Magazin Der für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur

Ausgabe 5 Peutinger 49. Jahrgang / 2013 Bayerischer Monatsspiegel s 7,50 EUR s 7,50 i re p nzel i E | Postvertriebsstück 82706

Norbert Lammert: Kein Denkmalschutz für Politiker : Zukunftsvision Bayern : Teller statt Tonne Georg Fahrenschon: Nicht in fremde Kassen greifen Rainer Brüderle: Provokation Bayreuth Nikolaus Bachler: Zwillingssterne Wagner und Verdi PEUTINGER-COLLEGIUM Veranstaltungsvorschau 2013 2014

Mittwoch, 10. Juli 2013 Mittwoch, 15. Januar 2014 Prof. Dr. Hermann Scheuringer Shi Mingde Sprachwissenschaftler an der Botschafter der Volksrepublik China in Berlin Universität Regensburg

Mittwoch, 18. September 2013 Donnerstag, 30. Januar 2014 Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff General Hans-Lothar Domröse Präsident des Bundesfi nanzhofes Oberbefehlshaber über das Allied Joint Force Command Brunssum

Donnerstag, 10. Oktober 2013 Dienstag, 11. Februar 2014 Energiekonferenz Stephan Gemkow Vorstandsvorsitzender Haniel-Holding

Mittwoch, 23. Oktober 2013 Mittwoch, 12. März 2014 Peutinger-Symposium Dr. rer. pol. Kurt Bock „Made in : Urbanisierung“ Vorstandsvorsitzender BASF

Donnerstag, 7. November 2013 Donnerstag, 3. April 2014 Prof. Dr.-Ing. Hans-Peter Keitel Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl ehem. Präsident des Bundesverbandes Generaldirektor des Deutschen Museums der Deutschen Industrie (BDI)

Mittwoch, 11. Dezember 2013 Mittwoch, 4. Juni 2014 Großer Rat und Convent Dr. Christoph Franz (Jahresmitgliederversammlung) Vorstandsvorsitzender Deutsche Lufthansa AG

Alle Veranstaltungen im Hotel Bayerischer Hof/Palaishalle und Königssaal ab 18 Uhr, soweit nicht anders angegeben! Terminänderungen vorbehalten. Bitte zeitnahe Ankündigungen auf der Homepage www.peutinger-collegium.de beachten!

Impressum

Der Magazin für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft Peutinger und Kultur Bayerischer Monatsspiegel

Redaktion Herausgeber Anzeigen/Druckunterlagen Druck Peter Schmalz (Chefredakteur) Dr. Marcus D. Ernst Peter Zeck FIBO Druck- und Verlags GmbH Thomas Breitenfellner Präsident Peutinger-Collegium e.V. Pfarrer-Kneipp-Hof 8 Fichtenstraße 8 Michael Weiser 96049 Bamberg 82061 Neuried Farchanter Straße 35 Verlag/Gestaltung/Realisierung Tel.: 0951/530 61 Tel.: 089/30 79 97 0 D-81377 München NBB Kommunikation GmbH Fax: 0951/530 41 info@fi bodruck.de [email protected] Ridlerstraße 33 [email protected] www.fi bodruck.de Leserbriefe an die Redaktion 80339 München [email protected] Bezugspreis ist im www.nbbkommunikation.de Mitgliedsbeitrag enthalten

2 Der Peutinger 5 / 2013 VORWORT

„Das Peutinger-Collegium ist ein starkes Stück Bayern, ich danke Ihnen für Ihr Engagement“: Bayerns Minister- präsident Horst Seehofer bei den Peutingern, begrüßt und begleitet von Peutinger-Präsident Marcus Ernst (li.) und Präsidiumsmitglied Robert Salzl. Mehr über den Abend im Münchner Westin Grand auf den Seiten 10 bis 12.

Hohe Zeit der Demokratie In wenigen Wochen, zum Ausklang des Sommers, nach dem Abgang von OB Ude das Münchner Rat- beginnt eine hohe Zeit der Demokratie. Noch nie haus halten, oder schafft die CSU eine Sensation. zuvor konnten die bayerischen Bürger in so kurzer Und werden, zweitens, die Freien Wähler für die Zeit bei so vielen Wahlen ihre Stimme abgeben. landes- und bundesweiten Kapriolen ihres Anfüh- Das vierfache Wählen startet bereits am 15. Sep- rer Aiwanger abgestraft? tember mit der bayerischen Landtagswahl. Was Die vierte und letzte Wahl ist schließlich die vor einem Jahr, als Münchens Oberbürgermeister Europa wahl im Juni 2014. Der Europafrust ist Christian Ude auch zur Überraschung der eigenen mit Händen zu greifen. Können die Parteien Parteifreunde sich selbst zum SPD-Spitzenkandi- den Wähler nochmals begeistern, oder sinkt die daten ausrief, noch ein offenes Rennen der CSU ge- Wahlbeteiligung noch unter die blamablen 43,3 gen eine oppositionelles Dreierbündnis versprach, Prozent von 2009? Mit sicherem Gespür schwenkt hat an Spannung verloren: Ude kann kaum punk- die Bundeskanzlerin gerade vom Ruf nach noch ten, Seehofer hat gute Chancen, die CSU wieder mehr Europa ab. Die Euro- und Finanzkrise stärkt zur Alleinregierung zu führen. ganz offensichtlich die Nationen, der Kontinent Kaum anders die Lage im Bund: SPD-Kandidat sucht sich ein neues Gefüge. Die Europawahl wird Peer Steinbrück kämpft vor allem mit sich selbst, womöglich die spannendste in dem Wahl-Quartett. seiner Partei und seinem Wahlkampfteam, wäh- Einen sonnigen und erholsamen Sommer wünscht rend souverän europa- und weltweit Ihnen ihre Spur zieht. Die eigentliche Überraschung dieses Wahlkampfes um die Macht in Berlin: Die Bundeskanzlerin kann wieder auf eine Fortset- zung des schwarz-gelben Bündnisses hoffen. Im März folgt in Bayern die Kommunalwahl mit Peter Schmalz wohl nur zwei interessanten Fragen: Kann die SPD Chefredakteur

Titelseite: Neun Millionen Wähler können am 15. September über den künftigen bayerischen Landtag abstimmen. Mit dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude fordert der prominenteste bayerische Sozialdemokrat CSU-Amtsinhaber Horst Seehofer heraus.

Der Peutinger 5 / 2013 3 INHALT

AKTUELLES KULTUR

Veranstaltungsvorschau 2013 / 2014 2

Vorwort 3

Kurz gemeldet 13

Buchbesprechungen 32

POLITIK UND WIRTSCHAFT Harald Fuchs Die Kaiser-Macher 28 Kein Denkmalschutz für Politiker 5 Bücher 32 Nikolaus Bachler Zwillingssterne 33 Rainer Brüderle Provokation Bayreuth 34

Horst Seehofer Weißblau mit Goldrand 10 Kurz gemeldet 13 Hugo Müller-Vogg Die Drei von der Abzapfstelle 14 Klaus G. Förg Opas Ängste im Schützengraben 36

PEUTINGER-COLLEGIUM

Jürgen W. Falter Wählers Katze im Sack 16 Vortragsabende des Peutinger-Collegiums Werner Weidenfeld Horst Seehofer 38 Flüssig und blitzschnell 18 Georg Fahrenschon 38 Michael Stürmer Prof. Dr. h.c. Roland Berger 40 Zwei Schlüssel 20 Prof. Dr. Marion Schick 40 Ilse Aigner Teller statt Tonne 21 William E. Moeller 40 Werner Münch Verlorenes Herz 24 Peutinger-Collegium 42 Georg Fahrenschon Kein Griff in fremde Kassen 25

4 Der Peutinger 5 / 2013 POLITIK UND WIRTSCHAFT Kein Denk- malschutz für Politiker Bundestagspräsident Norbert Lammert im Peutinger-Interview über Heute-Show, europäische Kompetenzen und Religion in der Politik

„Ohne ein Grundvertrauen in die Seriosität wie in ringt die Euro-Krise mit den notwendigen die Kompetenz handelnder Personen ist ein poli- tisches System nicht funktionsfähig.“ Peutinger- BRettungspaketen einen Machtverlust für Interview zeigt sich Bundestagspräsident Norbert den Deutschen ? Bundestagspräsident Lammert, besorgt über das Ansehen der Politiker. Lammert ist seit 2005 Präsident des Deutschen Norbert Lammert widerspricht. „Die Mitwirkung Bundetags. Der CDU-Politiker wurde 1948 als des Bundestags an europäischen Entscheidungs- erstes von sieben Kindern eines Bäckermeisters prozessen wurde beachtlich gestärkt“, betont er in Bochum geboren. Als 16-Järihger trat er der Jungen Union bei, studierte Politik- und Sozial- im Gespräch mit Peutinger-Chefredakteur Peter wissenschaften und promovierte zum Thema Schmalz. Besorgt äußerte sich der CDU-Politiker „Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung“. Lammert ist seit 1980 CDU-Bun- über das schlechte Ansehen der Politiker bei den destagabgeordneter. Bürgern. © Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde

Der Peutinger 5 / 2013 5 POLITIK UND WIRTSCHAFT

getragen, dass ich mich durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in den notwendigen Maßnahmen zur Stärkung der Mitwirkung des Bun- destages an solchen europäischen Entscheidungspro- zessen in einer erfreulichen Weise unterstützt fühle. Aber um den Zusammenhang zu verdeutlichen: Schon seit der Wiedervereinigung haben wir im Grundgesetz eine verfassungsrechtliche Verpfl ich- tung der Bundesregierung zur Beteiligung des Bun- destages in allen europäischen Angelegenheiten. Wir haben seit dem Lissabon-Vertrag, also seit 2005, ein Parlamentsbeteiligungsgesetz, das diese Prozedur im Einzelnen regelt. Und wir haben in den neuen Ver- tragssystemen, auf die ich gerade im Zusammenhang mit der Euro-Dauerdiskussion hingewiesen habe, eigene gesetzliche Regelungen zur Entscheidung des © Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde Bundestages als Voraussetzung für die Legitimation An der Reichstagkuppel: Der Peutinger: In wenigen Wochen endet die der Regierung, Zusagen gegenüber anderen Ländern Norbert Lammert führt die 17. Legislaturperiode des Deutschen Bundetags. zu machen. amerikanische First Lady Was war für Sie – außer der zweimaligen Wahl DP: Der zweite ist die von Ihnen schon angespro- Michelle Obama über das eines Bundespräsidenten – das bleibende Ereignis? chene weitere Integration Europas. Führt dieser Dach des Parlamentsgebäu- Norbert Lammert: Die bleibenden Ereignisse Prozess nicht automatisch zu einem weiteren Kom- de, während ihr Ehemann erkennt man in der Regel erst deutlich später. Aber petenzverlust der nationalen Parlamente? Barack Obama bei seinem es hat in der letzten Legislaturperiode – wie in an- Lammert: Das durchgehende Kennzeichen des kürzlichen Berlin-Besuch deren übrigens auch – neben der Erledigung einer europäischen Integrationsprozesses ist die Ent- mit der Bundeskanzlerin geplanten Agenda eine Reihe von herausragenden, scheidung von Staaten – interessanterweise immer konferiert. nicht voraussehbaren Entwicklungen und die sich mehr Staaten –, Zuständigkeiten, die sie selber ver- darauf gründenden Entscheidungen gegeben. Dazu fassungsrechtlich haben, auf eine Gemeinschaft zu gehört ohne jeden Zweifel das Thema Fukushima übertragen. Sie tun dies in der Einsicht, dass sie als und die darauf begründete Entscheidung, aus der Gemeinschaft wirkungsvoller wahrgenommen wer- Nutzung der Kernenergie endgültig auszusteigen. den als je einzeln. Wenn man sich in Wahrnehmung DP: Was auch den nächsten Bundestag noch der eigenen Interessen zur Vergemeinschaftung der beschäftigen wird. Interessenvertretung entschließt, sollte man das Lammert: So ist es. Wie ja für bleibende Ent- nicht anschließend als Kompetenzverlust beklagen. scheidungen gilt, dass sie nicht nur für kurze Zeit DP: Ist es nicht eine Gratwanderung zwischen der Aufmerksamkeit und die Befassung mit dem Thema Abgabe von Kompetenzen und den notwendigen erfordern. Auch die Aussetzung der Wehrpfl icht Behalt von Zuständigkeit? war sicher ein Thema, das aus der Routine der Lammert: Selbstverständlich. Alle Vergleiche hin- Entscheidungsprozesse herausfällt. Dass uns das ken, aber das ist ein bisschen so wie Eheschließung: Dauerthema europäischer Integrationsprozess in Die fi ndet in der Regel freiwillig statt und ist mit dieser Zuspitzung einer Krisensituation in einer sehenden Auges eingegangenen wechselseitigen Reihe von Mitgliedstaaten erreichen und in Atem Kompetenzverzichten verbunden. Mich nervt ein halten würde, das war zu Beginn der Legislaturperi- bisschen diese Dauerdebatte, als fände hier etwas ode noch nicht absehbar. Unzulässiges oder Unbegreifl iches statt. In Wahrheit DP: Die Euro- und Staatsschuldenkrise hat zwei fi ndet hier statt, was im Leben ständig stattfi ndet, Aspekte. Zum einen kam das Parlament durch die nämlich die Abwägung von Interessen einschließ- eilig notwendigen Entscheidungen in Zugzwang lich der besonders wichtigen Frage, wie und wo und war nicht mehr frei in seinem Handeln. eigene Interessen in Zeiten der Globalisierung am Lammert: Im Gegenteil. Die Notwendigkeit, auf wirkungsvollsten oder gar manchmal überhaupt europäischer Ebene Entscheidungen zu treffen, für wahrgenommen werden können. die es weder konkrete Anzeichen noch vertragliche DP: Nun hören Sie aber auch die Klage, Brüssel Vorkehrungen gab, hat außer zu den kurzfristigen maße sich zu viele Kompetenzen an. Sofortmaßnahmen zur Ergänzung der vertraglichen Lammert: Dieses Argument ist ebenso unsinnig wie Rahmenbedingungen innerhalb der europäischen weit verbreitet. Brüssel maßt sich nicht Kompeten- Gemeinschaft, insbesondere im Euro-Raum geführt, zen an, sondern nimmt die Zuständigkeiten wahr, unter denen die gesetzliche Beteiligung des Par- die ihr die Mitgliedstaaten durch Verträge übertra- lamentes an diesen Entscheidungsprozessen ein gen haben. Und wo immer Zweifel daran bestehen, herausragender Einzelaspekt war. werden Gerichte, auch und besonders das Bundes- DP: Musste da nicht erst das Bundesverfassungsge- verfassungsgericht, angerufen, um zu überprüfen, ob richt dem Parlament den Weg zeigen? die Wahrnehmung einer Aufgabe den vertraglichen Lammert: Nein, aber ich habe auch öffentlich vor- Grundlagen noch entspricht oder diese überschreitet.

6 Der Peutinger 5 / 2013 POLITIK UND WIRTSCHAFT

DP: Vertrauen in den Rechtsstaat ist das Funda- DP: Bei den Politikern wäre es aber ganz besonders ment der Demokratie. Ist die sinkende Wahlbetei- wichtig, weil sie die Vertreter des Volkes sind. Der Bundestagsprä- ligung ein Zeichen dafür, dass das Vertrauen der Lammert: Völlig richtig. Deshalb fi nde ich auch sident ist protokol- Bürger in die Politik schwindet? diesen Befund alles andere als beruhigend. Man larisch nach dem Lammert: Das glaube ich nicht. Die jüngst vor- muss aber darauf aufmerksam machen, dass es sich Bundespräsidenten gestellte Bertelsmann-Studie zu diesem Thema hier nicht um eine exklusive Entwicklung in einem der ranghöchste bestreitet genau diesen Zusammenhang und macht Segment handelt, die sich von der Entwicklung in Vertreter des Staates, deutlich, dass die rückläufi ge Wahlbeteiligung, anderen Teilen der Gesellschaft unangenehm abhebt, noch vor der Bundes- die ich persönlich natürlich bedauerlich fi nde, die sondern dass leider die Politik und die Politiker kanzlerin und dem aber im internationalen Maßstab eher normal ist, als Personen in ähnlicher Weise vom allgemeinen Bundesverfassungs- eine Sonderentwicklung darstellt und dass diese Vertrauensverlust, den wir in unsere Gesellschaft in präsidenten. Er wird rückläufi ge Wahlbeteiligung nicht als allgemeine vielen Bereichen feststellen können, betroffen sind. zu Beginn jeder Legis- Abwendung von der demokratischen Verfassung in- laturperiode von den DP: Könnte der Bundestagspräsident nicht eine terpretiert werden kann. Sie ist vielmehr, jedenfalls Abgeordneten aus PR-Kampagne starten? für einen Teil der Nichtwähler, auch Ausdruck eher ihrer Mitte gewählt. Lammert: Selbst wenn er es könnte, würde er es einer Zufriedenheit als einer Unzufriedenheit mit Norbert Lammert sicher nicht tun, denn wenn es verlorenes Vertrauen den bestehenden Verhältnissen, an denen man nicht (CDU) ist seit 2005 im gibt, muss man es wieder gewinnen. Allein der glaubt, durch eigenen Beteiligung etwas verändern Amt. Von den bisher Versuch, es durch PR-Maßnahmen wieder gewinnen zu können oder zu müssen. Jedenfalls macht diese zwölf Bundestagprä- zu wollen, würden die Zweifel eher bestärken als Studie deutlich, dass in dem Untersuchungszeit- sidenten stellte die ausräumen. raum die Zustimmung zur Demokratie nicht zurück- CDU neun, die SPD gegangen, sondern gewachsen ist. Erfreulicherweise DP: Wie viel Häme und Spott verträgt eine Demo- zwei (Annemarie Ren- insbesondere in den neuen Ländern, wo wir ja in kratie? ger, ) den vergangenen Jahren doch eine Skepsis und Lammert: Sicher nicht weniger als andere politische und die CSU einen Zögerlichkeit gegenüber dem gemeinsamen Verfas- Systeme, weil zu ihrem Markenzeichen gehört, (Richard Stücklen). sungsrahmen, der seit der Wiedervereinigung gilt, dass auch Politiker in Spitzenämtern nicht unter registriert hatten. Denkmalschutz stehen. Aber richtig ist, das wird ja in Ihrer Frage angedeutet: Ohne ein Grundvertrauen DP: Eine erfreuliche Entwicklung, die aber nicht in die Seriosität wie in die Kompetenz handelnder auch den Politikern zugutekommt. Die Meinung der Personen ist weder ein politisches System auf Dauer Bürger über die Arbeit der Politiker ist nicht gerade funktionstüchtig zu halten noch ein Wirtschafts- die beste. system, noch ein Bankensystem, noch ein Arzt- Lammert: Das ist leider zutreffend. Insofern teilen Patienten-Verhältnis, noch ein Priester-Gläubigen- die Politiker das Schicksal der Journalisten, der Ban- Verhältnis. Wir könnten jetzt wieder den gesamten ker, der Manager, der Gewerkschafts- und Sportfunk- Bereich unsere Gesellschaft durchgehen, wo wir tionäre. Sagen Sie mir einen Gesellschaftsbereich, dann ähnliche Störfälle fi nden. wo es ein ungestörtes Vertrauensverhältnis gibt.

Bürgernähe im Bundestag: Parlamentspräsident Lam- mert erklärt einer Besucher- gruppe die Architektur des Reichstags und die Funktion

© Deutscher Bundestag / Katrin Neuhauser des deutschen Bundestags.

