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1 SWR2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff Donnerstag, 25. Oktober 2012 Helden in Strumpfhosen – Kleine Geschichte der Tenöre Teil IV: Caruso in Sicht!

Indikativ

„Was hilft es mir“, seufzte , „wenn ich noch so schöne Noten schreibe und nicht die Sänger finde, die sie singen können.“ Supertenor verzweifelt gesucht – so war das damals, als Verdi sich nach langem Zögern daran machte, Shakespeares „“ zur Oper werden zu lassen. Und auch wenn er anfangs nicht daran glaubte: er hat seinen Sänger gefunden. Dass für den ein „piano“ leider „impossibile“ sei, hat Verdi seufzend vermerkt, aber da der Mensch nun schon so ein beeindruckendes Forte hatte, hat Verdi ihm gleich mal einen richtig knalligen ersten Auftritt komponiert:

CD T. 8 ausbl. ab 1’45 Verdi, Otello, Esultate Placido Domingo, Chor und Orchester der MET, James Levine RCA 5307604

Keine Frage: Das ist einer der rasantesten Opernanfänge aller Zeiten. Placido Domingo war hier der heimkehrende Feldherr, und für seine Fans ist und bleibt Domingo der beste Otello des 20. Jahrhunderts – am lautesten war allerdings mal wieder ein anderer...

CD T. 9 Mikro ab 0’46 Verdi, Otello, Esultate, Mario Del Monaco Bongiovanni GB 1160

...Da weiß man doch zumindest, was man sich unter einem „Tenore di forza“ vorzustellen hat. Mario Del Monaco, das Tier in Tenorgestalt, bei seinem rauschend umjubelten Brüllfest in Mexico City im Jahr 1951 – der Mann hatte tatsächlich eine ungeheure Konstitution und dazu

2 Stimmbänder wie Stahlseile...interessant wäre es gewesen, mal den Druck zu messen, der da in diesen Momenten in seinem Hals entstanden ist, die Stimmbänder müssen weiß geglüht haben. Im Vergleich dazu nimmt sich der Ur-Otello, der Sänger, der die Rolle im Februar 1887 aus der Taufe gehoben hat, eigentlich ziemlich bescheiden aus:

CD T. 10 ab 0’28 bis 1’12 0’45 Verdi, Otello, Esultate Francesco Tamagno Opal 5890514

...schwer vorstellbar, aber dieser Mann wurde nach seinem Vorsingen am Theater in Turin erst mal in den Chor gesteckt. Dass er sich dort eher schlecht eingefügt hat, kann man sich denken, und als man ihm dann irgendwann eine kleine Solorolle gab, hat er einfach mittendrin mal ein sattes hohes C abgesetzt, um endlich Gehör zu finden – und er wurde gehört: Francesco Tamagno wurde einer der bedeutendsten Tenöre der Operngeschichte. Nicht nur, aber vor allem, weil er Verdis erster „Otello“ war. Der, Verdi, hat wie gesagt händeringend nach einem Sänger gesucht, der diese Partie singen konnte, von der Verdi schon beim Komponieren wusste, dass es eine Mörderpartie werden würde. Mörderisch in vieler Hinsicht – man braucht unglaubliche Stimmstärke, aber eben auch eine starke Psyche, um diesen Amok laufenden Liebenden und Berserker darzustellen. Ein ganzer Kerl also wurde gesucht, und da traf es sich natürlich ganz gut, dass solche Kerle damals plötzlich verstärkt im Angebot waren. In den hundert Jahren seit dem Ende der Kastraten hat die Tenorstimme ja in der Operngeschichte wie kein anderes Stimmfach eine ziemlich rasante Entwicklung genommen – vom fast noch effeminierten Klang der französischen Haute-Contres und der leichten Rossini-Tenöre hin zum Mannsbild mit schallenden Spitzentönen und oft baritonal gefärbtem Timbre, zu robusten Stimmen, die über mehrere Stunden Hochleistungssingen abliefern mussten. Die Tessitur, also der Stimmumfang der Tenöre ist in diesen hundert Jahren um fast zwei Töne gesunken, und das Hohe C, das vor allem in Italien mehr denn je gefragt war, wurde zu einem echten Kraftakt für diese so genannten „Baritenores“. Der Otello wurde und wird fast immer von dunkler timbrierten Tenören gesungen, Francesco Tamagno allerdings, der erste Otello, war, wie man eben gehört hat, kein Baritenore, sondern hatte eine eher hell gefärbte, trompetenhaft strahlende Stimme. In den paar wenigen Aufnahmen, die er gemacht 3 hat, kann man das nur noch bedingt hören, Tamagno war da Mitte fünfzig und hatte sich wegen Herzproblemen schon von der Bühne verabschiedet – womöglich war das der „Tristan“-Effekt: Ludwig Schnorr, dem ersten Tristan, waren die extremen Anstrengungen der Partie ja auch nicht gut bekommen... Solange er aktiv war, hat Tamagno aber die einschlägigen Opernhäuser zum Wackeln gebracht mit seinem „magnificent screaming“ – so hat es George Bernard Shaw beschrieben und behauptet, überm Parkett von Covent Garden hätte der Kronleuchter gezittert bei seinen Tönen. Giuseppe Verdi selbst hat allerdings, was Tamagno angeht, durchaus seine Bedenken gehabt, der Hüne mit der Überschallstimme war ihm eigentlich zu unmusikalisch. Und ein mieser Schauspieler war Tamagno wohl leider auch, was natürlich bei einer Figur wie Otello schmerzlich ins Gewicht fällt. Aber belkantistische Raffinessen waren nun mal nicht mehr so gefragt, und Tamagnos Spitzentöne zweifellos beeindruckend, also wird er bis heute als Legende gehandelt....

