsuchende Möglichkeit zu geben, im Rahmen des SGB II Integ- aus der EU nach einem Aufenthalt von drei Mona- rations- und Unterstützungsmaßnahmen zu bean- ten Grundsicherung nach dem SGB II beantragen spruchen. Ich glaube, das wäre der richtige Weg. können. Nur so können auch diese Personen alle Sie per se von unseren Sozialleistungen auszu- Integrationsinstrumente wie Beratung, Vermittlung schließen, nur, weil sie aus Bulgarien und Rumäni- sowie berufliche und sprachliche Qualifizierung in en kommen, ist schlichtweg diskriminierend, und Anspruch nehmen – Maßnahmen, die allgemein als das werden wir auf keinen Fall befürworten. – Dan- Basis für eine erfolgreiche und langfristige Integrati- ke schön.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10792 Plenarprotokoll 16/104

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall – Ja, eben. von der SPD) Das von mir gerade erwähnte Gutachten beleuchtet aktuelle Daten zu Transferleistungen im internatio- Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, nalen Vergleich. Das zentrale Ergebnis lautet – ich Frau Kollegin. – Für die Piratenfraktion erteile ich zitiere –: Frau Kollegin Brand das Wort. „dass ein zuwandererspezifischer Effekt auf die Wahrscheinlichkeit eines Transferbezugs nicht Simone Brand (PIRATEN): Herr Präsident! Verehr- besteht. Mit anderen Worten: Vergleicht man te Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Ich Personen aus der Mehrheits- und der habe mir den Antrag aufmerksam durchgelesen und Zuwandererbevölkerung mit ähnlichen sozioöko- dabei festgestellt, dass darin die EU-Binnen- nomischen Merkmalen miteinander, gibt es in wanderung zum wiederholten Male zu einer soge- der Wahrscheinlichkeit des Transferbezugs nannten Einwanderung in die Sozialsysteme stig- keine Unterschiede mehr.“ matisiert wird. Es geht noch weiter; ich muss erneut zitieren: Es (Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das stimmt doch zeigt sich gar nicht!) „unter Berücksichtigung von Merkmalen wie Al- Herr Dr. Stamp hat es gerade noch einmal ausge- ter, Bildung und Familienzusammensetzung … führt und sprach von einem großen Druck in den das allgemeine Muster, dass Migranten im Ver- Kommunen. Dabei wird in dem Antrag selber das hältnis zu vergleichbaren Einheimischen gerin- Ganze noch einmal auf die tatsächlichen Kosten her- gere Unterstützungsleistungen erhalten“ untergebrochen, und bei den Kosten für die Groß- städte ist ein sechsstelliger Betrag aufgeführt. Dann Sie können das alle auf den Seiten 107 und 108 fragen Sie mal in Köln, wie viele Meter U-Bahn man nachlesen. davon bauen kann. Aber natürlich macht es Mühe, sich mit Fakten und (Ralf Nettelstroth [CDU]: In Köln wird das Details zu beschäftigen. mehr sein!) (Heiterkeit von Torsten Sommer [PIRATEN]) Sie versuchen, mit einer oberflächlichen Zahlen- spielerei die These zu rechtfertigen, dass wir eine Es ist anstrengend, immer wieder gegen rechtspo- massenhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme pulistische Gerüchte und Vermutungen anzukämp- haben. Das ist erstens zu kurz gedacht und zwei- fen. Aber das ist der einzige Weg, um rechte De- tens einfach falsch. magogen zu entlarven. (Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das lasse ich mir Meine Damen und Herren, Sie nehmen gern die nicht unterstellen! Das steht hier nicht drin! – fleißigen Arbeitnehmer auf, die wir dann schlecht Gegenruf von Günter Garbrecht [SPD]: Na- bezahlen, aber umso besser ausbeuten können. türlich! – Jochen Ott [SPD]: Einfach mal den (Ralf Nettelstroth [CDU]: Ui!) Antrag lesen! – Weitere Zurufe) Damit ist Deutschland groß geworden. Jedoch die Es gibt Städte, in denen eine höhere Quote von soziale Verantwortung, die damit einhergeht, schie- Empfänger von Leistungen nach dem SGB II beo- ben wir gern wieder an die Länder zurück, die eh bachtet wird. Aber in anderen Regionen gibt es da- schon nichts haben. für mehr Ärzte, Krankenpfleger und Fleischarbeiter. Es ist nicht richtig – das ist auch klar –, dass nur (Widerspruch von Ralf Nettelstroth [CDU] – Ärzte und Akademiker einwandern. Aber es ist ge- Lukas Lamla [PIRATEN]: Da fühlt sich die nauso falsch, dass wir eine Einwanderung in die CDU getroffen! – Weitere Zurufe) Sozialsysteme haben. Herr Garbrecht hat eben Also: Liebe Rumänen und Bulgaren, als Werkver- schon Bertelsmann mit Bertelsmann widerlegt – tragsunternehmer dürft ihr gern unter unwürdigsten Stichwort: Studie von 2014. Die These ist auch an Bedingungen für billiges Fleisch in der Schlachtin- anderer Stelle widerlegt, nämlich in 2015. Denn uns dustrie sorgen. Aber wehe, ihr werdet entlassen. allen liegt das Jahresgutachten „Deutschland im in- Dann hat sich das mit der Freizügigkeit erledigt. ternationalen Vergleich“ vor. Die Sachverständigen, Dann geht es wieder zurück. die an diesem Gutachten mitgewirkt haben, gelten als renommierte Quelle, etwa Frau Prof. Langen- Oder: Wo stünde das Gesundheitswesen in feld, Herr Prof. D‘Amato oder auch Herr Prof. Us- Deutschland und in NRW ohne die Tausende Pfle- lucan. Ich will nicht alle aufzählen. Prof. Bauer – das gekräfte aus Südosteuropa? Wie sähe es in den wissen Sie – war auch bei uns im Integrationsaus- Krankenhäusern ohne die über 2.500 Ärzte aus schuss. Und Ihre Quelle ist? Rumänien aus? (Zuruf) (Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10793 Plenarprotokoll 16/104

Sie werden nicht müde, immer wieder in gute und in Das haben wir Ihnen bereits am 11. November schlechte Zuwanderer zu unterteilen, in Nützlinge 2014 und sehr umfangreich auf 29 Seiten im Sep- und weniger nützliche. tember 2015 als Drucksachen in diesem Hause vorgelegt. Es wäre gut gewesen, wenn Sie sich das Meine Damen und Herren, es reicht eben nicht, drei einmal genauer angesehen hätten. bis vier Zahlen zusammenschreiben, wie es die CDU tut, und daraus eine vermeintliche Wahrheit, Das Handlungskonzept der Landesregierung be- die sogenannte Zuwanderung in die Sozialsysteme, rücksichtigt nämlich die gesamte Bandbreite der zu verkünden. Problemlagen vor Ort und bietet Lösungsansätze und Handlungsstrategien insbesondere im sozialen, Wir müssen immer die ganze Geschichte erzählen. im gesundheitlichen und im schulischen Bereich. Mit Das ist zwar mühsam und bedarf einer gewissen dem Wohnungsaufsichtsgesetz können Kommunen Standfestigkeit, aber es zahlt sich in der Zukunft bei unseriösen Machenschaften von Vermietern aus. – Ihren Antrag lehnen wir selbstverständlich einschreiten. ab. Selbstverständlich wurde auch der integrationspoli- (Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall tische und arbeitsmarktpolitische Bereich nicht aus- von den GRÜNEN) geklammert. So wurden zur Integration von Zuwan- derern in den regulären Arbeitsmarkt in verschiede- Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau nen Städten Pilotprojekte mit einem Fördervolumen Kollegin Brand. – Für die Landesregierung erteile aus ESF-Mitteln von insgesamt 8,5 Millionen € ge- ich Herrn Minister Schmeltzer das Wort. startet. In 2016 wurden in sieben Pilotkommunen 4,15 Millionen € investiert.