Der Peutinger 5 / 2013 7 POLITIK UND WIRTSCHAFT

DP: Die Heute-Show im ZDF ist ein Quotenrenner. verblüffend und im Übrigen eher ermutigend, dass In seiner gegenwärtig Ist sie nur ein Vergnügen oder auch Säure, die die tatsächliche Autorität von Amtsinhabern ganz 17. Legislaturperiode Vertrauen verätzt? offenkundig mindestens so sehr von den jeweiligen zählt der Bundestag Lammert: Ich sehe sie gelegentlich und fi nde sie Personen wie von den Ämtern abhängt. 620 Abgeordnete, manchmal mehr oder weniger witzig, ganz sicher DP: Wobei es einige gibt, die Autorität auch über die davon 22 Überhang- aber zulässig. Sie hält in manchen Fällen ja den Amtszeit hinaus wahren. mandate. Mit 237 realen Ereignissen den Spiegel der Satire vor. Das Lammert: Was meinen Befund bestätigt, dass Sitzen stellen CDU/ müssen wir uns schon erlauben dürfen, öffentlich- Autorität nicht allein auf Ämtern beruht und dass CSU die größte rechtliche Fernsehanstalten allemal. Manchmal umgekehrt Ämter sehr davon profi tieren, wenn die Fraktion, gefolgt von würde ich mir wünschen, dass der Ehrgeiz zur Ent- jeweiligen Amtsinhaber eine Autorität als Person SPD (146), FDP (93), wicklung origineller Formate auch für andere Tei- in das Amt mitbringen. Sie werden diese Autorität Linke (75), Grüne (68) le der politischen Berichterstattung zu beobachten häufi g nach Aufgabe des Amtes auch behalten. und einem Fraktions- wäre. losen. Der 18. Deut- DP: Birgt die Frage nach Autorität Gefahr, weil sie DP: In allen Parlamenten, nicht nur im Bundestag, sche Bundestag wird so nahe an autoritär liegt? können Sie die Klagen über die Skandalisierung der am 22. September Lammert: Nein. Mindestens nach meinem Sprach- Politik hören. gewählt, eine Woche empfi nden ist die Vorstellung, die man mit dem Lammert: Ich empfehle immer, Verallgemeinerun- nach der bayerischen Begriff autoritär verbindet, doch ziemlich weit gen zu vermeiden und will mich an diese Empfeh- Landtagswahl. entfernt von der Vorstellung, die man mit dem Be- lung auch bei dieser konkreten Frage halten. Ich griff Autorität verbindet. Ich habe einmal in einem fi nde jedenfalls auffällig und beinahe beruhigend, anderen Zusammenhang gesagt, wer Autorität qua dass der Verdacht einer regelmäßigen und vor- Amt beanspruchen muss, hat keine. Und da nimmt schnellen Skandalisierung zunehmend von renom- dann die Neigung zu, dies durch autoritäre Auftritte mierten und angesehenen Journalisten selbstkri- zu kompensieren, was im Ergebnis eine nicht oder tisch vorgetragen wird. nicht ausreichend vorhanden Autorität weiter DP: War der Fall Wulff eine Mahnung strapaziert. Lammert: Ganz offensichtlich. DP: Beim früheren deutschen Papst Benedikt XVI. Topfi t in Geist und Körper: DP: Wir haben vom Vertrauen gesprochen. Wie viel haben Sie einmal seine Festigkeit der inneren Seit 20 Jahren kämpft Nor- Autorität braucht Demokratie? Überzeugung und seine von manchen als Sturheit bert Lammert alljährlich und Lammert: Für die Demokratie gilt noch mehr gesehene Gradlinigkeit gelobt. Das klingt wie eine erfolgreich um das Goldene als für andere politische Systeme, dass zwischen Selbstbeschreibung. Sportabzeichen. Einmal Vertrauen und Autorität ein nur schwer aufl ösbarer Lammert: Wie kommen Sie auf diese Idee? nahm er sogar im Sport- Zusammenhang besteht. Denn die Autorität eines DP: Eine Festigkeit in der Überzeugung wie auch dress an einer Bundestags- Regierungschefs, eines Ministers und auch eines eine gewisse Sturheit sagt man Ihnen nach. abstimmung teil: Während Parlamentes beruht formal auf dem Wahlakt, Lammert: Na gut, gegen das, was andere einem des Joggens war er zu einer faktisch aber auf der Mandatserteilung, die durch nachsagen, ist eh kein Kraut gewachsen. Deswegen namentlichen Abstimmung den Wahlakt rechtlich erfolgt und für den rechtlich sollte man das auch besser nicht kommentieren. ins Parlament gerufen festgesetzten Zeitraum von den Wählerinnen worden. Zeit zum Umziehen und Wählern virtuell immer wieder neu bestätigt DP: War es Sturheit, als Sie Euro-Kritikern im hatte er nicht mehr. werden muss. Deswegen fi nde ich es auch nicht Bundestag zum Rederecht verholfen haben? Lammert: Nein, Verfassungstreue. Ich habe die damalige Debatte als absurd empfunden: Dass Kol- leginnen und Kollegen, die nach ihrer sorgfältigen Prüfung der Entscheidungssachverhalte zu einer anderen Überzeugung gekommen sind als die Mehrheit ihrer jeweiligen Fraktionen, ein Rederecht im Bundestag vorenthalten werden sollte. Und wenn es denn so etwas wie originäre Aufgaben ei- nes Parlamentspräsidenten gibt, dann war das eine solche Situation. Natürlich habe ich aus meiner Sicht die Verpfl ichtung, von dieser auch Gebrauch zu machen. DP: Manche haben es als eine Sternstunde des Parlaments empfunden. Lammert: Das ist wieder eine Kommentierung, die keines zusätzlichen Kommentars durch den Betrof- fenen bedarf. DP: Sie sind bekennender Christ. Sind christliche Werte nur noch ein Randaspekt der Politik? Lammert: Nein, mein Eindruck ist, dass sie je- © Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde

8 Der Peutinger 5 / 2013 POLITIK UND WIRTSCHAFT

denfalls „in der Politik“ eine größere Rolle spielen als „in der Gesellschaft“. Jedenfalls ist es eine einigermaßen kuriose Vorstellung, einen Verände- rungsprozess, der in der Gesellschaft stattfi ndet, in der Politik nicht vorkommen lassen zu wollen. Gerade in einer demokratisch verfassten Gesell- schaft kann, soll, will und darf sich die Politik nicht von der Gesellschaft emanzipieren, sondern sie soll auf die Gesellschaft Einfl uss nehmen, so wie sie immer beeinfl ussbar sein und bleiben muss durch gesellschaftliche Veränderungen. Und wenn ich das in Relation zueinander setze – übrigens auch und gerade in meiner eigenen Partei –, dann fi nde ich bemerkenswert, wie stabil die Orientierung an christlichen Überzeugungen ist, trotz einer erkenn- bar veränderten gesellschaftlichen Wirklichkeit. DP: Angesichts dieser veränderten Realität: Wie viel Islam gehört zu Deutschland? Lammert: Gerade in jüngerer Vergangenheit hat Haitzinger Horst Karikatur: sich durch Zuwanderung das Land auch in seiner kulturellen Breite erkennbar verändert. Daraus in dem Vermitteln von relevanten wie irrelevanten Aktuell wie vor 30 Jahren: herzuleiten, der Islam gehöre heute in gleicher Sachverhalten und der Erwartung ihrer unverzügli- Mit großer Menschen- Weise zu Deutschland wie die christlich-jüdische chen Beantwortung, Reaktion, Kommentierung und kenntnis und feiner Ironie Tradition, erscheint mir ein bisschen voreilig und Schlussfolgerung entstanden ist, die auch auf den zeichnete Horst Haitzinger auch unter historisch-kulturellen Gesichtspunkten Politikbereich natürlich durchschlägt und die ich 1983 des Bürgers Qual der arg großzügig betrachtet. Aber dass die in Deutsch- im Ganzen eher unerfreulich fi nde. Wahl. Es hat seither wenig land lebenden Muslime nach unserer Verfassung verändert. DP: Die es auch schwerer macht, Relevantes von und auch nach unserem Kulturverständnis einen Irrelevantem zu unterscheiden. gleichen Anspruch auf freie Entfaltung ihrer Lammert. So ist es. Persönlichkeit einschließlich ihrer Glaubensüber- zeugung haben, das muss nun auch und gerade in DP: Was würde ein Bundestagspräsident Lammert einer christlich geprägten Tradition eine hoffentlich in der nächsten Wahlperiode anpacken? unstreitige Perspektive sein. Lammert: Die Spekulation, die der Frage zugrunde liegt, lasse ich jetzt auch einmal auf sich beruhen, DP: Könnte der nicht nur zahlenmäßig zunehmende aber ich habe in meiner zweiten Amtszeit einige Islam für die Christen ein Ansporn sein, sich wieder Aspekte unseres parlamentarischen Alltags stärker mit ihre eigenen Religion zu beschäftigen? mehrfach auch öffentlich angesprochen, die ich für Lammert: Für einen – leider kleinen – Teil der änderungsbedürftig und auch für änderungsfähig engagierten Christen lässt sich dies ja längst be- halte. Dazu gehört zum einem das immer größere obachten. Aber – und da sind wir wieder bei den Missverhältnis zwischen dem Beratungsbedarf und veränderten gesellschaftlichen Realitäten – für den der dafür verfügbaren Beratungszeit, auch zwi- größeren Teil der getauften Christen gilt, wie auch schen der Drucksachen-Produktion von Gesetzen, für den größeren Teil der bei uns lebenden Mus- Entschließungsanträgen, Berichten auf der einen lime, dass die religiöse Bindung nicht besonders Seite und Sitzungswochen und Ausschussterminen stark ausgeprägt ist. auf der anderen. Ein weiteres drängendes Thema DP: Eine Entwicklung, zu unabänderlich zu einem ist die Fragestunde, die so, wie sie sich entwickelt zunehmenden Schwund religiöser Bindung führt? hat, ganz sicher nicht zu den Glanzstücken des Lammert: Darüber will ich keine Spekulationen deutschen Parlamentarismus gehört und einer drin- anstellen. Wir haben in den vergangenen 25 Jahren genden Reform in der nächsten Legislaturperiode kurzfristig so außerordentliche Veränderungen er- bedarf. lebt, die wir noch kurz zuvor für völlig ausgeschlos- DP: Insgesamt aber, das zeigt unser Gespräch, sen gehalten haben, dass ich mir abgewöhnt habe, sehen Sie die deutsche Demokratie in einem stabilen solche Fragen vermeintlich verlässlich beantworten Zustand und blicken optimistisch in die 18. Wahlpe- zu können. riode. DP: Noch einmal zur Politik zurück: Ist Ihnen der Lammert: In diesem Raum begrüße ich in jeder Politikbetrieb zu hektisch und zu kurzfristig? Woche zwei, drei oder mehr ausländische Gäste. Lammert: Nein, auch das würde ich für ein Dabei fällt mir auf, dass die Stabilität, die demokra- unnötige Verallgemeinerung halten. Zutreffend tische Stringenz wie auch die politische Effi zienz ist allerdings, dass durch die heute verfügbaren unseres politischen Systems im Ausland wesentlich technischen Möglichkeiten der Vermittlung und höher eingeschätzt wird als von den eigenen Wäh- Verarbeitung von Informationen eine Kurztaktigkeit lerinnen und Wähler.

Der Peutinger 5 / 2013 9 POLITIK UND WIRTSCHAFT Weißblau mit Goldrand Perspektiven für Bayern: Solide Finanzen und Kraft zur Zukunft

Horst Seehofer

ayern liegt im Herzen Europas, doch hört man die Nachrichten aus den Ländern Bringsum und sieht die Lage in Bayern, dann scheinen dies Berichte aus zwei verschie- denen Welten zu sein: Bayern als eine Oase, um uns herum nur Krise und Depression. Wobei eine Zahl den Unterschied besonders bedrückend zeigt: In Spanien und Griechen- land ist jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit. In Bayern ist es nur jeder dreißigste.

10 Der Peutinger 5 / 2013 „Im Wettlauf um die Zukunft müssen wir immer einen Schritt innovativer sein als andere“: Neben einem Porträt von Konrad Peutinger beschreibt Horst Seehofer, seit 2008 Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender, Bayern als eine Oase inmitten der europäischen Krise. Doch keinesfalls dürfe man sich auf dem Erreichten ausruhen: „Bayern muss auch künftig die führende Zukunftsregion sein.“

Bei manchen Problemen, die es auch bei uns noch Märkte, auf denen wir von Anfang an vorne dabei gibt, können wir ohne Übertreibung sagen: Den sein müssen. Schon heute kommen rund drei von Menschen in Bayern geht es so gut wie noch nie zu- zehn deutschen Patentanmeldungen aus Bayern, das vor. 98 Prozent der Menschen leben gerne in Bay- ist – erstmals seit 2006 – noch vor Baden-Württem- ern, mit einer jährlichen Wirtschaftsleitung von berg Platz 1 in Deutschland. Wir investieren in Bay- 35.500 Euro pro Einwohner gehört Bayern zu den ern derzeit gut 3 Prozent des BIP in Forschung und wohlhabendsten Regionen der Welt, um die Arbeits- Entwicklung und wollen dies bis 2020 auf 3,6 Pro- losenquote von nur 3,7 Prozent beneidet uns ganz zent steigern. Europa, wir haben ein Allzeithoch bei den sozialver- Bei der Wirtschaftsleistung liegt Bayern um 6 Pro- sicherungspfl ichtig Beschäftigten. Bayern ist Chan- zent über dem Vorkrisenniveau von 2008 und ist mit cenland Nr. 1! seinem starken industriellen Kern der unangefoch- Trotzdem machen sich die Menschen Sorgen. Schul- tene Wachstumstreiber in Deutschland. Dieser Spit- den- und Währungskrise sowie Abkühlung der Kon- zenplatz bedeutet Arbeitsplätze, soziale Sicherheit, junktur in vielen Ländern, harte Konkurrenz aus sozialen Wohlstand. Asien, Südamerika, Osteuropa, das alles treibt die Doch Wachstum und Wohlstand gibt es nicht zum Menschen um. Und ich kann diese Ängste gut ver- Nulltarif. Ein erfolgreiches Industrieland braucht ei- stehen. Die Frage lautet: Wovon werden wir mor- ne erstklassige Infrastruktur. gen leben, wenn China genauso gute Flugzeuge, Korea genauso gute Autos und Brasilien genauso In Baden-Württemberg führt ein Bahnhofsprojekt gute Maschinen baut? Ich sage: Wir brauchen ein zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Dort gilt: kei- neues Bekenntnis zu unserer Industrie. Wir sehen ne neuen Straßen mehr, Vorfahrt für die Ideologie. an Frankreich, wie verheerend eine Politik der De- In Berlin scheitert eine Koalition an drei Kilometern industrialisierung ist. Heute beträgt der Industrie- Stadtautobahn. Der neue Flughafen mit dem Kürzel anteil am Bruttoinlandsprodukt in Frankreich nur BER steht für „Blamage Ersten Ranges“. In Bayern noch 10 Prozent. In Deutschland ist er mit 23 Pro- sind Teile der Opposition gegen alles, was auch nur zent mehr als doppelt so hoch. nach Asphalt riecht. Einziger Beitrag zur deutschen Verkehrspolitik: fl ächendeckend innerorts Eine moderne Industrie bedeutet aber nicht nur die Herstellung hervorragender Produkte, sondern da- zu gehören neben der Werkbank auch Wissen und Die industrielle Standortqualität Wartung. Zur Spitzenqualität aus Bayern muss noch Durchschnitt der 45 einbezogenen Länder = 100 mehr der Spitzenservice aus Bayern kommen. Und 1. Schweden 138,9 wir brauchen für unsere bayerischen Unternehmen noch stärker als bisher den internationalen Markt. 2. Schweiz 135,3 Wir sind dabei schon auf einem guten Weg: Wäh- 3. Bayern 134,9 Premiumland: Der Freistaat rend die bayerischen Ausfuhren in die Eurozone 4. Dänemark 134,3 Bayern liegt mit seiner in- wegen der Schuldenkrise rückläufi g sind, sind im 5. Niederlande 132,5 dustriellen Standortqualität vergangenen Jahr die Exporte aus dem Freistaat in weltweit an dritter Stelle. die USA, nach China und nach Russland stark ge- 6. USA 131,3 Nach Schweden und der stiegen. 7. Deutschland 131,1 Schweiz und deutlich selbst Im Wettlauf um die Zukunft müssen wir immer ei- 8. Kanada 131,1 vor den USA, Kanada und nen Schritt innovativer sein als andere. Die großen 9. Australien 130,4 Japan. Das ergab kürzlich Megatrends Umwelttechnik, Mikroelektronik, Bio- eine Studie der Vereinigung 10. Japan 129,9 systemforschung, Hightech-Medizin, Elektromobi- der bayerischen Wirtschaft Quelle: VBW lität und erneuerbare Energien sind riesige neue vbw.

Der Peutinger 5 / 2013 11 POLITIK UND WIRTSCHAFT

In Europa fühlt sich Bayern Tempo 30. Im Schneckentempo ins 21. Jahrhundert, reicht über die Grenzen von Legislaturperioden hi- als Stabilitätswächter, in und rechts und links überholt uns die Zukunft – das naus. Mein Handeln heute muss auch den kommen- Deutschland als Wahrer können sich Bayern und Deutschland nicht leisten. den Generationen nutzen. Daher lautet mein großes der föderalen Selbstbe- Ziel: Bayern schuldenfrei 2030. Wir liegen damit voll So etwas ist keine Infrastrukturpolitik, sondern stimmung. Und wenn einer im Plan: Wir tilgen bis 2014 über 2,5 Milliarden Euro ein Großangriff auf unsere Arbeitsplätze. Ich las- sagt, Bayern könne in der und damit 11 Prozent unserer Schulden im allgemei- se da nicht mit mir reden: Der Top-Standort Bayern Welt durchaus auch alleine nen Haushalt. Allein damit sparen wir bis zum Jahr braucht eine Top-Infrastruktur. Deswegen sage ich bestehen, fühlen sich die 2030 fast 1,3 Milliarden Euro an Zinsen. auch: Die Pkw-Maut muss kommen. Fast überall in Bayern geschmeichelt, Europa muss für die Autobahnfahrt eine Gebühr Weniger Schulden und Zinsen ermöglichen mehr ohne gleich zu Separatisten bezahlt werden, nur nicht in Deutschland, dem eu- Investitionen. Bayern investiert in zwei Jahren über zu werden. ropäischen Transit-Land Nummer 1. Dabei herrscht 11 Milliarden Euro und liegt mit einer Investitions- hierzulande ein riesiger Investitionsstau beim Schie- quote von über zwölf Prozent weit über dem Durch- nen- und Straßenverkehr. Fast 10.000 Kilometer schnitt der westlichen deutschen Flächenländer mit Bundesfernstraßen sind dringend sanierungsbedürf- nur 9,9 Prozent. Kein anderes Bundesland kann nur tig. Es wird höchste Zeit für eine Grundsatzentschei- annähernd mit dieser Finanzpolitik Schritt halten. dung zugunsten der Infrastruktur. Das heißt: Wir Solide, dynamisch, bayrisch! Das ist Generationen- brauchen die Pkw-Maut. gerechtigkeit! Wir in Bayern tilgen, wo andere neue Schulden machen. Und wir investieren mit unserer Dabei bedeutet Infrastruktur immer auch IT-Infra- Strategie „Aufbruch Bayern“ wie kein anderes Land struktur. Mit unserer Strategie „Bayern digital“ für eine gute Zukunft. wollen wir zusammen mit den bayerischen Unter- nehmen alle wichtigen Zukunftsfelder digital vor- Politiker aller Parteien sind sich einig: Bildung ist anbringen – vom Lernen über Arbeiten, Mobilität, das entscheidende Ticket in die Zukunft. Während Gesundheit, Wohnen, e-Government bis zum siche- das inzwischen grün-rot regierte Baden-Württemberg ren Datenmanagement. Dafür nehmen wir bis zum an den Lehrerstellen spart, sind in Bayern Investiti- nächsten Jahr 2 Milliarden Euro in die Hand. Meine onen in die Bildung der wichtigste Schwerpunkt im Vision lautet: Bayern als führende Zukunftsregi- Staatshaushalt. Mit über 33 Milliarden Euro fl ießt on im digitalen Zeitalter. Das schnelle Internet ist in diesem und im nächsten Jahr jeweils mehr als ein Schwungrad hybrider Wertschöpfung. Drittel der gesamten Staatsausgaben in die Bildung. Konkret heißt das: 8.200 Lehrerstellen für neue Auf- Ich habe das Amt des Bayerischen Ministerpräsiden- gaben, zwölf neue Gymnasien, 17 neue Realschulen, ten in schwierigen Zeiten übernommen. Aber ich fünf neue Fachoberschulen, acht neue Berufsober- habe von Anfang an gesagt: Meine Verantwortung schulen, 48.000 zusätzliche Studienplätze alleine in dieser Legislaturperiode! Einen solchen Kraftakt für die Bildung schafft kein anderes Land. Die Zuversicht der Bevölkerung steigt Mehr für die Bildung, mehr Chancen für unsere 70 % Kinder und Jugendlichen und trotzdem weniger Schulden: Das ist Zukunft auf Bayerisch. Einer der Zuversicht größten Theologen unserer Zeit, unser emeritierter Papst Benedikt XVI., hat in seiner Enzyklika „Caritas in veritate“ geschrieben: „Das Tun ist blind ohne das „Tu felix “: Selbst der Wissen, und das Wissen ist steril ohne die Liebe.“ Hamburger Spiegel titelte so Handeln, Denken – und das Ganze immer mit aller- über das glückliche Bayern. größter Leidenschaft: Das ist das Erfolgsrezept, mit Und eine aktuelle Umfrage Beunruhigung 24 % dem Bayern den Aufstieg an die Spitze in der Welt zeigt: Die Bayern sind zufrie- geschafft hat. Und es ist ein guter Wegweiser, wie den und blicken optimistisch 2008 2009 2010 2011 2012 2013 dieser Spitzenplatz auch künftig behauptet werden in die Zukunft. Nur wenige Quelle: infratest dimap kann. sehen Grund zur Sorge.