CD T. 11 ab 0’19 1’40 Verdi, Otello, Ora e per sempre addio Francesco Tamagno 3371449 003

Das gellt schon prachtvoll im Ohr, was Francesco Tamagno da zu noch nicht mal seinen besten Zeiten in den Schallapparat gebrustet hat – den Schallapparat, von dem er übrigens so begeistert war, dass er ihn nach der Aufnahme umarmt hat... Beeindruckend ist das, dieses Singen, und Diktion und Phrasierung mögen makellos sein, nur: ans Herz fasst es einem irgendwie nicht. Aber er ist ja schon unterwegs, der, mit dem alles anders wird, der Mann, der wie ein Meteor in der Geschichte der Tenöre einschlug und seitdem der geltende Maßstab ist – wenn er ein „Addio“ singt, dann krampft sich uns noch hundert Jahre später das Herz zusammen, und bei ihm klang dieses „Ora e per sempre addio“, Otellos Abschied vom Ruhm, dann doch gleich ganz anders:

CD T. 12 2’20 Verdi, Otello, Ora e per sempre addio Enrico Caruso RCA 1426515

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Enrico Caruso – was wäre er für ein Otello gewesen! „Wäre“ muss man leider sagen, denn er hat die Rolle, diesen Parnass des dramatischen Tenorfachs, nie auf der Bühne gesungen. „Das beste zum Schluss“ hat er sich gedacht, und hat sich diese Partie aufgehoben, sie umkreist und sich ihr langsam genähert, aber bevor er sein erstes „Esultate“ in ein Opernhaus schmettern konnte, ist er gestorben, keine fünfzig Jahre alt. An den Folgen einer Rippenfellentzündung, ein bisschen auch an zuviel ägyptischen Zigaretten, letztlich vermutlich einfach an chronischer Überanstrengung – ein internationaler Superstar zu sein, war damals noch viel anstrengender als heute. Zu Carusos Begräbnis in Neapel waren Hunderttausende auf den Straßen, Vittorio Emmanuele, der König Italiens, hat exklusiv für ihn die königliche Basilika öffnen lassen, und auf dem Friedhof hat man ihn dann mumifiziert im Glassarkophag zum Pilgerziel gemacht, bis seine verzweifelte Witwe Dorothy acht Jahre später endlich durchsetzen konnte, dass ihr ausgestopfter Mann fortan nicht mehr öffentlich ausgestellt wurde. Es haben ja zu seinen Lebzeiten und vor allem danach Mediziner auf der ganzen Welt des Langen und Breiten über Carusos Stimmapparat und seine Physis geforscht. Man hat auch stolz ein paar Ergebnisse präsentiert, zum Beispiel, dass sein Sängerformant – abstrakter Fachbegriff, bezeichnet den Bereich, in dem sich bei einer Stimme die meiste akustische Energie konzentriert – dass also Carusos Sängerformant bei 2800 Herz lag. Und was sagt uns das? Nichts. Placido Domingo hat den gleichen Formanten – klingt er deshalb wie Caruso? Nein. Und selbst, wenn man diese einzigartigen Stimmbänder in Formalin eingelegt hätte, wenn es gelungen wäre, sie nachzubauen, abzumessen, zu klonen – niemand wird je den Zauber von Carusos Stimme dingfest machen können, denn das Singen passiert nun mal zu einem großen Teil im Kopf, Romantiker würden sagen: in der Seele. Reynaldo Hahn, der Freund Marcels Prousts, der selbst auch Sänger und Gesangslehrer war, Hahn erzählt in seinem Buch über das Singen die Geschichte des einst berühmten französischen Sängers Pierre-Jean Garat, den man als alten Mann gefragt hat, ob er noch manchmal singe, und der geantwortet hat: „Nein, das ist unmöglich; aber mein Geist singt in der Stille weiter, und ich habe niemals besser gesungen.“ Die wirklich großen Sänger bereiten sich mental auf ihre Töne vor, sie denken vorher ans Singen, aber nicht, während sie singen, und Caruso war das beste Beispiel dafür – in ihm hat das Singen einfach nie aufgehört.

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CD Caruso in Love T. 14 4’15 Donizetti, L’Elisir d’amore, Una furtiva lagrima Enrico Caruso BMG 09026 61639 2