Rainer Schmeltzer, Minister für Arbeit, Integration Des Weiteren wurde gemeinsam mit anderen Län- und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! dern, aber vor allem auf Initiative aus Nordrhein- Liebe Kollegen! In der Tat ist es so, dass wir seit ei- Westfalen auch in Richtung Bund intensiv eine Ent- nigen Jahren eine stetig ansteigende Zuwanderung lastung für die besonders betroffenen Kommunen von Bürgerinnen und Bürgern aus anderen EU- gefordert. Der Kollege Garbrecht hat einiges davon Staaten, insbesondere aus Südosteuropa bei uns eben beispielhaft genannt. haben. Das Ergebnis kennen Sie: Der Bund hat Ende 2014 Viele dieser Menschen sind gut ausgebildet. Der neben weiteren Maßnahmen eine finanzielle Son- deutsche Arbeitsmarkt insgesamt profitiert von die- derentlastung der betroffenen Kommunen in Höhe sen Freizügigkeitsregelungen innerhalb der EU und von 25 Millionen € umgesetzt. Für die nordrhein- den uns zugewanderten Arbeitnehmerinnen und westfälischen Kommunen bedeutete dies eine Ent- Arbeitnehmern. Neben gut ausgebildeten Menschen lastung von 6 Millionen €. Gleichzeitig hat der Bund kommen natürlich auch weniger gut ausgebildete auch Maßnahmen zur Vermeidung von missbräuch- oder Menschen ohne Schulabschluss nach licher Inanspruchnahme des Arbeitnehmerfreizügig- Deutschland. keitsrechts und von Sozialleistungen eingeleitet. Die Landesregierung – das wissen Sie auch – be- Vor dem Hintergrund der auf den Weg gebrachten schäftigt sich bereits seit einigen Jahren intensiv mit vielfältigen Maßnahmen greift mir persönlich der diesem Thema. Hintergrund waren vor allem diffe- vorliegende Antrag deshalb eindeutig zu kurz. renzierte Problemanzeigen einiger besonders von Dennoch ist mir bewusst, dass die steigenden Zu- der Zuwanderung aus Südosteuropa betroffener wanderungszahlen und die neue Rechtsprechung Kommunen. Gerade wegen der vielschichtigen des Bundessozialgerichts die Lage vor Ort nicht Problemlagen in unterschiedlichen Bereichen haben wirklich entspannen. Aber das Bundessozialgericht wir bereits im Januar 2013 eine IMAG „Zuwande- hat vor allem entschieden, dass in jedem Einzelfall rung aus Südosteuropa“ unter gemeinsamer Feder- die konkreten Aufenthaltsgründe bzw. die konkreten führung des MAIS und des MIK eingerichtet. Aufenthaltsrechte zu ermitteln sind und nicht per se In der Folge hat diese IMAG schrittweise verschie- alle EU-Bürgerinnen bei Bedürftigkeit auf die Sozi- dene Maßnahmen und Projekte vorgeschlagen und alhilfe verwiesen werden können. auf den Weg gebracht. Im Herbst 2014 hat die Lan- Bislang liegen uns lediglich Presse- bzw. Terminbe- desregierung auf Grundlage der Vorarbeiten und richte und noch keine Urteilsgründe vor. Daher wird Berichte der IMAG ein umfassendes Maßnahmen- es nach Veröffentlichung dieser Urteilsgründe unse- und Unterstützungspaket für die besonders be- re Aufgabe, aber auch die Aufgabe der Bundesre- troffenen Kommunen beschlossen. Dabei waren wir gierung sein, die Entscheidungen genau zu prüfen wie an vielen anderen Stellen übrigens auch das und die jeweiligen Personenkreise sorgfältig abzu- erste und einzige Bundesland, das ein umfassen- grenzen. des und detailliertes Handlungskonzept zur Unter- stützung der von Neuzuwanderung besonders be- Bevor hier immer wieder „ein Bundessozialgericht, troffenen Kommunen vorgelegt hat. drei Bundessozialgerichtsurteile“ dazwischengeru-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10794 Plenarprotokoll 16/104 fen wird: Fakt ist, dass uns insgesamt acht Bundes- „Vielen dieser Zuwanderer gelingt als qualifizier- sozialgerichtsurteile unterschiedlicher Fallkonstella- ten Fachkräften nahezu problemlos die Integrati- tionen vorliegen und zu keinem dieser acht Bun- on in den deutschen Arbeitsmarkt.“ dessozialgerichtsurteile derzeit prüffähige Urteilsbe- Da lasse ich mir von Ihnen keinen Rechtspopulis- gründungen vorliegen. Auch das muss bei der gan- mus vorwerfen! zen Diskussion berücksichtigt werden. (Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU) Wie Sie wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mit Unter- Und das ist doch die Strategie von Ihnen! Ihre Orts- stützung und mit Billigung der Bundeskanzlerin be- verbände gehen als Pegida reloaded auf die Stra- reits eine entsprechende Einschränkung des Bun- ße, und Sie machen jetzt mit solchen miesen Vor- desgesetzes im Bereich der Sozialhilfe angekündigt. würfen eine Ablenkungskampagne. Das ist unred- Unklar ist immer noch, in welche Richtung das Vor- lich und unverschämt! haben der Bundesregierung geht. Sobald dieser Vorschlag konkret vorliegt, werden wir ihn einge- (Lebhafter Beifall von der FDP und der hend prüfen. CDU – Zurufe von der SPD) Eine eigene Initiative wäre meines Erachtens aus Ich fühle mich als Demokrat von Ihnen zutiefst ver- diesen Gründen verfrüht. Wir prüfen nach Vorlage letzt. – Denken Sie einmal darüber nach! der Urteilsbegründung und nach Vorlage eines kon- (Anhaltender lebhafter Beifall von der FDP kreten Vorschlags der Bundesregierung die gesam- und der CDU) te Thematik intensiv und werden uns – seien Sie dessen gewiss – auch an dieser Stelle dann ent- sprechend einbringen. – Herzlichen Dank. Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Meine Damen und Her- (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) ren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache, und wir kommen zur Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Abstimmung. Herr Minister. – Für die FDP-Fraktion spricht noch einmal Herr Kollege Dr. Stamp. (Unruhe) – Meine Damen und Herren, darf ich um Ruhe bit- ten, damit wir die Abstimmung auch ordnungsge- Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Herr Prä- mäß durchführen können? sident. – Herr Minister Schmeltzer, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar dafür, dass Sie gerade Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP selbst noch einmal vorgetragen haben, dass es hier haben direkte Abstimmung beantragt. Daher kom- Probleme in der Gesetzgebung gibt, men wir nun auch zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/10790 – Neudruck – (Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU]) von CDU und FDP. Wer für diesen Antrag stimmt, dass wir an dieser Stelle eine Präzisierung brau- den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind chen und dass es Ihre Arbeitsministerin Andrea die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt Nahles war, die das selbst angesprochen hat. dagegen? – Das sind die SPD-Fraktion, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion und der (Beifall von der FDP und der CDU – Minister fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Enthält sich Rainer Schmeltzer: Warten Sie es doch ab!) jemand der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Dann Herr Garbrecht, insofern kann ich nur sagen: stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache Schämen Sie sich zutiefst für das, was Sie uns hier 16/10790 – Neudruck – vom Landtag Nordrhein- vorgeworfen haben! Westfalen abgelehnt ist. (Lebhafter Beifall von der FDP und der Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt CDU – Zurufe von der SPD) kommen, möchte ich für das Protokoll ein Abstim- mungsergebnis der gestrigen Plenarsitzung Ich engagiere mich seit meinem 16. Lebensjahr ge- nachtragen, das von mir selbst als sitzungsleiten- gen Rechtsextremismus und lasse mir von Ihnen dem Präsidenten nicht vollumfänglich zu Protokoll keinen Rechtspopulismus vorwerfen. gegeben worden ist. Ich bitte, das zu entschuldigen. Wir haben hier einen Antrag vorgelegt, der auf Es geht um den gestrigen TOP 14, Gesetz über die Probleme in der Gesetzgebung hinweist. Der erste Stiftung von Feuerwehr- und Katastrophenschutz- Satz dieses Antrags lautet: Ehrenzeichen. „Deutschland profitiert von der Freizügigkeit von Zu Protokoll: Die Beschlussempfehlung des In- Waren, Dienstleistungen und Personen in der nenausschusses Drucksache 16/10815 wurde mit Europäischen Union.“ den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, Bünd- nis 90/Die Grünen, FDP und Piraten bei Enthaltung Der zweite Absatz beginnt mit den Worten: des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd ange-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10795 Plenarprotokoll 16/104 nommen und damit der Gesetzentwurf Drucksa- Sie wissen, dass der Deutsche Landkreistag erst che 16/8933 in der Fassung der Beschlussemp- vor kurzem diese Forderung per Beschlusslage un- fehlung in zweiter Lesung verabschiedet. – So terstützt hat, die wir von der CDU-Landtagsfraktion weit der Nachtrag zum gestrigen Plenartag. heute erheben. Auch der nordrhein-westfälische Landkreistag hat dies getan. Der Städte- und Ge- Ich rufe auf Tagesordnungspunkt meindebund unseres Landes trägt diese Forderung auch mit. 11 Geflüchtete Frauen und Kinder nicht verges- Von 215.000 gemeldeten erwerbsfähigen Personen sen: Schutz vor Gewalt auch in den Landes- aus den acht Nicht-EU-Asylzugangsländern leben aufnahmen sicherstellen! heute 50 % in 33 von 402 Kreisen bundesweit. Das Antrag verdeutlicht ein Problem, mit dem wir uns hier bis- der Fraktion der PIRATEN her noch nicht ausführlich beschäftigt haben. Sie Drucksache 16/10782 wissen aus den vielen Debatten, die wir hier geführt haben, dass die Integration von zugewanderten Menschen insbesondere eine Aufgabenstellung von Alle Fraktionen haben sich darauf verständigt, heute Ehrenamtlichen – von Frauen und Männern, von keine Aussprache durchzuführen, sondern die Jugendlichen und Älteren ist, die sich intensiv damit Überweisung des Antrags Drucksache 16/10782 auseinandersetzen, die Hilfestellung leisten, wo es zu empfehlen, und zwar an den Integrationsaus- nur geht. schuss – federführend –, an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend sowie an den Aus- Sie wissen, dass auch die Lehrerinnen und Lehrer schuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzi- sowie die Erzieherinnen und Erzieher vehement pation. Die abschließende Aussprache und Ab- versuchen, die Kinder und Jugendlichen in unser stimmung soll nach Vorlage der Beschlussempfeh- Schulsystem zu bekommen und ihnen Bildung zu lung des federführenden Ausschusses erfolgen. vermitteln und dabei nach und nach an Grenzen stoßen. Zum Teil ist die Überforderungsgrenze be- Wer für diese Überweisungsempfehlung ist, den reits erreicht. darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Ge- genstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Deshalb ist es aus unserer Sicht erforderlich, dar- Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung ein- über nachzudenken, wie wir denn die asylsuchen- stimmig angenommen. den Menschen auf unsere Städte und Gemeinden Ich rufe auf: verteilen. Sie wissen das auch aus Ihren Kommu- nen: Insbesondere dann, wenn Asylsuchende aner- kannt werden, wechseln sie oftmals ihren Wohnsitz 12 Sozialverträgliche Integration und gerechte und schlagen dabei die Richtung ein in Großstädte Verteilung von anerkannten Asylbewerbern wie beispielsweise Köln, aber auch entlang der ge- durch das Instrument der Wohnsitzauflage samten Ruhrschiene. Dadurch werden Problemla- unterstützen gen, die schon heute dort bestehen, noch einmal verschärft. Antrag der Fraktion der CDU In der Debatte wurden gerade schon die Städte Du- Drucksache 16/10792 isburg und Dortmund angesprochen, die immer noch versuchen, die hohen Zuwandererzahlen aus Rumänien und Bulgarien sinnvoll zu integrieren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Auch das muss dabei in den Blick genommen wer- Rednerin für die antragstellende CDU-Fraktion Frau den. Deswegen haben wir nicht nur gesagt: „Bitte Kollegin Scharrenbach das Wort. Bitte schön. lassen Sie uns als Landtag Nordrhein-Westfalen die Initiativen für Wohnsitzauflagen der Bundesregie- Ina Scharrenbach (CDU): Sehr geehrter Herr Prä- rung unterstützen“, sondern auch: Lassen Sie uns sident! Meine Damen und Herren! Dann wollen wir gemeinsam nach Alternativen dafür suchen, wie wir einmal sehen, ob sich die aufgeregte Debattenlage die Menschen sinnvoller verteilen und so die Haupt- auch bei diesem Antrag fortsetzt. zuzugsstädte zu einer Entlastung führen können. Lassen Sie mich wie folgt einsteigen: 2016 wird ein Wir wissen, dass der Europäische Gerichtshof sehr Jahr der Integration werden müssen. Auch wenn hohe Anforderungen gestellt hat, was migrations- sich die Kommunen unverändert mit Fragen der Un- und integrationspolitische Erwägungen im Zusam- terbringung beschäftigen, so richtet sich der Blick menhang mit Wohnsitzauflagen anbelangt. Die der kommunalen Räte und Kreistage doch zuneh- Gründe müssen hinreichend schwerwiegend sein mend dahin, wie wir die Menschen, die zu uns ge- und an konkrete Sachverhalte anknüpfen. Ich bin kommen sind, sinnvoll in Ausbildung, Schule, Studi- mir jedoch sicher, dass die Städte und Gemein- um und damit natürlich auch in unsere Gesellschaft den – ob sie nun kreisangehörig oder kreisfrei eingliedern können. sind – jede Menge Gründe dafür aufzählen können,

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10796 Plenarprotokoll 16/104 warum es sinnvoll ist, zu Wohnsitzauflagen zu (Vereinzelt Beifall von der SPD) kommen. Mit Erlaubnis des Präsidenten will ich mal die Bau- Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die anerkannten er-Presse zum Thema „Populismus pur“ zitieren. Asylbewerber unter das System der Kosten der Un- Das ist ein Verlag aus Marl, der eigentlich nicht da- terkunft fallen. Gerade die Zuzugsstädte sind in be- für bekannt ist, dass er der Sozialdemokratie sehr sonderem Maße belastet, wenn sie diese Kosten nahesteht. Ich halte den Kommentar für sehr tref- tragen müssen. Deswegen müssen wir aus finanz- fend. Er sortiert noch einmal ein, welche Themen politischer Sicht, aber auch aus einer integrations- heute Nachmittag durch Sie alle belastet worden politischen Perspektive heraus sowie zur Entlastung sind: der Ehrenamtlichen zu einer Wohnsitzauflage für Was haben sexuelle Gewalt gegen Frauen, Dieb- anerkannte Asylsuchende kommen. – Herzlichen stahl und Raub an Silvester in Köln mit der Sicher- Dank. heitslage in einer der schönsten Städte in Westfa- (Beifall von der CDU) len, Oer-Erkenschwick, zu tun? Antwort: Nichts. Wer dennoch, wie der CDU-Landtagsabgeordnete und Kollege Josef Hovenjürgen, die Exzesse mit Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, nachts geschlossenen Polizeiwachen in Provinz- Frau Kollegin Scharrenbach. – Für die SPD- städtchen in Verbindung bringt, schürt bewusst, was Fraktion spricht Herr Kollege Hübner. er doch mit Krokodilstränen beweint – eine Verunsi- cherung von Bürgern.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau darum geht leginnen und Kollegen! Ich bin für den sehr ruhigen es Ihnen heute den ganzen Tag. Vortrag sehr dankbar. Es macht deutlich: Ihr Antrag (Beifall von der SPD und den GRÜNEN) greift ein Thema auf, welches nicht völlig neu ist. Sie schreiben in Ihrem Antrag auch, dass unser Das machen Sie mit der Themensetzung, und das Parteivorsitzender dieses Thema schon einmal an- ist nicht in Ordnung, Herr Kollege Stamp. gesprochen hat. Ihrer Einschätzung nach muss es Ich wollte zum Ende hin noch versuchen, Ihnen na- geprüft werden. Sie haben richtigerweise die Institu- hezubringen, darüber vielleicht bei der einen oder tionen benannt, die hier herangezogen werden kön- anderen Themensetzung für die nächsten Wochen nen. Aber: Man kann das Ganze eben nicht so ohne nachzudenken. Ich weiß, dass das Auditorium weit- Weiteres realisieren. Von daher hat der Antrag an gehend leer ist. der einen oder anderen Stelle noch Insuffizienzen.