12 Der Peutinger 5 / 2013 AKTUELLES Kurz gemeldet

Frankens Lebensader Am Main entlang führt einer der beliebtesten deutschen Radwanderwege mit Einkehrmöglichkeiten beim Bier in Oberfranken oder beim Wein in Unterfranken. Die fränkische Lebensader mit ihren zwei Quellen für den Weißen und den Roten Main bietet weit mehr. Bis zum Meer, wie die diesjährige bayerische Landesaus- stellung in der Schweinfurter Kunsthalle unter dem Titel „Main und Meer“ suggeriert. Vom Main als Arbeit- geber, als Tatort oder als Kunstschaffender fächert das Haus der Bayerischen Geschichte in elf Themengebie- te ein weites Spektrum des Flusses auf, den die Römer moenus fl uvius nannten. Er galt als „Pfaffengasse“ mit den Bischofssitzen Bamberg und Würzburg, den Klöstern Banz und Münsterschwarzach, im Mittelalter war die milde Main-Gegend eine der bevölkerungsreichsten Regionen im deutschen Reich. Die Ausstellung protzt nicht mit Prunk, sie öffnet eher den Blick auf das alltägliche Leben im Laufe der Zeit. Und zum Meer kommt der 527 Kilometer lange Main indirekt, aber dafür gleich zweifach: Über seinen natürlichen Weg in den Rhein hinein zur Nordsee und durch den Rhein-Main-Donaukanal zum Schwarzen Meer. „Main und Meer“, Kunsthalle Schweinfurt, bis 13. Oktober. ½

Fachkräfte heiß begehrt In Bayern geht die Arbeit auch künftig nicht aus. Im Gegenteil, schon 2020, also in nur sieben Jahren, wer- den 20 000 Fachkräfte fehlen, 2035 werden es sogar 620 000 sein. Das ergab eine Prognos-Studie im Auf- trag der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw). Vor allem Hochqualifi zierte, egal ob mit Hochschul- abschluss oder berufl icher Bildung, werden rar sein, betont vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Jeder Ingenieur oder Mathematiker, jeder Arzt und jede Pfl egekraft wird einen Arbeitsplatz fi nden. Dennoch wird die Zahl der Arbeitssuchenden von derzeit 200 000 nur auf 150 000 zurückgehen. Die Gründe: Weite- rer Strukturwandel in manchen Regionen und steigende Arbeitslosigkeit in einigen Branchen wie Gastge- werbe oder Sprach- und Kulturwissenschaften. ½

Kein Bock auf Nullbock Die Jugend rebelliert in Brasilien und in der Türkei, mit dem arabischen Frühling hat sie arabische Diktato- ren gestürzt. Doch die junge Generation in Deutschland ist von Rebellion weit entfernt. Eine Infratest-Studie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung brachte jüngst das überraschende Ergebnis: Bei 16- bis 29-jähri- gen Deutschen stehen traditionelle Werte hoch im Kurs. Nach Freiheit, dem höchsten Gute mit 97 Prozent, folgen Respekt (95), Ordnung (93), Sicherheit (95) und Leistung (92). Mit 91 Prozent liegen Stabilität und Leistung gleichauf, 85 Prozent nennen sich bürgerlich, 57 Prozent wirtschaftsnah. Ein völlig anderer Main- stream als die Nullbock-Ära der 80er-Jahre, kommentierte Bundesfamilienministerin Christina Schröder. Dazu passt, dass die junge Generation das Leistungsprinzip bevorzugt: 84 Prozent wollen staatliche Unter- stützung nur denjenigen geben, die bereit sind, dafür auch etwas zu leisten. ½

Regenten-Architekt Kleine Erinnerung an eine prägende Person: Mit einer Ausstellung ehrt Bad Kissingen den großen Archi- tekten Max Littmann (1862 – 1931). Vor hundert Jahren wurde in dem unterfränkischen Staatsbad der von Littmann entworfene Regentenbau feierlich eingeweiht. Er plante auch Kurhausbad, Wandelhalle, Quellen- bau sowie die Kuranlagen und festigte damit Kissingens Ruf als Weltbad. Der gebürtige Chemnitzer war ein Stararchitekt seiner Zeit, mit seiner Mischung aus Barock, Jugendstil, Renaissance und Klassik prägte er vor allem das architektonische Gesicht Münchens. Er schuf das Prinzregententheater und das staatliche Hofbräuhaus, entwarf das Kaufhaus Oberpollinger und baute das Hotel Vierjahreszeiten um. Die Kammer- spiele tragen ebenso seine Handschrift wie das Orlandohaus am Platzl. Die Ausstellung in Alten Rathaus von Bad Kissingen ist bis 13. Oktober geöffnet. ½

Denkste: „Was könnte man wählen? SPD heißt: SPD-Politik. Mit Steuererhöhungen. Grüne heißt, SPD- Politik, aber mit starken Steuererhöhungen. CDU heißt, SPD-Politik, aber ohne Steuererhöhungen. Linkspartei heißt, SPD-Politik, aber wie anno 1950. FDP heißt, SPD-Politik, aber nur unter Protest. Piraten heißt, SPD-Politik, aber nach dem zweiten Joint.“ Kolumnist Harald Martenstein im Berliner Tagesspiegel über die Alternativen bei der Bundestagswahl im September. ½

Der Peutinger 5 / 2013 13 „W Die Dreivon die fl auf käme man folgendenumtreibt, dann Höhere Befund: Steuern und alle, Abgaben für Wollteund Linken. zusammenfassen, man was diese Parteien drei offenbar meisten am 14 Müller-Vogg Hugo versucht. punkten zu Steinbrück Peer SPD-Kanzlerkandidat der der mit Verpackung, Eine Steuern. höheren nach Ruf dem mit gerne Politiker linke verbinden alle für Gerechtigkeit mehr nach Versprechen Das Rot-rot-grüne Umverteiler wollen Vermögen besteuern –aber nicht eigene das der Abzapfstelle POLITIK UND WIRTSCHAFT eißiger, sparsamer und erfolgreicher sind der als Durchschnitt. men, lautet die gemeinsame Umverteilungsparole von Sozialdemokraten, Grünen er dahat, gegeben“, dem wird heißt der esin Bibel. Wer dahat, genom- dem wird Der Peutinger 5/ Peutinger Der 2013

Karikatur: Horst Haitzinger POLITIK UND WIRTSCHAFT

Neben einer Erhöhung von Einkommen- und Erb- Dasselbe gilt für Bundestagsabgeordnete. Die kom- schaftssteuer sowie einer stärkeren Belastung durch men maximal auf fast 6000 Euro „Altersentschädi- Sozialabgaben wollen die „Drei von der Abzapfstelle“ gung“ pro Monat. Auch damit wird ein Volksvertreter künftig auch das Vermögen besteuern. Dabei über- wie der CSU-Kämpe Michel Glos, der nicht mehr für bieten sie sich, wer die „Reichen“ stärker schröpft: das Parlament kandidiert, zum „Barwert-Millionär“. Die SPD will eine Ein-Prozent-Steuer auf Privat- und Nur taucht dieses Vermögen, anders als die Rückla- Betriebsvermögen, die Grünen wollen zehn Jahre gen von Handwerkern und Freiberufl ern, in keiner lang 1,5 Prozent vom Vermögen abkassieren, die Vermögensstatistik auf. Linke jährlich 5 Prozent. Ex-Politiker sind also alters-reich. Nur: Wenn’s um Die rot-rot-grünen Umverteiler setzen unverhohlen die Besteuerung von Vermögen geht, sind sie arm. Zur Bundestagwahl auf den hierzulande weit verbreiteten Neideffekt. Denn Pensionsansprüche zählen nicht zum Vermö- im September präsen- Jürgen Trittin von den Grünen will den Stichtag für gen. Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Ist es gerecht, tiert unser Autor Hugo seine Vermögensabgabe sogar „rückwirkend“ festle- einem Handwerker die Rücklagen für das Alter zu Müller-Vogg gemein- sam mit dem früheren gen, damit es sich nicht lohne, das Land zu verlas- besteuern, während das „Pensions-Vermögen“ von Po- Regierungssprecher sen. Dass „rückwirkende“ Steuern verfassungswidrig litikern oder hohen Beamten bewusst geschont wird? Uwe-Karsten Heye einen wären – den Finanzminister in spe stört das nicht. Fakten-Check zwischen Ganz abgesehen davon: Bei einer Vermögensabgabe der Kanzlerin und ihrem Strafsteuern für Reiche werden gern mit der »unge- von jährlich 1,5 Prozent schrumpft eine Million in- SPD-Herausforderer: rechten« Vermögensverteilung begründet. Doch in Steinbrück oder Merkel ? nerhalb von zehn Jahren auf gut 830 000 Euro. Da die diesen Statistiken werden Renten- und Pensionsan- Quadriga-Verlag, mickrigen Zinsen zudem besteuert werden, reichen 128 S.,12,99 E sprüche nicht berücksichtigt. Ein Selbständiger, der die Erträge nicht einmal, um das Vermögen nominal fürs Alter eine Million zurückgelegt hat, gilt mit die- zu erhalten. Zudem sinkt die Kaufkraft des Rest- sem Geldvermögen als reich; der Beamte mit hohen Vermögens bei zwei Prozent Infl ation deutlich. Wer Pensionsansprüchen, für die er keinen Cent gezahlt als Handwerker, Selbständiger oder Mittelständler hat, als arm. im Alter seinen Lebensstandard halten will, soll also Ebenfalls bei der Vermögensverteilung nicht berück- teil-enteignet werden. Nur Politiker- und Beamten- sichtigt werden die Pensionsansprüche von Politi kern. Pensionen werden geschont. So sieht sie aus, die rot- Da kommt ganz schön was zusammen. Als die SPD- grüne Umverteilungs republik. Damen Heidemarie Wieczorek-Zeul und Übrigens: Wer dem Staat mehr geben will, als er als 2009 aus dem Kabinett ausschieden, standen ihnen Steuerzahler ohnehin muss, muss nicht auf monatlich 9430 bzw. 8410 Euro an Minister-Pension einen Regierungswechsel warten oder hoffen. Dem zu. Diese Pensionsansprüche hatten damals einen Staat freiwillig mehr geben, das kann man schon „Barwert“ von 2,3 bzw. 2,1 Millionen Euro. jetzt tun. Wie das geht? Das Bundesfi nanzministe- Barwert heißt: So viel müsste man auf dem Konto rium unterhält bei der Bundesbank das Konto Nr. haben, um bis zum Ende der statistischen Lebens- 860 010 30, Bankleitzahl 860 000 00. Jeder dort Foto: Laurenze Chaperon Laurenze Foto: erwartung jeden Monat einen bestimmten Betrag eingezahlte Euro wird zur Schuldentilgung verwen- Dr. Hugo Müller-Vogg war abheben zu können. Ein Selbständiger, der im Ruhe- det, macht Mittel frei für Bildung oder Soziales. Ob Herausgbeer der FAZ und stand monatlich 8000 Euro haben will, muss vorher die Damen und Herren Steinbrück, Gabriel, Nahles, arbeitet heute als Publizist und Buchautor in Berlin, rund 2 Millionen gespart haben. Minister haben es Göring-Eckart, Trittin oder Gysi schon jemals einen u. a. als Kolumnist für BILD. da besser: Sie brauchen fürs Alter nicht zu sparen. Euro dorthin überwiesen haben? www.hugo-mueller-vogg.de

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BAUEN & IMMOBILIEN GETRÄNKE HOTEL SEAFOOD POLITIK UND WIRTSCHAFT Wählers Katze im Sack Deutsches Wahlsystem verhindert klare Mehrheiten

Jürgen W. Falter

as in Deutschland praktizierte System der personalisierten Verhältniswahl mit DErst- und Zweistimme ist nicht in der Lage, den Wählerwillen adäquat umzusetzen. Es handelt sich um einen ernsthaften Strukturmangel unseres Wahlsystems, da die Wäh- ler, überspitzt formuliert, bei ihrer Stimmabgabe koalitionspolitisch die Katze im Sack kaufen. Ein Beispiel von vielen ist die Bundestagswahl von 2005. In Umfragen direkt vor der Wahl votierten weniger als 15 Prozent der Wahlberechtigten für eine Große Koalition, jedoch fast ein Drittel für Schwarz-Gelb, immerhin ein gutes Viertel für die Fortführung von Rot-Grün. Herausgekommen ist bekanntlich, mangels Alternativen, die zweite Große Koalition. Wenn die Bürger nicht wissen, welche Regierungskoalition sie mit ihrer Stimme letztendlich ins Amt bringen, steigt Politikverdrossenheit und verschwimmen Verantwortlichkeiten sowie Zurechenbarkeiten.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der den ohne- teiensystems nur durch einen grundlegenden hin schon beträchtlichen Missmut vieler Wähler Systemwechsel hin zu einem mehrheitsver- über „die da oben“, die machten, was sie wollten stärkenden oder stärker mehrheitsbildenden und sich um die Meinungen der Wähler nicht Wahlsystem. Am erfolgversprechendsten kümmerten, weiter steigern dürfte: Die Parteien wäre der Wechsel zu einem Wahlsystem nach versprechen normalerweise vor der Wahl, was angelsächsischem Muster, also der relativen sie, wenn sie erst einmal an der Regierung sind, Mehrheitswahl in Ein-Personen-Wahlkreisen, in den seltensten Fällen halten können. Das liegt die häufi g regierungsfähige Mehrheiten für eine an einem zweiten gravierenden Strukturdefekt Partei ermöglichen. Allerdings ist dies nicht unseres Wahlsystems: Im Wahlkampf müssen immer und überall der Fall, wie uns Kanada und die Parteien, ob sie wollen oder nicht, so tun, zurzeit auch Großbritannien lehren. Zudem wäre als regierten sie nach der Wahl alleine, denn der Preis eines solchen Wahlsystems, dass kleine Nur Parteien, die sie können häufi g genug nicht wissen, wer ihr Parteien nahezu vollständig von der politischen alleine regieren, Koalitionspartner sein wird. Bestenfalls können Bildfl äche verschwinden und dass ganze Regio- darf man beim sie sagen, mit wem sie am liebsten koalieren nen parteipolitisch nur noch durch eine Couleur Wort nehmen. würden. Wegen der Koalitionskompromisse aber repräsentiert werden. werden viele ihrer Wahlversprechen uneinlösbar. Will man diesen Preis nicht zahlen, aber dennoch Insofern hatte Franz Müntefering durchaus recht einigermaßen klarere Mehrheiten haben, bietet damit, dass man die Parteien nicht wortgetreu sich das Mehrheitswahlsystem mit zwei Wahl- an dem messen dürfe, was sie vor der Wahl ange- gängen an, wie es in Frankreich praktiziert wird: kündigt hätten. Er wurde dafür heftig gescholten, In der ersten Runde sind die Bewerber gewählt, doch in meinen Augen ist dies ein geradezu be- die in ihrem Wahlkreis mehr als 50 Prozent der drohlicher Mangel unseres Wahlsystems, durch abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben; den die Parteien- und Politikerverdrossenheit in in den restlichen Wahlkreisen wird ein oder periodischen Abständen unaufhaltsam weiter zwei Wochen später in einer Stichwahl unter den gesteigert wird. Er resultiert aus der Kombination stärksten Bewerbern derjenige gewählt, der eine der Effekte eines Fünf-Kräfte-Parteiensystems relative Stimmenmehrheit erzielt. Der Vorteil und der Verhältniswahl. Nur Parteien, die alleine dieses Wahlsystems gegenüber der relativen regieren können, darf man beim Wort nehmen. Mehrheitswahl besteht darin, dass Parteien zwi- Beseitigt werden können diese Strukturdefekte schen den Wahlgängen Bündnisse zur Unterstüt- unter den gegebenen Umständen eines Vielpar- zung der jeweils aussichtsreicheren Kandidaten

16 Der Peutinger 5 / 2013 POLITIK UND WIRTSCHAFT

abschließen können. Dadurch wird es möglich, und damit einen klaren Regierungsauftrag Huch, was haben wir auch Kandidaten kleinerer Parteien zur Wahl erhalten. denn da gewählt: Das zu verhelfen, indem die größere Partei darauf Wahlsonntag erzwingt oft Der Bundestag könnte das Bundeswahlgesetz mit verzichtet, in einem aussichtsreichen Wahlkreis überraschende Koalitionen. einfacher Mehrheit ändern Doch die Einführung einen eigenen Kandidaten aufzustellen. eines Mehrheitswahlrechts nach britischem Mus- Eine dritte Variante schließlich bestünde in der ter dürfte schon deshalb aussichtslos sein, weil Einführung eines sogenannten Grabenwahlsys- sich mit dem Argument, damit würden die gro- tems, wie es in verschiedenen Staaten praktiziert ßen Parteien versuchen, die kleinen zu eliminie- wird. Das Grabenwahlsystem hätte den Charme, ren, ein Sturm öffentlicher Entrüstung erheben dass unser gewohntes System von Erst- und würde. Zudem sind im kollektiven Gedächtnis Zweitstimme beibehalten werden könnte und der SPD Erfahrungen aus dem Kaiserreich tief lediglich die Aufrechnung der durch die Erst- verankert, wonach Mehrheitswahlsysteme in- stimme gewonnenen Direktmandate gegenüber klusive der absoluten Mehrheitswahl ungerecht den Zweitstimmen unterbliebe. Die eine Hälfte seien. Die weitaus besten Aussichten auf Realisie- der Abgeordneten würde wie gehabt in ihren rung hätte vermutlich das Grabenwahlsystem in Wahlkreisen direkt gewählt werden, die andere der oben skizzierten Art, da hier die geringsten erhielte mittels der Zweitstimme ihr Mandat. Da- Änderungen am Wahlgesetz vorzunehmen wären zwischen läge ein Graben der Nicht-Verrechnung, und die kleinen Parteien überleben könnten. daher der merkwürdig anmutende Begriff des Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Prof. Dr. Jürgen W. Falter, Grabenwahlsystems. Der übliche Verhältnisaus- beiden letzten Wahlrechtsentscheidungen 2008 1944 im hessischen Heppenheim geboren, ist gleich entfi ele. Wie dieses zu klaren Mehrheiten und 2012 auf diese Wahlsystemvariante verwie- einer der bekanntesten führen kann, indem es die vorne liegende Partei sen, die weder Überhangmandate noch negatives deutschen Politikwissen- gewissermaßen belohnt, lässt sich am Beispiel Stimmengewicht kennt. schaftler. Er studierte in Heidelberg und Berlin, der Hessenwahl von 2009 eindrücklich belegen: Eine Änderung unseres Wahlsystems hat noch lehrte an der Bundeswehr- Die CDU gewann insgesamt 46 von 55 Direkt- keine Partei auf der Agenda. Doch nicht nur hochschule München und mandaten, die restlichen neun gingen an die SPD. Politik- und Parteienverdrossenheit lassen ein am Berliner Otto-Suhr- Institut, bevor er 1993 an Darüber hinaus bekam die CDU 37,2 Prozent Nachdenken darüber ratsam erscheinen, auch die die Johannes-Gutenberg- der Zweitstimmen, was nochmals mehr als ein nicht enden wollenden europäischen Krisenjahre Universität nach Mainz Drittel der Zweitstimmenmandate bedeutet hätte. sind ein starkes Argument für klare Mehrheiten wechselte. Von 2000 bis 2003 war er Vorsitzender Erst- und Zweitstimmenmandate addiert, hätte im Parlament und den daraus folgenden eindeuti- der Deutschen Vereinigung die CDU 62 Prozent der Landtagssitze bekommen gen Regierungsauftrag. für Politikwissenschaften.

Der Peutinger 5 / 2013 17 POLITIK UND WIRTSCHAFT Flüssig und blitzschnell Digitalisierung treibt Politiker zur Hochgeschwindigkeit

Werner Weidenfeld

ie Digitalisierung hat die Welt verändert. Die Transformation in Dden arabischen Staaten wurde im Wesentlichen online organisiert. Für Diktatoren kann das Internet zur erheblichen Gefahr werden, aber auch Demokratien müssen sich den neuen Gegebenheiten anpassen.

Wie das Internet unser Leben verändert … Über soziale Netzwerke werden Druck ausgeübt und Proteste organi- siert. In Italien steuert Pepe Grillo seine Bewegung „Fünf Sterne“ und lehrt die Parlamentarier in Rom das Fürchten. Ist die digitale Welt eine Bedrohung für die repräsentative Demokratie?