In den zwanzig Jahren seiner Weltkarriere ist Caruso rastlos um den Globus gereist, in Wien, London, New York, Moskau oder standen sich die Leute die Beine in den Bauch an den Kartenschaltern der Opernhäuser, dazwischen hunderte von Konzerten pro Jahr, Plattenaufnahmen, Interviews, Empfänge – Caruso war ein globales Massenphänomen, und ist das bis heute geblieben. Seinen Namen kennt immer noch fast jedes Kind, weil er synonym für das Singen schlechthin steht – aber im Unterschied zu vielen Medienhypes, die seitdem so aufgekommen sind, ist der Aufruhr um sein Singen gerechtfertigt, denn seine Stimme war einzigartig. „Dunkelroter Samt“, „Altes Gold“, „Schokoladentenor“ – es gibt hunderte von Versuchen, diese Stimme zu beschreiben, und es gab immer wieder Anläufe, Carusos Technik zu ergründen, aber, schreibt sein Sohn Enrico Caruso Junior, selber Sänger: „So wie seine Stimme einzigartig war und sich keiner Analyse öffnete, so war es auch seine Technik. Sie war das Produkt einer Kehle, die vollkommen frei war von Einengung oder Stress, und seine vokale Linie ruhte nicht auf muskulärer Stütze, sondern auf einer Säule aus Luft.“ - „Wer hat sie zu mir geschickt – Gott?“, fragte Giacomo Puccini, als Caruso ihm vorsang... Dabei nannten sie ihn in seinen Anfangstagen in Neapel tatsächlich den „kaputten “. Caruso kam aus einfachen Verhältnissen, 1873 ist er in Neapel zur Welt gekommen, als eins von sieben Kindern, von denen die wenigsten überlebt haben. Schule gab es ein bisschen, aber nicht allzu viel, immerhin war Zeit für den Kirchenchor, dort fiel Errico, wie er damals noch neapolitanisch hieß, angenehm auf, und nach dem Stimmbruch hat er alles in Bewegung gesetzt, um Gesangsunterricht zu bekommen. Leisten konnte er sich den nicht, und der Lehrer, bei dem er landete, hat sich schadlos gehalten, indem er ihn einen Vertrag unterschreiben ließ, dass von jeder späteren Auftrittsgage 25 % an ihn abfließen müssten. Caruso hat sich später per Gerichtsurteil aus dem sittenwidrigen Vertrag abgeseilt. Der Gesangslehrer war aber nicht bloß gierig, er war schlecht. Er erklärte Caruso, seine Stimme sei mäßig erfolgversprechend, und er solle damit um Gottes Willen bloß kein Forte singen. Also mulmte der Anfänger sich con sordino durch seine ersten Auftritte und hieß fortan „Der kaputte Tenor“. Weil die Gagen so niedrig waren und so viel davon 6 an den Gesangslehrer ging, ist er zum Unterhaltungssänger geworden, der in Neapels Cafés die gerade angesagten Arien schmetterte – und dieser leicht anrüchige Odeur des Straßentenors hing ihm in dieser Stadt dann nachhaltig an: Als er Jahre später, im Ausland schon ein Star, für ein paar Auftritte nach Neapel kam, da hat ihn das hochnäsige Opernpublikum spüren lassen, dass es seine Herkunft kannte, und Caruso schwor, dass er nach Neapel nur noch zum Spaghetti-Essen kommen würde. Er hat sich dran gehalten. Aber ein Kind Neapels ist er doch geblieben. Der Dialekt in der Neapel-Schnulze „Core ngrato“, den die meisten Tenöre mangels Neapolitanertums faken müssen, war für Caruso tatsächlich die Sprache seiner Kindheit – vielleicht liegt es daran, dass ihm dieses Stück so ohne jede Künstlichkeit von den Lippen kommt....Allerdings muss man auch dazusagen, dass dieses beliebteste aller neapolitanischen Lieder zwar von einem Neapolitaner geschrieben wurde – aber Salvatore Cardillo war ein italienischer Einwanderer in New York, und sein „Core ngrato“ hat er 1911 in den USA für den da schon weltberühmten Caruso geschrieben. Das Stück „gehört“ Caruso also in jeder Hinsicht, und so singt er’s auch.