Ich habe die Debatte heute nahezu den ganzen Tag Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege verfolgt. Mir ist dabei aufgefallen – Herr Stamp, da Hübner, würden Sie eine Zwischenfrage von Frau habe ich Ihre Erregung gerade überhaupt nicht Kollegin Scharrenbach zulassen? nachvollziehen können –, dass hier Themen in einer Art und Weise besetzt werden, die völlig unwürdig und zumindest für die Seite der Sozialdemokratie Michael Hübner (SPD): Natürlich, klar. nicht akzeptabel ist. Da wird von der „Einwanderung in Sozialsysteme“ geredet. Das findet sich übrigens wörtlich in Ihrem Antrag wieder. Da weiß ich ganz Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann bitte. genau, wessen Geistes Kind solche Formulierungen sind. Ina Scharrenbach (CDU): Vielen Dank, lieber Kol- lege Hübner. – Mich würde interessieren, ob Sie Hier wird in einer unerträglichen Art und Weise über sich auch noch inhaltlich zu der Antragslage äu- Bodycams fabuliert, obwohl jeder weiß, dass wir ßern. das Ganze noch prüfen. Es wird über ein „Zuwei- sungschaos“ bei Flüchtlingen gesprochen, obwohl Sie wissen, dass wir darüber letzte Woche sehr ein- Michael Hübner (SPD): Frau Scharrenbach, wenn dringlich und sehr intensiv sowohl im kommunalpoli- Sie mir zugehört haben: Ich bin am Anfang sehr in- tischen Ausschuss als auch im innenpolitischen tensiv darauf eingegangen. Ich habe Sie auch ge- Ausschuss diskutiert haben. lobt, dass Sie das Ganze erstens sehr sachlich vor- getragen haben und zweitens die richtigen juristi- Jetzt kommt es zum Thema „Wohnsitzauflage für schen Fragen gestellt haben, die es abzuwägen gilt. anerkannte Asylbewerber“, – als ob damit irgendein Drittens haben Sie in Ihrem mündlichen Vortrag neues Konzept vorliegen würde. Ich will Ihnen sa- festgestellt, dass das heute bereits möglich ist. gen – und da bin ich einer Meinung mit dem, was ich heute Morgen im Kommentar der „Marler Zei- Ich habe Ihnen jetzt Populismus vorgeworfen, weil tung“ gelesen habe –: Was heute den ganzen das alles an einem Tag hier im Plenum aufs Tapet Nachmittag von Ihnen hier durchgezogen wurde, gebracht worden ist, unter anderem durch Ihre Frak- das ist Populismus pur! tion. Das ist der Punkt, den ich gern setzen wollte,

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10797 Plenarprotokoll 16/104 und den man uns nach der Debatte, wie wir sie heu- heit im Sinne von Art. 33 Anerkennungsrichtlinie te geführt haben, nicht verübeln kann. darstellt, und für den Fall, dass eine solche Ein- schränkung vorliegt, ob diese durch das Ziel einer Ich sage noch einmal: Das Thema ist durchsetzbar, angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfe- es ist gestaltbar – aber es ist eben nicht ohne Wei- lasten bzw. – die Frage werfen Sie auch auf – durch teres gestaltbar. Von daher haben Sie uns bei dem migrations- oder integrationspolitische Gründe wie Tagesordnungspunkt ein Stück weit an der Seite, die Vermeidung sozialer Brennpunkte gerechtfertigt aber wir werden nicht vergessen, dass Sie heute sein kann. Genau diese Fragestellung liegt derzeit jedes innenpolitische Thema auf populistische Art beim EuGH zur Entscheidung vor, wie gesagt, für und Weise zu besetzen versucht haben. Das hatte den Bereich der subsidiär Geschützten. Je nach- zuletzt noch der Wortbeitrag von Herrn Stamp deut- dem, wie der EuGH diese Frage beantwortet, würde lich gemacht. – Ich danke für die Aufmerksamkeit. das erst recht auch für die anerkannten Flüchtlinge (Beifall von der SPD) gelten.

Nach allem, was ich darüber gelesen habe, wie sich Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr hier der Generalanwalt einlässt, ist nicht unbedingt Kollege Hübner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die ausgemacht – vielmehr ist es eher unwahrschein- Grünen erteile ich Frau Kollegin Düker das Wort. lich –, dass hier mir nichts dir nichts vom EuGH für uns als Bundesrepublik Deutschland eine Möglich- Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe keit eröffnet wird, aus diesen sehr niedrigschwellig Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn der Vortrag formulierten integrationspolitischen Gründen heraus hier bislang sehr sachlich verlaufen ist, so wird aus eine nationale Wohnsitzauflage zu erteilen. Das ist unserer Sicht in dem Antrag der CDU der dritte der erste Schritt. Ich finde, da sollte man erst einmal Schritt vorweggenommen, Frau Scharrenbach. Da- die Entscheidung abwarten, bevor wir hier etwas vor müsste man eigentlich zunächst zwei andere Neues in die Welt setzen, wovon auch noch keiner Schritte klären. richtig weiß, ob das überhaupt Bestand hat. Grundsätzlich können wir Wohnsitzauflagen nach Jetzt kommt der zweite Punkt. Diese Frage haben nationalem Recht erteilen. Aber es gibt ja auch noch Sie auch nicht beantwortet. Meine nächste Frage ein europäisches Recht. Hier wird es schon etwas wäre: Wer entscheidet das? Und vor allen Dingen: schwieriger. Denn wir müssen hier erst integrati- Wer kontrolliert das? Ob der Vollzug einer solchen onspolitische Gründe erläutern und vortragen – die Auflage – unter Umständen durch Ausländerbehör- haben Sie in Ihrem Antrag aus meiner Sicht nicht den, kommunale Behörden oder Landesbehörden – hinlänglich dargestellt; die Hürde ist sehr hoch –, in der derzeitigen Situation im Verhältnis den ge- warum wir hier die nach Art. 26 der Genfer Flücht- wünschten Effekt zeitigt, ist für mich eine Frage, die lingskonvention garantierte Freizügigkeit für aner- noch nicht entschieden ist. kannte Flüchtlinge einschränken wollen. Es gibt schon einen Ausschluss, warum man das Wenn diese Fragen entschieden sind, dann kann nicht so einfach kann: Eine Einschränkung ist nicht man auf dieser Grundlage klären, inwieweit wir im mit der Begründung „ungerechte Verteilung der So- Rahmen des möglichen nationalen Spielraums un- ziallasten“ möglich. Das hat das Bundesverwal- ter integrationspolitischen Aspekten tatsächlich tungsgericht 2008 ausdrücklich entschieden, dass sinnvoll eine Verteilung vornehmen können. dies eben nicht mit der GFK vereinbar ist. (Michael Hübner [SPD]: Das kann man alles Wenn Sie hier die Kosten der Unterkunft anführen, machen!) ist das richtig. Wir wollen deswegen in Form einer Integrationsoffensive, die es jetzt geben muss, ge- Aber bitte – das habe ich schon mehrfach gesagt; nau an dieser Stelle weiterkommen. Wir wollen, ich habe gestern und heute hier schon öfter gere- dass der Bund die Kosten der Unterkunft überneh- det – blenden Sie nicht immer die Hälfte der Wahr- men muss. Doch wir können das aber nicht – das heit, die Hälfte der Wirklichkeit aus. Sie schauen ist so; so ist die Rechtsprechung – als Grund anfüh- nämlich nur auf die andere Hälfte, mit der Sie viel- ren, um hier solche Auflagen zu erteilen. leicht einen Punkt nach vorn machen können. Se- hen Sie bitte das ganze Bild. Weiterhin hat das Bundesverwaltungsgericht den Europäischen Gerichtshof zu der Frage angerufen – (Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP]) das Verfahren ist nach wie vor anhängig –, inwie- weit eine Einschränkung auch nach Art. 33 der Deswegen lassen Sie uns ganz sachlich, ganz ruhig Asylqualifikationsrichtlinie für subsidiär Geschützte zunächst diese beiden Punkte klären und auf der möglich ist. Denn nach unserer nationalen Rechts- Grundlage dann eine sachliche Debatte über diese lage gibt es das schon für subsidiär Geschützte. Frage führen. Die sehe ich derzeit noch nicht. Vorgelegt wird die Fragestellung, ob eine Wohn- sitzauflage eine Einschränkung der Bewegungsfrei- (Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10798 Plenarprotokoll 16/104

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau len. Insofern bin ich sehr skeptisch, ob es eine kluge Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Strategie ist, hier den demokratischen Mitbewerbern Kollege Dr. Stamp. im Zweieinhalbstundenrhythmus – teilweise noch kürzer – Rechtspopulismus vorzuwerfen. Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank. – Herr (Beifall von der FDP und der CDU) Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Düker, Ich hätte erwartet, Herr Römer, dass Sie sich ent- weil Sie mich vorhin so angeschaut haben, weise schuldigen. Ich sage es auch an die Adresse von ich darauf hin, dass wir gar nicht Antragsteller sind. Herrn Garbrecht – er ist jetzt nicht anwesend, wenn Wir haben uns sehr genau angesehen, welche An- ich das richtig sehe – und erwarte, dass er das bei träge wir gemeinsam machen und welche nicht. mir tut. Ich jedenfalls werde mir in Anbetracht des- Ich sage allerdings, dass das Ziel, das Frau Schar- sen, wie ich mich in meiner politischen Vita verhal- renbach hier vorgetragen hat, auch unser Ziel ist, ten habe, diesen Vorwurf nicht gefallen lassen. – nämlich dass wir vermeiden wollen, dass wir auf- Vielen Dank. grund des Zusammenzugs ethnischer Gruppen (Beifall von der FDP und der CDU) möglicherweise einer Ghettobildung, wie wir es bei- spielsweise aus den Vereinigten Staaten kennen, Vorschub leisten. Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Piratenfraktion Wir brauchen Instrumente, ähnlich wie es auch der spricht Herr Kollege Sommer. Vorsitzende der Sozialdemokratie gesagt hat, mit denen wir vermeiden können, dass sich das Ganze gerade in den Kommunen, bei denen das schon Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr jetzt ein Thema ist – beispielsweise das Ruhrgebiet, Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Scherze aber auch große Städte am Rhein – fortsetzt. Ich mit Nachnamen sind etwas ganz Neues. Das mag denke, darüber kann man ganz in Ruhe sprechen, ich total gerne. Machen Sie ruhig damit weiter. Das und das möchten wir auch tun. befeuert die inhaltliche Diskussion ungemein. (Beifall von der FDP) Es gibt in Deutschland und in NRW schon jetzt di- verse Residenzpflichten und Wohnsitzauflagen für Der Generalanwalt beim EuGH hat jedoch festge- Menschen, die sich im Asylverfahren befinden, oder stellt, dass die Sache derzeit unionsrechtswidrig ist. auch für hier geduldete Menschen, die Transferleis- Deshalb bin ich an dieser Stelle der CDU ganz tungen beziehen. Wir Piraten sehen diese Regelun- dankbar, dass sie heute nicht direkt über den Antrag gen im laufenden Asylverfahren sehr kritisch und abstimmen lassen will, sondern dass dieser Antrag hinterfragen, ob das überhaupt einen Sinn macht. in den Ausschuss überwiesen wird, um dort über weitere Konzeptionen sprechen zu können. Bei geduldeten Menschen, egal womit sie ihren Le- bensunterhalt bestreiten, würden wir das schon jetzt Voraussichtlich wird in nächster Zeit das Urteil des ablehnen, und zwar aus dem ganz einfachen EuGH zu diesem Thema vorliegen. Dann sind wir, Grund, weil es hier ganz viele geduldete Menschen was die rechtliche Verlässlichkeit angeht, einen gibt, die diesen Status teilweise seit Jahren haben, deutlichen Schritt weiter und haben dann auch eine manche sogar seit fast einem Jahrzehnt. Seit Jah- andere Beratungsgrundlage. Wir sollten auf jeden ren möchten wir diesen Menschen die Freiheit Fall berücksichtigen, dass das, was wir hier be- nehmen, ihren Wohnsitz frei zu wählen. Damit schließen, mit dem Unionsrecht vereinbar sein stempeln wir sie zu Menschen zweiter Klasse. Das muss. – So viel zum Thema „Sachlichkeit“ und „in- möchten wir nicht, und das werden wir auch nie tun. haltliche Auseinandersetzung“. Auf EU-Recht ist hier bereits eingegangen worden; Lieber Herr Kollege Hübner, Sie haben eben nicht deshalb wiederhole ich das nicht. Ich möchte aber mehr von „Rechtspopulismus“, sondern nur noch gerne auf den UN-Zivilpakt von 1966 eingehen, den von „Populismus“ gesprochen. Auch das weise ich im Übrigen die Bundesrepublik Deutschland ratifi- zurück, aber das ist ein anderer Zungenschlag als ziert hat. Ich zitiere: das, was Herr Garbrecht vorhin gemacht hat. Wenn „Jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsge- wir uns in Europa und hier Deutschland hinsichtlich biet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich des Zuzugs in einer Ausnahmesituation befinden, dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu dann ist es doch ganz natürlich, dass sich das auch wählen.“ auf der Tagesordnung eines solchen Parlaments widerspiegelt. Und das wollen wir einschränken? Wir wollen inter- nationales Recht brechen? Die CDU möchte inter- Seien Sie doch froh, dass wir die Probleme in einem nationales Recht brechen? Das kann ich mir eigent- vernünftigen Ton und sachlich ansprechen. Denn lich nicht vorstellen. wenn wir das nicht täten, dann machten es in einer anderen Tonlage – nämlich mit Ressentiments – Aber mal rein praktisch gesehen: Wir treten als de- diejenigen, die wir hier gemeinsam verhindern wol- mokratisch legitimierte Politik in eine Bevölkerungs-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10799 Plenarprotokoll 16/104 steuerung ein, wie wir es sonst nur aus Nordkorea schen sehr genau, sehr gut und sehr plausibel er- oder einem kommunistischen Sowjetunion- klären, weil wir sonst noch mehr Beiträge hören wie Konglomerat kennen? Das wollen wir tatsächlich den von Herrn Sommer gerade in einer emotionali- machen? sierten Debatte, der sagt, dass es dabei um Bevöl- kerungsregulierung ginge. Sie fangen mit den Geflüchteten an. Denjenigen, die hierhin geflüchtet sind und einen rechtmäßigen Sta- Deshalb müssen wir genau erklären, warum wir tus haben, sagen Sie, wo sie zu wohnen und zu le- überhaupt über Wohnsitzauflagen nachdenken. Die ben haben. Hören wir dann bei denen auf? Das ist ungleiche Verteilung von Soziallasten oder Kosten ja nur ein relativ geringer Anteil an der Gesamtbe- im Allgemeinen oder im Besonderen taugt als Ar- völkerung. Wenn man das, womit hier angefangen gument dafür überhaupt nicht. Über dieses Kriteri- wurde, zu Ende denkt, dann machen wir bald mit um brauchen wir nicht zu diskutieren. ganz normalen SGB-II-Transferleistungsempfän- gern weiter. Das kann doch nicht wirklich die Denke (Zuruf von Torsten Sommer [PIRATEN]) sein! Der Unterschied besteht einzig und allein in Frau Düker hat zu Recht das Bundesverwaltungs- der Herkunft. gericht zitiert hat, das 2008 klar und deutlich gesagt Alles andere, was Sie sonst nennen, dass sich bei- hat, dass solche Gründe – damals ging es um aner- spielsweise die Leute an gleichen Hotspots sam- kannte Flüchtlinge – nicht herangezogen werden meln, ist auch bei deutschen Transferleistungsemp- können. Denn Wohnsitzauflagen dürfen nur und fängern so. Wir haben diese Hotspots in der Ruhr- ausschließlich aus migrations- und integrationspoli- schiene und auch im Rheinland. Dort finden sich tischen Gründen angewandt werden. Was genau auch die gleichen Mechanismen. Der einzige Unter- darunter zu verstehen ist, wie das zu definieren ist, schied ist die Herkunft. Wenn man das aber an der das muss der Bund darstellen. An dieser Diskussion Herkunft festmacht, gibt es dafür ein ganz einfaches werden wir uns beteiligen; da werden wir uns ein- Wort, nämlich „Rassismus“. bringen. Das, was Sie hier vorbringen, ist kein Lösungsan- Mit Wohnsitzauflagen – um das noch einmal festzu- satz. Ich bitte wirklich jeden hier im Haus und jeden stellen – wird nicht die persönliche Bewegungsfrei- in einem anderen deutschen Parlament, davon Ab- heit eingeschränkt. Aber es darf auch nicht aus dem stand zu nehmen. Das ist nicht sinnvoll. Das darf Blick geraten, dass das für die Betroffenen schon auch die Landesregierung in Niedersachsen hören. eine belastende Maßnahme ist. Außerdem ist wäre, Ich bitte, in Betracht zu ziehen, diesen Antrag zu- wenn es denn eine solche Anordnung gäbe, immer rückzuziehen. Er ist nicht sinnvoll und wird im Aus- der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berück- schuss auch nicht sinnvoller werden. sichtigen. Wir werden ihn sehr kritisch beleuchten. Im Aus- Darüber hinaus werden wir in die Diskussion beim schuss werde ich gerne alles noch einmal wieder- Bund auch das Argument einbringen, dass die Aus- holen. Ich hinterlege Ihnen das dort auch mit noch länderbehörden in den Kommunen bereits jetzt mit mehr Fakten. Das, was Sie hier vorhaben, ist der der Wahrnehmung der unterschiedlichsten Aufga- Einstieg in eine Bevölkerungsregulierung, die wir ben stark belastet sind, und dass eine weitere Auf- sonst nur aus diktatorischen Systemen kennen. Das gabe, nämlich die Kontrolle und Administration der können wir als Demokraten nicht wollen, und das ist Wohnsitzauflage, einen weiteren erheblichen Auf- auch nicht unsere Aufgabe als demokratisches Par- wand bedeuten würde. Auch das werden wir kritisch lament. – Vielen Dank. in die Diskussion mit einbringen. – Ich danke für Ih- re Aufmerksamkeit. (Beifall von den PIRATEN) (Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Minister Jäger. Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal Frau Kollegin Scharrenbach zu Wort gemel- det. Sie hat auch noch etwas Redezeit zur Verfü- Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: gung. Bitte, Frau Kollegin. Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Grundsätzlich ist erst einmal zu begrüßen, wenn sich der Bund Gedanken Ina Scharrenbach (CDU): Sehr geehrter Herr Prä- darüber macht, wie man unsere Kommunen entlas- sident! Meine Damen und Herren! Herr Hübner, das ten kann und wie man Flüchtlinge besser integrieren ist so eine Sache mit den Antworten, die man findet, kann. Das ist grundsätzlich erst mal gut. Das kommt sei es auf Anträge oder auch in Debattenlagen. Ich ja auch nicht immer vor. bin es offen gesagt leid, dass Sie uns, wenn wir uns mit Problemen der Kommunen beschäftigen, per- Dass wir in diesem Zusammenhang jetzt über manent – permanent! – Populismus vorwerfen, Wohnsitzauflagen reden, müssen wir den Men- Rechtspopulismus oder irgendetwas anderes.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10800 Plenarprotokoll 16/104