Seitdem das Internet für die breite Masse der Be- zu Partizipation am politischen Leben animieren so- Der Berliner IT-Sicherheits- völkerung zugänglich ist und alle Bereiche des öf- wie es ihm ermöglichen, sich eine gewisse Expertise experte Arne Schönbohm fentlichen Lebens eingenommen hat, wird auch die bei politischen Sachfragen anzueignen. hat kürzlich das Buch Reform der repräsentativen Demokratie diskutiert. Deutschlands Demokratie befi ndet sich momentan „Wie das Internet unser Ausgangspunkt ist der in zahlreichen politikwissen- Leben verändert“ (Edition ohnehin an einem Wendepunkt. Octopus, Münster) heraus- schaftlichen Theorien seit Langem vorherrschende gegeben, in dem auch der Gedanke, dass zu einer funktionierenden Demokra- Die Skepsis gegenüber den etablierten Parteien Beitrag von Prof. Werner tie auch die ausreichende Beteiligung der Bürger an nimmt immer weiter zu. Insbesondere die großen Weidenfeld veröffentlicht der Politik zählt. So entstand die Hoffnung, das In- Volksparteien verzeichnen sinkende Mitgliederzah- ist. Unter den Autoren des Buches ist auch Bayerns ternet schaffe neue Kommunikations-, Informations- len und leiden zudem an Überalterung, da junge Justiz ministerin Beate Merk. und Beteiligungsmöglichkeiten, welche den Bürger Menschen sich immer seltener politischen Parteien

18 Der Peutinger 5 / 2013 POLITIK UND WIRTSCHAFT

anschließen und stattdessen Formen der Bürgerbe- trales Beispiel für E-Demokratie kann die Seite teiligung außerhalb von Parteien nutzen. Szenarien abgeordnetenwatch.de angeführt werden. Als Aus- Die Digitalisierung wie „Stuttgart 21“ gelten als Chiffre für die Krise tauschplattform stellt sie eine direkte Verbindung führt zu einer Hoch- der repräsentativen Demokratie schlechthin. Doch zwischen Politiker und Bürger her. Zudem lässt geschwindigkeits- braucht Politik aufgrund dieser empirischen Be- sich nachverfolgen, wie sich einzelne Abgeordnete demokratie voller funde und der Möglichkeiten, welche sich durch in Abstimmungen verhalten haben, was für Trans- Online-Abstimmun- die Digitalisierung der Welt bieten, ein „neues Be- parenz und Kontrolle sorgt. Die Abgeordneten sind gen und „Gefällt- triebssystem“? auch interessiert daran, sich vor dem Bürger im- mir“-Klicks. mer wieder aufs Neue profi lieren zu können. Ein neues Konzept der Demokratie, welches durch die Piratenpartei vertreten wird, sieht direktdemo- Die Angst, eine weltweite Digitalisierung könnte kratische neben repräsentativ-demokratischen Ele- repräsentative Demokratien aushöhlen, erscheint menten vor. Feste Wahlperioden, bei denen der Bür- bislang unbegründet. Vielmehr entwickeln sich ger in regelmäßigen Abständen für Komplettpakete neue Formen der politischen Beteiligung. Der Bür- von Parteien stimmen kann, sollen aufgehoben wer- ger gibt nicht mehr nur in regelmäßigen Abständen den. Stattdessen soll der Bürger bei wichtigen Sach- seine Stimme ab, sondern er wirkt an der Kontrolle fragen entscheiden können, ob er sich selbst an der und dem politischen Agenda-Setting aktiv über Abstimmung beteiligt oder seine Stimme an andere neue Online-Partizipationsmöglichkeiten mit. Bürger oder Volksvertreter delegiert. Die Entschei- Zudem führt die Digitalisierung zu einer Hochge- dungsgewalt liegt also nicht mehr ausschließlich bei schwindigkeitsdemokratie voller Online-Abstim- den Mandatsträgern, was zu einer Verfl üssigung der mungen und „Gefällt mir“-Klicks. Es entsteht ein Demokratie führt und gleichzeitig zu einer Entmach- Spannungsfeld zwischen den neuen Anforderun- tung der repräsentativen Demokratie. Stattfi nden gen und der repräsentativen, parlamentarischen sollen diese Abstimmungen jeweils online. Demokratie, wo bislang in drei Lesungen eine Ausgangspunkt ist die Forderung nach Transpa- sorgfältige Beratung über politische Sachfragen renz und der Befund des mangelnden Vertrauens zu Entscheidungen führt. Der digitale Habitus ver- in die gewählten Volksvertreter. Problematisch langt heute aber nach unmittelbarer Präsenz und hierbei bleibt allerdings die Tatsache, dass sich blitzschneller Reaktion. Vermittlungsinstanzen, nicht jeder Bürger online beteiligen kann und auch wie die Redaktionen von Massenmedien, staatliche nicht jeder seine Stimme permanent abgeben will. Institutionen oder Parteien stören hierbei, denn sie Zudem würden die Parteien, die durch das Grund- sorgen für Verzögerung und nehmen die Direkt- gesetz, das Parteiengesetz sowie das Bundesverfas- heit. Digitale Kommunikation erfolgt auf direktem sungsgericht als für die politische Willensbildung Wege zwischen Entscheidungsträger und Bürger verantwortliche Organisationen beschrieben sind, über Twitter, Facebook oder spezielle Online- entmachtet werden. Auch die innerparteiliche Wil- Plattformen. Der öffentliche Raum wird außen vor lensbildung soll dem verfl üssigten Prinzip folgen, gelassen, denn es wird zwischen privat und privat was bislang zu langwierigen und ergebnislosen kommuniziert. Diskussionen führt, so dass die Partei einzig als Die Mobilisierung bei der Transformation in der bewegliche Stimmungswolke erscheint. Letztlich Arabischen Welt zeigt, welche Macht durch diese zeigt das Schicksal der Piratenpartei selbst, welche neuen Kommunikationswege ausgeübt werden Probleme ihr Konzept birgt. kann. Das Internet war jedoch auch der Kanal für Die Politik bedient sich dennoch bereits online- die Verbreitung von Schmäh-Videos durch Hass- Instrumenten, welche Prozesse beschleunigen und Prediger rund um den Erdball, was etliche Todes- Bürgern die Beteiligung an politischen Auseinander- opfer zur Folge hatte. Wie das Internet keine nati- setzungen ermöglichen sollen. Konzepte wie E-De- onalen Grenzen kennt, ist die Politik bisher noch mokratie oder E-Government als Formen der digita- überfordert, die digitale Gesellschaft zu ordnen. lisierten Politik beanspruchen für sich jedoch weder Fragen zum Umgang mit Urheberrecht, Jugend- die Politikverdrossenheit zu beheben, noch führen schutz, Wikileaks, Zensur, Facebook-Kampagnen sie zur Aushebelung der repräsentativen Demokra- prägen den politischen Alltag. tie. Vielmehr gelten sie als deren Ergänzungen. Die Es drängt sich die Frage auf, ob Google angesichts Begriffe E-Demokratie und E-Government werden der Hochgeschwindigkeitsglobalisierung“ nicht häufi g synonym benutzt, doch sie unterscheiden mächtiger ist als jede nationale Regierung. „Vielen sich wesentlich. Während im Rahmen von E-Demo- Politikern fehlt die Netzkompetenz“, sagte Edmund kratie Partizipations- und Diskussionsplattformen Stoiber und beschreibt damit treffend, was viele online betrieben oder Bürgerbegehren organisiert ahnen: Die Politik hat sich den neuen digitalen werden, zielt der Begriff E-Government auf die Ser- Gegebenheiten noch nicht ausreichend angepasst. Professor Dr. Dr. h.c. viceleistungen der Regierenden ab. Es verbessert Werner Weidenfeld ist Zu beobachten ist ein spannendes Paradox aus der die Verwaltung, schafft mehr Bürgernähe und macht Professor für Politikwis- Komplexität und damit einhergehenden Langsam- senschaft und Direktor des die politische Entscheidungsfi ndung transparenter. keit politischer Prozesse und dem raschen gesell- Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) an Diese Formen digitalisierter Politik haben bereits schaftlichen und technologischen Wandel hin zu der Ludwig-Maximilians- Einzug in den politischen Alltag gehalten. Als zen- einer digitalen Welt. Universität München.

Der Peutinger 5 / 2013 19 POLITIK UND WIRTSCHAFT Zwei Schlüssel Die traurige Bilanz der deutsch-französischen Beziehung

Michael Stürmer

wei Träume in einem Bett: Ein trauriges Chanson aus alten ZZeiten beschreibt den Zustand der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Frankreich unter Francois Hollande bildet das Scharnier zwischen dem hanseatischen Europa des Nordens und dem mediterranen des Südens: Juniorpartner Deutsch- lands oder Anführer des Club Med. Deutschland insistiert im Gegenzug zu Solidarität auf Solidität. Man geht einander schwer auf die Nerven.

Die Beziehung ist, so beteuert man in Kanzleramt „le monstre de Francfort“ machte künftig französi- Was in den 20 Jahren und Elysée, notwendig und unersetzbar. Aber sie sche Währungspolitik. vor dem Euro mög- war auch schon lange nicht mehr so schwierig. Kon- Das konnte nicht dauern. So erhielt Kommissions- lich war: Der Franc rad Adenauer, der mit Präsident de Gaulle 1961 den präsident Jacques Delors den Auftrag des Gipfels wertete gegenüber Elysée-Vertrag abschloss, wollte ein europäisches von Fontainebleau, die Wirtschafts- und Währungs- der D-Mark um Gleichgewicht mit Großbritannien, um nicht, so union zu forcieren. Er ahnte, was bevorstand, als er 48 Prozent ab, die 1954 wörtlich im vertrauten Kreise, „allein zu sein sagte: „Nicht alle Deutschen glauben an Gott. Aber Peseta um 72,6, die mit den doch immer hysterischen Franzosen“. Und alle glauben an die Bundesbank.“ Deren Meister ver- Lira um 78 und die Helmut Kohl mahnte stets, die Trikolore dreimal zu trauten darauf, dass gegen ihren fachlichen Rat die Drachme sogar um grüßen: Nicht aus Demut, sondern aus Gründen des gemeinsame Währung keine Chance hatte. Doch die 92,5 Prozent. Seelenhaushalts. Von de Gaulles Nachfolger Georges Weltgeschichte half nach. Als die Berliner Mauer fi el Pompidou ist das enthüllende Wort überliefert, die und die Sowjetunion wankte, brauchte Europa ein Deutschen hätten zwar die D-Mark, „aber wir haben neues Gleichgewicht. Kohl und Mitterrand fanden unsere bombinette“, das atomare Bömbchen. Von es in der gemeinsamen Währung: Monetäres Mittel seinem Nachfolger Francois Mitterand konnte man zum politischen Zweck. ähnliches hören. Die exportorientierte deutsche Industrie setzte auf Schon vor der Weltenwende 1989 waren die Verhält- eine weiche Währung, während die Regierung Kohl/ nisse schwierig. Seitdem US-Präsident Nixon den Waigel eine härtere D-Mark versprach, abgesichert Dollar vom Gold abgekoppelt hatte und die Kurse durch die Maastricht-Verträge sowie den Stabili- schwankten, ging Deutschland von Aufwertung zu täts- und Wachstumspakt – alles mittlerweile, leider Aufwertung, während jede Regierung in Frankreich unter Führung von Paris und Berlin, entwertete Pa- suchte, den inneren Sozialvertrag durch immer mehr piere. Die globale Finanzkrise verband sich mit der „etat protecteur“ und ein bißchen Infl ation zu bewah- Staatsschuldenkrise, diese mit einer Bankenkrise. ren. Am meisten zu Beginn der 1980er Jahre, als die Hinter allem aber steht eine Krise des politischen Assemblée Nationale eine linke Mehrheit hatte und Vertrauens, ja der demokratischen Institutionen, in Francois Mitterrand Präsident wurde. Während die Italien und anderswo. Jeder externe Schock kann Bundesbank gegen die infl ationären Verwerfungen zur Stunde der Wahrheit werden. der zweiten Ölpreiskrise kämpfte, gönnte sich Frank- Die gemeinsame Währung sollte das goldene Band reich ein sozialistisches Schlaraffenland. um Europa sein. Stattdessen ist sie zum Reibeisen Das konnte nicht gut gehen. Das Europäische Wäh- geworden. Alles auf Anfang? Das ist nichts als Träu- rungssystem EWS, wegen seiner graphischen Dar- merei. Wohin stattdessen? Führung wird verlangt. stellung auch „Schlange“ genannt, geriet in Gefahr. Frankreich und Deutschland haben, jeder für sich Während Deutschland vom mittleren Kurs nach und beide zusammen, eine Schlüsselrolle. Aber sie oben abwich, rutschten die Franzosen nach unten. haben verschiedene Schlüssel – und keiner passt. Prof. Dr. Michael Stürmer 1983 drohte das EWS zu scheitern: Mitten in der ist Chefkorrespondent der Kein Wunder, dass Europa unter den Europäern Tageszeitung DIE WELT. Der Nato-Raketenkrise gegen die Sowjetunion drohte die en baisse gehandelt wird. Ist ein neuer Vertrag die Historiker war Berater von europäische Integration zu zerfallen. Die Rettung: Antwort, um alles zu richten? In der Theorie lautet Bundeskanzler Helmut Kohl und Leiter der Stiftung Die Bundesbank garantierte das Franc-Mark-Verhält- die Antwort Ja. Im praktischen Leben aber wäre Wissenschaft und Politik. nis, die Banque de France wurde unabhängig, aber „muddling through“ schon eine große Leistung.

20 Der Peutinger 5 / 2013 POLITIK UND WIRTSCHAFT

Lebensmittel sind zu schade für den Müll – Interview mit Ilse Aigner

eutschland lebt im Überfl uss: Jährlich landen 20 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Eine gigantische Verschwendung. „Viele Menschen haben den Bezug zu Lebensmitteln verloren, manche interessieren sich mehr dafür, welches Öl sie in Ihr Auto kippen als für Frage, wie sie sich selbst versorgen“, bedauert Bundeslandwirtschafts- ministerin Ilse Aigner im Gespräch mit Peutinger-Chefredakteur Peter Schmalz. Mit der Kampagne „Zu gut für die Tonne“ wirbt die CSU- Politikerin dafür, den Wert der Nahrung wieder schätzen zu lernen.

Der Peutinger: Nachkriegskinder kennen noch den sts ändld icch gewordene , sie aua sreie chene d, zu erscs hwing-g strengen Spruch dder MMutter: „DDer Tellller wiirdd leerge- liichen Preisene undd in guter QuQ ala ität zurr Verfüüguungg gessen.“ Heute landen bei uns jährlich 20 Millionen zu haben. Aber ältere Menschen erinnern sich an die Tonnen Lebensmittel im Müll. Haben wir das Gefühl Zeit, als Lebensmittel noch Mangelware waren. Vor „Lebensmittel müssen mehr für den Wert von Brot, Wurst oder Milch verloren? einigen Wochen habenn wir den Gebe urrtstag unseres Wertschätzung erfahren“ – Ilse Aigner: Wir leben in einer Überfl ussgesell- Grundgesetzes von 1949 gefeiert: Damals gab es noch dafür wirbt Bundesverbrau- schaft. Leider ist vielen Menschen der Bezug zu Nah- Rabattmarken auf limitierte Lebensmittel. Wer sich cherschutzministerin rungsmitteln verlooreenggeggangeg n. Um Lebensmittel an unsere wechselvollee Gesschhici htte erinnertr , geg ht mit Ilse Aigner mit der Aktion muss man sich nicht mehr bemühen, es ist selbstvver- Lebensn mittt elln sorggsammeer umum. „Zu gut für die Tonne“. z ei Reit V / BMEL le: le: Quel

Der Peutinger 5 / 2013 21 POLITIK UND WIRTSCHAFT

DP: Umfragen zeigen: Die Kunden wollen gute Qua- Aigner: Genau. Und deshalb darf die Sicherheit der lität auf dem Teller. Im Supermarkt aber greifen sie Lebensmittel auch nie eine Preisfrage sein. Alle Le- zum billigsten Schweinefl eisch-Schnäppchen. bensmittel, die in Deutschland auf den Markt kom- Aigner: Ich werbe dafür, dass Lebensmittel mehr men, müssen sicher sein – egal ob auf dem Wochen- Wertschätzung erfahren. Natürlich gibt es viele Leu- markt, im Discounter oder im Feinkostladen. Wir te in unserem Land, die jeden Cent umdrehen müs- bemühen uns, durch besondere Kennzeichnungen sen. Denen kommen das niedrige Preisniveau und denjenigen zu helfen, die bestimmte Qualitäten bei der scharfe Wettbewerb in Deutschland sehr zugute. der Herstellung unterstützen wollen und bereit sind, Es gibt aber auch eine Vielzahl von Verbrauchern in dafür auch mehr zu zahlen – etwa für besonders ho- Deutschland, die frei wählen können aus dem gro- he Tierschutzstandards. ßen Angebot und durchaus etwas mehr ausgeben DP: Die Erfahrung zeigt, dass gerade weniger Be- könnten für Lebensmittel. Aber leider interessieren Über 30 Prozent mittelte zu vorgefertigten Produkten greifen. Dabei sich manche Menschen mehr dafür, welches Öl sie in der weltweit für könnten sie sich mit frischem Gemüse einen Eintopf ihr Auto kippen als für die Frage, wie sie sich selbst den menschlichen kochen, der billiger und auch noch gesünder wäre. versorgen. Anders als bei manchen europäischen Bedarf produzierten Aigner: Sie haben völlig recht: Selber kochen ist Nachbarn ist Ernährung in Deutschland nicht gerade Lebensmittel landen meist günstiger als Fertigprodukte zu kaufen. Aller- eine Prestigefrage. Welches Auto ich fahre, welche auf dem Müll. Das dings muss man die Zeit zum Zubereiten aufbringen, Kleidung ich trage, ob und wie oft ich in Urlaub fah- ergab eine Studie der und viele haben das Kochen gar nicht gelernt. re, ist dagegen schon eher ein Gesprächsthema, bei Welternährungsorga- dem man seinen sozialen Standard zeigen kann. DP: Weil in den Familien nicht mehr gekocht wird. nisation FAO. Wäre dies nicht ein Auftrag an die Schulen? DP: Was wir essen, ist uns dann aber doch nicht Aigner: Ja, und mein Ministerium unterstützt die ganz egal. Die Empörung über Lebensmittelskandale Schulen dabei: Wir haben für die Grundschulen ei- bekommen Sie immer wieder zu spüren. Und jedes nen Ernährungsführerschein entwickelt, um den Mal ist auch die Nachfrage nach besserer Qualität Schülern zumindest die Grundlagen mitzugeben. Da gestiegen. bereiten die Kinder einen Pausensnack zu, schnip- Aigner: Ich kann die Empörung der Verbraucher peln Gemüse und lernen spielerisch mit guten Pro- gut verstehen – ich war selbst empört über die Vor- dukten gesunde Gerichte zu kochen. Und wenn’s gut fälle und habe auch dafür gesorgt, dass die richti- läuft, tragen die Kinder dieses Wissen und die Be- gen Schlüsse daraus gezogen werden, dass es klare geisterung in die Elternhäuser. Konsequenzen gibt und mehr Kontrollen. Wenn man aus diesen Vorfällen etwas Positives ziehen will, DP: Sie haben im vergangenen Jahr die Kampagne dann vielleicht den Trend, dass manche Verbraucher „Zu gut für die Tonne“ gestartet. Der Wegwerfberg ist sich wieder mehr Gedanken machen über Ernäh- kaum kleiner geworden. War die Kampagne für die rung. Das zeigen auch Umfragen. Es gibt eine wach- Tonne? sende Zahl von Verbrauchern, für die ist nicht mehr Aigner: Ein gutes Jahr nach dem Start unserer bun- nur der Preis entscheidend, sondern auch die Fra- desweiten Initiative gegen Lebensmittelverschwen- ge nach dem Tierwohl, nach der Regionalität oder dung kann ich eine durchwegs positive Zwischenbi- nach Bioqualität. Ich gebe aber zu: Entscheidend lanz ziehen: Partner aus fast allen Gesellschaftsbe- ist, dass das bei Umfragen bekundete Interesse der reichen und der Wirtschaft haben sich bereits mit Verbraucher auch an der Ladentheke zum Ausdruck konkreten Projekten dem Bündnis gegen Lebensmit- gebracht wird. Wunsch und Wirklichkeit klaffen da telverschwendung angeschlossen, darunter Städte häufi g auseinander. und Kommunen, Schulen, Krankenhäuser, Tafeln, der Einzelhandel, die Gastronomie und die Kirchen. DP: Viele Menschen sind allerdings gezwungen, Auch viele Verbraucherinnen und Verbraucher hat streng auf den Preis zu schauen.

Sie kennen keinen Über- fl uss: Weltweit hungern Millionen Kinder, viele können nur durch Lebens- mittelspenden überleben.