CD Caruso in Song T. 12 4’30 S. Cardillo, Core ngrato Enrico Caruso BMG 09026 61640 2

...Man beachte, wie diskret und geschmackvoll Caruso das gesungen hat – im Vergleich zu dem Rotz-und-Wasser-Geschluchze, das heutzutage bei diesem Zugabenkracher an der Tagesordnung ist...Diese Unart fing damals gerade an, sich auszubreiten, nachdem Wagner und Verdi den Ausdrucksgesang eingeführt hatten, und der hat dann im aufkommenden bei Mascagni und vor allem Puccini so richtig Fahrt aufgenommen, meistens ist er dabei missverstanden worden. Auch Caruso hat bisweilen geschluchzt – aber er hatte ein unfehlbares Gespür dafür, wann es genug war. Wenn schon spätere Sänger nicht an seine Stimme und an seine Technik herankamen – eines konnten sie von Caruso immer lernen: Stil. Er hat das Espressivo, die Glut des Ausdrucks, in den Ton gelegt und nicht in die Effekte drumherum. Mit diesem noblen, immer sehr den tatsächlichen Noten verpflichteten Gesangsstil stand er eigentlich schon zu Lebzeiten quer zur Mode der Zeit, und seine Nachfolger haben dann dem Affen Zucker gegeben: Benjamino Gigli barmte, was das Zeug hielt, er hatte dabei aber wenigstens noch diese phantastisch süße Stimme, schon schwieriger wird es von heute aus betrachtet mit Aureliano Pertile. 7 Der war immerhin der Lieblingstenor Toscaninis – seine Streicher im Orchester pflegte Toscanini anzubrüllen mit „Cantare! Cantare! Come canta Pertile!“ -, und Pertile hat nach Carusos Tod von der Mailänder Scala aus den Tenor-Thron erobert und zumindest die Europäer über den Verlust Carusos weggetröstet, obwohl er bestimmt nicht die schönste Stimme seiner Generation hatte. Aber Pertile hat das Publikum gefesselt mit einer Art von extremem Gefühlssingen, das in den kritischen Situationen seiner jeweils dargestellten Figuren dann zwar meistens in Sentimentalität abgekippt ist, aber faszinierend scheint es allemal gewesen zu sein – „Neben Schaljapin“, sagte ein Kollege, „war Pertile der größte Schauspieler-in-der-Stimme, den ich je gehört habe.“ Aber wie das oft so ist, wenn man sich von Leidenschaft besinnungslos mitreißen lässt: am Ende bleibt ein etwas schaler Geschmack...