(Beifall von der CDU und der FDP) Ich will Ihnen das klar und deutlich sagen. Wir ha- ben im Laufe dieses Nachmittages an mehreren Sie sind in Ihrer Rede nicht einmal auf das Problem Punkten hier eine Rhetorik erlebt, die allenfalls dazu als solches eingegangen. Wir reden hier nicht über geeignet ist, Unterbringungsprobleme, sondern wir reden über mittel- bis langfristige Integrationsprobleme, die Sie (Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ein Beispiel bitte!) erzeugen, wenn wir die Verteilung von anerkannten Asylsuchenden in Nordrhein-Westfalen nicht in den Unfrieden zu stiften. Griff bekommen. Sie werden die Ehrenamtlichen weiter belasten, Sie werden die Erzieher weiter be- Auch Ihre Wiederholungen, dass sich unsere Kolle- lasten, Sie werden die Lehrer weiter belasten. Es gen für irgendetwas entschuldigen sollten, was gibt eine Ungleichverteilung auf dem Arbeits- und punktgenau formuliert worden ist, machen die Situa- Ausbildungsmarkt. Das kriegen Sie nicht in den tion letztlich nicht besser. Ich hier ganz deutlich sa- Griff. gen, dass es nicht akzeptabel ist, wie Sie hier ver- sucht haben, diesen Spieß umzudrehen. Das ist in Wenn Sie nicht bereit sind, diese Probleme anzuer- keiner Art und Weise akzeptabel! – Ich danke für die kennen, diese Probleme überhaupt als Probleme zu kurze Aufmerksamkeit. verstehen, dann laufen wir hier in eine viel schwieri- gere Situation hinein, als wir sie heute noch haben. (Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den Sie haben hier in Ihrer Rede nicht einen Lösungs- PIRATEN) vorschlag vorgelegt. (Beifall von der CDU und der FDP) Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Kollege Hübner. – Jetzt hat sich für die Piratenfrak- Das gilt übrigens genauso für den Kollegen Som- tion auch noch einmal Herr Kollege Sommer ge- mer. Mein lieber Torsten, wir werden das ja noch meldet. weiter diskutieren. (Ralf Witzel [FDP]: Immer noch kein Lö- Lassen Sie mich noch ein Wort an den Kollegen sungsvorschlag!) Dr. Stamp richten, und dann bin ich auch fertig. Solch eine Debattenkultur gehört sich unter Demo- kraten nicht, das sage ich Ihnen ausdrücklich. Denn Torsten Sommer (PIRATEN): Ich bin gerade von mit so einer Debattenkultur stärken Sie andere, die Frau Scharrenbach angesprochen worden. Diesen Sie eigentlich überhaupt nicht stärken wollen. Das Populismusvorwurf können wir hier zwischen Rot ist das eine. und Schwarz hin und her werfen. Das ist mir völlig Das Zweite – damit ende ich dann auch –: Zu einer egal. Entschuldigung seitens Ihrer Fraktionskollegen ge- Ich möchte einfach klarstellen: Die Position der Pira- hört menschliche Größe. Dass die beiden darüber ten ist, dass wir keinem hier lebenden Menschen verfügen, wage ich heute zu bezweifeln. vorschreiben wollen, wie und wo er zu leben hat. (Beifall von der CDU und der FDP) Das ist für uns ein Grundpfeiler unseres politischen Daseins, und das ist extrem wichtig.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Wir möchten nicht, dass irgendwer herausgesondert Frau Kollegin Scharrenbach. Der von Ihnen ange- wird, egal, ob er SGB-II-Empfänger, Transferleis- sprochene Kollege Hübner hat sich ebenfalls noch tungsempfänger ist, ob er geduldet ist oder welche einmal zu Wort gemeldet. Bitte, Herr Kollege. Herkunft er auch immer hat. Wir maßen uns nicht an, zu bestimmen, zu sagen, wo die Gesellschaft diese Menschen hinstecken soll. Das ist für uns Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- ganz wichtig. Wir möchten wir nicht, dass über an- leginnen und Kollegen! Ich will eines noch einmal dere Menschen bestimmt wird, wie sie zu leben ha- ganz deutlich machen, Frau Scharrenbach; das ha- ben. be ich auch eingangs schon gesagt. Ich habe auf die rechtlichen Probleme bei der Auslegung der Und das ist eine ganz wichtige Geschichte. Wir Möglichkeiten hingewiesen, und zwar eindeutig – können jetzt auch nicht so tun und sagen, wir möch- Minister Ralf Jäger hat das gerade auch noch ein- ten das integrationspolitisch machen. Menschen mal getan –, nämlich dass das Ganze heute dem gleicher Herkunft haben im Ausland immer die Ten- Grunde nach formal möglich ist, Sie dann aber ent- denz, zusammenzuleben. Beispielsweise gibt es in sprechend die Restriktionen beachten müssen. In den USA genug German Towns. Nein, wir werden dem Zusammenhang habe ich sogar auf Insuffizi- so etwas nicht verhindern. Es ist nicht unsere Auf- enzen in Ihrem Text hingewiesen. gabe als demokratisches Parlament, so etwas zu tun, auch übrigens nicht als demokratisch gewählte Jetzt aber zurück zu Ihrem, wie ich finde, ungeheu- Regierung. – Danke schön. erlichen Vorwurf, dass das etwas mit Populismus zu tun haben sollte, wie Sie es uns unterstellt haben. (Beifall von den PIRATEN)

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10801 Plenarprotokoll 16/104

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr von Flüchtlingen insgesamt zu helfen. Denn der Kollege Sommer. – Meine Damen und Herren, wei- Eingriff in Eigentumsrechte ist immer sehr schwer- tere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schlie- wiegend. ße die Aussprache. Beschlagnahmungen dürfen nur dann erfolgen, Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat emp- wenn es eine ausdrückliche Notsituation gibt. Au- fiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache ßerdem muss es unter dem Vorbehalt der Verhält- 16/10792 an den Ausschuss für Kommunalpoli- nismäßigkeit und des Verhältnismäßigkeitsgrund- tik – federführend – sowie an den Integrations- satzes stehen. Rechtlich ist das aber – das bezieht ausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im sich dann eben auch auf Ihren Antrag – alles heute federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung schon möglich. erfolgen. Wer für diese Überweisungsempfehlung ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt Ihr Antrag ist aus unserer Sicht auch deswegen un- es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht nötig, weil wir außerdem längst sehr viele Maßnah- der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung men ergriffen haben, auf den Weg gebracht haben, einstimmig angenommen. die zur spürbaren Entlastung bei der Unterbringung Ich rufe auf: von Flüchtlingen führen werden. Wir setzen dabei auf Kooperation und Einvernehmen bei allen Betei- ligten, jetzt und vor allen Dingen auch in Zukunft. 13 Grundrecht auf menschenwürdige Wohnver- hältnisse für alle, auch für Geflüchtete: Not- Es wäre hilfreich gewesen, lieber Kollege, wenn Sie falls ungenutzten Wohnraum in Anspruch sich einmal damit auseinandergesetzt hätten, was nehmen! wir jetzt schon machen und was wir in Zukunft pla- nen. Was genau heißt das im Einzelnen? Antrag des Abg. Schwerd (fraktionslos) Wir bauen beim Thema Wohnen und Wohnungsbau Drucksache 16/10290 bürokratische Hürden im Baurecht ab, und wir Beschlussempfehlung und Bericht schaffen neuen Wohnraum. Wir schaffen neue fi- des Innenausschusses nanzielle Anreize zur Schaffung von neuem Wohn- Drucksache 16/10821 raum. Diese Landesregierung hat dafür gesorgt, dass es Ich darf folgenden Hinweis geben: Der Antrag des sehr attraktive Förderkonditionen beim Wohnungs- fraktionslosen Abgeordneten Schwerd wurde ge- bau gibt. Rot-Grün hat eine Wohnungsbauoffensive mäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b) unserer Geschäfts- hier in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht. ordnung vom Plenum an den Innenausschuss Und wie die aktuellen Zahlen mit Zuwachsraten von überwiesen mit der Maßgabe, dass eine Ausspra- 35 % und mehr zeigen, sind schon eine ganze che und Abstimmung erst nach Vorlage einer Be- Menge neue Wohneinheiten durch diese Förder- schlussempfehlung erfolgt. Beschlussempfehlung programme geschaffen worden. und Bericht des Innenausschusses liegen vor. Attraktive Förderkonditionen ermöglichen schrittwei- Dementsprechend können wir ihn heute debattie- se mehr Wohnraum – das fordern Sie auch. Sie for- ren. Und das tun wir, indem wir als erster Rednerin dern ein Wohnungsprogramm, das wir schon ha- für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Philipp das Wort ben. Alleine im Bereich der Flüchtlingsunterbringung erteilen. Das mache ich gerne. Bitte, Frau Kollegin. wurden in den letzten sechs Monaten bereits mehr als tausend Wohnungen mit insgesamt mehr als Sarah Philipp (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsi- 80 Millionen € gefördert. Insgesamt flossen allein im dent! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mei- Zeitraum seit Juni 2015 – das ist noch gar nicht so ne Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege lange her – über 230 Millionen € an Fördermitteln Schwerd! Keine Frage, die anhaltend große Zahl für Flüchtlingsunterkünfte ab. Das ist eine ganze von Flüchtlingen ist eine große Herausforderung. Menge. Die Förderprogramme tragen mit dazu bei, Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, müs- dass wir ein schnelles und auf den Bedarf ausge- sen bei uns vernünftig versorgt und untergebracht richtetes Unterstützungsangebot leisten können. werden, und wir müssen ihnen eine menschenwür- Sie fordern ein Wohnungsprogramm, Sie fordern dige Unterkunft bieten. Das ist allgemeiner Kon- auch ein Sozialprogramm in Ihrem Antrag. Da muss sens, und das gelingt uns hier in NRW auch sehr ich Ihnen sagen: Da sind Sie auch etwas spät dran. gut. Das gibt es nämlich auch schon. Das Sonderpro- Sie hingegen fordern heute in Ihrem Antrag gramm für Hilfe im Städtebau zur Integration von Zwangsmaßnahmen und Beschlagnahmungen von Flüchtlingen wird zusätzlich Städte und Gemeinden Privatimmobilien. Da sagen wir Ihnen ganz deutlich: entlasten, und wir werden dieses Programm mit Ihre Vorschläge sind aus unserer Sicht nicht dafür 72 Millionen € unterstützen. Gefördert werden dabei geeignet, um bei dem Problem der Unterbringung auch Neu- und Umbaumaßnahmen.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10802 Plenarprotokoll 16/104