22 Der Peutinger 5 / 2013 © Brot für die Welt POLITIK UND WIRTSCHAFT

die Initiative erreicht. Es zeigt sich, dass es viele Möglichkeiten gibt, Lebensmittelabfälle deutlich zu reduzieren und dass jeder Einzelne einen Beitrag dazu leisten kann. Wir werden die Initiative des- halb mit vereinten Kräften vorantreiben. Deutsch- land kann Vorreiter sein beim Kampf gegen die Verschwendung. Andere Staaten tappen hier noch im Dunkeln – wir haben 2012 erstmals die Menge der weggeworfenen Lebensmittel für Deutschland schätzen lassen. Es wäre etwas vermessen, für 2013 schon eine Trendumkehr zu erwarten. DP: Auch ohne Zahlen haben Sie ein gutes Gefühl? DP: XXL-Packungen im Supermarkt, Riesenportionen Ministerin teilt aus: Ilse Aigner Aigner: Wir haben durchaus Zahlen, die positiv im Lokal. Da wandert vieles auf den Müll. bei der Münchner Tafel. stimmen: Immerhin hat schon jeder zweite Bürger Aigner: Deshalb habe ich mit dem Hotel- und Gast- von unsere Aktion gehört. Und jeder vierte Verbrau- stättenverband eine Initiative gestartet, in Kantinen cher hat erklärt, dass er sein Verhalten bereits geän- und Restaurants unterschiedliche Portionsgrößen an- dert hat. Das ist doch ein schöner Erfolg. zubieten. Kleinere Portionen reduzieren den Abfall DP: Das schlechte Gewissen ist vorhanden? und sind gut für die Figur und den Geldbeutel. Meine Aigner: Ich würde eher sagen: Es gibt ein wachsen- Botschaften an den Handel: Er sollte stärker berück- den Bewusstsein, dass wir mit Lebensmitteln sorg- sichtigen, dass Singles mittlerweile mehr als ein Drit- samer umgehen müssen. Und das beginnt im Klei- tel der deutschen Haushalte stellen. Da passen Mega- nen. Dass man schon beim Einkaufen daran denkt, portionen nicht mehr in die Zeit. ob man wirklich so viele Lebensmittel braucht. Oder DP: Wie schafft es eine vom Terminkalender getrie- dass man überlegt, was man mit den Sachen im bene Ministerin, den eigenen Haushalt verschwen- Kühlschrank noch etwas Sinnvolles anfangen kann, dungsfrei zu halten? bevor man Nachschub holt und Nahrungsmittel vor- Aigner: Indem ich weniger einkaufe. schnell wegwirft. DP: Und dann hungern? DP: Aber dennoch: Der Apfel mit einem kleinen Aigner: (lacht) Mal ein paar Kalorien weniger, ist ja Fleck bleibt liegen und wir greifen zu dem makello- auch nicht schlecht. Aber mein bester Verbündeter sen mit den roten Bäckchen. Lassen wir uns beim beim Kampf gegen Lebensmittelverschwendung ist Kauf zu sehr von der Optik leiten? die Tiefkühltruhe. Wenn ich für mich allein koche, Aigner: Es ist doch menschlich verständlich, dass kann ich portionsweise einfrieren und bei Bedarf da- Verbraucher lieber zu den schönen und makellosen rauf zugreifen. Brot zum Beispiel lässt sich auch gut Produkten greifen. Aber der Handel könnte beim einfrieren und auftauen. Gemüse durchaus zwei Klassen anbieten. Der Apfel mit der Delle ist ja nicht schlecht. Ich schneide die DP: Gibt es auch Tage, an denen Sie mit Lust am Herd Stelle heraus und habe eine prima Frucht. stehen? Aigner: Ja, aber diese Tage sind selten. Wenn ich DP: Sind die zahlreichen Tafeln, die Lebensmittel an dann mal Zeit zum Kochen habe, dann mache ich es Bedürftige abgeben, eine Hilfe gegen die Verschwen- mit Spaß. dung? Aigner: Auf alle Fälle. Ich fi nde es gut und richtig, DP: Und was ist dabei der größte Spaß? wie diese Initiativen arbeiten. Kürzlich habe ich in Aigner: Gemeinsam mit Freunden in der Küche ste- Köln eine Vertreterin der dortigen Tafel getroffen. hen und ein gutes Essen kochen, das ist schön. Wobei Dank einer guten Kooperation mit dem Einzelhandel ich zugeben muss, dass ich keine Meisterköchin bin. bekommen sie die Ware schon fünf Tage vor Ablauf Am liebsten bereite ich eine Nudel- oder Reispfanne des Mindesthaltbarkeitsdatums und können die Le- mit frischem Gemüse zu. Oder auch mal Semmel- Ilse Aigner, 1964 in ober- bensmittel somit an Bedürftige weitergeben. Das ist schmarrn oder ein Gröstl, wenn Fleisch vom Vortag bayerischen Feldkirchen- Westerham geboren, lernte eine segensreiche Einrichtung. übriggeblieben ist. Und das schmeckt dann auch, Elektrotechnik und war wenn auch nicht immer gleich (lacht). vier Jahre Landtagsabge- DP: Kritiker sagen, es sei eine Schande für das rei- ordnete, bevor sie 1998 in che Deutschland, dass Arme auf solche Spenden an- DP: Im Herbst wechseln Sie in den Bayerischen Land- den Bundestag wechselte. gewiesen sind. tag. Werden Sie Eisbein und Currywurst vermissen? Seit Oktober 2008 ist sie Bundesministerin für Aigner: Durch die Sozialhilfe haben Bedürftige die Aigner: Weniger. Mehr vermissen werde ich die Kol- Ernährung, Landwirtschaft Möglichkeit, ihr tägliches Essen selbst einzukaufen. leginnen und Kollegen im Parlament und meine Mit- und Verbraucherschutz Wenn aber die weniger Bemittelten diese Lebensmit- arbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist ein tolles Team als Nachfolgerin von Horst Seehofer, der Minister- telspenden, die ja einwandfrei sind in der Qualität, – wir können gemeinsam stolz sein auf das Erreichte. präsdent in Bayern wurde. verwenden und ihr knappes Geld für andere Aus- Je näher der Abschied kommt, desto öfter schleicht Wenn Ilse Aigner im Herbst gaben sparen können, dann ist das eine gute Sache. sich bei mir schon mal ein bisschen Wehmut ein. in den bayerischen Landtag zurückkehrt, gilt sie auch Nebenbei wird verhindert, dass wertvolle Lebens- Aber wenn ich dann an meine bayerische Heimat den- hier als seine mögliche mittel weggeworfen werden. ke, überwiegt doch die Vorfreude! Nachfolgerin.

Der Peutinger 5 / 2013 23 POLITIK UND WIRTSCHAFT Verlorenes Herz Stammwähler fühlen sich von der CDU verlassen

Werner Münch ange hatte ich mit mir gerungen, bevor ich Anfang der 70er Jahre der CDU beitrat. LSchließlich entschied ich mich für diese Partei, weil sie deutlicher oder gar im Gegensatz zu anderen für die Stärkung der Familie und den Schutz des Lebens, auch des ungeborenen, eintrat. Doch was ist geblieben von dem, was damals mein parteipolitisches Engagement begründet hat? Was ist geschehen, dass ich meiner Partei wieder den Rücken gekehrt habe?

Als ich CDU-Mitglied wurde, beschrieb das Grund- der Frage der Abtreibung hat die CDU früher für den satzprogramm der CDU die Ehe als das „Leitbild der Schutz des ungeborenen Lebens gekämpft, auch wenn Gemeinschaft von Mann und Frau“ und als die „bes- sie nicht verhindern konnte, dass in Deutschland jähr- te Grundlage für die gemeinsame Verantwortung lich über 100.000 Mal werdendes Leben getötet wird. von Mutter und Vater in der Erziehung der Kinder“. Auf dem Parteitag 2012 aber lehnte die Mehrheit der Seit 2010 heißt es stattdessen nur noch: „Wir spielen Delegierten einen Antrag ab, der von den Schwanger- verschiedene Familienmodelle und Lebensentwürfe schafts-Beratungsstellen nichts anderes anmahnt, als nicht gegeneinander aus.“ dass sie die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zum besseren Schutz des Lebens, also ihre ureigenste Immerhin lehnte der Parteitag in Hannover im De- Aufgabe, auch tatsächlich erfüllen. zember vergangenen Jahres die steuerliche Gleich- stellung von eingetragenen gleichgeschlechtlichen Ähnlich ist der Schwenk bei der Stammzellenfor- Lebenspartnerschaften im Ehegattensplitting noch schung. Vor wenigen Jahren hieß es noch: „Wir wollen ab und bekannte sich zur „Förderung und steuerli- die Beibehaltung des konsequenten Embryonenschut- chen Privilegierung der vom Grundgesetz besonders zes und wenden uns gegen eine verbrauchende Emb- geschützten Ehe und Familie“. Doch als nur wenig ryonenforschung.“ Angeführt von Angela Merkel und später das Bundesverfassungsgericht zuerst das Ver- entschied der Parteitag 2010, den bot der sukzessiven Adoption und dann die steuerli- Stichtag zur Nutzung von Stammzellen um mehr als 5 che Ungleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen Jahre zu verschieben. Und als der Bundestag über die Lebenspartnerschaften kippte, frohlockten auch füh- Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID) rende CDU-Vertreter. Statt für bisher als unumstöß- entschied, lag ein vom evangelischen Pastor Peter lich geltende Grundsätze politisch zu kämpfen, wa- Hintze (CDU) mit unterzeichneter Antrag vor, der im ren sie zunächst in Deckung geblieben und sagten Ergebnis nichts anderes bedeutet, als dass der Mensch jetzt eine schnelle gesetzliche Umsetzung noch vor im frühesten Stadium seiner Existenz einer Qualitäts- der Bundestagswahl zu, allen voran – wieder einmal kontrolle unterzogen wird, womit die Chance zum Le- – Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen. ben von einem Eignungstest abhängig gemacht wird. Ein Kniefall vor dem Zeitgeist, der schon während Diese CDU ist nicht mehr „meine“ CDU. Sie hat ihr der Großen Koalition als bevorzugte Haltung der Herz verloren, sie hat keinen Kompass mehr. Zur neuen Merkel-CDU erkennbar war. Kürzlich schrieb Sicherung des Machterhalts wirft sie reihenweise Die Zeit despektierlich, aber leider nicht ganz falsch: Grundsätze über Bord. Die Partei hat sich von ihren „Wo immer der Mainstream hinfl ießt, da haben früheren Stammwählern entfernt – nicht umgekehrt! die Schwarzen ihr Badehöschen an.“ Wobei ich als Meine Toleranzgrenze war endgültig überschritten, als ehemaliger CDUler der bayerischen CSU Respekt die Parteivorsitzende unter Missachtung aller Regeln bezeugen muss: Sie hat beim Betreuungsgeld aller der Diplomatie und des persönlichen Anstands, im Bei- Prof. Dr. Werner Münch, 1940 in Bottrop geboren, Kritik und allem Spott auch aus der CDU getrotzt sein eines zentralasiatischen Diktators den Papst auf- war Hochschulrektor und und durchgesetzt, dass auch Mütter, die ihre ein- bis forderte, sich eindeutig zum Holocaust zu äußern. Was Europaabgeordneter. In dreijährigen Kleinkinder zu Hause erziehen und dieser vorher bereits mehrfach deutlich getan hatte. Sachsen-Anhalt war er nicht staatlichen Betreuern überlassen wollen, einen Finanzminister und Minis- Enttäuscht und traurig habe ich mich von der Partei terpräsident. Wegen der kleinen fi nanziellen Ausgleich erhalten. 150 Euro abgewendet, für die ich fast 38 Jahre und auch in Gehälteraffäre trat er 1993 bekommen sie, ein staatlicher Krippenplatz kostet zurück, wurde aber vor hohen Positionen gerne gearbeitet habe. Mein christ- über 1000. Nur halbherzig hat die CDU mitgemacht. Gericht von allen Vorwürfen liches Gewissen akzeptiert zwar einen politischen freigesprochen. Münch ist Kuratoriumsmitglied im Fo- Und was ist aus dem zweiten Essential meines Pluralismus, aber ethische Grundsätze sind für mich rum Deutscher Katholiken. Parteibeitritts geworden, dem Schutz des Lebens? In nicht verhandelbar.

24 Der Peutinger 5 / 2013 POLITIK UND WIRTSCHAFT Kein Griff in fremde

Sparkassen-Gelder nicht für Kassen Europas Pleitebanken

Georg Fahrenschon

ach rund sechs Jahren Krise hat die NFinanzwirtschaft einen schweren Stand: Das Vertrauen der Kunden ist tief erschüttert, Wertpapiere haben an Attraktivität verloren und die Politik muss unter dem Druck einer andauernden Krise notwendige Regulierungen für die Finanzwirtschaft fi nden und eine neue Finanzarchitektur zu gestalten. Zu den stabilen Mauern, die ein wet- terfestes europäisches Haus benötigt, gehören drei wesentliche Bausteine: eine stabilitätsorientierte Schulden- und Währungspolitik; eine Finanzmarkt- regulierung, die tatsächlich Stabilität erzeugt; eine dezentrale Kreditwirtschaft, die auf das Wohl der Kunden und auf das Wohl der Region ausgerichtet ist.

Für die Euroländer stellt sich dabei die entscheidende gemeinsam ein neues europäisches Haus zu bauen. Das Sparschwein wehrt sich: Frage, welcher Stabilitätskultur sie in der Zukunft Auch mit deutscher Hilfe. Und das auch aus eigenem Die Sicherungseinlagen, mit folgen wollen. Die Währungsunion hat zwar ein soge- Interesse, denn unser Land wird von der Währungs- denen deutsche Sparkassen nanntes Bailout-Verbot vereinbart, wonach kein Land union wirtschaftlich und politisch profi tiert. und Raiffeisenbanken das für die Schulden eines anderen Landes einzustehen Ersparte ihrer Kunden schüt- Dabei muss aber allen klar sein: Solidität und So- hat, gleichwohl muss Deutschland wissen, dass es zen, sind kein Notgroschen lidarität sind zwei Seiten ein und derselben (Euro) sich mit dem Beitritt zur Währungsunion auch ge- für ganz Europa. Münze. Nur wer die notwendigen, möglichen und wissen Solidarverpfl ichtungen unterworfen hat. zumutbaren eigenen Anstrengungen unternimmt, Ebenso illusorisch wäre es zu glauben, eine gemein- kann Hilfe Dritter erwarten. Das ist die unver- same Währung könnte auf Dauer ohne politische Ein- änderliche Grundlage der Währungsunion. Und heit funktionieren. Also stehen wir vor der Aufgabe, es entspricht unserem deutschen Stabilitäts-

Der Peutinger 5 / 2013 25 POLITIK UND WIRTSCHAFT

„Die Sparkassen haben über viele Jahre hinweg Ver- trauensbildung durch Nähe zum Kunden geschafft“, lobt Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Sparkassentag in Dresden. Präsident Georg Fahrenschon hört die Worte gern. verständnis. Besonders in den letzten Monaten ist und Staaten. Zugleich wird die Bonität kriselnder der Zusammenhang von Solidität und Solidarität Euro-Staaten nicht mehr marktgerecht bewertet, immer wieder in hohem Maße relevant gewesen. sondern durch Solidarmaßnahmen subventioniert, was den den Reformdruck mindert und erhebliche Auf den Höhepunkten der Krise war nur noch die Stabilitätsgefahren birgt. Europäische Zentralbank handlungsfähig. Doch diese Fokussierung auf die EZB ist nicht ohne Zudem mindern niedrige oder gar negative Realzin- Gefahren. Mit „ungewöhnlichen Maßnahmen“ wie sen das Vermögen der Sparer. Hält dieser Zustand dem Kauf von Staatsanleihen oder der Ausgabe länger an, sinken die Anreize zur Eigen- und zur von sehr billigem Geld an Banken bewegt sie sich Altersvorsorge und öffentliche Haushalte, Unter- nahe an der Staatsfi nanzierung. Im Kern geht es nehmen und Privatpersonen werden erneut zu ja auch gerade darum, hoch verschuldeten Staaten übermäßigen Schulden verführt. Mit billigem Geld mindestens indirekt günstige Zinsbedingungen und Staatsfi nanzierungen durch Notenbanken wird für Refi nanzierungen oder gar neue Schulden zu international die „Büchse der Pandora“ geöffnet, ermöglichen. Schritt für Schritt fallen die Hemmungen, Noten- banken für politische Zwecke einzuspannen. Hinzu kommt die außergewöhnliche Niedrigzins- Über 40 Prozent aller phase, die bereits geraume Zeit andauert. Sicher Europa muss sehr bald den Einstieg in den Ausstieg Unternehmenskre- kann die EZB den Zinssatz innerhalb einer Wäh- aus der Niedrigzinsphase und auch aus der auf dite in Deutschland rungsunion nicht allein nach deutschen Bedürfnis- Staatsfi nanzierung ausgerichteten Geldpolitik fi n- werden von Sparkas- sen festlegen kann, sie muss auch die Bedingungen den. Der EZB wird dies aber nur möglich sein, wenn sen und Landesban- in den anderen Euroländern beachten. Allerdings Politiker durch entschlossene Reformen die Wettbe- ken vergeben. Bei kommen die niedrigen Zinsen kaum bei ausländi- werbsfähigkeit ihrer Länder steigern. ihnen liegen eben- schen Unternehmen, etwa den Mittelständlern in Die Finanzkrise hat auch gezeigt, dass wir in Tei- falls 40 Prozent der den Krisenstaaten, an. Viel eher wird das billige len eine strengere Finanzaufsicht und dazu auch privaten Ersparnisse. EZB-Geld von Banken zur Investition in Staats- gemeinsame europäische Standards benötigen. schulden eingesetzt – immer im Vertrauen darauf, Allerdings halte ich es weder für erstrebenswert dass im Notfall weitere Rettungsmaßnahmen noch für angemessen, wollte eine europäische Auf- helfen würden. Damit verstärkt sich in den Krisen- sichtsbehörde Sparkassen und deren Engagement ländern die gegenseitige Abhängigkeit von Banken

Von der Armenkasse an Europas Spitze Vorläufer der Sparkasse waren Waisenkassen und Leihhäuser, die erste Sparkasse entstand 1778 in Hamburg, die erste bayerische öffnete 1821 in Nürnberg. Sie sollten ärmeren Bevölkerungsschichten eine sichere Möglichkeit eröffnen, kleinste Kapitaleinlagen zur Risikovorsorge im Alter oder bei Krank- heit verzinslich zurückzulegen. Heute gelten die fast 500 deutschen Sparkassen als wichtigster Kredit- geber der mittelständischen Unternehmen. Mit einer jährlichen Bilanzsumme von 31,5 Milliarden Euro ist die Hamburger Sparkasse die größte, auf dem fünften Platz liegt die Stadtparkasse München mit 16,2 Milliarden. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband e.V. (DSGV) repräsentiert die Sparkassen-Finanzgruppe mit fast 250.000 Mitarbeitern und einem Geschäftsvolumen von rund drei Milliarden Euro. Die Sparkassen- Finanzgruppe ist die größte kreditwirtschaftliche Gruppe Europas. Präsident des deutschen Sparkas- sen-Verbands ist seit Mai 2012 der frühere bayerische Finanzminister Georg Fahrenschon. Präsident des Sparkassenverbands Bayern ist bis April nächsten Jahres der ehemalige CSU-Landrat Theo Zeller, zu seinem Nachfolger ist der Kemptener CSU-Oberbürgermeister Ulrich Netzer bereits gewählt.

26 Der Peutinger 5 / 2013 POLITIK UND WIRTSCHAFT

für den Mittelstand daraufhin überprüfen, ob diese sind dabei wichtig. Aber auch die Finanzierung der die europäische Finanzmarktstabilität gefährden. Da Energiewende gibt viele neue Möglichkeiten, Einla- würde mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Mit der gen einen für Kunden spürbaren Sinn zu geben. starken Verankerung im mittelständischen Kredit- Ein modernes Kreditinstitut muss darüber hinaus geschäft sind die deutschen Sparkassen eine europä- menschliche Beratung und technologischen Exzel- ische Besonderheit. Diese darf nicht einem europäi- lenz verbinden. Lange Zeit waren die Geschäfts- schen Vereinheitlichungstrend geopfert werden. stellen der einzige Ort, wo Menschen ihre Bankge- Keinesfalls dürfen Gelder der Einlagensicherung, schäfte abwickeln konnten. Als in der Web-1.0-Welt die unsere Kunden angespart haben, für in Schiefl a- Online-Banken aufkamen, schien manchen die ge geratene Groß- und Investmentbanken in Europa Filiale bereits als überfl üssiger Ballast. Eine krasse verwendet werden. Wir sichern die Einlagen unse- rer Kunden zu 100 Prozent. Andere sollen in ihren Ländern das europäische Mindestniveau aus eige- ner Kraft sicherstellen. Unter mehr Gemeinsamkeit in Europa stellen wir uns nicht den regelmäßigen Griff in fremde Kassen vor. Wir müssen uns auch hüten vor regulatorischen Eingriffen durch die Europäische Bankenaufsicht auf unsere erfolgreichen Mittelstandskredite, die in Europa einmalig sind. Würden sie durch bereits angedachte Regulierungen verteuert, könnte dies mehr negative Auswirkungen auf unsere soziale Marktwirtschaft haben, als dies im ersten Augen- blick sichtbar ist. Die vergangenen Krisenjahre haben geradezu dramatisch bewusst gemacht, wie sehr die Finanz- wirtschaft von Verantwortung, Verlässlichkeit Fehleinschätzung. Reine Online-Banken schicken ih- Mit zehn Dresdner Thesen und Stabilität abhängig ist. Das aber heißt: Eine re Kunden in menschenleere Technikhallen und las- forderte der 24. Deutschen zukunftsfähige Finanzwirtschaft muss wieder die sen sie dort mit Bits und Bytes allein. Im neuen Web Sparkassentag in der sächsi- Akzeptanz der Menschen gewinnen und sich auf 2.0-Zeitalter geht es dagegen um soziale Kontakte. schen Landeshauptstadt die die alten Grundfunktionen von Kreditinstituten be- Social Media verlangt, Kontakte zwischen Kunden europäische Währungsunion sinnen. Die Geldinstitute als Teil dieser Finanzwirt- und echten Beratern aus der realen Welt technolo- auf, wieder zu einer Stabili- schaft haben ein klar umrissenes Aufgabengebiet. gisch abzubilden. Nur wer das schafft, wird in einer tätsunion zu werden. Sie solle Einlagen von Kunden entgegennehmen, digital dominierten Welt Vertrauen gewinnen. Diese sicher verwahren und so anlegen, dass die Grund- Chancen können nur Kreditinstitute nutzen, die – substanz erhalten und mindestens der infl ations- nicht zuletzt über Geschäftsstellen – viele Millionen bedingte Wertverlust ausgeglichen wird. Zudem solcher realen Kundenkontakte haben. Nur sie haben sind diese Einlagen gebündelt und verlässlich für die Möglichkeit, auch im Netz den Kunden persön- volkswirtschaftlich sinnvolle Investitionen wieder lich bekannte Berater zur Seite zu stellen. zur Verfügung zu stellen. Deutschland hat eine besondere Stabilitätsorientie- Diese Beschreibung der Aufgaben von Kreditins- rung. Sie äußert sich in einer ausgeprägten Spar- tituten mag langweilig klingen, ihre Brisanz aber kultur und einer vorsichtigen, auf Substanz erhalt bezieht sie daraus, dass viele Geldinstitute diesen ausgerichteten Geschäftspolitik vor allem der mit- Basisanforderungen heute kaum mehr gerecht wer- telständischen Unternehmen. den. Immer mehr Banken stellen sich gar nicht der Aufgabe, einer Mehrheit der Bevölkerung sichere In der Folge hat sich die deutsche Wirtschaft von Anlagemöglichkeiten zu bieten. Das klassische Kun- den Unsicherheiten in der europäischen Staats- dengeschäft galt über Jahre hinweg als langweilig schuldenkrise vergleichsweise wenig beeindrucken und nicht renditeträchtig genug. Heute wollen viele lassen. Zu dieser Stärke trägt auch der Teil der deut- die Einlagen von Kunden, aber nicht alle wollen die schen Finanzwirtschaft bei, der in seiner eigenen Kunden selbst. Aufstellung den dezentralen Strukturen des Mittel- Georg Fahrenschon, 45, standes folgt. Es war eben kein Zufall, dass in der war bayerischer Finanzmi- Kunden wollen nicht nur Rendite, sondern auch nister und ist seit Mai 2012 Krise gerade die dezentralen Kreditverbünde durch die Gewissheit, dass ihr Geld sinnvoll und ethisch Präsident des Deutschen ihr an der Realwirtschaft ausgerichtetes Geschäfts- Sparkassen- und Girover- einwandfrei eingesetzt wird. Für die dezentrale modell wesentlich zur Stabilität der Volkswirtschaft bands (DSGV), in dem 422 Kreditinstitute wie die Sparkassen ist verantwor- Sparkassen zusammenge- beigetragen haben. tungsbewusstes, nachhaltiges Wirtschaften selbst- schlossen sind. Seine poli- tische Karriere begann der verständlich: Sie können die Verwendung der Mittel Auch dies mahnt uns, in Europa darauf zu achten, verheiratete Vater zweier vor Ort deutlich machen. Mittelstandskredite an dass langfristige Stabilität wieder Vorrang erhält Töchter 2002 als CSU- Unternehmen, die den Wohlstand vor Ort sichern, vor kurzfristiger Stabilisierung. Bundestagsabgeordneter in Berlin..