CD Pertile T. 9 2’30 Puccini, , Ah, Manon, mi tradisce Aureliano Pertile Cedar CD 54522

Über Carusos Debüt auf einer Opernbühne im Jahr 1895 weiß man nicht viel, es war eine vermutlich zu Recht vergessene Oper aus der Feder eines gewissen Domenico Morelli; danach begann die Ochsentour durch Italiens Stadttheater – Gage: Zehn Lire pro Abend, umgerechnet etwa 2 Dollar. Irgendwann stand unten Vincenzo Lombardi am Pult, und das war ein großes Glück für Caruso, denn der war nicht bloß Dirigent, sondern vor allem Gesangslehrer – ein bedeutender Lehrer der alten Belcanto-Schule, der auch, zum Beispiel, Fernando de Lucia unterrichtete, der dann wiederum Georges Thills Lehrer wurde... Lombardi hat Carusos Stimme befreit, und mit dieser neuen Stimme ging es dann ziemlich bald nach Mailand an die Scala – im Jahr 1900 hat er dort debütiert, mit 27 Jahren. Und die Partie, in der er das bekanntermaßen anspruchsvolle Scala-Publikum sofort überzeugt hat, wurde dann für die nächsten Jahre seine Signatur-Rolle schlechthin: Rodolfo in Puccinis „Bohème“. Und doch war diese Zeit „die kritischste Periode in meiner Karriere“, wie Caruso selber später sagte. Er hatte zwar eine Stimme, aber noch keinen Namen, und war eben La Scala – das Ensemble und die Geschäftsleitung haben ihn spüren lassen, dass man sich nicht sicher war, ob er sein Geld, diesmal immerhin 50 000 Lire für die Saison, wert sein würde. Außerdem gab es da den Dirigenten unten im Graben, dem die oft mit Kopfstimme intonierten hohen Töne Carusos nicht passten. Ob er nicht das hohe C bitte ein bisschen lauter singen könne. Caruso hat ihm geantwortet, dass 8 ihm nicht danach sei, weil es nicht notwendig sei. Was damals auf dem falschen Fuß begann, wurde dann aber doch noch eine ziemlich fruchtbare, langjährige Arbeitsfreundschaft – der ungeduldige Dirigent hieß , war damals auch erst zarte 33, und die beiden haben später an der denkwürdige Aufführungen zusammen gestemmt. Was natürlich im Falle Carusos die absolut falsche Vokabel ist. Caruso „stemmte“ nicht, und wenn man ihm so dabei zuhört, wie er seine Mimi – immerhin die seinerzeit fast schon hysterisch verehrte – ansingt, wie er so seine Stimme um sie legt, als sei’s der kostbare Pelzmantel, den Rodolfo sich nicht leisten kann, dann wird auch noch etwas anderes klar: Das völlig neue Niveau, das Enrico Caruso in der Gesangskunst eingeführt hat, hatte viel mit seiner Interaktion mit anderen Sängern zu tun – alle, die ihn noch gesehen haben, schwärmen von seiner Persönlichkeit auf der Bühne, er war nicht einfach ein Belcanto-Sänger, er war ein Charakterdarsteller, und man kann sogar auf diesen immer etwas steifen Studioaufnahmen hören, wie sehr er tatsächlich in seinen Rollen aufgegangen ist, wie er Emotionen über Töne und Worte transportiert, wie er mit allen Fasern dieser zärtliche Rodolfo ist – das einzige, was stört, ist Geraldine Farrar...