Letzter Punkt zum Thema Leerstände, weil Sie das Man könnte auch von einer manieristischen Über- auch angesprochen haben: Mit der Einrichtung ei- höhung hiesiger rot-grüner Staatswohnungsbaupoli- ner Onlineplattform, die Ende letzten Jahres auf den tik sprechen, wenn diese von Rot-Grün selbst noch Weg gebracht worden ist, tragen wir, trägt das Land in dieser linken Form betrieben würde. dazu bei, gemeinsam mit den Wohnungsunterneh- men leerstehende Wohnungen an die Kommunen Im Zentrum des Antrags steht die Forderung nach zur Flüchtlingsunterbringung weiterzuvermitteln. der Beschlagnahme von Wohnraum nach dem Hier gibt es allein ein Potenzial – das hat der Minis- Hamburger und Bremer Vorbild. Hamburg und ter im zuständigen Ausschuss berichtet – an Leer- Bremen wollen als erste Bundesländer leer stehen- ständen von rund 80.000 Wohnungen. de Gewerbegebiete für Flüchtlinge beschlagnah- men. Ihr Antrag ist also insgesamt, wenn wir das zusam- menfassen, unnötig, weil Städte, Land und Ge- Zu Recht lehnt die rot-grüne Landesregierung einen meinden für Notfälle bereits alle rechtlichen Grund- solchen Schritt für Nordrhein-Westfalen ab. Baumi- lagen, rechtlichen Möglichkeiten haben, zum Bei- nister Groschek hatte bereits im vergangenen spiel wenn die Gefahr der Obdachlosigkeit drohen Herbst gesagt, dies sei weder zweckdienlich noch sollte, was zum Glück in Nordrhein-Westfalen nicht politisch vernünftig und darüber hinaus nach gelten- der Fall ist. Und das ist alles bereits heute schon der Rechtslage auch sehr fragwürdig. – Diese Hal- geregelt. Es besteht also aus unserer Sicht absolut tung teilen wir ausdrücklich. kein zusätzlicher Handlungsbedarf im Hinblick auf Zudem sind wir wie Bauminister Groschek davon das, was Sie in Ihrem Antrag fordern. überzeugt, dass es nicht leichter wird, Flüchtlinge Wenn wir die Forderung am Ende über diese recht- unterzubringen, wenn wir anfangen, Verwaltungsge- liche Neuregelung hinaus, die überflüssig ist, noch richtsverfahren zu provozieren. einmal zusammenfassen, dann komme ich zu dem Hier aber enden schon unsere Gemeinsamkeiten Schluss: Vieles lehnen wir ab, weil es unnötig ist mit der rot-grünen Landesregierung. Denn Herr Mi- und weil es insgesamt droht, die Debatte zu vergif- nister Groschek hat auch im Zusammenhang mit ten, wenn wir über diese Maßnahmen sprechen. der Ablehnung von Zwangsmaßnahmen gesagt: Wir Und anderes, was Sie fordern, machen wir schon müssen bürokratische Hürden abbauen. – Da liegt längst und gehen sogar noch weit darüber hinaus. der Unterschied zu meiner Vorrednerin. Denn dazu Deswegen ist dieser Antrag heute aus unserer Sicht müssten wir erst einmal den von Rot-Grün seit 2010 unnötig. Wir werden ihn ablehnen. – Herzlichen geschaffenen Bürokratiedschungel roden, der Dank. schon viele Investoren abgeschreckt hat. (Beifall von der SPD) (Beifall von der CDU) Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau haben hier dirigistisch bevormundende Maßnahmen Kollegin Philipp. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr stattgefunden, die potenzielle Investoren in den Kollege Hausmann. Mietwohnungsbau abschrecken. (Jochen Ott [SPD]: Schwachsinn!) *) Wilhelm Hausmann (CDU): Frau Präsidentin! Speziell für Sie, Herr Schwerd: Hier sehen Sie, Meine Damen und Herren! Das Thema Wohnungs- welch dickes Brett Sie bohren müssen, wenn Sie baupolitik hat es schwer in der Öffentlichkeit: zu viel als Linker in den ideologischen Wettbewerb eintre- fachspezifisches Detailwissen, zu viele Zahlen und ten wollen. zu wenig greifbare Erfolge. Aus diesem Nischenda- sein kommt das Thema erst in Verbindung mit dem (Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU]) Thema Flüchtlinge heraus. Wir stellen ernüchtert fest: Keine einzige sinnlose Herr Schwerd, Sie haben nun offensichtlich auch Vorschrift wurde abgeschafft. Es gibt hierfür noch mitbekommen, dass die Flüchtlingskrise auch eine nicht einmal Pläne. Herausforderung für den Wohnungsbau ist. Was Darüber hinaus wird die geplante Novellierung der Ihnen jedoch völlig fremd ist, sind geeignete Maß- Landesbauordnung zu einer Baukostensteigerung nahmen hierfür. Sie vermischen die Obergrenzen- führen. Die rot-grüne Landesregierung hat es ver- debatte mit Wohnungsbauthemen und zeichnen ein säumt, geeignete Maßnahmen zur Beschleunigung Szenario über künftige Zuwanderung nach Deutsch- des Wohnungsbaus zu ergreifen. Die wirklichen land, das aus dem Reich der Spekulation stammt. Probleme, die dem sozialen Wohnungsbau in unse- Der Ansatz, den Sie hier auf fünf Seiten verbreiten, rem Land entgegenstehen, werden von Rot-Grün blendet die fachlichen Punkte aus, über die zumin- weiter ignoriert. dest übergreifend Einigkeit besteht. Dazu gehört in erster Linie auch die Mobilisierung Sie machen vielmehr eine neue ideologische Kon- von Bauland, die bisher ausgeblieben ist. Die von kurrenz zur regierenden rot-grünen Koalition auf. Minister Groschek pauschal verkündeten landesweit

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10803 Plenarprotokoll 16/104 verfügbaren 19.000 ha Bauland sind größtenteils Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Flächen, die noch nicht einmal erschlossen sind und Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr von denen keiner weiß, in welcher Art und Weise Kollege Wedel. sie der Bauleitplanung zur Verfügung stehen sollen. Und die Erleichterungen im Baugesetzbuch durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz 2015 Dirk Wedel (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen werden auch wirkungslos bleiben, wenn sich in die- und Herren! Ich möchte mich kurzfassen. Die FDP- ser Baulandproblematik keine Lösung abzeichnet. Fraktion wird den Antrag ablehnen. Zum einen ist dieser Antrag der aktuellen Debatte Unser Vorschlag, Kosten und Nutzen bei der ener- nicht förderlich, da er Verunsicherung in der Bevöl- getischen Sanierung von Gebäuden in ein sinnvol- kerung eher schürt als vermeidet. les Verhältnis zu setzen, wurde bereits von den Fraktionen von SPD und Grünen abgelehnt. Hier sei Aber auch in rechtlicher Hinsicht trägt Ihr Vorschlag noch einmal ganz deutlich gesagt, dass dies gerade nicht, Herr Kollege Schwerd. Er verkennt vielmehr bei der Reaktivierung und bei der vorrangigen Nutz- grundlegende ordnungs- und verfassungsrechtliche barmachung von Wohnraum das Instrument der Anforderungen. Ich sage Ihnen auch, inwiefern. Wahl wäre. Denn wenn eine Immobilie nur für einen Gleichviel ob privater Wohnraum leer steht oder begrenzten Zeitraum als Überbrückung einer Be- nicht, haben Sie einen drastischen Eingriff in das darfsspitze genutzt wird, was soll dann das kom- Eigentumsgrundrecht, den Sie im Moment nur auf plette EnEV-Paket überhaupt bewirken? die ordnungsrechtliche Generalklausel stützen kön- nen, die für einen solchen Eingriff jedoch möglich- Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schwerd, erweise nicht bestimmt genug ist. wie Sie sehen, gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die dringend angepackt werden müssen. Ihre For- Selbst wenn Sie eine spezielle Rechtsgrundlage derungen gehören jedoch nicht dazu. Verstehen Sie schaffen, nehmen Sie in Person der Eigentümer meinen Redebeitrag bitte auch als Versuch, die sogenannte Nichtstörer, also Unbeteiligte, in An- Diskussion aus Ihrem ideologischen Schaulaufen spruch. Die Voraussetzungen für eine solche Inan- wieder in die Ecke der sachlichen Diskussion zu spruchnahme sind ausnehmend hoch und von der bringen. einweisenden Ordnungsverwaltung kaum zu erfül- len. Die Behörde müsste nachweisen, dass sie alles Wir lehnen Ihren Antrag ab. Mögliche so schnell wie möglich zur Abwehr der (Beifall von der CDU und der FDP) Gefahr getan hat. Praktisch formuliert: Die Beschlagnahme eines Hauses müsste die einzige noch zur Verfügung Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr stehende Möglichkeit der Gefahrenabwehr sein. Kollege Hausmann. – Für die Fraktion Bündnis Die Behörde müsste daher darlegen können, 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker. dass sie erfolglos versucht hat, den Notstand in Bezug auf Flüchtlingsunterkünfte durch den Bau, Monika Düker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Kolle- den Kauf oder die Anmietung neuer Flüchtlings- ginnen und Kollegen! Ich fühle mich nicht dazu be- unterkünfte oder durch das Aufstellen geeigneter rufen, zu später Stunde in die Tiefen der Landes- Wohncontainer zu verhindern. Außerdem müsste bauordnung einzusteigen, die Behörde dartun können, dass zunächst kom- munale Einrichtungen zur Flüchtlingsunterbrin- (Torsten Sommer [PIRATEN]: Schade!) gung eingesetzt wurden. All dies wird im Regelfall nicht gelingen. sondern möchte unsere Position zu dem Antrag vorstellen. Auch wir glauben nicht, dass wir in Nord- Der verstärkte Zustrom von Flüchtlingen ist bereits rhein-Westfalen zusätzliche rechtliche Möglichkeiten seit einiger Zeit bekannt. Auch wenn der Flücht- brauchen, Wohnraum zu beschlagnahmen, um Ob- lingszustrom in den Monaten September und Okto- dachlosigkeit von Flüchtlingen zu verhindern. Im ber 2015 noch einmal erheblich zugenommen hat, letzten Jahr haben wir es trotz der enorm steigen- werden Ordnungsbehörden nicht darlegen können, den Zahlen, die wir besonders im Herbst zu ver- erst mit dem Eintritt der „Frostperiode“ sei aufgefal- zeichnen hatten, mit einer riesigen Kraftanstrengung len, dass ankommende Flüchtlinge sachgerecht un- von Land und Kommunen geschafft, Obdachlosig- tergebracht werden müssen. Dem würde in jedem keit zu verhindern – ohne neue Gesetze. Falle entgegenzuhalten sein, dass genügend Zeit zur Verfügung stand, entweder selbst geeignete Un- Im Übrigen schließe ich mich vollumfänglich der Ar- terkünfte zu schaffen oder Dritte zu beauftragen, gumentation der Kollegin Philipp an. Es muss nicht entsprechende Unterkünfte zu schaffen bzw. an- immer alles von allen zweimal gesagt werden. Ich derweitig zur Verfügung zu stellen. stimme also der Argumentation der Kollegin voll zu. Danach lehnen auch wir den Antrag ab. In verfassungsrechtlicher Hinsicht wird mit Blick auf private Wohnungen ein vorübergehendes Verdrän- (Beifall von den GRÜNEN und der SPD) gen aus der Eigentumsposition nicht einmal