Der Peutinger 5 / 2013 27 POLITIK UND WIRTSCHAFT k ban tban tb a riva r er P er e g uggu FuggFugFu F t st st s rst rst rs r ü Fü F Fü © Fü©Fü ©F F Nach italienischem Vorbild gebaut und mit Waren aus Italien gefüllt: Das spätgotische Stadtpalais der Fugger am Augsburger Rinder- und Heumarkt. Die Kaiser-Macher Die Päpste und Monarchen brauchten das Geld der Fugger

Harald Fuchs

in Bestseller des vergangenen Jahres trug den Titel „Was man mit Geld nicht kaufen Ekann“. Es war der Versuch eines als Star gefeierten Harvard-Professors, einer angeb- lich durch und durch von Finanzgier verdorbenen Gesellschaft die Romantik einer Welt ohne gebündeltes Bares entgegen zu stellen. Das Buch wurde ein Welterfolg, allerdings nur zu kaufen mit Geld. Mit genau 19,99 Euro pro Exemplar.

2828 DerDer PeutingerPeutinger 5 / 22013013 © Stadtarchiv Augsburg verdienen ist als mit dem Handel. Er wird ein Weber- ein wird Er demHandel. mit als ist verdienen zu derWeberei mit weniger dass bald, merkt Fugger lässt. schließen Besitz beachtlichen einen auf was Vermögenssteuer zahlen, Pfennig 44 muss derZuwanderer Ankunft, die ger Steuerbuch Augsbur- das registriert Vermerk advenit“ „Fucker den Mit übersiedelt. nachAugsburg Graben Dorf er1367 als beiseitegelegt, vom Lechfeld- Gulden hat schon manchen Auch Fugger derWeber Hans aus. Wirtschaftswachstum anhaltendes lang ein Kempten und Augsburg löstzwischen Italien, aus Innovation eine Barchent-Weberei, neue die ben, Todvom Schwarzen weitgehend verschont geblie- ist Ostschwaben Arbeitskräfte. die dort fehlen hat, hinweggerafft Einwohner zweiten jeden cherorts man- und gewütet Pest die Norditalien seit in Doch gewebt werden. weichen Baumwolltuche gehrten be- derdie aus Zypern, und Syrien Ägypten, aus Baumwolle mit hochbeladen Frachtwagen, kommen her. und Norditalien Aus hin Handel reger geht ein Alpen die Über haben. geschaffen Militärstraßen ihren mit zuvor Jahrtausende Römer eineinhalb die fi pro- Schwaben-Metropole Die Augsburg. und wird, eingeweiht wo 1355 Frauenkirche Nürnberg, die Reichsstädte beiden die Köln neben sind Städte bevölkerungsreichste Deren Nation. Deutscher Reichs Römischen Heiligen des IV. Kaiser Karl ist Luxemburger Der 14. des Mitte ist Es Jahrhunderts. Kaufl von Geschichte erfolgreiche hinweg Jahrhunderte über eine für legten denGrundstein Fugger ersten die Augsburg in als zurück, Jahrtausend halbes ein wir Blicken Finanzen? ohne che Welt und Markt ohne glückli- diese Gabes soanders? tatsächlich früher War schauen: Vergangenheit es die in chen und versu- auch es ernsthafter kann man Aber Geld. am Kritik die los.Nicht nichts einmal Moos Ohne sich könnte leicht es lästern: machenMan und tiert von einer günstigen Verkehrslage, die noch Verkehrslage, noch die von günstigen einer tiert euten und Bankiers. euten und mäße Hochzeit, doch ihm fehlt das Geld für die die für Geld das fehlt ihm doch Hochzeit, mäße standesge- eine Maximilian, Erzherzog nen Sohn, sei- für plant III. Friedrich Augsburg: in Besuch kaiserlichen einem mit beginnt Dies Bankgeschäft. ins denEinstieg für und Faktoreien Fuggerschen von Netz europaweite das für denGrundstock lich legenschließ- „denReichen“später wird, nennen denman Jakob, und Ulrich Söhne Seine führung. Buch- die sowie Finanzgeschäft und Metall- das manns-Söhne auch in Venedig Kaufmannskunst, Kauf- Nürnberger und Augsburger andere wie Fugger Jakob derjunge lernt geboren, nicht noch Luther und alt 1473, Jahre zwei gerade ist Dürer Kammern. eigene zwei über bald Fugger die verfügen Fondaco im Lagerräumen und Gewölben Von lässt. den80 veräußern gewinnbringend rum wiede- derHeimat sich in was und wird angeboten Venedig in was Zucker, und de, Glas alles, eben Sei- Gewürze, Erlösen stattlichen oft ihren sie mit kaufen So verboten. ihnen ist auszuführen derRepublik aus Bargeld doch verkaufen, und Waren anbieten Kaufl deutsche dürfen hier derDeutschen“. Nur „Karawanserei deiTedeschi Fondaco ab,der im sie wickeln Geschäfte Ihre Fugger. von Hans Schwiegervater und ber derWe- Zunftmeister Gfattermann, Hans Unter ist delsplatz. denErsten Han- bevorzugten zum Augsburger die für Venedig wird Lagunenstadt Die sondern der Händler hat den größten Profi hat dengrößten derHändler sondern Nicht hat: derHersteller, gleiche Wirkung die immer noch oft und heute weltweit noch funktioniert das Wirtschaften, Ein Gewinn. Ware mit diese tiert expor- wiederum Tuchen Händler Der begleichen. Weber gegenVorschuss, dengewebten mit dendiese die beliefert Venedig Genua, oder in der Baumwolle denKauf für aus Geld Vorlage das in legt Er geht: Verleger, erdenWebern gegenüber weil sogenannt, eute ihre eute ihre POLITIK UND WIRTSCHAFT H Profi i n n , . Von den80 e eimat wiede- eimat Sei Venedig

t - . t. ulrichen fugker“ erwähnt. fugker“ulrichen erwähnt. von „Banck die erstmals 1486 von wird Brief einem In Geburtsurkunde: Die eigene Kammer. eine Lagerräumen und Gewölben 80 mit Gebäude imposanten dem in Fugger Kaufl die 1484 bezogen eute. deutschen der Warenbörse die Venedig in war Tedeschi dei Fondaco Der erkennen: zu Bögen fünf seinen an Rialtobrücke der neben unmittelbar heute Noch se DieDi Königen. und Kaisern Päpsten, von Bankier (1459 war –1525) Reiche“ „der Fugger Jakob sein Markenzeichen: ist Kappe güldene Die i n M gü ü lde a rk ne e nz KaKap e i c h ppe e n ist : 29

© FürstFürst Fugger PrivatbanPrivatbankk POLITIK UND WIRTSCHAFT

Von Tizian für die Nachwelt dokumentiert: Kaiser Karl V., in dessen Reich die Sonne nicht unterging, ist 1548 zu Gast im Augsburger Fugger- palais. Jakob Fugger hatte mit viel Geld des Kaisers

Wahl unterstützt. © Martin Kluger notwendige Prachtkleidung. Ulrich Fugger stattet nem Goldenen Dachl entfernt, entwickelt sich zum die beiden Habsburger und ihr Gefolge auf Kredit größten und ertragreichsten in Europa. Zeitweilig mit edlen Tuchen aus. Des Kaisers Dank sind die holen über 10.000 Knappen das Silber- und Kupfer- beiden goldenen und blauen Lilien, die fortan das erz aus den Gruben. Mit mehr als 20.000 Einwoh- Familienwappen zieren. Wenig später ist in einem nern ist Schwaz um 1510 nach Wien der zweitgrößte Augsburger Ratsschreiben von der „banck von ulri- Ort in Österreich. 24 Jahre davor prägte die Münze chen fugker“ die Rede. Vier Worte, die als Geburts- im nahen Hall den ersten Taler, den Namensgeber urkunde der Fugger-Bank gelten. für alle folgenden Taler und den Dollar. Ein Pfenn- werthandel, den Anton Fugger, Neffe und Nachfahr Der aufstrebenden Bank ist es von Nutzen, dass von Jakob Fugger „dem Reichen“, einführt, sichert einer der Fugger-Brüder als Schreiber in der päpst- die Versorgung der Bergleute. lichen Kanzlei in Rom tätig ist. Das schafft Prestige und einen Informationsvorsprung gegenüber der Das Geschäft mit dem Bergbau läuft fast zwei Jahr- Konkurrenz. Auch das Geschäft fl oriert: Kirchliche hunderte, die Augsburger sind in Ungarn ebenso er- Würdenträger aus Deutschland führen ihre Abgaben folgreich wie im heutigen Südtirol, wo sich Sterzing an die päpstliche Kammer über die Bank der Fugger noch heute „Fuggerstädtchen“ nennt. Doch auch ab, für einige Jahre prägt die Fugger-Faktorei in mancher Rückschlag ist zu verkraften, wie beim Rom sogar die päpstlichen Münzen. Und 1505 ist ungarischen Handel, als 1525 die dortigen Knappen es ein Fugger-Kredit über 5.000 Dukaten, mit dem für mehr Lohn protestieren: Der ungarischem König Papst Julius II. die ersten 150 Schweizer Gardisten Ludwig II., der bei den Fuggern tief verschuldet ist, anwerben kann. Auch ihren dreiwöchigen Marsch nutzt die Unruhen dafür, die Fugger zu enteignen In Tirol bauten die Fugger über 700 Kilometer fi nanziert Fugger. Als der Papst und so auch seine Schulden los zu werden. Die Erz ab und prägten auch im Jahr darauf mit dem Bau des Petersdoms beginnt moderne Variante heißt Schuldenschnitt. Münzen, wie den Goldgulden und zur Finanzierung einen Ablass ausruft, wird Es ist auch eine erste Zeit der Globalisierung. mit dem Bildnis von Kaiser der „Peterspfennig“ selbst aus Schweden, Norwegen Kolumbus hat Amerika entdeckt, Handelsexpe- Maximilian I. und Island über die Fuggerbank nach Rom überwie- ditionen starten nach Ost und West, zu den „bei- sen. Doch der wuchernde und durchaus profi table den Indien“. An der ersten Ostindienfahrt dreier Ablasshandel bringt der Bank auch heftige Kritik deutscher Handelsschiffe im Jahr 1505, die unter ein, nicht zuletzt von Martin Luther. der Führung der Familie Welser organisiert wird, Neben Handel und Bank wächst mittlerweile der beteiligt sich auch Jakob Fugger, der Pfefferhandel Bergbau zu einem viel versprechenden Geschäfts- wird zu einem neuen Geschäftszweig. Fuggersche zweig heran. Landesherren, die das Recht auf Faktoreien entstehen im indischen Goa und im Ausbeutung der Erzgruben haben, reichen dies ge- mexikanischen Yucatan. Daneben beginnt der gen Kredite weiter. Gold und Silber zu verarbeiten Handel mit Juwelen, Gemälden und Büchern zu und mit ihm zu handeln, bringt den Kreditgebern blühen. Stiche von Dürer werden vertrieben, aber satte Renditen ein. Die Fugger engagieren sich vor auch Schläger und Bälle für die tennisbegeisterten allem in Tirol. Der Silberbergbau in der Gemeinde Wittelsbacher Ferdinand und Wilhelm über einen Schwaz, nur 20 Kilometer von Innsbruck mit sei- Agenten in Antwerpen besorgt.

Die „Fürst Fugger Privatbank“, die im vergangenen Jahr ihr 525-jähriges Bestehen feierte, betreut rund 5.000 vermögende Privatkunden. Neben ihrem Hauptsitz in Augsburg ist sie in München, Nürnberg, Stuttgart, Köln und Mannheim vertreten. Die Familie Fugger ist nur noch mit einem geringen Prozentsatz an der Bank beteiligt, den größten Teil der Anteile hält die Nürnberger Versicherungsgruppe.

30 Der Peutinger 5 / 2013 POLITIK UND WIRTSCHAFT

Schon vor 500 Jahren nahmen die Fugger den Seehandel mit „den beiden Indien“ auf. Die Karte zeigt die Routen der Augsburger Handelshäuser Fugger und Welser nach Amerika, Afrika

© concret Werbeagentur Augsburg und Indien. Staatsschulden, die Länder wie Griechenland oder ist im unmissverständlichen Mahnschreiben zu Portugal in die Knie zwingen und den gemeinsa- lesen. Majestät begleicht sogleich. men Euro gefährden, sind auch auf der Schwelle Jakob Fugger, inzwischen durch den Kauf der zur Neuzeit ein drückendes Problem der Herr- Grafschaft Marstetten in den Adelstands aufgestie- scher. Für die großen Bankhäuser ist die Finanz- gen, kennt sich aus mit gekrönten Häuptern. Der not der Herrschenden damals wie heute ein verlo- Ungarn-König Ferdinand I., die England-Könige ckendes, aber auch riskantes Geschäft. Kredite für Heinrich VIII. und Eduard VI. sind seine Schuldner, Kaiser und Könige sichern den Machtanspruch der selbst Königin Elisabeth I. bekommt einen Fugger- Habsburger – und Fugger hat beim Aufbau dieses Kredit. Die englische Krone steht bei Fugger zeit- neuen Weltreiches, in dem die Sonne nie unter- weise mit bis zu einer Million Gulden in der Kreide. geht, einen entscheidenden Einfl uss. Auch die einst mächtigen Welser, zeitweilig stärks- Fuggers Kredite für Kaiser und Könige sichern den te Konkurrenten, müssen bei Fugger anklopfen. Machtanspruch der Habsburger, das Augsburger Als die Welser 1614 in Konkurs gehen, sind die Bankhaus hat entscheidenden Einfl uss beim Auf- Fugger die größten Gläubiger. Doch nach spani- bau eines neuen Weltreiches, in dem die Sonne nie schen und französischen Staatspleiten kämpfen untergehen wird. Kaiser Maximilian ist 1519 ge- auch sie mit Problemen, aber keine ihrer zahlrei- storben, sein Enkel Karl, bereits König von Spanien, chen Gesellschaften geht jemals bankrott. Sie ach- will Nachfolger werden. Doch auch seine Kollegen

ten schon frühzeitig auf Nachhaltigkeit und legen © concret verlag Augsburg Franz I. (Frankreich) und Heinrich VIII. (England) einen erheblichen Teil der Gewinne in Grund und spekulieren auf Europas wichtigste Krone. Das Kur- Boden an, zudem sichert das Privileg eines Fidei- fürstenkollegium aber wählt Karl einstimmig, was commiss das Familienvermögen. Auf Dauer gesi- vor allem mit dessen 852.000 Gulden Wahlgeldern chert ist auch die Fuggersche Stiftung, die über zu tun hat. Eine immense Summe, zu der Jakob Jahrhunderte hinweg die Augsburger Fuggerei, die Fugger den Löwenanteil von fast 550.000 Gulden älteste noch bestehende Sozialsiedlung der Welt, beigetrug. bis heute fi nanziert. Einen Teil der Schuld begleicht der frisch gekrönte Die Fürst Fugger Privatbank und die Fuggerhäuser Kaiser mit den Rechten an ertragreichen Zinn- und sind noch heute Zeugen eines großen Wirtschafts- Quecksilberminen im spanischen Kastilien. Ein gu- erfolgs vor einem halben Jahrtausend. Und was um tes Geschäft für Fugger. Noch wichtiger aber ist die 1500 den Aufstieg ermöglicht, ist noch immer die enge Verbindung zum mächtigsten Mann der Welt. Voraussetzung für Aufschwung und Wohlstand: Der Habsburger ist auch zu Gast bei Fuggers in günstige Verkehrswege, mutige und tatkräftige Augsburg. Ein bemerkenswerter Besuch, den Tizian Unternehmer, gut ausgebildete Arbeitskräfte – und später auf der Leinwand festhalten wird. Als aber ausreichend Finanzmittel, um das große Rad der der Monarch mit der Tilgung in Verzug gerät, wird Wirtschaft in Schwung zu bringen. Geld war und der Bankier deutlich. „Es ist allgemein bekannt und ist dafür der Treibstoff, ohne den jeder Wirtschafts- liegt offen zutage, dass Eure Kaiserliche Majestät motor erst stottert und dann stillsteht. die römische Krone ohne mich nicht erlangt hätte“, Harald Fuchs ist Persönlich haftender Gesellschafter Ein „glanzvolles Kapital europäischer Wirt- Martin Kluger und Mitglied des Vorstands schaftsgeschichte“ nennt Martin Kluger seinen Die Bank der Fugger der Fürst FuggerPrivatbank kleinen, reich bebilderten Band über Beginn und Kommanditgesellschaft. Er context medien studierte Wirtschaftswis- Blütezeit der Fugger-Bank. Es ist zugleich ein und verlag, Augsburg senschaften und begann Beleg für die enge Verfl echtung zwischen Politik 52 Seiten, 14,90 Euro nach dem Studium bei der und Kapital zu Beginn der Neuzeit. Bayerischen Vereinsbank. 1990 wechselte Fuchs zur Fugger-Bank und stieg 2008

© context verlag Augsburg in den Vorstand auf.

Der Peutinger 5 / 2013 31 BÜCHER

Höhenfl ug im Sitzen Aufgewachsen in einem Dorf bei Lindau, will der junge Udo hoch hinaus. Bei der Lufthansa hat er die Aufnahmeprüfung zur Pilotenausbildung bereits bestanden, da beendet Blitzeis am Nikolaus- tag 1966 alle hochfl iegenden Pläne. Reiters Käfer kracht gegen einen Baum, der Fahrer ist quer- schnittgelähmt, das Weiterleben gelingt mühsam zwischen Hoffen und Bangen. Im Rollstuhl setzt Reiter sein Studium fort und beendet seine Doktorarbeit, dann aber besorgt er sich eine Pistole und formuliert den Abschiedsbrief an die Eltern. Er drückt nicht ab. Was danach geschieht, gehört zu den unglaublich, aber wahren Geschichten, die – wie man so schön sagt – das Leben schreibt. Ein- und Aufstieg beim Bayerischen Rundfunk, wird Hörfunkdirektor und Entdecker von Thomas Gottschalk. Udo Reiter Er hat die Schneid, nach der Wende das Angebot anzunehmen, für Sachsen, Thüringen und Sachsen- Gestatten, dass ich Anhalt den Mitteldeutschen Rundfunk MDR aus dem Nichts aufzubauen. Udo Reiter ist blitzgescheit, sitzen bleibe heiter und selbstironisch zugleich. Er erzählt locker von den unzähligen Mühsalen, die ein Sitzen- Aufbau Verlag, Berlin, bleiber im Vergleich zum Fußgänger zu ertragen hat. Und er beschreibt mit noch immer nacheilen- 248 Seiten, 19,90 E dem Erstaunen die Aufbaujahre in Leipzig. Ein starkes Buch über ein ziemlich tolles Leben.