CD Caruso in Love T. 6 3’40 Puccini, La Bohème, O soave fanciulla Enrico Carudo, Geraldine Farrar BMG 9026 61639 2

...Caruso als Rodolfo, in der Rolle, mit der er sie immer alle erobert hat: Der Spaßmacher, der ernst und innig werden konnte, das ewige Kind mit dem großen Herzen, ein Poet der Töne, das entsprach ja Carusos Wesen. Geraldine Farrar also war hier und in vielen, vielen Vorstellungen an der Metropolitan Opera seine Mimi – die Dame hatte zwar eine relativ große Nase, aber alles in allem war sie schon ungeheuer hübsch und dazu ungeheuer launisch, zwei Umstände, die Caruso nicht weiter verunsichert zu haben scheinen, Arturo Toscanini dagegen sehr, Toscanini hat sich bis aufs Blut mit ihr gestritten (darunter jene legendäre Szene, in der sie verlangte, er habe ihrem Tempo zu folgen, weil sie hier der Star sei, worauf Toscanini sie beschied, die Sterne seien oben am Himmel und hier unten habe sie gefälligst nach seiner Pfeife zu tanzen), nur um dann wenig später eine heiße Affäre mit ihr anzufangen. Geraldine Farrars Fanclub an der Metropolitan Opera war riesig und mächtig und hatte sogar einen eigenen Namen, „Gerryflappers“, und die gestellten Szenenfotos mit ihr als Margarethe, 9 Carmen, Elsa, Thais oder Gänsemagd sind wirklich hinreißend, aber ihr Glamour war möglicherweise doch eine Idee größer als ihre Stimme...“Die Frau war nicht, was sie hätte sein sollen“, murrte reichlich säuerlich Giacomo Puccini, nachdem er sie gehört hatte. Über Caruso hatte er auch gelegentlich zu meckern, der sei faul und entwickle sich nicht – aber seine Stimme sei nun mal leider herrlich. Dabei war Caruso alles andere als faul und hat seine Partien immer so genau gearbeitet und studiert wie niemand sonst, um dann auf sicherer Grundlage frei für Nuancen zu sein – und Puccini war natürlich grundsätzlich auch Caruso-Fan. Nachdem er ihn da in Milano im Jahr 1900 als Rodolfo gehört hatte, hätte er ihn beinahe als Cavaradossi in der römischen Uraufführung der „“ besetzt, ist dann aber im letzten Moment eingeknickt und hat auf Druck der Starsopranistin, die die Tosca sang, deren schon etwas abgesungenen Liebhaber engagiert. An Carusos Aufstieg hat das nichts geändert. Er sang in Mailand, er sang in Moskau und St. Petersburg, er sang in London und Buenos Aires – im Opernhaus von Manaus ist er allerdings nur in Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ aufgetreten, nicht in Wirklichkeit. Wirklichkeit geworden ist dann im Jahr 1903 aber endlich sein erster Auftritt an der Metropolitan Opera, und der war nicht ganz einfach: Während das Publikum alle anderen Sänger kannte und liebte und bei Auftritt, wie damals üblich, mit herzlichem Applaus begrüßt hat, hat sich für Caruso bei seinem ersten Erscheinen keine Hand gerührt. Er brauchte eine Arie – dann hatte er die New Yorker in der Tasche...

CD Enrico Caruso Vol.4 T. 14 2’00 Verdi, , Questa o quella Enrico Caruso Bayer 200 013

Nach seinem ersten „Rigoletto“ hat Caruso zwar erst mal die Erkältung flachgelegt, die Nemesis jedes Opernsängers – aber schon am übernächsten Abend ist er wieder auf der Bühne gestanden, und die Zeitungen, für die die Ereignisse im Opernhaus damals noch ein zentrales Thema waren, schwärmten immer lauter von dieser kostbaren Stimme, die ihnen da zuteil wurde: „Pur“ sei sie, „voll“, „weich“, „klar“, „flexibel“, „männlich“, „warm“... das waren so die immer wieder wiederholten Adjektive der Kritiker, das meistgebrauchte Wort allerdings war und blieb: beauty.