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10804 Plenarprotokoll 16/104 dadurch rechtmäßig, dass es entschädigt wird, den. Die Finanzierung umfasst bislang gerade ein- wenn andere Möglichkeiten zur Herbeiführung der mal ein Viertel der benötigten Mittel. Unterbringung zur Verfügung stehen. Beispielswei- se müssten als milderes Mittel zunächst Wohnun- Zu den Leerstandsmeldern: Das ist ein guter An- gen eingezogen werden, deren Eigentümer sich fang, aber noch besser wäre es natürlich, ihn für ei- mangels Grundrechtsfähigkeit nicht auf Art. 14 ne breitere Nutzergruppe zu öffnen. Bei der Gele- Grundgesetz berufen können. genheit möchte ich auf die Initiative „Wohnungen für Flüchtlinge e. V.“ aus Düsseldorf verweisen, ein Berücksichtigt man all dies, ist Ihr Vorschlag schlicht Beispiel unter vielen, die es geschafft haben, inner- verfassungswidrig. Daher werden wir Ihren Antrag halb von wenigen Monaten 96 Wohnungen von Pri- selbstverständlich ablehnen. – Vielen Dank. vatleuten an Flüchtlinge zu vermitteln. (Beifall von der FDP) Dieser Verein hat mich unter anderem auf unserer Helferkonferenz auf einige Probleme des Mietrechts hingewiesen. Darauf sollte man vielleicht einmal Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr achten. Ein Beispiel: Es ist derzeit nicht möglich, Kollege Wedel. – Für die Piraten spricht Herr Kolle- begrenzt für ein Jahr eine Flüchtlingsfamilie aufzu- ge Bayer. nehmen. Das geht nur in ganz wenigen Sonderfäl- len. Das ist schwer zu verstehen. Solche Erleichte- Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsi- rungen am Wohnungsmarkt sollten an dieser Stelle dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte möglich sein. Besucher am Stream! Gestern stellte hier die CDU Der Antrag selbst, zu dem ich jetzt komme, wird in Person von Ralf Nettelstroth die aus CDU-Sicht dem komplexen Problem leider nicht gerecht. Die für das Jahr 2016 entscheidende baupolitische Fra- Instrumente, die der Antrag im Beschlussteil for- ge. dert – über diesen Beschlussteil stimmen wir ja Die entscheidende Frage soll angeblich lauten: Wird ab –, gibt es alle. Sie müssen nur eingesetzt wer- es gelingen, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzie- den. Oder besser: Die Landesregierung muss da- ren? – Das war die entscheidende Frage in diesem für Sorge tragen, dass sie gar nicht erst einge- Jahr. Ich habe mich gefragt, wie mit dieser Leitfrage setzt werden müssen. Ich kann mich an dieser der dringend notwendige Wohnungsbau gelingen Stelle dem Sachverhalt aus dem Antrag anschlie- soll. Ich sage: genauso wenig wie die Integration ßen, komme jedoch zu anderen Schlussfolgerun- durch eine auf dem Papier stehende Leitkultur. gen. Ich stelle heute Abend die wirkliche baupolitische Ich komme schon länger zu dem Schluss, dass die Leitfrage für das Jahr 2016. Sie lautet: Wie schaffen Beschlagnahmungsmöglichkeiten im Sinne der wir es, die Anzahl der Wohnungen endlich für alle §§ 19 und 14 des Ordnungsbehördengesetzes zu erhöhen? – Sie sehen, auch ich rede jetzt aus Nordrhein-Westfalen ausreichen und im Einzelfall baupolitischer Sicht, wie einige meiner Vorredner. angewendet werden können und müssen. Das ha- ben wir wiederholt dargelegt. Weitere Anträge oder Letztes Jahr sprach sich Minister Groschek pau- neue Gesetze brauchen wir an dieser Stelle dafür schal gegen Beschlagnahmungen aus. Damit nicht. Es bedarf also keiner Prüfung oder Verschär- machte er es sich natürlich sehr leicht. Die Maß- fung der Beschlagnahmemöglichkeiten. nahme wäre ja nur eine Folge eines verspäteten Handelns bei der Schaffung von Unterkünften und In unserem Antrag „Aus der Vergangenheit lernen – Wohnraum. Nordrhein-Westfalen muss sich der politischen Ver- antwortung als Aufnahmeland stellen“ von Anfang Nehmen Sie Städte wie und Köln. Dort wird September machten wir wie bereits seit 2013 Vor- heute jede fünfte Turnhalle für die Unterbringung schläge, was wir in NRW tun sollten, um die Kom- von Flüchtlingen genutzt. Allein die Mieten solcher munen zu entlasten und die Schutzsuchenden und anderer temporärer Unterkünfte verschlingen menschenwürdig unterzubringen. Millionenbeträge, und das pro Halle. Dabei wissen wir, dass die Unterbringung auf dem privaten Woh- So wie sich der Antrag im Beschlussteil auf die Be- nungsmarkt in kleinen Wohneinheiten viel günstiger schlagnahmungsmöglichkeiten konzentriert, ist er ist. Dass aber insgesamt zu wenig Wohnraum be- überflüssig, weil die Instrumente längst vorhanden reitsteht, ist immer noch die Folge verfehlter Politik sind. im sozialen Wohnungsbau. Ich persönlich lehne daher den Antrag an dieser Nimmt man allein den sozialen Wohnungsbau, von Stelle ab. Abgeordnete, die es wichtig finden, dass dem alle Bewohner in Nordrhein-Westfalen genau- der Antrag noch einmal den Sachverhalt als solchen so wie die anerkannten Flüchtlinge profitieren sol- ins Plenum bringt und hier darüber debattiert wird, len, dann stellt man fest, dass die erforderlichen Mit- oder die aus Kommunen mit hohem Leerstand tel weder vom Bundesminister Schäuble noch vom kommen, werden dem sicherlich auch zustimmen Landesminister Walter-Borjans bereitgestellt wer- können oder eine Enthaltung abgeben.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10805 Plenarprotokoll 16/104

Wichtig ist: Wir müssen die langfristige Integration dass wir hier alle über dieselbe Wirksamkeit dieses vorbereiten. Dazu sind vernünftige Wohnungen nö- Instrumentes reden. tig, die jetzt endlich auch gebaut werden müssen. – Vielen Dank. Manche Bundesländer sehen diesen Verbesse- rungsbedarf in ihrem Polizeirecht. Sie haben ent- (Beifall von den PIRATEN) sprechende Gesetzgebungen auf den Weg ge- bracht. Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Mein vorliegender Antrag bezweckt, dies für NRW Kollege Bayer. – Jetzt spricht Herr Kollege zu prüfen und bei Bedarf ebenfalls anzupassen. Schwerd. Dazu habe ich das Expertengespräch im Innenaus- schuss angeregt. Leider haben sich sämtliche Frak- Daniel Schwerd (fraktionslos): Frau Präsidentin! tionen über diesen Wunsch hinweggesetzt. Mehr Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Da- noch: Man nutzte noch nicht einmal die Gelegen- men und Herren in den Netzwerken! Herr Innenmi- heit, die ja wirklich naheliegend ist, anlässlich dieses nister Jäger hat gestern hier gesagt, wir hätten die Antrages über die Unterbringung von Flüchtlingen Situation der Versorgung und Unterbringung ge- generell – zum Beispiel in Zelten, Leichtbauhallen flüchteter Menschen derzeit im Griff. Das liegt aller- und zugigen Hallen – zu sprechen. Der Antrag wur- dings nicht daran, dass das alles gerade so rei- de ohne nähere Debatte im Ausschuss abgelehnt. bungslos in unserem Land funktioniert. Das liegt an Das ist traurig. Witterungsbedingungen, die Flüchtlinge auf der Flucht derzeit aufhalten. Das liegt an den herunter- Außerdem brauchen wir langsam ein langfristiges gehenden Schlagbäumen in ganz Europa. Das liegt Konzept. Wir brauchen neuen Wohnraum in unse- am Bestechungsgeld, das Europa an die Türkei be- rem Land. Die Flüchtlinge werden so schnell nicht zahlt für das Abhalten von Flüchtlingen an deren wieder verschwinden. Und es werden in den kom- Grenze. menden Jahren jede Menge neue Flüchtlinge zu uns kommen. Verlorener umgewidmeter Wohnraum Tatsächlich hat sich gar nichts geändert. Täglich muss zurückgewonnen werden. Ein bisschen För- kommen immer noch Tausende Flüchtlinge auf den derung von privatem Wohnungsbau hilft da nicht. griechischen Inseln an. Die Fluchtursachen – der Denn was entsteht da für ein Wohnungsbau? Das Krieg, die Not – halten ungehindert an. Millionen ist ja in der Regel nicht für Flüchtlinge gedacht. Flüchtlinge stecken zurzeit in den Nachbarländern oder im Kriegsgebiet selbst fest. Bei besserer Witte- Wir müssen über sozialen Wohnungsbau nachden- rung werden die Geflohenen neue Routen finden. ken, also über Neubau von bezahlbarem, men- Und Schlepperbanden werden ein glänzendes Ge- schenwürdigem Wohnraum, der allen zur Verfügung schäft machen. steht, die ihn benötigen – auch den geflohenen Menschen, die bei uns ihre Zukunft suchen. Lang- Wir werden auch im laufenden Jahr einen Zustrom fristig brauchen wir nämlich die Zuwanderung. Und, vertriebener Menschen erleben, nur dass dann Herr Hausmann, was das Thema Zuwanderung an- sämtliche Reserven aufgebraucht sind. Die Turnhal- geht: Ich bin das Bohren dicker Bretter gewohnt. len sind voll, alle Zelte und Container sind aufge- Davor habe ich keine Angst. stellt, selbst Flugzeughangars werden mittlerweile belegt. Es gibt also keinen Grund, jetzt Entwarnung Meine Damen und Herren, das Asylrecht ist ein zu geben; vielmehr ist das ein Pfeifen im Dunkeln. Menschenrecht. Es ist keine generöse Geste, die Es ist höchste Zeit, sowohl kurzfristige Maßnahmen wir nach Belieben austeilen und widerrufen dürfen, vorzubereiten, um sie bei Bedarf ziehen zu können, sondern es ist ein Recht, auf das sich Geflüchtete als auch langfristige Maßnahmen einzuleiten. berufen können. Es gibt die Genfer Flüchtlingskon- Als kurzfristige Maßnahme, um tatsächliche Ob- vention. Die kennt keine Obergrenzen. Das ist auch dachlosigkeit abzuwenden, bietet das Polizeirecht zu gewähren, wenn es lästig, schwierig, unbequem die Möglichkeit, als Ultima Ratio ungenutzten Wohn- oder teuer ist. Die Zeit des Auf-Sicht-Fahrens, der raum in Anspruch zu nehmen. Doch funktioniert Verwaltung des Mangels ist vorbei. Wir sind ver- dieses Werkzeug im Notfall in der Praxis, gut und pflichtet, entsprechende Anstrengungen zu unter- schnell genug? nehmen und für die geflüchteten Menschen eine Zukunft zu schaffen. Da ist Ihnen nicht aufgefallen, wie widersprüchlich Ihre Reden diesbezüglich waren. Frau Philipp sagt: Lassen Sie uns bitte endlich damit beginnen. – Ja, wir haben alle Instrumente, die wir brauchen. Herzlichen Dank. Herr Hausmann sagt: Nein, das ist rechtlich frag- würdig und vor den Verwaltungsgerichten überaus schwierig. Herr Wedel weist sogar auf die Verfas- Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr sungswidrigkeit einer solchen Maßnahme hin. Also, Schwerd. – Für die Landesregierung spricht jetzt was gilt denn nun? Ich bin mir keineswegs sicher, Herr Minister Jäger.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10806 Plenarprotokoll 16/104