Blutige Heimat In der Heimat ist schön morden. In zahlreichen Regionalkrimis zieht sich quer durch Bayern eine literarische Blutspur: In der Schoppenfetzer-Reihe lässt Günther Huth seinen Kommissar Rottmann Tote im Rotweinfass fi nden und Mördern im Weinberg nachjagen. In den Alpenkrimis von Jörg Maurer sterben die Opfer, wo andere Urlaub machen, sein Kommissar Jennerwein spürt eine Leichen-Mafi a auf und fahndet nach einem verschwundenen BKA-Ermittler. In Niederbayern schockt das „Waldsterben“, in Ingolstadt droht das „Donaugrab“. Der Star aller Regionalkommissare aber ist Kluftinger aus dem All- gäu, ein kauziger Ermittler, der mit jedem neuen Fall die Bestsellerlisten erklimmt und inzwischen auch Volker Klüpfel, Michael Kobr als TV-Kommissar die Bildschirme erobert hat. „Herzblut“ ist der nunmehr achte Schwaben-Krimi des Autoren-Duos Volker Klöpfel und Michael Kobr. Wieder wittert Kluftiger das Verbrechen, wenn Kollegen Herzblut ihn noch verspotten. Brutale Morde schocken das Allgäu, eine große Blutlache im Wald bringt Kluftiger Kluftingers neuer Fall auf die Spur. Mit „Herzblut“ beginnen die Autoren auch an ihrer skurrilen Figur zu feilen, schocken ihn Droemer Verlag, München mit Herzschmerzen und entwöhnen ihn von Schweinsbraten und Leberkäs-Semmeln. Am Ende ist der 400 S., 19,99 E Fall gelöst und Kluftinger um viereinhalb Kilo leichter.

Grausame Hände Es hätte ein heiteres Buch werden können: In der chinesischen Provinz Nordost-Gaomi eilt die junge Ärztin Gugu auf ihrem Fahrrad zu den Gebärenden, befreit sie von den Quacksalbern und hilft mit Eifer und Sachkunde Hunderten kleiner Chinesenkindern auf die Welt. Aber es wird ein Buch voller Grausamkeiten: In der Kulturrevolution noch verfolgt, wird Gugu zur glühenden Mao-Kommunistin und exekutiert dessen Ein-Kind-Politik gnadenlos und brutal an verzweifelten Schwangeren. Viel Blut klebt an den Händen der einstigen Hebamme. Mo Yan, Literaturpreisträ- ger 2012, lässt den Ich-Erzähler schonungslos und ohne Emotion von seiner Tante Gugu berich- ten. Ein großes Erzählwerk über eine kalte Ideologie, eine beklemmende Abrechnung mit den Mo Yan unmenschlichen Folgen der chinesischen Bevölkerungspolitik. Und eine neue Erkenntnis für Frösche, Roman alle, die im vergangenen Jahre die Vergabe des Literaturpreises an Mo Yan kritisiert hatten, weil Carl Hanser Verlag, München dieser kein Dissident ist. Regimetreu ist dieses 2009 in China erschienene Buch wahrlich nicht. 509 S., 24,90 E

Wider das Vergessen Der Schuber schwarz wie Ruß, die Einbände der zehn Bücher ebenso. Darüber gestempelt „Verboten!“ in roter Frakturschrift. So kommt das traurigste und notwendigste Buchprojekt dieses Jahres daher: Mit der Sonderedition „Bibliothek der verbotenen Bücher“ erinnern die Bild-Zeitung und die deutsche Buchbranche an die Bücherverbrennung am 10. Mai vor 80 Jahren. Auf dem Königsplatz in München, dem Opernplatz in Berlin, dem Römerberg in Frankfurt. „Die Feuerbrannten“, schrieb Erich Kästner. In der „Aktion wider den undeutschen Geist“ verbrannten, von Studentenschaften organisiert, Nazi-Horden Zehntausende Werke verfemter Autoren und setzten ein Fanals: „Dort wo man Bücher verbrennt, Bild-Edition verbrennt man am Ende auch Menschen“, hatte Heinrich Heine schon ein Jahrhundert davor gewarnt. Verbotene Bücher Sein Satz sollte auf schreckliche Weise Wahrheit werden. Der schwarze Schuber mit den zehn meist 10 Bände weltbekannten Autoren ist ein kräftiges Zeichen wider das Vergessen und für die Kraft der Bücher. Im Schuber 75 E Den Machern gebührt Dank und Respekt, die Käufer haben zudem ein zehnfaches Lesevergnügen von Einzeltitel je 9,99 E Tucholsky über Feuchtwanger bis Brecht.

32 Der Peutinger 5 / 2013 KULTUR

Nikolaus Bachler Sie strahlen als Zwillingssterne, ohne sich je zu einer weltanschaulichen Analyse. Dieses kaum berühren. erklärbare Mehr macht Wagner geeignet, Kult zu werden. Verdi war nie Kult. Verdi geht über die Die Dioskuren am Opernhimmel, die weltweit Story. Wagner schafft Weltbilder, Verdi Menschen- jeden Abend nebeneinander auf den Bühnen exis- bilder. Verdi braucht Mitarbeiter, Arbeitspart- tieren – Wagner oder Verdi? Fisch oder Fleisch, ner, sucht den Dialog. Wagner Meer oder Berg, Sonne oder braucht vor allem Zuhörer und Stern? Die Entscheidung Bewunderer. für einen der beiden macht Opernfreunde zu Sektenan- Gedanken zum Im Alter schreibt Wagner seinen gehörigen. Man ordnet sich 200. Doppelgeburtstag Parsifal, eine reichlich lebensfer- einer Gruppe zu, die die je- ne Meditation über die Erlösung. weils andere als zu primitiv von Wagner und Verdi Verdi schreibt Falstaff, eine (Verdi) beziehungsweise als lakonisch traurige Betrachtung zu gewalttätig oder intellek- über das Altwerden. Persönlich, tuell (Wagner) empfi ndet. human, lebensnah. Kann man diese komplett verschiedenen Ange- Und so strahlen sie als Zwillingssterne. bote, mit den Fragen des Lebens umzugehen, in Sie erzeugen sich Licht und Schatten, ohne sich je einen konstruktiven Kontrast bringen? zu berühren. Verdi setzt auf direktes, emotionales Erleben der Tragik, der Träume, Ekstasen und Konfl ikte Nikolaus Bachler ist Intendant der Bayerischen Staats- der Figuren. Bei Wagner liegen die Räusche und oper München. Nach neun Intendanten-Jahren am Weiner Konfl ikte irgendwo im Klangmeer zwischen den Burgtheater, wechselte Bachler 2008 nach München, im Figuren. Er benutzt das Drama zur Realisierung vergangenen Jahr wurde sein Vertrag bis 2018 verlängert.

Der Schwierige: Richard Wagner, Der Populäre: Guiseppe Verdi, geboren geboren am 22. Mai 1813 in am 9. oder 10. Oktober 1813 in Le Ron- Leipzig, gestorben am 13. Februar cole im Herzogtum Parma, gestorben am 1883 in Venedig. 27. Januar 1901 in Mailand. Zwillingssterne

Der Peutinger 5 / 2013 33 KULTUR

Der Peutinger: Applaus im Festzelt und auf dem Parteitag – ist nicht das die schönste Musik für einen Politiker? Rainer Brüderle: Es stimmt schon: Applaus kann einen bestätigen, Applaus gibt Kraft. Wenn man be- jubelt wird für etwas, von dem man selbst überzeugt ist, dann klingt das sprichwörtlich fast wie Musik in den Ohren. Aber auch für einen Politiker bleibt die „echte“ Musik die schönste Musik. Jedenfalls für mich. Und was den Applaus angeht: Vor allem ist es wichtig, sich nie auf den Lorbeeren auszuruhen, son- dern den Applaus als Anreiz zu verstehen, für seine Überzeugungen weiterzukämpfen. Das gilt für Politi- ker wie für jeden anderen Menschen. DP: Wenn es im Bundestag mal wieder richtig nervig war – welche Musik bringt Ihnen Entspannung? Brüderle: Ich bin gerne Mitglied des Deutschen Bundestages. Wir sind ein sehr stolzes Parlament und haben uns in dieser Legislaturperiode mehr Rechte erkämpft als jedes demokratische Parlament BegBe eise sterte tee WagWagnerianer:: in Deutschland zuvor. Aber auch wenn meine Ar- FDPFDD -FrFrakaktak ionschef Rainerr beit spannend ist und mir viel Freude macht, sind Brüüderlee mitt Ehefref auu Anggelika manche Tage einfach sehr lang. Dann erhole ich imm vererganangeng en Jahr beie mich gern bei guter Musik. Ich höre durchaus viele „Holländeer“-Premiere in verschiedene Musikrichtungen. Da darf es ein klas- Baya reur th. sisches Konzert sein, je nach Stimmung aber auch einmal der bunte Mix der Rock- und Popmusik. Bei letzterer freut mich besonders, dass in den letzten Jahren zunehmend deutschsprachige Songs wieder populär geworden sind und häufi ger gespielt werden. DP: Wer entscheidet, welche Konzerte oder Opern Provokation Sie besuchen: Sie oder Ihre Frau? Brüderle: Das entscheiden wir zusammen. Meine Frau und ich sind seit über 30 Jahren verheiratet. Die Musik verbindet uns natürlich auch. Wenn einer von uns ein Konzert- oder eine Opernankündigung sieht, die ihn interessiert, dann schauen wir, ob Bayreuth wir es terminlich schaffen, zusammen hinzugehen. Wenn ich mehr Zeit hätte, dann würde ich auch öfter Zu den Jubiläums-Festspielen ein Interview ins Konzert gehen. Dieses Live-Erlebnis in einem schönen Festspielhaus ist einfach durch nichts zu mit dem Opern-Fan Rainer Brüderle ersetzen. DP: Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Bayreuth- Besuch? Brüderle: Ja, das war vor ca. 20 Jahren. Die Stim- mung hat meine Frau und mich von Anfang an be- um 200. Geburtstag von Richard Wagner: geistert. Und die Aufführung war etwas ganz Beson- ZFDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle im deres. Damals wurde Tannhäuser gespielt. DP: Stört es Sie, dass man über Sie und andere Peutinger-Interview über das Schaulaufen in Ehrengäste in Bayreuth sagt: Die gehen ja nur hin, Bayreuth, den musikalischen Revolutionär um gesehen zu werden? Wagner und nachhaltige Bauwerke wie Brüderle: Es ist ja gerade anders herum: Man geht nach Bayreuth, um etwas Außergewöhnliches zu se- Neuschwanstein und Stuttgart 21. Mit dem hen. Und das sind die Wagner-Aufführungen immer. FDP-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bayreuth ist ein großartiges Erlebnis. Wer einmal dabei war, will auch beim nächsten Mal wieder da- Bundestag sprach Peutinger-Chefredakteur bei sein. Mir geht es nicht ums „Sehen und Gesehen Peter Schmalz. werden“. Dass die Festspiele von der bunten Presse vor allem als Promi-Event wahrgenommen werden, liegt in der Natur des Boulevards. Stören tut mich das nicht. Ich genieße die Aufführungen und die wunderbare Atmosphäre.

34 Der Peutinger 5 / 2013 KULTUR

DP: Wagner war ein Revolutionär, er musste sogar DP: Wagner zeigt: Macht und Liebe vertragen sich nde mal das Land verlassen. Ein liberales Vorbild? nicht. Politik ist Streben nach Macht. Bleibt dabei ege r fl i Brüderle: Wagner war eine genauso geniale wie das Gefühl auf der Strecke? De umstrittene Persönlichkeit. Seine Werke sind Aus- Brüderle: Politiker sind Menschen. Das ist so ba- nder gangspunkt der Modernen Musik. Wagner hat die nal wie wahr. Gefühle können nie auf der Strecke ollä Harmonik in den Vordergrund seines Schaffens, bleiben, auch wenn es äußerlich für manchen so H in die Musik gerückt. Das war revolutionär. Wie aussehen mag, dass Politiker nur machtstrebend d kaum ein anderer Künstler hat Wagner polarisiert. gol handeln. Wir haben eine große Verantwortung, hein Thomas Mann hat ihn als „luxusbedürftigen Re- müssen Entscheidungen treffen, die nie jedem Ein- s R volutionär“ bezeichnet. Seine Motivation war eine zelnen gefallen können. Aber glauben Sie mir, wir Da sich stets wandelnde Mischung aus humanistisch- machen uns keine Entscheidung leicht. Ohne Ge- aufklärerischer Revolution gegen Aristokratie, aus fühle würde man als Politiker scheitern – wie auch üre romantischen Aspekten wie der Rückkehr zur Na- jeder andere Mensch. alk tur und der Ablehnung der Industrialisierung, aber W DP: Ohne die großzügige Hilfe von König Ludwig II. e auch aus nationalistischen Phantasien von der to- Di talen Einheit einer Rasse oder eines Volkes. Liberal hätte Wagner sein Genie womöglich nie ausleben ist das nicht. Gerade letzteres Gedankengut lehnen können. Mit welchem Gönner könnte er heute wir Freien Demokraten mit Vehemenz ab. Aber ei- rechnen? Brüderle: In Deutschland gibt es viele großzügi- ied ne Vorbildfunktion in der Musik würde ich ihm in egfr aller Bescheidenheit allemal bescheinigen. ge und uneitle Mäzene. Viele möchten gar nicht, Si dass ihr Engagement in Kunst und soziale Projekte DP: Der Ring der Nibelungen steht im Mittelpunkt ng bekannt wird. Das ist eine Form der Kultur- und eru der diesjährigen Jubiläumsfestspiele. Der Ring, der Gesellschaftsförderung, die wir Liberale begrüßen mm die Macht über die Welt verleiht: Ein Sehnsuchts- rdä und unterstützen. Bei der Finanzierung allein auf ötte stück für Politiker? die Privatiers zu setzen, reicht aber nicht aus. Des- G Brüderle: Sicherlich nicht. Der Ring bringt letztlich wegen fördern Bund und Länder Kulturschaffende nur Unheil. Macht muss geteilt werden. Jeder muss und Kultureinrichtungen. ser Einfl uss haben können auf das Umfeld, in dem er häu lebt. Fremdbestimmung schafft Ungerechtigkeit, DP: Wegen seiner Unterstützung für Wagner und ann und ein Ungleichgewicht in der Machtverteilung mehr noch wegen seiner Bauten wurde dem König T birgt eben diese Gefahr. Ein Politiker muss von De- Verschwendungssucht vorgeworfen. Waren es aber mokratie und Pluralismus überzeugt sein und diese nicht nachhaltige Investitionen, an denen wir uns heute noch ergötzen? in leben. ngr Brüderle: Es liegt häufi g in der Logik von nachhal- ohe DP: Wotan kommt in Probleme, weil er uneinhalt- tigen Investitionen, dass sie erst später als solche L bare Verträge einhalten will. Erinnert Sie das nicht wahrgenommen und bestätigt werden. Das gilt an die Krisenlage in Europa? für die vielseitigen und inspirierenden Bauwerke Brüderle: Im Gegensatz zu Wotan hat sich in der Ludwigs II. genauso wie für moderne Investitionen. Euro-Gruppe niemand eine Burg von zwei Riesen Über Stuttgart 21 heißt es ja auch, dass das Projekt bauen lassen und den Erbauern als Bezahlung die verschwenderisch sei. Bei der Planung und Kom- Göttin Freia versprochen. Aber im Ernst: Die Krise munikation hat es Probleme gegeben. Das lässt in Europa hat nichts mit uneinhaltbaren Verträ- sich nicht bestreiten. Aber ich bin mir sicher, dass gen zu tun. Freilich war es nach der Einführung wir in einigen Jahren, wenn der Bau abgeschlossen des Euros zunächst versäumt worden, Kriterien zu ist, zurückschauen werden und die Nachhaltigkeit schaffen, damit die Währung stabil bleibt. Dadurch des Projekts schätzen werden. sind einige Euro-Länder in die Staatsschuldenkrise geraten. Diese Fehlentwicklungen müssen heute DP: Ratten im Lohengrin, Biogasanlagen beim korrigiert werden, aber da sind wir auf einem guten Tannhäuser und in diesem Jahr der gefürchtete Weg. „Stückezertrümmerer“ Frank Castorf als Ring-Re- gisseur. Erlebten Sie schon Bayreuther Abende, bei DP: Wagner-Enkel Wieland Wagner verglich Walhall denen Sie am liebsten aufgestanden und gegangen einmal mit Wallstreet. Der Götterpalast als Speku-

wären? fdp-bundestagsfraktion© lantenbude, in der um die Weltenmacht gezockt Brüderle: Die Inszenierungen waren in den letzten wird? Jahren sehr vielfältig, manchmal auch provokant, Auch mit 68 gilt der gebürti- Brüderle: Sprachlich lässt sich eine Ähnlichkeit ge Berliner Rainer Brüderle wenn ich zum Beispiel an Christoph Schlingensief zwischen Walhall und Wallstreet sicher nicht be- als einer der leidenschaft- denke. Ich würde aber nie vor dem Ende aufstehen lichsten Wahlkämpfer der streiten. Als Spekulantenbude würde ich den Bör- und gehen, denn gerade bei Wagner-Opern kann FDP. Ein Grund, weshalb der senhandel aber nicht beschreiben. Richtig ist, dass gebürtige Berliner Spitzen- es auf den Finanzmärkten Entwicklungen gegeben ein gelungenes Finale den höchsten Kunstgenuss kandidat seiner Partei für bedeuten. den Bundestagswahlkampf hat, die dem Gesamtsystem, der Weltwirtschaft wurde. Brüderle war elf schaden. Es gibt aberwitzige Finanzprodukte, Kon- DP: Welchen Wunsch haben Sie für Bayreuth im Jahre Wirtschaftsminister struktionen, Spekulationen, in denen Geld nur als 200. Geburtstagsjahr? in Rheinland-Pfalz und von fl immernde Ziffern am Monitor wahrgenommen Brüderle: Großartige Festspiele, begeisterte Be- 2009 bis 2001 Bundeswirt- schaftsminister, bevor ihn wird. Wir haben schon einiges getan, um dies zu sucher mit Musik im Herzen und mindestens 200 die FDP-Bundestagsfrakti- regulieren. weitere Jahre Bayreuth. on zu ihrem Chef wählte.

Der Peutinger 5 / 2013 35 Schützengraben 36 zu erfahren. Schreckensjahre diese über mehr Interesse, neues ein Jugend der bei auch wächst leben, Zeitzeugen wenige noch nur wo Tabu. Jetzt, ein Wehrmachtssoldaten der Sterben und Leiden das war Jahrzehntelang Opas Ängste im Großeltern imKriegerlebthaben Die Deutschen wollen wissen,was ihre Eltern und POLITIK UND WIRTSCHAFT U 17- oder18-jähriges Bürschchen, im Dezember1944 der Lage zuerkennen. Soschrieb mein Onkel, ein sinnlos verheizt worden ohnedenErnst sind,oft Männer, ihreSöhne,dieirgendwo an derFront Frauen hatten unvorstellbare Todesangst umihre und Fröhlichkeit demSchrecken undGrauen.Die nicht vorstellen. Doch allmählich wichen Heiterkeit jemals geschehen würde,konnte man sich lange ben, dieaufdeutschen Städte fi zu beklagen hatten, später durch dieersten Bom- durch gefallene Soldaten, dieimmermehrFamilien Aber mitdenKriegsjahrenrückte ernäher, anfangs Heimat, undderKriegwar zunächst weit, weit weg. Unsere Mütter undGroßmütter blieben in der und irgendwann einmal zurückkam. dass erinRusslandwar, verletzt worden ist, inGefangenschaft geriet sie gesehen undgetan hatten. Von meinemVater weiß ich leidernur, Verdrängung derErinnerungalsSelbstschutz. Zubrutalwar das,was das, was siewirklich erlebthatten, wollten diemeisten nicht sprechen. ren zukönnen,waren siezerschunden, körperlich wieseelisch. Über Klaus G. Förg Polen oderFrankreich. Und wenn siedasGlück hatten, zurückkeh- nsere Väter undGroßväter waren imKrieg,irgendwo inRussland, elen. Dassdies Buchheim erlebte 1975 vor allem durch diepackende den Archiven. Nur „DasBoot“von Lothar-Günther Bücher, dieRomane verschwanden schließlich in mitbrachten. Doch allmählich fi welche Geschichten andereSoldaten ausdemKrieg lich überwiegend Veteranen, die wissenwollten, berichteten. DieLeserdieserBücher waren vermut- nissen derdeutschen Soldaten imZweiten Weltkrieg che Romane verfasst, dieauthentisch von denErleb- In den50er- und60er-Jahren wurden zeitgeschichtli- ihm dannleiderkeine Zeitmehr. draufbrennen“ würde.Zurtieferen Einsicht blieb man demheranrückenden Amerikaner schon „eines wenige Tage vor seinemTod anseineMutter, dass Der Peutinger 5/ Peutinger Der 2013 el Staub aufdiese

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© David Sláma/ZDF – Unsere Mütter, unsere Väter © A0002-008 Deutsches Wehrkundearchiv