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CD Caruso in Ensemble T. 2 4’10 Verdi, Rigoletto, Bella figlia dell’amore Enrico Caruso, Marcella Sembrich, Gina Severina, Antonio Scotti Nimbus NI 7834

...Mit dabei hier neben der damals wahnsinnig beliebten Marcella Sembrich war auch der Bassbariton Antonio Scotti, den Caruso schon ganz lange kannte: Scotti war seinerzeit in Neapel auch Schüler seines verehrten Lehrers Lombardi gewesen – Caruso und Scotti waren dann in all den Jahren in New York dicke Freunde, beide hatten eine Schwäche für dandyhafte Outfits und neapolitanische cucina casalinga. Caruso kam allerdings auch gerade zur richtigen Zeit an die Metropolitan Opera – dort war nämlich die Stelle des Lieblingstenors vakant, seit zwei Jahre vorher Jean de Reszke abgetreten war – de Reszkes Name ist heute nur noch Opernfans geläufig, aber das ändert nichts daran, dass er der vielleicht bedeutendste Tenor vor Caruso gewesen ist: Zehn Jahre lang haben sie ihm in Amerika zugejubelt, davor zehn Jahre in London, George Bernard Shaw ist sein größter Fan gewesen. De Reszke war ein Edelmann bis in die Fußzehe, und singend muss er ein wahrer Dichter gewesen sein: die Leute haben seine immer mühelos fließende Stimme verehrt, aber vor allem seine poetische Diktion, mit der er sowohl lyrische als auch dramatische Partien gesungen hat – Wagner u n d Gounod, und vor allem als Roméo und Faust wurde er in New York dann zärtlichst geliebt. Es war die Zeit, als man die Metropolitan Opera in „Faustspielhaus“ umgetauft hat, weil alle immerzu nur diese Oper sehen wollten. Betrüblicherweise gibt es außer ein paar völlig verrauschten Mapleson-Zylindern, die bei MET-Vorstellungen mitgeschnitten wurden, keine Aufnahme von diesem großen Tenor – De Reszke hat dem Phonographen misstraut, und nachdem er zwei Aufnahmen gemacht hatte, die ihm nicht gefielen, hat er verfügt, sie sofort verschwinden zu lassen. Angeblich sind sie eingemauert worden, was ja vielleicht irgendwann mal noch Schatzsucher auf den Plan rufen wird, die sich auf die Suche nach diesem vokalen Bernsteinzimmer machen könnten...Wie auch immer, De Reszke hat dann eine Gräfin geheiratet und mit dem Singen aufgehört, als es am schönsten war, sprich: seine Stimme hat bei seinem Abtritt noch keinerlei Zeichen von Abnutzung gezeigt – diesen Zeitpunkt zu erwischen, schaffen bis heute die wenigsten...

11 Ihn also hat Caruso an der MET abgelöst, und der Gegensatz hätte größer nicht sein können: Hier der noble De Reszke aus bester polnischer Musikerfamilie, der in seiner Freizeit auf dem Landgut seiner Familie jagen ging oder Privatvorstellungen für die Queen Victoria gab – und dort Caruso, das Arbeiterkind aus der Via San Giovanello in Neapel, der als Caféhaustenor angefangen hatte und sich neben dem Singen vor allem für die richtige Zubereitung einer Spaghettisauce interessierte. Aber Edouard de Reszke, der als Bassbariton fast so bedeutend war wie sein Bruder Jean als Tenor, schrieb Caruso im Jahr 1907 eine rührende künstlerische Liebeserklärung, die das Wunder Caruso ganz gut auf den Punkt bringt: „Ich habe“, so De Reszke an Caruso, „nie in meinem Leben eine schönere Stimme gehört. Du singst wie ein Gott. Du bist ein Darsteller und ein aufrichtiger Künstler. Vor allem bist Du bescheiden und ohne Übertreibungen...Du hast Herz, Gefühl, Poesie, Aufrichtigkeit, und damit wirst Du die Welt überwältigen.“

CD T. 13 1’39 Verdi, , Di quella pira Enrico Caruso RCA 9390287

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