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: men und Herren an den Netzwerken! Die Kosten im Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gesundheitswesen steigen Jahr für Jahr. Der Frau Präsidentin! Auch wenn man sich gelegentlich stärkste Faktor dabei sind die Ausgaben für Arz- wiederholt: Was Kommunen und das Land seit Sep- neimittel. 2014 gab es einen Zuwachs von mehr als tember letzten Jahres geleistet haben, Obdachlo- 10 %. Im Zeitraum von Januar bis September 2015 sigkeit zu verhindern, war großartig. Das ist uns ge- betrug der Ausgabenanstieg allein in diesem Be- lungen, weil wir mit kreativen Ideen und auch mit reich 1,3 Milliarden €. unkonventionellen Maßnahmen jedem Flüchtling ein Dach über dem Kopf haben organisieren können. Diese Kostensteigerungen sind es, die die Beiträge zu Krankenversicherungen immer weiter ansteigen Solche Anträge wie die von Herrn Schwerd sind, lassen. Allerdings treffen sie nur eine Gruppe, näm- glaube ich, in einer solchen Situation eher ein Sig- lich die abhängig Beschäftigten, während die Kos- nal nach draußen, dass Menschen um ihr Eigentum tenerhöhungen auf Arbeitgeberseite eingefroren und ihren Wohnraum fürchten müssen. Sie sind auf sind. Die Arbeitnehmerseite wird einseitig mit allen diesem Weg eher kontraproduktiv. zukünftigen Steigerungen belastet. Was die rechtliche Seite angeht, ein klares Ja: Es gibt die Möglichkeit des Ordnungsbehördenrechtes, Eine solche Regelung ist „nicht gerecht“.“ Die Ar- in einem Ultima-Ratio-Fall auf eine solche Maß- beitnehmer dürfen mit den Kostensteigerungen im nahme zurückzugreifen. Dieser Antrag stellt aber Gesundheitswesen nicht alleingelassen werden“. keinen Vorschlag dafür dar, wie man gemeinsam „Es kann nicht sein, dass Arbeitnehmer alle künfti- mit den Kommunen diese Situation tatsächlich be- gen Kostensteigerungen allein tragen“ müssen. – wältigen kann. Deshalb ist es richtig – so haben Diese drei zutreffenden Aussagen sind nicht von auch die Ausschüsse gevotet –, Ihren Antrag abzu- mir. Es sind allesamt Zitate. Sie stammen von Ge- lehnen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sundheitsexperten aus den Reihen der SPD und (Beifall von der SPD) der CDU, zum Beispiel von Karl Lauterbach oder von Christian Bäumler, Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft. Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Weitere Wortmeldungen liegen Doch was für Konsequenzen werden jetzt aus die- nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zu die- sem Wissen gezogen? Keine! Die Versicherten zah- sem Tagesordnungspunkt. len seit Jahresbeginn allein die Zeche in Form von steigenden Beiträgen. Es reicht nicht aus, immer Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss nur die Lippen zu spitzen; man muss irgendwann empfiehlt in Drucksache 16/10821, den Antrag auch mal pfeifen. Deswegen habe ich diesen Antrag Drucksache 16/10290 abzulehnen. Damit kommen eingebracht. wir zur Abstimmung über den Antrag selbst. Wer ihm zustimmen möchte, den bitte ich um das Hand- „Der europäische Sozialstaat und die Zivilisiertheit zeichen. – Das ist der fraktionslose Abgeordnete unserer Städte sind Errungenschaften – so unwahr- Schwerd. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD, scheinlich und so kostbar wie Kant, Beethoven, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und die Piraten. Pascal und Mozart.“ – Das erklärte einmal der fran- Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der zösische Soziologe und Mitbegründer von Attac, Fall. Dann ist der Antrag des fraktionslosen Abge- Pierre Bordieu. Wir sind heute dabei, dieses kostba- ordneten Schwerd Drucksache 16/10290 mit dem re Erbe zu verspielen. Damit es nicht so weit festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt. kommt, haben wir gestern gegen die bedrohte Zivili- Ich rufe auf: siertheit unserer Städte – das betrifft beispielsweise Köln – einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Was aus ihm für Handlungsempfehlungen erwach- 14 Für faire Lastenverteilung in der gesetzlichen sen, werden wir sehen. Krankenversicherung: Kostenerhöhungen gerecht auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber Was aber gegen die schon viel länger anhaltende verteilen! Erosion unseres Sozialstaates gemacht werden muss, ist auch der CDU und der SPD im Grunde Antrag schon lange bekannt. Ohne eine Rückkehr zum des Abg. Schwerd (fraktionslos) System der paritätischen Finanzierung durch Ar- Drucksache 16/10780 beitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen wird die Erosion des Sozialstaates weiter voranschreiten. Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner Darin sind sich alle Experten, gleich welcher Cou- hat Herr Kollege Schwerd das Wort. leur, einig. Von diesem seit Jahrzehnten erfolgreichen Modell Daniel Schwerd (fraktionslos): Frau Präsidentin! ist ohne jede Not abgewichen worden. Diesen Feh- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Da- ler müssen wir korrigieren.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10807 Plenarprotokoll 16/104

Deswegen rufe ich alle Verantwortlichen hier auf: Nun muss ich Ihnen sagen, dass morgen im Bun- Lassen Sie Ihrer Einsicht endlich Taten folgen. desrat auf Initiative der Landesregierung NRW ge- Noch ist es dafür nicht zu spät. Wir können gemein- meinsam mit den Regierungen von Rheinland-Pfalz, sam die dafür notwendigen Schritte einleiten. Dafür , Bremen, Hamburg, Niedersachsen werden wir viele Verbündete finden. – Vielen herzli- und Thüringen ein Entschließungsantrag im Bun- chen Dank. desrat vorgelegt werden wird, wonach zukünftig eben eine solche paritätische Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge erfolgen soll. Ich hof- Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr fe sehr, dass dieser Entschließungsantrag morgen Kollege Schwerd. – Für die SPD-Fraktion spricht Zustimmung finden wird. Frau Kollegin Warden. Das ist auch der Grund, weswegen wir Ihrem An- trag hier nicht zustimmen können: Er hat damit für Marion Warden (SPD): Sehr geehrte Frau Präsi- uns seine Grundlage verloren. – Vielen Dank. dentin! Sehr geehrter Kollege Schwerd! Liebe Kol- (Zuruf von Daniel Schwerd [fraktionslos]) leginnen und Kollegen! Herr Schwerd, Sie greifen mit Ihrem Antrag eine Diskussion auf, die auch wir – Nein, es ist erledigt. Morgen ist es im Bundesrat. Sozialdemokraten als wichtig empfinden. Ich habe in mein Redekonzept eine Reihe von Punkten auf- (Beifall von der SPD) genommen, die in eine ähnliche Richtung gehen wie die, die Sie gerade genannt haben. Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Auch ich habe argumentiert, dass wir mit der Ein- Kollegin Warden. – Für die CDU-Fraktion spricht führung der gesetzlichen Sozialversicherung in den Herr Kollege Kerkhoff. 50er-Jahren und mit der paritätischen Finanzierung einen wichtigen Meilenstein gesetzt haben und dass uns viele Länder dieser Erde um dieses Modell be- Matthias Kerkhoff (CDU): Frau Präsidentin! Liebe neiden, weil sie es einfach nicht schaffen – siehe Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema „Finanzie- USA –, ein ähnlich gutes System hinzubekommen. rung der gesetzlichen Krankenversicherungen“ ist im Koalitionsvertrag der Großen Koalition im Bund Ich habe mir aufgeschrieben, dass es verschiedene Folgendes festgehalten – ich zitiere –: Gesetzgebungen gegeben hat – 2005 und 2007; ich „Der allgemeine paritätisch finanzierte Beitrags- will sie nicht näher benennen –, die zu einer lang- satz wird bei 14,6 Prozent festgesetzt, der Ar- samen, aber sicheren Aufweichung des Systems beitgeberanteil damit bei 7,3 Prozent gesetzlich der paritätischen Finanzierung geführt haben. Aber festgeschrieben.“ 2015 haben wir mit dem Finanzstruktur- und Quali- täts-Weiterentwicklungsgesetz bereits eine erste Ich sage Ihnen: Das, was dort vereinbart wurde, gilt. Korrektur vorgenommen, indem nämlich das Sys- Es gilt für diese Wahlperiode in Berlin. Deshalb geht tem des einkommensunabhängig zu erhebenden auch der Hinweis an die Kolleginnen und Kollegen Zusatzbeitrags ebenso wie der feste Sonderbeitrag von der SPD, an dieser Stelle vertragstreu zu sein. für die Arbeitnehmer in Höhe von 0,9 % durch einen einkommensabhängigen Zusatzbeitrag ersetzt wer- (Beifall von der CDU) den konnten. In der Ausschusssitzung in der vergangenen Woche Aber das macht nicht die Abkehr von der völligen hat Minister Schmeltzer bei einem anderen Thema paritätischen Finanzierung rückgängig – auch das ausdrücklich Wert darauf gelegt, vertragstreu zu sagen Sie richtigerweise –; denn die Zusatzkosten sein. Das gilt auch hier. Deshalb gibt es überhaupt werden ausschließlich durch die steigenden Beiträ- keinen Bedarf, an diesem Ort und zu diesem Zeit- ge der Arbeitnehmerschaft, auch aufgrund der de- punkt darüber zu diskutieren. Wir lehnen den Antrag mografischen Entwicklung, getragen, während der ab. – Vielen Dank. Arbeitgeberanteil bei 7,3 % eingefroren ist. Ich (Beifall von der CDU) könnte jetzt hier eine ganze Reihe von Zahlen nen- nen, aber mit Blick auf die Uhr möchte ich das nicht weiter ausführen. Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kerkhoff. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Sie fordern in Ihrem Antrag – das zitiere ich jetzt –, Grünen spricht Herr Kollege Ünal. dass wir eine Bundesratsinitiative starten bzw. un- terstützen, „nach der der einkommensabhängige Zusatzbeitrag in Zukunft nicht mehr alleine vom Ar- Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! beitnehmer getragen werden soll“. Vor wenigen Mi- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und nuten haben Sie noch gesagt, dass endlich auch Herren! Eine faire Lastenverteilung der Kosten für CDU, Grüne und SPD die entsprechenden Konse- die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversiche- quenzen daraus ziehen müssen. rung zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10808 Plenarprotokoll 16/104 mern sowie Arbeitgebern ist für uns ein wichtiges Richtung weitergehen. – Vielen Dank für Ihre Auf- Thema. merksamkeit. Eine Wiederherstellung der paritätischen Beteili- (Beifall von den GRÜNEN) gung an den Beiträgen der gesetzlichen Kranken- versicherung ist angezeigt, sonst tragen ausschließ- lich die Versicherten die Last steigender Versiche- Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr rungsbeiträge. Dabei ist die paritätische Finanzie- Kollege Ünal. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau rung ein hohes Gut, das bereits 1951 in der Finan- Kollegin Schneider. zierung der Sozialversicherungen verankert worden ist. Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Reihe gesetz- geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag licher Änderungen hat dazu geführt, dass wir heut- springt auf den SPD-Zug auf, der bereits fährt, wie zutage überhaupt keine paritätische Finanzierung wir eben gehört haben. Die SPD fordert wieder der Krankenversicherungen mehr haben. Zuerst einmal eine hälftige Finanzierung der vollständigen wurde 2015 der allgemeine Beitragssatz auf 14,6 % Beiträge durch die Arbeitgeber. Kurz vor den drei festgesetzt. Somit ist der Arbeitgeberanteil auf Landtagswahlen wird jetzt also eine Bundesratsiniti- 7,3 % festgelegt. ative auf den Weg gebracht, und das gesamte linke Lager holt wieder die alte Klamotte einer sogenann- Aber mit diesen Änderungen haben die Kassen die ten Bürgerversicherung hervor. Möglichkeit bekommen, dass sie, wenn sie mit die- sen Beiträgen nicht klarkommen, einkommensun- (Beifall von der FDP) abhängige Zusatzbeiträge erheben. Einige Kran- Das wäre aber der völlig falsche Weg. Sie wollen kenkassen haben diese Zusatzbeiträge entweder eine Einheitsversicherung. Sie wollen die noch vor- jetzt schon erhoben oder angekündigt, das zu ma- handenen Reste eines Preiswettbewerbs nivellie- chen. So gesehen ist es nicht gerecht, dass man ren, indem Sie das Preissignal eines Zusatzbeitra- einseitig die Versicherten mit diesen Zusatzbeiträ- ges verwässern. Sie wollen mit der privaten Kran- gen belastet. kenversicherung das einzige System abschaffen, Ohne diese Änderung würde die einseitige finanziel- das sich durch die Bildung von Altersrückstellungen le Belastung der Versicherten in der Zukunft zu- auf den demografischen Wandel vorbereitet. Sie nehmen; denn in den kommenden Jahren werden wollen Arbeit mehr belasten und riskieren so Be- auch die Zusatzbeiträge erheben. Der Spitzenver- schäftigung. band der gesetzlichen Krankenkassen rechnet mit (Beifall von der FDP) Zusatzausgaben von bis zu 12 Milliarden € bis 2019. Diese 12 Milliarden € müssen alleine die Ver- Sie verkennen dabei, dass Arbeitnehmer mit ihrer sicherten tragen. Das ist ungerecht. Deswegen Arbeitsleistung den gesamten Bruttolohn einschließ- muss man wieder zu der paritätischen Finanzierung lich Lohnnebenkosten erwirtschaften müssen. zurückkehren. Wenn Sie von Parität reden, vergessen Sie, dass die Beiträge von Minijobs oder die Entgeltvorzah- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits mit dem lung im Krankheitsfall auch allein von den Arbeitge- Koalitionsvertrag in NRW haben die Grünen und die bern getragen werden. SPD das Thema der gerechten und solidarischen Finanzierung der Krankenversicherung auf die Die FDP-Fraktion findet diesen Antrag populistisch. Agenda gesetzt. Hierzu gehört neben der paritäti- Ich kann ihn außerdem nicht ernst nehmen. Zu- schen Finanzierung auch die Weiterentwicklung der stimmen werden wir ihm auch nicht. – Ich danke solidarischen Krankenversicherung und Pflegever- Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. sicherung in Richtung einer Bürgerversicherung. (Beifall von der FDP) Die Landesregierung in NRW hat deshalb folgerich- tig die Forderungen nach einer fairen Lastenvertei- Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau lung bei der Finanzierung der gesetzlichen Kran- Kollegin Schneider. – Für die Piraten spricht Herr kenversicherung längst aufgegriffen und gemein- Kollege Sommer. sam mit anderen Bundesländern einen entspre- chenden Entschließungsantrag vorgelegt, wie die Kollegin Warden vorgetragen hat. Torsten Sommer (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr Damit vollzieht die rot-grüne Landesregierung einen geehrte Zuschauer und Zuschauerinnen – nicht wesentlich weitergehenden und konsequenteren mehr ganz so viele auf der Tribüne, dafür hoffentlich Schritt, als es der Herr Abgeordnete Schwerd in mehr im Stream! seinem Antrag vorgeschlagen hat. Diese parlamen- tarische Initiative ist gut gemeint, aber auch über- Lieber Daniel Schwerd, inhaltlich stimmen wir in vie- holt. Wir werden die Landesregierung natürlich bei len Dingen überein. Das einzige Problem ist: In die- der Bundesratsinitiative unterstützen und in diese sem Antrag wird gefordert, die Landesregierung zu