Verfi lmung einen unglaublichen Erfolg. Aber danach Fernsehen entdeckt und brachte immer höhere Über sieben Millionen sahen wurde es wieder ruhiger mit der Zeitgeschichte. Die Einschaltquoten. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst den ZDF-Dreiteiler „Unsere historischen Fakten wurden zwar systematisch und des ZDF-Redakteurs Guido Knopp, dem es gelang, Mütter, unsere Väter“, der fast lückenlos aufgearbeitet, sie bleiben aber Wissen Zeitgeschichte als eine ebenso spannende wie dramatisch und drastisch für die Geschichtsbücher. informative Unterhaltung zu gestalten. ARD und die Hölle an der Front zeigte. ZDF nahmen immer häufi ger dokumentarische Im Film erleidet der Schau- Wo aber sind die Emotionen geblieben? Die Gedan- Spielfi lme ins Programm, wie die Historienstücke spieler Tom Schilling als Sol- ken der Soldaten, die im Schützengraben an ihre El- „Rommel“ über den legendären „Wüstenfuchs“ oder dat Friedhelm Winter (li.) das tern, ihre jungen Frauen, ihre Kinder dachten. Was „Adlon“ über das berühmte Hotel am Brandenburger Grauen unterm Stahlhelm, haben sie gefühlt, als ihnen bewusst wurde, dass sie Tor und seine Familie. Auch Jahrestagen wurde mit in der Wirklichkeit starben ihre Familien möglicherweise nie mehr wiedersehen Spielfi lmen und nachfolgenden Dokumentationen über drei Millionen deutsche werden, sich nicht einmal mehr von ihnen verab- gedacht, wie zu Beginn des Jahres mit Film und Soldaten einen grausamen schieden können? Vieles werden wir nicht mehr Doku zum Reichstagsbrand. Die Nation bewegt hat „Heldentod“, eine weitere erfahren, denn lange wurde geschwiegen, verdrängt, erst kürzlich der Dreiteiler „Unsere Mütter – unsere Million gilt noch heute als und jetzt leben die meisten nicht mehr, die es uns Väter“. Drastisch wie nie zuvor wurde das sinnlose vermisst. erzählen könnten. Leiden und Sterben an der Front gezeigt, wurden die Jahrzehntelang hat unser Volk gebraucht, das Hoffnungen und die Ängste der Soldaten erlebbar, Grauen des Dritten Reiches zu verarbeiten. Wir wurden die Verbrechen eines mörderischen Regi- schufteten – und schwiegen. Und entwickelten viele mes offenkundig. Ein Schweigen scheint gebrochen. Jahre kein Nationalgefühl. Die schwarz-rot-goldenen Spät, fast zu spät, denn in dem Moment, in dem die Fahnen blieben eingerollt. Erst im November 1989 letzten Zeitzeugen von uns gehen, wollen wir sehen wurden sie wieder geschwenkt, von den Ostdeut- und lesen, was unsere Vorfahren, die uns erzogen schen. Jahre später, beim deutschen „Sommermär- haben, wirklich erlebt, gesehen, gefühlt und getan chen“, der Fußballweltmeisterschaft im eigenen haben, in einer Zeit, die die Welt nicht vergessen Lande, dann von allen. Da ist, über 50 Jahre nach kann – und darf. dem Ende des Schreckensregimes, ein Nationalge- Weil es aber fast niemanden mehr gibt, der über fühl zurückgekehrt. diese Zeit aus eigenem Erleben berichten könnte, Und damit wuchs auch der Wunsch, mehr zu wissen ist der Buchversender Weltbild wieder ins Archiv über die eigene Geschichte. Vor rund zehn Jahren gestiegen und hat einige frühere Bücher mit konnte ich bereits steigendes Interesse an authen- authentischen Berichten als Sammleredition tischen Romanen feststellen, in denen Soldaten von „Soldatenschicksale“ ins Angebot genommen. Der ihren Erlebnissen und ihren Gefühlen während des erfolgreiche Start zeigt großes Interesse daran. Es Einsatzes in den Kriegsgebieten berichteten. Nur sind keine Landsergeschichten mit stupider Kriegs- wenige aber wollten diese Romane verkaufen. Die verherrlichung oder gar braungefärbte Kampfpropa- Buchhändler schon gar nicht. Und Amazon war noch ganda. Es sind die Erzählungen von Menschen, die nicht erfunden. Der Buchversender Weltbild nahm Schreckliches erlebt haben und darüber berichten, einige Buchtitel ins Programm, doch trotz teils soweit es ihnen das Erinnern möglich macht. fünfstelliger Aufl agenzahlen verbannte er sie wieder Und die Leser sind nicht Ewiggestrige, sondern aus dem Angebot. Die Gesellschafter wollten kein Junge und Alte aus allen Gesellschaftsschichten Drittes Reich im Versandkatalog sehen. und über Parteigrenzen hinweg. Jetzt, nach vielen Jahrzehnten, scheint für uns Deutsche die Zeit für Mittlerweile aber wurde Zeitgeschichte auch vom Zeitgeschichte gekommen.

Erinnerungen an den furchtbarsten Abschnitt ihres Lebens: Mit der Sammler-Edition „Soldatenschicksale“ legt der Weltbild-Verlag eine Reihe von romanhaft verarbeiteten Zeitzeugenberichten von der Klaus G. Förg ist Chef Front neu auf. Darunter ist auch der Band „Verwehte Spuren“ des Rosenheimer Verlags- von Franz Traut über die Erlebnisse von Gebirgsjägern an der Ostfront hauses, das er von seinem (12,45 E). Die Bücher der Edition kommen aus dem Rosenheimer Verlags- Vater übernommen und haus, das ebenfalls Zeitzeugenromane aus dem Zweiten Weltkrieg anbie- ausgebaut hat. Er verfasste tet. So den Band „Wo sind sie geblieben“ von F. John-Ferrer (12,95 E). als Autor und Fotograf zahl- „Die Quelle für diese Bücher“, so Rosenheimer-Verleger Klaus G. Förg, reiche Bildbände darunter „sind intensive Gespräche der Autoren mit ehemaligen Soldaten über „Zauberhafter Chiemgau ihre grauenvollen Erlebnisse. Sie sind authentische Romane.“ aus der Luft“, „Berlin“ und „Traumreise durch Namibia“.

Der Peutinger 5 / 2013 37 PEUTINGER-COLLEGIUM · VERANSTALTUNGEN

Führende Zukunftsregion 1

en Menschen in Bayern geht es so gut wie noch nie Dzuvor. Mit soliden Finanzen und der Kraft zur Zukunft gehöre Bayern nicht nur zu den wohlhabendsten Regionen der Welt, sondern sei auch das Chancenland Nr. 1, betonte Ministerpräsident Horst Seehofer vor dem Peutinger-Col- legium, das zum politischen Abend ins Münchner Westin Grand geladen hatte. Eine erstklassige Infrastruktur sei Voraussetzung dafür, dass Bayern seine Spitzenposition auch künftig halten kann. Deshalb, so der bayerische Re- gierungschef, investiere der Freistaat auch zwei Milliarden Euro in die digitale Zukunft. Seehofers Vision laute: „Bayern als führende Zukunftsregion im digitalen Zeitalter.“

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Kundengelder sicher verwahren 1

angfristige Stabilität muss in Europa wieder Vorrang Lerhalten vor kurzfristiger Stabilisierung, forderte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), Georg Fahrenschon in seinem Vortrag vor dem Peutinger-Collegium in der Münchner BayWa-Zentrale. Die Finanzwirtschaft, die in der Krise viel Vertrauen verloren habe, müsse wieder die Akzeptanz der Menschen gewin- nen und sich auf die alten Grundfunktionen von Kreditin- stituten besinnen. Dies bedeute, so der frühere bayerische Finanzminister, dass die Geldinstitute die Einlagen der Kunden sicher verwahren und so anlegen, dass diese Ein- lagen zu volkswirtschaftlich sinnvollen Investitionen zur Verfügung stehen. Foto: Justa/München Foto:

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2 Voller Zuversicht und Optimismus: Ministerpräsident Horst Seehofer spricht beim Peutinger-Collegium über „Solide Finanzen und Kraft zur Zukunft“ (Bild 1). Peutinger-Präsident Dr. Marcus Ernst dankt dem Regierungschef Bild 2). Präsidiumsmitglied Robert Salzl heißt den hohen Gast willkommen (Bild 3). Dialog mit den Zuhörern: Rechtsanwalt Alexander Grundner-Culemann, Leiter des Peutinger Mittagskreises, war einer der zahlreichen Fragesteller (Bild 4). Auch Berlin hört zu: CSU-Bundestagsab- geordneter Dr. Hans Peter Uhl (Bild 5). 4 Von der Bayerischen Staatskanzlei: Christian Taubenberger, Persönlicher Referent und Dipl.-Ing. Rupert Odersky, Ministerialrat (Bild 6). Rechtsanwalt Dr. Christoph Rückel, Ehefrau Michaela und CSU-Landtagsab- geordneter Georg Eisenreich (Bild 7). Frohgestimmte Zuhörer: Japans General- konsul Akira Mizutani und der Arabella- Manager Reinhold Weise (Bild 8). Mehr über den Peutinger-Abend auf den Seiten 10 – 12.

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234„Die Sparkassen: stark – stabil und sicher!“ Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon vor dem Peutinger-Collegium (Bild 1). Florian Besold, Präsident Bayerische Volksstiftung, Peutinger-Schatzmeister Dr. Marcus Lingel und Präsidiumsmitglied Dr. Klaus Leipold (Bild 2). Gastgeber des Finanz-Abends: Dr. Klaus-Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender BayWa AG (Bild 3). Juwelier Egmont Ernst und Peutinger- Conventor Ulrike Berner (Bild 4). Gynäkologe Dr. med. Klaus Ihm, Luxem- burgs Honorargeneralkonsul Dr. Ing. Hanns 567 Maier sowie die Rechtsanwälte Dr. Klaus Werner und Christoph Löhr (Bild 5). Brigitte Bührlen, Vorsitzende der WIR!Stiftung pfl egender Angehöriger mit Rechtsanwältin Annette Zabransky (Bild 6). Personalberater Dipl.-Ing. Tino van Elst (Bild 7). Mehr über den Peutinger-Abend auf den Seiten 25 – 27.

Der Peutinger 5 / 2013 39 PEUTINGER-COLLEGIUM · VERANSTALTUNGEN

Kein1 Zweifel an Solidarität 1

ie deutsche Politik zur Euro-Rettung muss besser Derklärt werden, forderte Roland Berger beim Wirt- schafts-Abend des Peutinger Collegiums in den Münchner Räumen der Donner & Reuschel-Bank. Der Aufsichtsrats- ehrenvorsitzende der von ihm gegründeten Unternehmens- beratung Roland Berger Strategy verwies auf das schlech- te Image Deutschlands vor allem in den Krisenstaaten, wodurch auch die deutsche Exportwirtschaft Schaden lei- den könnte. An der deutschen Solidarität zur Euro-Rettung dürfe kein Zweifel bestehen, denn auch Berlin habe keinen Plan B: „Ein Deutschland ohne Euro-Zone und EU, Europa ohne den Euro – das mag man sich kaum vorstellen.“

Ungewöhnliche Wege gehen 1

icht nur Jüngere sind innovativ.“ Beim Peutinger- „NAbend im Bayerischen Hof plädierte Prof. Dr. Marion Schick, Personalvorstand der Telekom, für einen Generationenvertrag in den Unternehmen: „Jüngere und Ältere bringen ihre Stärken ein und lernen voneinander.“ Dies sei nicht nur wegen der demographischen Entwick- lung eine echte Chance für die Unternehmen. Nicht nur Frauen möchte sie Mut machen, „auch ungewöhnliche Wege zu gehen“. Geboren in Schrobenhausen, wurde sie erste Präsidentin der bayerischen Fachhochschulen, wurde Kultusministerin in Baden-Württemberg und ist seit Mai 2012 als Personalvorstand die starke Frau an der Telekom-Spitze.

„Kauft mehr US-Produkte“ 1 1 ie USA sind für bayerische Exporte das Zielland Num- Dmer 1, noch vor seinen europäischen Nachbarn und vor China. „Das beweist, wie clever die Amerikaner sind: Wir haben den Wert bayerischer Qualität erkannt“, scherz- te der US-Generalkonsul William E. Moeller beim Peutin- ger-Abend im Garchinger Forschungszentrum von General Electric. Leider aber, fügte er hinzu, sei dies umgekehrt bei den bayerischen Importen aus den USA noch nicht der Fall: „Momentan liegen wir hier auf Platz vier hinter Ös- terreich, China und Italien.“ Moeller versprach, mit seinem Team hart daran zu arbeiten, dass sich dies ändere, denn „das können wir nicht auf uns sitzen lassen“. Foto: Justa/München Foto:

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23 4 5 Europas Stärke liegt in der Gemeinschaft“: Prof. Dr. h.c. Roland Berger zum Thema „Europas Rolle in der Weltwirtschaft“ (Bild 1). Begrüßte den Gast: Peutinger-Co-Präsident Prof. Dr. Bernd Grottel (Bild 2). Sprach das Schlusswort: Gastgeber des Abends Donner&Reuschel-Vorstand Jörg Laser (Bild 3). Desirée Goltermann, Donner & Reuschel und Christoph Urban (Bild 4). Peutinger-Chefredakteur Peter Schmalz und Peutinger-Pressesprecher Bernd Nobis (Bild 5). 67 Intensiv im Gespräch: Dagmar Freiin Horst- von Hunoltstein, Handlungsbevollmächtigter a.D., Dipl.-Ing. Karl-Heinz Schmid und Rudolf von Haniel (Bild 6). Consulting-Manager Dr. Gerhard Schmidt, Dr.h.c. Erich Lejeune, Honorarkonsul von Irland, und Konstantin Brenninkmeijer (Bild 7).

23 4 Die Zeit ist reif für einen neuen Generationenvertrag in Unternehmen“: Prof. Dr. Marion Schick, Personalvorstand der Deutschen Telekom AG (Bild 1). Infos-Organisationsmanager Dr. Ulrike Dambmann (Leiterin) und Prof. Dr. Hannes Lachhammer (Bild 2). Christian Stohbach, Direktor der St. Galler Kantonalbank in Deutschland, umrahmt von Masako Stroke (li.) und Gasteig-Geschäfts- führerin Brigitte von Welser (Bild 3). 56 7 Sprach ein fulminantes Schlusswort: der ehemalige Bundespostminister Dr. Wolfgang Bötsch (Bild 4). Begrüßte: Peutinger-Pressesprecher Bernd Nobis (Bild 5). Beratungsexperte Michael Thiess, Dr. Gisela Modersohn-Sprung, Präsidentin des Deutsch-Amerikanischen Frauenclubs, und Agentur-Chef Lutz Eckardt (Bild 6). Peutinger-Prokurator Oliver Frank und Immobiliengutachter Dipl.-Kfm. Alexander Adam (Bild 7).

2 „Deutschland und die USA sind auch künftig Partner erster Wahl“: US-General- konsul William E. Moeller beim Peutinger Collegium (Bild 1). Hausherr Dr. Carlos Härtel, Managing Director des europäischen Forschungs- zentrums von General Electric in Garching, Peutinger- Präsidiumsmitglied Dr. Klaus Leipold, GE-Manager Georg Knoth, Gene- ralkonsul William E. Moeller, Peutinger-Prä- sident Dr. Marcus Ernst und Co-Präsident Prof. Dr. Bernd Grottel (Bild 2). Dr. Marcus Ernst dankt Rechtsanwalt Dr. Christoph Rückel für sein Schlusswort 3 4567 (Bild 3). Versicherungskaufmann Helmut Cudan (Bild 4), Robert Frank, Direktor bei Human Resources EMEA (Bild 5) und Vizepräsi- dent a.D. Siegfried Dellinger (Bild 6). Rechtsanwalt Michael Zoebisch mit dem japanischen Vize-Generalkonsul Shinsuke Toda (Bild 7). Mehr über diese drei Peutinger-Abende in der nächsten Ausgabe.

Der Peutinger 5 / 2013 41 PEUTINGER-COLLEGIUM

Hochwasser fl ießt ab, die Not bleibt Flutopfer sind weiterhin auf Spenden angewiesen

Jeder von uns hat noch die Bilder aus den deutschen Flutgebieten vor Augen – ganze Ortschaften, Städte und weite Teile von landwirt- schaftlichen Flächen wurden von Donau, Isar, Inn, Elbe, Mulde und anderen Flüssen und Seen überflutet. Viele Menschen verloren ihr Hab und Gut und stehen noch immer vor dem Nichts. Fischerdorf bei Deggendorf war besonders hart und lange betroffen. Einzig der enorme Zusammenhalt und die Unterstützung durch Hier versanken die Häuser bis zum Dachgiebel im Hochwasser. Einsatzkräfte und Fluthelfer sowie die vielen Geld- und Sachspen- Unzählige freiwillige Fluthelfer haben in Tag und Nacht den den geben den schwer Geschädigten Kraft und Hoffnung. Auch Flutopfern geholfen, ihre Häuser auszuräumen und zu retten, viele Peutinger haben schon einen Beitrag zur Unterstützung der was noch zu retten war. Oft aber haben die Fluten die gesamte Flutopfer geleistet. Ganz im Sinne des Peutinger Collegiums, in materielle Existenz vernichtet, Möbel und Fußböden aufgequollen, dessen Leitlinien die „soziale Verantwortung“ manifestiert ist. Computer, Küchengeräte und selbst Autos unbrauchbar, persönli- Wenn jetzt das Hochwasser endlich abgeflossen ist, gerät die che Erinnerungsstücke nur noch Sperrmüll. Besonders betroffen anhaltende Not der betroffenen Menschen allzu schnell aus dem sind junge Familien mit kleinen Kindern, deren neu gebaute Fokus. Doch Hilfe ist nach wie vor dringend notwendig. Deshalb Häuser als nicht mehr bewohnbar eingestuft werden mussten. Eine appellieren wir nochmals an alle Peutinger, weiterhin zu spenden oft ausweglose Lage. Auch Landwirte und Gewerbetreibende, deren und auch Freunde und Bekannte zur anhaltenden Hilfeleistung zu Hallen, Lager und Flächen überflutet wurden, stehen vor dem ermuntern. Nur so können wir gemeinsam Not lindern und dazu finanziellen Ruin. beitragen, den Betroffenen wieder eine Perspektive zu geben. ½

Schutz künftiger Generationen: Theoretisch gewollt, praktisch verhindert Hochkarätigen Besuch aus Ungarn hatten die Jungen Peutinger ressen künftiger Generationen, insbesondere dem Grundrecht auf am 2. Mai bei Wind River. Dank des Engagements von Lukas eine gesunde Umwelt, zuwiderliefen: eine große Müllverbrennungs- Köhler, der auch als Mentée aktiv ist, konnte mit Sandor Fülöp anlage in unmittelbarer Nähe eines Naturschutzgebiets, die Auswei- einer der profi liertesten Experten zum Thema Nachhaltigkeit sung von Golfplätzen mit dem Effekt der Grundwassergefährdung gewonnen werden. oder die Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Fülöp machte auch deutlich, dass die Schaffung des europaweit ers- Der promovierte Jurist wurde 2008 vom ungarischen Parlament zum ten Kommissariats zum Schutz künftiger Generation 2008 einerseits ersten Kommissar für zukünftige Generationen gewählt. Als solcher wegweisend war. Andererseits nahm die Kommission ihre Arbeit stand er einem Gremium vor, dessen Aufgabe darin bestand, Vor- offenbar zu ernst und ihre kritische bis ablehnende Haltung zu vie- haben staatlicher Organisationen und privater Unternehmen unter len Großprojekten von Politik und Wirtschaft wurde von diesen zu- Nachhaltigkeits aspekten, vor allem auf Umweltverträglichkeit und nehmend als Bedrohung empfunden. Nach einer massiven Kürzung Ressourcenschutz, zu untersuchen. der Mittel erklärte Fülöp, obwohl für acht Jahre gewählt, daher 2012 Exemplarisch stellte Fülöp Projekte vor, die von seinem Team über- seinen Rücktritt. Seitdem engagiert er sich wieder als Rechtsanwalt prüft und auch verhindert wurden, weil ihre Realisierung den Inte- in Umweltfragen und ist Ratsmitglied im World Future Council. ½

Bücher unserer Mitglieder Reden mit Zinsgewinn Walter & Julius Beck Reden ist mehr Die erfolgreiche Rede ist die »freie Rede«, wer abliest, kann keine Emotionen bei den als Gold Zuhörern wecken. Aus dieser Grunderkenntnis heraus haben der frühere Peutinger- Präsident Walter Beck und sein Sohn Julius ein Lehrbuch für Redner geschrieben. Beide Signum-Verlag, 260 Seiten, sind Juristen und seit Jahren intensiv mit Rhetorik beschäftig, Walter Beck auch als 19,99 E Rhetorik-Dozent. Ihr Fazit: Die gute Rede ist ein Erfolgspotential, das reiche Zinsen trägt.

Nachruf Unerwartet und mit 64 Jahren viel zu früh verstarb am 26. Juni 2013 Peutinger-Con- ventor Roland Kahlenberg. Als Geschäftsführender Gesellschafter leitete er die Neubo Hausverwaltungs GmbH & Co. Betriebs-KG, die er 1972 in München aufgebaut hat. In einem Kondolenzschreiben an Ehefrau Monica und Sohn Mark würdigt Peutinger- Präsident Marcus Ernst den Verstorbenen: „Mit dem Dahingehen von Roland Kahlen- berg verlieren wir im Peutinger Collegium einen treuen Conventor, der seit mehr als 25 Jahren bei beinahe jedem Festabend teilnahm. Er war uns ein interessanter und kurzweiliger Gesprächspartner und ein verlässlicher Freund und Kollege. Wir werden ihm ein ehrendes Gedenken geben.“

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