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10809 Plenarprotokoll 16/104 beauftragen, eine Bundesratsinitiative zu starten. Es ist trotzdem schön, dass die Zahl der Kritiker an Das haben wir jetzt schon x-mal gehört. Diese gibt der unfairen Lastenverteilung in der GKV weiter es aber dummerweise schon, und zwar mit genau wächst. Ich freue mich auch darüber, dass der eine der gleichen Zielrichtung. Es macht also keinen oder andere aus den Reihen dabei ist, die dies bis- Sinn, die Landesregierung aufzufordern, das zu tun, her nicht kritisiert haben. was sie sowieso gerade macht. Herr Kerkhoff, es ist übrigens spannend, dass Sie Ich bin gerne dabei, der Landesregierung irgend- hier sagen, das sei ein Vertragsbruch, wohingegen welche Versäumnisse vorzuhalten – davon gibt es Karl-Josef Laumann im Bund mit der CDA ganz genug –, aber gerade an dem Punkt macht es kei- massiv eine Rückkehr zur Parität fordert. Zum Glück nen Sinn, weil sie da schon unterwegs ist. Das Ein- gibt es dann wenigstens den einen oder anderen in zige, was sie bis jetzt nicht gemacht hat, ist, im der CDU, Bundesrat für eine Mehrheit zu sorgen. Das ist, glaube ich, auch relativ schwierig. (Beifall von den GRÜNEN) Herr Kollege Kerkhoff hat gerade auf Vertragstreue der die Dimension dessen, wie sich die GKV- gepocht. Ich würde übrigens darauf bestehen, dass Beiträge den letzten Jahren entwickelt haben, ver- die CDU das immer macht. Ich hatte vorhin schon steht. eine UN-Charta zu Wohnsitzauflagen zitiert. Deswegen ist es wichtig, dass wir diesen Antrag so (Vereinzelt Beifall von den PIRATEN) stellen. Er ist auf Bundesebene aus verschiedenen Gründen, nämlich wegen der Rückkehr zur Parität, Bei internationalen Verträgen pocht die CDU nicht von besonderer Bedeutung und Notwendigkeit. auf Vertragstreue. Herr Kerkhoff, Sie reden davon, dass man sich an (Matthias Kerkhoff [CDU]: Das gilt bei mir nur Verträge halten müsse. Man muss aber auch einen für Koalitionsverträge!) Blick zurückwerfen und fragen, was in den letzten Jahren passiert ist. Es gab die unterschiedlichsten – Die Vertragstreue gilt also nur für Koalitionsver- Reformen auf Bundesebene, die dazu geführt ha- träge. Ich werde nie ein Auto bei euch kaufen. ben, die Parität schrittweise auszuhebeln. Zumin- (Beifall von den PIRATEN) dest gab es dann noch ein System, in dem die ver- sicherungsfremden Kosten auf Bundesebene in ei- Lieber Daniel Schwerd, inhaltlich gehen wir d'ac- nen Fonds eingezahlt worden sind. Aber auch die cord. Es wird im Bundesrat wahrscheinlich keine vorhandenen Rücklagen und das, was eine schnelle Mehrheit dafür geben. Die Landesregierung hat sich Einführung von Zusatzbeiträgen verhindert hätte, trotzdem auf den Weg gemacht. Es wird jedoch an sind in anderer Weise verfrühstückt worden. der Blockadehaltung des großen Koalitionspartners im Bund scheitern. Auch das kann man der Landes- Der erste Punkt war, dass die Versicherungen dazu regierung schwerlich vorhalten. Daher empfehle ich, gezwungen worden sind, die Rücklagen, die sie hat- den Antrag abzulehnen, weil er leider überflüssig ten, an die Versicherten auszuschütten. ist. – Vielen Dank. Der zweite Punkt war der mehrfache Griff von (Beifall von den PIRATEN) Schäuble in diesen Fonds, um damit andere Bun- desdefizite und Löcher zu stopfen. Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Das ging zulasten der Versicherten. Deswegen sind Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht das Defizit, das Loch und die Lücke in der GKV mitt- jetzt Frau Ministerin Steffens. lerweile zu groß. Wenn wir jetzt sehen, dass mittlerweile zwei von Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, drei Krankenkassen den Zusatzbeitrag in 2016 er- Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! höhen mussten, dann wissen wir, dass wir damit am Meine Damen und Herren! Ja, der Antrag ist über- Anfang einer Erhöhungsserie stehen. flüssig. Damit will ich auch gern in das Thema ein- Erstens werden vor dem Hintergrund der demogra- steigen. fischen Entwicklung Mehrkosten auf die gesetzliche Herr Kollege, mit ein wenig Internetaffinität hätten Versicherung zukommen. Sie die Bundesratsdrucksache schon längst finden Zweitens werden vor dem Hintergrund der Refor- können. Seit dem 12. Januar sind auch schon die men, die wir gemeinsam im Bund beschlossen ha- Meldungen im Netz erhältlich, dass Reinland-Pfalz ben, die zu einer besseren Versorgung führen, die diese Initiative ergriffen hat. Sie haben Ihren Antrag Versichertenbeiträge ansteigen. viel zu spät gestellt. Er kann keine Zustimmung fin- den, weil wir dies schon lange gemeinsam mit an- Drittens werden sie ansteigen, weil wir im Bereich deren Bundesländern – Rheinland-Pfalz, Branden- der technischen Veränderungen, aber auch in der burg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Thü- medizinischen Versorgung mittlerweile Verbesse- ringen – auf den Weg gebracht haben. rungen haben, die zu erhöhten Kosten führen.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10810 Plenarprotokoll 16/104

Diese Kosten dürfen wir nicht allein den Arbeitneh- denn das für eine Argumentation? Das ist ja wohl merinnen und Arbeitnehmern, den Rentnerinnen lächerlich. und Rentnern aufbürden. An dieser Stelle kann und muss man nicht vertragstreu sein, sondern wir müs- (Ministerin Barbara Steffens: Das tut weh, sen das ändern und zur Parität zurückkehren. nicht!) (Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall – Das tut wirklich weh. Ich würde sagen: In Sachen von der SPD) Internetkompetenz könnten Sie sich auch noch et- was antun. Abschließend: Wir sollten uns alle gemeinsam da- ran erinnern, warum es die Parität in der gesetzli- Zu beurteilen, wer hier möglicherweise auf wessen chen Krankenversicherung gab und gibt. Diese Pa- Zug aufgesprungen ist, will ich mir nicht anmaßen. rität ist notwendig, damit auch die Arbeitgeber und Auf jeden Fall können Sie nicht sagen, es sei eine Arbeitgeberinnen ihre Fürsorgepflicht für die Mitar- Diskussion, die wir schon ganz lange führen, wenn beiter und Mitarbeiterinnen ernst nehmen, damit sie sie erst am 22. Januar Prävention im Betrieb implementieren und so zum (Ministerin Barbara Steffens: Nein!) Gesundheitserhalt ihrer Beschäftigten beitragen. Deswegen ist der einzig richtige Schritt eine Rück- mit der Drucksache 40/16 eingereicht worden ist. kehr zur Parität. Also: Machen Sie sich nicht lächerlich. Vielleicht können sich da auch diejenigen Damen (Ministerin Barbara Steffens: Nein!) und Herren von der CDU, die das bis heute noch nicht als notwendigen Schritt sehen, von ihren CDA- Diese Ablehnung, dass man sagt: „Wir sind dafür, Mitgliedern überzeugen lassen. Denn das ist der wir machen das sowieso; und deswegen sind wir einzig richtige Weg für die Arbeitnehmerinnen und dagegen“, ist einer der Kerngründe, warum die Leu- Arbeitnehmer, für die Rentner und Rentnerinnen in te politik- und politikerverdrossen werden. diesem Land. – Danke schön. (Ministerin Barbara Steffens: Gucken Sie sich (Beifall von der SPD und den GRÜNEN – das doch an! 12. Januar! – Zuruf von den Vereinzelt Beifall von den PIRATEN) GRÜNEN: Au!) Deswegen rate ich Ihnen: Entweder man ist für et- Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau was, dann kann man dafür stimmen. Oder man ist Ministerin Steffens. – Jetzt hat noch einmal der frak- gegen etwas, dann kann man dagegen stimmen. tionslose Abgeordnete Schwerd das Wort. (Ministerin Barbara Steffens: Ach, Herr Schwerd!) Daniel Schwerd (fraktionslos): Frau Ministerin Stef- Aber dieses aus formalen Gründen: Machen wir ja fens, ein paar Worte zu fahrenden Zügen und zu eh, damit haben wir zwar später angefangen … Internetkompetenz: (Ministerin Barbara Steffens: Nein, wir sind (Zuruf von den GRÜNEN: Haben wir Sie da weiter!) überzeugt?) – Es ist echt zu spät, wirklich. Mein Antrag datiert vom 19. Januar. (Ministerin Barbara Steffens: Ich melde mich (Ministerin Barbara Steffens: Ja!) noch mal zu Wort! Ich habe noch Zeit! Ich Ihr Antrag ist vom 22. Januar. würde gern einen Satz dazu sagen!) (Ministerin Barbara Steffens: Nein, seit dem 12. Januar ist die Diskussion dazu öffentlich!) Präsidentin Carina Gödecke: Kein Problem. – Die Ministerin spricht noch einmal für die Landesregie- – Wissen Sie, wie lange ich diese Diskussion führe? rung. (Ministerin Barbara Steffens: Das ist öffentlich seit dem 12. Januar!) Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, – Dieses Argument zieht ja nicht. Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Schwerd, zwei Sachen: Erstens. Seit dem 12. Januar ist medial öf- (Ministerin Barbara Steffens: Seit dem 12. fentlich bekannt, dass es die Initiative der Länder Januar!) gibt, diesen Antrag zu stellen. Daher geht es nicht – Die Diskussion wird seit Jahren öffentlich geführt. darum, dass wir irgendetwas abschreiben. Denn da- für haben wir Sie wirklich nicht nötig. (Ministerin Barbara Steffens: Nein, seit der Antrag öffentlich ist!) (Zuruf von Daniel Schwerd [fraktionslos]) – Sie können mir doch nicht unterstellen, dass ich Zweitens. Ihr Antrag geht gar nicht weit genug, das Ihren Antrag nicht vorausgesehen habe. Was ist ist sozusagen „Parität light“. Das ist nicht unser Stil.

Landtag 28.01.2016 Nordrhein-Westfalen 10811 Plenarprotokoll 16/104

Wir wollen eine richtige Parität herstellen. Deswe- gen gibt es einen inhaltlichen Grund. Zur Frage von Original und Plagiat gilt bei uns: Wir sind das Original. Wir haben den Antrag gemein- sam auf den Weg gebracht. Der Antrag ist weiter- gehend. Deswegen lehnt die Landesregierung Ihren Antrag auch aus inhaltlichen Gründen ab. (Zuruf von den GRÜNEN: Wir auch!) Denn die Form von Parität ist für uns keine echte Parität. (Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das bleibt auch so. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 14. Wir kommen zur Abstimmung. Herr Kollege Schwerd hat direkte Abstimmung beantragt. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist Herr Kollege Schwerd. Wer möchte dagegenstimmen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und die Piraten. – Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Ab- stimmungsergebnis der Antrag Drucksache 16/10780 von Herrn Kollegen Schwerd abgelehnt worden. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung und Sitzung an- gekommen. Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Frei- tag, den 29. Januar 2016, 10 Uhr. Ich wünsche Ihnen allen noch einen angenehmen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 18:50 Uhr

______*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht überprüft (§ 102 GeschO) Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarproto- koll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.